Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/24/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich eine Mitteilung zu machen. Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zu den von den Stromkonzernen angekündigten massiven Strompreiserhöhungen ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Volker Beck ({0}), Kerstin Müller ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln - Unterrichtung und Evaluation verbessern - Drucksache 16/6770 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Patrick Meinhardt, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Orientierung und verbesserte Berufsperspektiven durch Praktika schaffen - Drucksache 16/6768 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Jugendfreiwilligendienste in einen gemeinsamen Gesetzesrahmen zusammenfassen - Drucksache 16/6769 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Sportausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jugendfreiwilligendienste ausbauen und Gesamtkonzeption entwickeln - Drucksache 16/6771 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5}) Sportausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bodenschutzrahmenrichtlinie aktiv mitgestalten - Subsidiarität sichern, Verhältnismäßigkeit wahren - Drucksachen 16/4736, 16/5757 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Petzold Detlef Müller ({7}) Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Ferner mache ich auf vier nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 109. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Finanzausschuss ({8}) zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG - Drucksache 16/5846 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({9}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Der in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10}) zur Mitberatung überwiesen werden. Dritter Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundespolizeigesetzes - Drucksachen 16/6292, 16/6570 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({11}) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss Der in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen ({13}) - Drucksache 16/6311 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({14}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich an den Rechtsausschuss ({15}) zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Bundesregierung über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln ({16}) - Drucksache 16/3658 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({17}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/6743, 16/6761 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich begrüße Herrn Staatsminister Erler, der zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht. Ich rufe die dringliche Frage Nr. 1 des Abgeordneten Dr. Norman Paech, Fraktion Die Linke, auf: Wie bewertet die Bundesregierung die sich zuspitzende Situation an der türkisch-irakischen Grenze durch den massiven Aufmarsch türkischer Truppen und die immer deutlicher werdende Drohung, in den Irak einzumarschieren, unter dem Gesichtspunkt der Souveränität des Irak und den möglichen Folgen für die Sicherheitslage und Stabilität der Region?

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Herr Kollege Paech, die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage lautet: Die Bundesregierung sieht die jüngsten Entwicklungen an der türkisch-irakischen Grenze mit Besorgnis. Sie verurteilt die terroristischen Angriffe der PKK im türkischen Südosten auf das Schärfste. Die Bundesregierung appelliert an die Regierungen der Türkei und des Iraks, auf Grundlage ihres vor kurzem unterzeichneten bilateralen Sicherheitsabkommens gemeinsam für Stabilität in der Region zu sorgen. Die Bundesregierung steht mit der türkischen Regierung in Kontakt. Der Bundesminister des Auswärtigen hat am 21. Oktober 2007 mit dem türkischen Außenminister telefoniert und an die türkische Regierung appelliert, mit Augenmaß und Besonnenheit zu reagieren und so eine gefährliche Destabilisierung der Region zu verhindern. Der Bundesregierung ist bekannt, dass das türkische Parlament am 17. Oktober dieses Jahres einen Beschluss gefasst hat, der die türkische Regierung ermächtigt, grenzüberschreitend gegen die PKK tätig zu werden. Die Bundesregierung wird sich gemeinsam mit ihren EUPartnern und den Vereinigten Staaten weiterhin dafür einsetzen, dass der Konflikt diplomatisch und unter Ausschöpfung aller nichtmilitärischen Mittel gelöst wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfragen?

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Erler, ich hatte gefragt, wie Sie diese Drohung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Souveränität des Iraks bewerten. Damit verbinde ich die folgende Frage: Können Sie der weitverbreiteten, immer wieder geäußerten Vermutung zustimmen, dass es der Türkei gar nicht um die PKK-Rebellen geht, sondern darum, die Autonomieentwicklung im Norden des Iraks zu verhindern? Könnte diese Vermutung zutreffen?

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Ich kann auf jeden Fall sagen, dass die Bestrebungen, die auf die Errichtung eines eigenen Staates im Nordirak zielen, in der Türkei mit großer Sorge beobachtet werden. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass eine Stabilisierung des gesamten Iraks eine Separation des Nordiraks verhindert. Ich gehe davon aus, dass auch die türkische Politik von entsprechenden Erkenntnissen geleitet wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. - Ich unterstelle einmal, dass der Bundesregierung aufgrund der weitverbreiteten Presse bekannt ist, dass die Türkei schon seit Monaten Militär im Südosten ihres Landes zusammengezogen hat, dass sie von dort immer wieder Überfälle auf Dörfer und Ortschaften in Südostanatolien unternommen hat und dass sie bisher alle Angebote der PKK in Richtung Waffenstillstand - seit Oktober 2006 bis jetzt, zum jüngsten Datum - abgewiesen hat und immer wieder auf eine militärische Lösung zurückkommt. Was - das ist meine Frage - hat die Bundesregierung bisher unternommen, um es zu dieser absehbaren Zuspitzung der Lage nicht kommen zu lassen?

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Herr Kollege, ich glaube, man muss ein bisschen aufpassen, dass man die Dinge jetzt nicht so verkehrt, dass es zu einer Verwechslung von Tätern und Opfern kommt. Uns sind mehrere sehr blutige Überfälle der PKK auf Einheiten der türkischen Armee bekannt, übrigens zum Teil mit zivilen Opfern. Der letzte dramatische Akt hat am 21. Oktober dieses Jahres stattgefunden. Allein bei diesem Vorfall sind zwölf türkische Soldaten zu Tode gekommen. Selbstverständlich gibt es eine Politik der türkischen Regierung gegenüber den Kurden, die wir seit langem im Dialog begleiten, was wir auch weiterhin machen werden. Wir können dadurch feststellen, dass die gerade erst wieder durch Wahlen bestätigte AKP-Regierung durchaus Anstrengungen in unserem Sinne unternommen hat, was sich übrigens auch darin niederschlägt, dass 40 Prozent der Kurden die AKP gewählt haben. Das ist ein Beleg dafür, dass ein Teil dieser Politik bei der kurdischen Bevölkerung im Südosten der Türkei angekommen ist. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass wir unsere Bemühungen fortsetzen werden mit dem Ziel, dass die türkische Regierung auf diese Provokationen nicht militärisch in Form eines Einmarsches in den Nordirak antwortet, weil wir glauben, dass das weder im Sinne der türkischen Interessen noch im Sinne des gemeinsamen Interesses an einer stabilen Entwicklung im Gesamtirak sein kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, können Sie Auskunft darüber geben, ob sich Gremien der NATO mit der Angelegenheit beschäftigt haben? Denn immerhin ist die Türkei NATOPartner.

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Soweit ich weiß, ist das bisher nicht der Fall. Wir können erkennen, dass es aktive diplomatische Bemühungen der Vereinigten Staaten gibt, in die der Präsident und die Außenministerin einbezogen sind. Diese Bemühungen umfassen sowohl Kontakte mit der irakischen Seite als auch Kontakte mit der nordirakischen Autonomieregierung als auch Kontakte mit der Türkei. Aber eine formelle Beschäftigung der NATO mit dieser Angelegenheit ist mir nicht bekannt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Erler, ist der Bundesregierung bekannt, dass in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem zunehmenden Nationalismus in der Türkei fast schon Rassismus gegenüber kurdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aufgetreten ist, und zwar vor allen Dingen auf Drängen der Partei der Nationalistischen Bewegung, MHP, die jetzt auch ins Parlament eingezogen ist, und der CHP, der Republikanischen Volkspartei? Wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklungen? Vor allen Dingen vor dem Hintergrund des Prozesses des EU-Beitritts der Türkei hat die Bundesregierung doch bestimmt eine Position zu diesen Entwicklungen.

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Frau Kollegin, ich möchte an meine vorletzte Antwort anknüpfen. Es gibt eine pluralistische Entwicklung in der Türkei. Es gibt bestimmt verschiedene Parteien, deren Ziele wir nicht teilen können oder auch kritisieren müssen. Aber was die offizielle Politik der Türkei in den letzten Jahren angeht, sehen wir durchaus das Bemühen, zu einer politischen Lösung des Kurdenproblems zu kommen. Die Fortschritte dabei sind darin erkennbar, dass der Rückhalt der PKK als Gruppierung, die eine militärische, eine gewaltsame Lösung dieses Problems anstrebt, zurückgegangen ist. Wir sehen die Provokationen der PKK, beispielsweise ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten, durchaus in einem Zusammenhang mit dem Rückgang der Zustimmung für die PKK in der kurdischen Bevölkerung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Paech auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Gespräche zwischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und US-Außenministerin Condoleezza Rice, in denen heutigen Presseberichten zufolge gemeinsame Aktionen des türkischen und des US-Militärs gegen Guerillas im Nordirak erwogen werden?

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Herr Kollege Paech, die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage lautet: Die Bundesregierung hat keine Kenntnis von dem Inhalt der Gespräche der USAußenministerin mit dem Ministerpräsidenten der Türkei. Der Bundesregierung ist bekannt, dass zurzeit hochrangige Kontakte zwischen den Regierungen der Türkei, des Irak und der USA - ich habe sie eben schon erwähnt mit dem Ziel stattfinden, den Konflikt einzudämmen und möglichst mit friedlichen Mitteln zu lösen. Auch von der kurdischen Regionalregierung im Nordirak wird in diesem Zusammenhang erwartet, einen Beitrag zu leisten und zur friedlichen Lösung des Konflikts beizutragen. Die Stabilität der Region liegt im Interesse aller Beteiligten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage?

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auch ich habe dies natürlich nicht von Herrn Erdogan persönlich, sondern aus der amerikanischen Presse, die darüber berichtet hat, dass die USA angeboten habe, gemeinsam mit der Türkei per Luftunterstützung über die PKK-Stellungen in den Kandil-Bergen herzufallen. Sie wissen, dass die PKK und die Kurden seit 1984 gemeinsam für ihre Rechte - für Menschenrechte, Bürgerrechte, politische Rechte - und überhaupt für die Anerkennung ihrer Identität kämpfen und dass bis jetzt zwar einige, aber immer noch nicht genügend politische Erfolge erzielt worden sind. Jetzt stellen sich die USA an die Seite der Türkei und bieten militärische Unterstützung an. Selbst wenn das nur in der Presse steht, frage ich Sie: Was unternimmt die Bundesregierung in dieser Situation auch gegenüber den USA, um hier beruhigend zu wirken und vor allen Dingen eine Pazifizierung der Situation herzustellen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Paech, ich habe schon aus Ihrer Formulierung der Frage erkannt, dass Sie sehr genau wissen, dass die Bundesregierung zu Presseberichten, zu deren Gegenstand wir keine eigenen Erkenntnisse haben, keinen Kommentar abgibt. Das erwarten Sie also in Wirklichkeit gar nicht von mir. Insofern kann ich mich mit meiner Antwort auf den zweiten Teil Ihrer Frage konzentrieren. Wir bemühen uns - auch im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, zum Beispiel unseres Außenministers mit seinem türkischen Kollegen Babacan -, auf eine Nichtnutzung der Ermächtigung durch das türkische Parlament hinzuwirken. Wir glauben, dass eine grenzüberschreitende militärische Aktion der türkischen Regierung, mit der versucht würde, die PKK-Basislager in den Kandil-Bergen anzugreifen, in jeder Hinsicht zum Nachteil der Region und der türkischen Interessen ginge und vielleicht sogar im Sinne der Provokation, die ich beschrieben habe, das Gegenteil der Interessen der türkischen Regierung erreichte. Deswegen ist es unser Bemühen, eine Deeskalation zu erreichen, und dazu nutzen wir die diplomatischen Kanäle. Dies halten wir für den richtigen Weg.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nur noch eine kurze Nachfrage: Haben Sie diese diplomatischen Kanäle auch gegenüber den USA benutzt? Haben Sie Gespräche aufgenommen, um in diesem Sinne auf die USA einzuwirken?

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Wir gehen fest davon aus, dass die Vereinigten Staaten eine exakt gleiche Beurteilung der Lage vor Ort haben und in die gleiche Richtung wirken. Sie haben ja selbst über die Presse wahrgenommen, dass hier diplomatische Kanäle benutzt werden - zum Beispiel von der US-Außenministerin -, um in diesem Sinne auf die Region einzuwirken.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Gehrcke, hatten Sie sich zu einer Zwischenfrage gemeldet? - Bitte schön.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Kollege Erler, Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, wir hatten heute schon im Auswärtigen Ausschuss das Vergnügen, über diese Fragen zu diskutieren. Ihre Antwort auf die Frage meines Kollegen Paech ermutigt mich, nachzufragen, wie die Bundesregierung die Politik der USA in dieser Region beurteilt. Es ist bekannt, dass die kurdischen Formationen im Norden Iraks mit den USA engstens verbündet sind und auch während des Krieges im Irak eine erhebliche Rolle gespielt haben. Hinzu kommt, dass die Erklärung des amerikanischen Kongresses zu Armenien, die ich inhaltlich sehr respektabel finde, die in der Türkei aber Auseinandersetzungen auslösen musste, nicht zufällig in dieser Situation und zu diesem Zeitpunkt abgegeben wurde. Kann es sein, dass die heftige Reaktion der Türkei zum Teil auch darin begründet ist, die USA erneut in eine engere Gefolgschaft bzw. in ein enges Bündnis zu zwingen, und dass dadurch andere Umfeldbedingungen bestehen? Wie beurteilt die Bundesregierung die Politik der USA in dieser Region?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung ist sich mit den Vereinigten Staaten, was das Gesamtinteresse in dieser Region angeht, völlig einig. Es würde für die gesamte Region eine Zuspitzung der Lage und eine bedrohliche Entwicklung bedeuten, wenn es etwa zu einem Zerfall des Iraks käme. Natürlich würde diese Gefahr zum Beispiel durch eine militärische Aktion im Nordirak eher vergrößert als verringert. Insofern sind wir uns, was den Ansatz der Politik der Vereinigten Staaten in dieser Region angeht, einig. Im Übrigen, Herr Kollege, darf ich, wenn Sie erlauben, sagen: Wenn es den USA wirklich darum ginge, die Türkei zu einem Gefolgsland zu machen, wäre die Armenien-Resolution nicht das geeignete Mittel. Insofern kann ich Ihre Beurteilung dieser Zielsetzung Amerikas, zumindest was den von Ihnen angeführten Beleg betrifft, nicht teilen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Erler, auf die Frage meines Kollegen Paech antworteten Sie, man dürfe nicht erwarten, dass die Bundesregierung den Wahrheitsgehalt von Presseberichten beurteilt und danach handelt. Allerdings hebt die Bundesregierung die deutsch-türkischen Verhältnisse auch in der öffentlichen Debatte immer wieder hervor. Darüber hinaus hat sie großes Interesse an der Befriedung der Situation im Nahen Osten, also auch im Irak und ganz speziell im Norden Iraks; darauf haben auch Sie heute hingewiesen. Ich würde gerne wissen, ob die Berichte in der Chicago Tribune und in der Hürriyet, die in der AFPMeldung zitiert wurden, die Bundesregierung zumindest angeregt haben oder in Zukunft anregen werden, den Inhalt solcher Presseberichte mit Blick auf ihre diplomatischen Verhandlungen zu prüfen.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich bitte doch sehr um Verständnis: Die Arbeitsweise der Bundesregierung ist nicht, auf Presseinformationen zu warten und dann zu versuchen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die Bundesregierung verfügt über eigene Handlungsmöglichkeiten, sowohl im Hinblick auf die Türkei - ich habe mehrfach erwähnt, dass wir im Augenblick versuchen, diese Möglichkeiten zu nutzen - als auch über direkte Gesprächskontakte im Hinblick auf unseren amerikanischen Partner. Insofern sind wir nicht darauf angewiesen, nach Presseberichten solche Fahndungsversuche zu unternehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen zu diesem Fragenkomplex liegen nicht vor. Staatsminister Erler, ich danke Ihnen. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 3 der Kollegin Cornelia Hirsch auf: Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der angekündigten Pauschalkürzung um 15 Prozent der Fördersumme für die im Rahmen des sogenannten Exzellenzwettbewerbs geförderten Hochschulen und den drohenden rechtlichen Konsequenzen ({0})? Bitte schön.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch nach den Modalitäten der Finanzierung der Exzellenzinitiative beantworte ich wie folgt: Bund und Länder stellen für die Exzellenzinitiative für die Jahre 2006 bis 2011 insgesamt 1,9 Milliarden Euro bereit. Um die erfreulich hohe Zahl hervorragend begutachteter Anträge innerhalb dieses Finanzrahmens fördern zu können, wurde in beiden Förderrunden eine Reduzierung der Bewilligungssummen im Hinblick auf die ausgewählten Projekte vorgenommen. Dabei wird die Gleichbehandlung der Projekte der ersten und der zweiten Förderrunde sichergestellt. Auf dieser Grundlage berechnen die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat derzeit die konkreten Bewilligungssummen. Bereits die Bewilligungsschreiben an die Gewinner der ersten Förderrunde enthielten eine Sperre bei den bewilligten Mitteln, die nun bestätigt wurde. Ein Eingriff in bereits erfolgte und nicht mit einer Sperre belegte Bewilligungen der ersten Runde erfolgt nicht; rechtliche Konsequenzen sind daher nicht zu erwarten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatssekretär, es ist ja schön, wenn vielleicht in diesem einzelnen Bereich nicht so große Schwierigkeiten aufgetreten sind. Es gab im Rahmen der Exzellenzinitiative aber auch einiges an Kritik. Wir haben das heute Morgen auch im Ausschuss behandelt. Dort ist übereinstimmend festgehalten worden, dass die Rahmenbedingungen für die Finanzierung der Hochschulen insgesamt völlig unzureichend sind und auf jeden Fall Schritte notwendig sind, um daran etwas zu ändern; ansonsten hilft auch die Exzellenzinitiative nicht wirklich weiter. Die GEW hat vorgeschlagen, möglichst schon im nächsten Jahr einen zweiten Hochschulpakt aufzulegen, um neben der Finanzierung der Forschung, die über die Exzellenzinitiative erfolgen soll, gerade auf eine bessere Lehre hinzuwirken. Meine Nachfrage wäre: Was sagt die Bundesregierung dazu, bzw. - wenn Sie diesen Vorschlag ablehnen - welche anderen Vorschläge hat die Bundesregierung, um das Problem der Unterfinanzierung der Hochschulen zu lösen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, ich teile Ihre Beobachtung und Bewertung der heutigen Beratungen im Ausschuss für Bildung und Forschung ausdrücklich nicht. Im Gegenteil, die dort durchgeführte Präsentation der Ergebnisse der Exzellenzinitiative hat gezeigt, dass wir in Deutschland an einer Vielzahl von Standorten Leucht12460 türme der exzellenten Forschung haben. Die Breite dieser Standorte ist von allen einhellig begrüßt worden. Über die Finanzierungsmodalitäten mussten wir übrigens auch deswegen reden, weil die Zahl der bewilligten Förderprojekte ein Stück weit größer war, als es von vielen erwartet worden ist. Unabhängig davon stellt sich die Frage nach der Verbesserung der Situation der Lehre an den Universitäten. Hier ist zum einen der Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern beschlossen worden, mit dem der Bund die Länder bis zum Jahr 2010 für die Bereitstellung zusätzlicher Kapazitäten für bis zu 90 000 Studienanfänger mit mehr als einer halben Milliarde Euro finanziell unterstützt. Darüber hinaus überlegen die Länder, der Bund und die Hochschulen auch im Hinblick auf die Schlussfolgerungen aus der Bologna-Folgekonferenz, die im Mai dieses Jahres in London stattgefunden hat, welche weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in der Lehre im Zusammenhang mit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master ergriffen werden können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die überwiegende Anzahl der Hochschulen, die jetzt im Rahmen der Exzellenzinitiative als Spitzenhochschulen definiert worden sind, liegt in Bundesländern, die allgemeine Studiengebühren eingeführt haben. Die Erfahrungen der ersten Runde zeigen, dass die Exzellenzprojekte mit der Einführung von verschärften individuellen Auswahlverfahren an den einzelnen Hochschulen verbunden sind. Meine Frage ist daher, inwieweit auch die Bundesregierung der Auffassung ist, dass die Zustimmung von Hochschulen zur Exzellenzinitiative bzw. ihr Erfolg bei der Exzellenzinitiative sehr eng damit zusammenhängt, dass sie sich dem Leitbild unterordnen, dass Hochschulen eher als eine Art Unternehmensform anzusehen sind wodurch Studierende in die Rolle von Kundinnen und Kunden gedrängt werden. Oder ist so ein Leitbild nicht die Voraussetzung, um im Rahmen der Exzellenzinitiative Erfolg zu haben?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung teilt Ihre Einschätzung ausdrücklich nicht. Die Beratungen im Fachausschuss heute Morgen haben noch einmal verdeutlicht, dass wir für die Art und Weise, wie die Auswahl der exzellenten Projekte vorgenommen worden ist - in einem Verfahren, in dem von wissenschaftlicher Seite 80 Prozent der Gutachter aus dem Ausland stammen; renommierte Wissenschaftler, die die Anträge bewertet haben -, auch international hervorragende Resonanz bekommen. Diese Art und Weise, wie herausragende Forschungsprojekte für eine staatliche Förderung ausgewählt werden, wird international als beispielgebend angesehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die dringliche Frage 4 der Kollegin Cornelia Hirsch auf: Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem vom studentischen Dachverband Freier Zusammenschluss von Student/inn/enschaften und der Bildungsgewerkschaft GEW am 22. Oktober 2007 vorgelegten Bericht, wonach die Bundesrepublik gegen den sogenannten UN-Sozialpakt bezüglich des Rechtes auf Bildung verstoße?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Präsident, ich beantworte die Frage der Abgeordneten Hirsch wie folgt: Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 beinhaltet nach Auffassung der Bundesregierung im Ergebnis kein Verbot der Einführung von Studienbeiträgen. Entscheidend ist, dass der Zugang von der Finanzkraft des Einzelnen unabhängig bleibt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Studiengebührenurteil vom 26. Januar 2005 in dem Vertrag kein Studienbeitragsverbot gesehen, sondern den Pakt als Ausdruck und Konkretisierung der eigenverantwortlichen sozialstaatlichen Verpflichtung des Bundes und der Länder zitiert. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Länder bei der Ausgestaltung ihrer Studienbeitragssysteme die Zielsetzung und die Regelungen des Paktes als Konkretisierung ihrer sozialstaatlichen Verpflichtung berücksichtigen. Alle studienbeitragserhebenden Länder haben gleichzeitig mit den Studienbeiträgen zinsgünstige, elterneinkommensunabhängige Kredite zur sozialverträglichen Ausgestaltung eingeführt. Unabhängig von der Einführung von Studienbeiträgen wird die Chancengleichheit beim Zugang zum Hochschulstudium darüber hinaus auch durch das BAföG gesichert. Vor diesem Hintergrund sind Verstöße gegen den Pakt nach Auffassung der Bundesregierung nicht erkennbar.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In dem Pakt steht fast wörtlich, dass sich die Bundesregierung verpflichtet, das Hochschulstudium gebührenfrei zu halten bzw. Schritt für Schritt gebührenfrei zu machen. Können Sie nachvollziehen, dass sich ziemlich viele Studierende etwas veralbert vorkommen, wenn sie sich Ihre Antwort hier angehört haben, in der Sie ja gesagt haben, dass in dem Pakt zwar „gebührenfrei“ steht, womit aber eigentlich nur gemeint sei: Wir bieten euch Darlehen an, sodass ihr euch hoch verschulden könnt?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Nein, ich teile diese Auffassung nicht. Im Übrigen sind diese Darlehensangebote, die von allen Bundesländern, die Studienbeiträge eingeführt haben, parallel dazu ebenfalls eingeführt worden sind, sozial verträglich ausgestaltet, sodass die Rückzahlung der Darlehen unter besonderen Umständen ganz oder teilweise erlassen werden kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe noch eine kurze Frage. - Die Bundesregierung ist verpflichtet, einen Bericht darüber vorzulegen, welche Fortschritte sie bei der Umsetzung des UNSozialpaktes gemacht hat. In einer Fragestunde vor der Sommerpause wurde das hier schon einmal behandelt. Damals hatten Sie mir zugesichert, dass dieser Bericht baldmöglichst vorgelegt wird. Das ist immer noch nicht passiert. Deshalb habe ich die Nachfrage, wann genau dieser Bericht, der mittlerweile wirklich schon lange überfällig ist, vonseiten der Bundesregierung vorgelegt wird.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, den genauen Zeitpunkt kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Das werden wir Ihnen schriftlich nachreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich sehe keine weiteren Meldungen für Zusatzfragen. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der beiden dringlichen Fragen des Kollegen Rainder Steenblock steht der Staatssekretär Dr. Beus zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 5 auf: Warum wurde zum jetzigen Zeitpunkt unverzüglich nach den Wahlen in Polen und dem sich abzeichnenden Regierungswechsel das die deutsch-polnischen Beziehungen belastende Thema des Zentrums gegen Vertreibung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bei dem Festakt „50 Jahre Bund der Vertriebenen“ am Montag, dem 22. Oktober 2007, im Kronprinzenpalais angesprochen ({0})?

Not found (Staatssekretär:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Anlass der Rede der Bundeskanzlerin war das 50-jährige Jubiläum des Bundes der Vertriebenen, das am Montag, dem 22. Oktober 2007, begangen wurde. Der Termin des Festaktes stand bereits vor dem Termin der Wahlen in Polen fest. Die Bundeskanzlerin hat sich bei der Veranstaltung hinsichtlich des in Ihrer Frage genannten Themas ausschließlich zu dem im Koalitionsvertrag vereinbarten sichtbaren Zeichen geäußert. Im Koalitionsvertrag ist dazu vereinbart - ich darf zitieren -: Die Koalition bekennt sich zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um - in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität über die bisher beteiligten Länder Polen, Ungarn und Slowakei hinaus - an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede ausgeführt, dass damit dem breiten Bedürfnis nach Erinnerung als Mahnung für die Zukunft Rechnung getragen wird. Dabei wird eine angemessene und würdige Lösung angestrebt. Das gute nachbarschaftliche Verhältnis zu Polen war und ist stets im Interesse der Bundesregierung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Steenblock?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Antwort. - Ich weiß, dass die Terminierung im zeitlichen Ablauf so erfolgt ist, wie Sie es beschrieben haben. Trotzdem war zum Zeitpunkt der Rede bekannt - auch der Bundeskanzlerin -, dass am Vortag ein neues polnisches Parlament gewählt worden ist. Wäre es zum Zeitpunkt der Rede nicht ein gutes Signal gewesen, gerade den Dialog mit der neuen polnischen Regierung bzw. dem neuen polnischen Parlament in den Vordergrund zu stellen? Denn dies hätte sicherlich ein Gegengewicht zu der sehr negativen Presseberichterstattung über die Rede der Bundeskanzlerin in Polen geschaffen.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich denke, Sie wissen, dass der Dialog mit Polen der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin besonders am Herzen liegt. Sie hat das in den vergangenen Wochen und Monaten auch immer wieder unter Beweis gestellt. Der polnischen Seite ist bekannt, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, und sie verfolgt sicherlich auch die Diskussion in unserem Land über dieses Thema. Ich denke, es war deshalb keine Überraschung, dass das sichtbare Zeichen angesprochen worden ist, von dem im Koalitionsvertrag die Rede ist. Es entspricht der Übung der Bundesregierung auch in anderen Bereichen, dass sie Vorhaben, die im Koalitionsvertrag festgelegt worden sind und deren Umsetzung erwartet wird, bei derartigen Veranstaltungen anspricht und sich zu dem Stand der Umsetzung äußert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Kann ich Ihre Antwort auch so verstehen, dass die Bundesregierung tatsächlich beabsichtigt, auch vor dem Hintergrund der schwierigen Auseinandersetzung der vergangenen Jahre mit der neu gewählten polnischen Regierung in einen neuen Dialogprozess über das, was im Koalitionsvertrag ausgeführt worden ist, einzutreten?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Staatsminister Neumann, der innerhalb der Bundesregierung damit betraut ist, führt intensive Gespräche mit allen beteiligten Kreisen und bereitet eine Befassung des Bundeskabinetts mit dem Thema vor. In dem Zusammenhang wird dann sicherlich auch das Parlament zum einen das Konzept erfahren, zum anderen aber auch darüber informiert, wie diese Gespräche verlaufen sind und zu welchem Ergebnis sie bei der Formulierung des Konzepts geführt haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Herr Kollege Fromme.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, offensichtlich soll der zeitliche Ablauf problematisiert werden. Können Sie vielleicht einmal schildern, wie die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung verläuft? Insbesondere bei komplizierten Themen werden allein mit dem Formulieren der Koalitionsvereinbarung noch keine Ergebnisse erzielt; vielmehr muss man die Ergebnisse im Laufe der Zeit erarbeiten, wobei verschiedentlich auch Rückkoppelungen und Klärungen notwendig sind. Das ist ein Prozess, der zielgerichtet über einen bestimmten Zeitraum geführt werden muss, bevor es zu einem Ergebnis kommt. Was die mögliche Veröffentlichung der Einzelheiten zu diesem Zeitpunkt angeht, frage ich Sie: War das von der Bundesregierung oder von jemand anderem gesteuert?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich habe mich in Vorbereitung der Fragestunde damit befasst, ob das Thema bereits im Parlament erörtert worden ist, und habe festgestellt, dass Herr Staatsminister Neumann schon vor mehr als einem Jahr Fragen zu diesem Thema beantwortet hat. Ich glaube, aus dem zeitlichen Ablauf wird deutlich, wie sorgfältig und umfangreich die Gespräche geführt worden sind. Das hat auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede noch einmal betont. Der Bundesregierung ist daran gelegen, dem Deutschen Bundestag ein abgestimmtes und in sich schlüssiges Konzept vorzulegen. Das heißt, dass sie kein Interesse hat, dass vorab einzelne Fragen gesondert in der Öffentlichkeit diskutiert werden, weil das zu Missverständnissen führen kann. Vielmehr soll dem Parlament ein geschlossenes Konzept vorgelegt werden - ich glaube, dass das Parlament auch einen Anspruch darauf hat -, über das dann diskutiert werden kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Aussage so verstehen, dass es vonseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung bislang keine Festlegung auf ein Zentrum gegen Vertreibungen, wie es vom Bund der Vertriebenen gefordert wird, gibt, sondern dass bisher nur das im Koalitionsvertrag erwähnte sichtbare Zeichen als Konkretisierung und Festlegung vorliegt? Stimmen Sie mir zu, dass es klug wäre, mit der neuen polnischen Regierung über diese Fragen zu reden, bevor man Festlegungen trifft, um die Neuwahl in Polen als Chance für eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen und damit auch des innereuropäischen Reformklimas beizutragen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, es gibt vonseiten der Bundesregierung die bereits von mir zitierte Festlegung im Koalitionsvertrag, die dort als „sichtbares Zeichen“ beschrieben ist. Im Übrigen ist klar, dass der Bundesregierung weiterhin und in besonderem Maße an intensiven Kontakten zur polnischen Regierung gelegen ist und dass sich das sicher bald auch in weiteren bilateralen Kontakten ausdrücken wird. Ich denke, daran kann es keinerlei Zweifel geben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Stokar.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Muss ich Ihre bisherigen Ausführungen so verstehen, dass die Nutzung der Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin und auch ihr Verständnis von eigenständiger Führung so auszulegen ist, dass Bundeskanzlerin Merkel sich darauf beschränkt, Koalitionsvereinbarungen umzusetzen? Können Sie sich darüber hinaus vorstellen, dass Bundeskanzlerin Merkel eigenständige positive Akzente im Dialog mit Polen setzt?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete, ich denke, die Politik der Bundeskanzlerin im Verhältnis zu Polen hat in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, dass sie dort eigenständige Akzente setzt. Die Diskussion, die es im Zusammenhang mit dem EU-Vertrag mit Polen gegeben hat, macht deutlich, wie sehr sich die Bundeskanzlerin um ein gutes Verhältnis zu Polen bemüht hat und sich auch weiter bemühen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass es sich bei dem Vorhaben „Zentrum gegen Vertreibungen“ um ein Zentrum handelt, bei dem Vertreibungen weltweit in der Gegenwart und in der Geschichte im Mittelpunkt stehen und dass es sich nicht allein um die Vertreibung von 12 Millionen Deutschen infolge des Zweiten Weltkrieges handelt? Können Sie weiter bestätigen, dass in der jüngsten Geschichte Vertreibungen und ethnische Säuberungen auch in Europa als Mittel der Politik zurückgekehrt sind, zum Beispiel infolge des Geschehens nach dem Zerfall von Jugoslawien?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich denke, es ist klar, dass es nicht nur um die Vertreibung Deutscher, sondern in der Tat darum geht, die Vertreibung insgesamt darzustellen. Das ist auf jeden Fall der Ansatz der Bundesregierung bei dem Projekt „sichtbares Zeichen“, um das es uns geht. Das wird ja auch Gegenstand des Konzeptes sein, das sich gegenwärtig in der Abstimmung befindet und Ihnen dann vorgelegt werden wird. Ich denke, es ist sinnvoll, dieses Konzept abzuwarten und erst nach seinem Vorliegen konkret zu diskutieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich die dringliche Frage 6 des Kollegen Steenblock auf: Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden in dem von der Kanzlerin in ihrer Rede bei diesem Festakt angekündigten neuen Konzept zum Setzen eines sichtbaren Zeichens zur Erinnerung der Vertriebenen enthalten sein?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, Ihre Frage bezieht sich auf Schwerpunkte des eben schon angesprochenen Konzeptes. Auf der Basis der Koalitionsvereinbarungen, die ich bereits zitiert habe, wird unter Federführung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Neumann, ein Konzept zur Umsetzung erarbeitet. Bei der Entwicklung des in der regierungsinternen Abstimmung befindlichen Konzeptes ist historischer Sachverstand ebenso eingebunden worden wie die Auffassung relevanter gesellschaftlicher Gruppen einschließlich der Organisationen der Vertriebenen. Die Vorbereitungen sind weit vorangeschritten. Wir gehen davon aus, dass das Konzept für das sichtbare Zeichen noch in diesem Jahr dem Bundeskabinett vorgelegt werden kann. Es wird danach unverzüglich dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, in diesem Konzept wird ja, wie auch in der Koalitionsvereinbarung, immer vom sichtbaren Zeichen gesprochen. Ich gehe deshalb davon aus, dass die Bundeskanzlerin auf der Veranstaltung am 22. Oktober den Begriff „Zentrum gegen Vertreibungen“ ganz bewusst nicht benutzt hat, auch um sich davon zu distanzieren. Wird das inhaltliche Konzept im Vorfeld mit der polnischen Seite erörtert, oder versteht die Bundesregierung das tatsächlich nur als einen nationalen Arbeitsprozess, über dessen Ergebnisse dann erst mit den Polen gesprochen wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede auch deutlich gemacht, dass in dem Stadium, in dem wir uns befinden, eine Vielzahl von Gesprächen geführt werden. Dazu gehören sicherlich Wissenschaftler, die das aus polnischer Sicht, aber auch aus Sicht anderer östlicher Nachbarn erläutern. Der Zeitraum, der für die Vorbereitung in Anspruch genommen wurde, zeigt, dass alle Aspekte beleuchtet wurden und, soweit nötig, noch beleuchtet werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie werden mir sicherlich recht geben, dass nach den sehr schwierigen Debatten in der Vergangenheit gerade diese Frage für das deutsch-polnische Verhältnis von zentraler Bedeutung ist. Eine weitere zentrale Frage betrifft die anstehende Klärung der vermögensrechtlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Ist die Bundesregierung nach der Wahl in Polen, die Chancen eröffnet, bereit, einen Schritt auf die neue polnische Regierung zuzugehen und ein sichtbares Zeichen zu setzen sowie zu einer endgültigen Vereinbarung über die vermögensrechtlichen Verhältnisse zu kommen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, der Zeitraum, der für die Vorbereitung dieses Konzepts notwendig war, macht deutlich, wie sorgfältig die Bundesregierung hier vorgegangen ist. Das wird sie weiterhin tun. Angesichts dessen muss keine Besorgnis darüber bestehen, dass Irritationen in dem von Ihnen beschriebenen Umfang eintreten werden. Die von Ihnen angesprochene Klärung der vermögensrechtlichen Verhältnisse ist nicht Gegenstand Ihrer dringlichen Frage. Ich weiß, dass Sie ursprünglich eine Frage dazu eingereicht hatten. Dies ist aber bei uns so nicht angekommen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage des Kollegen Fromme.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass im Vorfeld der Erarbeitung ein Gremium eingeschaltet war, in dem internationale Wissenschaftler vertreten waren und das die gesamte gesellschaftspolitische Bandbreite widergespiegelt hat, und dass gerade die öffentliche Diskussion im Laufe des letzten Jahres in den Medien, insbesondere in Hörfunk und Fernsehen, die mit dem Zentrum gegen Vertreibungen verbundene Intention und den Bedarf deutlich unterstrichen hat, dieses Kapitel der Geschichte zu bewältigen und aufzuarbeiten und ein Mahn12464 mal insbesondere für Jugendliche zu setzen, dass man Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit immer wieder verteidigen muss?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich kann Ihnen gern bestätigen, dass es bei den zahlreichen Gesprächen einen Kreis gegeben hat, dem in der Tat Wissenschaftler unterschiedlicher Herkunft und Ausrichtung angehörten. Es hat sich im Laufe der Diskussion und der Umsetzung dieses Projektes gezeigt - ich glaube, das ist in der aktuellen Diskussion deutlich geworden -, dass es Bedarf nach Erinnerung als Mahnung für die Zukunft gibt. Das ist das Anliegen der Bundesregierung, das sich auch im Koalitionsvertrag wiederfindet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich bin aus Ihrer Antwort nicht ganz schlau geworden. Die Konzeption für ein sichtbares Zeichen einerseits und die Gespräche mit den Polen und Tschechen andererseits scheinen nicht miteinander verbunden zu sein. Könnten Sie dem Parlament sagen, ob die Bundesregierung das Benehmen oder das Einvernehmen mit der polnischen Regierung und der tschechischen Regierung - das sind die Hauptbetroffenen - herstellt, bevor wir mit einem fertigen Konzept in der deutschen Öffentlichkeit und im deutschen Parlament rechnen müssen? Wenn man wieder Porzellan zerschlägt, vertut man möglicherweise die Chancen, die die Neuwahl in Polen eröffnet hat.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, es geht zuerst darum, dass wir ein eigenes Konzept unter Beachtung dessen entwickeln, was wir aus polnischen Stellungnahmen und aus Stellungnahmen anderer östlicher Nachbarn wissen; das ist in vollem Gang. Damit wird sich die Bundesregierung befassen. Ich glaube, alle Aspekte der Diskussion werden in die Entscheidungsfindung einfließen. ({0}) Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass etwas nicht beachtet wird, was wichtig ist. Der Diskussionsprozess findet nicht ohne die Öffentlichkeit statt, sondern er wird von der Öffentlichkeit wahrgenommen und stößt auf ein breites öffentliches Interesse. Ihre Sorge, dass diese Dinge nicht beachtet werden, kann ich deshalb in keiner Weise teilen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachdem nun die dringlichen Fragen wie auch immer beantwortet sind, kommen wir nun zu den vorher eingereichten Fragen zur mündlichen Beantwortung in der ausgedruckten Reihenfolge der Geschäftsbereiche. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich rufe zunächst die Frage 1 des Kollegen Beck ({0}) auf und bitte Herrn Staatsminister Erler um die Beantwortung: In welcher Weise hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihren jüngsten Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor einem erneuten gravierenden Rückschritt für die Demokratie in Russland gewarnt, falls die zurzeit im Kreml ventilierten Pläne ({1}) zu einer Rochade zwischen dem jetzigen Präsidenten und dem amtierenden Ministerpräsidenten verwirklicht würden und Wladimir Putin damit entgegen der russischen Verfassung, die nur zwei aufeinanderfolgende Wahlperioden vorsieht, für eine dritte Amtszeit als Präsident kandidieren würde?

Not found (Gast)

Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Bundeskanzlerin hat die Frage der verfassungsgemäßen Entwicklung in Russland und die Einhaltung der demokratischen und bürgerlichen Grundrechte in ihren Gesprächen mit Präsident Putin, so auch zuletzt am 14. und 15. Oktober 2007 in Wiesbaden, kontinuierlich angesprochen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was hat denn die russische Seite zu diesem Thema gesagt? Gibt es Pläne, wie in der Presse ansatzweise zitiert, dass der jetzige Präsident womöglich auch sein eigener Nachfolger werden könnte, unterbrochen durch eine zweimonatige Amtszeit als Ministerpräsident der Russischen Föderation? Das wird kolportiert, und darauf deutet mit der Benennung eines besonders schwachen Ministerpräsidenten manches hin. Dieser würde nach der russischen Verfassung im Falle des Rücktritts des jetzigen Präsidenten automatisch Präsident, was Putin die Möglichkeit gäbe, schon bei der Präsidentschaftswahl als Kandidat für die nächste Präsidentschaft anzutreten, was zwar ein Verbiegen der Verfassung wäre, aber vielleicht vom Verfassungsgericht der Russischen Föderation anders bewertet werden könnte.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, es wird Sie wahrscheinlich nicht überraschen, dass der russische Präsident die Gelegenheit der deutsch-russischen Regierungskonsultationen und des Petersburger Dialoges am vorvergangenen Wochenende nicht benutzt hat, um das im Detail vorzutragen, wozu Sie eben berichtet haben; er hat vielmehr genau das Gegenteil gesagt. Er hat gesagt, der Amtswechsel werde nicht nur nach der Verfassung erfolgen, sondern er werde dabei auch den Geist der Verfassung berücksichtigen. Das ist das Einzige, was er uns zu diesem Thema öffentlich gesagt hat. Ich sage Ihnen das gerne, weil ich selber dabei war. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist sehr schön. Also, Sie würden sagen, die Gespräche mit der russischen Seite haben ergeben, dass es eine Zusicherung gibt, dass wir nicht im Frühjahr aufwachen und einen neuen Präsidenten Putin als Präsidenten der Russischen Föderation sehen werden? ({0})

Not found (Gast)

Wir haben überhaupt keine Veranlassung - obwohl wir natürlich viele Gerüchte aus Moskau und Spekulationen darüber, was dort passiert, hören -, an der Zusage von Präsident Putin, die er öffentlich in Wiesbaden gegeben hat, zu zweifeln. Das würde heißen, es geht nicht nur nach dem Buchstaben der Verfassung, sondern auch nach dem Geist der Verfassung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen gibt es dazu nicht. Dann rufe ich die Frage 2 der Kollegin Dağdelen auf: Inwieweit sieht die Bundesregierung die Beziehungen zur Schweiz dadurch beeinträchtigt, dass die Bundesratspartei Schweizerische Volkspartei, SVP, die derzeit mit großer Wahrscheinlichkeit auch nach den Wahlen den Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements stellt, einen Wahlkampf führt, den der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, Doudou Dienne, als „rassistisch und fremdenfeindlich“ ({0}) bezeichnete und dieser Partei „Rassenhass“ ({1}) vorwarf?

Not found (Gast)

Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz sind eng und vertrauensvoll. In der Schweizer Öffentlichkeit findet eine kontroverse Debatte über die Art des Wahlkampfs der Schweizerischen Volkspartei, SVP, statt. Die Bundesregierung verurteilt jede Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Zur zukünftigen Regierungsbildung in der Schweiz nimmt die Bundesregierung im Übrigen keine Stellung. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Staatsminister Erler, es ist schön, zu wissen, dass die Bundesregierung jede Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verurteilt und dass die Beziehungen zur Schweiz so eng und vertrauensvoll sind. Trotzdem interessiert mich, ob die Bundesregierung solch einen Wahlkampf missbilligt. Auch der Sonderberichterstatter der UN hat ihn als „rassistisch und fremdenfeindlich“ bezeichnet und der Partei „Rassenhass“ vorgeworfen. Es gibt viele andere Stimmen in dieselbe Richtung. Ist diese Missbilligung vorhanden, und ist sie trotz der so engen und vertrauensvollen Beziehungen zur Schweiz einmal zum Ausdruck gekommen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich kann nur wiederholen: Wir haben sehr großes Vertrauen in die kritische Aufarbeitung dieses Wahlkampfes in der Schweiz selber. Ich verweise darauf, dass es eine Rückäußerung des Schweizer Bundesrats zur Kritik des Sonderberichterstatters Dienne gegeben hat: Auf der einen Seite gibt es das Gut der freien Meinungsäußerung, das natürlich auch im Wahlkampf zu beachten ist; auf der anderen Seite wird die Schweiz - das wurde ausdrücklich erklärt - keinerlei Form von Rassismus dulden. Ich finde, das ist eine gute Antwort auf die Kritik von Herrn Dienne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Bundesregierung hat in ihren engen und vertrauensvollen diplomatischen Beziehungen zur Schweiz also nicht ihre Missbilligung eines nach Auffassung des UNSonderberichterstatters rassistischen und fremdenfeindlichen Wahlkampfs zum Ausdruck gebracht. Ist das richtig? Darf ich Sie so verstehen?

Not found (Gast)

Nachdem schon die Schweiz selber auf die Kritik von Herrn Dienne in der von mir geschilderten Weise reagiert hat - man hat ausdrücklich festgestellt, dass jede Form von Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass in der Schweiz nicht geduldet wird -, sehen wir keine Veranlassung, so etwas einzufordern. Dem wird ja schon Rechnung getragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen hierzu liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Der Parlamentarische Staatssekretär Altmaier steht zur Beantwortung der Fragen bereit. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Werner Dreibus auf: Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu einem möglichen Verbotsverfahren gegen die NPD ein vor dem Hintergrund, dass die NPD Hessen im hessischen Landtagswahlkampf mit einem von der Schweizerischen Volkspartei, SVP, übernommenen „Schwarze-Schafe“-Plakat wirbt, welches der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, Doudou Dienne, als „rassistisch und fremdenfeindlich“ einstuft ({0})? Herr Altmaier, bitte.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des Kollegen Dreibus wie folgt: Die NPD ist eine antidemokratische, fremdenfeindliche, antisemitische und verfassungsfeindliche Partei. Sie erfüllt damit grundsätzlich die materiellen Voraussetzungen für ein Parteiverbot. Dies ist die übereinstimmende Einschätzung aller Innenminister des Bundes und der Länder. So wurde es auch in einem Beschluss der IMK vom 11. Februar 2005 klar zum Ausdruck gebracht. Von dieser materiellen Einschätzung zu unterscheiden ist aber die Frage nach den formellen Anforderungen an eine erfolgreiche Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens. Ich verweise auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. März 2003, durch den hohe Hürden aufgestellt worden sind. Danach wäre ein erneutes NPD-Verbotsverfahren mit hinreichender Aussicht auf Erfolg nur zu betreiben, wenn zuvor die Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln auf deren Leitungsebenen sowie solcher Personen, die maßgeblichen Einfluss auf Willensbildung, Handeln und/ oder Außendarstellung der Partei haben, eingestellt würde. Die Bundesregierung beabsichtigt gegenwärtig nicht, einen Verbotsantrag zu stellen. Im Übrigen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Diskussion nicht auf die bloße Verbotsfrage reduziert werden darf. Sie muss vielmehr mit allen politischen und sonstigen rechtlichen Mitteln geführt werden. Dabei spielen insbesondere die Zivilgesellschaft und die permanente Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus vor Ort eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund hat der Deutsche Bundestag die Mittel des Bündnisses für Demokratie und Toleranz erheblich ausgeweitet. Ein Verbot der NPD kann immer nur die Ultima Ratio sein. Eine dauerhafte Lösung im Sinne einer Abkehr von rechtsextremistischen Ideologien ist damit nicht zu erzielen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, können Sie verstehen, dass sich beispielsweise die Menschen in Hessen, die diese rassistischen, fremdenfeindlichen Plakate der NPD in diesen Tagen sehen, die Frage stellen, ob die von Ihnen noch einmal angesprochene Abwägung zu einem möglichen Antrag beim Verfassungsgericht auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieser Partei vor dem Hintergrund nachzuvollziehen ist, dass offensichtlich auch ohne nachrichtendienstliche Mittel, nämlich durch Plakate, der Beweis dafür erbracht wird?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, ich glaube, dass es für die Menschen auch schwer nachvollziehbar wäre, wenn ein erneutes NPD-Verbotsverfahren scheitern würde mit dem Ergebnis, dass wir zweimal eine solche Bestätigung aus Karlsruhe hätten, wenngleich auch nur aus formalen Gründen. Das wäre in der öffentlichen Diskussion nur schwer vermittelbar. Insofern sind wir alle gehalten, jeden der Schritte, die wir tun, gründlich abzuwägen. Es ist auch Aufgabe der demokratischen Parteien, die politische Auseinandersetzung vor Ort zu führen. Ich darf darauf hinweisen, dass in dem Bundesland, das Sie genannt haben, in Hessen, die NPD jedenfalls keine Chance hatte, in den parlamentarischen Gremien vertreten zu sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Umso schlimmer ist es, dass die NPD weiterhin unterstützt mit öffentlichen Mitteln zu solchen Wahlkämpfen antreten kann, wie das in Hessen jetzt wieder geschieht. Insofern muss ich schon noch einmal nachfragen, ob solche offensichtlichen Aktivitäten - das ist der eigentliche Anlass für die Frage gewesen - bei der Bundesregierung nicht doch zu einer Veränderung der von Ihnen dargestellten bisherigen Position führen müssten.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, aus meiner Antwort ist deutlich geworden, glaube ich, dass wir die Aktivitäten der NPD sehr genau beobachten und dass wir uns auch immer wieder die Frage stellen, welche Gegenmaßnahmen und Reaktionen angezeigt sind. Im Augenblick gilt allerdings, dass die Bundesregierung ein Verfahren nicht beabsichtigt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Höhn. ({0}) - Dann Kollege Beck, Frau Stokar, Frau Dağdelen, Frau Enkelmann. Habe ich jemanden übersehen? - Kollege Seifert. Es wird alles notiert.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich denke, Herr Staatssekretär, es besteht Einigkeit im Haus darüber, dass die NPD eine verfassungswidrige Partei ist und dass sie aggressiv-kämpferisch vorgeht. Sie meinen, dass deshalb die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot schon gegeben sind. Legt man die Entscheidungen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei und der Kommunistischen Partei Deutschlands zugrunde, ist dies sicherlich richtig. Inwiefern unterscheidet sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Parteienverboten von den damaligen Urteilen und den Kriterien für ein Verbot? Meines Wissens ist es so, dass bei den Verboten der islamistischen Parteien in der Türkei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Hürde für Parteienverbote höher gelegt hat, als das bei der sehr alten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Fall war, nämlich: Die Partei muss auch tatsächlich in der Lage sein, die verfassungsrechtliche Ordnung außer Kraft zu setzen. - Ich glaube, das kann man von der NPD nicht sagen, weil unser Land stabile demokratische Institutionen und eine stark demokratisch eingestellte Bevölkerung hat. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Volker Beck ({0}) Menschenrechte zu diesen Parteienverbotsverfahren für die Frage, ob es tatsächlich materiell-rechtlich als sicher angesehen werden kann, dass ein Verbotsverfahren zum Erfolg führt?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Sie wissen, Herr Kollege Beck, dass die Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs grundsätzlich inter partes wirken. Das heißt, man kann sie nicht ohne Weiteres auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen, zumal nach meiner Einschätzung der Kontext auch nicht ganz vergleichbar ist. Trotzdem gebe ich Ihnen recht, dass wir das von Ihnen zitierte Urteil zum Anlass nehmen müssen, uns über die Erfolgsaussichten - über das rein Formale, Prozedurale hinaus - Gedanken zu machen. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich mit konkreten Schlussfolgerungen aus diesem Urteil zurückhalte, weil die Ausgangslage aus meiner Sicht nicht ganz vergleichbar ist. Aber richtig ist: Auch die Bundesrepublik ist der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten. Wir müssen davon ausgehen, dass selbst im Falle eines erfolgreichen Verbotsverfahrens in Karlsruhe die Unterlegenen den Weg zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gehen würden - mit allen Risiken, die dies beinhaltet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich der Kollegin Stokar das Wort für eine Zusatzfrage erteile, weise ich darauf hin, dass wir in zwei Minuten die für die Fragestunde vereinbarte Zeit verbraucht haben werden. Deswegen wäre ich den angemeldeten Fragestellern aus der Fraktion Die Linke dankbar, wenn sie sich vielleicht untereinander darüber verständigten, wessen Zusatzfrage ich noch aufrufen soll. Ich bitte dazu um einen entsprechenden Hinweis. Bitte schön, Frau Stokar.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie es nachvollziehen, dass es der Öffentlichkeit außerordentlich schwierig zu vermitteln ist, dass der Staat mit Millionenbeträgen die NPD, die ja zu Recht von der Innenministerkonferenz als verfassungswidrig oder verfassungsfeindlich eingestuft wird, finanziert, und können Sie es darüber hinaus nachvollziehen, dass die Praxis der Landesämter für Verfassungsschutz, fast sämtliche Vorstände der NPD auf ihren Gehaltslisten als V-Leute zu führen, auch nicht zu vermitteln ist? Mittlerweile ist die Praxis der Landesämter für Verfassungsschutz und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, über Jahre V-Leute bis in die Spitzen dieser Partei zu führen, zu einem Garanten für die NPD geworden. Ist das wirklich Ziel des Einsatzes von V-Leuten im nachrichtendienstlichen Bereich?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Zu Ihrer ersten Frage, die auf die Wahlkampfkostenerstattung abzielt, kann ich Ihnen nur antworten, dass wir verpflichtet sind, nach Recht und Gesetz vorzugehen, dass ich aber überzeugt bin, dass der Umstand, dass man die NPD politisch bekämpft, und zwar auf allen möglichen Ebenen, insbesondere auch in Wahlkämpfen, in der politischen Diskussion leichter zu vermitteln ist - auch wenn man ihr die Behandlung im Hinblick auf die Kostenerstattung, die andere, demokratische Parteien bekommen, nicht verwehren kann - als ein erneutes Verbotsverfahren, mit dem wir in Karlsruhe oder in Straßburg scheitern würden. Die Antwort auf Ihre zweite Teilfrage haben Sie vermutlich schon erwartet. Ich würde mich gerne mit dieser Frage und den Unterstellungen, die darin enthalten sind, auseinandersetzen, aber Sie wissen, dass es sich hier um Angelegenheiten der Nachrichtendienste handelt und dass die Bundesregierung dazu nur im Parlamentarischen Kontrollgremium Auskunft gibt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die nächste Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, in Mecklenburg-Vorpommern ist die Situation anders, als Sie sie für Hessen beschrieben haben. Hier ist die nach Ihren Worten verfassungsfeindliche Partei NPD im Landtag vertreten, und aufgrund der Erfahrungen mit dieser Partei auch im Landtag haben die demokratischen Parteien SPD, CDU, FDP und Linke gemeinsam den Beschluss gefasst, ein Verbotsverfahren gegen die NPD auf den Weg zu bringen. Wie bewertet die Bundesregierung diesen Beschluss?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Bundesregierung beobachtet nicht nur die NPD und ihre Aktivitäten sehr genau, sondern auch die Diskussion im politisch-parlamentarischen Raum. Ich habe Ihnen allerdings vorhin schon gesagt, dass es zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht der Bundesregierung nicht angezeigt ist, ein solches Verfahren einzuleiten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die für die Fragestunde vereinbarte Zeit ist zu Ende. Die nicht aufgerufenen Fragen werden im üblichen Verfahren schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Haltung der Bundesregierung zu den von den Stromkonzernen angekündigten massiven Strompreiserhöhungen Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Hill für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Bürgerinnen und Bürger ist am Strom- und Gasmarkt offenbar, was falsches Handeln und Untätigkeit der Regierung kosten. Anders gesagt: Die Stromkunden können das Versagen der Großen Koalition mittlerweile am Zähler ablesen. Aber nun zu den Fakten: Erstens: Abschaffung der Aufsicht über die Stromtarife. CDU/CSU und SPD haben einmütig die einzige Kontrollschranke zwischen dem Energiekartell und den Stromkunden ersatzlos gestrichen. Was ist die Folge? Drei Preiserhöhungen in einem Jahr. Im Januar 2008 werden die Stromkosten für private Haushalte um 27 Prozent höher liegen als noch 2004. Die Gaspreise steigen im selben Zeitraum um sage und schreibe 45 Prozent. Was ist im gleichen Zeitraum mit den Reallöhnen passiert? Sie sinken weiter. Anpassungen bei Hartz-IV-Empfängern oder bei den Rentnerinnen und Rentnern? Ebenfalls Fehlanzeige. Das ist völlig inakzeptabel. ({0}) Mit Ihrer unsozialen Energiepolitik schüren Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, auch den sozialen Unfrieden in diesem Land. Zweitens: Einführung der Anreizregulierung für Stromund Gasnetzbetreiber. Schon der Name klingt widersprüchlich. Das ist es auch. Die Regulierung der Netze senkt zwar die Kosten. Aber dies geschieht insbesondere zulasten der kleinen Stadtwerke, und zwar überwiegend durch den Abbau von Personal. Die Energieriesen bleiben weitgehend außen vor. Die Anreizregulierung wird die kleinen Stadtwerke in die Arme von Eon und RWE treiben und verstetigt die Monopolstruktur im Energiesektor. Außerdem kann die Bundesnetzagentur nach Belieben in die Lohnstruktur bei den Stadtwerken eingreifen und per Verordnung die Gehälter kürzen. Das ist ein eklatanter Eingriff in die Tarifautonomie. Das können wir so nicht zulassen. ({1}) Zu erwähnen ist noch, dass der Effekt für private Stromkunden gleich null ist. Die Anreizregulierung wird dem Endverbraucher erst 2013 eine Ersparnis von etwa 50 Euro pro Jahr bringen. Vattenfall hat aber in diesem Sommer den Strom in Berlin um 62 Euro je Haushalt verteuert. Wo das hinführt, kann man sich an fünf Fingern abzählen. Drittens: Verschärfung des Kartellrechts. Wenn die Monopolisten die Preise um 10 Prozent willkürlich anheben können, muss, wie sich aktuell zeigt, die Hälfte der Regionalversorger und Stadtwerke mitziehen, da sie am Tropf der Konzerne hängen. Die vorgeschlagene Kartellrechtsänderung wird deshalb weitgehend wirkungslos bleiben. Denn: Wenn über 300 Energieversorger durch Preisanstiege vom Durchschnitt abweichen, ist das der neue Durchschnitt - in der Regel unter 10 Prozent - und somit maßgebend, und das Kartellamt kann nur noch tatenlos zusehen. RWE und Eon beherrschen nach wie vor rund 60 Prozent des Strom- und des Gasmarktes. Diese Kartellstrukturen wurden maßgeblich von ehemaligen SPDMinistern systematisch aufgebaut. Das ist das Problem. Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, diese Kartellstrukturen zu zerschlagen, bleiben die Ankündigungen der Großen Koalition nur heiße Luft. Die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger mit überhöhten Strom- und Gaspreisen. Die Linke fordert deshalb ganz konkrete Schritte: erstens die Wiedereinführung einer wirksamen Preisaufsicht über die Strom- und Gastarife; ({2}) zweitens verpflichtende Sozialtarife für Privathaushalte mit geringem Einkommen; ({3}) drittens Offenlegung der Stromhandelspreise, um Missbrauch durch die Energieversorger zu unterbinden, und viertens die Überführung der Strom- und Gasnetze in die öffentliche Hand. ({4}) Zum Schluss einer der für uns wichtigsten Punkte: unbürokratische Heizkostenzuschüsse für Haushalte mit geringem Einkommen und zusätzlich die Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf mindestens 435 Euro. Ich bedanke mich. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos. ({0})

