Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/20/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns zusammen gute, zielführende Beratungen. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2004 ({0}) - Drucksache 15/5000 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich erteile zunächst dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Herrn Reinhold Robbe, das Wort. Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute zur Beratung anstehende Jahresbericht 2004 ist der letzte, der noch unter meinem Vorgänger Dr. Willfried Penner entstanden ist. Die besonderen Verdienste von Willfried Penner sind anlässlich seiner Verabschiedung gerade auch hier im deutschen Parlament von allen Seiten gewürdigt worden. Gestatten Sie mir an dieser Stelle, Willfried Penner darüber hinaus noch einmal persönlich meinen ausdrücklichen Dank für seine Arbeit auszusprechen. ({1}) Er hat mir den Einstieg in meine neue Aufgabe ganz wesentlich erleichtert. Beim Amtsantritt fand ich ein gut bestelltes Haus mit engagierten und fachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor. Auch ihnen will ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich für ihre Unterstützung danken. ({2}) Der Jahresbericht 2004 ist in erster Linie wieder ein Mängelbericht. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bietet kein Abbild der Bundeswehr in ihrer Gänze. Er zeigt aber durchaus Entwicklungen und Tendenzen auf, die Anstoß für parlamentarisches Handeln sein können. Ungeachtet des grundsätzlichen Befundes, dass die Bundeswehr insgesamt eine gute Truppe ist, würde ich im Ganzen gesehen meinen verfassungsmäßigen Auftrag verfehlen, wenn ich nicht auch im Jubiläumsjahr der Streitkräfte an dieser Stelle auf Mängel, Missstände, Fehlverhalten und Defizite hinweisen würde. Die Soldaten und Soldatinnen leben heute im Spannungsfeld zwischen vermehrten sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und aus meiner Sicht zu knapp bemessenen - das muss man ganz deutlich sagen - Haushaltsmitteln. Die Soldatinnen und Soldaten waren im Berichtsjahr 2004 äußerst gefordert, teilweise bis über die Grenze des Zumutbaren hinaus. Personelle Engpässe und daraus resultierende Doppel- und Mehrfachbelastungen bestimmen den Truppenalltag, und zwar im Jahr 2004 genauso wie heute. Bei vielen herrscht großer Unmut darüber, dass von ihnen die Bereitschaft zur Landesverteidigung sowie ein Beitrag zur Sicherung des Friedens und der Menschenrechte von Khartoum bis Kabul erwartet werden, während sie und ihre Familien gleichzeitig empfindliche finanzielle Einbußen erfahren müssen. Die Liste reicht von einer unterschiedlichen Besoldung in Ost und West über den Wegfall des Urlaubsgeldes bis hin zu Einschnitten beim Weihnachtsgeld. „Mehr Leistung, weniger Geld“ - auf diese kurze Formel hat ein Soldat bei einem meiner Truppenbesuche seinen Unmut gebracht. Das Rückgrat der Armee wird nicht von gut besoldeten Generalen und Stabsoffizieren gebildet, sondern von den Portepee-Unteroffizieren, die zusammen mit den Unteroffizieren und Mannschaften den mittleren und niederen Besoldungsgruppen angehören, wie wir alle wissen. Redetext Wehrbeauftragter Reinhold Robbe Seit 15 Jahren werden die Streitkräfte nun von tief greifenden Veränderungen in Atem gehalten. Von keiner anderen Berufsgruppe in unserer Gesellschaft ist im letzten Jahrzehnt so viel an Veränderung erwartet worden und keine andere Gruppe hat dies mit größerer Professionalität und dabei mit so wenig Protest bewältigt wie unsere Soldatinnen und Soldaten. Ebenso wie mein Vorgänger sage ich: Die Streitkräfte brauchen dringend eine Phase der Konsolidierung und Erholung. Ihre Angehörigen brauchen endgültige Planungssicherheit. Aus der Fülle der Erkenntnisse des vorliegenden Jahresberichts 2004 möchte ich in aller gebotenen Kürze einige wichtige Elemente herausgreifen, ohne dabei die übrigen Anliegen geringer einschätzen zu wollen. Ich nenne die einzelnen Stichworte. Stichwort „Bundeswehr im Einsatz“: Den Soldatinnen und Soldaten ist bewusst, dass sie unter schwierigen Umständen Dienst leisten müssen. Sie wissen, dass ihr Dienst jeden Tag mit Gefahren verbunden ist. Der Gedanke an Verwundung und Tod ist vielen - zumindest unterschwellig - ein ständiger Begleiter. Gleichwohl erfüllen sie ihre Aufgabe hoch motiviert und engagiert. Dafür gebührt den Soldatinnen und Soldaten Dank und Anerkennung. Das sage ich, glaube ich, im Namen des gesamten Hauses. ({3}) Umso mehr gilt die Verpflichtung, alles dafür zu tun, den größtmöglichen Schutz durch beste Ausbildung und Ausrüstung, eine exzellente Sanitätsfürsorge einschließlich einer optimalen Rettungskette, eine fürsorgliche Betreuung auch der Familienangehörigen und die bestmögliche soziale Absicherung zu gewährleisten. Die schrecklichen Anschläge auf Bundeswehrsoldaten im Berichtsjahr wie auch danach haben uns allen vor Augen geführt, wie wichtig diese Forderungen sind. Manche Soldaten stellen die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Einsätze. Hier ist der Dienstherr gefordert, der Stellung bezieht und Zweifel ausräumt; denn es geht um nicht weniger als das Vertrauen in die Entscheidungen von Regierung und Parlament. Verweise auf Bundestagsbeschlüsse oder Broschüren des Einsatzführungskommandos reichen an dieser Stelle nicht aus. Besondere Bedeutung kommt hier dem Instrument der politischen Bildung in der Bundeswehr zu. Von Angesicht zu Angesicht gilt es zu vermitteln, warum und mit welchem Ziel Deutschland in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan, am Horn von Afrika, in Georgien, in Eritrea und im Sudan Verantwortung übernommen hat. Stichwort „Personalwesen“: Dieser Bereich macht ein gutes Drittel der Eingaben aus und bildet den Schwerpunkt der Gespräche mit den Soldaten. Beförderungswesen, Beförderungsstrategien, fehlende Weiterverpflichtungsmöglichkeiten, Versetzungen, unzulängliche Antragsbearbeitung, Probleme beim Berufsförderungsdienst sowie bei der zivilen Aus- und Weiterbildung, Personalgewinnung - auch aus der Truppe heraus - und Stellenbesetzungshoheit, das sind die Themen, die den Soldatinnen und Soldaten schwer im Magen liegen. Das Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr hat vielen Vorteile gebracht. Für die altgedienten Portepee-Unteroffiziere hingegen ist es nach wie vor alles andere als befriedigend. Trotz ihrer großen militärischen Erfahrung und ihrer Qualitäten in der Menschenführung müssen sie immer wieder erleben, dass jüngere Kameraden, die sie teilweise selbst ausgebildet haben, an ihnen vorbeiziehen. Hier auf ein „Auswachsen“ des Problems, quasi auf eine biologische Lösung, zu setzen, hielte ich für geradezu zynisch. Stichwort „Frauen in der Bundeswehr“: Die Frauen sind in der Bundeswehr angekommen. Sie wünschen keine Sonderregelungen und werden durchweg von ihren Kameraden akzeptiert. Allerdings werden Fragen nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nach Teilzeitmöglichkeiten und Betreuungseinrichtungen immer drängender. Stichwort „Misshandlungen“: Den Gesamtkomplex Coesfeld - die Verteidigungspolitiker wissen, was sich dahinter verbirgt - abschließend zu beurteilen, wäre verfrüht. Die strafrechtlichen Verfahren dauern an, die entsprechenden Disziplinarverfahren sind so lange ausgesetzt. Aber: Coesfeld ist in Art und Ausmaß ein singuläres Ereignis geblieben. Das ist an dieser Stelle ausdrücklich festzuhalten. Es gilt, was mein Vorgänger im Dezember 2004 an dieser Stelle zu den Vorgängen in Coesfeld ausgeführt hat - ich zitiere -: Die Bundeswehr ist keine Armee der Schleifer und Drangsalierer. Die Masse der 12 000 Ausbilder gibt dienstlich keinen Anlass zu Beanstandungen. ({4}) Sie haben es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt und damit gesellschaftlich geächtet zu werden. Ganz im Gegenteil: Sie sind rechtstreu und versehen einen wichtigen Dienst für die Bundeswehr und die Soldaten. Stichwort „Rechtsextremismus“: Der Bericht nennt 134 besondere Vorkommnisse, wie es heißt, mit Verdacht - ich betone: Verdacht - auf rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund. In der Masse der aufgeklärten Fälle handelt es sich um so genannte Propagandadelikte, zu über 60 Prozent von Grundwehrdienstleistenden begangen. Überwiegend hat die Bundeswehr darauf angemessen und richtig reagiert. Stichwort „Soldatenbetreuung“: Die Betreuung der Soldatinnen und Soldaten im Inland und im Einsatz ist ein wesentliches Element der Fürsorgepflicht. Die kirchlichen Arbeitsgemeinschaften mit ihrem übergreifenden Angebot in Form von Betreuungseinrichtungen - Stichwort „Oase“ - verdienen nicht nur Anerkennung, sondern auch volle Unterstützung. Meine Damen und Herren, die Themen, die ich hier nur kurz aufgreifen kann, werden sich auch in dem Bericht, den ich Ihnen im März 2006 erstmals in eigener Verantwortung vorlege, allesamt wiederfinden. Nur so viel vorweg: Das Eingabeaufkommen ist bei gesunkener Truppenstärke im Prinzip unverändert hoch. Wehrbeauftragter Reinhold Robbe Aus aktuellem Anlass und unabhängig vom Jahresbericht 2004 will ich abschließend die Gelegenheit nutzen, auf einen besonderen Aspekt hinzuweisen: Nicht allen Teilen der Öffentlichkeit und offensichtlich auch des Parlaments ist bewusst, dass beim deutschen Bundesnachrichtendienst auch Soldaten tätig sind und dort wichtige und nach Auffassung der Verantwortlichen unverzichtbare Aufgaben erfüllen. Ohne den Sachverstand und ohne die speziellen Fähigkeiten der Soldaten könnte der BND seine Aufgabe nicht im erforderlichen Umfang und in der gebotenen Qualität wahrnehmen. Gerade diese Soldaten, um die ich mich als Wehrbeauftragter ebenfalls zu kümmern habe, stehen aus meiner Sicht ebenso wie ihre regulär eingesetzten Kameraden bei der Bundeswehr in der Fürsorge ihres Dienstgebers und insbesondere auch des deutschen Parlaments. Auch diese Soldaten beim Bundesnachrichtendienst haben die berechtigte Erwartungshaltung - insofern mache ich mich an dieser Stelle zum Sprachrohr -, dass ihre Leistungen und besonderen Verdienste gewürdigt und anerkannt werden. Auch diese Soldaten dürfen mit Recht erwarten, dass sie gegen unbegründete Verdächtigungen in Schutz genommen werden. Ich sage das an dieser Stelle mit Bedacht und verbinde das mit der herzlichen Bitte, bei den notwendigen Debatten nicht zu vergessen, dass gerade die zivilen und militärischen Angehörigen des BND ganz besonderen persönlichen Gefahren und Gefährdungen ausgesetzt sind. ({5}) Gestatten Sie Ihrem ehemaligen Kollegen und dem jetzigen Wehrbeauftragten zum Abschluss ein persönliches Wort. Ich freue mich, dass der neue Präsident des Deutschen Bundestages ein offenes Ohr und auch ein Herz für die Belange der Bundeswehr hat. Ich sage das mit Nachdruck und mit großer Dankbarkeit. Die Zusammenarbeit mit ihm und mit dem gesamten Präsidium des Deutschen Bundestages erweist sich jetzt als wohltuend. Das gilt im Übrigen auch für den gesamten Verteidigungsausschuss. Auch an die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen und an die neuen Mitglieder des Verteidigungsausschusses geht mein herzlicher Dank für die gute Aufnahme und wirklich freundschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit. Ich würde es sehr begrüßen, wenn der Deutsche Bundestag im März 2006 nicht um persönlicher Eitelkeiten willen - darauf will ich ausdrücklich hinweisen -, sondern in dem Wissen um die Notwendigkeit der Institution Wehrbeauftragter das 50-jährige Bestehen des Verfassungsinstituts Wehrbeauftragter in angemessener Weise würdigen sollte. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass nur wir in Deutschland über diese Institution, über dieses Amt verfügen. Nur wir messen dieser Funktion einen so hohen Stellenwert bei. Dass wir über diese Institution seit 50 Jahren verfügen, ist ein Grund, ein wenig zu feiern. Ihnen allen, meine Damen und Herren, namentlich auch der Bundesregierung unter unserer neuen Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel und auch dem Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung, biete ich eine vertrauensvolle und konstruktiv-kritische Zusammenarbeit an. Das schließt nicht aus, dass ich meine Stimme immer wieder warnend und mahnend erheben muss, wenn meine Sachwalterschaft für die Soldatinnen und Soldaten dies erforderlich macht. Ich danke Ihnen sehr für die Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Robbe, Sie haben gerade mit Zustimmung des ganzen Hauses den Soldatinnen und Soldaten für ihre Arbeit gedankt. Ich möchte gern vor Eintritt in die Aussprache - sicher ebenfalls im Namen des Hauses - Ihnen und all Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Ihre Arbeit danken. Ich habe vor Weihnachten Gelegenheit gehabt, mir einen persönlichen Eindruck von der Arbeit dieser Institution zu machen. Meine Vermutung ist bestätigt worden, dass die Motivation und der Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ähnlich eindrucksvoll sind, wie Sie es gerade zu Recht von den Soldaten berichtet haben. Im Übrigen ist Ihre Vermutung über meine Sympathie für Ihre Arbeit begründet, was sich in dem großzügigen Zuschlag für Ihre Redezeit sofort bestätigt hat. ({0}) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Anita Schäfer für die CDU/CSUFraktion.