Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns für die heutige begrenzte Tagesordnung eine konzentrierte Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
- Drucksache 16/6735 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch; dann ist es so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz
Müntefering.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Guten Morgen miteinander! Wir haben in der Koalition abgemacht, dass wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz ändern
und möglichst viele Branchen einladen, Mitte des nächsten Jahres in dieses Gesetz aufgenommen werden zu
können.
Allerdings gab es auf dem Weg dahin in den letzten
Wochen und Monaten eine Entwicklung, die die Briefdienstleister in besonderer Weise betrifft. Im August
stellte sich heraus, dass in Europa der Umgang mit dem
Ende des Briefmonopols sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Vereinbart war, dass in Deutschland das
Briefmonopol - das sind Briefe bis zu 50 Gramm - zum
1. Januar 2008 ausläuft und dass dies in den anderen europäischen Ländern zum 1. Januar 2009 stattfinden wird.
Nun haben uns die anderen europäischen Länder, die
Nachbarländer, mitgeteilt: Nein, sie machen das nicht
2009, sondern erst 2011 oder später. Daraufhin haben
wir miteinander gesagt: Man darf zwar vorbildlich sein
und es ein Jahr vorher machen; aber man muss nicht
dumm sein. Man muss auch die Interessen des eigenen
Landes sehen. Was wir nicht wollen, ist, dass bei uns das
Briefmonopol zu Ende ist, in den anderen Ländern aber
die Öffnung noch nicht da ist. Das hieße, andere Länder
könnten bei uns agieren, wir aber nicht auf deren Markt.
Das wollen wir so nicht.
Also haben wir vereinbart: Wir machen noch in diesem Jahr eine Mindestlohnregelung für den Postbereich und lassen der Post das Privileg im Bereich der
Mehrwertsteuer, weil sie flächendeckend Universaldienste anbietet. Dies haben wir innerhalb der Koalition
besprochen und vereinbart. Bedingung war: Es gibt einen Antrag. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz funktioniert ja nicht so, dass die Politik sagt: „Ihr müsst da hinein“; vielmehr kommt es darauf an: Melden sich
Arbeitgeber und Arbeitnehmer und sagen, wir wollen da
hinein? Das ist passiert. Mitte September haben sich der
Postarbeitgeberverband und Verdi gemeinsam bei mir
gemeldet und gesagt: Wir möchten in das ArbeitnehmerEntsendegesetz mit dem Ziel, dass in Form einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung die Vereinbarung, die
wir, Post-Arbeitgeber und Post-Arbeitnehmer, getroffen
haben, zum Mindestlohn in unserem Bereich für alle
Briefdienstleister wird. - Damit war das, was wir vereinbart haben, als Bedingung erfüllt, und heute machen wir
nun sozusagen den ersten Schritt.
Wir haben seitens des Kabinetts einvernehmlich und
einstimmig ein Gesetz eingebracht, in dem steht, dass
die Briefdienstleister in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Wenn die Briefdienstleister
enthalten sind, muss noch im Verlauf dieses Jahres die
Verordnung erlassen werden - das ist auch möglich -,
sodass zum 1. Januar des nächsten Jahres Mindestlohn
für diese Briefdienstleister gilt. Mit der Beratung heute
und der Vorberatung im Bundesrat ist es möglich, dass
zum 30. November die letzte abschließende Beratung im
Bundesrat stattfindet und anschließend diese AllgemeinRedetext
verbindlichkeitserklärung in Form einer Verordnung zustande kommt. Ich werde diese Verordnung natürlich in
der nächsten oder übernächsten Woche zur Kenntnis geben, damit alle, die in der zweiten und dritten Lesung zu
entscheiden haben - dies wird am 8. oder 9. November
so weit sein -, wissen, wie diese Verordnung aussieht,
sodass alle sehenden Auges die nötigen Entscheidungen
treffen können. Das, was wir uns vorgenommen haben,
ist erfüllt, nämlich der Antrag seitens der Arbeitgeber
und der Arbeitnehmer und ein Mindestlohntarifvertrag.
({0})
Ich will noch einmal deutlich machen, weil alle immer ermahnen, man muss an die Tarifautonomie denken:
Mehr als das, was wir tun, kann man dabei nicht tun. Wir
haben weder auf das Zustandekommen eines Arbeitgeberverbandes noch auf die Verhandlungen Einfluss genommen, die er mit Verdi geführt hat. Beide haben uns
gemeinsam einen Vertrag vorgelegt und gesagt: Das ist
die Grundlage für den Mindestlohn, die wir in unserem
Bereich haben wollen. - Ich bin der Meinung, dass wir
dies jetzt so machen sollten.
({1})
Es ist eine Diskussion über Prozentzahlen in Gang gekommen und darüber: Wie weit ist eigentlich die Tarifgebundenheit von 50 Prozent gegeben? 93 bis 94 Prozent aller Briefe, die verteilt werden, werden von
Beschäftigten der im Arbeitgeberverband Post versammelten Unternehmen verteilt.
({2})
Daher bin ich ganz sicher, dass die 50 Prozent an dieser
Stelle gut erreicht werden
({3})
und dass wir das, was wir uns vorgenommen haben, in
diesem Jahr schaffen können.
Der Mindestlohn ist im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft ein wichtiges Instrument. Vielleicht müssen
wir an dieser Stelle eine Grundsatzdebatte miteinander
führen, weil ich immer noch das Gefühl habe, dass der
eine oder andere in diesem Hause glaubt, ein Teil der
Koalition habe zugesagt, zu versuchen, dass ein Mindestlohn zustande kommt, und ein anderer Teil habe versprochen, es möglichst zu verhindern. Das ist aber so
nicht.
({4})
Dumpinglöhne und Lohndumping widersprechen den
Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft.
({5})
Wir sind uns in der Koalition völlig einig: Wir wollen
die Gesetze so machen, dass zukünftig mehr Branchen
innerhalb der Regeln, die wir miteinander aufstellen,
Mindestlöhne haben können, und zwar aus zweierlei
Gründen:
Dumpinglöhne sind etwas, was gegen die Würde des
Menschen verstößt.
({6})
Die betroffenen Menschen bekommen Löhne, die so
niedrig sind, dass sie sich den Rest ihres Lohnes anschließend bei der Arge oder bei der optierenden Kommune abholen müssen.
({7})
- Ja, Herr Kolb. Aber sollen wir den Menschen etwa sagen: „Du musst jeden Morgen um halb sechs aufstehen
und zur Arbeit gehen, und dann hast du am Ende des
Monats weniger Geld auf dem Konto als der, der nicht
aufstehen kann oder will. Der hat schon mehr auf seinem
Konto drauf“? - Das kann so überhaupt nicht sein.
({8})
Und die Sache mit dem Lohndumping: Wir reden darüber: Was können wir eigentlich tun, um deutsche Unternehmen, auch strategisch wichtige Unternehmen, davor zu schützen, dass sie von irgendwo auf der Welt
durch anonyme Mächte im Wettbewerb benachteiligt
werden? Wenn man hier etwas tun will, dann ist der
Punkt, über den wir jetzt diskutieren, mindestens genauso wichtig. Wenn es in Deutschland Unternehmen
gibt - es gibt sie, auch Lizenzunternehmen im Bereich
der Postdienstleister -, die so niedrige Löhne zahlen und
die Briefmarken so billig machen,
({9})
weil wir den Rest des Lohns anschließend aus der Steuerkasse per Sozialtransfer zahlen, dann ist in Sachen soziale Marktwirtschaft etwas nicht in Ordnung. Ein fairer
Unternehmer muss einen ehrlichen Lohn zahlen, auf
dem man aufbauen kann.
({10})
Es kommen ja nicht nur die Arbeitnehmer; es kommen auch Arbeitgeber und sagen: Helfen Sie uns dabei!
Zuletzt waren es die Wachdienste, und zwar Arbeitgeber
und Arbeitnehmer. Sie haben gesagt: Wir wollen allen,
die im Wachdienst arbeiten und aufpassen, dass Ordnung
herrscht - das gilt übrigens auch für dieses Gebäude -,
einen ordentlichen Lohn zahlen. Wenn aber ein Arbeitgeber, der einen Niedriglohn zahlt, seinen Leuten sagt
„Passt mal auf: Ihr kriegt nicht 7 oder 8 Euro, sondern
nur 4 Euro, und den Rest holt ihr euch bei Münte ab!“
- so läuft es in Deutschland doch praktisch -, dann ist etwas nicht in Ordnung. Das wollen wir nicht. Deshalb gehört eine vernünftige Mindestlohnregelung zur sozialen
Markwirtschaft.
({11})
Es ist ordnungspolitisch vernünftig, das zu fordern. Sie
werden sich also bewegen müssen.
Ich sage Ihnen: Auch ich habe darüber noch vor fünf
Jahren anders gedacht.
({12})
Es ist keine Schande, seine Meinung an dieser Stelle zu
ändern. In einer so diversifizierten Situation bei den
Löhnen und nachdem sich so viele Niedriglohnbereiche
herausgebildet haben, haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr die Kraft und überhaupt nicht
mehr die Macht, Vereinbarungen für die Menschen zu
treffen, die tarifungebunden sind oder am Rande der
Existenzfähigkeit finanziert werden. Deshalb müssen
wir uns in unserer sozialen Marktwirtschaft darauf einstellen, dass zukünftig der Mindestlohn in dem Paket unserer arbeitsmarktrechtlichen Regelungen zu einer
selbstverständlichen Größe wird - so, wie er es in über
20 europäischen Ländern schon ist. Deshalb: Erste Lesung heute, zweite/dritte Lesung am 8./9. November, am
30. November im Bundesrat, und zum 31. Dezember
dieses Jahres wird der Mindestlohn im Bereich der Post
stehen. Dafür wollen wir miteinander streiten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort erhält nun für die FDP-Fraktion der Kollege
Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Müntefering, zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie auf den Punkt gekommen sind. Sie
haben glücklicherweise gar nicht erst den Versuch unternommen, drum herumzureden, sondern Sie haben gesagt, worum es geht ({0})
das ist auch für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU-Fraktion wichtig -: Sie sehen das, was heute hier
beschlossen wird, als den Einstieg in einen flächendeckenden Mindestlohn.
({1})
- Es ist nett, dass Sie das fürs Protokoll noch einmal bestätigen. - Sie begründen dies damit, dass innerhalb der
Branche unterschiedlich bezahlt werde. Sie reden von
den Briefzustellern und verweisen auf einen Gegensatz
zwischen Zustellern der Post und privaten Zustellern.
Dazu muss man wissen: Wenn Sie Ihr Gesetz so verabschieden, zementieren Sie das Monopol der Deutschen
Post AG. Sie schädigen die Konkurrenz, schalten sie aus.
Was Sie hier nicht erzählen, ist, dass durch Ihre Politik
50 000 Arbeitsplätze bei privaten Anbietern von Postdienstleistungen gefährdet werden.
({2})
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist ursprünglich
eingeführt worden, um deutsche Unternehmen vor ausländischer Billigkonkurrenz zu schützen.
({3})
Jetzt soll es ausgeweitet werden, um einen Staatsmonopolisten - das ist es doch in Wahrheit - vor privater Konkurrenz zu schützen. Das ist unanständig.
({4})
Warum sind denn die Löhne bei den Privaten anders?
Darüber können wir an dieser Stelle gerne einmal reden.
Die Löhne der Zusteller bei privaten Anbietern von Postdienstleistungen sind in der Tat niedriger,
({5})
und zwar aus einem einfachen Grund: Die Deutsche
Post AG hat dadurch, dass sie die 19 Prozent Mehrwertsteuer spart, einen riesigen Vorsprung - da müssen die
Privaten sehen, wo sie bleiben. So funktioniert die
Marktwirtschaft.
({6})
Schließlich geht es in der Debatte, die in diesen Tagen
stattfindet, auch um die Agenda 2010, also um die Richtung der Politik für dieses Land insgesamt. Herr Minister, Sie können sich über den Beifall von den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion freuen. Doch an
Ihrer Stelle würde ich mir Sorgen machen: Je länger der
Beifall mit jeder Rede, die Sie halten, wird, desto mehr
riecht er nach Abschied.
({7})
In Wahrheit wird heute wieder am Grabstein der
Agenda 2010 gemeißelt. Das ist das, was uns am meisten Sorge macht und was auch Deutschland am meisten
Sorge machen muss. Die Rhetorik ist noch, man halte
am Reformkurs fest - praktisch wird er heute und in den
nächsten Wochen zu Grabe getragen. Das ist deshalb außerordentlich bedenklich und verheerend, weil Sie unter
dem Strich eine Politik zu Grabe tragen,
({8})
die noch nicht einmal die Chance hatte, zu wirken.
Kaum geht es Deutschland etwas besser, kaum haben
wir ein Jahr etwas bessere Konjunktur, schon geht der
Esel wieder aufs Eis und merkt gar nicht, wie dünn das
Eis der deutschen Konjunktur ist.
({9})
Ich kann die Krokodilstränen in dem Zusammenhang
nicht mehr sehen. Die Ministerinnen und Minister sagen
in den Zeitungen - dies taten sie gestern auch hier -, es
sei für die Bürgerinnen und Bürger doch tragisch, dass
die Preise steigen. Es gibt in dieser Republik einige
Preistreiber. Die sitzen nicht in irgendwelchen anonymen Zentralen von Stromkonzernen oder bei irgendwelchen anderen Unternehmen, die Preistreiber der Republik sitzen dort auf den Regierungsbänken - übrigens
auch am heutigen Tage.
({10})
Falls Sie mir das nicht glauben - ({11})
- Frau Schmidt, ich darf Sie bitten, mich durch Ihre Zwischenrufe nicht weiter einzuschüchtern. Sie wissen, ich
bin sensibel.
({12})
Herr Kollege Westerwelle, in diesem Zusammenhang
kommt es auf Ihre Empfindlichkeit gar nicht an, weil
Zwischenrufe von der Regierungsbank grundsätzlich
nicht zulässig sind.
({0})
Jetzt haben Sie es amtlich. Das haben Sie davon. Sie
konnten es ja nicht lassen.
({0})
Herr Präsident, erst einmal natürlich vielen herzlichen
Dank für diese eindeutige Unterstützung der Opposition.
({1})
Ich komme jetzt aber noch einmal auf die Preisentwicklung in Deutschland zurück. Die Preisentwicklung
ist ja nicht etwas, was der Opposition eingefallen ist. Mit
Ihrem Gesetzentwurf, den Sie heute einbringen, leisten
Sie einen Beitrag dazu, dass die Preise in Deutschland
weiter steigen.
({2})
Das sagen nicht wir, das sagen Sie selbst in Ihrem Gesetzentwurf; denn unter „Sonstige Kosten“ steht nichts
anderes als - wörtlich -:
Durch die Neuregelung kann die deutsche Wirtschaft mittelbar mit Kosten belastet werden...
Wenn Sie das Können schon zugeben, dann wissen wir
alle, dass es genau so kommt.
({3})
Heute geht es um den Mindestlohn, nach dem Bundesparteitag der SPD wird es um das Arbeitslosengeld I
gehen.
({4})
Das Entscheidende ist, dass beides in Wahrheit die Abwicklung einer Reformpolitik bedeutet, die fortgesetzt
werden müsste. Der Reformfrühling hat in Deutschland
gerade einmal ein paar Monate gehalten. Jetzt sind wir
schon wieder dabei, in den Reformwinter überzugehen.
Das Gefährliche an Ihrer Politik ist, dass Sie sehenden
Auges Maßnahmen beschließen, von denen Sie genau
wissen, dass sie Deutschlands Wirtschaft belasten und
dass sie nicht gut für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind.
Sie haben die Steuern und Abgaben erhöht. Unter anderem deswegen steigen die Preise. Sie reden über Mindestlöhne, aber die Frage muss doch lauten: Was nutzt
einem Arbeitnehmer ein höherer Bruttomindestlohn,
wenn Sie ihm netto immer weniger in der Tasche lassen?
Das ist die eigentliche Herausforderung in dieser Republik.
({5})
Dasselbe gilt auch für das Arbeitslosengeld I und die
Mindestlöhne. Das alles ist ja eine Serie. Wir werden uns
in den nächsten Wochen damit befassen. Es sind geschichtsträchtige Wochen in diesem Hause.
({6})
Zu den Mindestlöhnen und zum Arbeitslosengeld I muss
klar gesagt werden: Sie verlängern das jetzt; Sie werden
das tun. Noch zieren Sie sich ein bisschen, aber Sie werden das alles mitmachen, so, wie Sie das hier auch mitmachen.
({7})
- Dafür brauche ich kein Hellseher zu sein. Hier nutzt
mir einfach die Nähe zu Ihnen, Herr Kauder. Ich kenne
Sie lange genug.
({8})
Natürlich wird einer nach dem anderen hier umfallen.
Sie werden das alles mitbeschließen.
({9})
Das Schlimme ist - das ist bedauerlicherweise nicht
lustig -: Statt dass während eines Aufschwungs für den
Fall vorgesorgt wird, dass ein Abschwung kommt, werden Sie jetzt die alten Fehler wiederholen. Mit dieser
Abkehr von der Reformpolitik tragen Sie die Verantwortung dafür, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland in der nächsten Konjunkturkrise - sie kommt
bestimmt - nicht 5 Millionen, sondern 6 Millionen betragen wird. Das ist die größte soziale und auch demokratische Gefahr für unser Land.
({10})
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({11})
Dr. Ralf Brauksiepe ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass die Debatte über die Einführung eines Mindestlohns bei der Post jetzt auch das Parlament erreicht
hat.
({0})
Angesichts der öffentlichen Debatten in den letzten Wochen will ich einige Punkte klarstellen, die eigentlich
selbstverständlich sein sollten.
Diese Regierung wird in der Arbeitsmarktpolitik in
erster, zweiter und dritter Linie daran gemessen, ob und
inwieweit es ihr gelingt, Arbeitslosigkeit abzubauen und
neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({1})
Wir sind stolz darauf, dass diese Regierung unter Angela
Merkel eine arbeitsmarktpolitische Bilanz vorgelegt hat,
die sich sehen lassen kann. Das ist es, woran wir in erster
Linie gemessen werden.
Wir stehen als CDU/CSU-Fraktion zu den Vereinbarungen im Koalitionsausschuss und zu den Vereinbarungen der Regierung in Meseberg. Es ist auch eine Selbstverständlichkeit - das gilt für uns genauso wie für
unseren Koalitionspartner -, dass niemand das Denken
einstellt, wenn ein Gesetzentwurf von der Bundesregierung vorgelegt wird. Ich habe auch noch keinen Sozialdemokraten erlebt, der das Denken eingestellt hat, nur
weil der Name Angela Merkel unter einem Gesetzentwurf der Bundesregierung steht. Eine sorgfältige Prüfung jedes Gesetzentwurfes ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Das hat nichts mit Abrücken zu tun. Es ist
unser Wählerauftrag. Wir sagen klipp und klar: Wir leisten uns - anders als der Kollege Stiegler, der hier kürzlich angekündigt hat: Wir pausieren erst einmal bei der
Unterstützung der Regierung - keine Pause auf diesem
Weg; wir erfüllen vielmehr unseren Wählerauftrag und
werden auch diesen Gesetzentwurf wie jeden anderen
sorgfältig prüfen.
({2})
Uns geht es darum, bei den Briefdienstleistungen zu
mehr Wettbewerb zu kommen. Das ist unser Ziel, und es
ist politisch vereinbart worden. Wir wissen aber auch,
dass Wettbewerb, der dieses Land groß und wirtschaftlich erfolgreich gemacht hat, auch immer ein Wettbewerb um die besten Ideen - ein Innovations- und Qualitätswettbewerb - gewesen ist. Es geht nicht um den
Wettbewerb um die niedrigsten Löhne; den wollen wir in
diesem Land nicht.
({3})
Deswegen sind wir auch für tarifliche Mindestlöhne.
Aus diesem Grund haben wir als Große Koalition den
Branchen, die über mindestens 50 Prozent Tarifbindung
verfügen, angeboten, in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden, wenn sie dies gemeinsam wollen. Das haben wir vereinbart.
In diesem Zusammenhang muss, denke ich, eines betont werden: Wer tarifliche Mindestlöhne will, der muss
ein Interesse daran haben, dass wir auf einer möglichst
breiten Basis zu freiwilligen Vereinbarungen und Verhandlungslösungen kommen. Es ist richtig, dass man
nicht ohne weiteres zu einer 100-prozentigen Tarifbindung
kommen kann. Wenn eine Mehrheit zu einer bestimmten
Regelung kommt, dann sind wir unter Abwägung aller
Gesichtspunkte bereit, das für allgemeinverbindlich zu
erklären, sodass es auch für eine Minderheit gilt, die
keine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen hat. Es
kann aber nicht das Ziel sein, dass womöglich 50,1 Prozent eine Regelung treffen, die dann 49,9 Prozent aufs
Auge gedrückt wird.
Wer tarifliche Mindestlöhne will, muss ein Interesse
daran haben, dass möglichst viele freiwillig an einer solchen Vereinbarung teilhaben.
({4})
Die Politik kann das nicht alleine leisten. Der Gesetzgeber kann in dieser Frage nicht alleine handeln. Wir
brauchen ein vernünftiges Miteinander des Gesetzgebers
und der Tarifvertragsparteien. Lassen Sie uns einen
Blick auf die Situation werfen! Man kann feststellen,
dass die Gewerkschaften in dieser Frage ihre Hausaufgaben erfüllt haben. Es gibt einen Tarifvertrag des Arbeitgeberverbandes Postdienste mit der Gewerkschaft Verdi
und einen gleichlautenden Anschlusstarifvertrag, den die
DPVKOM und die CGPT - die zuständigen Fachgewerkschaften im Deutschen Beamtenbund und im
Christlichen Gewerkschaftsbund - abgeschlossen haben.
Das ist die maximale Bindung auf der Seite der Gewerkschaften. Hier sind die Voraussetzungen optimal erfüllt.
Zur Wahrheit gehört auch, dass das, was auf Arbeitgeberseite bisher gelaufen ist, mit „suboptimal“ noch vornehm umschrieben ist. Es geht uns nicht darum, zurückzuschauen und zu fragen, wer wann mit wem
gesprochen hat - wir waren schließlich nicht dabei - und
wer wen überfahren, ausgetrickst oder was auch immer
hat. Es ist aber zumindest legitim, im Laufe dieser Gesetzgebung den Versuch zu unternehmen, das, was in der
Vergangenheit nicht geklappt hat, zu korrigieren. Das ist
kein Eingriff in die Tarifautonomie; es entspricht vielmehr dem Geist und Sinn unserer Vereinbarung in der
Koalition, zu einem möglichst breiten Konsens und einer
möglichst weiten Einbeziehung aller Akteure auf dem
Briefdienstleistungssektor zu kommen. Das ist unser
Ziel.
({5})
Letzten Endes müssen wir - weil Politik kein
Wunschkonzert ist - auf der Basis dessen, was vorliegt,
entscheiden. Wir müssen prüfen, ob die Vereinbarungen
zu tariflichen Mindestlöhnen, die wir im Juni im Koalitionsausschuss getroffen haben und die auch die Regierung in Meseberg getroffen hat, erfüllt sind.
Da tun sich an mehreren Stellen noch Fragen auf.
Eine wichtige Frage ist: Ist das von uns politisch vereinbarte Kriterium einer 50-prozentigen Tarifbindung
erreicht? Da hören wir die unterschiedlichsten Zahlen
von unterschiedlichsten Interessenverbänden. Es ist
eben nicht damit getan, festzustellen, wie viel Prozent
der Briefe von wem transportiert werden; denn es geht
nicht um Briefe, sondern es geht um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es geht vor allem nicht nur um
diejenigen, die zustellen, sondern es geht um die gesamte Wertschöpfungskette, die das Einsammeln, das
Sortieren und Transportieren von Briefen mit umfasst.
Im Tarifvertrag, der uns bekannt ist, wird geregelt, dass
jeder einbezogen werden soll, unabhängig davon, welches Ausmaß diese Arbeit bezogen auf seine gesamte
Tätigkeit hat. Deswegen muss diese Frage kritisch geprüft werden.
Damit verbunden ist die Frage: Was soll aus den sogenannten Erfüllungsgehilfen werden, also denjenigen, die
in den Postagenturen in erster Linie anderes machen und
darüber hinaus auch Briefdienstleistungen erbringen?
Ich höre von den Tarifpartnern selbst, dass es um die eigentlich gar nicht gehen soll. Deswegen müssen wir wissen, wie diese Regelung nach den Vorstellungen der
Bundesregierung aussehen soll.
Natürlich stellt sich auch die Frage, welche Entwicklungen es sonst noch in dieser Branche gibt. Der ehemalige Arbeitsminister von Herrn Beck tummelt sich jetzt
ja auf einem anderen Gebiet. Da gibt es jetzt einen Verband, und da gibt es auch eine Organisation, die sich Gewerkschaft nennt und sich öffentlich gegen staatliche
überhöhte Zwangslöhne wendet.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als jemand, der dem
Deutschen Beamtenbund angehört und dessen Fachgewerkschaft den Tarifvertrag geschlossen hat, von dem
wir gesprochen haben, habe ich eine politische Ansicht
darüber, was ich von einer Organisation halten soll, die
sagt: Wir sind eine Gewerkschaft und fordern niedrige
Löhne. - Eine politische Meinung habe ich dazu. Aber
natürlich ist die Frage, wie diese Entwicklungen rechtlich zu beurteilen sind. Dazu erwarten wir eine Antwort
der Bundesregierung.
Wir befinden uns in der ersten Lesung, in einem ganz
normalen Gesetzgebungsverfahren. Wir hoffen auf befriedigende Antworten der Bundesregierung auf diese
Fragen. Ich sage ganz deutlich: Wir wünschen uns befriedigende Antworten, weil wir uns eine Lösung für den
Bereich der Postlöhne wünschen. Wir wollen hier zu einer Regelung kommen. Deswegen haben wir die Vereinbarungen getroffen, und deswegen hoffen wir, dass die
Fragen, die hier gestellt werden müssen, im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens befriedigend beantwortet werden.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Westerwelle, ich habe Ihnen zugehört. Sie
haben die These aufgestellt, dass schlimm sei, wenn man
bei einem höheren Bruttolohn zu viel abziehe. Stattdessen solle es lieber einen niedrigeren Bruttolohn geben.
Also, verstanden habe ich das Ganze nicht;
({0})
denn bei den niedrigen Löhnen wird ja auch viel abgezogen. Weshalb Sie gegen höhere Löhne sind, ist nicht
nachzuvollziehen, es sei denn, Sie wollen ganz einseitige
Interessen in der Gesellschaft vertreten.
({1})
Herr Westerwelle, Sie nehmen bestimmte Tatsachen
nicht zur Kenntnis, so zum Beispiel die Tatsache, dass
10 Prozent der oberen Haushalte in Deutschland
47 Prozent des Vermögens und 50 Prozent der unteren
Haushalte 4 Prozent des Vermögens besitzen. Daran
muss man etwas ändern, wenn man eine gerechtere Gesellschaft will.
({2})
Sie ignorieren, dass wir beim Pro-Kopf-Einkommen
in der EU bei einem Vergleich der alten 15 Mitgliedsländer jetzt auf Platz 11 sind. Es besteht die Gefahr, dass
uns Spanien im nächsten Jahr überholt. Dann liegen hinter uns nur noch Griechenland, Portugal und Italien. Ich
muss sagen: Da kann man aber doll stolz sein, was das
Pro-Kopf-Einkommen unserer Bevölkerung betrifft.
Deshalb brauchen wir dringend einen gesetzlichen
Mindestlohn, damit Lohndumping in Deutschland endlich aufhört.
({3})
Da sagen wir, preisbereinigt bräuchten wir einen Mindestlohn von 8,44 Euro. Allerdings fügen wir hinzu, dass
das heute nicht mehr ausreicht; denn dort, wo höhere
Löhne gezahlt werden, besteht bei der Einführung eines
gesetzlichen Mindestlohnes die Gefahr, dass die höheren
Löhne auf die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gesenkt werden. Deshalb haben wir gesagt, wir brauchen
ein Verfahren, das sicherstellt, dass Lohnsenkungen
überhaupt nur in ökonomischen Ausnahmesituationen
genehmigt werden; ansonsten müssen sie untersagt werDr. Gregor Gysi
den, weil das nicht die Entwicklung unserer Gesellschaft
sein soll.
({4})
Nun geht es heute aber nur um die Briefzustellerinnen
und Briefzusteller. Es geht ja noch gar nicht um einen
gesetzlichen Mindestlohn. Sie haben die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns unter der Bedingung vereinbart, dass sich die Betreffenden einigen. Nun haben
wir eine Einigung - dazu hat hier noch niemand etwas
gesagt - auf einen gesetzlichen Mindestlohn Ost in Höhe
von 9 Euro
({5})
- Entschuldigung, es ist ein tariflicher Mindestlohn und einen Mindestlohn West in Höhe von 9,80 Euro. Ich
muss Ihnen sagen: Im 18. Jahr der deutschen Einheit bei
einer gleichen Kostenstruktur in Ost und West ist ein unterschiedlicher Mindestlohn nicht mehr hinnehmbar.
({6})
Ich meine das als Kritik am Arbeitgeberverband und an
meiner Gewerkschaft Verdi. Dass sie das unterschrieben
haben, ist ein Skandal; ich sage das so offen. Ich hätte
mir gewünscht, dass auch jemand von den anderen Fraktionen gesagt hätte, dass wir das im 18. Jahr der deutschen Einheit nicht mehr wollen.
({7})
Nun spielt Herr Gerster - Sie haben es bereits gesagt;
ich kann es gut verstehen - eine bestimmte Rolle. Von
1991 bis 1994 war der Mann, Mitglied der SPD, Minister für Europaangelegenheiten in Becks RheinlandPfalz. Dann wurde er Minister für Arbeit, Soziales und
Gesundheit. Dann wurde er Leiter der Bundesanstalt für
Arbeit. Irgendwann ging er. Was macht er nun? Er hört
von dieser Vereinbarung, gründet einen eigenen, neuen
Arbeitgeberverband und hilft offensichtlich dabei, eine
kleine, neue Gewerkschaft zu gründen und Räume anzumieten, und das Ganze nur mit dem Ziel, den Mindestlohn zu unterschreiten. Sie sprechen bei Oskar
Lafontaine immer von Verrat. Aber das, was Herr
Gerster macht, ist ein wirklicher Verrat an der Sozialdemokratie.
({8})
Damit müssten Sie sich einmal auseinandersetzen. Der
Superminister von Herrn Schröder, Herr Clement, haut
in dieselbe Kerbe. Damit Sie das als Verrat entlarven
können, müssten Sie sich zuerst einmal mit der unsozialdemokratischen Agenda 2010 und mit Hartz IV selbstkritisch auseinandersetzen. Aber das wollen Sie nicht.
({9})
Herr Gerster organisiert unter Beteiligung von TNT
und PIN einen neuen Arbeitgeberverband und sagt, man
wolle einen niedrigeren Lohn. Dann macht er Folgendes
- eine solche Demütigung habe ich selten erlebt -: Er
schickt die Beschäftigten der Unternehmen zur Demonstration auf die Straße und bezahlt sie, damit sie sagen,
dass sie einen niedrigeren Lohn haben wollen. Schlimmer kann man Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nicht demütigen, als das hier gemacht wurde.
({10})
Ich möchte noch über einen anderen Punkt sprechen,
der zwar nicht ganz dazu gehört, aber in die gleiche
Richtung geht: die 58er-Regelung. Monitor wird darüber berichten, was für ein Skandal das ist. In der letzten Sitzungswoche haben Sie unseren Antrag auf Fortsetzung der 58er-Regelung abgelehnt. Das bedeutet, dass
Sie einem Arbeitslosen, der 58 Jahre oder älter ist,
sagen, er werde nicht mehr vermittelt, und ihn nach
§ 5 SGB zwingen - er hat nicht einmal mehr die Wahl -,
die Frühverrentung zu beantragen und damit eine Kürzung der Rente um bis zu 18 Prozent hinzunehmen. Das
gilt auch noch, wenn der Betreffende 87 oder 88 Jahre
alt ist. Ich halte das für grundgesetzwidrig.
({11})
Niemand darf gezwungen werden, eine Kürzung der
Rente hinzunehmen, wenn er die Möglichkeit hat, eine
höhere zu erwerben. Aber Sie tun das. Korrigieren Sie
das! Setzen Sie wenigstens die 58er-Regelung fort! Das
alles gehört zur Ungerechtigkeit, die es in unserem Land
gibt.
({12})
- Ich habe ja gesagt, dass es nicht ganz dazugehört. Aber
ein wichtiges Thema ist es; das können Sie doch nicht
bestreiten.
({13})
Sagen Sie heute doch, dass Sie das korrigieren werden
und dass die 58er-Regelung nach dem 31. Dezember
fortgesetzt wird! Das wäre für 350 000 Betroffene eine
wichtige Entscheidung.
({14})
Wir brauchen einen Mindestlohn. Wir brauchen eine
Allgemeinverbindlichkeit. Wir brauchen das für die
Postbediensteten bzw. die Briefzustellerinnen und Briefzusteller deshalb jetzt, weil das Briefmonopol am
1. Januar 2008 aufhört zu existieren. Sie wissen um die
vorhandenen Niedriglöhne. Dagegen muss der Bundestag etwas tun. Des Weiteren sind viele noch gar nicht berücksichtigt. Denken Sie an die Sortiererinnen und Sortierer! Denken Sie an die Verkäuferinnen und Verkäufer
bei TNT und PIN! Sie bekommen einen Bruttolohn von
5 Euro bzw. 6,72 Euro pro Stunde. Niemand von uns
könnte davon leben. Wir sollten auch nicht so tun, als
könnten wir davon leben. Gegen solche Löhne müssen
wir etwas unternehmen. Der Bundestag muss ein Zeichen setzen und sagen: Das lassen wir in Deutschland
nicht zu.
Danke.
({15})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde,
Herr Müntefering hat recht.
({0})
Nein, ich bin froh, wenn es der Einwirkung des Präsidenten gar nicht bedarf, weil die Friedlichkeit der Beratung die nahtlose Rednerabfolge sicherstellt. Aber da ich
nicht ganz sicher bin, ob vor allen Dingen die Millionen
Fernsehzuschauer, die uns heute bei dieser Debatte begleiten, alle wissen, wer jetzt das Wort erhalten hat,
schlage ich doch der guten Ordnung halber vor, dass die
Kollegin Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort erhält.
({0})
Der Herr Präsident und ich haben uns per Blickkontakt verständigt, meine Damen und Herren.
({0})
Herr Müntefering hat recht, wenn er sagt, Lohndumping widerspreche der sozialen Marktwirtschaft. Aber
die Art und Weise, wie die Union mit den Hoffnungen
und Ängsten der Menschen, die im Niedriglohnbereich
arbeiten, umgeht, widerspricht Sitte und Anstand, und
das widerspricht den Regeln einer sozialen Politik.