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass der Aufschwung weiter anhält. Dazu gehört natürlich auch das Ziel der Bundesregierung, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern von Strom und Gas nicht tiefer in die Tasche gegriffen wird, als es unbedingt sein muss. ({0}) Wir wissen, dass hohe Strompreise einerseits die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und andererseits den Geldbeutel der Endverbraucher stark belasten. Nun haben mehrere große Energiekonzerne angekündigt, dass sie zur Jahreswende Preiserhöhungen von bis zu 10 Prozent vornehmen wollen. Erhöhungen in dieser Größenordnung sind für mich nicht nachvollziehbar. Ich meine, sie sind eine Zumutung für die Verbraucher. ({1}) Die allgemeinen Tarife waren früher genehmigungspflichtig; das ist richtig. Zu diesen allgemeinen Tarifen wird aber nur noch ein sehr geringer Teil des Stromes abgesetzt, weil Strom und inzwischen auch Gas ein Stück weit über im Wettbewerb befindliche Anbieter geliefert werden können. Das geht auf einen Beschluss der früheren Koalition zurück. Unser Ziel ist, dass auf den Märkten ein stärkerer Wettbewerb herrscht. Nun argumentiert die Versorgungsindustrie mit gestiegenen Terminmarktpreisen zum Beispiel an der Leipziger Strombörse. Aber dort werden nur 15 Prozent des Stromes gehandelt. Wir haben leider noch keine funktionierende europäische Strombörse. Leider haben wir auch noch zu wenig Wettbewerb innerhalb Europas. Deswegen möchten wir, dass Leitungstrassen, die Wettbewerb zwischen den Ländern im Strombereich erlauben, häufiger genehmigt werden. Zudem brauchen wir, was die Preise angeht, vor allen Dingen mehr Transparenz. Das andere Argument, das immer wieder gebraucht wird, betrifft die hohen Beschaffungskosten. Wenn wir nachrechnen, ergibt sich allerdings ein sehr differenziertes Bild. Die Beschaffungskosten machen bei dem Preis, den ein normaler Haushalt bzw. der Privatmann zahlt, nur circa 25 bis 30 Prozent des Stromendpreises aus. Um eine Erhöhung des Endpreises um 10 Prozent zu rechtfertigen, hätten also die Beschaffungskosten um 20 bis 25 Prozent steigen müssen. Diese Steigerung sehen wir nicht. Ich bringe ein paar Beispiele: Strom wird in Deutschland in hohem Maß in abgeschriebenen Kernkraftwerken produziert. Strom wird aus der Verarbeitung von preiswerter, in Deutschland befindlicher Braunkohle gewonnen; das ist die andere große Stromquelle. Er wird aus importierter Steinkohle gewonnen - deren Preis ist allerdings etwas angestiegen - und zum Teil aus Gas. Der Gaspreis, der ein Stück weit an den Ölpreis gekoppelt ist, ist in der Tat etwas stärker gestiegen. Ein geringer Teil des Stroms kommt aus erneuerbaren Energien. Bei den erneuerbaren Energien steigen allerdings die Kosten, die über die Umlage erhoben werden, nicht weil die Sätze steigen, sondern deswegen, weil die Mengen steigen. Aber dies ist im Verhältnis zu den Strombeschaffungskosten immer noch ein Betrag, der meiner Ansicht nach zu verkraften wäre. Nun argumentieren auf ganz andere Weise die Oligopole, die wir in Deutschland bei der Stromerzeugung haben. Wir gehen von einem Wert von 80 Prozent aus. Ich habe aber unlängst in einer Fernsehsendung - Frau Höhn, Sie waren auch dabei - mit einem führenden Manager diskutieren dürfen, der von 73 Prozent gesprochen hat. Belassen wir es also bei diesen 73 Prozent. Wir wollen - das ist das Ziel der Bundesregierung -, dass es mehr Wettbewerb gibt, dass mehr Strom in das Stromnetz eingespeist wird und sich über diesen Wettbewerb ein günstigerer Preis entwickelt. ({2}) Dazu haben wir - ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die daran mitgewirkt haben - die Netzzugangsverordnung verbessert. Dadurch hat derjenige, der neu Strom anbietet, bevorrechtigt Zugang zum Netz, auch vor denjenigen Anbietern, denen das Netz zum großen Teil gehört. Wir haben durch eine Regulierung der Stromnetze und eine Überprüfung der Kosten zu einer Netzkostensenkung um bis zu 20 Prozent beigetragen; ansonsten wäre der Strombezug für die Privatkunden noch teurer. Wir haben eine Netzanreizregulierung in Kraft gesetzt, die sich künftig an den technisch am besten betriebenen Netzen orientiert und mit der Druck auf die Durchleitungskosten ausgeübt werden soll. Wir brauchen vor allen Dingen neue Kraftwerke und neue Anbieter auf dem Strommarkt. Auch das haben wir, wie gesagt, geregelt. Wir wissen natürlich, dass wir ein Instrument brauchen, um den Stromkonzernen auf die Finger schauen zu können, solange es keinen echten Wettbewerb gibt. Deswegen haben wir eine Novelle zum Kartellgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht. Diese Novelle steht zur Verabschiedung an. Ich kann nur an alle appellieren, diese Novelle möglichst rasch zu verabschieden. Meines Wissens soll noch eine Anhörung stattfinden und das Gesetz spätestens zum 1. Januar in Kraft treten. Wir haben das Gesetz - was ich gut finde - befristet. Ich hoffe, dass dieses Gesetz durch den Wettbewerb in Europa überflüssig wird. Wenn dieses Gesetz im Jahr 2011, also in der nächsten Legislaturperiode, nicht verlängert wird, läuft die Regelung automatisch aus. Das Wehklagen der großen Stromkonzerne kann ich nicht verstehen. Ich finde, dieses befristete Gesetz kann ihnen in Sachen Glaubwürdigkeit sogar helfen. Die Konzerne könnten beweisen, dass die überdurchschnittlichen Preissteigerungen nicht auf mangelnden Wettbewerb, sondern auf echte Mehrkosten zurückzuführen sind. Das Kartellamt kann die Beweislastumkehr verlangen. Das heißt, solange es keinen echten Wettbewerb gibt, müsste nicht das Kartellamt beweisen, dass die Strompreiserhöhung nicht gerechtfertigt ist, sondern die Konzerne müssten beweisen, dass die Erhöhung gerechtfertigt ist. Das Kartellamt könnte außerdem künftig schneller eingreifen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Gegner der freien Marktwirtschaft wäre, was mir unterstellt wird. Im Gegenteil: Die freie, die soziale Marktwirtschaft ist nur dann glaubwürdig, wenn sie dafür sorgt, dass es nicht zu Monopolgewinnen kommt, die nicht sein müssen. ({3}) Eine letzte Bemerkung. Es wird gefordert, die Konzerne zu zerschlagen, ihnen die Netze wegzunehmen usw. Das ist billig. Damit ist niemandem gedient. Wir brauchen nach wie vor ein sehr leistungsfähiges Leitungsnetz. Das gilt insbesondere, wenn wir mehr Windstrom, mehr Strom aus erneuerbaren Energien einspeisen wollen. Dafür sind gewaltige Investitionen in das Netz erforderlich. Das könnte die öffentliche Hand nicht schaffen. Deswegen ist der Weg, den die Bundesregierung beschritten hat, der richtige Weg. Wir müssen ihn nur konsequent weitergehen. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gudrun Kopp ist die nächste Rednerin für die Fraktion der FDP.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Ich möchte dieser scheinheiligen Debatte zunächst einmal ein Ende setzen. ({0}) All denjenigen, die uns zuhören, egal ob hier im Saal oder außerhalb, möchte ich sagen: Bei allem Wehklagen über die zweifellos sehr hohen Energiepreise bleibt festzuhalten, dass der Staat der größte Preistreiber ist. ({1}) Sehr geehrter Herr Minister Glos, Sie haben es fertiggebracht, die Probleme im Strombereich aufzuzeigen, ohne die Verantwortung des Staates in irgendeiner Weise zu erwähnen. Ich rufe in Erinnerung, wie sich der Strompreis zusammensetzt: 40, 30, 30. 40 Prozent des Strompreises - es sind exakt 41 Prozent - sind auf Steuern und Abgaben auf Energie zurückzuführen. Von 1998 bis heute ist der Staatsanteil - ich drücke es in Prozenten aus - von 25 Prozent auf 41 Prozent gestiegen. In absoluten Zahlen heißt das: von rund 2 Milliarden Euro auf 13 Milliarden Euro. Das ist eine Zahl, die man unbedingt nennen muss. Nur in Dänemark ist der Staatsanteil noch höher. Häufig wird Großbritannien angeführt, wo es einen recht gut funktionierenden Wettbewerb gibt. Der Staatsanteil liegt in Großbritannien bei gerade einmal 9 Prozent, während er bei uns bei 41 Prozent liegt. Diese circa 40 Prozent staatlichen Lasten müssen berücksichtigt werden. Hinzu kommen die Mehrkosten, die sich aus der Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien ergeben. Diese Kosten haben sich von 2006 auf 2007 um 1 Milliarde Euro auf jetzt 4,2 Milliarden Euro erhöht. Auch diese Zahl muss man nennen. Die 40 Prozent habe ich genannt. 30 Prozent betreffen Netzentgelte. Die Netze werden jetzt reguliert. Eine starke Anreizregulierung ist in dem Bereich dringend notwendig. Das ist in Ordnung. Dazu haben wir Ja gesagt. Es hat im Strom- und im Gasbereich bislang eine Senkung der Netzkosten um 2,8 Milliarden Euro gegeben. Das ist sehr gut. Die letzten 30 Prozent betreffen das - darüber hat Herr Minister Glos hier gesprochen -, was bei der Preisgestaltung von der Energiewirtschaft aufgeschlagen wird. Es ist tatsächlich so, dass wir am deutschen Markt immer noch ein Wettbewerbsproblem haben. Trotz der Steigerung durch die EEG-Umlage und des Anstiegs bei den Beschaffungskosten von Öl und Gas ist das, was einige Energieversorger jetzt fordern, für uns, für die FDPBundestagsfraktion, nicht nachvollziehbar. ({2}) Da muss man hinschauen. Das Bundeskartellamt macht das jetzt und prüft. Das ist sehr richtig. Ich kann nur sagen: Es ist darauf zu achten, dass die Staatsanteile, die ich eben nannte, zu senken sind. Denken Sie zum Beispiel daran, dass die Erlöse aus der Versteigerung der CO2-Zertifikate - diese Erlöse wird es ja demnächst geben; hier sind Einnahmen in Höhe von 400 Millionen Euro vorgesehen - eigentlich den Verbrauchern, den Endkunden, die die hohen Kosten zu tragen haben, zurückzugeben sind, indem die Stromsteuer gesenkt wird. Das wäre ein Anfang, um den hohen Staatsanteil zu senken. Das fordern wir ausdrücklich. ({3}) Des Weiteren fordern wir eine konsequente Regulierung. Man kann den Verbrauchern und Verbraucherinnen nur sagen: Wir brauchen mehr neue Wettbewerber. Wir fordern die Kunden angesichts der hohen Preisen ganz massiv zum Wechsel ihres Stromanbieters auf. Die Quote liegt im Moment bei rund 10 Prozent; da ist sehr viel mehr möglich. Ich kann nur ermuntern, diesen Weg weiterzugehen. Es ist geradezu unverantwortlich - Herr Minister Glos, das sage ich an Ihre Adresse und an die Adresse der Kanzlerin -, in Meseberg ein Klimapaket zu verabschieden, aber die Kosten-Nutzen-Analyse nachreichen zu wollen. Sie kennen noch nicht einmal die Auswirkungen dessen, was Sie beschlossen haben. Das ist allenfalls eine sehr oberflächliche Wohlfühlpolitik, aber hat mit einer konsequenten Energiepolitik gar nichts zu tun. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist völlig intransparent. Klimapolitik muss so kostengünstig wie möglich betrieben werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie dürfen nicht auf Kosten der Verbraucher ins Blaue agieren. Deshalb fordern wir Sie auf: Rufen Sie nicht „Haltet den Dieb!“ in Richtung Energiewirtschaft, sondern schauen Sie auf sich selbst! Senken Sie die Kosten und lassen Sie uns gemeinsam für mehr Wettbewerb und hoffentlich niedrige Energiepreise sorgen! Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gudrun Kopp, ich habe schon oft gehört, dass der Staat der Preistreiber Nummer eins bei den Energiekosten sei. ({0}) Ich denke, es ist wirklich Zeit, mit dieser Mär ein Stück weit aufzuräumen. Wir reden über einen Staatsanteil an den Stromkosten von 40 Prozent, meinetwegen: 41 Prozent. Wenn wir uns das im Einzelnen anschauen, dann werden wir sehr schnell feststellen, dass wir bestenfalls über Teilbereiche davon diskutieren können. 14 Prozent Mehrwertsteuer. Das sind weniger als die 19 Prozent, die auf viele andere Produkte genommen werden. 9 Prozent Konzessionsabgabe. Da wird eine Leistung bezahlt, die von den Kommunen erbracht wird. Auch darüber kann man nicht wirklich diskutieren. Dann gibt es in der Tat eine Stromsteuer in Höhe von 11 Prozent. Ich rufe hier aber erstens in Erinnerung, dass wir mit dem Aufkommen aus der Stromsteuer diejenigen haben entlasten können, die Beiträge in das Rentensystem zahlen. Wenn Sie also Vorschläge machen, die die Stromsteuer betreffen, dann müssen Sie auch sagen, wie Sie das finanzieren wollen; denn Sie nehmen das Geld an anderer Stelle weg. ({1}) Zweitens ist es unbestritten - dies bestätigen viele Fachleute -, dass die Stromsteuer auch eine Lenkungswirkung entfaltet hat. Wenn es heute Minderverbräuche und ein Stück weit Bewusstsein gibt, dann hat dies genau damit zu tun. Bleiben also noch 2 Prozent, die wir ausgeben, um die umweltfreundliche Kraft-Wärme-Kopplung zu fördern, und 4 Prozent für die erneuerbaren Energien. Wer das in Abrede stellen will, während wir in der Öffentlichkeit ständig die Wichtigkeit erneuerbarer Energien propagieren, der macht sich erst recht unglaubwürdig. ({2}) Stehen wir also zu diesen 40 Prozent und sagen, dass sie notwendig sind und dass sich Strom in keiner Weise negativ von anderen Produkten und Waren unterscheidet. So negativ müssen wir auch gar nicht in die Zukunft schauen. Natürlich haben Sie recht: In der Vergangenheit haben nur etwa 10 Prozent der Verbraucher ihren Stromanbieter gewechselt. Die jüngste Emnid-Umfrage macht aber deutlich, dass die Wechselbereitschaft mittlerweile bei etwa 40 Prozent angelangt ist und in den letzten Monaten in dieses Thema ganz erheblich Tempo hineingekommen ist. Das ist auch kein Zufall. Dass wir das vor zwei, drei Jahren so noch nicht erleben konnten, hat auch etwas damit zu tun gehabt, dass wir zu jenem Zeitpunkt die politischen Rahmenbedingungen noch nicht gesetzt hatten. Zwischenzeitlich haben wir ein Energiewirtschaftsgesetz entwickelt und eine Bundesnetzagentur aufgebaut. Letztere hat für diskriminierungsfreien Netzzugang sowie dafür gesorgt, dass das Netz keine Barriere für Wettbewerb mehr ist. Wir brauchen dazu auch keine eigentumsrechtliche Entflechtung. Nach Aussagen der Netzagentur selbst ist sie in der Lage, einen diskriminierungsfreien Netzzugang sicherzustellen. Dies führt dazu, dass es mittlerweile echten Anbieterwechsel gibt. Viele Barrieren, die zu Beginn noch bestanden, sind mittlerweile abgebaut worden. Von den Kunden wird heute nicht mehr verlangt, dass sie neue Zähler einbauen, Wechselgebühren zahlen und vieles anderes mehr. Der Wechsel ist eine ganz einfache Angelegenheit geworden. Hier hat Politik in durchaus positiver Weise positive Rahmenbedingungen entwickelt. Natürlich können dabei viele mithelfen, beispielsweise die Medien, die dies teilweise schon tun. Sie können auf die Wechselmöglichkeiten hinweisen und auch einmal Tarifvergleiche öffentlich machen. Die Verbraucherberatungsstellen sind in diesem Bereich ebenfalls sehr aktiv. Jeder, der seinen Stromanbieter wechselt, hilft dadurch, den bisherigen Anbieter unter Druck zu setzen. Wir bemerken, dass es zunehmend auch von etablierten Anbietern neue Angebote gibt. Dies alles ist kein Allheilmittel; aber es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Vieles andere war zu tun und ist teilweise auch getan worden. Der Minister hat bereits die Kraftwerksanschlussverordnung erwähnt, die dazu dienen soll, dass neue Kraftwerke und neue Anbieter auf dem Erzeugermarkt erscheinen. Wenn uns dies gelingen sollte - vieles spricht dafür -, dann wäre dies ein Weg hin zu mehr Wettbewerb und damit auch zur Ausschöpfung von Preissenkungsspielräumen, die trotz steigender Primärenergiekosten vorhanden sind. Andere Dinge haben wir implementiert, etwa ein Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, damit wir auch zu mehr und schnellerem Netzausbau kommen. Hier werden wir noch nachlegen müssen; es funktioniert noch nicht ganz so, wie wir es uns vorstellen. Der Minister hat schon die GWB-Novelle erwähnt, die wir jetzt angehen werden. Ich verspreche dem Minister nochmals, dass wir es schneller als das Ministerium schaffen werden. Es hat anderthalb Jahre gebraucht; wir werden es vor Weihnachten hinbekommen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Höhn ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für immer mehr Menschen werden in diesem Land die steigenden Strompreise zu einem ernsten sozialen Problem. Frau Kopp, Herr Hempelmann hat sehr genau einiges zu den Steuern und Abgaben des Staates gesagt. ({0}) Ich möchte noch etwas zu den Gewinnen der Energiekonzerne sagen, unter denen nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch große Teile der Wirtschaft leiden, nämlich jene Teile, die selbst keine Energie erzeugen. Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass die Gewinne der Energiekonzerne exorbitant gestiegen sind. Im Jahr 2006 verbuchten die vier Großen in der Energiebranche allesamt Rekordgewinne. RWE Power zum Beispiel verzeichnete eine Kapitalrendite von unglaublichen 40 Prozent. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen, meine Damen und Herren: 40 Prozent Kapitalrendite. Wenn Sie sich den Gewinn vor Steuern von Eon ansehen, stellen Sie fest: Im Jahr 2002 betrug er 4,2 Milliarden Euro, im Jahr 2006 lag er schon bei 8,1 Milliarden Euro. Es kam also zu einer Gewinnsteigerung von durchschnittlich 1 Milliarde Euro pro Jahr. Es darf nicht sein, dass die großen Energiekonzerne in diesem Land immer höhere Gewinne machen und dass die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Wirtschaft immer höhere Energiepreise zahlen müssen. ({1}) Die Begründungen der Konzerne für die Preiserhöhungen wechseln. Ob die Brennstoffpreise steigen oder sinken und ob CO2-Zertifikate billiger oder teurer werden, auf eines können wir uns verlassen: Die Richtung, die die Strompreise einschlagen, ist immer die gleiche; die Preise steigen. Auch das darf nicht sein. Das ist Folge des fehlenden Wettbewerbs auf dem Strommarkt. Die Energiekonzerne können momentan schalten und walten, wie sie wollen. Das muss ein Ende haben. Wir brauchen faire Preise in Deutschland; wir wollen faire Preise zahlen. ({2}) Ich spreche von fairen Preisen. Das bedeutet nicht unbedingt: billigen Strom. Auch das muss man klar sagen. Die Strompreise müssen die wahren Kosten der Stromerzeugung, aber auch die wahren Kosten für Umwelt und Klima zum Ausdruck bringen. Der Strom aus erneuerbaren Energien wird immer günstiger. Dagegen sind angesichts der knapper werdenden fossilen Rohstoffe bei Energie aus Öl, Gas und Kohle deutliche Preissteigerungen vorprogrammiert. Umso wichtiger ist, dass wir verstärkt auf erneuerbare Energien setzen; denn sie sind die Zukunft der Stromerzeugung. ({3}) Der Strom wird nicht billig. Er darf aber auch nicht überteuert sein. Andersherum ausgedrückt: Wir dürfen nicht zulassen, dass die Energiekonzerne die Strompreise beliebig erhöhen. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung vorschlägt, um den Kampf gegen überhöhte Strompreise aufzunehmen, sind allerdings völlig unzureichend. Im Rahmen der GWB-Novelle will sie die Vorschriften zur Bekämpfung von Preismissbrauch verschärfen. Die Strukturen, die dem Preismissbrauch Tür und Tor öffnen, lassen Sie aber intakt. Statt die Krankheit, den fehlenden Wettbewerb, zu kurieren, doktern Sie an den Symptomen herum. Das wird nicht funktionieren; damit können Sie Eon, RWE & Co. nicht beikommen. Es kommt noch schlimmer. Nicht nur, dass Sie die Krankheit nicht kurieren; Sie fallen dem behandelnden Arzt auch noch in den Arm. Wer ist der behandelnde Arzt? Die EU-Kommission. Sie hat sich das eindeutige Ziel gesetzt, für mehr Wettbewerb zu sorgen. Sie hat auch das Mittel genannt, mit dem sie dieses Ziel erreichen will: die Entflechtung von Netz und Produktion. Herr Glos, ich muss Ihnen sagen: Es kann nicht sein, dass Sie diesen guten Vorschlag der EU-Kommission zunächst verwässern und dann den schlechten Kompromiss kritisieren und Ihren Widerstand ankündigen. Unterstützen Sie die EU-Kommission, statt ihr in den Arm zu fallen! ({4}) Das Ergebnis dieser Politik hat die Financial Times Deutschland mit der Überschrift „EU knickt vor Stromlobby ein“ beschrieben. Das hat die Bundesregierung mit ihrer Politik erreicht. Interessant finde ich eine Aussage von Außenminister Steinmeier, der auf der gestrigen Abendveranstaltung von EnBW einmal ganz undiplomatisch die Wahrheit gesagt hat. Ich zitiere die dpa; dort heißt es: Steinmeier kritisierte die Haltung der Energiekonzerne nach der Ankündigung von Strompreiserhöhungen durch Eon und RWE-Töchter. Dies erschwere die gemeinsamen Bemühungen bei der EU-Kommission, eine mögliche Entflechtung der Energiekonzerne zu verhindern. Das ist eine bemerkenswerte Aussage. Hier hat der Außenminister ganz offen ausgesprochen, dass die Bemühungen der EU zur Schaffung von mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt verhindert werden sollen, und zwar gemeinsam mit den Energiekonzernen. Das, meine Damen und Herren, ist die falsche Politik. ({5}) Herr Minister Glos, meine Damen und Herren der Koalition, das ist keine Politik zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher, das ist keine Politik zur Schaffung von mehr Wettbewerb. Das ist eine Politik, mit der Sie sich zum Schutzpatron der Stromkonzerne und ihrer Monopolgewinne machen. Deshalb sollten Sie diese Politik beenden. Wir sollten insbesondere im Sinne der Verbraucher und im Sinne des größten Teils der Wirtschaft in diesem Land deutlich machen: Wir brauchen mehr Wettbewerb, und wir brauchen faire Preise. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie der Entflechtung von Produktion und Netz zu! Denn dadurch wird der Wettbewerb auf dem Energiemarkt garantiert. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile jetzt dem Kollegen Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Höhn, zur Verschärfung der Missbrauchsaufsicht gibt es kurzfristig keine Alternative. Was uns die großen Energieversorger Eon und RWE in den vergangenen Wochen an Ankündigungen geliefert haben, ist die direkte Aufforderung an uns Parlamentarier, die Missbrauchsaufsicht zu verschärfen. Das größte deutsche Unternehmen, Eon, kündigt eine dramatische Preiserhöhung um 10 Prozent an. Die kurze Begründung war: Die Beschaffungskosten und die Kosten durch die erneuerbaren Energien sind erheblich gestiegen. Wir haben das nachgeprüft: Die Beschaffungskosten und die Kosten durch die erneuerbaren Energien sind in diesem Zeitraum nur unwesentlich gestiegen. Zudem sind die Konzessionsabgaben nicht gestiegen, und auch die Stromsteuer ist nicht gestiegen. Ganz im Gegenteil: Die Netzentgelte sind in diesem Zeitraum sogar gesunken. Kurzum - ich glaube, da herrscht Übereinstimmung -: Eine Preiserhöhung um 10 Prozent ist sachlich in keiner Weise nachzuvollziehen. ({0}) Auf die wiederholte Nachfrage, wie diese Preiserhöhung denn im Detail zu rechtfertigen sei, antwortet Eon: Es handelt sich um Geschäftsgeheimnisse, und die gehen niemanden etwas an. - Die einzige Erklärung, die uns bleibt, ist: Eon missbraucht seine Marktmacht, um überhöhte Preise durchzusetzen. Die Zeche zahlen die Verbraucher. Das ist vollkommen inakzeptabel. Eine zeitlich befristete Verschärfung der Missbrauchsaufsicht ist zwingend notwendig. Die beiden wesentlichen Änderungen, die wir im November im Parlament beschließen wollen, sind die Beweislastumkehr und der Sofortvollzug. Ab dem 1. Januar 2008 muss Eon dem Kartellamt detailliert begründen, wie eine Preiserhöhung zu rechtfertigen ist. Wenn Eon das nicht kann, wird - das ist die zweite zentrale Neuerung - eine sofortige Preissenkung angeordnet. Die Missbrauchsaufsicht wird ein scharfes Schwert. Es wird nicht nur geredet, es wird gehandelt; das erwarten die Verbraucher zu Recht von uns. Einige wenige Anmerkungen zu den Vorstellungen der anderen Fraktionen: Ich kann die bisherige Ablehnung der Verschärfung der Missbrauchsaufsicht durch die FDP nicht nachvollziehen. ({1}) Die Missbrauchsaufsicht ist eine zentrale Aufgabe der Kartellbehörden; dies war in der Vergangenheit stets auch die Position der FDP. Der richtige Weg war nie ein Entweder-oder - entweder Wettbewerb oder Missbrauchsaufsicht -, sondern stets ein Sowohl-als-auch: kurzfristig die Missbrauchsaufsicht stärken, aber mittelfristig vor allem für funktionierenden Wettbewerb sorgen. Die FDP weicht hier mit ihrer ablehnenden Haltung von ihrer historischen Grundlinie ab. Ich glaube, das ist ein Fehler. Ich glaube zudem, dass die starke Konzentration der Grünen und der Linken auf die eigentumsrechtliche Entflechtung viel zu kurz gesprungen ist. ({2}) Man kann die eigentumsrechtliche Entflechtung unterschiedlich bewerten; aber eines ist wohl unstrittig: Kurzfristig bringt eine eigentumsrechtliche Entflechtung keine Lösung. Sie müssen den Verbrauchern schon erklären, was für eine Lösung Sie für 2008, 2009, 2010, 2011, 2012 zu bieten haben; denn früher wird eine eigentumsrechtliche Entflechtung, so sie überhaupt kommt, nicht vollzogen werden, geschweige denn wirksam sein. ({3}) In der Zukunft zu schwelgen, ohne konkrete Lösungen für die Gegenwart vorzulegen, ist zu wenig. ({4}) Seit einigen Tagen gibt es den Vorschlag vonseiten der SPD-Fraktion, statt einer sofortigen Preissenkung das strittige Geld auf ein Treuhandkonto einzuzahlen. Ich glaube, dass das der falsche Weg wäre; da wir dadurch den Sofortvollzug verwässern würden. Es würde vor Gericht jahrelang um das Geld auf diesem Treuhandkonto gestritten werden. Selbst wenn das Kartellamt letztendlich gewinnen würde, ist kein Verfahren vorstellbar, wie man das Geld den Verbrauchern erstatten könnte. Zuletzt bliebe alles beim Alten: Die Novelle würde verpuffen, und die Verbraucher würden keine Verbesserung erleben. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Deswegen plädiere ich inständig dafür, dass wir den Sofortvollzug in der vorliegenden, vom Kabinett beschlossenen scharfen Form im Parlament verabschieden. Von der heutigen Debatte sollten klare Botschaften ausgehen, die Botschaft, dass die parlamentarische Mehrheit ganz klar hinter der Verschärfung der Missbrauchsaufsicht steht, die Botschaft, dass ab dem 1. Januar 2008 gegen Machtmissbrauch und überhöhte Preise scharf und wirkungsvoll ermittelt wird, die Botschaft an das Kartellamt, dass bereits heute die Vorbereitungen für die Verfahren getroffen werden, damit im Januar 2008 auch vollzogen werden kann, und nicht zuletzt die Botschaft an die Verbraucher, dass die deutsche Politik nicht vor Machtstrukturen einknickt, sondern die Kraft hat, zum Wohle der Verbraucher wirkungsvoll gegen überhöhte Preise vorzugehen. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort „Machtstrukturen“ ist hier oft gefallen, und die Machtstrukturen sind natürlich der Kern des Problems. Es war richtig, dass Sie die Machtstrukturen angesprochen haben, aber wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik die jetzt vorhandenen Machstrukturen geschaffen hat. ({0}) Mit anderen Worten: Im Grunde haben Sie hier gesagt, dass wir zeigen wollen, dass wir nicht vor den Machtstrukturen einknicken, die wir selbst geschaffen haben. ({1}) Sinnvoll wäre es, aus dieser Analyse die Konsequenz zu ziehen, einmal darüber nachzudenken, ob wir an den Machtstrukturen, die wir selbst geschaffen haben, nicht irgendetwas ändern müssen. Darüber möchte ich jetzt reden. ({2}) Zunächst einmal muss auf die langjährige Entwicklung hingewiesen werden, in der der Wettbewerb im Strommarkt immer weiter ausgeschaltet worden ist. Es hat überhaupt keinen Sinn, darüber zu reden, dass man hier Wettbewerb will, wenn die Strukturen dafür überhaupt nicht gegeben sind. Insofern kann ich der Kollegin Höhn nur zustimmen. Wir brauchen Strukturen, durch die Wettbewerb tatsächlich ermöglicht wird. Bei den gegenwärtigen Strukturen in Deutschland werden Sie keinen Wettbewerb organisieren können. Herr Minister Glos, die Wirkung Ihrer Novellierung des Kartellrechts ist ja von meinem Kollegen Hill infrage gestellt worden, indem er Sie gefragt hat, was Sie tun, wenn sich die Durchschnittspreise, auf die man Bezug nimmt, bei den jetzigen Strukturen erhöhen. Darauf haben Sie keine Antwort gegeben. Deshalb möchte ich hier für meine Fraktion feststellen, dass die Absicht zwar löblich ist, dass es aber nicht funktionieren wird. Ohne eine Veränderung der Strukturen bei den Erzeugern und beim Netz werden Sie nichts bewirken und niemals Wettbewerb in Deutschland organisieren können. ({3}) Meine Fraktion vertritt die Auffassung, dass wir alles tun müssen, um die Strom- und die Energieversorgung zu rekommunalisieren, ({4}) weil die damalige Struktur die Grundlage für vernünftigen Wettbewerb war. Das möchte ich einmal am Beispiel einer Stadt darstellen, in der ich jahrelang Oberbürgermeister war. Dort gab es drei Erzeugungsanlagen, die nichts mit Eon, RWE oder einem sonstigen Großanbieter zu tun hatten; sie befanden sich im Besitz der Stadt. Es handelte sich um ein Kohlekraftwerk, das abgeschrieben und insoweit aus Sicht der Stadtwerke eine Gelddruckmaschine war. Daneben gab es eine Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage, die notwendig war, um Energieversorgung einigermaßen ökologisch gerecht zu ermöglichen. Um Spitzen abzufangen, gab es dann noch eine Gasturbine, die in einem dicht besiedelten Wohngebiet stand. So sah die damalige Struktur aus. Nur aufgrund dieser Struktur konnten wir preisgünstig Strom anbieten. Wir waren nicht auf irgendwelche Oligopole angewiesen, die die Preise gewissermaßen diktieren. Deswegen sage ich noch einmal: Rekommunalisierung der Energieversorgung ist der beste Weg, um ökologisch und verbrauchergerecht eine Neuorganisation der Energieversorgung zu erreichen. ({5}) Außerdem, Herr Kollege, versuchen Sie jetzt im Nachhinein, etwas auf den Weg zu bringen, was Sie abgeschafft haben; denn letztendlich wollen Sie eine Art Preiskontrolle durch das Kartellamt installieren. Das Kartellamt soll prüfen, ob die Preiserhöhungen richtig sind. Wenn sie es nicht sind, dann soll es eingreifen und die Preise festsetzen. So habe ich Sie hier verstanden; das haben Sie hier vorgetragen. In dieser Situation müssen Sie den Zuhörerinnen und Zuhörern aber doch einmal erklären, warum Sie die Preiskontrolle mit vereinten Kräften abgeschafft haben. Das ist doch unsinnig. ({6}) Die Preiskontrolle hat über viele Jahre funktioniert. Ich war auf verschiedenen Ebenen selbst daran beteiligt. Es gab auch Missbrauch - ich will das hier nicht alles darlegen; es wird auch in Zukunft Missbrauch geben -, aber die Preiskontrolle hat funktioniert. Deswegen sage ich hier für die Fraktion Die Linke: Es ist auf regionaler und gesamtstaatlicher Ebene notwendig, Preiskontrollen wieder einzuführen. Die Abschaffung war ein Fehler. Wir sollten diesen Fehler korrigieren. ({7}) Wenn man Wettbewerb organisieren will, dann darf man sich nicht allein auf die Erzeugerseite beschränken - das ist aber ein sehr wichtiger Gesichtspunkt, wie ich anhand der kommunalen Energieversorgung darzustellen versucht habe -, sondern man muss beim Netz beginnen. Wenn man das Netz monopolisiert, dann wird man ähnliche Erfahrungen machen wie jetzt auf der Erzeugerseite. Deshalb ist der Vorschlag, die Netze mehr oder weniger zu regulieren, mit größtem Vorbehalt zu betrachten. Es wäre sinnvoll, bei dem anzusetzen, was die EU-Kommission vorgeschlagen hat, und zunächst einmal auf eine unabhängige Besitzstruktur beim Netz hinzuwirken. Wir sind der Auffassung, dass die Netze in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung sein müssen. ({8}) Das ist der richtige Weg. Darüber, wie die Eigentümerstruktur beschaffen sein muss, kann man dann reden. Wenn Liberale skeptisch sind, dann empfehle ich, nachzulesen, was John Stuart Mill einst über die Frage von Wettbewerb und leitungsgebundenen Strukturen geschrieben hat. Er hat darauf hingewiesen, dass bei leitungsgebundenen Wirtschaftsstrukturen Wettbewerb im klassischen Sinne nicht möglich ist und dass es eine Instanz geben muss, die den Wettbewerb durchsetzt und funktionsfähig hält. In diesem Zusammenhang stelle ich fest: Sie haben die Machtstrukturen geschaffen, die zu den gewaltigen Preisschüben geführt haben, die derzeit im Energiesektor festzustellen sind. Die Leidtragenden sind insbesondere Arbeitnehmer, Rentner und Empfänger sozialer Leistungen, die niedrige Einkommen haben. Es wäre dringend geboten, nicht wie seit Jahren über die Preisschübe zu reden, sondern endlich die Strukturen im Energieversorgungssektor durchgreifend zu ändern. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lafontaine, wir sind angetreten, um die Zukunft zu bewältigen. Das schaffen wir nicht, wenn wir zu John Stuart Mill in die Vergangenheit zurückblicken. ({0}) - Das haben wir gemerkt. Die Nostalgie hat Ihre Rede von vorne bis hinten durchzogen. Die sicheren 70erJahre haben wieder fröhliche Urständ gefeiert. ({1}) Wenn Umfragen ergeben, dass Finanzämter inzwischen beliebter sind als Stromkonzerne, dann zeigt das deutlich, wie ernst die Lage ist. ({2}) Die Strompreise haben sich in den vergangenen Jahren, seit der Liberalisierung zum Teil drastisch erhöht. Dies ist eine Zumutung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich zu Recht gegen die Abzocke wehren. Das ist hier deutlich geworden. Wichtigste Preistreiber sind einem Gutachten der TU Dresden zufolge in der Tat die vier großen Energiekonzerne, die ihre Marktmacht nutzen und für überhöhte Großhandelspreise an der Leipziger Strombörse sorgen. Beispielsweise haben sich zwischen 2005 und Juni 2006 die Preise rechnerisch zwischen 20 und 30 Prozent über dem Niveau bewegt, das bei besserem Wettbewerb herrschen würde. Wir brauchen mehr Transparenz bei der Preisbildung an der Strombörse. Es wurde bereits erwähnt, dass nur ein geringer Teil des Stroms dort gehandelt wird. Trotzdem bestimmt dieser Preis weitgehend das Preisniveau insgesamt. Mein Eindruck ist, dass in Leipzig sozusagen ein schwarzes Loch der Preisbildung entstanden ist. Wir brauchen Wettbewerb und eine gute Regulierung. Wettbewerb ist zwar der Schlüssel für marktgerechte Preise, aber nicht unbedingt auch für niedrigere Preise. Frau Höhn hat dankenswerterweise darauf hingewiesen. Ich hüte mich davor, den Verbraucherinnen und Verbrauchern weismachen zu wollen, dass mit jedem neuen Anbieter automatisch die Preise sinken. Einen Preisverfall, wie wir ihn etwa im Telekommunikationssektor erlebt haben, wird es im Energiebereich nicht geben; dort gibt es ganz andere Rahmenbedingungen. Für einen funktionierenden Wettbewerb tragen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher Mitverantwortung. Ich habe insbesondere bei den Beiträgen von den Vertretern der Linken ein merkwürdiges Verbraucherbild erlebt. Sie nehmen die Verbraucherinnen und Verbraucher als Akteure im Wirtschaftsgeschehen nicht ernst. ({3}) Der Anbieterwechsel wurde vom Gesetzgeber so stark vereinfacht, dass diese Möglichkeit von jedermann völlig unbürokratisch genutzt werden kann. In diesem Bereich liegen erhebliche Einsparpotenziale; Herr Kollege Hempelmann hat darauf hingewiesen. Die Verbraucherzentralen helfen vor Ort. Der Anbieterwechsel ist eine wirksame Maßnahme gegen überhöhte Energiepreise. Wer die vorhandenen Möglichkeiten nutzt, um Preise zu vergleichen - ganz wichtig -, sollte allerdings nicht auf unseriöse „Billigheimer“ hereinfallen. Keinesfalls sollte man Vorkasseangebote akzeptieren. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten mit ihrer Anbieterwahl den Wettbewerb und die Anbietervielfalt stärken, auch zum Beispiel Stadtwerke unterstützen, lieber Herr Kollege Hill, die für ihre Kommunen häufig wichtige zusätzliche Dienstleistungen erbringen, so etwa im Nahverkehr. ({4}) - Nein, es gibt sie ja, ({5}) und sie machen das wirklich gut. Ich glaube, darauf sollte man auch einmal hinweisen. Natürlich geht es auch darum - das muss man deutlich sagen -, Einsparpotenziale beim Energieverbrauch im Haushalt zu nutzen. Stand-by-Geräte zum Beispiel sollten abgestellt werden, und bei Neuanschaffungen sollte auf die Energieeffizienz geachtet werden. Hier gibt es ein sehr großes Aufgabenfeld der EU. All das sind wichtige Punkte. Wenn mehr Wettbewerb der Schlüssel ist, dann ist zu sagen, dass seitens der Politik - Herr Kollege Hempelmann hat darauf hingewiesen - einiges getan worden ist, um mehr Wettbewerb zu erreichen. Ich will kurz auf die Diskussion um die Netze eingehen. Wir haben in Deutschland eine gesellschaftsrechtliche Trennung und eine strikte Regulierung durch die Bundesnetzagentur. Dass sie erfolgreich dabei war, haben wir gesehen: Sie hat die Durchleitungsgebühren um bis zu 20 Prozent gesenkt. Der Vorschlag der EU - Eigentumsentflechtung oder einen unabhängigen Netzbetreiber - muss auf jeden Fall sehr sorgfältig geprüft werden. Schauen Sie sich doch einmal den Zustand der Netze in den USA und in anderen Ländern an! Wenn der Strom ausfällt, dann hat derjenige, der den Inhalt seiner Tiefkühltruhe entsorgen muss, extrem hohe Kosten. Die Versorgungssicherheit ist aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ein sehr wichtiges Gut.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jede Regelung muss sich daran orientieren, dass auch zukünftig in die Netze investiert wird. Wir brauchen mehr Investitionen und nicht weniger.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist ein sehr schöner Schlusssatz, Herr Kollege Zöllmer. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schade, ich wollte noch auf Frau Höhn eingehen, die den Wettbewerb damit garantiert sah. Leider ist es nicht so. Frau Höhn, das müssen wir dann privat klären.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Genau. Vielleicht setzen Sie sich am Rande des Plenums noch einmal zusammen. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der nächste Redner ist der Kollege Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich finde, dass der Wirtschaftsminister hier völlig zu Recht eingreift, indem er mit der GWB-Novelle, die sein Ministerium nach vorne bringt, dafür sorgt, dass wir die Strukturen und die Gründe für diese Preiserhöhungen erkennen. Der Kollege Rupprecht hat das sehr eindrucksvoll ausgeführt. § 29, durch den die Beweislast umgekehrt wird, ist genau der richtige Weg. Das brauchen wir, damit endlich Klarheit in dieses Geschäft hineinkommt. Dass es nicht klar ist und dass da Strukturen herrschen, die mit Wettbewerb nicht viel zu tun haben, darüber sind wir uns, glaube ich, alle im Klaren. Wir sollten dafür sorgen, dass sich das ändert. Allerdings sollten wir auch darüber nachdenken, welche Fehler wir selbst machen. Was ist denn eigentlich der Grund für diese hohen Strompreise? Ich will Ihnen nicht ersparen - das wird meinen geschätzten Koalitionspartner nicht unbedingt in jeder Hinsicht erfreuen -, darauf hinzuweisen, dass wir an verschiedenen Strukturen festhalten, die dazu führen, dass die Strompreise so hoch sind. Da bin ich sehr schnell bei dem Thema Kernkraft. ({0}) Wir alle wissen, dass es uns die Kernkraft durchaus ermöglicht, den Strompreis günstiger zu halten, als er ist. ({1}) Wir sollten uns bitte schön nichts vormachen: Wer heute sagt - wie Sie, Frau Höhn -, dass er die Stromversorgung in der Zukunft nur mit erneuerbaren Energien sicherstellen will, der muss dem Verbraucher dann auch sagen, dass der Strom noch erheblich teurer wird. ({2}) Ich will das an einem Beispiel klarmachen. In meinem Wahlkreis befindet sich ein Unternehmen, das heißt Kimberly-Clark. Es ist mehr unter dem Markennamen Kleenex bekannt und stellt Papiertücher etc. her. Ich habe dort vor kurzem eine Betriebsbesichtigung gemacht und mir dabei natürlich auch die Papiermaschine angesehen. Die Papiermaschinen kauft Kimberly-Clark weltweit. Eine solche Maschine steht beispielsweise in Rouen; das ist gerade einmal 250 Kilometer von meinem Wahlkreis entfernt. ({3}) Die Papiermaschine verbraucht in Koblenz für 25 Millionen Euro Strom im Jahr. In Rouen verbraucht dieselbe Maschine für dieselbe Leistung nur 17 Millionen Euro Strom im Jahr. Das ist ein Unterschied von 8 Millionen Euro. Wenn man in der Zentrale des Unternehmens in Dallas irgendwann einmal auf die Landkarte schaut, dann wird man nur zwei Stecknadelköpfe sehen - so nahe liegen Koblenz und Rouen beieinander - und sich fragen, ob man das Werk in Koblenz nicht nach Frankreich verlegen sollte. Wir müssen uns fragen, ob die Energiepreise, die wir durch unsere Politik mitverursachen, sozialverträglich sind oder ob sie dazu führen, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Das hätten wir dann mitzuverantworten. ({4}) Machen wir uns bitte nichts vor: Wer nicht darüber nachdenkt, wie wir im Rahmen eines vernünftigen Energiemixes - dazu gehören selbstverständlich auch die erneuerbaren Energien und neue Technologien und alles andere, was damit zusammenhängt - vernünftige Preise behalten können, der macht meiner Meinung nach einen gewaltigen Fehler und ist nicht glaubwürdig. Herr Kollege Lafontaine, wenn die Linke nichts Besseres zu fordern weiß als die sofortige Abschaffung der Kernkraft, dann kann ich Sie nicht ernst nehmen. Das ist Ihr üblicher Populismus. Darin sind Sie Weltmeister. Aber mit realer Politik hat das sicherlich nichts zu tun. Das ist erst recht keine Politik im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Unternehmen. Wir brauchen vernünftige, bezahlbare Energiepreise. Die Mietnebenkosten dürfen nicht höher sein als die Miete. Wenn es aber so weitergeht, werden wir auch bei den KdU erhebliche Probleme bekommen. Deswegen sind wir alle gefordert, auf vernünftige, bezahlbare Energiepreise zu achten. In diesem Zusammenhang werden wir um die Diskussion über die Kernkraft nicht herumkommen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nur zur Erläuterung vergeblicher Anfragen: Zwischenfragen sind in Aktuellen Stunden laut unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen. ({0}) Das setzt selbst besonders großzügigen Präsidenten natürliche Grenzen. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Berg für die SPD-Fraktion.

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Linke, ich finde es gut, dass Sie heute dieses Thema aufgeworfen haben, obwohl mir nicht ganz klar ist, in welche Richtung Sie gehen wollen. Zuerst fordert Herr Hill mehr Planwirtschaft. Dann strebt Herr Lafontaine mehr Wettbewerb an. Vielleicht werden Sie sich darüber noch einig, was genau Sie wollen. Dann fällt es uns leichter, darüber nachzudenken, ob wir das übernehmen werden. Die Argumentation der Großkonzerne - das ist der Anlass für die heutige Aktuelle Stunde -, die erklären soll, warum die Preise erhöht werden müssen, hinkt nicht nur, sondern ist schlichtweg falsch. Es wurden schon viele Punkte genannt. Ich möchte insbesondere auf die erneuerbaren Energien eingehen. Wir verschweigen nicht, dass das Modell des EEG auf den ersten Blick Mehrkosten zu verursachen scheint, aber nur, wenn man nicht die gesamte Rechnung aufmacht. Wenn man über Energie diskutiert, geht es immer um drei Kostenpunkte. Der erste Punkt sind die Investitionskosten. Dabei geht es um die Frage, wie viel ein Kraftwerk kostet. Der zweite Punkt ist der Brennstoff. Dabei geht es um die Frage, wie sich diese variablen Kosten in Zukunft entwickeln werden. Der dritte Punkt betrifft die Entsorgung. Dabei geht es um die Frage, was die Entsorgung der nach der Energieproduktion anfallenden Reststoffe kostet. Wenn man alle Kostenpunkte berücksichtigt - die Fachleute sprechen hier von der Internalisierung der externen Kosten -, dann stellt man fest, dass die erneuerbaren Energien in der Gesamtheit keine Mehrkosten verursachen; denn bei den erneuerbaren Energien - bis auf die Biomasse - fällt der Brennstoff als Kostenfaktor total weg. Die Sonne, der Wind oder das Meer schicken keine Rechnung. Zudem entfällt eine Entsorgung bei den erneuerbaren Energien fast ganz, da Reststoffe nach der Energieproduktion kaum vorhanden sind. Wenn die Gesamtbilanz erstellt würde, dann wäre erkennbar, dass schon heute die fossilen Energien und die atomaren erst recht überhaupt nicht rentabel sind. Entsprechend hätten erneuerbare Energien die Marktreife schon längst erreicht, wenn man überhaupt einen Markt hätte. Diese wären natürlich gegenüber den fossilen Energien im Vorteil. ({0}) Von den eingesparten Emissionen - das wäre ein weiterer finanzieller Vorteil der erneuerbaren Energien, wenn sie im Emissionshandel angemessen berücksichtigt würden - will ich jetzt gar nicht sprechen. Das müssen wir in Zukunft ausbauen. Lassen Sie uns eines im Blick behalten: Die durch das EEG aktuell verursachten Abgaben sind Investitionen in die Zukunft. Sie machen die erneuerbaren Energien marktfähig. Sie werden mittel- und langfristig die Kosten für Energie gerade in unserem Land auf einem bezahlbaren Niveau halten. Als ein weiteres Argument für Preiserhöhungen führen die Herren aus den Führungsetagen von Eon etc. die gestiegenen Rohstoffpreise an. Die meisten Menschen denken gleich an Öl, wenn es um Rohstoffpreise geht. Der Ölpreis ist massiv gestiegen. Ich bin 1998 in den Bundestag gekommen. Damals lag der Barrelpreis bei 10 bis 12 Dollar, jetzt liegt er bei 90 Dollar. Das ist eine Steigerung von 800 Prozent. Das ist eine irre Steigerung. Die Preise für Kohle sind praktisch stabil geblieben. Die Hälfte unseres Stroms wird aber aus Kohle gewonnen. Wie viel Öl wird denn für die Stromproduktion in unserem Land genutzt? Praktisch nichts. Insofern handelt es sich hier um eine Rosstäuschung der EVUs. Denken Sie an mein Bild von den drei Rechnungen. Die Investitionen für die Kraftwerke in unserem Land sind längst abgeschrieben. Auch die Entsorgung ist kein Problem. Diese überlässt man lässig den nächsten Generationen. Also geht es doch nur um den zweiten Posten. Personal wurde im großen Stil in den letzten Jahren gefeuert, und die Rohstoffe sind billig geblieben. Nach der Logik der Energieversorger müssten jetzt die Preise sinken, weil die Kosten extrem niedrig sind. Wenn Investitionen in den Bau neuer Kraftwerke getätigt werden, dann steigen die Kosten der Energieversorger tatsächlich. Doch derzeit werden gerade keine höheren Kosten weitergereicht, sondern es werden einfach die Gewinne erhöht. Die Philosophie der Konzerne ist verständlich: Gewinnmaximierung durch Erhöhung der Preise. Das muss dann aber auch so gesagt werden. Die Konzerne handeln zwar illegitim, aber nicht illegal. Sie nutzen nur das System aus. Deswegen ist es unser Job, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das nicht mehr ermöglichen. Die totale sofortige Liberalisierung des Strommarkts vor ungefähr zwölf Jahren war ein Fehler. Das hat uns damals die Regierung Kohl eingebrockt, und die Regierung Merkel muss jetzt die Suppe auslöffeln. Hat Herr Fuchs - er ist, so glaube ich, leider gerade gegangen 12478 gerade die Forderung nach einem AKW-Neubau in Koblenz aufgestellt, oder wie will er die Welt retten? ({1}) - Entschuldigung, Herr Dr. Fuchs, ich sehe Sie erst jetzt. Man wüsste gerne noch mehr über Ihre Ansichten. Insbesondere die Koblenzer wüssten gerne mehr von Ihnen. Wir sind jetzt langsam da, wo wir schon vor zehn Jahren hätten sein können. Langsam beginnt der Wettbewerb auf dem Strommarkt, auf dem Gasmarkt noch nicht so richtig. Aber auch dieser wird kommen. Energieversorger, bitte nutzt die Chance und verdient auch mit anderen Produkten Geld! Ich denke an Energieeffizienz. Das wäre vorausschauende Konzernpolitik. Man kann nicht nur mit dem Verkauf von Kilowattstunden Geld verdienen, sondern auch mit dem Verkauf von Energiedienstleistungen, Stichwort „Contracting“.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Berg, es tut mir leid, weitere Stichworte können Sie jetzt nicht mehr ausführen. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zu meinem letzten Satz. Ich bitte um Vergebung. ({0}) Auf geht’s, Freunde, wechseln Sie zum günstigsten Anbieter, den es gibt! Letztlich schießen sich Eon und die anderen selbst ins Knie, weil die EU das alles beobachtet. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer das Wort. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Preisveränderungen sind in der Marktwirtschaft eigentlich selbstverständlich, und zwar nach oben und nach unten. ({0}) Aber sie müssen natürlich das Resultat des Wettbewerbs und fundamentaler Marktdaten sein. Es ist in der Tat die Frage, ob die Erhöhung des Strompreises um 10 Prozent, die zum 1. Januar nächsten Jahres angekündigt wurde, richtig ist. Ich will das gerne im Einzelnen darlegen. Es ist richtig ausgeführt worden, dass staatlich administrierte Abgaben und Belastungen in der Tat für über 40 Prozent des Haushaltsstrompreises verantwortlich sind. Daran ändert sich zum 1. Januar 2008 aber nichts: Weder bei der Konzessionsabgabe noch bei der Stromsteuer noch im Bereich der erneuerbaren Energien kommt es zu Veränderungen. Auch auf dem Gebiet des Emissionshandels, wo im nächsten Jahr eine teilentgeltliche Vergabe und eine Auktionierung beginnen - die Kosten dafür sind schon eingepreist -, ändert sich nichts. Mit diesen 40 Prozent kann eine Stromerhöhung im nächsten Jahr also nicht begründet werden. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Stromkosten sind die Netznutzungsentgelte. Der Betreiber des Netzes verfügt über ein natürliches Monopol. Kraft Definition ist ein solches Monopol durch Marktversagen gekennzeichnet. Diese Entgelte machen 35 Prozent des Strompreises aus. Was diesen Wert angeht, hat die Bundesregierung schon jetzt viel getan - sie hat den richtigen Weg beschritten -: Dadurch, dass wir 2005 die Regulierung eingeführt haben, sind die Netznutzungsentgelte bereits jetzt gleichbleibend, oder sie sind sogar gesunken. Die Höhe der Netznutzungsentgelte liegt bei 23 Milliarden Euro. Netznutzungsentgelte in Höhe von 2,3 Milliarden Euro wurden im letzten Jahr nicht genehmigt bzw. gekürzt. Von den Netznutzungsentgelten kann also ebenfalls keine den Preis zum 1. Januar 2008 erhöhende Wirkung ausgehen. Daraus folgt: 75 Prozent des Strompreises können nicht herangezogen werden, um eine 10-prozentige Strompreiserhöhung zu begründen. Wenn 25 Prozent der Stromkostenbestandteile die Preiserhöhung um 10 Prozent rechtfertigen sollen, dann müssten damit verbundenen Kosten um 40 Prozent gestiegen sein. ({1}) Es lohnt sich ein Blick auf die Details. 30 Prozent der Stromproduktion in Deutschland erfolgt - wenn es nach uns geht, bleibt es so - durch die Nutzung von Kernkraft. Diese Energieproduktion ist versorgungssicher und preiswert. Weniger als 5 Prozent der Kosten für den Betrieb eines Kernkraftwerks gehen auf die Verwertung von Uran zurück. Der Uranpreis ist zwar gestiegen, aber in einer vernachlässigbaren Höhe. Das heißt, diese 30 Prozent sind ebenfalls nicht mit höheren Kosten verbunden. Auch die Braunkohlenpreise - die Nutzung von Braunkohle macht immerhin 25 Prozent der Stromproduktion aus - sind stabil. So könnte man fortfahren. Ich komme zu dem Ergebnis: Die Erhöhung der Strompreise kann in keiner Weise mit gestiegenen Bezugskosten gerechtfertigt werden; schließlich sind die Kosten für Öl und Gas vernachlässigbar. Was diesen vermeintlichen Wettbewerbsbereich angeht, liegt in der Tat der Schluss nahe, dass ein Oligopol, das 90 Prozent des Stroms erzeugt, Marktmissbrauch betreibt. Dieser Marktmissbrauch muss beendet werden. ({2}) Er wird aber sicher nicht beendet, indem wir den Marsch in die Planwirtschaft und in die Staatswirtschaft antreten, aus der wir kommen. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg; die DDR wollen wir nicht zurückhaben. Wohin dieser Weg dort geführt hat, war offensichtlich. Auch die vielgelobte staatliche Tarifpreisfestsetzung wäre absurd. So etwas haben wir gerade abgeschafft. Das war eine Einladung zur Kostenverursachung und zur Strompreiserhöhung. Das Ganze hat so funktioniert, dass die Deckung aller nachgewiesenen, tatsächlich angefallenen Kosten - egal ob sie begründet waren oder nicht genehmigt werden musste. Hinzu kam ein Gewinnaufschlag. Das ist die Politik, die Sie wieder einfordern. Sie versuchen wirklich, die Leute an der Nase herumzuführen. Würde man diesen Weg gehen, wären die Strompreise und die Kosten weit höher, als dies jetzt der Fall ist. Unsere Reaktion, die Reaktion der Union, auf den bisher noch nicht in ausreichendem Maße funktionierenden Wettbewerb ist nicht, den Wettbewerb wieder abzuschaffen und durch ein staatliches Monopol - durch ein Monopol der Kommune, des Landes, des Bundes oder wessen auch immer - zu ersetzen, sondern, den Wettbewerb funktionsfähig zu machen. Ein konkreter weiterer Schritt dazu ist die zügige Umsetzung der GWBNovelle, wodurch der Marktmissbrauch durch ein Oligopol ab 1. Januar 2008 abgestellt werden kann. Wir würden den entsprechenden Gesetzentwurf gern schon früher verabschieden. Wir alle können nur daran arbeiten, dass dies zügig geschieht. ({3}) - Natürlich ist es logisch. Wir können es machen. Auch das Ownership-Unbundling, das hier als Allheilmittel gefordert wird, würde in der Tat nicht morgen wirken können. Es könnte eine Art Ultima Ratio sein; aber jetzt muss gehandelt werden. Wir handeln jetzt mit der GWB-Novelle, wir handeln jetzt mit der Kraftwerksanschlussverordnung, und wir handeln jetzt mit der Umsetzung der Anreizregulierung, die zu weiteren Netznutzungsentgeltsenkungen auf diesem Gebiet eines natürlichen Monopols führt. Wir wollen auch aus dem staatlichen Bereich den Bürgern wieder etwas zurückgeben; mithilfe der beim Emissionshandel erzielten Versteigerungserlöse können wir die Stromsteuer senken. So wird ein Schuh daraus. Alle können ihren Beitrag leisten. Wir müssen den Wettbewerb stärken. Der Staat darf die staatlich administrierten Abgaben nicht weiter nach oben treiben, und beim natürlichen Monopol „Netz“ muss Wettbewerb stimuliert bzw. geschaffen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Pfeiffer, Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann werden wir die Strompreise stabil halten bzw. senken können. Das ist unser Ziel. Unser Konzept zur Erreichung dieses Ziels habe ich dargelegt. Ich fordere Sie auf, uns zu unterstützen und nicht den Leuten Sand in die Augen zu streuen, etwa mit der Behauptung, dass wir mit staatlicher Preissetzung hier weiterkommen würden. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Martin Burkert das Wort. ({0})