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, es ist das erste Mal, dass ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin an dieser Debatte teilnimmt. Herzlichen Dank, dass Sie da sind! ({0}) Im Herbst 2005 konnten wir auf 50 erfolgreiche Jahre Bundeswehr zurückblicken. Die Bundeswehr ist ein fester Anker unserer Demokratie. Dazu hat das Amt des Wehrbeauftragten entscheidend beigetragen. Lieber Herr Robbe, wir von der Unionsfraktion werden mit Ihnen wie schon mit Ihrem Vorgänger gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Als Parlamentarier müssen wir uns den kritischen Punkten im aktuellen Bericht des Wehrbeauftragten stellen. Gemessen an der Truppenstärke der Bundeswehr sind 6 154 Eingaben ein Maximum. Anders ausgedrückt: Noch nie hatten so wenige Soldaten so viele Sorgen. Im Jahre 2004 waren durchschnittlich 6 900 deutsche Soldaten im Auslandseinsatz, viele von ihnen in risikoreichen Regionen wie dem Kosovo oder Afghanistan. Die Soldaten benötigen einen klaren und nachvollziehbaren Maßstab bei sicherheitspolitischen Entscheidun828 Anita Schäfer ({1}) gen. Insbesondere muss der Sinn von Einsätzen aus Sicht der Soldaten erkennbar sein und erklärt werden können. Der Bericht von 2004 nimmt hier kein Blatt vor den Mund. Mögliche Erweiterungen von Auslandseinsätzen werden in der Truppe kritisch gesehen. Insbesondere Spezialisten wie Sanitäter, Pioniere, Logistiker und Fernmelder sehen keinen Spielraum für weitere Einsätze. Was folgt aus diesem Befund? Das sprunghafte Reagieren auf Krisen, der Rückgriff auf die Streitkräfte ohne Rücksicht auf begrenzte Kapazitäten ist kontraproduktiv. Wir benötigen eine Sicherheitspolitik aus einem Guss mit klaren Einsatzkriterien. Dieser überfälligen Herausforderung stellt sich die große Koalition. Wir werden unter Federführung des Verteidigungsministers ein Weißbuch vorlegen, um Sicherheitspolitik transparenter zu gestalten. Mehr Planungssicherheit für die Streitkräfte erfordert außerdem eine klare Ausrichtung unserer Wehrverfassung. Deswegen ist es zu begrüßen, dass Minister Jung an der Wehrpflicht festhalten will. Soldat ist kein Beruf wie jeder andere. Der Soldat ist ein besonderer Leistungs- und Risikoträger im Einsatz für unser Land. Darauf hat Bundespräsident Horst Köhler in seiner bedeutenden Rede auf der 40. Kommandeurtagung eindringlich hingewiesen. Deswegen muss der Staat eine besondere Fürsorgepflicht erfüllen. Das betrifft vor allem die materielle Ausstattung und Besoldung, die Organisation und Rechtsklarheit im Dienst sowie die soziale Absicherung der Soldaten und ihrer Angehörigen. Die Besoldungsstruktur muss unter zwei Gesichtspunkten auf den Prüfstand: Erstens. Es ist eine längst überfällige Entscheidung, die Soldatengehälter in den neuen Bundesländern dem Westniveau anzupassen. ({2}) Zweitens. Es kann nicht sein, dass die Auslandszulagen für einen deutschen Soldaten in Afghanistan auf dem gleichen Niveau wie für einen in Brüssel tätigen deutschen Beamten liegen. ({3}) Hier müssen wir zu Lösungen kommen, die den besonderen Risiken von Einsatzsoldaten gerecht werden. Handlungsbedarf sehe ich auch bei der inneren Organisation und Rechtsklarheit im Dienst. Viele Eingaben weisen auf eine undurchsichtige Beförderungssituation in der Truppe hin. Mehr Flexibilität in der Laufbahngestaltung ist zwar lobenswert; sie darf aber nicht zu Intransparenz und Ungerechtigkeit im Beförderungssystem selbst führen. Ich zitiere aus dem Bericht des Wehrbeauftragten: Bei vielen Soldaten des Heeres ist Vertrauen in die Verlässlichkeit und die Kontinuität der Personalplanung verloren gegangen. Diese Entwicklung demotiviert die Truppe und schadet der Einsatzbereitschaft. Hier müssen wir dringend gegensteuern. Vor allem in der Feldwebellaufbahn ist auf die richtige Balance zwischen Seiteneinsteigern mit abgeschlossener Berufsausbildung und in der Truppe bewährten Unteroffizieren zu achten. Ein intaktes soziales Umfeld ist für die Motivation des Soldaten essenziell. Die Folgen der Trennung von der Familie oder dem Lebenspartner sind schwerwiegend. Die dienstliche Belastung darf Zeit- und Berufssoldaten nicht vor die Frage „Dienst oder Familie?“ stellen. Der Bericht des Wehrbeauftragten betont deswegen zu Recht, dass es gilt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Streitkräften weiter zu verbessern. ({4}) Dazu gehört auch eine angemessene Betreuung von Soldatenfamilien. Kürzungen in den Familienbetreuungszentren wären der falsche Ansatz. Im Übrigen muss der sozialen Absicherung von im Einsatz befindlichen Soldaten und ihren Angehörigen in besonderer Weise Rechnung getragen werden. Das Einsatzversorgungsgesetz ist ein wichtiger Schritt nach vorn, aber auch hier gibt es noch Optimierungsbedarf. Vor allem muss geprüft werden, inwieweit Soldaten nach einer schweren Verletzung im Einsatz ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu garantieren ist. Die Ereignisse in der Kaserne von Coesfeld im Jahr 2003 haben uns für Missbrauchsfälle in der Truppe sensibilisiert. Insgesamt ist die Zahl der mitgeteilten Misshandlungen von 58 im Jahre 2003 auf 94 im Jahr 2004 gestiegen. Hier ist weiterhin erhöhte Wachsamkeit geboten; dessen ist sich die Bundeswehr bewusst. Sie hat auf die Misshandlungsvorfälle differenziert und angemessen reagiert. Es wäre aber falsch, ein Gewaltproblem in der Truppe herbeizureden. Auch zeigt die juristische Aufarbeitung der Vorgänge von Coesfeld, dass wir unsere Soldaten gegen Vorverurteilungen in Schutz nehmen müssen. Bei aller gebotenen Sensibilität ist eine realistische und einsatzbezogene Ausbildung unabdingbar. Der 46. Bericht des Wehrbeauftragten gibt keinen Anlass zur Beruhigung. Auf folgende Punkte kommt es an: Erstens. Die Transformation der Bundeswehr ist mit einem hohen Veränderungsdruck auf die Soldaten und ihre Angehörigen verbunden. Umso wichtiger ist es, dass der Wehrbeauftragte ein effektives Frühwarnsystem darstellt. Dafür ist die regelmäßige Präsenz in der Truppe erforderlich. Nur so können wir die Menschenführung innerhalb der Bundeswehr weiter verbessern. Zweitens. Militärische Sicherheitsvorsorge muss auch in Zeiten knapper Mittel elementare Bedürfnisse unserer Soldaten beachten. Dazu gehören eine optimale Schutzausstattung im Einsatz, eine gerechte Laufbahngestaltung und eine Besoldungsstruktur, die den Risiken von Einsatzsoldaten angemessen ist. ({5}) Schließlich drittens. Wir müssen den Sinn des Soldatenberufs in der öffentlichen Wahrnehmung neu vermitteln und seinen gesellschaftlichen Status deutlich aufAnita Schäfer ({6}) werten; denn die Soldaten der Bundeswehr müssen stellvertretend für uns alle die Risiken künftiger Gefahrenabwehr tragen. Sie erhalten Freiheit, Sicherheit und Stabilität für unser Land. In diesem Sinne wünsche ich allen Soldatinnen und Soldaten ein gesundes und gutes Jahr 2006. Danke. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Elke Hoff. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Für die Vorlage des 46. Wehrberichts danke ich Ihnen und vor allen Dingen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich wünsche Ihnen für Ihre neue Aufgabe ein stets kritisches Auge und aufmerksames Ohr für unsere Soldatinnen und Soldaten. Ich darf Ihnen in Namen der FDP-Fraktion eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit anbieten. ({0}) Sie ermöglichen es den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, sich zumindest ansatzweise ein ungeschminktes Bild von dem inneren Zustand der Truppe zu machen, ohne, um es mit den Worten des Wehrberichtes auszudrücken, den „Weichspülprozessen“ der politischen und militärischen Führung unterworfen zu werden. Allerdings reden wir heute über den Bericht aus dem Jahre 2004. Es ist zu hoffen, dass einige der beklagten Missstände inzwischen beseitigt wurden. In Ihrem nächsten Bericht für das Jahr 2005 werden wir es sehen. Die Zahl der Eingaben ist nach wie vor konstant hoch und, gemessen an der durchschnittlichen Truppenstärke, haben wir sogar das höchste Eingabeaufkommen seit Bestehen Ihres Amtes. Darin spiegelt sich auch ein erheblicher Unmut über die massiven Veränderungsprozesse bei der Bundeswehr wider. Es ist nachvollziehbar, dass für viele Betroffene die Grenzen des Mitmachenkönnens und des Mitmachenwollens irgendwann erreicht sind und dies auch artikuliert wird. Einige Entwicklungen in der Bundeswehr sind dennoch erfreulich und für die Motivation unverzichtbar. So ist mit dem Einsatzversorgungsgesetz für unsere Soldatinnen und Soldaten und für deren Familien endlich die nötige Sicherheit bei leider nicht immer zu vermeidenden Unfällen im Einsatz gefunden worden. Der Forderung der FDP nach kürzeren Einsatzzeiten wurde nach langem Widerstand endlich entsprochen. Die Verkürzung auf vier Monate ist ein wichtiger Schritt. Allerdings muss dann den rückkehrenden Soldatinnen und Soldaten auch die Möglichkeit eröffnet werden, zwischen ihren Einsätzen Ausbildungsdefizite aufzuholen, statt dass sie gleich wieder in den nächsten Einsatz geschickt werden. ({1}) Vor dem Hintergrund der angespannten Beförderungssituation in der Bundeswehr, die sich in dem vorliegenden Bericht deutlich niederschlägt, stellt die FDPFraktion mit Genugtuung fest, dass sich der neue Bundesverteidigungsminister unserem besonderen Anliegen einer eigenen Besoldungsordnung für die Bundeswehr annähert. Wir sind sehr gespannt, ob und wann er diese Ankündigung der ersten Wochen kraftvoll umsetzen wird. Besonders in den unteren Besoldungsgruppen rumort es kräftig. Es ist unbestritten, dass gerade in Zeiten des Umbruchs eine leistungsgerechte Besoldung die Motivation stärkt. Hier ist es insbesondere wichtig, die Differenz zwischen Ost und West zu beseitigen. ({2}) Größten Anlass zu Beschwerden gaben Probleme bei der Menschenführung und bei Personalangelegenheiten. Es ist daher völlig richtig, wenn im Bericht darauf hingewiesen wird, dass - ich zitiere - „die Achtung der Würde, Ehre und Rechte Untergebener für Vorgesetzte nicht disponibel“ ist. Einzelfälle wie beispielsweise in Coesfeld dürfen den ansonsten tadellosen Ruf der Bundeswehr in der Öffentlichkeit nicht beschädigen. Hier ist die innere Führung dauerhaft gefordert. Die Transformation der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz ist unumkehrbar. Wenn internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie der Kampf gegen den Terrorismus ein zentrales politisches Anliegen sind, dann darf diese Akzentsetzung aber nicht zu einer Überdehnung von Aufträgen führen. Es ist nicht hinnehmbar, dass mit der Verabschiedung des Luftsicherheitsgesetzes der Boden für eine grundlegende Rechtsunsicherheit bei den betroffenen Bundeswehrpiloten bereitet wurde, wie dies auch aus dem Bericht hervorgeht. ({3}) Die FDP-Bundestagsfraktion hält dieses Gesetz für verfassungswidrig und begrüßt, dass es nunmehr vom Bundesverfassungsgericht auf den Prüfstand gestellt wird. Dass es auch anders geht, hat die von der FDP maßgeblich initiierte Entscheidung für ein Parlamentsbeteiligungsgesetz gezeigt. Es schafft Rechtssicherheit für unsere eingesetzten Soldatinnen und Soldaten und stellt klar, dass die Entscheidung über das Ob und das Wie eines Auslandseinsatzes die verantwortliche Entscheidung einer breiten Mehrheit des Deutschen Bundestages ist und bleiben wird. ({4}) Der vorliegende Bericht des Wehrbeauftragten macht leider erneut deutlich, dass die Bundeswehr weit davon entfernt ist, für ihre anspruchsvollen Aufgaben gut und vor allen Dingen modern ausgerüstet zu sein. Viele Kasernen befinden sich nach wie vor in einem beklagens830 werten Zustand. Unsere Soldatinnen und Soldaten können ihr Gerät häufig erst in einem gefährlichen Einsatz selbst ausprobieren, nach dem Motto: Wenn wir schon neues Gerät haben, dann soll es nicht zu Hause herumstehen. Solche Zustände sind nicht hinnehmbar. ({5}) Unsere Soldaten können und müssen bei ihren gefährlichen Einsätzen erwarten, dass ihnen eine fundierte Ausbildung am Gerät die nötige Sicherheit und Selbstsicherheit für die reibungslose Abwicklung ihres Auslandsauftrages vermittelt. Denn nur wer sich sicher fühlt, kann auch sicher handeln. ({6}) Deshalb bedarf es eines hohen Maßes an professioneller Zuwendung bei der Vorbereitung und Nachbereitung von Auslandseinsätzen. Ich finde diejenigen Schilderungen des Wehrbeauftragten alarmierend, die sich mit den Problemen bei der Sinnfindung und der Reintegration unserer Soldatinnen und Soldaten bei Auslandsmissionen befassen. Jeder Auslandseinsatz muss auf einem klaren politischen und strategischen Konzept beruhen. ({7}) Nicht zu übersehen ist auch, wie die bundesdeutsche Bürokratie den Truppenalltag behindern kann. Dienstvorschriften, die gerade in Auslandseinsätzen zu skurrilen und oft zu behindernden Situationen führen - von der Mülltrennung bis zur ASU-Plakette -, müssen den speziellen Anforderungen vor Ort angepasst werden. ({8}) Da sich die Partner der großen Koalition den von der FDP immer wieder geforderten Bürokratieabbau nunmehr ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben haben, können sie zum Wohle unserer Soldatinnen und Soldaten jetzt und sofort zeigen, wie ernst es ihnen damit ist. ({9}) Auch ich möchte unseren Soldatinnen und Soldaten und auch deren Familien für ihren großartigen Einsatz zum Wohle unseres Landes danken und ihnen alles Gute für das neue Jahr 2006 wünschen. Danke für die Aufmerksamkeit. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Hoff, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratulieren möchte, ({0}) verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere Arbeit. Diese können Sie umso besser leisten, je tapferer Sie der Versuchung widerstehen, die Ihnen so freundlich überreichten Präsente gleich im Plenum auszuprobieren. Nächste Rednerin ist die Kollegin Wegener für die SPD-Fraktion.