({1})
In Meseberg haben Sie noch versprochen: Wohlstand
für alle. - Im Überschwang der Gefühle haben Sie sich
ganz offensichtlich darauf verständigt, die Postbranche
in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Aber
das Gruppenfoto war noch nicht ganz im Kasten, und die
Schlosstreppe war noch nicht geräumt, da kamen schon
Wirtschaftsminister Glos und die Wahlkämpfer Wulff
und Koch daher und haben versucht, diese Vereinbarung
zu hintertreiben. In deren Schlepptau sind unvermeidlich
Röttgen und Ramsauer, die schreien: „Nix da, den Mindestlohn gibt’s nicht!“. Herr Brauksiepe, das, was Sie
uns mit dem Wort „Prüfung“ weiszumachen versuchen,
ist nichts anderes als ein Taschenspielertrick und nichts
anderes als eine Milchbubenrechnung, mit der Sie versuchen, sich aus der Vereinbarung herauszuwinden. So
weit zu der Vertragstreue der CDU/CSU.
({2})
Ihre Ankündigung, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, ist nichts weiter als ein Vertragsbruch und ist die
Aufkündigung Ihrer Geschäftsfähigkeit. Dabei ist doch
bereits im Postgesetz festgeschrieben, dass die Einkommens- und Arbeitsbedingungen bei der Lizenzvergabe
an private Wettbewerber berücksichtigt werden sollen.
({3})
Genau das steht bereits darin. Der Wettbewerb - darum
geht es - soll über die Qualität der Leistungen erfolgen,
der Wettbewerb soll nicht über Lohndrückerei ausgetragen werden. Deshalb brauchen wir einen Mindestlohn.
Herr Westerwelle, wenn Sie sagen, dass Sie ein sensibler Mensch sind, dann sage ich Ihnen: Ich vermisse
Ihre Sensibilität in Bezug auf die Interessen der Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten,
({4})
und ich vermisse Ihre Sensibilität gegenüber Ihren eigenen Anhängern. 68 Prozent der Anhänger der FDP wollen einen Mindestlohn.
({5})
Herr Westerwelle, machen Sie doch da nicht dicht! - Das
sind Umfrageergebnisse. Nehmen Sie die doch einfach
einmal zur Kenntnis, wenn Sie so sensibel sind, Sie Sensibelchen.
({6})
Die Union steckt in einem echten Dilemma. Sie wollen auf der einen Seite Ihr sozialpolitisches Profil stärken, Sie wollen damit die Sozialdemokraten ärgern
({7})
und die Kompetenz, die ihnen in Sachen sozialer Gerechtigkeit zugeschrieben wird, für sich reklamieren.
Andererseits wollen Sie Ihr wirtschaftspolitisches Profil
nicht aufgeben, das schon einmal gar nicht, wenn drei
Landtagswahlen vor der Tür stehen.
({8})
Diese rein wahltaktische Profilbildung wird auf dem
Rücken der Briefzusteller ausgetragen. Ich finde das
wirklich unanständig.
({9})
Das Gerangel um den Postmindestlohn zeigt erneut
die Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition; denn
die Aufnahme der Branche in das Entsendegesetz ist
doch nur ein erster Schritt. Nach der Rede von Herrn
Brauksiepe ist eines klar: Bei der nächsten Hürde geht
der Streit weiter. Selbst wenn wir heute hier ein Stück
weiterkommen, ist das Problem noch lange nicht gelöst.
Herr Müntefering, ich bin mir ganz sicher, Sie wissen
das ganz genau.
({10})
- Sie, Herr Brauksiepe, können doch einmal klatschen.
Sie wissen ganz genau, dass ich recht habe. Sie wissen
doch, was in Ihrer Fraktion vorgeht.
({11})
Ich bitte Sie, mit Ihren profilneurotischen Sandkastenspielereien endlich aufzuhören! Tun Sie endlich, was
Ihre Wähler von Ihnen erwarten, und handeln Sie! Es
gibt in diesem Bereich eine Deadline - Herr Müntefering
hat darauf hingewiesen -: Das Briefmonopol fällt am
1. Januar 2008. Bis dahin brauchen wir faire Wettbewerbsbedingungen. Dazu gehört der Mindestlohn.
Natürlich gehört dazu auch Chancengerechtigkeit für
die Mitbewerber. Es dürfen nicht zweierlei Regeln hinsichtlich der Umsatzsteuer gelten.
({12})
Es geht nicht an, dass der ehemalige Monopolist von der
Umsatzsteuer befreit wird, seine Konkurrenten aber
nicht. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt. Wir wollen unbedingt, dass auch in diesem Bereich gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen. Ich würde mich darüber
freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden.
Wir brauchen einen fairen Rahmen. Es ist die Aufgabe der Politik, genau diesen Rahmen zu setzen. Hier
droht die Koalition leider erneut zu versagen. Herr
Brauksiepe, Ihre Rede spendete jedenfalls denjenigen
nicht gerade Hoffnung, die ihre Hoffnungen auf diese
Regierung gesetzt haben.
Ich danke Ihnen.
({13})
Die Kollegin Anette Kramme hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr „Wildwesterwelle“,
({0})
Sie werden wieder einmal Ihrem Ruf gerecht: Bei Ihnen
knirscht das Eis gegenüber den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen dieses Landes. Sie quellen fast über vor
Arroganz.
Die große Boulevardzeitung mit den vier Buchstaben
hat sich in den vergangenen Wochen in ihren Schlagzeilen schlichtweg überschlagen: „Mindestlohn - Ist das
wirklich gut für die Beschäftigten?“, „Mindestlohn?
Dann gehen wir pleite!“, „Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze!“.
Ich möchte Sie vorsichtig fragen, ob Sie geneigt sind,
eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel zu akzeptieren.
({0})
Ich schlage vor, wir warten einen Moment, bis ich in
die Thematik eingestiegen bin.
Ich schließe mich diesem Vorschlag gerne an.
Kommen wir zurück zu dieser Zeitung mit den vier
Buchstaben. Sie gab Tag für Tag publizistische Kriegserklärungen gegen den Mindestlohn im Allgemeinen
und gegen den Mindestlohn für Briefzusteller im Besonderen ab. Verwunderlich ist diese wenig seriöse Antimindestlohnkampagne nicht. Die Axel Springer AG hat
schließlich vor kurzem für eine stolze Summe die Mehrheit am Postkonkurrenten PIN AG erworben. Die Meinung der Bürger und Bürgerinnen vertritt diese selbsternannte Stimme des Volkes allerdings nicht. Diese sieht
komplett anders aus. Nach Infratest dimap sind 12 Prozent der Bundesbürger gegen einen Mindestlohn; aber
27 Prozent plädieren für Mindestlöhne in bestimmten
Branchen. 59 Prozent der Menschen möchten sogar eine
flächendeckende Regelung. Im Übrigen ist auch die
Mehrheit Ihrer Wähler für einen Mindestlohn.
({0})
Zum 1. Januar 2008 fällt das Briefmonopol der Post.
Ab diesem Zeitpunkt dürfen also sowohl die inländischen als auch die ausländischen Postkonkurrenten den
sogenannten Standardbrief austragen. Ich sage ganz
deutlich: Liberalisierung - in Ordnung, Wettbewerb ebenfalls in Ordnung. Aber: Wettbewerb braucht klare
Spielregeln und faire Rahmenbedingungen.
({1})
Es kann nicht sein, dass die seriösen Anbieter der Branche von zwei Seiten unter Druck gesetzt werden: einerseits durch den freien Wettbewerb in Deutschland, während deutsche Unternehmen im europäischen Ausland
nur beschränkt tätig sein dürfen, andererseits durch einige Unternehmen, deren Konkurrenzfähigkeit lediglich
auf Lohn- und Sozialdumping zurückzuführen ist.
Frau Kollegin, der Wunsch des Kollegen Niebel, Ihre
Redezeit durch eine Zwischenfrage zu verlängern, ist
ungebrochen.
Selbstverständlich ist der Wunsch des Herrn Niebel
ein besonderes Anliegen.
Bitte schön, Herr Kollege Niebel.
Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin. Nachdem ich
Ihnen jetzt längere Zeit zugehört habe, ist mein Fragebedarf noch größer geworden.
Würden Sie mir bestätigen, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Mehrheitseigner der hannoverischen Verlagsgruppe Madsack ist, die wiederum ein
wesentlicher Anteilseigner der PIN-Gruppe ist?
({0})
Wenn Sie mir das bestätigen, frage ich weiter: Können
Sie mir sagen, ob Frau Hendricks, nachdem sie in der
nächsten Woche vermutlich Schatzmeisterin der SPD
sein wird, unmittelbar Einfluss auf die Lohnfindung der
PIN-Gruppe nehmen wird?
({1})
Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich die
Konzernstrukturen einer SPD-Holding nicht kenne.
({0})
Ich kann ohne weiteres die Unternehmen aus meiner Region nennen.
({1})
Sie können sicher sein, dass ich auch in der Vergangenheit diesbezüglich tätig geworden bin. Sie können sicher
sein, dass wir unseren Laden sauber halten werden.
({2})
Die Aufnahme der Briefdienstleistungen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist notwendig und zielführend. Mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen darf
ich sagen: Die SPD hat der Aufgabe des Briefmonopols
nur unter der Bedingung zugestimmt, dass Vorkehrungen zur Sicherung sozialer Mindeststandards in der Postdienstleistungsbranche getroffen werden. Das war Teil
des politischen Kompromisses, und Sie können sicher
sein: Wir nehmen Spielchen zulasten der Menschen
nicht hin.
Bei den neuen Postunternehmen gibt es faktisch keine
betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungsstrukturen. Die Folgen sind sichtbar: im Vergleich
zur Deutschen Post AG wesentlich schlechtere Lohnund Arbeitsbedingungen. Am 8. Oktober befasste sich
Report mit der Thematik. „Hungerlöhne in der Postbranche“ titelte man:
Lothar Daniel … Ab morgens fünf ist er auf den
Beinen, oft bis abends um halb acht. Eine 60-Stunden-Woche. Sein Stundenlohn: 4,50 Euro brutto.
Der 49-Jährige hat in Kiel keinen besseren Job gefunden. Er ist Zusteller beim privaten Postunternehmen PIN.
Eine Untersuchung von Input Consulting bestätigt dies.
Die durchschnittlichen Lohnkosten bei den beiden
Hauptkonkurrenten PIN Group und TNT liegen je nach
Beschäftigtengruppe zwischen 30 und 60 Prozent
unterhalb derjenigen der Deutschen Post AG. Es darf
auch nicht verschwiegen werden, dass der Anteil der
geringfügig Beschäftigten an allen Arbeitsverhältnissen
bei den neuen Postdienstleistern bei über 60 Prozent
liegt.
Die Weichen zur Aufnahme der Briefdienstleistungen
in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind gestellt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben dafür den notwendigen Mindestlohn ausgehandelt. Wir haben Anfang Oktober ein Schreiben des Arbeitgeberverbandes Neue Briefund Zustelldienste erhalten, mit dem man uns überzeugen will, dass unser Vorgehen nicht rechtmäßig ist. Vorweg ist zu sagen, dass die Mitbewerber natürlich zu
Tarifverhandlungen eingeladen waren.
Doch zurück zum Thema. Man behauptet, dass wir
die 50-Prozent-Quote für die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht erreichen. Ich sage ganz
klar: Florian Gerster argumentiert mit Mondzahlen, mit
Eigenkreationen, die nicht belegbar sind.
({3})
Herr Gerster behauptet auch, der Arbeitgeberverband
Postdienste sei undemokratisch. Ich kann Ihnen nur sagen: Werfen Sie einmal einen Blick in das Betriebsverfassungsgesetz! Es ist durchaus üblich, dass sich das
Stimmrecht nach der Zahl der jeweils vertretenen Beschäftigten richtet.
Von Vollzeitarbeit muss man leben können, muss man
seine Existenz sichern können. All denjenigen, die Wettbewerb auf dem Rücken der Menschen wollen, müssen
wir eine ganz deutliche Absage erteilen.
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Max Straubinger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Eine Holding? Nein, Herr Niebel, aber ich hätte gerne
eine.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir beschäftigen uns heute mit dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Herr Bundesminister Müntefering hat bereits darauf hingewiesen: Anlass der heutigen Gesetzesänderung sind der Wegfall des Postmonopols und die
damit verbundenen Ängste, dass es zukünftig Verwerfungen im Bereich der Briefzustellung geben könnte.
Vorweg möchte ich feststellen, dass die Liberalisierung der Postmärkte in der Vergangenheit große Erfolge
für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für
das Unternehmen Deutsche Post gebracht hat.
({0})
Die Deutsche Post ist besonders wettbewerbsfähig; das
hat sie in der Vergangenheit am Markt bewiesen. Dies
zeigt sehr deutlich, dass es bisher auch ohne so genannte
Mindestregelungen gesetzlicher Art - es gab nur Mindestregelungen auf der Grundlage von Tarifverträgen gelungen ist, erfolgreich am Wettbewerb teilzunehmen.
Natürlich sehen wir, dass es in einzelnen Bereichen
durchaus Verwerfungen geben kann. Ich pflichte dem
Kollegen Brauksiepe ausdrücklich bei: Es geht nicht um
den Wettbewerb niedrigster Löhne. Vielmehr wollen wir,
dass die Menschen ein gutes Gehalt, einen guten Lohn
erhalten. Dies erreichen wir am besten durch den Abbau
der Arbeitslosigkeit. Wenn die Arbeitslosigkeit in
Deutschland abgebaut wird, dann gibt es - das sieht man
jetzt - eine größere Nachfrage nach Arbeitskräften, was
wiederum dazu führt, dass die Löhne steigen. Wir sehen
die Lohnforderungen verschiedener Branchen und die
Lohnabschlüsse, die heuer schon getätigt worden sind.
Wir können durchaus von steigenden Löhnen in
Deutschland sprechen. Das spricht für die Politik der
Bundesregierung, den Abbau der Arbeitslosigkeit konsequent voranzutreiben. Damit wird die beste soziale Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland geleistet.
({1})
Wir stehen natürlich zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses und der Bundesregierung, durchaus
darüber nachzudenken, in einzelnen Bereichen, wo es
notwendig ist, Lohnuntergrenzen bzw. entsprechende
Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt einzuführen. In einer sozialen Marktwirtschaft ist das in einzelnen Bereichen notwendig. Auch aufgrund der Antragstellung des
Arbeitgeberverbandes und von Verdi müssen wir uns mit
dieser Frage beschäftigen. Bevor im Jahr 2007 - das ist
Beschlusslage - Postdienste in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden und damit die Allgemeinverbindlichkeit erklärt wird, bedarf es einer besonderen Prüfung. Unsere Entscheidung, Branchen in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, ist nicht
nur daran gekoppelt, dass ein Organisationsgrad von
50 Prozent erreicht sein muss, sondern auch daran, dass
die Tarifausschüsse darüber zu befinden haben. Wenn
Tarifausschüsse, also Arbeitgeber und Gewerkschaften,
miteinander eine Lohnuntergrenze festlegen wollen, sind
wir bereit, dem zuzustimmen und dies zu unterstützen.
Wenn das Gesetz jetzt geändert wird, stellt dies ein
besonderes Verfahren dar: Der Tarifausschuss ist dann
nicht beteiligt; die Regelung hängt allein vom Verhalten
der Bundesregierung, auch des Bundesarbeitsministeriums, ab und wird dann per Gesetz in Kraft gesetzt. Vorweg sind durchaus die Fragen zu beantworten: Ist ein
Organisationsgrad von 50 Prozent erreicht? Wer zählt
überhaupt dazu? Zählen nur alle Direktbediensteten der
Post dazu? Zählen auch die Beschäftigten in Postagenturen dazu, die vielleicht drei oder vier Briefe am Tag entgegennehmen und damit eine Vorleistung im Hinblick
auf die Verteilung erbringen? Zählen auch Taxifahrer
oder Kurierdienste dazu? Gehören dazu auch Mitarbeiter
von Paketdiensten und Zeitungszusteller? Alle diese
Gruppen können am Briefverteilungssystem teilnehmen.
Diese Fragen müssen beantwortet werden, um festzustellen, ob der notwendige Organisationsgrad erreicht
wird.
({2})
Es ist wichtig, dass alle Arbeitgeber dieses Bereiches
und alle Briefzusteller eingebunden sind. Der geschlossene Vertrag hat schon ein gewisses Geschmäckle. Es
scheint sich um einen Haustarifvertrag der Deutschen
Post zu handeln, der aber in den eigenen Reihen kaum
zur Anwendung kommt, weil 80 Prozent der Beschäftigten einen weit höheren Lohn bekommen.
({3})
Dies muss meines Erachtens einer intensiven Prüfung
unterzogen werden.
Ich bin schon verwundert, dass trotz der Liberalisierung - nur Briefe mit einem Gewicht bis 50 Gramm fallen noch unter das Postmonopol - in einem Tarifvertrag
vereinbart worden ist, dass zukünftig Briefe mit einem
Gewicht bis 1 000 Gramm unter diese Regelung fallen
sollen. Diese Vereinbarung muss intensiv geprüft werden, um eine rechtlich einwandfreie Grundlage zu schaffen.
({4})
Die Bundesregierung kann ich nur auffordern, uns
diese Fragen zu beantworten. Ich bin überzeugt, dass wir
in der Koalition in diesem zugegebenermaßen schwierigen Punkt eine gemeinsame Lösung finden werden.
Aber ich sage auch ganz deutlich, dass es hier nicht um
Schnelligkeit, sondern um Gründlichkeit geht.
({5})
Gründlichkeit bedeutet, dass wir diese Fragen intensiv
behandeln und letztendlich auch beantworten. In diesem
Sinne wünsche ich uns ein gutes Gesetzgebungsverfahren und weiterhin intensive Beratungen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Barthel für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zentrale Auseinandersetzung betrifft das Verständnis von
Wettbewerb und Marktwirtschaft. Herr Westerwelle hat
vorhin zwei Thesen vertreten: Erstens. Hungerlöhne
schaffen Aufschwung. Zweitens. Hungerlöhne schaffen
Wettbewerb.
({0})
Ich bin über Ihre Aussagen sehr erstaunt, Herr
Westerwelle; denn Ihre Partei war an der Regierung beteiligt, als das Postgesetz auf den Weg gebracht wurde.
Wir haben damals mit Ihrem Minister Rexrodt, der sich
jetzt leider nicht mehr wehren kann, eine Passage ins
Postgesetz aufgenommen, mit der Lohndumping im
Postsektor ausgeschlossen werden soll. Wettbewerb soll
nämlich nicht über Lohndumping stattfinden. Im Postgesetz steht, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen
dieser Branche nicht unterschritten werden sollen. Wenn
sie unterschritten werden, dann gibt es für die betroffenen Unternehmen keine Lizenz. Das war das damalige
Verständnis der FDP. Ich frage Sie: Waren Sie damals
noch nicht für Wettbewerb?
Ferner beklagen Sie das Verhältnis von Brutto- zu
Nettoeinkommen. Einer der Gründe, warum so hohe Sozialabgaben gezahlt werden müssen, ist, dass sich der
Niedriglohnsektor ausweitet. In diesem Bereich werden
kaum Sozialabgaben abgeführt. Im Gegenteil: Die
Hartz-IV-Leistungen in diesem Sektor verursachen sogar
noch Kosten. Auch das haben Sie hier unterschlagen.
({1})
Jetzt komme ich zum Thema „Schnelligkeit und
Gründlichkeit“. Es ist völlig klar, dass wir bis zum
1. Januar dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben
müssen, weil sich sonst die in dieser Branche vorherrschenden Zustände sozusagen multiplizieren.
Wovon reden wir hier? Das Gesetz spricht ausdrücklich von Briefdienstleistungen. Herr Straubinger, zu
den Briefdienstleistungen gehört gemäß dem Postgesetz
die Beförderung von Briefen mit einem Gewicht bis
1 000 Gramm. Das kann man alles nachlesen. 91 Prozent
dieser Briefe werden von der Deutschen Post AG befördert.
Herr Meyer, bevor Sie an dieser Stelle einen Zuruf machen - ich kann Ihnen alle relevanten Zahlen nennen -,
frage ich Sie, wie es denn sein kann, dass der SpringerKonzern, der einen Anteil von 70 Prozent an der
PIN AG hat, und die cleveren Kaufleute von TNT aus
den Niederlanden behaupten, sie hätten 270 000 Beschäftigte in einem Segment, das nur einen Anteil von
9 Prozent an den Briefdienstleistungen hat. Die haben
doch nicht alle Tassen im Schrank, wenn sie das behaupten.
({2})
Man braucht doch nur einmal die Berichte der Bundesnetzagentur anzuschauen. Da ist eindeutig festgehalten, dass 150 000 Beschäftigte bei der Deutschen Post
AG und 46 000 Beschäftigte bei den neuen Wettbewerbern in den Tarifvertrag eingebunden sind. Davon sind
übrigens 27 000 geringfügig Beschäftigte. Das heißt, wir
haben ein Zahlenverhältnis von 3 : 1. 75 Prozent sind
also nach dem Postgesetz organisiert und erfüllen das
Kriterium der Tarifgebundenheit.
Sie sprechen von Erfüllungsgehilfen. Schauen wir uns
das einmal an. Dazu sagt der Herr mit dem goldenen
Parteibuch - er lässt sich jetzt 1 Million Euro bezahlen -: 445 000 sind bei den Erfüllungsgehilfen beschäftigt. - Ein Blick in die Statistik der Bundesagentur für
Arbeit zeigt - ich kann das in den vier Minuten meiner
Redezeit nicht weiter ausführen -, dass, wenn man alle
Beschäftigten in diesem Bereich, der dafür infrage
kommt, zusammenzählt, also auch die Zeitungszusteller,
die Beschäftigten der Kurierdienste sowie des Expressund Paketservices, allerhöchstens 186 000 beschäftigt
sind. Von diesen ist wiederum höchstens ein Drittel mit
Briefen befasst. Das alles kann man in den Statistiken
der Bundesagentur für Arbeit nachlesen. Übrigens:
126 000 Menschen in diesem Bereich haben einen Minijob.
Wenn man sich das alles anschaut und das vorgesehene Quorum berücksichtigt, stellt man fest: 173 000
sind bei der Post beschäftigt und an den Tarifvertrag,
von dem wir hier reden, gebunden. 66 500 sind bei den
Postdiensten - einschließlich der Erfüllungsgehilfen beschäftigt. Das heißt, wir kommen auf ein Zahlenverhältnis von drei Vierteln zu einem Viertel. Wir sind also
auf der sicheren Seite. Daran ändert auch das Argument
des Haustarifvertrags bei der Deutschen Post AG nichts;
denn ich habe noch nie gehört, dass das Vorhandensein
von Haustarifverträgen in der Wirtschaft der Sache einen
Abbruch tut. Trotzdem gilt der Flächentarifvertrag. Hier
kann also überhaupt kein Widerspruch bestehen.
Herr Westerwelle, ich frage Sie deswegen zum
Schluss: Findet in der deutschen Wirtschaft, wo über
50 Prozent der Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlt
werden, kein Wettbewerb statt, weil es dort einen Flächentarifvertrag und damit einen Mindestlohn gibt? Findet in der Europäischen Union, wo 20 der Mitgliedsländer einen Mindestlohn definiert haben, der deutlich
höher ist als der, der bei uns in der Diskussion ist, kein
Wettbewerb mehr statt?
({3})
Herr Kollege Barthel!
Findet in den Niederlanden, wo es einen Mindestlohn
von über 9 Euro gibt und wo TNT seinen Sitz hat, kein
Wettbewerb im Postsektor statt, weil es Mindestlöhne
gibt? Dies ist doch eine absurde Diskussion. Der Wettbewerb betrifft andere Bereiche; das wissen Sie ganz genau. Da geht es um Qualität, mehr Dienste usw.
Herr Kollege Barthel!
Das war die Verheißung der Liberalisierung der Postmärkte. Setzen wir das doch bitte auch um!
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen - Herr Westerwelle, das ist übrigens ein
Auftrag, der sich schon aus dem Postgesetz ergibt; da hat
Kollege Barthel völlig recht - soziale Mindeststandards in diesem Bereich. Das haben Sie mitbeschlossen.
Von daher ist Ihre Argumentation nicht ganz schlüssig.
Sie sollten sich mit der Umsetzung dessen beschäftigen,
was Sie selber mitbeschlossen haben.
({0})
Herr Müntefering hat zu Beginn der Debatte etwas
Wichtiges gesagt. Er hat nämlich die Debatte, die wir
jetzt führen, in die Gesamtdebatte eingeordnet, die wir
im nächsten Frühjahr führen wollen. Für ihn sei das jetzt
der Auftakt. Deswegen, Herr Müntefering, müssen wir
uns vom Vorgehen her an das halten - dies ist meine eindringliche Bitte, wenn Sie das schnell über die Runden
bekommen wollen -, was zwischen uns vereinbart ist.
({1})
Es soll nämlich nach Tarifvertragsgesetz gehen, und die
Bedingungen, zum Beispiel das 50-Prozent-Quorum,
sollen eingehalten werden. Das muss nachgewiesen werden. Dies kann nicht über Briefdienstleistungen definiert
werden, sondern schlicht über Zahlen. Dazu will ich Ihnen sagen: Sie drängen das einfach weg. Sie ändern einfach den vorliegenden Tarifvertrag. Von dem Tarifvertrag wird auch der erfasst, der als Zeitungszusteller
einmal einen Brief mitnimmt.
({2})
- Entschuldigung, Herr Barthel, aber so steht es im Tarifvertrag. Wenn Sie als Gewerkschafter die vorgelegten
Tarifverträge nicht ernst nehmen, dann ist das Ihre Sache. Ich nehme sie ernst.
Wir müssen genau hinschauen, um Fehlentwicklungen vermeiden zu können. Herr Müntefering, eine Fehlentwicklung muss uns ernsthaft Sorgen machen: In einigen Bereichen wollen nicht nur die Arbeitnehmer
Mindestlöhne bzw. Mindeststandards. Es ist vielmehr so,
dass wir bei großen Arbeitgebern in allen möglichen
Wirtschaftsbereichen die Tendenz feststellen können,
über Mindestlöhne und das Entsendegesetz weniger
Wettbewerb in ihrer Branche zu erreichen. Das ist egoistisch und muss uns große Sorgen machen.
({3})
Frau Nahles, Sie sind intelligent genug, um zu sehen,
dass das so läuft. Wir müssen genau hinschauen. Das
funktioniert nach dem Motto: Wettbewerb ist gut, aber
bitte nicht in meiner Branche. Wir müssen aufpassen,
dass dieses Instrument, das der sozialen Absicherung
von Arbeitnehmern dienen soll, nicht von Arbeitgebern
missbraucht wird, um mittelständische und kleine Konkurrenten wegzudrücken. Diesen Weg werden wir nicht
mitgehen. Das wollen wir nicht.
({4})
In der Postbranche ist das ganz augenfällig. Das, was
sich hier abspielt, ist - ich sage das ganz bewusst - pervers. Ein Monopolunternehmen gründet einen eigenen
Arbeitgeberverband, und der Präsident dieses Arbeitgeberverbandes verkündet, dass die Löhne eigentlich gar
nicht hoch genug sein können.
({5})
Daraufhin will die Gegenseite eine eigene Gewerkschaft
gründen. Deren Arbeitnehmer verkünden dann, dass die
Löhne gar nicht niedrig genug sein können. Das ist doch
pervers. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir stoppen
müssen. Darüber müssen wir diskutieren.
({6})
Ich verstehe diese Diskussion nicht. Herr Barthel, das,
was Sie und Ihre Kollegen hier gesagt haben, ist nicht logisch. Vor dem Parteitag ist das vielleicht taktisch. Sie
haben gesagt, dass bei den Briefzustellern Mindestlöhne
erforderlich sind. Warum soll das nicht - das wäre nur
konsequent - auch für sämtliche Zeitungszusteller gelten? Wenn Mindestlöhne in diesem Bereich erforderlich
sind, warum wollen Sie dann die Zeitungszusteller herausnehmen? Sie wollen sie nur herausnehmen, damit
der Vertrag von den Zahlen her genehmigungsfähig ist.
({7})
Das zweite Argument in diesem Zusammenhang ist,
dass hier die Gewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband, mit dem Monopolisten Post, einen Vertrag geschlossen hat. Ich will ausnahmsweise einen Punkt aufgreifen, den Herr Gysi genannt hat. Ich verstehe nicht,
warum ostdeutsche Unternehmen auf Basis ihrer Löhne
nicht in Westdeutschland als Konkurrenz auf dem Markt
auftreten sollen. Warum macht man das?
Wir müssen über verschiedene Aspekte dieses Tarifvertrages reden. Uns muss es darum gehen - dieser
Auftrag ergibt sich aus dem Postgesetz -, für diesen
neuen Wettbewerbsbereich hinsichtlich sozialer Mindeststandards gemeinsam eine saubere Lösung zu finden, die Wettbewerb ermöglicht und Dumpinglöhne verhindert. Herr Müntefering, ich denke, Sie hatten vor dem
SPD-Parteitag viel zu tun. Nach dem Parteitag sollten
Sie aber, wenn Sie an einer schnellen Lösung interessiert
sind, alle Beteiligten - wie auch immer - an einen Tisch
holen und eine Lösung für die Probleme dieses neuen
Wettbewerbssektors finden. Die Arbeitnehmer müssen
geschützt werden, und wir müssen die Diskussion über
Laurenz Meyer ({8})
Mindestlöhne und das Entsendegesetz auf einer sauberen
vertraglichen Grundlage, wie zwischen uns vereinbart,
weiterführen können.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6735 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick begeht heute seinen 50. Geburtstag. Das kommt auch bei anderen gelegentlich vor, aber dass er seinen Geburtstag im Plenum
des Deutschen Bundestages beginnt, spricht für sein Stilempfinden, was die angemessenen Rahmenbedingungen einer solchen Geburtstagsfeier angeht. Ich übermittle Ihnen die Glückwünsche des ganzen Hauses.
({0})
Sie haben ja begründete Aussicht, dass aus Anlass Ihres
Geburtstages heute eine Massenveranstaltung auf die
nächste folgt, sodass ich zuversichtlich bin, dass Sie die-
sen Tag in besonders lebhafter Erinnerung behalten wer-
den.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 19 a bis
19 f:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit - Gutes Leben
Initiative für eine gerechte Arbeitswelt
- Drucksache 16/6698 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen - unbezahltes Probearbeiten verhindern
- Drucksache 16/4909 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Beschäftigungspolitische Verantwortung der
Bundesregierung bei der Deutschen Telekom
AG
- Drucksache 16/5677 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia
Möller, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Soziale Sicherung verbessern - Verdrängung
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
verhindern
- Drucksache 16/5809 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Kornelia Möller, Werner Dreibus, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlän-
gern
- Drucksachen 16/3538, 16/5685 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Kornelia
Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Ausweitung und Stärkung des Kündigungsschutzes
- Drucksachen 16/2080, 16/5813 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache eine Stunde andauern. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die
Linke.
({7})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Sitzungswoche hat der Deutsche Bundestag über die Entwicklung der Beschäftigung diskutiert. Die regierenden Koalitionsparteien waren ganz
stolz auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes und haben
darauf hingewiesen, dass von ehemals 5 Millionen Arbeitslosen nur noch 3,5 Millionen Arbeitslose übrig geblieben seien
({0})
und dass insofern alles zum Besten stehe.
Natürlich wird jeder bei der ersten Betrachtung sagen:
Es ist gut, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt und neue Arbeitsplätze entstehen. Aber bei der zweiten Betrachtung
muss man fragen: Welche Arbeit ist eigentlich entstanden? In dieser Situation ist es gut, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund ein Thema gesetzt hat, das wir gerne
aufgreifen. Das Thema lautet: „Gute Arbeit“. Die Frage,
die wir zu beantworten haben, ist, ob der Stolz, den Sie
hier aufgrund der Entwicklung des Arbeitsmarktes gezeigt haben, berechtigt ist, ob Sie also in den letzten Jahren gute Arbeit organisiert haben. Leider fällt an dieser
Stelle die Antwort äußerst negativ aus. Es ist zwar richtig, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstanden sind, aber
es ist leider so, dass immer schlechtere Arbeitsplätze
entstanden sind.
({1})
Sie sind schlecht bezahlt und befristet; es handelt sich
um Leiharbeit usw.
Dies ist eine ganz negative Entwicklung in unserer
Gesellschaft. Da Sie dem, wenn ein Abgeordneter der
Linken so etwas sagt, sicherlich wenig Gewicht beimessen, möchte ich jetzt eine Autorität zitieren, bei der
Sie es vielleicht schwer haben, zu widersprechen. Insbesondere Sie von den christlich-demokratischen Parteien
haben in den letzten Jahren in großem Umfang prekäre
Arbeit organisiert.
({2})
Papst Benedikt XVI. hat sich kürzlich zu diesen Arbeitsverhältnissen geäußert. Er hat sie als eine Bedrohung für
die Gesellschaft bezeichnet. In einer Botschaft an die italienischen Katholiken zählte er instabile Beschäftigungsverhältnisse zu den ethischen und sozialen Notständen,
wie in der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera
berichtet wird. Diese Entwicklung beeinträchtige den
gesellschaftlichen Zusammenhalt; denn sie erlaube jungen Menschen nicht, eine Familie zu gründen.
({3})
Das ist der eigentliche Skandal der schlechten Arbeit,
für den die große Mehrheit dieses Hauses die Verantwortung trägt. Uns ist völlig unverständlich, was es da zu
feixen gibt. Das ist auch der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande völlig unverständlich.
({4})
Die schlechte Arbeit, die Sie organisiert haben, hat einen Namen. Das sind Mini- und Midijobs. Von ihnen
kann man nicht leben. Das sind Niedriglöhne, die sich
immer weiter ausbreiten. Von niedrigen Löhnen in
Deutschland kann man nicht leben. Das Bedauerliche
daran ist, dass 70 Prozent dieser Arbeitsplätze Frauenarbeitsplätze sind. Was soll das Gerede über die Gleichstellung der Frau in Beruf und Gesellschaft, solange wir
immer noch diesen gesellschaftlichen Skandal haben?
({5})
Schlechte Arbeitsplätze sind 1-Euro-Jobs, auf die
viele ja noch stolz waren. Sie haben immer wieder darauf verwiesen, dass sie eine gute Lösung seien für Menschen, die arbeitslos sind. Sie fänden so eine Gelegenheit, in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt
zurückzukehren.
Schlechte Arbeit sind befristete Arbeitsplätze, für die
Sie in großem Umfang aufgrund Ihrer fehlerhaften Entscheidungen in den letzten Jahren gesorgt haben. Sie haben immer noch nicht begriffen, dass der Papst völlig
recht hat. Sie sind verantwortlich dafür, dass das Familienleben in Deutschland zerstört wurde, dass junge
Menschen sich nicht mehr entschließen können, Kinder
zu bekommen, weil die finanziellen und materiellen Bedingungen dafür nicht mehr gegeben sind.
({6})
Wer nicht weiß, ob er in einigen Monaten noch Geld
auf dem Konto hat, würde verantwortungslos handeln,
wenn er eine Familie gründen und Kinder in die Welt
setzen würde. Das ist der Zusammenhang. Mit dieser
Tatsache müssen Sie sich konfrontieren. Ich sage auch
hier: Ihr Feixen ist an dieser Stelle völlig unverständlich.
Man hat die Vermutung, dass Sie gar nicht mehr nachempfinden, was schlechte Arbeitsplätze in unserer Gesellschaft für viele Familien bedeuten.