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die angekündigten Preissteigerungen bei Eon und RWE von 10 Prozent sind für uns alle, glaube ich, nicht nachvollziehbar. Die Konzerne verschleiern ihre wahren Beweggründe und reden sich damit heraus, höhere Beschaffungskosten, größere Belastungen durch den Staat und vor allem - das betrifft mich als Umweltpolitiker besonders - die Förderung der erneuerbaren Energien seien an den Strompreiserhöhungen schuld. Diese Argumentation ist schlichtweg falsch. ({0}) Übrigens ist auch das Bundeskartellamt sehr verärgert, was die angeführten Begründungen angeht. Als fadenscheinig und nicht nachvollziehbar werden sie heute von den Wettbewerbshütern beurteilt. Die Sache ist jetzt in der Prüfung. Es werden sicherlich Vorschläge für Maßnahmen gegen die unverschämten Preiserhöhungen auf den Tisch gelegt werden. Dann gilt es, zu handeln. Dass es sich bei dem, was Eon und RWE vortragen, um eine Milchmädchenrechnung handelt, will ich beispielhaft an der Förderung der erneuerbaren Energien aufzeigen: Nach aktuellen Berechnungen macht die Förderungsumlage nach dem EEG tatsächlich nur einen Bruchteil der angekündigten Strompreissteigerung und nicht die Hälfte aus, wie zum Teil behauptet wird. Die Preissteigerung bei Eon ist 15-mal so hoch wie der Anstieg der EEG-bedingten Kosten. Die erneuerbaren Energien sollen offensichtlich wieder einmal als Sündenbock herhalten. Die Förderung von erneuerbaren Energien macht für einen Durchschnittshaushalt in unserem Land nur 0,7 Cent an Mehrkosten pro Kilowattstunde aus. Am derzeitigen Strompreis von durchschnittlich 22 Cent pro Kilowattstunde hat die Förderung der erneuerbaren Energien also nur einen Anteil von 3,3 Prozent. Im kommenden Jahr wird sich die EEG-Umlage um etwa 0,1 Cent pro Kilowattstunde erhöhen. Das macht für den Durchschnittshaushalt in Deutschland dann unter dem Strich maximal - maximal! - 30 Cent im Monat zusätzlich aus. Die angekündigten Preiserhöhungen bedeuten aber für den Haushalt im Schnitt 5 Euro Mehrkosten pro Monat. Da geht doch die Rechnung von RWE nicht auf, wonach 50 Prozent der Anhebung allein auf die gestiegenen Kosten für die Einspeisung erneuerbarer Energien zurückgingen. Die 30 Cent an Mehrkosten, die im nächsten Jahr dem EEG zuzuschreiben sind, können für eine 5-Euro-Erhöhung also mit Sicherheit nicht herhalten. Noch etwas möchte ich in diesem Zusammenhang klar sagen: Tatsächlich führt das mittlerweile große An12480 gebot von rund 14 Prozent an Strom aus erneuerbaren Energien sogar zu niedrigeren Großhandelspreisen für Strom. Im Umweltministerium werden die preisdämpfenden Effekte des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf 5 Milliarden Euro im Jahr beziffert. Berücksichtigt man, dass erneuerbare Energien Importkosten für fossile Brennstoffe senken und Umweltschäden vermeiden, betrug der volkswirtschaftliche Nutzen im Jahr 2006 sage und schreibe etwa 9 Milliarden Euro. Ich wiederhole: Der volkswirtschaftliche Nutzen im Jahr 2006 betrug etwa 9 Milliarden Euro. Aufgrund der höheren Einspeisungen von erneuerbaren Energien in diesem Jahr wird der volkswirtschaftliche Gewinn 2008 sogar zweistellige Milliardenwerte erreichen; etwa 10,7 Milliarden Euro werden prognostiziert. Aber die Versorger haben diese enormen Einsparungen bisher nicht an die Verbraucher weitergegeben. Die Strompreise wurden nicht gesenkt. Das Gegenteil ist der Fall. In diesem Zusammenhang möchte ich die Erfolge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes noch einmal betonen. Schließlich hat es den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass wir in Deutschland unsere bis 2010 geplanten Ausbauziele bereits in diesem Jahr erreichen und Ende 2007 mit mehr als 14 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien das Ziel bereits übertreffen werden. Deshalb müssen wir an eine Novellierung des Gesetzes vorsichtig und sorgfältig herangehen. Wir dürfen dieses erfolgreiche Gesetz nicht beschädigen, sondern müssen es zukunftsfähig ausbauen. ({1}) Den kleinen Anteil des EEG am Strompreis, derzeit weniger als 4 Prozent, halte ich hinsichtlich der zentralen Rolle der erneuerbaren Energien beim Kampf gegen den Klimawandel für angemessen. Ich kann nur an die Verbraucher appellieren, die Preise zu vergleichen und gegebenenfalls den Anbieter zu wechseln. Diejenigen, die sich nach einem neuen Anbieter umschauen, sollten dabei die Gelegenheit nutzen, auf klimafreundlich erzeugten Strom umzusteigen. Wer seinen Strom von einem Ökostrom-Anbieter bezieht, handelt nicht nur umwelt-, sondern auch kostenbewusst; denn häufig sind die heutigen alternativen Stromangebote nicht einmal teurer als konventionell erzeugter Strom. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner für die Unionsfraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf als letzte Rednerin in dieser Runde jetzt das nachholen, was heute bisher nicht zur Sprache kam, nämlich das Lob für die Bundesregierung. ({0}) Ich kann Ihnen das Lob für unseren Bundeswirtschaftsminister Michael Glos auch begründen. Er hat nämlich auch den Mittelstand und die Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick, während es bei der Linksfraktion ja nur die bösen Großkonzerne und die armen, machtlosen Verbraucher gibt. Ich möchte erwähnen, dass das Haus von Herrn Glos den Verbraucherzentralen 7,1 Millionen Euro für eine effektive Energieberatung zur Verfügung stellt. ({1}) Mein zweiter Hinweis betrifft den Verbraucherschutz. Frau Heinen vom Verbraucherschutzministerium ist anwesend. Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung haben zusammen eines erwirkt: Sie haben das nachgebessert, was Frau Künast versäumt hat. Bei ihr wäre 2007 der wirtschaftliche Verbraucherschutz ausgelaufen. ({2}) - Das ist Ihnen neu? - Das zeigt mal wieder, dass Sie nicht richtig im Thema sind. ({3}) Wir werden den wirtschaftlichen Verbraucherschutz bei den Verbraucherzentralen auch im kommenden Jahr mit 2,5 Millionen Euro mitfinanzieren. ({4}) Die Verbraucherzentralen sind bei den Menschen. Die Menschen brauchen keine Diskussion auf hoher Ebene, sondern eine Beratung unmittelbar vor Ort. Deshalb sind wir für einen aktiven Verbraucherschutz. Natürlich ist der Wechsel von einem Stromanbieter zum anderen emotional und mental nicht so ganz einfach, ({5}) wenngleich der Wechsel des Stromanbieters einfacher ist als der Wechsel des Mobilfunkanbieters. Wir haben aber festgestellt, dass nach dem Aufruf durch die Verbraucherzentralen der Länder und des Bundes mittlerweile schon 1,4 Millionen Haushalte den Anbieter gewechselt haben, wenngleich man natürlich auch einräumen muss, dass der Verbraucher machtlos ist, wenn alle marktbeherrschenden Anbieter gleichzeitig die Preise erhöhen. Der Weg, den die Bundesregierung jetzt geht, ist richtig. Die Beweislast wird umgekehrt, und in Zukunft wird man Preiserhöhungen wirklich begründen müssen. Diese Regelung wird sofort greifen, und wir werden nicht erst den langen Klageweg abwarten müssen. ({6}) Sie wird sofort greifen, auch wenn es die Linksfraktion nicht kapiert und nicht glaubt. Das tut mir leid für Sie, aber wir machen es halt. ({7}) Bei allem, was ich immer wieder von der Linksfraktion höre, habe ich den Eindruck, dass Ihnen die kommunalen Gegebenheiten nicht klar sind. Sie sagen immer - auch in Interviews -, dass wir den Hartz-IV-Satz anheben müssen, weil die Energiekosten so stark gestiegen sind. Es sind aber die Kommunen, die diese höheren Kosten tragen müssen. Letztlich sind diejenigen gekniffen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und deren Verdienst über dem Hartz-IV-Satz liegt, weil sie doppelt zahlen: zum einen die Steuerabgaben und zum anderen die höheren Preise. Es ist wichtig, das einmal zur Kenntnis zu nehmen. ({8}) Wir müssen nach vorne schauen und uns fragen, was wir unmittelbar tun können. Wir müssen Anreize schaffen, dass der Wettbewerb bei energiesparenden Geräten auf den Weg gebracht wird. ({9}) Letztlich machen Waschmaschinen - Sie kennen sich damit wahrscheinlich nicht aus, Herr Kollege -, Spülmaschinen und Kühlschränke 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs eines Durchschnittshaushaltes aus. Energiekennzeichnung ist eine ganz wichtige Forderung von uns. Außerdem ist Transparenz wichtig. Denn der Verbraucher soll einen Teil seines Energieverbrauchs selber in der Hand haben. Uns geht es auch darum, Energieverluste zu minimieren. Es ist sehr ärgerlich, dass es in Haushalten nach wie vor energiefressende Elektrogeräte gibt, deren Stand-by-Betrieb man nicht ausschalten kann. Energiekennzeichnung und der Wettbewerb bei der Energieeffizienz sind für uns also entscheidende Punkte. Zum Abschluss möchte ich das aufgreifen, was mein Kollege Michael Fuchs zur Kernenergie vorhin gesagt hat. Wir sollen die Quadratur des Kreises schaffen. Zum einen wollen wir Energieeffizienz, und zum anderen soll die Energiesicherheit gewährleistet sein. Außerdem soll die Energie bezahlbar und gleichzeitig umweltverträglich sein. ({10}) Wenn man aufgrund mangelnder Umweltverträglichkeit Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke abschalten will, dann weiß ich nicht, wie man es schaffen kann, abends nicht nur bei Kerzenlicht zu sitzen. ({11}) Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Wettbewerb ist unserer Meinung nach der beste Verbraucherschutz. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich bitte die Kollegen - insbesondere die Kollegen der FDP -, die nicht an der folgenden Debatte teilnehmen wollen, die Gespräche draußen weiterzuführen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen kann. ({0}) - Kollege Niebel, Sie haben eine solch durchdringende Stimme, dass ich Sie auch noch dann verstehe, wenn ich rede. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Drucksache 16/6741 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit, für mehr Qualifizierung und eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verwenden - Drucksache 16/6035 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist zentrale Verpflichtung unserer Regierungspolitik. Wir wollen mehr Menschen die Chance auf Arbeit geben. Arbeit bedeutet nicht nur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern ermöglicht Teilhabe und Teilnahme am sozialen Leben. Wenn wieder mehr Menschen Arbeit haben, verbessert dies auch die Lage der Finanz- und Sozialsysteme unseres Landes. ({0}) So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart und versprochen. Wir halten Wort. Das zeigt der Regierungsentwurf des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, den wir jetzt zu beraten haben, exemplarisch und deutlich. Wir haben erreicht, dass mehr Menschen die Chance auf Arbeit bekommen. Schon in der Regierungszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder haben wir dafür das Fundament gelegt. Die Lage am Arbeitsmarkt ist derzeit so gut wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Die Arbeitslosenzahl liegt nur knapp über 3,5 Millionen. Rund 1 Million Menschen weniger als vor zwei Jahren sind arbeitslos. Die Zahl der Beschäftigten ist auf Rekordniveau. Wir sind dabei, die Marke von 40 Millionen zu knacken. Das ist ein großer Erfolg und bestätigt die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung. Die Reform der Bundesagentur greift, und der passgenaue Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zeigt Wirkung. Arbeit und Teilhabechancen schaffen, das Wachstum stärken das ist der Weg, auf dem wir weitergehen; das haben wir in Meseberg noch einmal bekräftigt. Das heißt auch: Wir setzen die notwendigen Verbesserungen und Veränderungen, die uns auf diesem Weg weiterführen, ins Werk. Wir können schon jetzt, an den Koalitionsvertrag anknüpfend, feststellen: Die Lage der Finanz- und der Sozialsysteme hat sich spürbar verbessert. So steigen die Beitragseinnahmen der Bundesagentur für Arbeit, die Ausgaben dagegen sinken. Der Haushalt der Bundesagentur konnte im letzten und in diesem Jahr Überschüsse erzielen. 2006 hat die Bundesagentur mit einem Finanzierungsüberschuss von rund 11,2 Milliarden Euro abgeschlossen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres hat die BA einen Überschuss in Höhe von etwa 2,5 Milliarden Euro erzielt. Bis zum Jahresende könnten es nach Einschätzung der BA 6 oder 6,5 Milliarden Euro werden. Vor diesem Hintergrund ist es selbstverständlich, dass wir den Beitragssatz so weit wie möglich senken; ich betone: so weit wie möglich. Wir haben den Beitragssatz schon zum 1. Januar 2007 um 2,3 Prozentpunkte gesenkt. Die Bundesregierung schlägt in dem vorliegenden Gesetzentwurf vor, den Beitragssatz um weitere 0,3 Prozentpunkte auf dann 3,9 Prozent zu senken - beides in einem Jahr. Damit erreichen wir einen Beitragssatz wie zuletzt Anfang der 80er-Jahre; zur Erinnerung: Da war Helmut Schmidt noch Bundeskanzler. So wie es im Moment aussieht, ist sogar ein Satz von 3,5 Prozent erreichbar; die Koalitionsparteien haben sich dazu in den vergangenen Tagen geäußert. Zu Beginn des letzten Jahres lag der Beitrag bei 6,5 Prozent. Nun peilen wir 3,5 Prozent an. Das alles zusammen bringt den Beitragszahlern eine Entlastung um 21 Milliarden Euro. ({1}) Weil kein Gesetzentwurf so aus dem parlamentarischen Verfahren herauskommt, wie er eingebracht worden ist, kann uns dies auch zeitnah gelingen. Klar ist: Augenmaß, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit sind unsere Maximen. Die Bundesagentur muss auch in den nächsten vier Jahren ohne zusätzliches Geld aus dem Bundeshaushalt - das heißt, sie darf nicht mehr erhalten als die Einnahmen, die sich aus der Mehrwertsteuererhöhung um 1 Prozentpunkt ergeben, der für die Beitragssenkung vorgesehen war - und auch ohne Erhöhung der Beiträge auskommen können. Wir wollen keinen Sturm im Wasserglas, sondern Rückenwind für den Arbeitsmarkt. Darum entlasten wir die Beitragszahler, senken die Lohnnebenkosten und schaffen so Anreize für mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland. Ich warne alle diejenigen, die den Wettlauf um den niedrigsten Beitragssatz immer weiter treiben wollen, um Stimmung zu machen und Stimmen zu angeln. ({2}) Wenn wir den Beitrag jetzt, in einem konjunkturellen Hoch, zu stark senken und dann in einer konjunkturellen Schwächephase wieder anheben müssen, ist das kontraproduktiv. Dies streut den Menschen Sand in die Augen und kostet Arbeitsplätze. ({3}) Eine nachhaltige und solide Finanzierung - das ist der Weg für die Zukunft der Bundesagentur für Arbeit. Darum richten wir dort einen Versorgungsfonds ein, aus dem die notwendigen Versorgungsleistungen der BA bestritten werden können. Bislang werden diese Versorgungsausgaben aus dem laufenden BA-Haushalt bezahlt. Das hat die Konsequenz, dass die Pensionen der jetzt tätigen Beamten und der jetzigen Pensionäre den zukünftigen Beitragszahlern aufgelastet werden. Wir wollen hier eine bessere und generationengerechte Lastenverteilung schaffen. Gleichzeitig sichern wir durch die Bildung dieses Fonds die eigenständige Handlungsfähigkeit der BA. Sollte sich die Konjunktur einmal abschwächen, kann die BA die Versorgungsleistung auch ohne ein zinsloses Darlehen des Bundes auf Kosten der Steuerzahler tragen. Darüber hinaus will ich darauf hinweisen, dass wir über ein Maßnahmenbündel zur Unterstützung von Menschen im Niedriglohnbereich beraten. Dieses Maßnahmenbündel kann finanzielle Auswirkungen auf den Haushalt der BA haben. Auch dafür muss vorgesorgt werden. Trotz der erfreulichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und obwohl wir die vorhandenen Spielräume nutzen, bleibt ein Problem erkennbar: Zwischen der Finanzentwicklung bei der Bundesagentur und den finanziellen Belastungen durch die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende besteht ein deutliches Ungleichgewicht. Die Lastenverteilung zwischen dem Bund und der Bundesagentur ist nicht ausbalanciert. An dieser Stelle steuern wir nach, indem wir die Finanzverantwortung zwischen Bund und Bundesagentur an der Schnittstelle zwischen Arbeitsförderung und Grundsicherung für Arbeitsuchende neu regeln. Wir führen einen Eingliederungsbeitrag ein, mit dem die Bundesagentur an den Aufwendungen für Eingliederungsleistungen und den Verwaltungskosten, die im Zusammenhang mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende entstehen, zur Hälfte beteiligt wird. Im Gegenzug schaffen wir den Aussteuerungsbetrag ab. Die Bundesagentur wird also zugunsten der Langzeitarbeitslosen stärker in die Pflicht genommen. Außerdem kann der Haushalt des Bundes so um rund 3 Milliarden Euro jährlich entlastet werden. Die Bundesagentur hat den gesetzlichen Auftrag zur beruflichen Eingliederung von Arbeitslosen. Dieser Auftrag bezieht sich auf alle Arbeitslosen. Daran knüpfen wir an; denn selbstverständlich haben auch Langzeitarbeitslose einen Anspruch auf aktive Arbeitsförderung. All diese Punkte zeigen: Wir sind auf unserem Weg schon ein ganzes Stück vorangekommen. ({4}) Mit unserer Arbeitsmarktpolitik - das gilt sowohl für die aktiven als auch für die passiven Leistungen - haben wir deutliche Erfolge erzielt. Wir sanieren die sozialen Sicherungssysteme im Zuge dieses Aufschwungs. Wir werden diesen Weg weitergehen und die Richtung halten: Chancen auf dem Arbeitsmarkt schaffen, die Sozialsysteme nachhaltig finanzieren und die Menschen am Aufschwung beteiligen. Gehen Sie mit uns diesen Weg! Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Heinz-Peter Haustein für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist Herbst. Die Bauern haben die Felder abgeerntet. Überall in Deutschland werden Erntedankfeste gefeiert. ({0}) Die Kirchen sind festlich geschmückt, und die prallen Feldfrüchte können sich sehen lassen; sie sind Symbol für ein gutes Jahr. Die Felder sind vollständig abgeerntet. Kein Bauer käme auf den Gedanken, Getreide stehen zu lassen oder die Kartoffeln in der Erde verfaulen zu lassen. Das hätte auch keinen Sinn. Der Ertrag seiner Arbeit würde ungenutzt verderben. ({1}) Der Bauer nutzt alle Chancen. Das ist natürlich; denn das dadurch entstehende Kapital kann er im nächsten Jahr verwenden. ({2}) Das war auch ein gutes Jahr für den Arbeitsmarkt: Die Zahl der Arbeitslosen ist zurückgegangen, es gibt mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, ({3}) und es fließt endlich mehr Geld in die Sozialkassen. ({4}) Die boomende Weltkonjunktur und der Aufschwung haben nun endlich auch Deutschland erreicht, zwar nicht wegen, sondern trotz dieser Regierung. ({5}) Aber das Ergebnis ist erfreulich. ({6}) Wir haben gute Chancen, das Land grundlegend zu reformieren. Wir müssen alles tun, damit jetzt mehr Arbeitsplätze entstehen; denn die Abkühlung der Weltkonjunktur zeichnet sich schon ab. Der Sachverständigenrat hat seine Wachstumsprognose für das nächste Jahr nach unten korrigiert. Weil infolge der guten Konjunkturlage unerwartete Überschüsse bei der BA auflaufen, möchte die Regierung die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 4,2 auf 3,9 Prozent senken. ({7}) Wie so oft bei der Regierung, ist das aber nur halbherzig, mutlos und ohne Visionen. ({8}) Das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler hat in einer aktuellen Studie vorgerechnet: Wenn wir alle Spielräume nutzen, können wir den Beitrag weiter absenken. Der Bauer macht es uns vor. Er nutzt alle seine Chancen, um im nächsten Frühjahr bessere Chancen zu haben. Es kann hier nur eine Antwort geben: Die Überschüsse gehören dem Beitragszahler und müssen jetzt zurückgegeben werden. ({9}) Das heißt, Herr Andres, wir müssen die Versicherungsbeiträge so weit wie irgend möglich senken. Mit dem Vorschlag der Regierung kann das aber nicht gelingen. Denn ein anderer Mangel kommt hinzu: Die BA sammelt über 54 Milliarden Euro von den Beitragszahlern ein. Das ist das Fünffache des Haushalts für Bildung und Forschung. Anstatt jedoch mit diesen riesigen Summen wichtige Aufgaben wahrzunehmen und den Beitrag zu senken, machen wir eines: Wir finanzieren versicherungsfremde Leistungen, also Aufgaben, die dem Staat im Allgemeinen zufallen und mit der Einnahmequelle nichts zu tun haben. An diesem grundlegenden Fehler ändert sich nichts, egal ob Sie das jetzt Eingliederungsbeitrag oder Ausgliederungsbeitrag nennen. ({10}) Niedrigere Lohnnebenkosten sind nicht alles. Der Bürokratieabbau und ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem gehören dazu. Wenn wir die Lohnnebenkosten senken, stärken wir die Unternehmen. Sie können mehr Arbeitsplätze schaffen, was wiederum zu mehr Steuereinnahmen führt. ({11}) Diese Mittel müssen wir für unsere Kinder, für die Bildung, für die Forschung, für Investitionen in die Zukunft verwenden. Die FDP fordert erstens: Die abbaubaren versicherungsfremden Leistungen, die immerhin 8,2 Milliarden Euro betragen, dürfen den Beitragszahlern nicht länger aufgebürdet werden. ({12}) Zweitens. Die Arbeitsmarktinstrumente müssen endlich entsprechend ihrer Effektivität und Effizienz gebündelt werden. ({13}) Dass wir Geld für bekanntermaßen unwirksame Instrumente ausgeben, ist nicht hinnehmbar. Drittens. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung muss auf mindestens 3,5 Prozent gesenkt werden. ({14}) Ich würde mir mehr Mut wünschen. Ich sage: Strebt 3 Prozent als Ziel und Vision an. ({15}) Ich denke bei diesem Vorschlag an das Mädchen, das über das Feld läuft, den Apfelbaum nicht schüttelt, die Brote nicht aus dem Ofen zieht und so ihre Chancen nicht nutzt. Das ist die Pechmarie. Machen Sie es nicht wie im Märchen bei Frau Holle. Nutzen Sie alle Chancen! In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stefan Müller für die Unionsfraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich zum Kollegen Haustein aus dem Erzgebirge etwas sagen. ({0}) Ganz offensichtlich ist eines: Die Kollegen von der FDP haben die Studie des Bundes der Steuerzahler, die schon zitiert worden ist, offensichtlich sehr aufmerksam gelesen. ({1}) Sie haben sie so aufmerksam gelesen, dass sie den Inhalt gleich abgeschrieben und daraus einen Antrag gemacht haben. ({2}) Über diesen haben wir, glaube ich, schon in erster Lesung diskutiert. Ganz nebenbei gesagt: Ich meine nicht, dass alles, was darin steht, falsch ist. Aber ich stelle fest, dass Sie die Studie sehr aufmerksam gelesen haben, was ich grundsätzlich begrüße. Information schadet ja prinzipiell nie. Wir setzen mit dem vorliegenden SGB-III-Änderungsgesetz den konsequenten Kurs der Großen Koalition fort, die Lohnzusatzkosten nachhaltig zu senken. Jahrelang ist über diesen Kurs nur geredet worden. Die Große Koalition redet nicht nur, sondern jetzt folgen den vielen Worten auch endlich Taten. ({3}) Wir beabsichtigen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine weitere Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. Ich darf Sie an Folgendes erinnern: Wir haben ihn bereits von 6,5 Prozent auf aktuell 4,2 Prozent gesenkt. Die Bundesregierung schlägt in diesem Gesetzentwurf vor, ihn auf 3,9 Prozent abzusenken. Es ist politisch schon verabredet, Herr Kollege Haustein, dass wir diesen Beitrag auf 3,5 Prozent senken. Das wissen Sie. ({4}) Wir brauchen - das habe ich Ihnen in der letzten Debatte schon zugerufen - Ihre Nachhilfe nicht. Es ist natürlich sehr geschickt, dann, wenn etwas von den Regierungsfraktionen politisch schon verabredet worden ist, in einem Antrag das Gleiche zu fordern. Wie gesagt: Ihre Nachhilfe brauchen wir nicht. Ich weise darauf hin, dass 3,5 Prozent den niedrigsten Arbeitslosenversicherungsbeitrag seit 20 Jahren bedeuten. Herr Kollege Dr. Kolb, weil Sie es immer wieder einmal kritisieren: Wir kommen damit unserem Ziel näher, die Sozialabgabenquote auf unter 40 Prozent zu senken. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, die Zwischenfrage war nicht bestellt. - Herr Kollege Müller, Sie senken den Arbeitslosenversicherungsbeitrag jetzt um 0,3 Prozentpunkte ab, heben aber gleichzeitig den Pflegeversicherungsbeitrag - das ist beschlossene Sache - um 0,25 Prozentpunkte an. Würden Sie mir zustimmen, dass dies allenfalls ein Trippelschrittchen hin zu Ihrem Ziel ist und wir nach wie vor von dem im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziel deutlich entfernt sind, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag dauerhaft unter 40 Prozent liegen soll, und zwar auch dann, wenn man den Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 0,9 Prozentpunkten berücksichtigt?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Kolb, ich bin über Ihre Zwischenfrage ganz erstaunt; ich hätte sie so nicht erwartet. Gott sei Dank habe ich mir aber im Vorfeld einige Zahlen herausgesucht. Damit komme ich auch auf den Kollegen Haustein zu sprechen. Adam Riese hat im Erzgebirge gelebt; er ist übrigens in Franken geboren. Aber das nur nebenbei. Herr Dr. Kolb, vielleicht können wir dies einmal gemeinsam zusammenrechnen. Wenn wir zu dem auf 3,5 Prozent abgesenkten Beitrag in der Arbeitslosenversicherung die Rentenversicherung mit 19,9 Prozent, die Pflegeversicherung mit 1,95 Prozent - die 0,25 Prozent, die ebenfalls politisch verabredet waren, sind da also schon eingepreist - und einen durchschnittlichen Beitragssatz zur Krankenversicherung von 15,1 Prozent addieren, dann komme ich auf 40,45 Prozent. ({0}) Wenn ich jetzt 40,45 Prozent mit den Beiträgen noch im Jahr 2006 vergleiche - 6,5 Prozent Arbeitslosenversicherung, 19,5 Prozent Rentenversicherung, 1,7 Prozent Pflegeversicherung und 14,25 Prozent bei der Krankenversicherung, zusammen also 41,95 Prozent -, dann sind nach meinem Verständnis - Adam Riese würde mir recht geben - 41,95 Prozent mehr als 40,45 Prozent. ({1}) Sie müssten mir also erst einmal erklären, warum die von mir geschilderte Senkung eine Erhöhung sein soll. Das habe ich nicht ganz verstanden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das darf Ihnen der Kollege Kolb jetzt nicht erklären. Aber er darf Ihnen, wenn Sie es ihm gestatten, eine zweite Zwischenfrage stellen.

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Kolb, ich schlage vor, dass wir uns auf einen Kaffee treffen und dort unsere Zahlen vergleichen. Mal sehen, was Sie dann vorzuweisen haben. ({0}) - Dr. Ramsauer bietet an, dazuzukommen. ({1}) - Herr Dr. Kolb muss zahlen; das ist ein guter Vorschlag. Auf diese Einladung, Herr Dr. Kolb, werde ich gern zurückkommen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Beitragssatzsenkung entlasten wir die Beitragszahler um insgesamt 23 Milliarden Euro. Die jährliche Entlastung der Beitragszahler entspricht 23 Milliarden Euro. Dies bedeutet einerseits für Arbeitnehmer, dass sie endlich wieder mehr netto vom Brutto haben. Unser Problem ist doch, dass das, was oben auf den Lohn- und Gehaltszetteln steht, erheblich von dem abweicht, was unten netto steht, und die Differenz einfach so groß ist, dass das, was letztlich herauskommt, zu wenig ist. Mit den Maßnahmen, die wir hier vereinbaren und beschließen, sorgen wir dafür, dass der Aufschwung endlich auch bei den Menschen ankommt. ({2}) Andererseits bedeutet dies für die Arbeitgeberseite, dass wir die Lohnzusatzkosten weiter senken. Dies bedeutet mehr Wettbewerbsfähigkeit und weniger Einstellungshemmnisse. Nach einer Umfrage des DIHK unter 20 000 Unternehmen sind eines der größten Anstellungshemmnisse in der Tat die zu hohen Lohnzusatzkosten. Zwei Drittel der befragten Unternehmen würden mehr Geringqualifizierte einstellen, wenn die Lohnzusatzkosten gesenkt werden könnten. Deswegen leisten wir einen maßgeblichen Beitrag dazu, dass der Aufschwung endlich auch bei jenen ankommt, die bislang noch nicht von ihm profitiert haben, und dass endlich Impulse gegeben werden, damit auch Langzeitarbeitslose wieder eingestellt werden können. Bei dieser Beitragssatzsenkung nutzen wir alle Spielräume, die sich in den letzten Jahren ergeben haben. Grund dafür ist die positive Finanzentwicklung bei der Bundesagentur für Arbeit. Ich erinnere daran, dass sie im Jahr 2006 einen Überschuss von 7,5 Milliarden Euro erzielt hatte. Seinerzeit war davon ausgegangen worden, dass die BA im Jahr 2007 aus dieser Rücklage etwas entnehmen müsse. Heute wissen wir, dass sie diese Rücklagen nicht anzugreifen braucht, sondern sogar einen weiteren Überschuss erwirtschaftet, obwohl wir den Beitrag schon abgesenkt haben. Das spiegelt auch die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt wider. Das heißt, der Aufschwung wirkt sich auf die Beschäftigung aus. Er resultiert daraus, dass weniger Arbeitslose, weniger Ausgaben, mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und demzufolge mehr Einnahmen zu verzeichnen sind. Es findet ein Wettbewerb darum statt, wer für diesen Aufschwung verantwortlich ist. Ohne Zweifel sind es Stefan Müller ({3}) die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber. Ohne Zweifel ist es auch die Politik der Großen Koalition; wir haben maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Entwicklung so hat stattfinden können. Heute möchte ich aber noch eine weitere Gruppe erwähnen, die auch einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich der Arbeitsmarkt so positiv hat entwickeln können, wie er es getan hat. Das ist letztlich auch ein Erfolg der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit, die es in den vergangenen Jahren geschafft haben, aus einer erstarrten Behörde einen modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt zu machen. Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle meinen herzlichen Dank sagen. ({4}) Das wird im Übrigen auch durch die Ergebnisse der Kundenbefragungen, die regelmäßig durchgeführt werden, belegt. Die Gesamtzufriedenheit der 114 000 Kunden, die in den letzten zwei Jahren befragt wurden, hat sich stetig erhöht. Auch die Kunden nehmen deutliche Verbesserungen des Angebots der BA wahr; das bestätigen sowohl Arbeitsuchende als auch Arbeitgeber. Insofern kann ich an dieser Stelle nur sagen: Die Reformen der vergangenen Jahre waren richtig. Wir wollen diese Reformen fortsetzen, und wir werden selbstverständlich auch die Bundesagentur für Arbeit mit aller Kraft unterstützen. Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der im vorliegenden Gesetzentwurf zu finden ist. Die Bundesagentur für Arbeit wird zur Finanzierung der Pensionen der Beamten, die heute noch bei ihr beschäftigt sind, einen Versorgungsfonds schaffen. Wie Sie wissen, müssen diese Pensionen nach dem heutigen System aus den laufenden Beitragseinnahmen finanziert werden. Künftig werden die Pensionen der BA-Beamten aus diesem Versorgungsfonds finanziert. Dafür werden aus der Rücklage bzw. aus den Überschüssen des vergangenen Jahres Mittel entnommen, es wird monatliche Zuweisungen an aktive Beamte geben, und es wird ein bestimmter Betrag aus dem beim Bund vorhandenen Versorgungsfonds entnommen. Das bedeutet, dass künftige Beitragszahler mit diesen Pensionsverpflichtungen nicht mehr belastet werden, wie es heute noch der Fall ist. Das ist ein wesentlicher Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit, weil wir dadurch letztendlich die Beitragszahler von morgen entlasten. Deswegen unterstützen wir diesen Weg ausdrücklich. ({5}) Nicht nur wir unterstützen ihn, sondern auch die Selbstverwaltungen. Insofern, denke ich, können sich dem auch die Oppositionsfraktionen weitgehend anschließen. Es liegt auch ein Antrag der Fraktion Die Linke vor; auch dazu möchte ich gerne etwas Unfreundliches sagen. ({6}) Allerdings ist darin nicht sehr viel zu finden. Ihr Antrag enthält insgesamt nicht gerade viel Neues. Es ist letztendlich immer das Gleiche. ({7}) Warum wir Ihren Antrag heute und nicht morgen behandeln - denn morgen befassen wir uns mit einem Sammelsurium verschiedener Anträge von Ihnen -, ist mir übrigens ein Rätsel. ({8}) Dass Sie weitere Senkungen des Beitragssatzes ablehnen, ({9}) hat etwas damit zu tun, dass Sie diesen Kurs nicht unterstützen und dass Sie keinen Zusammenhang zwischen Einstellungshemmnissen und zu hohen Lohnnebenkosten sehen. ({10}) Ich möchte behaupten: Selbst ich werde Sie in der heutigen Debatte nicht vom Gegenteil überzeugen können. In einem Absatz Ihres Antrags schreiben Sie: Weitere Beitragssatzsenkungen würden zu weiteren Einschränkungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik führen. ({11}) Das ist falsch; ({12}) ich weiß nicht, ob Sie das wissen. Ein Blick in den Haushalt der Bundesagentur würde allerdings auch bei Ihnen für eine gewisse Erleuchtung sorgen. Obwohl wir verabredet haben, den Beitragssatz auf 3,5 Prozent zu senken, bleibt der Ansatz für die aktive Arbeitsmarktpolitik gleich. Insofern führt diese Senkung des Beitragssatzes, die wir vornehmen werden, zu keinen Einschränkungen. Der gleiche Ansatz bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik bei weniger Arbeitslosen bedeutet unterm Strich, dass gerade für die Personengruppe, die bisher noch nicht profitiert hat, mehr Geld zur Verfügung steht. ({13}) Es ist zumindest konsequent, dass Sie diesen Schritt ablehnen; allerdings ist das falsch. Deswegen sage ich noch einmal: Die Entwicklung am Arbeitsmarkt gibt uns recht. Alle sind aufgerufen, sich weiterhin mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass noch mehr Menschen in Beschäftigung kommen. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Kolb von der FDP-Fraktion das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Müller, die Einladung zu einem Mittagessen oder zu einem Stück Torte ({0}) nehme ich natürlich gerne an. Ich bin auch bereit, die Rechnung zu übernehmen, wenn Sie meinen nachfolgenden Erläuterungen zuhören und ihnen in Ihrer kurzen Replik vielleicht auch zustimmen. Sie haben hier vor den Augen und Ohren des Plenums eingeräumt, dass der Gesamtversicherungsbeitrag derzeit bei 40,45 Prozent steht. Nach Adam Riese sind das mehr als 40 Prozent. Sie müssen uns nachsehen, Herr Kollege Müller, dass wir nicht nur die Veröffentlichungen des Bundes der Steuerzahler aufmerksam lesen, sondern auch die Veröffentlichungen der Bundesregierung. Dazu gehört die Koalitionsvereinbarung, in der steht, dass der Beitrag dauerhaft auf unter 40 Prozent gesenkt werden soll. 40,45 Prozent sind mehr als 40 Prozent. Deshalb meine Frage: Wie wollen Sie das Ziel, dauerhaft unter 40 Prozent zu kommen - sie nicht nur anzukratzen -, erreichen? Sehen Sie uns bitte auch nach, dass wir noch auf Folgendes hinweisen: Wir kennen aus der Vergangenheit - das haben wir damals gemeinsam kritisiert - den „Ökosteuerbetrug“, wie ich ihn einmal nennen will. RotGrün hat mit der Begründung, dass dafür der Rentenversicherungsbeitrag gesenkt werden sollte, die Ökosteuer eingeführt. Das Ergebnis: Die Ökosteuer war im Lande; doch der Rentenversicherungsbeitrag ist trotzdem weiter angestiegen. Die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages haben Sie damit erkauft, dass die Mehrwertsteuer um insgesamt 3 Prozentpunkte angestiegen ist. ({1}) Sie haben gesagt, die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages um 0,3 Prozentpunkte bringt 21 Milliarden Euro. Doch allein die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte entspricht 24 Milliarden Euro. Sie müssen uns also schon nachsehen, dass wir hartnäckig an Ihren Fersen bleiben. Wir freuen uns sehr - deswegen hat ja der Kollege Haustein diesen ehrgeizigen Vorschlag gemacht -, wenn Sie die 40 Prozent unterschreiten. Wenn Sie den Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 3,0 Prozent absenken, kommen Sie beim Gesamtversicherungsbeitrag auf 39,95 Prozent - Ziel erreicht! Frage: Warum tun Sie es nicht einfach? Der Weg wäre frei. Es fehlt nur noch der Mut, entschieden zu handeln. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Müller hat das Wort. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Kolb, ich habe in meiner Rede nicht behauptet, dass wir die 40 Prozent schon unterschritten hätten - jedenfalls nicht insgesamt -, sondern ich habe gesagt: Wir sind auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen. Das muss auch die FDP akzeptieren. Trotz notwendiger Beitragserhöhungen an anderer Stelle haben wir insgesamt eine Entlastung herbeigeführt; auch das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen. ({0}) - Wir reden ja nun von den Sozialabgaben. - Insofern sind wir fast bei 40 Prozent. Ferner bitte ich Sie, zu bedenken, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterschiedliche Sozialabgabenquoten haben. Wenn man den Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung, die 0,9 Prozentpunkte, die die Arbeitnehmer aufbringen, berücksichtigt und anrechnet, dass ein Teil der Pflegeversicherung durch den Wegfall des Buß- und Bettages finanziert worden ist, kommt man, zumindest bei den Arbeitgebern, in der Summe auf unter 40 Prozent bzw. auf unter 20 Prozent. ({1}) Wir sind da also ein gutes Stück vorangekommen, und wir werden nicht nachlassen. Die Union hat immer gesagt, dass finanzielle Spielräume, um Beiträge nachhaltig zu senken, genutzt werden. Dazu stehen wir weiterhin, zum Beispiel wenn der Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 3,5 Prozent gesenkt werden kann. Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung. Vielleicht beteiligen Sie sich dann mit konstruktiven Beiträgen, eigenen Beiträgen, anstatt vom Bund der Steuerzahler abzuschreiben. Ansonsten schlage ich vor, wir treffen uns trotzdem; aber ich übernehme die Rechnung. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können uns ja in geeigneter Weise irgendwann unterrichten, wer die Rechnung tatsächlich übernommen hat, und vor allen Dingen, zu welchen weiterführenden Erkenntnissen Sie gekommen sind. Aber jetzt hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Menschenwürdiges Dasein für Alle! Der obige Satz ist uns mehr als etwa das Stichwort einer Schule oder der Ruf einer Partei - er ist das einfache, na12488 turgemäße Resultat unseres Gerechtigkeitsgefühls, fußend auf „dem Rechte, das mit uns geboren ist“, unserer Humanität, die fern von allem schwungvollen Phrasentum ist. So schrieb Louise Otto 1868 im Organ Neue Bahnen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Dem fühlen wir uns verpflichtet. Frauen und Männer wollen ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen, im richtigen Wechsel von Arbeit und Erholung, Ruhe, Entwicklung ihrer Kräfte und Anlagen, Betätigung der Fähigkeiten und - endlich - Rechten der freien Selbstbestimmung. Dies sagte Louise Otto. Heute sind davon in der Bundesrepublik Deutschland 3,543 Millionen Menschen ausgeschlossen. Das ist die Arbeitslosenzahl vom September. Daran muss sich Ihr Gesetzentwurf messen lassen. ({0}) Wie gelingt es, das Geld, das die Versicherten aufgebracht haben, zur Vermeidung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit - insbesondere von Landzeitarbeitslosigkeit - und zur Sicherung des erarbeiteten Lebensstandards einzusetzen? Liest man nach, dann kann man erfahren: Ziel des Gesetzes ist es, die Beitragszahler … erneut zu entlasten sowie die Lastenverteilung zwischen Bund und Bundesagentur für Arbeit bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nachhaltig und ausgewogen zu regeln. Entlastung - wie schön das klingt. Als Erstes haben wir festzustellen - man kann es nicht oft genug in Erinnerung rufen -, dass Sie von der SPD und der CDU/CSU die gesamte Bevölkerung durch die Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte belastet haben. Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten, Kinder und Arbeitslose müssen für ihren Verbrauch mehr bezahlen. Herr Müller hat gesagt, Sie gingen Ihren Weg konsequent fort. Das merkt man. Sie haben ja auch in aller Deutlichkeit gesagt, dass Sie bei der Senkung der Lohnnebenkosten inzwischen offen von der paritätischen Finanzierung abweichen. Ja, Sie tun immer nur etwas für die Arbeitgeberseite. Die Unternehmen müssen entlastet werden. Hier sind Sie sehr konsequent; das muss man sagen. Es gibt die Unternehmensteuerreform, und für die wirklich Vermögenden haben Sie den Spitzensteuersatz gesenkt. Durch dieses Gesetz werden die Unternehmen wieder um 1,1 Milliarden Euro entlastet. Dies ist die Fortführung Ihres Weges der unsozialen Verteilung in unserer Gesellschaft. Das lehnen wir ab. ({1}) Wir lehnen die weitere Senkung des Beitragssatzes ab, weil die Probleme der abhängig Beschäftigten dadurch nicht gelöst werden und weil für sie daraus - das muss man auch einmal im Klartext sagen - nur eine relativ geringe Entlastung resultiert. Nehmen wir doch einmal jemanden, der 2 000 Euro brutto monatlich verdient. Für ihn bedeutet die Senkung um 0,3 Prozentpunkte 36 Euro im Jahr. Haben oder Nichthaben - sicher, das ist etwas, aber es ist nicht wirklich viel. Verdient er 3 000 Euro brutto monatlich, dann wird er im Jahr um 54 Euro entlastet. Setzt man dagegen einmal, was ihn die Mehrwertsteuererhöhung, die Veränderungen bei der Entfernungspauschale, die Nichtabsetzbarkeit des häuslichen Arbeitszimmers und die Verkürzung der Zahldauer des Kindergeldes gekostet hat, dann stellt man fest, dass dies ein Vielfaches dieser kleinen Entlastung ist. ({2}) Eine wirkliche Verbesserung der Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist nur durch wirklich bessere Tarifabschlüsse möglich. Hier wäre es wichtig, dass die Politik auch dahin gehend wirbt. Man kann natürlich sowohl durch die eigenen Tarifgestaltungen als auch durch ein bestimmtes Klima, das in der Gesellschaft befördert wird, darauf hinwirken. Welche Erwartungen haben denn die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen? Es geht ihnen wahrlich nicht um 5 oder 10 Euro pro Monat mehr im Portemonnaie. Sie wollen für den Fall der Arbeitslosigkeit geschützt sein. Sie wollen Gewissheit haben, dass sie nicht gleich in Armut geraten und dass Sie aktive Hilfe erhalten, wenn sie von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Nehmen wir nur einmal die schöne Familienpolitik, mit der Sie hier immer so toll agieren. Von der Bundesagentur für Arbeit gab es einmal Wiedereingliederungsprogramme für Frauen nach einer Familienphase. Diese sind mit dem Übergang zu den Hartz-Gesetzen einfach gestrichen worden. ({3}) Davon ist nichts wieder eingeführt worden. Daran müssen Sie sich messen lassen. ({4}) Aufgrund dieses Gesetzes wird die Bundesagentur für Arbeit erstens durch die Einnahmeausfälle infolge der Senkung um 2,2 Milliarden Euro und zweitens durch die Verschiebung der Kosten vom Bund auf die Bundesagentur für Arbeit - das sind noch einmal 3 Milliarden Euro - belastet. Wir meinen, dass dafür keine Notwendigkeit besteht und dass es falsch ist, weil wir Arbeitslosengeld I länger zahlen können, wenn das Geld da ist. Dazu haben wir Ihnen unseren Antrag vorgelegt. Nun kann man endlich wieder sagen, dass das Geld da ist. Wir sind der Meinung, dass auf alle Fälle etwas verändert werden muss. Wir gratulieren der SPD, dass sie inzwischen auch die Einsicht hat. Ich muss allerdings sagen, dass Herr Müntefering heute im Interview in der Frankfurter Rundschau nicht gerade einen kämpferischen Eindruck macht. Er sagt: Warten wir doch erst einmal ab, was der Koalitionspartner dazu meint. Insofern kann man nur zur Wachsamkeit aufrufen, denn dabei klingt sehr stark die Vermutung durch, dass die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes vom Koalitionspartner sowieso nicht so mitgetragen wird, wie sich die SPD das vorstellt. Es gibt viele Aufgaben. Dazu gehört auch die Aufgabe der beruflichen Weiterbildung. Sie haben vorhin festgestellt, Herr Müller, dass die Ausgaben gleich bleiben. Ein Blick auf die letzten Jahre zeigt, dass im Jahr 2004 für die aktive Arbeitsförderung durch die Bundesagentur 18,7 Milliarden Euro ausgegeben wurden; 2006 waren es nur noch 11,1 Milliarden Euro. Die Zahlen für dieses Jahr zeigen, dass bis August nur 47,9 Prozent der verfügbaren Mittel - das ist weniger als die Hälfte - ausgegeben wurden. 990 Millionen Euro sind im ersten Halbjahr nicht zielgerichtet eingesetzt worden. Vielleicht ist auch das eine Möglichkeit, Überschüsse zu erzeugen. Das machen wir aber nicht mit. Wir haben weitere Probleme. ({5}) Wir haben das Problem, dass heute sehr viele Menschen, insbesondere Frauen, gar nicht in Weiterbildungsmaßnahmen bzw. in Maßnahmen zur Heranführung an den Arbeitsmarkt einbezogen werden, weil sie das Pech haben, dass ihr Partner so viel verdient, dass sie selber keine Leistungen beziehen. Sie fallen de facto aus jeglichen Maßnahmen heraus. Dagegen muss man angehen. ({6}) Es gibt Jugendliche, die benachteiligt sind, und wir haben immer noch zwei Regelkreise. Das muss überwunden werden. Bei dem Gesetzentwurf, über den wir heute in erster Beratung diskutieren und den Sie verabschieden wollen, geht es um nicht mehr oder weniger als darum, dass sich der Bund aus seiner Verantwortung zurückzieht. Das machen wir nicht mit, insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach Ihren Vorstellungen die Bundesagentur ab dem Jahr 2011 ohne Zuschüsse auskommen soll. Wir wissen, dass die Beitragsentwicklung insgesamt von der Konjunktur abhängt. Es ist eine Mär, dass die derzeitigen Überschüsse ein Ergebnis Ihrer angeblich guten Politik sind; sie beruhen vielmehr auf der konjunkturellen Lage. Wenn sie sich verschlechtert, gehen auch die Überschüsse zurück. Wir meinen, es geht nicht an, zu planen, dass die Bundesagentur ab 2011 ohne Zuschüsse auskommen soll, und ihr vorher Aufgaben aufzubürden, die sie mit 5 Milliarden Euro zusätzlich finanziell belasten. Das machen wir nicht mit. Wir brauchen langfristige Maßnahmen für die Vermeidung von Arbeitslosigkeit und für Arbeitsförderung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Höll, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. Louise Otto sagte: Ein menschenwürdiges Dasein … ist es, was wir für Alle fordern und was Allen, also auch den Frauen, erringen zu helfen, wir als die Aufgabe aller Vorwärtsstrebenden und so auch speciell als die unsere betrachten. In dieser Tradition sehen wir uns. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Kollegen! Ich ziehe das Fazit aus den letzten Wochen: Je besser die Kassenlage der Bundesagentur, desto schlechter wird die Qualität der Arbeitsmarktpolitik. ({0}) Ich nehme davon die Spitze des Arbeitsministeriums ausdrücklich aus. Aber sie steht auch nicht mehr mit der Arbeitsmarktpolitik im Einklang, die sich bei der Großen Koalition anbahnt. ({1}) - Ich meine das ernst. Denn die Früchte, die man jetzt bei der Bundesagentur im Sinne von positiven finanziellen Entwicklungen erntet, werden in der guten Konjunkturlage auf eine Weise verfrühstückt, die zeigt, dass man nicht mehr darauf achtet, was man vorher richtig gemacht hat. Ich weiß, dass ich bei Ihnen nicht auf Zustimmung stoße, aber das muss man am Anfang dieser Debatte festhalten. Ich habe den Presseberichten nicht entnommen, dass es sachliche Gründe für die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I gibt. Es wird nur noch unter dem Gesichtspunkt diskutiert, ob es der SPD nützt und der CDU/CSU schadet. ({2}) Diese Ebene der Debatte haben wir erreicht. Das ist bei einem so wichtigen Politikbereich traurig. ({3}) Ich komme jetzt zu dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des SGB III. Sie schlagen mehrere Änderungen vor, die insbesondere den Haushalt der Bundesagentur treffen. Ich will zwei Punkte vorausschicken, die wir richtig finden: Die Bildung eines Versorgungsfonds halten wir für richtig - der Kollege Müller von der CSU hat den Punkt angesprochen -; das können wir mittragen. Wir können auch die Abschaffung des Aussteuerungsbetrages mittragen, weil er sich als nicht zielführend und nicht sachgerecht erwiesen hat. Ich will Ihnen nur Folgendes sagen: Bei den weiteren Änderungen, die Sie vorschlagen, den Beitrag der Bundesagentur für die Eingliederung der Langzeitarbeitslosen, die Beitragszahlungen des Bundes für Kindererziehungszeiten, die wieder von der Bundesagentur übernommen werden, oder auch, worüber demnächst diskutiert wird, den Erwerbstätigenzuschuss -, verquicken Sie wieder das SGB II und das SGB III miteinander. Alle diese Änderungen, die Sie vorschlagen, führen wieder zu einer viel stärkeren Vermischung des Haushaltes der Bundesagentur mit dem des Bundes. Ich drücke es für Nichtexperten einmal wie folgt aus: Sie schaffen wieder ein Gestrüpp aus Versicherungsleistungen und Steuerfinanzierungen, was unserer Überzeugung nach grundlegend falsch ist. ({4}) Wenn das nicht klar genug ist, dann machen Sie es doch ganz einfach und streichen Sie der Bundesagentur den Mehrwertsteuerzuschuss. Das sind etwas mehr als 7 Milliarden Euro. Nehmen Sie sie der Bundesagentur weg. Das Geld kann zurück in den Bundeshaushalt. Dann brauchen Sie sich auch nicht die vielen Maßnahmen auszudenken, die die Bundesagentur im Umkehrschluss jetzt zusätzlich durchführen soll, damit es für den Haushalt ungefähr gleich ausgeht. Sie erfinden zusätzliche Maßnahmen, deren Kosten - jetzt sind es schon 6,4 Milliarden Euro plus Erwerbstätigenzuschuss zukünftig genau bei den 7,5 Milliarden Euro liegen, die dieser Mehrwertsteuerpunkt etwa ausmacht. Schaffen Sie doch klare Strukturen und klare Verhältnisse; denn das ist auch wichtig für eine nachhaltige und transparente Finanzierung der Bundesagentur einerseits und des Bundeshaushalts andererseits. Wir haben ein Szenario durchgerechnet und dabei den Trend der Arbeitsmarktzahlen in diesem Jahr zugrunde gelegt. Wir haben der Bundesagentur den Mehrwertsteuerzuschuss in Höhe von etwa 7,5 Milliarden Euro abgezogen. Wir haben den Aussteuerungsbetrag abgeschafft; wir haben aber nicht die zusätzlichen Belastungen eingerechnet. Dann haben wir den Beitragssatz auf 3,9 Prozent festgelegt. Und siehe da: Es geht auf. Sie können es einfach machen. Sie müssen hier einmal die Frage beantworten, warum Sie das nicht tun. Sie können den Beitragssatz nach unseren Berechnungen auch auf unter 3,9 Prozent senken; das ist ja Ihre Absicht. Ich sage Ihnen: Sie haben keine klare Vorstellung von der Zukunft der Arbeitsmarktpolitik. Sie haben nur ein erdenklich schlechtes Kompromissgebräu in der Großen Koalition. ({5}) Ich will Ihnen noch etwas sagen. Wenn man den Mehrwertsteuerzuschuss herausnimmt, dann kann man damit auch etwas strukturell Wichtiges für den Arbeitsmarkt tun. Wir schlagen Folgendes vor: Nehmen wir doch ungefähr 7 Milliarden Euro in die Hand, um im gesamten Niedriglohnbereich die Sozialversicherungsbeiträge zu subventionieren. Dann brauchen Sie auch nicht mehr die diversen Mini- und Midijobs. Dann können Sie mit einem Progressivmodell, bei dem die Sozialversicherungsbeiträge schrittweise auf die bekannte Größe, die wir haben, ansteigen, den Niedriglohnbereich viel wettbewerbsfähiger machen. Lesen Sie doch einmal die Seiten, die Ihnen die Wirtschaftsexperten aufschreiben! Sie sagen Ihnen, welche Maßnahmen den Niedriglohnbereich im Interesse der Arbeitgeber und Arbeitnehmer stützen und ihn nicht falsch subventionieren. Diese Möglichkeiten haben Sie; aber Sie nutzen sie nicht. ({6}) Die Politik, die Sie mit diesem Gesetzeswerk vorlegen, verschlimmbessern Sie noch mit der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I. Ich will folgende Nebenbemerkung machen: Wir Grünen leugnen nicht, dass der Arbeitsmarkt für die älteren Arbeitslosen angespannt und schwer zugänglich ist. Wir sind aber davon überzeugt, dass es besser ist, in die Lösungsperspektive des Wiedereinstiegs Älterer in den Arbeitsmarkt zu investieren als in die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I. Das will ich hier noch einmal festhalten. ({7}) Die zweite Verschlimmbesserung haben Sie mit dem Erwerbstätigenzuschuss vor. Das ist im Grunde etwas - das habe ich vorhin schon erwähnt -, womit Sie Leute mit niedrigem Einkommen subventionieren wollen, wobei Sie das anscheinend - so habe ich den Minister verstanden - auch mit Geldern der Versichertengemeinschaft machen wollen. Auch das halte ich für eine Verschlimmbesserung; denn wir haben noch ein Szenario durchgerechnet. Nehmen wir einmal den angepeilten Beitragssatz von 3,5 Prozent - wir hätten auch 3,9 Prozent nehmen können -, und unterstellen wir einmal, dass die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr nicht weiter zurückgeht, sondern stagniert. Unterstellen wir ferner, dass es bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen keinen Einbruch, aber eine Stagnation auf dem derzeitigen Niveau gibt. Unter Zugrundelegung all dessen haben wir einmal gerechnet: Wir übertragen die Einstiegsqualifizierung jüngerer Leute. Wir verlängern die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I; dafür haben wir 900 Millionen Euro eingerechnet. Wir haben die zusätzlichen Belastungen, die Sie in Ihrem Gesetz für die Bundesagentur vorsehen, alle schön aufgenommen. Wir haben Ihre zu erwartenden arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen berücksichtigt, allerdings ohne Erwerbstätigenzuschuss; denn diesen kennen wir noch nicht genau. Unter diesen Bedingungen - es gibt weder eine Verschlechterung noch eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt - macht die Bundesagentur für Arbeit aufgrund Ihrer arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nächstes Jahr wieder 4 Milliarden Euro Miese. Das ist Ihre Politik. Sie ist nicht nachhaltig und nicht intelligent. Ich kann Ihnen nur zurufen: Streiten Sie lieber über den Mindestlohn! Hier kann noch etwas Vernünftiges herauskommen. Aber das, was Sie sich nun vorgenommen haben, tut weder dem Arbeitsmarkt noch der gesamten Gesellschaft gut. Also korrigieren Sie sich! Danke schön. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Beginn der Arbeitsmarktreform freuen wir uns über 1,6 Millionen weniger Arbeitslose in diesem Land. Seit Beginn der Arbeitsmarktreform ist die Zahl der Erwerbstätigen im Jahresvergleich um 637 000 Menschen gestiegen. Seit Beginn der Arbeitsmarktreform hat die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse zugenommen, beispielsweise im letzten Jahr um 550 000. Das alles hat natürlich Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Bundesagentur für Arbeit und die Finanzierung nach dem SGB II. Im Unterschied zu Frau Hajduk bin ich der Meinung, dass die Finanzsituation der Bundesagentur für Arbeit erfreulich ist. Wir haben im letzten Jahr 11,5 Milliarden Euro Überschuss erzielt. Wir wissen natürlich, dass sich hier der besondere Effekt der Einmalleistung niedergeschlagen hat. Aber wir haben für dieses Jahr - das wissen Sie als Haushälterin - mit einem Minus von 4 Milliarden Euro kalkuliert. Nun wird ein Überschuss in Höhe von 6,5 Milliarden erzielt. ({0}) Das ist das Ergebnis unserer erfolgreichen Politik, an der Sie in der Vergangenheit mitgewirkt haben. ({1}) Sonst wären wir gar nicht so weit, um es deutlich zu sagen. Deshalb brauchen Sie Ihr Licht auf dem Gebiet nicht unter den Scheffel zu stellen. Die Finanzsituation war so gut, dass wir die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent senken konnten. Trotz dieses abgesenkten Beitragssatzes gibt es in diesem Jahr nicht wie erwartet 4 Milliarden Euro Miese, sondern ein Plus in Höhe von 6,5 Milliarden Euro. Diese Ausgangssituation macht uns Mut, die geplante Senkung auf 3,5 Prozent vorzunehmen. Damit entlasten wir Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der Staatssekretär hat von gut 21 Milliarden Euro Entlastung gesprochen. Das ist ein wesentlicher Punkt, der erklärt, warum die Binnennachfrage in Deutschland gestärkt ist und warum sich die Konjunktur zurzeit in erheblichem Maße auf die Binnennachfrage stützt. Das ist der Grund, warum wir arbeitsmarktpolitisch - durch mehr Beschäftigung - so erfolgreich sind. ({2}) Trotz der geplanten Entlastung bleibt Spielraum für eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I. ({3}) - Hier wurden schon Zahlen genannt. Sie sollten Ihnen als Orientierungshilfe dienen. ({4}) - Stellen Sie eine Zwischenfrage! Dann werde ich gerne darauf eingehen, Herr Kolb.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brandner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Brandner, sind Sie bereit, dem Hohen Haus mitzuteilen, wie viel eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I kosten wird? Liegen die Kosten bei 800 Millionen bis 1 Milliarde Euro, oder kostet eine solche Verlängerung bis zu 2,9 Milliarden Euro, wie manche Experten behaupten?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich vertraue den Experten, die schon zu dem Zeitpunkt, als das Thema noch nicht politisch umstritten war, Zahlen genannt haben. Damals ging man von 800 Millionen Euro aus; das ist die Orientierungsgröße. Ich bin davon überzeugt: Wenn die konjunkturelle Entwicklung weiterhin gut verläuft, ist die Summe wahrscheinlich niedriger, weil Ältere dann mehr Chancen auf Beschäftigung haben; das ist das eigentliche Ziel. Wir wollen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I nur deshalb verlängern, weil wir vielen Menschen in diesem Land die Angst nehmen wollen. Das Alter ist nach wie vor ein hohes Arbeitsplatzrisiko. Wir müssen deshalb eine Brücke für die Betroffenen bauen. Frau Hajduk, eine Zwischenbemerkung: Wir haben in der rot-grünen Regierung einen Gesetzentwurf beschlossen, der im Bundesrat - die CDU/CSU-regierten Länder hatten die Mehrheit - hängen geblieben ist. Wenn dieses Gesetz in Kraft getreten wäre, wäre die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I heute noch länger. Insofern muss ich an Ihr Gedächtnis appellieren. Sie sollten wissen, dass wir das in der Finanzplanung hätten berücksichtigen müssen. ({0}) Entscheidend für uns ist, dass wir Brücken bauen, solange das Risiko der Arbeitslosigkeit für Ältere groß ist. Wir wollen aber nicht nur die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern, sondern wir wollen diesen Bezug mit Aktivierungsmaßnahmen verbinden. Wir wollen sicherstellen, dass in erster Linie die Beschäftigung das Ziel ist. Es kann schon gar nicht das Ziel sein, der Frühverrentung wieder Tür und Tor zu öffnen. ({1}) Für uns ist klar, dass es nicht infrage kommt, dass wir die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für einen besonders gefährdeten Personenkreis dadurch erkaufen, dass eine Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Jüngere oder für diejenigen, die eine unterbrochene Erwerbsbiografie haben, beschlossen wird. Wir wollen keine Chancen nehmen, sondern wir wollen durch die Arbeitsmarktpolitik sicherstellen, dass für das Fördern ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung steht. Das ist nachhaltige Arbeitsmarktpolitik. Indem wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für besonders Gefährdete ausdehnen, helfen wir mit, das Fordern zu legitimieren. Fördern und Fordern müssen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen. Von den Regelungen des SGB III sind zurzeit circa 1 Million Arbeitslose betroffen. Die Bundesagentur für Arbeit hat ein ganz erhebliches Budget für Weiterbildungsmaßnahmen - das muss man auch den Kollegen der Fraktion Die Linke sagen -, das nicht ausgeschöpft wird. ({2}) Wir haben sichergestellt, dass trotz eines erheblichen Rückgangs der Arbeitslosigkeit das Budget für Aktivierungsmaßnahmen nicht angetastet worden ist, sondern auf einem hohen Niveau festgeschrieben worden ist, weil für uns das Fördern und Unterstützen ein wesentlicher Punkt der Arbeitsmarktpolitik sind. ({3}) Wir wollen mithelfen, dass Menschen durch Qualifizierungsmaßnahmen unterstützt werden. Uns liegt etwas an einer hochwertigen Arbeitsvermittlung. Arbeitsmarktpolitik ist für die Sozialdemokraten mehr als der Versuch, die Beiträge so weit wie möglich zu senken und die Langzeitarbeitslosen über Steuermittel zu finanzieren. Priorität haben deshalb Weiterbildung und Qualifizierung. Das sollte - das will ich ganz deutlich sagen nicht erst beim Eintritt in die Arbeitslosigkeit geschehen. Auch die Unternehmen haben eine Weiterbildungsverantwortung. Nur 14 Prozent der 25- bis 64-jährigen Erwerbstätigen nehmen in Deutschland an berufsbezogener Weiterbildung teil. Das ist an sich ein Skandal, zumal wenn man sich vor Augen hält, dass in Skandinavien 45 Prozent der Menschen regelmäßig an berufsbezogener Weiterbildung teilnehmen. Was die betriebliche Weiterbildung angeht, ist Deutschland ein Entwicklungsland. Das muss sich ändern. ({4}) Bei der Weiterbildung haben wir viele Themenfelder vor Augen. Ich nenne die Beratung in der Schule, insbesondere vor dem Eintritt in die Berufsausbildung, in der Ausbildung, bei den Übergängen aus der Familienzeit oder Pflegezeit. ({5}) Da gibt es ein großes Aufgabenfeld. Es geht nicht in erster Linie um Beitragssatzsenkung, sondern es geht um eine Arbeitsmarktpolitik, die den veränderten Erwerbsbiografien ebenso Rechnung trägt wie den hohen Qualifikationsansprüchen infolge des internationalen Wettbewerbs. Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: Die Qualität der Arbeitsmarktpolitik zeigt sich auch bei der Ausschreibung von Maßnahmen. Wir stehen dafür, dass bei den Maßnahmen nicht der Preis, sondern die Qualität im Vordergrund steht. Daher erinnern wir daran, dass zum Beispiel die Tariftreue bei der Vergabe von Aufträgen für uns ein wesentlicher Punkt ist. Die Weiterbildung muss ein qualitativ hohes Niveau aufweisen. Deshalb sollte es für uns selbstverständlich sein, dass in Weiterbildungseinrichtungen nicht für Dumpinglöhne gearbeitet wird. Nur qualifiziertes Personal sorgt dafür, dass qualitative Weiterbildung geleistet wird. Keinen Vorrang hat für uns die Senkung der Beitragssätze. Die allerhöchste Priorität hat der Abbau der Arbeitslosigkeit. Dieser gelingt am ehesten durch einen erweiterten Arbeitsmarkt. Die beste Arbeitsmarktpolitik, die wir betreiben können, besteht darin, die 1 Million freien Stellen, die wir zwischenzeitlich haben, durch Qualifizierungs- und Unterstützungsmaßnahmen schneller zu besetzen. Dann können wir am Ende auch am ehesten die Beiträge senken, weil das weniger Ausgaben für passive Leistungen bedeutet. ({6}) Zum Umbau der Finanzstruktur ist hier heute eine Menge gesagt worden, was ich nicht wiederholen will. Wir finden es richtig, dass der Aussteuerungsbetrag abgeschafft wird, dass ein Versorgungsfonds eingerichtet wird. Wir haben immer gesagt: Wir wollen keine Arbeitsmarktpolitik, die einen Beitrag zu Stop-and-go-Aktivitäten leistet. In diesem Zusammenhang müsste man der FDP einen ganz besonderen Vortrag halten; denn die Historie dieser Partei zeigt, dass sie mit dafür verantwortlich war, dass die Beiträge zur Sozialversicherung während ihrer Regierungszeit am stärksten angehoben wurden. Sie hat dabei immer Pate gestanden. ({7}) Aus diesem Grund - man betrachte die Zeit vor 1998, in der sie mitregiert hat - steht es ihr am wenigsten zu, eine Senkung der Lohnnebenkosten zu fordern. ({8}) Lassen Sie mich ein deutliches Wort dazu sagen, dass die Arbeitsmarkterfolge langsam auch bei den Langzeitarbeitslosen ankommen. Im September gibt es 317 000 Langzeitarbeitslose weniger. Das ist ein Minus von 11 Prozent. Was uns dabei besonders berührt, ist, dass sich viele Langzeitarbeitslose aufgrund der Lohndrückerei durch die Arbeitgeber in einer äußerst schlechten finanziellen Situation befinden. Das kann so nicht hingenommen werden. Immer mehr Menschen müssen als Aufstocker Leistungen der Bundesagentur oder der Arbeitsgemeinschaften beanspruchen; in diesem Land sind es über 1 Million Menschen, von denen über 500 000 quasi vollzeitbeschäftigt tätig sind. Ich sage ganz deutlich: Ein wesentliches Element des Einsparens finanzieller Mittel ist die Schaffung einer Lohnunterschranke, also eines gesetzlichen Mindestlohns, ({9}) sodass nicht immer mehr Arbeitgeber dazu beitragen können, die Löhne zu drücken und sich anschließend beim Sozialamt oder bei der Bundesagentur zu bedienen. ({10}) Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich herausstellen: Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, das wir morgen früh einbringen werden, soll letztendlich dazu beitragen, dass auch bei einer weiteren Branche, nämlich bei den Briefzustellern, eine Lohnunterschranke geschaffen wird. Das ist ein Beitrag dazu, dass die Finanzgrundlagen der Bundesagentur auf einem guten Niveau bleiben. Das, was ich gerade angesprochen habe - die Fantasie der Wettbewerber, die sich im Dumpingwettbewerb, beispielsweise mit der Post, durchsetzen wollen -, ist so nicht hinnehmbar. Zum Beispiel hat die Bild-Zeitung als Haupteigentümerin der PIN AG - übrigens mit Sitz in Luxemburg, also in dem Land, in dem die höchsten Mindestlöhne in Europa gezahlt werden - eine Kampagne gegen das Post-Entsendegesetz betrieben. Daher müssen wir uns Gedanken machen, wie wir mit dem Thema „Markt und Medienmacht“ in diesem Land umgehen. ({11}) Für uns steht fest: Wir wollen eine qualitativ hochwertige und zuverlässige Post in München, in Chemnitz und auch auf den Halligen. Deshalb brauchen wir vernünftig bezahlte Beschäftigte, die ihrer Arbeit nachgehen können. Wir brauchen baldmöglichst einen flächendeckenden Mindestlohn. Das ist kein Lippenbekenntnis.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brandner, das müssen wir dann morgen früh im Rahmen der Debatte über das Entsendegesetz fortsetzen.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir wollen das in diesem Parlament vielmehr zügig umsetzen. Deshalb: Die gute Finanzsituation ist eine Chance für eine gute Arbeitsmarktpolitik. Das ist auch für diejenigen eine Chance, die vom Aufschwung ansonsten nicht profitieren würden. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Jörg Rohde das Wort. ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige Anmerkungen zu einigen Vorrednerinnen und Vorrednern. Herr Staatssekretär Andres, es ist richtig, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt wurde. Sie erwähnten die Zahl 21 Milliarden Euro. Richtig ist aber auch, dass die Bundesregierung alle anderen Beiträge erhöht hat: Rentenversicherungsbeitrag, Pflegeversicherungsbeitrag und Krankenversicherungsbeitrag sind höher als vor zwei Jahren. Wenn man die Mehrwertsteuererhöhung für Bürger und Unternehmen hinzuzählt, dann erkennt man, dass der Saldo negativ ist. ({0}) Die Regierung hat sich wie ein Hamster im Laufrad bewegt, ist also nicht vorangekommen. Herr Kollege Müller, wir müssen den Bürgern natürlich schon eine vollständige Rechnung präsentieren. Auch wenn die Sozialversicherungsbeiträge sinken, steigt die Steuerlast der Einkommensteuerpflichtigen. Das, was Sie vorgerechnet haben, kommt bei den Bürgern nicht im vollen Umfang an. Über die Mehrwertsteuer haben wir schon diskutiert. Die Leute brauchen einfach mehr Geld, um sich das Notwendige leisten zu können. Netto ist die Kaufkraft der Bürger eher gesunken. ({1}) Herr Brandner, vielleicht nur ein Wort: Die SPD regiert jetzt seit neun Jahren. ({2}) Die FDP hat 29 Jahre an der Regierung mitgewirkt. Sie vergleichen da Äpfel mit Birnen. Das ist nicht zielführend. Da dürfen wir nicht einfach die Nettozahlen nehmen. ({3}) - Gern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Kollege Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Rohde, können Sie mir bestätigen, dass während der Mitregierungszeit der FDP der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 6,5 Prozent erhöht worden ist, ({0}) dass während der rot-grünen und jetzt der schwarz-roten Koalition der Beitragsatz auf 4,2 Prozent gesenkt worden ist, dass wir heute offiziell eine Senkung auf 3,9 Prozent vorschlagen - es wird auf 3,5 Prozent gehen -, also ein regelmäßiges Absenken des Beitragssatzes stattgefunden hat? ({1})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Brandner, ich bestätige Ihnen gern, dass damals der Beitragssatz aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung steigen musste. ({0}) Damals gab es die Ölkrise etc.; wir reden über einen sehr langen Zeitraum. Wir bestreiten auch nicht, dass der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung nach unten geht, was wir auch begrüßen. Nur, wir stellen es in einen Kontext. Wenn wir dann den Strich darunter ziehen, kommen wir leider zu einem negativen Ergebnis. Ich habe eben nur die Regierungszeit verglichen. ({1}) Kommen wir zum eigentlichen Thema! Über eine Beitragssatzsenkung brauchten wir eigentlich gar nicht lange zu diskutieren; sie ergibt sich von selbst, wenn sich die Bilanz einer Versicherung deutlich verbessert. Dass wir dennoch strittig debattieren müssen, sehr geehrte Damen und Herren von Schwarz-Rot, liegt an Ihnen; denn Sie wollen den Beitragszahlern nicht alles zurückgeben, was ihnen gehört. ({2}) Ob 3,9 Prozent oder 3,5 Prozent, beides ist immer noch zu hoch. Schon jetzt ist der Spielraum für eine Beitragssatzsenkung größer. Aber Sie, meine Damen und Herren von Union und SPD, sind auf die Überschüsse der Bundesagentur angewiesen und haben das Geld der Beitragszahler längst für versicherungsfremde Zwecke verplant. Satte 5 Milliarden Euro will der Noch-Arbeitsminister Müntefering in seine Kasse abzweigen 5 Milliarden Euro, die die Beitragszahler in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben und die niemand sonst als ebendiesen gehören. Wir Liberale nennen das Beitragsklau. ({3}) Zu wundern braucht man sich ob dieser Praktiken allerdings nicht. Käpt’n Müntes Mannschaft meutert. Sein Schiff ist in rauer See und droht zu sinken. Kein Wunder, dass er sich verzweifelt ans Ruder klammert und die heute zur Debatte stehende Minibeitragssatzsenkung als Erfolg abfeiern will.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Rohde, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort.

