Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/25/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns für die heutige begrenzte Tagesordnung eine konzentrierte Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes - Drucksache 16/6735 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch; dann ist es so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering. ({1})

Franz Müntefering (Minister:in)

Politiker ID: 11001570

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Guten Morgen miteinander! Wir haben in der Koalition abgemacht, dass wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz ändern und möglichst viele Branchen einladen, Mitte des nächsten Jahres in dieses Gesetz aufgenommen werden zu können. Allerdings gab es auf dem Weg dahin in den letzten Wochen und Monaten eine Entwicklung, die die Briefdienstleister in besonderer Weise betrifft. Im August stellte sich heraus, dass in Europa der Umgang mit dem Ende des Briefmonopols sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Vereinbart war, dass in Deutschland das Briefmonopol - das sind Briefe bis zu 50 Gramm - zum 1. Januar 2008 ausläuft und dass dies in den anderen europäischen Ländern zum 1. Januar 2009 stattfinden wird. Nun haben uns die anderen europäischen Länder, die Nachbarländer, mitgeteilt: Nein, sie machen das nicht 2009, sondern erst 2011 oder später. Daraufhin haben wir miteinander gesagt: Man darf zwar vorbildlich sein und es ein Jahr vorher machen; aber man muss nicht dumm sein. Man muss auch die Interessen des eigenen Landes sehen. Was wir nicht wollen, ist, dass bei uns das Briefmonopol zu Ende ist, in den anderen Ländern aber die Öffnung noch nicht da ist. Das hieße, andere Länder könnten bei uns agieren, wir aber nicht auf deren Markt. Das wollen wir so nicht. Also haben wir vereinbart: Wir machen noch in diesem Jahr eine Mindestlohnregelung für den Postbereich und lassen der Post das Privileg im Bereich der Mehrwertsteuer, weil sie flächendeckend Universaldienste anbietet. Dies haben wir innerhalb der Koalition besprochen und vereinbart. Bedingung war: Es gibt einen Antrag. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz funktioniert ja nicht so, dass die Politik sagt: „Ihr müsst da hinein“; vielmehr kommt es darauf an: Melden sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer und sagen, wir wollen da hinein? Das ist passiert. Mitte September haben sich der Postarbeitgeberverband und Verdi gemeinsam bei mir gemeldet und gesagt: Wir möchten in das ArbeitnehmerEntsendegesetz mit dem Ziel, dass in Form einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung die Vereinbarung, die wir, Post-Arbeitgeber und Post-Arbeitnehmer, getroffen haben, zum Mindestlohn in unserem Bereich für alle Briefdienstleister wird. - Damit war das, was wir vereinbart haben, als Bedingung erfüllt, und heute machen wir nun sozusagen den ersten Schritt. Wir haben seitens des Kabinetts einvernehmlich und einstimmig ein Gesetz eingebracht, in dem steht, dass die Briefdienstleister in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Wenn die Briefdienstleister enthalten sind, muss noch im Verlauf dieses Jahres die Verordnung erlassen werden - das ist auch möglich -, sodass zum 1. Januar des nächsten Jahres Mindestlohn für diese Briefdienstleister gilt. Mit der Beratung heute und der Vorberatung im Bundesrat ist es möglich, dass zum 30. November die letzte abschließende Beratung im Bundesrat stattfindet und anschließend diese AllgemeinRedetext verbindlichkeitserklärung in Form einer Verordnung zustande kommt. Ich werde diese Verordnung natürlich in der nächsten oder übernächsten Woche zur Kenntnis geben, damit alle, die in der zweiten und dritten Lesung zu entscheiden haben - dies wird am 8. oder 9. November so weit sein -, wissen, wie diese Verordnung aussieht, sodass alle sehenden Auges die nötigen Entscheidungen treffen können. Das, was wir uns vorgenommen haben, ist erfüllt, nämlich der Antrag seitens der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und ein Mindestlohntarifvertrag. ({0}) Ich will noch einmal deutlich machen, weil alle immer ermahnen, man muss an die Tarifautonomie denken: Mehr als das, was wir tun, kann man dabei nicht tun. Wir haben weder auf das Zustandekommen eines Arbeitgeberverbandes noch auf die Verhandlungen Einfluss genommen, die er mit Verdi geführt hat. Beide haben uns gemeinsam einen Vertrag vorgelegt und gesagt: Das ist die Grundlage für den Mindestlohn, die wir in unserem Bereich haben wollen. - Ich bin der Meinung, dass wir dies jetzt so machen sollten. ({1}) Es ist eine Diskussion über Prozentzahlen in Gang gekommen und darüber: Wie weit ist eigentlich die Tarifgebundenheit von 50 Prozent gegeben? 93 bis 94 Prozent aller Briefe, die verteilt werden, werden von Beschäftigten der im Arbeitgeberverband Post versammelten Unternehmen verteilt. ({2}) Daher bin ich ganz sicher, dass die 50 Prozent an dieser Stelle gut erreicht werden ({3}) und dass wir das, was wir uns vorgenommen haben, in diesem Jahr schaffen können. Der Mindestlohn ist im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft ein wichtiges Instrument. Vielleicht müssen wir an dieser Stelle eine Grundsatzdebatte miteinander führen, weil ich immer noch das Gefühl habe, dass der eine oder andere in diesem Hause glaubt, ein Teil der Koalition habe zugesagt, zu versuchen, dass ein Mindestlohn zustande kommt, und ein anderer Teil habe versprochen, es möglichst zu verhindern. Das ist aber so nicht. ({4}) Dumpinglöhne und Lohndumping widersprechen den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft. ({5}) Wir sind uns in der Koalition völlig einig: Wir wollen die Gesetze so machen, dass zukünftig mehr Branchen innerhalb der Regeln, die wir miteinander aufstellen, Mindestlöhne haben können, und zwar aus zweierlei Gründen: Dumpinglöhne sind etwas, was gegen die Würde des Menschen verstößt. ({6}) Die betroffenen Menschen bekommen Löhne, die so niedrig sind, dass sie sich den Rest ihres Lohnes anschließend bei der Arge oder bei der optierenden Kommune abholen müssen. ({7}) - Ja, Herr Kolb. Aber sollen wir den Menschen etwa sagen: „Du musst jeden Morgen um halb sechs aufstehen und zur Arbeit gehen, und dann hast du am Ende des Monats weniger Geld auf dem Konto als der, der nicht aufstehen kann oder will. Der hat schon mehr auf seinem Konto drauf“? - Das kann so überhaupt nicht sein. ({8}) Und die Sache mit dem Lohndumping: Wir reden darüber: Was können wir eigentlich tun, um deutsche Unternehmen, auch strategisch wichtige Unternehmen, davor zu schützen, dass sie von irgendwo auf der Welt durch anonyme Mächte im Wettbewerb benachteiligt werden? Wenn man hier etwas tun will, dann ist der Punkt, über den wir jetzt diskutieren, mindestens genauso wichtig. Wenn es in Deutschland Unternehmen gibt - es gibt sie, auch Lizenzunternehmen im Bereich der Postdienstleister -, die so niedrige Löhne zahlen und die Briefmarken so billig machen, ({9}) weil wir den Rest des Lohns anschließend aus der Steuerkasse per Sozialtransfer zahlen, dann ist in Sachen soziale Marktwirtschaft etwas nicht in Ordnung. Ein fairer Unternehmer muss einen ehrlichen Lohn zahlen, auf dem man aufbauen kann. ({10}) Es kommen ja nicht nur die Arbeitnehmer; es kommen auch Arbeitgeber und sagen: Helfen Sie uns dabei! Zuletzt waren es die Wachdienste, und zwar Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie haben gesagt: Wir wollen allen, die im Wachdienst arbeiten und aufpassen, dass Ordnung herrscht - das gilt übrigens auch für dieses Gebäude -, einen ordentlichen Lohn zahlen. Wenn aber ein Arbeitgeber, der einen Niedriglohn zahlt, seinen Leuten sagt „Passt mal auf: Ihr kriegt nicht 7 oder 8 Euro, sondern nur 4 Euro, und den Rest holt ihr euch bei Münte ab!“ - so läuft es in Deutschland doch praktisch -, dann ist etwas nicht in Ordnung. Das wollen wir nicht. Deshalb gehört eine vernünftige Mindestlohnregelung zur sozialen Markwirtschaft. ({11}) Es ist ordnungspolitisch vernünftig, das zu fordern. Sie werden sich also bewegen müssen. Ich sage Ihnen: Auch ich habe darüber noch vor fünf Jahren anders gedacht. ({12}) Es ist keine Schande, seine Meinung an dieser Stelle zu ändern. In einer so diversifizierten Situation bei den Löhnen und nachdem sich so viele Niedriglohnbereiche herausgebildet haben, haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr die Kraft und überhaupt nicht mehr die Macht, Vereinbarungen für die Menschen zu treffen, die tarifungebunden sind oder am Rande der Existenzfähigkeit finanziert werden. Deshalb müssen wir uns in unserer sozialen Marktwirtschaft darauf einstellen, dass zukünftig der Mindestlohn in dem Paket unserer arbeitsmarktrechtlichen Regelungen zu einer selbstverständlichen Größe wird - so, wie er es in über 20 europäischen Ländern schon ist. Deshalb: Erste Lesung heute, zweite/dritte Lesung am 8./9. November, am 30. November im Bundesrat, und zum 31. Dezember dieses Jahres wird der Mindestlohn im Bereich der Post stehen. Dafür wollen wir miteinander streiten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Müntefering, zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie auf den Punkt gekommen sind. Sie haben glücklicherweise gar nicht erst den Versuch unternommen, drum herumzureden, sondern Sie haben gesagt, worum es geht ({0}) das ist auch für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion wichtig -: Sie sehen das, was heute hier beschlossen wird, als den Einstieg in einen flächendeckenden Mindestlohn. ({1}) - Es ist nett, dass Sie das fürs Protokoll noch einmal bestätigen. - Sie begründen dies damit, dass innerhalb der Branche unterschiedlich bezahlt werde. Sie reden von den Briefzustellern und verweisen auf einen Gegensatz zwischen Zustellern der Post und privaten Zustellern. Dazu muss man wissen: Wenn Sie Ihr Gesetz so verabschieden, zementieren Sie das Monopol der Deutschen Post AG. Sie schädigen die Konkurrenz, schalten sie aus. Was Sie hier nicht erzählen, ist, dass durch Ihre Politik 50 000 Arbeitsplätze bei privaten Anbietern von Postdienstleistungen gefährdet werden. ({2}) Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist ursprünglich eingeführt worden, um deutsche Unternehmen vor ausländischer Billigkonkurrenz zu schützen. ({3}) Jetzt soll es ausgeweitet werden, um einen Staatsmonopolisten - das ist es doch in Wahrheit - vor privater Konkurrenz zu schützen. Das ist unanständig. ({4}) Warum sind denn die Löhne bei den Privaten anders? Darüber können wir an dieser Stelle gerne einmal reden. Die Löhne der Zusteller bei privaten Anbietern von Postdienstleistungen sind in der Tat niedriger, ({5}) und zwar aus einem einfachen Grund: Die Deutsche Post AG hat dadurch, dass sie die 19 Prozent Mehrwertsteuer spart, einen riesigen Vorsprung - da müssen die Privaten sehen, wo sie bleiben. So funktioniert die Marktwirtschaft. ({6}) Schließlich geht es in der Debatte, die in diesen Tagen stattfindet, auch um die Agenda 2010, also um die Richtung der Politik für dieses Land insgesamt. Herr Minister, Sie können sich über den Beifall von den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion freuen. Doch an Ihrer Stelle würde ich mir Sorgen machen: Je länger der Beifall mit jeder Rede, die Sie halten, wird, desto mehr riecht er nach Abschied. ({7}) In Wahrheit wird heute wieder am Grabstein der Agenda 2010 gemeißelt. Das ist das, was uns am meisten Sorge macht und was auch Deutschland am meisten Sorge machen muss. Die Rhetorik ist noch, man halte am Reformkurs fest - praktisch wird er heute und in den nächsten Wochen zu Grabe getragen. Das ist deshalb außerordentlich bedenklich und verheerend, weil Sie unter dem Strich eine Politik zu Grabe tragen, ({8}) die noch nicht einmal die Chance hatte, zu wirken. Kaum geht es Deutschland etwas besser, kaum haben wir ein Jahr etwas bessere Konjunktur, schon geht der Esel wieder aufs Eis und merkt gar nicht, wie dünn das Eis der deutschen Konjunktur ist. ({9}) Ich kann die Krokodilstränen in dem Zusammenhang nicht mehr sehen. Die Ministerinnen und Minister sagen in den Zeitungen - dies taten sie gestern auch hier -, es sei für die Bürgerinnen und Bürger doch tragisch, dass die Preise steigen. Es gibt in dieser Republik einige Preistreiber. Die sitzen nicht in irgendwelchen anonymen Zentralen von Stromkonzernen oder bei irgendwelchen anderen Unternehmen, die Preistreiber der Republik sitzen dort auf den Regierungsbänken - übrigens auch am heutigen Tage. ({10}) Falls Sie mir das nicht glauben - ({11}) - Frau Schmidt, ich darf Sie bitten, mich durch Ihre Zwischenrufe nicht weiter einzuschüchtern. Sie wissen, ich bin sensibel. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Westerwelle, in diesem Zusammenhang kommt es auf Ihre Empfindlichkeit gar nicht an, weil Zwischenrufe von der Regierungsbank grundsätzlich nicht zulässig sind. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jetzt haben Sie es amtlich. Das haben Sie davon. Sie konnten es ja nicht lassen. ({0}) Herr Präsident, erst einmal natürlich vielen herzlichen Dank für diese eindeutige Unterstützung der Opposition. ({1}) Ich komme jetzt aber noch einmal auf die Preisentwicklung in Deutschland zurück. Die Preisentwicklung ist ja nicht etwas, was der Opposition eingefallen ist. Mit Ihrem Gesetzentwurf, den Sie heute einbringen, leisten Sie einen Beitrag dazu, dass die Preise in Deutschland weiter steigen. ({2}) Das sagen nicht wir, das sagen Sie selbst in Ihrem Gesetzentwurf; denn unter „Sonstige Kosten“ steht nichts anderes als - wörtlich -: Durch die Neuregelung kann die deutsche Wirtschaft mittelbar mit Kosten belastet werden... Wenn Sie das Können schon zugeben, dann wissen wir alle, dass es genau so kommt. ({3}) Heute geht es um den Mindestlohn, nach dem Bundesparteitag der SPD wird es um das Arbeitslosengeld I gehen. ({4}) Das Entscheidende ist, dass beides in Wahrheit die Abwicklung einer Reformpolitik bedeutet, die fortgesetzt werden müsste. Der Reformfrühling hat in Deutschland gerade einmal ein paar Monate gehalten. Jetzt sind wir schon wieder dabei, in den Reformwinter überzugehen. Das Gefährliche an Ihrer Politik ist, dass Sie sehenden Auges Maßnahmen beschließen, von denen Sie genau wissen, dass sie Deutschlands Wirtschaft belasten und dass sie nicht gut für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Sie haben die Steuern und Abgaben erhöht. Unter anderem deswegen steigen die Preise. Sie reden über Mindestlöhne, aber die Frage muss doch lauten: Was nutzt einem Arbeitnehmer ein höherer Bruttomindestlohn, wenn Sie ihm netto immer weniger in der Tasche lassen? Das ist die eigentliche Herausforderung in dieser Republik. ({5}) Dasselbe gilt auch für das Arbeitslosengeld I und die Mindestlöhne. Das alles ist ja eine Serie. Wir werden uns in den nächsten Wochen damit befassen. Es sind geschichtsträchtige Wochen in diesem Hause. ({6}) Zu den Mindestlöhnen und zum Arbeitslosengeld I muss klar gesagt werden: Sie verlängern das jetzt; Sie werden das tun. Noch zieren Sie sich ein bisschen, aber Sie werden das alles mitmachen, so, wie Sie das hier auch mitmachen. ({7}) - Dafür brauche ich kein Hellseher zu sein. Hier nutzt mir einfach die Nähe zu Ihnen, Herr Kauder. Ich kenne Sie lange genug. ({8}) Natürlich wird einer nach dem anderen hier umfallen. Sie werden das alles mitbeschließen. ({9}) Das Schlimme ist - das ist bedauerlicherweise nicht lustig -: Statt dass während eines Aufschwungs für den Fall vorgesorgt wird, dass ein Abschwung kommt, werden Sie jetzt die alten Fehler wiederholen. Mit dieser Abkehr von der Reformpolitik tragen Sie die Verantwortung dafür, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland in der nächsten Konjunkturkrise - sie kommt bestimmt - nicht 5 Millionen, sondern 6 Millionen betragen wird. Das ist die größte soziale und auch demokratische Gefahr für unser Land. ({10}) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Ralf Brauksiepe ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass die Debatte über die Einführung eines Mindestlohns bei der Post jetzt auch das Parlament erreicht hat. ({0}) Angesichts der öffentlichen Debatten in den letzten Wochen will ich einige Punkte klarstellen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Diese Regierung wird in der Arbeitsmarktpolitik in erster, zweiter und dritter Linie daran gemessen, ob und inwieweit es ihr gelingt, Arbeitslosigkeit abzubauen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. ({1}) Wir sind stolz darauf, dass diese Regierung unter Angela Merkel eine arbeitsmarktpolitische Bilanz vorgelegt hat, die sich sehen lassen kann. Das ist es, woran wir in erster Linie gemessen werden. Wir stehen als CDU/CSU-Fraktion zu den Vereinbarungen im Koalitionsausschuss und zu den Vereinbarungen der Regierung in Meseberg. Es ist auch eine Selbstverständlichkeit - das gilt für uns genauso wie für unseren Koalitionspartner -, dass niemand das Denken einstellt, wenn ein Gesetzentwurf von der Bundesregierung vorgelegt wird. Ich habe auch noch keinen Sozialdemokraten erlebt, der das Denken eingestellt hat, nur weil der Name Angela Merkel unter einem Gesetzentwurf der Bundesregierung steht. Eine sorgfältige Prüfung jedes Gesetzentwurfes ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Das hat nichts mit Abrücken zu tun. Es ist unser Wählerauftrag. Wir sagen klipp und klar: Wir leisten uns - anders als der Kollege Stiegler, der hier kürzlich angekündigt hat: Wir pausieren erst einmal bei der Unterstützung der Regierung - keine Pause auf diesem Weg; wir erfüllen vielmehr unseren Wählerauftrag und werden auch diesen Gesetzentwurf wie jeden anderen sorgfältig prüfen. ({2}) Uns geht es darum, bei den Briefdienstleistungen zu mehr Wettbewerb zu kommen. Das ist unser Ziel, und es ist politisch vereinbart worden. Wir wissen aber auch, dass Wettbewerb, der dieses Land groß und wirtschaftlich erfolgreich gemacht hat, auch immer ein Wettbewerb um die besten Ideen - ein Innovations- und Qualitätswettbewerb - gewesen ist. Es geht nicht um den Wettbewerb um die niedrigsten Löhne; den wollen wir in diesem Land nicht. ({3}) Deswegen sind wir auch für tarifliche Mindestlöhne. Aus diesem Grund haben wir als Große Koalition den Branchen, die über mindestens 50 Prozent Tarifbindung verfügen, angeboten, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden, wenn sie dies gemeinsam wollen. Das haben wir vereinbart. In diesem Zusammenhang muss, denke ich, eines betont werden: Wer tarifliche Mindestlöhne will, der muss ein Interesse daran haben, dass wir auf einer möglichst breiten Basis zu freiwilligen Vereinbarungen und Verhandlungslösungen kommen. Es ist richtig, dass man nicht ohne weiteres zu einer 100-prozentigen Tarifbindung kommen kann. Wenn eine Mehrheit zu einer bestimmten Regelung kommt, dann sind wir unter Abwägung aller Gesichtspunkte bereit, das für allgemeinverbindlich zu erklären, sodass es auch für eine Minderheit gilt, die keine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen hat. Es kann aber nicht das Ziel sein, dass womöglich 50,1 Prozent eine Regelung treffen, die dann 49,9 Prozent aufs Auge gedrückt wird. Wer tarifliche Mindestlöhne will, muss ein Interesse daran haben, dass möglichst viele freiwillig an einer solchen Vereinbarung teilhaben. ({4}) Die Politik kann das nicht alleine leisten. Der Gesetzgeber kann in dieser Frage nicht alleine handeln. Wir brauchen ein vernünftiges Miteinander des Gesetzgebers und der Tarifvertragsparteien. Lassen Sie uns einen Blick auf die Situation werfen! Man kann feststellen, dass die Gewerkschaften in dieser Frage ihre Hausaufgaben erfüllt haben. Es gibt einen Tarifvertrag des Arbeitgeberverbandes Postdienste mit der Gewerkschaft Verdi und einen gleichlautenden Anschlusstarifvertrag, den die DPVKOM und die CGPT - die zuständigen Fachgewerkschaften im Deutschen Beamtenbund und im Christlichen Gewerkschaftsbund - abgeschlossen haben. Das ist die maximale Bindung auf der Seite der Gewerkschaften. Hier sind die Voraussetzungen optimal erfüllt. Zur Wahrheit gehört auch, dass das, was auf Arbeitgeberseite bisher gelaufen ist, mit „suboptimal“ noch vornehm umschrieben ist. Es geht uns nicht darum, zurückzuschauen und zu fragen, wer wann mit wem gesprochen hat - wir waren schließlich nicht dabei - und wer wen überfahren, ausgetrickst oder was auch immer hat. Es ist aber zumindest legitim, im Laufe dieser Gesetzgebung den Versuch zu unternehmen, das, was in der Vergangenheit nicht geklappt hat, zu korrigieren. Das ist kein Eingriff in die Tarifautonomie; es entspricht vielmehr dem Geist und Sinn unserer Vereinbarung in der Koalition, zu einem möglichst breiten Konsens und einer möglichst weiten Einbeziehung aller Akteure auf dem Briefdienstleistungssektor zu kommen. Das ist unser Ziel. ({5}) Letzten Endes müssen wir - weil Politik kein Wunschkonzert ist - auf der Basis dessen, was vorliegt, entscheiden. Wir müssen prüfen, ob die Vereinbarungen zu tariflichen Mindestlöhnen, die wir im Juni im Koalitionsausschuss getroffen haben und die auch die Regierung in Meseberg getroffen hat, erfüllt sind. Da tun sich an mehreren Stellen noch Fragen auf. Eine wichtige Frage ist: Ist das von uns politisch vereinbarte Kriterium einer 50-prozentigen Tarifbindung erreicht? Da hören wir die unterschiedlichsten Zahlen von unterschiedlichsten Interessenverbänden. Es ist eben nicht damit getan, festzustellen, wie viel Prozent der Briefe von wem transportiert werden; denn es geht nicht um Briefe, sondern es geht um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es geht vor allem nicht nur um diejenigen, die zustellen, sondern es geht um die gesamte Wertschöpfungskette, die das Einsammeln, das Sortieren und Transportieren von Briefen mit umfasst. Im Tarifvertrag, der uns bekannt ist, wird geregelt, dass jeder einbezogen werden soll, unabhängig davon, welches Ausmaß diese Arbeit bezogen auf seine gesamte Tätigkeit hat. Deswegen muss diese Frage kritisch geprüft werden. Damit verbunden ist die Frage: Was soll aus den sogenannten Erfüllungsgehilfen werden, also denjenigen, die in den Postagenturen in erster Linie anderes machen und darüber hinaus auch Briefdienstleistungen erbringen? Ich höre von den Tarifpartnern selbst, dass es um die eigentlich gar nicht gehen soll. Deswegen müssen wir wissen, wie diese Regelung nach den Vorstellungen der Bundesregierung aussehen soll. Natürlich stellt sich auch die Frage, welche Entwicklungen es sonst noch in dieser Branche gibt. Der ehemalige Arbeitsminister von Herrn Beck tummelt sich jetzt ja auf einem anderen Gebiet. Da gibt es jetzt einen Verband, und da gibt es auch eine Organisation, die sich Gewerkschaft nennt und sich öffentlich gegen staatliche überhöhte Zwangslöhne wendet. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als jemand, der dem Deutschen Beamtenbund angehört und dessen Fachgewerkschaft den Tarifvertrag geschlossen hat, von dem wir gesprochen haben, habe ich eine politische Ansicht darüber, was ich von einer Organisation halten soll, die sagt: Wir sind eine Gewerkschaft und fordern niedrige Löhne. - Eine politische Meinung habe ich dazu. Aber natürlich ist die Frage, wie diese Entwicklungen rechtlich zu beurteilen sind. Dazu erwarten wir eine Antwort der Bundesregierung. Wir befinden uns in der ersten Lesung, in einem ganz normalen Gesetzgebungsverfahren. Wir hoffen auf befriedigende Antworten der Bundesregierung auf diese Fragen. Ich sage ganz deutlich: Wir wünschen uns befriedigende Antworten, weil wir uns eine Lösung für den Bereich der Postlöhne wünschen. Wir wollen hier zu einer Regelung kommen. Deswegen haben wir die Vereinbarungen getroffen, und deswegen hoffen wir, dass die Fragen, die hier gestellt werden müssen, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens befriedigend beantwortet werden. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich habe Ihnen zugehört. Sie haben die These aufgestellt, dass schlimm sei, wenn man bei einem höheren Bruttolohn zu viel abziehe. Stattdessen solle es lieber einen niedrigeren Bruttolohn geben. Also, verstanden habe ich das Ganze nicht; ({0}) denn bei den niedrigen Löhnen wird ja auch viel abgezogen. Weshalb Sie gegen höhere Löhne sind, ist nicht nachzuvollziehen, es sei denn, Sie wollen ganz einseitige Interessen in der Gesellschaft vertreten. ({1}) Herr Westerwelle, Sie nehmen bestimmte Tatsachen nicht zur Kenntnis, so zum Beispiel die Tatsache, dass 10 Prozent der oberen Haushalte in Deutschland 47 Prozent des Vermögens und 50 Prozent der unteren Haushalte 4 Prozent des Vermögens besitzen. Daran muss man etwas ändern, wenn man eine gerechtere Gesellschaft will. ({2}) Sie ignorieren, dass wir beim Pro-Kopf-Einkommen in der EU bei einem Vergleich der alten 15 Mitgliedsländer jetzt auf Platz 11 sind. Es besteht die Gefahr, dass uns Spanien im nächsten Jahr überholt. Dann liegen hinter uns nur noch Griechenland, Portugal und Italien. Ich muss sagen: Da kann man aber doll stolz sein, was das Pro-Kopf-Einkommen unserer Bevölkerung betrifft. Deshalb brauchen wir dringend einen gesetzlichen Mindestlohn, damit Lohndumping in Deutschland endlich aufhört. ({3}) Da sagen wir, preisbereinigt bräuchten wir einen Mindestlohn von 8,44 Euro. Allerdings fügen wir hinzu, dass das heute nicht mehr ausreicht; denn dort, wo höhere Löhne gezahlt werden, besteht bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes die Gefahr, dass die höheren Löhne auf die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gesenkt werden. Deshalb haben wir gesagt, wir brauchen ein Verfahren, das sicherstellt, dass Lohnsenkungen überhaupt nur in ökonomischen Ausnahmesituationen genehmigt werden; ansonsten müssen sie untersagt werDr. Gregor Gysi den, weil das nicht die Entwicklung unserer Gesellschaft sein soll. ({4}) Nun geht es heute aber nur um die Briefzustellerinnen und Briefzusteller. Es geht ja noch gar nicht um einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie haben die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns unter der Bedingung vereinbart, dass sich die Betreffenden einigen. Nun haben wir eine Einigung - dazu hat hier noch niemand etwas gesagt - auf einen gesetzlichen Mindestlohn Ost in Höhe von 9 Euro ({5}) - Entschuldigung, es ist ein tariflicher Mindestlohn und einen Mindestlohn West in Höhe von 9,80 Euro. Ich muss Ihnen sagen: Im 18. Jahr der deutschen Einheit bei einer gleichen Kostenstruktur in Ost und West ist ein unterschiedlicher Mindestlohn nicht mehr hinnehmbar. ({6}) Ich meine das als Kritik am Arbeitgeberverband und an meiner Gewerkschaft Verdi. Dass sie das unterschrieben haben, ist ein Skandal; ich sage das so offen. Ich hätte mir gewünscht, dass auch jemand von den anderen Fraktionen gesagt hätte, dass wir das im 18. Jahr der deutschen Einheit nicht mehr wollen. ({7}) Nun spielt Herr Gerster - Sie haben es bereits gesagt; ich kann es gut verstehen - eine bestimmte Rolle. Von 1991 bis 1994 war der Mann, Mitglied der SPD, Minister für Europaangelegenheiten in Becks RheinlandPfalz. Dann wurde er Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit. Dann wurde er Leiter der Bundesanstalt für Arbeit. Irgendwann ging er. Was macht er nun? Er hört von dieser Vereinbarung, gründet einen eigenen, neuen Arbeitgeberverband und hilft offensichtlich dabei, eine kleine, neue Gewerkschaft zu gründen und Räume anzumieten, und das Ganze nur mit dem Ziel, den Mindestlohn zu unterschreiten. Sie sprechen bei Oskar Lafontaine immer von Verrat. Aber das, was Herr Gerster macht, ist ein wirklicher Verrat an der Sozialdemokratie. ({8}) Damit müssten Sie sich einmal auseinandersetzen. Der Superminister von Herrn Schröder, Herr Clement, haut in dieselbe Kerbe. Damit Sie das als Verrat entlarven können, müssten Sie sich zuerst einmal mit der unsozialdemokratischen Agenda 2010 und mit Hartz IV selbstkritisch auseinandersetzen. Aber das wollen Sie nicht. ({9}) Herr Gerster organisiert unter Beteiligung von TNT und PIN einen neuen Arbeitgeberverband und sagt, man wolle einen niedrigeren Lohn. Dann macht er Folgendes - eine solche Demütigung habe ich selten erlebt -: Er schickt die Beschäftigten der Unternehmen zur Demonstration auf die Straße und bezahlt sie, damit sie sagen, dass sie einen niedrigeren Lohn haben wollen. Schlimmer kann man Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht demütigen, als das hier gemacht wurde. ({10}) Ich möchte noch über einen anderen Punkt sprechen, der zwar nicht ganz dazu gehört, aber in die gleiche Richtung geht: die 58er-Regelung. Monitor wird darüber berichten, was für ein Skandal das ist. In der letzten Sitzungswoche haben Sie unseren Antrag auf Fortsetzung der 58er-Regelung abgelehnt. Das bedeutet, dass Sie einem Arbeitslosen, der 58 Jahre oder älter ist, sagen, er werde nicht mehr vermittelt, und ihn nach § 5 SGB zwingen - er hat nicht einmal mehr die Wahl -, die Frühverrentung zu beantragen und damit eine Kürzung der Rente um bis zu 18 Prozent hinzunehmen. Das gilt auch noch, wenn der Betreffende 87 oder 88 Jahre alt ist. Ich halte das für grundgesetzwidrig. ({11}) Niemand darf gezwungen werden, eine Kürzung der Rente hinzunehmen, wenn er die Möglichkeit hat, eine höhere zu erwerben. Aber Sie tun das. Korrigieren Sie das! Setzen Sie wenigstens die 58er-Regelung fort! Das alles gehört zur Ungerechtigkeit, die es in unserem Land gibt. ({12}) - Ich habe ja gesagt, dass es nicht ganz dazugehört. Aber ein wichtiges Thema ist es; das können Sie doch nicht bestreiten. ({13}) Sagen Sie heute doch, dass Sie das korrigieren werden und dass die 58er-Regelung nach dem 31. Dezember fortgesetzt wird! Das wäre für 350 000 Betroffene eine wichtige Entscheidung. ({14}) Wir brauchen einen Mindestlohn. Wir brauchen eine Allgemeinverbindlichkeit. Wir brauchen das für die Postbediensteten bzw. die Briefzustellerinnen und Briefzusteller deshalb jetzt, weil das Briefmonopol am 1. Januar 2008 aufhört zu existieren. Sie wissen um die vorhandenen Niedriglöhne. Dagegen muss der Bundestag etwas tun. Des Weiteren sind viele noch gar nicht berücksichtigt. Denken Sie an die Sortiererinnen und Sortierer! Denken Sie an die Verkäuferinnen und Verkäufer bei TNT und PIN! Sie bekommen einen Bruttolohn von 5 Euro bzw. 6,72 Euro pro Stunde. Niemand von uns könnte davon leben. Wir sollten auch nicht so tun, als könnten wir davon leben. Gegen solche Löhne müssen wir etwas unternehmen. Der Bundestag muss ein Zeichen setzen und sagen: Das lassen wir in Deutschland nicht zu. Danke. ({15})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, Herr Müntefering hat recht. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, ich bin froh, wenn es der Einwirkung des Präsidenten gar nicht bedarf, weil die Friedlichkeit der Beratung die nahtlose Rednerabfolge sicherstellt. Aber da ich nicht ganz sicher bin, ob vor allen Dingen die Millionen Fernsehzuschauer, die uns heute bei dieser Debatte begleiten, alle wissen, wer jetzt das Wort erhalten hat, schlage ich doch der guten Ordnung halber vor, dass die Kollegin Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort erhält. ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Herr Präsident und ich haben uns per Blickkontakt verständigt, meine Damen und Herren. ({0}) Herr Müntefering hat recht, wenn er sagt, Lohndumping widerspreche der sozialen Marktwirtschaft. Aber die Art und Weise, wie die Union mit den Hoffnungen und Ängsten der Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, umgeht, widerspricht Sitte und Anstand, und das widerspricht den Regeln einer sozialen Politik. ({1}) In Meseberg haben Sie noch versprochen: Wohlstand für alle. - Im Überschwang der Gefühle haben Sie sich ganz offensichtlich darauf verständigt, die Postbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Aber das Gruppenfoto war noch nicht ganz im Kasten, und die Schlosstreppe war noch nicht geräumt, da kamen schon Wirtschaftsminister Glos und die Wahlkämpfer Wulff und Koch daher und haben versucht, diese Vereinbarung zu hintertreiben. In deren Schlepptau sind unvermeidlich Röttgen und Ramsauer, die schreien: „Nix da, den Mindestlohn gibt’s nicht!“. Herr Brauksiepe, das, was Sie uns mit dem Wort „Prüfung“ weiszumachen versuchen, ist nichts anderes als ein Taschenspielertrick und nichts anderes als eine Milchbubenrechnung, mit der Sie versuchen, sich aus der Vereinbarung herauszuwinden. So weit zu der Vertragstreue der CDU/CSU. ({2}) Ihre Ankündigung, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, ist nichts weiter als ein Vertragsbruch und ist die Aufkündigung Ihrer Geschäftsfähigkeit. Dabei ist doch bereits im Postgesetz festgeschrieben, dass die Einkommens- und Arbeitsbedingungen bei der Lizenzvergabe an private Wettbewerber berücksichtigt werden sollen. ({3}) Genau das steht bereits darin. Der Wettbewerb - darum geht es - soll über die Qualität der Leistungen erfolgen, der Wettbewerb soll nicht über Lohndrückerei ausgetragen werden. Deshalb brauchen wir einen Mindestlohn. Herr Westerwelle, wenn Sie sagen, dass Sie ein sensibler Mensch sind, dann sage ich Ihnen: Ich vermisse Ihre Sensibilität in Bezug auf die Interessen der Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, ({4}) und ich vermisse Ihre Sensibilität gegenüber Ihren eigenen Anhängern. 68 Prozent der Anhänger der FDP wollen einen Mindestlohn. ({5}) Herr Westerwelle, machen Sie doch da nicht dicht! - Das sind Umfrageergebnisse. Nehmen Sie die doch einfach einmal zur Kenntnis, wenn Sie so sensibel sind, Sie Sensibelchen. ({6}) Die Union steckt in einem echten Dilemma. Sie wollen auf der einen Seite Ihr sozialpolitisches Profil stärken, Sie wollen damit die Sozialdemokraten ärgern ({7}) und die Kompetenz, die ihnen in Sachen sozialer Gerechtigkeit zugeschrieben wird, für sich reklamieren. Andererseits wollen Sie Ihr wirtschaftspolitisches Profil nicht aufgeben, das schon einmal gar nicht, wenn drei Landtagswahlen vor der Tür stehen. ({8}) Diese rein wahltaktische Profilbildung wird auf dem Rücken der Briefzusteller ausgetragen. Ich finde das wirklich unanständig. ({9}) Das Gerangel um den Postmindestlohn zeigt erneut die Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition; denn die Aufnahme der Branche in das Entsendegesetz ist doch nur ein erster Schritt. Nach der Rede von Herrn Brauksiepe ist eines klar: Bei der nächsten Hürde geht der Streit weiter. Selbst wenn wir heute hier ein Stück weiterkommen, ist das Problem noch lange nicht gelöst. Herr Müntefering, ich bin mir ganz sicher, Sie wissen das ganz genau. ({10}) - Sie, Herr Brauksiepe, können doch einmal klatschen. Sie wissen ganz genau, dass ich recht habe. Sie wissen doch, was in Ihrer Fraktion vorgeht. ({11}) Ich bitte Sie, mit Ihren profilneurotischen Sandkastenspielereien endlich aufzuhören! Tun Sie endlich, was Ihre Wähler von Ihnen erwarten, und handeln Sie! Es gibt in diesem Bereich eine Deadline - Herr Müntefering hat darauf hingewiesen -: Das Briefmonopol fällt am 1. Januar 2008. Bis dahin brauchen wir faire Wettbewerbsbedingungen. Dazu gehört der Mindestlohn. Natürlich gehört dazu auch Chancengerechtigkeit für die Mitbewerber. Es dürfen nicht zweierlei Regeln hinsichtlich der Umsatzsteuer gelten. ({12}) Es geht nicht an, dass der ehemalige Monopolist von der Umsatzsteuer befreit wird, seine Konkurrenten aber nicht. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt. Wir wollen unbedingt, dass auch in diesem Bereich gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen. Ich würde mich darüber freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden. Wir brauchen einen fairen Rahmen. Es ist die Aufgabe der Politik, genau diesen Rahmen zu setzen. Hier droht die Koalition leider erneut zu versagen. Herr Brauksiepe, Ihre Rede spendete jedenfalls denjenigen nicht gerade Hoffnung, die ihre Hoffnungen auf diese Regierung gesetzt haben. Ich danke Ihnen. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Anette Kramme hat nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr „Wildwesterwelle“, ({0}) Sie werden wieder einmal Ihrem Ruf gerecht: Bei Ihnen knirscht das Eis gegenüber den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen dieses Landes. Sie quellen fast über vor Arroganz. Die große Boulevardzeitung mit den vier Buchstaben hat sich in den vergangenen Wochen in ihren Schlagzeilen schlichtweg überschlagen: „Mindestlohn - Ist das wirklich gut für die Beschäftigten?“, „Mindestlohn? Dann gehen wir pleite!“, „Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze!“.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich möchte Sie vorsichtig fragen, ob Sie geneigt sind, eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel zu akzeptieren. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich schlage vor, wir warten einen Moment, bis ich in die Thematik eingestiegen bin.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe mich diesem Vorschlag gerne an.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kommen wir zurück zu dieser Zeitung mit den vier Buchstaben. Sie gab Tag für Tag publizistische Kriegserklärungen gegen den Mindestlohn im Allgemeinen und gegen den Mindestlohn für Briefzusteller im Besonderen ab. Verwunderlich ist diese wenig seriöse Antimindestlohnkampagne nicht. Die Axel Springer AG hat schließlich vor kurzem für eine stolze Summe die Mehrheit am Postkonkurrenten PIN AG erworben. Die Meinung der Bürger und Bürgerinnen vertritt diese selbsternannte Stimme des Volkes allerdings nicht. Diese sieht komplett anders aus. Nach Infratest dimap sind 12 Prozent der Bundesbürger gegen einen Mindestlohn; aber 27 Prozent plädieren für Mindestlöhne in bestimmten Branchen. 59 Prozent der Menschen möchten sogar eine flächendeckende Regelung. Im Übrigen ist auch die Mehrheit Ihrer Wähler für einen Mindestlohn. ({0}) Zum 1. Januar 2008 fällt das Briefmonopol der Post. Ab diesem Zeitpunkt dürfen also sowohl die inländischen als auch die ausländischen Postkonkurrenten den sogenannten Standardbrief austragen. Ich sage ganz deutlich: Liberalisierung - in Ordnung, Wettbewerb ebenfalls in Ordnung. Aber: Wettbewerb braucht klare Spielregeln und faire Rahmenbedingungen. ({1}) Es kann nicht sein, dass die seriösen Anbieter der Branche von zwei Seiten unter Druck gesetzt werden: einerseits durch den freien Wettbewerb in Deutschland, während deutsche Unternehmen im europäischen Ausland nur beschränkt tätig sein dürfen, andererseits durch einige Unternehmen, deren Konkurrenzfähigkeit lediglich auf Lohn- und Sozialdumping zurückzuführen ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, der Wunsch des Kollegen Niebel, Ihre Redezeit durch eine Zwischenfrage zu verlängern, ist ungebrochen.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich ist der Wunsch des Herrn Niebel ein besonderes Anliegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin. Nachdem ich Ihnen jetzt längere Zeit zugehört habe, ist mein Fragebedarf noch größer geworden. Würden Sie mir bestätigen, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Mehrheitseigner der hannoverischen Verlagsgruppe Madsack ist, die wiederum ein wesentlicher Anteilseigner der PIN-Gruppe ist? ({0}) Wenn Sie mir das bestätigen, frage ich weiter: Können Sie mir sagen, ob Frau Hendricks, nachdem sie in der nächsten Woche vermutlich Schatzmeisterin der SPD sein wird, unmittelbar Einfluss auf die Lohnfindung der PIN-Gruppe nehmen wird? ({1})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich die Konzernstrukturen einer SPD-Holding nicht kenne. ({0}) Ich kann ohne weiteres die Unternehmen aus meiner Region nennen. ({1}) Sie können sicher sein, dass ich auch in der Vergangenheit diesbezüglich tätig geworden bin. Sie können sicher sein, dass wir unseren Laden sauber halten werden. ({2}) Die Aufnahme der Briefdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist notwendig und zielführend. Mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen darf ich sagen: Die SPD hat der Aufgabe des Briefmonopols nur unter der Bedingung zugestimmt, dass Vorkehrungen zur Sicherung sozialer Mindeststandards in der Postdienstleistungsbranche getroffen werden. Das war Teil des politischen Kompromisses, und Sie können sicher sein: Wir nehmen Spielchen zulasten der Menschen nicht hin. Bei den neuen Postunternehmen gibt es faktisch keine betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungsstrukturen. Die Folgen sind sichtbar: im Vergleich zur Deutschen Post AG wesentlich schlechtere Lohnund Arbeitsbedingungen. Am 8. Oktober befasste sich Report mit der Thematik. „Hungerlöhne in der Postbranche“ titelte man: Lothar Daniel … Ab morgens fünf ist er auf den Beinen, oft bis abends um halb acht. Eine 60-Stunden-Woche. Sein Stundenlohn: 4,50 Euro brutto. Der 49-Jährige hat in Kiel keinen besseren Job gefunden. Er ist Zusteller beim privaten Postunternehmen PIN. Eine Untersuchung von Input Consulting bestätigt dies. Die durchschnittlichen Lohnkosten bei den beiden Hauptkonkurrenten PIN Group und TNT liegen je nach Beschäftigtengruppe zwischen 30 und 60 Prozent unterhalb derjenigen der Deutschen Post AG. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass der Anteil der geringfügig Beschäftigten an allen Arbeitsverhältnissen bei den neuen Postdienstleistern bei über 60 Prozent liegt. Die Weichen zur Aufnahme der Briefdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind gestellt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben dafür den notwendigen Mindestlohn ausgehandelt. Wir haben Anfang Oktober ein Schreiben des Arbeitgeberverbandes Neue Briefund Zustelldienste erhalten, mit dem man uns überzeugen will, dass unser Vorgehen nicht rechtmäßig ist. Vorweg ist zu sagen, dass die Mitbewerber natürlich zu Tarifverhandlungen eingeladen waren. Doch zurück zum Thema. Man behauptet, dass wir die 50-Prozent-Quote für die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht erreichen. Ich sage ganz klar: Florian Gerster argumentiert mit Mondzahlen, mit Eigenkreationen, die nicht belegbar sind. ({3}) Herr Gerster behauptet auch, der Arbeitgeberverband Postdienste sei undemokratisch. Ich kann Ihnen nur sagen: Werfen Sie einmal einen Blick in das Betriebsverfassungsgesetz! Es ist durchaus üblich, dass sich das Stimmrecht nach der Zahl der jeweils vertretenen Beschäftigten richtet. Von Vollzeitarbeit muss man leben können, muss man seine Existenz sichern können. All denjenigen, die Wettbewerb auf dem Rücken der Menschen wollen, müssen wir eine ganz deutliche Absage erteilen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine Holding? Nein, Herr Niebel, aber ich hätte gerne eine. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Herr Bundesminister Müntefering hat bereits darauf hingewiesen: Anlass der heutigen Gesetzesänderung sind der Wegfall des Postmonopols und die damit verbundenen Ängste, dass es zukünftig Verwerfungen im Bereich der Briefzustellung geben könnte. Vorweg möchte ich feststellen, dass die Liberalisierung der Postmärkte in der Vergangenheit große Erfolge für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für das Unternehmen Deutsche Post gebracht hat. ({0}) Die Deutsche Post ist besonders wettbewerbsfähig; das hat sie in der Vergangenheit am Markt bewiesen. Dies zeigt sehr deutlich, dass es bisher auch ohne so genannte Mindestregelungen gesetzlicher Art - es gab nur Mindestregelungen auf der Grundlage von Tarifverträgen gelungen ist, erfolgreich am Wettbewerb teilzunehmen. Natürlich sehen wir, dass es in einzelnen Bereichen durchaus Verwerfungen geben kann. Ich pflichte dem Kollegen Brauksiepe ausdrücklich bei: Es geht nicht um den Wettbewerb niedrigster Löhne. Vielmehr wollen wir, dass die Menschen ein gutes Gehalt, einen guten Lohn erhalten. Dies erreichen wir am besten durch den Abbau der Arbeitslosigkeit. Wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland abgebaut wird, dann gibt es - das sieht man jetzt - eine größere Nachfrage nach Arbeitskräften, was wiederum dazu führt, dass die Löhne steigen. Wir sehen die Lohnforderungen verschiedener Branchen und die Lohnabschlüsse, die heuer schon getätigt worden sind. Wir können durchaus von steigenden Löhnen in Deutschland sprechen. Das spricht für die Politik der Bundesregierung, den Abbau der Arbeitslosigkeit konsequent voranzutreiben. Damit wird die beste soziale Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland geleistet. ({1}) Wir stehen natürlich zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses und der Bundesregierung, durchaus darüber nachzudenken, in einzelnen Bereichen, wo es notwendig ist, Lohnuntergrenzen bzw. entsprechende Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt einzuführen. In einer sozialen Marktwirtschaft ist das in einzelnen Bereichen notwendig. Auch aufgrund der Antragstellung des Arbeitgeberverbandes und von Verdi müssen wir uns mit dieser Frage beschäftigen. Bevor im Jahr 2007 - das ist Beschlusslage - Postdienste in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden und damit die Allgemeinverbindlichkeit erklärt wird, bedarf es einer besonderen Prüfung. Unsere Entscheidung, Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, ist nicht nur daran gekoppelt, dass ein Organisationsgrad von 50 Prozent erreicht sein muss, sondern auch daran, dass die Tarifausschüsse darüber zu befinden haben. Wenn Tarifausschüsse, also Arbeitgeber und Gewerkschaften, miteinander eine Lohnuntergrenze festlegen wollen, sind wir bereit, dem zuzustimmen und dies zu unterstützen. Wenn das Gesetz jetzt geändert wird, stellt dies ein besonderes Verfahren dar: Der Tarifausschuss ist dann nicht beteiligt; die Regelung hängt allein vom Verhalten der Bundesregierung, auch des Bundesarbeitsministeriums, ab und wird dann per Gesetz in Kraft gesetzt. Vorweg sind durchaus die Fragen zu beantworten: Ist ein Organisationsgrad von 50 Prozent erreicht? Wer zählt überhaupt dazu? Zählen nur alle Direktbediensteten der Post dazu? Zählen auch die Beschäftigten in Postagenturen dazu, die vielleicht drei oder vier Briefe am Tag entgegennehmen und damit eine Vorleistung im Hinblick auf die Verteilung erbringen? Zählen auch Taxifahrer oder Kurierdienste dazu? Gehören dazu auch Mitarbeiter von Paketdiensten und Zeitungszusteller? Alle diese Gruppen können am Briefverteilungssystem teilnehmen. Diese Fragen müssen beantwortet werden, um festzustellen, ob der notwendige Organisationsgrad erreicht wird. ({2}) Es ist wichtig, dass alle Arbeitgeber dieses Bereiches und alle Briefzusteller eingebunden sind. Der geschlossene Vertrag hat schon ein gewisses Geschmäckle. Es scheint sich um einen Haustarifvertrag der Deutschen Post zu handeln, der aber in den eigenen Reihen kaum zur Anwendung kommt, weil 80 Prozent der Beschäftigten einen weit höheren Lohn bekommen. ({3}) Dies muss meines Erachtens einer intensiven Prüfung unterzogen werden. Ich bin schon verwundert, dass trotz der Liberalisierung - nur Briefe mit einem Gewicht bis 50 Gramm fallen noch unter das Postmonopol - in einem Tarifvertrag vereinbart worden ist, dass zukünftig Briefe mit einem Gewicht bis 1 000 Gramm unter diese Regelung fallen sollen. Diese Vereinbarung muss intensiv geprüft werden, um eine rechtlich einwandfreie Grundlage zu schaffen. ({4}) Die Bundesregierung kann ich nur auffordern, uns diese Fragen zu beantworten. Ich bin überzeugt, dass wir in der Koalition in diesem zugegebenermaßen schwierigen Punkt eine gemeinsame Lösung finden werden. Aber ich sage auch ganz deutlich, dass es hier nicht um Schnelligkeit, sondern um Gründlichkeit geht. ({5}) Gründlichkeit bedeutet, dass wir diese Fragen intensiv behandeln und letztendlich auch beantworten. In diesem Sinne wünsche ich uns ein gutes Gesetzgebungsverfahren und weiterhin intensive Beratungen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zentrale Auseinandersetzung betrifft das Verständnis von Wettbewerb und Marktwirtschaft. Herr Westerwelle hat vorhin zwei Thesen vertreten: Erstens. Hungerlöhne schaffen Aufschwung. Zweitens. Hungerlöhne schaffen Wettbewerb. ({0}) Ich bin über Ihre Aussagen sehr erstaunt, Herr Westerwelle; denn Ihre Partei war an der Regierung beteiligt, als das Postgesetz auf den Weg gebracht wurde. Wir haben damals mit Ihrem Minister Rexrodt, der sich jetzt leider nicht mehr wehren kann, eine Passage ins Postgesetz aufgenommen, mit der Lohndumping im Postsektor ausgeschlossen werden soll. Wettbewerb soll nämlich nicht über Lohndumping stattfinden. Im Postgesetz steht, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen dieser Branche nicht unterschritten werden sollen. Wenn sie unterschritten werden, dann gibt es für die betroffenen Unternehmen keine Lizenz. Das war das damalige Verständnis der FDP. Ich frage Sie: Waren Sie damals noch nicht für Wettbewerb? Ferner beklagen Sie das Verhältnis von Brutto- zu Nettoeinkommen. Einer der Gründe, warum so hohe Sozialabgaben gezahlt werden müssen, ist, dass sich der Niedriglohnsektor ausweitet. In diesem Bereich werden kaum Sozialabgaben abgeführt. Im Gegenteil: Die Hartz-IV-Leistungen in diesem Sektor verursachen sogar noch Kosten. Auch das haben Sie hier unterschlagen. ({1}) Jetzt komme ich zum Thema „Schnelligkeit und Gründlichkeit“. Es ist völlig klar, dass wir bis zum 1. Januar dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben müssen, weil sich sonst die in dieser Branche vorherrschenden Zustände sozusagen multiplizieren. Wovon reden wir hier? Das Gesetz spricht ausdrücklich von Briefdienstleistungen. Herr Straubinger, zu den Briefdienstleistungen gehört gemäß dem Postgesetz die Beförderung von Briefen mit einem Gewicht bis 1 000 Gramm. Das kann man alles nachlesen. 91 Prozent dieser Briefe werden von der Deutschen Post AG befördert. Herr Meyer, bevor Sie an dieser Stelle einen Zuruf machen - ich kann Ihnen alle relevanten Zahlen nennen -, frage ich Sie, wie es denn sein kann, dass der SpringerKonzern, der einen Anteil von 70 Prozent an der PIN AG hat, und die cleveren Kaufleute von TNT aus den Niederlanden behaupten, sie hätten 270 000 Beschäftigte in einem Segment, das nur einen Anteil von 9 Prozent an den Briefdienstleistungen hat. Die haben doch nicht alle Tassen im Schrank, wenn sie das behaupten. ({2}) Man braucht doch nur einmal die Berichte der Bundesnetzagentur anzuschauen. Da ist eindeutig festgehalten, dass 150 000 Beschäftigte bei der Deutschen Post AG und 46 000 Beschäftigte bei den neuen Wettbewerbern in den Tarifvertrag eingebunden sind. Davon sind übrigens 27 000 geringfügig Beschäftigte. Das heißt, wir haben ein Zahlenverhältnis von 3 : 1. 75 Prozent sind also nach dem Postgesetz organisiert und erfüllen das Kriterium der Tarifgebundenheit. Sie sprechen von Erfüllungsgehilfen. Schauen wir uns das einmal an. Dazu sagt der Herr mit dem goldenen Parteibuch - er lässt sich jetzt 1 Million Euro bezahlen -: 445 000 sind bei den Erfüllungsgehilfen beschäftigt. - Ein Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt - ich kann das in den vier Minuten meiner Redezeit nicht weiter ausführen -, dass, wenn man alle Beschäftigten in diesem Bereich, der dafür infrage kommt, zusammenzählt, also auch die Zeitungszusteller, die Beschäftigten der Kurierdienste sowie des Expressund Paketservices, allerhöchstens 186 000 beschäftigt sind. Von diesen ist wiederum höchstens ein Drittel mit Briefen befasst. Das alles kann man in den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit nachlesen. Übrigens: 126 000 Menschen in diesem Bereich haben einen Minijob. Wenn man sich das alles anschaut und das vorgesehene Quorum berücksichtigt, stellt man fest: 173 000 sind bei der Post beschäftigt und an den Tarifvertrag, von dem wir hier reden, gebunden. 66 500 sind bei den Postdiensten - einschließlich der Erfüllungsgehilfen beschäftigt. Das heißt, wir kommen auf ein Zahlenverhältnis von drei Vierteln zu einem Viertel. Wir sind also auf der sicheren Seite. Daran ändert auch das Argument des Haustarifvertrags bei der Deutschen Post AG nichts; denn ich habe noch nie gehört, dass das Vorhandensein von Haustarifverträgen in der Wirtschaft der Sache einen Abbruch tut. Trotzdem gilt der Flächentarifvertrag. Hier kann also überhaupt kein Widerspruch bestehen. Herr Westerwelle, ich frage Sie deswegen zum Schluss: Findet in der deutschen Wirtschaft, wo über 50 Prozent der Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlt werden, kein Wettbewerb statt, weil es dort einen Flächentarifvertrag und damit einen Mindestlohn gibt? Findet in der Europäischen Union, wo 20 der Mitgliedsländer einen Mindestlohn definiert haben, der deutlich höher ist als der, der bei uns in der Diskussion ist, kein Wettbewerb mehr statt? ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Barthel!

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Findet in den Niederlanden, wo es einen Mindestlohn von über 9 Euro gibt und wo TNT seinen Sitz hat, kein Wettbewerb im Postsektor statt, weil es Mindestlöhne gibt? Dies ist doch eine absurde Diskussion. Der Wettbewerb betrifft andere Bereiche; das wissen Sie ganz genau. Da geht es um Qualität, mehr Dienste usw.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Barthel!

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war die Verheißung der Liberalisierung der Postmärkte. Setzen wir das doch bitte auch um! ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen - Herr Westerwelle, das ist übrigens ein Auftrag, der sich schon aus dem Postgesetz ergibt; da hat Kollege Barthel völlig recht - soziale Mindeststandards in diesem Bereich. Das haben Sie mitbeschlossen. Von daher ist Ihre Argumentation nicht ganz schlüssig. Sie sollten sich mit der Umsetzung dessen beschäftigen, was Sie selber mitbeschlossen haben. ({0}) Herr Müntefering hat zu Beginn der Debatte etwas Wichtiges gesagt. Er hat nämlich die Debatte, die wir jetzt führen, in die Gesamtdebatte eingeordnet, die wir im nächsten Frühjahr führen wollen. Für ihn sei das jetzt der Auftakt. Deswegen, Herr Müntefering, müssen wir uns vom Vorgehen her an das halten - dies ist meine eindringliche Bitte, wenn Sie das schnell über die Runden bekommen wollen -, was zwischen uns vereinbart ist. ({1}) Es soll nämlich nach Tarifvertragsgesetz gehen, und die Bedingungen, zum Beispiel das 50-Prozent-Quorum, sollen eingehalten werden. Das muss nachgewiesen werden. Dies kann nicht über Briefdienstleistungen definiert werden, sondern schlicht über Zahlen. Dazu will ich Ihnen sagen: Sie drängen das einfach weg. Sie ändern einfach den vorliegenden Tarifvertrag. Von dem Tarifvertrag wird auch der erfasst, der als Zeitungszusteller einmal einen Brief mitnimmt. ({2}) - Entschuldigung, Herr Barthel, aber so steht es im Tarifvertrag. Wenn Sie als Gewerkschafter die vorgelegten Tarifverträge nicht ernst nehmen, dann ist das Ihre Sache. Ich nehme sie ernst. Wir müssen genau hinschauen, um Fehlentwicklungen vermeiden zu können. Herr Müntefering, eine Fehlentwicklung muss uns ernsthaft Sorgen machen: In einigen Bereichen wollen nicht nur die Arbeitnehmer Mindestlöhne bzw. Mindeststandards. Es ist vielmehr so, dass wir bei großen Arbeitgebern in allen möglichen Wirtschaftsbereichen die Tendenz feststellen können, über Mindestlöhne und das Entsendegesetz weniger Wettbewerb in ihrer Branche zu erreichen. Das ist egoistisch und muss uns große Sorgen machen. ({3}) Frau Nahles, Sie sind intelligent genug, um zu sehen, dass das so läuft. Wir müssen genau hinschauen. Das funktioniert nach dem Motto: Wettbewerb ist gut, aber bitte nicht in meiner Branche. Wir müssen aufpassen, dass dieses Instrument, das der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern dienen soll, nicht von Arbeitgebern missbraucht wird, um mittelständische und kleine Konkurrenten wegzudrücken. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Das wollen wir nicht. ({4}) In der Postbranche ist das ganz augenfällig. Das, was sich hier abspielt, ist - ich sage das ganz bewusst - pervers. Ein Monopolunternehmen gründet einen eigenen Arbeitgeberverband, und der Präsident dieses Arbeitgeberverbandes verkündet, dass die Löhne eigentlich gar nicht hoch genug sein können. ({5}) Daraufhin will die Gegenseite eine eigene Gewerkschaft gründen. Deren Arbeitnehmer verkünden dann, dass die Löhne gar nicht niedrig genug sein können. Das ist doch pervers. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir stoppen müssen. Darüber müssen wir diskutieren. ({6}) Ich verstehe diese Diskussion nicht. Herr Barthel, das, was Sie und Ihre Kollegen hier gesagt haben, ist nicht logisch. Vor dem Parteitag ist das vielleicht taktisch. Sie haben gesagt, dass bei den Briefzustellern Mindestlöhne erforderlich sind. Warum soll das nicht - das wäre nur konsequent - auch für sämtliche Zeitungszusteller gelten? Wenn Mindestlöhne in diesem Bereich erforderlich sind, warum wollen Sie dann die Zeitungszusteller herausnehmen? Sie wollen sie nur herausnehmen, damit der Vertrag von den Zahlen her genehmigungsfähig ist. ({7}) Das zweite Argument in diesem Zusammenhang ist, dass hier die Gewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband, mit dem Monopolisten Post, einen Vertrag geschlossen hat. Ich will ausnahmsweise einen Punkt aufgreifen, den Herr Gysi genannt hat. Ich verstehe nicht, warum ostdeutsche Unternehmen auf Basis ihrer Löhne nicht in Westdeutschland als Konkurrenz auf dem Markt auftreten sollen. Warum macht man das? Wir müssen über verschiedene Aspekte dieses Tarifvertrages reden. Uns muss es darum gehen - dieser Auftrag ergibt sich aus dem Postgesetz -, für diesen neuen Wettbewerbsbereich hinsichtlich sozialer Mindeststandards gemeinsam eine saubere Lösung zu finden, die Wettbewerb ermöglicht und Dumpinglöhne verhindert. Herr Müntefering, ich denke, Sie hatten vor dem SPD-Parteitag viel zu tun. Nach dem Parteitag sollten Sie aber, wenn Sie an einer schnellen Lösung interessiert sind, alle Beteiligten - wie auch immer - an einen Tisch holen und eine Lösung für die Probleme dieses neuen Wettbewerbssektors finden. Die Arbeitnehmer müssen geschützt werden, und wir müssen die Diskussion über Laurenz Meyer ({8}) Mindestlöhne und das Entsendegesetz auf einer sauberen vertraglichen Grundlage, wie zwischen uns vereinbart, weiterführen können. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6735 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick begeht heute seinen 50. Geburtstag. Das kommt auch bei anderen gelegentlich vor, aber dass er seinen Geburtstag im Plenum des Deutschen Bundestages beginnt, spricht für sein Stilempfinden, was die angemessenen Rahmenbedingungen einer solchen Geburtstagsfeier angeht. Ich übermittle Ihnen die Glückwünsche des ganzen Hauses. ({0}) Sie haben ja begründete Aussicht, dass aus Anlass Ihres Geburtstages heute eine Massenveranstaltung auf die nächste folgt, sodass ich zuversichtlich bin, dass Sie die- sen Tag in besonders lebhafter Erinnerung behalten wer- den. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 19 a bis 19 f: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit - Gutes Leben Initiative für eine gerechte Arbeitswelt - Drucksache 16/6698 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen - unbezahltes Probearbeiten verhindern - Drucksache 16/4909 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung bei der Deutschen Telekom AG - Drucksache 16/5677 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Möller, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Soziale Sicherung verbessern - Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung verhindern - Drucksache 16/5809 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlän- gern - Drucksachen 16/3538, 16/5685 - Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Brandner f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausweitung und Stärkung des Kündigungsschutzes - Drucksachen 16/2080, 16/5813 Berichterstattung: Abgeordnete Anette Kramme Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache eine Stunde andauern. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke. ({7})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Sitzungswoche hat der Deutsche Bundestag über die Entwicklung der Beschäftigung diskutiert. Die regierenden Koalitionsparteien waren ganz stolz auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes und haben darauf hingewiesen, dass von ehemals 5 Millionen Arbeitslosen nur noch 3,5 Millionen Arbeitslose übrig geblieben seien ({0}) und dass insofern alles zum Besten stehe. Natürlich wird jeder bei der ersten Betrachtung sagen: Es ist gut, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt und neue Arbeitsplätze entstehen. Aber bei der zweiten Betrachtung muss man fragen: Welche Arbeit ist eigentlich entstanden? In dieser Situation ist es gut, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund ein Thema gesetzt hat, das wir gerne aufgreifen. Das Thema lautet: „Gute Arbeit“. Die Frage, die wir zu beantworten haben, ist, ob der Stolz, den Sie hier aufgrund der Entwicklung des Arbeitsmarktes gezeigt haben, berechtigt ist, ob Sie also in den letzten Jahren gute Arbeit organisiert haben. Leider fällt an dieser Stelle die Antwort äußerst negativ aus. Es ist zwar richtig, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstanden sind, aber es ist leider so, dass immer schlechtere Arbeitsplätze entstanden sind. ({1}) Sie sind schlecht bezahlt und befristet; es handelt sich um Leiharbeit usw. Dies ist eine ganz negative Entwicklung in unserer Gesellschaft. Da Sie dem, wenn ein Abgeordneter der Linken so etwas sagt, sicherlich wenig Gewicht beimessen, möchte ich jetzt eine Autorität zitieren, bei der Sie es vielleicht schwer haben, zu widersprechen. Insbesondere Sie von den christlich-demokratischen Parteien haben in den letzten Jahren in großem Umfang prekäre Arbeit organisiert. ({2}) Papst Benedikt XVI. hat sich kürzlich zu diesen Arbeitsverhältnissen geäußert. Er hat sie als eine Bedrohung für die Gesellschaft bezeichnet. In einer Botschaft an die italienischen Katholiken zählte er instabile Beschäftigungsverhältnisse zu den ethischen und sozialen Notständen, wie in der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera berichtet wird. Diese Entwicklung beeinträchtige den gesellschaftlichen Zusammenhalt; denn sie erlaube jungen Menschen nicht, eine Familie zu gründen. ({3}) Das ist der eigentliche Skandal der schlechten Arbeit, für den die große Mehrheit dieses Hauses die Verantwortung trägt. Uns ist völlig unverständlich, was es da zu feixen gibt. Das ist auch der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande völlig unverständlich. ({4}) Die schlechte Arbeit, die Sie organisiert haben, hat einen Namen. Das sind Mini- und Midijobs. Von ihnen kann man nicht leben. Das sind Niedriglöhne, die sich immer weiter ausbreiten. Von niedrigen Löhnen in Deutschland kann man nicht leben. Das Bedauerliche daran ist, dass 70 Prozent dieser Arbeitsplätze Frauenarbeitsplätze sind. Was soll das Gerede über die Gleichstellung der Frau in Beruf und Gesellschaft, solange wir immer noch diesen gesellschaftlichen Skandal haben? ({5}) Schlechte Arbeitsplätze sind 1-Euro-Jobs, auf die viele ja noch stolz waren. Sie haben immer wieder darauf verwiesen, dass sie eine gute Lösung seien für Menschen, die arbeitslos sind. Sie fänden so eine Gelegenheit, in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Schlechte Arbeit sind befristete Arbeitsplätze, für die Sie in großem Umfang aufgrund Ihrer fehlerhaften Entscheidungen in den letzten Jahren gesorgt haben. Sie haben immer noch nicht begriffen, dass der Papst völlig recht hat. Sie sind verantwortlich dafür, dass das Familienleben in Deutschland zerstört wurde, dass junge Menschen sich nicht mehr entschließen können, Kinder zu bekommen, weil die finanziellen und materiellen Bedingungen dafür nicht mehr gegeben sind. ({6}) Wer nicht weiß, ob er in einigen Monaten noch Geld auf dem Konto hat, würde verantwortungslos handeln, wenn er eine Familie gründen und Kinder in die Welt setzen würde. Das ist der Zusammenhang. Mit dieser Tatsache müssen Sie sich konfrontieren. Ich sage auch hier: Ihr Feixen ist an dieser Stelle völlig unverständlich. Man hat die Vermutung, dass Sie gar nicht mehr nachempfinden, was schlechte Arbeitsplätze in unserer Gesellschaft für viele Familien bedeuten. ({7}) Schlechte Arbeitsplätze sind auch Leiharbeitsplätze. Wir reden nun schon seit Jahren über die negative Entwicklung bei den Leiharbeitsplätzen - nichts ist geregelt worden. Die vielen Beschlüsse auf Parteitagen ändern an dem Sachverhalt überhaupt nichts: Leiharbeitsplätze bringen es mit sich, dass Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit wie andere Arbeitnehmer leisten, mit der Hälfte des Lohns jener zufrieden sein müssen, mit einem Lohn, der kaum die Existenz sichert. Schaffen Sie endlich diese skandalösen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ab, und reden Sie nicht über gute Arbeit! ({8}) Der Zwang zu schlechter Arbeit ist durch Hartz IV begründet worden. Jeder, der heute die Agenda 2010 rechtfertigt, jeder, der auf Hartz IV noch stolz ist, sollte sich schämen, wenn er von guter Arbeit spricht. Er sollte sich wirklich schämen, weil er überhaupt nichts, aber auch wirklich nichts verstanden hat. ({9}) Hartz IV brachte schlicht und einfach den Zwang mit sich, jede Arbeit anzunehmen, sei sie auch noch so schlecht bezahlt ({10}) und sei sie auch überhaupt nicht mehr in Übereinstimmung mit der Qualifikation desjenigen, der diese Arbeit annehmen muss. Hartz IV ist nicht nur Armut per Gesetz, sondern auch Demütigung per Gesetz! ({11}) Eine demokratische Gesellschaft sollte niemanden demütigen. Sie haben den Weg zur schlechten Arbeit auch noch gepflastert, indem Sie in großem Umfang Privatisierungen durchgeführt haben. Davon war ja bereits die Rede. Haben Sie sich überhaupt einmal - ich greife die Debatte von vorhin auf - angeschaut, was sich zum Beispiel im Arbeitsleben der Beschäftigten der Post verändert hat? Der Briefträger war früher eine Institution im Dorf bzw. auf dem Lande. Dem Briefträger kam in manchen Dörfern eine solche Rolle zu, dass er im Ansehen gleich nach dem Lehrer und dem Pfarrer stand. Heute haben Sie nur noch gehetzte Beschäftigte, die schlecht bezahlt werden und nicht mehr wissen, wie sie ihre Arbeit überhaupt noch bewältigen sollen. Das haben Sie alle mit Ihrem Privatisierungswahn angerichtet, und Sie haben immer noch nicht begriffen, was der zur Folge hat. ({12}) Ein anderes Beispiel: Schauen Sie sich einmal die Entwicklung der Löhne bei den Beschäftigten der Bahn, auch die der Lokführer - jawohl! -, und die Entwicklung der Bezüge beim Bahnvorstand an. Dann sehen Sie, was Privatisierung heißt. Warum lernen Sie nicht daraus, meine sehr geehrten Damen und Herren? ({13}) Eine Folge davon ist auch, dass jetzt 2,6 Millionen Kinder in Armut leben. Das ist nämlich eine Folge dieser negativen Entwicklung zu schlechten Löhnen und schlechter Arbeit. Eine weitere Folge ist, dass diejenigen, die niedrige Löhne haben, eine Rente in Höhe von nur 39 Prozent ihrer Bruttolöhne erwarten können. Das alles haben Sie angerichtet. Es ist zwar gut, wenn im SPD-Grundsatzprogramm jetzt der schöne Satz steht: „… nicht jede Arbeit ist gute Arbeit.“ Es ist zwar gut, wenn eine Partei sich auf Werte bezieht und sich sogar christlich nennt, aber es wäre doch, wenn die Soziallehre der Kirche eindeutig sagt, dass eine entsprechende materielle Absicherung da sein muss, um entsprechende Lebensbedingungen für Familien zu schaffen, und dass Arbeitsplätze angeboten werden müssen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, an der Zeit, dass christliche Politiker hieraus Konsequenzen ziehen. Es tut mir leid, aber es muss gesagt werden: Sie waren in den letzten Jahren eine Versammlung zur Organisierung von schlechter Arbeit und zur Zerstörung der Familienverhältnisse. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Gitta Connemann ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Sie sahen gerade eine weitere Folge aus der Staffel unserer beliebten Telenovela „Oskar - Wege zum Glück“ bzw. „Verwirrt in Berlin“. ({0}) In den Hauptrollen sehen Sie neben Oskar Lafontaine und Gregor Gysi Charakterdarsteller wie Katja Kipping. ({1}) Es erwarten Sie Pathos, Leidenschaft und das wohlige Gefühl der Wiederholung. Das Drehbuch der linken Fraktion verblüfft einmal mehr durch große Worte und dramatische Inhalte. Lassen Sie sich weiter überraschen! Klappe. ({2}) Meine Damen und Herren von der Linken, es wirkt wie eine Seifenoper, wenn man wie Sie den Deutschen Bundestag Woche um Woche durch Massenanträge - heute sind es gleich sechs an der Zahl - als Bühne instrumentalisiert. ({3}) Viel Masse, wenig Klasse, immer getreu dem Motto: Einmal Vollwaschgang für die Volkswirtschaft. - Und das immer wieder aufs Neue. Blendend daran sind nur die Überschriften wie „Gute Arbeit - Gutes Leben“. Das ist Politik für den Boulevard, Herr Kollege Lafontaine. ({4}) Es geht Ihnen nicht um Wirksamkeit, sondern lediglich um Wirkung. Die Inhalte Ihrer Anträge sind deshalb handwerklich lieblos und beliebig; siehe nur die Höhe des Mindestlohns: Heute zeigt Ihr Mindestlohn-DAX 8,44 Euro an. Dieser kann sich aber täglich ändern. So jedenfalls zeigen es Ihre Anträge in der vergangenen Zeit; es gab eigentlich fast keine Zahl, die Sie nicht schon vertreten hätten. Zugespitzt sind lediglich die Begrifflichkeiten, mit denen Sie arbeiten, polemisieren und ausgrenzen. Da gibt es neue Wortschöpfungen wie „Solo-Selbstständige“, und es ist von befristeten und deshalb prekären Arbeitsverhältnissen die Rede. Meine Damen und Herren von der Linken, wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich tagtäglich um ihren Lebensunterhalt bemühen, als Prekariat zu verunglimpfen? ({5}) Niemand, insbesondere nicht Ihre Wähler; denn diese haben Sie beauftragt, nicht zu polemisieren, sondern Sachpolitik zu machen. Ihr Politikgebaren, meine Damen und Herren von der Linken, ist Auftragsverweigerung an Ihren Wählern. ({6}) Wie wenig es Ihnen um objektive Darstellung und wie sehr nur um politische Meinungsmache geht, mache ich an einem einzigen Beispiel aus Ihren Anträgen deutlich, über das sich auch schon mein Vorredner ereifert hat: dem Thema Zeitarbeit. Sie wird von Ihnen als atypische Beschäftigung diffamiert, durch die - ich zitiere „sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetzt, Standards unterlaufen und so Kosten gespart werden“. ({7}) Die Zahlen belegen, meine Damen und Herren von der Linken, dass Sie die Tatsachen verdrehen. ({8}) Durch Zeitarbeit entstehen Chancen. ({9}) Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren zwei Drittel - genau 68 Prozent - der Zeitarbeitnehmer, die im Jahre 2006 neu eingestellt wurden, vor ihrer Beschäftigung arbeitslos. Jetzt stehen sie bei einem Arbeitgeber in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, lediglich mit wechselnden Arbeitsorten. Die Zeitarbeit ist ein Sprungbrett. Jeder dritte Zeitarbeitnehmer wird von einem Entleiher übernommen. Damit hat die Zeitarbeit erheblich zum Aufschwung beigetragen. Lassen Sie mich auch mit folgender Mär aufräumen: Zeitarbeit ist für einen Entleiher nicht günstiger. Die Kosten für ein entleihendes Unternehmen werden immer höher sein, da zu den Personalbestellungskosten noch die Verwaltungskosten für die Zeitarbeitsfirma hinzukommen. Aber die Zeitarbeit gibt Entleihern die so dringend erforderliche Flexibilität. In keiner anderen Branche sind deshalb so viele neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden, und zwar mit tarifentlohnter Bezahlung. Es gibt keine andere Branche, in der die Tarifbindung so hoch wie im Bereich der Zeitarbeit ist. Auch dies müssen Sie zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren von der Linken. ({10}) Rund ein Viertel der neuen Vollzeitstellen geht auf die Einstellungen von Zeitarbeitsunternehmen zurück. Die Branche leistet vor allem mit der Qualifizierung im Rahmen der Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit. Ich weiß, dass dies in Ihr Schwarz-Weiß-Gemälde nicht passt und in Ihr Gutund-böse-Drama keinen Eingang finden darf. Dies zeigt einmal mehr, dass Sie sich mit Realitäten in den Betrieben nicht auseinandersetzen. Informierten Sie sich, wüssten Sie, dass in dieser Branche ab August nächsten Jahres ein neuer Ausbildungsberuf in Form des Personaldienstleistungskaufmanns angeboten wird und dass im Falle der Zulassung von Verbundausbildung weitere neue Ausbildungsplätze geschaffen werden könnten. Auch in Zukunft kann die Zeitarbeit ein Beschäftigungsmotor sein, wenn die Politik nicht Sand ins Getriebe streut, wie Sie es wollen, meine Damen und Herren von der Linken. Politik gestaltet. Dass sie dies mit Erfolg tun kann, zeigt die Bilanz am Arbeitsmarkt. Im September war die Arbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Es gibt 1 Million weniger arbeitslose Menschen als vor zwei Jahren und fast 700 000 weniger als vor einem Jahr. Gerade unter 25-Jährige und über 50-Jährige konnten den Weg zurück in Arbeit finden. Über zwei Drittel der 55- bis 59-Jährigen sind wieder in Beschäftigung. ({11}) Hinzu kommt, dass es 1 Million offene Stellen gibt und dass der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit einen Überschuss von mehr als 11 Milliarden Euro ausweist. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Hier können wir zu Recht sagen: Wir sind auf dem richtigen Weg. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, wird uns auch im Jahresgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigt. Auch 2008 wird ein Jahr des Aufschwungs sein. Die Chancen, die Zahl der Arbeitslosen auf unter 3,5 Millionen zu senken, sind gut. Wir müssen sie nutzen. ({12}) Eines dürfen wir allerdings nicht tun: den eingeschlagenen Kurs verlassen. Genau darauf zielen aber die vorliegenden Anträge. Sie sind eine Rolle rückwärts. Ihre Anträge beinhalten wieder einmal die stereotype Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Meine Damen und Herren von der Linken, das Ausmaß der sozialen Gerechtigkeit lässt sich nicht am Umfang sozialer Leistungen festmachen, sondern an größerer Teilhabe an Bildung, Ausbildung und Arbeit. Die Schaffung besserer Beschäftigungschancen für ältere Menschen ist gerechter als Frühverrentung, und die stärkere Befähigung zur Selbsthilfe ist gerechter als die Zahlung höherer staatlicher Transfers. Das oberste Ziel der schwarz-roten Bundesregierung ist und bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie ist nach wie vor zu hoch; auch hier sind wir uns einig. Mehr als 3,5 Millionen Menschen sind ohne Arbeit, und wir dürfen nicht vergessen: Hinter jeder Zahl steckt ein Einzelschicksal. Mehr als die Hälfte davon sind Geringqualifizierte: Menschen ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung und damit zuhauf ohne Perspektive. Wenn wir diesen Menschen wirklich helfen wollen, müssen wir am Kurs des Förderns und Forderns festhalten. Wir fördern übrigens auch im Rahmen des neuen Haushalts, indem wir den Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen im nächsten Jahr 1 Milliarde Euro mehr an Eingliederungsmitteln zur Verfügung stellen, und das bei einem Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 1 Million. Wir erkennen, dass die Qualifizierung und Vermittlung der jetzt noch Arbeitslosen natürlich schwieriger ist, weil sie es mit mehr Problemen und größeren Hemmnissen zu tun haben. Wir stehen gerade bei den Menschen in der Pflicht, die bemüht sind. Ihnen muss geholfen werden, zum Beispiel durch Qualifikation. Wir müssen aber auch die Fragen, die sie haben, beantworten. Manche dieser Menschen leben im ländlichen Raum und fragen sich: Wie komme ich an einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, wenn mir der öffentliche Personennahverkehr keine ausreichenden Möglichkeiten bietet? Das sind Probleme, die vor allem in ländlichen Regionen, auch in meiner Heimat, bestehen. Hier muss der Gesetzgeber entsprechende Möglichkeiten schaffen. So wie wir unsere Pflicht tun, müssen auch die Leistungsempfänger ihren Beitrag leisten. Manchmal bedarf es dafür auch Sanktionen. Darauf zu verzichten oder das Zumutbarkeitserfordernis zu begrenzen, würde die Arbeitsanreize vermindern. Das wäre ein vollkommen falsches Signal; denn wir haben erlebt, dass insbesondere diese Mittel für den Erfolg am Arbeitsmarkt gesorgt haben. Das wäre gerade für diejenigen das falsche Signal, die die Steuermittel erwirtschaften. Unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen endlich wieder den Eindruck haben, dass sich Arbeit lohnt. Zurzeit ächzen sie unter der Steuer- und Abgabenlast; das ist unstrittig. Deswegen gehen viele Menschen im Rahmen eines 400-Euro-Jobs - Sie wollen ja, dass diese Jobs abgeschafft werden - einer Nebenbeschäftigung nach; der Reiz besteht hier in der Sozialabgabenfreiheit. ({13}) Der Aufschwung, den wir erleben, ist das Gemeinschaftswerk der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Betriebe und der richtigen Politik. Insbesondere die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen an diesem Aufschwung beteiligt werden. Die Teilhabe daran steht ihnen zu. Deshalb werden wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent senken. ({14}) Allein dieser Schritt hat eine Erhöhung der Kaufkraft in einer Größenordnung von mehr als 21 Milliarden Euro zur Folge. Keinen einzigen dieser Wege geht die Linke mit. Statt die Lohnnebenkosten zu senken, macht sie sich lieber stark für populäre Sozialtransfers, auch wenn die letztlich zulasten der Arbeitnehmer und des Arbeitsmarktes gehen. Die Spendierhosen anziehen, ohne dass das gegenfinanziert ist - dafür sind wir nicht zu haben. Denn eines dürfen wir bei allen Erfolgen nicht vergessen: Der Staat braucht Ausgabendisziplin. Das können die nachfolgenden Generationen von uns erwarten, ja verlangen. Das gilt ebenso für Investitionen in Bildung - die wir vornehmen werden -; denn sie sind die Basis für das Wachstum und den Wohlstand von morgen und übermorgen. Mit Ihren Anträgen leisten Sie dazu keinen Beitrag. Deshalb werden wir sie ablehnen. So wie Sie es in Ihren Anträgen fordern, funktioniert es nicht. Der Weg zum Glück ist nun einmal mühsam und arbeitsintensiv, und es ist notwendig, diesen mühsamen Weg zu gehen; denn wir befinden uns im Bundestag eben nicht in einer Seifenoper. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Karin Binder.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Connemann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Leiharbeitsfirmen Beschäftigte zum Teil um ein Drittel niedrigere Löhne und Gehälter beziehen als Menschen, die dieselbe Tätigkeit verrichten, aber zur sogenannten Stammbelegschaft gehören? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die sogenannten Stammbelegschaften von den Arbeitgebern dank dieser Lohndumpingpolitik ständig reduziert werden? Die dadurch erzeugte Arbeitslosigkeit führt dazu, dass sich die Lohndumpingspirale weiterdreht; denn wenn sich die Menschen in diese Leiharbeitsverhältnisse begeben müssen, führt das, weil sie ihren Lebensstandard drastisch senken müssen, zu Kaufkraftverlusten etc. Diese Lohndumpingpolitik, die von Ihnen mithilfe der Leiharbeitsfirmen betrieben wird, senkt die Standards aller Menschen in diesem Land. Nicht nur die Löhne und Gehälter, auch die Arbeitsbedingungen sind davon betroffen, zum Beispiel die Arbeitszeit. Sind Sie sich darüber im Klaren, dass die Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungen, die „Lohnnebenkosten“, wie Sie sie ständig bezeichnen, Lohnbestandteile sind, die, weil das Geld angeblich nicht da sei, seit Jahren zulasten der Beschäftigten gesenkt werden, wodurch ihr Anspruch auf Leistungen reduziert wird? ({0}) Das sind die Konsequenzen der Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten. Begreifen Sie endlich, dass es sich um Lohnbestandteile handelt! Ferner habe ich die große Bitte an Sie, sich unseren Antrag wirklich anzuschauen, sich mit unseren Forderungen zu beschäftigen und zu registrieren, dass Finanzierungsvorschläge damit verbunden sind. Ich danke. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Frau Connemann. Bitte schön.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Frau Kollegin. ({0}) Sie haben mich gefragt, ob ich mich mit Ihren Anträgen auseinandergesetzt habe. Leider muss ich das Woche für Woche tun, weil Sie uns mit einer Masse von Anträgen überziehen. Mir ist einmal mehr aufgefallen, dass es in Ihren Anträgen enorme inhaltliche Ungenauigkeiten gibt. Da widerspricht der eine Antrag dem anderen. Sie haben, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sechs Anträge vorgelegt. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Anträge selbst gelesen haben. Sie würden schon - darauf habe ich bereits hingewiesen - einen Beitrag zur Verbesserung Ihrer Anträge leisten, wenn Sie sich auf ein einziges Mindestlohnniveau verständigen könnten; das nur als kleinen Rat. Im Übrigen muss ich sagen, dass mir natürlich klar ist, dass Ihnen die Zahlen, die belegen, dass die Zeitarbeit nicht das ist, als das Sie sie hinzustellen versuchen, nämlich als das Schmuddelkind einer Branche, nicht passen. Aber ich empfehle Ihnen sehr, sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen. ({1}) Dann werden Sie sehen, dass ein Zeitarbeitsunternehmen mit einem Zeitarbeitnehmer einen ganz normalen Arbeitsvertrag abschließt, der zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis führt. Das ist eben anders als in den anderen europäischen Ländern, wo es das Prinzip der Agenturverträge gibt, sodass dort tatsächlich ein Hopping von Zeitarbeitnehmern stattfindet. Gerade dagegen hat sich der deutsche Gesetzgeber entschieden. Das hat auch die jetzt erfolgte Anhörung auf EUEbene zur Vorbereitung von Regelungen für die Zeitarbeit gezeigt, sodass es in Deutschland keinen Handlungsbedarf gibt. Der soziale Standard und der Schutz von Zeitarbeitnehmern sind in keinem Land Europas so hoch wie bei uns. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen liebe Kollegin Binder, die sich hier gerade abwendet! Ich habe mich auch der Mühe unterzogen, alle sechs Anträge von Ihnen zu lesen, die Sie heute vorgelegt haben. Ich komme zu dem Ergebnis: So viel blauäugige Weltverbesserung war nie. ({0}) Wir haben hier in den letzten Jahren zwar schon einiges von der Fraktion Die Linke präsentiert bekommen, aber in der heutigen massierten Form habe ich das, wie ich feststellen muss, noch nicht erlebt, Herr Kollege Dreibus. Es heißt zwar so schön „Honi soit qui mal y pense“, also ein Schuft, wer Böses dabei denkt, aber ich werde gleichwohl das Gefühl nicht ganz los, dass das etwas mit dem bevorstehenden SPD-Parteitag zu tun hat. ({1}) Es soll Druck auf die SPD ausgeübt werden. Nach dem Umschwenken der SPD bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I scheint jetzt mehr, wenn nicht alles möglich. Das muss man hier auch an die Adresse der Koalitionäre sagen. Kurt Beck und Angela Merkel haben sich vielleicht gedacht, dass mit ein wenig Nachgeben beim Arbeitslosengeld I der Spuk vorbei sei. ({2}) Das war es wohl nicht, Herr Brandner. Die Liste der Wünsche ist lang. Sie reicht von der Leiharbeit über die geringfügige Beschäftigung und die Ausweitung des Kündigungsschutzes bis hin zum Mindestlohn, ({3}) frei nach dem Motto: Anything goes, alles ist möglich. Geld spielt keine Rolle. Bei der Lektüre der Anträge und vor allen Dingen des zusammenfassenden Antrags zur guten Arbeit, ({4}) die Sie formuliert haben, lässt erneut - ich muss das so sagen - Pippi Langstrumpf grüßen: Ich mache mir die Welt, wiediewiediewie sie mir gefällt. ({5}) Ich könnte meine Rede abkürzen, ({6}) indem ich kurz und bündig feststelle: Die FDP vertritt bei allem, was die Linken fordern, die genau entgegengesetzte Position. ({7}) Herr Kollege Lafontaine, Sie haben hier die Zeitarbeit verteufelt, indem Sie sagen, dass, wenn jemand befristet beschäftigt ist, er keine Perspektive mehr hat, Kinder zu bekommen. Wenn das, was Sie sagen, richtig wäre, dann dürften sich in Deutschland nur noch Beamte fortpflanzen, ({8}) weil jedem Arbeitnehmer beispielsweise durch den Konkurs des eigenen Arbeitgebers ein solches Schicksal drohen kann. ({9}) Um das hier auch deutlich zu sagen: Ich finde, ein befristeter Arbeitsplatz in einem Zeitarbeitsunternehmen ist allemal besser als unbefristete Arbeitslosigkeit. Das sollten wir hier auch gemeinsam feststellen. ({10}) Ich muss sagen: Bei dem, was ich gelesen habe, drängen sich mir schon einige Fragen auf. Was gute Arbeit ist, lässt sich am Ende Ihres Antrags ja nachlesen: Das ist ein unbefristeter, sicherer - gemeint ist: unkündbarer - Arbeitsplatz mit einem verlässlichen und sicheren Einkommen. ({11}) Mal ehrlich: Wer von uns würde sich das nicht wünschen? Deswegen sehe ich die Strategen der SPD, Kurt Beck, Andrea Nahles und andere, schon darüber grübeln, wie man jetzt auch hier der Linken das Wasser abgraben kann. ({12}) Dem Vernehmen nach soll es in Hamburg ja auch schon einen Antrag „Gute Arbeit“ geben. Auch die CDU wird bei dem Gedanken, die SPD könne in der öffentlichen Wahrnehmung sozialer erscheinen als sie selbst, bestimmt schon wieder ganz unruhig. ({13}) Allerdings fehlt in dem Antrag der Linken das entscheidende Kapitel: Wer stellt die guten Arbeitsplätze zur Verfügung, ({14}) und warum tut er oder sie das eigentlich? Das müssen ja in jedem Fall ganz besondere Arbeitgeber sein, Arbeitgeber neuen Typs, denen die Nächstenliebe über jede Form von Gewinnstreben - in Ihrem Jargon: Profitgier geht. Das sind Menschen mit hoffentlich viel Kapital bzw. viel Liquidität; denn sie zahlen ja nicht nur überdurchschnittlich hohe Löhne, sondern sie entlassen die Arbeitnehmer im Falle eines Rückganges der Geschäftstätigkeit auch nicht mehr, und sie verlängern weder deren Arbeitszeit noch kürzen sie deren Lohn. Neue Arbeitgeber braucht das Land also. Die Linken werden sicherlich auch diese Lücke in ihrer Programmatik noch schließen. Notfalls springt eben der Staat ein. ({15}) Die DDR lässt grüßen. Sie feiert fröhliche Urständ. Aber dieses Experiment ist schon einmal gescheitert, und wir wollen uns nicht erneut darauf einlassen. ({16}) Denn das ist das Problem, Herr Kollege Lafontaine: Wenn es am Ende allen gleich gut gehen soll, wie es Ihren Vorstellungen entspricht, dann wird es am Ende allen gleich schlecht gehen. ({17}) Das ist die Erfahrung, die wir aus der DDR mitgenommen haben. Darum kann es uns nicht gehen. Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, kann ich nur kurz anreißen: Was passiert eigentlich, wenn jemand keine gute Arbeit hat? Nach den von Ihnen vorgelegten Zahlen haben nur 12 Prozent der Menschen eine gute Arbeit. ({18}) 54 Prozent sind in mittelmäßigen und 34 Prozent in schlechten Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Kann man es diesen Menschen noch zumuten, morgens zur Arbeit zu gehen? Muss der Staat nicht ersatzweise eintreten und für das Auskommen dieser Menschen sorgen? Was Sie vorgelegt haben, enthält so viele Ungereimtheiten, dass man es nicht mittragen kann. Ihre Anträge ignorieren von vorne bis hinten ökonomische Gesetzmäßigkeiten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sind zum Scheitern verurteilt, wie schon zuvor die DDR zum Scheitern verurteilt war, weil sie glaubte, solche Gesetzmäßigkeiten vernachlässigen zu können. ({0}) Ich bin am Ende meiner Redezeit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Längst.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darauf wird mich der Präsident jetzt hinweisen. Selbst wenn Sie sie noch so massiert einbringen, werden Ihre Anträge nicht besser. Sie müssen von uns konsequent abgelehnt werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Andrea Nahles, SPDFraktion. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeit gehört zum menschenwürdigen Leben, aber sie muss auch menschenwürdig sein. Nicht jede Arbeit in Deutschland ist gute Arbeit. Gute Arbeit bedeutet für uns Sozialdemokraten Arbeit, die gerecht entlohnt ist, die nicht krank macht, die Anerkennung für das bietet, was geschaffen wird, und die vor allem die eingebrachte Qualifikation erhält und weiter ausbaut. Gute Arbeit ist durchaus auch selbstständige Arbeit. Sie kann auch ehrenamtlich motiviert sein. Gute Arbeit ist jede Arbeit, das heißt auch jede einfache Tätigkeit. Ich denke dabei an Toni Schaaf, der früher die Müllmänner vertreten hat. Das ist für mich genauso gute Arbeit wie die der Krankenschwester oder des Ingenieurs. Das verdient Anerkennung und Respekt. ({0}) Wir haben an dieser Stelle aber festzuhalten, dass nicht das sozial ist, was Arbeit schafft; es muss noch etwas dazukommen: Sozial ist, was gute Arbeit schafft. Sie sollten bei Ihrem Bild der Zeitarbeit auf den Weichzeichner verzichten, Frau Connemann. ({1}) Ich kenne einen Frank Winkler, der bei BMW als Zeitarbeiter beschäftigt ist und für dieselbe taktgebundene harte Arbeit 1 263 Euro verdient, für die sein Kollege nebenan das Doppelte bekommt. Das ist auf Dauer nicht in Ordnung. ({2}) Frank Winkler wird nicht über die Personalabteilung beschäftigt, sondern über den Materialeinkauf. Wenn Menschen so zu Ware werden, dann stimmt in diesem Land etwas nicht. ({3}) Deswegen sagen wir klipp und klar: Wir haben damals - übrigens zusammen mit Frank Bsirske von Verdi und mit Jürgen Peters - verstärkt Leiharbeit ermöglicht, weil sie durchaus ein sinnvolles Instrument ist, wenn es darum geht, Auftragsspitzen abzudecken. Ich bin nicht prinzipiell dagegen. Wir haben damals eine Equal-Pay-Regelung vereinbart, die in der Praxis aber nicht funktioniert, weil durch sogenannte christliche Gewerkschaften systematisch Dumpingtarifverträge angeboten werden, die die EqualPay-Regelung unterlaufen. ({4}) Deswegen brauchen wir - das betone ich - eine EqualPay-Regelung ohne Ausnahme der christlichen Gewerkschaften. Es kann aber dieser Großen Koalition wahrlich nicht vorgeworfen werden - wie es heute Morgen der Fall war -, wir hätten das Ziel der guten Arbeit nicht im Blick. Wenn seit letztem Jahr 550 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden sind, dann ist das ein richtiger Schritt in Richtung guter Arbeit. Das ist unsere gemeinsame Leistung, die wir in der Großen Koalition zusammen mit den Unternehmen und den Arbeitnehmern in diesem Land erbracht haben. ({5}) Ich glaube, wir brauchen auch eine Debatte darüber, wie es um die Leistungsverdichtung bei denjenigen, die Arbeit haben, in unserem Lande bestellt ist. Wir haben nicht nur über diejenigen zu reden, die keine Arbeit haben - das ist schlimm genug, und dafür müssen wir noch mehr tun -, ({6}) sondern wir müssen auch über diejenigen reden, die in Arbeit sind und deren Arbeitsbedingungen sich durch zusätzliche unbezahlte Überstunden, durch Leistungsverdichtung und Produktivitätssteigerungen verändert haben. Ich sehe Arbeitszeit immer auch in Korrelation zu Lebenszeit. Gute Arbeit ist das eine und gutes Leben das andere. Das gehört für uns zusammen. Deswegen brauchen wir zum Beispiel auch Pflegezeiten, damit man zehn Tage Auszeit nehmen kann und Zeit zur Pflege von Angehörigen hat. ({7}) Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum der Koalitionspartner an dieser Stelle einfach dicht gemacht hat und diese Forderung abgelehnt hat. Das ist nicht anständig. ({8}) Es müssen eben Arbeits- und Lebenszeit miteinander verbunden werden. Insoweit hoffe ich an dieser Stelle doch noch auf Besserung. Wenn es richtig ist, was wir alle festgehalten haben, nämlich dass wir mehr tun müssen, um die Qualität von Arbeit in das Zentrum zu rücken, dann ist aus meiner Sicht die DGB-Kampagne die richtige. Aber ich möchte noch eine andere erwähnen. Sie ist von der IG Metall in Nordrhein-Westfalen aufgelegt worden und hieß „besser statt billiger“. Aus dieser Idee - „besser statt billiger“ speist sich im Kern eigentlich ganz klar das, was in Deutschland unsere Stärke ist. Wir sind ein Hochlohnland. Wir werden es nur bleiben - mit hohen Löhnen, mit fairen Arbeitsbedingungen, mit guter Arbeit, mit Arbeit, die nicht krank macht -, wenn wir es tatsächlich schaffen, auch in Zukunft besser ausgebildete Facharbeitskräfte im eigenen Land zu haben. ({9}) Deswegen dürfen wir auch nicht einfach sagen: „Scheunentor auf, jetzt kommen die Facharbeiter aus den anderen Ländern, die dort ausgebildet worden sind“, sondern wir müssen durch mehr Investition in Bildung unsere eigenen Potenziale bis auf den letzten Mann und die letzte Maus nutzen, damit wir an dieser Stelle die Zukunft nicht verpassen und das Hochlohnland Deutschland und damit auch gute Arbeit absichern können. ({10}) Letzter Punkt. Bei den Anträgen, die hier heute diskutiert werden, habe ich mich wirklich darüber geärgert, dass ein Antrag den Appell enthält, die Sozialdemokratie soll sich doch bitte einmal um Kündigungsschutz kümmern. - Keine Sorge, der ist bei uns in guten Händen; der ist bei der Sozialdemokratie in guten Händen. Am Kündigungsschutz wird auch in der Großen Koalition nicht gerüttelt, auch wenn das einige hier im Saal anders sehen. ({11}) Zu guter Arbeit gehört für uns Sozialdemokraten ganz elementar: Teilhabe am Haben und Sagen, Mitbestimmung. Deswegen wünsche ich mir, dass Betriebsräte in diesem Land noch mehr Initiativrechte bekommen, um etwas gegen Leiharbeit tun zu können, aber auch mehr Initiativrechte bekommen, um in den Betrieben zum Beispiel mehr für eine qualifizierte Weiterbildung gerade auch von Älteren tun zu können, als es derzeit möglich ist. Wir haben in diesen Tagen einen Bericht vorgelegt, in dem wir sagen, was wir tun können, damit Ältere tatsächlich lange fit und gut ausgebildet im Erwerbsleben bleiben. Auch an dieser Stelle ist es ein Schwerpunkt, die Weiterbildungsoptionen in unserem Land zu verbessern. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Nahles, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann das leider nicht tun; denn ich habe eine Verabredung in Hamburg. ({0}) Ich muss jetzt leider Schluss machen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis. Gute Arbeit ist für mich ein gutes Anliegen. Wenn es dafür in diesem Land breite Unterstützung von Gewerkschaften und anderen gibt, dann ist uns das sehr willkommen. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das begeistert Sie doch sicherlich, Herr Brauksiepe, nicht wahr? Herr Lafontaine, wenn ich das richtig sehe, haben Sie die Inhalte der Anträge Ihrer Fraktion in der Broschüre mit dem Titel „Manifest für gute Arbeit“ zusammengefasst und sie der Presse vorgestellt. Sie sind, als Sie in grauer Vorzeit saarländischer Ministerpräsident waren - lang ist’s her -, wegen Ihres Führungsstils als Napoleon von der Saar bezeichnet worden. Ich finde, der versuchte Rollentausch vom Kaiser zum Karl will Ihnen nicht so richtig gelingen. Das liegt nicht nur an der fehlenden Lockenpracht, Herr Lafontaine. ({0}) Sie von der Linken weisen zu Recht auf die Zunahme der Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse hin. Das will ich hier deutlich sagen, Frau Connemann. Es gibt unbestritten Fehlentwicklungen und Missbräuche, die wir dringend bekämpfen müssen. Das Problem ist aber, dass Sie es sich zu einfach machen. Ihre Ideen sind nicht mächtig, sondern zielen leider mächtig an den Zielen vorbei, die wir eigentlich gemeinsam verfolgen sollten. Sie reagieren auf die Probleme von heute im Wesentlichen mit Lösungen von gestern, ({1}) auch wenn Sie behaupten, Ihr Zurück sei eigentlich ein Vorwärts. Ich habe den Eindruck, dass Ihnen das Gefühl für die Richtung vollständig verloren gegangen ist. ({2}) Das ist in zweifacher Hinsicht problematisch. Sie versprechen den Menschen etwas, was Sie garantiert nicht halten können. Überall dort, wo Sie in der Regierungsverantwortung sind, beweisen Sie, dass Sie Ihre Versprechen nicht halten können. ({3}) Das ist der Grund dafür, dass diejenigen, die von der Linken bzw. der PDS in der Regierungsverantwortung sind, über den Populismus, den Sie, wo Sie gehen und stehen, betreiben, so verzweifelt sind. Sie erwecken Illusionen, denen Sie nicht ansatzweise gerecht werden. Herr Lafontaine, Opposition ist aber noch kein Freibrief für Verantwortungslosigkeit. Enttäuschung und fortgesetzter Vertrauensverlust sind bei Ihrer Politik vorprogrammiert. ({4}) Sie verweigern sich den Lösungen, mit denen wir tatsächlich mehr Sicherheit und mehr Gerechtigkeit für die Menschen schaffen. Das ist eine wichtige Aufgabe. Dafür brauchen wir jeden Bündnispartner. Schade, dass Sie nicht dabei sein wollen. Ich will die Herausforderungen und ein paar Lösungsansätze an einigen Beispielen deutlich machen. Nehmen wir einmal das Arbeitslosengeld. Ja, es gibt hier Handlungsbedarf. Aber es geht nicht um eine Verlängerung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I für Ältere. Was uns umtreibt und womit Sie sich eigentlich beschäftigen müssten, ist die Tatsache, dass die Zahl unsteter Erwerbsverläufe sowie Projekt- und Saisonarbeit zunehmen und dass viele Menschen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, aufgrund der kurzen Einzahlungsdauer nichts herausbekommen. Das müssen wir verändern. ({5}) Natürlich können wir versuchen, die Arbeit zu normieren. Aber das wird leider nichts ändern. Wir müssen vielmehr die Sicherungssysteme den veränderten Arbeitsbedingungen und den Herausforderungen, denen die Menschen gegenüberstehen, anpassen. Ich nehme die Leiharbeit als weiteres Beispiel. Ich gebe Ihnen recht: Es gibt Unternehmen, die die Leiharbeit als Lohndrückerei und für den Ersatz regulärer Arbeitsplätze missbrauchen. Frau Connemann, es ist nicht richtig, dass Sie das alles ignorieren und gesundbeten. Es gibt hier Probleme. Aber Zeitarbeit ist erwiesenermaßen - das können Sie nicht leugnen - auch eine Brücke für Arbeitslose in den Erwerbsarbeitsmarkt. Also müssen wir versuchen, Regelungen zu finden, die den Missbrauch verhindern und gleichzeitig die Brücke zur Beschäftigung nicht abreißen. ({6}) Aber was machen Sie? „Hau weg den Scheiß“ ist Ihre Parole. Aber damit kommen wir leider nicht voran. Damit schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Nehmen wir die Minijobs als Beispiel. Ich finde, diese Beschäftigungsverhältnisse gehören abgeschafft. Arbeit darf nicht länger an unseren sozialen Sicherungssystemen - mit fatalen Folgen für die Beschäftigten vorbei organisiert werden. Aber einfach abschaffen ist eben nicht genug, weil wir für diese Menschen andere Bedingungen schaffen müssen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit diese Arbeitsplätze nicht einfach verschwinden, sondern unter anderen und besseren Bedingungen bestehen bleiben können. ({7}) Auch dafür haben wir Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, nämlich das Progressivmodell, das dieser Herausforderung gerecht wird. Beispiel Mindestlohn: Ja - das haben wir vorhin hier diskutiert -, wir sind ausdrücklich für einen Mindestlohn in allen Branchen. Aber wenn wir es so machen würden, wie Sie es wollen, nämlich einen Lohn für alle - Herr Gysi, Sie haben darauf hingewiesen -, dann hätten wir in der Postbranche niemals einen Mindestlohn von 9 Euro oder 9,80 Euro, wobei ich übrigens Ihre Kritik an unterschiedlichen Mindestlöhnen in Ost und West teile. Das ist auch aus meiner Sicht nicht richtig. Ich glaube, Sie kriegen das Problem dann in den Griff, wenn Sie branchenspezifische Mindestlöhne einführen. Dann können Sie den jeweiligen Bedingungen gerecht werden. ({8}) - Darunter brauchen wir eine Marge, unter die keiner fallen darf. ({9}) Das ist leider nicht richtig. Wir haben tatsächlich viele Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Das lässt sich überhaupt nicht bestreiten. Aber durch das Herbeireden der guten alten Zeit lassen die sich leider nicht lösen. Wir brauchen differenzierte Antworten. Wir müssen nach vorne schauen. Es nützt nichts, die Räder einfach zurückzudrehen. Ich kann Sie, Herr Lafontaine, nur auffordern: Machen Sie sich auf von den Höhen der postsozialistischen Rhetorik in die Niederungen und Mühen der Wirklichkeit. Dann lässt sich außer Parolen etwas schaffen, nämlich Sicherheit und Arbeit. Das wollen wir. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Paul Lehrieder das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch an unsere Kollegen von der Linksfraktion. ({0}) Mit Ihrem Fahrplan in die schöne neue Arbeitswelt haben Sie bewiesen, dass Sie fleißig sein können. All Ihre früheren Anträge haben Sie zu einem einzigen „Worst-of“ zusammengefasst. So viel Service hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Ihre gute Arbeit führt allerdings nicht zu gutem Leben, sondern direkt in die Sackgasse. ({1}) Qualität steht nicht in Ihrem Antrag, sondern auf einem anderen Blatt. Auf dem finden Sie die Vorstellungen und Beschlüsse der Großen Koalition. Die Überschriften Ihrer Anträge und Entwürfe hören sich ganz vielversprechend an: „Initiative für eine gerechte Arbeitswelt“, „Soziale Sicherung verbessern“, „Stärkung des Kündigungsschutzes“ etc. etc. Wer aber weiterliest, weiß spätestens nach dem zweiten Satz: Wenn wahr wird, was Sie wollen, sind Berufstätige und Arbeitslose von guter Arbeit in einer gerechten Welt so weit entfernt, wie Sie, liebe Kollegen von der Linken, schon jetzt von der Regierungsfähigkeit und Realität entfernt sind. ({2}) - Auch Sie haben einmal regiert, aber Sie sind davongelaufen, Herr Lafontaine. - Wenn man das auf die Spitze treibt und Ihre Anträge fortschreibt, dann kommen wir genau zu dem Ergebnis, das gestern Nacht in der Sendung Hart aber fair quasi als Ziel Ihrer Vorschläge gekommen ist: Mehr Sonnenschein für alle. - Eine utopischere Welt als die, die Sie mit diesen Anträgen hier im Hohen Haus erreichen wollen, können Sie gar nicht basteln. Zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen kann ich mir einige unfreundliche Worte im Detail leider nicht verkneifen. Sehen wir uns nur einmal Ihre Vorstellung zum Mindestlohn an. Wer die Seite drei in Ihrem Antrag „Gute Arbeit - gutes Leben. Initiative für eine gerechte Arbeitswelt“ liest, weiß, wohin die Reise geht. Noch vor einigen Monaten wollten Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde, jetzt sind wir schon bei 8,44 Euro. Damit deutet sich jetzt schon an, was in dem von Ihnen immer wieder gern zitierten Frankreich traurige Realität ist. In den letzten Jahren ist der Mindestlohn dort immer wieder angehoben worden. ({3}) Er liegt derzeit, wie von Ihnen erwähnt, bei 8,44 Euro. Da haben Sie recht. Seit 2002 stieg er, auch aufgrund zum Teil populistischer Maßnahmen, auf diese Weise um 20 Prozent. Betriebsgrößen und Produktivitätsentwicklung in den einzelnen Branchen wurden bei den Anhebungen überhaupt nicht berücksichtigt. ({4}) Die Folgen: Vor allem im Niedriglohnsektor wurden viele Arbeitsplätze vernichtet. Unternehmen verlagerten die Fertigung ins Ausland. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt mittlerweise 30 Prozent. Sie ist mitverantwortlich für die Krawalle in den Pariser Vorstädten. Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon oft über den gesetzlichen Mindestlohn gesprochen. Dennoch betone ich noch einmal: Eine gesetzliche Lohnuntergrenze in der von Ihnen geforderten Höhe hat das Potenzial, weite Teile unseres Arbeitsmarktes von unten stillzulegen und die Tarifautonomie auszuhebeln. Der Staat kann nicht Ersatz für Tarifparteien sein. ({5}) Nach einer Studie des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit würde ein gesetzlicher Mindestlohn von 7 bis 8 Euro bis zu 60 Prozent der gegenwärtig im Hauptberuf ausgeübten Mini- und Midijobs treffen. Betroffen wären vor allem Frauen, für die ein Minijob bisher eine willkommene Gelegenheit ist, Familie und Beruf zu vereinbaren bzw. einen Hinzuverdienst zu erlangen. Wir von der Union wollen Minijobs ganz gewiss nicht überprivilegieren; aber wir sind weit davon entfernt, sie zu verteufeln, wie Sie dies in Ihrem Antrag „Soziale Sicherung verbessern“ tun. Minijobs sind ein wichtiges Ventil für den Arbeitsmarkt und für viele Arbeitnehmer die einzige legale Möglichkeit, ihr Haushaltseinkommen aufzubessern. Unsere Fraktion hat diese Woche begonnen, darüber zu sprechen, wie man die Minijobs rechtlich besser behandeln, das heißt auf eine vernünftige rechtliche Basis stellen kann. Stichwort: Haushalt als Arbeitgeber. Auch Ihre Position zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz läuft ins Leere. „Ab dem ersten Tag gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ klingt natürlich erst einmal gut. Sie müssen aber bedenken: Es handelt sich hier um eine Arbeitsförderungsmaßnahme. Ein großer Teil derjenigen, die vermittelt werden, sind Hilfskräfte und Geringqualifizierte. Wozu würde die Umsetzung Ihres Vorschlags führen? Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose hätten künftig überhaupt nicht mehr die Chance, über Arbeitnehmerüberlassung einen festen Job zu bekommen. Frau Kollegin Connemann hat bereits kompetent und zutreffend darauf hingewiesen: Jährlich werden etwa 30 Prozent aller Mitarbeiter - das entspricht etwa 200 000 Mitarbeitern aus der Leiharbeit - in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Geringqualifizierte würden kaum mehr in die Zeitarbeit vermittelt werden, sondern nur noch Hochqualifizierte und Facharbeitskräfte; alle anderen fielen aus dem Markt heraus. Sehr geehrte Kollegen von der Linkspartei, zu den von Ihnen in diesem Zusammenhang angegriffenen abweichenden Tarifverträgen nur so viel: Die am 1. April 2004 eingeführte Neuregelung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit der Möglichkeit des Abschlusses abweichender Tarifverträge bietet gerade die Chance, die Rahmenbedingungen in der Leiharbeit im Spannungsverhältnis zwischen Arbeitnehmerschutz und wirtschaftlicher Notwendigkeit sozial ausgewogen zu gestalten. Dies zeigen die bislang erfolgten Tarifabschlüsse, die hinsichtlich des Arbeitsentgeltes sowohl dem Entleiher als auch dem Verleiher hinreichend flexiblen Spielraum und dem Arbeitgeber Flexibilität bei kurzfristigen Auftragsüberhängen einräumen. Zum nächsten Punkt: Kündigungsschutz. Sicherlich ist die Weiterentwicklung des Kündigungsschutzrechtes erforderlich; schließlich handelt es sich derzeit zum Teil um reines Richterrecht, das für die Beschäftigten und die Arbeitgeber nicht immer Rechtssicherheit bietet. Der Kündigungsschutz muss die Schutzfunktion des Arbeitsverhältnisses nachhaltig sichern, darf aber andererseits keine Hürde für Neueinstellungen, insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, darstellen. Aber genau das wäre der Fall, wenn Sie, liebe Kollegen von der Linkspartei, Ihre Vorstellungen auch nur annähernd realisieren würden. Sie wollen jede ordentliche Kündigungsmöglichkeit ab einem Alter von 55 Jahren und einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren ausschließen. In der Praxis bedeutet das für einen Kleinbetrieb, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr möglich sein werden und der Zusammenbruch des Unternehmens in vielen Fällen unausweichlich sein wird. Würde ein über 45-Jähriger dann überhaupt noch eingestellt? Vielleicht könnte diese Frage ein Arbeitgeber aus den Reihen der Linken beantworten - wenn es denn einen gäbe. Ich weiß nicht, ob ein Mitglied Ihrer Fraktion Arbeitgeber ist. Offensichtlich nicht, sonst käme von Ihnen nicht so viel unausgegorenes Zeug. Die Linkspartei lädt den Kündigungsschutz ideologisch auf und stellt ihn auf einen Sockel aus falschen Sicherheiten. Sie will den Status quo nur einmauern, und sie will Stellschrauben, die helfen würden, auf Veränderungen am Arbeitsmarkt flexibel zu reagieren, gleich mit einbetonieren. Ihre Forderungen nach mehr Kündigungsschutz, liebe Kollegen von der Linksfraktion, zielen auf Besitzstandswahrung nur für Arbeitsplatzbesitzer, lassen neue Arbeitsplätze aber sicher nicht mehr zu. ({6}) Zum Jugendarbeitsschutz. Liebe Kollegen von der Linken, in Ihrem Antrag „Gute Arbeit - Gutes Leben“ fordern Sie auch, das Jugendarbeitsschutzgesetz in seinem Geltungsbereich auf junge Auszubildende bis 21 Jahre auszuweiten. Ein 16-jähriger Jugendlicher dürfte dann, statt bisher zwei Jahre bis zum 18. Lebensjahr, bis zum 21. Lebensjahr nicht mehr als acht Stunden täglich und nur an fünf Tagen in der Woche arbeiten. Drei Jahre länger dürfte er in den meisten Branchen weder in der Nachtzeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr morgens noch am Wochenende arbeiten. Drei Jahre länger müssten Haupt- und Realschüler warten, bis sie sozusagen als fertige Berufstätige gelten. Sie hätten dann gegenüber Abiturienten kaum noch Chancen. Eigentlich möchte ich noch einige Punkte ansprechen, aber aus Zeitgründen muss ich zum Ende kommen. Die derzeit gute Konjunktur ist kein Ding der Ewigkeit. Auch deshalb muss es unser wichtigstes Ziel sein, die Arbeitslosigkeit gerade Älterer dauerhaft zurückzudrängen, und zwar mit den richtigen Mitteln. Anträge, die dermaßen populistisch an der Realität vorbeigehen, haben nur ein Votum verdient: Ablehnung. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Katja Mast von der SPDFraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unrealistische Versprechen helfen überhaupt nichts. Mit möglichst radikalen Forderungen kann man viel Papier beschreiben. Das haben die Jusos auf ihrem Bundeskongress 1996 von Oskar Lafontaine erfahren, ({0}) und da hat er recht. Das ist das Problem Ihrer Anträge, über die wir heute diskutieren. Fordern ist schön, aber wenn man nichts umsetzen will, ist das so überflüssig wie ein Kropf. Dass Sie nicht regieren wollen, sagen Ihre Parteivorderen in letzter Zeit erschreckend häufig. Gestern Morgen sagte Ihr Vorsitzender Lothar Bisky im Deutschlandfunk: Wir werden sicher die Wahlen 2009 … mit einem klaren oppositionellen Profil angehen. Ihr Bundesvorstandsmitglied Gehrcke hat am Wochenende in Baden-Württemberg klargemacht, dass die Partei bei der nächsten Bundestagswahl keine Regierungsbeteiligung anstreben sollte. ({1}) Das macht doch eines klar: Sie von der Partei, die sich derzeit Die Linke nennt, wollen nicht regieren. Sie fordern, was das Zeug hält. Sie wollen keine Verantwortung. ({2}) So sind auch Ihre Anträge geschrieben. Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die zwar das Blaue vom Himmel versprechen, aber nichts in die Tat umsetzen wollen? ({3}) Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die fordern, ohne Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen? ({4}) Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die jede Woche eine andere Position vertreten? Sie wollen nicht regieren. Wir Sozialdemokraten schon. ({5}) Nicht Forderungen verändern die Welt, sondern Verantwortung und Taten. ({6}) Sie mäkeln immer nur an Einzelpunkten herum. Das Ganze haben Sie nie im Blick. ({7}) Sonst würden Ihre Anträge nämlich damit beginnen, was sich am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren alles Positives getan hat, beispielsweise beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Immerhin sind es 1 Million Arbeitslose weniger als vor zwei Jahren. Die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer ist seit 1998 von knapp 38 Prozent auf rund 52 Prozent gestiegen. Zu nennen ist auch das Ende der Frühverrentungspraxis. Das gleiche Bild zeigt sich beim Ausbildungsmarkt: deutlich mehr gemeldete Lehrstellen, deutliche Zuwächse bei der Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge in Industrie, Handel und Handwerk, 40 Prozent weniger unvermittelte Bewerber als im Vorjahr. Wenn man das Positive nennt, kann man auch besser darauf hinweisen, was noch nicht so gut läuft. Dafür brauchen wir Sie aber nicht. Der Aufschwung ist da. Wir sorgen dafür, dass er bei allen ankommt. Den Mindestlohn setzen wir ohne Sie durch. Das wissen auch die 200 000 Beschäftigten der Postdienste. Wir sorgen dafür, dass der Kündigungsschutz bleibt. Wir stehen an der Seite der Arbeitnehmer, wenn es darum geht, sie an Unternehmensgewinnen zu beteiligen. ({8}) Dinge verändern sich nur, wenn man bei einer Strategie bleibt und anerkennt, was ist. Beides tun Sie nicht. Heute beraten wir Anträge von Ihnen, die nichts miteinander zu tun haben. In einem Antrag wird ein Mindestlohn von 8 Euro gefordert, in einem anderen schlagen Sie mal einfach so fast einen halben Euro drauf. Eine seriöse Begründung? Fehlanzeige! Das ist beliebige Politik. Aber ich vergaß: Sie wollen ja auch gar nicht regieren. Sie akzeptieren nicht, was ist. Die Arbeitslosenversicherung ist eine solidarische Risikoversicherung ({9}) wie die Brandschutzversicherung. Brennt das Haus heute, bekomme ich aus meinem gestern abgeschlossenen Vertrag die volle Leistung. ({10}) Das ist Solidarität im Sinne der Sozialdemokraten. ({11}) Sie sind da der CDU näher - frei nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist für jeden gesorgt. Das ist Ellbogengesellschaft. Sie wollen eine Sparkasse. Wer lange eingezahlt hat, soll auch mehr bekommen, egal welche Chance er oder sie hat, wieder einen Job zu finden. Jürgen Rüttgers lässt grüßen. ({12}) Ihre Vorschläge erinnern an die Märchen der Gebrüder Grimm und nicht an die Realpolitik Ferdinand Lassalles, August Bebels oder Willy Brandts. Ich bleibe dabei: Sie fordern und wollen nicht gestalten, Sie reden und wollen nicht verändern, Sie schreiben Anträge und wollen nicht regieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mast, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich jetzt noch sieben Sekunden Redezeit habe, kann er anschließend etwas sagen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie erlauben sie also nicht?

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Richtig. Lassen Sie mich mit Ferdinand Lassalle schließen: Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren! Nachdem ich wegen einer dringenden Reise schon von Frau Nahles abgewiesen wurde, möchte ich meiner Vorrednerin sagen: Ich habe den Eindruck, dass der Antrag nicht gelesen wurde. Im Antrag steht nichts über unsere Regierungsfähigkeit oder Nichtregierungsfähigkeit. Vielmehr stehen dort konkrete Punkte, konkrete Vorschläge für Verbesserungen, die die Arbeitnehmer erwarten. Kann ich Ihre Ausführungen so werten, dass Sie die Zustände am Arbeitsmarkt - Leiharbeit ersetzt normale, unbefristete Beschäftigung und führt inzwischen dazu, dass selbst Ferienarbeiter, um billigere Löhne durchzusetzen, nicht mehr direkt in Unternehmen eingestellt werden, sondern als Leiharbeiter, mit dem Ergebnis eiKlaus Ernst nes um zwei Euro niedrigeren Lohnes - akzeptieren? Von Ihnen, werte Kollegin Mast, habe ich überhaupt nichts dazu gehört, sondern eher den Eindruck gewonnen, dass Sie mit diesen Verhältnissen am Arbeitsmarkt einverstanden sind. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Frage beantworten würden. Ich habe den Eindruck, dass es in Ihrer Fraktion durchaus den einen oder anderen gibt, der das anders sieht. Bei Ihnen habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie damit einverstanden sind, wie Sie, die Sozialdemokratische Partei, zusammen mit den Grünen und jetzt mit der CDU/CSU den Arbeitsmarkt gestaltet haben. All das, was gegenwärtig teilweise von Vertretern Ihrer Fraktion kritisiert wird - die Verhältnisse bei der Leiharbeit und der Befristung -, haben Sie selbst mit Ihrer eigenen Politik herbeigeführt. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mast zur Erwiderung. Bitte schön.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Ernst, wenn Sie Dinge in meine Aussagen hineininterpretieren, ist das zunächst einmal Ihr Problem. Zweitens. Sie sind darauf eingegangen, dass ich betont habe, Sie wollten nicht regieren. Man kann es auch so interpretieren, dass sie sich nicht zu Ihrer Regierungsfähigkeit äußern. Ich finde, ich muss dazu weiter nichts sagen. Drittens. Meine Kollegin Andrea Nahles hat für die gesamte SPD-Bundestagsfraktion ausreichend Stellung zum Thema Leiharbeit bezogen. Damit will ich es an dieser Stelle bewenden lassen, um den Tag nicht unnötig zu verlängern. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz-Peter Haustein von der FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war 1986 in einem volkseigenen Betrieb der DDR. Ich bin zum Betriebsleiter gegangen und habe gesagt: Genosse Betriebsleiter, ich mache mich selbstständig; ich kündige, ich höre auf. Da hielt er mir einen Vortrag über Marxismus-Leninismus und sagte zum Schluss: Haustein, das ist ein gesellschaftlicher Rückschritt; es wird bald kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr geben. Beim Lesen Ihrer Anträge bin ich daran erinnert worden und habe mir gedacht: Sie leben immer noch in dieser Scheinwelt. ({0}) Sie denken, wir haben immer noch volkseigene Betriebe. Sie knüpfen mit Ihrer Beschreibung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Ausbeuter und Ausgebeutetem, an den Klassenkampf an. Die Zeit ist aber vorbei, Herr Lafontaine. ({1}) Wir haben nicht mehr den Manchester-Kapitalismus. Wir haben eine soziale Marktwirtschaft. ({2}) Wer das nicht glaubt, sollte sich einmal die Zahlen anschauen: Wir geben 50 Prozent unseres Haushaltes für Soziales aus, über alle Haushalte in diesem Land verteilt 686 Milliarden Euro. ({3}) Trotzdem wird so getan, als sei dies ein unsoziales Land. Dem ist nicht so. ({4}) Sie fangen an, die Arbeitgeber in die Ecke zu stellen: Das sind die Bösen, die Ausbeuter, die Schlechten. Aber die Arbeitgeber übernehmen Verantwortung und laufen nicht weg. Sie kämpfen darum, dass es Arbeit gibt und dass der Lohn gezahlt werden kann. Sie arbeiten auch gerne einmal 60 Stunden in der Woche und verzichten auf Urlaub. Wenn es darauf ankommt, verpfänden sie ihr Haus, ihren Hof und ihre eigene Großmutter für einen Kredit. ({5}) Das alles machen Arbeitgeber, um Arbeitsplätze zu schaffen. Die Arbeitgeber haben längst erkannt, dass die Arbeitnehmer das Kapital der Unternehmen sind. Niemand will seine Arbeitnehmer schlecht behandeln. ({6}) Es ist ein Miteinander. Das weiß heute jeder moderne Arbeitgeber. Das ist Fakt. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Haustein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Erstens. Herr Kollege Haustein, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass uns zumindest in den neuen Bundesländern deutlich mehr Unternehmerinnen und Unternehmer wählen als die FDP und dass das vielleicht Gründe hat? ({0}) Zweitens. Sie bewundern die Unternehmerinnen und Unternehmer. Ich sage Ihnen aber, Sie unterschätzen die Tatsache, dass diese soziale Gerechtigkeit und damit Kaufkraft der Menschen brauchen. ({1}) Ansonsten können ihre Unternehmen nicht existieren. Jetzt zu meiner eigentlichen Frage an Sie. Sie sagen, es sei alles sozial gerecht. Stimmen Sie mir zu, dass es in Deutschland 2,5 Millionen arme Kinder, 7,4 Millionen Menschen, die von Hartz IV leben, 5 Millionen Menschen in Mini- und Midijobs, 1,2 Millionen Vollbeschäftigte, die noch Hartz IV beantragen müssen, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, und 800 000 Menschen in Leiharbeit gibt? ({2}) Würden Sie sagen, dass das sozial gerecht ist?