({7})
Schlechte Arbeitsplätze sind auch Leiharbeitsplätze.
Wir reden nun schon seit Jahren über die negative Entwicklung bei den Leiharbeitsplätzen - nichts ist geregelt
worden. Die vielen Beschlüsse auf Parteitagen ändern an
dem Sachverhalt überhaupt nichts: Leiharbeitsplätze
bringen es mit sich, dass Arbeitnehmer, die die gleiche
Arbeit wie andere Arbeitnehmer leisten, mit der Hälfte
des Lohns jener zufrieden sein müssen, mit einem Lohn,
der kaum die Existenz sichert. Schaffen Sie endlich
diese skandalösen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ab,
und reden Sie nicht über gute Arbeit!
({8})
Der Zwang zu schlechter Arbeit ist durch Hartz IV
begründet worden. Jeder, der heute die Agenda 2010
rechtfertigt, jeder, der auf Hartz IV noch stolz ist, sollte
sich schämen, wenn er von guter Arbeit spricht. Er sollte
sich wirklich schämen, weil er überhaupt nichts, aber
auch wirklich nichts verstanden hat.
({9})
Hartz IV brachte schlicht und einfach den Zwang mit
sich, jede Arbeit anzunehmen, sei sie auch noch so
schlecht bezahlt
({10})
und sei sie auch überhaupt nicht mehr in Übereinstimmung mit der Qualifikation desjenigen, der diese Arbeit
annehmen muss. Hartz IV ist nicht nur Armut per Gesetz, sondern auch Demütigung per Gesetz!
({11})
Eine demokratische Gesellschaft sollte niemanden demütigen.
Sie haben den Weg zur schlechten Arbeit auch noch
gepflastert, indem Sie in großem Umfang Privatisierungen durchgeführt haben. Davon war ja bereits die Rede.
Haben Sie sich überhaupt einmal - ich greife die Debatte
von vorhin auf - angeschaut, was sich zum Beispiel im
Arbeitsleben der Beschäftigten der Post verändert hat?
Der Briefträger war früher eine Institution im Dorf bzw.
auf dem Lande. Dem Briefträger kam in manchen Dörfern eine solche Rolle zu, dass er im Ansehen gleich
nach dem Lehrer und dem Pfarrer stand. Heute haben
Sie nur noch gehetzte Beschäftigte, die schlecht bezahlt
werden und nicht mehr wissen, wie sie ihre Arbeit überhaupt noch bewältigen sollen. Das haben Sie alle mit Ihrem Privatisierungswahn angerichtet, und Sie haben immer noch nicht begriffen, was der zur Folge hat.
({12})
Ein anderes Beispiel: Schauen Sie sich einmal die
Entwicklung der Löhne bei den Beschäftigten der Bahn,
auch die der Lokführer - jawohl! -, und die Entwicklung
der Bezüge beim Bahnvorstand an. Dann sehen Sie, was
Privatisierung heißt. Warum lernen Sie nicht daraus,
meine sehr geehrten Damen und Herren?
({13})
Eine Folge davon ist auch, dass jetzt 2,6 Millionen
Kinder in Armut leben. Das ist nämlich eine Folge dieser negativen Entwicklung zu schlechten Löhnen und
schlechter Arbeit. Eine weitere Folge ist, dass diejenigen, die niedrige Löhne haben, eine Rente in Höhe von
nur 39 Prozent ihrer Bruttolöhne erwarten können. Das
alles haben Sie angerichtet. Es ist zwar gut, wenn im
SPD-Grundsatzprogramm jetzt der schöne Satz steht:
„… nicht jede Arbeit ist gute Arbeit.“ Es ist zwar gut,
wenn eine Partei sich auf Werte bezieht und sich sogar
christlich nennt, aber es wäre doch, wenn die Soziallehre
der Kirche eindeutig sagt, dass eine entsprechende materielle Absicherung da sein muss, um entsprechende
Lebensbedingungen für Familien zu schaffen, und dass
Arbeitsplätze angeboten werden müssen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, an der Zeit,
dass christliche Politiker hieraus Konsequenzen ziehen.
Es tut mir leid, aber es muss gesagt werden: Sie waren
in den letzten Jahren eine Versammlung zur Organisierung von schlechter Arbeit und zur Zerstörung der Familienverhältnisse.
({14})
Die Kollegin Gitta Connemann ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Sie sahen gerade eine weitere Folge aus der
Staffel unserer beliebten Telenovela „Oskar - Wege zum
Glück“ bzw. „Verwirrt in Berlin“.
({0})
In den Hauptrollen sehen Sie neben Oskar Lafontaine
und Gregor Gysi Charakterdarsteller wie Katja Kipping.
({1})
Es erwarten Sie Pathos, Leidenschaft und das wohlige
Gefühl der Wiederholung. Das Drehbuch der linken
Fraktion verblüfft einmal mehr durch große Worte und
dramatische Inhalte. Lassen Sie sich weiter überraschen! Klappe.
({2})
Meine Damen und Herren von der Linken, es wirkt
wie eine Seifenoper, wenn man wie Sie den Deutschen
Bundestag Woche um Woche durch Massenanträge
- heute sind es gleich sechs an der Zahl - als Bühne instrumentalisiert.
({3})
Viel Masse, wenig Klasse, immer getreu dem Motto:
Einmal Vollwaschgang für die Volkswirtschaft. - Und
das immer wieder aufs Neue. Blendend daran sind nur
die Überschriften wie „Gute Arbeit - Gutes Leben“. Das
ist Politik für den Boulevard, Herr Kollege Lafontaine.
({4})
Es geht Ihnen nicht um Wirksamkeit, sondern lediglich um Wirkung. Die Inhalte Ihrer Anträge sind deshalb
handwerklich lieblos und beliebig; siehe nur die Höhe
des Mindestlohns: Heute zeigt Ihr Mindestlohn-DAX
8,44 Euro an. Dieser kann sich aber täglich ändern. So
jedenfalls zeigen es Ihre Anträge in der vergangenen
Zeit; es gab eigentlich fast keine Zahl, die Sie nicht
schon vertreten hätten.
Zugespitzt sind lediglich die Begrifflichkeiten, mit
denen Sie arbeiten, polemisieren und ausgrenzen. Da
gibt es neue Wortschöpfungen wie „Solo-Selbstständige“, und es ist von befristeten und deshalb prekären
Arbeitsverhältnissen die Rede. Meine Damen und Herren von der Linken, wer gibt Ihnen eigentlich das Recht,
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich tagtäglich um ihren Lebensunterhalt bemühen, als Prekariat zu
verunglimpfen?
({5})
Niemand, insbesondere nicht Ihre Wähler; denn diese
haben Sie beauftragt, nicht zu polemisieren, sondern
Sachpolitik zu machen. Ihr Politikgebaren, meine Damen und Herren von der Linken, ist Auftragsverweigerung an Ihren Wählern.
({6})
Wie wenig es Ihnen um objektive Darstellung und
wie sehr nur um politische Meinungsmache geht, mache
ich an einem einzigen Beispiel aus Ihren Anträgen deutlich, über das sich auch schon mein Vorredner ereifert
hat: dem Thema Zeitarbeit. Sie wird von Ihnen als atypische Beschäftigung diffamiert, durch die - ich zitiere „sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetzt, Standards unterlaufen und so Kosten gespart werden“.
({7})
Die Zahlen belegen, meine Damen und Herren von
der Linken, dass Sie die Tatsachen verdrehen.
({8})
Durch Zeitarbeit entstehen Chancen.
({9})
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren zwei
Drittel - genau 68 Prozent - der Zeitarbeitnehmer, die
im Jahre 2006 neu eingestellt wurden, vor ihrer Beschäftigung arbeitslos. Jetzt stehen sie bei einem Arbeitgeber
in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, lediglich mit wechselnden Arbeitsorten. Die Zeitarbeit ist ein Sprungbrett. Jeder dritte Zeitarbeitnehmer
wird von einem Entleiher übernommen. Damit hat die
Zeitarbeit erheblich zum Aufschwung beigetragen.
Lassen Sie mich auch mit folgender Mär aufräumen:
Zeitarbeit ist für einen Entleiher nicht günstiger. Die
Kosten für ein entleihendes Unternehmen werden immer
höher sein, da zu den Personalbestellungskosten noch
die Verwaltungskosten für die Zeitarbeitsfirma hinzukommen. Aber die Zeitarbeit gibt Entleihern die so
dringend erforderliche Flexibilität. In keiner anderen
Branche sind deshalb so viele neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden, und
zwar mit tarifentlohnter Bezahlung. Es gibt keine andere
Branche, in der die Tarifbindung so hoch wie im Bereich
der Zeitarbeit ist. Auch dies müssen Sie zur Kenntnis
nehmen, meine Damen und Herren von der Linken.
({10})
Rund ein Viertel der neuen Vollzeitstellen geht auf die
Einstellungen von Zeitarbeitsunternehmen zurück. Die
Branche leistet vor allem mit der Qualifizierung im Rahmen der Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit. Ich weiß, dass dies in
Ihr Schwarz-Weiß-Gemälde nicht passt und in Ihr Gutund-böse-Drama keinen Eingang finden darf. Dies zeigt
einmal mehr, dass Sie sich mit Realitäten in den Betrieben nicht auseinandersetzen. Informierten Sie sich,
wüssten Sie, dass in dieser Branche ab August nächsten
Jahres ein neuer Ausbildungsberuf in Form des Personaldienstleistungskaufmanns angeboten wird und dass
im Falle der Zulassung von Verbundausbildung weitere
neue Ausbildungsplätze geschaffen werden könnten.
Auch in Zukunft kann die Zeitarbeit ein Beschäftigungsmotor sein, wenn die Politik nicht Sand ins Getriebe
streut, wie Sie es wollen, meine Damen und Herren von
der Linken.
Politik gestaltet. Dass sie dies mit Erfolg tun kann,
zeigt die Bilanz am Arbeitsmarkt. Im September war
die Arbeitslosigkeit in Deutschland so niedrig wie seit
zwölf Jahren nicht mehr. Es gibt 1 Million weniger arbeitslose Menschen als vor zwei Jahren und fast 700 000
weniger als vor einem Jahr. Gerade unter 25-Jährige und
über 50-Jährige konnten den Weg zurück in Arbeit finden. Über zwei Drittel der 55- bis 59-Jährigen sind wieder in Beschäftigung.
({11})
Hinzu kommt, dass es 1 Million offene Stellen gibt und
dass der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit einen
Überschuss von mehr als 11 Milliarden Euro ausweist.
Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Hier können wir zu Recht sagen: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Dass wir auf dem richtigen Weg sind, wird uns auch
im Jahresgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigt. Auch 2008 wird ein Jahr des
Aufschwungs sein. Die Chancen, die Zahl der Arbeitslosen auf unter 3,5 Millionen zu senken, sind gut. Wir
müssen sie nutzen.
({12})
Eines dürfen wir allerdings nicht tun: den eingeschlagenen Kurs verlassen. Genau darauf zielen aber die vorliegenden Anträge. Sie sind eine Rolle rückwärts. Ihre
Anträge beinhalten wieder einmal die stereotype Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Meine Damen
und Herren von der Linken, das Ausmaß der sozialen
Gerechtigkeit lässt sich nicht am Umfang sozialer Leistungen festmachen, sondern an größerer Teilhabe an Bildung, Ausbildung und Arbeit. Die Schaffung besserer
Beschäftigungschancen für ältere Menschen ist gerechter als Frühverrentung, und die stärkere Befähigung zur
Selbsthilfe ist gerechter als die Zahlung höherer staatlicher Transfers.
Das oberste Ziel der schwarz-roten Bundesregierung
ist und bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Sie ist nach wie vor zu hoch; auch hier sind wir uns einig. Mehr als 3,5 Millionen Menschen sind ohne Arbeit,
und wir dürfen nicht vergessen: Hinter jeder Zahl steckt
ein Einzelschicksal. Mehr als die Hälfte davon sind Geringqualifizierte: Menschen ohne Schulabschluss, ohne
Ausbildung und damit zuhauf ohne Perspektive. Wenn
wir diesen Menschen wirklich helfen wollen, müssen
wir am Kurs des Förderns und Forderns festhalten.
Wir fördern übrigens auch im Rahmen des neuen
Haushalts, indem wir den Arbeitsgemeinschaften und
Optionskommunen im nächsten Jahr 1 Milliarde Euro
mehr an Eingliederungsmitteln zur Verfügung stellen,
und das bei einem Rückgang der Zahl der Arbeitslosen
um 1 Million. Wir erkennen, dass die Qualifizierung und
Vermittlung der jetzt noch Arbeitslosen natürlich
schwieriger ist, weil sie es mit mehr Problemen und größeren Hemmnissen zu tun haben. Wir stehen gerade bei
den Menschen in der Pflicht, die bemüht sind. Ihnen
muss geholfen werden, zum Beispiel durch Qualifikation.
Wir müssen aber auch die Fragen, die sie haben, beantworten. Manche dieser Menschen leben im ländlichen Raum und fragen sich: Wie komme ich an einen
Arbeits- oder Ausbildungsplatz, wenn mir der öffentliche Personennahverkehr keine ausreichenden Möglichkeiten bietet? Das sind Probleme, die vor allem in ländlichen Regionen, auch in meiner Heimat, bestehen. Hier
muss der Gesetzgeber entsprechende Möglichkeiten
schaffen.
So wie wir unsere Pflicht tun, müssen auch die Leistungsempfänger ihren Beitrag leisten. Manchmal bedarf
es dafür auch Sanktionen. Darauf zu verzichten oder das
Zumutbarkeitserfordernis zu begrenzen, würde die Arbeitsanreize vermindern. Das wäre ein vollkommen falsches Signal; denn wir haben erlebt, dass insbesondere
diese Mittel für den Erfolg am Arbeitsmarkt gesorgt haben.
Das wäre gerade für diejenigen das falsche Signal,
die die Steuermittel erwirtschaften. Unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen endlich wieder den
Eindruck haben, dass sich Arbeit lohnt. Zurzeit ächzen
sie unter der Steuer- und Abgabenlast; das ist unstrittig.
Deswegen gehen viele Menschen im Rahmen eines
400-Euro-Jobs - Sie wollen ja, dass diese Jobs abgeschafft werden - einer Nebenbeschäftigung nach; der
Reiz besteht hier in der Sozialabgabenfreiheit.
({13})
Der Aufschwung, den wir erleben, ist das Gemeinschaftswerk der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
der Betriebe und der richtigen Politik. Insbesondere die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen an diesem Aufschwung beteiligt werden. Die Teilhabe daran
steht ihnen zu. Deshalb werden wir den Beitragssatz
zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent senken.
({14})
Allein dieser Schritt hat eine Erhöhung der Kaufkraft in
einer Größenordnung von mehr als 21 Milliarden Euro
zur Folge. Keinen einzigen dieser Wege geht die Linke
mit. Statt die Lohnnebenkosten zu senken, macht sie sich
lieber stark für populäre Sozialtransfers, auch wenn die
letztlich zulasten der Arbeitnehmer und des Arbeitsmarktes gehen. Die Spendierhosen anziehen, ohne dass
das gegenfinanziert ist - dafür sind wir nicht zu haben.
Denn eines dürfen wir bei allen Erfolgen nicht vergessen: Der Staat braucht Ausgabendisziplin. Das können
die nachfolgenden Generationen von uns erwarten, ja
verlangen. Das gilt ebenso für Investitionen in Bildung
- die wir vornehmen werden -; denn sie sind die Basis
für das Wachstum und den Wohlstand von morgen und
übermorgen.
Mit Ihren Anträgen leisten Sie dazu keinen Beitrag.
Deshalb werden wir sie ablehnen. So wie Sie es in Ihren
Anträgen fordern, funktioniert es nicht. Der Weg zum
Glück ist nun einmal mühsam und arbeitsintensiv, und es
ist notwendig, diesen mühsamen Weg zu gehen; denn
wir befinden uns im Bundestag eben nicht in einer Seifenoper.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Karin Binder.
Frau Kollegin Connemann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Leiharbeitsfirmen Beschäftigte
zum Teil um ein Drittel niedrigere Löhne und Gehälter
beziehen als Menschen, die dieselbe Tätigkeit verrichten, aber zur sogenannten Stammbelegschaft gehören?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die sogenannten Stammbelegschaften von den Arbeitgebern
dank dieser Lohndumpingpolitik ständig reduziert werden?
Die dadurch erzeugte Arbeitslosigkeit führt dazu,
dass sich die Lohndumpingspirale weiterdreht; denn
wenn sich die Menschen in diese Leiharbeitsverhältnisse
begeben müssen, führt das, weil sie ihren Lebensstandard drastisch senken müssen, zu Kaufkraftverlusten etc.
Diese Lohndumpingpolitik, die von Ihnen mithilfe der
Leiharbeitsfirmen betrieben wird, senkt die Standards aller Menschen in diesem Land. Nicht nur die Löhne und
Gehälter, auch die Arbeitsbedingungen sind davon betroffen, zum Beispiel die Arbeitszeit.
Sind Sie sich darüber im Klaren, dass die Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungen, die „Lohnnebenkosten“, wie Sie sie ständig bezeichnen, Lohnbestandteile sind, die, weil das Geld angeblich nicht da sei, seit
Jahren zulasten der Beschäftigten gesenkt werden, wodurch ihr Anspruch auf Leistungen reduziert wird?
({0})
Das sind die Konsequenzen der Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten. Begreifen Sie endlich, dass es
sich um Lohnbestandteile handelt!
Ferner habe ich die große Bitte an Sie, sich unseren
Antrag wirklich anzuschauen, sich mit unseren Forderungen zu beschäftigen und zu registrieren, dass Finanzierungsvorschläge damit verbunden sind.
Ich danke.
({1})
Zur Erwiderung Frau Connemann. Bitte schön.
Nein, Frau Kollegin.
({0})
Sie haben mich gefragt, ob ich mich mit Ihren Anträgen auseinandergesetzt habe. Leider muss ich das Woche
für Woche tun, weil Sie uns mit einer Masse von Anträgen überziehen. Mir ist einmal mehr aufgefallen, dass es
in Ihren Anträgen enorme inhaltliche Ungenauigkeiten
gibt. Da widerspricht der eine Antrag dem anderen. Sie
haben, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten,
sechs Anträge vorgelegt. Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Anträge selbst gelesen haben. Sie würden schon - darauf
habe ich bereits hingewiesen - einen Beitrag zur Verbesserung Ihrer Anträge leisten, wenn Sie sich auf ein einziges Mindestlohnniveau verständigen könnten; das nur
als kleinen Rat.
Im Übrigen muss ich sagen, dass mir natürlich klar
ist, dass Ihnen die Zahlen, die belegen, dass die Zeitarbeit nicht das ist, als das Sie sie hinzustellen versuchen,
nämlich als das Schmuddelkind einer Branche, nicht
passen. Aber ich empfehle Ihnen sehr, sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen.
({1})
Dann werden Sie sehen, dass ein Zeitarbeitsunternehmen mit einem Zeitarbeitnehmer einen ganz normalen
Arbeitsvertrag abschließt, der zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis führt. Das ist
eben anders als in den anderen europäischen Ländern,
wo es das Prinzip der Agenturverträge gibt, sodass dort
tatsächlich ein Hopping von Zeitarbeitnehmern stattfindet. Gerade dagegen hat sich der deutsche Gesetzgeber
entschieden.
Das hat auch die jetzt erfolgte Anhörung auf EUEbene zur Vorbereitung von Regelungen für die Zeitarbeit gezeigt, sodass es in Deutschland keinen Handlungsbedarf gibt. Der soziale Standard und der Schutz
von Zeitarbeitnehmern sind in keinem Land Europas so
hoch wie bei uns. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen liebe Kollegin Binder, die sich hier gerade abwendet! Ich habe mich auch der Mühe unterzogen, alle sechs Anträge von Ihnen zu lesen, die Sie heute
vorgelegt haben. Ich komme zu dem Ergebnis: So viel
blauäugige Weltverbesserung war nie.
({0})
Wir haben hier in den letzten Jahren zwar schon einiges von der Fraktion Die Linke präsentiert bekommen,
aber in der heutigen massierten Form habe ich das, wie
ich feststellen muss, noch nicht erlebt, Herr Kollege
Dreibus. Es heißt zwar so schön „Honi soit qui mal y
pense“, also ein Schuft, wer Böses dabei denkt, aber ich
werde gleichwohl das Gefühl nicht ganz los, dass das etwas mit dem bevorstehenden SPD-Parteitag zu tun hat.
({1})
Es soll Druck auf die SPD ausgeübt werden. Nach dem
Umschwenken der SPD bei der Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I scheint jetzt mehr, wenn nicht alles
möglich. Das muss man hier auch an die Adresse der
Koalitionäre sagen.
Kurt Beck und Angela Merkel haben sich vielleicht
gedacht, dass mit ein wenig Nachgeben beim Arbeitslosengeld I der Spuk vorbei sei.
({2})
Das war es wohl nicht, Herr Brandner. Die Liste der
Wünsche ist lang. Sie reicht von der Leiharbeit über die
geringfügige Beschäftigung und die Ausweitung des
Kündigungsschutzes bis hin zum Mindestlohn,
({3})
frei nach dem Motto: Anything goes, alles ist möglich.
Geld spielt keine Rolle.
Bei der Lektüre der Anträge und vor allen Dingen des
zusammenfassenden Antrags zur guten Arbeit,
({4})
die Sie formuliert haben, lässt erneut - ich muss das so
sagen - Pippi Langstrumpf grüßen: Ich mache mir die
Welt, wiediewiediewie sie mir gefällt.
({5})
Ich könnte meine Rede abkürzen,
({6})
indem ich kurz und bündig feststelle: Die FDP vertritt
bei allem, was die Linken fordern, die genau entgegengesetzte Position.
({7})
Herr Kollege Lafontaine, Sie haben hier die Zeitarbeit verteufelt, indem Sie sagen, dass, wenn jemand befristet beschäftigt ist, er keine Perspektive mehr hat, Kinder zu bekommen. Wenn das, was Sie sagen, richtig
wäre, dann dürften sich in Deutschland nur noch Beamte
fortpflanzen,
({8})
weil jedem Arbeitnehmer beispielsweise durch den Konkurs des eigenen Arbeitgebers ein solches Schicksal drohen kann.
({9})
Um das hier auch deutlich zu sagen: Ich finde, ein befristeter Arbeitsplatz in einem Zeitarbeitsunternehmen ist
allemal besser als unbefristete Arbeitslosigkeit. Das sollten wir hier auch gemeinsam feststellen.
({10})
Ich muss sagen: Bei dem, was ich gelesen habe, drängen sich mir schon einige Fragen auf. Was gute Arbeit
ist, lässt sich am Ende Ihres Antrags ja nachlesen: Das
ist ein unbefristeter, sicherer - gemeint ist: unkündbarer - Arbeitsplatz mit einem verlässlichen und sicheren
Einkommen.
({11})
Mal ehrlich: Wer von uns würde sich das nicht wünschen?
Deswegen sehe ich die Strategen der SPD, Kurt Beck,
Andrea Nahles und andere, schon darüber grübeln, wie
man jetzt auch hier der Linken das Wasser abgraben
kann.
({12})
Dem Vernehmen nach soll es in Hamburg ja auch schon
einen Antrag „Gute Arbeit“ geben. Auch die CDU wird
bei dem Gedanken, die SPD könne in der öffentlichen
Wahrnehmung sozialer erscheinen als sie selbst, bestimmt schon wieder ganz unruhig.
({13})
Allerdings fehlt in dem Antrag der Linken das entscheidende Kapitel: Wer stellt die guten Arbeitsplätze
zur Verfügung,
({14})
und warum tut er oder sie das eigentlich? Das müssen ja
in jedem Fall ganz besondere Arbeitgeber sein, Arbeitgeber neuen Typs, denen die Nächstenliebe über jede
Form von Gewinnstreben - in Ihrem Jargon: Profitgier geht. Das sind Menschen mit hoffentlich viel Kapital
bzw. viel Liquidität; denn sie zahlen ja nicht nur überdurchschnittlich hohe Löhne, sondern sie entlassen die
Arbeitnehmer im Falle eines Rückganges der Geschäftstätigkeit auch nicht mehr, und sie verlängern weder deren Arbeitszeit noch kürzen sie deren Lohn. Neue Arbeitgeber braucht das Land also. Die Linken werden
sicherlich auch diese Lücke in ihrer Programmatik noch
schließen. Notfalls springt eben der Staat ein.
({15})
Die DDR lässt grüßen. Sie feiert fröhliche Urständ. Aber
dieses Experiment ist schon einmal gescheitert, und wir
wollen uns nicht erneut darauf einlassen.
({16})
Denn das ist das Problem, Herr Kollege Lafontaine:
Wenn es am Ende allen gleich gut gehen soll, wie es Ihren Vorstellungen entspricht, dann wird es am Ende allen
gleich schlecht gehen.
({17})
Das ist die Erfahrung, die wir aus der DDR mitgenommen haben. Darum kann es uns nicht gehen.
Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, kann ich nur kurz anreißen: Was passiert eigentlich, wenn jemand keine gute Arbeit hat? Nach den
von Ihnen vorgelegten Zahlen haben nur 12 Prozent der
Menschen eine gute Arbeit.
({18})
54 Prozent sind in mittelmäßigen und 34 Prozent in
schlechten Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Kann man
es diesen Menschen noch zumuten, morgens zur Arbeit
zu gehen? Muss der Staat nicht ersatzweise eintreten und
für das Auskommen dieser Menschen sorgen?
Was Sie vorgelegt haben, enthält so viele Ungereimtheiten, dass man es nicht mittragen kann. Ihre Anträge
ignorieren von vorne bis hinten ökonomische Gesetzmäßigkeiten.
Herr Kollege.
Sie sind zum Scheitern verurteilt, wie schon zuvor die
DDR zum Scheitern verurteilt war, weil sie glaubte, solche Gesetzmäßigkeiten vernachlässigen zu können.
({0})
Ich bin am Ende meiner Redezeit.
Längst.
Darauf wird mich der Präsident jetzt hinweisen. Selbst wenn Sie sie noch so massiert einbringen, werden
Ihre Anträge nicht besser. Sie müssen von uns konsequent abgelehnt werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Andrea Nahles, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeit gehört zum menschenwürdigen Leben, aber sie
muss auch menschenwürdig sein. Nicht jede Arbeit in
Deutschland ist gute Arbeit. Gute Arbeit bedeutet für
uns Sozialdemokraten Arbeit, die gerecht entlohnt ist,
die nicht krank macht, die Anerkennung für das bietet,
was geschaffen wird, und die vor allem die eingebrachte
Qualifikation erhält und weiter ausbaut.
Gute Arbeit ist durchaus auch selbstständige Arbeit.
Sie kann auch ehrenamtlich motiviert sein. Gute Arbeit
ist jede Arbeit, das heißt auch jede einfache Tätigkeit.
Ich denke dabei an Toni Schaaf, der früher die Müllmänner vertreten hat. Das ist für mich genauso gute Arbeit
wie die der Krankenschwester oder des Ingenieurs. Das
verdient Anerkennung und Respekt.
({0})
Wir haben an dieser Stelle aber festzuhalten, dass
nicht das sozial ist, was Arbeit schafft; es muss noch etwas dazukommen: Sozial ist, was gute Arbeit schafft.
Sie sollten bei Ihrem Bild der Zeitarbeit auf den Weichzeichner verzichten, Frau Connemann.
({1})
Ich kenne einen Frank Winkler, der bei BMW als Zeitarbeiter beschäftigt ist und für dieselbe taktgebundene
harte Arbeit 1 263 Euro verdient, für die sein Kollege
nebenan das Doppelte bekommt. Das ist auf Dauer nicht
in Ordnung.
({2})
Frank Winkler wird nicht über die Personalabteilung
beschäftigt, sondern über den Materialeinkauf. Wenn
Menschen so zu Ware werden, dann stimmt in diesem
Land etwas nicht.
({3})
Deswegen sagen wir klipp und klar: Wir haben damals - übrigens zusammen mit Frank Bsirske von Verdi
und mit Jürgen Peters - verstärkt Leiharbeit ermöglicht,
weil sie durchaus ein sinnvolles Instrument ist, wenn es
darum geht, Auftragsspitzen abzudecken. Ich bin nicht
prinzipiell dagegen.
Wir haben damals eine Equal-Pay-Regelung vereinbart, die in der Praxis aber nicht funktioniert, weil durch
sogenannte christliche Gewerkschaften systematisch
Dumpingtarifverträge angeboten werden, die die EqualPay-Regelung unterlaufen.
({4})
Deswegen brauchen wir - das betone ich - eine EqualPay-Regelung ohne Ausnahme der christlichen Gewerkschaften.
Es kann aber dieser Großen Koalition wahrlich nicht
vorgeworfen werden - wie es heute Morgen der Fall
war -, wir hätten das Ziel der guten Arbeit nicht im
Blick. Wenn seit letztem Jahr 550 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden sind, dann ist das ein richtiger Schritt in Richtung guter Arbeit. Das ist unsere gemeinsame Leistung,
die wir in der Großen Koalition zusammen mit den Unternehmen und den Arbeitnehmern in diesem Land erbracht haben.
({5})
Ich glaube, wir brauchen auch eine Debatte darüber,
wie es um die Leistungsverdichtung bei denjenigen,
die Arbeit haben, in unserem Lande bestellt ist. Wir haben nicht nur über diejenigen zu reden, die keine Arbeit
haben - das ist schlimm genug, und dafür müssen wir
noch mehr tun -,
({6})
sondern wir müssen auch über diejenigen reden, die in
Arbeit sind und deren Arbeitsbedingungen sich durch
zusätzliche unbezahlte Überstunden, durch Leistungsverdichtung und Produktivitätssteigerungen verändert
haben.
Ich sehe Arbeitszeit immer auch in Korrelation zu Lebenszeit. Gute Arbeit ist das eine und gutes Leben das
andere. Das gehört für uns zusammen. Deswegen brauchen wir zum Beispiel auch Pflegezeiten, damit man
zehn Tage Auszeit nehmen kann und Zeit zur Pflege von
Angehörigen hat.
({7})
Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum der Koalitionspartner an dieser Stelle einfach dicht gemacht hat
und diese Forderung abgelehnt hat. Das ist nicht anständig.
({8})
Es müssen eben Arbeits- und Lebenszeit miteinander
verbunden werden. Insoweit hoffe ich an dieser Stelle
doch noch auf Besserung.
Wenn es richtig ist, was wir alle festgehalten haben,
nämlich dass wir mehr tun müssen, um die Qualität von
Arbeit in das Zentrum zu rücken, dann ist aus meiner
Sicht die DGB-Kampagne die richtige. Aber ich möchte
noch eine andere erwähnen. Sie ist von der IG Metall in
Nordrhein-Westfalen aufgelegt worden und hieß „besser
statt billiger“. Aus dieser Idee - „besser statt billiger“ speist sich im Kern eigentlich ganz klar das, was in
Deutschland unsere Stärke ist. Wir sind ein Hochlohnland. Wir werden es nur bleiben - mit hohen Löhnen,
mit fairen Arbeitsbedingungen, mit guter Arbeit, mit Arbeit, die nicht krank macht -, wenn wir es tatsächlich
schaffen, auch in Zukunft besser ausgebildete Facharbeitskräfte im eigenen Land zu haben.
({9})
Deswegen dürfen wir auch nicht einfach sagen:
„Scheunentor auf, jetzt kommen die Facharbeiter aus
den anderen Ländern, die dort ausgebildet worden sind“,
sondern wir müssen durch mehr Investition in Bildung
unsere eigenen Potenziale bis auf den letzten Mann und
die letzte Maus nutzen, damit wir an dieser Stelle die Zukunft nicht verpassen und das Hochlohnland Deutschland und damit auch gute Arbeit absichern können.
({10})
Letzter Punkt. Bei den Anträgen, die hier heute diskutiert werden, habe ich mich wirklich darüber geärgert,
dass ein Antrag den Appell enthält, die Sozialdemokratie
soll sich doch bitte einmal um Kündigungsschutz kümmern. - Keine Sorge, der ist bei uns in guten Händen;
der ist bei der Sozialdemokratie in guten Händen. Am
Kündigungsschutz wird auch in der Großen Koalition
nicht gerüttelt, auch wenn das einige hier im Saal anders
sehen.
({11})
Zu guter Arbeit gehört für uns Sozialdemokraten ganz
elementar: Teilhabe am Haben und Sagen, Mitbestimmung. Deswegen wünsche ich mir, dass Betriebsräte in
diesem Land noch mehr Initiativrechte bekommen, um
etwas gegen Leiharbeit tun zu können, aber auch mehr
Initiativrechte bekommen, um in den Betrieben zum
Beispiel mehr für eine qualifizierte Weiterbildung gerade auch von Älteren tun zu können, als es derzeit möglich ist. Wir haben in diesen Tagen einen Bericht vorgelegt, in dem wir sagen, was wir tun können, damit Ältere
tatsächlich lange fit und gut ausgebildet im Erwerbsleben bleiben. Auch an dieser Stelle ist es ein Schwerpunkt, die Weiterbildungsoptionen in unserem Land zu
verbessern.
({12})
Frau Nahles, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Ich kann das leider nicht tun; denn ich habe eine Verabredung in Hamburg.
({0})
Ich muss jetzt leider Schluss machen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.
Gute Arbeit ist für mich ein gutes Anliegen. Wenn es
dafür in diesem Land breite Unterstützung von Gewerkschaften und anderen gibt, dann ist uns das sehr willkommen.
Vielen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Das begeistert Sie doch sicherlich, Herr Brauksiepe,
nicht wahr?
Herr Lafontaine, wenn ich das richtig sehe, haben Sie
die Inhalte der Anträge Ihrer Fraktion in der Broschüre
mit dem Titel „Manifest für gute Arbeit“ zusammengefasst und sie der Presse vorgestellt. Sie sind, als Sie in
grauer Vorzeit saarländischer Ministerpräsident waren
- lang ist’s her -, wegen Ihres Führungsstils als Napoleon von der Saar bezeichnet worden. Ich finde, der versuchte Rollentausch vom Kaiser zum Karl will Ihnen
nicht so richtig gelingen. Das liegt nicht nur an der fehlenden Lockenpracht, Herr Lafontaine.
({0})
Sie von der Linken weisen zu Recht auf die Zunahme
der Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse hin.
Das will ich hier deutlich sagen, Frau Connemann. Es
gibt unbestritten Fehlentwicklungen und Missbräuche,
die wir dringend bekämpfen müssen. Das Problem ist
aber, dass Sie es sich zu einfach machen. Ihre Ideen sind
nicht mächtig, sondern zielen leider mächtig an den Zielen vorbei, die wir eigentlich gemeinsam verfolgen sollten. Sie reagieren auf die Probleme von heute im Wesentlichen mit Lösungen von gestern,
({1})
auch wenn Sie behaupten, Ihr Zurück sei eigentlich ein
Vorwärts. Ich habe den Eindruck, dass Ihnen das Gefühl
für die Richtung vollständig verloren gegangen ist.
({2})
Das ist in zweifacher Hinsicht problematisch. Sie versprechen den Menschen etwas, was Sie garantiert nicht
halten können. Überall dort, wo Sie in der Regierungsverantwortung sind, beweisen Sie, dass Sie Ihre Versprechen nicht halten können.