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Rohde, Sie kritisieren den Eingliederungsbeitrag. Muss ich davon ausgehen, dass die FDP im Haushaltsausschuss beantragen wird, diesen Eingliederungsbeitrag, diese 5 Milliarden Euro, nicht zu erheben, und gleichzeitig einen Vorschlag dafür unterbreiten wird, wie das im Haushalt 2008 gegenfinanziert wird?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Sie können davon ausgehen. Ich weiß von meinen Kollegen im Haushaltsausschuss auch, dass entsprechende Vorschläge gemacht werden. ({0}) Wir streiten intern noch über die Höhe der Einsparungsmaßnahmen, aber wir werden Vorschläge in genau der Höhe machen. Seien Sie versichert: Der Haushaltsausschuss arbeitet, und die Liberalen dort nehmen ihre Aufgabe sehr wohl wahr. ({1}) Je mehr Zeit in dieser Legislaturperiode verstreicht, umso deutlicher wird, dass Sie von Schwarz-Rot so gut wie nichts von Ihren Zielen erreicht haben. Um Ihre Erinnerung aufzufrischen, lese ich Ihnen gern noch einmal einige Zeilen aus Ihrem Koalitionsvertrag von 2005 vor, und zwar aus dem Kapitel „Aktive Arbeitsmarktpolitik“: CDU, CSU und SPD werden die aktive Arbeitsmarktpolitik in Zukunft fortsetzen und weiterentwickeln. ({2}) Die Vielzahl unterschiedlicher Förder-Instrumente ist für die Menschen kaum noch überschaubar. Ich hätte mich über einen Zwischenruf gefreut. Vieles deutet darauf hin, dass einzelne Maßnahmen und die damit verbundenen teilweise umfangreichen Mittel der Arbeitslosenversicherung zielgenauer, sparsamer und effizienter eingesetzt werden können. ({3}) Das alles unterschreibe ich noch. CDU, CSU und SPD werden daher alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf den Prüfstand stellen. ({4}) Das, was sich als wirksam erweist und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit oder zu Beschäftigung führt, wird fortgesetzt. Das alles könnte noch FDP-Programm sein; das ist aber aus Ihrem Koalitionsvertrag. Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft. Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein. Das wäre Ende 2006 gewesen. ({5}) Auf der Grundlage dieser Wirksamkeitsanalyse wird dann spätestens im Jahr 2007 - das ist fast herum die aktive Arbeitsmarktpolitik insgesamt grundlegend neu ausgerichtet und sichergestellt, dass die Mittel der Beitrags- und Steuerzahler künftig so effektiv und effizient wie möglich eingesetzt werden. Schöne Zeilen und Lyrik! Meine Damen und Herren von der Koalition, glauben Sie, dass Sie Ihre Ziele erreicht haben? Ich denke, nein; im Gegenteil: Das Wirrwarr unzähliger Fördermaßnahmen ist bislang nicht auf die erfolgreichen Maßnahmen reduziert worden. ({6}) Das Erfolgsmodell „Optionskommune“ erhält von Ihnen keine Unterstützung. Stattdessen hört man immer öfter, dass dort auch eingegriffen werden soll. ({7}) Statt einer schwerfälligen Mammutbehörde mit unzähligen Aufgaben fernab der Jobvermittlung brauchen wir eine kompakte, leistungsfähige und kundenorientierte Versicherungsagentur. Trennen Sie die Auszahlung der Versicherungsleistungen und die Aufgaben der Jobvermittlung! Bieten Sie Wahltarife an, die eine beitragsgünstige Grundversicherung ebenso zulassen wie eine komfortable Langzeitabsicherung zu höheren Prämien! Ich komme zum letzten Gedanken, Frau Präsidentin. Mit der heutigen Debatte um die bloße Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung lassen Sie erneut eine Chance verstreichen, die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland grundsätzlich zu entrümpeln und so die Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen. Anstatt Spielräume zu nutzen, die Ihnen die Entspannung am Arbeitsmarkt bietet, verharren Sie im Klein-Klein und versäumen die Chance für neue Weichenstellungen am Arbeitsmarkt. Das ist sehr betrüblich für die vielen Arbeitslosen in Deutschland. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Wolfgang Meckelburg das Wort. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem Kurzbeitrag - ich gehe gleich noch auf den Antrag der Linken ein - an Frau Höll beginnen: Nach Ihrer Rede verstehe ich nun etwas, was auf der Internetseite der Linken steht, was ich bisher nicht so verstanden hatte. Meine Mitarbeiter haben mir gesagt, dass dort wirklich steht: Wir fordern, die Erfahrungen der DDR nicht kategorisch abzulehnen, sondern auf zukunftsfähige Modelle hin zu überprüfen. Jetzt verstehe ich endlich, warum Sie Woche für Woche hier Anträge einbringen, die das alte System restituieren wollen. Ich muss Ihnen dazu sagen: Die Zeit ist wirklich vorbei. Sie müssen anfangen, umzudenken, um in der neuen Zeit anzukommen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Meckelburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Höll?

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön. Ich bin immer bereit, zu helfen, damit man etwas lernen kann.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, ich bin auch gerne bereit, solche Einwände Ihrerseits zur Kenntnis zu nehmen, aber dieser Einwand hat sich mir inhaltlich nicht ganz erschlossen. Eine Arbeitslosenversicherung hatten wir in der DDR nicht, weil wir keine Arbeitslosigkeit hatten. ({0}) Das können wir zunächst einmal festhalten. Das kann es also nicht gewesen sein. Man könnte natürlich mal einfach darüber reden, dass wir in der DDR sehr wohl ein Angebot für eine flächendeckende und bedarfsdeckende Ganztagsbetreuung hatten. Hochqualifizierte Kräfte, vor allem Frauen, haben im Krippenbereich, im Kindergartenbereich und im Hortbereich gearbeitet. Eine Versorgung der Kinder bis zum 10. Lebensjahr war also wirklich möglich und bezahlbar. Wir hatten in der DDR ein System der Polikliniken, und wenn ich mich recht entsinne, sind wir derzeit dabei, das Hausarztprinzip zu stärken. ({1}) Wir sind dabei, Gesundheitszentren zu installieren. Mit ein bisschen Nachdenken könnte man ja durchaus zu dem Schluss kommen, an dem Satz, den Sie da gelesen haben, könne etwas dran sein. ({2})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich sah gerade schon die Gefahr, dass Sie das komplette Vokabular von der Internetseite der Linken hier von A bis Z aufzählen wollten, und war schon sehr gespannt. Wir reden hier aber über den Arbeitsmarkt. Das ist der Bereich, der uns im Ausschuss betrifft. ({0}) Das Gelächter des Parlaments auf Ihre Feststellung, in der DDR habe es keine Arbeitslosigkeit gegeben, muss Sie doch ein bisschen zum Überlegen bringen. Da Sie ja viele Jahre Mitglied der SED waren und heute aus Ihrer Fraktion so viel Beifall bekommen, muss ich wirklich sagen: Sie sind in der neuen Zeit noch nicht angekommen. Sie haben noch eine Menge zu lernen. ({1}) Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt möchte ich unsere bisher erzielten Teilerfolge zusammenfassen. Wir haben die Arbeitslosigkeit auf jetzt 3,54 Millionen gesenkt; das sind fast 700 000 weniger als im Vorjahr. Wir haben fast 40 Millionen Erwerbstätige, darunter fast 27 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Die Trendwende hat im April letzten Jahres begonnen. Bis dahin hatten wir über fünf Jahre jeweils einen Rückgang bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Zahl der Beschäftigten wächst nach wie vor; im September hatten wir 555 000 mehr als im Vorjahr. Das ist eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der offenen Stellen liegt bei 1 Million. Auch die Situation der älteren Arbeitslosen hat sich verbessert, auch hier ist ein stärkerer Rückgang zu verzeichnen. Inzwischen sind 50 Prozent der 55- bis 64-Jährigen in Beschäftigung. Auch das ist eine Steigerung gegenüber der letzten Zeit. In der Gruppe der 55- bis 60-Jährigen sind zwei Drittel in Beschäftigung. Das heißt, überall gibt es sehr positive Entwicklungen. Das ist das Ergebnis der Politik der Großen Koalition. Wir vermitteln schneller im Bereich der Empfänger von Arbeitslosengeld I. Aber auch bei der Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld II gibt es inzwischen einen deutlichen Rückgang. Dennoch gibt es an dieser Stelle Probleme. Deshalb müssen wir über den Bereich des Übergangs vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II reden. Mit dem vorliegenden Gesetz soll das Ziel verfolgt werden - das muss man am Ende dieser heutigen Debatte verdeutlichen -, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Die Auswirkungen einer solchen Maßnahme dürfen nicht unterschätzt werden. Im Antrag der Linken konnte ich lesen, dass Sie das nicht wollen. Also wollen Sie auch nicht die Effekte, die von einer Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung ausgehen. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir wollen sie. ({2}) Wir haben es geschafft, über die in einem ersten Schritt geplante Senkung hinauszugehen. Der Beitrag wird stärker als von 6,5 auf 4,5 Prozent gesenkt; seit 1. Januar beträgt er nämlich 4,2 Prozent. Im Gesetzentwurf steht, dass der Beitrag zum nächsten Januar noch einmal, und zwar von 4,2 auf 3,9 Prozent, gesenkt wird. Letzte Woche war ich mir relativ sicher, dass wir bei 3,5 Prozent landen werden. Inzwischen bin ich mir sicher. Um es deutlich zu sagen: Vom 1. Januar dieses Jahres bis zum 1. Januar des neuen Jahres, also innerhalb von zwölf Monaten, haben wir eine Entlastung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in Höhe von 24 Milliarden Euro hinbekommen. Diesen großen Erfolg hatte niemand erwartet. Damit leisten wir einen Beitrag für die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in unserem Land, und das ist notwendig. ({3}) Allein der letzte Schritt, den wir jetzt noch in der Planung haben, nämlich die Senkung von 3,9 auf 3,5 Prozent, entspricht einer Entlastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Höhe von 5 Milliarden Euro. Genau diese Summe haben wir bei der Unternehmensteuerreform in die Hand genommen. Ich sage dies, damit man einmal die Größenordnung erkennt. Für die Arbeitnehmer bedeutet die Senkung um 3 Prozentpunkte aufs Jahr gesehen 400 Euro mehr in der Tasche. Diese Entlastung ist sehr wichtig. Die Senkung der Lohnnebenkosten ist ein Beitrag zur Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen. Die Union will diesen Weg weitergehen. Sie von der Linken wollen das nicht. Diesen Punkt muss man bei Ihnen kritisieren. ({4}) Ich spreche einen weiteren Punkt an, der im Gesetzentwurf vorgesehen ist und über den man sich in der Tat streiten kann. Es geht um den sogenannten Aussteuerungsbetrag. Das ist der Betrag, den Arbeitslose, wenn sie - in der Regel nach einem Jahr - vom Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II wechseln, sozusagen mitbekommen. Es handelt sich dabei um einen Betrag von etwa 10 000 Euro. Da aber die Empfänger von Arbeitslosengeld I relativ schnell vermittelt werden, ist der dafür benötigte Betrag kleiner geworden. Im Haushalt waren einmal 4 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Benötigt werden jetzt noch etwas mehr als 2,2 Milliarden Euro. Diese Zahl zeigt, wie erfolgreich wir in diesem Bereich sind. Auch wenn ich mit einer Politik der Marktwirtschaft konform gehe, bin ich bereit, darüber zu diskutieren, ob man nicht eine Hilfe in Form eines sogenannten Eingliederungsbeitrages in diesem Bereich einrichten sollte. Man kann lange darüber streiten, ob man den MehrwertWolfgang Meckelburg steuerpunkt, den man für die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung verwandt hat, wieder herausnehmen und dafür auf den Eingliederungsbeitrag verzichten sollte. Ich finde die Lösung, die wir jetzt gefunden haben, pfiffiger. Denn mit der Verwendung eines Prozentpunktes aus der Mehrwertsteuererhöhung konnten wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung deutlich senken. Da gab es zwischen FDP und Union einen kleinen Streit. Aber ohne diesen Prozentpunkt aus der Mehrwertsteuererhöhung wäre eine Senkung nicht möglich gewesen. Jetzt wird der Beitrag noch einmal verringert. Wir haben sicherlich im Bereich der ALG-II-Empfänger ein Problem. Um in diesem Bereich mehr Bewegung zu schaffen, halte ich es für denkbar, einen Eingliederungsbeitrag in Höhe von 50 Prozent der Eingliederungsmittel zumindest für eine gewisse Zeit zu beschließen. Dabei handelt es sich nicht um ein großes Hin und Her und auch nicht um ein Gestrüpp, wie vorhin gesagt worden ist, sondern es ist eine sehr überschaubare Maßnahme. Man weiß nämlich genau, welche Mittel von wo nach wo fließen. Bei einer Verbesserung der Lage können wir uns sicher noch anderes vorstellen. Ich halte es jetzt aber für hilfreich, so vorzugehen. Dies ist gesetzlich durch § 340 SGB III abgesichert. Das heißt, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge dürfen nach diesem Paragrafen auch für die Arbeitsförderung genutzt werden. Ich will kurz auf die Bildung des Sonderfonds eingehen. Ich halte ihn für vertretbar, weil wir zurzeit bei der Bundesagentur eine Rücklage haben. Aus dieser Rücklage nehmen wir 2,5 Milliarden Euro als Grundstock, um eine Versorgungsbasis für die dort beschäftigten Beamten und Angestellten zu schaffen. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den Antrag der Linken eingehen; denn ich finde, man darf nicht durchgehen lassen, dass die Linke Woche für Woche mit einer bunten Tüte durch das Plenum läuft und fragt: Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Wo können wir noch ein bisschen Geld ausgeben? Vor allen Dingen mache ich Ihnen den Vorwurf, dass Sie immer wieder Anträge schreiben mit dem Ziel, den Menschen mehr Sozialleistungen zu gewähren: Sie wollen die Rente ab 67 nicht, Sie wollen das ALG II erhöhen, Sie wollen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bis zum Gehtnichtmehr verlängern. Das alles hilft den Menschen nicht. Sie orientieren Ihre Politik nicht im Geringsten an denjenigen Menschen, die als Normalfall zu sehen sind, nämlich an denjenigen Menschen, die in Arbeit sind. ({5}) Es ist der Regelfall, dass man in Arbeit ist. Wir tragen so weit wie möglich dazu bei, Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist das Ziel unserer Politik. Daran orientieren Sie sich nicht. Sie nehmen die 40 Millionen Erwerbstätigen nicht zur Kenntnis. Die stören Sie nicht, die interessieren Sie nicht. ({6}) Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass wir sozialversicherungspflichtig Beschäftigte haben. Sie wollen vielmehr das, was diese Menschen erwirtschaften, wieder ausgeben. Das ist eine alte Methode. Daran ist die DDR kaputtgegangen; das muss ich einmal ganz deutlich sagen. ({7}) - Danke. Hin und wieder sollte man den Blick darauf wenden, was in der Politik bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Schaffung von neuer Arbeit ganz und gar nicht geht. Ich empfehle allen Kollegen, zwischendurch einmal einen Antrag der Linken zu lesen. Sie werden dann gehäuft all das lesen, was ganz und gar nicht hilft, den Arbeitsmarkt nach vorne zu bringen. Im vorliegenden Antrag ist es wieder so. Sie wollen keine Beitragssenkung, obwohl erkennbar ist, dass die Beitragssenkungen dazu geführt haben, mehr Arbeit zu schaffen. ({8}) - Lesen Sie nicht nur Ihre linksgefärbten Bücher! Kaufen Sie sich einmal ein ordentliches Buch zu Weihnachten; das lohnt sich! - Sie wollen ein gestaffeltes ALG mit einer so langen Bezugsdauer, dass man dazu nur sagen kann: herzlichen Glückwunsch! Sie wollen Ausbildungsplätze schaffen - natürlich wieder außerbetriebliche. Sie wollen das SGB III für alles Mögliche einsetzen; alles soll weiter, höher und schneller kommen. In dieser Olympiade haben Sie zwar längst gewonnen; die Bürger in diesem Land werden Sie aber nicht linken können. Danke. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Mecklenburg, ({0}) wir haben sicher nicht die Zeit - dies ist auch nicht der Platz -, eine Geschichtsstunde zu halten. Das Wirtschaftssystem der DDR ist klar gescheitert. Das weiß ich vielleicht besser als Sie; ich war DDR-Bürgerin. ({1}) Es ist aus verschiedenen Gründen gescheitert. Die DDR hatte ganz andere Startbedingungen als die Bundesrepublik. Sie war nicht frei in ihrer Entwicklung. Sie war in12498 effektiv. Es gab auch in der DDR viel Bürokratie usw. usf. Aber eines hatten wir in der DDR wirklich nicht: Wir hatten de facto keine Arbeitslosen. ({2}) Es ist ein Riesenunterschied, ob die Menschen in Arbeit sind oder ob wie heute immer noch 3,5 Millionen Menschen davon ausgeschlossen sind, sich ihren Lebensunterhalt selber erwerben zu können. Die Wirtschaft ist nicht dazu da - daran halten wir fest; Sie können ruhig sagen, das sei nach hinten gewandt -, dass die Gewinne bzw. die Einkommen der Manager steigen und immer nur die Rendite gesehen wird. Die Wirtschaft sollte sich um alle Menschen in unserer Gesellschaft kümmern; darum geht es uns. Lesen Sie unsere Anträge bitte richtig. Wir lesen Ihre übrigens auch; denn sonst könnten wir hier ja nicht Politik machen. Wir setzen uns durchaus damit auseinander. Sie haben nur die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten im Kopf. ({3}) Sie zielen dabei nur darauf ab, die Aufwendungen der Unternehmen zu senken. Deswegen sind Sie von der paritätischen Finanzierung abgewichen. Ihnen ist die Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer doch egal. Sie haben das Prinzip der paritätischen Finanzierung aufgegeben. Schauen wir uns doch einmal Ihre Reformen im Gesundheitswesen an! Sie haben uns pauschal vorgeworfen, wir würden nur verteilen wollen. Das stimmt nicht. Sie verschließen sich vielmehr unseren Umverteilungsvorschlägen. Wir haben verschiedene Vorschläge zur Vermögensteuer, zur Erbschaftsteuer und zum Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit gemacht. Wir haben zum Beispiel vorgeschlagen, dass Weiterbildungsmaßnahmen länger als drei oder sechs Monate dauern können. Die Bundesagentur weiß, dass Leute, die ALG I beziehen, nach zwölf Monaten aus der Förderung herausfallen. Es geht um langfristige Maßnahmen. All dem müssen Sie sich endlich stellen. Sie müssen vor allen Dingen die Leute, die heute langzeitarbeitslos sind, wieder fördern. Das ist Ihre Aufgabe. Es ist einfach lächerlich, uns hier vorzuwerfen, wir würden uns nicht für die Leute interessieren. Die Leute wissen, dass wir für sie kämpfen. Wir haben auch schon einiges erreicht. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Meckelburg hat die Möglichkeit, zu erwidern.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich mache jetzt nicht den Fehler, Ihren Namen falsch auszusprechen, Frau Höll. ({0}) Das ist verzeihbar. Wenn man Meckelburg heißt, sagt mancher „Mecklenburg“ oder „Vorpommern“. ({1}) Ich will Ihnen erstens ganz deutlich sagen: Sie hatten in der DDR keine Arbeit, allerdings Beschäftigung. Bei mehreren Besuchen habe ich selbst gesehen, dass die Leute alle etwas zu tun hatten. Gegen Mittag war die Arbeit aber aus. Sie können uns nicht weismachen, es hätte Arbeit und Beschäftigung wirklich gegeben. Genau daran ist die DDR nämlich kaputtgegangen. ({2}) In der Landwirtschaft zum Beispiel waren in der DDR siebenmal so viele Menschen beschäftigt wie in Westdeutschland, ohne dasselbe zu erreichen. Dieses Einzelbeispiel zeigt, was da wirklich los war. Das war keine produktive Arbeit. Da ist nichts bei rumgekommen. ({3}) Da Sie offensichtlich vieles nicht richtig gesehen haben, möchte ich als letzten Satz sagen: Sie hatten offensichtlich auch keine politischen Gefangenen in der DDR. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6741 und 16/6035 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Pawelski, Wolfgang Börnsen ({1}), Laurenz Meyer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, Monika Griefahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kulturwirtschaft als Motor für Wachstum und Beschäftigung stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Otto ({3}), Christoph Waitz, Vizepräsidentin Petra Pau Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Kulturwirtschaft als Zukunfts- und Wachstumsbranche in Europa stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Bedeutung der Kulturwirtschaft anerkennen und ihren Stellenwert auf Bundesebene nachhaltig fördern - Drucksachen 16/5110, 16/5101, 16/5104, 16/6742 Berichterstattung: Abgeordnete Rita Pawelski Hans-Joachim Otto ({4}) Dr. Lukrezia Jochimsen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Wolfgang Börnsen ({6}), Steffen Kampeter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Siegmund Ehrmann, Petra Merkel ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Populäre Musik als wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens stärken - Drucksachen 16/5111, 16/6731 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Hans-Joachim Otto ({8}) Dr. Lukrezia Jochimsen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die Unionsfraktion. ({9})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist Brot für die Seele. Doch Kultur kann mehr: Gekoppelt mit der Wirtschaft war sie in den letzten zehn Jahren der zuverlässigste Jobmotor in unserem Land. ({0}) Jahr für Jahr gab es bei den Arbeitsplätzen eine Steigerung um 3 Prozent. Das sind 30 Prozent in zehn Jahren. Wenige Branchen in unserem Land sind so erfolgreich wie die Kulturwirtschaft. ({1}) Man zählt 825 000 Beschäftigte dazu. Mit dem Bereich Chemie hat man gleichgezogen, die Automobilwirtschaft sogar bereits um 200 000 Arbeitsplätze übertrumpft. Diese Entwicklung wollen wir von der Union nicht nur stabilisieren, sondern ihr auch eine zusätzliche Dynamik geben. Deshalb diese Initiative. Sie geht davon aus, dass der eigentliche Treibriemen für diese eindrucksvolle Aufwärtsentwicklung der Kulturwirtschaft die Kreativität ist. Die schöpferischen Prozesse führen zu neuen Ideen und Initiativen. Kreativität ist der eigentliche Rohstoff für den Erfolg des Standortes Deutschland. ({2}) Das gilt für viele wirtschaftliche Abläufe und so manche unternehmerische Entscheidung. Darüber hinaus sind die Creative Industries ein bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden. Musikwirtschaft, Theaterhäuser, Verlagsgewerbe, Literatur-, Buch- und Pressemarkt, Film, Kunstmarkt, Video, Rundfunk, Design, Architektur, Museen, Kunstausstellungen, der Werbemarkt und die Spieleindustrie - sie alle gehören zu den Kernbranchen der Kulturwirtschaft. In der Kulturwirtschaft ist die Produktion künstlerischer und kultureller Güter die gemeinsame Grundlage. Sie ist das Herzstück der Kreativwirtschaft. Sie wird noch um die Bereiche Werbung und Multimedia ergänzt. In der Kreativwirtschaft verbinden sich kulturelle Ideen mit technologischer oder wissenschaftlicher Kreativität. Ohne Kreativität gibt es keine Ideen, keine Innovationen und keine Entwicklung. Im harten ökonomischen Wettbewerb wird nur der Standort gewinnen, an dem die kreativsten Köpfe am meisten gefördert werden. ({3}) Das gilt von der Forschung bis hin zur Wirtschaft und Wissenschaft; das gilt auch im internationalen Wettbewerb. Deutschland muss in Zukunft verstärkt auf die Kreativität setzen. Dann haben wir weiterhin großartige Chancen auf dem Weltmarkt. ({4}) Diese Förderung der Kreativ- und Kulturwirtschaft stärkt die Innovationsfähigkeit unseres Landes, wie auch alle Wissenschaften es tun. Ohne Kreativität können wir keine Zukunftsperspektiven entwickeln. „Deutschland Land der Ideen“, diese Initiative setzt auf schöpferisches Tun. Dieses gute Beispiel sollte in jeder Stadt, an jedem Ort Schule machen. Diese Ausrichtung bezweckt auch die Berliner Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom 25. März dieses Jahres. Sie schreiben gemeinsam: Europas Reichtum liegt im Wissen und Können seiner Menschen; dies ist der Schlüssel zu Wachstum, Beschäftigung und sozialem Zusammenhalt. Wolfgang Börnsen ({5}) Wissen, Können und Kreativität, diese Ressourcen haben wir weiterzuentwickeln und auszubauen. ({6}) Diese Botschaft müssen wir noch mehr als bisher in das Bewusstsein aller Bürger rücken. Eine weitere Klarstellung gehört in diesen Zusammenhang: Kultur ist wahrlich keine brotlose Kunst. Sie ist ein bedeutender Standortfaktor. Wenn es überall in Europa saubere Luft, niedrige Steuern, die gleichen Lebensmittel und ordentliche Schulen gibt bzw. geben sollte, dann spielt es für die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen eine große Rolle, wenn diese in einer Stadt, in einer Region auf eine Kulturszene treffen, die bunt, vielfältig und hochwertig ist. Das ist ein Standortfaktor für die Zukunft. ({7}) Eine lebendige Kulturwirtschaft zieht Musiker, Schriftsteller, Theaterleute, Maler oder Bildhauer an. Diese Entwicklung kommt der Kulturwirtschaft zugute und löst wieder neue Prozesse aus. Dies ist ein Teufelskreis - diesmal ein positiver -, der bei der Entwicklung ganzer Regionen eine Rolle spielt. Die Kulturwirtschaft nimmt vielerorts Einfluss auf den Strukturwandel. Wo die alten Industrien weichen mussten, haben Investitionen in die Kulturwirtschaft den Charakter von Regionen verändert. Prominentes Beispiel in Deutschland ist das Ruhrgebiet, für das die Zeche Zollverein zum Symbol des Wandels geworden ist. Zu Recht findet die Leistung, die dort von den Menschen vollzogen worden ist, internationale Anerkennung durch die Auszeichnung Essens und seiner Region als Kulturhauptstadt 2010. Das ist auch eine Anerkennung der Kulturwirtschaft selbst. Wo ein kreatives Klima gefördert wird, entsteht Wachstum, werden hochwertige Arbeitsplätze geschaffen, entwickeln sich der Erfindungsreichtum und die Leistungskraft einer Region ungewöhnlich stark. Grund dafür ist auch die Struktur der Kulturberufe. Besonders die Selbstständigen sorgen für eine neue Wachstumsdynamik: Designer, Grafiker, Film- und Bühnenausstatter, Ton- und Bildingenieure, Journalisten, Übersetzer, Schriftsteller und viele andere mehr. Ihre Anzahl hat in den vergangen zehn Jahren einen Anstieg von 50 Prozent erreicht. Die Gruppe der Selbstständigen in den Kulturberufen wächst viermal schneller als die Gesamtgruppe aller Selbstständigen in unserem Land. Jeder Dritte in der Kulturwirtschaft steht auf eigenen Beinen. Gerade diesen Einzelkämpfern muss unsere besondere Aufmerksamkeit dienen. Sie sind eine entscheidende Triebfeder und sorgen für Initiative, Dynamik und Zukunft. Mit der heutigen Initiative stellen wir uns dieser Aufgabe. Dass es dazu fraktionsübergreifend kommt, verdeutlicht die Ernsthaftigkeit dieses gemeinsamen Anliegens. Meinen kooperativen Kolleginnen und Kollegen - ganz besonders nenne ich Rita Pawelski, Sigi Ehrmann, Joachim Otto, Grietje Bettin und Lukrezia Jochimsen - danke ich dafür. ({8}) Mein Dank gilt auch den beteiligten Häusern von Staatsminister Bernd Neumann, der eine prima Voraussetzung geschaffen hat, und Wirtschaftsminister Michel Glos. Die Kulturwirtschaft hat Augenhöhe erreicht. ({9}) Vergessen wir eines nicht: Kultur ist auch Heimat; sie stiftet gerade in Zeiten der Globalisierung Orientierung und Zusammenarbeit. Kulturwirtschaft bedeutet daher nicht die Reduzierung von Kultur auf ein reines Wirtschaftsgut. Kultur steht immer zuerst als Wert für sich. Wo sie sich lebendig und attraktiv entwickeln kann, dort lassen sich Menschen nieder. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass es dazu überall in unserem Land kommt! Danke schön. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Otto für die FDP-Fraktion.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Lob. ({0}) - Sie wissen doch gar nicht, was kommt. ({1}) Ich habe es in meinem parlamentarischen Leben recht selten erlebt, dass die Inhalte verschiedener - partiell sogar etwas gegenläufiger - Anträge von den Regierungsfraktionen so unvoreingenommen geprüft und zum Teil übernommen worden sind wie in diesem Fall. Dies muss man wirklich lobend hervorheben. Ausdrücklich sage ich der Kollegin Pawelski Dank - hier spreche ich sicherlich nicht nur in meinem eigenen Namen, sondern auch in dem der übrigen Fraktionen und des Ausschusses für Kultur und Medien -, die dieses vorbildliche Verfahren koordiniert hat und deren ganz persönliches Verdienst es ist, dass die drei Anträge der Koalitionsfraktionen, von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP so erfolgreich zusammengeführt worden sind. ({2}) Es ist gut, dass wir bei diesem wichtigen Thema, das nach meiner Kenntnis erstmals im Deutschen Bundestag eingehend gewürdigt wird, mit einer Stimme sprechen. Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass von dieser DeHans-Joachim Otto ({3}) batte, diesem gemeinsamen Beschluss des Deutschen Bundestages und natürlich auch dem Bericht der Enquete-Kommission, den wir im Dezember entgegennehmen werden, ein Impuls ausgeht, der auch noch den letzten Entscheidungsträger davon überzeugt, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft keine Liebhaberei und keine Nischenwirtschaft ist, sondern ein zentraler Wirtschaftsbereich, in dem allein in Deutschland 117 Milliarden Euro Umsatz erzielt werden und 815 000 Beschäftigte einen Arbeitsplatz finden. ({4}) Aber die Kultur- und Kreativwirtschaft - das ist das Besondere - ist nicht nur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für unser Land, sondern auch eine Branche mit einem gesellschaftlichen Mehrwert, weil sie mit Waren und Dienstleistungen umgeht, die einen Doppelcharakter haben: zum einen Wirtschaftsgut, zum anderen Kulturgut. ({5}) Deswegen ist auch die geplante Zusammenarbeit von BKM und Wirtschaftsministerium im Kern sicherlich sinnvoll. Ich hebe einen Aspekt der Kulturwirtschaft, den wir Liberale zu dem gemeinsamen Antrag beigesteuert haben, in wenigen Sätzen hervor, nämlich die europäische Dimension. Während wir in Deutschland seit Jahren auf den ersten bundesweiten Kulturwirtschaftsbericht warten, hat die Europäische Kommission bereits vor einem Jahr die Studie The Economy of Culture in Europe vorgelegt, die ein beeindruckendes Bild der Kultur- und Kreativwirtschaft gezeichnet hat: 654 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2003, 5,8 Millionen Beschäftigte und beträchtliche Wachstumsraten, die - Kollege Börnsen hat darauf hingewiesen - in diesem Bereich immer höher als in der Gesamtwirtschaft sind. Dies beweist für jeden sichtbar die wirtschaftliche Bedeutung dieser Branche. Daher haben wir uns in dem vorliegenden Antrag dafür ausgesprochen, dass die Kreativwirtschaft Teil der Lissabon-Strategie wird, die sich zum Ziel gesetzt hat, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Vor diesem Hintergrund müssen wir vor allem auf das Potenzial der kleinen Unternehmen setzen und Fördermaßnahmen auf diese abstimmen, da sie gerade in dieser Branche die treibende Kraft für Wachstum, Beschäftigung und Innovationen sind. Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die europäischen Aspekte der Kulturwirtschaft möchte ich es mir an dieser Stelle nicht verkneifen, auf die hochkarätig besetzte Kulturwirtschaftskonferenz hinzuweisen, die im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Mai dieses Jahres stattgefunden hat. Viele der hier Anwesenden haben daran teilgenommen. Diese Tagung mit dem Titel „Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa - Kohärente Politik in einer globalisierten Welt“ war im Übrigen keine Veranstaltung der Bundesregierung, sondern es handelte sich um die mittlerweile immerhin vierte Jahrestagung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die gemeinsam mit dem Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft durchgeführt wurde. Der fraktionsübergreifende Antrag zur Kulturwirtschaft ist aber nicht der einzige Gegenstand dieser Debatte. ({6}) Bei einem weiteren Antrag, der heute auf der Tagesordnung steht, ist die Bilanz bei weitem nicht so rosig; ich ahne, dass dies auch der eine oder die andere Abgeordnete aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, wenn er bzw. sie ehrlich ist, so sieht. Ich meine den Antrag „Populäre Musik als wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens stärken“ mit seinem zentralen Bestandteil, der „Initiative Musik“. Sie alle erinnern sich wahrscheinlich noch an die Geburtsstunde der „Initiative Musik“ - ihre Zeugung, um bei diesem Bild zu bleiben, liegt gänzlich im Dunkeln -: Ihre Geburtsstunde erlebte die „Initiative Musik“ bei den Beratungen des Bundeshaushalts 2007, nachdem der Kulturausschuss seine diesbezüglichen Beratungen längst abgeschlossen hatte. Erst in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses erfuhren die überraschten Kulturpolitiker - ich habe den leisen Verdacht, dass es nicht nur den Mitgliedern der Oppositionsfraktionen so ging -, dass der Etat der Kulturstiftung des Bundes mal eben um 3 Millionen Euro gekürzt worden war und dass 1 Million Euro davon in eine „Initiative Musik“ gesteckt werden sollte, von der damals niemand wusste, was genau sich dahinter eigentlich verbirgt; ({7}) bei vielen ist das bis zum heutigen Tage so geblieben. Es fällt sicherlich schwer, gegen eine Initiative zu sein, die der betroffenen Branche nicht zum Nachteil gereichen wird - das hoffe ich jedenfalls. ({8}) Ich frage mich und Sie aber ernsthaft, ob diese Initiative, nachdem das Projekt „German Sounds“ ein Misserfolg wurde, konzeptionell auf einem festen und soliden Fundament steht. Die nicht allzu intensive Beteiligung der Musikwirtschaft an diesem Projekt scheint mir ein Indiz dafür zu sein, dass die „Initiative Musik“ nicht alle zu überzeugen vermag. Auch frage ich mich, ob die deutsche Musikwirtschaft wirklich so unterstützungsbedürftig ist bzw. ob der Musikbranche nicht viel mehr geholfen wäre, wenn die allgemeine Wirtschaftspolitik der Regierung besser wäre und Steuererhöhungen unterlassen worden wären. ({9}) Wir Freien Demokraten jedenfalls haben gestern beschlossen, eine Kleine Anfrage zu stellen, die eine Fülle von Fragen zur „Initiative Musik“ beinhalten wird. Vielleicht wäre es sinnvoller, anderen Branchen, die zu Unrecht weniger öffentliche Wahrnehmung als die Popmusik genießen, mehr Aufmerksamkeit zu widmen, zum Beispiel der Designbranche. Hans-Joachim Otto ({10}) Ich komme zu meinem letzten Punkt zur Kulturwirtschaft. Ich würde mich freuen, lieber Herr Staatsminister - wie ich sehe, schenkt er mir im Moment nicht sein Ohr -, wenn wir in diesem Hause demnächst wieder einmal über die Filmpolitik der Bundesregierung diskutieren würden. Bei allem Respekt vor den und allem Lob für die beachtlichen Leistungen des Kulturstaatsministers in diesem Bereich gibt es insbesondere im Hinblick auf den Deutschen Filmförderfonds durchaus Anlass, über die Vergabebedingungen hier im Parlament im Einzelnen zu diskutieren und zu erörtern, ob bzw. inwieweit die von uns gemeinsam entwickelten Förderziele mit der derzeitigen Konstruktion optimal erreicht werden können. ({11}) Das Wichtigste an der Debatte des heutigen Tages ist aber zweifellos, dass die Politik an die Kultur- und Kreativwirtschaft in großer Einmütigkeit das deutliche Signal sendet, dass sie mit verstärkter Aufmerksamkeit und Unterstützung der Politik rechnen kann und wir die hervorragenden und weltweit konkurrenzfähigen Leistungen der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft noch mehr als bisher zu würdigen wissen. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Siegmund Ehrmann, SPD-Fraktion. ({0})