Hedi Wegener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen eigentlich für Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, weil die Dinge, über die wir heute debattieren, den Kolleginnen und Kollegen schon aus einer Debatte im Dezember bekannt sind. Ich freue mich, dass sich so viele Jugendliche auf der Besuchertribüne befinden. Denn ihnen kann es einmal passieren, die Dienste des Wehrbeauftragten in Anspruch nehmen zu müssen. Man kann ihn in etwa mit einem Vertrauenslehrer an einer Schule vergleichen. Meine Vorredner haben es schon erwähnt: Wir sind eine der ganz wenigen Nationen, die über dieses Instrument verfügen. Der Abgeordnete Erler hat einmal gesagt: Alles, was die Bundeswehr angeht, sollen wir sehen, riechen, hören und schmecken. Das war nicht der jetzige Staatsminister im Auswärtigen Amt, sondern es war Fritz Erler 1959. Eigentlich hat diese Aussage nichts an Aktualität verloren. Wir behandeln heute den inzwischen 46. Bericht. Er ist noch unter dem Wehrbeauftragten Herrn Dr. Penner zustande gekommen ist. Ich will ihm - ich hoffe, er sitzt irgendwo vor einem Fernsehgerät - und seinen Mitarbeitern von dieser Stelle aus ganz herzlich danken. ({0}) Er war einmal zu Besuch in meinem Wahlkreis. Ich habe damals gemerkt, mit welcher Empathie er sich der Probleme der Soldatinnen und Soldaten annimmt. Im Jahre 2004 hat es 6 154 Einwände von Soldatinnen und Soldaten gegeben, 72 mehr, als es zuvor der Fall gewesen war. Das hatte sicherlich auch damit zu tun, dass der Wehrbeauftragte signalisiert hat: Hier bin ich, ihr könnt zu mir kommen, ihr könnt euch an mich wenden. Die Streitkräfte haben mit vielerlei Erfordernissen und Zwängen zu tun. Sie müssen die Würde der Soldaten achten und zig Einzelvorschriften und Erlasse - Sie haben es gerade gesagt - berücksichtigen. Darauf können sich die Soldaten berufen; aber sie können sich eben auch darauf verlassen. Sie geben immer wieder Anstöße dafür, womit wir uns rechtzeitig befassen sollten. In jedem Bericht gibt es ein und dasselbe Problem: Das sind die Auslandseinsätze. Deren Zahl wird nicht abnehmen; denn wir werden die Zahl unserer Auslandseinsätze vorläufig nicht reduzieren. Aus diesem Grunde wird logischerweise die Zahl der Soldatinnen und Soldaten zunehmen, die Erfahrungen bei Auslandseinsätzen machen. Da ist ein nicht gewährter Urlaub danach noch das geringste Problem. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr hat einmal eine Studie mit dem Titel „Diener zweier Herren“ durchgeführt. Sie zeigt die Diskrepanz der Soldaten zwischen Familie und Soldatenberuf. Ein ganz großes Problem, das sehr einschneidend ist, ist die Reintegration in die Truppe nach einem AusHedi Wegener landsaufenthalt. Die Soldaten fragen sich danach: Was hat sich eigentlich geändert? Was für einen Auftrag haben wir eigentlich gehabt? Es gibt eine Vorschrift, die besagt, dass vor einem Auslandseinsatz Seminare besucht werden müssen, in denen die Einsätze begründet und den Soldaten erklärt werden sollen. Viele Soldaten kommen mit inneren bzw. traumatischen Verletzungen zurück, indem sie sagen: Ich bekomme die Bilder, die ich dort gesehen habe, nicht mit dem Bild zusammen, mit dem ich in den Einsatz gegangen bin. Sie wollen ihre Kameraden nicht im Stich lassen und sprechen sehr wenig darüber. Die Bundeswehr hat dieses Problem erkannt. Sie hat das so genannte posttraumatische Belastungssyndrom zu einem Thema gemacht. Eine internationale Studie hat ergeben, dass wir in Deutschland bei der Behandlung dieses Problems sehr gut sind. Es gilt trotzdem, Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich bin sehr stolz, dass die politische Bildung im Rahmen der Vor- und Nachbetreuung einen hohen Stellenwert einnehmen soll. Im Moment wird die entsprechende Dienstvorschrift überarbeitet. Sie nennt sich bürokratisch: 12/1. Dadurch soll die politische Bildung noch mehr in den Fokus der Vorbetreuung der Soldaten gerückt werden. In diesem Zusammenhang noch einen Blick auf die Reservisten. Auch die gehen in Auslandseinsätze und haben nicht das Privileg der Nachbearbeitung, wie das die Soldaten in der Truppe haben. Ich denke, wir sollten auch darauf einen Blick werfen und dafür sorgen, dass auch die Reservisten, die nach einem Auslandsaufenthalt zurückkommen, die Möglichkeit haben, das zu verarbeiten, was sie dort erlebt haben. Die Soldaten müssen eben überzeugt davon sein, dass ihr Auftrag notwendig und militärisch sinnvoll ist. Wir entscheiden über einen Auslandseinsatz und müssen deshalb auch erklären, warum sie ins Ausland sollen und warum wir das für erforderlich halten. Die politische Bildung insgesamt soll künftig einen höheren Stellenwert erhalten. Ich bin stolz darauf, dass es eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundeswehr gibt, die jährlich zusammen eine Tagung abhalten und dieses Thema aufarbeiten. Meine Damen und Herren, schon bald wird es den 47. Bericht geben, bei dem sich dann der neue Wehrbeauftragte, Herr Robbe, der Diskussion stellt. Ich wünsche Ihnen, Herr Robbe, und Ihren Mitarbeitern viel Glück in diesem Amt und die gleiche Empathie für die Probleme der Soldaten, wie sie Ihr Vorgänger hatte. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe mich dem Dank an Herrn Penner für seinen Bericht, aber auch für seine gesamte Arbeit an. Wir diskutieren über den Berichtszeitraum 2004. Der Bericht ist am 15. März 2005 vorgelegt worden; heute schreiben wir den 20. Januar 2006. Ich finde, das geht so nicht. Das zeigt ja immer auch, welches Gewicht man einer solchen Sache beimisst. Ich denke, dass wir künftig - um das neudeutsch zu sagen einen solchen Bericht zeitnah diskutieren sollten. Das sollten wir gemeinsam durchsetzen. ({0}) Viele Themen wären anzusprechen: die nach wie vor bestehende und zu beseitigende Ungleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten in Ost und West; die überfällige großzügige Entschädigung der von Strahlenexposition betroffenen Menschen, die in der NVA und der Bundeswehr gedient haben; die Bearbeitung der im Bericht konstatierten erheblichen Defizite bei der Umsetzung des Soldatenbeteiligungsgesetzes. Das ist für mich eine Kernfrage. Denn nach meinem Verständnis ist das ein besonders wichtiges Thema für den Wehrbeauftragten, weil er im Auftrag des Parlaments kontrollieren soll, ob gewährleistet ist, dass der Staatsbürger in Uniform auch ein Staatsbürger ohne Wenn und Aber ist. Deshalb sollten wir auf diese Frage unser Augenmerk richten. 134 „Besondere Vorkommnisse“ mit Verdacht auf rechtsextremistischen Hintergrund sind, auch wenn sich nicht alle Fälle bestätigt haben, entschieden zu viel. Der Schatten der Einsatzarmee hat die Bundeswehr in Coesfeld ereilt. Übereifrige Offiziere wollten realitätsnah ausbilden und Wehrpflichtige in Sachen Folter unterweisen. Das ist geahndet worden bzw. wird geahndet. Das ist richtig. Meines Erachtens geht es aber, lieber Herr Robbe, nicht um einen Generalverdacht, sondern es geht um das Spannungsfeld zwischen innerer Führung und Einsatzarmee. Deshalb müssen wir diese Punkte sehr sensibel und sehr sorgsam registrieren, ({1}) um rechtzeitig Verstößen gegen Menschenrechte und Menschenwürde entgegentreten zu können. Ich will auf zwei Fälle zu sprechen kommen, die mehr sagen als langatmige Bilanzen. Im Bericht heißt es ja zu Recht: Befehle dürfen nur zu dienstlichen Zwecken und unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts erteilt werden. Kommen wir zum Fall Pfaff. Der Major Pfaff hat die Mitarbeit an einem Softwareprojekt verweigert, weil er den begründeten Verdacht hegte, die Ergebnisse könnten im Irakkrieg der USA Verwendung finden. Der wackere Major wurde erst psychiatrisiert, dann degradiert und musste vor Gericht ziehen. Das Bundesverwaltungsgericht gab ihm Recht und hat ausgeführt: Der Vorwurf der Gehorsamsverweigerung trifft nicht, wenn es sich um Unterstützungsleistungen für einen völkerrechtswidrigen Krieg handelt. Ich finde, es wirft kein gutes Licht auf die Bundeswehr, wenn Soldaten Grundrechte erst vor höchsten deutschen Gerichten erstreiten müssen. ({2}) Paul Schäfer ({3}) Es ist für die Linke nicht nachvollziehbar, dass sich der Wehrbeauftragte mit diesem Fall - er ereignete sich in den Jahren 2003, 2004 - nicht befasst hat. Es ist laut Gesetz eine Kernaufgabe dieses Amtes, darüber zu wachen, dass Grundrechte der Soldaten nicht verletzt und die Grundsätze der inneren Führung streng beachtet werden. Darin hat der Wehrbeauftragte auch unsere volle Unterstützung. Der zweite Fall: Hauptfeldwebel, weiblich, Afghanistan. Die Betreffende wird gegen ihren Willen nicht als Sanitätssoldatin, sondern als Sicherungssoldatin eingesetzt. Sie hat sich auf die Genfer Abkommen zum humanitären Konfliktrecht berufen und auf ihrer Rolle als Nichtkombattantin bestanden. Die Soldatin wurde mit Disziplinarmaßnahmen belegt. Auch hier müssen jetzt Gerichte bemüht werden. Im Grunde geht es hier darum - anders kann ich die Handlungsweise der Vorgesetzten nicht interpretieren -, dass Soldaten davon abgeschreckt werden sollen, sich mit den rechtlichen Grundlagen und den moralischen Folgen ihres Handelns auseinander zu setzen. Der Wehrbeauftragte hat gesagt, dass er den Fall beobachtet. Beobachten ist gut. Ich finde aber, hier ist unser Engagement für die Aufhebung der Disziplinarstrafe gefragt. ({4}) Lieber Herr Robbe, Sie haben ebenfalls gesagt, dass dieses Amt einen hohen Stellenwert habe. Darin pflichte ich Ihnen ausdrücklich bei und ich kann es auch für die Fraktion Die Linke sagen. Wenn es um die Verteidigung der Prinzipien der inneren Führung und deren konsequente Durchsetzung geht, dann haben Sie unsere volle Unterstützung. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Monaten wurde der Bericht des Wehrbeauftragten vorgelegt, jedoch kommen wir jetzt erst zur Debatte. Wir alle wissen, woran das lag, nämlich an der vorzeitigen Kündigung der letzten Koalition. Wir wissen aber auch, welche Konsequenz wir daraus zu ziehen haben, nämlich dass wir den nächsten Bericht, Herr Wehrbeauftragter, auf jeden Fall wieder sehr zeitnah hier debattieren werden. ({0}) Immer wieder ist die Klarstellung notwendig, dass wir es bei dem Bericht des Wehrbeauftragten mit einem Mängelbericht zu tun haben, der selbstverständlich nicht einfach ein Abbild des inneren Zustandes der Bundeswehr ist. Nichtsdestoweniger ist es inzwischen gute Tradition der Wehrbeauftragten, mehr daraus zu machen. Er ist nämlich in erheblichem Maße auch ein Stimmungsbericht, der wesentliche Herausforderungen benennt. Ich beginne bei Defiziten und Mängeln, die von oben, von höheren Ebenen von Bundeswehr und Verwaltung, verursacht werden und zu verantworten sind. Aus zehn Kasernen wurde im Jahr 2004 über Schimmelbefall, schadhafte Sanitäranlagen usw. berichtet. Dem Anspruch auf Fürsorge und Attraktivität des Dienstes sprechen solche Verhältnisse Hohn. Es wird von rückläufigen Stehzeiten von Bataillonskommandeuren berichtet. Zu Recht wird kritisiert, dass immer kürzere Stehzeiten von Bataillonskommandeuren den Aufbau eines unbedingt notwendigen Vertrauensverhältnisses mit den unterstellten Soldaten behindern. Schließlich komme ich - von einem Vorredner bereits angesprochen - zur Soldatenbeteiligung. Die Soldatenbeteiligung ist eine besondere Errungenschaft der inneren Führung der Bundeswehr. Über so etwas verfügt praktisch keine andere Armee. Umso bedauerlicher ist, dass seit vielen Jahren immer wieder von Wehrbeauftragten bemängelt werden muss, dass es hier an der sorgsamen Umsetzung fehlt. Im Berichtszeitraum fanden die Ausbildungsmissstände in einer Coesfelder Einheit viel öffentliche Aufmerksamkeit. Das Landgericht Münster ließ Anklagen gegen 18 Ausbilder wegen Misshandlung von Rekruten in großen Teilen nicht zu. Nur gegen einen Beschuldigten wurde die Anklage in vollem Umfang zugelassen. Ich will den Beschluss des Landgerichts nicht bewerten. Er weist aber auf jeden Fall darauf hin, dass Pflichten von Soldaten weit darüber hinausgehen, sich nur an Strafrecht zu halten. Umso wichtiger ist, wie die Bundeswehr auf diese Vorfälle reagierte. Es wurde von vornherein erkannt, dass man es hier über das Gruppenphänomen in Coesfeld hinaus mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun hat. Die Soldaten hatten insbesondere Probleme, bei so genannter realitätsnaher Ausbildung zu unterscheiden, wo die Menschenwürde verletzt wird und wo nicht. Es wurde schnell, konsequent und flächendeckend präventiv für künftige Vorfälle reagiert. Der Generalinspekteur stellte im April letzten Jahres im Verteidigungsausschuss einen ganzen Katalog durchgeführter Maßnahmen vor. Es ist nur schade, dass dieser Katalog nicht seinen Weg an die Öffentlichkeit fand, weil diese Vorgehensweise vorbildhaft war. Soldaten äußern immer wieder Zweifel am Sinn von Einsätzen, zum Beispiel wenn sie in der Umgebung von Kunduz die Mohnfelder blühen sehen. Das gilt auch für die Märzunruhen 2004 im Kosovo, bei denen die ganzen Stabilisierungsbemühungen von Jahren zunichte gemacht wurden. Hier sind Politik und militärische Führung gefragt. Hier geht es nicht nur - natürlich geht es auch darum, aber nicht nur - um bessere politische Bildung. Es geht darum, dass Aufträge immer wieder neu und überzeugend begründet werden müssen, und zwar über eine sicherheitspolitische Insidersprache hinaus. Diese Aufträge können nur überzeugen, wenn sie eingebettet sind in energische und glaubwürdige politische Anstrengungen der Friedenskonsolidierung, der umfassenden Aufbauhilfe bei Sicherheitssektorreformen, Demilitarisierung, Drogenbekämpfung, Institutionenaufbau. Aufträge können nur überzeugen, wenn Erfolge mit der Zeit sichtbar und nachweisbar werden. Die vielleicht wichtigste Konsequenz aus den Zweifeln am Sinn dieser Einsätze ist, dass wir als Politiker endlich zur breiten politischen und gesellschaftlichen Debatte über die Rolle des Militärs in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik kommen müssen. Diese Debatte wird schon seit Jahren immer wieder gefordert, auch noch vor kurzem vom Bundespräsidenten auf der Kommandeurtagung. Aber wir müssen nüchtern feststellen: Sie wurde im letzten Jahr gefordert, aber wir haben sie - trotz des Jubiläumsjahres der Bundeswehr - nicht geführt. Ich meine allerdings, dass wir sie in diesem Jahr wirklich führen müssen. Hierzu bestehen im Rahmen des Erarbeitungsprozesses des Weißbuchs der Bundesrepublik zu ihrer Sicherheitspolitik hervorragende Möglichkeiten. Diese Debatte sollte - das ist wichtig - nicht erst stattfinden, wenn das Weißbuch vorgelegt wird, sondern während seines Erarbeitungsprozesses. Das ist das A und O. Ich stelle heute fest, dass an der Debatte zum Bericht des Wehrbeauftragten so viele und auch so hochrangige Kolleginnen und Kollegen des Bundestages teilnehmen wie selten zuvor. Dass die Kanzlerin bei dieser Debatte anwesend ist und dass Opposition und Koalition bei dieser Debatte hochrangig vertreten sind, ist ein ausgesprochen gutes Signal. Aber wir wissen, dass wir es nicht bei Signalen bewenden lassen sollten. Dieses Signal sollten wir in diesem Jahr in die Tat umsetzen. Ich danke Ihnen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, der Kollege Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Wehrbeauftragten - es handelt sich heute um den Bericht aus dem Jahr 2004; damals war es noch der Kollege Penner - auch im Namen der Bundesregierung für seine Arbeit herzlich danken. Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danke ich. Wir haben - Kollege Robbe hat gerade darauf hingewiesen - die Institution des Wehrbeauftragten 1956 in die Verfassung aufgenommen. Das liegt nun 50 Jahre zurück. Dies war eine gute und richtige Entscheidung. Es war sogar eine hervorragende Entscheidung, weil sich die Bundeswehr damit in der konstruktiven, kritischen Begleitung durch den Wehrbeauftragten positiv weiterentwickeln konnte. Deshalb bin ich dankbar für die Arbeit, die der Wehrbeauftragte leistet. ({0}) Die Erfolgsgeschichte der Bundeswehr ist auch mit der Praxis der inneren Führung verbunden. Das sind gerade die Punkte, die immer wieder in die Berichte aufgenommen werden und aus denen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Die Jahresberichte dienen dazu, Mängel aufzuzeigen, auf Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen und auf diese Weise positive Entwicklungen zu unterstützen. Die im Jahresbericht 2004 aufgezeigten Mängel decken sich mit unserer Lagebeurteilung und werden bzw. sind abgeschafft. Für die Bundeswehr geht es darum, sie für den Einsatz so leistungsfähig wie möglich zu machen und die Berufszufriedenheit und gesellschaftliche Integration der Soldatinnen und Soldaten zu stärken. Ich konnte mir gerade jetzt vor Weihnachten ein Bild davon machen - sei es in den Einsätzen im Kosovo, sei es in den Einsätzen in Dschibuti, sei es in den Einsätzen in Kabul, sei es bei der Erdbebenhilfe in Islamabad -, dass unsere Soldatinnen und Soldaten hoch motiviert sind, einen hervorragenden Einsatz leisten und ein positives Bild von der Bundesrepublik Deutschland vermitteln. Ich denke, wir alle können für den Einsatz, den sie dort leisten, dankbar sein. ({1}) Nichtsdestotrotz ist es wahr, dass im Jahr 2004 der höchste Stand an Eingaben an den Wehrbeauftragten zu verzeichnen war. Deshalb muss man sich inhaltlich damit auseinander setzen. Das zeigt zweierlei: Erstens. Der Wehrbeauftragte hat das Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten. Zweitens. Der Transformationsprozess fordert die Soldatinnen und Soldaten aber offensichtlich auch unmittelbar heraus; ihnen wird viel abverlangt. Deshalb wird darauf hingewiesen. Ich glaube - das Jahr 2004 war ja auch mit den Stationierungsentscheidungen verbunden -, es war richtig, dass wir in der Koalition vereinbart haben, im Grundsatz an diesen Beschlüssen festzuhalten; denn die Bundeswehr braucht jetzt Planungssicherheit. Hier muss etwas Ruhe einkehren, um dadurch für die Soldatinnen und Soldaten insgesamt eine positive Entwicklung zu bewirken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, den Schwerpunkt des Jahresberichts 2004 bilden die Menschenführung und die Personalangelegenheiten. Das Thema Coesfeld ist bereits angesprochen worden. Die dortigen Vorgänge wurden konsequent aufgeklärt und die notwendigen dienstrechtlichen Maßnahmen getroffen. Aber das sind Ausnahmefälle, die man, wie ich glaube, nicht verallgemeinern darf. Dennoch müssen auch weiterhin die notwendigen Konsequenzen für die innere Führung gezogen werden. Innere Führung heißt für uns: Der Mensch steht im Mittelpunkt, auch in seiner soldatischen Verpflichtung. Deshalb sind die Themen, die hier angesprochen wurden - die Betreuung, die Fürsorge, die Besoldung, die Versorgung und die Vereinbarkeit von Familie und Dienst -, für die Soldatinnen und Soldaten wichtig. Es ist nicht nur eine Aufgabe der Bundeswehr, sondern auch eine Aufgabe von Gesellschaft und Politik, hier die entsprechenden Akzente zu setzen. Da vorhin unter anderem die Besoldungsregelungen angesprochen wurden, sage ich Ihnen: Wir müssen - auch wenn wir in den Haushaltsberatungen darüber sprechen - gemeinsam die notwendigen Grundlagen dafür schaffen, dass die Soldatinnen und Soldaten ihrer Verantwortung gerecht werden können, ihre Einsätze positiv verlaufen und sie insbesondere ihre friedenssichernden Funktionen erfüllen können. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn ich sage, der Grundsatz der inneren Führung bedeutet, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, dann muss dieser Grundsatz, wie ich finde, erst recht im Umgang mit im Einsatz verletzten Soldaten gelten. Ich denke, es ist geradezu eine Fürsorgeverpflichtung, die wir haben, für Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz verletzt werden und erhebliche Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit erleiden, die Voraussetzungen zu schaffen, dass sie die Chance haben, in der Bundeswehr weiterverwendet zu werden, statt ins Abseits gestellt bzw. in die Arbeitslosigkeit entlassen zu werden. Derjenige, dessen Gesundheit im Rahmen eines Einsatzes beeinträchtigt wurde, hat, denke ich, einen Anspruch darauf, dass ihm Staat und Bundeswehr helfen. Wir müssen den Betroffenen unserer Fürsorgepflicht entsprechend die Chance der Weiterbeschäftigung geben. Auch diesbezüglich arbeiten wir an einer entsprechenden Initiative. Für Ihre Unterstützung unserer gesetzgeberischen Initiative in diesem Bereich wäre ich Ihnen dankbar. ({3}) Ich könnte noch verschiedenste Punkte ansprechen, will aber nur noch schlagwortartig etwas zu der Beteiligung sagen. Ich denke, dass diese Frage vor allem nach dem Kriterium eines effektiven Einsatzes zu beurteilen ist und dass dieser Bereich im Zusammenhang mit dem Transformationsprozess weiterzuentwickeln ist. Hier müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um insbesondere das Thema innere Führung voranzutreiben. Ich wünsche mir - ich glaube, das ist auch notwendig; deshalb bin ich dafür dankbar, dass es für die Bundeswehr weiterhin eine breite parlamentarische Unterstützung gibt -, dass wir gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die notwendigen Grundlagen geschaffen werden, damit die Soldatinnen und Soldaten ihre wichtige friedenssichernde Aufgabe erfüllen können. Ich möchte noch das aufgreifen, was der Wehrbeauftragte gesagt hat, und ihm für das, was wir im Hinblick auf unsere Zusammenarbeit bereits besprochen haben, ebenfalls danken. Das ist, denke ich, eine gute Grundlage dafür, dass sich die Bundeswehr weiterhin positiv entwickelt. In diesem Sinne bitte ich auch Sie für die Zukunft um Ihre Unterstützung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Petra Heß, SPD-Fraktion.