({3})
Das ist der Grund dafür, dass diejenigen, die von der
Linken bzw. der PDS in der Regierungsverantwortung
sind, über den Populismus, den Sie, wo Sie gehen und
stehen, betreiben, so verzweifelt sind. Sie erwecken Illusionen, denen Sie nicht ansatzweise gerecht werden.
Herr Lafontaine, Opposition ist aber noch kein Freibrief
für Verantwortungslosigkeit. Enttäuschung und fortgesetzter Vertrauensverlust sind bei Ihrer Politik vorprogrammiert.
({4})
Sie verweigern sich den Lösungen, mit denen wir tatsächlich mehr Sicherheit und mehr Gerechtigkeit für die
Menschen schaffen. Das ist eine wichtige Aufgabe. Dafür brauchen wir jeden Bündnispartner. Schade, dass Sie
nicht dabei sein wollen.
Ich will die Herausforderungen und ein paar Lösungsansätze an einigen Beispielen deutlich machen. Nehmen
wir einmal das Arbeitslosengeld. Ja, es gibt hier Handlungsbedarf. Aber es geht nicht um eine Verlängerung
der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I für Ältere.
Was uns umtreibt und womit Sie sich eigentlich beschäftigen müssten, ist die Tatsache, dass die Zahl unsteter Erwerbsverläufe sowie Projekt- und Saisonarbeit zunehmen und dass viele Menschen, die in die
Arbeitslosenversicherung einzahlen, aufgrund der kurzen Einzahlungsdauer nichts herausbekommen. Das
müssen wir verändern.
({5})
Natürlich können wir versuchen, die Arbeit zu normieren. Aber das wird leider nichts ändern. Wir müssen
vielmehr die Sicherungssysteme den veränderten Arbeitsbedingungen und den Herausforderungen, denen
die Menschen gegenüberstehen, anpassen.
Ich nehme die Leiharbeit als weiteres Beispiel. Ich
gebe Ihnen recht: Es gibt Unternehmen, die die Leiharbeit als Lohndrückerei und für den Ersatz regulärer Arbeitsplätze missbrauchen. Frau Connemann, es ist nicht
richtig, dass Sie das alles ignorieren und gesundbeten. Es
gibt hier Probleme. Aber Zeitarbeit ist erwiesenermaßen
- das können Sie nicht leugnen - auch eine Brücke für
Arbeitslose in den Erwerbsarbeitsmarkt. Also müssen
wir versuchen, Regelungen zu finden, die den Missbrauch verhindern und gleichzeitig die Brücke zur Beschäftigung nicht abreißen.
({6})
Aber was machen Sie? „Hau weg den Scheiß“ ist Ihre
Parole. Aber damit kommen wir leider nicht voran. Damit schütten Sie das Kind mit dem Bade aus.
Nehmen wir die Minijobs als Beispiel. Ich finde,
diese Beschäftigungsverhältnisse gehören abgeschafft.
Arbeit darf nicht länger an unseren sozialen Sicherungssystemen - mit fatalen Folgen für die Beschäftigten vorbei organisiert werden. Aber einfach abschaffen ist
eben nicht genug, weil wir für diese Menschen andere
Bedingungen schaffen müssen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit diese Arbeitsplätze nicht einfach
verschwinden, sondern unter anderen und besseren Bedingungen bestehen bleiben können.
({7})
Auch dafür haben wir Ihnen einen Vorschlag vorgelegt,
nämlich das Progressivmodell, das dieser Herausforderung gerecht wird.
Beispiel Mindestlohn: Ja - das haben wir vorhin hier
diskutiert -, wir sind ausdrücklich für einen Mindestlohn
in allen Branchen. Aber wenn wir es so machen würden,
wie Sie es wollen, nämlich einen Lohn für alle - Herr
Gysi, Sie haben darauf hingewiesen -, dann hätten wir in
der Postbranche niemals einen Mindestlohn von 9 Euro
oder 9,80 Euro, wobei ich übrigens Ihre Kritik an unterschiedlichen Mindestlöhnen in Ost und West teile. Das
ist auch aus meiner Sicht nicht richtig. Ich glaube, Sie
kriegen das Problem dann in den Griff, wenn Sie branchenspezifische Mindestlöhne einführen. Dann können
Sie den jeweiligen Bedingungen gerecht werden.
({8})
- Darunter brauchen wir eine Marge, unter die keiner
fallen darf.
({9})
Das ist leider nicht richtig.
Wir haben tatsächlich viele Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Das lässt sich überhaupt nicht bestreiten.
Aber durch das Herbeireden der guten alten Zeit lassen
die sich leider nicht lösen. Wir brauchen differenzierte
Antworten. Wir müssen nach vorne schauen. Es nützt
nichts, die Räder einfach zurückzudrehen. Ich kann Sie,
Herr Lafontaine, nur auffordern: Machen Sie sich auf
von den Höhen der postsozialistischen Rhetorik in die
Niederungen und Mühen der Wirklichkeit. Dann lässt
sich außer Parolen etwas schaffen, nämlich Sicherheit
und Arbeit. Das wollen wir.
({10})
Nun erhält der Kollege Paul Lehrieder das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch an unsere Kollegen von der Linksfraktion.
({0})
Mit Ihrem Fahrplan in die schöne neue Arbeitswelt haben Sie bewiesen, dass Sie fleißig sein können. All Ihre
früheren Anträge haben Sie zu einem einzigen „Worst-of“
zusammengefasst. So viel Service hätte ich Ihnen gar
nicht zugetraut. Ihre gute Arbeit führt allerdings nicht zu
gutem Leben, sondern direkt in die Sackgasse.
({1})
Qualität steht nicht in Ihrem Antrag, sondern auf einem
anderen Blatt. Auf dem finden Sie die Vorstellungen und
Beschlüsse der Großen Koalition. Die Überschriften
Ihrer Anträge und Entwürfe hören sich ganz vielversprechend an: „Initiative für eine gerechte Arbeitswelt“,
„Soziale Sicherung verbessern“, „Stärkung des Kündigungsschutzes“ etc. etc. Wer aber weiterliest, weiß spätestens nach dem zweiten Satz: Wenn wahr wird, was
Sie wollen, sind Berufstätige und Arbeitslose von guter
Arbeit in einer gerechten Welt so weit entfernt, wie Sie,
liebe Kollegen von der Linken, schon jetzt von der Regierungsfähigkeit und Realität entfernt sind.
({2})
- Auch Sie haben einmal regiert, aber Sie sind davongelaufen, Herr Lafontaine. - Wenn man das auf die Spitze
treibt und Ihre Anträge fortschreibt, dann kommen wir
genau zu dem Ergebnis, das gestern Nacht in der Sendung Hart aber fair quasi als Ziel Ihrer Vorschläge gekommen ist: Mehr Sonnenschein für alle. - Eine utopischere Welt als die, die Sie mit diesen Anträgen hier im
Hohen Haus erreichen wollen, können Sie gar nicht basteln.
Zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen kann ich mir einige unfreundliche Worte im Detail leider nicht verkneifen. Sehen wir uns nur einmal Ihre Vorstellung zum
Mindestlohn an. Wer die Seite drei in Ihrem Antrag
„Gute Arbeit - gutes Leben. Initiative für eine gerechte
Arbeitswelt“ liest, weiß, wohin die Reise geht. Noch vor
einigen Monaten wollten Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde, jetzt sind wir schon
bei 8,44 Euro. Damit deutet sich jetzt schon an, was in
dem von Ihnen immer wieder gern zitierten Frankreich
traurige Realität ist. In den letzten Jahren ist der Mindestlohn dort immer wieder angehoben worden.
({3})
Er liegt derzeit, wie von Ihnen erwähnt, bei 8,44 Euro.
Da haben Sie recht. Seit 2002 stieg er, auch aufgrund
zum Teil populistischer Maßnahmen, auf diese Weise
um 20 Prozent. Betriebsgrößen und Produktivitätsentwicklung in den einzelnen Branchen wurden bei den Anhebungen überhaupt nicht berücksichtigt.
({4})
Die Folgen: Vor allem im Niedriglohnsektor wurden
viele Arbeitsplätze vernichtet. Unternehmen verlagerten
die Fertigung ins Ausland. Die Jugendarbeitslosigkeit
beträgt mittlerweise 30 Prozent. Sie ist mitverantwortlich für die Krawalle in den Pariser Vorstädten.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon oft
über den gesetzlichen Mindestlohn gesprochen. Dennoch betone ich noch einmal: Eine gesetzliche Lohnuntergrenze in der von Ihnen geforderten Höhe hat das Potenzial, weite Teile unseres Arbeitsmarktes von unten
stillzulegen und die Tarifautonomie auszuhebeln. Der
Staat kann nicht Ersatz für Tarifparteien sein.
({5})
Nach einer Studie des Bonner Forschungsinstituts zur
Zukunft der Arbeit würde ein gesetzlicher Mindestlohn
von 7 bis 8 Euro bis zu 60 Prozent der gegenwärtig im
Hauptberuf ausgeübten Mini- und Midijobs treffen. Betroffen wären vor allem Frauen, für die ein Minijob bisher eine willkommene Gelegenheit ist, Familie und Beruf zu vereinbaren bzw. einen Hinzuverdienst zu
erlangen.
Wir von der Union wollen Minijobs ganz gewiss
nicht überprivilegieren; aber wir sind weit davon entfernt, sie zu verteufeln, wie Sie dies in Ihrem Antrag
„Soziale Sicherung verbessern“ tun. Minijobs sind ein
wichtiges Ventil für den Arbeitsmarkt und für viele Arbeitnehmer die einzige legale Möglichkeit, ihr Haushaltseinkommen aufzubessern. Unsere Fraktion hat
diese Woche begonnen, darüber zu sprechen, wie man
die Minijobs rechtlich besser behandeln, das heißt auf
eine vernünftige rechtliche Basis stellen kann. Stichwort: Haushalt als Arbeitgeber.
Auch Ihre Position zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz läuft ins Leere. „Ab dem ersten Tag gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ klingt natürlich erst einmal gut. Sie müssen aber bedenken: Es handelt sich hier
um eine Arbeitsförderungsmaßnahme. Ein großer Teil
derjenigen, die vermittelt werden, sind Hilfskräfte und
Geringqualifizierte. Wozu würde die Umsetzung Ihres
Vorschlags führen? Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose hätten künftig überhaupt nicht mehr die
Chance, über Arbeitnehmerüberlassung einen festen Job
zu bekommen. Frau Kollegin Connemann hat bereits
kompetent und zutreffend darauf hingewiesen: Jährlich
werden etwa 30 Prozent aller Mitarbeiter - das entspricht etwa 200 000 Mitarbeitern aus der Leiharbeit - in
ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Geringqualifizierte würden kaum mehr in die Zeitarbeit vermittelt
werden, sondern nur noch Hochqualifizierte und Facharbeitskräfte; alle anderen fielen aus dem Markt heraus.
Sehr geehrte Kollegen von der Linkspartei, zu den
von Ihnen in diesem Zusammenhang angegriffenen
abweichenden Tarifverträgen nur so viel: Die am
1. April 2004 eingeführte Neuregelung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit der Möglichkeit des Abschlusses
abweichender Tarifverträge bietet gerade die Chance, die
Rahmenbedingungen in der Leiharbeit im Spannungsverhältnis zwischen Arbeitnehmerschutz und wirtschaftlicher Notwendigkeit sozial ausgewogen zu gestalten.
Dies zeigen die bislang erfolgten Tarifabschlüsse, die
hinsichtlich des Arbeitsentgeltes sowohl dem Entleiher
als auch dem Verleiher hinreichend flexiblen Spielraum
und dem Arbeitgeber Flexibilität bei kurzfristigen Auftragsüberhängen einräumen.
Zum nächsten Punkt: Kündigungsschutz. Sicherlich
ist die Weiterentwicklung des Kündigungsschutzrechtes
erforderlich; schließlich handelt es sich derzeit zum Teil
um reines Richterrecht, das für die Beschäftigten und die
Arbeitgeber nicht immer Rechtssicherheit bietet. Der
Kündigungsschutz muss die Schutzfunktion des Arbeitsverhältnisses nachhaltig sichern, darf aber andererseits
keine Hürde für Neueinstellungen, insbesondere bei
kleinen und mittelständischen Unternehmen, darstellen.
Aber genau das wäre der Fall, wenn Sie, liebe Kollegen von der Linkspartei, Ihre Vorstellungen auch nur annähernd realisieren würden. Sie wollen jede ordentliche
Kündigungsmöglichkeit ab einem Alter von 55 Jahren
und einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren ausschließen. In der Praxis bedeutet das für einen
Kleinbetrieb, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht
mehr möglich sein werden und der Zusammenbruch des
Unternehmens in vielen Fällen unausweichlich sein
wird. Würde ein über 45-Jähriger dann überhaupt noch
eingestellt? Vielleicht könnte diese Frage ein Arbeitgeber aus den Reihen der Linken beantworten - wenn es
denn einen gäbe. Ich weiß nicht, ob ein Mitglied Ihrer
Fraktion Arbeitgeber ist. Offensichtlich nicht, sonst
käme von Ihnen nicht so viel unausgegorenes Zeug.
Die Linkspartei lädt den Kündigungsschutz ideologisch auf und stellt ihn auf einen Sockel aus falschen Sicherheiten. Sie will den Status quo nur einmauern, und
sie will Stellschrauben, die helfen würden, auf Veränderungen am Arbeitsmarkt flexibel zu reagieren, gleich mit
einbetonieren. Ihre Forderungen nach mehr Kündigungsschutz, liebe Kollegen von der Linksfraktion, zielen auf Besitzstandswahrung nur für Arbeitsplatzbesitzer, lassen neue Arbeitsplätze aber sicher nicht mehr zu.
({6})
Zum Jugendarbeitsschutz. Liebe Kollegen von der
Linken, in Ihrem Antrag „Gute Arbeit - Gutes Leben“
fordern Sie auch, das Jugendarbeitsschutzgesetz in seinem Geltungsbereich auf junge Auszubildende bis
21 Jahre auszuweiten. Ein 16-jähriger Jugendlicher
dürfte dann, statt bisher zwei Jahre bis zum
18. Lebensjahr, bis zum 21. Lebensjahr nicht mehr als
acht Stunden täglich und nur an fünf Tagen in der Woche
arbeiten. Drei Jahre länger dürfte er in den meisten Branchen weder in der Nachtzeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr
morgens noch am Wochenende arbeiten. Drei Jahre länger müssten Haupt- und Realschüler warten, bis sie sozusagen als fertige Berufstätige gelten. Sie hätten dann
gegenüber Abiturienten kaum noch Chancen.
Eigentlich möchte ich noch einige Punkte ansprechen,
aber aus Zeitgründen muss ich zum Ende kommen.
Die derzeit gute Konjunktur ist kein Ding der Ewigkeit. Auch deshalb muss es unser wichtigstes Ziel sein,
die Arbeitslosigkeit gerade Älterer dauerhaft zurückzudrängen, und zwar mit den richtigen Mitteln. Anträge,
die dermaßen populistisch an der Realität vorbeigehen,
haben nur ein Votum verdient: Ablehnung.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Katja Mast von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Unrealistische Versprechen helfen überhaupt
nichts. Mit möglichst radikalen Forderungen kann man
viel Papier beschreiben. Das haben die Jusos auf ihrem
Bundeskongress 1996 von Oskar Lafontaine erfahren,
({0})
und da hat er recht. Das ist das Problem Ihrer Anträge,
über die wir heute diskutieren. Fordern ist schön, aber
wenn man nichts umsetzen will, ist das so überflüssig
wie ein Kropf.
Dass Sie nicht regieren wollen, sagen Ihre Parteivorderen in letzter Zeit erschreckend häufig. Gestern Morgen sagte Ihr Vorsitzender Lothar Bisky im Deutschlandfunk:
Wir werden sicher die Wahlen 2009 … mit einem
klaren oppositionellen Profil angehen.
Ihr Bundesvorstandsmitglied Gehrcke hat am Wochenende in Baden-Württemberg klargemacht, dass die
Partei bei der nächsten Bundestagswahl keine Regierungsbeteiligung anstreben sollte.
({1})
Das macht doch eines klar: Sie von der Partei, die sich
derzeit Die Linke nennt, wollen nicht regieren. Sie fordern, was das Zeug hält. Sie wollen keine Verantwortung.
({2})
So sind auch Ihre Anträge geschrieben.
Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die zwar das
Blaue vom Himmel versprechen, aber nichts in die Tat
umsetzen wollen?
({3})
Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die fordern, ohne
Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen?
({4})
Welcher Arbeitnehmer will Politiker, die jede Woche
eine andere Position vertreten?
Sie wollen nicht regieren. Wir Sozialdemokraten
schon.
({5})
Nicht Forderungen verändern die Welt, sondern Verantwortung und Taten.
({6})
Sie mäkeln immer nur an Einzelpunkten herum. Das
Ganze haben Sie nie im Blick.
({7})
Sonst würden Ihre Anträge nämlich damit beginnen, was
sich am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren alles Positives getan hat, beispielsweise beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Immerhin sind es 1 Million Arbeitslose weniger
als vor zwei Jahren. Die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer ist seit 1998 von knapp 38 Prozent auf rund
52 Prozent gestiegen. Zu nennen ist auch das Ende der
Frühverrentungspraxis.
Das gleiche Bild zeigt sich beim Ausbildungsmarkt:
deutlich mehr gemeldete Lehrstellen, deutliche Zuwächse bei der Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge in Industrie, Handel und Handwerk, 40 Prozent
weniger unvermittelte Bewerber als im Vorjahr. Wenn
man das Positive nennt, kann man auch besser darauf
hinweisen, was noch nicht so gut läuft. Dafür brauchen
wir Sie aber nicht.
Der Aufschwung ist da. Wir sorgen dafür, dass er bei
allen ankommt. Den Mindestlohn setzen wir ohne Sie
durch. Das wissen auch die 200 000 Beschäftigten der
Postdienste. Wir sorgen dafür, dass der Kündigungsschutz bleibt. Wir stehen an der Seite der Arbeitnehmer,
wenn es darum geht, sie an Unternehmensgewinnen zu
beteiligen.
({8})
Dinge verändern sich nur, wenn man bei einer Strategie bleibt und anerkennt, was ist. Beides tun Sie nicht.
Heute beraten wir Anträge von Ihnen, die nichts miteinander zu tun haben. In einem Antrag wird ein Mindestlohn von 8 Euro gefordert, in einem anderen schlagen
Sie mal einfach so fast einen halben Euro drauf. Eine seriöse Begründung? Fehlanzeige! Das ist beliebige Politik. Aber ich vergaß: Sie wollen ja auch gar nicht regieren. Sie akzeptieren nicht, was ist.
Die Arbeitslosenversicherung ist eine solidarische
Risikoversicherung
({9})
wie die Brandschutzversicherung. Brennt das Haus
heute, bekomme ich aus meinem gestern abgeschlossenen Vertrag die volle Leistung.
({10})
Das ist Solidarität im Sinne der Sozialdemokraten.
({11})
Sie sind da der CDU näher - frei nach dem Motto:
Wenn jeder an sich denkt, ist für jeden gesorgt. Das ist
Ellbogengesellschaft. Sie wollen eine Sparkasse. Wer
lange eingezahlt hat, soll auch mehr bekommen, egal
welche Chance er oder sie hat, wieder einen Job zu finden. Jürgen Rüttgers lässt grüßen.
({12})
Ihre Vorschläge erinnern an die Märchen der Gebrüder Grimm und nicht an die Realpolitik Ferdinand
Lassalles, August Bebels oder Willy Brandts. Ich bleibe
dabei: Sie fordern und wollen nicht gestalten, Sie reden
und wollen nicht verändern, Sie schreiben Anträge und
wollen nicht regieren.
Frau Kollegin Mast, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ernst?
Da ich jetzt noch sieben Sekunden Redezeit habe,
kann er anschließend etwas sagen.
Sie erlauben sie also nicht?
Richtig.
Lassen Sie mich mit Ferdinand Lassalle schließen:
Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen
und Bemänteln dessen, was ist.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Ernst.
Meine Damen und Herren! Nachdem ich wegen einer
dringenden Reise schon von Frau Nahles abgewiesen
wurde, möchte ich meiner Vorrednerin sagen: Ich habe
den Eindruck, dass der Antrag nicht gelesen wurde. Im
Antrag steht nichts über unsere Regierungsfähigkeit oder
Nichtregierungsfähigkeit. Vielmehr stehen dort konkrete
Punkte, konkrete Vorschläge für Verbesserungen, die die
Arbeitnehmer erwarten.
Kann ich Ihre Ausführungen so werten, dass Sie die
Zustände am Arbeitsmarkt - Leiharbeit ersetzt normale,
unbefristete Beschäftigung und führt inzwischen dazu,
dass selbst Ferienarbeiter, um billigere Löhne durchzusetzen, nicht mehr direkt in Unternehmen eingestellt
werden, sondern als Leiharbeiter, mit dem Ergebnis eiKlaus Ernst
nes um zwei Euro niedrigeren Lohnes - akzeptieren?
Von Ihnen, werte Kollegin Mast, habe ich überhaupt
nichts dazu gehört, sondern eher den Eindruck gewonnen, dass Sie mit diesen Verhältnissen am Arbeitsmarkt
einverstanden sind. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
meine Frage beantworten würden.
Ich habe den Eindruck, dass es in Ihrer Fraktion
durchaus den einen oder anderen gibt, der das anders
sieht. Bei Ihnen habe ich den Eindruck gewonnen, dass
Sie damit einverstanden sind, wie Sie, die Sozialdemokratische Partei, zusammen mit den Grünen und jetzt mit
der CDU/CSU den Arbeitsmarkt gestaltet haben. All
das, was gegenwärtig teilweise von Vertretern Ihrer
Fraktion kritisiert wird - die Verhältnisse bei der Leiharbeit und der Befristung -, haben Sie selbst mit Ihrer eigenen Politik herbeigeführt.
({0})
Frau Kollegin Mast zur Erwiderung. Bitte schön.
Lieber Kollege Ernst, wenn Sie Dinge in meine Aussagen hineininterpretieren, ist das zunächst einmal Ihr
Problem.
Zweitens. Sie sind darauf eingegangen, dass ich betont habe, Sie wollten nicht regieren. Man kann es auch
so interpretieren, dass sie sich nicht zu Ihrer Regierungsfähigkeit äußern. Ich finde, ich muss dazu weiter nichts
sagen.
Drittens. Meine Kollegin Andrea Nahles hat für die
gesamte SPD-Bundestagsfraktion ausreichend Stellung
zum Thema Leiharbeit bezogen. Damit will ich es an
dieser Stelle bewenden lassen, um den Tag nicht unnötig
zu verlängern.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz-Peter Haustein
von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es war 1986 in einem volkseigenen
Betrieb der DDR. Ich bin zum Betriebsleiter gegangen
und habe gesagt: Genosse Betriebsleiter, ich mache mich
selbstständig; ich kündige, ich höre auf. Da hielt er mir
einen Vortrag über Marxismus-Leninismus und sagte
zum Schluss: Haustein, das ist ein gesellschaftlicher
Rückschritt; es wird bald kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr geben.
Beim Lesen Ihrer Anträge bin ich daran erinnert worden und habe mir gedacht: Sie leben immer noch in dieser Scheinwelt.
({0})
Sie denken, wir haben immer noch volkseigene Betriebe.
Sie knüpfen mit Ihrer Beschreibung des Verhältnisses
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Ausbeuter und Ausgebeutetem, an den Klassenkampf an.
Die Zeit ist aber vorbei, Herr Lafontaine.
({1})
Wir haben nicht mehr den Manchester-Kapitalismus.
Wir haben eine soziale Marktwirtschaft.
({2})
Wer das nicht glaubt, sollte sich einmal die Zahlen anschauen: Wir geben 50 Prozent unseres Haushaltes für
Soziales aus, über alle Haushalte in diesem Land verteilt
686 Milliarden Euro.
({3})
Trotzdem wird so getan, als sei dies ein unsoziales Land.
Dem ist nicht so.
({4})
Sie fangen an, die Arbeitgeber in die Ecke zu stellen:
Das sind die Bösen, die Ausbeuter, die Schlechten. Aber
die Arbeitgeber übernehmen Verantwortung und laufen
nicht weg. Sie kämpfen darum, dass es Arbeit gibt und
dass der Lohn gezahlt werden kann. Sie arbeiten auch
gerne einmal 60 Stunden in der Woche und verzichten
auf Urlaub. Wenn es darauf ankommt, verpfänden sie ihr
Haus, ihren Hof und ihre eigene Großmutter für einen
Kredit.
({5})
Das alles machen Arbeitgeber, um Arbeitsplätze zu
schaffen.
Die Arbeitgeber haben längst erkannt, dass die Arbeitnehmer das Kapital der Unternehmen sind. Niemand
will seine Arbeitnehmer schlecht behandeln.
({6})
Es ist ein Miteinander. Das weiß heute jeder moderne
Arbeitgeber. Das ist Fakt.
({7})
Herr Kollege Haustein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Gysi.
({0})
Erstens. Herr Kollege Haustein, sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass uns zumindest in den neuen
Bundesländern deutlich mehr Unternehmerinnen und
Unternehmer wählen als die FDP und dass das vielleicht
Gründe hat?
({0})
Zweitens. Sie bewundern die Unternehmerinnen und
Unternehmer. Ich sage Ihnen aber, Sie unterschätzen die
Tatsache, dass diese soziale Gerechtigkeit und damit
Kaufkraft der Menschen brauchen.
({1})
Ansonsten können ihre Unternehmen nicht existieren.
Jetzt zu meiner eigentlichen Frage an Sie. Sie sagen,
es sei alles sozial gerecht. Stimmen Sie mir zu, dass es in
Deutschland 2,5 Millionen arme Kinder, 7,4 Millionen
Menschen, die von Hartz IV leben, 5 Millionen Menschen
in Mini- und Midijobs, 1,2 Millionen Vollbeschäftigte,
die noch Hartz IV beantragen müssen, damit sie ihren
Lebensunterhalt bestreiten können, und 800 000 Menschen in Leiharbeit gibt?
({2})
Würden Sie sagen, dass das sozial gerecht ist?
Herr Gysi, ich stimme Ihnen nicht zu, weil Sie den
Leuten Sand in die Augen streuen. Sie erzählen nämlich
nur das eine, das andere aber nicht. Sie reißen Fakten aus
dem Zusammenhang heraus.
({0})
Natürlich ist jedes System zu verbessern. Daran arbeiten
wir. Wenn die FDP an der Regierung ist, wird es auch
besser werden.
({1})
Kommen wir jetzt zu den einzelnen Punkten. Sie reden vom Kündigungsschutz und suggerieren den Menschen, ein sicherer Arbeitsplatz sei wichtig. Das stimmt.
Aber was kann ein Unternehmer tun? Wenn er viele Aufträge hat, muss er Leute einstellen. Wenn er das Auftragsvolumen nicht mehr halten kann, dann muss er die
Zahl der Beschäftigten dieser Situation anpassen; denn
sonst würde er das gesamte Unternehmen gefährden,
und alle würden ihre Arbeit verlieren.
Das trifft auch auf die Telekom zu. Auch sie muss
reagieren und sich dem weltweiten Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung stellen. Wir müssen reagieren.
Es ist doch kein böser Wille, wenn man Leute entlässt.
Die Unternehmer sind doch froh, wenn sie Facharbeiter
und Experten in ihren Betrieben haben. Das ist eine Tatsache.
Sie bewirken mit Ihren Anträgen das Gegenteil dessen, was Sie vielleicht wollen. Die Menschen in diesem
Lande begreifen, dass Sie nur verschleiern und Versprechungen machen, die Sie nicht halten können.
({2})
Sehen Sie das Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern! Dazwischen stehen noch die Gewerkschaften, die ebenfalls wichtig sind. Hören Sie auf, mit Klassenkampf die Marx’sche Theorie wiederzubeleben!
({3})
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller
von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Gute Arbeit, gutes
Leben: Wer möchte das nicht? Wer Politik macht, so
empfiehlt schon Aristoteles, sollte den möglichen Staat
im Auge haben, nicht den besten. Denn dieser führe, so
sagt er, in die Tyrannei.
Handlungsfähige Politik entsteht, wenn man verantwortungsvoll mit widerstreitenden Interessen umgeht.
Doch das Maß des Möglichen und Machbaren finde ich
in dem Kaleidoskop Ihrer Anträge, meine Kolleginnen
und Kollegen von den Linken, nicht.
({0})
Das überrascht allerdings auch nicht. Denn klar ist, dass
eine politische Kraft Ihrer Art einen riesigen Abstand
aufweist zwischen dem politisch Geforderten einerseits
und der Realpolitik, die Sie gelegentlich verantworten,
andererseits. Nirgends ist diese Differenz größer als bei
Ihnen.
Ich finde den Begriff Talkshow-Sozialismus, den ich
heute in der Süddeutschen Zeitung las, zutreffend. Sie
gehören zu einer Gruppe der Anscheinerwecker, die von
sich sagen: Wir sind die Guten, aber die anderen lassen
uns nicht. Wir würden alles richtig machen, aber die anderen hindern uns daran. Mit uns gäbe es gute Arbeit
und ein gutes Leben,
({1})
aber die anderen wollen euch das vorenthalten.
Ich kann nur sagen: Dies sind die Botschaften hinter
Ihren Anträgen und Debattenbeiträgen. An diesem Kurs
wollen Sie festhalten.
({2})
Das mag zwar Ihr Recht sein, gut ist es aber nicht. Denn
verhindern können auch Sie nicht, dass immer mehr zutage tritt, dass Sie kneifen, wenn es um die faktische
Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen
geht.
({3})
So unterscheiden sich Protestlinke von Gestaltungslinken; auch das habe ich gerne übernommen.
Beispiel Arbeitsmarktpolitik - denn darum scheint
es Ihnen ja heute zu gehen -: Wir geben jungen Menschen die Hilfen, die sie brauchen, um einen besseren
Einstieg in die Arbeitswelt hinzubekommen.
({4})
Sie lehnen das ab. Wir fördern mit dem Programm
„50 plus“ ältere Arbeitnehmer. Sie lehnen das ab. Wir
geben Langzeitarbeitslosen mit Vermittlungshemmnissen erstmals eine Chance auf Beschäftigung - sozialversicherungspflichtig und mit Tariflohn. Wir sagen: Das ist
eine Jobperspektive. Sie lehnen das ab. Das ist die Wirklichkeit, in der Sie Politik machen. Was ist das für eine
Botschaft für Arbeitssuchende? Sie stellen Ihre politischen Ansprüche höher als die Sorgen der Menschen.
Das unterscheidet Sie von den Sozialdemokraten.
Beispiel gute Arbeit: Zu Recht stellen wir dies in den
Mittelpunkt der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auch
dieser Legislaturperiode. Zu Recht wird dies eine große
Rolle auf unserem Parteitag spielen. Aber um das Ziel
„gute Arbeit“ zu erreichen, bedarf es harter Arbeit in der
Politik. Wir stellen uns dieser Aufgabe; Sie stellen einen
Antrag.
Sie von den Linken fordern in diesem Antrag ein
neues Leitbild für die Arbeitsmarktpolitik. Was ist das?
Die wesentlichen Grundsätze kamen mir extrem bekannt
vor. Sie haben erfolgreich von der SPD abgeschrieben;
ich finde das in Ordnung. Dabei geht es allerdings nur
um die Grundsätze. Denn besser wäre gewesen, Sie hätten weiter abgeschrieben. Dann wären Sie zu Konkretionen gekommen, die eine ordentliche Politikgestaltung
möglich machen würden. Aber Sie wären dann - um auf
Aristoteles zurückzukommen - gefährlich nahe an das
Mögliche in der Politik gekommen.
({5})
Wirkliche Sorgen bereitet mir Ihr offenkundig geringes Vertrauen in die Kraft der Tarifvertragsparteien
und damit auch in die der Gewerkschaften in Deutschland. Wie ein roter Faden zieht sich das durch Ihre
Anträge. Lesen Sie sich diese doch noch einmal durch!
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen weitere staatliche Regelungen, wo sie nötig sind, wie beim
Mindestlohn. Aber wir setzen auf starke Gewerkschaften
und auf kraftvolle Arbeitnehmervertretungen.
({6})
Überlegen Sie sich doch einmal, ob Sie nicht genau dieses Ziel infrage stellen, wenn Sie immer mehr Staat fordern, Herr Lafontaine!
Zurück zu Ihren Anträgen, über die wir gleich abstimmen werden. Politik im Sinne Aristoteles, also die Polis,
ist als Ganzes mehr als die Summe ihrer Teile; darin
werden Sie mich bestätigen. Sehe ich mir die vorliegenden Anträge an und betrachte sie als Teile, sage ich: Sie
haben versucht, Aristoteles zu widerlegen. Bei Ihnen ist
die Summe, das Ganze, eben nicht mehr als all das Einzelne. Dies ist ein Ausdruck von Anscheinerweckungspolitik. Das halte ich für sehr schade. Gerade Sie, die
dauernd für sich in Anspruch nehmen, sie seien die Einzigen, die das wirkliche Leben kennen würden, haben
einen gewaltigen blinden Fleck. Der ist immer da, wo
unsere Politik erfolgreich ist. Weil sie erfolgreicher werden wird, wird Ihr Fleck leider immer größer werden.
Danke schön.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6698, 16/4909, 16/5677 und 16/5809
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I verlängern“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/5685, den Antrag der Fraktion die Linke auf
Drucksache 16/3538 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 19 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ausweitung und
Stärkung des Kündigungsschutzes“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/5813, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/2080 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion
und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion die Linke angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-
gesordnung um die Beratung des Antrages der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/1675 mit dem Titel „Ver-
mittlungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit
marktgerecht ausgestalten - private Arbeitsvermittlung
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
stärken“ zu erweitern und als Zusatzpunkt 7 im verein-
fachten Verfahren zu überweisen. Sind Sie damit einver-
standen? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 j sowie
den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 7 auf:
24 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte ({0})
- Drucksache 16/6651 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVLGesetzes
- Drucksache 16/6736 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Drucksache 16/6737 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({3})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke
Hoff, Dr. Werner Hoyer, Florian Toncar, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Missbrauch von Elektroschockgeräten verhindern
- Drucksache 16/4446 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Spieth, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wiedereinführung der vollständigen Zuzahlungsbefreiungen für Versicherte mit geringem Einkommen im Wege der Härtefallregelung
- Drucksache 16/6033 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({5})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Knoche, Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Konflikte zwischen Serbien und Kosovo-Albanern reduzieren - UN-Resolution 1244 uneingeschränkt umsetzen sowie faire und ergebnisoffene Verhandlungen ermöglichen
- Drucksache 16/6034 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kretschmer, Ilse Aigner, Katherina Reiche ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Nicht-kommerzielle klinische Studien in
Deutschland voranbringen
- Drucksache 16/6775 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen ({9}), Dr. Norbert
Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus
Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Errichtung eines Freiheits- und EinheitsDenkmals
- Drucksache 16/6776 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({10})
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lothar Bisky, Ulla Lötzer, Dr. Petra Sitte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Telemediengesetz verbessern - Datenschutz
und Verbraucherrechte stärken
- Drucksache 16/6772 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11})
Ausschuss für Kultur und Medien
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk im Digitalzeitalter
- Drucksache 16/6773 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur
für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private
Arbeitsvermittlung stärken
- Drucksache 16/1675 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 k auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 25 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wirksamen Schutz vor Passivrauchen im Arbeitsschutzgesetz verankern
- Drucksachen 16/4761, 16/5586 Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5586, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4761 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({14})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick
Döring, Hans-Michael Goldmann, Horst
Friedrich ({15}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Überregulierung in der Sport- und Freizeitschifffahrt verhindern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther ({16}), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sportschifffahrt und Wassersport wirksam
fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien
- Drucksachen 16/5269, 16/5609, 16/6491 Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5269 mit dem Titel
„Überregulierung in der Sport- und Freizeitschifffahrt
verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktion und der Faktion Die Linke bei Gegenstimmen
der FDP-Fraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6491 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5609
mit dem Titel „Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkte 25 c bis 25 k: Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 25 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 277 zu Petitionen
- Drucksache 16/6615 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 277 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 278 zu Petitionen
- Drucksache 16/6616 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 278 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 25 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 279 zu Petitionen
- Drucksache 16/6617 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 279 ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 25 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 280 zu Petitionen
- Drucksache 16/6618 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 280 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 281 zu Petitionen
- Drucksache 16/6619 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 281 ist angenommen mit den
Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 25 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 282 zu Petitionen
- Drucksache 16/6620 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 282 ist angenommen mit den
Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 25 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions
ausschusses ({23})
Sammelübersicht 283 zu Petitionen
- Drucksache 16/6621 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 283 ist angenommen mit den
Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDPFraktion.