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat sehr erfreulich, dass es uns gelungen ist, die unterschiedlichen Anträge zusammenzuführen und zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. Allen, die dabei mitgewirkt haben, möchte ich herzlich danken. Insbesondere aber möchte ich für die sehr fachkundige, außerordentlich liebenswürdige Moderation und Initiative Frau Pawelski danken. ({0}) - Frau Pawelski, das mache ich nachher Face to Face; es war nur Gutes. Das Thema Kulturwirtschaft scheint ein richtiges Trendthema zu sein. Es gibt eine Fülle von Foren und Tagungen. Allein im deutschsprachigen Sektor von Google findet man etwa 400 000 Einträge. Es gibt eine Fülle nationaler, regionaler, lokaler Aktivitäten. Dass das nicht nur oberflächlich ist, stellt man fest, wenn man dahinter schaut; vieles davon hat Substanz. Ich möchte mich in meinen Bewertungen auf zwei Themenfelder konzentrieren. Denn trotz all der Euphorie, die mit der Kulturwirtschaft verbunden ist, gibt es zumindest in einem bestimmten Sektor unserer Öffentlichkeit sehr kritische Einwände derart, dass die von uns diskutierten Konzepte der Kultur- und Kreativwirtschaft letztendlich ein Einfallstor seien, um marktradikale Konzepte durchzusetzen ({1}) - in der Tat, Herr Otto, so etwas soll es geben -, und letztendlich eine Blaupause bildeten, um auch andere Arbeitsmärkte und Branchen neu zu gestalten, umzustrukturieren. Der zweite Gedanke, auf den es mir ankommt, ist: Wie kann es uns gemeinsam gelingen, die weitere parlamentarische Arbeit so zu gestalten, dass wir dieses komplexe, fachübergreifende Thema vernünftig begleiten? Zum Ersten. Angelehnt an den Sozialwissenschaftler Florida und all die Heroen, die ihm gefolgt sind, ({2}) ist die Analyse - auch Wolfgang Börnsen hat das vorhin dargestellt -: Die Globalisierung führt in den alten Industriegesellschaften zu starken Veränderungen. Der wirtschaftliche Wohlstand kann nicht mehr vollkommen von der Industrie und dem ungeheuren Engagement des mittelständischen Handwerks erbracht werden. Aber die Wissensindustrie und der Dienstleistungssektor sind Felder, auf denen neue Dynamik entsteht. Die Kreativität ist der entscheidende Wirtschaftsfaktor der Zukunft. - Insofern, so die Forderung vieler, die das seit vielen Jahren begleitend analysieren, ist es wichtig, dass wir uns den Akteuren im Bereich von Kunst und Kultur und, etwas weiter gefasst, den sogenannten Kreativen zuwenden. ({3}) Die Gegenthese wird von der kritischen Gegenöffentlichkeit in Medien wie Freitag, der Jungen Welt, aber auch der Zeit vertreten und mündet, grob umrissen, in dem Vorwurf, die Kultur- und Kreativwirtschaft sei letztendlich das Versuchsfeld ebendieser veränderten, hochflexiblen, marktradikalen Politik. Ein Zitat von Thomas Wagner aus der Jungen Welt vom 5. Mai 2007: Mit dem schillernden Begriff der „Kreativität“ werben Exlinke … für die restlose Zerstörung des Sozialstaates. Als Beleg wird angeführt, dass in der Kulturwirtschaft Prototypen prekärer Beschäftigungsverhältnisse dominieren: ({4}) atypische Beschäftigungsverhältnisse, unregelmäßige Arbeitszeiten, kurzzeitige Anstellungen, Mehrfachanstellungen. ({5}) Der hohe Prozentsatz der Selbstständigen wurde erwähnt: Etwa 25 Prozent der auf diesen Feldern Tätigen sind selbstständig, die Mehrheit allerdings Kleinst- und Kleinunternehmer mit geringem Einkommen. In der Argumentation derjenigen, die das kritisch betrachten, erhebt die Politik mit der positiven Bewertung der Kulturund Kreativwirtschaft ebendiese ausgeformten Beschäftigungsverhältnisse zum Vorbild und verbrämt sie letztendlich in einem modischen Gewand. ({6}) Auch wenn wir uns hier einig sind, liegt mir sehr daran, zumindest einige der kritischen Einwände, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, anzuführen. So ganz von der Hand zu weisen ist das alles ja nicht. Die wirtschaftliche Situation insbesondere der Künstlerinnen und Künstler ist in der Tat sehr problematisch. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist deprimierend! Wir wissen das auch aufgrund anderer Arbeiten, zum Beispiel aus den Daten der KSK. ({7}) - Der Künstlersozialkasse, schönen Dank. Es ist immer gut, wenn man einen Stichwortgeber hat. - Danach verdienen sie im Durchschnitt etwa 11 000 Euro im Jahr. Allerdings gibt es starke Schwankungen; es gibt natürlich Felder, in denen ein Vielfaches erzielt wird. Trotzdem besitzen Kulturberufe eine große Anziehungskraft. Die Entwicklung der Beschäftigtenzahl wurde kurz umrissen: In den letzten zehn Jahren sind dort etwa 200 000 Beschäftigte hinzugekommen. Das Wachstum beträgt 3,6 Prozent. Ich nenne nur eine Berufsgruppe: In diesen zehn Jahren hat sich alleine im Sektor der Designer und Grafiker die Zahl der Beschäftigten verdoppelt. 25 Prozent sind selbstständig. Wenn dies alles so problematisch ist, dann ist es doch ganz interessant, zu fragen, was eigentlich die Motive dafür sind, dass sich die Menschen auf diesen Feldern in die Selbstständigkeit begeben. Ich zitiere das Institut für Medienforschung in München - das sieht gar nicht so depressiv aus -: ({8}) 58 Prozent derjenigen, die sich bewusst für diesen Beruf entschieden haben, sind froh, dass sie die Inhalte ihrer Arbeit und auch die Arbeitszeit sehr stark selbst bestimmen können. ({9}) Allerdings ist auch zur Kenntnis zu nehmen, dass 32,5 Prozent der Selbstständigen aussagen, dass sie deshalb selbstständig sind, weil sie keine Anstellung finden. Diese Zahl ist zu hoch. Trotzdem ist zu erkennen: Etwa 60 Prozent wählen mit voller Inbrunst und Überzeugung die Selbstständigkeit in diesen Berufen. Natürlich sind nicht alle Menschen für die Anforderungen und Herausforderungen in diesen Berufsfeldern geeignet. Allerdings werden die künstlerisch-kreativen Berufe immer beliebter. Viele Menschen entscheiden sich bewusst für den Beruf und sehen die Arbeitsbedingungen auch als Vorteil an. Insofern gibt es ein großes Spannungsfeld: auf der einen Seite interessante Märkte mit großen Potenzialen, auf der anderen Seite häufig problematische Arbeitsund Lebensverhältnisse der Beschäftigten. Aus diesem Spannungsverhältnis folgt das Politikkonzept, das wir hier gemeinsam erarbeitet haben. Wir wollen diesen Zustand nicht sich selbst überlassen, sondern zu einer gestaltenden Politik kommen. Auf der einen Seite wollen wir im Sinne einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung die Sektoren der Kultur- und Kreativwirtschaft dynamisieren; auf der anderen Seite wollen und müssen wir den dort Beschäftigten aber auch faire Bedingungen eröffnen. Diese Aufgabe müssen wir anpacken. ({10}) Hier setzen wir an, indem wir mindestens drei Punkte ansprechen und mit konkreten Anregungen hinterlegen: Es geht um Existenzförderung, um Existenzsicherung und letztendlich auch um die soziale Absicherung der unterschiedlichen Lebensrisiken. Die Künstlersozialkasse wurde genannt. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz. Es ist aber auch zu prüfen, inwieweit wir dort mit den Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik - SGB II und SGB III - flankierend tätig werden können. Insofern bin ich davon überzeugt - die kritische Gegenöffentlichkeit nicht ignorierend, sondern ihr gegenüber argumentierend -, dass wir den positiven Aspekten mit diesem Politikkonzept, das dem Antrag zugrunde liegt, in vollem Umfang Rechnung tragen. Wir sitzen hier nicht einem Hype auf, sondern wir packen das Ganze an, indem wir versuchen, kultur-, wirtschafts- und sozialpolitische Ordnungsrahmen zu schaffen, um den Menschen in diesen Feldern Perspektiven zu bieten und insbesondere unserer Ökonomie Zukunftsfelder zu eröffnen. ({11}) Zum Abschluss noch ein Gedanke zum Thema politische Gestaltung. Die politische Gestaltung bedarf der Institutionalisierung. Kultur- und Kreativwirtschaft bedeuten einerseits Kunst und Kultur und andererseits sehr komplexe Wertschöpfungsketten. Vom Doppelcharakter der kulturellen Güter und Dienstleistungen wurde bereits gesprochen. Sie sind auf der einen Seite Träger von Ideen und Wertvorstellungen, auf der anderen Seite aber auch Waren auf Märkten; hier geht es um Eigenwert und Wirtschaftsgut. Diese starken wechselseitigen Beziehungen finden sich in den Feldern, die wir unter dem Aspekt öffentlich geförderter Kulturpolitik betreiben, aber auch in den Feldern der Wirtschaftsförderung wieder. Weil Kultur- und Kreativwirtschaft unter diesem Betrachtungswinkel eine Querschnittsaufgabe ist, müssen wir auch im Parlament darüber nachdenken, wie wir diese Aktivitäten in der Zukunft begleiten. Die Bundesregierung hat sich darauf eingestellt, diese Themen in den betroffenen Häusern - wie heißt das so schön? - seriell zu bearbeiten, indem man Vorlagen und Berichte durch die Fachausschüsse jagt. Ich finde, gerade die gemeinsame Erarbeitung dieses Themas durch die Kultur- und Wirtschaftspolitiker der Fraktion hat gezeigt, dass auch die direkte Kommunikation einen hohen Wert hat. Wir haben ein Feld, das sehr stark und unstreitig der Kultur- und Kreativwirtschaft zuzuordnen ist: den Unterausschuss Neue Medien. ({12}) Meine Anregung ist, ob wir uns nicht darauf verständigen können, die koordinierenden Aufgaben unterhalb der Ebene der Fachausschüsse diesem Ausschuss zuzuordnen, um eine fachlich breite, intensive und direkte Kommunikation in einem sehr anspruchsvollen Thema zu ermöglichen und unserem eigenen Anspruch Nachhaltigkeit zu vermitteln. Insofern haben wir gemeinsam etwas Vernünftiges auf den Weg gebracht. Jetzt liegt es auch an uns, das mit Leben zu füllen, damit wir vielleicht in einigen Jahren eine sehr gute Bilanz ziehen können. Es kommt auch darauf an, dass wir die unterschiedlichen Politikebenen der Länder, aber auch auf Europa blickend, miteinander verknüpfen, um unserem Anspruch gerecht zu werden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Dieter Dehm, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Wir stimmen weder gegen den Antrag zur Popmusik noch gegen den zur Kulturwirtschaft. Es geht uns um humanistische Kreativitätsentfaltung. Mit die bedeutendsten Musiker Deutschlands von Kunze bis Lindenberg fordern seit langem eine Rundfunkquote für deutsche Songs. Die Franzosen erleben seit dieser Quote ein Aufblühen ihrer Popszene. Unsere Rockmusiker fordern dies nicht, um Deutschtümelei zu betreiben oder Musik aus Afrika oder Lateinamerika zu behindern, sondern um die US-Übermacht am Weltmarkt wenigstens etwas einzudämmen. Einige Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich mit US-Künstlern und deutschen Bands arbeite. Lassen Sie mich daher einige Beispiele nennen. Die niedersächsische Tonträgerfirma SPV. Sie gilt als das mittelständische Paradebeispiel und steht im Ranking sogar vor US-Majors. ({0}) Aber auch SPV kann bei der Preisdrückerei von Ketten wie Saturn und Media-Markt oft nicht mithalten, weil ihr kreativer Kostenanteil von 2,40 Euro an einem Händlerabgabepreis von 3 bis 4 Euro zu hoch ist. Wohl bemerkt: Auch ich liebe Springsteen, Cat Stevens, Yusuf Islam und Billy Talent - das ist jetzt der Werbeblock -; aber durch die angloamerikanische Weltsprache im Pop verteilen sich die Kreativkosten der US-Konzerne über den gesamten Globus auf wenige Cent pro CD. Deutsche Firmen wie SPV zahlen aber das 30- bis 300-Fache. Wenn eine Plattenfirma hierzulande also nicht nur als Importagentur, sondern auch als Talentförderin agiert, gerät sie in die existenzielle Kostenzange zwischen CD-Piraterie und Media-Markt-Erpressung. In seiner gegenwärtigen Gestalt bedroht der internationale Unterhaltungsmarkt die regionalen kulturellen Wurzeln nicht nur bei uns. Ich danke für die diesbezüglichen Hinweise des Kollegen Ehrmann. Die Kölner Band „Brings“ oder die deutschsprachigen Rapper der Band „Microphone-Mafia“, die aus Türken und Italienern besteht, gehören rein handwerklich zur Weltspitze, bleiben aber im Rheinland hängen. Sie können sich dort einigermaßen reproduzieren, weil das Rheinland kaufkraftstark ist. Ganz anders sieht es aber bei der Thüringer Band „Emma“ aus dem Eichsfeld aus, wo eine immense Arbeitslosigkeit und eine ganz geringe Kaufkraft zu verzeichnen sind, auch an der Kartenkasse. Jedes Bandmitglied muss täglich zehn Stunden - etwa am Bau - arbeiten und daneben proben und auftreten. Für diese Bands wäre es wichtig, etwa in einer bundesweiten Messe der regionalen Popmusik zusammenzukommen und vor neuem, überregionalem Publikum zu spielen, mitgetragen von Rundfunkanstalten, Bund und Ländern. Wie sind denn die Grönemeyers, Niedeckens, Lages, Karats oder Kunzes aufgestiegen? Damals gab es das „Haus der jungen Talente“ und eine große Zahl von Folkclubs und soziokulturellen Zentren, in denen sie noch als Liedermacher oder in ganz kleiner Besetzung Aug’ in Aug’ mit dem Publikum ihre Pointen, Lyrik und Gitarrenriffs wie in einem Laboratorium abprüfen konnten. Mit dem Kaputtkürzen des Sozialstaats wurden dann aber auch Clubs und Musikschulen zugemacht. Heute ist Musikerausbildung oft nur dickeren Portemonnaies vorbehalten. Gleichzeitig wurden Fernsehplätze für kritische Lieder - ich denke an den Liederzirkus mit Michael Heltau, an Lieder und Leute und anderes - gestrichen. Was aber heute groß da steht, sagt der Liedermacher Maurenbrecher, hat stets winzig angefangen. Der kleine „Club Voltaire“ zwischen den Frankfurter Bankhochhäusern und das kleine „Gartenhaus“ oder der „Jazz-Club“ in Hannover standen zwar an der Wiege großer Künstlerentwicklungen, aber ihre Existenzangst ist bis heute geblieben. Neben den Linken in Niedersachsen und Hessen sind auch Sie alle aufgerufen, hier konkret zu helfen. Ich bin als Texter, Komponist und Verleger jeweils Vollmitglied der GEMA. Lassen Sie mich aber auch von hier aus an die GEMA appellieren. Dass die GEMA unser Urheberrecht schützt, ist gut. Dass die GEMA kleinen Vereinen im Sport, im Karneval oder im Kleingarten horrende Strafsummen aufbrummt, wenn diese mal Musik einspielen, ist jedoch grundfalsch. ({1}) Ohne unsere Vereine ist Kulturleistung, auch die der GEMA, in Deutschland nicht überlebensfähig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Fehler - Herr Kollege Börnsen hat vorhin meine Kollegin Lukrezia Jochimsen ausdrücklich gelobt; aber bei der Einbringung des Antrags waren wir plötzlich draußen -, dass Sie die Linke als einzige Partei aus der Einbringung Ihres Antrags ausgegrenzt haben, auch wegen des großen Potenzials an Rockmusikern, Theaterleuten, Kabarettisten, Autoren, die uns Linke und andere bei außerparlamentarischen Aktivitäten, etwa von Gewerkschaften, Greenpeace und der Friedensbewegung, unterstützen. Ihre Anträge müssen noch mit konkretem Leben gefüllt werden. Warum nicht bei mehr offiziellen Feierlichkeiten Popmusik aus den Regionen mit einbeziehen? Der „Starclub“ der Beatles in Hamburg ist abgerissen. Aber die Burg Waldeck gibt es noch, wo viele ihren Anfang nahmen, wie Katja Ebstein, Hannes Wader, Konstantin Wecker und Reinhard Mey. Oder können wir nicht die ersten Auftritts- und Probenräume unserer großen Songkünstler, wie Gundermann und Nina Hagen, durch Denkmalschutz finanziell stabilisieren und gleichzeitig die Probenräume, Studios und Vermarktungsmöglichkeiten junger Bands fördern? Warum generieren wir nicht auch Gedenktage völlig neuer Art, zum Beispiel den Todestag von Rio Reiser, oder im Juni 2009 zum 30. Jahrestag des Bestehens von Rock gegen Rechts, das 1979 in Frankfurt immerhin einen NPD-Bundesparteitag verhindert hat? Oder zum 25. Jahrestag der großen Friedenskundgebung mit Willy Brandt und vielen Künstlern im Bonner Hofgarten? Es gäbe auch offizielle Möglichkeiten, sich solch großartiger Volkskünstler wie Karl Valentin und Wolfgang Neuss gemeinsam mit jungen Kabarettisten zu erinnern und in diesem Zusammenhang endlich den politischen Rundfunkboykott gegen die Altmeister des deutschen Chansons Franz Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp oder gegen den mutigen Hannoveraner Kabarettisten Dietrich Kittner nach 30 Jahren zu beenden. ({2}) - Auch der wird zu wenig im Radio gespielt. Ich erwähne ihn gerne, wenn du mich darauf ansprichst. Lassen Sie uns also diese Anträge nur als Anfang verstehen, in einen Prozess einzutreten, bei dem wir zuhören, vor allem den Künstlerinnen und Künstlern, auch dort, wo diese ihre sozialen Arbeitsbedingungen und die Lohnsituation ihrer potenziellen Kunden in ihren Liedern und Interviews problematisieren. Hören Sie auf, auch dort, wo Sie in Aufsichtsräten sitzen, Linke und linke Künstler aus dem Rundfunk, aus dem Kulturdiskurs oder aus solchen Anträgen wie heute auszugrenzen! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Es gehört immer dazu, dass erst einmal davon geredet wird, wer ausgegrenzt ist. Ich finde, an dieser Stelle muss man ganz klar sagen: Diejenigen, die einen Antrag zum Thema Kulturwirtschaft gestellt haben, haben sich zusammengetan und überlegt, ob sie einen gemeinsamen Antrag zustande bringen. Von der Linken gab es keinen Antrag. Deswegen kann da von Ausgrenzung nicht die Rede sein. ({0}) Insofern ist dieser Vorwurf wirklich völlig verfehlt. Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode - leider nicht mit Ihrer Beteiligung - über eine Quote für deutsche Musik diskutiert. ({1}) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Es geht hier um die Freiheit, ({2}) darum, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben und dass wir mit einer Quote ganz bestimmt nicht weiterkommen; das ist von vorgestern. ({3}) Eine Quote hatten wir in der DDR. ({4}) Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung darf ich Ihnen sagen: Ich fand das als Jugendliche furchtbar, schrecklich. Das brauchen wir nicht wieder. ({5}) Sie haben die soziale Situation der Künstlerinnen und Künstler angesprochen, gerade der kleinen. Wir streiten mit unserem Kulturwirtschaftsantrag für eine Verbesserung der sozialen Situation. Ich finde, hier gibt es ein großes Feld politischer Betätigung, um das wir uns dringend kümmern müssen. Gerade die kleinen Künstler und Künstlerinnen, die kleinen Kreativen in der Kreativwirtschaft brauchen mehr Unterstützung, und zwar auf allen Ebenen, sowohl in der Kulturwirtschaft als auch in der Arbeitsmarktpolitik. Vor ungefähr einem Jahr begann die Kulturwirtschaft, im Bundestag eine Rolle zu spielen. Wir haben eine Kleine Anfrage zu diesem Thema an die Bundesregierung gerichtet. Damals war von Regierungsseite zu diesem Thema noch nicht sehr viel zu hören. Mittlerweile gibt es einen kreativen Wettbewerb zwischen Kulturstaatsminister und Wirtschaftsminister. Ich finde das gut. Ich nehme an, dass die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker am Ende eine Jury benennen werden, die dem Kreativsten der beiden einen Orden verleihen wird. Dieser Wettbewerb ist auf jeden Fall gut und sorgt dafür, dass bei der Förderung der Kulturwirtschaft mehr passiert. ({6}) Die lange Zeit etwas undurchsichtige Initiative „Kultur und Kreativwirtschaft“ des Wirtschaftsministeriums, die kürzlich öffentlich gemacht wurde, enthält zum großen Teil Punkte, die im Kulturausschuss von den Fraktionen erarbeitet wurden. Als Kulturpolitiker können wir sagen: Liebes Wirtschaftsministerium, ihr dürft gern weiter von uns abschreiben; das ist sehr fundiert und macht viel Spaß in der Zusammenarbeit. ({7}) In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob diese Initiative mehr als nur Round Tables und Tagungen hervorbringt. Wir werden sehr genau darauf achten, ob Tatsachen geschaffen werden und ob mehr passiert als während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, bei der viel diskutiert, aber wenig gehandelt wurde. Die Zeit ist reif, zu handeln. Uns geht es vor allem um die Klein- und Kleinstunternehmen; darauf wurde schon hingewiesen. Die von uns in Auftrag gegebene Studie „Kultur- und Kreativwirtschaft - aktuelle Trends unter besonderer Berücksichtigung der Kreativszene“ zeigt, dass gerade die Kleinen maßgebliche Ideen- und Impulsgeber für die Kreativwirtschaft sind. Da ist das Potenzial; da passiert das Neue; da wird ausgedacht und ausprobiert. Das ist nicht nur für die Kulturwirtschaft wichtig, sondern auch für viele gesellschaftliche Prozesse, die dort ausprobiert werden können. ({8}) - Auch für politische Prozesse. - Darauf können wir stolz sein. Aber das müssen wir auch unterstützen. Gerade hier entstehen auf experimentelle Weise kulturelle Erzeugnisse. Hier werden Prototypen der Kultur- und Kreativproduktion entwickelt. Die Anzahl solcher Mikrounternehmen steigt zwar, wie wir gelernt haben; ihre Umsätze nehmen allerdings ab. Das zeigt, dass hier ein Missverhältnis besteht. Dem müssen wir begegnen. Diese Klein- und Kleinstunternehmen besitzen oftmals ein schwach entwickeltes wirtschaftliches Potenzial und tragen nur selten zur Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze bei. Deswegen fallen sie häufig aus der Arbeitsmarktförderung heraus. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die an die Existenzund Arbeitsbedingungen dieser Mikrounternehmen angepasst sind. Wir müssen etwas Neues schaffen, damit hier die Kreativität weiter wirken kann, damit wir etwas davon haben und damit die gesellschaftlichen Impulse weitergehen können. Ein weiterer wichtiger Punkt. Künstlerinnen und Künstler dürfen nicht nur als Unternehmerinnen und Unternehmer verstanden werden. Wir dürfen Kultur nicht nur nach ihrer Verwertbarkeit beurteilen. Kultur hat eben auch jenseits dieser Verwertbarkeit einen Wert, und Künstlerinnen und Künstler müssen, sollen, dürfen Unnützes und Überflüssiges produzieren. Nur dann können sie weiter kreativ sein. Auch das muss in dieser wirtschaftlich geprägten Debatte sehr deutlich gesagt werden. ({9}) Es kommt gleichzeitig darauf an, Kunst- und Kulturschaffenden zu ermöglichen, von der Kunst leben zu können. Auch das hat etwas mit der Wertschätzung ihrer Arbeit zu tun. Ich will deutlich machen, dass gerade die Kleinen und Kreativen von Fördermöglichkeiten wissen müssen, dass sie Erstinformationen über kulturrelevante europäische Förderfonds und über die Förderprogramme bekommen, die wir haben. Oftmals haben sie nicht die Möglichkeit, sich an jemanden zu wenden, der tatsächlich weiterhelfen kann. Hier brauchen wir mehr Transparenz. Zum Thema Popmusik einige wenige Worte an dieser Stelle. Wir werden uns bei dem Antrag enthalten. ({10}) Warum? Wir finden, es macht keinen Sinn, wieder nur die Majorfirmen an den Tisch zu bitten. Es fehlen die kleinen Independent Labels, die kleinen Unternehmen, die innovative Stile entwickeln. Auch inzwischen so bekannte Musiker und Bands wie Clueso oder Tocotronic haben ihre ersten Veröffentlichungen bei unabhängigen Labels herausgebracht. Clueso tut das noch heute mit seiner Hausagentur Zughafen. Berliner Techno, der inzwischen auch von der CDU als Standortfaktor gefeiert wird, wurde auch nicht von den Majorlabels erfunden, sondern von kleinen, unabhängigen Produzenten und Vertrieben. Sie sollten noch einmal darüber nachdenken, ob Sie die nicht mit an den Tisch holen, wenn es um die Initiative zur Popmusik geht. ({11}) Letzter Satz: Ich möchte mich ganz herzlich für die Initiative von Frau Pawelski bedanken. Die Zusammenarbeit war wirklich sehr fair und sehr gut. Sie haben das sehr kompetent gemacht. Ich freue mich jetzt sehr auf Ihre Rede. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Damit gebe ich das Wort der Kollegin Rita Pawelski, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erst einmal ganz herzlichen Dank für die netten Worte. Es ist selten, dass man hier von allen Seiten gelobt wird. ({0}) - Herr Tauss, jetzt sagen Sie doch auch einmal etwas Nettes. ({1}) Es hat mir Spaß gemacht, mit Ihnen gemeinsam Ideen zu entwickeln. Für uns stand ganz oben auf der Agenda die Idee, der Kultur- und Kreativwirtschaft den Stellenwert einzuräumen, den sie wirklich verdient. ({2}) Es war die Idee, alle Kreativen und Kulturschaffenden unter einem Dach zu vereinen, sie stark zu machen und sie endlich aus dem Schattendasein herauszuholen. Die Kulturwirtschaft befindet sich zurzeit in einem Dornröschenschlaf. Sie ist stark. Die Zahlen beweisen es doch, sie wurden genannt. Der Umsatz der Kulturwirtschaft hat längst die Grenze von 100 Milliarden Euro überschritten, sie hat mit über 815 000 Mitarbeitern mehr Beschäftigte als das Kreditgewerbe und schon mehr als die Automobilindustrie. Das sind doch unglaublich beeindruckende Daten. Die Kultur- und Kreativwirtschaft steht jetzt wieder häufiger im Fokus von Kongressen und Konferenzen. Die Berichterstattung in den letzten Monaten hat zugenommen. Kultur ist ein beliebter Werbeträger für Länder, für Städte, aber auch für Unternehmen. Vor kurzem las ich in einem Magazin: Investieren Sie in Kultur! Sie gewinnen Sympathie, Kunden, neue Märkte. - Das belegt diesen positiven Trend und zeigt, Kultur und Wirtschaft sind keine Gegensätze; im Gegenteil, sie ziehen sich an, sie brauchen sich gegenseitig. ({3}) Für die Wirtschaft ist Kultur doch eine äußerst interessante Plattform. Wirtschaft verdient nicht nur mit oder an Kultur, Wirtschaft fördert auch Kultur. 40 Prozent der Unternehmen fördern Kunst und Kultur; für sie ist Sponsoring eine Investition in die Zukunft. ({4}) Das ist gut, aber wir müssen die enormen Potenziale dieser Branche noch besser nutzen. Unser Antrag soll helfen, die Kräfte zu entfalten, und er soll dazu beitragen, das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schärfen. Jedes Buch hat einen Titel, jede Marke ihr Zeichen, jedes Ding hat einen Namen, nur die Branche der Künstler und Kreativen bislang nicht. Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene gibt es eine einheitliche offizielle Bezeichnung. Überall benutzt man für Kreativwirtschaft oder für Kulturwirtschaft ein anderes Wort; es gibt keinen einheitlichen Begriff. Das haben wir gemeinsam geändert. Diese große kreative Branche soll sich künftig unter dem Begriff „Kultur- und Kreativwirtschaft“ darstellen. Das ist ein erster wichtiger Schritt; denn wer keinen richtigen Namen hat, kann nicht richtig werben. Wir wollen, dass dazu auch die Werbe- und Softwareunternehmen gehören. Ohne diesen riesigen Wachstumsmarkt wäre die Kultur- und Kreativwirtschaft ein Torso, ein amputierter Riese. Diese Unternehmen gehören dazu! ({5}) Aber die vielen kleinen bunten Steine, die das große Mosaik oder das große Bild der Kultur- und Kreativwirtschaft zum Leuchten bringen, sind die vielen Freiberufler, die Klein- und Kleinstunternehmen. Darauf haben schon fast alle Redner hingewiesen. Diese Unternehmen erzeugen - oft auf experimentelle Weise - Kultur und Kreativität. Sie nehmen kulturelle Trends auf und entwickeln sie erst. Sie entwickeln Prototypen. Sie sind die zentrale Triebkraft. Sie wollen etwas bewegen. Doch gerade sie werden oft blockiert. Sie scheitern allzu oft - an Bürokratie, an nicht vorhandenen finanziellen Mitteln. Herr Dehm, Sie haben eben deutlich gemacht, dass es sich häufig um brotlose Kunst handelt. Dieser Begriff ist durchaus zutreffend, gerade für die Kleinstunternehmen. Es fehlt an Beratung und an mangelnder ideeller Unterstützung. Mit unserem Antrag schaffen wir für sie bessere Rahmenbedingungen. Wir stärken sie. Wir geben ihnen den Schwung, den sie brauchen, um schöpferisch und kreativ tätig zu sein, um sich zu entwickeln. Wir wollen, dass Existenzgründer, dass Klein- und Kleinstunternehmer der Kultur- und Kreativwirtschaft stärker unterstützt und gefördert werden: Sei es durch die Überprüfung und Anpassung der Förderinstrumente auf nationaler und europäischer Ebene. Sei es durch bessere Beratungs- und Finanzierungsangebote - da muss viel nachgebessert werden. Sei es durch die Schaffung von Kompetenzagenturen. Oder sei es durch die Auslobung eines Gründerwettbewerbs „Kultur- und Kreativwirtschaft“. Wir wollen den Dialog zwischen Kultur und Politik intensivieren. Die unter Vorsitz von Gitta Connemann tagende Enquete-Kommission ist da schon auf dem richtigen Weg. ({6}) Der Bericht dieser Kommission wird im nächsten Monat vorgestellt. Wir dürfen nicht lockerlassen. Wir müssen weiter miteinander reden. Wir wollen, dass die Bundesregierung ein Querschnittsreferat „Kultur- und Kreativwirtschaft“ einrichtet. Es ist gut, dass Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Wirtschaftsminister Michael Glos eine gemeinsame Initiative „Kultur- und Kreativwirtschaft“ starten. Vielen Dank dafür! ({7}) Ich bin mir sicher: Alles, was wir hier heute beschließen, ist nicht nur Rückenwind für die Kreativen, für die Kulturschaffenden. Wir schaffen damit auch zusätzlich Wachstum und Beschäftigung. 2009 ist das europäische „Jahr der Kreativität“ geplant. Wir möchten, dass die Bundesregierung zusammen mit den Ländern einen nationalen Aktionsplan „Kultur- und Kreativwirtschaft“ erarbeitet. ({8}) Denn dieses Ereignis soll auch in unserem Land mit Leben erfüllt werden. Es soll hier Wirkung zeigen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Theatermanager August Everding hat einmal gesagt: Kultur ist keine Zutat, Kultur ist der Sauerstoff einer Nation. Lassen Sie uns diesen Sauerstoff genießen - gemeinsam! Ich danke Ihnen ganz herzlich. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bei dieser Debatte fällt mir auf, dass trotz der großen Einigkeit, die bei dem Thema quer über die Fraktionen hier herrscht, sich beide Redner der Union anscheinend ein bisschen genieren, was den Antrag zur populären Musik angeht. ({0}) Das kann man eigentlich auch verstehen. In beiden Beiträgen wurde nichts dazu gesagt. Der Punkt steht aber mit auf der Tagesordnung. ({1}) Deswegen möchte ich gern ein paar Anmerkungen machen; Sie können nachher vielleicht noch darauf eingehen. Richtig ist, dass die Initiative von einem Kollegen aus dem Haushaltsausschuss gekommen ist. Nun sind Initiativen aus dem Haushaltsausschuss eigentlich grundsätzlich nicht falsch. ({2}) - Der Haushaltsausschuss tagt. Ich bin extra wegen dieses Punktes hierhergekommen. ({3}) - Lassen Sie mich das doch einfach sagen! Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. Sie sind ja bekannt dafür, dass Sie gern dazwischenrufen. Vielleicht mal in aller Ruhe: Der Antrag hat erhebliche Mängel, weil er in keiner Weise auf die Verantwortung derjenigen eingeht, die mit Musik, auch mit populärer Musik, Geld verdienen. ({4}) Das ist die GEMA, und das sind die Musik-Companys. Die sind überhaupt nicht eingebunden. Deswegen hat dieser Antrag nach meiner Auffassung einen großen Fehler. Der dritte Bereich ist ebenfalls nicht eindeutig erwähnt. Die Debatte haben wir hier auch schon einmal geführt. Wo ist eigentlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk und sein Kulturauftrag? ({5}) Es darf nicht sein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur eine Abspielstation für irgendwelche Hits ist; das wäre verhältnismäßig einfach. Er hat den Kulturauftrag, auch junge Talente zu fördern. ({6}) Wenn wir alle insofern Druck machen würden, könnten wir für junge Talente etwas erreichen. ({7}) Das war meine Bitte. Insofern ist dieser Antrag der Union mit erheblichen Mängeln behaftet. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Pawelski, Sie können antworten.

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, ich kann Ihre Ungeduld verstehen, aber wir haben drei Redner auf der Liste. Ein Blick auf die Rednerliste hätte gereicht, um zu sehen, dass der Kollege Günter Krings noch reden wird, und zwar genau zu dem Thema, das Sie angesprochen haben. Man kann abwarten. Man muss sich einfach in Geduld üben und zuhören. Ich will an der Stelle zu dem Thema jetzt nichts mehr sagen, weil wir einen sehr kompetenten Kollegen haben, der Ihnen das alles gleich erzählen wird. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geht mir genauso: Wir haben uns das auch aufgeteilt. Der Kollege Ehrmann hat zu den kulturwirtschaftlichen Anträgen gesprochen, und ich werde jetzt etwas zum musikwirtschaftlichen Antrag sagen. Kollege Koppelin, wenn Sie den Antrag gelesen hätten, wüssten Sie: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kommt explizit darin vor: Wir wollen neue Formate mit ihm gemeinsam entwickeln und fördern. Herr Kollege Otto, Sie haben, um das gleich vorwegzunehmen, gesagt, dass Sie Steuervergünstigungen für die Musiker besser fänden als ein solches Förderkonzept. ({0}) Dazu kann ich nur sagen: Bei den Musikern, die 11 000 Euro im Jahr verdienen, sind Steuererleichterungen nicht so hilfreich. Da braucht man praktische Dinge. ({1}) Deutschland ist nicht nur bekannt als Land der Dichter und Denker, sondern wir haben auch große Musiker und Komponisten. Ich finde es toll, dass wir das Erbe von Bach bis Schönberg heute immer noch aktiv erleben können. Wir haben gestern gerade den Genuss erlebt, ({2}) in Weimar eine Barockoper von 1774, Alceste, wiederaufgeführt zu sehen. Es ist sehr gut, dass sich jemand dessen annimmt. ({3}) - Das ist nicht von dem Antrag gefördert, nein; aber ohne die öffentliche Förderung von Orchestern, von Konzert- und Opernhäusern würde die musikalische Ausbildung nicht stattfinden können und würde auch die Kenntnis davon nicht vorhanden sein. ({4}) Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir diese Förderung betreiben. Wenn wir genau hinschauen, stellen wir fest, dass gerade die Förderung von Bundesseite bislang vorwiegend in den Bereich der etwas älteren Musik geflossen ist. 15 Millionen Euro gehen ausschließlich in Projekte der klassischen Musik, und nur 500 000 Euro sind im Moment ausschließlich für Projekte im Rock-, Pop- und Jazzbereich vorgesehen. Wir sind uns einig, dass wir uns für populäre Musik noch mehr engagieren müssen, weil wir sonst große kulturelle und wirtschaftliche Chancen verpassen, weil wir jungen Leuten eine Chance geben wollen, weil wir auch Bands eine Chance geben wollen. Frau Göring-Eckhardt, Sie haben gesagt, gerade die Kleinen kämen nicht vor. Das wollen wir gerade mit der „Initiative Musik“ ändern. Wir wollen uns ganz konkret Maßnahmen vornehmen, und ich werde sie gleich aufzählen. Stellen wir uns einmal vor, wie das vor einigen Jahren noch war! Adorno hat populäre Musik Ende der 40erJahre noch geringschätzig als kommerzielle Massenware abgekanzelt. Heute sind Rock, Pop und Jazz für unsere Kultur und für unsere Gesellschaft eben nicht zu leugnen. In den letzten hundert Jahren hat jede Zeit und jede Generation ihren kulturellen Ausdruck gerade auch in Musik gefunden. Ich nenne nur Charlie Parker, Jimi Hendrix, die Beatles und Kraftwerk, oder man muss sich die elektronische Musik und die heutige Vielfalt von Techno bis hin zu Soul anschauen. Diese große Vielfalt ist genauso Bestandteil unseres kulturellen Lebens wie Wagner oder Brahms. Deswegen bin ich froh darüber, dass auch für das Jahr 2008 wieder 1 Million Euro für die „Initiative Musik“ zur Verfügung stehen. Ob dieser Betrag ausreicht oder erhöht werden muss, müssen wir abwarten. Die „Initiative Musik“ muss sich erst einmal beweisen und die notwendigen Instrumente entwickeln. Die Szene ist höchst lebendig und kreativ. Sie ist unheimlich schnell und vielfältig. Deswegen brauchen wir auch clevere Ansätze, um mit dem Geld die richtigen Anreize zu setzen. Ich möchte zum Beispiel keine Projekte unterstützen, in denen Bands und Musikern im Internet eine Plattform gegeben wird. Das können die selber, da sind sie meistens besser und schneller als wir, und das müssen wir daher nicht fördern. Aber bei vielen anderen Dingen brauchen die jungen Musiker wirklich Hilfe. Ich will als Beispiel das Radio erwähnen. Es gibt einen Unterschied zwischen Livemusik und Rundfunk. Die Konzerte vieler deutscher Bands sind regelmäßig ausverkauft, die CDVerkäufe erreichen einen hohen Stand, sie sind häufig in den „Top 20“, aber im Radio werden sie nicht gespielt. Es geht hier eben nicht nur um die Altvorderen wie Grönemeyer oder Marius Müller-Westernhagen, sondern hier geht es um junge Bands, die in Konzertsälen hier in Berlin oder auch auf dem flachen Land erfolgreich sind. Deswegen wollen wir mit dem Rundfunk neue Formate auf die Beine stellen, um Nachwuchsgruppen eine Plattform zu bieten, um sie zu unterstützen. Eine andere Idee ist die Tourbusförderung. Junge Bands erzählen mir immer wieder, sie würden gern viel mehr durch Deutschland und Europa fahren, um Konzerte zu spielen. Gerade Nachwuchsgruppen wollen damit gar nicht das große Geld verdienen, sondern sich bekannt machen. Das scheitert aber meistens an den Reisekosten und nicht daran, dass sie kein großes Auftrittsgeld kriegen. Oft wissen sie gar nicht, wie sie überhaupt dahin kommen sollen, und wenn sie sich vor Ort dann noch teuer einmieten müssen, ist das ein weiterer Hinderungsgrund. Hier gibt es die Möglichkeit, Kleinbusse zum Selbstkostenpreis zur Verfügung zu stellen. Damit hätten wir ein Instrument der Exportförderung, das preiswerter und näher an der Szene kaum sein kann. Ein paar Worte noch zur Jazzszene in Deutschland. Es gibt eben nicht nur Till Brönner oder Klaus Doldinger, den ja viele durch den Tatort-Einspieler kennen, sondern es gibt auch eine Vielzahl ganz wunderbarer junger und innovativer Gruppen, von denen viele weltweit ohne Probleme in der Konkurrenz bestehen können, die es aber trotzdem in Deutschland schwer haben, weil es nur wenige Aufführungsmöglichkeiten gibt. Herr Dehm hat den „Jazz-Club“ in Hannover erwähnt, eine der wenigen Spielstätten, in denen kontinuierlich auch Bands auftreten. Aber viele Clubs können sich so etwas nicht leisten, weil sie etwas brauchen, das Kasse macht, und Jazz lebt nun einmal durch den Liveauftritt. Deswegen ist es ganz wichtig, zum Beispiel einen Spielstättenpreis für die Spielstätten auszuloben, die solche Bands zur Aufführung bringen und unterstützen, damit sie auch im nächsten Jahr wieder die Möglichkeit haben, neue Bands einzuladen und ihnen Liveauftritte zu ermöglichen. Wir haben eine reichhaltige Jazzkultur, die der Bund ja auch ein Stück weit unterstützt. Ich nenne als Beispiel das Jazzfest Berlin, das durch den Bund gefördert wird. Es gibt inzwischen zwar wenige, aber doch schon ganz tolle Projekte. Bei dem in einer Woche beginnenden Jazzfest soll ein Orchester aus 40 jüdischen und muslimischen Künstlern über politische und ideologische Grenzen hinweg gemeinsam Musik spielen, die sie „Chaabi“ nennen. Das ist hochaktuell, spannend und fördert den Dialog. Ich glaube, die Förderung und Unterstützung eines solchen Jazzfestes durch den Bund ist ein gutes Vehikel. In der „Initiative Musik“ arbeiten zahlreiche wichtige und einflussreiche Experten mit. Mein Wunsch ist, dass diese Experten wirklich zielgenaue Förderinstrumente schaffen, dass sie evaluieren und sich dabei beraten lassen. Ich nehme alle Anregungen hier auf. Neben den zwölf Experten im Aufsichtsrat sollten wir einen Beirat einrichten, in dem die Aktiven, also die Musiker und die Kleinkünstler, beteiligt werden, um herauszufinden, wie die Instrumente sinnvoll eingesetzt, überarbeitet und evaluiert werden können. Ich glaube, da könnten der Jazz und die jungen Bands eine wichtige Stimme sein und dem Aufsichtsrat, der ja dann die Entscheidungen trifft, mit Rat und Tat zur Seite stehen. Mit dem heutigen Antrag zur Popmusik und mit dem gemeinsamen Antrag zur Kulturwirtschaft unterstreichen wir die wirtschaftliche Bedeutung von Kultur. Wir machen aber auch deutlich, dass populäre Musik ein entscheidender Beitrag für die kulturelle Vielfalt ist. Wir wollen alle kulturellen Bereiche unterstützen. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit und sehe diese Diskussion nicht als einen Endpunkt, sondern als einen Zwischenschritt an. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt also kommt meine offenbar von den Kollegen der FDP so lang erwartete ({0}) und, wie ich höre, ersehnte Rede, die ihren Schwerpunkt auf den Antrag zur Popmusik legt, den ich mir in der Tat vorher als Thema ausgewählt hatte. Die vier Anträge machen deutlich, welchen Stellenwert die Kulturwirtschaft nicht nur für die Unionsfraktion, sondern auch für das gesamte Haus hat. Es ist gut, dass wir in dieser verkürzten Sitzungswoche eine Stunde darüber debattieren können. ({1}) Ich glaube, dass uns der Antrag zur Popmusik zur Ehre gereichen wird. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, wenn Sie sich einzelne Passagen einmal näher angeschaut hätten, Herr Kollege Koppelin. Denn viele Ihrer Fragen lassen sich durch die Lektüre des Antrages beantworten. ({2}) Bei dem Kollegen der FDP besteht noch eine gewisse Unwissenheit, was denn die „Initiative Musik“ im Einzelnen genau bewirken soll. Was wollen wir mit diesem Antrag erreichen? Er soll spezifizieren sowie Zweck und Zielsetzung dieser Initiative präzisieren. Wenn das Parlament dafür einen Betrag von 1 Million Euro - das ist zwar nicht viel, aber doch eine nennenswerte Summe in den Haushalt einstellt, dann sind wir als Parlamentarier gut beraten, nähere Aussagen zum Zweck und zur Zielsetzung zu treffen. ({3}) Es kann natürlich nicht darum gehen, das in der Popmusik zu kopieren, was wir in Deutschland Gott sei Dank in der klassischen Musik haben, nämlich eine weltweit einzigartige Orchesterlandschaft. Dieses Ziel wird niemand mit 1 Million Euro ernsthaft anstreben können. Aber es geht um eine Initialzündung, damit kreatives Potenzial im musikalischen Bereich in Deutschland freigesetzt werden kann. Musik ist zwar auch ein Wirtschaftsgut, aber nicht nur. Aus diesem Grunde basiert die Initiative auf drei Säulen. Es geht um das Thema Nachwuchsförderung, um die Förderung und Verbesserung der Exportchancen sowie um Identitätsstiftung und Integration durch Musik. ({4}) Zur Nachwuchsförderung ist schon einiges gesagt worden. Ich will betonen, dass es darum geht, insbesondere für junge Musiker Plattformen zu schaffen. Zigtausende von Bands meist junger Menschen spielen in Deutschland. Nicht alle haben das Zeug zum Star. Aber die Beliebtheit von Fernsehformaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ zeigt, dass es ein Bedarf für Plattformen gibt, um sich einem breiteren Publikum vorzustellen. Das TV macht es auf diese Weise. Aber im Radio fehlen entsprechende Sendeformate. Ich war in den 80er-Jahren öfter bei meinen Verwandten in Norddeutschland. Selbst in der von Ihnen, Herr Koppelin, moderierten Sendung konnte ich nicht feststellen, dass da allzu viel deutsche oder in Deutschland produzierte Musik gespielt worden ist. ({5}) Wir brauchen also neue Sendeformate, und dafür setzen wir uns ein. Die Einführung neuer Formate ist allemal besser, als eine starre Musikquote einzuführen. Eine starre Regulierung würde, so glaube ich, auf Dauer wenig bewirken und würde bei vielen Konsumenten, bei vielen Hörerinnen und Hörern eher eine Abwehrhaltung hervorrufen. ({6}) Wir wollen im Zusammenhang mit der Nachwuchsförderung betonen, dass Musik nicht nur via Fernsehen, Internet oder Radio verbreitet wird. Musik gerade im Jazzbereich und im Bereich der improvisierten Musik lebt von der Liveaufführung. Das heißt, wir brauchen Spielstätten, die jungen Künstlern in engagierter Weise Auftrittschancen geben. Hierzu passt der Vorschlag sehr gut, einen Spielstättenpreis einzurichten. Damit sollen Spielstätten prämiert werden, die im Bereich der Jazzmusik und der improvisierten Musik besonders engagiert sind. Es geht aber auch um die Förderung des Musikexports. Ich gebe zu, dass die Ansätze des Projekts „German Sounds“ noch nicht so vielversprechend waren. Aber das ist für uns kein Grund zur Resignation. Im Gegenteil: Wir müssen einen neuen Anlauf wagen und neue Strukturen schaffen. Die großen und die kleinen Unternehmen in der Musikwirtschaft müssen daran beteiligt sein, damit sie in der Lage sind - das geht nicht nur durch Geld -, stärker zu koordinieren und zu kooperieren. Ich glaube, im Antrag finden sich dazu sehr gute Ansätze. Diesen Export sehe ich aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt „Export eines Wirtschaftsgutes“, damit in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden. Export von Musik hat auch etwas mit dem - im positiven Sinne - Zurschaustellen der deutschen Kultur zu tun. Junge Menschen interessieren sich oft zum ersten Mal für ein anderes Land, indem sie die Musik dieses Landes wahrnehmen. Dass Englisch beispielsweise als Sprache beliebt ist und junge Menschen in Deutschland motiviert sind, Englisch zu lernen, hat auch damit zu tun, dass Englisch für die meisten die Sprache ihrer Lieblingsmusik ist. Umgekehrt hört man jetzt, dass die Zahlen der Deutschkurse an den Schulen in Frankreich steigen. Ein Erklärungsversuch sei die Beliebtheit der Gruppe Tokio Hotel. ({7}) Wir sehen also: Das, was von jungen Leuten am ehesten wahrgenommen wird, ist die Musik. Diese Chance sollten wir nicht vergeben. ({8}) Damit komme ich zur dritten Säule, zu Integration und Identität. Insbesondere für junge Menschen gibt es keine kulturelle Ausdrucksform, die identitätsstiftender ist als die Musik. Das ist eine große Chance, auch eine Chance für Integration. Wir alle wissen, wie gut die Integration von jungen Migranten, aber auch von sozialen Randgruppen etwa über Fußballvereine und sonstige Sportvereine funktionieren kann. Aber dies funktioniert auch über Bands. Musik zu machen, ist eine Möglichkeit und eine gute Chance für Integration. Auch hierzu haben wir in unseren Antrag einige Punkte aufgenommen, wo12512 bei es wichtig ist, sie mit Leben zu erfüllen, damit die Integrationskraft der Musik allgemein und der Popmusik im Besonderen wahrgenommen wird. Unsere beiden Anträge zur Kulturwirtschaft und zur Popmusik zeigen, wie wichtig dieses Themenfeld für die Bundesregierung ist. Es gab, so glaube ich, noch keine andere Phase, in der Kulturstaatsminister und Wirtschaftsminister so gut in dieser Frage zusammengearbeitet haben. Dafür meinen herzlichen Dank an Bernd Neumann und Michel Glos. ({9}) - Genau, das Parlament hat eine hervorragende Vorarbeit geleistet. - Ich will ausdrücklich auch den Kollegen Steffen Kampeter loben, der diesen Ansatz gehabt hat. Mir ist vollkommen egal, in welchem Ausschuss eine solche Idee geboren wird. Hauptsache, sie wird geboren und funktioniert dann auch. ({10}) Dank an die Kollegin Monika Griefahn für die gemeinsame Erarbeitung unseres Antrages. Eine allerletzte Bemerkung. Natürlich ist für Künstlerinnen und Künstler die Anerkennung wichtig. Sie wollen aber auch von etwas leben. Dafür brauchen sie eine rechtliche und wirtschaftliche Grundlage. Deswegen der dringende Appell an alle Seiten dieses Hauses: Das Urheberrecht ist sozusagen das Brot und die Beschäftigungsgrundlage für Künstler. Wenn wir dort nachlassen und kein starkes Urheberrecht schaffen, dann nützen unsere Anträge nichts. In Korb II haben wir einige Verbesserungen zugunsten der Künstlerinnen und Künstler sowie der Autoren herbeigeführt. Den nächsten Korb haben wir vor der Brust. Da müssen wir, angefangen beim Verbot intelligenter Aufnahmetechniken bis hin zu vielen anderen Detailfragen, noch einiges erreichen. Die Unionsfraktion steht bei diesem und anderen Themen der Kulturwirtschaft Gewehr bei Fuß. Wir sind bereit, einiges zu machen, wobei wir uns der Unterstützung der SPD sicher sind. Wir hoffen aber auch auf die Unterstützung der anderen Fraktionen dieses Hauses. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/6742. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp- fehlung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5110 mit dem Titel „Kul- turwirtschaft als Motor für Wachstum und Beschäfti- gung stärken“ in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ange- nommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5101 mit dem Titel „Die Kulturwirtschaft als Zukunfts- und Wachstums- branche in Europa stärken“ sowie den Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5104 mit dem Titel „Die Bedeutung der Kulturwirtschaft aner- kennen und ihren Stellenwert auf Bundesebene nachhal- tig fördern“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Populäre Musik als wichtigen Bestandteil des kulturel- len Lebens stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6731, den An- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5111 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Koalition bei Enthaltung der Opposition ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie Zusatzpunkt 2 auf: 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit Homburger, Jörg van Essen, Dr. Werner Hoyer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland - Drucksache 16/3342 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer ({1}), Inge Höger, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Stärkung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland ({2}) - Drucksache 16/6646 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Volker Beck ({4}), Kerstin Müller ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln - Unterrichtung und Evaluation verbessern - Drucksache 16/6770 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion, das Wort. - Bitte schön, Herr Kollege.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist der FDP zu verdanken, dass wir heute im Deutschen Bundestag über dieses Thema reden. Wir haben damals in Karlsruhe geklagt und damit das Urteil herbeigeführt, das deutlich macht, dass der Deutsche Bundestag an Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr beteiligt sein muss. Ich bin heute noch froh, dass wir damals nach Karlsruhe gegangen sind. Das hat uns damals zwar viel Kritik eingebracht, aber das hat dazu geführt, dass der Deutsche Bundestag heute für die Auslandseinsätze mitverantwortlich ist, was wiederum zeigt - das wollen wir -, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. ({0}) Die FDP hat als erste Fraktion einen Entwurf eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes vorgelegt. Wir waren der Auffassung, dass es aufgrund der Erfahrungen, die wir mit den ersten Auslandseinsätzen gesammelt haben, angezeigt war, dem Ganzen eine gesetzliche Form zu geben. Die damalige rot-grüne Koalition hat nach einiger Zeit mit einem Gesetzentwurf nachgezogen. Er ist im Wesentlichen in der Form verabschiedet worden, wie er von Rot-Grün eingebracht worden ist. ({1}) Wir haben damals nicht zugestimmt, obwohl viele Punkte aus unserem Gesetzentwurf übernommen worden sind. Das ist ein typisches Beispiel dafür, dass man auch aus der Opposition heraus Politik gestalten kann. ({2}) - Vielen Dank für den Hinweis. Diese Hoffnung werden wir nicht erfüllen, Herr Kollege. Dafür wird Ihre Fraktion schon sorgen. ({3}) Wir haben dem Gesetzentwurf damals nicht zugestimmt, weil eine Frage uns als nicht gelöst erschien: die Frage der geheimen Einsätze, insbesondere des Kommandos Spezialkräfte. Bisher ist es der Bundesregierung immer gelungen - das gilt sowohl für die rot-grüne als auch für die jetzige Bundesregierung -, die jeweiligen Einsätze des Kommandos Spezialkräfte in einem anderen Auftrag unterzubringen, ohne dass gesondert über den Einsatz des Kommandos Spezialkräfte entschieden werden musste. Wir wissen aus den Untersuchungen des 1. Untersuchungsausschusses beispielsweise, dass das Kommando Spezialkräfte im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan eingesetzt war. Der Deutsche Bundestag hat sich mit dieser Frage nicht gesondert befasst, sondern nur allgemein mit dem Einsatz der Bundeswehr im Rahmen dieser NATO-geführten, von der UNO mandatierten Operation. Wir sind der Auffassung, dass das nicht immer so sein wird. Es wird auch separate Einsätze des Kommandos Spezialkräfte geben. Es muss ein Verfahren entwickelt werden, das auf der einen Seite die Beteiligung des Parlaments sicherstellt und auf der anderen Seite sicherstellt, dass die Geheimhaltungsinteressen berücksichtigt werden. Das ist auch eine Frage der Sicherheit der eingesetzten Soldaten. Deshalb haben wir schon damals vorgeschlagen, einen besonderen Ausschuss des Deutschen Bundestages einzurichten. Ich glaube, dass dieser Vorschlag weiterhin richtig ist. Deshalb hat die FDP-Bundestagsfraktion ihn erneut eingebracht. Mit dem Verfahren, das im letzten Jahr zwischen der Bundesregierung und den Fraktionsvorsitzenden vereinbart worden ist - verstärkte Unterrichtung der Obleute; die Obleute sind im Gegensatz zur damaligen Praxis ermächtigt, die Fraktionsvorsitzenden zu unterrichten, ohne dadurch gegen Geheimhaltungsvorschriften zu verstoßen -, wird der Kontrollaufgabe des Parlaments bei solchen Einsätzen nicht Genüge getan. ({4}) Die Obleute, die unterrichtet werden, sind zwar von ihren Fraktionen gewählt worden, gegenüber der Bundesregierung aber nicht erklärungsfähig. Nicht alle Obleute gehören dem Fraktionsvorstand an. Deshalb muss es nach unserer Auffassung einen Ausschuss geben, der mandatiert ist, der gewählt ist, in dem die Fachleute aus dem Auswärtigen Ausschuss und auch die Fachleute aus dem Verteidigungsausschuss vertreten sind. Das gleiche Verfahren haben wir im Übrigen bezüglich der Kontrolle der Nachrichtendienste. Es hat sich bewährt. Es ist interessant, dass wir inzwischen einige politikwissenschaftliche und juristische Abhandlungen über das Parlamentsbeteiligungsgesetz vorliegen haben. Interessant ist auch, dass in all diesen Abhandlungen die Frage eines Sonderausschusses angesprochen wird. In all diesen Abhandlungen gibt es eine Unterstützung für den Vorschlag der FDP zu einem solchen Ausschuss und damit zu einer besseren Kontrolle durch das Parlament bei Auslandseinsätzen. Ich will zum Schluss eine Anregung zur Diskussion geben. Es findet im Augenblick eine verstärkte Diskussion über den Einsatz der Polizei im Rahmen von Konfliktlösungen im Ausland statt. Ich finde, dass es notwendig ist. Je schneller Polizei dort zum Einsatz kommt, desto schneller wird ein Konflikt zivilisiert und wird er ziviler. Deshalb müssen wir uns mit dieser Frage befassen. Wenn wir in Zukunft verstärkt zu polizeilichen Auslandseinsätzen kommen wollen, dann muss nach meiner Auffassung die Frage der parlamentarischen Kontrolle in diesem Zusammenhang angesprochen werden. Ich finde, wir sollten uns zusammensetzen - wir werden als FDPFraktion in diesem Zusammenhang sicherlich Vorschläge machen - und überlegen, ob wir nicht auch in dieser Beziehung ein Parlamentsbeteiligungsgesetz brauchen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung, Soldaten der Bundeswehr in einen Einsatz zu schicken, gehört immer zu den schwierigsten Entscheidungen, die wir hier im Parlament zu treffen haben. Jeder von uns will vor solchen Entscheidungen natürlich über die Ziele, die Risiken und mögliche Alternativen informiert sein. Genauso möchten wir über die laufenden Einsätze informiert sein. Dies geschieht im Parlament und in den Fachausschüssen. Man muss dafür Verständnis haben, dass über die Form der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen immer wieder diskutiert wird. Im Mittelpunkt stehen meines Erachtens zwei Fragen. Erstens: Wie weit muss die parlamentarische Beteiligung reichen, damit wir der uns im Grundgesetz auferlegten Verantwortung und Kontrollfunktion gerecht werden? Zweitens: In welcher Form und in welchem Umfang sollen wir die Informationen über die laufenden Einsätze erhalten? Eine Grundregel dürfen wir hierbei nie außer Acht lassen. Wir als Deutscher Bundestag entscheiden über und tragen die Verantwortung für das Ob von Bundeswehreinsätzen. Die Bundesregierung trägt die Verantwortung für und entscheidet über das Wie, also über die Ausgestaltung der Einsätze. Unsere Informationswünsche, so verständlich und wichtig sie sind, berühren immer - das liegt in der Natur der Sache - die Sicherheit unserer Soldaten. Das dürfen wir nie vergessen. Die parlamentarische Beteiligung darf die zwingend notwendige Entscheidungsfähigkeit der Bundesregierung im konkreten Einsatz weder verhindern noch behindern. Letztlich liegt die Exekutivverantwortung für den gesamten Einsatz und die Gewährung einer höchstmöglichen Sicherheit für unsere Soldaten bei der Bundesregierung. In diesem politisch höchst sensiblen Bereich wird es immer eine schwierige Gratwanderung sein, den richtigen Weg zu finden und die richtigen Abwägungen zwischen einerseits der Form der Parlamentsbeteiligung und den Informationen an das Parlament und andererseits den notwendigen Handlungsspielräumen der Bundesregierung bei der Ausgestaltung der Einsätze zu treffen. Der FDP-Antrag versucht, Antworten auf diese schwierigen Fragen zu finden. Wir, die Unionsfraktion, haben bei diesem Antrag allerdings erhebliche Bedenken. Es sind im Übrigen die gleichen Bedenken, die wir schon vor zwei Jahren geäußert haben, als Sie einen fast inhaltsgleichen Antrag vorgelegt haben, den der Bundestag mit Recht abgelehnt hat. Seitens der Fraktion der Grünen wurde gestern noch ein Antrag nachgeliefert; das war ein kleiner Schnellschuss. ({0}) Der Antrag der FDP-Fraktion lag schon länger vor. Ich denke, beim Lesen dieses Antrags wird angesichts mancher Passagen deutlich, dass Sie die Zeit der Regierungsverantwortung zum Teil verdrängt oder vergessen haben. Über den Antrag der Linken will ich nicht länger diskutieren. Vor dem Hintergrund so mancher Debattenbeiträge ist dieser Antrag ohnehin von einem ganz anderen Geist geprägt. ({1}) Ich sehe in den vorliegenden Anträgen die begründete Gefahr, dass eine Entscheidung des gesamten Deutschen Bundestages über die Frage eines Auslandseinsatzes nicht mehr sichergestellt ist und dass das Wie der Einsätze von der Exekutive in die Legislative verschoben wird. Hier müssen wir sehr aufpassen. Herr Kollege van Essen, die FDP will die Möglichkeit plenarersetzender Beschlüsse durch einen Ausschuss. Ihr Gesetzentwurf sieht dies zwar nur für einige konkret bestimmte Fälle vor; aber faktisch könnten letztlich alle Auslandseinsätze unter diese Kriterien fallen, sodass der Ausschuss allein über diese Einsätze entscheidet. Diese Gefahr ist hier eindeutig gegeben. Das muss ausgeschlossen sein, um der Bedeutung der Bundeswehr als Parlamentsarmee gerecht zu werden. Nach unserer Auffassung ist bereits jede Delegation von Zustimmungsrechten auf einen solchen Ausschuss verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Der Charakter der Ausschüsse als vorbereitende Gremien änderte sich fundamental. Wir kennen im Prinzip eine solche Möglichkeit eigentlich nur im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union. Der große Unterschied ist aber, dass dies für diesen Ausschuss in der Verfassung, im Grundgesetz, festgelegt worden ist. Das aber ist hier nicht der Fall. Ferner sollte bedacht werden, dass die Delegation von Entscheidungen auf einen kleinen Ausschuss - hier sind es elf Personen - letztlich auch die Rechte aller Abgeordneten entscheidend einschränkt. Die vom Parlament und damit von jedem einzelnen Abgeordneten zu tragende Verantwortung kann von den Kollegen und Kolleginnen eines elfköpfigen Ausschusses überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden. ({2}) Die Verfassungsregeln beim Europaausschuss belegen zudem, dass man das nicht mit einem einfachen Gesetz machen kann. Ich hatte bereits gesagt: Für den Europaausschuss ist es in der Verfassung geregelt. Aber die Mitwirkungsrechte eines jeden Abgeordneten dürfen nicht so gravierend eingeschränkt werden. Dies können wir jedenfalls in dieser Form nicht mitmachen. ({3}) Auch die von der FDP angesprochenen und gewünschten Neuregelungen für den Fall von Gefahr im Verzug sind nach unserer Einschätzung weder notwendig noch in dieser Form durchführbar. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, auf das Sie selbst verwiesen haben, heißt es in diesem Zusammenhang: Die Bundesregierung ist bei Gefahr im Verzug berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Die Bundesregierung muss jedoch in jedem Falle das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Das Bundesverfassungsgericht sieht also eine solche Sonderregelung für Fälle von Gefahr im Verzug ausdrücklich als nicht notwendig an. Mit den Anträgen sollen ferner die Informationspflichten der Bundesregierung stark ausgedehnt werden. Die Formulierungen gehen so weit, dass sogar von einsatzbezogenen Unterlagen und von der Anhörung von Mitarbeitern gesprochen wird. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit geht es in den direkten exekutiven Bereich der Bundesregierung hinein. Hier müssen wir uns einfach bewusst machen, dass sich die von uns auszuübende parlamentarische Kontrolle immer auf das Handeln der gesamten Bundesregierung bezieht; sie ist nie eine Kontrolle im Sinne einer Dienst- oder Fachaufsicht und kann folglich nicht in solche Details hineinreichen. Das Bundesverfassungsgericht hat auch zu dieser Frage der parlamentarischen Mitwirkung eine Aussage getroffen: Ein Mitentscheidungsrecht über die Einsatzmodalitäten steht dem Bundestag indes unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt zu. Lassen Sie mich noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen: Sowohl der von Ihnen vorgeschlagene neue Ausschuss als auch der Verteidigungsausschuss bekämen bei einer solchen Regelung faktisch die Funktion eines ständigen Untersuchungsausschusses. Auch dafür fehlt jede verfassungsrechtliche Grundlage, anders als es bei einem Untersuchungsausschuss oder beim Petitionsausschuss der Fall ist. Bereits heute besteht eine umfassende und frühzeitige Information des Parlaments darüber, wie die Auslandseinsätze derzeit gehandhabt werden; Sie haben es eben zum Teil selbst ausgeführt. Hier könnte man einige Regelungen anführen, was etwa turnusmäßige Besprechungen und die Information in den Ausschüssen angeht. Auch ist das Verfahren mit den Obleuten bereits angesprochen worden, die ihrerseits die Fraktionsvorsitzenden unterrichten. Wir handhaben hier also ein vielfältiges Instrumentarium, wie man überhaupt in Anträgen hätte darauf eingehen können, welche Erfahrungen wir in den letzten Jahren mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz gemacht haben. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den gesamten Bereich der parlamentarischen Zuständigkeiten jetzt offen beraten. ({5}) Ich denke, wenn wir im Parlament über solch wichtige Fragen wie die Verfahren der Parlamentsbeteiligung sprechen, dann sollten wir immer anstreben, dass wir einen Konsens finden ({6}) und dass nach Möglichkeit alle Fraktionen zu einer Übereinkunft kommen. Neben den Rechten des Parlaments, die uns natürlich wichtig sind, sollten hierbei auch die Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung und vor allem unsere Verantwortung für die Sicherheit unserer Soldaten im Vordergrund stehen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Paul Schäfer, Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende 2001 hat unser Kollege Wolfgang Gehrcke hier für viel Aufregung gesorgt, als er den Bundestag und die Öffentlichkeit davon in Kenntnis setzte, mit welchem Auftrag die 100 KSK-Soldaten nach Afghanistan geschickt werden sollten. Es wurde gesagt: Das ist ein Skandal! Das ist Geheimnisverrat! ({0}) Bestand der eigentliche Skandal nicht darin, dass das Parlament über etwas entscheiden sollte, das es gar nicht beurteilen konnte? Wenn der Auftrag nicht bekannt ist, man aber Soldaten entsendet, dann hat man keinerlei Grundlage, um sagen zu können, dass das ein parlamentarisch-demokratischer Vorgang ist. Das war doch der eigentliche Stein des Anstoßes. Wenn all das wirklich so geheim war, lieber Kollege van Essen, warum steht dann der Satz, der damals als einziger in die Öffentlichkeit gebracht wurde, heute in jedem Mandat? Dieser Satz lautet, dass es darum geht, Terroristen zu jagen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu bringen. Dass das gesagt wurde, sollte ein Skandal sein. Heute steht das, wie gesagt, in jedem Mandat. ({1}) - Zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. ({2}) Man könnte jetzt zur Tagesordnung übergehen. Die Geschichte geht aber weiter. Sie haben die Frage gestellt, welche Erfahrungen wir inzwischen gemacht haben. Zurzeit gibt es einen Untersuchungsausschuss, der sich mit dem Kommando Spezialkräfte beschäftigt. Weil Murat Kurnaz bestimmte Vorwürfe erhoben hat, sind wir zum Beispiel zum ersten Mal mit der Tatsache konfrontiert worden, dass Bundeswehrsoldaten an Wachdiensten beteiligt waren. Das wusste vorher niemand. ({3}) Wir wissen bis heute nicht genau: Was ist mit den Gefangenen gemacht worden? Wurden Gefangene gemacht? Wir wissen nur von der Problematik, dass man sie an die USA überstellt hat bzw. überstellen wollte, was übrigens nicht im Einklang mit dem Mandat war. Wie geht man damit um? Offensichtlich ist es doch so, dass wir darüber keine genauen Informationen hatten und haben und dass deshalb dieser Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Außerdem haben wir einiges über die Zustände in diesem Kontingent erfahren. Ich möchte jetzt nicht über Details sprechen; der Ausschuss wird sich hierzu in seinem Abschlussbericht äußern. Jedenfalls ist all das ein eindeutiges Zeichen, dass wir eine verbesserte Praxis der Unterrichtung des Parlaments brauchen. ({4}) Sie werden sagen, dass schon vieles geschieht. In der Tat hat es unter dem Druck des Parlaments und der Öffentlichkeit einige Korrekturen gegeben. Die Kolleginnen und Kollegen, die als Mitglieder des Untersuchungsausschusses die besondere Unterrichtung erleben, sagen aber: 95 Prozent dessen, was wir dort hören, sind in der Öffentlichkeit ohnehin bekannt. - Das ist doch der Punkt. ({5}) Unser Ausgangspunkt ist: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. ({6}) Die Entscheidungen über Auslandseinsätze müssen in diesem Hause getroffen werden. Um diese Entscheidungen treffen zu können, braucht man präzise Informationen. Wir brauchen eine Entscheidungsgrundlage. ({7}) Diese Entscheidungsgrundlage gilt natürlich vor allem im Hinblick auf den Einsatz von Spezialkräften. Wenn man sagt, der Einsatz von Spezialkräften sei ein exponiertes Instrument der Außenpolitik, und darauf hinweist, gerade diese Truppenteile hätten ein besonderes Verständnis ihrer Arbeit - ich habe das vorsichtig formuliert; man könnte auch sagen: ein elitäres Verständnis -, auch im Sinne von Abschottung, dann muss gerade in diesem Fall verschärft über parlamentarische Kontrolle nachgedacht werden. ({8}) In diesem Zusammenhang sind natürlich die Schutzerfordernisse der Soldaten unmittelbar vor dem Einsatz und während des Einsatzes zu respektieren; das tun wir auch, das steht überhaupt nicht zur Disposition. Aber es geht um die Entscheidungsgrundlagen vor der Entsendung von Soldaten, und es geht um eine genaue Auswertung dieser Militärmissionen. Das ist das, was wir an dieser Stelle einfordern: substanzielle und regelmäßige Berichte über die Einsätze der Spezialkräfte, damit darüber in den Ausschüssen und im Plenum diskutiert werden kann. Wir müssen darüber diskutieren, wie § 6 Parlamentsbeteiligungsgesetz - die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung - tatsächlich umgesetzt wird. Das hängt auch damit zusammen, wie Dokumente eingestuft sind. Wie ich gesagt habe: Vieles ist der Öffentlichkeit bekannt; doch wenn es darum geht, über bestimmte Dinge, die die Öffentlichkeit wissen müsste, im Parlament und in der Öffentlichkeit zu reden, wird ein Mordsbrimborium gemacht, eine unheimliche Geheimniskrämerei, die uns behindert. Auch über Einsätze des KSK im Rahmen von anderen Kontingenten - sei es im Libanon, im Tschad oder im Kongo - müsste das Parlament, denke ich, informiert werden. Paul Schäfer ({9}) ({10}) Das sind die Punkte, die uns vor allem interessieren. Wir werden die Anträge der FDP und der Grünen in den Ausschüssen noch im Einzelnen zu bewerten haben. Ich glaube, es macht wenig Sinn, eine neue Blackbox zu schaffen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. - Dass wir auch einen BND-Untersuchungsausschuss haben, obwohl es ein entsprechendes Kontrollgremium gibt, spricht ja eigentlich nicht dafür, dass man sagen könnte, ein solches Gremium sei ausreichend. Wir haben also eine Menge Fragen und auch Skepsis. Uns geht es darum, dass die Regierung das Parlament in der Praxis