Petra Heß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bereits erwähnt, ist der 46. Bericht des Wehrbeauftragten der letzte in der Amtszeit von Dr. Willfried Penner, dem ich hiermit auch namens meiner Fraktion noch einmal ganz ausdrücklich danken möchte für seine erfolgreiche und sehr engagierte Arbeit. Der Bericht gibt ein umfassendes Bild der inneren Lage der Bundeswehr wieder. Da es sich um einen Mängelbericht handelt, ist er nicht repräsentativ für die Verhältnisse in der Bundeswehr. Er zeigt aber ganz klar und deutlich, welche Defizite es in bestimmten Bereichen der Truppe gibt. Gemessen an der durchschnittlichen Jahrestruppenstärke ist, wie aus dem Bericht hervorgeht, das höchste Aufkommen an Eingaben seit Bestehen des Amtes zu verzeichnen. Insgesamt wurden im Jahr 2004 6 154 Vorgänge erfasst. Die hohe Zahl der Eingaben ist unter anderem darin begründet, dass sich die Bundeswehr im umfangreichsten Reformprozess seit ihrem Bestehen befindet und gleichzeitig mehr Soldaten in Auslandseinsätzen ihren Dienst verrichten als jemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Er zeigt aber auch auf, dass das Prinzip der inneren Führung in den Streitkräften funktioniert und dass unsere Soldatinnen und Soldaten eben keine Scheu haben, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden. Die Bundeswehr hat bewiesen, dass sie den erhöhten Anforderungen gewachsen ist. Dennoch ist es nicht zu vermeiden, dass es in bestimmten Bereichen Defizite gibt. So führt der Bericht unter anderem aus, dass die dienstliche Belastung der Ärzte an Bundeswehrkrankenhäusern weiterhin sehr hoch ist. Konkret haben beispielsweise Ärzte aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm darauf aufmerksam gemacht, dass sie Wochenleistungen zwischen 80 und 100 Stunden erbringen müssen, um die Schließung von OP-Sälen hier im Inland zu verhindern. Grund hierfür ist unter anderem der verstärkte Einsatz von medizinischem Personal in Auslandseinsätzen. Mit der Reduzierung der Zahl der Bundeswehrkrankenhäuser auf künftig vier Standorte - plus einem Kooperationsmodell - geht eine Bündelung der medizinischen Ressourcen einher, die insbesondere eine bessere personelle Ausstattung der verbleibenden Krankenhäuser erwarten lassen. Für Entspannung wird in den kommenden Jahren auch das erhöhte Aufkommen von Bewerbern für die Laufbahn der Ärzte im Sanitätsdienst sorgen: Es stieg von 1 247 Bewerbern im Jahr 2003 auf 1 451 im Berichtsjahr. Ein Thema, welches im Bericht des Wehrbeauftragten leider immer wieder eine Rolle spielt, ist die unterschiedliche Besoldung in Ost und West. Auch im Berichtsjahr 2004 wurde der Wehrbeauftragte von Soldatinnen und Soldaten auf diese Ungleichbehandlung hingewiesen. Wir alle wissen, dass eine Angleichung so schnell wie möglich erfolgen muss. Die Bundeswehr hat seit 1990 so erfolgreich wie kaum eine andere Institution die innere Einheit vollzogen. Darum darf sie nicht länger durch eine unsichtbare Mauer geteilt werden, wie sie derzeit durch die unterschiedliche Besoldung zweifellos noch vorhanden ist. Dass das Besoldungsrecht für Beamte, Richter und Soldaten gleichermaßen gilt und auch daher eine Sonderlösung für Soldaten kurzfristig nicht möglich ist, ist eine Tatsache. Deshalb appelliere ich von hier aus auch an die Länder, den angestrebten Zeitrahmen für die Angleichung - 2007 für den einfachen und mittleren Dienst; bis 2009 für die restlichen Dienstgruppen - unbedingt einzuhalten. Dass der Einsatz der Bundeswehr in den verschiedenen Krisengebieten notwendig ist, zeigten nicht zuletzt die Unruhen im Kosovo im März 2004. Die gewalttätigen Ausschreitungen haben deutlich gemacht, dass die Region noch immer politisch instabil ist und schon ein kleiner Funke genügt, um heftige Unruhen auszulösen. Die Bundeswehrsoldaten haben während des Einsatzes im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr angemessen reagiert und damit auch zum Schutz der serbischen Bevölkerung beigetragen. Im konkreten Fall gab es aber Defizite in der Kommunikation, die übrigens multinationaler Art war. Im Bericht werden aber auch Defizite bei der Vorbereitung und der Ausrüstung der Soldaten zur Eindämmung gewalttätiger Demonstrationen aufgezeigt. Es fehlte an Schutzschilden, es fehlte an Pfefferspray. Schutzschilde wurden unverzüglich beschafft. Bei Pfefferspray gestaltete es sich schwieriger, da hierzu eine Änderung des Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen notwendig war. Die damalige Bundesregierung hat zeitnah reagiert und bereits im Juni 2004 einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Nach Beratung und Verabschiedung hier im Plenum ist die Änderung im Oktober 2004 in Kraft getreten, sodass auch diese Ausrüstungslücke nunmehr geschlossen ist. Im Bericht wird ferner darauf eingegangen, dass es im Bereich der Einsatzvorbereitung durch fehlendes oder nicht ausreichend zur Verfügung stehendes Gerät Probleme bei der Ausbildung gegeben hat. So konnten zum Beispiel in Kunduz stationierte Soldaten erst vor Ort den Umgang mit den dort eingesetzten Funkgeräten üben, da diese während der Vorausbildung in der Heimat nicht verfügbar waren. Als weiteres Beispiel ist zu lesen, dass für die Einsatzausbildung in der zentralen Ausbildungsstätte Hammelburg nur drei Fahrzeuge des Typs Dingo zur Verfügung standen. Da unsere Einsatzkompanien im Ausland regelmäßig mit Fahrzeugen dieses Typs ausgestattet werden, führte das zu Engpässen in der Ausbildung. Auch wenn in der Stellungnahme des Ministeriums zum Bericht des Wehrbeauftragten darauf hingewiesen wird, dass grundsätzlich zehn Dingos für die Ausbildung in Hammelburg bereitstehen und der genannte Engpass nur vier Wochen andauerte, zeigen die Beispiele deutlich, dass es bei der Einsatzvorbereitung noch Verbesserungsbedarf gibt. Mit dem Instrument des einsatzbedingten Sofortbedarfs konnte dem bereits entgegengewirkt werden. Das setzt aber voraus, dass fehlende Dinge auch unverzüglich beschafft werden können. Hier ist zum Beispiel die Industrie gefordert, schnell auf Beschaffungswünsche der Bundeswehr zu reagieren. Die Vorwürfe über Misshandlungen von Soldaten in der Ausbildungskompanie in Coesfeld sind uns alle noch in Erinnerung. Sie riefen auch innerhalb der Bevölkerung eine breite Diskussion hervor. In den Debatten im Dezember 2004 im Plenum wie auch im Verteidigungsausschuss sowie im Unterausschuss innere Führung wurde das Thema ausführlich behandelt. Unter Minister Struck wurde damals unverzüglich auf die Vorfälle reagiert, umfassende Sofortmaßnahmen wurden angeordnet. Ich kann der Bundeswehr attestieren, dass sie schnell und rückhaltlos Aufklärung betrieben und bei offensichtlichen Fehlentwicklungen gegengesteuert hat. Persönlich möchte ich aber anmerken, dass die Bundeswehr mit ihren circa 250 000 Soldaten ein Spiegelbild der Gesellschaft ist und man daher nicht ausschließen kann, dass es vereinzelt zu Verfehlungen kommt. Wichtig ist, dass sie rechtzeitig erkannt und angezeigt werden und dass man sie, wie im vorliegenden Fall geschehen, unverzüglich abstellt. Abschließend möchte ich feststellen: Der Bericht des Wehrbeauftragten ist ein ehrlicher, umfangreicher und fairer Bericht. Die Soldatinnen und Soldaten unterstreichen mit ihrem Eingabeverhalten, dass sie verantwortungsvolle Staatsbürger in Uniform sind. Ich selbst erlebe im Rahmen meiner jährlichen Wehrübungen als Reserveoffizier, dass sich die Soldatinnen und Soldaten kritisch und selbstbewusst mit ihrem Arbeitgeber, aber auch mit ihrem Auftraggeber, nämlich uns, der Politik, auseinander setzen. Sie sind in der Regel gut informiert und motiviert. Durch die Nutzung des Instruments der Eingabe tragen sie dazu bei, dass sich die Bundeswehr im positiven Sinne fortentwickelt. Mein Dank gilt insbesondere dem neuen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den reibungslosen Wechsel im Amt. Ich freue mich auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Mein Dank gilt aber auch den Soldatinnen und Soldaten, die in einer schwierigen Phase der Transformation in hervorragender Weise ihre Pflicht erfüllen. Ich wünsche ihnen, dass sie stets bei guter Gesundheit aus ihren Einsätzen zurückkommen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bei dieser Aussprache geht es uns wie bei vielen Einsätzen: Sie dauern länger als geplant. ({0}) Ich schließe nun die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Jahresberichts auf Drucksache 15/5000 an den Verteidigungsausschuss vorgeschlagen. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden. - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 13 sowie zu Zusatzpunkt 6: 13 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({1}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien - Drucksache 16/297 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Petitionsausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Karin Binder, Sevim Dagdelen, Jörn Wunderlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN EU-Antidiskriminierungsrichtlinien durch einheitliches Antidiskriminierungsgesetz wirksam und umfassend umsetzen - Drucksache 16/370 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Petitionsausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache wiederum eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland braucht endlich ein Antidiskriminierungsgesetz, um an europäische Standards anzuschließen. Wie Sie wissen, ist die Frist für die Umsetzung der drei EU-Richtlinien mittlerweile verstrichen. Unserem Land drohen empfindliche Strafen. Darum ist zügiges Handeln gefragt. Deshalb werden wir als Grüne ein Aussitzen der großen Koalition bei diesem Konfliktpunkt ADG auch nicht hinnehmen. ({0}) Ich freue mich über die Unterstützung der Justizministerin - heute in Person des Staatssekretärs Hartenbach - für unseren Entwurf. Wir bringen das Antidiskriminierungsgesetz erneut ein, und zwar in der Form, in der es der Bundestag im Juni 2005 bereits einmal beschlossen hat. ({1}) Wir haben der Justizministerin die Arbeit schon abgenommen, wir haben die 40 Änderungsanträge nämlich schon eingearbeitet. Unsere Einbringung erfolgt also eins zu eins. Über dieses Gesetz ist viel Irreführendes erzählt worden. Der Hamburger Justizsenator ist eigens angereist und will beim Antidiskriminierungsgesetz anscheinend für aktive Sterbehilfe sorgen. Herr Kusch, das wird Ihnen nicht gelingen. ({2}) Dass das Antidiskriminierungsgesetz Gift für die Wirtschaft und für Hamburg ist, wie Sie gesagt haben, ist doch blanker Unsinn. Großbritannien, die Niederlande, Belgien, Frankreich, Schweden und Irland sind genau den Weg gegangen, den wir Ihnen jetzt vorschlagen. Ich frage Sie: Warum soll ausgerechnet die deutsche Wirtschaft ein Recht auf Diskriminierung von Behinderten, Älteren, Schwulen und Lesben erhalten? Warum? Diskriminierung schafft keine Arbeitsplätze; das müssten Sie eigentlich wissen. Diskriminierung verschwendet Potenziale. Diskriminierung ist schlecht für die Wirtschaft, schlecht für die Gesellschaft und auch schlecht für das Ansehen Deutschlands. ({3}) Kernpunkt unseres Entwurfs ist, dass wir alle Diskriminierungsgründe sowohl im Arbeitsrecht als auch im Zivilrecht berücksichtigen. Nur an einem einzigen Punkt gehen wir über etwas hinaus, was in vielen Mitgliedstaaten üblich ist, nämlich, dass Behinderte, Ältere, Juden, Lesben und Schwule vom Diskriminierungsschutz beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ausgeschlossen werden. Genau das fordern die CDU/CSU und die FDP mit ihrem Mantra einer blinden Eins-zu-einsUmsetzung. Meine Damen und Herren, wir brauchen keine dogmatischen Formeln, wir brauchen einen intelligenten Umgang mit europäischem Recht. ({4}) - Jawohl. - Das heißt aber auch, dass wir keine neuen Ungerechtigkeiten schaffen dürfen. Es wäre doch wirklich absurd, wenn die Abweisung eines Menschen in einer Gaststätte wegen seiner Hautfarbe künftig