Tagesordnungspunkt 25 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 284 zu Petitionen
- Drucksache 16/6622 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 284 ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 25 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 285 zu Petitionen
- Drucksache 16/6623 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Sammelübersicht 285 ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und
der Fraktion Die Linke.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“
- Drucksache 16/6596 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({26})
- Drucksache 16/6816 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Petra Hinz ({27})
Anna Lührmann
Roland Claus
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007 ({28})
- Drucksache 16/6390 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Petra Hinz von der SPDFraktion.
({29})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat, heute ist ein guter Tag für Familien und für
Paare - das ist wichtig -, die über Familienplanung
nachdenken und sie in die Tat umsetzen.
({0})
Mit der Einigung auf ein Finanzkonzept zwischen Bund
und Ländern ist jetzt der Weg frei.
({1})
Wir beschreiten in der Familienpolitik einen kontinuierlichen Weg. Seit 1998 hat die SPD mit zusätzlichen Betreuungsangeboten, dem Elterngeld und Steuervorteilen
für Kinderbetreuung eine Wende in der Familienpolitik
eingeleitet. Bereits die damalige Familienministerin
Renate Schmidt - ich denke, wenn wir heute alles zusammenfassen, gehört auch das dazu - hat für einen derartigen Durchbruch in der Kinderbetreuung gekämpft;
sie hat den Weg freigemacht.
({2})
Dem Finanzminister, der Familienministerin und unseren Ländervertretern sei dafür Dank gesagt, dass sie
schwierige Verhandlungen geführt haben und zu einer
Einigung gekommen sind.
({3})
Mit dem Sondervermögen gehen wir weg von der direkten finanziellen Leistung hin zu Investitionen in Betreuungsangebote und Förderungsinstrumente, die die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und
verbessern.
Aber es geht ja um viel mehr als nur um die Frage der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im Fokus stehen
dabei die Kinder. All die Projekte, die wir in anderen Bereichen fördern - Integration, Sprachförderung und alles,
was dazugehört -, spiegeln sich in diesem Programm wider.
Bund und Länder wollen den bestehenden Mangel an
Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren beheben
und für eine durchschnittliche Versorgungsquote von
35 Prozent bis zum Jahr 2013 sorgen. Die gemeinsame
Mühe - ich betone in diesem Fall das Wort „gemeinsam“ von Kommunen, Ländern und Bund lohnt sich.
({4})
Die Einzelheiten der Finanzhilfe werden in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt. Hier sind insbesondere folgende Punkte zu nennen: die Arten der zu fördernden Investitionen, die Art,
Höhe und Dauer der Finanzhilfen, die Bereitstellung angemessener eigener Mittel durch die Länder, die Verteilung der Finanzhilfen an die betroffenen Länder sowie
die Bewirtschaftung und Abrechnung der Finanzhilfen
einschließlich des Nachweises der Verwendung und der
Rückforderung von Mitteln. Die Frage, wie über die Abrechnung die Verwendung der Mittel nachvollzogen
werden kann, war ja auch im Haushaltsausschuss immer
wieder Gegenstand der Beratungen.
Wenn wir das auf den Weg bringen und beschließen,
haben wir die wesentlichen Eckpunkte für den Ausbau
bis 2013 umgesetzt. Darüber hinaus wird der Bund als
Betriebskostenbeteiligung bis 2013 1,85 Milliarden Euro
und ab 2014 jährlich 770 Millionen Euro bereitstellen.
Der Bund stellt dieses Geld im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern zur Verfügung.
Im Rahmen der Ausschussberatungen wurde immer wieder gefragt, wie es denn sein könne, dass wir jetzt das
Geld einmalig in Form der Auflegung eines Fonds investieren und es nicht sukzessive ausgeben. Ich denke, dass
es das richtige Signal zum richtigen Zeitpunkt ist, wenn
wir das, was wir jetzt zusätzlich an Steuern einnehmen,
in Familien und in Kinder investieren.
({5})
Der Bundeshaushalt wird im Jahr 2007 einmalig - das
sagte ich ja gerade - mit 2,15 Milliarden Euro belastet.
Mit dem Nachtrag zum Bundeshaushalt 2007 werden
derzeit dafür die haushaltsmäßigen Voraussetzungen geschaffen. Im Nachtrag zum Haushalt 2007 werden Anpassungen - ich sagte es gerade - bei den Steuereinnahmen sowie bei den Einnahmen aus Erlösen durch
Veräußerung von Beteiligungen und aus der Verwertung
von sonstigem Kapitalvermögen des Bundes vorgenommen. An dieser Stelle danke ich dem Finanzminister
noch einmal dafür, dass die Gelder so intelligent eingesetzt werden. Denn es handelt sich um Investitionen in
die Zukunft. Genau diese zu erhöhen, hat sich ja die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen.
({6})
Die Vereinbarung stellt einen großen Durchbruch dar.
Ich übertreibe nicht, wenn ich davon spreche, dass es
sich um einen großen Durchbruch beim Thema Kinderbetreuung handelt. Für uns Sozialdemokraten und für die
Koalition ist der Ausbau von Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten die familienpolitische Aufgabe Nummer
eins, denn der Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten
ist ein wirkungsvoller Schlüssel zur Verbesserung der
Bildungs- und damit der Zukunftschancen unserer Kinder, zur Verbesserung der Integration von Kindern aus
sozial benachteiligten Familien, zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein nachhaltiger Beitrag
zur Armutsvermeidung.
Es wäre aber zu schön, wenn ich hier heute nur Sekt
und Wein ausgeben würde. Zeitgleich, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wird im Landtag von Nordrhein-Westfalen das KiBiz beschlossen. Hier geht es darum, dass diejenigen, die viel Geld haben, ihren Kindern mehr Betreuungszeit in Kindergärten kaufen können, während alle
anderen das Nachsehen haben.
({7})
Das ist kontraproduktiv. Insofern sage ich: Wir können
das angestrebte Ziel nur gemeinsam erreichen.
({8})
Petra Hinz ({9})
Gemeinsamkeit und Geschlossenheit müssen den Weg
bestimmen. Dafür lohnt sich die Arbeit.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hinz,
es wäre ja schön gewesen, wenn während Ihrer Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen die entsprechenden
Aufgaben auch wahrgenommen worden wären. Wer hat
denn dort die mangelhafte Betreuung im Kleinkindalter
zu verantworten? Doch nicht die jetzige Koalition aus
Schwarz und Gelb, sondern die aus Rot und Grün, die
vorher an der Macht war.
({0})
Herr Kampeter, ich nehme an, Sie werden Ihrem Koalitionspartner von dieser Stelle aus gleich sagen, wie segensreich es in Nordrhein-Westfalen für die Kinder dieser Welt aussieht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Beurteilung
der familienpolitischen Dringlichkeit der vorliegenden
Pläne sind wir uns alle sehr einig. Ich hätte mich allerdings gefreut, wenn Frau von der Leyen angesichts der
von uns allen erkannten Wichtigkeit des Themas heute
auch anwesend wäre.
({1})
- Ich schätze den Staatssekretär; aber auch die Ministerin hätte etwas für diese Debatte übrig haben sollen.
Wir schlagen Ihnen angesichts Ihres Ansatzes, nur für
35 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zu schaffen, einen anderen Weg vor, um die Verbesserungen, die wir alle wollen, zu finanzieren. Sie
richten - Frau Hinz hat es gerade dargestellt - ein Sondervermögen ein, das erst 2015 aufgelöst werden soll.
Das ist aus unserer Sicht haushalterisch bedenklich, da
wir keine Sondertöpfe wollen. Mit dem Nachtragshaushalt schaffen Sie für Ihr Vorhaben die rechtlichen Voraussetzungen. Wir kommen dann auf Ausgaben von
272,7 Milliarden Euro im Jahre 2007; das sind
4,4 Prozent mehr als im Vorjahr, Herr Steinbrück.
Vor dem Hintergrund von 12 Milliarden Euro mehr
Steuereinnahmen muss doch auch an Sie die Frage erlaubt sein, ob Ihr berühmter Dreiklang „Sanieren - Investieren - Konsolidieren“ nicht etwas schief klingt. Sie
sparen nicht, Sie geben mehr aus, Herr Steinbrück. Sie
nehmen erheblich mehr ein, aber Sie geben nicht einmal
die Hälfte davon in den Abbau der Neuverschuldung.
Sie schaffen einen Nebenhaushalt für eine Aufgabe, die
klar bei Ländern und Kommungen liegt.
Die FDP schlägt Ihnen einen treffsichereren und
haushalterisch transparenteren Weg vor.
({2})
Unser Weg einer Erhöhung des Umsatzsteueranteils für
die Kommunen um einen Prozentpunkt wäre haushalterisch klarer, lieber Kollege Kampeter, und das Geld
käme direkt ohne den Umweg über die klebrigen Hände
der Länder bei den Kommunen an.
({3})
Die Umsatzsteuerbeteiligung trägt auch der unterschiedlichen Ausstattung der Kommunen besser Rechnung. In
diesem Zusammenhang erinnere ich daran, welche Barrieren die Länder beim Ganztagsschulprogramm aufbauten - Frau Kressl wird es gut in Erinnerung haben -, als
Rot-Grün damals nicht den richtigen Weg vorgeschlagen
hatte.
Ansonsten ist schon heute klar, Herr Steinbrück, dass
Sie mit dem Geld nicht auskommen werden. Der ursprünglich vorgesehene Finanzrahmen von 4 Milliarden
Euro bis 2013 wird nicht eingehalten werden; Frau Hinz
hat dies eben noch einmal bestätigt. Es wird teurer werden, und ab 2014 wird der Bund jährlich 770 Millionen
Euro an die Länder zahlen. Das ist wichtig für uns; denn
wir sind an und für sich Haushälter, die schon darauf
achten, dass alles ordentlich gegenfinanziert wird. Aber
auch hier haben Sie wieder keine Gegenfinanzierung im
Haushalt, wohl aber eine Dauerfinanzierung. Diesen
Weg sieht die FDP nicht als haushalterisch transparent
an. Ich bin gespannt, Herr Steinbrück, ob Sie uns gleich
erklären werden, wie Sie das Ganze begründen wollen.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Neben den familienpolitischen Dingen, die
heute zu besprechen sind, haben wir noch ein weiteres
zentrales Gesetzgebungsvorhaben auf der Tagesordnung,
nämlich den Nachtragshaushalt für das laufende Jahr.
Die Kollegen Schröder und Lehrieder werden für die
Union zu den familienpolitischen Fragen noch Stellung
nehmen.
Ich erinnere Sie an den sogenannten Finanzgipfel im
November des vergangenen Jahres. Der Finanzminister
und die Koalitionsfraktionen sind damals nach hartem
Ringen gemeinsam vor die Presse getreten und haben
mitgeteilt, dass wir mit knapp 20 Milliarden Euro die
niedrigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung vereinbart hatten. Wir fahren den laufenden Haushalt jetzt ein gutes Dreivierteljahr, und das Ergebnis dieser niedrigen Nettokreditaufnahme ist, dass die
Wirtschaft wächst, die Steuern sprudeln, die BeschäftiSteffen Kampeter
gung nahezu auf einen Nachkriegsrekord steigt und der
Aufschwung an Breite gewonnen hat, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dies zeigt: Sparsamkeit ist eine
der zentralen Quellen für Wirtschaftswachstum und
Wohlstand in unserem Land. Wir legen heute einen
Nachtragshaushalt vor, der dies noch weiter nach vorn
treibt.
({0})
Es wird deutlich: Die Menschen profitieren von diesem
Aufschwung. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
und vor allen Dingen die Familien und die nachfolgenden Generationen werden entlastet; denn für Schulden,
die man nicht macht, sind keine Zinszahlungen fällig.
Der Nachtragshaushalt, den wir heute vorlegen, beinhaltet eine Nettokreditaufnahme von rund 14 Milliarden
Euro. Das sind immer noch 14 Milliarden Euro zu viel.
({1})
Aber es wird deutlich: Wir halten Kurs. Unser Ziel ist,
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen.
({2})
Mittelfristig wollen wir für einen Abbau der Staatsverschuldung und damit für einen Abbau der Lasten der
nachfolgenden Generationen sorgen.
({3})
Der vorliegende Nachtragshaushalt ist auch ein Signal,
dass wir die Konsolidierung und die Reformpolitik fortsetzen. Um unser Ziel, einen strukturell und dauerhaft
ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, zu erreichen, ist
die Fortsetzung von Konsolidierung und Reformpolitik
erforderlich. Hier haben wir noch einen langen und beschwerlichen Weg vor uns. Ich will nicht verhehlen, dass
ich drei Kreuze mache, wenn der Parteitag der SPD, der
an diesem Wochenende stattfindet, vorbei ist.
({4})
Der Ansatz, den die Union bei ihrer Reformpolitik
verfolgt, lautet: Sozial ist, was Beschäftigung schafft.
Deswegen ist es für einen Haushälter eine klare Ansage,
dass wir die Beschäftigung fördern, indem wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter konsequent senken.
({5})
Nur durch diese Maßnahme ist es uns gelungen, die öffentlichen Haushalte wieder auf Kurs zu bringen. Der
Anstieg der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in
Deutschland ist nämlich ein Beitrag zur Entlastung der
öffentlichen Kassen.
Wir wollen die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung konsequent fortsetzen. Es ist erfreulich, dass jetzt auch Herr Müntefering zugestimmt
hat, diesen Beitragssatz in einem nächsten Schritt auf
3,5 Prozent zu senken. Wir wollen dieses Geld nicht aus
dem Fenster schmeißen, sondern es den Menschen, die
hart dafür gearbeitet haben, zurückgeben und dadurch
mehr Beschäftigung in Deutschland ermöglichen.
({6})
Ich wiederhole: Sozial ist, was Beschäftigung schafft.
Was die Haushaltspolitik der Union betrifft, ist allerdings noch ein zweiter Punkt von Bedeutung: der verantwortungsvolle Umgang mit den Einnahmen aus Steuern
und Beiträgen. Das bedeutet, wir müssen den Dschungel
der vielen steuer- und beitragsfinanzierten arbeitsmarktpolitischen Instrumente lichten. Wir wollen dieses Geld
für die Beschäftigungspolitik verwenden, um mehr Brücken in Beschäftigung zu bauen. Dass es zu einem Wildwuchs von über 70 derartigen Instrumenten gekommen
ist, ist eine Sünde an denjenigen, die dafür zahlen müssen. Wir brauchen eine Konzentration auf die tatsächlich
wirksamen Instrumente; denn sozial ist, was Beschäftigung schafft. Diese Instrumente wollen wir in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode konzentriert stärken
und fördern. Das ist bei der Haushaltskonsolidierung das
Credo der Union.
({7})
Ich will keinen Zweifel daran lassen, dass eine Reformpause nach unserer Auffassung nicht nur der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch den Menschen
in unserem Land insgesamt schaden würde. Wir wissen,
dass in den vergangenen Jahren - nicht nur von dieser
Regierung, sondern auch von der Vorgängerregierung eine Reihe von Beschlüssen gefasst wurden, die von den
Menschen nicht nur positiv aufgenommen wurden. Insbesondere am Anstieg der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse ist aber zu erkennen, dass der Aufschwung inzwischen bei vielen Menschen angekommen ist,
({8})
dass breite Teile der Bevölkerung in den Genuss der Reformdividende kommen
({9})
und dass dieser Aufschwung ein Aufschwung für alle ist.
({10})
Nur dann, wenn wir diesen Aufschwung unterstützen
und die Reformen in diesem Land vorantreiben, können
wir für die Menschen auch weiterhin Arbeit und Wohlstand in Deutschland sichern. Dafür werden wir uns in
der Koalition gemeinsam mit unserem Koalitionspartner
einsetzen.
({11})
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen: Die
Reformpolitik muss fortgesetzt werden; das ist das eine.
Aber wir müssen auch die Risiken, die jetzt auftauchen,
beachten; das ist das andere.
({12})
Wir dürfen nicht im Blindflug handeln
({13})
und davon ausgehen, dass sich diese positive Entwicklung ohne weiteres Zutun von unserer Seite fortsetzt.
({14})
Ich will nicht verschweigen, dass die Senkung der
Wachstumsprognose für das nächste Jahr von 2,4 auf
2,0 Prozent eine Herausforderung für die Haushaltskonsolidierung und für diesen Nachtragshaushalt ist. Denn
das heißt nichts anderes, als dass wir mit geringeren
Steuereinnahmen rechnen müssen. Auch will ich nicht
verschweigen, dass ich in Sorge bin, was die Preisentwicklung in diesem Land angeht.
({15})
Die Entwicklung der Preise stellt für viele Familien,
über die wir heute ja auch reden, eine große Herausforderung dar. Wir müssen die Inflation im Auge behalten;
das ist ein ganz wichtiges Thema. Das gilt auch im Hinblick auf die möglichen Zinssteigerungen, die angesichts
der enormen Schuldenlast des Bundeshaushalts auf uns
zukommen, und zwar auch dann noch, wenn wir den
Haushalt ausgeglichen haben. Diese Risiken dürfen wir
nicht ausblenden. Das bedeutet, wir dürfen jetzt nicht die
Spendierhosen anziehen, sondern müssen die Sparstrümpfe anbehalten. Das signalisiert auch Peer
Steinbrück mit der Vorlage dieses Nachtragshaushaltes.
Sparstrümpfe statt Spendierhosen, nur so sichern wir
Wohlstand und Arbeit in diesem Land.
({16})
Wir werden den Gegensatz von Spendieren und Sparen im Rahmen dieser Debatte wieder erleben. Der Kollege Fricke, der gleich reden wird, wird uns vorwerfen,
es werde nicht genug gespart. In der nächsten Woche
wird dann der Kollege Solms - nicht wie jetzt in seiner
Funktion als Präsident, sondern in seiner Funktion als
Finanzexperte seiner Fraktion - das Gegenteil fordern,
nämlich dass wir die Steuern senken.
({17})
Beides klingt populär. Nur, wenn Sie auf der einen Seite
fordern, dass die Steuern gesenkt werden, aber gleichzeitig so tun, als gebe es Nullverschuldung zum Nulltarif,
dann ist das liberaler Populismus. Dieses Spiel werden
wir als Union nicht mitmachen. So kann verantwortete
Freiheit nicht wirken.
({18})
Die Aussage ist bei den Linken zwar eine etwas andere, nicht aber in der Qualität. Wir haben schon von den
Talkshow-Sozialisten gesprochen. Es ist einfach, in der
Talkshow den Leuten das Blaue vom Himmel - in diesem Fall: alle Wohltaten dieser Welt, wenn sie sich unter
der roten Fahne versammeln - zu versprechen. Doch
wenn man ihnen nicht sagt, woher das Geld dafür kommen soll, dann unterscheidet sich der Linkspopulismus
vom Liberalpopulismus überhaupt nicht. Er ist verantwortungslos, er ruiniert die Grundlagen von Arbeit und
Wohlstand und führt nicht zu einer positiven Entwicklung in diesem Land.
({19})
Die Union will eine gute Entwicklung im Interesse
der Menschen, die in diesem Land fleißig arbeiten wollen und das Wirtschaftswachstum voranbringen. Das ist
unser Ziel.
({20})
Herr Kollege Kampeter, ich will Ihnen Zeit geben,
einmal Luft zu holen. Sind Sie bereit, dem Kollegen
Fricke Gelegenheit zu einer Zwischenfrage zu geben?
Der Kollege Fricke kann mir gleich antworten, wenn
er selber spricht; er hat ja genügend Redezeit.
({0})
Ich kann Ihnen von dieser Stelle aus nicht antworten.
({0})
Herr Kollege Solms, wir werden das bei Gelegenheit
auf die Reihe kriegen. Wie ich Sie beide intellektuell und
haushaltswirtschaftlich verantwortlich zusammenführe,
das wird eine große Aufgabe, will ich einmal sagen.
({0})
Ich will schließen. Dieser Nachtragshaushalt hat nicht
nur die Komponente „Sparen und die Schulden runter!“;
dazu werden, wie gesagt, andere Kollegen meiner Fraktion etwas sagen. Wir investieren - das ist mir wichtig in Familien. Wir Haushaltspolitiker wissen eines: Sparen
ist wichtig; aber man darf wichtige gesellschaftspolitische Zielsetzungen nicht vergessen.
({1})
Deswegen ist der Dreiklang von Konsolidierung, Reformen und Investitionen - in diesem Fall Investitionen in
die Zukunft der Familien - wichtig. Er ist ein Herzensanliegen von Ursula von der Leyen,
({2})
von Peer Steinbrück, ja von der Großen Koalition insgesamt. Nur wenn wir beides machen: für die Kinder
sparen - weil auf Schuldenbergen keine Kinder spielen
können - und gleichzeitig die Entscheidung für Familie
und Beruf erleichtern, wird es in diesem Land weiter
aufwärts gehen. Wachstum, Arbeit und Wohlstand bekommt man nur mit dieser vernünftigen Politik.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lieber Kollege Kampeter, Sie werden im Laufe meiner Rede erfahren, woher wir das Geld
nehmen wollen.
Zunächst einmal zum Finanzminister. Herr Steinbrück,
ich habe den Eindruck, Sie verstehen die Welt und Ihre
Partei nicht mehr. Da bauen Sie die Neuverschuldung
ab; doch keiner ist so richtig bereit, das zu honorieren.
Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die Schulden
werden auf Kosten der Beschäftigten, der Arbeitslosen,
der Rentner, der Alleinerziehenden und der Familien abgebaut. Die meisten Menschen haben immer weniger
Geld in der Tasche. Das ist eine Politik, die nicht in Ordnung ist.
({0})
Diese Frage, warum nur diese Leute den Gürtel enger
schnallen sollen, ist natürlich berechtigt, und die Antwort ist einfach: Die SPD hängt noch dem Modell der
70er-Jahre an.
({1})
Demnach muss die Regierung die Konzerne und die
Besserverdienenden nur ausreichend steuerlich entlasten, dann wird mehr investiert und mehr konsumiert, und
dann fallen auch ein paar Krumen für den kleinen Mann
ab - so denkt die SPD. Doch der Reichtum sickert nicht
mehr durch, wie das noch in den 70er-Jahren der alten
Bundesrepublik möglich war. Wer uns veraltete Politik
vorwirft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
der sollte erst einmal die eigenen Konzepte genau prüfen.
({2})
Mit der Agenda 2010 haben es SPD, CDU/CSU und
Grüne geschafft, die Gesellschaft undurchlässiger zu
machen. Die Reichen werden reicher und geben von
ihrem Reichtum immer weniger ab. Dafür, dass dies so
bleibt, garantiert diese Bundesregierung der Großen
Koalition. Auch wenn Herr Beck Änderungen der
Agenda 2010 angekündigt hat, ändert diese Ankündigungspolitik doch nichts daran, dass die Umverteilung
von unten nach oben fortgesetzt wird. Bestes Beispiel
dafür ist die geplante Erbschaftsteuer.
SPD und CDU/CSU haben in der Koalitionsvereinbarung die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer gedeckelt.
Wir brauchen aber eine höhere Erbschaftsteuer. Wir
brauchen höhere Einnahmen, um die Abgabenbelastung
der Menschen, die arbeiten, zu senken.
({3})
Das ist nicht nur eine Forderung der Linken, sondern
auch eine der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD. Deutschland gehört
innerhalb der OECD zu den Ländern, die das Vermögen
am wenigsten belasten. Wir als Linke fordern daher ein
Steuersystem, durch das wieder stärker die belastet werden, die in fetten Jahren zu Reichtum gekommen sind;
denn das sind doch dieselben, die den Staat noch heute
gerne für alles in Anspruch nehmen, dafür aber keine
Steuern zahlen wollen.
Was klagen die Unternehmerverbände über die
schlechte Ausbildung von Schülern! Was klagen die Unternehmerverbände über den Zustand der Straßen und
die unterfinanzierten Universitäten! Das sind die gleichen Verbände, die unablässig Steuersenkungen für Unternehmen fordern. Ich finde, eine sozialdemokratische
Partei, die diesen Namen verdient, sollte dieser Politik
nicht folgen.
({4})
Schauen wir uns die Ausgabenseite des Bundeshaushaltes an, dann sehen wir dort das gleiche Prinzip wie
bei den Einnahmen: Umverteilung von unten nach oben.
Es ist doch ein Skandal, dass der Staat 8,5 Milliarden
Euro jährlich aufwenden muss, um Lohnkostenzuschüsse zu zahlen. Unternehmen bezahlen ihre Beschäftigten so schlecht, dass diese davon nicht leben können.
Dieses Geld könnten wir sofort einsparen und sinnvoller
verwenden - zum Beispiel in die Kinderbetreuung investieren -, wenn die Bundesregierung den gesetzlichen
Mindestlohn endlich durchsetzen würde.
({5})
Meine Damen und Herren, wir sprechen über den
Nachtragshaushalt und das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“.
({6})
Dazu hat meine Kollegin Diana Golze während der ersten Lesung die wichtigsten Argumente der Linken vorgetragen.
({7})
- Alle Argumente von Frau Golze waren richtig. Sie haben sie augenscheinlich nicht verstanden.
({8})
Es ist zu begrüßen, dass die Ministerin von der Leyen
die 40-jährige Vernachlässigung der Kinderbetreuung in
den alten Ländern nun endlich beenden will.
({9})
- „40 Jahre“ ist offenbar ein gutes Stichwort. - Allerdings ist jedem klar, dass die Investitionen in Kita-Plätze
allein nicht ausreichen. Wir brauchen für die Kinder Erzieherinnen und Erzieher, die eine entsprechende fachliche Ausbildung haben. Hier tut sich eine große Lücke
auf, die geschlossen werden muss.
({10})
- Bei den Ländern, Herr Kollege. - Es kann doch nicht
sein - augenscheinlich wird darauf spekuliert -, dass
Politiker aus den alten Ländern einfach auf die Abwanderung von qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern
aus dem Osten hoffen. Dagegen werden wir uns zur
Wehr setzen.
({11})
Bemerkenswert finde ich übrigens einen kurzen Satz
in der Begründung des Nachtragshaushaltes. Ich darf zitieren: „Kosten für die Wirtschaft entstehen dadurch
nicht.“
({12})
Das ist doch erstaunlich, wenn man bedenkt, dass gerade
die Wirtschaft von den neuen Kita-Plätzen profitieren
wird. Für die Wirtschaft erschließt sich ein Arbeitsmarkt
von qualifizierten Frauen, die teilweise den Mangel an
Arbeitskräften ausgleichen sollen, der sich aus der demografischen Entwicklung ergibt.
Schade, dass Frau von der Leyen nicht da ist - das
wurde schon allgemein bedauert -, aber Herr Kues kann
das ja ausrichten. Hat Frau von der Leyen den Versuch
unternommen, Unternehmen für die Mitfinanzierung
von Kita-Plätzen wirklich in die Pflicht zu nehmen?
Diese Frage können Sie nur mit Nein beantworten. Darum fordere ich Sie auf - Herr Kues, richten Sie das bitte
Ihrer Ministerin aus -: Unternehmen müssen für die Mitfinanzierung von Kita-Plätzen in die Pflicht genommen
werden.
Damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt meiner
Rede. Die Bundesregierung versteht sich immer nur als
Dienstleister für die Unternehmen und wendet das Prinzip Fordern und Fördern nur auf Arbeitslose, nicht auf
Unternehmen an. Das muss sich endlich ändern.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anja Hajduk von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich habe schon gestern in der Debatte zur Arbeitsmarktpolitik festgestellt: Wenn sich die
öffentlichen Kassen positiv entwickeln, dann lässt die
Qualität der Politik dramatisch nach. Ich glaube, das
kann und muss man auch eingangs dieser Debatte feststellen.
Schon vor einem Jahr wurde die bessere konjunkturelle Situation von der Bundeskanzlerin als Begründung
dafür genutzt, strukturell bedingte Mehrausgaben in der
gesetzlichen Krankenversicherung über die Steuermehreinnahmen zu finanzieren. Die Diskussion, wie die besonders gute finanzielle Lage der Bundesagentur für Arbeit genutzt werden kann, führt jetzt in der SPD, aber
anscheinend auch in der CDU/CSU zu Überlegungen,
angesichts dieser vollen Kassen der Bundesagentur die
strukturellen Reformen am Arbeitsmarkt zurückzudrehen.
Ich bedaure es, Herr Minister Steinbrück, dass Sie
sich nicht durchsetzen konnten, in diesen Fragen eine
Politik zu formulieren, die die Chance einer guten Entwicklung nutzt, um auch in guten Zeiten die Grundlagen
für eine gute, nachhaltige und solide Haushaltsstrategie
zu schaffen.
({0})
- Ich kann Ihnen erläutern, wieso das nicht gelingt, wenn
Sie schon danach fragen. Wenn Sie die politischen Ziele
im Arbeitsmarktbereich - dazu gehören auch die Sonderausgaben, die Sie der Bundesagentur für Arbeit zuweisen wollen -, die Sie in diesem Haushalt durchzusetzen beabsichtigen, tatsächlich umsetzen und wenn die
Arbeitslosigkeit bzw. die sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung auf dem heutigen Niveau stagniert - gehen wir einmal von diesem Szenario aus -, dann wird
sich die positive Situation, dass Überschüsse erzielt werden, umkehren, und die BA wird nächstes Jahr wieder
mit 4 Milliarden Euro in die Miesen rutschen. Darauf
habe ich schon gestern hingewiesen. Setzen Sie sich einmal damit auseinander!
({1})
Ich komme nun zum Thema der heutigen Debatte.
Der Ausbau der Kinderbetreuung ist eine Aufgabe, bei
der wir die Regierung ausdrücklich unterstützen. Es gibt
keine Differenz in der Bewertung, dass die damit verbundenen Ausgaben notwendig sind und eine Investition
in die Zukunft bedeuten.
({2})
Wir hätten uns aber gewünscht, dass Sie eine andere
Form der Finanzierung wählen, die ich für naheliegend
halte. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie durch eine
- wohlgemerkt verfassungskonforme - Reform des Ehegattensplittings
({3})
5 Milliarden Euro Mehreinnahmen erzielen, damit zum
einen der Bund seine Aufgaben finanzieren kann, die in
der Kinderbetreuung vorrangig im investiven Bereich
liegen, und zum anderen die Länder und Kommunen die
notwendigen Betriebskosten tragen können.
({4})
Sie haben ein Finanzierungsmodell gewählt - damit
komme ich wieder zu Ihnen, Herr Minister Steinbrück -,
mit dem Sie einerseits im Jahr 2007 Investitionszuschüsse zur Seite legen - darauf komme ich noch zu
sprechen - und andererseits in Zukunft das Verhältnis
von Länder- und Bundeseinnahmen bzw. -ausgaben
- das betrifft die sogenannten Deckungsquoten - bei der
Umsatzsteuerverteilung zulasten des Bundes verschieben. Das ist Ihr Finanzierungsvorschlag für die dauerhafte Beteiligung des Bundes an den laufenden Kosten
der Betreuung. Ich finde, dass das nicht nur ein schlechter Kompromiss für den Bund ist; vielmehr widerspricht
es auch Ihren eigenen Aussagen in der Föderalismuskommission zu dem Verhältnis der Ausgabenbelastung
zwischen Bund und Ländern. Deswegen ist das aus
haushalterischer Sicht ein fauler Kompromiss.
({5})
Wir haben uns gefragt, warum der Finanzminister die
Errichtung eines Sondervermögens in 2007 mitträgt. Wir
halten es für rechtlich fraglich, dass eine Ausgabe, die
im laufenden Haushaltsjahr 2007 nicht ansteht, in einen
Nachtragshaushalt aufgenommen wird.
({6})
- Wir haben den Nachtragshaushalt gefordert, als wir
den Eindruck hatten, Sie würden das Parlament überhaupt nicht befassen.
({7})
Diese Regierung hat sich zu der Idee verstiegen, das
Sondervermögen möglicherweise einzurichten, ohne das
Parlament zu befassen. In der Tat, da haben wir gesagt,
das hielten wir für falsch.
({8})
Wenn wir aber jetzt überprüfen, was Sie vorhaben,
dann kommen wir zu dem Schluss: Es ist rechtlich
höchst fragwürdig, dass eine Ausgabe, die in diesem
Jahr gar nicht anfällt, in diesen Nachtragshaushalt gepackt wird.
Warum macht Herr Steinbrück das? Herr Steinbrück
braucht ein Marketing, dass bitte schön die Kreditaufnahme in diesem Jahr nicht so deutlich sinkt.
({9})
Frau Flach hat völlig recht. Wir haben Steuermehreinnahmen in Höhe von 12 Milliarden Euro. Früher haben
Herr Kampeter oder Herr Schneider gesagt, dass Steuermehreinnahmen zur Senkung der Nettokreditaufnahme
genutzt werden müssen. Nun stecken Sie weniger als
50 Prozent, weniger als die Hälfte des Steuersegens, in
die Rückführung der Verschuldung. Das ist in einem
konjunkturell guten Jahr keine überzeugende Haushaltspolitik. Mit Blick auf die Zukunft ist es ein großes
Risiko und verantwortungslos, Herr Steinbrück.
({10})
Ich komme am Ende meiner Rede auch auf die größere haushaltspolitische Strategie zu sprechen. Im
Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute wird darauf
hingewiesen, dass sich die konjunkturellen Risiken mit
Blick auf die Zukunft erhöht haben. Heute kommt der
Hinweis, dass sich der IfO-Geschäftsklimaindex zum
fünften Mal in Folge deutlich abgekühlt hat. Angesichts
dieses Hinweises muss man doch Ernst machen mit einer
Haushaltspolitik, die in der jetzt noch guten, stabilen Situation die bestmögliche Vorsorge für schwierigere Zeiten trifft. Das aber tun Sie nicht. In einem wirtschaftlich
noch guten Jahr steigern Sie die Ausgaben mit diesem
Nachtragshaushalt von 3,6 auf 4,4 Prozent gegenüber
dem Vorjahr. Das ist, gerade mit Blick auf den Konjunkturverlauf, keine stimmige, sondern absurde Politik.