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie wollten zum Ende kommen.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- wirklich unterrichtet. Darauf werden wir bestehen. Danke. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Carl-Christian Dressel, SPD-Fraktion.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich gern feststellen, dass sowohl der Gesetzentwurf der FDP als auch die beiden vorliegenden Anträge durchaus, zumindest von außen gesehen, die richtigen Zielsetzungen haben. Das ist begrüßungswert. Die Zielrichtung - die Beteiligung des Parlaments bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland zu verbessern - ist, wenn wir die Bundeswehr weiter als Parlamentsarmee verstehen wollen - und ich denke, dies tun wir alle -, geradezu der Auftrag von uns Parlamentariern. Ihre Vorschläge werden wir zu gegebener Zeit ausgiebig zu diskutieren haben. Ich finde allerdings, dass der Zeitpunkt für diese Debatte gerade im Hinblick auf die erwähnte Zielsetzung schlecht gewählt ist. ({0}) Es besteht der starke Verdacht, dass diese Thematik von einigen Handelnden aus einer populistischen Motivation heraus instrumentalisiert werden soll. Das lehnen wir natürlich entschieden ab. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz wurde im Dezember 2004 verabschiedet. Damit wurde das parlamentarische Verfahren für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland zum ersten Mal gesetzlich geregelt. Die SPD-geführte Bundesregierung hat mit diesem Gesetz die Rechte des Parlaments definiert, maßgeblich gestärkt und Rechtssicherheit hergestellt. Es wurde ein demokratisches Kontroll- und Mitwirkungsrecht geschaffen, das international als ein Musterbeispiel für die Kontrolle des Militärs durch das Parlament gilt. Der Bundestag prüft jeden Einsatz bewaffneter Kräfte im Ausland sorgfältig und berät, bevor er seine Zustimmung gibt. Er tut dies gerade vor dem Hintergrund, dass der Einsatz bewaffneter Kräfte im Ausland kein normales Mittel der Politik ist, sondern immer ein besonders zu prüfendes bleiben wird. Man muss zusammenfassen - damit wende ich mich vor allem an die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen -: Dieses demokratische Kontroll- und Mitwirkungsrecht des Deutschen Bundestages gilt als beispielhaft. - Ich freue mich, bei Ihnen Nicken zu sehen; ich habe schließlich aus Ihrem Antrag zitiert. - Wir können das nicht häufig genug in Erinnerung rufen, wenn wir jetzt detailliert über die Auslegung von § 6 Parlamentsbeteiligungsgesetz reden. Ob diese Regelung im Sinne der Parlamentsbeteiligung angemessen oder ausreichend oder vielleicht gar unangemessen ist, erscheint mir als auslegbar, wie so vieles in der Juristerei, und diskutabel. Bevor wir eine Entscheidung treffen, müssen wir aber sämtliche - ich sage das deutlich: sämtliche - Aspekte, Informationen und Erfahrungswerte heranziehen. Ich halte es schon für abenteuerlich, dass die FDP in ihrem Antrag apodiktisch feststellt: Die geltenden Vorschriften über die Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind unzureichend. ({1}) Eine solche Antwort hier apodiktisch zu geben, halte ich zu diesem Zeitpunkt für nicht möglich, und zwar vor allem deswegen nicht, weil die eigentliche Gretchenfrage nicht beantwortet ist: Haben die bestehenden Regelungen im Zuge des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte nachweisbar versagt, ja oder nein? Die Arbeit der beiden Untersuchungsausschüsse zu diesem Thema ist noch nicht abgeschlossen. Wir brauchen eine Bewertung dieser Vorfälle durch den Ausschuss, damit wir überhaupt eine seriöse Bewertung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und insbesondere des § 6 vornehmen können. Meine Damen und Herren von der FDP, ich würde mir wünschen, dass wir in dieser Frage Einigkeit erzielen. Sie selbst haben verschiedentlich die Position vertreten, dass die Sinnhaftigkeit eines Untersuchungsausschusses auch darin liegt, Vorschläge dafür zu machen, wo etwas verändert und verbessert werden kann. Zum Beispiel haben Sie, Herr Kollege van Essen, in der Debatte über die Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses am 27. Oktober 2006 als Hauptziel genannt, dass der Ausschuss einen Schwerpunkt seiner Arbeit darin sieht, uns gegebenenfalls Vorschläge zu machen, wo Dinge zu verändern und zu verbessern sind. Damit hatten Sie recht. ({2}) Wir müssen den Kolleginnen und Kollegen, die mit dieser Sache befasst sind, allerdings die notwendige Zeit einräumen, um solche Vorschläge prüfen und solide unterbreiten zu können. Auch dies steht schon beim Prediger Salomo: Ein Jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. ({3}) Dieses Vorhaben Ihrerseits hat jetzt nicht seine Zeit. Zu der Frage, ob wir einen besonderen Ausschuss für Auslandseinsätze brauchen, hat Kollege Kaster ausgiebig Stellung genommen. Mich würde vor allem die Einschätzung des Untersuchungsausschusses interessieren, wobei ich sage - ich bin sicher einer Meinung mit Kollegen Kaster -: Wir wollen die Bundeswehr als Parlamentsheer, wir wollen kein Ausschussheer, ({4}) und wir wollen kein PKG für die Bundeswehr, sodass wir am Ende statt eines Parlamentsheeres eine ArkanArmee haben, die nur von einem kleinen Gremium anstelle vom Parlament - dem Plenum - überwacht wird. ({5}) Ich freue mich auf die Auseinandersetzung mit dem Thema, nachdem die Feststellungen des Untersuchungsausschusses vorliegen. Ich begrüße auch den Vorschlag der Grünen, die Hinzuziehung externen Sachverstandes in der öffentlichen Anhörung zu ermöglichen. ({6}) Allerdings sehe ich zurzeit noch nicht die Möglichkeit, damit ein vollständiges Bild zu zeichnen. Aber, wie gesagt: Wir werden Ihre detaillierten Vorschläge diskutieren, wenn die Feststellungen des Ausschusses vorliegen. Meine Damen und Herren von der PDS, jetzt muss ich Ihnen attestieren - ({7}) - Ja, wer weiß, wann Sie sich wieder umbenennen. Jetzt heißen Sie Die Linke, davor hießen Sie PDS, davor SED, davor KPD und davor Spartakus. ({8}) Wenn Sie sich morgen in Demokratische Front der Schafe umbenennen, dann glaube ich auch nicht, dass Sie zu Schafen mutieren. ({9}) Sie haben vor dem Bundesverfassungsgericht eine schallende Ohrfeige für Ihr Vorgehen bekommen. Jetzt schießen Sie sich mit diesem Antrag auf die Spezialkräfte der Bundeswehr ein. Wenn Sie mir jetzt sagen, dass ich die Schafe beleidigt habe, dann nehme ich das zur Kenntnis. Mir tun die Schafe auch leid, wenn sie in einem Satz mit Ihnen erwähnt werden. ({10}) Aber wer hier beleidigt, sind Sie, meine Damen und Herren von der PDS. Wenn einer Ihrer Frontleute den Vergleich zwischen dem Bundeswehreinsatz und Terroristen zieht wie Oskar Lafontaine nach Berichterstattung des Focus vom 21. Mai 2007, ({11}) dann ist das nicht nur eine Unverschämtheit, ({12}) sondern dann zeigt das auch, dass Ihnen zur Diffamierung unserer Parlamentsarmee jedes Mittel recht ist. ({13}) Mit Ausnahme einer Fraktion werden wir hoffentlich einvernehmlich zu einer Lösung kommen, die die Informationsrechte des Parlaments umfänglich gewährleistet. Es geht um die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten; es geht um Menschenleben, wie auch der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe vom Montag dieser Woche ausführt. Lassen Sie uns, wenn die Ergebnisse des 1. Untersuchungsausschusses und des aus dem Verteidigungsausschuss hervorgegangenen Untersuchungsausschusses vorliegen, ausgiebig und ausführlich über die Inhalte und Schlussfolgerungen diskutieren und feststellen, welche Änderungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erforderlich sind. Auf einer soliden Grundlage können wir dann in diesem Hause eine vernünftige Entscheidung mit, wie ich hoffe, breiter Zustimmung treffen. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/ Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Dressel, trotz Gretchenfrage und Bibelzitat will ich nicht mit der Frage „Wie hältst du es mit der Religion?“ einsteigen, Volker Beck ({0}) ({1}) sondern zunächst auf den Gesetzentwurf eingehen, den die FDP-Fraktion vorgelegt hat. Ich glaube, dass der gewählte Ansatz falsch ist. Wir haben aus guten Gründen ein Parlamentsheer und wollen kein Ausschussheer für bestimmte Einsätze, bei dem elf Abgeordnete, die uns am Ende nicht einmal informieren dürfen, legitimieren, dass und wie die Bundeswehr im Ausland eingesetzt wird. Das wäre ein Bruch mit unserer Verfassungstradition in der Bundesrepublik Deutschland. ({2}) - Es gibt eine Regelung in dem geltenden Parlamentsbeteiligungsgesetz zu den in der Tat problematischen Punkten, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf ansprechen. ({3}) - Dass das Ihre Überzeugung ist, wird schon daran deutlich, dass Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Lassen Sie mich trotzdem in meinen Ausführungen fortfahren. Wir haben die Philosophie, dass bei Gefahr in Verzug die Bundesregierung durchaus ohne vorherige Zustimmung des Parlamentes handeln kann, diese aber unverzüglich einholen muss. Das heißt, in dieser Zeit trägt die Bundesregierung die alleinige Verantwortung, ({4}) und das Parlament entscheidet dann, ob das Vorhaben mitgetragen wird. Es ist aber keine Alternative dazu, elf Abgeordneten die Verantwortung für das ganze Haus zu übertragen, die sie dann irgendwie mit der Bundesregierung teilen müssen. Das ist ein Zwitter. Es ist nichts Halbes und nichts Ganzes, und am Ende weiß man nicht, wer die Verantwortung trägt. Auch wenn das ganze Haus die Entscheidung falsch finden sollte, kann sie von einem Teilorgan legitimiert werden, und die Regierung kann darauf verweisen. Dann zeigen alle aufeinander, und keiner will es gewesen sein, wenn gerade bei solchen hochgefährlichen Einsätzen etwas schiefgeht. Eine solche unklare Verantwortungsstruktur können wir uns gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die wir in Einsätze schicken, nicht leisten. ({5}) Es gibt aber ein Übel - dazu bitte ich Herrn Dressel, vorher tätig zu werden und das Thema mit uns im Ausschuss zu beraten -, das wir, wie ich meine, unmittelbar abstellen müssen, damit wir unsere Aufgabe als Parlament bei den zahlreichen aktuellen Einsätzen der Bundeswehr auch wirklich wahrnehmen können. Die Berichtspflichten der Bundesregierung werden von dieser seit neuestem leider nicht mehr richtig ernst genommen. Das hat sie frank und frei in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion am 5. Dezember 2006 festgestellt: Der Gesetzgeber hat im ParlBetG selbst nicht konkretisiert, in welcher Form, in welchem Umfang und in welchen Abständen die Bundesregierung ihren Unterrichtungspflichten nachzukommen hat. ({6}) - Danach kommt auch nicht viel zur konkreten Beantwortung der Punkte, nach denen wir gefragt haben. ({7}) Anders, als die Regierung hier meint, haben wir, und zwar Sozialdemokraten und Grüne zusammen, damals in die Begründung zu § 6 genau hineingeschrieben, was wir mit Berichtspflicht meinen. Wir haben gesagt: Die Vorschrift stellt die regelmäßige Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung sicher. … Über den Verlauf der Einsätze und die Entwicklung im Einsatzgebiet unterrichtet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag schriftlich. Sie soll darüber hinaus dem Deutschen Bundestag jährlich einen bilanzierenden Gesamtbericht über den jeweiligen Einsatz bewaffneter Streitkräfte und die politische Gesamtentwicklung im Einsatzgebiet vorlegen. Ferner heißt es in der Begründung: Die Bundesregierung soll nach Beendigung des Einsatzes einen Evaluierungsbericht erstellen, der sowohl die militärischen als auch die politischen Aspekte des Einsatzes darstellt und bewertet. Wir als Gesetzgeber waren damals der Auffassung, dass diese Interpretation des § 6 die Bundesregierung tatsächlich bindet. Die Bundesregierung hat dieser Ansicht weder in Verhandlungen noch im Ausschuss widersprochen. Nun schert sie sich nicht darum. ({8}) Das ist in der Tat ein Problem. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt, mit dem wir gemeinsam - hoffentlich auch mit Ihnen; ich glaube, es ist auch Ihr Anliegen, Einsätze informiert zu verantworten - die Bundesregierung daran erinnern wollen, dass sie diesen Verpflichtungen nachzukommen hat, was wir gegebenenfalls durch entsprechende Beschlüsse des Deutschen Bundestages unterstreichen wollen. Ich glaube, gerade wenn wir als Parlament sagen, dass wir die Hoheit über die Entscheidungen über Militäreinsätze behalten wollen, dass wir sie gegenüber den Soldatinnen und Soldaten sowie gegenüber der Völkergemeinschaft verantworten wollen, dann müssen wir auch darauf dringen, dass wir die entsprechenden Informationen erhalten, um auch rückwirkend falsche Entscheidungen politisch bewerten und daraus Lehren ziehen zu können. Dazu brauchen wir aber eine sorgfältige Berichtspraxis der Bundesregierung, bei der es sich nicht Volker Beck ({9}) um eine freiwillige, sondern um eine verbindliche Leistung handelt. Ansonsten können wir unserer Verantwortung als Abgeordnete nicht gerecht werden. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort zum Abschluss dieser Debatte hat der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Beim Lesen des FDP-Antrags fiel mir George Orwells Farm der Tiere ein. Darin steht: Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher. - Das wäre nämlich das Ergebnis, wenn die von der FDP vorgeschlagenen Änderungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes hier im Hause eine Mehrheit finden würden. Wir hätten dann endgültig eine Zweiklassengesellschaft im Parlament, nämlich jene Parlamentarier, die in dem PKG und im Ausschuss für besondere Auslandseinsätze sitzen, und den Rest, der seiner normalen parlamentarischen Arbeit nachgeht. Wir hätten die Situation, dass in einem zweiten hochsensiblen Bereich eine Geheiminstanz geschaffen würde, ({0}) eine Geheiminstanz, die von der Exekutive nach Belieben über den Tisch gezogen werden kann. ({1}) Mehr als ein verlängerter Arm der Regierung wäre dieser Ausschuss für besondere Auslandseinsätze nämlich nicht. Er wäre geradezu eine Einladung an jede Regierung, Auslandseinsätze inflationär mit dem Stempel „Geheim“ zu versehen. Dann gäbe es aus Sicht der Regierung endlich keine öffentliche Teilnahme an Bundestagsdebatten mehr. Das hat weniger Presseberichterstattung und damit weniger Informationen für die Bevölkerung zur Folge. Folgt man den FDP-Gedanken, dann will sie mit ihren Änderungen das Parlamentsbeteiligungsgesetz und damit den Bundestag kastrieren. Sie will zukünftig lediglich einige wenige Abgeordnete über Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheiden lassen. Das darf nicht geschehen. Im Gegenteil: Der Verteidigungsausschuss als 1. Untersuchungsausschuss hat in der Sache Kurnaz und KSK gezeigt, dass das Parlament nicht weniger, sondern mehr Unterrichtung benötigt, auch Unterrichtung darüber, wie Einsätze der Spezialkräfte verlaufen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der FDP geht es darum, künftigen Regierungen Auslandseinsätze der Bundeswehr leichter zu machen. ({3}) Hierzu ein Beispiel: Die rot-grüne Regierung hat seinerzeit beim Gipfel in Prag 2002 ohne Not der Bildung der Schnellen Eingreiftruppe der NATO zugestimmt. Im vollen Wissen um die Parlamentsbeteiligung hat sie es zugelassen, dass diese Truppe innerhalb von fünf Tagen an jedem Punkt der Welt einsatzbereit sein soll, einmal abgesehen davon, dass dieser Fünftageregelung offenkundig ziemlich absurde Krisenszenarien zugrunde liegen. Schon wegen unserer parlamentarischen Selbstachtung können wir in diesem Fall der Regierung nicht aus der Misere heraushelfen; denn sie hat diese Situation selbst herbeigeführt. Genau deshalb muss die Parlamentsbeteiligung erhalten bleiben. Sie muss auch auf die Spezialkräfte ausgedehnt werden. Hier geht es um Grundsätzliches. Deutschland hat eine andere Vergangenheit als seine Verbündeten. Deshalb haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes selbst im Kalten Krieg die Hürden für den Einsatz der Bundeswehr zur Verteidigung sehr hoch gesetzt. ({4}) Das Bundesverfassungsgericht hat diese für die Auslandseinsätze quasi bestätigt. Auch wenn Herr Struck, Herr Klose und der jetzige Innenminister im Verein mit der Stiftung Wissenschaft und Politik noch so sehr für das Gegenteil trommeln: Angesagt ist eine Verschärfung der parlamentarischen Kontrolle und nicht ihre schleichende Suspendierung. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3342, 16/6646 und 16/6770 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - Drucksache 16/6124 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) - Drucksache 16/6759

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Dr. Max Lehmer Dr. Christel Happach-Kasan Cornelia Behm Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Heinrich Jordan von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hans Heinrich Jordan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der schnelle Wandel ist ein Zeichen unserer Zeit. Der Staat und damit die Politik müssen zum Wohl der Gesellschaft ständig darauf reagieren sowie Antworten und Perspektiven durch Rahmensetzung für die Zukunft geben. Dabei ist die Ressortforschung ein unveräußerlicher Bestandteil für die Entscheidungsfindung. Die notwendige systematische Einbindung von Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung in staatliches Handeln hat in Deutschland Tradition. Ich möchte deshalb ausdrücklich hervorheben, dass mit der Namensgebung bei den vier Bundesforschungsinstituten im Agrar- und Ernährungsbereich ein erfreuliches Bekenntnis zu großen Forscherpersönlichkeiten abgegeben wird. ({0}) Was muss nun die Reform der Ressortforschung bringen? Natürlich unterliegt die Ressortforschung ebenso wie die gesamte staatliche Verwaltung dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Bei auch zukünftig begrenzten öffentlichen Mitteln muss Ressortforschung hervorragende Qualität liefern, unter noch stärkerer Einbindung des gesamten wissenschaftlichen Systems. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik ist Ressortforschung als ein eigenständiger Typ angewandter Forschung durch Besonderheit gekennzeichnet. Wir erwarten, dass sie Fragen der Gesellschaft aufgreift und problemorientiert sowie praxisnah beantwortet. ({1}) Grundsätzliche Forderung des Wissenschaftsrates, der auch die Ressortforschung evaluiert, war eine Verstärkung der Vernetzung mit anderen Forschungsbereichen und Institutionen der Wirtschaft, der Hochschulforschung und der Lehre. Somit muss die Ressortforschung aufgrund der Problemorientierung in der Regel interdisziplinär ausgelegt werden sowie Nutzer und Anwender des Wissens einbinden. Ein Vorzug muss die Verbindung zwischen kurzfristig abrufbarer wissenschaftlicher Kompetenz und der Fähigkeit, langfristig angelegte Fragestellungen kontinuierlich bearbeiten zu können, sein. Ich höre schon, dass für viele die hierarchische Organisationsstruktur ein Mangel ist, aber als Bindeglied zwischen Forschung und Verwaltung muss die Führung der Institute in der heutigen Zeit die Probleme lösen und Freiheit und Wettbewerb sichern können. ({2}) Mit diesem Reformkonzept werden durch die Bundesregierung auch Chancen für eine weitere Schärfung des Profils der Ressortforschung gegeben. Das schließt ein, so meine ich, dass das Verhältnis zwischen Verwaltungs- und Forschungsaufgaben zugunsten der Forschung verbessert wird, dass bessere Rahmenbedingungen für kurz-, mittelund langfristige Forschungsprojekte gesetzt werden und dass die Qualitätssicherung durch interne und externe Evaluationen zum Leistungsstand ein wesentliches Merkmal für die zukunftsorientierte Ressortforschung sein muss. Neben der Einbindung Dritter im In- und Ausland ist die Nutzung der Synergiepotenziale mehr als nur gewollt. Wichtig ist, dass Personalstrategien entwickelt und angewendet werden, die den Nachwuchs fördern und Spitzenforscher locken. ({3}) Dass in deutschen Einrichtungen die Arbeit von Nobelpreisträgern möglich ist, zeigen die Auszeichnungen unserer Preisträger 2007. Professor Grünberg, Professor Ertl, auch an dieser Stelle nochmals herzlichste Gratulation! ({4}) Uns werden durch zukünftige Entwicklungen noch stärker als heute neue Aufgaben und Ziele im Agrar- und Ernährungsbereich antreiben. Die Land-, Forst-, Fischerei- und Ernährungswirtschaft sowie die Forschung in diesen Bereichen können und werden dazu erhebliche Beiträge leisten müssen. Die Herausforderungen im Agrar- und Ernährungsbereich haben sich schon heute entscheidend gewandelt. In früheren Jahren stand die quantitative Versorgung mit Lebensmitteln im Vordergrund, heute haben Aspekte wie Qualität und Sicherheit wie auch ökologische Ziele einen höheren Stellenwert. Auf der zur Verfügung stehenden Fläche müssen zukünftig sowohl Nahrungsmittelerzeugung als auch Biomasseproduktion für energetische und stoffliche Zwecke erfolgen. ({5}) Gleichzeitig muss die biologische Vielfalt bewahrt werden. Die Haltungsbedingungen für Nutztiere sind im Sinne des Tierschutzes weiterzuentwickeln. Die Forschung im ökologischen Landbau ist deshalb so zu intensivieren, dass Marktsegmente mit kontinuierlich wachsender Nachfrage zukünftig verstärkt mit ökologischen Waren aus deutscher Produktion bedient werden können. ({6}) Die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume müssen in Zeiten der Globalisierung und demografischer Veränderungen untersucht und Lösungswege entwickelt werden. Der Klimawandel muss gebremst und die agrar- sowie forstwirtschaftlichen Nutzungssysteme müssen an die zukünftigen Veränderungen angepasst werden. Verbraucherseitig sind ernährungsbedingte Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwehren. Verbraucherschutz geht heute weit über Ernährungsfragen hinaus und muss alle Lebensbereiche vom Autokauf bis hin zum Zahnersatz, von der Altersversorgung bis hin zur Zertifizierung von Bildungsangeboten einschließen. ({7}) Nahezu unendlich ließe sich die Palette der Aufgaben erweitern. Im Wissen um diese Anforderungen hält die Bundesregierung Wort. Das zeigen die diesbezüglichen Erhöhungen der Haushaltsmittel für 2008. Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz werden die organisatorischen Voraussetzungen für eine exzellente und effiziente Ressortforschung geschaffen. Ich erwarte, dass dadurch auch die inhaltlich-fachliche Qualität der wissenschaftlichen Arbeit verbessert wird. In Ressortforschungseinrichtungen im Verantwortungsbereich des BMELV sind insgesamt rund 2 700 wissenschaftliche und nicht wissenschaftliche Bedienstete beschäftigt, wobei seit 1996 annähernd 1 000 Stellen abgebaut wurden. Zusätzliche weitere Personaleinsparungen dürfen dabei nicht zulasten der wissenschaftlichen Forschungsaktivitäten gehen, sondern müssen durch Effizienzsteigerung in der Verwaltung erbracht werden. ({8}) Der Wissenschaftsrat hat mehrere Empfehlungen, zuletzt im Januar 2007, zur Entwicklung der Rahmenbedingungen der Forschung in Ressortforschungseinrichtungen gegeben. Daraus hat die Bundesregierung mit ihren im Januar 2007 veröffentlichten Leitlinien für eine moderne Ressortforschung erste Schlussfolgerungen gezogen, denen auch für den Bereich „Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“ in vollem Umfang beizustimmen ist. Ich begrüße ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept für die Ressortforschung durch die Bundesregierung und verbinde das mit der Erwartung, dass darin auch die Belange der agrar- und verbraucherwissenschaftlichen Forschung ausreichend gewahrt werden. Das BMELV hat als eines der ersten Ministerien die notwendigen Reformen für eine zukunftsfähige Ressortforschung vorgelegt. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, denken Sie an die Zeit, bitte.

Dr. Hans Heinrich Jordan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich zum Schluss. - Die Entscheidung wurde schon 1996 gefordert. Es war ein langer, ein viel zu langer Weg bis zur heutigen Vorlage. Viel Effizienz ist verloren gegangen. Das vorliegende Konzept und der Gesetzentwurf des BMELV setzen den Rahmen für eine erfolgreiche Ressortforschung und ermöglichen zukünftig dynamische Anpassungen an neue Entwicklungen und Aufgaben. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel HappachKasan von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht immer gilt das Sprichwort „Was lange währt, wird endlich gut“. Was lange währt, das kann auch voll danebengehen. Genau das ist bei diesem Konzept der Fall gewesen. ({0}) Mit der Verwirklichung der deutschen Einheit - HansDietrich Genscher hat einen entscheidenden Anteil daran - musste die Ressortforschung von zwei Ländern zusammengeführt werden. Es ist nachvollziehbar, dass dies nicht ohne Stellenkürzungen hat vonstatten gehen können. Dies müssen wir akzeptieren. Aber wir müssen fragen: Sind die Prioritäten wirklich richtig gesetzt worden? Das 1996 erarbeitete Konzept wird jetzt umgesetzt. Man muss sich wirklich fragen, ob die Bundesregierung nicht bemerkt hat, dass wir in den letzten elf Jahren verschiedene Entwicklungen gehabt haben, die hätten berücksichtigt werden müssen. ({1}) Man muss dann auch einmal fragen, ob es richtig war, die rot-grünen Fehlentscheidungen zu übernehmen. ({2}) Deutschland ist zwar das größte Land in der Europäischen Union - das ist richtig -, international gesehen ist es aber relativ klein. Das heißt, wir müssen insbesondere im Bereich der Forschung zu Clusterbildungen kommen. Ressortforschung darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Zusammenhang mit den Universitäten, den Instituten Leibniz, Max Planck, Helmholtz und Fraunhofer betrachtet werden. Der Wissenschaftsrat hat tiefgreifende Reformen der Agrarwissenschaften gefordert, zum Beispiel die Bildung von Clustern mit Instituten. Wir müssen feststellen, dass die Bundesregierung die Chance vertan hat, mit der Neuordnung der Ressortforschung zu einer solchen Clusterbildung beizutragen. ({3}) Ein Ziel der Reform sollte sein, die wissenschaftliche Exzellenz zu stärken. Wir müssen feststellen, dass die Institute, die über eine besondere wissenschaftliche ExDr. Christel Happach-Kasan zellenz verfügt haben, schon jetzt abgewickelt und woandershin verlagert werden. Das ist unterirdisch. ({4}) Warum orientieren Sie sich nicht an Dänemark oder den Niederlanden? Eine Konzentration von Grundlagenforschung, Anwendungsprojekten und Lehre in breit aufgestellten Universitätseinrichtungen ermöglicht heute einen hocheffizienten Einsatz öffentlicher Mittel. Das muss für unsere Forschungseinrichtungen in gleicher Weise gelten. Dies entnehme ich einer Studie, die die Milchwirtschaft in Auftrag gegeben hat. Leider haben Sie sich daran nicht orientiert. Wir müssen weiter feststellen, dass die Ernährung im Vergleich zum Jahr 1996 einen ganz anderen Stellenwert hat. Fehlernährung führt zu Kosten im Gesundheitssystem. Die ernährungsbedingten Krankheiten verursachen 80 Prozent der Morbidität und Invalidität der Bevölkerung. Die Kosten der Bekämpfung der Krankheiten belasten das Gesundheitssystem in hohem Maße. Diabetes ist die teuerste Erkrankung, ihre Behandlung kostet jährlich 35 Milliarden Euro. Trotzdem entscheidet die Bundesregierung, dass das Max-Rubner-Institut, die ehemalige Forschungsanstalt für Ernährung und Landwirtschaft, das kleinste unter den vier großen Instituten werden soll. Das ist einfach eine Fehlentscheidung. Dies wird den Aufgaben nicht gerecht. ({5}) Der Wissenschaftsrat empfiehlt zwei Standorte für Ernährung: Karlsruhe und Kiel. Doch dann muss man mit ansehen, wie Minister Seehofer nach Kulmbach fährt und dort Extrastellen verspricht. Auch das ist nicht in Ordnung. Das ist eine Schwächung der Ressortforschung. ({6}) Minister Seehofer hat in seiner Einbringungsrede zum Gesetzentwurf dargestellt, dass alle Bundesländer damit einverstanden sind. Dabei hat er offensichtlich nicht bemerkt, dass das nördlich der Elbe nicht gilt. Hamburg und Schleswig-Holstein haben einen Bundesratsantrag zur Ablehnung dieses Gesetzentwurfes zur Ressortforschung gestellt. Das sollte auch ein Minister Seehofer zur Kenntnis nehmen. Um auf die Studie der deutschen Milchindustrie zurückzukommen: Der Milchforschungsstandort Deutschland ist in Gefahr, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren; so das Fazit dieser Studie. Die Milchwirtschaft - das wissen alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Agrarausschuss - ist der umsatzstärkste Sektor der deutschen Agrarwirtschaft. Dieser Sektor wird in einer unvorstellbaren Weise geschwächt, was Auswirkungen auf unsere Betriebe hat. Sie haben eine Entschließung zu einem verfehlten Gesetz beantragt. Darin steht eine Menge Lyrik; das ist ganz nett. Es gibt einzelne Punkte, denen wir zustimmen können. Aber was nützt uns die Lyrik, wenn in der Neuordnung der Ressortforschung letztlich derartig viele Fehlentscheidungen getroffen werden, wie Sie sie hier zu verantworten haben? Sie haben eine bedeutende Chance vertan, Agrarwissenschaft und -forschung in Deutschland besser aufzustellen, als es bisher der Fall gewesen ist. Ich muss kritisieren, dass auch die Große Koalition von CDU/CSU und SPD offensichtlich überhaupt kein Gefühl dafür hat, was Deutschland braucht. Es ist ein schwarzer Tag für die Agrarwissenschaft in Deutschland. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann die Kritik der Frau Kollegin Happach-Kasan in keiner Weise nachvollziehen. Offensichtlich hat sie völlig vergessen, dass das Ursprungsrahmenkonzept aus dem Jahr 1996 stammt. ({0}) Wenn ich mich recht erinnere, war 1996 die FDP mit in der Regierungsverantwortung. Bis zum heutigen Tag ist dieses Konzept weiterentwickelt worden. ({1}) Wir alle wissen natürlich, wie schwierig es ist, in dem Zusammenhang Entscheidungen zu fällen, die letztendlich auch Standorte betreffen. Der Kollege Jordan hat eben vorgetragen, welche Anforderungen an die Ressortforschung zu stellen sind. Ich bedanke mich bei ihm dafür, dass er auch den Inhalt unseres Entschließungsantrags vorgetragen hat, der, wie ich finde, einen adäquaten Rahmen darstellt, wie sich Ressortforschung nach unserer Einschätzung zukünftig entwickeln sollte. Zumindest in dem Zusammenhang wird, was lange währt, doch endlich gut, Frau Kollegin. Eines ist klar: Bei der Gesamtkonzeption stehen Exzellenz und Expertise im Vordergrund. Dem entspricht auch die Umsetzung des Konzepts. ({2}) Wir haben damit die Grundlagen gelegt, um zukünftig diesen Bereich entsprechend auszugestalten und zu erreichen, dass das geleistet wird, was wir tagtäglich in unserer Arbeit brauchen. Es geht darum, entweder in krisenhaften Situationen zu handeln oder hier im Parlament vorausschauend Entscheidungen zu treffen. Das ist Aufgabe von Ressortforschung. Wir müssen uns kritisch fragen, in welchem Zusammenhang sich verschiedene Aufgabenfelder verändert haben. Dabei kommt natürlich auch die Frage nach Forschungsinhalten zum Tragen. Dort muss eine klare Entscheidung getroffen werden. Das heute vorliegende Konzept basiert auf einem Vier-Säulen-Modell, und zwar orientiert an Schutzgütern - das ist das, was im Augenblick Stand der Wissenschaft und auch der kritischen Beurteilung von Ressortforschung ist -, den Bereichen Pflanze, Ernährung, Tier, tierische Lebensmittel, ländliche Räume, Wald und Fischerei. Ich glaube, es wird uns gelingen, ein geschlossenes Konzept darzustellen, auch wenn die Neuorientierung und die Umgestaltung nicht ohne Abbau in verschiedenen Bereichen vonstatten gehen werden. Das Konzept aus dem Jahr 1996 sieht vor, den Bereich der Agrarressortforschung auch personell zu reduzieren, und zwar um 30 Prozent in der Zielrichtung bis 2014. Wir arbeiten daran. Wir haben allerdings in verschiedenen Bereichen Probleme, vor allen Dingen im unteren Bereich, im Bereich der Verwaltung, diesen Einsparvorgaben nachzukommen. Aus dem Grunde ist das Konzept so orientiert, dass das Ziel über einen relativ langen Zeitraum sozialverträglich erreicht werden kann. Wir alle haben heute Morgen in der Ausschusssitzung ein klares Bekenntnis zur Größenordnung der finanziellen Förderung im Bereich der Ressortforschung abgelegt und beschlossen, 242,7 Millionen Euro dafür zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang noch einmal ein klares Bekenntnis zum weiteren Ausbau des Friedrich-LoefflerInstituts, der sinnvoll ist und dessen Notwendigkeit von niemandem bestritten wird. Wir werden sicherlich in der Lage sein, die zwischenzeitlich aufgetretenen Kostensteigerungen in den Haushalten zu finanzieren, ({3}) sodass dort ein weiterer Meilenstein für die Verbesserung von Forschungsqualität gesetzt wird. Das ist vor allen Dingen wichtig angesichts der hervorragenden Exzellenz, die sich schon heute in diesem Institut zeigt, und der internationalen Anerkennung für die in diesem Institut geleistete Arbeit. Die Aufgaben, vor denen wir stehen, sind recht vielfältig und haben sich natürlich im Laufe der letzten Jahre gewandelt, vor allen Dingen seit den krisenhaften Erscheinungen zum Beispiel im Zusammenhang mit BSE und auch vor dem Hintergrund der jetzigen Debatte zum Klimaschutz. Ressortforschung muss darauf eine Antwort geben und in der Lage sein, uns Kriterien für die Entwicklung politischer Konzepte und Grundlagen für zukünftige Entscheidungen an die Hand zu geben. Die Bereiche Qualitätssicherungsmaßnahmen und externe Evaluierung wurden übernommen und sind in dem Konzept klar erkennbar. Alles resultiert aus den Erkenntnissen der Bewertung des Wissenschaftsrates, und in Bezug auf die Qualitätsverbesserung von Forschung in diesen Bereichen sind dort entsprechende Schlussfolgerungen gezogen worden. In diesem Zusammenhang sind auch die Schwächen relativ klar aufgedeckt worden. Mit dem jetzt vorliegenden Konzept tun wir etwas, um die Vernetzung zu verbessern, um die Attraktivität zu verbessern, wenn es um Drittmitteleinwerbung geht, und vor allen Dingen auch, um die Verantwortlichkeit in den verschiedenen Bereichen aus ihrer Struktur heraus zu verbessern. Das Konzept einer präsidialen Struktur mit einer eigenen Verantwortung für Planstellen, Haushaltsstellen und Budgets stärkt die Position und die Gestaltungsmöglichkeiten der jeweiligen Spitzen dieser Institute und führt nachhaltig dazu, dass man adäquat und zeitnah auf Veränderungen in den verschiedenen Forschungsbereichen reagieren kann. Dieses Konzept entspricht den Leitlinien für eine moderne Ressortforschung, die die Bundesregierung im Januar 2007 vorgelegt hat. Insoweit ist überhaupt kein Bruch erkennbar. Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass es uns gelungen ist, das BMF davon zu überzeugen, dass gerade der Bereich der Forschung zum Ökolandbau in besonderer Weise zu würdigen ist. Das hat man letztendlich auch im BMF erkannt, und es ist gelungen, das Institut in Trenthorst langfristig zu sichern. Auch wir unterstützen das natürlich. Im Haushalt 2008 werden die Mittel für das Ökolandbauprogramm konstant gehalten. Außerdem werden 3 Millionen Euro für Forschungsaufgaben in diesem Bereich vorgesehen. Das macht deutlich, wie wichtig für uns Sozialdemokraten die Forschung im Bereich des Ökolandbaus ist. In dieser wachsenden Branche müssen wir zukünftig unsere Marktchancen wahren. ({4}) Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Ressortforschung darf man nicht solitär in der Forschungslandschaft sehen. Mir macht die Expertise des Wissenschaftsrats zum gesamten Bereich der deutschen Agrarforschung Sorge. Der Bereich der Ressortforschung kann ein wichtiger Katalysator sein. Aber wir beobachten hier Stellenkürzungen, Personalabbau und auch die Schließung von Universitäts- und Fachhochschuleinrichtungen. Das zeigt deutlich, dass unter dem Aspekt der Vernetzung von Ressortforschung und Forschung in Unternehmen die Forschung auf der Länderebene und im universitären Bereich in besonderer Weise zu würdigen ist. Ich glaube, dass mit dem Zur-Verfügung-Stellen von Projektmitteln ein ganz entscheidender Beitrag geleistet werden kann, um gerade die Ressortforschung in Deutschland voranzubringen und vor dem Hintergrund der Vernetzung der verschiedenen Forschungseinrichtungen die Exzellenz zu befördern. Damit sind wir in der Lage, uns an internationalen Programmen - ich nenne beispielsweise das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU mit erheblich höheren Mitteln für die Agrarforschung - adäquat zu beteiligen. Wir müssen davon wegkommen, dass wir in Deutschland in diesem Bereich nur 10 Prozent der Projektmittel nutzen können, während es in anderen Bereichen üblich ist, dass deutsche Einrichtungen und Institute bis zu 20 Prozent der Mittel aus diesem Rahmenprogramm nutzen können. Mit dieser Konzeption, die wir Sozialdemokraten nachdrücklich unterstützen, ist uns ein guter Wurf gelungen. Die Abstimmung über die Standorte war nicht immer einfach. Wenn jemand vor Ort in seinem Wahlkreis von einer Entscheidung negativ betroffen war, war es schwierig, klarzumachen, warum die Entscheidung genau so getroffen werden musste. Wenn wir in zehn Jahren zurückblicken - die Reform soll ja in spätestens fünf Jahren weitestgehend umgesetzt sein -, dann werden wir sagen können, dass das ein guter Schritt für die deutsche Ressortforschung war. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Agrarressortforschung ist eine Grundvoraussetzung für eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft. Darin sind wir uns, glaube ich, einig. Aber der Gesetzentwurf zur Neuordnung ist eine Mogelpackung, mit der die wirklichen Ziele verschämt verborgen werden sollen. Die angebliche Neuordnung setzt ohne wirkliches fachliches Konzept die Arbeitsplatzvernichtung und die Standortschließungen aller Regierungen seit 1996 fort. Im Entschließungsantrag der Koalition steht die Bilanz dieser Politik. In der Agrarressortforschung sind noch rund 2 700 Bedienstete beschäftigt, wobei seit 1996 1 000 Stellen abgebaut wurden. Dies geschah übrigens auf Grundlage eines Beschlusses von Schwarz-Gelb. ({0}) Die bereits entstandenen Fehlstellen sind von den Experten in der Anhörung deutlich benannt worden. Aber diese Löcher jetzt mit vier Großinstituten und weiteren Standortschließungen stopfen zu wollen, ist wirklich absurd. ({1}) Statt die Erfahrungen der Teilumsetzung des 96er-Rahmenkonzeptes ehrlich zu analysieren, sagt auch diese Regierung einfach „Weiter so!“. Dabei sind die Herausforderungen an die Agrarressortforschung seit 1996 deutlich gestiegen. Ich will drei neue Herausforderungen nennen: Wir brauchen erstens Vermeidungs- und Anpassungsstrategien zum Klimawandel; wir müssen zweitens die Frage beantworten, wie wir möglichst viel Energie pro Hektar Fläche ökologisch und mit höchsten Klimaschutzeffekten erzeugen und dabei die Nahrungs- und Futtermittelerzeugung zu bezahlbaren Preisen sichern; wir müssen drittens das infolge der Globalisierung deutlich gestiegene Infektionsrisiko der Nutztierbestände durch die großen Personen- und Handelsströme im Blick behalten. Statt weniger wird also eigentlich mehr agrarwissenschaftliche Kompetenz gebraucht. ({2}) Das Regierungskonzept gibt darauf die falschen Antworten. Ich möchte nur drei Sündenfälle nennen: Erstens. Die neue Tierseuchenstrategie der EU fordert die Verschiebung der Prioritäten hin zur Vorbeugung. Völlig zu Recht! Wir schleppen uns seit Jahren von der Schweinepest über BSE, MKS und Vogelgrippe zur Blauzungenkrankheit. Als Fachpolitikerin unterstütze ich daher ausdrücklich das Bekenntnis zum Neubau des Instituts auf der Insel Riems, auch wenn meine Haushälter angesichts der Kostenexplosion natürlich die Stirn runzeln. Der Neubau ist aber angesichts der schwierigen Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen auf der Insel Riems dringend notwendig. Nur, warum wird die Verlagerung des Instituts für Epidemiologie von Wusterhausen auf die Ostseeinsel Riems nicht überprüft, obwohl damit ausgerechnet die Arbeitsfähigkeit des Instituts gefährdet wird, das die epidemiologischen Ausbruchsuntersuchungen und Risikobewertungen schultern muss? 1996 hatte die SPD einen klugen Antrag zum Rahmenkonzept gestellt. Ich darf daraus zitieren: Für die Arbeit des Tierseuchenzentrums in Wusterhausen ist sowohl die Nähe zum zweiten Dienstsitz des BML in Berlin als auch die zentrale Lage in Deutschland von Vorteil. Die angespannte Tierseuchenlage, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist ein ausgezeichnetes Argument, diesen Antrag wieder aus der Schublade zu holen und ihn zumindest noch einmal zu prüfen; denn er ist richtiger denn je. ({3}) Zweitens. Das Institut für Forstgenetik und Forstpflanzenzüchtung soll entgegen einer ausdrücklichen Empfehlung der Evaluationsgruppe Forschung vom April 2007 von Ostbrandenburg in die Nähe von Hamburg verlagert werden. Ich darf wieder zitieren: Die Präsenz des Instituts an zwei Standorten … hat … hinsichtlich der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen und der Betreuung spezifischer Feldversuche seine Berechtigung. … Zur Straffung der Forschungsarbeiten wird empfohlen, alle züchtungsrelevanten Tätigkeiten enger als bisher mit dem Standort Waldsieversdorf zu verknüpfen. Trotzdem soll dieser Standort geschlossen werden. Die Linke fordert angesichts dieser Fehlentscheidungen ein Moratorium für alle Standortschließungen, die geplant sind. Die finanziellen, personellen, sozialen und strukturpolitischen Folgen einer Standortschließung müssen ehrlich analysiert werden. Für eine Neuentscheidung muss eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgelegt werden. Das ist das Mindeste, was die betroffenen Kolleginnen und Kollegen sowie die Kommunen fordern können; denn durch solche Standortschließungen werden meist die letzten wissenschaftlichen Arbeitsplätze, die es in diesen Regionen gibt, vernichtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben in Ihren Entschlie12526 ßungsantrag einen ähnlichen Prüfauftrag aufgenommen. Vielleicht wäre es gut, diesen ernst zu nehmen. Drittens. Wer Präsidenten eine solche Macht gibt, degradiert Institutsleiter zu besser bezahlten Sachbearbeitern. Auch das wird die Exzellenz in der Breite nicht wirklich fördern. ({4}) Aus unserer Sicht werden weder der Gesetzentwurf noch der Entschließungsantrag dazu beitragen, dass wir eine leistungsfähige Agrarressortforschung haben. Deswegen müssen wir beides ablehnen. Aber wir sollten weiter im Gespräch bleiben. Ich hoffe auf bessere Zeiten. Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Rede der Kollegin Cornelia Behm, die jetzt hier oben neben mir Platz genommen hat, geht genau aus die- sem Grund zu Protokoll.1) ({0}) - Sie könnten sie vielleicht vorlesen. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6759, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6124 anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz- entwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- men der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer für diesen Gesetzentwurf stimmen möchte, möge sich bitte erheben. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher angenom- men. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der SPD auf Drucksache 16/6777. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit demsel- ben Stimmenverhältnis wie der Gesetzentwurf angenom- men. 1) Anlage 19 Ich rufe die Tagesordnungspunkt 6 a und 6 b sowie Zusatzpunkt 3 auf: 6 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Praktika gesetzlich regeln - zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Perspektiven für die Generation Praktikum schaffen - Drucksachen 16/3349, 16/3544, 16/6762 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Swen Schulz ({2}) Cornelia Hirsch b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Werner Dreibus, Dr. Gesine Lötzsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes - Drucksache 16/6629 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Patrick Meinhardt, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Orientierung und verbesserte Berufsperspektiven durch Praktika schaffen - Drucksache 16/6768 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion. ({5})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich merke, dass ich zu dieser späten Stunde erst einmal meine eigene Fraktion in Stimmung bringen muss, damit das mit dem Applaus auch funktioniert. ({0}) - Ich habe zwar meine Fraktion gemeint, aber es klappt auch bei der FDP wunderbar. Wir sprechen heute über die sogenannte Generation Praktikum. Wir beraten Anträge mit Titeln wie „Praktika gesetzlich regeln“ oder - das klingt noch vollmundiger „Perspektiven für die Generation Praktikum schaffen“. Wenn es diese Generation Praktikum wirklich gäbe und dieser Begriff tatsächlich gerechtfertigt wäre, dann wäre ich - ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ich Jahrgang 1978 bin - nicht nur Nachfahrin der Generation X, vollwertiges Mitglied der Generation Golf, sondern auch sogenannte Geschädigte der Generation Praktikum, also selbst Teil dieser Generation. Wie viele Tausende Schüler, Studenten, Auszubildende und Bundestagskollegen habe ich im Laufe meines Studiums sehr viele Praktika absolviert. - Frau Präsidentin, hat es eine Bedeutung, dass die Lampe vor mir blinkt?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- in Erinnerung rufen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Genau.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich dachte, das wäre der Intelligenztest für Praktikanten. ({0}) Die ersten Praktika, die ich absolviert habe, waren unbezahlt, die folgenden wurden zumindest mit einer Aufwandsentschädigung abgegolten. Ich denke, so geht es sehr vielen Praktikanten. Bei einem Praktikum lernt man aber sehr viel, und sie sind für das weitere Leben äußerst sinnvoll. Das Wort „Praktikum“ lässt sich aus dem Mittellateinischen ableiten und bedeutet „Vollendung“ und „Ausübung“. Praktika sind zur Vollendung eines Studiums bzw. zur Erlangung der Befähigung zur Ausübung eines Berufes vonnöten; denn erst durch sie lernt man, was hinter der Theorie, die an den Universitäten gelehrt wird, steckt. Sie komplettieren also das Studium. ({1}) Ich finde es falsch, diesen Begriff schlechtzureden. Das ist nicht nur falsch, sondern in vielfacher Hinsicht sogar sehr gefährlich. Ohne Praktika fehlt ein entscheidender Teil der Ausbildung. Praktika sind wichtig, um entscheiden zu können, in welchem Bereich man später einmal arbeiten möchte. Wenn man sich den Antrag der Linken anschaut, gewinnt man den Eindruck, dass Sie alle Praktika bzw. alle Praktikanten mit einem Schlag abschaffen wollen. ({2}) Die Hürden, die Sie aufbauen wollen, sind derart hoch, dass jedes vernünftig handelnde und wirtschaftlich denkende Unternehmen nur die Konsequenz ziehen könnte, gar keine Praktikanten mehr zu nehmen. Schließlich ist kein Unternehmen dazu verpflichtet. Aber vielleicht wollen Sie im nächsten Schritt ja eine Praktikantenquote für die Unternehmen einführen. Auch das würde ich Ihnen zutrauen. ({3}) Wer sich bewusst für Praktikanten entscheidet, entscheidet sich für einen enormen Arbeitsaufwand. Für die Mitarbeiter eines Unternehmens sind Praktikanten oft mit einem sehr hohen Arbeitsaufwand verbunden. An dieser Stelle möchte ich, wenn es erlaubt ist, meinem eigenen Büro ganz herzlich danken. Meine Mitarbeiter geben sich mit den Praktikanten, die wir regelmäßig bezahlt einstellen, immer sehr viel Mühe. ({4}) - Alle, die geklatscht haben, gehen fair mit ihren Praktikanten um. ({5}) Ich kenne meine Kollegen. Auch sie haben einen Ehrenkodex. Ich nehme die FDP in Mithaftung, weil die FDPAbgeordneten mitgeklatscht haben. ({6}) Es bedeutet also einen hohen Arbeitsaufwand, wenn Praktikanten beschäftigt werden. Es muss viel erklärt und ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden; sehr viel Betreuung geht damit einher. Denn wir möchten natürlich, dass unsere Praktikanten nach ihrem Praktikum sagen können, dass es sich für sie gelohnt hat, dass sie einen Mehrwert daraus ziehen können und dass sie zumindest einen Einblick haben, ob das ein Berufsfeld ist, in dem sie sich später gerne betätigen wollen. Deswegen machen Praktikanten in der Anfangszeit selbstverständlich mehr Arbeit, als sie dem Unternehmen im ersten Moment nutzen. Wenn wir all diese Hürden, die die Linken verlangen, aufbauen, dann wird aus der sogenannten Generation Praktikum eine Generation Theorie. Wir hatten schon bei der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf über die Studie des Hochschulinformationssystems, HIS, gesprochen, bei der ermittelt werden sollte, ob es überhaupt einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt. Das HIS hat 12 000 Absolventen befragt. Wir hatten damit erstmals die Möglichkeit, eine fundierte wissenschaftliche Grundlage geliefert zu bekommen. Das erfreuliche Ergebnis für mich bei dieser Studie war, dass das Problem der sogenannten Kettenpraktika bei weitem keine ganze Generation betrifft. Nur jeder zehnte Fachhochschulabsolvent und jeder fünfte Universitätsabsolvent durchläuft nach seinem Abschluss zwei oder mehr Praktika. ({7}) Auch die Dauer ist, denke ich, ganz entscheidend. Die Hälfte der Praktikanten absolviert ein Praktikum für maximal drei Monate, ein weiteres Drittel für bis zu sechs Monate; nur ganz wenige liegen mit ihrer Praktikumszeit über einem Jahr. Vielmehr sind knapp drei Viertel der Absolventen, die nach dem Abschluss ein Praktikum machen, ein halbes Jahr nach dem Ende ihres Praktikums in regulärer Beschäftigung. So liegt die Arbeitslosenquote von Absolventen mit anschließendem Praktikum neun Monate nach Ende des Praktikums bei 4 bis 6 Prozent. Das ist keine ganze Generation. ({8}) Schaut man auf die Motive für die Aufnahme, wird deutlich, dass das Fehlen einer festen Anstellung für die meisten nicht ausschlaggebend war. Der größte Wunsch war die Weiterqualifizierung der Absolventen. Hinzu kommt, dass zwei Drittel ein Praktikum im Nachhinein als hilfreich für die berufliche Zukunft werten. Interessant ist auch der Blick auf den Bereich, in dem die Praktika angeboten werden. Denn man kann nicht eine ganze Generation in Mithaftung nehmen, wenn dieses Problem nicht bei allen Berufssparten von A bis Z auftaucht. Die meisten unbezahlten Praktikanten, die bereits über einen Hochschulabschluss verfügen, sind im Medienbereich und im Verlagswesen zu finden. Ketzerisch könnte man jetzt die Frage stellen, ob die Artikel über die Generation Praktikum von unbezahlten Praktikanten geschrieben wurden. ({9}) Aus meiner eigenen Erfahrung und der meiner ehemaligen Kommilitonen weiß ich, dass viele Absolventen sehr leidensfähig sind, um an einen der begehrten Volontariatsplätze zu kommen. Selbstverständlich müssen wir versuchen, für diese jungen Menschen eine Lösung zu finden. Es kann ja nicht sein, dass immer, wenn irgendwo in Deutschland ein Problem auftaucht, sofort danach geschrien wird, neue Gesetze zu erlassen und wesentlich höhere bürokratische Hürden aufzubauen. Denn damit helfen wir keinem einzigen Hochschulabsolventen. ({10}) Wir sollten also ganz vorsichtig sein, von diesem einen Bereich auf den kompletten Arbeitsmarkt zu schließen, wie es bei der Berichterstattung in den Medien oft der Fall zu sein scheint. Die Bundesregierung - auch das haben wir beim letzten Mal schon angesprochen - hat die Initiative „Fair Company“ gegründet. Es gibt, seitdem wir das letzte Mal hier darüber diskutiert haben - das war am 18. Januar 2007 -, die erfreuliche Entwicklung, dass sich die Zahl der Unternehmen, die sich dieser Initiative angeschlossen haben, mehr als verdoppelt hat. Das zeigt deutlich, dass unsere Unternehmen Verantwortungsbewusstsein beweisen und dass sich ein Hochschulstudium in Deutschland lohnt. Unser Fraktionsvorsitzender, Volker Kauder, hat dieser Tage angekündigt, dass das Thema „Zukunftschancen für junge Menschen“ in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode zentral behandelt wird. Das zeigt Ihnen, dass sich die CDU/CSU-Fraktion massiv für die Ausbildung und den erfolgreichen Abschluss eines jeden einzelnen Studenten einsetzt. ({11}) - Zu Recht. ({12}) Wir werden deshalb Ihre Anträge ablehnen und uns stattdessen um die Rahmenbedingungen kümmern, die jungen Menschen wieder eine positive Zukunft bescheren werden. Wir benötigen ganz dringend junge, gut ausgebildete Menschen; aber noch dringender benötigen wir junge Menschen, die optimistisch in die Zukunft blicken können, weil sie sichere Perspektiven haben, und nicht dauernd von den Schwarzmalern in unserem Land genötigt werden, sich selber schlechter zu fühlen, als sie tatsächlich sind. Wir brauchen selbstverständlich auch Unternehmer, die sich an einen Ehrenkodex halten. Aber am allerwenigsten brauchen wir in diesem Land Politiker wie die der Linken, die jungen Menschen unter dem Deckmäntelchen des Gutmenschentums ihre Zukunftschancen verbauen. Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Uwe Barth das Wort. ({0})

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Male sprechen wir heute über das Thema Praktikum, und trotz beeindruckender Lateinkenntnisse besteht keine Klarheit darüber, was ein Praktikum ist, was es nicht ist und was es vor allen Dingen nicht sein kann. Schüler sollen mit einem Praktikum einen Einblick erhalten, was im Berufsleben auf sie zukommt. Sie sollen sich orientieren, sollen Erfahrungen sammeln und sollen auch in ihrer Lust am Lernen und am Erleben der Realität des Berufslebens bestärkt werden. Bei manchem ist der Blick ins Unternehmen durchaus ein Aha-Erlebnis, ein Schlüsselerlebnis; pädagogische Konzepte wie „Praktisches Lernen“ setzen gerade darauf, dass durch die Vernetzung von Schule und Wirtschaft Interesse geweckt und Begabung entdeckt werden kann. Ein Praktikum ist kein Ferienjob zur Aufbesserung der Sparbüchse. ({0}) Auch für Studentinnen und Studenten spielen Praktika eine immer wichtigere Rolle. Praktika sind wesentlicher Bestandteil in vielen Studienfächern, und praxisbezogene Elemente sind formal in vielen Studienordnungen eingebaut. Die Vorstellung, dass es ein aus Studentinnen und Studenten bestehendes Arbeitsheer gäbe, das in ausbeuterischer Weise zu unentgeltlicher Tätigkeit genötigt oder herangezogen würde, geht schlicht an der Realität vorbei. ({1}) Dass Unternehmen Schüler und Studenten aufnehmen, sich um sie kümmern und zur Kooperation mit Schulen und Hochschulen bereit sind, ist grundsätzlich positiv; denn tatsächlich stecken viel Zeit, Mühe und nicht zuletzt auch Kosten dahinter, wenn man einem jungen Menschen eine sinnvolle und hilfreiche Erfahrung bieten möchte. ({2}) Die zunehmend unverhohlen vorgetragenen Unterstellungen, die Betriebe seien primär darauf aus, kostengünstige Arbeitskräfte an Land zu ziehen, müssen in den Ohren der verantwortlich handelnden Unternehmer wie purer Hohn klingen. ({3}) Auch die überwiegende Mehrheit der ehemaligen Praktikantinnen und Praktikanten ist mit den absolvierten Praktika zufrieden. Kollegin Bär hat dank ihrer längeren Redezeit ({4}) hier gerade zu Recht einige interessante Details aus entsprechenden Studien vorgetragen. Es kommt natürlich vor, dass die Betreuung durch das Unternehmen oder die Organisation zu wünschen übrig lässt, dass die zu erfüllenden Aufgaben nicht den Erwartungen oder den Vereinbarungen entsprechen oder dass Praktikanten missbräuchlich eingesetzt werden. Allerdings sind diese Fälle im Gegensatz zu dem in den vorliegenden Initiativen vermittelten Bild glücklicherweise eher die Ausnahme als die Regel. ({5}) Wegen einiger schwarzer Schafe, liebe Kolleginnen und Kollegen, alle verantwortlich Handelnden nicht nur unter Generalverdacht zu stellen, sondern auch in Generalhaftung zu nehmen, ist weder angemessen noch zielführend. Es ist wie beim Fahrraddiebstahl, der ebenfalls verboten ist und trotzdem stattfindet. ({6}) Hieran sieht man zum einen, liebe Kollegin Hirsch, dass gesetzliche Regelungen Grenzen haben, und zum anderen, dass es einen Bereich der Eigenverantwortung gibt. ({7}) Schlecht gesicherte Fahrräder werden öfter gestohlen als gut gesicherte. In diesem Falle sollten schlecht beleumundete Praktikumsanbieter gemieden und gut beleumundete bevorzugt werden. ({8}) Hier haben die Schulen und Hochschulen eine Verantwortung für ihre Schüler und Studenten, diese aber auch eine Verantwortung für sich selbst. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Verbreitung des Mythos von der Generation Praktikum, die ohne Hoffnung für die Zukunft ausgenutzt an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird, ebenso falsch wie gefährlich. ({9}) Er negiert die Vorteile der Bildungsinvestitionen und schürt unbegründete Ängste. Von blindem Aktionismus angetrieben, versuchen insbesondere die Kollegen der Linken, Generallösungen für Generalprobleme anzubieten, die es so in der Tat nicht gibt. In den vorliegenden Initiativen schlagen Sie vor, Praktika generell mittels einer Vertragsniederschrift zu regulieren, einen Mindestlohn zu zahlen und bei Kündigung den Betriebsrat zu beteiligen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Betriebe klagen über mangelnde Qualifikation, mangelnde Motivation und fehlende Vorstellung vom Betriebsleben. Durch verstärkte Kooperation von Betrieben und Kammern mit Schulen vor Ort, Beratungslehrer und vieles andere soll sich dies bessern. Ihre Vorschläge werden nicht zu einer Verbesserung beitragen. Sie sind in der Tat schlicht Unsinn, und sie sind populistisch. ({10}) In Wahrheit erreichen Sie damit genau zwei Ziele: Zum Ersten. Die Zahl der Praktikumsplätze wird drastisch sinken; ({11}) denn das wird sich niemand antun wollen. Zum Zweiten. Praktikumsplätze werden zu genau dem, wozu sie nicht werden sollen: zu Ersatzarbeitsplätzen und zu Konkurrenz für echte Arbeitsplätze. ({12}) Das ist der völlig falsche Weg. ({13}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Fraktion der FDP legt heute einen Antrag vor, in dem sie fordert, von derartigen Regelungen abzusehen. ({14}) Wir können, was Praktika angeht, auf eine positive Entwicklung zurückblicken. Die Praktikumsvergabe und -begleitung durch Schulen und Hochschulen wird zunehmend professionalisiert. Es gibt zweifellos Nachholbedarf; das ist völlig klar. Das muss aber vor allem von den Beteiligten geleistet werden. Hier wächst ein Problembewusstsein heran, und das ist auch gut so. Diesen Trend müssen wir stärken. Deswegen bitte ich Sie, unseren Antrag zu unterstützen. Herzlichen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort der Kollege Swen Schulz für die SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion über die sogenannte Generation Praktikum ist in den letzten Monaten abgeflaut. Das hat unter anderem mit einer Studie des HIS, des Hochschul-InformationsSystems, zu tun; darauf ist schon eingegangen worden. Sie trägt den schönen Titel „Generation Praktikum Mythos oder Massenphänomen?“. Als Ergebnis blieb in der Öffentlichkeit hängen: Leute, beruhigt euch; das alles ist gar nicht so schlimm. Es ist nicht so, dass eine ganze Generation in Praktika ausgebeutet wird. Ist also alles in Ordnung? Ist dieses Thema erledigt? Die SPD-Fraktion sagt Nein. Gerade die HIS-Studie bestärkt uns darin. Denn es ist klar geworden, dass es sich nicht um einen Mythos handelt. Das ist ein differenziert zu betrachtendes Thema. ({0}) Wir haben nie gesagt, dass alle Praktika schlecht sind. Im Gegenteil, die meisten sind sinnvolle Qualifikationen und verschaffen Einblicke in die Arbeitswelt. Das sind faire Praktika, die unsere volle Unterstützung finden. ({1}) Aber wir wissen - die HIS-Studie zeigt das klar auf -, dass es auch eine ganze Reihe unfairer Praktika gibt: Praktikanten werden für lange Zeit ohne oder gegen nur geringe Bezahlung eingesetzt, reguläre Arbeitskräfte werden ersetzt, und die Menschen werden schamlos ausgenutzt, indem sie zunächst mit dem Versprechen einer regulären Stelle geködert und dann fallen gelassen werden. Das ist ungerecht. Das ist Ausbeutung. Das schadet den Menschen, und das schadet der Gesellschaft. Genau dagegen werden wir vorgehen. ({2}) Dieses Thema ist vor allem mit Blick auf Studierende und Akademiker aufgekommen. Um diesen Personenkreis geht es auch in der HIS-Studie. Wir müssen aber berücksichtigen, dass wir hier über ein Problem reden, welches in ganz verschiedenen Bereichen des Berufseinstiegs eine Rolle spielt. Auch die Handhabung von Praktika bei der Vermittlung von Arbeitsuchenden ist in der Öffentlichkeit thematisiert worden. Das Fernsehmagazin Report Mainz hat darüber berichtet, sogenannte betriebliche Trainingsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit seien missbraucht worden. Ich halte es für gut möglich, dass es solche Probleme gibt. Hier muss man genauer hinsehen. Von einem Berliner Bildungsträger wurde mir geschildert, dass ihm die Vermittlung in diese betrieblichen Trainingsmaßnahmen jüngst generell untersagt wurde, offenbar in Reaktion auf die öffentliche Debatte. Er darf für seine Leute also keine Praktika in Unternehmen mehr vermitteln, obwohl er dieses Instrument verantwortungsvoll und erfolgreich eingesetzt hat. Jetzt bricht seine Quote der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt ein. Mit anderen Worten: Hier wird schlicht überreagiert. ({3}) Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir dieses Thema handhaben müssen, nämlich mit Augenmaß. Das ist der Punkt, um den es uns Sozialdemokraten geht. Wir sehen klar, dass es Missbrauch gibt. Aber wir dürfen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und alle Praktika plattmachen. Anschließend würden sich diejenigen, die wir schützen wollen, bei uns beschweren, und das zu Recht. Es bleibt dabei: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. ({4}) Was ist also zu tun? Die Vorschläge der Opposition sind - das muss ich so sagen - unausgegoren. Die Linke geht zu weit, wenn sie Praktika außerhalb von Ausbildung und Studium verbieten will. Bündnis 90/Die GrüSwen Schulz ({5}) nen sind mir persönlich zu zaghaft, wenn sie von Selbstverpflichtungen sprechen. Die FDP sieht, wie wir gerade gehört haben, gar kein Problem. ({6}) - Herr Barth, als meine Mitarbeiterin heute früh Ihren Antrag gelesen hat, hat sie spontan gelacht und gesagt, das sei ja ein Antiantrag. Ich glaube, dem muss ich nichts hinzufügen. ({7}) Was ist nun der Vorschlag der Koalition? ({8}) - Ich wusste, dass Sie das interessiert. Die Opposition fragt danach, und es ist auch gut so, dass Sie sich an uns orientieren wollen. ({9}) Ich erkläre es Ihnen noch einmal: Das Thema eignet sich nicht für parteitaktische Manöver oder für Schnellschüsse. Wir haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebeten, eine umfassende Studie in Auftrag zu geben, damit wir zielgenauer vorgehen können. Die Ergebnisse dieser Studie werden bald vorliegen. Wir werden gemeinsam über sie diskutieren und dann zu klaren Schlussfolgerungen kommen. Ich sage Ihnen: Das darf auch nicht bis weit ins nächste Jahr verluschert werden, und ich will das auch nicht zum Wahlkampfthema machen, sondern ich will den Menschen helfen, konkret und jetzt. Ich habe dabei neben vielen Aspekten ganz besonders zwei Dinge im Blick: Erstens geht es um Klarheit und Wahrheit. Notwendig sind eine Definition und eine Vertraglichkeit für Praktika. ({10}) Zweitens ist da die Frage der zeitlichen Begrenzung. ({11}) Je länger ein Praktikum dauert, desto geringer wird der Anteil des Lernens und desto größer der Anteil des Arbeitens. Mit anderen Worten: Je länger das Praktikum dauert, desto größer wird die Gefahr, die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Missbrauch handelt. Ich bin darum der festen Überzeugung, dass wir da ran müssen. Wir brauchen noch ein bisschen Geduld - Qualität geht vor Schnelligkeit -; aber Sie können sicher sein, dass die SPD-Fraktion vernünftige Maßnahmen mit Augenmaß vorantreiben wird. Herzlichen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Cornelia Hirsch das Wort für die Linke. ({0})