zu Recht verboten ist, dieses Gesetz im gleichen Fall für einen Menschen mit Behinderung aber nicht greift. Soll denn wirklich weiter gelten: Behinderte müssen leider draußen bleiben? Das darf nicht sein. ({5}) - Herr Grübel, hier hätte die CDU/CSU eigentlich auch klatschen können. Dem Vernehmen nach hat die CDU/CSU der SPD in den Koalitionsverhandlungen das unsittliche Angebot gemacht, man könne über die Behinderten und die Alten vielleicht noch einmal sprechen, dafür müssten aber die Homosexuellen und die Muslime draußen bleiben. ({6}) - Ich war nicht dabei, aber es gibt natürlich Personen, die darüber berichten, Herr Kollege. - Das wäre reine Willkür. Dann würde entlang der im Unionsweltbild grassierenden Vorurteile nach der Methode Aschenputtel - die Guten ins Töpfchen, die Schlechten in Kröpfchen sortiert. Ich finde, das ist brandgefährlich. Mit einer solchen Haltung gibt man den Menschen geradezu zur Diskriminierung frei. Vorurteile sind keine gute Grundlage für Gesetzgebung. Deshalb wäre es gut, wenn wir uns an Fakten halten würden. Werfen Sie einfach einmal einen Blick in die gerade veröffentlichte Studie „Deutsche Zustände“ der Forschungsgruppe um Wilhelm Heitmeyer. Sie hat deutlich herausgearbeitet: Wer zu diskriminierendem Verhalten gegenüber einer Minderheit neigt, tut das auch gegenüber anderen Minderheiten. Wer also Juden ablehnt, hat meist auch etwas gegen Homosexuelle, wer Ausländer diskriminiert, verhält sich auch gegenüber Muslimen feindselig. Gerade deshalb brauchen wir einen integrierten Ansatz. Deshalb darf niemand vom Diskriminierungsschutz ausgegrenzt werden. Wir sind mit unserem vorgelegten Entwurf ja sehr behutsam. Es ist ein Gesetz mit Außenmaß und ein Ausgleich zwischen vielen Interessen. Mit diesem Gesetz nehmen wir gerade die Vertragsfreiheit ernst; denn sie gilt für beide Seiten, für Angebot und Nachfrage. Menschen dürfen am Markt nicht ausgegrenzt werden, weil sie eine dunkle Haut haben, weil sie eine Frau sind oder weil sie alt sind. Alle müssen eine faire Chance haben. Der Kollege Olaf Scholz - leider ist er heute nicht da - hat im Juni 2005 an dieser Stelle gesagt: „Dies ist ein gutes, ausgewogenes Gesetz.“ Das war vor sieben Monaten richtig und das ist auch heute noch richtig. Für diskriminierte Gruppen in unserer Mitte ist das Antidiskriminierungsgesetz ein Signal der Anerkennung, das sagt: Die Gesellschaft lässt euch nicht allein. Es ist ein notwendiges Signal für mehr Geschlechtergerechtigkeit und auch für einen wirksamen Minderheitenschutz. Es hilft nichts, wenn alle in diesem Hause wortreich beteuern, man sei ja gegen Diskriminierung. Wir müssen endlich konkret etwas dafür tun. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr haben wir uns im Bundestag bemüht, eine rechtsstaatliche Lösung zu finden, um Aufmärsche und Demonstrationen von Neonazis an besonders geschichtsträchtigen Plätzen zu verhindern. Das heute erneut eingebrachte Antidiskriminierungsgesetz würde dagegen die Verwaltung kommunaler und privater Wohnungsbaugesellschaften zwingen, Rechtsradikalen Versammlungsräume zu überlassen, wenn sie Schadenersatzforderungen aus dem Weg gehen wollen. Das ist doch absurd. ({0}) Wir alle singen das Hohelied auf die durch Art. 5 Grundgesetz verbriefte Meinungsfreiheit. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - alle kennen das Lüth-Urteil und den Blinkfüer-Fall ist die Meinungsfreiheit nicht auf moralisch wertvolle Aussagen begrenzt. Art. 5 Grundgesetz schützt die Meinungsfreiheit und die prononcierte gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Parteinahme selbst dann, wenn sie im geistigen Meinungskampf mit einem Boykottaufruf verbunden ist. ({1}) Wenn die dezidierte weltanschauliche Stellungnahme durch Art. 5 Grundgesetz erlaubt ist, selbst wenn sie unter Umständen mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für Dritte verbunden ist, so kann der Boykottaufrufer nicht gleichzeitig zum Vertragsabschluss mit den Gegnern seiner Position gezwungen werden. Im Gegenteil: Der Boykottaufruf zielt ja gerade auf die Verweigerung des Vertragsabschlusses ab. ({2}) - Ich komme gleich dazu. Der heutige Gesetzentwurf der Grünen wird erkennbar mit dem Ziel eingebracht, ihren früheren und unseren jetzigen Koalitionspartner, die SPD, vorzuführen. ({3}) Nun reicht weder meine Redezeit noch Ihre Geduld dazu aus, jede einzelne Vorschrift abzuklopfen. Der Bundesrat hat in seiner Beschlussempfehlung vom 17. Juni letzten Jahres - Drucksache 445/1/05; das können Sie nachlesen - auf 14 Seiten dezidiert jede einzelne Vorschrift unter die Lupe genommen. Ich möchte jetzt mein Augenmerk darauf lenken, wohin die Fehlentwicklungen einer solchen Antidiskriminierungsgesetzgebung führen. Ich beschränke mich dabei nicht nur auf das Arbeitsrecht und das Zivilrecht, sondern ich beziehe mich auch auf das Verfassungsrecht und die europäische Rechtsetzung, die Gesellschaftspolitik und unsere bisher doch unisono vertretenen Wertvorstellungen. Zunächst einmal ist eine begriffliche Klarstellung gefordert, um nicht schon gegen eine ausufernde Verwendung des Etiketts „Diskriminierung“ im Nachteil zu sein. Nur wer die Begriffe beherrscht, kann auch eine Diskussion beherrschen. Nach unserer geltenden Privatrechtsordnung können bis jetzt mit der Besonderheit der Gleichbehandlung der Geschlechter im Arbeitsleben und wenigen anderen Ausnahmen Privat- wie Geschäftsleute grundsätzlich ihre Geschäfts- und Vertragspartner nach „Gutdünken“ wählen. ({4}) Dies zu tun, heißt nicht per se, zu diskriminieren, sondern davon kann nur da gesprochen werden, wo Gleichbehandlung geboten ist. Lediglich im Verhältnis von Staat und anderen Hoheitsträgern zum Bürger wird ein Gleichbehandlungsanspruch des Bürgers begründet, wobei ich zur Klarstellung sagen muss, dass der Art. 3 Grundgesetz kein Gleichheitsgrundsatz ist, sondern ausdrücklich nur ein Willkürverbot mit der Folge ist, dass wesentlich Gleiches gleich, aber wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf. ({5}) Die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht wird nach Ihrem Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes aufgegeben. In der Reichweite Ihrer Regelung schafft sie einen Gleichbehandlungsanspruch wenn nicht aller gegen alle, so doch zumindest für den Nachfrager nach Waren, Dienst- und Werkleistungen, Arbeitsplätzen oder Mieträumen gegen die Anbieter. Sie unterwirft jene in der rechtlichen Ausgestaltung durch verschiedene Finessen sogar schärferen Anforderungen als etwa eine Behörde im Verhältnis zum Bürger. Nun kommt die Unterscheidung zwischen hoheitlicher Verwaltung einerseits und privatwirtschaftlicher Geschäftstätigkeit, Bedarfsdeckung oder Vermögensverwaltung andererseits nicht zufällig daher, sondern sie hat ihre historische innere Notwendigkeit. Dass der Einzelne seine Angelegenheiten grundsätzlich selbstständig und selbstverantwortlich regeln und geschäftliche Entscheidungen frei treffen kann, ist Ausprägung der Privatautonomie ({6}) und wird insbesondere durch die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Eigentumsgarantie geschützt. In ihnen verwirklicht sich Menschenwürde - die neuerdings auch für die Antidiskriminierungsgesetzgebung bemüht wird - nicht weniger als im Gleichheitssatz. Deswegen ist es ebenso falsch, diese Grundrechte gegeneinander ausspielen zu wollen wie Minderheiten in der Bevölkerung gegen Mehrheiten. ({7}) Die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit ist auch grundlegend für die Marktwirtschaft. Der Ordnungsrahmen, der hier gesetzt werden darf, soll dem Schutz der Freiheit und anderen Rechtsgütern dienen, nicht der partiellen Abschaffung der Vertragsfreiheit, mit der ein bestimmtes Gesellschaftsmodell der gerade regierenden Parlamentsmehrheit durchgesetzt werden soll. Die Abschluss- und Inhaltsfreiheit reduziert sich doch erst für marktbeherrschende Unternehmen, weil ihren Vertragspartnern ausreichende und zumutbare Alternativen fehlen. Ich verweise nur auf die §§ 19 und 20 GWB. Ansonsten setzt der Staat der Vertragsfreiheit nur durch Generalklauseln - sie sind Ihnen bekannt: §§ 134, 138 und 242 BGB, Grundsatz von Treu und Glauben -, ({8}) über die die Grundrechte allenfalls mittelbare Geltung beanspruchen können, äußere Grenznormen. Er statuiert aber keine Richtnormen für das moralische Verhalten seiner Bürger in der Zivilgesellschaft. Der vorliegende Gesetzentwurf, aber auch die ihm zugrunde liegenden europäischen Richtlinien - darauf will ich einmal hinweisen, weil immer wieder von der Einszu-eins-Umsetzung die Rede ist - stellen den Kern unserer historisch gewachsenen Rechts- und Werteordnung auf den Kopf. ({9}) Sie setzen sich über alle kontinentaleuropäischen und verfassungsrechtlichen Grundsätze hinweg. ({10}) Der Gesetzentwurf nimmt zudem arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbote, die in zwei Richtlinien, in deutschen Schutzgesetzen und im allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz wurzeln, zum Vorbild für eine generelle Reform des Zivilrechts. ({11}) Dieser Paradigmenwechsel verkennt zudem zweierlei: Erstens geht das Arbeitsrecht von der typisch wirtschaftlichen Unterlegenheit des abhängig beschäftigten Arbeitnehmers aus und sucht ihn deshalb vor Diskriminierung zu schützen. Zweitens greifen die arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbote grundsätzlich erst bei bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, nicht schon vorher. Trotz knapper Haushaltsmittel wollen Sie eine staatliche Antidiskriminierungsstelle mit umfassenden Zuständigkeiten und private Überwachungskomitees in Form von Antidiskriminierungsverbänden ins Leben rufen, ({12}) die jede vermeintliche Benachteiligung verfolgen und mit Hilfe von Beweiserleichterungen jeden angeblichen Diskriminierer zwingen können, die Anständigkeit seiner Motive vor Gericht darzulegen. Zu allem Überfluss können sich Gewerkschaften und Betriebsräte als Prozessstandschafter selbst gegen den Willen des vermeintlich Diskriminierten zum Sachwalter von Rechten Dritter aufschwingen. ({13}) Demgegenüber überlässt das Privatrecht den zivilrechtlichen Schutz gegen Angriffe auf Leben, Körper und Gesundheit nach den deliktrechtlichen Vorschriften, §§ 823 ff. BGB, allein der Autonomie des als Opfer oder Erben betroffenen Rechtssubjekts. Von einer Überantwortung solcher fundamentaler Rechtsgüter auf besondere Behörden und Verbände keine Spur. Es ist rechtspolitisch und rechtsethisch nicht einleuchtend, warum der Schutz soziokultureller Rechtsgüter wie Weltanschauung oder sexueller Ausrichtung einen vom Gesetzgeber eingeräumten Vorrang vor solch fundamentalen Rechtsgütern wie Leben, Körper und Gesundheit haben soll. ({14}) Kein Wunder, dass im Kampf gegen die ideelle Benachteiligung in Deutschland keine Kraft mehr bleibt, um den realen Benachteiligungen wie der Arbeitslosigkeit noch wirksam begegnen zu können. „Die Luft zum Atmen wird dünner,“ - sagt der Berliner Rechtsprofessor Säcker - „wenn eine umfassende Motivkontrolle und Zensur alle Lebensbereiche mit Ausnahme von Ehe und Familie“ - es fehlte gerade noch, dass es einen Anspruch auf korrekte Liebe gibt - „durchleuchtet und Wächtervereine Schuldverträge überprüfen lässt.“

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie wissen, dass Sie zum Schluss kommen müssen.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Wir sollten deshalb nicht normieren, was bereits geltendes Recht ist. Es gibt bereits zig Schutzgesetze. Wir sollten vielmehr durch entsprechende politische Initiativen versuchen, darauf hinzuwirken, dass auch auf der europäischen Ebene die Rangfolge von Freiheit vor Gleichheit wiederhergestellt wird. ({0}) Gelingt uns das nicht - was ich befürchte -, dann sollten wir wenigstens über die europarechtlichen Vorgaben nicht hinausgehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Mechthild Dyckmans, FDP-Fraktion.