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Gysi, ich stimme Ihnen nicht zu, weil Sie den Leuten Sand in die Augen streuen. Sie erzählen nämlich nur das eine, das andere aber nicht. Sie reißen Fakten aus dem Zusammenhang heraus. ({0}) Natürlich ist jedes System zu verbessern. Daran arbeiten wir. Wenn die FDP an der Regierung ist, wird es auch besser werden. ({1}) Kommen wir jetzt zu den einzelnen Punkten. Sie reden vom Kündigungsschutz und suggerieren den Menschen, ein sicherer Arbeitsplatz sei wichtig. Das stimmt. Aber was kann ein Unternehmer tun? Wenn er viele Aufträge hat, muss er Leute einstellen. Wenn er das Auftragsvolumen nicht mehr halten kann, dann muss er die Zahl der Beschäftigten dieser Situation anpassen; denn sonst würde er das gesamte Unternehmen gefährden, und alle würden ihre Arbeit verlieren. Das trifft auch auf die Telekom zu. Auch sie muss reagieren und sich dem weltweiten Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung stellen. Wir müssen reagieren. Es ist doch kein böser Wille, wenn man Leute entlässt. Die Unternehmer sind doch froh, wenn sie Facharbeiter und Experten in ihren Betrieben haben. Das ist eine Tatsache. Sie bewirken mit Ihren Anträgen das Gegenteil dessen, was Sie vielleicht wollen. Die Menschen in diesem Lande begreifen, dass Sie nur verschleiern und Versprechungen machen, die Sie nicht halten können. ({2}) Sehen Sie das Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern! Dazwischen stehen noch die Gewerkschaften, die ebenfalls wichtig sind. Hören Sie auf, mit Klassenkampf die Marx’sche Theorie wiederzubeleben! ({3}) In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller von der SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gute Arbeit, gutes Leben: Wer möchte das nicht? Wer Politik macht, so empfiehlt schon Aristoteles, sollte den möglichen Staat im Auge haben, nicht den besten. Denn dieser führe, so sagt er, in die Tyrannei. Handlungsfähige Politik entsteht, wenn man verantwortungsvoll mit widerstreitenden Interessen umgeht. Doch das Maß des Möglichen und Machbaren finde ich in dem Kaleidoskop Ihrer Anträge, meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken, nicht. ({0}) Das überrascht allerdings auch nicht. Denn klar ist, dass eine politische Kraft Ihrer Art einen riesigen Abstand aufweist zwischen dem politisch Geforderten einerseits und der Realpolitik, die Sie gelegentlich verantworten, andererseits. Nirgends ist diese Differenz größer als bei Ihnen. Ich finde den Begriff Talkshow-Sozialismus, den ich heute in der Süddeutschen Zeitung las, zutreffend. Sie gehören zu einer Gruppe der Anscheinerwecker, die von sich sagen: Wir sind die Guten, aber die anderen lassen uns nicht. Wir würden alles richtig machen, aber die anderen hindern uns daran. Mit uns gäbe es gute Arbeit und ein gutes Leben, ({1}) aber die anderen wollen euch das vorenthalten. Ich kann nur sagen: Dies sind die Botschaften hinter Ihren Anträgen und Debattenbeiträgen. An diesem Kurs wollen Sie festhalten. ({2}) Das mag zwar Ihr Recht sein, gut ist es aber nicht. Denn verhindern können auch Sie nicht, dass immer mehr zutage tritt, dass Sie kneifen, wenn es um die faktische Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen geht. ({3}) So unterscheiden sich Protestlinke von Gestaltungslinken; auch das habe ich gerne übernommen. Beispiel Arbeitsmarktpolitik - denn darum scheint es Ihnen ja heute zu gehen -: Wir geben jungen Menschen die Hilfen, die sie brauchen, um einen besseren Einstieg in die Arbeitswelt hinzubekommen. ({4}) Sie lehnen das ab. Wir fördern mit dem Programm „50 plus“ ältere Arbeitnehmer. Sie lehnen das ab. Wir geben Langzeitarbeitslosen mit Vermittlungshemmnissen erstmals eine Chance auf Beschäftigung - sozialversicherungspflichtig und mit Tariflohn. Wir sagen: Das ist eine Jobperspektive. Sie lehnen das ab. Das ist die Wirklichkeit, in der Sie Politik machen. Was ist das für eine Botschaft für Arbeitssuchende? Sie stellen Ihre politischen Ansprüche höher als die Sorgen der Menschen. Das unterscheidet Sie von den Sozialdemokraten. Beispiel gute Arbeit: Zu Recht stellen wir dies in den Mittelpunkt der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auch dieser Legislaturperiode. Zu Recht wird dies eine große Rolle auf unserem Parteitag spielen. Aber um das Ziel „gute Arbeit“ zu erreichen, bedarf es harter Arbeit in der Politik. Wir stellen uns dieser Aufgabe; Sie stellen einen Antrag. Sie von den Linken fordern in diesem Antrag ein neues Leitbild für die Arbeitsmarktpolitik. Was ist das? Die wesentlichen Grundsätze kamen mir extrem bekannt vor. Sie haben erfolgreich von der SPD abgeschrieben; ich finde das in Ordnung. Dabei geht es allerdings nur um die Grundsätze. Denn besser wäre gewesen, Sie hätten weiter abgeschrieben. Dann wären Sie zu Konkretionen gekommen, die eine ordentliche Politikgestaltung möglich machen würden. Aber Sie wären dann - um auf Aristoteles zurückzukommen - gefährlich nahe an das Mögliche in der Politik gekommen. ({5}) Wirkliche Sorgen bereitet mir Ihr offenkundig geringes Vertrauen in die Kraft der Tarifvertragsparteien und damit auch in die der Gewerkschaften in Deutschland. Wie ein roter Faden zieht sich das durch Ihre Anträge. Lesen Sie sich diese doch noch einmal durch! Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen weitere staatliche Regelungen, wo sie nötig sind, wie beim Mindestlohn. Aber wir setzen auf starke Gewerkschaften und auf kraftvolle Arbeitnehmervertretungen. ({6}) Überlegen Sie sich doch einmal, ob Sie nicht genau dieses Ziel infrage stellen, wenn Sie immer mehr Staat fordern, Herr Lafontaine! Zurück zu Ihren Anträgen, über die wir gleich abstimmen werden. Politik im Sinne Aristoteles, also die Polis, ist als Ganzes mehr als die Summe ihrer Teile; darin werden Sie mich bestätigen. Sehe ich mir die vorliegenden Anträge an und betrachte sie als Teile, sage ich: Sie haben versucht, Aristoteles zu widerlegen. Bei Ihnen ist die Summe, das Ganze, eben nicht mehr als all das Einzelne. Dies ist ein Ausdruck von Anscheinerweckungspolitik. Das halte ich für sehr schade. Gerade Sie, die dauernd für sich in Anspruch nehmen, sie seien die Einzigen, die das wirkliche Leben kennen würden, haben einen gewaltigen blinden Fleck. Der ist immer da, wo unsere Politik erfolgreich ist. Weil sie erfolgreicher werden wird, wird Ihr Fleck leider immer größer werden. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6698, 16/4909, 16/5677 und 16/5809 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlängern“. Der Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/5685, den Antrag der Fraktion die Linke auf Drucksache 16/3538 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Frak- tion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 19 f: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ausweitung und Stärkung des Kündigungsschutzes“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/5813, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2080 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion die Linke angenommen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- gesordnung um die Beratung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1675 mit dem Titel „Ver- mittlungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private Arbeitsvermittlung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms stärken“ zu erweitern und als Zusatzpunkt 7 im verein- fachten Verfahren zu überweisen. Sind Sie damit einver- standen? - Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 j sowie den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 7 auf: 24 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte ({0}) - Drucksache 16/6651 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVLGesetzes - Drucksache 16/6736 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - Drucksache 16/6737 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Missbrauch von Elektroschockgeräten verhindern - Drucksache 16/4446 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wiedereinführung der vollständigen Zuzahlungsbefreiungen für Versicherte mit geringem Einkommen im Wege der Härtefallregelung - Drucksache 16/6033 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({5}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Knoche, Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Konflikte zwischen Serbien und Kosovo-Albanern reduzieren - UN-Resolution 1244 uneingeschränkt umsetzen sowie faire und ergebnisoffene Verhandlungen ermöglichen - Drucksache 16/6034 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({6}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kretschmer, Ilse Aigner, Katherina Reiche ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nicht-kommerzielle klinische Studien in Deutschland voranbringen - Drucksache 16/6775 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({9}), Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Errichtung eines Freiheits- und EinheitsDenkmals - Drucksache 16/6776 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({10}) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Ulla Lötzer, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Telemediengesetz verbessern - Datenschutz und Verbraucherrechte stärken - Drucksache 16/6772 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11}) Ausschuss für Kultur und Medien Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk im Digitalzeitalter - Drucksache 16/6773 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private Arbeitsvermittlung stärken - Drucksache 16/1675 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 k auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 25 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wirksamen Schutz vor Passivrauchen im Arbeitsschutzgesetz verankern - Drucksachen 16/4761, 16/5586 Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5586, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4761 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 25 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({14}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ({15}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Überregulierung in der Sport- und Freizeitschifffahrt verhindern - zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther ({16}), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien - Drucksachen 16/5269, 16/5609, 16/6491 Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faße Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5269 mit dem Titel „Überregulierung in der Sport- und Freizeitschifffahrt verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktion und der Faktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6491 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5609 mit dem Titel „Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkte 25 c bis 25 k: Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 25 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 277 zu Petitionen - Drucksache 16/6615 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 277 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 25 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 278 zu Petitionen - Drucksache 16/6616 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 278 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Tagesordnungspunkt 25 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 279 zu Petitionen - Drucksache 16/6617 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 279 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 25 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 280 zu Petitionen - Drucksache 16/6618 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 280 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 25 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 281 zu Petitionen - Drucksache 16/6619 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 281 ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 25 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 282 zu Petitionen - Drucksache 16/6620 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 282 ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 25 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions ausschusses ({23}) Sammelübersicht 283 zu Petitionen - Drucksache 16/6621 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 283 ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDPFraktion. Tagesordnungspunkt 25 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 284 zu Petitionen - Drucksache 16/6622 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 284 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 25 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25}) Sammelübersicht 285 zu Petitionen - Drucksache 16/6623 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Sammelübersicht 285 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/ Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“ - Drucksache 16/6596 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({26}) - Drucksache 16/6816 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Ole Schröder Petra Hinz ({27}) Anna Lührmann Roland Claus b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007 ({28}) - Drucksache 16/6390 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Petra Hinz von der SPDFraktion. ({29})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, heute ist ein guter Tag für Familien und für Paare - das ist wichtig -, die über Familienplanung nachdenken und sie in die Tat umsetzen. ({0}) Mit der Einigung auf ein Finanzkonzept zwischen Bund und Ländern ist jetzt der Weg frei. ({1}) Wir beschreiten in der Familienpolitik einen kontinuierlichen Weg. Seit 1998 hat die SPD mit zusätzlichen Betreuungsangeboten, dem Elterngeld und Steuervorteilen für Kinderbetreuung eine Wende in der Familienpolitik eingeleitet. Bereits die damalige Familienministerin Renate Schmidt - ich denke, wenn wir heute alles zusammenfassen, gehört auch das dazu - hat für einen derartigen Durchbruch in der Kinderbetreuung gekämpft; sie hat den Weg freigemacht. ({2}) Dem Finanzminister, der Familienministerin und unseren Ländervertretern sei dafür Dank gesagt, dass sie schwierige Verhandlungen geführt haben und zu einer Einigung gekommen sind. ({3}) Mit dem Sondervermögen gehen wir weg von der direkten finanziellen Leistung hin zu Investitionen in Betreuungsangebote und Förderungsinstrumente, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und verbessern. Aber es geht ja um viel mehr als nur um die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im Fokus stehen dabei die Kinder. All die Projekte, die wir in anderen Bereichen fördern - Integration, Sprachförderung und alles, was dazugehört -, spiegeln sich in diesem Programm wider. Bund und Länder wollen den bestehenden Mangel an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren beheben und für eine durchschnittliche Versorgungsquote von 35 Prozent bis zum Jahr 2013 sorgen. Die gemeinsame Mühe - ich betone in diesem Fall das Wort „gemeinsam“ von Kommunen, Ländern und Bund lohnt sich. ({4}) Die Einzelheiten der Finanzhilfe werden in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt. Hier sind insbesondere folgende Punkte zu nennen: die Arten der zu fördernden Investitionen, die Art, Höhe und Dauer der Finanzhilfen, die Bereitstellung angemessener eigener Mittel durch die Länder, die Verteilung der Finanzhilfen an die betroffenen Länder sowie die Bewirtschaftung und Abrechnung der Finanzhilfen einschließlich des Nachweises der Verwendung und der Rückforderung von Mitteln. Die Frage, wie über die Abrechnung die Verwendung der Mittel nachvollzogen werden kann, war ja auch im Haushaltsausschuss immer wieder Gegenstand der Beratungen. Wenn wir das auf den Weg bringen und beschließen, haben wir die wesentlichen Eckpunkte für den Ausbau bis 2013 umgesetzt. Darüber hinaus wird der Bund als Betriebskostenbeteiligung bis 2013 1,85 Milliarden Euro und ab 2014 jährlich 770 Millionen Euro bereitstellen. Der Bund stellt dieses Geld im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern zur Verfügung. Im Rahmen der Ausschussberatungen wurde immer wieder gefragt, wie es denn sein könne, dass wir jetzt das Geld einmalig in Form der Auflegung eines Fonds investieren und es nicht sukzessive ausgeben. Ich denke, dass es das richtige Signal zum richtigen Zeitpunkt ist, wenn wir das, was wir jetzt zusätzlich an Steuern einnehmen, in Familien und in Kinder investieren. ({5}) Der Bundeshaushalt wird im Jahr 2007 einmalig - das sagte ich ja gerade - mit 2,15 Milliarden Euro belastet. Mit dem Nachtrag zum Bundeshaushalt 2007 werden derzeit dafür die haushaltsmäßigen Voraussetzungen geschaffen. Im Nachtrag zum Haushalt 2007 werden Anpassungen - ich sagte es gerade - bei den Steuereinnahmen sowie bei den Einnahmen aus Erlösen durch Veräußerung von Beteiligungen und aus der Verwertung von sonstigem Kapitalvermögen des Bundes vorgenommen. An dieser Stelle danke ich dem Finanzminister noch einmal dafür, dass die Gelder so intelligent eingesetzt werden. Denn es handelt sich um Investitionen in die Zukunft. Genau diese zu erhöhen, hat sich ja die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. ({6}) Die Vereinbarung stellt einen großen Durchbruch dar. Ich übertreibe nicht, wenn ich davon spreche, dass es sich um einen großen Durchbruch beim Thema Kinderbetreuung handelt. Für uns Sozialdemokraten und für die Koalition ist der Ausbau von Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten die familienpolitische Aufgabe Nummer eins, denn der Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten ist ein wirkungsvoller Schlüssel zur Verbesserung der Bildungs- und damit der Zukunftschancen unserer Kinder, zur Verbesserung der Integration von Kindern aus sozial benachteiligten Familien, zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein nachhaltiger Beitrag zur Armutsvermeidung. Es wäre aber zu schön, wenn ich hier heute nur Sekt und Wein ausgeben würde. Zeitgleich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird im Landtag von Nordrhein-Westfalen das KiBiz beschlossen. Hier geht es darum, dass diejenigen, die viel Geld haben, ihren Kindern mehr Betreuungszeit in Kindergärten kaufen können, während alle anderen das Nachsehen haben. ({7}) Das ist kontraproduktiv. Insofern sage ich: Wir können das angestrebte Ziel nur gemeinsam erreichen. ({8}) Petra Hinz ({9}) Gemeinsamkeit und Geschlossenheit müssen den Weg bestimmen. Dafür lohnt sich die Arbeit. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der FDP-Fraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hinz, es wäre ja schön gewesen, wenn während Ihrer Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen die entsprechenden Aufgaben auch wahrgenommen worden wären. Wer hat denn dort die mangelhafte Betreuung im Kleinkindalter zu verantworten? Doch nicht die jetzige Koalition aus Schwarz und Gelb, sondern die aus Rot und Grün, die vorher an der Macht war. ({0}) Herr Kampeter, ich nehme an, Sie werden Ihrem Koalitionspartner von dieser Stelle aus gleich sagen, wie segensreich es in Nordrhein-Westfalen für die Kinder dieser Welt aussieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Beurteilung der familienpolitischen Dringlichkeit der vorliegenden Pläne sind wir uns alle sehr einig. Ich hätte mich allerdings gefreut, wenn Frau von der Leyen angesichts der von uns allen erkannten Wichtigkeit des Themas heute auch anwesend wäre. ({1}) - Ich schätze den Staatssekretär; aber auch die Ministerin hätte etwas für diese Debatte übrig haben sollen. Wir schlagen Ihnen angesichts Ihres Ansatzes, nur für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zu schaffen, einen anderen Weg vor, um die Verbesserungen, die wir alle wollen, zu finanzieren. Sie richten - Frau Hinz hat es gerade dargestellt - ein Sondervermögen ein, das erst 2015 aufgelöst werden soll. Das ist aus unserer Sicht haushalterisch bedenklich, da wir keine Sondertöpfe wollen. Mit dem Nachtragshaushalt schaffen Sie für Ihr Vorhaben die rechtlichen Voraussetzungen. Wir kommen dann auf Ausgaben von 272,7 Milliarden Euro im Jahre 2007; das sind 4,4 Prozent mehr als im Vorjahr, Herr Steinbrück. Vor dem Hintergrund von 12 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen muss doch auch an Sie die Frage erlaubt sein, ob Ihr berühmter Dreiklang „Sanieren - Investieren - Konsolidieren“ nicht etwas schief klingt. Sie sparen nicht, Sie geben mehr aus, Herr Steinbrück. Sie nehmen erheblich mehr ein, aber Sie geben nicht einmal die Hälfte davon in den Abbau der Neuverschuldung. Sie schaffen einen Nebenhaushalt für eine Aufgabe, die klar bei Ländern und Kommungen liegt. Die FDP schlägt Ihnen einen treffsichereren und haushalterisch transparenteren Weg vor. ({2}) Unser Weg einer Erhöhung des Umsatzsteueranteils für die Kommunen um einen Prozentpunkt wäre haushalterisch klarer, lieber Kollege Kampeter, und das Geld käme direkt ohne den Umweg über die klebrigen Hände der Länder bei den Kommunen an. ({3}) Die Umsatzsteuerbeteiligung trägt auch der unterschiedlichen Ausstattung der Kommunen besser Rechnung. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, welche Barrieren die Länder beim Ganztagsschulprogramm aufbauten - Frau Kressl wird es gut in Erinnerung haben -, als Rot-Grün damals nicht den richtigen Weg vorgeschlagen hatte. Ansonsten ist schon heute klar, Herr Steinbrück, dass Sie mit dem Geld nicht auskommen werden. Der ursprünglich vorgesehene Finanzrahmen von 4 Milliarden Euro bis 2013 wird nicht eingehalten werden; Frau Hinz hat dies eben noch einmal bestätigt. Es wird teurer werden, und ab 2014 wird der Bund jährlich 770 Millionen Euro an die Länder zahlen. Das ist wichtig für uns; denn wir sind an und für sich Haushälter, die schon darauf achten, dass alles ordentlich gegenfinanziert wird. Aber auch hier haben Sie wieder keine Gegenfinanzierung im Haushalt, wohl aber eine Dauerfinanzierung. Diesen Weg sieht die FDP nicht als haushalterisch transparent an. Ich bin gespannt, Herr Steinbrück, ob Sie uns gleich erklären werden, wie Sie das Ganze begründen wollen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neben den familienpolitischen Dingen, die heute zu besprechen sind, haben wir noch ein weiteres zentrales Gesetzgebungsvorhaben auf der Tagesordnung, nämlich den Nachtragshaushalt für das laufende Jahr. Die Kollegen Schröder und Lehrieder werden für die Union zu den familienpolitischen Fragen noch Stellung nehmen. Ich erinnere Sie an den sogenannten Finanzgipfel im November des vergangenen Jahres. Der Finanzminister und die Koalitionsfraktionen sind damals nach hartem Ringen gemeinsam vor die Presse getreten und haben mitgeteilt, dass wir mit knapp 20 Milliarden Euro die niedrigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung vereinbart hatten. Wir fahren den laufenden Haushalt jetzt ein gutes Dreivierteljahr, und das Ergebnis dieser niedrigen Nettokreditaufnahme ist, dass die Wirtschaft wächst, die Steuern sprudeln, die BeschäftiSteffen Kampeter gung nahezu auf einen Nachkriegsrekord steigt und der Aufschwung an Breite gewonnen hat, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dies zeigt: Sparsamkeit ist eine der zentralen Quellen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand in unserem Land. Wir legen heute einen Nachtragshaushalt vor, der dies noch weiter nach vorn treibt. ({0}) Es wird deutlich: Die Menschen profitieren von diesem Aufschwung. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und vor allen Dingen die Familien und die nachfolgenden Generationen werden entlastet; denn für Schulden, die man nicht macht, sind keine Zinszahlungen fällig. Der Nachtragshaushalt, den wir heute vorlegen, beinhaltet eine Nettokreditaufnahme von rund 14 Milliarden Euro. Das sind immer noch 14 Milliarden Euro zu viel. ({1}) Aber es wird deutlich: Wir halten Kurs. Unser Ziel ist, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. ({2}) Mittelfristig wollen wir für einen Abbau der Staatsverschuldung und damit für einen Abbau der Lasten der nachfolgenden Generationen sorgen. ({3}) Der vorliegende Nachtragshaushalt ist auch ein Signal, dass wir die Konsolidierung und die Reformpolitik fortsetzen. Um unser Ziel, einen strukturell und dauerhaft ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, zu erreichen, ist die Fortsetzung von Konsolidierung und Reformpolitik erforderlich. Hier haben wir noch einen langen und beschwerlichen Weg vor uns. Ich will nicht verhehlen, dass ich drei Kreuze mache, wenn der Parteitag der SPD, der an diesem Wochenende stattfindet, vorbei ist. ({4}) Der Ansatz, den die Union bei ihrer Reformpolitik verfolgt, lautet: Sozial ist, was Beschäftigung schafft. Deswegen ist es für einen Haushälter eine klare Ansage, dass wir die Beschäftigung fördern, indem wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter konsequent senken. ({5}) Nur durch diese Maßnahme ist es uns gelungen, die öffentlichen Haushalte wieder auf Kurs zu bringen. Der Anstieg der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland ist nämlich ein Beitrag zur Entlastung der öffentlichen Kassen. Wir wollen die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung konsequent fortsetzen. Es ist erfreulich, dass jetzt auch Herr Müntefering zugestimmt hat, diesen Beitragssatz in einem nächsten Schritt auf 3,5 Prozent zu senken. Wir wollen dieses Geld nicht aus dem Fenster schmeißen, sondern es den Menschen, die hart dafür gearbeitet haben, zurückgeben und dadurch mehr Beschäftigung in Deutschland ermöglichen. ({6}) Ich wiederhole: Sozial ist, was Beschäftigung schafft. Was die Haushaltspolitik der Union betrifft, ist allerdings noch ein zweiter Punkt von Bedeutung: der verantwortungsvolle Umgang mit den Einnahmen aus Steuern und Beiträgen. Das bedeutet, wir müssen den Dschungel der vielen steuer- und beitragsfinanzierten arbeitsmarktpolitischen Instrumente lichten. Wir wollen dieses Geld für die Beschäftigungspolitik verwenden, um mehr Brücken in Beschäftigung zu bauen. Dass es zu einem Wildwuchs von über 70 derartigen Instrumenten gekommen ist, ist eine Sünde an denjenigen, die dafür zahlen müssen. Wir brauchen eine Konzentration auf die tatsächlich wirksamen Instrumente; denn sozial ist, was Beschäftigung schafft. Diese Instrumente wollen wir in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode konzentriert stärken und fördern. Das ist bei der Haushaltskonsolidierung das Credo der Union. ({7}) Ich will keinen Zweifel daran lassen, dass eine Reformpause nach unserer Auffassung nicht nur der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch den Menschen in unserem Land insgesamt schaden würde. Wir wissen, dass in den vergangenen Jahren - nicht nur von dieser Regierung, sondern auch von der Vorgängerregierung eine Reihe von Beschlüssen gefasst wurden, die von den Menschen nicht nur positiv aufgenommen wurden. Insbesondere am Anstieg der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse ist aber zu erkennen, dass der Aufschwung inzwischen bei vielen Menschen angekommen ist, ({8}) dass breite Teile der Bevölkerung in den Genuss der Reformdividende kommen ({9}) und dass dieser Aufschwung ein Aufschwung für alle ist. ({10}) Nur dann, wenn wir diesen Aufschwung unterstützen und die Reformen in diesem Land vorantreiben, können wir für die Menschen auch weiterhin Arbeit und Wohlstand in Deutschland sichern. Dafür werden wir uns in der Koalition gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einsetzen. ({11}) An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen: Die Reformpolitik muss fortgesetzt werden; das ist das eine. Aber wir müssen auch die Risiken, die jetzt auftauchen, beachten; das ist das andere. ({12}) Wir dürfen nicht im Blindflug handeln ({13}) und davon ausgehen, dass sich diese positive Entwicklung ohne weiteres Zutun von unserer Seite fortsetzt. ({14}) Ich will nicht verschweigen, dass die Senkung der Wachstumsprognose für das nächste Jahr von 2,4 auf 2,0 Prozent eine Herausforderung für die Haushaltskonsolidierung und für diesen Nachtragshaushalt ist. Denn das heißt nichts anderes, als dass wir mit geringeren Steuereinnahmen rechnen müssen. Auch will ich nicht verschweigen, dass ich in Sorge bin, was die Preisentwicklung in diesem Land angeht. ({15}) Die Entwicklung der Preise stellt für viele Familien, über die wir heute ja auch reden, eine große Herausforderung dar. Wir müssen die Inflation im Auge behalten; das ist ein ganz wichtiges Thema. Das gilt auch im Hinblick auf die möglichen Zinssteigerungen, die angesichts der enormen Schuldenlast des Bundeshaushalts auf uns zukommen, und zwar auch dann noch, wenn wir den Haushalt ausgeglichen haben. Diese Risiken dürfen wir nicht ausblenden. Das bedeutet, wir dürfen jetzt nicht die Spendierhosen anziehen, sondern müssen die Sparstrümpfe anbehalten. Das signalisiert auch Peer Steinbrück mit der Vorlage dieses Nachtragshaushaltes. Sparstrümpfe statt Spendierhosen, nur so sichern wir Wohlstand und Arbeit in diesem Land. ({16}) Wir werden den Gegensatz von Spendieren und Sparen im Rahmen dieser Debatte wieder erleben. Der Kollege Fricke, der gleich reden wird, wird uns vorwerfen, es werde nicht genug gespart. In der nächsten Woche wird dann der Kollege Solms - nicht wie jetzt in seiner Funktion als Präsident, sondern in seiner Funktion als Finanzexperte seiner Fraktion - das Gegenteil fordern, nämlich dass wir die Steuern senken. ({17}) Beides klingt populär. Nur, wenn Sie auf der einen Seite fordern, dass die Steuern gesenkt werden, aber gleichzeitig so tun, als gebe es Nullverschuldung zum Nulltarif, dann ist das liberaler Populismus. Dieses Spiel werden wir als Union nicht mitmachen. So kann verantwortete Freiheit nicht wirken. ({18}) Die Aussage ist bei den Linken zwar eine etwas andere, nicht aber in der Qualität. Wir haben schon von den Talkshow-Sozialisten gesprochen. Es ist einfach, in der Talkshow den Leuten das Blaue vom Himmel - in diesem Fall: alle Wohltaten dieser Welt, wenn sie sich unter der roten Fahne versammeln - zu versprechen. Doch wenn man ihnen nicht sagt, woher das Geld dafür kommen soll, dann unterscheidet sich der Linkspopulismus vom Liberalpopulismus überhaupt nicht. Er ist verantwortungslos, er ruiniert die Grundlagen von Arbeit und Wohlstand und führt nicht zu einer positiven Entwicklung in diesem Land. ({19}) Die Union will eine gute Entwicklung im Interesse der Menschen, die in diesem Land fleißig arbeiten wollen und das Wirtschaftswachstum voranbringen. Das ist unser Ziel. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kampeter, ich will Ihnen Zeit geben, einmal Luft zu holen. Sind Sie bereit, dem Kollegen Fricke Gelegenheit zu einer Zwischenfrage zu geben?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege Fricke kann mir gleich antworten, wenn er selber spricht; er hat ja genügend Redezeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich kann Ihnen von dieser Stelle aus nicht antworten. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Solms, wir werden das bei Gelegenheit auf die Reihe kriegen. Wie ich Sie beide intellektuell und haushaltswirtschaftlich verantwortlich zusammenführe, das wird eine große Aufgabe, will ich einmal sagen. ({0}) Ich will schließen. Dieser Nachtragshaushalt hat nicht nur die Komponente „Sparen und die Schulden runter!“; dazu werden, wie gesagt, andere Kollegen meiner Fraktion etwas sagen. Wir investieren - das ist mir wichtig in Familien. Wir Haushaltspolitiker wissen eines: Sparen ist wichtig; aber man darf wichtige gesellschaftspolitische Zielsetzungen nicht vergessen. ({1}) Deswegen ist der Dreiklang von Konsolidierung, Reformen und Investitionen - in diesem Fall Investitionen in die Zukunft der Familien - wichtig. Er ist ein Herzensanliegen von Ursula von der Leyen, ({2}) von Peer Steinbrück, ja von der Großen Koalition insgesamt. Nur wenn wir beides machen: für die Kinder sparen - weil auf Schuldenbergen keine Kinder spielen können - und gleichzeitig die Entscheidung für Familie und Beruf erleichtern, wird es in diesem Land weiter aufwärts gehen. Wachstum, Arbeit und Wohlstand bekommt man nur mit dieser vernünftigen Politik. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Kampeter, Sie werden im Laufe meiner Rede erfahren, woher wir das Geld nehmen wollen. Zunächst einmal zum Finanzminister. Herr Steinbrück, ich habe den Eindruck, Sie verstehen die Welt und Ihre Partei nicht mehr. Da bauen Sie die Neuverschuldung ab; doch keiner ist so richtig bereit, das zu honorieren. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die Schulden werden auf Kosten der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der Rentner, der Alleinerziehenden und der Familien abgebaut. Die meisten Menschen haben immer weniger Geld in der Tasche. Das ist eine Politik, die nicht in Ordnung ist. ({0}) Diese Frage, warum nur diese Leute den Gürtel enger schnallen sollen, ist natürlich berechtigt, und die Antwort ist einfach: Die SPD hängt noch dem Modell der 70er-Jahre an. ({1}) Demnach muss die Regierung die Konzerne und die Besserverdienenden nur ausreichend steuerlich entlasten, dann wird mehr investiert und mehr konsumiert, und dann fallen auch ein paar Krumen für den kleinen Mann ab - so denkt die SPD. Doch der Reichtum sickert nicht mehr durch, wie das noch in den 70er-Jahren der alten Bundesrepublik möglich war. Wer uns veraltete Politik vorwirft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der sollte erst einmal die eigenen Konzepte genau prüfen. ({2}) Mit der Agenda 2010 haben es SPD, CDU/CSU und Grüne geschafft, die Gesellschaft undurchlässiger zu machen. Die Reichen werden reicher und geben von ihrem Reichtum immer weniger ab. Dafür, dass dies so bleibt, garantiert diese Bundesregierung der Großen Koalition. Auch wenn Herr Beck Änderungen der Agenda 2010 angekündigt hat, ändert diese Ankündigungspolitik doch nichts daran, dass die Umverteilung von unten nach oben fortgesetzt wird. Bestes Beispiel dafür ist die geplante Erbschaftsteuer. SPD und CDU/CSU haben in der Koalitionsvereinbarung die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer gedeckelt. Wir brauchen aber eine höhere Erbschaftsteuer. Wir brauchen höhere Einnahmen, um die Abgabenbelastung der Menschen, die arbeiten, zu senken. ({3}) Das ist nicht nur eine Forderung der Linken, sondern auch eine der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD. Deutschland gehört innerhalb der OECD zu den Ländern, die das Vermögen am wenigsten belasten. Wir als Linke fordern daher ein Steuersystem, durch das wieder stärker die belastet werden, die in fetten Jahren zu Reichtum gekommen sind; denn das sind doch dieselben, die den Staat noch heute gerne für alles in Anspruch nehmen, dafür aber keine Steuern zahlen wollen. Was klagen die Unternehmerverbände über die schlechte Ausbildung von Schülern! Was klagen die Unternehmerverbände über den Zustand der Straßen und die unterfinanzierten Universitäten! Das sind die gleichen Verbände, die unablässig Steuersenkungen für Unternehmen fordern. Ich finde, eine sozialdemokratische Partei, die diesen Namen verdient, sollte dieser Politik nicht folgen. ({4}) Schauen wir uns die Ausgabenseite des Bundeshaushaltes an, dann sehen wir dort das gleiche Prinzip wie bei den Einnahmen: Umverteilung von unten nach oben. Es ist doch ein Skandal, dass der Staat 8,5 Milliarden Euro jährlich aufwenden muss, um Lohnkostenzuschüsse zu zahlen. Unternehmen bezahlen ihre Beschäftigten so schlecht, dass diese davon nicht leben können. Dieses Geld könnten wir sofort einsparen und sinnvoller verwenden - zum Beispiel in die Kinderbetreuung investieren -, wenn die Bundesregierung den gesetzlichen Mindestlohn endlich durchsetzen würde. ({5}) Meine Damen und Herren, wir sprechen über den Nachtragshaushalt und das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“. ({6}) Dazu hat meine Kollegin Diana Golze während der ersten Lesung die wichtigsten Argumente der Linken vorgetragen. ({7}) - Alle Argumente von Frau Golze waren richtig. Sie haben sie augenscheinlich nicht verstanden. ({8}) Es ist zu begrüßen, dass die Ministerin von der Leyen die 40-jährige Vernachlässigung der Kinderbetreuung in den alten Ländern nun endlich beenden will. ({9}) - „40 Jahre“ ist offenbar ein gutes Stichwort. - Allerdings ist jedem klar, dass die Investitionen in Kita-Plätze allein nicht ausreichen. Wir brauchen für die Kinder Erzieherinnen und Erzieher, die eine entsprechende fachliche Ausbildung haben. Hier tut sich eine große Lücke auf, die geschlossen werden muss. ({10}) - Bei den Ländern, Herr Kollege. - Es kann doch nicht sein - augenscheinlich wird darauf spekuliert -, dass Politiker aus den alten Ländern einfach auf die Abwanderung von qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern aus dem Osten hoffen. Dagegen werden wir uns zur Wehr setzen. ({11}) Bemerkenswert finde ich übrigens einen kurzen Satz in der Begründung des Nachtragshaushaltes. Ich darf zitieren: „Kosten für die Wirtschaft entstehen dadurch nicht.“ ({12}) Das ist doch erstaunlich, wenn man bedenkt, dass gerade die Wirtschaft von den neuen Kita-Plätzen profitieren wird. Für die Wirtschaft erschließt sich ein Arbeitsmarkt von qualifizierten Frauen, die teilweise den Mangel an Arbeitskräften ausgleichen sollen, der sich aus der demografischen Entwicklung ergibt. Schade, dass Frau von der Leyen nicht da ist - das wurde schon allgemein bedauert -, aber Herr Kues kann das ja ausrichten. Hat Frau von der Leyen den Versuch unternommen, Unternehmen für die Mitfinanzierung von Kita-Plätzen wirklich in die Pflicht zu nehmen? Diese Frage können Sie nur mit Nein beantworten. Darum fordere ich Sie auf - Herr Kues, richten Sie das bitte Ihrer Ministerin aus -: Unternehmen müssen für die Mitfinanzierung von Kita-Plätzen in die Pflicht genommen werden. Damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt meiner Rede. Die Bundesregierung versteht sich immer nur als Dienstleister für die Unternehmen und wendet das Prinzip Fordern und Fördern nur auf Arbeitslose, nicht auf Unternehmen an. Das muss sich endlich ändern. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Anja Hajduk von Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich habe schon gestern in der Debatte zur Arbeitsmarktpolitik festgestellt: Wenn sich die öffentlichen Kassen positiv entwickeln, dann lässt die Qualität der Politik dramatisch nach. Ich glaube, das kann und muss man auch eingangs dieser Debatte feststellen. Schon vor einem Jahr wurde die bessere konjunkturelle Situation von der Bundeskanzlerin als Begründung dafür genutzt, strukturell bedingte Mehrausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung über die Steuermehreinnahmen zu finanzieren. Die Diskussion, wie die besonders gute finanzielle Lage der Bundesagentur für Arbeit genutzt werden kann, führt jetzt in der SPD, aber anscheinend auch in der CDU/CSU zu Überlegungen, angesichts dieser vollen Kassen der Bundesagentur die strukturellen Reformen am Arbeitsmarkt zurückzudrehen. Ich bedaure es, Herr Minister Steinbrück, dass Sie sich nicht durchsetzen konnten, in diesen Fragen eine Politik zu formulieren, die die Chance einer guten Entwicklung nutzt, um auch in guten Zeiten die Grundlagen für eine gute, nachhaltige und solide Haushaltsstrategie zu schaffen. ({0}) - Ich kann Ihnen erläutern, wieso das nicht gelingt, wenn Sie schon danach fragen. Wenn Sie die politischen Ziele im Arbeitsmarktbereich - dazu gehören auch die Sonderausgaben, die Sie der Bundesagentur für Arbeit zuweisen wollen -, die Sie in diesem Haushalt durchzusetzen beabsichtigen, tatsächlich umsetzen und wenn die Arbeitslosigkeit bzw. die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem heutigen Niveau stagniert - gehen wir einmal von diesem Szenario aus -, dann wird sich die positive Situation, dass Überschüsse erzielt werden, umkehren, und die BA wird nächstes Jahr wieder mit 4 Milliarden Euro in die Miesen rutschen. Darauf habe ich schon gestern hingewiesen. Setzen Sie sich einmal damit auseinander! ({1}) Ich komme nun zum Thema der heutigen Debatte. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist eine Aufgabe, bei der wir die Regierung ausdrücklich unterstützen. Es gibt keine Differenz in der Bewertung, dass die damit verbundenen Ausgaben notwendig sind und eine Investition in die Zukunft bedeuten. ({2}) Wir hätten uns aber gewünscht, dass Sie eine andere Form der Finanzierung wählen, die ich für naheliegend halte. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie durch eine - wohlgemerkt verfassungskonforme - Reform des Ehegattensplittings ({3}) 5 Milliarden Euro Mehreinnahmen erzielen, damit zum einen der Bund seine Aufgaben finanzieren kann, die in der Kinderbetreuung vorrangig im investiven Bereich liegen, und zum anderen die Länder und Kommunen die notwendigen Betriebskosten tragen können. ({4}) Sie haben ein Finanzierungsmodell gewählt - damit komme ich wieder zu Ihnen, Herr Minister Steinbrück -, mit dem Sie einerseits im Jahr 2007 Investitionszuschüsse zur Seite legen - darauf komme ich noch zu sprechen - und andererseits in Zukunft das Verhältnis von Länder- und Bundeseinnahmen bzw. -ausgaben - das betrifft die sogenannten Deckungsquoten - bei der Umsatzsteuerverteilung zulasten des Bundes verschieben. Das ist Ihr Finanzierungsvorschlag für die dauerhafte Beteiligung des Bundes an den laufenden Kosten der Betreuung. Ich finde, dass das nicht nur ein schlechter Kompromiss für den Bund ist; vielmehr widerspricht es auch Ihren eigenen Aussagen in der Föderalismuskommission zu dem Verhältnis der Ausgabenbelastung zwischen Bund und Ländern. Deswegen ist das aus haushalterischer Sicht ein fauler Kompromiss. ({5}) Wir haben uns gefragt, warum der Finanzminister die Errichtung eines Sondervermögens in 2007 mitträgt. Wir halten es für rechtlich fraglich, dass eine Ausgabe, die im laufenden Haushaltsjahr 2007 nicht ansteht, in einen Nachtragshaushalt aufgenommen wird. ({6}) - Wir haben den Nachtragshaushalt gefordert, als wir den Eindruck hatten, Sie würden das Parlament überhaupt nicht befassen. ({7}) Diese Regierung hat sich zu der Idee verstiegen, das Sondervermögen möglicherweise einzurichten, ohne das Parlament zu befassen. In der Tat, da haben wir gesagt, das hielten wir für falsch. ({8}) Wenn wir aber jetzt überprüfen, was Sie vorhaben, dann kommen wir zu dem Schluss: Es ist rechtlich höchst fragwürdig, dass eine Ausgabe, die in diesem Jahr gar nicht anfällt, in diesen Nachtragshaushalt gepackt wird. Warum macht Herr Steinbrück das? Herr Steinbrück braucht ein Marketing, dass bitte schön die Kreditaufnahme in diesem Jahr nicht so deutlich sinkt. ({9}) Frau Flach hat völlig recht. Wir haben Steuermehreinnahmen in Höhe von 12 Milliarden Euro. Früher haben Herr Kampeter oder Herr Schneider gesagt, dass Steuermehreinnahmen zur Senkung der Nettokreditaufnahme genutzt werden müssen. Nun stecken Sie weniger als 50 Prozent, weniger als die Hälfte des Steuersegens, in die Rückführung der Verschuldung. Das ist in einem konjunkturell guten Jahr keine überzeugende Haushaltspolitik. Mit Blick auf die Zukunft ist es ein großes Risiko und verantwortungslos, Herr Steinbrück. ({10}) Ich komme am Ende meiner Rede auch auf die größere haushaltspolitische Strategie zu sprechen. Im Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute wird darauf hingewiesen, dass sich die konjunkturellen Risiken mit Blick auf die Zukunft erhöht haben. Heute kommt der Hinweis, dass sich der IfO-Geschäftsklimaindex zum fünften Mal in Folge deutlich abgekühlt hat. Angesichts dieses Hinweises muss man doch Ernst machen mit einer Haushaltspolitik, die in der jetzt noch guten, stabilen Situation die bestmögliche Vorsorge für schwierigere Zeiten trifft. Das aber tun Sie nicht. In einem wirtschaftlich noch guten Jahr steigern Sie die Ausgaben mit diesem Nachtragshaushalt von 3,6 auf 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist, gerade mit Blick auf den Konjunkturverlauf, keine stimmige, sondern absurde Politik. ({11}) Deswegen mahne ich Sie, Herr Steinbrück. Vielleicht haben Sie nicht mehr so viel Zeit. Es ist verantwortungslos, dass Sie den Haushaltsausgleich künstlich in das Jahr 2011 verschleppen wollen. Die jetzigen Wirtschaftsdaten mahnen dazu, den Haushalt so schnell wie möglich strukturell auf die Nulllinie zu bringen. Deswegen erwarte ich von den Regierungsfraktionen, der CDU/CSU und der SPD, dass sie im laufenden Haushaltsverfahren für das Haushaltsjahr 2008 - da sind wir ja mitten in der Arbeit - die Weichen dafür stellen, dass wir konsequenter und wirklich sparsamer sind, Herr Kampeter, und nicht in guten Zeiten noch ordentlich Geld ausgeben. Das ist nämlich das, was Sie aktuell tun. Sie sind nicht verantwortungsvoll. Das werden wir Ihnen in den Debatten, die wir in diesem Herbst führen werden, immer vor Augen halten. Danke schön. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Lötzsch, da Sie meine Selbstdisziplin auf der Regierungsbank in Ihrer Rede auf das Äußerste herausgefordert haben, ({0}) will ich eine kurze Replik machen. Es reicht auf Dauer einfach nicht, diese Vorurteilsleier von Bonzen, Konzernen, Besserverdienenden und Steuergeschenken in diesem Saal immer zu wiederholen, ({1}) um deutlich zu machen, dass die Politik falsch liegt oder sozialdemokratisch nicht zu begründen ist. Wenn Sie einmal von diesem Pult aus nicht nur über die Verteilung reden würden, sondern auch über die Erbringung, die Erwirtschaftung von Leistungen, die erst eine Verteilung möglich macht, ({2}) wenn Sie einmal in diesem Haus über die Entstehungsseite des Bruttosozialprodukts reden würden, dann wäre das eine intellektuelle Anregung, die mir das Zuhören bei Ihren Reden erleichtern würde. ({3}) Die Leichtfüßigkeit, mit der Sie hier über Staatsschulden reden und mit der Sie auch bereit sind, für die Verwirklichung Ihrer Vorschläge eine Erhöhung der Staatsschulden in Kauf zu nehmen, ist unverantwortlich. ({4}) - Aber selbstverständlich! Mit dem, was Sie vorschlagen, nehmen Sie billigend in Kauf, dass die Staatsverschuldung immer höher wird. Wenn Sie sich einmal intellektuell auch der Vorstellung nähern könnten, dass eine Erhöhung der Unternehmensbesteuerung - so wie Sie sich das vorstellen, wahrscheinlich von 40 bis 50 Prozent - dazu führen könnte, dass die Steuereinnahmen, die zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben zur Verfügung stehen, geringer sind, dann wäre das ebenfalls ein Fortschritt in der parlamentarischen Debatte. ({5}) Aber solange ich Ihnen folgen durfte, ist das nicht vorgekommen. Ich habe keinen großen Optimismus, dass sich das in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ändern wird. ({6}) Ich will auf den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“ nicht näher eingehen; denn darüber haben wir schon vor knapp zwei Wochen diskutiert. Nur so viel: Ich finde nach wie vor, dass das ein großer Fortschritt ist. Frau Flach, ich habe den Eindruck, dass die FDP am wenigsten zur Förderung der Betreuungsplätze in dieser Republik beigetragen hat. ({7}) Das eigentliche Thema ist heute der Nachtragshaushalt - er ist die haushaltsrechtliche Voraussetzung für die Errichtung des Sondervermögens -, mit dem wir 2,15 Milliarden Euro einbringen, weil wir in diesem Jahr - darum muss man nicht lange herumschwafeln - Liquiditätsüberschüsse haben. Ich finde, es ist eine richtige und gute Maßnahme, einen Teil davon als Investitionsförderung in ein solches Sondervermögen einzubringen. Das ist verfassungsrechtlich völlig in Ordnung. ({8}) Frau Hajduk, schenken Sie mir bitte Ihr Ohr für eine gewisse Zeit. Der ständig, geradezu inflationär erhobene Vorwurf, dies sei verfassungswidrig, bringt uns nichts. Wir haben gelegentlich solche Sondervermögen eingerichtet. Es gibt nach wie vor Sondervermögen. Insofern macht es keinen Sinn, diesen Vorwurf immer zu wiederholen, das mit einem verfassungsrechtlichen Bannstrahl zu belegen und in Abrede zu stellen. ({9}) Es ist völlig richtig, dass man den Kommunen über die Bundesländer nicht Einnahmen aus einem Umsatzsteuerpunkt, wie Frau Flach es gerne möchte - darauf komme ich gleich zu sprechen -, sondern einen Pauschalbetrag zur Deckung der Betriebsausgaben gibt. Verfassungsrechtlich ist ein anderer Weg nicht denkbar, weil die Kommunen nicht Teil des Bundes sind, sondern der Länder. ({10}) Gleichzeitig die Verwendung der Mittel auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung zu kontrollieren, damit es nicht zu „klebrigen Fingern“ kommt, wie ich es gelegentlich nenne - die Empirie spricht leider dafür, dass die Bundesländer gelegentlich der Versuchung erliegen, Mittel nicht für die vorgesehenen Zwecke zu verwenden -, ({11}) ist ebenfalls ein richtiger Vorschlag, wie ich finde. Wenn ich dem Vorschlag von Frau Flach folgte, den Kommunen Einnahmen aus einem Umsatzsteuerpunkt zu geben, müsste ich mit dem Klammerbeutel gepudert sein, ({12}) weil die Bundesländer dann an der Dynamik der Einnahmen aus dem Umsatzsteuerpunkt zulasten des Bundeshaushaltes partizipierten. Das heißt, dieser Vorschlag von Frau Flach richtet sich eindeutig gegen die Interessenlage des Bundeshaushaltes. ({13}) Und das schlägt eine Bundestagsabgeordnete vor! ({14}) Was machen wir mit dem Nachtragshaushalt? Dieser Nachtragshaushalt ist sehr schlank und hat nichts mit der Verschleuderung von Geld zu tun, wie Sie insinuieren. Er besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten. Die erste Komponente ist die Errichtung eines Sondervermögens zur Finanzierung von Investitionen in Kinderbetreuungsplätze. Die zweite Komponente betrifft die Nettokreditaufnahme. Sie geht um 5 Milliarden Euro zurück. Die dritte Komponente ist: Wir verschieben EinBundesminister Peer Steinbrück maleffekte in die Zukunft, was nicht unvernünftig ist. So setzen sich die 12 Milliarden Euro zusammen. ({15}) Können Sie mir eine Stelle nennen, an der wir Geld hinauswerfen oder unseren haushaltspolitischen Überzeugungen widersprechen? Ihre Behauptungen stimmen nicht. Die Nettokreditaufnahme geht um 5 Milliarden Euro zurück. 4,7 Milliarden Euro an Einmaleffekten werden in die Zukunft verschoben. Das heißt, wir haben weiter Speck in unserer Vorratskammer liegen. 2,15 Milliarden Euro werden in das Sondervermögen eingebracht. Das sind die drei Komponenten. Nun rate ich allerdings dazu, es dabei zu belassen. Ganz richtig, Herr Kampeter, ich unterstütze sehr Ihre Aussage: Wir sollten die Sparstrümpfe und nicht die Spendierhosen anziehen. Wir sollten diesen Nachtragshaushalt nicht als Gelegenheit nutzen, um zum Beispiel ein weiteres Sondervermögen einzurichten oder andere Dinge zu tun, die vielleicht wünschenswert wären. ({16}) Man sollte vorsichtig sein und nicht in Weimar oder anderswo etwas in Aussicht stellen; denn das setzte ein Signal, das der Koalitionspolitik ziemlich widerspräche. Es stünde zudem in einem gewissen Missverhältnis zu Ihren Aufforderungen vom Sommer dieses Jahres, der Steinbrück solle eigentlich noch viel mehr tun. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir sollten eine missverständliche Signalwirkung gemeinsam verhindern. ({17}) Frau Hajduk, es geht auch nicht um Rosinenpickerei. Die Funktion eines Nachtragshaushaltes ist, Gelder zur Deckung eines Mehrbedarfs zu bewilligen, wozu die Bundesregierung keine Haushaltsermächtigung hat. Die Funktion eines Nachtragshaushaltes ist keineswegs, zeitnah Haushaltsveränderungen, bezogen auf diverse Titel, zu vollziehen. ({18}) - Das haben Sie öffentlich zumindest insinuiert, als Sie gesagt haben, der Steinbrück hätte eigentlich die Mindereinnahmen des Bundeshaushaltes aus der Absenkung des Aussteuerungsbetrages der BA berücksichtigen müssen. ({19}) - Sehen Sie! Aber das muss ich nicht. - Ich kann Ihnen heute sagen: Die Mindereinnahmen werden in diesem Jahr erkennbar durch Entlastungen an anderer Stelle überkompensiert. Es ist nicht die Funktion eines Nachtragshaushaltes, sozusagen titelscharf, im Sinne von Wasserstandsmeldungen, auf Veränderungen zu reagieren. Dann müssten wir monatlich solche Debatten führen. Stellen Sie sich das einmal vor! Frau Lötzsch hätte dann Gelegenheit, das zu wiederholen, was sie heute gesagt hat. ({20}) Das ist nicht die Funktion eines Nachtragshaushaltes. Letzte Bemerkung: Ja, es gibt bestimmte Risiken, und es wäre sträflich, dies uns selber und den Wählerinnen und Wählern, den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes nicht deutlich zu machen. Ich rate nur dazu, in der öffentlichen Debatte nicht wieder von einem Extrem ins andere zu fallen. ({21}) Wir sind sehr vorsichtig. Das Herbstgutachten der Sachverständigen geht von 2,2 Prozent Wachstum für nächstes Jahr aus. Herr Glos und ich sagen: Lasst uns noch vorsichtiger sein - getreu der alten Devise: konservative Schätzungen - und von 2,0 Prozent ausgehen. Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor in einer Aufschwungphase. Wir sollten sie nicht zerreden, ungeachtet der Risiken, die man beim Namen nennen muss. Bei einem Wachstum von 2 Prozent hätten wir uns vor zwei oder drei Jahren vor Freude einen Kuchen gebacken. Schon aber zerreden wir das Ganze wieder. ({22}) Der Neigungswinkel der Wachstumskurve verändert sich etwas. Das sollten wir bei unseren Haushaltsberatungen berücksichtigen. ({23}) Aber bitte fallen Sie nicht schon wieder von „himmelhoch jauchzend“ auf „zu Tode betrübt“ zurück, und verwirren Sie nicht sämtliche Menschen in diesem Land mit der Bemerkung, dass sich die gesamtwirtschaftliche Lage geändert hat. Sie hat sich nicht geändert, aber wir müssen uns sehr bewusst sein, dass es bestimmte Risiken gibt, die auch aus den Finanzmarktturbulenzen resultieren, die mir in der letzten Woche anlässlich des IMF-Treffens in Washington geschildert wurden. Vielen Dank fürs Zuhören. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Fricke von der FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Steinbrück, als Erstes kurz zu der Kinderbetreuung: Haben Sie eigentlich einmal nachgeschaut - Sie sagten, die FDP habe da nichts gemacht -, um wie viel Prozent die Zahl der Plätze für die Betreuung unter Dreijähriger in dem Land, in dem Sie Ministerpräsident waren, gestiegen ist? Das bewegt sich im zweistelligen Prozentbereich. Das heißt, all das, was Sie mit den Grünen in NRW damals gemacht haben, wird von einer Regierung unter Beteiligung der FDP in erheblichem Maße getoppt. ({0}) - Die Zahlung vom Bund ist doch noch gar nicht da, haben Sie gerade gesagt, sie kommt doch erst noch. ({1}) Was den Mehrwertsteuerpunkt angeht, so sage ich, dass jemand wie Sie, Herr Steinbrück, der gegen einen Schachweltmeister 34 Züge macht, doch so intelligent ist, dass er weiß, dass er in der Lage ist, eine Formulierung dafür zu finden, dass an der Steigerung keine Beteiligung erfolgt, es aber einen Anteil an der Mehrwertsteuer gibt. Auch Sie können doch nicht garantieren, dass die 770 Millionen Euro, die Sie demnächst geben werden, auf ewig festgeschrieben sind. Sie werden eine entsprechende Anpassung vornehmen. Reden Sie also nicht so, als wären wir diejenigen, die falsche Vorschläge machten, obwohl wir vor Ort bewiesen haben, dass wir bei der Betreuung von Kindern, gerade bei den unter Dreijährigen, bei denen der größte Handlungsbedarf besteht, erfolgreich arbeiten. ({2}) Es ist im Übrigen schön, Herr Steinbrück, dass sich die Regierung doch imstande sah, nach der Mahnung der FDP und der Grünen diesen Nachtragshaushalt vorzulegen. Wir sind froh, dass es einen solchen Haushalt gibt, weil er im Grundsatz zeigt, wohin die Entwicklung geht, wiewohl ich glaube, dass wir noch gegen Ende des Jahres erleben werden, dass sich mehrere Posten in Milliardenhöhe im Haushalt nicht so abbilden, wie uns das die Große Koalition gegenwärtig glauben machen will. ({3}) Nur, dieses Land ist an einem Wendepunkt. Wenn das Fenster zugehen sollte, was keiner will - keiner will die Entwicklung kleinreden -, dann wird diese Große Koalition mit dem Vorwurf leben müssen, dass sie eineinhalb bis zwei Jahre eine Chance hatte, diese im ersten halben Jahr nicht bemerkt hat, im zweiten halben Jahr überlegt hat, was sie machen soll, im dritten ein bisschen gemacht hat und es im vierten Halbjahr wieder zu Ende war und die SPD, um einen Sargnagel draufzuhauen, einen Bundesparteitag gemacht hat. Das ist das, was uns droht. ({4}) Es gibt dunklere Wolken am Horizont. Die müssen nicht unbedingt zum Niederschlag führen. Lassen Sie uns einmal ehrlich sein: Die Zinsausgaben steigen um 3 Milliarden Euro. Hätten wir keine Steigerung der Zinsausgaben - das sage ich gerade den Familienpolitikern der Koalition -, dann wäre es ein Leichtes gewesen, die 2,1 Milliarden Euro gegenzufinanzieren. Wenn das so weitergeht - wir kennen doch die Inflation -, werden die Zinsen weiter steigen. Ich plädiere übrigens für den Schutz der kleinen Leute; denn von Inflation werden am meisten die Schwachen und die Armen bedroht, nicht die Reichen. Die werden zwar ein bisschen weniger reich, aber die Armen werden über die Grenze hinaus belastet, die wir als Sozialstaat überhaupt noch verantworten könnten. ({5}) Meine Mahnung und die Mahnung der FDP ist: Die Große Koalition steht in der Verantwortung, damit die Bundesrepublik Deutschland nicht wieder von der deutschen Krankheit befallen wird. Wenn Sie im Ausland sind, hören Sie immer wieder die Frage: Fangt ihr jetzt wieder an, dieselben Fehler wie früher zu machen? Wir sind doch froh, wenn ein wirtschaftlich starkes und gesundes Deutschland Reformen macht. Das hilft auch uns, Reformen durchzuführen. - Sie sagen jetzt - die CDU wird mitmachen; wir werden es sehen -: Reformen sind schön; wir deuten das alles jetzt einmal ganz anders. - Am Ende dieser Legislaturperiode stehen wir dann wieder da, wo wir eigentlich nicht mehr stehen wollten. Herr Kollege Kampeter, ich fand es schon etwas schwach, dass Sie die Zwischenfrage nicht erlaubt haben. Aber das besagt vielleicht auch etwas über den gegenwärtigen Zustand der Haushaltspolitik der CDU/ CSU. ({6}) - Na ja. Wenn jemand wie Herr Kampeter es nötig hat, die FDP haushaltspolitisch mit der Linken zu vergleichen, dann muss ich sagen: Ihnen gehen so langsam die Argumente aus. Geben Sie es zu! ({7}) Die Kollegin Hajduk hat recht - das sage ich ausdrücklich -: Wir könnten viel schneller auf Null kommen; wir könnten die Schulden in diesem Jahr viel schneller abbauen. Was den Verkauf von Anteilen angeht, sage ich Ihnen klar: Es ist in Ordnung, Privatisierungen in diesem Jahr nicht durchzuführen, wenn Sie davon ausgehen, dass die Privatisierungserlöse im nächsten Jahr höher sind. Wenn die Privatisierungserlöse in diesem Jahr allerdings genauso hoch wie im nächsten Jahr sind, ist es nicht in Ordnung. Allein schon wegen der Zinsbelastung müssen Sie diese Privatisierungen dann noch in diesem Jahr durchführen; denn sonst werden die Kinder - um sie geht es eigentlich - belastet. Ich komme zum Schluss. Die SPD streitet sich auf ihrem morgen beginnenden Parteitag darüber, ob ein vorsorgender oder eher ein versorgender Sozialstaat richtig ist. ({8}) Für die FDP ist es wichtig, dass wir im Interesse der Schwachen keinen verschwendenden Sozialstaat haben; denn ein verschwenderischer Sozialstaat ist auf Dauer ein verschwindender Sozialstaat, und das will die FDP auf gar keinen Fall. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ole Schröder von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für über 90 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mindestens genauso wichtig wie die Höhe des Gehalts. Das macht deutlich: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die Herausforderung für junge Familien. ({0}) Es ist bei den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum möglich, diese Herausforderung zu meistern. Das Tagesbetreuungsausbaugesetz von Rot-Grün ({1}) hat nicht die notwendige Dynamik geschaffen, um einen entsprechenden Zuwachs an Betreuungsplätzen zustande zu bringen. Der Zuwachs kommt auf sehr niedrigem Niveau nur sehr langsam voran. Die Konsequenz: Es besteht ein erheblicher Mangel an Betreuungsplätzen, insbesondere für unter Dreijährige. ({2}) Die Folgen sind offensichtlich: Die Männer, meistens die Frauen verzichten zugunsten von Kindern auf ihren Beruf, oder sie verzichten zugunsten ihres Berufs auf Kinder. Gerade für die besonders qualifizierten Frauen trifft dies immer häufiger zu. Die Regierung Merkel stellt sich dieser gesellschaftspolitischen Herausforderung wie keine Regierung zuvor. ({3}) Wir sorgen mit dem deutlichen Ausbau der Möglichkeiten zur Betreuung von Kindern dafür, dass Kinder und Beruf besser miteinander vereinbart werden können. Wir schaffen eine wirkliche Wahlfreiheit. Es ist ein großer Erfolg der Familienministerin Frau von der Leyen, Kommunen, Länder und den Bund in so kurzer Zeit zusammenzuführen, um ein solches Großprojekt auf den Weg zu bringen. ({4}) Jetzt kommt es natürlich darauf an, den Ausbau in die Tat umzusetzen. Mit dem Beschluss, den wir heute treffen, ist der Weg für den Ausbau der Betreuung unter dreijähriger Kinder auf 750 000 Plätze frei. ({5}) Mit der Einrichtung des Sondervermögens noch in diesem Jahr stellen wir sicher, dass die Mittel, ohne auf das jeweilige Haushaltsjahr begrenzt zu sein, abfließen können. Wir belasten eben nicht, wie in früheren Jahren, zukünftige Haushalte, sondern stellen das Geld jetzt zur Verfügung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schröder, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schröder, können Sie mir denn erklären, warum die zuständige Ministerin von der Leyen dieses Parlament so oft meidet, wenn wir hier über Familie, über Kinder sprechen?

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau von der Leyen ist eigentlich immer da. ({0}) Ich kenne keine Ministerin, die den Debatten hier im Plenum so häufig folgt wie die Ministerin von der Leyen. ({1}) Sie wird heute durch ihren Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Das heißt, das Familienministerium ist anwesend. Ich sehe überhaupt keinen Grund zur Klage. Wir als Parlament werden von der Familienministerin sehr gut berücksichtigt. ({2}) Meine Damen und Herren, wir schaffen mit dem Beschluss heute die notwendige Sicherheit für die Kommunen. Mit dem Sondervermögen - das ist wichtig - schaffen wir die notwendigen Voraussetzungen nicht nur für Neuinvestitionen, sondern auch für Umbaumaßnahmen und Renovierung. Wir bleiben nicht bei der Förderung der Investitionskosten stehen. Der Bund wird sich bis 2013 mit 1,85 Milliarden Euro und danach mit jährlich 770 Millionen Euro an den Betriebskosten beteiligen. Der Bund übernimmt bei dem notwendigen Ausbau der Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige eine wichtige Impulsfunktion. ({3}) Aber eines müssen wir klarstellen: Die Verantwortung dafür, das dann umzusetzen, liegt weiterhin bei den Kommunen, und das ist auch richtig so, weil die Eltern in den Kommunen die Möglichkeit haben, sich einzubringen in der Frage, welche Art der Betreuung notwendig ist, und mit zu entscheiden. Die Bedarfe sind natürlich unterschiedlich. In einem besonders urbanen Raum wie München ist anderes notwendig als in besonders ländlichen Bereichen wie in Schleswig-Holstein. Deshalb ist es vernünftig, dass die Kompetenz weiterhin bei den Kommunen verortet ist. Mit dem massiven Ausbau der Kinderbetreuung erreichen wir endlich das Ziel einer wirklichen Wahlfreiheit für die Eltern. Professor Paul Nolte hat es auf den Punkt gebracht: Das Ziel ist nicht die Ersetzung der Familie durch den Staat, sondern ihre Stützung und Stärkung, da12654 mit Frauen und Männer ihren Kinderwunsch leichter erfüllen können. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicolette Kressl von der SPD-Fraktion. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Beschluss zur Errichtung eines Sondervermögens zum Ausbau der Kinderbetreuung schließen wir heute einen ersten Teil in einem umfangreichen Paket ab, mit dem wir auch einen großen gesellschaftlichen Sprung nach vorn machen. Es ist ein Paket, das bis zum Jahr 2013 einen zügigen Ausbau der Betreuungsangebote für unter Dreijährige und ab 2013 die Garantie für Eltern beinhaltet, dass sie einen Betreuungsplatz finden, wenn sie ihn brauchen; wir nennen es fachlich: Rechtsanspruch. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Es ist die Sicherheit für Eltern, tatsächlich eine gute frühe Förderung für ihre Kinder zu erhalten. ({0}) Dieser Sprung nach vorn bringt uns nicht nur gesellschaftspolitisch weiter; er wird auch dafür sorgen, dass wir bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei der Wahlfreiheit für Männer und Frauen und auch bei der frühen Förderung von Kindern endlich den Anschluss an die europäischen Länder finden, die uns schon fast seit Jahrzehnten weit voraus sind. Wir brauchen diesen Anschluss an die anderen europäischen Länder gesellschaftspolitisch, und wir brauchen ihn ökonomisch. Beides ist in diesem Zusammenhang wichtig. ({1}) Darauf kann diese Koalition mit Recht stolz sein. Wer hätte im Januar dieses Jahres, als die SPD diesen Rechtsanspruch als wichtiges Ziel formuliert hat, geglaubt - das zu sagen soll mir schon erlaubt sein -, dass wir ihn in dieser Legislaturperiode so schnell erreichen? ({2}) Ich freue mich im Übrigen auch darüber, dass dieser Beschluss heute in Deutschland endlich noch ein Stück mehr mit dem Klischee der Rabenmütter aufräumt. Da bin ich zuversichtlich, auch durch die gestern veröffentlichte Studie von World Vision, die ganz deutlich gemacht hat: Kinder von Eltern, die beide berufstätig sind, sind außerordentlich zufrieden und empfinden keinen Mangel an Zuwendung - im Gegenteil. Es geht nicht um die Zahl der gemeinsam verbrachten Stunden, sondern um ihre Intensität. Ich möchte einen Kommentar zitieren - als BadenWürttembergerin nehme ich die Badische Zeitung -, den ich wirklich zutreffend finde: Verstrickt in ideologische Grabenkämpfe um Familienidylle und staatlichen Erziehungsauftrag, wollen wir offenbar nicht wahrnehmen, dass da junge Individuen heranreifen, die ihre Umwelt viel genauer analysieren, als wir es ihnen zutrauen. … Und die Geborgenheit nicht nach Stunden elterlicher Anwesenheit bemessen, sondern nach Intensität der Zuwendung. Ich finde, wir sollten das ernst nehmen und so schnell wie möglich durch gute und qualitativ hochwertige Infrastruktur beste Rahmenbedingungen für Kinder und Eltern schaffen. ({3}) Deshalb folgt dem ersten Schritt der Einrichtung eines Sondervermögens von 2,15 Milliarden Euro für Investitionskosten ein zweiter: die gemeinsame Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern. Man darf sie nicht vergessen. Wir brauchen die Vereinbarung, damit die Mittel abfließen können. Ich gehe davon aus, dass die Verwaltungsvereinbarung noch im nächsten Monat von allen Partnern unterzeichnet sein wird. Der dritte Schritt geht weit über kurzfristige Maßnahmen hinaus. Wir werden im Kinder- und Jugendhilfegesetz regeln, dass Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Alter von einem Jahr erhalten. Gleichzeitig wird mit dem Gesetzespaket sichergestellt, dass die Bundesebene über die Länder den Kommunen bis 2013 1,85 Milliarden Euro aus Umsatzsteuereinnahmen zur Verfügung stellt und dass sie ab 2014 - das wird sehr oft vergessen; oft wird über nur 4 Milliarden Euro gesprochen - Jahr für Jahr 770 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um den Ausbau der Kinderbetreuung voranzubringen. ({4}) Dieses Engagement geht weit über die Kernaufgaben des Bundes bei der Finanzierung hinaus. Das macht deutlich, was es heißt, wenn Finanzminister Steinbrück von gestaltender Finanzpolitik spricht. Es mag zwar für den einen oder die andere etwas abstrakt klingen; wenn man sich aber vor Augen führt, was wir heute beschließen, dann wird es greifbar und deutlich. Wir sehen, dass das Geld zum Wohle der Kinder und der Eltern eingesetzt wird. Ich finde deshalb, dass heute eigentlich alle Fraktionen dem Gesetzentwurf zustimmen könnten. ({5}) Es wäre ein gutes Zeichen, wenn dieses Haus zeigte: Wenn es um wichtige Aufgaben geht, können wir auch einmal über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinaus zusammenarbeiten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Paul Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Weichen sind nun gestellt, sodass Länder und Kommunen ab dem 1. Januar 2008 mit dem Aufbau eines bedarfsgerechten Angebots bei der Betreuung der Kinder unter drei Jahren beginnen können. Deutschland schafft damit den Anschluss an die familienpolitisch erfolgreichen Länder in Nord- und Westeuropa. Dies ist unstreitig ein historischer Schritt im Hinblick auf die frühe Förderung von Kindern und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in unserem Land. Wir haben in Deutschland derzeit das Problem, dass für drei- bis sechsjährige Kinder zwar weitgehend genügend Kindergartenplätze und sonstige Betreuungsplätze vorhanden sind, nicht aber für unter Dreijährige. Mit dem Kinderbetreuungsfinanzierungskonzept haben wir nun eine mehr als zufriedenstellende Antwort auf dieses Problem gefunden. Die Lösung beinhaltet, dass bis 2013 bundesweit für rund ein Drittel der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege entstehen werden. Hervorzuheben ist, dass schon jetzt immer mehr Kommunen gute Betreuungseinrichtungen als Standortvorteil erkennen und hierbei miteinander wetteifern. Sie schaffen dadurch die Voraussetzungen für eine bessere Infrastruktur für Familien, die Erwerbstätigkeit erst ermöglicht und so wirtschaftliche, aber auch zeitliche Spielräume eröffnet. Das ermöglicht eine höhere Lebensqualität für Eltern und Kinder. Ich möchte von dieser Stelle ausdrücklich den engagierten Bürgermeistern, Gemeinderäten und Stadträten danken, die bereits jetzt Betreuungseinrichtungen geschaffen haben und nicht auf das Geld gewartet haben, das ab dem 1. Januar 2008 gezahlt wird, die darin ein eigenes, originäres Problem erkannt haben. Wenn sie jetzt auch noch Unterstützung von Bund und Ländern bekommen, ist das umso besser. Ich habe aber Respekt vor allen Kommunalpolitikern, die schon jetzt begonnen haben, ihre Hausaufgaben zu machen. Danke schön. ({0}) Städte und Gemeinden haben nunmehr die Planungssicherheit, die sie brauchen, um den notwendigen Ausbau voranzutreiben. Mit dem Sondervermögen in Höhe von 2,15 Milliarden Euro stehen die erforderlichen Mittel für Neubau, Ausbau, Umbau, Sanierungs-, Renovierungs-, Modernisierungs- und Ausstattungsmaßnahmen in den Einrichtungen und der Tagespflege 2008 zur Verfügung. Darüber hinaus wird der Bund - auch darauf wurde von der Kollegin Kressl schon hingewiesen - die Kommunen in den Jahren 2009 bis 2013 mit insgesamt 1,85 Milliarden Euro und anschließend jährlich in Höhe von 770 Millionen Euro bei den Betriebskosten entlasten. Die Investitionsmittel werden unter den Bundesländern nach der Kinderzahl aufgeteilt, damit sichergestellt wird, dass alle Länder in gerechter Weise von den insgesamt 4 Milliarden Euro profitieren. Durch den Ausbau der Infrastruktur wird in Zukunft jede Familie frei entscheiden können, ob sie ihr Kind zu Hause selbst betreuen möchte, ob eine Tagesmutter oder eine Kita diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen soll. ({1}) - Jawohl. Die Wahlfreiheit für junge Familien kann nun Realität werden. - Auch das ab 2013 geplante Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kinder die ersten Jahre lieber zu Hause betreuen möchten - es wird niemanden überraschen, dass ich auch dies anspreche -, ist ein weiterer Schritt in Richtung Wahlfreiheit für junge Eltern. Für die Unionsfraktion sind beide Wege, Ausbau der Betreuungseinrichtungen für unter 3-Jährige und Betreuungsgeld, daher keine Gegensätze, sondern sie gehören zusammen. So ist das Betreuungsgeld in der Begründung des Gesetzentwurfes konsequenterweise zu finden. ({2}) - Der Kollege Peter Weiß könnte ruhig noch länger applaudieren. In keiner Weise geht es aber darum, Eltern, die ihr Kind zu Hause betreuen möchten, und Eltern, die nach einer Babypause wieder arbeiten möchten, gegeneinander auszuspielen. Ich bitte darum, in dieser Debatte endlich abzurüsten und die Feindbilder abzubauen. Im Gegenteil: Jede Familie kann selbst entscheiden, wie die Betreuung der Kinder in Zukunft organisiert werden soll. Der eingeschlagene Weg in der Familienpolitik geht eindeutig in die richtige Richtung. Unser Ziel ist es, Menschen Mut zu machen, ihre Kinderwünsche zu verwirklichen, Armut von Familien zu vermeiden und Erwerbsarbeit von Müttern und Vätern gleichermaßen zu verbessern. Notwendig ist hierfür eine Familienpolitik aus einem Guss: Elterngeld, Steuergerechtigkeit, Wahlfreiheit und finanzielle Sicherheit für Familien. ({3}) Wir wollen auch mehr Transparenz, das heißt eine Bündelung der staatlichen Familienleistungen durch eine Familienkasse. Kurz gesagt: Wir wollen eine Familienpolitik, wie wir sie in den vergangenen zwei Jahren mit Frau Ministerin von der Leyen an der Spitze vorangetrieben und umgesetzt haben. Ich denke, darauf können wir zu Recht stolz sein. Die Familien in unserem Land werden es uns danken. Ich glaube, die Einrichtung dieses Sondervermögens ist heute eine Sternstunde des Parlaments. Wir schaffen für die Kommunen, aber auch für die jungen Mütter und Väter Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Ich komme zum Anfang der Debatte zurück. In Zukunft haben nicht nur die Beamten die Planungssicherheit, die notwendig ist, um Kinder in die Welt zu setzen. Auch alle anderen, die in der freien Wirtschaft tätig sind, können dank dieser Angebote in Zukunft besser planen. Sie werden hoffentlich mehr Mut zu Kindern haben. Angesichts unserer niedrigen Geburtenrate - auf eine Frau kommen rein statistisch gesehen 1,3 Kinder - brauchen wir diesen Mut in unserer Gesellschaft dringend. Herzlichen Dank an unseren Koalitionspartner für die konstruktiven Gespräche auf diesem Weg und an alle, die mitgewirkt haben. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung eines Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/6816, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/6596 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis wie zuvor angenommen. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/6390 an den Haushaltsaus- schuss vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass sich die Fraktionen verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 21 - es handelt sich um die Bera- tung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Um- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu Vorlagen be- treffend die Änderung der Verpackungsverordnung - von der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos- sen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: 22 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zwischenbilanz des Nationalen Radverkehrs- plans 2002-2012 - Drucksachen 16/3548, 16/5255 - b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland 2007 - Drucksache 16/6705 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Sportausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Dabei sollen die Grünen fünf Minuten erhalten. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Fahrradverkehr ist eines der Themen, bei denen scheinbar immer ein großer Konsens herrscht, bei denen man sich immer in sehr kurzer Zeit einig ist. Der Fahrradverkehr ist auf alle Fälle positiv besetzt. Alle sind der Meinung, dass er gefördert werden muss. Es gibt auch gute Gründe dafür. Die Lebensqualität in Städten nimmt eindeutig zu, wenn weniger Menschen mit dem Auto und mehr Menschen mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind. Letztendlich ist es sehr gesund, wenn man sich die Zeit nimmt, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Bei Strecken bis zu 6, 7 oder 8 Kilometern ist man oft sogar weitaus schneller unterwegs als mit dem Auto. ({0}) Auch für den Klimaschutz ist der Fahrradverkehr mehr als positiv. Man kann erhebliche Mengen an CO2 durch eine Erhöhung des Anteils des Fahrradverkehrs einsparen. Das Umweltbundesamt hat je nach Szenario ausgerechnet, 4 bis 13,5 Millionen Tonnen CO2 seien möglich. Das sind beachtliche Mengen. Es kommt nur auf die entsprechenden Rahmenbedingungen an. Bevor ich zur Kritik kommen möchte, möchte ich etwas Positives erwähnen. Nach der Verabschiedung des Nationalen Radverkehrsplans unter Rot-Grün ist von der Großen Koalition manches sinnvoll weitergeführt worden; da wollen wir nicht widersprechen. Vom Difu wird die Fahrradakademie gegründet, und die Anlage von Fahrradwegen an Bundeswasserstraßen ist intelligenter geregelt worden. Das sind zwar kleine Beispiele, aber immerhin Beispiele dafür, dass sich die Dinge in eine positive Richtung entwickeln. Da dies der Fall ist, darf man dies auch als Opposition erwähnen. ({1}) - Es ist schön, dass die Große Koalition mit Zeitverzögerung bemerkt hat, dass sie gelobt wurde. Allerdings sind viele Dinge - dabei geht es jetzt um die richtig wichtigen Sachen - leider nicht sehr positiv. Wofür sind wir im Fahrradverkehr direkt zuständig? Direkt zuständig ist der Bund für den Bau der Fahrradwege an Bundesfernstraßen. Da ist die Entwicklung leider nicht sehr positiv. 2005 wurden dafür immerhin noch 98 Millionen Euro im Haushalt zur Verfügung gestellt. Jetzt könnten wir sagen: Viel Geld, aber es ist nichts passiert. Aber immerhin ist ein erheblicher Anteil, nämlich 93 Millionen Euro, abgerufen worden. Wenn man jetzt schaut, was für 2007 geplant war, stellt man fest: Es sind nur 80 Millionen Euro eingestellt worden. Wenn man davon spricht, den Fahrradverkehr, den Klimaschutz usw. wolle man weiter fördern - das sagt auch die Große Koalition -, ist es eigentlich nicht konsequent, wenn wir den Mittelansatz bei dem wichtigsten Titel, dort, wo der Bund direkt zuständig ist und er eine Vorbildfunktion gegenüber Kommunen und Ländern hat, die die meisten Kompetenzen im Fahrradbereich haben, senken. Natürlich kann man von Haushaltskonsolidierung sprechen. Mit 18 Millionen Euro kann man den Haushalt aber nicht konsolidieren. Außerdem muss man sich bewusst sein, dass es fast nichts Kostengünstigeres gibt, um CO2 einzusparen, als die Förderung des Fahrradverkehrs. ({2}) Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Kritikpunkte. Es ist nicht gelungen, den Fahrradverkehr so in den Fokus zu rücken, dass er von der Kanzlerin oder dem zuständigen Minister als zentrale Aufgabe wahrgenommen wird. Wenn man sich klassische Fahrradländer wie Holland anschaut, stellt man fest, dass der Fahrradverkehr dort eine ganz andere Stellung hat. Das sieht man allein daran, dass bedeutende Personen - man sollte nicht sagen, dass sie sich dazu herablassen - mit dem Dienstfahrrad unterwegs sind. Das klingt vielleicht ein bisschen trivial oder lächerlich. Ein solch vorbildliches Verhalten hat aber eine erhebliche Wirkung. Das kann man in Holland wunderschön beobachten. ({3}) Ein weiteres großes Problem ist, dass keine quantitativen Ziele formuliert wurden. Wenn sich eine Regierung bei der Förderung des Fahrradverkehrs keine quantitativen Ziele setzt, dann kann sie sie auch nicht verfehlen. Für die Regierung ist das natürlich schön. Bloß, wie misst man dann letztendlich den Erfolg? Es wäre angemessen, sich das eine oder andere messbare Ziel zu setzen. Dann kann man nämlich sehen, ob die Maßnahmen, die man ergriffen hat, auch erfolgreich waren. Zusammenfassend muss man leider sagen: In Sonntagsreden wird deutlich, dass erkannt worden ist, dass der Fahrradverkehr eine große Bedeutung hat. Das wird allgemein anerkannt. Bei den harten Maßnahmen, wenn es ums Geld geht, wird gekürzt, und die symbolischen Maßnahmen zeigen, dass man die Bedeutung noch nicht richtig begriffen hat. Deshalb kann man nur sagen: Die Große Koalition findet zwar schöne Worte, leider fehlen aber Taten. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Gero Storjohann von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Zweiten Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland 2007 und der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Nationalen Radverkehrsplan 2002 bis 2012 wird eines ganz deutlich: Die Förderung des Fahrradverkehrs gewinnt in der Verkehrspolitik immer mehr Bedeutung. Grund hierfür sind die Vorteile des Radfahrens - Dr. Hofreiter hat sie schon herausgestrichen -: Fahrradfahren ist gesund; regelmäßiges Radfahren vermindert das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen - wir können alle noch etwas lernen -, von Gelenk- und Rückenbeschwerden, von Fettleibigkeit, von Bluthochdruck und von Diabetes. Auch Bundestagskollegen fahren sehr wohl mit dem Fahrrad zur Arbeit; das wissen wir alle. ({0}) Ferner ist Fahrradfahren umweltfreundlich und dient dem Klimaschutz. Radfahren verursacht keine Schadstoffemissionen. Radfahren verursacht keinen Lärm. Radfahren schafft Platz: Wo ein Auto steht, können acht Fahrräder stehen. Durch Radfahren wird also die Lebensqualität in unseren Städten erhöht. Außerdem ist man mit dem Rad schnell: Radfahrer erreichen in Städten auf kurzen Strecken das Ziel genauso schnell wie Autofahrer. Ich glaube, heute haben das besonders viele erfahren können. Der Fahrradtourismus wächst in Deutschland - das finden wir alle prima - seit Jahren stetig. Das Fahrrad ist ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor. Fahrradfahren macht Spaß. Die ganze Familie - egal ob Jung oder Alt kann es betreiben. Das hat auch unsere Parlamentsfahrradtour „Berlin by Bike“ Anfang September gezeigt, mit der wir als Bundestagsabgeordnete in Berlin ein wichtiges Signal gegeben haben und gezeigt haben, dass Fahrradfahren eine gute Möglichkeit ist, um sich fortzubewegen. Bei dieser Radtour wurden uns erneut viele Möglichkeiten zur Verbesserung des Radverkehrs in der Bundeshauptstadt exemplarisch vor Augen geführt. Es wurde klar, dass es noch vieles zu verbessern gibt. Der Radverkehrsplan 2002 bis 2012 dient dazu, das zu konkretisieren. Wir möchten mit diesem Plan neue Wege und Umsetzungsstrategien zur Förderung des Radverkehrs initiieren. So soll der Anteil des Radverkehrs in Deutschland gesteigert werden. Man kann natürlich zu Recht sagen, dass ein konkretes Ziel fehlt. Aber zumindest in der Richtung sind wir uns einig. Darüber hinaus sind die weiteren Ziele die Förderung des Radverkehrs als Bestandteil einer nachhaltigen integrierten Verkehrspolitik und die Verbesserung der Verkehrssicherheit. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt ausdrücklich diese Ziele. Alle Radfahrerinnen und Radfahrer in ganz Deutschland können sich sicher sein: Die Unionsfraktion wird sich weiterhin konsequent für die Stärkung des Radverkehrs einsetzen. Zur Verbesserung der Radverkehrssicherheit ist schon vieles geleistet worden. So wurden in den Jahren 1995 bis 2004 von Bund, Ländern und Gemeinden Investitionen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro für den Ausbau der Radwege getätigt. Der Radwegebestand an Straßen hat sich dadurch um 10 000 Kilometer erhöht. Dadurch wird der Fahrradverkehr vom motorisierten Verkehr getrennt. Das ist eine wichtige Maßnahme für die Verkehrssicherheit. Dennoch sind wir uns einig: Es gibt noch viel zu tun, zumal es durch die Wiedervereinigung unterschiedliche Voraussetzungen in Ost und West hinsichtlich des Ausbaus von Fahrradwegen gab. Etwa 65 Prozent der Bundesstraßen und 79 Prozent der Landesstraßen in Deutschland haben noch keine Radverkehrsanlagen. Aber die Große Koalition packt hier an. Im Bundeshaushalt 2008 haben wir für den Radwegeausbau knapp 87 Millionen Euro bereitgestellt. Ich halte den Ausbau der Radwege für wichtig. Die Frage ist, inwieweit wir ihn unbedingt an Bundesstraßen forcieren müssen. ({1}) Wäre es nicht viel intelligenter, dies auch bei anderen Straßenkomplexen zu tun? Allein 80 Millionen Euro gehen in den Ausbau von Radwegen an Bundesstraßen; das ist etwas weniger als bisher. Dies ist eine wichtige Investition in die Sicherheit der Radfahrer im Straßenverkehr. Politisch waren wir uns ja alle einig, dass wir dem Ausbau der Radwege an Wasserstraßen eine hohe Priorität zukommen lassen wollen. Da befinden wir uns noch am Anfang einer Bewegung. Das Geld ist bereitgestellt. Wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass der Wille des Parlaments umgesetzt wird. Denn das Fahren an Wasserstraßen ist gerade im Fahrradtourismus sehr beliebt. Das wollen wir uns besonders auf die Fahnen schreiben. Deswegen ist es wichtig, dass die Betriebswege an Bundeswasserstraßen gänzlich für den Fahrradverkehr freigegeben werden, und da, wo dies noch nicht möglich ist, diese Wege für den Fahrradverkehr erschlossen werden. Weitere 3 Millionen Euro stellt die Große Koalition zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans durch Zuschüsse an Gesellschaften privaten Rechts und an die Bundesländer zur Verfügung. Die Umsetzung der Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs liegt jedoch häufig bei den Kommunen. Hier hat es in der Vergangenheit Schwierigkeiten beim Abrufen der Mittel gegeben. Da wollen wir gerne helfen. Deshalb sollten Bund und Länder die Einrichtung von Kooperationsstrukturen oder Netzwerken auf kommunaler Ebene bzw. zwischen Ländern und Kommunen unterstützen. Eine bessere Vernetzung brauchen wir auch in einem anderen Bereich, nämlich bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, und zwar bei der Bahn. ({2}) Wir lesen im Fahrradbericht, dass angestrebt wird, die Fahrradmitnahme im ICE im Rahmen eines Pilotprojekts mit der Deutschen Bahn AG auf einer ausgewählten Pilotstrecke testen zu lassen. Das halte ich für ein lobenswertes Ziel. ({3}) Aber das ist noch zu wenig. Von dem Test habe ich bisher noch nichts lesen können. ({4}) Deswegen meine ich, dass wir alle gemeinsam dafür kämpfen sollten. Wir sollten sowohl das Bundesministerium unter Führung von Minister Tiefensee als auch die Bahn davon überzeugen, dass es ein Gewinn wäre, wenn wir Fahrräder im ICE mitnehmen können. Wir würden in diesem Bereich neue Kunden gewinnen. Wir würden keine Kunden abschrecken, die sich eventuell durch Fahrräder gestört fühlen. Deswegen sollten wir das Signal aussenden, dass auch ICE-Züge für den Fahrradtransport geeignet sind. Das sollten wir auf alle Fälle unterstreichen. ({5}) Wir reden nicht im luftleeren Raum. In England gibt es bereits gute Erfahrungen damit, in Hochgeschwindigkeitszügen Fahrräder mitzunehmen. Das ist ohne Probleme möglich. Das sollte ein Beispiel sein, um die Bahn zu überzeugen, diesen Trend nicht zu verpassen. 80 Prozent der Deutschen halten laut einer Forsa-Umfrage solch ein Serviceangebot für eine gute Idee. Auch wenn ich nur die Bahnkunden frage, würde sich immer noch die überwiegende Mehrzahl damit anfreunden können und sagen: Jawohl, wir möchten gerne unser teures Fahrrad mit in den Urlaub nehmen und es nicht unbedingt mit dem Auto in den Urlaub transportieren. - Das ist also ein wichtiger Punkt, wo die Politik ein Signal setzen kann. Meine Damen und Herren, wir müssen mehr für die Sicherheit von Fahrradfahrern tun. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich deshalb dafür aus - jetzt passen Sie auf -, Radwege an Kreuzungen durch das Auftragen roter Farbe deutlich zu markieren. Das ist ein wichtiger Schritt für uns, den Sie anerkennen sollten. Es macht auch Sinn, das Symbol „Fahrradfahrer“ auf die Fahrbahn aufzutragen. Auch die Mitnutzung von Busspuren durch Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer macht Sinn. Außerdem müssen Fahrradfahrer aus dem toten Winkel raus. Hier sind leider schon zu viele Menschen gestorben. Deshalb brauchen wir zum besseren Schutz von Fahrradfahrern Aufstellflächen vor Ampelanlagen. So haben die Kraftfahrer die Zweiradfahrer immer im Blick. In dieser Woche haben wir über die Erhöhung der Bußgelder für Verkehrsverstöße diskutiert. Dabei ist deutlich geworden: Wir brauchen eine höhere Kontrolldichte. Das gilt auch für die Kontrolle von Fahrradfahrern; denn ihr Verhalten wird oftmals zum Vorbild für den gesamten Straßenverkehr in einer Stadt genommen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Fahrradfahrer zu verkehrsgerechtem Verhalten angeleitet werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Anteil des Fahrrads am gesamten Verkehr in Deutschland liegt bei 9 Prozent. In den Niederlanden sind es 27 Prozent, in Dänemark 16 Prozent. Wir können also noch aufholen keine Frage. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der FDP-Fraktion.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzte Debatte zu diesem Thema im Jahre 2004 war ja zu tiefer Nachtstunde angesetzt und fand dann gar nicht statt, weil die Reden zu Protokoll gegeben wurden. Nun ist das Thema Radverkehr aus nächtlicher Stunde auf einen Donnerstagmittag vorgerückt, obwohl die Grünen nicht mehr mitregieren. Man kann nur staunen, dass die Große Koalition erkannt hat, welches Potenzial in diesem Bereich liegt. Wo Lob angebracht ist, möchte ich es auch äußern. Bei den Antworten auf die 109 Fragen in der Großen Anfrage der Grünen - wahrlich eine Fleißarbeit - ist einiges schon interessant, auch wenn nicht alles ganz neu ist. Als Erstes möchte ich einen Gedankengang, den der Kollege von den Grünen angestellt hat, aufgreifen. Er sagte, weil weniger Geld für Radwege an Straßen in Baulast des Bundes ausgegeben werde, mache die Koalition weniger für den Radverkehr. Meine Erfahrung ist, dass an dieser Stelle kaum noch Potenzial vorhanden ist, weil viele Radwege an Bundesstraßen für die Nutzer in hohem Maße unattraktiv sind; denn die Verkehrslage auf den Bundesstraßen macht es nicht gerade zu einer angenehmen Erfahrung, nebenher auf dem Fahrrad zu fahren. Deshalb halte ich die Schlussfolgerung, dass, weil dort weniger investiert werde, insgesamt weniger für die Fahrradfahrer getan werde, für falsch, auch wenn das objektiv das einzige Kriterium ist, das sich im Haushalt zu dieser Frage findet. Meiner Meinung nach geht es darum, dass die Nutzer die Wege gut finden. Der Wurm muss in diesem Fall dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. ({0}) Als Zweites möchte ich eine etwas grundsätzlichere Bemerkung zum Thema Verkehrsinfrastruktur anbringen. Wenn der Einsatz von 90 Millionen Euro in den letzten Jahren zum Neubau von Radwegen zu der gigantischen Länge von 400 Kilometern pro Jahr geführt hat, bedeutet das ja wohl, dass 1 Kilometer neuer Radweg 225 000 Euro kostet. Ich frage mich, ob es vernünftig und richtig ist, solche Summen hierfür aufzuwenden. Wir sollten in den Ausschussberatungen tatsächlich einmal untersuchen, wo hier die Kostentreiber liegen. Das scheint mir doch wirklich ein bisschen üppig. Dritte Bemerkung. Im Zusammenhang mit dem Thema Fahrradfahren - dass wir Fahrradfahren gut finden und fördern wollen, darüber herrscht ja großer Konsens - lässt sich ein Punkt, den der Kollege Storjohann eben angesprochen hat und den wir ja auch im Ausschuss besprochen haben, nicht ausblenden. Das ist das Thema Verkehrssicherheit und das Beachten von Verkehrsregeln. Deshalb sollten wir alle in einer solchen Debatte deutlich machen, dass es schon auffällt, dass einige Radfahrer - wie ich wahrnehme, werden es mehr das Gefühl haben, dass die Straßenverkehrs-Ordnung für sie nicht gilt. Das ist aber, wie wir alle wissen, nicht der Fall. Da die Straßenverkehrs-Ordnung auch für Fahrradfahrer gilt, ist es wirklich notwendig, dass dieser Aspekt in der Aufklärungs- und Kampagnenarbeit im Rahmen des Radverkehrsplans weiterhin intensiv kommuniziert wird. ({1}) In unseren Kommunen führen wir die Debatte über die Frage, wie wir mit den innerstädtischen Radwegen umgehen und welche Konzepte hier die besseren sind. Wir kennen die Städte mit dem abgeteilten Radweg, der mit einem Bordstein separat gebaut ist, und wir sehen vielerorts - auch aus Kostengründen - eine abgeteilte Fahrradspur mit Markierung mittels Färbung. Ich nehme wahr, dass diese Lösung immer dann nicht besonders schlau ist, wenn der Radweg irgendwann in einer Bushaltestelle oder in Parkbuchten endet. Dies ist für die Verkehrssicherheit kein Gewinn, weshalb diese Spuren auch eher nicht angenommen werden. In meiner Stadt, in Hannover, haben wir gerade solche Fälle, in denen die markierte Fahrradspur in Parkbuchten endet oder in denen alle 800 Meter der Bus auf der Fahrradspur steht. Dies führt natürlich nicht zu Akzeptanz; im Gegenteil, es führt dazu, dass die Radfahrer weder die abgeteilte Spur noch die Straße, sondern den Fußweg benutzen, was wiederum zu Akzeptanzproblemen an anderer Stelle führt. Auch darüber muss man fairerweise sprechen; diese Dinge sind weiter zu beobachten. Ich bin dankbar, dass das Ministerium deutlich gemacht hat, dass die hierfür bereitstehenden Mittel auch weiterhin in die Kampagnen- und Forschungsarbeit investiert werden. Eine letzte Bemerkung zu der Großen Anfrage der Grünen kann ich mir nicht verkneifen: In der Idee, dass sich die Bedeutung von Verkehrsträgern im Ministerium darin widerspiegelt, wie viele Planstellen für den Radverkehr einerseits und für den Transrapid andererseits zur Verfügung stehen, kommt eine sehr verwaltungsgläubige Herangehensweise zum Ausdruck. Ich habe nicht den Eindruck, dass dies die Maßzahl für die Aktivitäten des Ministeriums ist. Vielmehr halte ich den Bericht, den wir erhalten haben, für eine gute Grundlage für die weitere Diskussion. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Heidi Wright für die SPDFraktion. ({0})

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe parlamentarische Fahrradfreunde! Aber auch die große Fahrradgemeinde in Stadt und Land grüße ich recht herzlich. Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben sich wirklich viel Arbeit damit gemacht, diese 109 Fragen zu stellen, und das Ministerium hat sich viel Arbeit damit gemacht, die klugen und die schwierigen Fragen zu beantworten, und uns eine gute Grundlage für die weitere Arbeit geliefert. Herzlichen Dank dafür! Umfangreich war dies alles, weil sich nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte des Fahrradtourismus, des alternativen Bereichs der Verkehrspolitik, darin widerspiegeln, sondern auch die gute Wirkung des Radfahrens für die Gesundheit, die entlastende Wirkung des Radfahrens im Bereich Klima- und Umweltschutz und die Notwendigkeit des Ausbaus des Radverkehrs mit Blick auf eine zukunftsgerichtete nachhaltige Stadtentwicklung. Dem Ministerium danke ich auch für die gute Zusammenarbeit. Eine Person möchte ich namentlich nennen: unseren Staatssekretär Ulrich Kasparick, dem ich als stellvertretende Bundesvorsitzende des ADFC heute zu seinem 50. Geburtstag gratuliere. Herzlichen Glückwunsch unserem Fahrradfreund, der ebenfalls Mitglied in diesem wichtigen Fahrradverband ist! ({0}) Die gute Zusammenarbeit auch mit unseren Haushältern gipfelt darin, dass es ein gut aufgestelltes Referat SW 24 mit guten Leuten gibt. Dazu bedurfte es einiger Gespräche; aber das haben wir jetzt sichergestellt. Lieber Kollege Hofreiter, wir werden auch mit den vorhandenen Haushaltsmitteln weiterkommen. Richtig ist, dass es beschwerlich war, die Mittel auf 80 Millionen Euro herunterzufahren. Ich bin sicher, dass im nächsten Jahr wieder 90 Millionen Euro für die Radwege an Bundesstraßen zur Verfügung stehen werden. Es gibt auch eine gegenseitige Deckungsfähigkeit, sodass es am Geld wirklich nicht mangelt. In einem Haushaltstitel kam es sogar zu einer Verdopplung der nichtinvestiven Mittel. Das halte ich für sehr wichtig. Ich bedanke mich bei all denen, die dazu beigetragen haben, dass wir so weit gekommen sind. Danken möchte ich unserem Bundesverkehrsminister dafür, dass er den Zweiten Fahrradbericht, über den wir heute auch sprechen - auf seine Vorlage haben wir lange gewartet -, in der Kabinettssitzung im September dieses Jahres vorgelegt hat. Auch das Kabinett hat sich also mit dem Zweiten Fahrradbericht befasst; ich finde, das ist sehr wichtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, längerfristig geht es darum, den Radfahrern einen ähnlich hohen Standard wie den Autofahrern zu bieten; so war es im Ersten Fahrradbericht aus dem Jahre 2000 formuliert. Wenn man das Wort „längerfristig“, das darin verwendet wurde, auf unsere schnelllebige Zeit mit ihren rasanten Veränderungen und Anforderungen in der Ressourcen- und Klimapolitik anwendet, dann muss man feststellen: Mit diesem „längerfristig“ sind wir im Heute und Jetzt gelandet. Wir müssen dem Radverkehr jetzt einen ähnlich hohen Standard wie dem Autoverkehr bieten. Das ist unsere politische Aufgabe. ({1}) Dass wir davon noch entfernt sind, erfahren wir schmerzlich; für mich gilt das ganz besonders. Liebe Freunde, im September dieses Jahres fanden zeitgleich zwei Messen statt: in Frankfurt die IAA und in Köln die IFMA, die Internationale Fahrradmesse. Was war das in Frankfurt für ein Bohei! Die Kanzlerin half dem neuen Präsidenten des VDA vom Glatteis, und gemeinsam lobte man emissionsreduzierte Fahrzeuge bzw. zumindest die Aussicht auf sie; denn noch gibt es sie nicht ganz wirklich. Auf der IFMA in Köln hingegen - die Kollegen Kasparick und Bodewig waren dort - wurde eine ganze Armada von Null-Emissions-Fahrzeugen präsentiert. Dabei handelte es sich um futuristische Geräte. Das war eine tolle Schau. Da blieben keine Wünsche offen. Es wurde deutlich, dass die 73 Millionen Fahrräder in Deutschland einen sehr wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellen. Warum gelingt es bei aller Fahrradfreude in Deutschland dennoch nicht, Fahrräder in gehörigem Maße in den Alltagsverkehr zu integrieren? Warum gibt es bei der Fahrradnutzung in den unterschiedlichen Städten und Regionen Deutschlands ein so großes Gefälle? Ich frage mich: Warum hat das Fahrrad im Gegensatz dazu in europäischen Hauptstädten wie Amsterdam und Kopenhagen für die Alltagsnutzung einen extrem hohen Stellenwert? In Kopenhagen wird ein Modal-Split von 50 Prozent angestrebt. In Berlin hingegen liegt der Modal-Split zwischen 13 und 15 Prozent, und nach den Zahlen, die mir für München vorliegen - zugegebenermaßen sind sie alt -, beträgt er auch dort 13 Prozent. Alle meine Freunde aus München sagen mir allerdings: Nein, MünHeidi Wright chen ist schon weiter, und hier wird etwas getan. - Das freut mich, und das muss auch so sein. In München war die Velo-City-Konferenz 2007 mit einem tollen Programm und hohen Besucherzahlen. Das muss eine nachhaltige Wirkung haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zweiten Fahrradbericht wurde aufgezeigt, dass es nicht am Wissen oder an der Erkenntnis mangelt, sondern an der Umsetzung einer guten Fahrradpolitik. Mit anderen Worten - ich habe das auch meiner Fraktion so gesagt -: Im Kopf haben wir das schon; wir müssen das aber auch im Herzen haben. Oder sollte ich sagen: im Bauch? Wir müssen mit Lust und Freude eine gute Fahrradpolitik betreiben. ({2}) Es gibt viele gute Gründe für eine offensive Radverkehrspolitik, zum Beispiel den Klima- und Umweltschutz. Auf allen Gebieten muss eine CO2-Reduzierung erfolgen: in der Industrie, im privaten Bereich und natürlich - hier sind wir gefordert, Kolleginnen und Kollegen im Verkehrsbereich. Ich bedaure sehr, dass das CO2-Reduktionsziel durch den Radverkehr in dem in Meseberg beschlossenen integrierten Energie- und Klimaprogramm nicht explizit aufgeführt wurde. Allerdings hat mir das Bundesverkehrsministerium jetzt geschrieben, dass die Bundesregierung in der Steigerung des Umfangs des Radverkehrs eine gute Möglichkeit sieht, die CO2-Emissionen weiter zu verringern. Dazu sage ich: Nur zu! Außerdem wird gerade ein Forschungsprojekt durchgeführt, das uns schwarz auf weiß das Ergebnis liefert, wie groß die CO2Reduktion ist, die wir dadurch erzielen können. Ein weiterer Grund für offensive Radverkehrspolitik ist die Stadtentwicklung. In der Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt vom Mai 2007 - Europa lässt grüßen! - ist der Radverkehr zweimal aufgeführt, allerdings nur beiläufig. Ich sage: Nachhaltige städtebauliche Entwicklung geht nur mit der Fortentwicklung des Radverkehrs. Der Kollege Storjohann hat es deutlich gemacht: Parkplatznot, Flächenverbrauch, Schadstoffemissionen, Verkehrslärm, Rushhour, Stau, hohe Benzin-, hohe Mobilitätspreise, das sind unsere Alltagssorgen. Ein Ansatz zur Lösung dieser Probleme ist mehr Radverkehr. Fahrradpolitik in Form von Radwegen ist eine wichtige Sache. Eine weitere wichtige Sache ist jedoch das richtige Klima, die Fahrradfreundlichkeit. Im Fahrradbericht der Bundesregierung wird festgestellt, dass das Engagement der einzelnen Städte, Länder und Gemeinden bei der Radverkehrsförderung erhebliche Unterschiede aufweist. Die Unterschiede vor Ort, muss man feststellen, sind oft drastisch. Deshalb meine große Einladung an die Kommunen: Nehmen Sie das Angebot der Bundespolitik mit der Fahrradakademie, dem Bund-Länder-Arbeitskreis und dem Fahrradportal im Internet intensiv wahr! Wir aus der Bundespolitik bieten mit unserer Radverkehrspolitik den offenen Dialog und vielfältige Möglichkeiten. Auf die Verkehrssicherheit kann ich leider nicht mehr Bezug nehmen. Aber noch ein Wort zur Fahrradmitnahme im Schnellverkehr der Bahn, im ICE. Herr Mehdorn hat mit dem Europaabgeordneten der Grünen Cramer gewettet. Der Kollege Cramer hat gewettet, dass das Europaparlament beschließt, dass die Fahrradmitnahme im Fernverkehr kommen wird. Herr Mehdorn hat die Wette verloren und dem Kollegen Cramer zur Begleichung seiner Wettschuld generös sechs Flaschen Champagner mitgebracht. Ich verzichte auf den Champagner; aber ich verzichte nicht auf gute, kundenfreundliche Bahnpolitik im Interesse auch der Radfahrkunden. Vielen Dank, Kollegen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über zwei Reifen. Der eine ist die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Der andere, sozusagen das Vorderrad, ist der Zweite Fahrradbericht der Bundesregierung. In ihm wird hervorgehoben, was alles Gutes für Radfahrer getan worden ist. Dagegen zielen die 109 Fragen der Kollegen darauf, Defizite aufzuzeigen. Hier tun die Kollegen recht. Auch wir fragen uns, wieso der Anteil des Radverkehrs in Deutschland immer noch bei unter 10 Prozent dümpelt und nicht längst bei 20 Prozent ist. Gerade das Radfahren im Alltag muss attraktiver werden. Ich möchte ein Beispiel nennen, wo Radfahren unattraktiv oder problematisch ist. Wir müssen gar nicht weit gehen, schauen Sie sich das Chaos hier an: Vor dem Jakob-Kaiser-Haus sind Fahrräder, weil es keine andere Möglichkeit gibt, so abgestellt, dass das Überqueren der Straße problematisch ist. Die Radfahrer wissen nicht, wo sie ihren Drahtesel lassen sollen. ({0}) Da müssen wir dringend etwas tun. Es muss nicht immer der teure Edelstahlbügel sein, das kann auch eine Ausführung aus weniger edlem Metall sein. Ein zweites Beispiel, ebenfalls direkt aus dem Umkreis, ist der Berliner Hauptbahnhof. Ich habe recherchiert: Am neu erbauten Berliner Hauptbahnhof gibt es 860 Stellplätze für Autos, aber gerade einmal 30 für Fahrräder. ({1}) Da muss der Fahrradfahrer sehen, wo er sein Fahrrad lässt. Vielleicht meint ja mancher, das solle so sein. Denn was will jemand mit dem Fahrrad am Bahnhof, wenn er es im ICE sowieso nicht mitnehmen kann? Zurzeit wird die erste ICE-Generation modernisiert. Bei dieser Gelegenheit könnte man die Fahrradmitnahme relativ einfach ermöglichen. Aber maximal soll es hier nur einen kleinen Versuch geben. Herr Mehdorn hat das alles vor kurzem noch als Quatsch bezeichnet. Nun haben wir diese Woche im Spiegel von dieser verlorenen Wette lesen können. Es gibt jetzt die EU-Richtlinie, die besagt, dass es auch im Schnellverkehr die Möglichkeit geben muss, Fahrräder mitzunehmen. Vielleicht brauchen wir einfach jemanden, der auch in unserem Auftrag die Interessen der Fahrradfahrer wahrnimmt und artikuliert. Allein durch diese Beispiele, die ich aufgezeigt habe, wird deutlich, dass ein Bundesradfahrbeauftragter - das muss kein Mann sein, das kann ja auch eine Frau sein dringend nötig wäre und vielfältige Aufgaben hätte. Ein Beispiel dafür ist, wie gesagt, die verbesserte Fahrradmitnahme nicht nur in Fernzügen, sondern auch in Regionalzügen, bei einer einheitlichen Tarifstruktur und einer einheitlichen bundesweiten Regelung. Das wäre ein Ansatz, durch den das Fahrradfahren im Alltag attraktiver und eher möglich gemacht werden würde. Der oder die Fahrradbeauftragte - ich denke dabei an jemanden aus den vielen arbeitenden Verbänden - könnte sich für die Interessen starkmachen und helfen, das Miteinander im Verkehr besser zu gestalten und die unterschiedlichen Ansprüche der Verkehrsteilnehmer in Einklang zu bringen. Radfahrer sind nicht waghalsige Verrückte, die sich in den Großstadtdschungel stürzen, sondern sie wollen einfach, schnell und kostengünstig von A nach B kommen. Ich glaube, sie brauchen unsere Unterstützung. Damit mehr Leute die Vorteile des Fahrradfahrens erkennen und sie auch nutzen, müssen wir es attraktiver machen. Wir meinen, hier gibt es noch viel zu tun. Die vorliegenden Papiere sind ein guter Ansatz, aber wir werden gemeinsam eine Debatte darüber führen müssen. Dabei sollten wir unsere eigene Vorbildwirkung nicht unterschätzen. Ich danke. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6705 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eine Chance für den Wettbewerb - Kein Monopolschutz für die Deutsche Post AG - Drucksache 16/6432 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Post braucht Wettbewerb - Wettbewerb braucht faire Bedingungen - Drucksache 16/6631 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion. ({2})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Bei Debatten über Wettbewerb und über Monopole, die zu knacken sind, erleben wir, dass es allerhand Schwierigkeiten gibt: im Energiebereich, bei der Telekom, bei der Bahn und auch bei der Post. Ich glaube, am heutigen Mittag ist es notwendig, den wettbewerblichen Aspekt des Quasimonopols der Deutschen Post AG hier noch einmal zu thematisieren. In dem Ihnen vorliegenden Antrag geht es ganz ausdrücklich um eine vollständige Abschaffung des jetzt noch bestehenden Monopols für Briefe bis zu 50 Gramm. Sie wissen, dass es vor zwei Jahren schon einmal eine Verlängerung dieses Briefmonopols gegeben hat. Insofern ist es notwendig, in dem Bereich jetzt zu einem Ende zu kommen. Das ist auch vorgesehen. Wir verweisen aber darauf, dass die Abschaffung des Briefmonopols mit der Abschaffung aller weiteren Barrieren für die Marktteilnehmer einhergehen muss. ({0}) Es gibt erste sehr positive Entwicklungen auf dem Postmarkt, auf dem sich private Postdienstleister zu etablieren versuchen und dabei einigermaßen erfolgreich sind, beispielsweise im Paketdienst. Paketdienstleister haben teilweise sogar schon mehr Verkaufs- bzw. Dienststellen als die Deutsche Post AG. Man sieht also, dass der Wettbewerb an dieser Stelle funktioniert. Wir möchten aber nicht, dass der Wegfall des Briefmonopols an die Einführung eines Mindestlohns gekoppelt wird. Auf diesem Weg käme es zu einer Aushöhlung des neu entstandenen Wettbewerbs. Es ist einfach nicht in Ordnung, dass ein Tarifvertrag als Mittel zur Marktabschottung benutzt wird. Dagegen wenden wir uns ausdrücklich. Außerdem fordern wir die Beendigung der Begünstigung der Deutschen Post AG durch das Mehrwertsteuerprivileg, das ihr einen Preisvorteil von immerhin 19 Prozent verschafft. Wenn sich die anderen Marktteilnehmer als Wettbewerber am Markt behaupten wollen, dann müssen sie diese 19 Prozent in der Preisgestaltung ausgleichen. Das wiederum geht zulasten der Löhne. Genau das beklagen Sie hier, und zwar recht scheinheilig, wie ich finde. Es wird sich zeigen, dass der Weg der Mindestlöhne, die insbesondere von der SPD gewünscht werden, schädlich ist. Ich kann die Union nur warnen: Sie öffnen damit ein Einfallstor. Überlegen Sie sich gut, was Sie tun! Es war nicht gut, dass die Kanzlerin der Aufnahme der Postdienstleistungen in das Entsendegesetz zugestimmt hat. Sie werden sehen, dass damit die Tür für die Einführung von Mindestlöhnen in weiteren Bereichen geöffnet wird. ({1}) Das ist schädlich für den Wettbewerb. Bei den privaten Wettbewerbern stehen etwa 50 000 Arbeitsplätze auf der Kippe. Es kommt darauf an, ob sich diese und weitere Wettbewerber erfolgreich etablieren können. Dafür ist Wettbewerbsgleichheit - das heißt gleiche Bedingungen am Markt - notwendig statt einer einseitigen Bevorzugung des jetzigen Monopolisten. ({2}) Auch wir als FDP-Bundestagsfraktion wollen keine Dumpinglöhne. Dabei stellt sich die Frage, was unter Dumpinglöhnen zu verstehen ist. Es ist sehr interessant, wie die Deutsche Post AG auf dem niederländischen Postmarkt agiert. Dort sind 12 000 Briefträger für eine Tochter der Deutschen Post AG tätig. Der dortige Mindestlohn beträgt 9 Euro pro Stunde. Die Tochter der Post AG zahlt zwischen 6 und 8 Euro brutto und liegt damit unter dem Mindestlohn, ({3}) und zwar ohne dass sie Urlaubsgeld, Beiträge zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und zur Rentenversicherung zahlt. ({4}) In den Niederlanden zahlen die Arbeitnehmer die Beiträge zu 100 Prozent selbst. ({5}) Die Post erwirtschaftet derzeit 50 Prozent ihres Umsatzes auf den internationalen, bereits liberalisierten Postmärkten. Sie ist dabei höchst erfolgreich, gestützt auf die Monopolgewinne, die sie in Deutschland erzielt. Ich glaube, dass dieses große Unternehmen längst in der Lage ist, auch in Deutschland ohne irgendwelche Sonderprivilegien wettbewerbsfähig zu agieren. Ich denke, dass es notwendig ist, diese Privilegien abzuschaffen. ({6}) Es wird immer wieder das Argument angeführt, die Mehrwertsteuerbefreiung der Deutschen Post AG sei wegen der flächendeckenden Versorgung notwendig. Jeder Brief müsse bis ins letzte Dorf und bis auf die letzte Hallig transportiert werden, wie es immer so schön heißt. Das ist zwar richtig - wir sehen das genauso -, aber die flächendeckende Versorgung ist bereits geregelt. Es gibt die Möglichkeit, einen Fonds zu schaffen, in den alle Marktteilnehmer einzahlen, damit die zusätzlichen Dienste, die besonders teuer sind, finanziert werden können. Wenn man will, gibt es Lösungen, um die flächendeckende Versorgung auch weiterhin zu gewährleisten. Sagen Sie deshalb Ja zu mehr Wettbewerb und schließen Sie das Einfallstor für diejenigen, die ihre eigene Monopolstellung weiter festigen wollen! Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt für die Unionsfraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kopp, es geht nicht darum, einen Staatsmonopolisten vor Konkurrenz zu schützen oder Konkurrenz zu verhindern. ({0}) Es geht auch nicht um den Einstieg in einen flächendeckenden Mindestlohn. Sie wissen, dass unsere Fraktion das in höchstem Maße ablehnt. ({1}) Um das alles, was Sie vorgebracht haben, geht es nicht. Es geht um Wettbewerb; es geht um mehr Qualität. Es geht um Leistungssteigerung; es geht um günstigere Preise; es geht um Nähe zum Kunden. ({2}) Das ist das, worum es uns bei den Briefdienstleistungen geht, und das wollen wir durchsetzen. ({3}) Sie haben recht: Am 1. Januar nächsten Jahres endet das Postmonopol, und es wird zu einem flächendeckenden Wettbewerb bei den Briefdienstleistungen kommen; das ist gut so. Interessant ist, dass Sie sich in diesem Zusammenhang offensichtlich mehr Gedanken über den holländischen Markt machen, ({4}) dass Sie genau beschreiben können, was da los ist, ({5}) anstatt sich einfach einmal den deutschen Markt anzuschauen, sich um die deutschen Beschäftigten auf dem Briefdienstleistungssektor zu kümmern und vielleicht einmal auf das einzugehen, was das Wirtschaftsministerium im Juni in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion mitgeteilt hat, nämlich dass von den 600 000 Aufstockern, die es in Deutschland zurzeit gibt, 1,4 Prozent - das sind 8 000 Menschen - bei alternativen Briefdienstleistern beschäftigt sind. Das heißt, dass man da mit einem sehr hohen Anteil an staatlichen Leistungen - im Prinzip mit Transferzahlungen ({6}) Arbeitnehmer finanziert. Das sollten Sie vielleicht auch einmal in Betracht ziehen und darüber nachdenken, wie sich das weiterentwickeln soll. ({7}) Also: Wir wollen fairen Wettbewerb. Wir wollen einen Wettbewerb, der den Kunden, den Menschen in Deutschland etwas bringt. Aber dieser Wettbewerb soll nicht der Einstieg in einen Wettbewerb um die geringsten Löhne sein. ({8}) Wenn wir das Angebot an Briefdienstleistungen in Deutschland verbessern wollen, dann brauchen wir, glaube ich, damit dieser Wettbewerb profitabel wird, leistungsfähige Unternehmen, vor allem natürlich Mittelständler. Leistungsfähige Unternehmen ihrerseits brauchen leistungsfähige Mitarbeiter. Leistungsfähige Mitarbeiter wird man dauerhaft nicht mit subventionierten Löhnen bekommen, vielmehr muss man leistungsfähige Mitarbeiter entsprechend motivieren. ({9}) Daraus soll nicht folgen, dass sich die Politik zukünftig in Lohnfindung einmischen soll. ({10}) - Überhaupt nicht, im Gegenteil: Lohnfindung ist Sache der Tarifparteien. Daran wollen wir überhaupt nichts ändern. ({11}) - Ja. - Aber wir wollen sichergestellt haben, dass objektive Bedingungen, die wir stellen, erfüllt sind, sodass nicht unbeteiligte Dritte einbezogen werden und sie nicht auf einmal in einen Geltungsbereich einbezogen werden, in den sie nicht gehören. Dazu hat die Koalition am 18. Juni und am 20. August in Meseberg Regeln aufgestellt. Da haben wir uns darauf geeinigt, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf weitere Branchen auszuweiten. Bedingung hierzu ist, dass Branchen eine Tarifbindung von mindestens 50 Prozent haben. Sie erhalten das Angebot, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden und tarifliche Mindestlöhne zu vereinbaren. Sie müssen einen Antrag stellen usw. Das ist eine der Regeln, die wir natürlich auch gerne eingehalten sehen wollen. Deswegen ist es notwendig, dass wir überprüfen, ob diese Regeln auch von denen, die momentan in dem Bereich agieren, entsprechend erfüllt werden. Dazu gehört auch, dass man sich an die üblichen Regeln des wirtschaftlichen Zusammenlebens hält. Wenn ich höre - da darf ich auf das zurückkommen, was der Kollege Laurenz Meyer heute Vormittag gesagt hat -, dass es auf einmal Gewerkschaften gibt, die vor staatlich überhöhten Zwangslöhnen warnen, dann muss ich sagen: Das klingt reichlich komisch. Das hat natürlich mit dem, was wir üblicherweise Wettbewerb nennen, wenig zu tun. Wir müssen aufpassen, dass wir in dieser Debatte nicht langsam ein Stück weit ins Lächerliche abrutschen. Davor warne ich. Unsere Aufgabe hier muss es sein, dafür zu sorgen, dass sich die Betroffenen in der üblichen Weise miteinander verständigen, dass sich die betroffenen Tarifparteien zu einem ordentlichen Ergebnis durchringen, das keinem Dritten zum Schaden gereicht und das dazu führt, dass Briefdienstleistungen für die Menschen, die Bürger, um die es hier geht, in Deutschland besser und nicht schlechter werden. Dieser Aufgabe müssen wir gerecht werden; dazu fordere ich auf. Frau Kopp, Sie sollten nicht polemisch darüber reden, ob Wettbewerb verhindert wird oder ob hier ein unumkehrbarer Bruch stattfindet. ({12}) Wir wollen den Wettbewerb. Wir lassen uns nichts anderes unterstellen. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Dr. Herbert Schui das Wort. ({0})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vollständige Liberalisierung der Briefpost bis 2008 wird mit mehr Wettbewerb begründet. Die allgemeine Parole lautet: Wettbewerb ist einfach immer gut. Ich glaube, dass wir demnächst gemeinsam den Cantus „Im Markt ist Wahrheit nur allein“ anstimmen werden. Wir werden dann dem Wettbewerb als neuem Heilsglauben huldigen. Markt und Wettbewerb sind ein Heilsplan für die Menschheit. Jedenfalls fehlt allen Plänen eine rationale Begründung. Es handelt sich lediglich um eine Deduktion aus drei Glaubenssätzen; das war’s. ({0}) Staatsmonopolisten auflösen, das hört sich immer ganz gut an. Das klingt nach antimonopolistischem Kampf. Dabei könnte es einem als Linken warm ums Herz werden. ({1}) - Stimmt, wir beide waren in unserer Jugend entsprechend aktiv. ({2}) Es geht aber um die Ziele. Es wird erwartet, dass die Bedarfsdeckung durch Wettbewerb und Markt optimal ist und dass dann alles in bester Ordnung ist. Aber welches ist das eigentliche Ergebnis der bisherigen Liberalisierung im Postbereich? Von 1999 bis 2005 hat die alte Post 34 000 Menschen weniger beschäftigt. Die privaten Konkurrenten beschäftigen 12 000 mehr. Das macht einen negativen Saldo von 22 000. ({3}) - Nein, es ist schlechter geworden. - 2006 gab es 10 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in diesem Gesamtbereich, die ihre Einkommen durch ALG II aufstocken mussten. Das ist eine deutliche Verschlechterung der Einkommenslage. Die gesamten Leistungen dieses so modernisierten, liberalisierten Postbereichs sind erheblich schlechter geworden. Es fehlen Poststellen und Briefkästen. Zudem sind die Leerungszeiten nicht mehr so günstig wie zuvor. Die Preise dagegen haben sich im Rahmen dieses sogenannten Wettbewerbs und dieser Liberalisierung erheblich erhöht. Die Preise für die Paketbeförderung zum Beispiel sind von 2000 bis 2006 um ein Viertel gestiegen. Wo sind denn nun eigentlich die Früchte Ihres Wettbewerbs geblieben? ({4}) Sie bleiben bei den Managergehältern sowie den Gewinnen und den ausgezahlten Dividenden, je nachdem, wie das Unternehmen aufgestellt ist. Mehr ist nicht zu erwarten. Die Befreiung der Post von der Mehrwertsteuer ist eine vernünftige Regelung, soweit aufgrund des 19-Prozent-Vorteils sichergestellt wird, dass wir eine flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen haben, und zwar auch dort, wo die Privaten aus Renditeerwägungen nicht tätig werden. Das ist eine gute Idee. Die entscheidende Frage ist aber, wer das kontrolliert. Es könnte sein, dass das Großunternehmen Post aufgrund der Besserstellung bei den Kosten die zusätzlichen Einnahmen dazu verwendet, Postzustellungsunternehmen in anderen Ländern aufzukaufen. Dann hätten wir eine sogenannte Zerschlagung der Monopole, aber auch mehr nationale bzw. internationale Konzentration. Also ist es erforderlich, dass kontrolliert wird, ob die Post tatsächlich den Verpflichtungen nachkommt, die sie aufgrund der Befreiung von der Mehrwertsteuer hat. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es für mich nur eine Lösung, nämlich die Post wieder in öffentliches Eigentum zu überführen, ({5}) damit sie kontrolliert ihre Aufgaben wahrnehmen kann. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach § 4 Nr. 11 b des Umsatzsteuergesetzes sind die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der Deutschen Post AG von der Umsatzsteuer befreit; Kollege Schui hat eben davon gesprochen. Mit dieser Vorschrift wird das Gemeinschaftsrecht in nationales Recht umgesetzt. Zu den unter die Steuerbefreiung fallenden Umsätzen gehören die Leistungen, die nach der Post-Universaldienstleistungsverordnung - für die Zuhörer hier im Saal: Wir nennen sie PUDLV - aus dem Jahr 1999 zum Universaldienst gehören. Das ist die Beförderung von Briefsendungen bis 2 000 Gramm, von adressierten Paketen bis 20 Kilogramm und von Zeitungen und Zeitschriften. Alle anderen Leistungen der Deutschen Post AG sind ebenso wie die Dienstleistungen anderer Postdienstleister bereits jetzt umsatzsteuerpflichtig. Die Steuerbefreiung gilt aufgrund der zwingenden EU-Rechtslage für die Leistungen der Deutschen Post AG aus dem Bereich der gesetzlichen Exklusivlizenz und die sonstigen Universaldienstleistungen nach der PUDLV völlig zu Recht. Nach dem Ergebnis der Klausurtagung des Bundeskabinetts in Meseberg am 24. August dieses Jahres bleibt die Mehrwertsteuerbefreiung für flächendeckende Universaldienste in der Postbranche erhalten. ({0}) Maßgebend für diese Entscheidung ist insbesondere, dass mit der Steuerbefreiung für diese Leistungen sichergestellt werden soll, dass Postdienstleistungen auch weiterhin ständig flächendeckend und bundesweit angeboten werden und für jedermann erschwinglich sind. - Selbstverständlich wird kontrolliert, ob das eingehalten wird. Die Bürgerinnen und Bürger würden sofort merken, wenn das nicht eingehalten würde. - Unter die Begünstigung sollen deshalb Leistungen von Unternehmen fallen, die eine zur Versorgung der Gesamtbevölke12666 rung ausgerichtete Unternehmensstruktur aufweisen und durch Vorhalten einer entsprechenden Infrastruktur auch tatsächlich flächendeckend und bundesweit die Gesamtheit des Leistungsspektrums der Postuniversaldienstleistungen erbringen. Eine solche Befreiung ist auch nach Gemeinschaftsrecht vorzusehen. Postdienstleistungen, die dem Gemeinwohl dienen, sind auch nach dem Wegfall eines Postmonopols von der Mehrwertsteuer zu befreien. Ich möchte festhalten, dass unter die Steuerbefreiung Postdienstleistungen aller Anbieter fallen können, also neben der Deutschen Post AG auch ihrer Mitbewerber, soweit die von mir genannten Voraussetzungen insgesamt erfüllt werden. Damit ist sichergestellt, dass gleiche Umsätze gleich behandelt werden. Wettbewerbsvor- oder -nachteile entstehen durch die Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Kerstin Andreae das Wort.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Staatssekretärin, ich weiß nicht genau, ob der Jobwechsel, der am Wochenende eventuell für Sie ansteht, eine gute oder eine schlechte Wahl ist. Auf jeden Fall aber habe ich mich gefreut, Ihrer Rede lauschen zu können. Ich muss allerdings sagen, dass das, was in Meseberg verabredet wurde und was danach passiert ist, nicht deckungsgleich ist. So hat beispielsweise Bundeskanzlerin Merkel das Steuerprivileg der Post attackiert. ({0}) Es gab - das ist zwei, drei Wochen her - die Diskussion, ob es einen Sinn ergibt, das Steuerprivileg der Post anzutasten. Ich sage Ihnen - so lautet auch unser Antrag -: Ja, es ist richtig, die Mehrwertsteuerbefreiung der Post auf den Prüfstand zu stellen. Es handelt sich um eine Form der Wettbewerbsverzerrung. Wir wollen eine steuerliche Gleichbehandlung aller Teilnehmer am Markt. Deswegen muss die Mehrwertsteuerbefreiung der Post weg. ({1}) Aber wir stimmen dem Antrag der FDP nicht zu. ({2}) Wir wollen Wettbewerb, so lautet unser Antrag. Wir wollen, dass die Voraussetzungen für einen diskriminierungsfreien Wettbewerb geschaffen und Wettbewerbsbehinderungen und Wettbewerbsverzerrungen aufgehoben werden. Das verlangt zum einen eine steuerliche Gleichbehandlung der Marktteilnehmer und zum anderen die Schaffung von Mindestlöhnen. Es ist nicht gut, wenn sich Anbieter durch Lohndumping Eintritt in den Markt verschaffen. Deswegen sind die Regelungen zum Mindestlohn bei Briefzustellern, die Sie in Meseberg beschlossen haben, richtig. ({3}) Führen Sie doch beides zusammen! Sorgen Sie für die Einführung von Mindestlöhnen auf der einen Seite und die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung auf der anderen Seite! Frau Kopp, Sie haben - völlig zu Recht - gefragt, wo die Kreativität bleibt, sich einmal mit der Frage auseinanderzusetzen, wie durch die notwendige Post-Universaldienstleistungsverordnung, PUDLV, gewährleistet werden kann, dass die Versorgung flächendeckend und bezahlbar ist, dass ein Brief von Sankt Peter nach Sankt Peter-Ording genauso schnell transportiert wird wie von München nach Berlin. Der bisher einzige Ansatz, um dieses Ziel zu erreichen, besteht in der Befreiung der Post von der 19-prozentigen Mehrwertsteuer. Es gäbe weitere Möglichkeiten. Die EU hat Vorschläge gemacht. Im Übrigen ist es nicht so, dass wir uns hier in einem luftleeren Raum bewegen: Es gibt ein Vertragsverletzungsverfahren, das den Umgang mit der Mehrwertsteuer zum Gegenstand hat. Das heißt, wir werden uns sowieso damit auseinandersetzen müssen, wie wir den anderen Anbietern auf dem Postmarkt die gleichen Bedingungen wie der Post gewährleisten und wie wir im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Kundinnen und Kunden, der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen können, dass die Postzustellung flächendeckend, sinnvoll und gut ist. Herr Schui, auch Ihnen täte ein bisschen mehr Kreativität bei der Beantwortung der Frage, warum sich der Postmarkt so entwickelt hat, wie er sich entwickelt hat, gut. Wir leben im Zeitalter des Internets. ({4}) Viele Briefe werden heutzutage als E-Mail versandt. Unser Postmarkt ist völlig anders als 1995. Ich finde es richtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt entwickelt. Es macht auch Sinn, sich zu fragen, ob Arbeitsplätze abgebaut werden und wie die Arbeitsmarktbedingungen sind. Es ist klug und vernünftig, darüber nachzudenken. Aber statisch zu denken und davon auszugehen, dass die Situation in 2007 der von 1995 entspricht, ist wirklich zu wenig. ({5}) Für uns Grüne ist klar: Ja zu den Mindestlöhnen, Ja zur gleichen steuerlichen Behandlung, Ja zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Nein zum Lohndumping, Ja zu einer verbraucherfreundlichen Entwicklung des Postmarkts. Es bedarf auf allen Seiten ein bisschen mehr Kreativität bei der Umsetzung der Anforderungen der Post-Universaldienstleistungsverordnung, damit es zu einer verbraucherfreundlichen Situation kommt. Wenn das geschieht, sind wir auf dem richtigen Weg. Ich bin froh, dass die Große Koalition nicht mehr darüber spekuliert, ob man die Abschaffung des Briefmonopols doch noch hinausschiebt. Diese Diskussion ist tatsächlich beendet, unter anderem, weil wir Grünen gefordert haben, für die im Postmarkt Beschäftigten Mindestlöhne zu schaffen. ({6}) Jetzt müssen Sie noch für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Gerald Weiß für die Unionsfraktion. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für mehr Wettbewerb sind fast alle, natürlich bis auf die, die am liebsten wieder volkseigene Betriebe hätten. Aber wie soll der Wettbewerb auf dem Briefdienstleistungsmarkt in einem offenen Land, mitten in einem riesigen Wirtschaftsraum künftig aussehen? Herr Dr. Kolb, ich mache mir ein bisschen Sorgen um das politische Langzeitgedächtnis der FDP; ({0}) denn die Instrumente, die die Große Koalition jetzt anwenden will, sind in der Zeit, als wir, Union und FDP, gemeinsam regiert haben, entwickelt worden. Das Entsendegesetz ist nichts anderes als ein Rahmen, durch den aus Wettbewerbsordnungsgründen dort ein tariflicher Mindestlohn ermöglicht werden soll, wo wir ihn brauchen. Das ist die Philosophie der Großen Koalition. Ich wiederhole: Es geht darum, dort tarifliche Mindestlöhne zu ermöglichen, wo wir sie aus Wettbewerbsordnungsgründen brauchen. Vieles spricht dafür, dass der Postdienstleistungsmarkt ein Markt ist, auf den das zutrifft. Das Entsendegesetz hat seine Wurzeln in unserer gemeinsamen Regierungszeit. ({1}) Was das Postgesetz angeht - es stammt ebenfalls aus den 90er-Jahren -, wollten wir nicht den Wildwestwettbewerb, Herr Dr. Kolb, den Sie jetzt offenbar wollen, Stichwort „Rückkehr zu Ihren Wurzeln, Laisser-faireLiberalismus“. Mit § 6 Abs. 3 des Postgesetzes sollte Wettbewerb um Servicequalität, um Effizienz und um Preise geschaffen werden, ({2}) aber nicht Wettbewerb auf den Knochen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der kleinen Leute. ({3}) In diesem Sinne wollten wir mit dem Postgesetz einen geordneten Wettbewerb. Es geht um die Frage: Wie viel Ordnung muss auf diesem Markt sein? Es soll so viel Wettbewerb wie irgend möglich stattfinden - das fördert die Kreativität -, aber es muss in gewisser Hinsicht auch eine Wettbewerbsordnung existieren, damit wir Fehlentwicklungen, wie wir sie jetzt beobachten, beenden oder neuen Fehlentwicklungen vorbeugen können. Es kann doch nicht dazu kommen, dass der Staat wegen des sehr niedrigen Lohnniveaus auf bestimmten Teilmärkten regelhaft zuzahlen muss nach dem Motto - der Arbeitsminister hat es heute früh in der Debatte gesagt -: Den Rest holst du dir bei Münte. - Wir dürfen nicht zulassen, dass man sich den Rest bei Münte holen muss. ({4}) Das Mittel der Wahl ist kein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn. Wir müssen vielmehr einen Rahmen schaffen, um - ich sage es noch einmal - einen tariflichen Mindestlohn dort zu ermöglichen, wo wir ihn brauchen. ({5}) Das ist der Weg über das Entsendegesetz.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Weiß, wer so redet wie Sie, fordert am Ende einen flächendeckenden gesetzlichen oder tariflich vereinbarten Mindestlohn. ({0}) Ich stelle fest - so habe ich es bisher immer verstanden, auch den Kollegen Meyer heute Morgen -, dass die Union das sehr differenziert sieht. Die Tatsache, dass jemand zusätzliche Transferleistungen bekommt, kann nicht allein als Indiz für zu niedrige Löhne herangezogen werden. Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu? Der verheiratete Familienvater bräuchte beispielsweise einen Mindestlohn von etwa 12 Euro, um sich und seine Familie zu ernähren. 12 Euro, das ist noch mehr, als es die Linken vor einem Jahr gefordert hatten. Sie wollten damals 7,50 Euro, im Juni dieses Jahres 8 Euro, und im letzten Antrag waren es 8,44 Euro. ({1}) Es geht also noch weit darüber hinaus. Sie können nicht sagen: Jeder, der zusätzlich etwas vom Staat bekommt, hat zu wenig. Dann kommen Sie nämlich zu einer Tarifpolitik nach Familienstand. Das kann auch nicht die Lösung des Problems sein. ({2})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In der Differenziertheit lässt sich die Union nicht übertreffen, wie Sie aus Begegnungen mit uns wissen. Der Bezug von Transferleistungen ist nicht das einzige Kriterium. In jedem einzelnen Fall muss die Frage sein: Gebietet es das öffentliche Interesse, hier eine untere Lohngrenze einzuziehen, weil es ansonsten zu Lohndumping käme und wir - das ist ein zusätzliches wichtiges Kriterium - auf dem Wege von Transferzahlungen subventionieren müssten? Die Antwort darauf muss derjenige geben, der sozusagen unter das Dach des Entsendegesetzes will. In den Bereichen Maschinenbau oder Chemie werden wir nie über einen tariflichen oder gar gesetzlichen Mindestlohn reden müssen, aber es gibt arbeitsintensive, wettbewerbsintensive Branchen, in denen wir insbesondere in der Zeit eines Übergangs hin zu offenen Grenzen bzw. in einer Zeit nach jüngst geöffneten Grenzen so etwas wie eine Ordnung brauchen, damit der Wettbewerb - ich sage es noch einmal - sich nicht austoben kann und das nicht auf die Knochen der kleinen Leute geht. - Herr Kolb, erst jetzt dürften Sie sich setzen; Sie haben das vorweggenommen. ({0}) Es geht also darum: Wettbewerb so weit wie möglich, Ordnung so weit wie nötig. Diese Kernfrage im vorliegenden Fall der Briefdienstleistungen angemessen zu beantworten, ist die Ambition des gesetzgeberischen Vorhabens. Wir prüfen sehr genau, auch als Fraktion, ob die Voraussetzungen für den Weg, den das Entsendegesetz und die politischen Entscheidungen von Meseberg vorgegeben haben - dazu gehört mindestens 50 Prozent Tarifbindung -, erfüllt sind. Die Regierung muss prüfen, ob im Verfahrensgang die Bedingungen erfüllt werden. ({1}) Wir entwickeln Rahmenbedingungen, mit denen das gewünschte Ziel erreicht wird, einen Wettbewerb zulasten der Kleinen zu verhindern und die Grundlage für einen fairen Wettbewerb in einem weit geöffneten Korridor zu schaffen. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel für die SPDFraktion.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Anträge - das haben wir schon gehört - enthalten Gemeinsamkeiten, aber auch einen Unterschied: In beiden wird für einen freien Wettbewerb und für die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung der Deutschen Post AG plädiert; der Unterschied liegt bei der Frage eines Mindestlohns. Ich will erst einmal ein paar Bemerkungen zu den anderen Punkten machen. Entgegen der Darstellung in den beiden Anträgen stehen wir meiner Ansicht nach nicht vor der Gefahr einer Zementierung des Postmonopols. Man muss die Gegenrechnung aufmachen: Wenn wir nichts tun oder wenn wir handeln, wie Sie von der FDP es wollen, geraten die Arbeitsplätze in Deutschland von drei Seiten auf unfaire Weise unter Druck: erstens auf der Ebene der Arbeitsbedingungen durch das Lohndumping, zweitens durch die Universaldienstverpflichtung, die zweifellos Kosten verursacht, und drittens durch die europäische Wettbewerbssituation, vor allem, weil die EU gegenüber der Bundesrepublik Deutschland bei der Marktöffnung drei bis fünf Jahre im Verzug ist. Deswegen haben wir Sozialdemokraten kein Geheimnis daraus gemacht, dass wir die Marktöffnung lieber noch verschoben und im europäischen Gleichklang durchgeführt hätten. Dazu stehen wir. ({0}) Jetzt entsteht in Europa folgende Situation - das muss man sich einmal vor Augen führen -: Der deutsche Markt wird vollständig geöffnet; in einem großen Teil der Länder werden die Märkte nicht geöffnet. In Schweden, Großbritannien, den Niederlanden und Finnland werden die Märkte - zumindest auf dem Papier - geöffnet. In all diesen Ländern, meine Herren und Damen von der FDP, gelten entweder gesetzliche oder tarifvertraglich-allgemeinverbindliche Mindestlöhne, überall zwischen 8 und 10 Euro. Ich möchte als Beispiel die Niederlande nennen, wo sich - Frau Kopp hat es angesprochen - der Sitz von TNT befindet. Es wundert mich, dass auch dieses Unternehmen Mitglied des neuen Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste ist; Vorsitzender dieses Ladens ist der Herr mit dem goldenen Parteibuch. Dieser Verband plädiert für Tariflöhne bei der Post von 6 Euro im Osten und 7,50 Euro im Westen. TNT, einer der großen Weltpostkonzerne, agiert aus einem Land heraus, in dem es einen Mindestlohn von 8,08 Euro gibt. Wenn die Deutsche Post AG dort auftreten will, muss sie also den Mindestlohn von 8,08 Euro zahlen, und zwar ohne Aufstockung aus öffentlichen Kassen der Niederlande. Dagegen will TNT für einen Lohn von 6 Euro in Ostdeutschland antreten, subventioniert durch ALG-IILeistungen, also Steuergelder. TNT würde also mit Steuergeldern subventioniert, die auch die Deutsche Post AG und ihre Briefträger in Deutschland bezahlen. Das nennt man dann fairen europäischen Wettbewerb. - Als weiteres Beispiel nenne ich Luxemburg, den Sitz der PIN AG, Teil des notleidenden Springer-Konzerns. In Luxemburg wurde das Briefmonopol bis 2013 verlängert. Dort gilt ein Mindestlohn von 9,08 Euro. Ich möchte einmal wissen, wie da die Rede von fairem Wettbewerb in Europa sein kann. Die einen haben Mindestlöhne, und ich habe noch nie gehört, dass jemand behauptet, das behindere den freien Wettbewerb. Wenn bei uns Mindestlöhne eingeführt werden, soll das aber plötzlich so sein. Wenn ich die Worte des Vizekanzlers einmal positiv wenden darf: Die anderen sind zwar für Wettbewerb, machen das aber intelligenter als wir. Der Postsektor zeigt, was es bedeutet, wenn in einem stagnierenden Markt Mindestlohnregelungen zur Schaffung besserer Arbeitsbedingungen fehlen: Erstens. Vollbezahlte, sichere Arbeitsplätze werden ungefähr im Verhältnis 3 : 1 verdrängt. Zweitens. Durch das Lohn- und Sozialdumping der Wettbewerber entsteht ein prekarisierter Niedriglohnsektor, in dem die Arbeitsplätze subventioniert werden. Drittens. Die bisher gut bezahlten Arbeitsplätze beim etablierten Anbieter - wir haben das erlebt - geraten unter Druck. Die Deutsche Post AG hat unter diesen Bedingungen - das wurde ihr von der Regulierungsbehörde vorgeworfen - die Arbeitszeiten verlängert, die Einstiegslöhne abgesenkt und Unternehmensbereiche, zum Beispiel die Filialen und die Fahrer, outgesourct. Damals ging ein Aufschrei durch die Republik. Wo sind all diejenigen, die sich darüber beschwert haben? Nun zum Thema Mehrwertsteuer. Die Befreiung von der Mehrwertsteuer führt tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung. Frau Kopp, mit dem Thema Mindestlohn hat das aber überhaupt nichts zu tun. Der Unterschied bei den Erlösen macht ja nicht 19 Prozent aus, weil die Wettbewerber im Unterschied zur Deutschen Post AG alle voll vorsteuerabzugsberechtigt sind. Sie ziehen die Mehrwertsteuer als Argument für den ungleichen Wettbewerb heran. Ich möchte von Ihnen einmal wissen, ob Sie dann auch dafür sind, dass ein Wettbewerber eine niedrigere Miete für sein Geschäftslokal zahlt oder die Fahrräder billiger bekommt, weil sonst der Wettbewerb nicht in Gang kommt. Warum soll das nur auf die Knochen der Beschäftigten gehen? Dazu sollten Sie einmal etwas sagen. ({1}) Wir befreien die Deutsche Post AG in diesem Bereich von der Mehrwertsteuer, weil wir sie zur Erbringung eines Universaldienstes verpflichten. ({2}) Die Kontrolle, dass das Geld nicht anders verwendet wird - Herr Schui, lassen Sie sich das einmal von Ihren Kollegen im Beirat erklären -, obliegt der Bundesnetzagentur, weil diese nämlich die Entgelte für die Briefbeförderung genehmigen muss. Darin ist die Mehrwertsteuer eingepreist. Die Grünen und die Linkspartei, aber auch die FDP lassen die Frage völlig außer Acht, wie sie denn eigentlich die Mehrkosten durch den Universaldienst finanzieren wollen, wenn in Zukunft der reservierte Bereich entfällt. ({3}) Die FDP und die Grünen sind doch die Ersten, die jedem abgebauten Briefkasten hinterherweinen und die die Universaldienstverpflichtung hochleben lassen. Sie wissen, dass die EU darauf keine Antwort gibt und dass auch wir bis jetzt keine Antwort darauf haben. Ich möchte einmal wissen, welche Argumente Sie den Verbrauchern vortragen wollen, die die Mehrwertsteuer bezahlen müssen, die aber keine Möglichkeit haben, den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Sie wären doch die Ersten, die über staatlich verursachten Preiswucher reden würden. Schönes Wochenende. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6432 und 16/6631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. November 2007, 13 Uhr, ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen noch eine erfolgreiche Woche. Die Sitzung ist geschlossen.