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt knapp ein Jahr her, dass wir hier im Plenum das letzte Mal über die Generation Praktikum diskutiert haben. Frau Bär, Herr Barth, ich muss sagen, dass ich es wirklich schade finde, dass seit dieser ersten Debatte in Ihren beiden Fraktionen deutliche Rückschritte erkennbar sind. ({0}) Ich hatte in der ersten Debatte den Eindruck, dass wir fraktionsübergreifend darin einig waren - Frau Bär, das geht jetzt vor allen Dingen in Ihre Richtung -, dass es grundsätzlich gut und sinnvoll ist, dass Studierende und Auszubildende im Rahmen ihres Studiums bzw. ihrer Ausbildung Praktika machen und dass ihnen diese persönlich viel bringen können. ({1}) Einen klaren Konsens gab es auch darüber, dass das eigentliche Problem der Missbrauch von Praktika ist. Da kamen aus Ihrer Fraktion Töne - auch die Fraktion der FDP hat das zugegeben -, dass man überlegen muss, was man gegen den Missbrauch von Praktika tun kann. Genau an dieser Stelle haben schon beim letzten Mal die Anträge angesetzt, die von den Grünen und von uns vorgelegt wurden und mit denen wir die Bundesregierung bzw. die Koalitionsfraktionen aufgefordert haben, etwas vorzulegen und die Initiative zu ergreifen. ({2}) Wir von der Linken haben klar gesagt: Wir brauchen eine gesetzliche Initiative. Nun sagen Sie, Herr Schulz, Sie würden sich darum kümmern. Ich möchte darauf hinweisen, dass Ihr Minister Franz Müntefering hier schon vor weit über einem Jahr erklärt hat, er werde gegen den Missbrauch von Praktika, gegen die Ausbeutung von Praktikantinnen und Praktikanten vorgehen. ({3}) Mittlerweile hat er die Schirmherrschaft der privatwirtschaftlichen Initiative „Fair Company“ inne. ({4}) Er fühlt sich da offensichtlich ganz wohl; denn er gibt uns das jedes Mal zur Antwort, wenn wir nachfragen, wie das weitere Vorgehen ist. ({5}) Doch es macht diese Initiative „Fair Company“ nicht gerade glaubwürdig, wenn er uns, wenn wir nachfragen, wie in seinem eigenen Ministerium mit Praktikantinnen und Praktikanten umgegangen wird, ({6}) zur Antwort gibt, dass man darüber diskutiert, ihnen Essensgutscheine zu geben, um ihnen ihren Aufwand ein wenig zu vergüten. Das kann nun wirklich nicht die Perspektive sein. Das ist aus unserer Sicht eine Hinhaltetaktik, und das darf so nicht sein. ({7}) Aus unserer Sicht ist es nicht sehr von Bedeutung, wie die Zahlen ganz konkret sind. ({8}) Ich möchte hier noch einmal darauf hinweisen, dass wir alle gemeinsam eine öffentliche Anhörung durchgeführt haben, die deshalb zustande kam, weil mehr als 100 000 junge Menschen eine Petition an den Deutschen Bundestag unterzeichnet haben, in der sie klar gefordert haben, dass sie gesetzliche Regelungen für Praktika haben wollen. Das zeigt, dass ein Problem vorliegt. ({9}) Dass man hier jetzt so tut, als sei das alles gar nicht relevant und dass man noch eine Studie und noch eine braucht, obwohl mittlerweile schon zwei Studien vorliegen, ist aus unserer Sicht ganz klar die falsche Antwort. ({10}) Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn man nicht nur die Anträge, die wir hier schon das letzte Mal diskutiert haben, sondern auch die Anträge zur Kenntnis nehmen würde, die hier neu vorgelegt worden sind. Die Linke hat heute nämlich auch einen ganz konkreten Gesetzentwurf eingebracht, in dem es darum geht, Regelungslücken, die offensichtlich vorhanden sind, zu schließen. Wir machen einen Vorschlag dafür, in § 26 des Berufsbildungsgesetzes, in dem es um andere Vertragsverhältnisse geht, worunter grundsätzlich auch die Praktika fallen, eine Klarstellung zu treffen, sodass insbesondere Studierende und Auszubildende, die ein Praktikum machen, unter diese Regelung fallen und sichergestellt ist, dass eine Vertragsniederschrift erfolgt. ({11}) - Das alles ist geprüft. Wir haben das rechtlich und juristisch prüfen lassen. Das ist wasserfest. Wenn Sie das widerlegen wollen, dann können Sie das gerne versuchen. Letzter Punkt. Die FDP hat hier das großartige Beispiel des Fahrraddiebstahls gebracht. Die Konsequenz wäre wirklich: Selbst dann, wenn man hier offensichtliche Regelungslücken gefunden hat, sollte man sie besser nicht schließen. Das heißt dann, dass es das alles nicht braucht, weil es ja wiederum Verstöße dagegen geben könnte. So etwas lehnt die Linke ganz definitiv ab. Wir hoffen darauf, dass es in diesem Parlament grundsätzlich noch eine Mehrheit dafür gibt, nicht einfach ungehindert das Faustrecht des Stärkeren gelten zu lassen, sondern gegen Regelungslücken, wenn sie vorhanden sind - gerade hinsichtlich der Praktika -, vorzugehen und deshalb auch diesen Gesetzentwurf der Linken aufzugreifen und ihm zuzustimmen. Besten Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Praktikaprobleme mit Augenmaß lösen - das ist sicher ein gutes Motto für die heutige Debatte hier, Herr Schulz. ({0}) Irgendwann müsste die Koalition aber auch wissen, ob sie sich wenigstens auf eine gemeinsame Problemanalyse verständigen kann. Nach Frau Bärs Beitrag kann ich Ihnen dafür nur sehr viel Erfolg wünschen. ({1}) Stellen Sie sich die Fachkräfte von morgen nur einen Moment lang vor. Junge Absolventen unserer Hochschulen sind bereit, in die Berufslaufbahn einzubiegen, für die sie qualifiziert und motiviert sind. Anstatt den Berufsstart jetzt erfolgreich hinlegen zu können, müssen sie erst einmal in die Warteschleife. Mit einem akademischen Zeugnis in der Tasche geht es ins Praktikum. Sie werden quasi Diplom-Praktikanten. Das Problem tritt bei jungen Akademikern keineswegs massenhaft auf. ({2}) Das ist hier auch unstrittig. Es aber völlig in Abrede zu stellen, wie es die Union und FDP mit ihren Beiträgen nahelegen, ist absolut realitätsfern. ({3}) Unterhalten Sie sich einmal mit jungen Leuten über Erfahrungen in unfairen Praktika. Dann können Sie wirklich abendfüllende Geschichten hören. Reden Sie einmal mit Absolventen, die keine andere Wahl als ein Praktikum hatten. Denen hilft das Versprechen, durch den Aufschwung werde das Praktika-Problem schon irgendwie gelöst, wie wir es in den letzten Monaten und Wochen immer wieder gehört haben, überhaupt nicht. ({4}) - Jetzt hören Sie sich einmal die Zahlen an. Das könnte diese Debatte ja auch versachlichen. Von 100 Praktikanten mit Hochschulabschluss beginnen 40 ein Praktikum einzig und allein deshalb, um der drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen. Wenn das Praktikum die letzte Rettung ist, dann ist der Missbrauch durch schwarze Schafe unter den Arbeitgebern nicht mehr fern. Es ist auch so: Jeder fünfte Absolvent im Praktikum wird ausgenutzt. Besorgniserregend ist auch, dass die Hälfte der Absolventenpraktika länger als drei Monate dauert. Damit ist einfach die Gefahr gegeben, dass reguläre Arbeitskräfte durch Praktikanten ersetzt werden. ({5}) Ein Drittel der Uni-Absolventen im Praktikum erhält keine Aufwandsentschädigung. All das sind Punkte, um die wir uns kümmern müssen. ({6}) Sämtliche hier genannten Zahlen stammen aus der HISStudie, die im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt und schon mehrfach angesprochen wurde. Angesichts dieser Ergebnisse auf breiter Front Entwarnung zu geben, ist geradezu ein Holzweg. ({7}) Verharmlosung und Dramatisierung gehen nicht an. Die Generation Praktikum ist kein Massenphänomen, aber ganz sicher auch kein medialer Mythos. Prekäre Praktika betreffen im Übrigen nicht nur Absolventen, sondern auch Studierende und junge Menschen in anderen Ausbildungsphasen. Deshalb muss man sich dringend um Fairness in Praktika bemühen und darf die Ausnutzung nicht länger ignorieren. Darüber müsste es in diesem Haus eigentlich Konsens geben. ({8}) Wo stehen wir in dieser Debatte? Die Debattenchronologie zeigt, dass die Bundesregierung das Problem ignoriert und die Generation Praktikum von einer schwarz-roten Warteschleife in die nächste schickt. ({9}) - Ich kann Ihnen das noch einmal in Erinnerung rufen. Im September 2006 hat Arbeitsminister Müntefering im Bundestag wirksame Schritte gegen die Ausnutzung von Praktikanten versprochen. Im November 2006 haben wir Grünen einen Antrag mit konkreten Maßnahmen für faire Praktika vorgelegt. Im Januar 2007 haben wir im Bundestag erstmals die Anträge der Opposition diskutiert. Wir waren gemeinsam fleißig und haben uns gute Maßnahmen überlegt. ({10}) Wir haben auch über die Konzeptionslosigkeit der Regierung diskutiert. Im März 2007 - auch das ist schon lange her - haben wir eine öffentliche Anhörung zu den Petitionen für faire Praktika durchgeführt. Über 100 000 Menschen haben diese Petitionen unterschrieben. ({11}) Auch darauf muss hingewiesen werden. Das sind so viele wie nie zuvor und hat die Koalition zum Handeln aufgefordert. Die HIS-Studie ist im April 2007 veröffentlicht worden. Sie wurde immer als ausreichende Handlungsgrundlage dargestellt. Das ist uns monatelang gesagt worden, aber nichts ist geschehen. Stattdessen ist die EU-Kommission weiter als wir: Sie hat eine QualitätsCharta für Praktika angekündigt. Die Bundesregierung hat hingegen wieder einmal eine neue Studie angekündigt. Wie lange wollen wir eigentlich noch warten? Warum schöpfen Sie nicht wenigstens alles aus, was an untergesetzlichen Maßnahmen funktioniert, wenn Sie sich noch nicht über gesetzliche Maßnahmen einigen können? Es geht um die Perspektiven junger Menschen, die mitten in der Rushhour des Lebens Berufseinstieg und Familiengründung vereinbaren müssen. Es geht im Übrigen auch um die Attraktivität des Studiums und damit auch um den Fachkräftenachwuchs für die Wissensgesellschaft. In diesem Zusammenhang interessiert mich, wo Ihre Konzepte bleiben und welchen Zeitplan Sie vorsehen. Wir haben längst ein konkretes Maßnahmenpaket vorgelegt. Sie können sich aus den besten Vorschlägen in allen Anträgen bedienen. Dann wären Sie schon einen großen Schritt weiter. ({12}) Die Linken haben noch einen Gesetzentwurf vorgelegt. Jetzt wird es höchste Zeit, dass Schwarz und Rot Farbe bekennen. Wann kümmern Sie sich endlich um die Perspektiven für den Fachkräftenachwuchs? Was sind Minister Münteferings warme Worte vor einem Jahr wirklich wert? Diese Fragen müssen Sie jetzt langsam beantworten. Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vielleicht sitzen unter Ihnen einige, die schon einmal Praktikanten waren oder sogar noch sind. Sie erleben, wie sich dieses Haus - jedenfalls in großen Teilen - um gute Lösungen für jene Lebensund Arbeitssachverhalte bemüht, die wir unter dem Begriff Praktika subsumieren und von denen wir zweifellos nicht alle goutieren können. Herzlichen Glückwunsch, Frau Bär, dass das bei Ihnen persönlich mit den Praktika - und auch mit den Praktika in Ihren Büros - so gut funktioniert hat; das finde ich lobenswert. Ich finde, dass wir immer gute Vorbilder sein sollten, aber wir sollten uns nicht darauf beschränken. Frau Hirsch, wenn ich Ihre Rede verfolge, habe ich den Eindruck, dass Ihre Politik aus der Zeit stammt, in der wir noch Schwarz-Weiß-Fernsehen hatten. ({0}) Ich finde, dass das Leben mehr Farben hat und eine größere Vielfalt bietet. Ihre Vorschläge kommen direkt aus den 50er-Jahren. ({1}) Nun komme ich zu dem, was uns umtreibt. Es macht nicht unbedingt Sinn, auf das einzugehen, was die FDP hier vorgetragen hat. ({2}) Mir ist es ein besonderes Anliegen, deutlich zu machen, dass wir nicht ausschließlich über Akademiker oder über Hochschulabsolventen reden, sondern über viele junge Menschen, die vielleicht nie studiert haben, die möglicherweise nicht einmal eine Berufsausbildung haben, aber dennoch ein Praktikum brauchen, um den Einstieg in eine gute Erwerbsbiografie zu finden. An dieser Stelle möchte ich erhellend darauf hinweisen, dass dieses Haus nicht für Praktika im Zusammenhang mit einem Studiengang zuständig ist. ({3}) Darüber kann man sich ärgern, aber es ist ein Bestandteil unserer föderalen Ordnung. Ich finde, das müssen wir hier schon klarmachen. Fragen wir zum Beispiel Mitglieder von fairwork oder fragen wir die DGB-Jugend, dann sehen wir: Es liegt einiges im Argen. Es ist eben nicht alles rosig, und nicht jedes Praktikum ist ein gutes. Dass das inzwischen auch in Brüssel erkannt wurde, wurde hier vorgetragen. Ich finde, die besonnene Art, in der mein Kollege Swen Schulz hier vorgetragen hat, zeigt, dass wir uns diesem Thema sehr angemessen widmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, die Kollegin Cornelia Hirsch würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. - Ich will nicht auf die Schwarz-WeißDebatte eingehen, sondern mich interessiert, wieso Sie so felsenfest behaupten, wir seien hier aufgrund der föderalen Ordnung nicht zuständig. Wie vereinbaren Sie das mit der beruflichen Bildung, bei der auch völlig klar ist, dass die Länder den Bereich der beruflichen Schulen regeln und der Bund trotzdem die Festsetzungen für die betriebliche Ausgestaltung trifft?

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Hirsch, ich helfe da gerne weiter; denn ich bin mir ganz sicher, dass das Recht auf meiner Seite ist. Ich habe darüber gesprochen - vielleicht ist Ihnen das entgangen -, dass wir für Studiencurricula wirklich nicht zuständig sind. Sollten Sie das bisher nicht zur Kenntnis genommen haben, dann haben Sie jetzt Gelegenheit, das zur Kenntnis zu nehmen. Ich fahre einmal fort, weil meine Redezeit knapp bemessen ist. Ich bin sehr dafür, dass wir auch gesetzlich klarstellen, was ein Praktikum ist; denn immer wieder - das zeigt leider der Alltag - zweifeln einige daran. Da ist es löblich, dass das Ministerium ein Internetportal dazu hatte. Da ist es richtig, dass wir Fair Company haben. Aber ich denke schon, dass wir deutlicher abgrenzen müssen, was ein Lernverhältnis und was ein Arbeitsverhältnis ist. Das schützt die jungen Menschen, die ein Praktikum brauchen. Das müssen wir so regeln, dass wir die Zahl guter Praktikanten und Praktikantinnen nicht limitieren, indem wir ihnen keine Plätze geben. Ich bin mir sicher, dass wir durch eine gesetzliche Klarstellung, die die Dauer eines Praktikums anbelangt und die das Praktikum an sich definiert, weiterhelfen. Abschließend will ich sagen: Ich finde, die Frage, ob diese Generation eine Generation Praktikum ist, ist müßig. Der Begriff ist entstanden, weil es offenbar mehr Schwierigkeiten gibt, als das Teile dieses Hauses wahrhaben wollen. Offenkundig - da kann man sich bei vielen bei fairwork erkundigen - gibt es viele junge Menschen, die Sorge haben, dass sie die Rechte, die sie bereits haben und die wir klarstellen müssen, nicht einfordern können, wenn sie im Praktikum sind; denn wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Möchte jemand in eine gute Berufstätigkeit einsteigen, dann wird er sehr vorsichtig sein, seine Rechte einzufordern. Umso stärker müssen wir ihn schützen. Das ist ein Teil der Wahrheit. Da müssen wir jungen Menschen helfen, auf den richtigen Weg zu finden. Ich bin sicher, dass die Studie, deren Ergebnisse kurz bevorstehen - sie wird nicht erst in Auftrag gegeben, Frau Kollegin Hirsch, sondern wir erwarten sie in Kürze -, uns dazu Klarheit gibt. Dann werden wir angemessen, klug und weitsichtig Regelungen dafür finden. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/6762. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3349 mit dem Titel „Praktika gesetzlich regeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP, Gegenstimmen bei der Linken und Enthaltung durch Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3544 mit dem Titel „Perspektiven für die Generation Praktikum schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken ebenfalls angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6629 und 16/6768 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 7 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Personalanpassungsgesetzes - Drucksache 16/6123 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({0}) - Drucksache 16/6727 Berichterstattung: Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({1}) Birgit Homburger Winfried Nachtwei - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6745 Berichterstattung: Abgeordnete Susanne Jaffke Johannes Kahrs Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Kossendey für die Bundesregierung. ({3})

Thomas Kossendey (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001188

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie kein anderer Bereich des öffentlichen Dienstes sind die Streitkräfte auf eine ausgewogene Altersstruktur angewiesen. Das hängt nicht zuletzt mit den körperlichen Anforderungen vieler Aufgaben zusammen, die nur bis zu einem bestimmten Alter erfüllt werden können. Hinzu kommt, dass die Soldatinnen und Soldaten in einem sogenannten geschlossenen Personalkörper arbeiten, in dem bei Führungsverwendungen auf Quereinsteiger kaum zurückgegriffen werden kann. Das alles bedingt letztendlich eine sehr klare Personalplanung mit zielgerichtetem Personalaufbau auf der Grundlage eines festgelegten Personalstrukturmodells. In der Vergangenheit haben wir unter gänzlich anderen sicherheits- und verteidigungspolitischen Rahmenbedingungen eine große Zahl von Berufssoldaten in den jeweiligen Geburtsjahrgängen übernommen, mehr als wir heute qualifikationsgerecht einsetzen können. Ich will das an ein paar Zahlen deutlich machen. 1992 lag die Stärke der Bundeswehr bei rund 471 000 Soldaten. Davon waren 71 000 Berufssoldaten. Nach den Planungen, die wir zuletzt unter Minister Struck erfahren haben, haben wir heute einen Umfang an militärischem Personal von 252 000 Soldatinnen und Soldaten. Davon sind nur noch 58 000 Berufssoldaten. Wir haben damals ein Personalanpassungsgesetz beschlossen, das zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Damit konnten wir einen Teil des strukturellen Überhangs abmildern. Ein vollständiger Abbau war allerdings nicht möglich. Dieses Gesetz ist zeitlich befristet gewesen. Es läuft aus und hilft uns heute nicht mehr. Aber nach wie vor bestehen bei den Berufssoldaten über die Dienstgradgruppen hinweg in einzelnen Geburtsjahrgängen erhebliche Überhänge. Bis 1992 haben wir pro Jahr 1 600 Unteroffiziere als Berufssoldaten übernommen. Die Streitkräfte benötigen heute angesichts der geänderten Umfänge jedoch nur noch 1 300 Unteroffiziere im Status eines Berufssoldaten. Auf der Grundlage des aktuellen Personalstrukturmodells 2010 stellen wir fest, dass wir quer durch alle Geburtsjahrgänge einen Überhang von 4 200 Berufssoldaten haben. Ein zielgerichteter Verwendungsaufbau wird dadurch behindert. Bestimmte Dienstposten müssen trotz hoher körperlicher Anforderungen mit Soldatinnen und Soldaten besetzt bleiben, die das vorgesehene Grenzalter überschritten haben. Die strukturgerechte Re12536 generation und Förderung junger Zeitsoldaten, die wir für die Einsatzkontingente dringend brauchen, sind eingeschränkt. Das gilt insbesondere im Bereich der Berufsunteroffiziere. Hier sind erhebliche strukturelle Verwerfungen außerhalb des bisherigen Anwendungsbereichs des Personalanpassungsgesetzes vorhanden. Angesichts dieser Lage ist es aus unserer Sicht zwingend erforderlich, eine Verlängerung der Geltungsdauer des Personalanpassungsgesetzes vorzunehmen. Auf der Grundlage des Ihnen vorliegenden Regierungsentwurfs können in den Jahren 2007 bis 2011 bis zu 1 200 Berufssoldaten einvernehmlich vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden. Der Schwerpunkt wird bei den Berufsunteroffizieren liegen. Dabei werden nur bestimmte, aufgrund ihrer Überbesetzung besonders belastete Geburtsjahrgänge erfasst. Wir werden damit zwar nicht alle strukturellen Überhänge abbauen können, aber Überalterung auf einsatzwichtigen Dienstposten verhindern. Eine strukturgerechte Regeneration mit jüngeren Soldatinnen und Soldaten bleibt hierdurch gewährleistet. Natürlich ist mir bewusst, dass unter dem Gesichtspunkt einer Grundentscheidung für eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit Einwände gegen diesen Gesetzentwurf vorgebracht werden können. Ich will daher neben den militärischen Gesichtspunkten, die ich erwähnt habe, Ihr Augenmerk auf drei Aspekte lenken. Erstens. Die Versetzung in den Ruhestand wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf im Vergleich zum bis vor kurzem geltenden Personalanpassungsgesetz zusätzlich an weitere Voraussetzungen geknüpft. So darf zum Beispiel keine adäquate anderweitige Verwendungsmöglichkeit im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung bestehen, und es muss geprüft werden, ob die Umwandlung eines Dienstverhältnisses eines Berufssoldaten in das eines Soldaten auf Zeit möglich ist. Es muss noch ein dritter Punkt erfüllt sein: Es darf in keiner anderen Bundesbehörde für die möglichen Kandidatinnen und Kandidaten eine Verwendungsmöglichkeit vorhanden sein. Damit wird die bisherige Regelung nicht lediglich fortgeschrieben, sondern von neuen, einengenden Maßgaben abhängig gemacht. Das dokumentiert meines Erachtens sehr deutlich, dass die Zurruhesetzung nur eine Ultima Ratio ist. Zweitens. Die Verlängerung der Geltungsdauer des Personalanpassungsgesetzes in dem genannten Rahmen ist übrigens auch die kostengünstigste und effektivste Möglichkeit, das Problem der personellen Überhänge in den Griff zu bekommen. Würden wir heute nicht handeln und darauf hoffen, dass sich das Problem in den nächsten 15 Jahren quasi von selber löst, dann würden nicht nur die bereits dargestellten Folgen eintreten; vielmehr würden wegen der aktuellen Überalterung in einigen Jahren vermutlich mehr Soldaten aus dem Dienst ausscheiden müssen, als strukturell vorgesehen. Wir müssten dann für einen bestimmten Zeitraum jüngere Soldaten erheblich früher als vorgesehen fördern und zugleich die Übernahmequoten zum Berufssoldaten zeitweise drastisch erhöhen. Damit wären die nächsten strukturellen Überhänge vorprogrammiert. Mit nachhaltiger Personalplanung hätte das nichts zu tun. ({0}) - Darüber haben wir nachgedacht, Frau Kollegin Homburger. Wir haben nicht nur nachgedacht, sondern das auch durchgerechnet. Wir sind nach langen Abwägungen zum Ergebnis gekommen, dass das, was wir Ihnen heute vorschlagen, die beste Lösung ist. Ich bin auf Ihre Vorschläge gespannt. Aber das, was wir im Ausschuss dazu gehört haben, war nicht sehr überzeugend. Drittens. Die Streitkräfte werden von der grundsätzlich unvermeidlichen Erhöhung der Altersgrenzen im öffentlichen Dienst in keiner Weise ausgenommen. Die demografische Entwicklung, die höhere Lebenserwartung bei gleichzeitig längerer Leistungsfähigkeit sowie die hohen Belastungen der öffentlichen Haushalte durch die Versorgungsausgaben machen eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit - daran kann es keinen Zweifel geben auch im militärischen Bereich unvermeidbar. Ich denke, wir haben hier mit dem Innenminister eine vernünftige Lösung gefunden. Im Ergebnis wird es darauf hinauslaufen, dass das durchschnittliche Zurruhesetzungsalter aller Berufssoldaten ab 2024 - das ist ungefähr zeitlich kongruent mit dem erhöhten Renteneintrittsalter - um mindestens zwei Jahre über dem des heutigen Alters liegen wird. Damit ist klar: Wir beabsichtigen keinerlei ungerechtfertigte Privilegien für Soldaten oder gar einen goldenen Handschlag, wie das einige vielleicht bezeichnen mögen. Ich will Ihnen das anhand der Bezüge, die ein Stabsfeldwebel hat, der vorzeitig in den Ruhestand versetzt wird, deutlich machen. Dieser wird mit weniger als 2 000 Euro auskommen müssen, und das in einem Alter, in dem wahrscheinlich seine Kinder in einer Phase sind, in der sie besonderer Fürsorge und besonderer materieller Unterstützung der Eltern bedürfen. Wer das als goldenen Handschlag bezeichnet, der hat, so glaube ich, den Bezug zur Realität verloren. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir benötigen dringend für einen beschränkten Zeitraum für eine eng begrenzte Zahl von Soldatinnen und Soldaten unter einschränkenden Bedingungen die Möglichkeit vorzeitiger Zurruhesetzung im Interesse der Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte. Dafür bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung. Schönen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Birgit Homburger spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über ein Personalanpassungsgesetz, mit dem 1 200 Berufssoldatinnen und Berufssoldaten bis 2011 bereits mit Vollendung des 50. Lebensjahres in den Ruhestand gehen können und sollen. Es ist im Übrigen nicht das erste Personalanpassungsgesetz im Bereich der Bundeswehr. Schon 1985, 1991 und 2001 gab es solche Gesetze. Trotzdem hat sich an den Strukturproblemen in der Bundeswehr nichts geändert. Sinnvoll war das Gesetz im Jahre 1991. Damals ging es nämlich um eine Reduzierung des Personalbestands der Streitkräfte bis zum 31. Dezember 1994 auf 370 000. Um einer verkleinerten Bundeswehr einen sinnvollen Personalaufbau zu ermöglichen, war dieses Gesetz damals zwingend; denn damit gingen Einsparungen einher, weil es zu einer Reduzierung des Personalbestandes kam. ({0}) 2001 war die Sachlage schon anders. Es ging nicht um Personalreduzierung, sondern es ging damals schon - wie heute im Übrigen auch - um die Verbesserung der Altersstruktur der Offiziere und Unteroffiziere. Das haben wir schon damals kritisiert - ich zitiere den Kollegen Nolting, der damals für die FDP gesprochen hat -: Das Gesetz bringt nicht die überfällige Auflösung struktureller Probleme. Die Neufassung des Personalanpassungsgesetzes bleibt weit hinter den Erwartungen und den objektiven Erfordernissen einer modernen Bundeswehr zurück. Das gilt auch heute noch. ({1}) Ich habe mir einmal angeschaut, welche weiteren Begründungen in dieser Debatte angeführt wurden. Es wurde angeführt, dass Frühpensionierungsregelungen zur Bewältigung personeller Strukturprobleme grundsätzlich ungeeignet seien. Es wurde angeführt, dass eine Überalterung der Bundeswehr auch ohne Frühpensionierungen nicht stattfindet, weil die Berufssoldaten bereits einer besonderen Altersgrenze unterliegen. Es wurde damals weiter ausgeführt, dass es der Bevölkerung nicht vermittelbar sei, dass Berufssoldaten zu einem derart frühen Zeitpunkt, nämlich mit 50 Jahren, in Pension gehen dürfen, und dass es nicht vermittelbar sei, dass die Bundesregierung die Möglichkeit einer Frühpensionierung schaffen will, obwohl der Bundeswehr 12 000 länger dienende Soldaten fehlen. In der damaligen Beschlussempfehlung des Ausschusses lässt sich noch etwas Weiteres nachlesen. Darin steht nämlich, dass die Personalanpassungsmaßnahmen nicht in den gesamtgesellschaftlichen Kontext einer notwendig werdenden Verlängerung der Lebensarbeitszeit passen. ({2}) Das waren die Gründe, die seinerzeit von der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion vorgetragen wurden, zwar nicht vom Kollegen Kossendey, aber von einem seiner Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; ({3}) dennoch waren es die Argumente der CDU/CSU. Ich hätte Sie gern ausführlich zitiert; aber ich habe gar nicht so viel Redezeit, um auf all das einzugehen, womit Sie damals begründet haben, dass das alles nicht richtig ist. Es wundert uns deswegen schon, dass der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung von einem CDU-geführten Ministerium erarbeitet worden ist. ({4}) Die Argumente sind heute so richtig wie damals. Der einzige Unterschied zu damals besteht darin, dass zwischenzeitlich die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre beschlossen worden ist. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass dieser Gesetzentwurf heute so vorgelegt wird. ({5}) Die Bundesregierung vermittelt den Eindruck, dass derjenige, der seinen Lebensabend möglichst früh beginnen will, zur Bundeswehr gehen sollte. Einerseits sorgt sie dafür, dass die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre verlängert wird; andererseits werden mit dem Personalanpassungsgesetz Staatsdiener mit 50 Jahren in Pension geschickt, und zwar ohne Abschläge bei den Pensionsleistungen. Das Ganze kostet den Bundeshaushalt 110 Millionen Euro. Das sind reine Mehrausgaben, weil dem überhaupt keine Reduzierung im Personalbestand gegenübersteht. Das ist nach unserer Auffassung den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar. Wer die Bundeswehr attraktiv machen will, der muss anders vorgehen. Darüber haben wir hier vielfach diskutiert. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass dieses Berufsbild dann attraktiv und interessant ist, wenn Besoldung und Förderung leistungsgerecht sind. Wir haben übrigens erst heute wieder Vorschläge für eine leistungsgerechte Besoldung gemacht. Sie haben diese Vorschläge im Ausschuss abgelehnt. Außerdem brauchen wir familienfreundliche Versetzungspraktiken und auch eine angemessene Versorgungsgesetzgebung. Diese Anforderungen müssen erfüllt sein, wenn sie die Attraktivität der Streitkräfte erhöhen wollen. ({6}) Ich sage abschließend: Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf ab. Wir sehen nicht ein, dass die Steuerzahler für die über Jahrzehnte praktizierte verfehlte Personalpolitik des Verteidigungsministeriums aufkommen sollen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen und sehr verehrter Herr Staatssekretär, müssen Sie bitte anders regeln. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Rolf Kramer das Wort für die SPD-Fraktion.

Rolf Kramer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf setzen wir - ich hoffe wirklich, zum letzten Mal eine Sonderregelung der Vorruhestandsregelung für wei12538 tere 1 200 Berufssoldatinnen und -soldaten um. Nach dem bisherigen Personalanpassungsgesetz wurden zwischen 2002 und 2006 insgesamt 2 775 Soldaten in den Ruhestand versetzt. Angesichts des nach Auskunft des Verteidigungsministeriums weiterhin vorhandenen personellen Überhangs von bis zu 4 200 Berufssoldaten und -soldatinnen ist allerdings eine Verlängerung der Geltungsdauer dieser Regelung aus Sicht der SPD-Fraktion für die Jahre 2007 bis 2011 unverzichtbar. Aufgrund der Bindung von Haushaltsmitteln können, wenn diese Regelung nicht kommt, kaum Berufsoldatinnen und -soldaten jüngerer Jahrgänge eingestellt werden. Wenn wir diese Situation nicht verändern, wird es in Zukunft zu weiteren Verwerfungen in der Personalstruktur der Bundeswehr kommen. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Auslandseinsätze benötigt die Bundeswehr eine ausgewogene Alters- und Fähigkeitsstruktur. Die seit der Wiedervereinigung 1990 mehrfach vorgenommenen Änderungen an der Struktur und am Gesamtumfang der Streitkräfte hinterließen ihre Spuren. Insbesondere gibt es eine erhebliche Unwucht im Altersaufbau der Bundeswehr. Ein Beförderungs- und Verwendungsstau ist die Folge. Das bereits seit 1994 nicht mehr geltende Personalstärkegesetz und das von 2001 bis 2006 gültige Personalanpassungsgesetz reichten leider nicht aus, um eine gesunde Personalstruktur bei der Bundeswehr zu erreichen. Der in seinen Eckdaten im Jahre 2005 gebilligte Übergang zum Personalstrukturmodell 2010 verstärkt dabei nach Aussage des Bundeswehrplanes 2008 noch die Strukturverwerfungen in der Alters- und Dienstgradschichtung der Berufssoldatinnen und -soldaten. Die in der Gesamtbetrachtung der Laufbahnen vorhandenen strukturellen Überhänge verzögern dabei einen an der Einsatzorientierung ausgerichteten Personalaufwuchs. Dies können und dürfen wir uns aber nicht weiter leisten; der eingeleitete Transformationsprozess der Bundeswehr erfordert es, und er ist auch nicht wieder rückgängig zu machen. Nachdem die vorhergehende Regelung bis Ende 2006 zum Großteil Offiziere betraf, zielt die jetzt vorgesehene Maßnahme im Wesentlichen auf ältere Portepeeunteroffiziere. Ihnen kann die Bundeswehr inzwischen kaum mehr garantieren, dass sie ihre jeweilige Laufbahnperspektive erreichen. Die Auswirkungen auf Motivation und Dienstzufriedenheit brauche ich hier nicht näher zu schildern. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses kennen diese Problematik von ihren Besuchen bei der Truppe und den Gesprächen mit den Betroffenen. Hier bestand also noch Handlungsbedarf. Insofern sieht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD eine entsprechende Vereinbarung vor, die nun umgesetzt wird. Ich kann Kritik an dieser Regelung durchaus nachvollziehen. Warum schon wieder eine Sonderregelung für die Soldatinnen und Soldaten? Aber wie sieht die Alternative aus? Bisher habe ich noch keine umsetzbaren Vorschläge gehört, die eine zeitnahe und nachhaltige Verringerung der vorhandenen Strukturunwuchten ermöglichen. Ein Abbau der personellen Überhänge durch die regulären Ruhestandsregelungen wäre erst in 15 Jahren zu erzielen. Auch die ressorteigenen Instrumentarien der Personalsteuerung würden eine dem Ziel entsprechende Personalstruktur erst weit nach 2012 erreichen lassen. Die jetzt gefundene Regelung, die nach der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs in Kraft treten wird, ist aus unserer Sicht keine übermäßige Bevorzugung der Bundeswehr gegenüber anderen Berufsgruppen, sondern eine mit Augenmaß gefundene Regelung zur Anpassung unserer Streitkräfte an die neuen Herausforderungen. ({0}) Die Kosten werden nach Auskunft der Bundesregierung rund 110 Millionen Euro betragen - eine Summe, die aus meiner Sicht tragbar ist, um die Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte dauerhaft zu sichern. Der Transformationsprozess der Bundeswehr hin zu einer Armee im Einsatz ist noch nicht abgeschlossen. Insbesondere die Auslandseinsätze erfordern von den Soldatinnen und Soldaten weit überdurchschnittliche Leistungen. Es sind Belastungen, die so in anderen Berufen nicht vorkommen. Das bleibt bei älteren Soldatinnen und Soldaten nicht ohne Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Auch daran müssen wir als Gesetzgeber denken im Interesse der Gesundheit und der Sicherheit der betroffenen Soldatinnen und Soldaten. ({1}) Es handelt sich hier um eine Verlängerung der Geltungsdauer einer Ausnahmeregelung, die zudem an enge Voraussetzungen geknüpft wird. Ich darf wiederholen: Diese Sonderregelung gilt nur für Berufssoldatinnen und -soldaten, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und für die keine adäquaten Verwendungsmöglichkeiten im Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums bestehen. Außerdem muss die Versetzung in den Ruhestand dazu dienen, Veränderungen der Strukturen im Altersaufbau zu erreichen, die die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nachhaltig verbessern. Mit diesen engen Grenzen soll sichergestellt werden, dass vorzeitige Zurruhesetzungen nur als Ultima Ratio erfolgen. Sie dürfen keine dauerhafte Einrichtung zur Bereinigung struktureller Überhänge werden. In diesem Sinne stimmt die SPD-Bundestagsfraktion für den vorgelegten Gesetzentwurf. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Inge Höger für die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten sind heute in vielen Teilen der Welt im Einsatz. Dass diese Form der sogenannten Sicherheitspolitik zu mehr Stabilität auf dieser Welt führt, bezweifelt die Fraktion Die Linke, und mit ihr bezweifeln es viele Menschen in diesem Lande. Der hier diskutierte Gesetzentwurf zur Änderung des Personalanpassungsgesetzes wurde allein deshalb auf den Weg gebracht, weil die Bundeswehr zukünftig Kriegs- und Besatzungseinsätze gerne mit jüngeren Offizieren durchführen möchte. Dass dabei an eine weitere Ausweitung von Militäreinsätzen gedacht ist, hat Herr Beck von der CDU/CSU-Fraktion bei der ersten Lesung dieses Gesetzes deutlich gemacht. Er sprach von einer „zukünftig weiter zunehmenden einsatzbezogenen Ausrichtung der Streitkräfte“. Diese Politik ist grundlegend falsch. Kriege lösen keine Probleme; Kriege sind Teil dieses Problems. ({0}) Nun verknüpft die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf ihre gefährliche Außenpolitik auch noch mit einer verfehlten Beschäftigungspolitik. Die Bundesregierung will für mindestens 1 200 Soldatinnen und Soldaten die Rente mit 50 einführen, und zwar bei vollem Lohnausgleich. Allein der Zeitpunkt für dieses Ansinnen ist denkbar unsensibel. Für die große Mehrheit der Beschäftigten wurde erst kürzlich die Rente mit 67 beschlossen, und wer früher in den Ruhestand geht, muss mit massiven Kürzungen rechnen. Überlegen Sie doch bitte, welches Signal die hier debattierte Gesetzesvorlage für die Unternehmen in diesem Lande haben wird. Viele Unternehmen wollen ebenfalls gerne ihre Beschäftigten über 50 loswerden, da sie diese für zu alt und nicht mehr hinreichend belastbar halten. Unternehmen suchen und finden deswegen Mittel und Wege, sich dieser Beschäftigten vorzeitig zu entledigen mit dem Ergebnis, dass schon heute die meisten Menschen nicht bis 65 arbeiten können. Die Rente mit 67 wird deshalb zu Altersabschlägen führen; Altersarmut wird zunehmen. ({1}) Wie will die Bundesregierung glaubwürdig für längere Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eintreten, wenn sie selbst diese Altersgruppe vorzeitig entsorgt? Ich fordere die Bundesregierung - und auch Sie, Herr Kossendey, als Staatssekretär - deswegen auf: Geben Sie sich doch wenigstens die Mühe, nach zivilen Verwendungen für Ihre überzähligen Soldatinnen und Soldaten zu suchen, anstatt diese so früh wie möglich in den Ruhestand zu schicken. ({2}) - Ich habe das gelesen. - Unteroffiziere schon ab dem Jahrgang 1957 nach Hause zu schicken, mag die Bundeswehr tauglicher für internationale Einsätze machen. Es ist aber vollständig unnötig für eine auf territoriale Verteidigung begrenzte Armee. Die verfehlte Personalpolitik bei der Bundeswehr wird teuer. 110 Millionen Euro will sich die Bundesregierung die Beseitigung des strukturellen Überhangs bei den Bundeswehrangehörigen kosten lassen. Auch wenn Herr Kramer eben meinte, das sei nicht so viel, das könne man doch mal eben bezahlen, möchte ich daran erinnern, dass dieselbe Regierung die Rentenbeiträge für Hartz-IV-Beschäftigte im letzten Jahr halbiert hat. Das Personalanpassungsgesetz zeigt eindrucksvoll, dass die Politik der Bundesregierung grundlegend in die falsche Richtung geht. Obwohl Beschäftigte längst vor dem Erreichen des Rentenalters in den Betrieben häufig nicht mehr erwünscht sind, erhöhen Sie das Renteneintrittsalter. Obwohl sich die Mehrheit der Menschen in Deutschland gegen Bundeswehreinsätze ausspricht, finden diese statt. Und wenn die militärische Machtpolitik mit der Beschäftigungspolitik in Konflikt gerät, dann werden, wie im vorliegenden Fall, die Gesetze entsprechend geändert. Das Personalanpassungsgesetz ist eine komplette Bankrotterklärung. Die Fraktion Die Linke wird den vorliegenden Gesetzentwurf deshalb ablehnen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Winfried Nachtwei das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Male beschäftigen wir uns mit einer Operation Frühpensionierung von Berufssoldaten. Dass die Pensionierungen Anfang der 90er-Jahre und 2002 zustande kamen, lag an dem erfreulichen Umstand, dass in Europa eine enorme Reduzierung von Streitkräften möglich war. Heute soll es nun darum gehen, 1 200 Berufssoldaten, vor allem Feldwebeldienstgrade, ab Vollendung des 50. Lebensjahres vorzeitig zu pensionieren. Bis jetzt werden sie mit 54 Jahren in den Ruhestand versetzt. Der Grund ist - dies wurde schon mehrfach angesprochen, aber ich wiederhole es trotzdem - der existierende Beförderungsstau vor allem für ältere Feldwebeldienstgrade. Diese sind in Konkurrenz zu den im Rahmen des Attraktivitätsprogramms angeworbenen und eingestellten Kräften geraten, die als Höherqualifizierte mit einem höheren Dienstgrad eingestellt wurden. Wir konnten in vielen Gesprächen mit älteren Feldwebeln, die oft die Säule ihrer Kompanien und Staffeln sind, feststellen, dass angesichts dieses Staus die Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt ist. Streitkräfte brauchen grundsätzlich einen niedrigeren Altersdurchschnitt als Behörden, als Unternehmen und auch als der Bundestag. Daher ist eine solche Aktion grundsätzlich plausibel. Das ist die eine Seite. Zugleich sind solche Frühpensionierungen in Zeiten, in denen politisch gegen Frühpensionierungen und Frühverrentungen gehandelt wird und die Rente mit 67 beschlossen ist, nur sehr schwer vermittelbar. Die Frühpensionierung dieser Berufssoldaten kostet bis 2018 immerhin 110 Millionen Euro. Aber es geht nicht nur um die Kosten. Denn mit den Frühpensionierungen gehen dem Staat auch erfahrene und qualifizierte Kräfte, die vielfach Auslandserfahrung haben und in deren Ausbildung viel investiert wurde, verloren. Für diese Soldaten gäbe es aber vor dem sicherheitspolitischen Hintergrund einen großen Bedarf. Als wir im Oktober 2001 über das vorherige Frühpensionierungsprogramm im Verteidigungsausschuss diskutiert haben, habe ich einen Vorschlag gemacht, der von der SPD, von der FDP und auch ansatzweise von der CDU/CSU unterstützt wurde. Ich möchte ihn an dieser Stelle wiederholen. Im Rahmen der internationalen Aufbaubemühungen in Krisengebieten nimmt der Bedarf an lebenserfahrenen und berufserfahrenen Zivilexperten immer mehr zu. Das Kernproblem ist, dass es viel zu wenige von ihnen gibt. Die Bundesregierung beschwört in der letzten Zeit immer sehr den vernetzten und umfassenden sicherheitspolitischen Ansatz. Meine Frage an den Kollegen Kossendey, der die Bundesregierung hier vertritt, lautet: Warum suchen Sie nicht endlich nach Wegen, das große Erfahrungspotenzial von älteren Feldwebeldienstgraden besser zu nutzen? Diese Erfahrung geht dem Staat durch die Frühpensionierungen, die auch noch viel Geld kosten, verloren. Sie sollten sich endlich einmal anstrengen. ({0}) Solange Sie in diesem Bereich nicht entsprechenden Einsatz und entsprechende Fantasie zeigen, können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten. Danke schön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Personalanpassungsgesetzes. Der Ver- teidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/6727, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6123 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Be- ratung bei Zustimmung durch die Koalition, Gegenstim- men der Fraktionen der FDP und der Linken und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- nommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- stimmen möchte, möge sich bitte erheben. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Ergebnis wie vorher in dritter Beratung an- genommen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Katrin Kunert, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen - Drucksache 16/5904 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({1}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({2}) - Drucksache 16/6628 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne jetzt die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Sevim Dağdelen für die Linke. ({4})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Genau zur richtigen Zeit, heute, haben Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen, zum Beispiel der Caritas, des Bundesausländerbeirates, von Attac, der IG Metall, von Mehr Demokratie e. V. oder auch Verdi, die Bundesregierung aufgefordert, ohne Verzögerung die verfassungsmäßigen Voraussetzungen zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts für die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger zu schaffen. Die Linke steht seit langem in Kontakt mit gesellschaftlichen Gruppen, Vereinen und Migrantenverbänden und will mit ihrer parlamentarischen Initiative diese gesellschaftliche Debatte aufgreifen und befördern. Das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige ist als Prüfauftrag in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Die Bundesregierung hat es aber bislang versäumt, mit konkreten Initiativen voranzuschreiten, und verfolgt keinen konkreten Zeitplan - siehe dazu die Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Kleine Anfrage von uns. Wir möchten mit unserer Initiative der Bundesregierung Beine machen. ({0}) Wir wollen sie dazu bringen, dass sie endlich aktiv wird. Seit 1992 gibt es ein kommunales Wahlrecht für EUBürgerinnen und -Bürger in Deutschland. Das Verwehren dieses Rechts für Drittstaatenangehörige ist eine unerträgliche Ungleichbehandlung. Dass diese sich hier viel länger aufhalten - im Durchschnitt sind es über 17 Jahre -, ist noch einmal ein Indiz dafür, welche Ungleichbehandlung hier herrscht. Bereits in 16 Ländern der EU gibt es ein solches kommunales Wahlrecht. Am weitesten geht dabei Irland. Es ist vor allen Dingen nicht zu verstehen, warum Deutschland, das für sich den Anspruch erhebt, Motor der europäischen Integration zu sein, weiterhin ein Entwicklungsland in Sachen Demokratie ist. Die parlamentarischen Kräfteverhältnisse sind unseres Erachtens im Moment besonders gut. Die Fraktion Die Linke hat bereits am 4. Juli ihren Antrag zur Schaffung eines kommunalen Wahlrechtes für Drittstaatenangehörige eingereicht. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass jetzt auch die Grünen parlamentarisch initiativ geworden sind. In der SPD gibt es viele prominente Unterstützerinnen und Unterstützer eines solchen kommunalen Wahlrechts. Dazu haben sich zum Beispiel der SPD-Vorsitzende Beck, Bundesminister Müntefering oder auch mein Kollege Edathy geäußert. Auch in der CDU haben wir mit der Oberbürgermeisterin Frau Roth in Frankfurt, dem Oberbürgermeister Fritz Schramma in Köln, dem Vorsitzenden des Deutsch-Türkischen Forums, Herrn Bülent Arslan, oder auch mit der von mir sehr geschätzten Rita Süssmuth politisch starke Unterstützerinnen und Unterstützer für ein solches kommunales Wahlrecht. Die Realisierung dieses kommunalen Wahlrechts ist so in greifbare Nähe gerückt. Nun müssen alle, denen dies am Herzen liegt, handeln und ihren Worten Taten folgen lassen, und das aus folgenden Gründen: Hier geht es nämlich nicht nur um ein Wahlrecht. Es geht um einen Schritt zur Förderung demokratischer Kultur und des Konsenses in der Gesellschaft. Der Verein Mehr Demokratie e. V. stellt in dieser Frage nämlich ein erhebliches Demokratiedefizit fest, wenn Menschen dort, wo sie leben, nicht wählen können und damit aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind. Man kann auch nicht ein stärkeres Bekenntnis der Migrantinnen und Migranten zu den demokratischen Werten fordern, ihnen aber gleichzeitig wichtigste Rechte vorenthalten. ({1}) Diese Ungleichbehandlung ist nicht nur skandalös und ungerecht. Sie fördert geradezu die Entfremdung der Migrantinnen und Migranten von der Öffentlichkeit und der hiesigen Gesellschaft. ({2}) Wenn immer mehr Migrantinnen und Migranten eine immer größere Integrationsleistung erbringen sollen, muss man auch bereit sein, rechtliche Missstände und Benachteiligungen zu korrigieren. Integration ist eben keine Einbahnstraße. Man kann nicht über Parallelgesellschaften meckern, wenn man ganze Bevölkerungsgruppen von der demokratischen Teilhabe ausschließt. Deshalb hat die Linke diesen Antrag eingebracht. Wir möchten in diesem Zusammenhang auch auf die Bundesratsinitiative hinweisen - eingebracht von RheinlandPfalz und unterstützt von Berlin -, mit der die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts gefordert wird. Das Bundesverfassungsgericht - darauf werden Sie sicherlich noch eingehen - hat in seinem Urteil von 1990 zwar einige negative Vorgaben gemacht, die das kommunale Ausländerwahlrecht aber eben nicht grundsätzlich ausschließen. Die Hauptbegründung war, dass mit der Übernahme der Staatsbürgerschaft das Wahlrecht gewährleistet sei. Das löst aber nicht das grundsätzliche Problem. Im Vergleich zu 1990 ist die Einbürgerungszahl heute nämlich sehr niedrig. Das Staatsangehörigkeitsgesetz wurde verschärft, zuletzt durch die Abschaffung der erleichterten Einbürgerung von unter 23-Jährigen. 2000 lag die Einbürgerungszahl bei 187 000. 2006 waren es nur noch 125 000 Einbürgerungen. Die Hälfte der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund - das sind circa 7 Millionen Menschen - besitzt nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Rund 5 Millionen davon sind sogenannte Drittstaatenangehörige, also keine EUBürger. In diesem Deutschen Bundestag ist eine programmatische Mehrheit für die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts vorhanden. Herr Edathy, weil Sie sich für das kommunale Ausländerwahlrecht engagiert haben, möchte ich Sie bitten, Ihrer Forderung nicht nur in Ihrer Fraktion, sondern auch in der anderen Koalitionsfraktion Nachdruck zu verleihen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie sollten fünf und nicht sechs Minuten Redezeit bekommen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Lassen Sie uns diese Barriere aushebeln, um eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen. Lassen Sie uns das gemeinsam auf den Weg bringen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt ist der Kollege Stephan Mayer für die CDU/ CSU-Fraktion an der Reihe. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Vorweg eine Bemerkung: Frau Kollegin Dağdelen, es ist noch nicht so weit gekommen, dass uns die Linke Beine machen müsste. Ganz im Gegenteil: Die Bundesregierung weiß sehr wohl, was sie zu tun hat. Sie nimmt den Prüfauftrag, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, durchaus ernst. Einige Punkte sprechen aber - Sie haben einige dankenswerterweise schon angesprochen - ganz eindeutig gegen die Einführung eines Ausländerwahlrechts im kommunalen Bereich. Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Stephan Mayer ({0}) ({1}) Man kann mit Sicherheit grundsätzlich über alles reden. Die Argumente, die Sie, meine lieben Kollegen von den Grünen und von der Linken, bringen, sind aber nicht neu, und sie werden auch durch regelmäßiges Wiederholen nicht besser oder richtiger. ({2}) Der Gesetzentwurf, den die Grünen vorlegen, ist abgeschrieben. Er ist eins zu eins vom Land RheinlandPfalz übernommen worden. ({3}) Sie wissen, dass der Gesetzentwurf, den das Land Rheinland-Pfalz vorgelegt hat, am 12. Oktober dieses Jahres von der Tagesordnung des Bundesrates abgesetzt worden ist, wohl deshalb, weil er wenig oder keine Aussicht auf Erfolg hatte. ({4}) Entscheidend ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Oktober 1990. Frau Kollegin Dağdelen, dieses Urteil hat keine negativen Vorgaben gemacht, sondern klare Maßregeln für ein kommunales Ausländerwahlrecht aufgestellt. Es ist darauf hingewiesen worden - und das ist entscheidend -, dass Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes besagt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. ({5}) Damit ist gemeint: von den deutschen Staatsangehörigen. ({6}) Zur Ausübung der Staatsgewalt gehören unter anderem die Wahl von kommunalen Gremien sowie die Durchführung und die Beteiligung an Landtags- und Bundestagswahlen. Es ist nun einmal einer der vornehmsten Bestandteile der Staatsangehörigkeit, sich an Wahlen zu beteiligen. An dieser Stelle gehört klar gesagt: Es geht nicht, dass hier Rosinenpickerei betrieben wird. Es kann nicht sein, dass ich mir aus einer Rechtsposition die angenehmen, die positiven Aspekte herausnehme und die negativen beiseite schiebe. Es ist genauso wie in einem Verein: Ich kann mich nicht einfach so an einer Mitgliederversammlung eines Vereins beteiligen. Wenn ich in einem Verein mitsprechen möchte, dann muss ich Mitglied des Vereins werden. Gleiches gilt für das Staatsangehörigkeitsrecht. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, zwei Zwischenfragen haben sich angehäuft. Daher bin ich sehr froh, dass Sie jetzt Luft holen.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die beantworte ich sehr gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dağdelen und Herr Montag würden gern Zwischenfragen stellen; vielleicht beide hintereinander, dann können Sie beide gemeinsam beantworten. ({0}) Frau Dağdelen, bitte schön.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. Herr Kollege Mayer, Sie haben kurz das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen und meinten, dass eine Änderung deshalb nicht möglich wäre. Nehmen Sie doch bitte Folgendes zur Kenntnis. ({0}) - Ich möchte wissen, wie er das bewertet. - In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage äußert sich zumindest die Bundesregierung dahin gehend - da müssen Sie ja eine differenzierte Position haben -, dass die Änderung des kommunalen Wahlrechts durch eine Verfassungsänderung möglich wäre. Es wird nicht argumentiert, dass die Ewigkeitsklausel, Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz, wie es immer wieder gesagt wird, einer Öffnung des Wahlrechts für Drittstaatenangehörige zwingend entgegensteht. Das heißt, es ist durch eine Verfassungsänderung möglich. Sie könnten mir doch zustimmen, dass, wenn der politische Wille da ist, die verfassungsmäßigen Voraussetzungen geschaffen werden können. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Montag.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe mich mit dem Begehren, von Ihnen eine Auskunft zu bekommen, zu Wort gemeldet, als Sie den Begriff der Rosinenpickerei verwendet haben. Ich bitte Sie herzlich, dass Sie zu folgendem Problem Stellung nehmen, weil Sie den Vorwurf erheben, wir würden Rosinenpickerei betreiben. Es geht um die Menschen, die in einer Kommune, zum Beispiel in München, seit Jahren legal leben. Die Kinder gehen dort in die Schule oder in den Kindergarten. Die Eltern arbeiten und zahlen Steuern. Sie nehmen an dem sozialen Leben der Stadt mehr oder minder teil. Sie sind Teil der Stadtgesellschaft. Die Lebenssituation dieser Menschen unterscheidet sich nicht von Ihrer oder meiner. Einen Unterschied gibt es aber: Die einen dürfen über das Schicksal ihrer Kommune mitbestimmen, die anderen dürfen es nicht. Ich frage Sie, wieso Sie so etwas als Rosinenpickerei bezeichnen. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist Rosinenpickerei, zu sagen, dass diese Menschen alles tun müssen, was man als Bürger einer Kommune tun muss, aber dass sie nicht die gleichen Rechte wie alle anderen, wie die deutschen Staatsangehörigen, haben, nämlich das Wahlrecht. Genau diese Diskrepanz wollen wir abschaffen. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Dağdelen, ich glaube, Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ich habe nicht behauptet, dass die Ewigkeitsgarantie der Verfassung einem kommunalen Wahlrecht entgegensteht. Ich habe das Urteil des Verfassungsgerichts vom 31. Oktober 1990 zitiert, in dem ganz klar festgelegt wurde, dass sowohl Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes als auch Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes den damaligen Regelungen in Schleswig-Holstein und in Hamburg zur Einräumung eines kommunalen Ausländerwahlrechts entgegenstanden. Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, dass es eine durchaus bemerkenswerte und breite Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Literatur gibt, die genau zu dem Ergebnis kommt, das Sie auch angesprochen haben, nämlich dass die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes, Art. 79 Abs. 3, dagegen spricht, Art. 20 anzurühren. Zum Beispiel ist der berufene Rechtswissenschaftler Professor Dr. Isensee dieser Auffassung. Ich räume ein, dass es auch gegenteilige Auffassungen gibt. Aber Sie haben mir insoweit ein weiteres Argument vorweggenommen, als in der Literatur durchaus die starke Auffassung vertreten wird, dass die Ewigkeitsgarantie in der Verfassung gegen die Einräumung eines kommunales Ausländerwahlrechts spricht. Sehr verehrter Herr Kollege Montag, es gibt zwischen uns Gott sei Dank gewisse Unterschiede insbesondere hinsichtlich unserer Position zum kommunalen Ausländerwahlrecht. Wir sind als CDU/CSU sehr wohl der Auffassung, dass Ausländer, die sich in den Kommunen wohlfühlen und dort länger aufhalten, am kommunalen Geschehen auch beteiligen sollen. Nach § 47 des Aufenthaltsgesetzes gibt es schon die Möglichkeit - sehr geehrter Kollege Ströbele, Sie werden es wahrscheinlich nicht wissen -, dass man Ausländer in kommunale Ausländerbeiräte beruft und ihnen mit dieser Benennung die Möglichkeit gibt, sich am kommunalen Geschehen stärker zu beteiligen. ({0}) Nur ist der entscheidende Unterschied zwischen Ausländern und deutschen Staatsangehörigen nun einmal, dass sich die deutschen Staatsangehörigen dadurch, dass sie entweder qua Geburt oder im Laufe ihres Lebens das Staatangehörigkeitsrecht erworben haben, ganz klar zum deutschen Staat, zur deutschen Gesellschaft bekennen. Sie haben richtigerweise erwähnt, dass es viele Ausländer gibt, die in deutschen Städten wohnen und die gerade auch in den letzten zehn Jahren die deutsche Staatangehörigkeit erworben haben. Nach unserer Auffassung bedarf es hoher Hürden, wenn man das Ziel erreichen möchte, deutscher Staatangehöriger zu werden. Es wäre ein Schlag ins Gesicht der ungefähr 800 000 vormaligen Ausländer, die jetzt deutsche Staatsangehörige sind und sich dieser nicht einfachen Prozedur unterzogen haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, würde anderen Ausländern, die dies noch nicht getan haben oder vielleicht auch bewusst nicht wollen, trotzdem mir nichts, dir nichts das kommunale Ausländerwahlrecht eingeräumt. Da machen wir nicht mit. ({1}) Ich muss Ihnen da in einer Aussage recht geben, Herr Montag: Als CDU/CSU sind wir der Auffassung, dass es zu dieser Verfassungsänderung nicht kommen sollte. ({2}) Des Weiteren habe ich aus Ihrer Frage herausgehört, dass Sie die Kommunalwahlen als Wahlen zweiter Klasse definieren und als Testfeld sehen wollen, um kommunales Ausländerwahlrecht als „Wahlrecht light“ auszuprobieren. Dies wäre eine Verunglimpfung der Kommunalwahlen an sich. ({3}) Die Kommunalwahlen sind eine außerordentlich wichtige Prozedur, um in die kommunalen Gremien Frauen und Männer zu wählen, die die Geschicke eines Ortes oder Landkreises in Zukunft lenken sollen. Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben die Oberbürgermeisterin von Frankfurt und den Oberbürgermeister von Köln erwähnt, die angeblich für ein kommunales Ausländerwahlrecht seien. Sie haben aber geflissentlich zu erwähnen unterlassen, dass sich der Deutsche Städtetag, also die Vereinigung aller größeren deutschen Städte und Gemeinden, ganz dezidiert gegen die Einräumung eines kommunalen Ausländerwahlrechts ausgesprochen hat. Diese Aussage sollte man bei dieser Gelegenheit mit zu Rate ziehen. Der große Unterschied zwischen der CDU/CSU und insbesondere denen, die die heute zur Debatte stehenden Anträge gestellt haben, ist der, dass Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken und von den Grünen, davon ausgehen, dass die Einräumung eines kommunalen Ausländerwahlrechts ein Mittel zur Integration von in Deutschland lebenden Ausländern sein kann. Das Gegenteil ist der Fall. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kann immer erst am Ende ei12544 Stephan Mayer ({4}) nes gelungenen, erfolgreich geglückten Integrationsprozesses stehen. ({5}) Die Einräumung der deutschen Staatsangehörigkeit und des damit verbundenen Wahlrechts kann aber niemals Mittel zur Integration sein, ({6}) geschweige denn am Anfang eines Integrationsprozesses stehen. ({7}) Deshalb träte genau das Gegenteil dessen ein, was Sie proklamieren: Die Einräumung eines kommunalen Ausländerwahlrechts führte nicht dazu, dass wir eine bessere Integration von in Deutschland lebenden Ausländern erleben; vielmehr träte genau das Gegenteil ein. Es wäre kontraproduktiv und führte zu einer schlechteren Integration, ({8}) weil es überhaupt keine Veranlassung mehr für in Deutschland lebende Ausländer gäbe, sich zu bemühen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, deren Bestandteil dann auch das kommunale Wahlrecht ist. Das würde zur Verfestigung und Verstetigung der schon vorhandenen Parallelgesellschaften führen. ({9}) Dies ist ein wesentlicher Grund, sich gegen die Einräumung eines kommunalen Ausländerwahlrechts auszusprechen. Des Weiteren ist als Argument gegen die Einräumung eines kommunalen Ausländerwahlrechts ein wichtiger Grundsatz des Völkerrechts heranzuziehen. Es ist ein bekanntes und bewährtes Prinzip des Völkerrechts, dass Rechtspositionen nur nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit eingeräumt werden. ({10}) Es kann nicht sein, dass wir auf der einen Seite in Vorlage gehen und vorpreschen, ({11}) dass aber auf der anderen Seite nicht klar ist, dass in den Ländern, deren Staatsangehörigen wir das kommunale Ausländerwahlrecht einräumen, im umgekehrten Fall auch den deutschen Staatsangehörigen ein kommunales Ausländerwahlrecht eingeräumt würde. ({12}) Kollegin Dağdelen, Sie haben darüber hinaus auf andere Länder in Europa hingewiesen, in denen bereits ein kommunales Ausländerwahlrecht eingeführt wurde. ({13}) Auch an dieser Stelle haben Sie es geflissentlich unterlassen, auch zu erwähnen, dass die Wahlbeteiligung in diesen Ländern desaströs ist. ({14}) So hat man beispielsweise in Finnland, Schweden und Irland die Erfahrung gemacht, dass der Prozentsatz derjenigen, die vom kommunalen Ausländerwahlrecht Gebrauch machen, minimal ist und meistens im einstelligen Bereich liegt. ({15}) Damit wird eines Ihrer Argumente ad absurdum geführt: dass ein kommunales Ausländerwahlrecht zu einer verbesserten Integration und zu einer verstärkten Teilhabe und Teilnahme der Ausländer am gesellschaftlichen Leben führt. ({16}) Das Gegenteil ist der Fall: Erst durch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit wird ein erfolgreicher Integrationsprozess abgeschlossen. ({17}) Natürlich ist der dann auch von der Einräumung eines kommunalen Wahlrechts begleitet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe einige Aspekte angeführt, ({18}) die meines Erachtens ganz deutlich gegen die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts sprechen. Gleichwohl haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, diesem Prüfauftrag Rechnung zu tragen. Deshalb werden wir diese Debatte pflichtschuldigst führen, ({19}) wenngleich ich prima facie der Meinung bin, ({20}) dass es Gründe gibt, die eklatant gegen die Einräumung eines kommunalen Ausländerwahlrechts sprechen. Abschließend möchte ich festhalten: Wir haben in Deutschland gerade im Bereich der Integration beileibe Stephan Mayer ({21}) andere Probleme, denen wir uns zuwenden sollten, als eine Debatte über die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts zu führen. Herzlichen Dank. ({22})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat für die FDP-Fraktion der Kollege Hartfrid Wolff das Wort. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die FDP unterstützt die Forderungen nach Ausweitung der demokratischen Mitbestimmung und nach Verbesserung der politischen Teilhabe. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Auffassung der Linken und der Grünen sollen Menschen mit Daueraufenthalt in Deutschland das kommunale Wahlrecht ausüben dürfen. Der Aufenthaltstitel soll demnach die Staatsangehörigkeit, durch die das Wahlrecht eigentlich verliehen wird, ersetzen. Wir Liberale teilen nicht die Auffassung, dass staatsbürgerliche Rechte wie das Wahlrecht unkonditioniert und ohne Wenn und Aber vergeben werden dürfen. ({1}) Wir verwahren uns gegen den Duktus des Antrags der Linken, in dem von - ich zitiere - „dauerhaft einer bestimmten Herrschaft Unterworfenen“ die Rede ist. Diese Wortwahl widerstrebt mir gewaltig. Was für ein Staatsverständnis liegt dieser Aussage zugrunde? Ein Staatsverständnis, das nicht vom Gedanken der Freiheit geprägt sein kann. ({2}) Wir Liberale stellen dieser reaktionären Staatsauffassung aus dem 19. Jahrhundert ({3}) das Leitbild des mündigen Bürgers gegenüber, der sich in die öffentlichen Belange einmischt und einmischen darf. ({4}) Unseres Erachtens hat die sinnvolle Ausübung des Wahlrechts die Voraussetzung, dass der Betreffende grundsätzlich am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen kann. Für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland sind Kenntnisse der deutschen Sprache eine objektive Voraussetzung. Demokratie lebt von solcher Teilhabe und damit von der Beherrschung der jeweiligen Landessprache. Es ist also eine Integration erforderlich, an deren Ende immer die Annahme der Staatsangehörigkeit stehen kann und muss. Das kommunale Wahlrecht undifferenziert Menschen einzuräumen, die in keiner Weise in unsere Gesellschaft integriert sind, weil sie mental, sprachlich und vielleicht auch wirtschaftlich nicht nur auf diese Gesellschaft nicht vorbereitet sind, sondern womöglich auch nicht auf sie vorbereitet sein wollen, das kann nicht unsere Zustimmung finden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Frau Dağdelen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie diese zulassen?