({11})
Deswegen mahne ich Sie, Herr Steinbrück. Vielleicht
haben Sie nicht mehr so viel Zeit. Es ist verantwortungslos, dass Sie den Haushaltsausgleich künstlich in das
Jahr 2011 verschleppen wollen. Die jetzigen Wirtschaftsdaten mahnen dazu, den Haushalt so schnell wie
möglich strukturell auf die Nulllinie zu bringen. Deswegen erwarte ich von den Regierungsfraktionen, der
CDU/CSU und der SPD, dass sie im laufenden Haushaltsverfahren für das Haushaltsjahr 2008 - da sind wir
ja mitten in der Arbeit - die Weichen dafür stellen, dass
wir konsequenter und wirklich sparsamer sind, Herr
Kampeter, und nicht in guten Zeiten noch ordentlich
Geld ausgeben. Das ist nämlich das, was Sie aktuell tun.
Sie sind nicht verantwortungsvoll. Das werden wir Ihnen
in den Debatten, die wir in diesem Herbst führen werden, immer vor Augen halten.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat jetzt der Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Lötzsch, da Sie meine Selbstdisziplin auf der Regierungsbank in Ihrer Rede auf das
Äußerste herausgefordert haben,
({0})
will ich eine kurze Replik machen. Es reicht auf Dauer
einfach nicht, diese Vorurteilsleier von Bonzen, Konzernen, Besserverdienenden und Steuergeschenken in diesem Saal immer zu wiederholen,
({1})
um deutlich zu machen, dass die Politik falsch liegt oder
sozialdemokratisch nicht zu begründen ist. Wenn Sie
einmal von diesem Pult aus nicht nur über die Verteilung
reden würden, sondern auch über die Erbringung, die Erwirtschaftung von Leistungen, die erst eine Verteilung
möglich macht,
({2})
wenn Sie einmal in diesem Haus über die Entstehungsseite des Bruttosozialprodukts reden würden, dann wäre
das eine intellektuelle Anregung, die mir das Zuhören
bei Ihren Reden erleichtern würde.
({3})
Die Leichtfüßigkeit, mit der Sie hier über Staatsschulden reden und mit der Sie auch bereit sind, für die Verwirklichung Ihrer Vorschläge eine Erhöhung der Staatsschulden in Kauf zu nehmen, ist unverantwortlich.
({4})
- Aber selbstverständlich! Mit dem, was Sie vorschlagen, nehmen Sie billigend in Kauf, dass die Staatsverschuldung immer höher wird. Wenn Sie sich einmal intellektuell auch der Vorstellung nähern könnten, dass
eine Erhöhung der Unternehmensbesteuerung - so wie
Sie sich das vorstellen, wahrscheinlich von 40 bis
50 Prozent - dazu führen könnte, dass die Steuereinnahmen, die zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben zur
Verfügung stehen, geringer sind, dann wäre das ebenfalls
ein Fortschritt in der parlamentarischen Debatte.
({5})
Aber solange ich Ihnen folgen durfte, ist das nicht vorgekommen. Ich habe keinen großen Optimismus, dass sich
das in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ändern
wird.
({6})
Ich will auf den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“
nicht näher eingehen; denn darüber haben wir schon vor
knapp zwei Wochen diskutiert. Nur so viel: Ich finde
nach wie vor, dass das ein großer Fortschritt ist. Frau
Flach, ich habe den Eindruck, dass die FDP am wenigsten zur Förderung der Betreuungsplätze in dieser Republik beigetragen hat.
({7})
Das eigentliche Thema ist heute der Nachtragshaushalt - er ist die haushaltsrechtliche Voraussetzung für die
Errichtung des Sondervermögens -, mit dem wir
2,15 Milliarden Euro einbringen, weil wir in diesem Jahr
- darum muss man nicht lange herumschwafeln - Liquiditätsüberschüsse haben. Ich finde, es ist eine richtige
und gute Maßnahme, einen Teil davon als Investitionsförderung in ein solches Sondervermögen einzubringen.
Das ist verfassungsrechtlich völlig in Ordnung.
({8})
Frau Hajduk, schenken Sie mir bitte Ihr Ohr für eine gewisse Zeit. Der ständig, geradezu inflationär erhobene
Vorwurf, dies sei verfassungswidrig, bringt uns nichts.
Wir haben gelegentlich solche Sondervermögen eingerichtet. Es gibt nach wie vor Sondervermögen. Insofern
macht es keinen Sinn, diesen Vorwurf immer zu wiederholen, das mit einem verfassungsrechtlichen Bannstrahl
zu belegen und in Abrede zu stellen.
({9})
Es ist völlig richtig, dass man den Kommunen über
die Bundesländer nicht Einnahmen aus einem Umsatzsteuerpunkt, wie Frau Flach es gerne möchte - darauf
komme ich gleich zu sprechen -, sondern einen Pauschalbetrag zur Deckung der Betriebsausgaben gibt. Verfassungsrechtlich ist ein anderer Weg nicht denkbar, weil
die Kommunen nicht Teil des Bundes sind, sondern der
Länder.
({10})
Gleichzeitig die Verwendung der Mittel auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung zu kontrollieren,
damit es nicht zu „klebrigen Fingern“ kommt, wie ich es
gelegentlich nenne - die Empirie spricht leider dafür,
dass die Bundesländer gelegentlich der Versuchung erliegen, Mittel nicht für die vorgesehenen Zwecke zu verwenden -,
({11})
ist ebenfalls ein richtiger Vorschlag, wie ich finde. Wenn
ich dem Vorschlag von Frau Flach folgte, den Kommunen Einnahmen aus einem Umsatzsteuerpunkt zu geben,
müsste ich mit dem Klammerbeutel gepudert sein,
({12})
weil die Bundesländer dann an der Dynamik der Einnahmen aus dem Umsatzsteuerpunkt zulasten des Bundeshaushaltes partizipierten. Das heißt, dieser Vorschlag
von Frau Flach richtet sich eindeutig gegen die Interessenlage des Bundeshaushaltes.
({13})
Und das schlägt eine Bundestagsabgeordnete vor!
({14})
Was machen wir mit dem Nachtragshaushalt? Dieser
Nachtragshaushalt ist sehr schlank und hat nichts mit der
Verschleuderung von Geld zu tun, wie Sie insinuieren.
Er besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten. Die
erste Komponente ist die Errichtung eines Sondervermögens zur Finanzierung von Investitionen in Kinderbetreuungsplätze. Die zweite Komponente betrifft die
Nettokreditaufnahme. Sie geht um 5 Milliarden Euro zurück. Die dritte Komponente ist: Wir verschieben EinBundesminister Peer Steinbrück
maleffekte in die Zukunft, was nicht unvernünftig ist. So
setzen sich die 12 Milliarden Euro zusammen.
({15})
Können Sie mir eine Stelle nennen, an der wir Geld hinauswerfen oder unseren haushaltspolitischen Überzeugungen widersprechen? Ihre Behauptungen stimmen
nicht. Die Nettokreditaufnahme geht um 5 Milliarden
Euro zurück. 4,7 Milliarden Euro an Einmaleffekten
werden in die Zukunft verschoben. Das heißt, wir haben
weiter Speck in unserer Vorratskammer liegen. 2,15 Milliarden Euro werden in das Sondervermögen eingebracht. Das sind die drei Komponenten.
Nun rate ich allerdings dazu, es dabei zu belassen.
Ganz richtig, Herr Kampeter, ich unterstütze sehr Ihre
Aussage: Wir sollten die Sparstrümpfe und nicht die
Spendierhosen anziehen. Wir sollten diesen Nachtragshaushalt nicht als Gelegenheit nutzen, um zum Beispiel
ein weiteres Sondervermögen einzurichten oder andere
Dinge zu tun, die vielleicht wünschenswert wären.
({16})
Man sollte vorsichtig sein und nicht in Weimar oder anderswo etwas in Aussicht stellen; denn das setzte ein
Signal, das der Koalitionspolitik ziemlich widerspräche.
Es stünde zudem in einem gewissen Missverhältnis zu
Ihren Aufforderungen vom Sommer dieses Jahres, der
Steinbrück solle eigentlich noch viel mehr tun. Lassen
Sie es mich so ausdrücken: Wir sollten eine missverständliche Signalwirkung gemeinsam verhindern.
({17})
Frau Hajduk, es geht auch nicht um Rosinenpickerei.
Die Funktion eines Nachtragshaushaltes ist, Gelder zur
Deckung eines Mehrbedarfs zu bewilligen, wozu die
Bundesregierung keine Haushaltsermächtigung hat. Die
Funktion eines Nachtragshaushaltes ist keineswegs, zeitnah Haushaltsveränderungen, bezogen auf diverse Titel,
zu vollziehen.
({18})
- Das haben Sie öffentlich zumindest insinuiert, als Sie
gesagt haben, der Steinbrück hätte eigentlich die Mindereinnahmen des Bundeshaushaltes aus der Absenkung
des Aussteuerungsbetrages der BA berücksichtigen müssen.
({19})
- Sehen Sie! Aber das muss ich nicht. - Ich kann Ihnen
heute sagen: Die Mindereinnahmen werden in diesem
Jahr erkennbar durch Entlastungen an anderer Stelle
überkompensiert. Es ist nicht die Funktion eines Nachtragshaushaltes, sozusagen titelscharf, im Sinne von
Wasserstandsmeldungen, auf Veränderungen zu reagieren. Dann müssten wir monatlich solche Debatten führen. Stellen Sie sich das einmal vor! Frau Lötzsch hätte
dann Gelegenheit, das zu wiederholen, was sie heute gesagt hat.
({20})
Das ist nicht die Funktion eines Nachtragshaushaltes.
Letzte Bemerkung: Ja, es gibt bestimmte Risiken, und
es wäre sträflich, dies uns selber und den Wählerinnen
und Wählern, den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes nicht deutlich zu machen. Ich rate nur dazu, in der
öffentlichen Debatte nicht wieder von einem Extrem ins
andere zu fallen.
({21})
Wir sind sehr vorsichtig. Das Herbstgutachten der Sachverständigen geht von 2,2 Prozent Wachstum für nächstes Jahr aus. Herr Glos und ich sagen: Lasst uns noch
vorsichtiger sein - getreu der alten Devise: konservative
Schätzungen - und von 2,0 Prozent ausgehen. Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor in einer Aufschwungphase. Wir sollten sie nicht zerreden, ungeachtet der Risiken, die man beim Namen nennen muss. Bei einem
Wachstum von 2 Prozent hätten wir uns vor zwei oder
drei Jahren vor Freude einen Kuchen gebacken. Schon
aber zerreden wir das Ganze wieder.
({22})
Der Neigungswinkel der Wachstumskurve verändert
sich etwas. Das sollten wir bei unseren Haushaltsberatungen berücksichtigen.
({23})
Aber bitte fallen Sie nicht schon wieder von „himmelhoch jauchzend“ auf „zu Tode betrübt“ zurück, und verwirren Sie nicht sämtliche Menschen in diesem Land mit
der Bemerkung, dass sich die gesamtwirtschaftliche
Lage geändert hat. Sie hat sich nicht geändert, aber wir
müssen uns sehr bewusst sein, dass es bestimmte Risiken gibt, die auch aus den Finanzmarktturbulenzen resultieren, die mir in der letzten Woche anlässlich des
IMF-Treffens in Washington geschildert wurden.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({24})
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Fricke von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Steinbrück, als Erstes kurz zu der Kinderbetreuung: Haben Sie eigentlich einmal nachgeschaut - Sie
sagten, die FDP habe da nichts gemacht -, um wie viel
Prozent die Zahl der Plätze für die Betreuung unter Dreijähriger in dem Land, in dem Sie Ministerpräsident waren, gestiegen ist? Das bewegt sich im zweistelligen Prozentbereich. Das heißt, all das, was Sie mit den Grünen
in NRW damals gemacht haben, wird von einer Regierung unter Beteiligung der FDP in erheblichem Maße
getoppt.
({0})
- Die Zahlung vom Bund ist doch noch gar nicht da, haben Sie gerade gesagt, sie kommt doch erst noch. ({1})
Was den Mehrwertsteuerpunkt angeht, so sage ich,
dass jemand wie Sie, Herr Steinbrück, der gegen einen
Schachweltmeister 34 Züge macht, doch so intelligent
ist, dass er weiß, dass er in der Lage ist, eine Formulierung dafür zu finden, dass an der Steigerung keine Beteiligung erfolgt, es aber einen Anteil an der Mehrwertsteuer gibt. Auch Sie können doch nicht garantieren,
dass die 770 Millionen Euro, die Sie demnächst geben
werden, auf ewig festgeschrieben sind. Sie werden eine
entsprechende Anpassung vornehmen. Reden Sie also
nicht so, als wären wir diejenigen, die falsche Vorschläge machten, obwohl wir vor Ort bewiesen haben,
dass wir bei der Betreuung von Kindern, gerade bei den
unter Dreijährigen, bei denen der größte Handlungsbedarf besteht, erfolgreich arbeiten.
({2})
Es ist im Übrigen schön, Herr Steinbrück, dass sich
die Regierung doch imstande sah, nach der Mahnung der
FDP und der Grünen diesen Nachtragshaushalt vorzulegen. Wir sind froh, dass es einen solchen Haushalt gibt,
weil er im Grundsatz zeigt, wohin die Entwicklung geht,
wiewohl ich glaube, dass wir noch gegen Ende des Jahres erleben werden, dass sich mehrere Posten in Milliardenhöhe im Haushalt nicht so abbilden, wie uns das die
Große Koalition gegenwärtig glauben machen will.
({3})
Nur, dieses Land ist an einem Wendepunkt. Wenn das
Fenster zugehen sollte, was keiner will - keiner will die
Entwicklung kleinreden -, dann wird diese Große Koalition mit dem Vorwurf leben müssen, dass sie eineinhalb
bis zwei Jahre eine Chance hatte, diese im ersten halben
Jahr nicht bemerkt hat, im zweiten halben Jahr überlegt
hat, was sie machen soll, im dritten ein bisschen gemacht
hat und es im vierten Halbjahr wieder zu Ende war und
die SPD, um einen Sargnagel draufzuhauen, einen Bundesparteitag gemacht hat. Das ist das, was uns droht.
({4})
Es gibt dunklere Wolken am Horizont. Die müssen
nicht unbedingt zum Niederschlag führen. Lassen Sie
uns einmal ehrlich sein: Die Zinsausgaben steigen um
3 Milliarden Euro. Hätten wir keine Steigerung der Zinsausgaben - das sage ich gerade den Familienpolitikern
der Koalition -, dann wäre es ein Leichtes gewesen, die
2,1 Milliarden Euro gegenzufinanzieren. Wenn das so
weitergeht - wir kennen doch die Inflation -, werden die
Zinsen weiter steigen. Ich plädiere übrigens für den
Schutz der kleinen Leute; denn von Inflation werden am
meisten die Schwachen und die Armen bedroht, nicht
die Reichen. Die werden zwar ein bisschen weniger
reich, aber die Armen werden über die Grenze hinaus
belastet, die wir als Sozialstaat überhaupt noch verantworten könnten.
({5})
Meine Mahnung und die Mahnung der FDP ist: Die
Große Koalition steht in der Verantwortung, damit die
Bundesrepublik Deutschland nicht wieder von der deutschen Krankheit befallen wird. Wenn Sie im Ausland
sind, hören Sie immer wieder die Frage: Fangt ihr jetzt
wieder an, dieselben Fehler wie früher zu machen? Wir
sind doch froh, wenn ein wirtschaftlich starkes und gesundes Deutschland Reformen macht. Das hilft auch uns,
Reformen durchzuführen. - Sie sagen jetzt - die CDU
wird mitmachen; wir werden es sehen -: Reformen sind
schön; wir deuten das alles jetzt einmal ganz anders. - Am
Ende dieser Legislaturperiode stehen wir dann wieder
da, wo wir eigentlich nicht mehr stehen wollten.
Herr Kollege Kampeter, ich fand es schon etwas
schwach, dass Sie die Zwischenfrage nicht erlaubt haben. Aber das besagt vielleicht auch etwas über den gegenwärtigen Zustand der Haushaltspolitik der CDU/
CSU.
({6})
- Na ja. Wenn jemand wie Herr Kampeter es nötig hat,
die FDP haushaltspolitisch mit der Linken zu vergleichen, dann muss ich sagen: Ihnen gehen so langsam die
Argumente aus. Geben Sie es zu!
({7})
Die Kollegin Hajduk hat recht - das sage ich ausdrücklich -: Wir könnten viel schneller auf Null kommen; wir könnten die Schulden in diesem Jahr viel
schneller abbauen. Was den Verkauf von Anteilen angeht, sage ich Ihnen klar: Es ist in Ordnung, Privatisierungen in diesem Jahr nicht durchzuführen, wenn Sie davon ausgehen, dass die Privatisierungserlöse im
nächsten Jahr höher sind. Wenn die Privatisierungserlöse
in diesem Jahr allerdings genauso hoch wie im nächsten
Jahr sind, ist es nicht in Ordnung. Allein schon wegen
der Zinsbelastung müssen Sie diese Privatisierungen
dann noch in diesem Jahr durchführen; denn sonst werden die Kinder - um sie geht es eigentlich - belastet.
Ich komme zum Schluss. Die SPD streitet sich auf ihrem morgen beginnenden Parteitag darüber, ob ein vorsorgender oder eher ein versorgender Sozialstaat richtig
ist.
({8})
Für die FDP ist es wichtig, dass wir im Interesse der
Schwachen keinen verschwendenden Sozialstaat haben;
denn ein verschwenderischer Sozialstaat ist auf Dauer
ein verschwindender Sozialstaat, und das will die FDP
auf gar keinen Fall.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ole Schröder von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Für über 90 Prozent der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mindestens genauso wichtig wie die Höhe des Gehalts. Das macht deutlich: Die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie ist die Herausforderung für junge Familien.
({0})
Es ist bei den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum
möglich, diese Herausforderung zu meistern.
Das Tagesbetreuungsausbaugesetz von Rot-Grün
({1})
hat nicht die notwendige Dynamik geschaffen, um einen
entsprechenden Zuwachs an Betreuungsplätzen zustande
zu bringen. Der Zuwachs kommt auf sehr niedrigem Niveau nur sehr langsam voran. Die Konsequenz: Es besteht ein erheblicher Mangel an Betreuungsplätzen, insbesondere für unter Dreijährige.
({2})
Die Folgen sind offensichtlich: Die Männer, meistens
die Frauen verzichten zugunsten von Kindern auf ihren
Beruf, oder sie verzichten zugunsten ihres Berufs auf
Kinder. Gerade für die besonders qualifizierten Frauen
trifft dies immer häufiger zu.
Die Regierung Merkel stellt sich dieser gesellschaftspolitischen Herausforderung wie keine Regierung zuvor.
({3})
Wir sorgen mit dem deutlichen Ausbau der Möglichkeiten zur Betreuung von Kindern dafür, dass Kinder und
Beruf besser miteinander vereinbart werden können. Wir
schaffen eine wirkliche Wahlfreiheit. Es ist ein großer
Erfolg der Familienministerin Frau von der Leyen,
Kommunen, Länder und den Bund in so kurzer Zeit zusammenzuführen, um ein solches Großprojekt auf den
Weg zu bringen.
({4})
Jetzt kommt es natürlich darauf an, den Ausbau in die
Tat umzusetzen. Mit dem Beschluss, den wir heute treffen, ist der Weg für den Ausbau der Betreuung unter
dreijähriger Kinder auf 750 000 Plätze frei.
({5})
Mit der Einrichtung des Sondervermögens noch in diesem Jahr stellen wir sicher, dass die Mittel, ohne auf das
jeweilige Haushaltsjahr begrenzt zu sein, abfließen können. Wir belasten eben nicht, wie in früheren Jahren, zukünftige Haushalte, sondern stellen das Geld jetzt zur
Verfügung.
Herr Kollege Schröder, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Bitte schön.
Bitte, Herr Koppelin.
Herr Kollege Schröder, können Sie mir denn erklären,
warum die zuständige Ministerin von der Leyen dieses
Parlament so oft meidet, wenn wir hier über Familie,
über Kinder sprechen?
Frau von der Leyen ist eigentlich immer da.
({0})
Ich kenne keine Ministerin, die den Debatten hier im
Plenum so häufig folgt wie die Ministerin von der
Leyen.
({1})
Sie wird heute durch ihren Parlamentarischen Staatssekretär vertreten. Das heißt, das Familienministerium ist
anwesend. Ich sehe überhaupt keinen Grund zur Klage.
Wir als Parlament werden von der Familienministerin
sehr gut berücksichtigt.
({2})
Meine Damen und Herren, wir schaffen mit dem Beschluss heute die notwendige Sicherheit für die Kommunen. Mit dem Sondervermögen - das ist wichtig - schaffen wir die notwendigen Voraussetzungen nicht nur für
Neuinvestitionen, sondern auch für Umbaumaßnahmen
und Renovierung. Wir bleiben nicht bei der Förderung
der Investitionskosten stehen. Der Bund wird sich bis
2013 mit 1,85 Milliarden Euro und danach mit jährlich
770 Millionen Euro an den Betriebskosten beteiligen.
Der Bund übernimmt bei dem notwendigen Ausbau der
Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige eine
wichtige Impulsfunktion.
({3})
Aber eines müssen wir klarstellen: Die Verantwortung dafür, das dann umzusetzen, liegt weiterhin bei den
Kommunen, und das ist auch richtig so, weil die Eltern
in den Kommunen die Möglichkeit haben, sich einzubringen in der Frage, welche Art der Betreuung notwendig ist, und mit zu entscheiden. Die Bedarfe sind natürlich unterschiedlich. In einem besonders urbanen Raum
wie München ist anderes notwendig als in besonders
ländlichen Bereichen wie in Schleswig-Holstein. Deshalb ist es vernünftig, dass die Kompetenz weiterhin bei
den Kommunen verortet ist.
Mit dem massiven Ausbau der Kinderbetreuung erreichen wir endlich das Ziel einer wirklichen Wahlfreiheit
für die Eltern. Professor Paul Nolte hat es auf den Punkt
gebracht: Das Ziel ist nicht die Ersetzung der Familie
durch den Staat, sondern ihre Stützung und Stärkung, da12654
mit Frauen und Männer ihren Kinderwunsch leichter erfüllen können.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicolette Kressl von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem Beschluss zur Errichtung eines Sondervermögens
zum Ausbau der Kinderbetreuung schließen wir heute
einen ersten Teil in einem umfangreichen Paket ab, mit
dem wir auch einen großen gesellschaftlichen Sprung
nach vorn machen. Es ist ein Paket, das bis zum
Jahr 2013 einen zügigen Ausbau der Betreuungsangebote für unter Dreijährige und ab 2013 die Garantie für
Eltern beinhaltet, dass sie einen Betreuungsplatz finden,
wenn sie ihn brauchen; wir nennen es fachlich: Rechtsanspruch. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Es ist
die Sicherheit für Eltern, tatsächlich eine gute frühe Förderung für ihre Kinder zu erhalten.
({0})
Dieser Sprung nach vorn bringt uns nicht nur gesellschaftspolitisch weiter; er wird auch dafür sorgen, dass
wir bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei der
Wahlfreiheit für Männer und Frauen und auch bei der
frühen Förderung von Kindern endlich den Anschluss an
die europäischen Länder finden, die uns schon fast seit
Jahrzehnten weit voraus sind. Wir brauchen diesen Anschluss an die anderen europäischen Länder gesellschaftspolitisch, und wir brauchen ihn ökonomisch. Beides ist in diesem Zusammenhang wichtig.
({1})
Darauf kann diese Koalition mit Recht stolz sein.
Wer hätte im Januar dieses Jahres, als die SPD diesen
Rechtsanspruch als wichtiges Ziel formuliert hat, geglaubt - das zu sagen soll mir schon erlaubt sein -, dass
wir ihn in dieser Legislaturperiode so schnell erreichen?
({2})
Ich freue mich im Übrigen auch darüber, dass dieser
Beschluss heute in Deutschland endlich noch ein Stück
mehr mit dem Klischee der Rabenmütter aufräumt. Da
bin ich zuversichtlich, auch durch die gestern veröffentlichte Studie von World Vision, die ganz deutlich gemacht hat: Kinder von Eltern, die beide berufstätig sind,
sind außerordentlich zufrieden und empfinden keinen
Mangel an Zuwendung - im Gegenteil. Es geht nicht um
die Zahl der gemeinsam verbrachten Stunden, sondern
um ihre Intensität.
Ich möchte einen Kommentar zitieren - als BadenWürttembergerin nehme ich die Badische Zeitung -, den
ich wirklich zutreffend finde:
Verstrickt in ideologische Grabenkämpfe um Familienidylle und staatlichen Erziehungsauftrag, wollen wir offenbar nicht wahrnehmen, dass da junge
Individuen heranreifen, die ihre Umwelt viel genauer analysieren, als wir es ihnen zutrauen. …
Und die Geborgenheit nicht nach Stunden elterlicher Anwesenheit bemessen, sondern nach Intensität der Zuwendung.
Ich finde, wir sollten das ernst nehmen und so schnell
wie möglich durch gute und qualitativ hochwertige Infrastruktur beste Rahmenbedingungen für Kinder und
Eltern schaffen.
({3})
Deshalb folgt dem ersten Schritt der Einrichtung eines
Sondervermögens von 2,15 Milliarden Euro für Investitionskosten ein zweiter: die gemeinsame Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern. Man darf sie
nicht vergessen. Wir brauchen die Vereinbarung, damit
die Mittel abfließen können. Ich gehe davon aus, dass
die Verwaltungsvereinbarung noch im nächsten Monat
von allen Partnern unterzeichnet sein wird.
Der dritte Schritt geht weit über kurzfristige Maßnahmen hinaus. Wir werden im Kinder- und Jugendhilfegesetz regeln, dass Eltern einen Rechtsanspruch auf einen
Betreuungsplatz für Kinder ab einem Alter von einem
Jahr erhalten. Gleichzeitig wird mit dem Gesetzespaket
sichergestellt, dass die Bundesebene über die Länder den
Kommunen bis 2013 1,85 Milliarden Euro aus Umsatzsteuereinnahmen zur Verfügung stellt und dass sie ab
2014 - das wird sehr oft vergessen; oft wird über nur
4 Milliarden Euro gesprochen - Jahr für Jahr 770 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um den Ausbau der Kinderbetreuung voranzubringen.
({4})
Dieses Engagement geht weit über die Kernaufgaben
des Bundes bei der Finanzierung hinaus. Das macht
deutlich, was es heißt, wenn Finanzminister Steinbrück
von gestaltender Finanzpolitik spricht. Es mag zwar für
den einen oder die andere etwas abstrakt klingen; wenn
man sich aber vor Augen führt, was wir heute beschließen, dann wird es greifbar und deutlich. Wir sehen, dass
das Geld zum Wohle der Kinder und der Eltern eingesetzt wird.
Ich finde deshalb, dass heute eigentlich alle Fraktionen dem Gesetzentwurf zustimmen könnten.
({5})
Es wäre ein gutes Zeichen, wenn dieses Haus zeigte:
Wenn es um wichtige Aufgaben geht, können wir auch
einmal über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinaus zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
({6})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Paul Lehrieder von
der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Weichen sind nun gestellt, sodass Länder und Kommunen ab dem 1. Januar 2008 mit
dem Aufbau eines bedarfsgerechten Angebots bei der
Betreuung der Kinder unter drei Jahren beginnen können. Deutschland schafft damit den Anschluss an die familienpolitisch erfolgreichen Länder in Nord- und Westeuropa. Dies ist unstreitig ein historischer Schritt im
Hinblick auf die frühe Förderung von Kindern und eine
bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in unserem
Land.
Wir haben in Deutschland derzeit das Problem, dass
für drei- bis sechsjährige Kinder zwar weitgehend genügend Kindergartenplätze und sonstige Betreuungsplätze
vorhanden sind, nicht aber für unter Dreijährige. Mit
dem Kinderbetreuungsfinanzierungskonzept haben wir
nun eine mehr als zufriedenstellende Antwort auf dieses
Problem gefunden. Die Lösung beinhaltet, dass bis 2013
bundesweit für rund ein Drittel der Kinder unter drei
Jahren Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen
und in der Kindertagespflege entstehen werden. Hervorzuheben ist, dass schon jetzt immer mehr Kommunen
gute Betreuungseinrichtungen als Standortvorteil erkennen und hierbei miteinander wetteifern. Sie schaffen dadurch die Voraussetzungen für eine bessere Infrastruktur
für Familien, die Erwerbstätigkeit erst ermöglicht und so
wirtschaftliche, aber auch zeitliche Spielräume eröffnet.
Das ermöglicht eine höhere Lebensqualität für Eltern
und Kinder.
Ich möchte von dieser Stelle ausdrücklich den engagierten Bürgermeistern, Gemeinderäten und Stadträten
danken, die bereits jetzt Betreuungseinrichtungen geschaffen haben und nicht auf das Geld gewartet haben,
das ab dem 1. Januar 2008 gezahlt wird, die darin ein eigenes, originäres Problem erkannt haben. Wenn sie jetzt
auch noch Unterstützung von Bund und Ländern bekommen, ist das umso besser. Ich habe aber Respekt vor allen Kommunalpolitikern, die schon jetzt begonnen haben, ihre Hausaufgaben zu machen. Danke schön.
({0})
Städte und Gemeinden haben nunmehr die Planungssicherheit, die sie brauchen, um den notwendigen Ausbau voranzutreiben. Mit dem Sondervermögen in Höhe
von 2,15 Milliarden Euro stehen die erforderlichen Mittel für Neubau, Ausbau, Umbau, Sanierungs-, Renovierungs-, Modernisierungs- und Ausstattungsmaßnahmen
in den Einrichtungen und der Tagespflege 2008 zur Verfügung.
Darüber hinaus wird der Bund - auch darauf wurde
von der Kollegin Kressl schon hingewiesen - die Kommunen in den Jahren 2009 bis 2013 mit insgesamt
1,85 Milliarden Euro und anschließend jährlich in Höhe
von 770 Millionen Euro bei den Betriebskosten entlasten. Die Investitionsmittel werden unter den Bundesländern nach der Kinderzahl aufgeteilt, damit sichergestellt
wird, dass alle Länder in gerechter Weise von den insgesamt 4 Milliarden Euro profitieren.
Durch den Ausbau der Infrastruktur wird in Zukunft
jede Familie frei entscheiden können, ob sie ihr Kind zu
Hause selbst betreuen möchte, ob eine Tagesmutter oder
eine Kita diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen soll.
({1})
- Jawohl. Die Wahlfreiheit für junge Familien kann nun
Realität werden. - Auch das ab 2013 geplante Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kinder die ersten Jahre
lieber zu Hause betreuen möchten - es wird niemanden
überraschen, dass ich auch dies anspreche -, ist ein weiterer Schritt in Richtung Wahlfreiheit für junge Eltern.
Für die Unionsfraktion sind beide Wege, Ausbau der
Betreuungseinrichtungen für unter 3-Jährige und Betreuungsgeld, daher keine Gegensätze, sondern sie gehören
zusammen. So ist das Betreuungsgeld in der Begründung des Gesetzentwurfes konsequenterweise zu finden.
({2})
- Der Kollege Peter Weiß könnte ruhig noch länger applaudieren.
In keiner Weise geht es aber darum, Eltern, die ihr
Kind zu Hause betreuen möchten, und Eltern, die nach
einer Babypause wieder arbeiten möchten, gegeneinander auszuspielen. Ich bitte darum, in dieser Debatte endlich abzurüsten und die Feindbilder abzubauen. Im Gegenteil: Jede Familie kann selbst entscheiden, wie die
Betreuung der Kinder in Zukunft organisiert werden
soll.
Der eingeschlagene Weg in der Familienpolitik geht
eindeutig in die richtige Richtung. Unser Ziel ist es,
Menschen Mut zu machen, ihre Kinderwünsche zu verwirklichen, Armut von Familien zu vermeiden und Erwerbsarbeit von Müttern und Vätern gleichermaßen zu
verbessern. Notwendig ist hierfür eine Familienpolitik
aus einem Guss: Elterngeld, Steuergerechtigkeit, Wahlfreiheit und finanzielle Sicherheit für Familien.
({3})
Wir wollen auch mehr Transparenz, das heißt eine
Bündelung der staatlichen Familienleistungen durch eine
Familienkasse. Kurz gesagt: Wir wollen eine Familienpolitik, wie wir sie in den vergangenen zwei Jahren mit
Frau Ministerin von der Leyen an der Spitze vorangetrieben und umgesetzt haben. Ich denke, darauf können wir
zu Recht stolz sein. Die Familien in unserem Land werden es uns danken.
Ich glaube, die Einrichtung dieses Sondervermögens
ist heute eine Sternstunde des Parlaments. Wir schaffen
für die Kommunen, aber auch für die jungen Mütter und
Väter Planungssicherheit und Verlässlichkeit.
Ich komme zum Anfang der Debatte zurück. In Zukunft haben nicht nur die Beamten die Planungssicherheit, die notwendig ist, um Kinder in die Welt zu setzen.
Auch alle anderen, die in der freien Wirtschaft tätig sind,
können dank dieser Angebote in Zukunft besser planen.
Sie werden hoffentlich mehr Mut zu Kindern haben. Angesichts unserer niedrigen Geburtenrate - auf eine Frau
kommen rein statistisch gesehen 1,3 Kinder - brauchen
wir diesen Mut in unserer Gesellschaft dringend.
Herzlichen Dank an unseren Koalitionspartner für die
konstruktiven Gespräche auf diesem Weg und an alle,
die mitgewirkt haben.
Danke schön.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Errichtung eines Sondervermögens
„Kinderbetreuungsausbau“. Der Haushaltsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/6816, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/6596 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die
Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmverhältnis wie zuvor angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/6390 an den Haushaltsaus-
schuss vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? -
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den
nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen
mit, dass sich die Fraktionen verständigt haben, den
Tagesordnungspunkt 21 - es handelt sich um die Bera-
tung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu Vorlagen be-
treffend die Änderung der Verpackungsverordnung -
von der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b
auf:
22 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter
Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zwischenbilanz des Nationalen Radverkehrs-
plans 2002-2012
- Drucksachen 16/3548, 16/5255 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Bericht der Bundesregierung über die
Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland 2007
- Drucksache 16/6705 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Sportausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Dabei sollen
die Grünen fünf Minuten erhalten. Gibt es Widerspruch
dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Der Fahrradverkehr ist eines der Themen,
bei denen scheinbar immer ein großer Konsens herrscht,
bei denen man sich immer in sehr kurzer Zeit einig ist.