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zweifellos richtig: Wir müssen und wollen uns - das gilt auf jeden Fall für die FDP, Herr Dr. Gehb - europakonform verhalten. Das heißt, wir müssen die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU in nationales Recht umsetzen. Das Vertragsverletzungsverfahren läuft und wir können Strafzahlungen nur vermeiden, wenn wir jetzt handeln. ({0}) Wenn wir uns heute mit einem Gesetzentwurf befassen, der bereits im Sommer 2005 im Bundesrat keine Chance hatte und, wie ich meine, keine Chance haben wird, in dieser Form Gesetz zu werden, dann ist festzustellen, dass die Intentionen der vorlegenden Fraktion eindeutig andere sind, als eine schnelle und sachgerechte Umsetzung der EU-Richtlinien zu erreichen. ({1}) Ich habe die Debatten vom Sommer 2005 im Protokoll nachgelesen. Ich wünsche mir, dass wir heute außerhalb des Wahlkampfes mit mehr Ruhe und Gelassenheit, mit weniger Emotionen und Gereiztheit an das Thema herangehen. ({2}) Natürlich ist es spannend, zu sehen, wie sich die Koalition zu einem Gesetzentwurf verhält, der noch vor einem halben Jahr die Kontrahenten sehr gegeneinander aufgebracht hat. Aber wie gesagt, der Wahlkampf ist vorbei. Gehen wir also sachlich miteinander um! Stellen wir bitte nicht die einen als Gutmenschen dar und werfen den anderen, die Kritik an dem Gesetzentwurf äußern, vor, sie wollten sich nicht gegen Diskriminierung einsetzen! ({3}) Für die FDP-Fraktion möchte ich deutlich feststellen, dass wir uns mit aller Entschlossenheit gegen jede Form von Diskriminierung, Intoleranz und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft wenden. Benachteiligungen sollten beseitigt und die Rechte von Minderheiten gestärkt werden. Diesem Ziel fühlt sich die FDP-Fraktion seit jeher in besonderer Weise verpflichtet. ({4}) Wir erwarten nun einen Vorschlag der neuen Regierungskoalition zur Umsetzung der EU-Richtlinien. Wir sehen bisher keine große Notwendigkeit für eine über eins zu eins hinausgehende Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien, ({5}) wobei man sicherlich über das eine oder andere reden muss. Ziel der Umsetzung ist aber die Harmonisierung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten. Das sollte man immer im Auge behalten. ({6}) Bei der Umsetzung sollte ganz genau geprüft werden, wo wir Regelungen brauchen und ob dies in einem eigenen Gesetz geschehen muss oder ob es nicht ausreicht, bestehende Regelungen zu ergänzen. Wir haben nämlich bereits viele Regelungen - das sind die Fakten -, die Diskriminierung untersagen. ({7}) Ich erinnere zum Beispiel an § 81 e des Versicherungsaufsichtsgesetzes, der eine Diskriminierung bei den Tarifen wegen Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe ausschließt. Es gibt schon viele gute Ansätze. Bereits heute ergreifen Unternehmen im Bereich des Arbeitsrechts auf freiwilliger Basis besondere, für die Branche maßgeschneiderte Maßnahmen, um Diskriminierungen vorzubeugen. Ich erinnere nur an die Teilnahme an Zertifizierungen für eine an Chancengleichheit orientierte Personalpolitik oder die gezielte Förderung älterer Arbeitnehmer. ({8}) Bei der nun vorzunehmenden Umsetzung der Richtlinien ist ebenfalls zu überlegen, ob man in dem Verfahren nicht noch einmal eine Anhörung der betroffenen Kreise und Verbände durchführt; denn die Reaktionen auf den Gesetzentwurf von Rot-Grün, der nun in identischer Form eingebracht wurde, im Sommer des letzten Jahres haben gezeigt, dass ein Bedürfnis nach Diskussion besteht, ({9}) gerade um die in der aufgeheizten Situation entstandenen Missverständnisse - bis hin zu ungerechtfertigten Anschuldigungen; ich hoffe, dass sie sich nicht wiederholen - zu überwinden. Lassen Sie mich ganz kurz einige konkrete Punkte ansprechen, in denen der Gesetzentwurf in die falsche Richtung geht. Alle reden von Bürokratieabbau. Aber hier wird mit der Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle des Bundes - so lautet die Forderung - eine neue, unnötige Bürokratie aufgebaut. Es gibt bereits heute viele Beauftragte, deren Stellung gestärkt werden könnte und die die notwendigen Kontroll- und Beratungsaufgaben übernehmen könnten. ({10}) Auch an anderer Stelle werden zahlreiche Regelungen eingeführt, bürokratische Organisations- und Dokumentationspflichten, die zu einer Belastung von Arbeitnehmern und Unternehmen führen. ({11}) Insgesamt gehen die Vorschriften zum zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot eindeutig über die Vorgaben der EU-Richtlinien hinaus und stellen einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Vertragsfreiheit dar. Auch die in § 23 Abs. 4 vorgesehene Möglichkeit der Abtretung von Schadenersatzansprüchen ({12}) an die dort genannten Antidiskriminierungsverbände mit einem eigenen Klagerecht wird so von der Richtlinie nicht gefordert. Es besteht auch keine Notwendigkeit dazu. ({13}) Bei einer solchen Abtretungsmöglichkeit ist zu befürchten, dass die Verbände aus eigenen finanziellen Interessen Klagen erheben. ({14}) Nur am Rande möchte ich bemerken, dass die Freistellung von dem Verbot der außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsberatung im Zusammenhang mit einem noch zu verabschiedenden Rechtsdienstleistungsgesetz geregelt werden sollte. Da gehört sie nämlich hin. Abschließend möchte ich betonen, dass ich es begrüße, dass das Thema jetzt federführend bei den Rechtspolitikern gelandet ist. ({15}) Das verstärkt meine Hoffnung, dass wir auf sachlicher Ebene mit mehr Kompetenz und weniger Ideologie zu der notwendigen Umsetzung gelangen werden. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christel Humme, SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, bin ich nicht. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gehb, nach dem juristischen Seminar sollten wir uns jetzt den politischen Argumenten zuwenden. Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns in der letzten Legislaturperiode gelungen ist, ein einheitliches Antidiskriminierungsgesetz im Bundestag zu verabschieden. ({0}) Ich weiß, dass es nicht in Kraft getreten ist. Der Bundesrat hat Einspruch erhoben; jeder weiß das. Heute liegt es wieder als Gesetzentwurf der Grünen vor. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich stehe zu diesem Gesetz, genauso wie die SPD-Fraktion. Das ist ein gutes Gesetz; es ist ein guter Kompromiss, den wir auf den Weg gebracht haben. Wir wissen uns mit diesem Gesetz an der Seite der Betroffenen sowie an der Seite der Gewerkschaften, der Verbände und der Organisationen, die uns geholfen haben, dieses Gesetz zu gestalten. Ich nenne stellvertretend zwei Verbände: die Caritas und die Lebenshilfe. Dank der konstruktiven Kritik dieser Verbände ist es erst möglich gewesen, dass wir nach der Anhörung diesen wunderbaren Kompromiss auf dem Tisch des Hauses haben. ({1}) Der Erwartungsdruck hinsichtlich der Umsetzung der europäischen Richtlinie ist sehr hoch. Wir werden jetzt in der neuen Koalition aus CDU/CSU und SPD ({2}) - mit Ihnen auch, mal sehen - beraten müssen. Ich appelliere ganz bewusst an Sie: Stellen wir den Schutz vor Diskriminierung in den Mittelpunkt der Beratungen und machen wir das zu unserer gemeinsamen Aufgabe! Ich möchte Sie daran erinnern, dass sich die Regierung Kohl bereits 1997 mit der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages in Art. 13 verpflichtet hat, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung zu bekämpfen. Gerade weil diese Ratifizierung 1997 in Ihrer Regierungszeit vorgenommen worden ist, ist das Gesetz, das jetzt auf dem Tisch des Hauses liegt, eine hervorragende Grundlage für die weiteren Beratungen. ({3}) Ich nehme natürlich die Presse wahr, keine Frage. Da nehme ich mit Erstaunen zur Kenntnis, dass gerade die Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Frau Heinen, das vorliegende Gesetz kategorisch ablehnt. So zu lesen am 12. Januar dieses Jahres. ({4}) Sie lehnt es unter anderem ab, weil es ihrer Meinung nach zu weit über die Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien hinausgeht. Ich sage Ihnen: Wir haben dies in der letzten Legislaturperiode ganz bewusst getan. ({5}) - Hören Sie zu! - Wären wir nämlich nicht so vorgegangen, wäre im Zivilrecht beispielsweise das Merkmal „Behinderung“ nicht vorgesehen. Das hätte zur Folge, dass ein Mensch mit Behinderung und dunkler Hautfarbe vor Diskriminierung geschützt wird, ein Mensch mit Behinderung und weißer Hautfarbe aber nicht. Eine solche Ungleichbehandlung wollen wir nicht. ({6}) Ein Antidiskriminierungsgesetz, das schon so angelegt ist, dass es Merkmale diskriminiert, ist unlogisch aufgebaut und macht keinen Sinn. ({7}) Wie wir in den Reden gerade gehört haben, auch in Ihrer, Frau Dyckmans, wird gebetsmühlenartig behauptet, dieses Gesetz sei zu bürokratisch. ({8}) Das ist ein Argument, das oft auch von den Wirtschaftsverbänden vorgetragen wird. Offensichtlich sind sie sich da einig. Ich habe ab und zu den Verdacht, dass das pauschale Argument des zu hohen bürokratischen Aufwandes genau dann angeführt wird, wenn es darum geht, gesellschaftliche Fortschritte gerade für die Frauen zu verhindern. ({9}) Was sagen Sie als Kritiker denn den Frauen? Wie sollen sie Ihrer Meinung nach ihre Forderungen nach gleich842 wertigem Lohn für gleichwertige Arbeit einfordern? Was sagen Sie den Frauen, die es trotz besserer Qualifikation beim Aufstieg in die Führungsetagen noch immer bedeutend schwerer haben als ihre männlichen Mitbewerber? Das populistische Argument „zu viel Bürokratie“ hilft den Frauen nicht, Gleichstellung zu erreichen. Mit dem vorliegenden Antidiskriminierungsgesetz aber haben sie ein Instrument, das ihnen hilft, mit Unterstützung der Verbände ihre berechtigten Interessen im Kampf gegen Benachteiligung durchzusetzen. Es wird oft behauptet - auch Sie, Herr Gehb, haben das gemacht; Sie haben Ihre ganze Rede darauf aufgebaut -, das ADG stehe der Vertragsfreiheit entgegen. ({10}) Da frage ich mich natürlich: Welche Vertragsfreiheit meinen Sie eigentlich? ({11}) Meinen Sie die Vertragsfreiheit immer nur für den stärkeren Partner, zum Beispiel für die Arbeitgeber, ({12}) und nicht für den schwächeren Partner, zum Beispiel für die Behinderten? ({13}) Sie sind Jurist. Sie wissen ganz genau, dass wir Einschränkungen der so genannten Vertragsfreiheit, wie sie immer wieder beschworen wird, schon jetzt haben, ({14}) zum Beispiel im Verbraucherschutzgesetz. ({15}) Das hat mit Antidiskriminierung also erst einmal nichts zu tun. ({16}) Wir müssen Vertragsfreiheit zunächst für die Gruppe der Benachteiligten erreichen. Das ist mir wichtig. Auch das ist ein Ziel des Antidiskriminierungsgesetzes und ein Gebot der Verfassung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Humme, ich muss Sie zwischendurch auf Ihre Redezeit aufmerksam machen.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage noch zwei Sätze. Dann bin ich fertig. Ich gebe Frau Dyckmans Recht: Wir führen die Diskussion um das Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland meiner Ansicht nach viel zu verengt und viel zu polemisch. Ich bin überzeugt: Wirksamer Diskriminierungsschutz ist nicht wirtschaftsfeindlich und kein Widerspruch zu wirtschaftlichen Interessen. Ich wünsche mir für die nachfolgenden Monate, dass wir weniger aufgeregt diskutieren und dass wir genau hinschauen und juristische Spitzfindigkeiten nicht über die Interessen der Benachteiligten setzen. ({0}) Wenn wir das tun, dann bin ich davon überzeugt, Herr Gehb, dass wir es gemeinsam schaffen, auch im Interesse der Betroffenen, im Interesse der Menschen, für die wir gute Politik machen sollen, ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ilja Seifert, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, auch einige Betroffene auf den Besucherrängen zu sehen. Ich weiß, dass viele dieser Debatte mit sehr großer Aufmerksamkeit folgen. Ich grüße auch Sie draußen. Die Hilfe derjenigen, die betroffen sind, dabei, dieses Gesetz - wenn es geht, ein besseres, ein stärkeres Gesetz - durchzusetzen, ist sehr dringend. Ihre Rede, Herr Kollege, hat das sehr deutlich gemacht. Es ist sehr wichtig, dass wir von diesem Parlament aus allen Menschen sagen, zeigen und alle Menschen auch spüren lassen: Wer diskriminiert, ist in diesem Land geächtet. Und wer diskriminiert wird, hat die Unterstützung des Staates, auch die Unterstützung aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier in diesem Parlament. ({0}) Der heute wieder vorgelegte Gesetzentwurf geht nur sehr geringfügig - ich finde: viel zu wenig - über das hinaus, was die EU zwingend vorschreibt. Ich vermute sogar, wir würden uns mit den Kollegen der Grünen sehr schnell darüber einigen können, dass das eigentlich weiter gehen müsste. Es ist, finde ich, kein besonders gut ausgewogener Kompromiss, sondern ein sehr schwacher. Deshalb schlagen wir klipp und klar vor, das Gesetz mindestens an sechs Stellen zu verstärken. Ich will Ihnen auch gleich sagen, an welchen: Erstens geht es darum, anstelle des eingeschränkten Anwendungsbereichs des Benachteiligungsverbots ein klares Bekenntnis dafür abzugeben, dass es auf alle Schuldverhältnisse - meinetwegen mit Ausnahme des Familien- und des Erbrechts - ausgedehnt wird. Zweitens. Außer bei Gefahren für Leib und Leben des Betroffenen bzw. der Betroffenen oder von Dritten - darauf werde ich noch etwas näher eingehen - sollte es keine Ausnahmetatbestände beim Diskriminierungsverbot geben. Drittens. Wir brauchen ein echtes Verbandsklagerecht und nicht das Abtretungsrecht, wie es jetzt vorgesehen ist. Viertens. Das Gesetz braucht wirksame und natürlich verhältnismäßige, also dem erlittenen Schaden angemessene, und abschreckende Schadenersatz- und Schmerzensgeldregelungen, damit Diskriminierer, egal ob es sich um Personen oder Institutionen handelt, wissen, dass ihre Taten geahndet werden - momentan ist das leider nicht der Fall -, und zwar mit empfindlichen Strafen oder Geldbußen. Fünftens. Wir meinen, der Begriff „Rasse“ sollte in einem deutschen Gesetz nicht vorkommen. ({1}) Man kann anstelle dessen die Merkmale Hautfarbe, Sprache, Nationalität und Staatsangehörigkeit aufnehmen. ({2}) - Das heißt aber nicht, dass wir es nicht anders machen dürfen. ({3}) Sechstens. Arbeitgeber sollten zusätzlich verpflichtet werden, zum diskriminierungsfreien Verhalten innerhalb ihres Betriebs dadurch beizutragen, dass sie entsprechende Schulungen und andere auf das Verhalten zielende Maßnahmen durchführen. Lassen Sie mich jetzt noch zwei detaillierte Bemerkungen zu dem machen, was ich mit der Änderung der Ausnahmebestimmungen meine: Jetzt steht in § 20 des Gesetzentwurfs, dass es ausreicht, einen „sachlichen Grund“ geltend zu machen, um doch diskriminieren zu können. Was ist denn ein „sachlicher Grund“? Da kann alles Mögliche geltend gemacht werden; das ist viel zu schwammig. Deswegen sagen wir: Außer bei Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen bzw. der Betroffenen und von Dritten sollte es keine Ausnahmetatbestände geben. ({4}) Was bedeutet es, wenn in § 19 Abs. 1 des Gesetzentwurfs auf Schuldverhältnisse und Verträge abgehoben wird, die „ohne Ansehen der Person“ geschlossen werden? Da lache ich mich tot. - Entschuldigung! - Wenn ich einen Vertrag abschließe, sehe ich die Person, mit der ich den Vertrag abschließe, immer an. ({5}) - Deswegen sage ich ja gerade, dass dieser Ausnahmetatbestand abgeschafft werden muss. Er bringt nichts. Wir brauchen klare Verhältnisse. Es dürfen nicht Vorschriften erlassen werden, die dazu führen, dass dem Missbrauch des Gesetzes Tür und Tor geöffnet wird. ({6}) - Das sind Bevorzugungen. Die kann, ja muss es geben. Ich habe nicht gesagt, dass Bevorzugungen abgeschafft werden sollen. Das sind erforderliche Nachteilsausgleiche.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Seifert, da Sie ohnehin nur noch eine knappe Redezeit haben, möchte ich einen Vorschlag machen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da es zu diesem Gegenstand ganz offenkundig spontan keine hinreichende Übereinstimmung gibt, wird es sich gar nicht vermeiden lassen, das Thema in den Ausschussberatungen vertieft zu behandeln. Im Hinblick darauf lässt sich vielleicht auch das Maß an Zwischenrufen reduzieren, sodass das Thema hier im Rahmen der vereinbarten Redezeiten für heute hinreichend behandelt werden kann. ({0}) Herr Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident, für die freundlichen Hinweise. Die Kolleginnen und Kollegen könnten ja auch Zwischenfragen stellen. Ich denke, wir werden das auch im Ausschuss noch behandeln. Ich will nur noch eines sagen. Wenn in § 19 Abs. 3 steht, dass die „Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen“ ausreicht, um Diskriminierung zu begründen, dann heißt das, dass ein schwules Pärchen mit der Begründung abgelehnt werden kann, dass in der Gegend schon drei wohnen und ein viertes nicht geduldet werden kann. Das kann ja wohl nicht sein. ({0}) Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: Verhindern Sie Diskriminierung, schützen Sie die Diskriminierten! Dann werden wir vorankommen. Danke schön. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Karin Evers-Meyer. ({0}) Karin Evers-Meyer, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Antidiskriminierungsgesetz ist aus der Sicht der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen ein gutes und vor allem ein dringend notwendiges Gesetz. ({1}) Daran ändern auch die neuen Mehrheiten in diesem Hause nichts. Ich stehe uneingeschränkt zu dem, was dieses Gesetz sagt, und ich weiß, dass die mehr als 6 Millionen Menschen mit Behinderungen in unserem Land auf ein solches Gesetz warten. Das vorweggeschickt, gehöre ich aber nicht zu denjenigen, die ihre ganze Kraft in ein Projekt stecken, das am Ende nicht mehrheitsfähig ist. Der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, der hier heute erneut eingebracht wurde, hatte keine Mehrheit, jedenfalls nicht im Bundesrat. ({2}) Aus diesem Grund plädiere ich ganz entschieden dafür, dass die Bundesregierung möglichst umgehend einen eigenen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes vorlegt. ({3}) Die Zeit drängt. Deutschland hat bereits die Umsetzungsfristen versäumt und wir laufen jeden Tag mehr Gefahr, dass uns dieses Versäumnis nicht nur politisch, sondern auch finanziell teuer zu stehen kommt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Menschen mit Behinderungen brauchen einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung. Die Debatte um das Antidiskriminierungsgesetz im letzten Jahr war oft überlagert von Polemik und Halbwahrheiten, die der Sache sehr geschadet haben. Lassen Sie mich daher noch einmal kurz aus Sicht der Beauftragten für die Belange behinderter Menschen auf die Fakten eingehen: Im Bereich des Arbeitsrechtes haben wir mit dem § 81 SGB IX bereits heute einen gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung ({4}) wegen einer Schwerbehinderung, und zwar inklusive der viel zitierten Beweislastumkehr, die ja eigentlich gar keine ist, sondern lediglich eine Beweiserleichterung, ({5}) wie wir sie seit längerem etwa auch aus dem § 611 a BGB kennen. Weder der § 81 SGB IX noch § 611 a BGB haben die von Mitgliedern dieses Hauses gerne an die Wand gemalte Prozessflut ausgelöst. Im Gegenteil: Beide Regelungen haben sich in der Praxis bewährt und niemand fordert heute mehr ernsthaft eine Abkehr von diesen Regelungen. Das bedeutet ja nicht, dass man über die Einzelheiten in einem neuen Gesetz nicht diskutieren kann. Ich erinnere bei aller Aufgeregtheit nur noch einmal daran, dass die Spielräume so groß gar nicht sind. So sieht etwa die einschlägige Richtlinie für das Arbeitsrecht den Schutz von Menschen mit Behinderungen eindeutig vor. Nun wollen einige diesen Schutz behinderter Menschen im allgemeinen Zivilrecht, also beim Zugang zu Dienstleistungen, Gütern oder Wohnraum, nicht gewähren. Da gibt es starke Widerstände. Tatsächlich sieht die einschlägige EU-Richtlinie lediglich den Schutz vor geschlechtsspezifischer und ethnischer Diskriminierung vor. Nun frage ich Sie aber, meine Damen und Herren: Schutz im Arbeitsrecht ja, beim Zugang zu alltäglichen Massengeschäften nein? Wie wollen wir das den mehr als 6 Millionen behinderten Menschen und ihren Familien in Deutschland erklären? Das können wir nicht erklären. ({6}) Keiner von uns hier im Hohen Haus kann akzeptieren, dass Menschen aufgrund ihrer Behinderung keinen Tisch im Restaurant bekommen oder ihnen ein Hotelzimmer verweigert wird. Wenn wir das hinnähmen, wäre das gelinde gesagt eine Schande. ({7}) Es ist eine Schande, dass das täglich in Deutschland passiert. Ich kann Ihnen hierzu einen regen Schriftwechsel vorlegen. ({8}) Ich denke, in diesem Punkt ist die ganz überwiegende Mehrheit im Hause - über alle Fraktionsgrenzen hinweg meiner Meinung. Anders sieht das aber vielleicht bei den Versicherungsgeschäften aus. Da hat sich doch der eine oder andere durch die Versicherungen verunsichern lassen. Ich bin auch hier zu Gesprächen bereit, soweit sie sachlich geführt werden; denn ich bin davon überzeugt, dass am Ende auch hier jeder zu dem Ergebnis gelangen wird, dass es geradezu grotesk wäre, Menschen mit Behinderungen in diesem Bereich aus dem Diskriminierungsschutz auszuklammern. Es sind doch gerade behinderte Menschen, die oftmals einen erhöhten Versicherungsbedarf haben, und nicht die Angehörigen einer ethnischen Minderheit. Wie wollen Sie behinderten Menschen in Deutschland erklären, dass immer mehr private Lebensrisiken auf sie verlagert werden, immer mehr Eigenverantwortung von ihnen verlangt wird, ihnen aber auf der anderen Seite die Möglichkeit, diese Risiken zum Beispiel mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung, einer Lebensversicherung oder einer privaten Zusatzkrankenversicherung abzusichern, verwehrt bleibt? Das wäre in hohem Maße zynisch. Wer von den Menschen mehr private Vorsorge verlangt, der muss auch gewährleisten, dass alle MenBeauftragte der Bundesregierung Karin Evers-Meyer schen freien Zugang zu Versicherungsleistungen bekommen. ({9}) Eines will ich hier und heute ebenfalls festhalten: Der Wert eines Regierungsentwurfes eines Antidiskriminierungsgesetzes wird ganz entscheidend davon abhängen, ob dieses Gesetz auch Menschen mit Behinderungen im allgemeinen Zivilrecht vor Benachteiligungen schützen wird. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Evers-Meyer, ich nutze die Gelegenheit gerne, Ihnen für Ihre neue Aufgabe als Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen alles Gute zu wünschen. Sie wissen, dass Sie bei der Verfolgung dieser Aufgabe in allen Fraktionen engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben. ({0}) Für den Bundesrat erhält nun der Justizsenator des Freistaates Hamburg, Dr. Kusch, das Wort. ({1}) - Im Sinne unseres Zeitmanagements hoffe ich, dass der Justizsenator nicht einen allzu großen Teil seiner Rede auf die Klarstellung dieses Missverständnisses verwendet. ({2})

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Nein, denn seit der Debatte über den Bahnumzug ist Hamburg in Berlin bekannt genug. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Frau Schewe-Gerigk, und Ihren Fraktionskollegen herzlich bedanken, dass Sie mir gestern Gelegenheit zu einer wunderschönen Fahrt von Hamburg nach Berlin durch das verschneite Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gegeben haben. ({0}) Ich hatte eigentlich nicht vor, mich auf dieser Fahrt auf meine heutige Rede vorzubereiten, ({1}) sondern ich wollte Zeitung lesen. Ich habe also in der „Zeit“ herumgeblättert, dieses und jenes gelesen und blieb dann bei den Heiratsanzeigen hängen. Diese las ich nun nicht aus eigenem Interesse, sondern weil mich dann doch die heutige Debatte einholte. Ich wurde nämlich plötzlich stutzig und fragte mich, ob wir künftig noch das Vergnügen haben, in Zeitungen Heiratsanzeigen zu finden. ({2}) - Dann scheinen Sie eine bessere Juristin zu sein als ich. - Ich habe über diesen Punkt also nachgedacht und wurde so stutzig, dass ich mir die Mühe gemacht habe, die Experten der Justizbehörde in Hamburg anzurufen und nachzufragen, wie der Sachverhalt ist. Diese antworteten mir - das spiegelt Ihre Auffassung wider, Herr Gehb -: Der persönliche Bereich - wenn also jemand beispielsweise eine Anzeige schaltet, weil er einen Ehepartner sucht - werde vom Antidiskriminierungsgesetz nicht berührt. ({3}) Aber bei den Heiratsanzeigen von kommerziellen Heiratsvermittlern ist die Sachlage nicht so klar; denn sie diskriminieren im Interesse eines Dritten und nehmen Geld dafür. ({4}) Die Experten der Justizbehörde in Hamburg haben mir deshalb empfohlen, der Bundesregierung bei der Ausarbeitung eines neuen Gesetzentwurfs doch folgenden Ratschlag zu geben: Wenn man dieses Gewerbe schützen will - ich finde, es ist schützenswert; es hat sich noch niemand darüber beschwert, dass es Heiratsvermittler gibt -, dann müsste eine entsprechende Norm in das Gesetz aufgenommen werden, mit der der entsprechende Schutzbereich festgelegt wird. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?

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Nein; denn es gibt noch viel zu diesem Gesetz zu sagen. ({0}) Das zeigt die Schwierigkeit, vor der diese Bundesregierung steht und vor der die rot-grüne Bundesregierung vor einem Jahr stand. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, unglaublich komplexe Sachverhalte in Gesetzesform gießen zu wollen. Der Anspruch, dass Sie zentrale Erscheinungen unserer Gesellschaft in einige Paragraphen gießen und durch diese Paragrafen unsere Gesellschaft toleranter, gerechter und besser machen wollen, ist ein hybrider gesetzgeberischer Anspruch. Senator Dr. Roger Kusch ({1}) ({2}) Ich stimme Ihnen zu, Herr Gehb: Die EU-Normen sind aus Sicht eines Mitglieds der deutschen Gesellschaft zu weitgehend. Aber sie sind da und wir müssen sie umsetzen. Deshalb freut es mich, dass im Koalitionsvertrag steht, dass die Koalition aus CDU/CSU und SPD eine Eins-zu-eins-Umsetzung vorlegen wird. Selbstverständlich wird Hamburg einer solchen Eins-zu-eins-Umsetzung im Bundesrat zustimmen. Ich kann Ihnen aber auch sagen, welchem Gesetzentwurf wir auf keinen Fall zustimmen werden: einem Gesetzentwurf, in dessen Folge 5,6 Millionen Euro für eine überflüssige Institution ausgegeben werden. Wir haben nicht das Geld, für eine überflüssige Institution 5,6 Millionen Euro auszugeben. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Senator, es gibt einen neuen Wunsch der Kollegin Schewe-Gerigk zu einer Zwischenfrage.

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Da ich Sie sowieso ansprechen wollte, bitte ich Sie, auf Ihre Zwischenfrage zu verzichten. ({0}) Mir ist aufgefallen, Frau Schewe-Gerigk: Die Sicht eines Regierungsabgeordneten scheint eine ganz andere zu sein als die eines Oppositionsabgeordneten. ({1}) Wir hatten nämlich schon vor einem Jahr zusammen mit Herrn Röttgen und Herrn Scholz das Vergnügen, über dieses Thema zu diskutieren. Es ist Ihnen gelungen, mich mit einem Beispiel zu verblüffen, das ich ganz originell fand. Sie sagten mit relativ kämpferischem Gesichtsausdruck: Ich will nicht, dass jemand an einer Diskothek vom Türsteher abgewiesen wird, nur weil er Türke ist. ({2}) - Das haben Sie gesagt. ({3}) - Doch, ich erinnere mich sehr gut, dass Sie von „Diskothek“ gesprochen haben. ({4}) Ich bin nämlich auf dieses Beispiel eingegangen und habe Ihnen schon damals gesagt, dass ich den Umstand, dass wir in Großstädten wie Berlin, Hamburg, München und Frankfurt Diskotheken unterschiedlichen Zuschnitts haben und die einen 3 Euro für das Bier verlangen und die anderen 13 Euro - vielleicht gibt es sogar Diskotheken, in denen ein Bier 33 Euro kostet -, als gesellschaftliche Vielfalt und nicht als Diskriminierung empfinde. ({5}) Frau Schewe-Gerigk, nun haben Sie Ihr Beispiel geändert. Das Jahr, das seitdem vergangen ist, scheint Sie von den Realitäten unserer deutschen Gesellschaft noch weiter entfernt zu haben, als Sie es ohnehin schon waren. Denn heute haben Sie ein Beispiel gebracht, das an Absurdität überhaupt nicht zu überbieten ist. Ich habe nicht ein einziges Mal in Deutschland die Situation erlebt, dass jemand wegen seiner Hautfarbe aus einem Restaurant geschmissen wurde. ({6}) - Es kann sein, dass ich nicht alles kenne, was in Deutschland passiert. Aber wenn Ihnen die Diskriminierungsbekämpfung wirklich am Herzen läge, dann würden Sie sich für ganz andere Sachverhalte interessieren. ({7}) Dann würden Sie sich zum Beispiel für den Sachverhalt interessieren, dass es Strafverfahren wegen sehr schrecklicher Verbrechen gibt, denen eine Diskriminierung zugrunde liegt, ({8}) zum Beispiel dann, wenn eine Bande türkischer Jugendlicher eine zahlenmäßig etwas geringere Bande von Deutschrussen zusammenschlägt. ({9}) Das ist Diskriminierung und schrecklich. Dafür gibt es aber Gott sei Dank schon Strafgesetze. ({10}) Meine Damen und Herren, ich kann es mir nicht verkneifen, noch einen kurzen Gedanken an den Ergänzungsvorschlag der Linken zu verschwenden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Senator, darf ich zwischendurch fragen, ob meine Vermutung richtig ist, dass Sie keine Zwischenfragen zulassen wollen?

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Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Denn es hat jetzt mehrfach Anmeldungen gegeben. Das sortiert dann möglicherweise entsprechende Initiativen.

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Die Linken wollen jetzt, weil wir im bisherigen Entwurf viel zu wenige Diskriminierungsmerkmale haben, weitere Merkmale hinzufügen, zum Beispiel die Hautfarbe. Da frage ich mich: Warum nicht auch die Augenfarbe? ({0}) Es gibt genügend Leute, die schon ob ihrer Augenfarbe auf Ablehnung gestoßen sind. Zum Beispiel erinnere ich mich an ein Lied der neuen deutschen Welle, der Gruppe „Ideal“, das „Deine blauen Augen“ hieß. Es war damals ein Lieblingslied von mir, vielleicht deswegen, weil ich keine blauen Augen habe. ({1}) Sie können die Diskriminierungsmerkmale doch beliebig erweitern. Wenn Sie diesen Gedanken einmal zu Ende denken, dann muss man sich fragen, was das Diskriminierendste in Deutschland ist. Das Diskriminierendste ist, kein Geld zu haben. Das diskriminiert wirklich. Gehen Sie einmal durch die Friedrichstraße und drücken Sie Ihre Nase an den Schaufenstern platt, in denen Autos stehen, die für die meisten hier und für mich unbezahlbar sind. Es ist doch ziemlich diskriminierend, dass einige hineingehen und ein solches Auto kaufen können und es andere nicht können und ihre Nase platt drücken müssen. ({2}) Wollen Sie vielleicht auch noch die Armut im Gesetz als Diskriminierungsmerkmal verbieten? Mit einem Gesetz hätten Sie die gerechte Gesellschaft, von der Sie immer geträumt haben. ({3}) Sie werden mit dem Antidiskriminierungsgesetz einige Unschärfen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens bereinigen. Dabei wird Sie Hamburg im Bundesrat unterstützen, bei Übertreibungen aber nicht. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jerzy Montag.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin! - Herr Senator, ich wollte Ihnen sagen, dass ich es für keinen sehr guten parlamentarischen Stil halte, wenn Sie hier in den Deutschen Bundestag kommen - was Ihr verfassungsmäßiges Recht ist -, um als Mitglied einer Landesregierung zu reden, und wenn Sie sich dann Zwischenfragen so verweigern. ({0}) Ich will Ihnen allerdings auch sagen, dass ich Ihnen für den Beitrag, den Sie hier geleistet haben, dankbar bin, weil er in aller Öffentlichkeit klar macht, ({1}) zu welchen Gedankengängen Sie greifen müssen, um unser gutes Gesetz ablehnen zu können. ({2}) Wenn Sie noch nie gehört haben, dass in Deutschland ein Mensch wegen seiner Hautfarbe an einer Gaststättentür abgewiesen worden ist, dann sind Sie blind und taub durch Ihr Leben gegangen. ({3}) Es gibt neben vielen anderen, Herr Senator, einen Verband deutscher Staatsangehöriger schwarzer Hautfarbe; bei diesem Bundesverband können Sie sich solche Fälle im Dutzend abholen, damit Sie für die Debatten der Zukunft ein bisschen schlauer werden. Zu einem weiteren Punkt will ich Ihnen noch etwas sagen. Selbstverständlich wird es, sollte dieses Gesetz - was ich sehr hoffe - endlich ins Bundesgesetzblatt kommen, immer noch möglich sein, dass Heiratsannoncen jeglicher Art veröffentlicht werden. Aber ich finde es richtig, dass es keine gewerbliche Heiratsvermittlung in Deutschland geben darf, die folgende Annonce aufgibt: Wir suchen für unsere Kundschaft junge Männer, aber Juden nehmen wir nicht. - Wer in einer deutschen Zeitung eine solche Annonce veröffentlicht, der diskriminiert. Ich finde, wir brauchen ein Gesetz, das so etwas fühlbar verbietet. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Senator, Sie hätten die Möglichkeit, zu antworten. - Wenn nicht, gebe ich das Wort der Kollegin Christine Lambrecht von der SPD-Fraktion.