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da wir das eben schon länger diskutiert haben, würde ich das ungern machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass vor allem die Linken tatsächlich so naiv sind, zu glauben, dass alle Probleme bei der Integration von Zuwanderern dadurch gelöst werden, dass man ihnen einfach das Wahlrecht einräumt und ansonsten so tut, als gäbe es keine Probleme. ({0}) Die Linken jedenfalls scheinen in der deutschen Staatsangehörigkeit kein wertvolles Gut zu sehen, wenn sie die bürgerlichen Ehrenrechte auf kommunaler Ebene ohne Hürden zugänglich machen wollen. ({1}) - Ich habe ihn sehr genau gelesen, Frau Kollegin. Auch europapolitisch scheint es mir bedenklich, den im gegenseitigen Verfahren eingeräumten Vorzug der EU-Bürger im kommunalen Wahlrecht aufzugeben und dieses zum Allgemeingut zu machen. ({2}) Gleichwohl kann sich die FDP durchaus vorstellen, über ein Ausländerwahlrecht zu diskutieren, ({3}) das an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Wenn sich ein Drittstaaten-Ausländer gut integriert hat und sich wenigstens fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland aufhält, könnte man darüber nachdenken, ihm das kommunale Wahlrecht zu geben. ({4}) Die Entscheidung muss aber vor Ort gefällt werden. ({5}) Hartfrid Wolff ({6}) Es darf aber keine starre Vorschrift im Grundgesetz geben. Vielmehr ist über eine Öffnungsklausel nachzudenken, die es den Ländern in ihrer eigenen Hoheit ermöglicht, den Kommunen die Entscheidung über ein solches Ausländerwahlrecht zu gestatten. ({7}) Auch hinsichtlich der Staatsangehörigkeit gilt: Die Wahrung des Zusammenhangs von Rechten und Pflichten ist integrationspolitisch sinnvoll. Im Übrigen gibt es - darauf soll an dieser Stelle noch einmal hingewiesen werden - auch unterhalb des Wahlrechts politische Mitwirkungsmöglichkeiten: In Parteien, Vereinen, Verbänden - jedenfalls sind wir ein offener Verband - können sich Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft einbringen und mitwirken, und dies ist auch hoch erwünscht. ({8}) Die einseitige Fokussierung auf das Wahlrecht scheint mir den Chancen, die unsere Gesellschaft auch Migranten eröffnet, nicht gerecht zu werden. Der Integration von Ausländern ist es nicht zuträglich, wenn eine Debatte nicht sachlich, sondern potenziell emotional, wie im Wahlkampf, geführt wird, was zumindest seitens der Linken offensichtlich der Fall ist. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Michael Hartmann für die SPD-Fraktion.

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wolff, man kennt ja die Beschlusslage und die Positionierung der FDP insgesamt. Lassen Sie mich deshalb dezent und zurückhaltend eines sagen: Diese Art der Positionierung ist für mich neu und anders gewesen. So habe ich die FDP beim Thema kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige noch nicht reden gehört. ({0}) Wie dem auch sei: Parteien verändern sich, jeder ist in einer anderen Konstellation, vielleicht verändert man sich auch selbst. Insofern mag es sein, dass Positionen von einst heute nicht mehr gelten. Gelten sollte aber eines, lieber Herr Mayer: das, was wir einander in der Koalitionsvereinbarung versprochen haben. ({1}) In ihr haben wir vereinbart, dass wir ernsthaft - nicht nur rhetorisch oder formal - prüfen, ob ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige eingeführt wird. Dabei sollten wir bleiben. ({2}) Nach Ihrer Rede habe ich den Eindruck, Sie haben die Prüfung schon abgeschlossen, und zwar mit dem Ergebnis, das für uns zumindest diskussionswürdig ist. Ich würde gerne den Vorschlag machen, dass wir für einen kurzen Moment ein Gedankenspiel wagen: Nehmen wir einfach einmal an, es hätte im Deutschen Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit dafür gegeben, Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes so zu erweitern, dass nicht nur, wie seit 1992, EU-Mitbürgerinnen und -Mitbürger das kommunale Wahlrecht haben, sondern dass auch sogenannte Drittstaatsangehörige dieses Recht bekommen können. Nehmen wir weiter an, dass eine Vielzahl der Länder - die immer noch frei wären, das umzusetzen oder nicht - von dieser Chance Gebrauch gemacht und ein entsprechendes kommunales Wahlrecht eingeführt hätten. Wie könnte, wie würde unsere kommunale Landschaft aussehen? Ich bin mir sicher, die Parteien und die Wählergruppierungen würden nicht mehr nur über und mit Migrantinnen und Migranten, Menschen aus sogenannten Drittstaaten, sprechen, sondern sie würden sich sehr aktiv darum bemühen, diese auch auf ihren Listen wiederzufinden. Ich bin mir sicher, alle Parteien würden sich kommunal darum bemühen. Übrigens würden jene Parteien, die Quotierungsregelungen beschlossen haben, beispielsweise auch eine stattliche Zahl von Musliminnen und Muslimen auf ihren Listen repräsentieren. ({3}) Ich bin mir sicher, dass sich in den Städten, Gemeinden und Landkreisen - wo auch immer - auch einige Ausländerlisten gegründet hätten, die ebenfalls integrativ agieren würden. Das würde in der Konsequenz bedeuten - folgen Sie mir noch ein wenig bei diesem Gedankenexperiment -, dass es radikalen Scharfmachern, die meistens vor Ort in den Kommunen agieren, schwerer fallen würde, mit dem Argument der Ausgrenzung entsprechende Anhänger zu finden. ({4}) Ich glaube, die ausländische Wohnbevölkerung wäre ihrerseits auch in der Verantwortung, bei allen kommunalen Fragen konstruktiv mitzuwirken und sich einzubringen: ob es um die Ausgestaltung des Angebots von bestimmten Sprachkursen geht, ob es darum geht, dass man in Kindergärten beispielsweise auch eine Spracherziehung für Mutter und Kind von sogenannten Drittstaatsangehörigen anbietet, ({5}) ob man in Schulen manches anders präsentiert, ob man die kultursensible Altenpflege anders diskutiert, ob man Michael Hartmann ({6}) mit randalierenden Jugendlichen in bestimmten Problemquartieren anders umgehen muss, ob das Wohnumfeld verbessert werden muss usw. usf. Ich bin mir sicher, dass diese Beiträge gefordert wären. Die Gestaltungsmöglichkeiten wären auf jeden Fall gegeben. ({7}) Die Welt wäre damit nicht rosarot, sondern es gäbe weiterhin genügend Probleme - keine Frage. Das will hier niemand wegdiskutieren. ({8}) - In Altötting wird so schnell nichts rosa und auch nicht rot - zumindest nicht offen, geschätzter Herr Kollege Ströbele. - Der demokratische Ansatz, bestimmte Themen anders anzugehen, ist uns mehr als nur sympathisch. Nach unserer Prüfung wollen wir jene Initiativen unterstützen, durch die ein kommunales Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer eingeführt werden soll. ({9}) Wir erwarten von den Menschen, die zu uns gekommen sind, dass sie ihre Pflichten als Steuerzahler erfüllen, wir erwarten selbstverständlich, dass sie Recht und Gesetz einhalten - das dürfen wir auch - und dass die deutsche Staatsgewalt anerkannt wird, und wir erwarten von ihnen, dass Integration - auch sprachliche - tatsächlich stattfindet. Deshalb meine ich, dass wir diesen Erwartungen nach dem bewährten Prinzip des Förderns und Forderns auch entsprechende Angebote gegenüberstellen müssen. Ein ernsteres Angebot als das der demokratischen Mitwirkung und Mitgestaltung gibt es nicht. Deshalb sind wir für die Einführung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige. ({10}) Wir befinden uns damit übrigens nicht nur in guter, sondern in bester Gesellschaft, und zwar auch mit vielen kommunalen Praktikern der Union: dem Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, CDU, der bereits mehrfach entsprechende Aussagen getroffen hat, und - es wurde zitiert - der Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages, einer profilierten Christdemokratin, die an der Spitze einer Stadt steht, die wahrhaftig auch große Integrationsprobleme hat. Seien Sie also so offen, die Diskussion vor diesem Hintergrund so zu führen, wie wir das im Koalitionsvertrag vereinbart haben, und beharren Sie nicht einfach durch das Abspulen alter Regeln und Ideologien auf Ihrem Standpunkt. ({11}) Die Einladung dazu liegt auf jeden Fall vor. ({12}) Weil ich das Argument kenne, erlaube ich mir auch diese Anmerkung: Es gibt 16 EU-Staaten, die entsprechende Regelungen in ihren nationalen Gesetzen haben. Keiner dieser Staaten ist in seiner staatlichen Substanz, Autorität oder Gehorsamsverfolgung durch die Migrantinnen und Migranten bedroht. ({13}) Alle funktionieren hervorragend und fantastisch. Seid also nicht so zögerlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. ({14}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann allerdings gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass die Angst vor einem möglichen Wahlverhalten derjenigen, die dann kommunal mitbestimmen können, auch zu einer bestimmten Zurückhaltung führt. Allerdings sollte niemand vor demokratischer Teilhabe Angst haben. Vielmehr sollte die Chance, dass andere mitwählen dürfen, uns etablierte oder weniger etablierte Parteien dazu bringen, dass wir unsere Positionen engagierter und offensiver vermitteln und durchsetzen und dass wir in dem einen oder anderen Fall unsere Positionen auch umformulieren, also anders präsentieren, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Jedenfalls sollte niemand Angst vor demokratischer Teilhabe haben und deshalb Menschen vom Wahlrecht ausschließen. Wir reden über eine Gruppe von Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die im Durchschnitt seit rund 17 Jahren in Deutschland leben. Wir reden von einer Gruppe, die rund 4,6 Millionen Menschen umfasst. Das ist eine stattliche Zahl. Sie entspricht über 68 Prozent aller Menschen aus anderen Staaten, die bei uns leben. Diese Menschen haben wir bisher von kommunaler Teilhabe - nur darum geht es uns - ausgeschlossen. Damit ich nicht missverstanden werde: Am besten ermöglichen wir diesen Menschen, mit den Angeboten, die wir ihnen offerieren, schnell, zügig und erfolgreich die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Das ist das ideale Ziel, das damit anzustreben ist; aber das kommunale Wahlrecht kann durchaus eine Zwischenstufe auf dem Weg zu diesem Ziel darstellen. Ich bin mir sicher, dass das Bollwerk der Ablehnung nicht halten wird, weil ich erstens immer noch an die Kraft der Vernunft glaube - viele rationale Argumente sprechen dafür, das Wahlrecht zu ändern - und zweitens unseren Koalitionsvertrag kenne. Drittens, Frau Staatsministerin Böhmer - sie war zumindest vorhin anwesend -, ist auch in dem mit viel Aufwand erstellten Nationalen Integrationsplan eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung enthalten, was die Prüfung dieses Anliegens anbelangt. ({15}) Die nötigen Mehrheiten gibt es derzeit nicht - das wissen wir -; ({16}) aber es gibt gute Gesetzentwürfe, beispielsweise von meinem Heimatbundesland Rheinland-Pfalz. Dass die Michael Hartmann ({17}) Mehrheiten durch Überzeugung gewonnen werden müssen, weiß ich sehr wohl. Denn es geht nicht nur darum, formal eine Zweidrittelmehrheit herbeizuführen. Das ist nicht der entscheidende Punkt. Vielmehr braucht jemand, der notwendigerweise ein so großes Rad drehen will, breite und breiteste Übereinstimmung. Wir müssen uns deshalb die nötige Zeit dafür lassen. Wer Integration will, muss Teilhabe ermöglichen. Denken Sie deshalb bitte noch einmal mit uns gemeinsam ergebnisoffen darüber nach, ob wir nicht das Kommunalwahlrecht für Drittstaatenangehörige tatsächlich und sogar schon in dieser Wahlperiode einführen sollten. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Josef Winkler, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Partei fordert seit 30 Jahren - und damit seit ihrem Bestehen - die demokratische Mitbestimmung derjenigen, die dauerhaft in Deutschland leben. Denn Integration bedeutet Teilhabe und Partizipation, und sie beginnt auf der lokalen Ebene und nicht im Deutschen Bundestag - auch wenn die Integration so gut verläuft wie bei Herrn Nouripour und mir zum Beispiel oder bei Frau Dağdelen. ({0}) Im Gegensatz zu Herrn Mayer war ich schon einmal Ausländer in Deutschland und traue mir daher zu, den Integrationsprozess von Ausländern in Deutschland etwas anders und vielleicht sogar besser beurteilen zu können, als Sie das hier getan haben. Am Rande bemerkt ist der Dialekt, den ich aus Koblenz mitgebracht habe, in weiten Teilen Deutschlands - zumindest in Norddeutschland - dem deutschen Volke besser verständlich als der, in dem Sie eben Ihre Argumente vorgetragen haben. ({1}) - Wir kriegen die Zweidrittelmehrheit auch bei Nordund Mitteldeutschland gegen Süddeutschland hin. Das wäre einen Versuch wert. In Deutschland lebende Franzosen, Polen und andere EU-Ausländer dürfen bereits an Wahlen zu Stadt- und Gemeinderäten teilnehmen. Wer aber einen türkischen, indischen oder amerikanischen Pass hat, hat in der Kommunalpolitik bisher kein Stimmrecht. Über dem Eingang zum Reichstag steht zwar „Dem deutschen Volke“ - das hat der Kollege Mayer richtig erwähnt; wahrscheinlich ist er einmal vor die Tür gegangen -; ({2}) aber im Innenhof dieses Hauses gibt es ein bedeutendes Kunstwerk mit dem Titel „Der Bevölkerung“, das aus gutem Grunde installiert worden ist. ({3}) Das wurde im Bundestag breit debattiert. Ich glaube, es ist das einzige Kunstwerk, dessen Installation im Plenum des Bundestages beschlossen wurde, weil man die Formulierung „Dem deutschen Volke“ zwar für richtig gehalten, aber erkannt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr nur aus dem deutschen Volk besteht, sondern zu der Gesamtbevölkerung auch viele Millionen Ausländer gehören, die in Deutschland friedlich mit uns zusammenleben. ({4}) In Art. 3 des Grundgesetzes heißt es: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ In den weiteren Grundrechtsartikeln heißt es zwar: Deutsche haben das Recht, sich zu versammeln oder Vereine zu gründen. Aber wegen des Art. 3 und weil die Menschenwürde unantastbar ist und sich ebenfalls nicht nur auf Deutsche in Deutschland beschränkt, dürfen selbstverständlich auch ausländische Bürger in Deutschland Vereine gründen, obwohl der Wortlaut der Grundrechte das nicht explizit vorsieht. Insofern tragen Ihre Ausführungen nicht, dass mit „deutsch“ nur volksdeutsch gemeint sein könne. Um diese Ungleichbehandlung zu beseitigen, ist unserer Ansicht nach eine Änderung von Art. 28 des Grundgesetzes notwendig. Eine solche ist auch sehr einfach möglich. Natürlich gibt es immer auch Juristen und Staatswissenschaftler, die das Gegenteil behaupten. Aber ich denke, Sie haben nicht ohne Grund in Ihrer Koalitionsvereinbarung einen entsprechenden Prüfauftrag vereinbart. Wenn Sie der Meinung gewesen wären, das sei verfassungswidrig, hätten Sie es gar nicht aufnehmen dürfen. Insofern kann man eigentlich sagen: Der Antrag der Linken hat sich fast erledigt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es liegt ja jetzt einer bei uns im Haus auf dem Tisch. Den haben wir gerne aus dem Bundesrat übernommen. Das ist kein Geheimnis. Rheinland-Pfalz unter Ministerpräsident Beck hat da einen Beschluss, den der Bundesrat schon 1997 gefasst hat, aufgegriffen. Den haben wir jetzt wieder vorgelegt. Berlin unterstützt das, und ich finde das auch richtig. Er wird hoffentlich seine Mehrheit finden. Ich sage noch einmal: Die Leute vor Ort sollen mitentscheiden dürfen; denn die Kinder dieser Leute gehen nicht in Kindergärten nur für Deutsche oder dergleichen. Der Stadtrat entscheidet darüber, wo und wie die Kindergärten gebaut werden. Der Stadtrat entscheidet, wo die Fahrradwege gebaut werden - für alle Bürger der Stadt und nicht nur für die Deutschen. Es gibt - aus gutem Grund - auch keine Schwimmbäder, in denen nur Deutsche schwimmen dürfen. Aber ein Ausländerbeirat hat nichts zu vermelden. Deswegen ist auch die Wahlbeteiligung überall da, wo es Ausländerbeiräte gibt, so niedrig. Sie haben nur eine beratende Stimme, was ich für eine Unverschämtheit halte; denn die Leute zahlen Steuern, und sie leben hier viele Jahre. Sie sind zu einem hohen Prozentsatz gut integriert. Wir aber enthalten ihnen dieses klassische und grundlegende Bürgerrecht vor. Das finde ich sehr bedauerlich. Es wäre wirklich einfach, das zu ändern. Gehen Sie diesen Schritt! Probieren Sie es doch auf der kommunalen Ebene aus! ({5}) Wir sagen ja nicht, dass es sofort für alle gelten soll, sondern dass man es da, wo es machbar ist, nämlich auf der kommunalen Ebene, einführen sollte. Später können und sollen die Leute, wenn sie sich noch besser integriert haben, auch die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben dürfen. Dafür setzen wir uns gemeinsam ein. Aber hier geht es jetzt um den ersten Schritt. Ich bitte Sie noch einmal herzlich, darüber nachzudenken. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Kollege Gert Winkelmeier hat seine Rede zu Pro- tokoll gegeben1). Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5904 und 16/6628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes - Drucksache 16/5100 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - Drucksache 16/6780 Berichterstattung: Abgeordnete Josef Göppel Angelika Brunkhorst Undine Kurth ({1}) Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der FDP sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. 1) Anlage 20 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Astrid Klug das Wort.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute das Erste Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, nach dem Motto: Was lange währt, wird endlich gut. Das Änderungsgesetz war durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes notwendig geworden. Der EuGH war der Meinung, dass Deutschland die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie nicht in allen Punkten korrekt umgesetzt hat. Mit der vorliegenden Novelle haben wir das deutsche Naturschutzrecht angepasst. Wir machen es europarechtskonform. Wir machen es naturschutz- und praxistauglicher. Der Weg zum Änderungsgesetz war lang, und das Zwangsgeld der EU war am Ende nicht fern. Wir haben über viele Formulierungen diskutiert und teilweise auch heftig gestritten. Ich will auf die einzelnen Formulierungen an dieser Stelle gar nicht mehr eingehen. Am Ende konnten ohnehin nur noch sehr wenige nachvollziehen, worüber wir überhaupt noch streiten. Ich will auf den Kern der Auseinandersetzungen eingehen; denn im Kern geht es beim Naturschutzrecht immer wieder um die Fragen: Wie viel Naturschutz brauchen wir? Wie viel Naturschutz glauben wir uns leisten zu müssen oder uns leisten zu können? Welchen ideellen und materiellen Wert hat die biologische Vielfalt für uns? Was sind die richtigen Instrumente, um Natur- und Artenschutz durchzusetzen? Deutschland befindet sich derzeit in einer ganz besonderen Verantwortung für den Schutz der biologischen Vielfalt, und das weltweit. Wir sind im nächsten Jahr Gastgeber der Weltnaturschutzkonferenz, der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die biologische Vielfalt. Im Mai 2008 diskutieren wir in Bonn mit über 6 000 Repräsentanten aus der ganzen Welt über das 2010-Ziel der Weltgemeinschaft, den Verlust an biologischer Vielfalt bis 2010 weltweit zu bremsen und in Europa gar zu stoppen. Es ist die letzte Vertragsstaatenkonferenz vor 2010. Wir sind von diesem Ziel noch viel zu weit entfernt. Wir haben in diesem Jahr im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der deutschen G-8-Präsidentschaft intensiv für ambitionierte Ziele bei der Weltnaturschutzkonferenz geworben. Wir werben derzeit im Rahmen einer nationalen Kampagne bei den Menschen in Deutschland für die Themen Naturschutz und Schutz der biologischen Vielfalt. Wir machen zum Beispiel darauf aufmerksam, dass die Natur uns Menschen nicht braucht. Sie kommt wunderbar ohne uns aus. Aber wir Menschen brauchen die Natur für sauberes Wasser, saubere Luft, viele Rohstoffe, unsere Ernährung und viele Medikamente, die ihren Ursprung in pflanzlichen Roh12550 stoffen haben. Wir sind auf die Natur angewiesen. Wir wollen mit dieser Kampagne auch diejenigen, die sich nicht jeden Tag mit dem Naturschutz befassen und für die der Schutz von Tieren und Pflanzen nicht einen Wert an sich bedeutet, motivieren und überzeugen, sich aus durchaus egoistischen Motiven für mehr Naturschutz und für funktionierende Ökosysteme einzusetzen; ({0}) denn wir brauchen die Natur zum Leben. Funktionierende Ökosysteme und die biologische Vielfalt sind unsere natürliche Lebensversicherung. Wir zerstören aber weltweit die Festplatte, auf der die wertvollen Informationen der Vielfalt des Lebens liegen. Die tatsächliche Aussterberate bei Tieren und Pflanzen liegt zurzeit um das Hundert- bis Tausendfache über der natürlichen Aussterberate. Aber ohne Festplatte gibt es kein Betriebssystem. Was beim Computer das Betriebssystem ist, sind im wahren Leben saubere Luft und sauberes Wasser. Wir werden auf der CBD-Konferenz in Bonn erfolgreich sein, wenn wir viele Partner für die Themen gerechter Vorteilsausgleich, globales Schutzgebietsnetz, Schutz der Wälder, Schutz der Meere, Biodiversität und Klimaschutz finden. Diese Partner finden wir leichter, wenn wir unsere eigenen Hausaufgaben gemacht haben. Dann können wir glaubwürdig auftreten. Mit der nationalen Biodiversitätsstrategie, dem nationalen Naturerbe und dem Umweltgesetzbuch haben wir dazu alle Möglichkeiten. Ich werbe nach der schwierigen Debatte über die kleine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz dafür, dass wir die nächsten Monate in Deutschland, aber vor allem in der Welt intensiv nutzen, um die Weichen konsequent auf den Schutz der Vielfalt des Lebens zu stellen, damit auch die nächsten Generationen die Chance auf ein gutes Leben auf unserer Erde haben. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst, FDP-Fraktion. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach monatelangem Verwirrspiel finden wir heute einen Änderungsantrag der Regierungsfraktionen vor, bei dem noch nicht einmal versucht wird, den Anschein zu erwecken, als käme er aus der Mitte der Legislative. Frau Klug, Sie haben es ganz hervorragend verstanden, das große Ganze zu beschreiben, um auf keinen Fall auf die Details des Werdegangs der Novelle eingehen zu müssen; das ist für Sie ja auch nicht besonders komfortabel. Ich stelle fest, dass die Bundesregierung abschließend nicht in der Lage war, eigenständig eine EU-konforme Definition des Projektbegriffs zu finden. Sie musste dazu die Hilfe der EU-Kommission in Anspruch nehmen und folgt nun deren Empfehlung, auf den Projektbegriff gänzlich zu verzichten. Damit hat man sich sicherlich weitere Peinlichkeiten erspart. ({0}) Vergleiche ich nun die Zielrichtung des neuen Änderungsantrags 16({1})233 mit unserem Änderungsantrag 1, darf ich erfreut feststellen - das ist zumindest etwas -, dass die Position der Bundesregierung jetzt mit dem, was wir wollen, nahezu deckungsgleich ist. Das begrüßen wir grundsätzlich. Zumindest in der Begründung verweist die Regierung auf § 5 Abs. 4 bis 6 und die dort genannten Anforderungen sowie die Regeln der guten fachlichen Praxis. Sie lässt somit erkennen, dass sie an einer praxisnahen Regelung interessiert ist. Der neue Änderungsantrag 1 von CDU/CSU und SPD findet nun unsere Zustimmung. Wir ziehen daher unseren Änderungsantrag 1 zurück. Er hat seinen Zweck erfüllt. Die Änderungsanträge 2, 3, 4, 6 und 8 der Regierungsfraktionen übernehmen die Vorschläge des Bundesrates, denen die Bundesregierung zugestimmt hat. Des Weiteren geht der Änderungsantrag 7 auf das am 10. Mai gegen Österreich ergangene Urteil ein. Der Änderungsantrag 5 dient allgemein der Verfahrensvereinfachung. Somit können wir den Änderungsanträgen 2 bis 8 zustimmen, da sie den Gesetzentwurf insgesamt besser machen. Darüber hinaus - das ist schon etwas anderes - stellen wir weitere Forderungen. Wir fordern in unserem Änderungsantrag 16({2})268, den § 42 Abs. 1 Nr. 2 neu zu fassen. Es geht um die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie. Diese nennen unterschiedliche Zeiten, in denen Störungen bei Vögeln besonders gravierend sind. Diese Trennung wollen wir auch in dieser Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes beibehalten. Der Zusatz „lokal“ bei der Definition der Population soll unserer Meinung nach gestrichen werden. Dies steht auch im Einklang mit dem Guidance-Document der Kommission, welches keine weitere Einschränkung vornimmt. ({3}) Im Zuge der Bewertung der zu erhaltenden Population unterliegt die Prüfung und Überwachung den Ländern. Sie sind für den Erhalt und die Entwicklung der Gebiete und Arten verantwortlich. Ich kann Ihnen nur sagen: Die FDP traut den Ländern das zu. Da die Rüge des EuGH sich ausschließlich auf den Art. 12 der FFHRichtlinie stützt, wollen wir auch hier, dass die Zugriffsverbote sich nur auf die Arten des Anhangs IV der FFHRichtlinie beziehen. Die europäischen Vogelarten müssen demzufolge gestrichen werden. Die Bundesregierung hatte darauf verwiesen, dass sie eine Eins-zu-einsUmsetzung anstrebt. Also sollte dieser Zusatz unterbleiben. In § 42 Abs. 1 Nr. 4 muss ebenfalls der Zusatz „lokal“ bei der Definition der Population gestrichen werden. Das begründen wir in unserem zweiten Änderungsantrag 16({4})269. Uns ist insbesondere wichtig, dass der Eingriff in die wirtschaftliche Praxis durch Bewirtschaftungsvorgaben generell auf ein Minimum beschränkt bleibt. Wir meiAngelika Brunkhorst nen, dass die Bewirtschaftungsvorgaben hinter freiwilligen Maßnahmen zurückstehen sollten, wo immer das möglich ist. Es soll ausgeschlossen werden, dass eine behördliche Untätigkeit, zum Beispiel hinsichtlich der Aufklärung oder des Angebots vertraglicher Vereinbarungen, zu einem Nachteil für den Bewirtschafter führt. ({5}) Insofern ist die Anordnungsbefugnis der Behörden zu Bewirtschaftungsvorgaben auf erhebliche Verschlechterungen zu beschränken. Zuletzt noch einmal zu der schwierigen Geburt dieser Novelle. Die kurzfristige Aufsetzung auf die Tagesordnung des heutigen Plenums wurde mit einer Fristverletzung und Strafandrohungen der EU begründet; dies sollte noch schnell abgewendet werden. Ich denke, das war ein hausgemachtes Problem. Wir haben - das finde ich schon erstaunlich - dieses Thema insgesamt siebenmal auf der Tagesordnung des Umweltausschusses gehabt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, als Nächstes sitzt Ihnen das UGB im Nacken. Sie haben ehrgeizige Pläne - auch Frau Klug hat eben einen weiten Bogen geschlagen - mit der großen Novelle des Naturschutzrechts. Ich hoffe, es kommt ein bisschen mehr Tempo in die Sache. Wir warten auf einen tollen Wurf und sind ganz gespannt, was Sie uns präsentieren. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Josef Göppel, CDU/CSUFraktion. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Das Gesetz, über das wir heute beraten, ist ein voll ausgereifter Kompromiss. ({0}) Damit kann man wohl mit Fug und Recht sagen, dass es seinen Zweck erfüllen wird. Ich bin der Überzeugung, dass wir die beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu den Natura-2000-Gebieten damit sachgerecht umsetzen. Ebenso bin ich der Meinung, dass wir damit den Schutz der Arten in den Natura-2000-Gebieten verbessern. Aus der Sicht der Union lautet der entscheidende Satz dieses Kompromisses: Die … der guten fachlichen Praxis … entsprechende land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist … kein Projekt im Sinne dieses Gesetzes. Das bedeutet, dass für die normale Bodennutzung nach der guten fachlichen Praxis keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist. Ich möchte den Blick auf die Perspektive der Grundeigentümer und der Nutzer in den Natura-2000-Gebieten richten. Es wird immer wieder das Argument vorgebracht: Wenn unsere bisherige Nutzung nicht naturverträglich und nachhaltig gewesen wäre, dann wäre dieses Gebiet gar nicht in die Liste der Natura-2000-Flächen gekommen. ({1}) Dieses Argument muss man in der Tat ernst nehmen. Mir geht es sehr darum, dass die Nutzer und die Eigentümer dieser Flächen die Regelung gut akzeptieren; denn das ist die beste Voraussetzung dafür, dass sie sich damit auch identifizieren. ({2}) Nach meiner Erfahrung war die Bestimmung der Gebiete in vielen Bundesländern nicht gerade ein Ruhmesblatt. Es gibt allerdings ein paar, die das positiv begleitet haben. Wir müssen unsere Anstrengungen darauf richten, dass die Menschen, die in diesen Gebieten Land nutzen, das als etwas Wertvolles und Positives ansehen. Ich glaube schon, dass die gestrige mühsame Kompromisssuche diesem Ziel dient. Auf der anderen Seite möchte ich mich namens der Unionsfraktion klar von denen abgrenzen, die immer wieder versuchen, den Naturschutz als etwas nicht so Wichtiges oder als etwas darzustellen, was die Leute nur gängelt. Wir haben als Politiker im Bund und in den Ländern die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Tun der Menschen auf der Fläche wertvoll machen und ihnen das Gefühl geben, dass sie mit diesem Tun einen konkreten Beitrag zur Pflege des großen Netzes der europäischen Schutzgebiete leisten. ({3}) Frau Staatssekretärin Astrid Klug hat meiner Meinung nach sehr treffend gesagt, dass wir in Deutschland unsere Hausaufgaben machen müssen. Das hat viel mit gefühlsmäßiger Einstellung zu tun. Naturschutz ist etwas, was die Herzen der Menschen anspricht. Es ist möglich, die Grundeigentümer davon zu überzeugen, dass sie eine wertvolle Arbeit tun, wenn sie diese Flächen behutsam behandeln. Der Artenschutz ist vom konkreten Tun auf der Fläche abhängig. Ich möchte nun auf ein Argument eingehen, das in dem Änderungsantrag der FDP, über den wir heute ebenfalls abstimmen, niedergeschrieben ist. Die FDP ist der Meinung, dass dann eingegriffen werden muss, wenn eine Population in ihrem Bestand insgesamt gefährdet ist. Wir, die Koalition, sind hingegen der Meinung, dass bereits dann eingegriffen werden muss, wenn eine Population in ihrem räumlichen, also örtlichen Bestand gefährdet ist. Eine Population kann sich über ganz Deutschland erstrecken. Es kann nicht sein, dass erst der letzte Brachvogel ausgerottet und damit der gesamte Bestand erloschen sein muss -, bevor wir eingreifen. Der räumliche Zusammenhang bezieht sich auf ein einzelnes zusammenhängendes Gebiet. Ich denke, dass die Formulierung im Gesetzentwurf den tatsächlichen naturschutzfachlichen Erfordernissen voll entspricht. Ich fasse zusammen. Mit dieser Novelle beschreiten wir einen guten Weg, auf dem wir die umfassende Erneuerung des Naturschutzgesetzes im Rahmen des UGB vollziehen können. Wir brauchen sinnvolle Kompromisse zwischen den Landnutzern und denen, die den Artenschutz verfolgen. Das Ziel ist letztlich, dass wir alle Nutzer motivieren, durch ihre Nutzung den Artenschutz selber zu stärken und das zu erhalten, was seit Generationen vorhanden ist. Ich möchte daran erinnern, dass die europäische Richtlinie von der Philosophie her immer auch eine Nutzung der Natura-2000-Gebiete beinhaltet. Das sind keine Reservate, die den Menschen ausschließen, sondern sie schließen den Menschen, der sie nachhaltig und naturverträglich nutzt, ausdrücklich ein. In diesem Sinne komme ich auf den Anfangssatz zurück: Der ausgereifte Kompromiss ist nach meiner Meinung doch ein guter Weg, um Deutschland zu einem Land zu machen, in dem die Mitgeschöpfe des Menschen ihren Raum haben. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Lutz Heilmann das Wort. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, Sie haben ein gewaltiges Stück Selbstkritik an dem Verfahren mit der Novelle geübt, die wir heute hier debattieren. Sie haben auch eine beachtliche Rede gehalten; aber ich muss ehrlich sagen: Beachtliche Reden sind wir aus dem Hause Gabriel mittlerweile gewöhnt. Nur bei den Taten, die folgen sollten, sieht es dann weniger gut aus. ({0}) Wie gesagt: Was die Koalition in den letzten Monaten in Sachen kleine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz abgeliefert hat, war - vorsichtig ausgedrückt - eine Posse. Sage und schreibe elf Monate brauchten Sie, um einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn es um Mehrwertsteuererhöhung, Rente mit 67 und andere große oder auch kleine Schweinereien geht, sind Sie dagegen sehr viel fixer. Dabei hat der EuGH gerade einmal vier Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes gerügt; deswegen heißt es im Übrigen auch kleine Novelle. Dass Ihr Gesetzentwurf nicht viel taugte, wurde auch durch das Urteil des EuGH gegen Österreich im Frühjahr dieses Jahres deutlich. Die Situation dort war vergleichbar, und das Urteil gibt es Ihnen noch einmal schwarz auf weiß: Ihr Gesetz ist Murks. Aber das war leider noch nicht alles. Mit allen Mitteln versuchten Sie, eine von meiner Fraktion geforderte Anhörung zu verhindern. Klammheimlich wollten Sie ein Gesetz verabschieden, das von vornherein europarechtswidrig gewesen wäre. Wir sollten doch kein Vertragsverletzungsverfahren mit Strafzahlungen für Deutschland riskieren, war Ihr Argument. Es ist schon ein starkes Stück, die eigene Untätigkeit, das eigene Unvermögen anderen unterschieben zu wollen. Aber auch das war noch zu toppen. Nach der Anhörung kam zum Vorschein, wie uneins die Koalition war. Fortan ging es frei nach dem Motto: rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, rauf auf die Tagesordnung, wieder runter von der Tagesordnung. Deshalb war ich einigermaßen skeptisch, als ich letzte Woche erfuhr, dass wir über die Novelle heute endlich abschließend beraten sollen. Vernünftige Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sieht anders aus. ({1}) Aber zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Ist er denn das ganze Theater überhaupt wert? Genügt er den Anforderungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes? Nein. Auch mit den Änderungsanträgen, die Sie heute eingebracht haben, wird es kein gutes Gesetz. Einige Beispiele hierfür: Erstens. Nach dem Gesetzentwurf sollen nur erhebliche Störungen von Ruhestätten von Arten untersagt werden. Die Richtlinie fordert aber, jede Beschädigung oder Vernichtung dieser Stätten zu unterlassen. Zweitens. Nach Ihrem Gesetzentwurf sollen nur erhebliche Störungen örtlicher Populationen untersagt werden. Die Richtlinie besagt aber, dass alle Maßnahmen, die der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes einer Art zuwiderlaufen, unzulässig sind. Drittens. Nach Ihrem Gesetzentwurf werden Arten erster und zweiter Klasse geschaffen. Können Sie mir sagen, warum der Seefrosch weniger geschützt sein soll als der Kammmolch? ({2}) - Das konnten Sie jetzt nicht erkennen? - Ich kann die Bilder gerne noch einmal hochhalten. Auf dem einen Bild ist ein Seefrosch zu sehen, welcher auf der Roten Liste steht. Das zweite Bild zeigt einen Kammmolch. Der wird durch die FFH-Richtlinie geschützt. Angesichts dessen fordert die Fraktion Die Linke erstens die Schaffung verbindlicher Vorgaben für die nur national geschützten Arten, dazu gehört der Seefrosch. ({3}) Es kann nämlich nicht sein, dass es Arten erster und zweiter Klasse gibt. Zweitens fordern wir verbindliche Rechtsgrundlagen für ein umfangreiches staatliches Monitoring im Sinne der FFH-Richtlinie für alle geschützten Arten. ({4}) Drittens fordern wir, sich eng an den klaren Begriffsbestimmungen der Richtlinie zu orientieren und keine unbestimmten Rechtsbegriffe zu verwenden, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und Vollzugsprobleme zu vermeiden. Lassen Sie mich zusammenfassen: Nur mit den von mir genannten Maßnahmen könnten wir den Anforderungen eines effektiven, guten Artenschutzes gerecht werden. ({5}) Das wären wirksame Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt. Damit wäre Deutschland Vorbild für alle Länder, deren Vertreter im nächsten Jahr nach Deutschland kommen, um an der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zum Schutze der biologischen Vielfalt teilzunehmen. Mit der Novelle schaffen wir das nicht. Mit der Novelle sind wir kein Vorbild. Deshalb wird die Linke diesen Gesetzentwurf ablehnen, und wir werden im Rahmen der UGB-Diskussion und im Zusammenhang mit der großen Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes Sie ganz einfach wieder daran erinnern. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt hat nun endlich Kollegin Undine Kurth von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Das Seltsame an unserer Debatte ist ja, dass wir uns kaum Neues mitzuteilen haben; denn hier sind die beieinander, jedenfalls zum großen Teil, die auch heute früh schon ihre Argumente ausgetauscht haben. So sind Sie, Herr Präsident, einer der ganz wenigen, die hier eine neue Debatte hören. Auch wenn ich Ihre Zuhörerschaft sehr schätze, finde ich das in höchstem Maße bedauerlich, weil das Bundesnaturschutzgesetz ein ausgesprochen ernsthaftes Thema ist. Die einzigen Mittel, Naturschutz vernünftig zu realisieren, sind die nationale und internationale Rahmengesetzgebung und deren Vollzug. Wir haben nur diese beiden Instrumente in der Hand, um Naturschutz ernsthaft nach vorne zu bringen. ({0}) Deshalb ist es ausgesprochen bedauerlich, dass wir einen Prozess hinter uns haben, der vielleicht zu einem ausgewogenen oder ausgereiften Kompromiss im Sinne der Koalition geführt hat, die Art jedoch, wie er entstanden ist, finden wir ausgesprochen bedenklich. Wenn man sich ein Jahr Zeit lässt, um eine Auflage des Europäischen Gerichtshofes umzusetzen, und dann alle, die mit darüber beraten sollen, unter Druck setzt, indem man sagt: „Jetzt ist gar keine Zeit mehr; ihr müsst schnell entscheiden“, dann kann man doch nicht davon reden, man sei ernsthaft um eine gemeinsame Lösung bemüht. Erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gegen Österreich vom 10. Mai dieses Jahres hat Sie dazu gebracht, die Bedenken, die wir längst vorgetragen hatten, ernst zu nehmen und Ihren eigenen, im Bundesrat bereits verabschiedeten Gesetzentwurf nachzubessern. ({1}) Nun ist klug werden ja nicht schlimm, aber es zeigt doch: Die Art des Umgangs mit diesem Thema war einfach falsch und bleibt in unseren Augen auch falsch. Es ist ein Armutszeugnis für ein parlamentarisches Verfahren, wenn man die Debatte überhaupt nicht ernst nimmt. Was soll denn zwischen einer Anhörung und einer Aussprache im Ausschuss heute früh und einer letzten Debatte heute Abend hier im Haus passieren? Da nimmt sich das Parlament doch selbst nicht ernst. Das ist ein Armutszeugnis für dieses Verfahren, es ist aber auch ein Armutszeugnis in der Sache. Wir waren beauftragt, die FFH-Konformität unseres Naturschutzgesetzes herzustellen. In den Reihen der Koalition gab es offensichtlich so große Widerstände, dass man diese Veränderung, diese Ein-zu-eins-Umsetzung, durch die Absenkung anderer Standards erkauft hat. Dadurch wird das Naturschutzrecht nicht wirklich verbessert; das wissen Sie. Dieses Trauerspiel findet jetzt ein Ende darin, dass Sie den Begriff, auf den Sie sich absolut nicht einigen konnten, weglassen. Da Sie sich nicht einigen konnten in der Frage: „Was ist ein Projekt, das einer Prüfung unterzogen werden muss?“, folgen Sie jetzt dem Rat des EU-Kommissars Dimas, der gesagt hat: Ehe Sie eine unmögliche Definition wählen, lassen Sie sie ganz weg. - Das ist jetzt passiert, aber damit befinden wir uns auch in der Situation, dass es keine verbindliche Festschreibung gibt. Letztendlich muss jetzt jede genehmigende Behörde in den Ländern zusehen, mit welcher Definition sie zurechtkommt. Der nicht mehr vorhandene Projektbegriff ist in unseren Augen keine Lösung und keine Verbesserung. Wir glauben auch, dass die von Ihnen in dieses Gesetz eingebaute Fristenlösung nicht wirklich weiterhilft. ({2}) Denn dem SRU-Gutachten konnten wir entnehmen, in welch katastrophalem Zustand die Umweltverwaltungen in der Bundesrepublik sind, weil sie jahrelang nicht ausreichend unterstützt worden sind. Die Mängel an diesem Gesetzentwurf, die ich jetzt nicht im Einzelnen aufzählen will, bleiben. Für mich ist aber viel entscheidender, dass der Umgang mit diesem Thema so bedenklich ist. Wir als Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über biologische Vielfalt müssen glaubwürdig sein, wie es heute Staatssekretär Müller sagte. Vorhin zitierte Frau Klug Bundesumweltminister Gabriel: Wir löschen die Festplatte der Natur im nie gekannten Tempo. - Wenn dem so ist, dann müssen wir handeln. Es nützt doch nichts, wenn wir uns in die Tasche lügen. ({3}) Undine Kurth ({4}) Man kann sich nicht verpflichten, den Artenschwund zu stoppen, und man kann ihn nicht ständig beklagen, wenn man die Instrumente, die man zur Verhinderung hat, aus der Hand gibt. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass man Ihrem Entwurf leider nicht zustimmen kann. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Dirk Becker, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Herrn Heilmann vorhin versprochen, mich heute mit seiner Rede nicht auseinanderzusetzen, was ich sonst leider immer tun muss. ({0}) Dieses Versprechen habe ich aber zu voreilig gegeben. Ich konnte nicht ahnen, dass das, was er heute sagte, schlimmer als üblich war. ({1}) Deshalb muss ich kurz auf seine Ausführungen eingehen. Sie sagen, was wir tun, sei alles Theater. Sie reden von Arten erster und zweiter Klasse. Ich akzeptiere, dass die Opposition in Gänze anderer Auffassung ist. Ich nehme auch die von Ihnen tief empfundene Ungerechtigkeit an manchen Punkten ernst. Aber Sie sind nicht bereit, zumindest einige Punkte anzuerkennen. Beispielsweise hat Herr Lütkes heute Morgen im Ausschuss erklärt, dass es hier um den Schutz europäischer Arten geht. Wir sind nach einem Urteil des EuGH in einem Verfahren, die FFH-Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Da geht es nun einmal um den Schutz europäischer Arten. Sie können noch so viele Bilder zeigen; wir alle wissen, dass nationale Arten kein Bestandteil in diesem Verfahren sind. Tun Sie also nicht so, als sei heute etwas völlig Neues präsentiert worden. Sie versuchen mit Dingen, die nichts mit der Sache zu tun haben, Stimmung zu machen. Das finde ich nicht in Ordnung. ({2}) Ich will einen kurzen Abriss geben. Die Staatssekretärin hat deutlich gemacht, dass wir auf ein Urteil reagieren müssen. Wir haben versucht, mit dem Entwurf des Fachressorts im Rahmen eines langfristigen Verfahrens - es gab eine Anhörung des Bundesrates, eine Sachverständigenanhörung und Änderungsanträge der Koalition -, eine europarechtskonforme Ausgestaltung hinzubekommen. Ich bitte Sie, uns das abzunehmen. Dem Kollegen Göppel und mir können Sie abzunehmen, dass wir und auch die Vertreter des Ministeriums an diesem Punkt wirklich hart gearbeitet haben. ({3}) Dass es aus einigen Richtungen Querschüsse gab, nachdem das gesamte Verfahren eigentlich durch war und nachdem wir uns nach der Sachverständigenanhörung in allen Punkten einig waren, war höchst ärgerlich. Was nach dieser Einigung erfolgte, war kein Ruhmesblatt der Großen Koalition. Ich sage auch, an manchen Stellen hatte ich große Bedenken, ob wir das noch fristgemäß schaffen. Ich gehe einmal positiv heran: Die Tatsache, dass wir die Kurve gerade noch gekriegt haben, zeigt, dass wir handlungsfähig sind. Aber es sollte uns ermahnen, dass wir im anstehenden Verfahren beim Umweltgesetzbuch von Anfang an eine gemeinsame Linie finden und dass wir dafür Sorge tragen, dass das, was Kollege Göppel ausgeführt hat, Realität wird. Wir müssen nämlich an der Stelle auch über den Schutz nationaler Arten sprechen. Das ist vom Ministerium heute angedeutet worden. ({4}) - Dies sind nicht zwei Klassen. Kennen Sie den Unterschied zwischen Bundesliga und Champions League? Es gibt nationale und europäische Klassen. Da Sie nicht bereit sind, das zu akzeptieren, gebe ich auf. Wichtig ist unter dem Strich - das darf man heute resümieren -: Wir haben das Ziel erreicht. Ich will noch drei, vier Punkte ansprechen. Zum Projektbegriff ist genug gesagt worden. Fakt ist, Frau Kurth, dass die jetzige Formulierung EU-rechtskonform ist. Das werden Sie nicht bestreiten. ({5}) Damit haben wir das Ziel erreicht. Ich gebe zu, dass es mit dieser Formulierung in der praktischen Anwendung natürlich problematischer wird; das will ich überhaupt nicht schönreden. ({6}) - Nein, heute nicht mehr. Es ist spät genug. Über das Thema der national geschützten Arten ist hinreichend diskutiert worden. Zu der Zulässigkeit von Eingriffen und den Fragen der lokalen Population hat Josef Göppel eben hinreichend Stellung genommen. Wir haben aus guten Gründen den Begriff der „lokalen Population“ gewählt. Das Abstellen auf die lokale Population als Absicht des Gesetzentwurfs und der europäischen Regelung ist eine Umentwicklung weg vom Schutz des Individuums hin zum Artenschutz. Ich glaube, dass wir mit dieser kleinen Novelle die Grundlage schaffen, den Artenschutz in Deutschland zu stärken, und damit eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen bei der Erstellung des Umweltgesetzbuches liefern. Frau Brunkhorst, ich habe eben etwas erschrocken aufgemerkt, als Sie sagten, wir seien nun auf FDP-Linie eingeschwenkt. An dieser Stelle habe ich wirklich gedacht, wir hätten etwas falsch gemacht. ({7}) Aber ich habe noch einmal genauer hingeschaut: Ihre Änderungsanträge machen deutlich, wohin Sie wollen. Ihnen geht das alles zu weit. Sie wollen Rückschritte beim Artenschutz durchsetzen. Bei Ihnen hat der Naturschutz immer noch einen nachrangigen Wert. Das wird mit uns nicht zu machen sein. Von daher: Bitte bringen Sie uns nicht in den Verdacht, auf Ihre Linie einzuschwenken. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6780, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5100 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6781? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der FDPFraktion abgelehnt. Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6782. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der FDP? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Stimmenthaltung der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ 6783. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der FDP abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu einer Reihe von Tagesordnungspunkten, zu denen die Redebeiträge zu Protokoll gegeben worden sind. Ich kann also wieder eine längere Orgie von Verlesungen vornehmen. Ich bitte Sie, mich aufmerksam zu begleiten. Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeord- neten Thilo Hoppe, Jürgen Trittin, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutsch-brasilianischen Atomvertrag durch Erneuerbare-Energien-Vertrag ersetzen - Drucksachen 16/4426, 16/6038 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Joachim Pfeiffer1), Gabriele Groneberg, Rolf Hempelmann, Angelika Brunkhorst, Hans-Kurt Hill und Jürgen Trittin.2) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutsch-brasilianischen Atomvertrag durch Erneuer- bare-Energien-Vertrag ersetzen“. Der Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/6038, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4426 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge- gen die Stimmen der Linken und der Grünen angenom- men. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b so- wie die Zusatzpunkte 4 und 5 auf: 11 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten - Drucksache 16/6519 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Sportausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung Bericht der Bundesregierung zu Prüfaufträ- gen zur Zukunft der Freiwilligendienste, Aus- bau der Jugendfreiwilligendienste und der generationsübergreifenden Freiwilligendienste 1) Der Redebeitrag wird im Plenarprotokoll der 121. Sitzung abge- druckt. 2) Anlage 21 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse als zivilgesellschaftlicher Generationenvertrag für Deutschland - Drucksache 16/6145 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Sportausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Jugendfreiwilligendienste in einem gemeinsamen Gesetzesrahmen zusammenfassen - Drucksache 16/6769 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Sportausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Jugendfreiwilligendienste ausbauen und Gesamtkonzeption entwickeln - Drucksache 16/6771 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Sportausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Die Kollegen Thomas Dörflinger, Sönke Rix, Sibylle Laurischk, Elke Reinke und Kai Gehring haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6519, 16/6145, 16/6769 und 16/6771 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 12 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Klaus Ernst, Lutz Heilmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des BundesBodenschutzgesetzes ({5}) - Drucksache 16/3017 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) - Drucksache 16/4963 - 1) Anlage 22 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Petzold Detlef Müller ({7}) Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Bodenschutzrahmenrichtlinie aktiv mitgestalten - Subsidiarität sichern, Verhältnismäßigkeit wahren - Drucksachen 16/4736, 16/5757 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Petzold Detlef Müller ({9}) Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben: Ulrich Petzold, Detlef Müller, Angelika Brunkhorst, Eva Bulling-Schröter und Cornelia Behm.2) Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Bundes- Bodenschutzgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/4963, den Gesetz- entwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3017 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Stimmenthaltung der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Zusatzpunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Boden- schutzrahmenrichtlinie aktiv mitgestalten - Subsidiarität sichern, Verhältnismäßigkeit wahren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/5757, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4736 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Fraktionen des Hauses gegen die Stimmen der FDP angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafzu- 2) Anlage 23 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse messung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe ({10}) - Drucksache 16/6268 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({11}) Innenausschuss Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben: Siegfried Kauder, Joachim Stünker, Jörg van Essen, Wolfgang Nešković, Hans- Christian Ströbele und der Parlamentarische Staatssekre- tär Alfred Hartenbach.1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 16/6268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Alexander Bonde, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Programm „Energiewende in Gewächshäusern“ auflegen - Drucksachen 16/5969, 16/6725 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Röring Waltraud Wolff ({13}) Dr. Edmund Peter Geisen Cornelia Behm Zu Protokoll gegeben haben Ihre Reden die Kollegen Johannes Röring, Waltraud Wolff, Christel Happach- Kasan, Kirsten Tackmann und Cornelia Behm.2) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Programm ‚Energiewende in Ge- wächshäusern‘ auflegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6725, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5969 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gitta Connemann, Dr. Hans Georg Faust, Annette Widmann-Mauz, weiterer Abgeordneter und der 1) Anlage 24 2) Anlage 25 Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Peter Friedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Missbräuche im Bereich der Schönheitsoperationen gezielt verhindern - Verbraucher umfassend schützen - Drucksache 16/6779 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kollegin- nen und Kollegen Gitta Connemann, Mechthild Rawert, Konrad Schily, Frank Spieth und Birgitt Bender.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6779 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juli 2007 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen ({15}) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security ({16}) ({17}) - Drucksache 16/6750 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({18}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden Beatrix Philipp, Wolfgang Gunkel, Ernst Burgbacher, Jan Korte, Silke Stokar von Neuforn und der fraktionslose Abge- ordnete Gert Winkelmeier.4) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/6750 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum letzten Tagesordnungspunkt, zu Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines 3) Anlage 26 4) Anlage 27 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 16/6774 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({19}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden folgende Kollegen: Karl Schiewerling, Jürgen Rohde, Katja Kipping, Markus Kurth und der Parlamentarische Staats- sekretär Gerd Andres.1) 1) Anlage 28 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6774 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. Oktober 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche einen freundlichen Abend und eine geruhsame Nachtruhe.