Der Fahrradverkehr ist auf alle Fälle positiv besetzt. Alle
sind der Meinung, dass er gefördert werden muss. Es
gibt auch gute Gründe dafür. Die Lebensqualität in Städten nimmt eindeutig zu, wenn weniger Menschen mit
dem Auto und mehr Menschen mit dem Fahrrad oder zu
Fuß unterwegs sind. Letztendlich ist es sehr gesund,
wenn man sich die Zeit nimmt, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Bei Strecken bis zu 6, 7 oder 8 Kilometern
ist man oft sogar weitaus schneller unterwegs als mit
dem Auto.
({0})
Auch für den Klimaschutz ist der Fahrradverkehr
mehr als positiv. Man kann erhebliche Mengen an CO2
durch eine Erhöhung des Anteils des Fahrradverkehrs
einsparen. Das Umweltbundesamt hat je nach Szenario
ausgerechnet, 4 bis 13,5 Millionen Tonnen CO2 seien
möglich. Das sind beachtliche Mengen. Es kommt nur
auf die entsprechenden Rahmenbedingungen an.
Bevor ich zur Kritik kommen möchte, möchte ich etwas Positives erwähnen. Nach der Verabschiedung des
Nationalen Radverkehrsplans unter Rot-Grün ist von der
Großen Koalition manches sinnvoll weitergeführt worden; da wollen wir nicht widersprechen. Vom Difu wird
die Fahrradakademie gegründet, und die Anlage von
Fahrradwegen an Bundeswasserstraßen ist intelligenter
geregelt worden. Das sind zwar kleine Beispiele, aber
immerhin Beispiele dafür, dass sich die Dinge in eine
positive Richtung entwickeln. Da dies der Fall ist, darf
man dies auch als Opposition erwähnen.
({1})
- Es ist schön, dass die Große Koalition mit Zeitverzögerung bemerkt hat, dass sie gelobt wurde.
Allerdings sind viele Dinge - dabei geht es jetzt um
die richtig wichtigen Sachen - leider nicht sehr positiv.
Wofür sind wir im Fahrradverkehr direkt zuständig?
Direkt zuständig ist der Bund für den Bau der Fahrradwege an Bundesfernstraßen. Da ist die Entwicklung leider nicht sehr positiv. 2005 wurden dafür immerhin noch
98 Millionen Euro im Haushalt zur Verfügung gestellt.
Jetzt könnten wir sagen: Viel Geld, aber es ist nichts passiert. Aber immerhin ist ein erheblicher Anteil, nämlich
93 Millionen Euro, abgerufen worden. Wenn man jetzt
schaut, was für 2007 geplant war, stellt man fest: Es sind
nur 80 Millionen Euro eingestellt worden. Wenn man
davon spricht, den Fahrradverkehr, den Klimaschutz
usw. wolle man weiter fördern - das sagt auch die Große
Koalition -, ist es eigentlich nicht konsequent, wenn wir
den Mittelansatz bei dem wichtigsten Titel, dort, wo der
Bund direkt zuständig ist und er eine Vorbildfunktion gegenüber Kommunen und Ländern hat, die die meisten
Kompetenzen im Fahrradbereich haben, senken. Natürlich kann man von Haushaltskonsolidierung sprechen.
Mit 18 Millionen Euro kann man den Haushalt aber
nicht konsolidieren. Außerdem muss man sich bewusst
sein, dass es fast nichts Kostengünstigeres gibt, um CO2
einzusparen, als die Förderung des Fahrradverkehrs.
({2})
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Kritikpunkte.
Es ist nicht gelungen, den Fahrradverkehr so in den
Fokus zu rücken, dass er von der Kanzlerin oder dem zuständigen Minister als zentrale Aufgabe wahrgenommen
wird. Wenn man sich klassische Fahrradländer wie Holland anschaut, stellt man fest, dass der Fahrradverkehr
dort eine ganz andere Stellung hat. Das sieht man allein
daran, dass bedeutende Personen - man sollte nicht sagen, dass sie sich dazu herablassen - mit dem Dienstfahrrad unterwegs sind. Das klingt vielleicht ein bisschen trivial oder lächerlich. Ein solch vorbildliches
Verhalten hat aber eine erhebliche Wirkung. Das kann
man in Holland wunderschön beobachten.
({3})
Ein weiteres großes Problem ist, dass keine quantitativen Ziele formuliert wurden. Wenn sich eine Regierung
bei der Förderung des Fahrradverkehrs keine quantitativen Ziele setzt, dann kann sie sie auch nicht verfehlen.
Für die Regierung ist das natürlich schön. Bloß, wie
misst man dann letztendlich den Erfolg? Es wäre angemessen, sich das eine oder andere messbare Ziel zu setzen. Dann kann man nämlich sehen, ob die Maßnahmen,
die man ergriffen hat, auch erfolgreich waren.
Zusammenfassend muss man leider sagen: In Sonntagsreden wird deutlich, dass erkannt worden ist, dass
der Fahrradverkehr eine große Bedeutung hat. Das wird
allgemein anerkannt. Bei den harten Maßnahmen, wenn
es ums Geld geht, wird gekürzt, und die symbolischen
Maßnahmen zeigen, dass man die Bedeutung noch nicht
richtig begriffen hat. Deshalb kann man nur sagen: Die
Große Koalition findet zwar schöne Worte, leider fehlen
aber Taten.
({4})
Jetzt hat der Kollege Gero Storjohann von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem Zweiten Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in
der Bundesrepublik Deutschland 2007 und der Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zum Nationalen Radverkehrsplan 2002 bis 2012 wird eines ganz deutlich: Die Förderung des Fahrradverkehrs gewinnt in der Verkehrspolitik
immer mehr Bedeutung.
Grund hierfür sind die Vorteile des Radfahrens
- Dr. Hofreiter hat sie schon herausgestrichen -: Fahrradfahren ist gesund; regelmäßiges Radfahren vermindert das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen - wir
können alle noch etwas lernen -, von Gelenk- und Rückenbeschwerden, von Fettleibigkeit, von Bluthochdruck und von Diabetes. Auch Bundestagskollegen fahren sehr wohl mit dem Fahrrad zur Arbeit; das wissen
wir alle.
({0})
Ferner ist Fahrradfahren umweltfreundlich und dient
dem Klimaschutz. Radfahren verursacht keine Schadstoffemissionen. Radfahren verursacht keinen Lärm.
Radfahren schafft Platz: Wo ein Auto steht, können acht
Fahrräder stehen. Durch Radfahren wird also die Lebensqualität in unseren Städten erhöht. Außerdem ist
man mit dem Rad schnell: Radfahrer erreichen in Städten auf kurzen Strecken das Ziel genauso schnell wie
Autofahrer. Ich glaube, heute haben das besonders viele
erfahren können.
Der Fahrradtourismus wächst in Deutschland - das
finden wir alle prima - seit Jahren stetig. Das Fahrrad ist
ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor. Fahrradfahren
macht Spaß. Die ganze Familie - egal ob Jung oder Alt kann es betreiben. Das hat auch unsere Parlamentsfahrradtour „Berlin by Bike“ Anfang September gezeigt, mit
der wir als Bundestagsabgeordnete in Berlin ein wichtiges Signal gegeben haben und gezeigt haben, dass Fahrradfahren eine gute Möglichkeit ist, um sich fortzubewegen. Bei dieser Radtour wurden uns erneut viele
Möglichkeiten zur Verbesserung des Radverkehrs in der
Bundeshauptstadt exemplarisch vor Augen geführt. Es
wurde klar, dass es noch vieles zu verbessern gibt.
Der Radverkehrsplan 2002 bis 2012 dient dazu, das
zu konkretisieren. Wir möchten mit diesem Plan neue
Wege und Umsetzungsstrategien zur Förderung des Radverkehrs initiieren. So soll der Anteil des Radverkehrs in
Deutschland gesteigert werden. Man kann natürlich zu
Recht sagen, dass ein konkretes Ziel fehlt. Aber zumindest in der Richtung sind wir uns einig. Darüber hinaus
sind die weiteren Ziele die Förderung des Radverkehrs
als Bestandteil einer nachhaltigen integrierten Verkehrspolitik und die Verbesserung der Verkehrssicherheit. Die
CDU/CSU-Fraktion unterstützt ausdrücklich diese Ziele.
Alle Radfahrerinnen und Radfahrer in ganz Deutschland
können sich sicher sein: Die Unionsfraktion wird sich
weiterhin konsequent für die Stärkung des Radverkehrs
einsetzen.
Zur Verbesserung der Radverkehrssicherheit ist schon
vieles geleistet worden. So wurden in den Jahren 1995
bis 2004 von Bund, Ländern und Gemeinden Investitionen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro für den Ausbau der
Radwege getätigt. Der Radwegebestand an Straßen hat
sich dadurch um 10 000 Kilometer erhöht. Dadurch wird
der Fahrradverkehr vom motorisierten Verkehr getrennt.
Das ist eine wichtige Maßnahme für die Verkehrssicherheit. Dennoch sind wir uns einig: Es gibt noch viel zu
tun, zumal es durch die Wiedervereinigung unterschiedliche Voraussetzungen in Ost und West hinsichtlich des
Ausbaus von Fahrradwegen gab.
Etwa 65 Prozent der Bundesstraßen und 79 Prozent
der Landesstraßen in Deutschland haben noch keine
Radverkehrsanlagen. Aber die Große Koalition packt
hier an. Im Bundeshaushalt 2008 haben wir für den Radwegeausbau knapp 87 Millionen Euro bereitgestellt. Ich
halte den Ausbau der Radwege für wichtig. Die Frage
ist, inwieweit wir ihn unbedingt an Bundesstraßen forcieren müssen.
({1})
Wäre es nicht viel intelligenter, dies auch bei anderen
Straßenkomplexen zu tun? Allein 80 Millionen Euro gehen in den Ausbau von Radwegen an Bundesstraßen; das
ist etwas weniger als bisher. Dies ist eine wichtige Investition in die Sicherheit der Radfahrer im Straßenverkehr.
Politisch waren wir uns ja alle einig, dass wir dem
Ausbau der Radwege an Wasserstraßen eine hohe Priorität zukommen lassen wollen. Da befinden wir uns noch
am Anfang einer Bewegung. Das Geld ist bereitgestellt.
Wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass der
Wille des Parlaments umgesetzt wird. Denn das Fahren
an Wasserstraßen ist gerade im Fahrradtourismus sehr
beliebt. Das wollen wir uns besonders auf die Fahnen
schreiben. Deswegen ist es wichtig, dass die Betriebswege an Bundeswasserstraßen gänzlich für den Fahrradverkehr freigegeben werden, und da, wo dies noch nicht
möglich ist, diese Wege für den Fahrradverkehr erschlossen werden.
Weitere 3 Millionen Euro stellt die Große Koalition
zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans durch
Zuschüsse an Gesellschaften privaten Rechts und an die
Bundesländer zur Verfügung. Die Umsetzung der Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs liegt jedoch
häufig bei den Kommunen. Hier hat es in der Vergangenheit Schwierigkeiten beim Abrufen der Mittel gegeben. Da wollen wir gerne helfen. Deshalb sollten Bund
und Länder die Einrichtung von Kooperationsstrukturen
oder Netzwerken auf kommunaler Ebene bzw. zwischen
Ländern und Kommunen unterstützen.
Eine bessere Vernetzung brauchen wir auch in einem
anderen Bereich, nämlich bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, und zwar bei der Bahn.
({2})
Wir lesen im Fahrradbericht, dass angestrebt wird, die
Fahrradmitnahme im ICE im Rahmen eines Pilotprojekts
mit der Deutschen Bahn AG auf einer ausgewählten Pilotstrecke testen zu lassen. Das halte ich für ein lobenswertes Ziel.
({3})
Aber das ist noch zu wenig. Von dem Test habe ich bisher noch nichts lesen können.
({4})
Deswegen meine ich, dass wir alle gemeinsam dafür
kämpfen sollten. Wir sollten sowohl das Bundesministerium unter Führung von Minister Tiefensee als auch die
Bahn davon überzeugen, dass es ein Gewinn wäre, wenn
wir Fahrräder im ICE mitnehmen können. Wir würden in
diesem Bereich neue Kunden gewinnen. Wir würden
keine Kunden abschrecken, die sich eventuell durch
Fahrräder gestört fühlen. Deswegen sollten wir das Signal aussenden, dass auch ICE-Züge für den Fahrradtransport geeignet sind. Das sollten wir auf alle Fälle unterstreichen.
({5})
Wir reden nicht im luftleeren Raum. In England gibt
es bereits gute Erfahrungen damit, in Hochgeschwindigkeitszügen Fahrräder mitzunehmen. Das ist ohne Probleme möglich. Das sollte ein Beispiel sein, um die
Bahn zu überzeugen, diesen Trend nicht zu verpassen.
80 Prozent der Deutschen halten laut einer Forsa-Umfrage solch ein Serviceangebot für eine gute Idee. Auch
wenn ich nur die Bahnkunden frage, würde sich immer
noch die überwiegende Mehrzahl damit anfreunden können und sagen: Jawohl, wir möchten gerne unser teures
Fahrrad mit in den Urlaub nehmen und es nicht unbedingt mit dem Auto in den Urlaub transportieren. - Das
ist also ein wichtiger Punkt, wo die Politik ein Signal
setzen kann.
Meine Damen und Herren, wir müssen mehr für die
Sicherheit von Fahrradfahrern tun. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich deshalb dafür aus - jetzt passen Sie auf -, Radwege an Kreuzungen durch das Auftragen roter Farbe deutlich zu markieren. Das ist ein
wichtiger Schritt für uns, den Sie anerkennen sollten. Es
macht auch Sinn, das Symbol „Fahrradfahrer“ auf die
Fahrbahn aufzutragen. Auch die Mitnutzung von Busspuren durch Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer
macht Sinn. Außerdem müssen Fahrradfahrer aus dem
toten Winkel raus. Hier sind leider schon zu viele Menschen gestorben. Deshalb brauchen wir zum besseren
Schutz von Fahrradfahrern Aufstellflächen vor Ampelanlagen. So haben die Kraftfahrer die Zweiradfahrer immer im Blick.
In dieser Woche haben wir über die Erhöhung der
Bußgelder für Verkehrsverstöße diskutiert. Dabei ist
deutlich geworden: Wir brauchen eine höhere Kontrolldichte. Das gilt auch für die Kontrolle von Fahrradfahrern; denn ihr Verhalten wird oftmals zum Vorbild für
den gesamten Straßenverkehr in einer Stadt genommen.
Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Fahrradfahrer zu
verkehrsgerechtem Verhalten angeleitet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Anteil des Fahrrads am gesamten Verkehr in Deutschland liegt bei
9 Prozent. In den Niederlanden sind es 27 Prozent, in
Dänemark 16 Prozent. Wir können also noch aufholen keine Frage. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
letzte Debatte zu diesem Thema im Jahre 2004 war ja zu
tiefer Nachtstunde angesetzt und fand dann gar nicht
statt, weil die Reden zu Protokoll gegeben wurden. Nun
ist das Thema Radverkehr aus nächtlicher Stunde auf einen Donnerstagmittag vorgerückt, obwohl die Grünen
nicht mehr mitregieren. Man kann nur staunen, dass die
Große Koalition erkannt hat, welches Potenzial in diesem Bereich liegt. Wo Lob angebracht ist, möchte ich es
auch äußern.
Bei den Antworten auf die 109 Fragen in der Großen
Anfrage der Grünen - wahrlich eine Fleißarbeit - ist einiges schon interessant, auch wenn nicht alles ganz neu
ist.
Als Erstes möchte ich einen Gedankengang, den der
Kollege von den Grünen angestellt hat, aufgreifen. Er
sagte, weil weniger Geld für Radwege an Straßen in
Baulast des Bundes ausgegeben werde, mache die Koalition weniger für den Radverkehr. Meine Erfahrung ist,
dass an dieser Stelle kaum noch Potenzial vorhanden ist,
weil viele Radwege an Bundesstraßen für die Nutzer in
hohem Maße unattraktiv sind; denn die Verkehrslage auf
den Bundesstraßen macht es nicht gerade zu einer angenehmen Erfahrung, nebenher auf dem Fahrrad zu fahren.
Deshalb halte ich die Schlussfolgerung, dass, weil dort
weniger investiert werde, insgesamt weniger für die
Fahrradfahrer getan werde, für falsch, auch wenn das objektiv das einzige Kriterium ist, das sich im Haushalt zu
dieser Frage findet. Meiner Meinung nach geht es darum, dass die Nutzer die Wege gut finden. Der Wurm
muss in diesem Fall dem Fisch schmecken und nicht
dem Angler.
({0})
Als Zweites möchte ich eine etwas grundsätzlichere
Bemerkung zum Thema Verkehrsinfrastruktur anbringen. Wenn der Einsatz von 90 Millionen Euro in den
letzten Jahren zum Neubau von Radwegen zu der gigantischen Länge von 400 Kilometern pro Jahr geführt hat,
bedeutet das ja wohl, dass 1 Kilometer neuer Radweg
225 000 Euro kostet. Ich frage mich, ob es vernünftig
und richtig ist, solche Summen hierfür aufzuwenden.
Wir sollten in den Ausschussberatungen tatsächlich einmal untersuchen, wo hier die Kostentreiber liegen. Das
scheint mir doch wirklich ein bisschen üppig.
Dritte Bemerkung. Im Zusammenhang mit dem
Thema Fahrradfahren - dass wir Fahrradfahren gut finden und fördern wollen, darüber herrscht ja großer Konsens - lässt sich ein Punkt, den der Kollege Storjohann
eben angesprochen hat und den wir ja auch im Ausschuss besprochen haben, nicht ausblenden. Das ist das
Thema Verkehrssicherheit und das Beachten von Verkehrsregeln. Deshalb sollten wir alle in einer solchen
Debatte deutlich machen, dass es schon auffällt, dass einige Radfahrer - wie ich wahrnehme, werden es mehr das Gefühl haben, dass die Straßenverkehrs-Ordnung für
sie nicht gilt. Das ist aber, wie wir alle wissen, nicht der
Fall. Da die Straßenverkehrs-Ordnung auch für Fahrradfahrer gilt, ist es wirklich notwendig, dass dieser Aspekt
in der Aufklärungs- und Kampagnenarbeit im Rahmen
des Radverkehrsplans weiterhin intensiv kommuniziert
wird.
({1})
In unseren Kommunen führen wir die Debatte über
die Frage, wie wir mit den innerstädtischen Radwegen
umgehen und welche Konzepte hier die besseren sind.
Wir kennen die Städte mit dem abgeteilten Radweg, der
mit einem Bordstein separat gebaut ist, und wir sehen
vielerorts - auch aus Kostengründen - eine abgeteilte
Fahrradspur mit Markierung mittels Färbung. Ich nehme
wahr, dass diese Lösung immer dann nicht besonders
schlau ist, wenn der Radweg irgendwann in einer Bushaltestelle oder in Parkbuchten endet. Dies ist für die
Verkehrssicherheit kein Gewinn, weshalb diese Spuren
auch eher nicht angenommen werden. In meiner Stadt, in
Hannover, haben wir gerade solche Fälle, in denen die
markierte Fahrradspur in Parkbuchten endet oder in denen alle 800 Meter der Bus auf der Fahrradspur steht.
Dies führt natürlich nicht zu Akzeptanz; im Gegenteil, es
führt dazu, dass die Radfahrer weder die abgeteilte Spur
noch die Straße, sondern den Fußweg benutzen, was
wiederum zu Akzeptanzproblemen an anderer Stelle
führt. Auch darüber muss man fairerweise sprechen;
diese Dinge sind weiter zu beobachten. Ich bin dankbar,
dass das Ministerium deutlich gemacht hat, dass die
hierfür bereitstehenden Mittel auch weiterhin in die
Kampagnen- und Forschungsarbeit investiert werden.
Eine letzte Bemerkung zu der Großen Anfrage der
Grünen kann ich mir nicht verkneifen: In der Idee, dass
sich die Bedeutung von Verkehrsträgern im Ministerium
darin widerspiegelt, wie viele Planstellen für den Radverkehr einerseits und für den Transrapid andererseits
zur Verfügung stehen, kommt eine sehr verwaltungsgläubige Herangehensweise zum Ausdruck. Ich habe
nicht den Eindruck, dass dies die Maßzahl für die Aktivitäten des Ministeriums ist. Vielmehr halte ich den Bericht, den wir erhalten haben, für eine gute Grundlage für
die weitere Diskussion.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Heidi Wright für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe parlamentarische Fahrradfreunde! Aber auch die
große Fahrradgemeinde in Stadt und Land grüße ich
recht herzlich. Die Kolleginnen und Kollegen von
Bündnis 90/Die Grünen haben sich wirklich viel Arbeit
damit gemacht, diese 109 Fragen zu stellen, und das Ministerium hat sich viel Arbeit damit gemacht, die klugen
und die schwierigen Fragen zu beantworten, und uns
eine gute Grundlage für die weitere Arbeit geliefert.
Herzlichen Dank dafür!
Umfangreich war dies alles, weil sich nicht nur die
wirtschaftlichen Aspekte des Fahrradtourismus, des alternativen Bereichs der Verkehrspolitik, darin widerspiegeln, sondern auch die gute Wirkung des Radfahrens für
die Gesundheit, die entlastende Wirkung des Radfahrens
im Bereich Klima- und Umweltschutz und die Notwendigkeit des Ausbaus des Radverkehrs mit Blick auf eine
zukunftsgerichtete nachhaltige Stadtentwicklung.
Dem Ministerium danke ich auch für die gute Zusammenarbeit. Eine Person möchte ich namentlich nennen:
unseren Staatssekretär Ulrich Kasparick, dem ich als
stellvertretende Bundesvorsitzende des ADFC heute zu
seinem 50. Geburtstag gratuliere. Herzlichen Glückwunsch unserem Fahrradfreund, der ebenfalls Mitglied
in diesem wichtigen Fahrradverband ist!
({0})
Die gute Zusammenarbeit auch mit unseren Haushältern gipfelt darin, dass es ein gut aufgestelltes Referat
SW 24 mit guten Leuten gibt. Dazu bedurfte es einiger
Gespräche; aber das haben wir jetzt sichergestellt. Lieber
Kollege Hofreiter, wir werden auch mit den vorhandenen Haushaltsmitteln weiterkommen. Richtig ist, dass es
beschwerlich war, die Mittel auf 80 Millionen Euro herunterzufahren. Ich bin sicher, dass im nächsten Jahr
wieder 90 Millionen Euro für die Radwege an Bundesstraßen zur Verfügung stehen werden. Es gibt auch eine
gegenseitige Deckungsfähigkeit, sodass es am Geld
wirklich nicht mangelt.
In einem Haushaltstitel kam es sogar zu einer Verdopplung der nichtinvestiven Mittel. Das halte ich für
sehr wichtig. Ich bedanke mich bei all denen, die dazu
beigetragen haben, dass wir so weit gekommen sind.
Danken möchte ich unserem Bundesverkehrsminister
dafür, dass er den Zweiten Fahrradbericht, über den wir
heute auch sprechen - auf seine Vorlage haben wir lange
gewartet -, in der Kabinettssitzung im September dieses
Jahres vorgelegt hat. Auch das Kabinett hat sich also mit
dem Zweiten Fahrradbericht befasst; ich finde, das ist
sehr wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, längerfristig geht es
darum, den Radfahrern einen ähnlich hohen Standard
wie den Autofahrern zu bieten; so war es im Ersten Fahrradbericht aus dem Jahre 2000 formuliert. Wenn man
das Wort „längerfristig“, das darin verwendet wurde, auf
unsere schnelllebige Zeit mit ihren rasanten Veränderungen und Anforderungen in der Ressourcen- und Klimapolitik anwendet, dann muss man feststellen: Mit diesem
„längerfristig“ sind wir im Heute und Jetzt gelandet. Wir
müssen dem Radverkehr jetzt einen ähnlich hohen Standard wie dem Autoverkehr bieten. Das ist unsere politische Aufgabe.
({1})
Dass wir davon noch entfernt sind, erfahren wir
schmerzlich; für mich gilt das ganz besonders.
Liebe Freunde, im September dieses Jahres fanden
zeitgleich zwei Messen statt: in Frankfurt die IAA und in
Köln die IFMA, die Internationale Fahrradmesse. Was
war das in Frankfurt für ein Bohei! Die Kanzlerin half
dem neuen Präsidenten des VDA vom Glatteis, und gemeinsam lobte man emissionsreduzierte Fahrzeuge bzw.
zumindest die Aussicht auf sie; denn noch gibt es sie
nicht ganz wirklich.
Auf der IFMA in Köln hingegen - die Kollegen
Kasparick und Bodewig waren dort - wurde eine ganze
Armada von Null-Emissions-Fahrzeugen präsentiert.
Dabei handelte es sich um futuristische Geräte. Das war
eine tolle Schau. Da blieben keine Wünsche offen. Es
wurde deutlich, dass die 73 Millionen Fahrräder in
Deutschland einen sehr wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellen.
Warum gelingt es bei aller Fahrradfreude in Deutschland dennoch nicht, Fahrräder in gehörigem Maße in den
Alltagsverkehr zu integrieren? Warum gibt es bei der
Fahrradnutzung in den unterschiedlichen Städten und
Regionen Deutschlands ein so großes Gefälle? Ich frage
mich: Warum hat das Fahrrad im Gegensatz dazu in
europäischen Hauptstädten wie Amsterdam und Kopenhagen für die Alltagsnutzung einen extrem hohen Stellenwert?
In Kopenhagen wird ein Modal-Split von 50 Prozent
angestrebt. In Berlin hingegen liegt der Modal-Split zwischen 13 und 15 Prozent, und nach den Zahlen, die mir
für München vorliegen - zugegebenermaßen sind sie
alt -, beträgt er auch dort 13 Prozent. Alle meine
Freunde aus München sagen mir allerdings: Nein, MünHeidi Wright
chen ist schon weiter, und hier wird etwas getan. - Das
freut mich, und das muss auch so sein. In München war
die Velo-City-Konferenz 2007 mit einem tollen Programm und hohen Besucherzahlen. Das muss eine nachhaltige Wirkung haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zweiten Fahrradbericht wurde aufgezeigt, dass es nicht am Wissen
oder an der Erkenntnis mangelt, sondern an der Umsetzung einer guten Fahrradpolitik. Mit anderen Worten
- ich habe das auch meiner Fraktion so gesagt -: Im
Kopf haben wir das schon; wir müssen das aber auch im
Herzen haben. Oder sollte ich sagen: im Bauch? Wir
müssen mit Lust und Freude eine gute Fahrradpolitik betreiben.
({2})
Es gibt viele gute Gründe für eine offensive Radverkehrspolitik, zum Beispiel den Klima- und Umweltschutz. Auf allen Gebieten muss eine CO2-Reduzierung
erfolgen: in der Industrie, im privaten Bereich und natürlich - hier sind wir gefordert, Kolleginnen und Kollegen im Verkehrsbereich.
Ich bedaure sehr, dass das CO2-Reduktionsziel durch
den Radverkehr in dem in Meseberg beschlossenen integrierten Energie- und Klimaprogramm nicht explizit aufgeführt wurde. Allerdings hat mir das Bundesverkehrsministerium jetzt geschrieben, dass die Bundesregierung
in der Steigerung des Umfangs des Radverkehrs eine
gute Möglichkeit sieht, die CO2-Emissionen weiter zu
verringern. Dazu sage ich: Nur zu! Außerdem wird gerade ein Forschungsprojekt durchgeführt, das uns
schwarz auf weiß das Ergebnis liefert, wie groß die CO2Reduktion ist, die wir dadurch erzielen können.
Ein weiterer Grund für offensive Radverkehrspolitik
ist die Stadtentwicklung. In der Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt vom Mai 2007 - Europa
lässt grüßen! - ist der Radverkehr zweimal aufgeführt,
allerdings nur beiläufig. Ich sage: Nachhaltige städtebauliche Entwicklung geht nur mit der Fortentwicklung
des Radverkehrs. Der Kollege Storjohann hat es deutlich
gemacht: Parkplatznot, Flächenverbrauch, Schadstoffemissionen, Verkehrslärm, Rushhour, Stau, hohe Benzin-, hohe Mobilitätspreise, das sind unsere Alltagssorgen. Ein Ansatz zur Lösung dieser Probleme ist mehr
Radverkehr.
Fahrradpolitik in Form von Radwegen ist eine wichtige Sache. Eine weitere wichtige Sache ist jedoch das
richtige Klima, die Fahrradfreundlichkeit. Im Fahrradbericht der Bundesregierung wird festgestellt, dass das
Engagement der einzelnen Städte, Länder und Gemeinden bei der Radverkehrsförderung erhebliche Unterschiede aufweist. Die Unterschiede vor Ort, muss man
feststellen, sind oft drastisch. Deshalb meine große Einladung an die Kommunen: Nehmen Sie das Angebot der
Bundespolitik mit der Fahrradakademie, dem Bund-Länder-Arbeitskreis und dem Fahrradportal im Internet
intensiv wahr! Wir aus der Bundespolitik bieten mit unserer Radverkehrspolitik den offenen Dialog und vielfältige Möglichkeiten.
Auf die Verkehrssicherheit kann ich leider nicht mehr
Bezug nehmen.
Aber noch ein Wort zur Fahrradmitnahme im Schnellverkehr der Bahn, im ICE. Herr Mehdorn hat mit dem
Europaabgeordneten der Grünen Cramer gewettet. Der
Kollege Cramer hat gewettet, dass das Europaparlament
beschließt, dass die Fahrradmitnahme im Fernverkehr
kommen wird. Herr Mehdorn hat die Wette verloren und
dem Kollegen Cramer zur Begleichung seiner Wettschuld generös sechs Flaschen Champagner mitgebracht. Ich verzichte auf den Champagner; aber ich verzichte nicht auf gute, kundenfreundliche Bahnpolitik im
Interesse auch der Radfahrkunden.
Vielen Dank, Kollegen.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden über zwei Reifen. Der eine ist die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Der andere, sozusagen das Vorderrad, ist der Zweite Fahrradbericht der
Bundesregierung. In ihm wird hervorgehoben, was alles
Gutes für Radfahrer getan worden ist. Dagegen zielen
die 109 Fragen der Kollegen darauf, Defizite aufzuzeigen. Hier tun die Kollegen recht. Auch wir fragen uns,
wieso der Anteil des Radverkehrs in Deutschland immer
noch bei unter 10 Prozent dümpelt und nicht längst bei
20 Prozent ist.
Gerade das Radfahren im Alltag muss attraktiver werden. Ich möchte ein Beispiel nennen, wo Radfahren unattraktiv oder problematisch ist. Wir müssen gar nicht
weit gehen, schauen Sie sich das Chaos hier an: Vor dem
Jakob-Kaiser-Haus sind Fahrräder, weil es keine andere
Möglichkeit gibt, so abgestellt, dass das Überqueren der
Straße problematisch ist. Die Radfahrer wissen nicht, wo
sie ihren Drahtesel lassen sollen.
({0})
Da müssen wir dringend etwas tun. Es muss nicht immer
der teure Edelstahlbügel sein, das kann auch eine Ausführung aus weniger edlem Metall sein.
Ein zweites Beispiel, ebenfalls direkt aus dem Umkreis, ist der Berliner Hauptbahnhof. Ich habe recherchiert: Am neu erbauten Berliner Hauptbahnhof gibt es
860 Stellplätze für Autos, aber gerade einmal 30 für
Fahrräder.
({1})
Da muss der Fahrradfahrer sehen, wo er sein Fahrrad
lässt. Vielleicht meint ja mancher, das solle so sein.
Denn was will jemand mit dem Fahrrad am Bahnhof,
wenn er es im ICE sowieso nicht mitnehmen kann?
Zurzeit wird die erste ICE-Generation modernisiert.
Bei dieser Gelegenheit könnte man die Fahrradmitnahme relativ einfach ermöglichen. Aber maximal soll
es hier nur einen kleinen Versuch geben. Herr Mehdorn
hat das alles vor kurzem noch als Quatsch bezeichnet.
Nun haben wir diese Woche im Spiegel von dieser verlorenen Wette lesen können. Es gibt jetzt die EU-Richtlinie, die besagt, dass es auch im Schnellverkehr die
Möglichkeit geben muss, Fahrräder mitzunehmen. Vielleicht brauchen wir einfach jemanden, der auch in unserem Auftrag die Interessen der Fahrradfahrer wahrnimmt
und artikuliert.
Allein durch diese Beispiele, die ich aufgezeigt habe,
wird deutlich, dass ein Bundesradfahrbeauftragter - das
muss kein Mann sein, das kann ja auch eine Frau sein dringend nötig wäre und vielfältige Aufgaben hätte. Ein
Beispiel dafür ist, wie gesagt, die verbesserte Fahrradmitnahme nicht nur in Fernzügen, sondern auch in Regionalzügen, bei einer einheitlichen Tarifstruktur und einer
einheitlichen bundesweiten Regelung. Das wäre ein Ansatz, durch den das Fahrradfahren im Alltag attraktiver
und eher möglich gemacht werden würde. Der oder die
Fahrradbeauftragte - ich denke dabei an jemanden aus
den vielen arbeitenden Verbänden - könnte sich für die
Interessen starkmachen und helfen, das Miteinander im
Verkehr besser zu gestalten und die unterschiedlichen
Ansprüche der Verkehrsteilnehmer in Einklang zu bringen.
Radfahrer sind nicht waghalsige Verrückte, die sich in
den Großstadtdschungel stürzen, sondern sie wollen einfach, schnell und kostengünstig von A nach B kommen.
Ich glaube, sie brauchen unsere Unterstützung. Damit
mehr Leute die Vorteile des Fahrradfahrens erkennen
und sie auch nutzen, müssen wir es attraktiver machen.
Wir meinen, hier gibt es noch viel zu tun. Die vorliegenden Papiere sind ein guter Ansatz, aber wir werden
gemeinsam eine Debatte darüber führen müssen. Dabei
sollten wir unsere eigene Vorbildwirkung nicht unterschätzen.
Ich danke.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6705 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Eine Chance für den Wettbewerb - Kein Monopolschutz für die Deutsche Post AG
- Drucksache 16/6432 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Brigitte Pothmer, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Post braucht Wettbewerb - Wettbewerb
braucht faire Bedingungen
- Drucksache 16/6631 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Auch
dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Bei Debatten über Wettbewerb und über Monopole, die
zu knacken sind, erleben wir, dass es allerhand Schwierigkeiten gibt: im Energiebereich, bei der Telekom, bei
der Bahn und auch bei der Post. Ich glaube, am heutigen
Mittag ist es notwendig, den wettbewerblichen Aspekt
des Quasimonopols der Deutschen Post AG hier noch
einmal zu thematisieren.
In dem Ihnen vorliegenden Antrag geht es ganz ausdrücklich um eine vollständige Abschaffung des jetzt
noch bestehenden Monopols für Briefe bis zu
50 Gramm. Sie wissen, dass es vor zwei Jahren schon
einmal eine Verlängerung dieses Briefmonopols gegeben
hat. Insofern ist es notwendig, in dem Bereich jetzt zu einem Ende zu kommen. Das ist auch vorgesehen. Wir
verweisen aber darauf, dass die Abschaffung des Briefmonopols mit der Abschaffung aller weiteren Barrieren
für die Marktteilnehmer einhergehen muss.
({0})
Es gibt erste sehr positive Entwicklungen auf dem
Postmarkt, auf dem sich private Postdienstleister zu etablieren versuchen und dabei einigermaßen erfolgreich
sind, beispielsweise im Paketdienst. Paketdienstleister
haben teilweise sogar schon mehr Verkaufs- bzw.
Dienststellen als die Deutsche Post AG. Man sieht also,
dass der Wettbewerb an dieser Stelle funktioniert.
Wir möchten aber nicht, dass der Wegfall des Briefmonopols an die Einführung eines Mindestlohns gekoppelt wird. Auf diesem Weg käme es zu einer Aushöhlung
des neu entstandenen Wettbewerbs. Es ist einfach nicht
in Ordnung, dass ein Tarifvertrag als Mittel zur Marktabschottung benutzt wird. Dagegen wenden wir uns ausdrücklich. Außerdem fordern wir die Beendigung der
Begünstigung der Deutschen Post AG durch das Mehrwertsteuerprivileg, das ihr einen Preisvorteil von immerhin 19 Prozent verschafft. Wenn sich die anderen Marktteilnehmer als Wettbewerber am Markt behaupten
wollen, dann müssen sie diese 19 Prozent in der Preisgestaltung ausgleichen. Das wiederum geht zulasten der
Löhne. Genau das beklagen Sie hier, und zwar recht
scheinheilig, wie ich finde. Es wird sich zeigen, dass der
Weg der Mindestlöhne, die insbesondere von der SPD
gewünscht werden, schädlich ist. Ich kann die Union nur
warnen: Sie öffnen damit ein Einfallstor. Überlegen Sie
sich gut, was Sie tun! Es war nicht gut, dass die Kanzlerin der Aufnahme der Postdienstleistungen in das Entsendegesetz zugestimmt hat. Sie werden sehen, dass damit die Tür für die Einführung von Mindestlöhnen in
weiteren Bereichen geöffnet wird.
({1})
Das ist schädlich für den Wettbewerb.
Bei den privaten Wettbewerbern stehen etwa 50 000
Arbeitsplätze auf der Kippe. Es kommt darauf an, ob
sich diese und weitere Wettbewerber erfolgreich etablieren können. Dafür ist Wettbewerbsgleichheit - das heißt
gleiche Bedingungen am Markt - notwendig statt einer
einseitigen Bevorzugung des jetzigen Monopolisten.
({2})
Auch wir als FDP-Bundestagsfraktion wollen keine
Dumpinglöhne. Dabei stellt sich die Frage, was unter
Dumpinglöhnen zu verstehen ist. Es ist sehr interessant,
wie die Deutsche Post AG auf dem niederländischen
Postmarkt agiert. Dort sind 12 000 Briefträger für eine
Tochter der Deutschen Post AG tätig. Der dortige Mindestlohn beträgt 9 Euro pro Stunde. Die Tochter der
Post AG zahlt zwischen 6 und 8 Euro brutto und liegt
damit unter dem Mindestlohn,
({3})
und zwar ohne dass sie Urlaubsgeld, Beiträge zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und zur Rentenversicherung zahlt.
({4})
In den Niederlanden zahlen die Arbeitnehmer die Beiträge zu 100 Prozent selbst.
({5})
Die Post erwirtschaftet derzeit 50 Prozent ihres Umsatzes auf den internationalen, bereits liberalisierten
Postmärkten. Sie ist dabei höchst erfolgreich, gestützt
auf die Monopolgewinne, die sie in Deutschland erzielt.
Ich glaube, dass dieses große Unternehmen längst in der
Lage ist, auch in Deutschland ohne irgendwelche Sonderprivilegien wettbewerbsfähig zu agieren. Ich denke,
dass es notwendig ist, diese Privilegien abzuschaffen.
({6})
Es wird immer wieder das Argument angeführt, die
Mehrwertsteuerbefreiung der Deutschen Post AG sei
wegen der flächendeckenden Versorgung notwendig. Jeder Brief müsse bis ins letzte Dorf und bis auf die letzte
Hallig transportiert werden, wie es immer so schön
heißt. Das ist zwar richtig - wir sehen das genauso -,
aber die flächendeckende Versorgung ist bereits geregelt.
Es gibt die Möglichkeit, einen Fonds zu schaffen, in den
alle Marktteilnehmer einzahlen, damit die zusätzlichen
Dienste, die besonders teuer sind, finanziert werden können.
Wenn man will, gibt es Lösungen, um die flächendeckende Versorgung auch weiterhin zu gewährleisten.
Sagen Sie deshalb Ja zu mehr Wettbewerb und schließen Sie das Einfallstor für diejenigen, die ihre eigene
Monopolstellung weiter festigen wollen!
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kopp, es geht
nicht darum, einen Staatsmonopolisten vor Konkurrenz
zu schützen oder Konkurrenz zu verhindern.
({0})
Es geht auch nicht um den Einstieg in einen flächendeckenden Mindestlohn. Sie wissen, dass unsere Fraktion das in höchstem Maße ablehnt.
({1})
Um das alles, was Sie vorgebracht haben, geht es nicht.
Es geht um Wettbewerb; es geht um mehr Qualität. Es
geht um Leistungssteigerung; es geht um günstigere
Preise; es geht um Nähe zum Kunden.
({2})
Das ist das, worum es uns bei den Briefdienstleistungen
geht, und das wollen wir durchsetzen.
({3})
Sie haben recht: Am 1. Januar nächsten Jahres endet
das Postmonopol, und es wird zu einem flächendeckenden Wettbewerb bei den Briefdienstleistungen kommen;
das ist gut so. Interessant ist, dass Sie sich in diesem Zusammenhang offensichtlich mehr Gedanken über den
holländischen Markt machen,
({4})
dass Sie genau beschreiben können, was da los ist,
({5})
anstatt sich einfach einmal den deutschen Markt anzuschauen, sich um die deutschen Beschäftigten auf dem
Briefdienstleistungssektor zu kümmern und vielleicht
einmal auf das einzugehen, was das Wirtschaftsministerium im Juni in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion mitgeteilt hat, nämlich dass von den
600 000 Aufstockern, die es in Deutschland zurzeit gibt,
1,4 Prozent - das sind 8 000 Menschen - bei alternativen
Briefdienstleistern beschäftigt sind. Das heißt, dass man
da mit einem sehr hohen Anteil an staatlichen Leistungen - im Prinzip mit Transferzahlungen ({6})
Arbeitnehmer finanziert. Das sollten Sie vielleicht auch
einmal in Betracht ziehen und darüber nachdenken, wie
sich das weiterentwickeln soll.
({7})
Also: Wir wollen fairen Wettbewerb. Wir wollen einen Wettbewerb, der den Kunden, den Menschen in
Deutschland etwas bringt. Aber dieser Wettbewerb soll
nicht der Einstieg in einen Wettbewerb um die geringsten Löhne sein.
({8})
Wenn wir das Angebot an Briefdienstleistungen in
Deutschland verbessern wollen, dann brauchen wir,
glaube ich, damit dieser Wettbewerb profitabel wird,
leistungsfähige Unternehmen, vor allem natürlich Mittelständler. Leistungsfähige Unternehmen ihrerseits
brauchen leistungsfähige Mitarbeiter. Leistungsfähige
Mitarbeiter wird man dauerhaft nicht mit subventionierten Löhnen bekommen, vielmehr muss man leistungsfähige Mitarbeiter entsprechend motivieren.
({9})
Daraus soll nicht folgen, dass sich die Politik zukünftig in Lohnfindung einmischen soll.
({10})
- Überhaupt nicht, im Gegenteil: Lohnfindung ist Sache
der Tarifparteien. Daran wollen wir überhaupt nichts ändern.
({11})
- Ja. - Aber wir wollen sichergestellt haben, dass objektive Bedingungen, die wir stellen, erfüllt sind, sodass
nicht unbeteiligte Dritte einbezogen werden und sie
nicht auf einmal in einen Geltungsbereich einbezogen
werden, in den sie nicht gehören.
Dazu hat die Koalition am 18. Juni und am
20. August in Meseberg Regeln aufgestellt. Da haben
wir uns darauf geeinigt, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf weitere Branchen auszuweiten. Bedingung
hierzu ist, dass Branchen eine Tarifbindung von mindestens 50 Prozent haben. Sie erhalten das Angebot, in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden
und tarifliche Mindestlöhne zu vereinbaren. Sie müssen
einen Antrag stellen usw. Das ist eine der Regeln, die wir
natürlich auch gerne eingehalten sehen wollen. Deswegen ist es notwendig, dass wir überprüfen, ob diese Regeln auch von denen, die momentan in dem Bereich
agieren, entsprechend erfüllt werden.
Dazu gehört auch, dass man sich an die üblichen Regeln des wirtschaftlichen Zusammenlebens hält. Wenn
ich höre - da darf ich auf das zurückkommen, was der
Kollege Laurenz Meyer heute Vormittag gesagt hat -,
dass es auf einmal Gewerkschaften gibt, die vor staatlich
überhöhten Zwangslöhnen warnen, dann muss ich sagen: Das klingt reichlich komisch. Das hat natürlich mit
dem, was wir üblicherweise Wettbewerb nennen, wenig
zu tun. Wir müssen aufpassen, dass wir in dieser Debatte
nicht langsam ein Stück weit ins Lächerliche abrutschen.
Davor warne ich.
Unsere Aufgabe hier muss es sein, dafür zu sorgen,
dass sich die Betroffenen in der üblichen Weise miteinander verständigen, dass sich die betroffenen Tarifparteien zu einem ordentlichen Ergebnis durchringen, das
keinem Dritten zum Schaden gereicht und das dazu
führt, dass Briefdienstleistungen für die Menschen, die
Bürger, um die es hier geht, in Deutschland besser und
nicht schlechter werden. Dieser Aufgabe müssen wir gerecht werden; dazu fordere ich auf. Frau Kopp, Sie sollten nicht polemisch darüber reden, ob Wettbewerb verhindert wird oder ob hier ein unumkehrbarer Bruch
stattfindet.
({12})
Wir wollen den Wettbewerb. Wir lassen uns nichts anderes unterstellen.
({13})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Dr. Herbert Schui das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
vollständige Liberalisierung der Briefpost bis 2008 wird
mit mehr Wettbewerb begründet. Die allgemeine Parole
lautet: Wettbewerb ist einfach immer gut. Ich glaube,
dass wir demnächst gemeinsam den Cantus „Im Markt
ist Wahrheit nur allein“ anstimmen werden. Wir werden
dann dem Wettbewerb als neuem Heilsglauben huldigen.
Markt und Wettbewerb sind ein Heilsplan für die
Menschheit. Jedenfalls fehlt allen Plänen eine rationale
Begründung. Es handelt sich lediglich um eine Deduktion aus drei Glaubenssätzen; das war’s.
({0})
Staatsmonopolisten auflösen, das hört sich immer
ganz gut an. Das klingt nach antimonopolistischem
Kampf. Dabei könnte es einem als Linken warm ums
Herz werden.
({1})
- Stimmt, wir beide waren in unserer Jugend entsprechend aktiv.
({2})
Es geht aber um die Ziele. Es wird erwartet, dass die
Bedarfsdeckung durch Wettbewerb und Markt optimal
ist und dass dann alles in bester Ordnung ist. Aber welches ist das eigentliche Ergebnis der bisherigen Liberalisierung im Postbereich? Von 1999 bis 2005 hat die alte
Post 34 000 Menschen weniger beschäftigt. Die privaten
Konkurrenten beschäftigen 12 000 mehr. Das macht einen negativen Saldo von 22 000.
({3})
- Nein, es ist schlechter geworden. - 2006 gab es 10 000
sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in diesem
Gesamtbereich, die ihre Einkommen durch ALG II aufstocken mussten. Das ist eine deutliche Verschlechterung der Einkommenslage.
Die gesamten Leistungen dieses so modernisierten, liberalisierten Postbereichs sind erheblich schlechter geworden. Es fehlen Poststellen und Briefkästen. Zudem
sind die Leerungszeiten nicht mehr so günstig wie zuvor.
Die Preise dagegen haben sich im Rahmen dieses sogenannten Wettbewerbs und dieser Liberalisierung erheblich erhöht. Die Preise für die Paketbeförderung zum
Beispiel sind von 2000 bis 2006 um ein Viertel gestiegen. Wo sind denn nun eigentlich die Früchte Ihres Wettbewerbs geblieben?
({4})
Sie bleiben bei den Managergehältern sowie den Gewinnen und den ausgezahlten Dividenden, je nachdem, wie
das Unternehmen aufgestellt ist. Mehr ist nicht zu erwarten.
Die Befreiung der Post von der Mehrwertsteuer ist
eine vernünftige Regelung, soweit aufgrund des 19-Prozent-Vorteils sichergestellt wird, dass wir eine flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen haben,
und zwar auch dort, wo die Privaten aus Renditeerwägungen nicht tätig werden. Das ist eine gute Idee. Die
entscheidende Frage ist aber, wer das kontrolliert. Es
könnte sein, dass das Großunternehmen Post aufgrund
der Besserstellung bei den Kosten die zusätzlichen Einnahmen dazu verwendet, Postzustellungsunternehmen in
anderen Ländern aufzukaufen. Dann hätten wir eine sogenannte Zerschlagung der Monopole, aber auch mehr
nationale bzw. internationale Konzentration. Also ist es
erforderlich, dass kontrolliert wird, ob die Post tatsächlich den Verpflichtungen nachkommt, die sie aufgrund
der Befreiung von der Mehrwertsteuer hat. Wenn das
nicht der Fall ist, gibt es für mich nur eine Lösung, nämlich die Post wieder in öffentliches Eigentum zu überführen,
({5})
damit sie kontrolliert ihre Aufgaben wahrnehmen kann.
({6})
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Barbara Hendricks.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach § 4 Nr. 11 b des Umsatzsteuergesetzes sind die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der Deutschen Post AG von der Umsatzsteuer befreit; Kollege
Schui hat eben davon gesprochen. Mit dieser Vorschrift
wird das Gemeinschaftsrecht in nationales Recht umgesetzt. Zu den unter die Steuerbefreiung fallenden Umsätzen gehören die Leistungen, die nach der Post-Universaldienstleistungsverordnung - für die Zuhörer hier im
Saal: Wir nennen sie PUDLV - aus dem Jahr 1999 zum
Universaldienst gehören. Das ist die Beförderung von
Briefsendungen bis 2 000 Gramm, von adressierten Paketen bis 20 Kilogramm und von Zeitungen und Zeitschriften. Alle anderen Leistungen der Deutschen
Post AG sind ebenso wie die Dienstleistungen anderer
Postdienstleister bereits jetzt umsatzsteuerpflichtig.
Die Steuerbefreiung gilt aufgrund der zwingenden
EU-Rechtslage für die Leistungen der Deutschen
Post AG aus dem Bereich der gesetzlichen Exklusivlizenz und die sonstigen Universaldienstleistungen nach
der PUDLV völlig zu Recht. Nach dem Ergebnis der
Klausurtagung des Bundeskabinetts in Meseberg am
24. August dieses Jahres bleibt die Mehrwertsteuerbefreiung für flächendeckende Universaldienste in der
Postbranche erhalten.
({0})
Maßgebend für diese Entscheidung ist insbesondere,
dass mit der Steuerbefreiung für diese Leistungen sichergestellt werden soll, dass Postdienstleistungen auch weiterhin ständig flächendeckend und bundesweit angeboten werden und für jedermann erschwinglich sind.
- Selbstverständlich wird kontrolliert, ob das eingehalten wird. Die Bürgerinnen und Bürger würden sofort
merken, wenn das nicht eingehalten würde. - Unter die
Begünstigung sollen deshalb Leistungen von Unternehmen fallen, die eine zur Versorgung der Gesamtbevölke12666
rung ausgerichtete Unternehmensstruktur aufweisen und
durch Vorhalten einer entsprechenden Infrastruktur auch
tatsächlich flächendeckend und bundesweit die Gesamtheit des Leistungsspektrums der Postuniversaldienstleistungen erbringen.
Eine solche Befreiung ist auch nach Gemeinschaftsrecht vorzusehen. Postdienstleistungen, die dem Gemeinwohl dienen, sind auch nach dem Wegfall eines
Postmonopols von der Mehrwertsteuer zu befreien. Ich
möchte festhalten, dass unter die Steuerbefreiung Postdienstleistungen aller Anbieter fallen können, also neben
der Deutschen Post AG auch ihrer Mitbewerber, soweit
die von mir genannten Voraussetzungen insgesamt erfüllt werden. Damit ist sichergestellt, dass gleiche Umsätze gleich behandelt werden. Wettbewerbsvor- oder
-nachteile entstehen durch die Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Kerstin Andreae das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Staatssekretärin, ich weiß nicht genau, ob
der Jobwechsel, der am Wochenende eventuell für Sie
ansteht, eine gute oder eine schlechte Wahl ist. Auf jeden
Fall aber habe ich mich gefreut, Ihrer Rede lauschen zu
können. Ich muss allerdings sagen, dass das, was in
Meseberg verabredet wurde und was danach passiert ist,
nicht deckungsgleich ist. So hat beispielsweise Bundeskanzlerin Merkel das Steuerprivileg der Post attackiert.
({0})
Es gab - das ist zwei, drei Wochen her - die Diskussion, ob es einen Sinn ergibt, das Steuerprivileg der Post
anzutasten. Ich sage Ihnen - so lautet auch unser Antrag -: Ja, es ist richtig, die Mehrwertsteuerbefreiung der
Post auf den Prüfstand zu stellen. Es handelt sich um
eine Form der Wettbewerbsverzerrung. Wir wollen eine
steuerliche Gleichbehandlung aller Teilnehmer am
Markt. Deswegen muss die Mehrwertsteuerbefreiung
der Post weg.
({1})
Aber wir stimmen dem Antrag der FDP nicht zu.
({2})
Wir wollen Wettbewerb, so lautet unser Antrag. Wir
wollen, dass die Voraussetzungen für einen diskriminierungsfreien Wettbewerb geschaffen und Wettbewerbsbehinderungen und Wettbewerbsverzerrungen aufgehoben
werden. Das verlangt zum einen eine steuerliche Gleichbehandlung der Marktteilnehmer und zum anderen die
Schaffung von Mindestlöhnen. Es ist nicht gut, wenn
sich Anbieter durch Lohndumping Eintritt in den Markt
verschaffen. Deswegen sind die Regelungen zum Mindestlohn bei Briefzustellern, die Sie in Meseberg beschlossen haben, richtig.
({3})
Führen Sie doch beides zusammen! Sorgen Sie für die
Einführung von Mindestlöhnen auf der einen Seite und
die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung auf der
anderen Seite!
Frau Kopp, Sie haben - völlig zu Recht - gefragt, wo
die Kreativität bleibt, sich einmal mit der Frage auseinanderzusetzen, wie durch die notwendige Post-Universaldienstleistungsverordnung, PUDLV, gewährleistet
werden kann, dass die Versorgung flächendeckend und
bezahlbar ist, dass ein Brief von Sankt Peter nach Sankt
Peter-Ording genauso schnell transportiert wird wie von
München nach Berlin. Der bisher einzige Ansatz, um
dieses Ziel zu erreichen, besteht in der Befreiung der
Post von der 19-prozentigen Mehrwertsteuer.
Es gäbe weitere Möglichkeiten. Die EU hat Vorschläge gemacht. Im Übrigen ist es nicht so, dass wir uns
hier in einem luftleeren Raum bewegen: Es gibt ein Vertragsverletzungsverfahren, das den Umgang mit der
Mehrwertsteuer zum Gegenstand hat. Das heißt, wir
werden uns sowieso damit auseinandersetzen müssen,
wie wir den anderen Anbietern auf dem Postmarkt die
gleichen Bedingungen wie der Post gewährleisten und
wie wir im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher,
der Kundinnen und Kunden, der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen können, dass die Postzustellung flächendeckend, sinnvoll und gut ist.
Herr Schui, auch Ihnen täte ein bisschen mehr Kreativität bei der Beantwortung der Frage, warum sich der
Postmarkt so entwickelt hat, wie er sich entwickelt hat,
gut. Wir leben im Zeitalter des Internets.
({4})
Viele Briefe werden heutzutage als E-Mail versandt. Unser Postmarkt ist völlig anders als 1995. Ich finde es
richtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie sich die
Situation auf dem Arbeitsmarkt entwickelt. Es macht
auch Sinn, sich zu fragen, ob Arbeitsplätze abgebaut
werden und wie die Arbeitsmarktbedingungen sind. Es
ist klug und vernünftig, darüber nachzudenken. Aber statisch zu denken und davon auszugehen, dass die Situation in 2007 der von 1995 entspricht, ist wirklich zu wenig.
({5})
Für uns Grüne ist klar: Ja zu den Mindestlöhnen, Ja
zur gleichen steuerlichen Behandlung, Ja zum Schutz
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Nein zum
Lohndumping, Ja zu einer verbraucherfreundlichen Entwicklung des Postmarkts. Es bedarf auf allen Seiten ein
bisschen mehr Kreativität bei der Umsetzung der Anforderungen der Post-Universaldienstleistungsverordnung,
damit es zu einer verbraucherfreundlichen Situation
kommt. Wenn das geschieht, sind wir auf dem richtigen
Weg.
Ich bin froh, dass die Große Koalition nicht mehr darüber spekuliert, ob man die Abschaffung des Briefmonopols doch noch hinausschiebt. Diese Diskussion ist tatsächlich beendet, unter anderem, weil wir Grünen
gefordert haben, für die im Postmarkt Beschäftigten
Mindestlöhne zu schaffen.
({6})
Jetzt müssen Sie noch für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Gerald Weiß für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Für mehr Wettbewerb sind fast alle, natürlich bis
auf die, die am liebsten wieder volkseigene Betriebe hätten. Aber wie soll der Wettbewerb auf dem Briefdienstleistungsmarkt in einem offenen Land, mitten in einem
riesigen Wirtschaftsraum künftig aussehen?
Herr Dr. Kolb, ich mache mir ein bisschen Sorgen um
das politische Langzeitgedächtnis der FDP;
({0})
denn die Instrumente, die die Große Koalition jetzt anwenden will, sind in der Zeit, als wir, Union und FDP,
gemeinsam regiert haben, entwickelt worden. Das Entsendegesetz ist nichts anderes als ein Rahmen, durch den
aus Wettbewerbsordnungsgründen dort ein tariflicher
Mindestlohn ermöglicht werden soll, wo wir ihn brauchen. Das ist die Philosophie der Großen Koalition. Ich
wiederhole: Es geht darum, dort tarifliche Mindestlöhne
zu ermöglichen, wo wir sie aus Wettbewerbsordnungsgründen brauchen. Vieles spricht dafür, dass der Postdienstleistungsmarkt ein Markt ist, auf den das zutrifft.
Das Entsendegesetz hat seine Wurzeln in unserer gemeinsamen Regierungszeit.
({1})
Was das Postgesetz angeht - es stammt ebenfalls aus
den 90er-Jahren -, wollten wir nicht den Wildwestwettbewerb, Herr Dr. Kolb, den Sie jetzt offenbar wollen,
Stichwort „Rückkehr zu Ihren Wurzeln, Laisser-faireLiberalismus“. Mit § 6 Abs. 3 des Postgesetzes sollte
Wettbewerb um Servicequalität, um Effizienz und um
Preise geschaffen werden,
({2})
aber nicht Wettbewerb auf den Knochen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der kleinen Leute.
({3})
In diesem Sinne wollten wir mit dem Postgesetz einen
geordneten Wettbewerb.
Es geht um die Frage: Wie viel Ordnung muss auf
diesem Markt sein? Es soll so viel Wettbewerb wie irgend möglich stattfinden - das fördert die Kreativität -,
aber es muss in gewisser Hinsicht auch eine Wettbewerbsordnung existieren, damit wir Fehlentwicklungen,
wie wir sie jetzt beobachten, beenden oder neuen Fehlentwicklungen vorbeugen können. Es kann doch nicht
dazu kommen, dass der Staat wegen des sehr niedrigen
Lohnniveaus auf bestimmten Teilmärkten regelhaft zuzahlen muss nach dem Motto - der Arbeitsminister hat
es heute früh in der Debatte gesagt -: Den Rest holst du
dir bei Münte. - Wir dürfen nicht zulassen, dass man
sich den Rest bei Münte holen muss.
({4})
Das Mittel der Wahl ist kein einheitlicher gesetzlicher
Mindestlohn. Wir müssen vielmehr einen Rahmen schaffen, um - ich sage es noch einmal - einen tariflichen
Mindestlohn dort zu ermöglichen, wo wir ihn brauchen.
({5})
Das ist der Weg über das Entsendegesetz.
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
Ja, bitte.
Herr Kollege Weiß, wer so redet wie Sie, fordert am
Ende einen flächendeckenden gesetzlichen oder tariflich
vereinbarten Mindestlohn.
({0})
Ich stelle fest - so habe ich es bisher immer verstanden, auch den Kollegen Meyer heute Morgen -, dass die
Union das sehr differenziert sieht.
Die Tatsache, dass jemand zusätzliche Transferleistungen bekommt, kann nicht allein als Indiz für zu niedrige Löhne herangezogen werden. Stimmen Sie mir in
diesem Punkt zu? Der verheiratete Familienvater
bräuchte beispielsweise einen Mindestlohn von etwa
12 Euro, um sich und seine Familie zu ernähren.
12 Euro, das ist noch mehr, als es die Linken vor einem
Jahr gefordert hatten. Sie wollten damals 7,50 Euro, im
Juni dieses Jahres 8 Euro, und im letzten Antrag waren
es 8,44 Euro.
({1})
Es geht also noch weit darüber hinaus. Sie können nicht
sagen: Jeder, der zusätzlich etwas vom Staat bekommt,
hat zu wenig. Dann kommen Sie nämlich zu einer Tarifpolitik nach Familienstand. Das kann auch nicht die Lösung des Problems sein.
({2})
In der Differenziertheit lässt sich die Union nicht
übertreffen, wie Sie aus Begegnungen mit uns wissen.
Der Bezug von Transferleistungen ist nicht das einzige Kriterium. In jedem einzelnen Fall muss die Frage
sein: Gebietet es das öffentliche Interesse, hier eine untere Lohngrenze einzuziehen, weil es ansonsten zu
Lohndumping käme und wir - das ist ein zusätzliches
wichtiges Kriterium - auf dem Wege von Transferzahlungen subventionieren müssten? Die Antwort darauf
muss derjenige geben, der sozusagen unter das Dach des
Entsendegesetzes will.
In den Bereichen Maschinenbau oder Chemie werden
wir nie über einen tariflichen oder gar gesetzlichen Mindestlohn reden müssen, aber es gibt arbeitsintensive,
wettbewerbsintensive Branchen, in denen wir insbesondere in der Zeit eines Übergangs hin zu offenen Grenzen
bzw. in einer Zeit nach jüngst geöffneten Grenzen so etwas wie eine Ordnung brauchen, damit der Wettbewerb
- ich sage es noch einmal - sich nicht austoben kann und
das nicht auf die Knochen der kleinen Leute geht. - Herr
Kolb, erst jetzt dürften Sie sich setzen; Sie haben das
vorweggenommen.
({0})
Es geht also darum: Wettbewerb so weit wie möglich,
Ordnung so weit wie nötig. Diese Kernfrage im vorliegenden Fall der Briefdienstleistungen angemessen zu beantworten, ist die Ambition des gesetzgeberischen Vorhabens. Wir prüfen sehr genau, auch als Fraktion, ob die
Voraussetzungen für den Weg, den das Entsendegesetz
und die politischen Entscheidungen von Meseberg vorgegeben haben - dazu gehört mindestens 50 Prozent Tarifbindung -, erfüllt sind. Die Regierung muss prüfen, ob
im Verfahrensgang die Bedingungen erfüllt werden.
({1})
Wir entwickeln Rahmenbedingungen, mit denen das gewünschte Ziel erreicht wird, einen Wettbewerb zulasten
der Kleinen zu verhindern und die Grundlage für einen
fairen Wettbewerb in einem weit geöffneten Korridor zu
schaffen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die beiden Anträge - das haben wir schon gehört - enthalten Gemeinsamkeiten, aber auch einen Unterschied:
In beiden wird für einen freien Wettbewerb und für die
Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung der Deutschen Post AG plädiert; der Unterschied liegt bei der
Frage eines Mindestlohns.
Ich will erst einmal ein paar Bemerkungen zu den anderen Punkten machen. Entgegen der Darstellung in den
beiden Anträgen stehen wir meiner Ansicht nach nicht
vor der Gefahr einer Zementierung des Postmonopols.
Man muss die Gegenrechnung aufmachen: Wenn wir
nichts tun oder wenn wir handeln, wie Sie von der FDP
es wollen, geraten die Arbeitsplätze in Deutschland von
drei Seiten auf unfaire Weise unter Druck: erstens auf
der Ebene der Arbeitsbedingungen durch das Lohndumping, zweitens durch die Universaldienstverpflichtung,
die zweifellos Kosten verursacht, und drittens durch die
europäische Wettbewerbssituation, vor allem, weil die
EU gegenüber der Bundesrepublik Deutschland bei der
Marktöffnung drei bis fünf Jahre im Verzug ist. Deswegen haben wir Sozialdemokraten kein Geheimnis daraus
gemacht, dass wir die Marktöffnung lieber noch verschoben und im europäischen Gleichklang durchgeführt
hätten. Dazu stehen wir.
({0})
Jetzt entsteht in Europa folgende Situation - das muss
man sich einmal vor Augen führen -: Der deutsche
Markt wird vollständig geöffnet; in einem großen Teil
der Länder werden die Märkte nicht geöffnet. In Schweden, Großbritannien, den Niederlanden und Finnland
werden die Märkte - zumindest auf dem Papier - geöffnet. In all diesen Ländern, meine Herren und Damen von
der FDP, gelten entweder gesetzliche oder tarifvertraglich-allgemeinverbindliche Mindestlöhne, überall zwischen 8 und 10 Euro.
Ich möchte als Beispiel die Niederlande nennen, wo
sich - Frau Kopp hat es angesprochen - der Sitz von
TNT befindet. Es wundert mich, dass auch dieses Unternehmen Mitglied des neuen Arbeitgeberverbandes Neue
Brief- und Zustelldienste ist; Vorsitzender dieses Ladens
ist der Herr mit dem goldenen Parteibuch. Dieser Verband plädiert für Tariflöhne bei der Post von 6 Euro im
Osten und 7,50 Euro im Westen. TNT, einer der großen
Weltpostkonzerne, agiert aus einem Land heraus, in dem
es einen Mindestlohn von 8,08 Euro gibt. Wenn die
Deutsche Post AG dort auftreten will, muss sie also den
Mindestlohn von 8,08 Euro zahlen, und zwar ohne Aufstockung aus öffentlichen Kassen der Niederlande. Dagegen will TNT für einen Lohn von 6 Euro in Ostdeutschland antreten, subventioniert durch ALG-IILeistungen, also Steuergelder. TNT würde also mit Steuergeldern subventioniert, die auch die Deutsche Post AG
und ihre Briefträger in Deutschland bezahlen. Das nennt
man dann fairen europäischen Wettbewerb. - Als weiteres Beispiel nenne ich Luxemburg, den Sitz der PIN AG,
Teil des notleidenden Springer-Konzerns. In Luxemburg
wurde das Briefmonopol bis 2013 verlängert. Dort gilt
ein Mindestlohn von 9,08 Euro.
Ich möchte einmal wissen, wie da die Rede von fairem Wettbewerb in Europa sein kann. Die einen haben
Mindestlöhne, und ich habe noch nie gehört, dass jemand behauptet, das behindere den freien Wettbewerb.
Wenn bei uns Mindestlöhne eingeführt werden, soll das
aber plötzlich so sein. Wenn ich die Worte des Vizekanzlers einmal positiv wenden darf: Die anderen sind zwar
für Wettbewerb, machen das aber intelligenter als wir.
Der Postsektor zeigt, was es bedeutet, wenn in einem
stagnierenden Markt Mindestlohnregelungen zur Schaffung besserer Arbeitsbedingungen fehlen: Erstens. Vollbezahlte, sichere Arbeitsplätze werden ungefähr im Verhältnis 3 : 1 verdrängt. Zweitens. Durch das Lohn- und
Sozialdumping der Wettbewerber entsteht ein prekarisierter Niedriglohnsektor, in dem die Arbeitsplätze subventioniert werden. Drittens. Die bisher gut bezahlten
Arbeitsplätze beim etablierten Anbieter - wir haben das
erlebt - geraten unter Druck. Die Deutsche Post AG hat
unter diesen Bedingungen - das wurde ihr von der Regulierungsbehörde vorgeworfen - die Arbeitszeiten verlängert, die Einstiegslöhne abgesenkt und Unternehmensbereiche, zum Beispiel die Filialen und die Fahrer,
outgesourct. Damals ging ein Aufschrei durch die Republik. Wo sind all diejenigen, die sich darüber beschwert
haben?
Nun zum Thema Mehrwertsteuer. Die Befreiung von
der Mehrwertsteuer führt tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung. Frau Kopp, mit dem Thema Mindestlohn
hat das aber überhaupt nichts zu tun. Der Unterschied
bei den Erlösen macht ja nicht 19 Prozent aus, weil die
Wettbewerber im Unterschied zur Deutschen Post AG
alle voll vorsteuerabzugsberechtigt sind. Sie ziehen die
Mehrwertsteuer als Argument für den ungleichen Wettbewerb heran. Ich möchte von Ihnen einmal wissen, ob
Sie dann auch dafür sind, dass ein Wettbewerber eine
niedrigere Miete für sein Geschäftslokal zahlt oder die
Fahrräder billiger bekommt, weil sonst der Wettbewerb
nicht in Gang kommt. Warum soll das nur auf die Knochen der Beschäftigten gehen? Dazu sollten Sie einmal
etwas sagen.
({1})
Wir befreien die Deutsche Post AG in diesem Bereich
von der Mehrwertsteuer, weil wir sie zur Erbringung eines Universaldienstes verpflichten.
({2})
Die Kontrolle, dass das Geld nicht anders verwendet
wird - Herr Schui, lassen Sie sich das einmal von Ihren
Kollegen im Beirat erklären -, obliegt der Bundesnetzagentur, weil diese nämlich die Entgelte für die Briefbeförderung genehmigen muss. Darin ist die Mehrwertsteuer eingepreist.
Die Grünen und die Linkspartei, aber auch die FDP
lassen die Frage völlig außer Acht, wie sie denn eigentlich die Mehrkosten durch den Universaldienst finanzieren wollen, wenn in Zukunft der reservierte Bereich entfällt.
({3})
Die FDP und die Grünen sind doch die Ersten, die jedem
abgebauten Briefkasten hinterherweinen und die die
Universaldienstverpflichtung hochleben lassen. Sie wissen, dass die EU darauf keine Antwort gibt und dass
auch wir bis jetzt keine Antwort darauf haben. Ich
möchte einmal wissen, welche Argumente Sie den Verbrauchern vortragen wollen, die die Mehrwertsteuer bezahlen müssen, die aber keine Möglichkeit haben, den
Vorsteuerabzug geltend zu machen. Sie wären doch die
Ersten, die über staatlich verursachten Preiswucher reden würden.
Schönes Wochenende.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6432 und 16/6631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. November 2007, 13 Uhr,
ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen
noch eine erfolgreiche Woche.
Die Sitzung ist geschlossen.