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatten zu diesem Thema in der letzten Legislaturperiode haben sich immer durch einen Grundkonsens ausgezeichnet, nämlich den, dass wir uns hier alle einig waren, dass wir Diskriminierung gegenüber Behinderten, gegenüber Menschen mit einem etwas höheren Alter, ge848 genüber Menschen mit einer anderen Religion unerträglich finden. ({0}) Lediglich im Bezug auf die Instrumente gingen die Positionen auseinander. Ich muss allerdings sagen, heute habe ich etwas erlebt, was dieser Erfahrung widerspricht. ({1}) Denn Herr Kusch hat hier vorgetragen, dass es ebenfalls eine Diskriminierung sei - diese vergleicht er offensichtlich mit den eben genannten -, wenn sich Menschen teure Autos nicht leisten können. Herr Kusch, wenn Sie sich einmal die Briefe von Eltern anschauen, die im Urlaub in Gaststätten oder auch in Hotels vom Wirt aufgefordert wurden, doch bitte das Lokal zu verlassen, weil sich die anderen Gäste durch ihr behindertes Kind gestört fühlen, und wenn Sie diese Form von Diskriminierung, von Verletzung, von menschenunwürdigem Verhalten damit gleichsetzen, dass Sie sich, ich mir oder viele andere Menschen in unserem Land sich ein ganz teures Auto nicht leisten können, dann halte ich das für eine unerträgliche Einstellung. ({2}) Sie macht deutlich, dass wir dieses Gesetz dringender denn je brauchen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie haben angesprochen, dass wir diesen Gesetzentwurf eingebracht hätten, um eine EU-Richtlinie umzusetzen. Das war auch ein Grund, aber der Hauptgrund ist, dass wir das, was ich vorhin als Grundkonsens bezeichnet habe, nicht als eine Worthülse für Sonntagsreden ansehen, sondern endlich handeln wollen, weil wir der Meinung sind, dass die vielen guten Ansätze, die wir in unserem Land sehen, nicht ausreichend sind und dass jetzt dringend gehandelt werden muss, damit sich solche Fälle, von denen ich einen ja beschrieben habe, in unserem Land nicht mehr ereignen. Deswegen ist Handlungsbedarf gegeben. Deswegen gehen wir auch über die EU-Richtlinie hinaus. All denjenigen, die das immer wieder sagen, gebe ich Recht. Jawohl, im zivilrechtlichen Bereich gehen wir über die EU-Richtlinie hinaus. Ich verstehe auch nicht, wie man aufseiten der EU zwei so unterschiedliche Richtlinien, die eigentlich den gleichen Sachverhalt betreffen, erlassen konnte. Ich kann niemandem vermitteln - selbst dann, wenn ich diese Einstellung hätte -, warum die Diskriminierung wegen Rasse verfolgt und geahndet würde, aber die Diskriminierung wegen Behinderung oder Alter nicht. Dafür gibt es keine logische Erklärung. Das ist eine Differenzierung ohne sachlichen Grund und die wollen wir nicht. Deswegen sind wir für eine Erweiterung. Wir wollen, dass auch Menschen mit Behinderung bewirtet werden, dass Schwule und Lesben einen Lebensversicherungsvertrag abschließen können sowie ältere Menschen einen Kreditvertrag vermittelt bekommen, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Aus diesem Grunde erweitern wir die Merkmale um diese Punkte. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf die sachliche Ebene zurückkommen. Vielleicht kommen wir uns in den anstehenden Beratungen hier näher. Es geht nicht darum, dass sich der eine oder der andere durchsetzt, sondern darum, dass Menschen, die in unserem Land Diskriminierung erfahren, endlich sehen, dass vonseiten der Politik etwas dagegen getan wird. ({4}) Ich bin da sehr optimistisch, auch wenn einige Redebeiträge gezeigt haben, dass wir darüber noch mehr miteinander reden müssen. Herr Gehb, Ihre Rede insgesamt hat mich nicht optimistisch gemacht, nur die Tatsache, dass Sie mittlerweile wenigstens in einem Punkt offensichtlich einsichtig sind. ({5}) Sie haben nicht mehr von der Beweislastumkehr gesprochen - einer der ganz großen Punkte -, ({6}) dass nämlich derjenige, der angeblich diskriminiert, alles offen legen muss. Sie haben endlich erkannt, dass in unserem Gesetzentwurf nur eine Beweiserleichterung geregelt ist. Das ist auch richtig und gut so. Ich sehe: Dort gibt es Bewegung. Ich hoffe, sie geht in die richtige Richtung. In diesem Sinne blicke ich den anstehenden Beratungen sehr optimistisch entgegen. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit beende ich die Aussprache zu diesem Punkt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/297 und 16/370 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf: Vereinbarte Debatte Berichte über die Rolle von BND-Mitarbeitern vor und während des Irakkrieges Interfraktionell ist dazu verabredet, eineinhalb Stunden zu debattieren. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne hiermit die Aussprache und gebe das Wort für die Bundesregierung Herrn Minister Frank-Walter Steinmeier.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Meine Damen und Herren! Ich befürchte, die zurückliegenden zwei Wochen werden nicht als Höhepunkt der politischen Streitkultur in diesem Lande in die deutsche Geschichte eingehen, haben wir doch teilweise miteinander, teilweise gegeneinander, insgesamt, finde ich, jedenfalls zu wenig selbstbewusst eine Tagesordnung abgearbeitet, die von anonymen Zeugen aufgestellt und dann fast täglich erneuert worden ist. Ich weiß nicht, wie Sie es empfinden. Ich meine jedenfalls, als politische Klasse insgesamt haben wir uns keinen Gefallen getan, indem wir uns mit zu viel Demut vor der Inszenierung des politischen Skandals verneigt haben und so möglicherweise dabei sind, bewährte Instrumente und Voraussetzungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in Zweifel ziehen zu lassen. ({0}) Das dürfen wir nicht zulassen. Dies muss ein gemeinsames Interesse hier im Deutschen Bundestag sein. Ich sage auch, damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin für Offenheit, ich bin für Transparenz, ich bin für parlamentarische Kontrolle - auch der Nachrichtendienste. Ich habe mich persönlich an keiner Stelle der notwendigen Sachaufklärung und der politischen Debatte dazu entzogen. Vorwürfe müssen aufgeklärt werden. Fehlverhalten - bisher ist kein solches belegt worden - muss klar benannt werden. Das ist auch meine Meinung. Aber es geht mir darum, dass wir dabei die Rationalität, das Selbstbewusstsein und das Verantwortungsgefühl aufbringen müssen, die eines Landes wie Deutschland würdig sind. ({1}) Wir haben in den letzten Wochen in immer neuen Anläufen und mit immer neuen Meldungen über angebliche Skandale einen durchsichtigen Versuch erlebt, der nur dazu diente, ein einziges Ziel zu erreichen: das klare Nein der Bundesregierung zum Irakkrieg nachträglich ins Zwielicht zu rücken. Nun gibt es in der Geschichte der deutschen Außenpolitik der letzten 200 Jahre wahrlich viele Entscheidungen, die zu Selbstkritik oder mindestens zu Nachdenklichkeit Anlass geben. Darunter waren Fehleinschätzungen; Irrtümer - manchmal aus blinder Gefolgschaft, manchmal aus Selbstüberschätzung - finden sich reichlich. Ich bin von einem fest überzeugt: Das Nein zum Irakkrieg wird in den deutschen Geschichtsbüchern darunter nicht verzeichnet werden. ({2}) Ganz im Gegenteil: Nie war ich so überzeugt davon wie heute, dass wir für diese Entscheidung gute Gründe hatten. Aus meiner Sicht stimmt bis heute, dass die diplomatischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft waren, dass Belege für die Existenz von Massenvernichtungsmitteln und entsprechenden Produktionsanlagen nicht in ausreichendem Maße und überzeugend vorgelegt worden waren und dass vor allen Dingen das Risiko eines neuen unkontrollierten Brandherdes im Mittleren Osten umso höher war. ({3}) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Haltung der früheren Bundesregierung erläutern, wie sie Ihr Vorgänger, Frau Bundeskanzlerin, am 3. April 2003 von diesem Pult aus dargestellt hat: Deutsche Soldaten beteiligen sich nicht an den Kampfhandlungen. Das war der zentrale Satz zu Beginn. Weiter sagte er: Deutschland steht unabhängig von dieser klaren Entscheidung zu seinen Bündnisverpflichtungen. Wir dürfen nicht vergessen - das darf auch in unserem Land nicht vergessen werden -, dass es sich bei jenen Staaten, die jetzt Krieg gegen den Irak führen, um Bündnispartner und um befreundete Nationen handelt. Deshalb werden wir die ihnen gegebenen Zusagen jenseits unserer klaren Nichtbeteiligung auch einhalten. ({4}) Wir haben in der Folge dieser Entscheidung den USA und der Koalition Überflugrechte sowie Start- und Landerechte gewährt. Wir haben den Schutz von Militärobjekten in Deutschland übernommen. Wir haben die logistischen Basen weiterhin bereitgestellt. Selbstverständlich haben wir auch die Zusammenarbeit unserer Dienste nicht suspendiert. Das war unsere Haltung. Sie war nicht zweideutig und nicht geprägt von Doppelmoral. Sie war aus meiner Sicht richtig, differenziert und verantwortungsvoll. ({5}) Sie war richtig, weil die USA trotz aller Differenzen in der Zeit Partner und Verbündete blieben. Sie war richtig, weil unser gemeinsamer Gegner der internationale Terrorismus war und ist. Deutsche Soldaten - das dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen - standen damals gemeinsam mit Amerikanern, Franzosen, Briten und anderen in Afghanistan. Deutsche Marineeinheiten patrouillierten am Horn von Afrika und in Kuwait waren ABC-Schutzpanzer der Bundeswehr stationiert. Ich habe wegen der heutigen Debatte, wie Sie wissen, meine Nahostreise verkürzt. Ich habe gestern und vorgestern sehr lange und ausführliche Gespräche in Ägypten geführt, und zwar mit dem ägyptischen Staatspräsidenten, mit dem Außenminister und mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga. Drei Themen standen dabei im Vordergrund: das iranische Nukleardossier, Fragen der Proliferation und die Gefahren des islamistischen Terrorismus. Ich glaube, dass ich hier in diesem Hause nicht begründen muss, warum ich angesichts dieser internationalen Bedrohungen der Meinung bin, dass wir einen funktionsfähigen Nachrichtendienst brauchen. ({6}) Meine Damen und Herren, unabhängig vom Ausgang der heutigen Debatte wird es so sein: Um überhaupt politische Entscheidungen sachgerecht fällen, Spielräume erkennen und Optionen in der Außen- und Sicherheitspolitik gegeneinander abwägen zu können, werden wir auch künftig auf erstklassige Informationen, und zwar möglichst aus eigenen Quellen, angewiesen sein. Und: Wir brauchen die Zusammenarbeit der Dienste, ohne die es nicht gelungen wäre - das haben Sie doch alle in Erinnerung -, Anschläge in Europa, deren Planung möglicherweise sogar von Deutschland aus betrieben wurde, zu vereiteln. ({7}) Letztlich hat sich die alte Bundesregierung damals aufgrund dieser Überzeugung, dass wir eine eigene Erkenntnisgrundlage brauchen, entschlossen, zwei Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes auch in der Kriegsphase in Bagdad zu belassen. Das war keine einfache Entscheidung. Natürlich wussten wir, dass wir diese Mitarbeiter wenige Tage vor Ausbruch des Krieges - nicht genau wissend, wann er beginnt - Gefahren für Leib und Leben aussetzen würden. Die Bundesregierung hat dem Parlamentarischen Kontrollgremium über all diese Vorgänge vorgestern, am Mittwoch, ausführlich berichtet, auch über den Auftrag und die Tätigkeit dieser Mitarbeiter in Bagdad. Sie wissen, dass über die Ergebnisse der Beratungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums eine einstimmige Erklärung ergangen ist, die in der Sache, wie ich finde, sehr deutlich ist und die ich hier deshalb nicht im Einzelnen wiedergeben muss. Ich weiß, dass sich die Fraktionsvorsitzenden am kommenden Montag persönlich über die politischen Vorgaben, die Arbeitsweise und die Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes sowie über die Formen der Zusammenarbeit unterrichten lassen werden. Von all dem möchte ich nur eines hervorheben: Für mich ist klar, dass sich der Dienst und jeder einzelne Mitarbeiter selbstverständlich an die politischen Vorgaben der Bundesregierung zu halten hat. ({8}) Wie wir dargestellt haben, bestand für den Dienst die klare und eindeutige Auftrags- und Weisungslage, keine Unterstützung der operativen Kampfhandlungen zu leisten. Die Führung des Dienstes - das kommt noch hinzu - hat dargelegt, dass man sich im tatsächlichen Vollzug an diese Auftrags- und Weisungslage gehalten hat. Nach alledem bleiben für mich im Rückblick zwei Gesichtspunkte entscheidend: Erstens. Unser Land ist auch nach dem 11. September 2001 - Gott sei Dank! - von keinem Anschlag heimgesucht worden. Das hat mit Glück und hat auch mit Politik zu tun. Aber es ist ganz sicher auch das Ergebnis der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden, die in einigen Fällen - einen habe ich genannt - im Frühstadium von Anschlagsplanungen eingreifen konnten und vor allen Dingen in den letzten drei bis vier Jahren zur Aufklärung der islamistischen Strukturen in Deutschland und ihrer europaweiten Vernetzung beigetragen haben. Zweitens. Im Irakkrieg, den wir abgelehnt haben, sind keine deutschen Soldaten gestorben. Meine Damen und Herren, an diesen Wahrheiten würde auch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, wie sie von der Opposition angestrebt wird, nichts ändern. Ganz im Gegenteil: Über Monate, wenn nicht über Jahre hinweg würde der Versuch unternommen, eine Politik zu diskreditieren, die das erst möglich gemacht hat. Das würde zwar ganz bestimmt publizistische Aufmerksamkeit sichern. Aber vom Ende her betrachtet muss man sich fragen, ob die politischen Kosten die sicherlich erreichbaren kurzfristigen Geländegewinne nicht wesentlich übertreffen würden. Was würde geschehen in dieser Zeit? Ich sage durchaus ein bisschen mit Blick auf die FDP, Herr Westerwelle: Man müsste in dieser Zeit wahrscheinlich vieles opfern, für das Klaus Kinkel, Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik der Nachkriegszeit gestanden haben, und damit meine ich weiß Gott nicht nur die Fähigkeit der Dienste zur Zusammenarbeit - wobei diese Preisgabe von Souveränität und Sicherheit schlimm genug wäre -; nein, was ich befürchte, ist, dass wir ein Jahr lang, vielleicht sogar noch länger, dazu beitragen würden, dass Antiamerikanismus und NATO-Ablehnung in diesem Lande auch noch hoffähig gemacht würden. Das dürfen wir nicht zulassen. ({9}) Ich bitte auch die Grünen, es zu überdenken - nicht nur ob es ihnen gut tut, sondern auch ob es anständig ist, sich aus einer Politik zu verabschieden, für die wir gemeinsam Verantwortung getragen haben in der früheren Regierung, ({10}) einer Politik, die wir ja damals gegen erhebliche Widerstände durchzusetzen hatten. ({11}) - Um hier nichts zu verschütten, Herr Kuhn, sage ich Ihnen auch: Wenn es nicht um Klamauk geht, sondern um konkrete Vorschläge zur Gestaltung des - allerdings per se schwierigen - Spannungsverhältnisses zwischen dem Informationsanspruch des Parlaments und der Effektivität der Arbeit von Diensten und Sicherheitsbehörden, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die Bundesregierung einem solchen Gespräch verschließen wird. ({12}) Wenn ich die Zeitungsschau von heute Morgen zusammennehme, ist die FDP noch nicht gänzlich entschieden, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, Sie würden unterwegs viel über Bord werfen, was Tradition und Reputation Ihrer Partei in der Außenpolitik ausmacht, und ich habe beim Lesen der Zeitungen den Eindruck gewonnen, viele in Ihrer Partei wissen das. ({13}) Sie können mit einem Untersuchungsausschuss den Zug aufs Gleis setzen, aber ich prophezeie Ihnen: Der Bahnhof, auf dem Sie ankommen werden, wird ein anderer sein als der, an den Sie denken. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, ich will vorab drei Richtigstellungen vornehmen: Weder bei der heutigen Debatte noch bei der Diskussion über die Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses geht es um die Frage, ob es richtig oder falsch war, dass sich Deutschland am Irakkrieg nicht beteiligt hat. Die Freien Demokraten haben hier im Hause immer erklärt, dass wir den militärischen Alleingang für falsch gehalten haben; das hat Wolfgang Gerhardt hier klar zum Ausdruck gebracht. ({0}) Wir wollen, auch was uns angeht, keine Geschichtsklitterung. ({1}) Man muss Freie Demokraten auch nicht über die Notwendigkeit von Geheimdiensten belehren, Herr Minister. Wir wissen, dass man Geheimdienste braucht. Wir sind selber in Landesregierungen vertreten - übrigens genauso stark wie Ihre Partei - und, mit Verlaub, wir haben drei Jahrzehnte in der Außenpolitik gewirkt. Wir wissen also, dass man Geheimdienste braucht, und dies kann in keiner Weise in Zweifel gezogen werden. ({2}) Dann haben Sie, Herr Minister, davon gesprochen, wir würden hier dem Antiamerikanismus ein fruchtbares Feld bereiten. Das ist - bei aller Zurückhaltung wirklich ein starkes Stück! ({3}) Im Gegenteil: Wenn es im Rahmen der gesamten Debatte eine Partei und eine Fraktion gegeben hat, die sich von manchem antiamerikanischen Reflex, der in Wahlkämpfen so fruchtbar eingesetzt worden ist, ({4}) distanziert hat, dann waren das die Freien Demokraten. Das muss an dieser Stelle ganz deutlich gesagt werden. ({5}) Das gilt im Übrigen auch für die Kolleginnen und Kollegen von der Union. Sie dagegen haben einen Wahlkampf damit bestritten, in einem weiteren Wahlkampf haben Sie das versucht; nicht Sie persönlich, aber Sie wissen, dass Sie nicht alleine gearbeitet haben. Es geht, mit Verlaub gesagt, auch nicht allein um die Frage des Einsatzes des BND. Es gab eine ganze Verkettung von Vorfällen. Dadurch drängt sich der Eindruck auf, als hätten wir uns in Deutschland Grauzonen geleistet, als sei die Gefahr, dass rote Linien übertreten worden sind, doch zu groß. ({6}) Das, meine Damen und Herren, ist der eigentliche Punkt, um den es heute geht. Erstens. Wie wir erfahren mussten, ist ein deutscher Staatsbürger vom amerikanischen Geheimdienst entführt worden. Das ist ein skandalöser Vorgang. Wir wollen wissen, was die Regierung, als sie davon erfahren hat, dagegen getan hat - auch im Rahmen von Gesprächen - und was die Schlussfolgerungen daraus sind. Das muss aufgeklärt werden. ({7}) Ich denke, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Man stelle sich einmal vor, der deutsche Geheimdienst hätte einen amerikanischen Staatsbürger aus den USA verschleppt, misshandelt, in ein fremdes Land gebracht und dort fünf Monate lang festgehalten, und ein Abgeordneter oder ein Minister würde sagen, darüber wolle man öffentlich nicht sprechen, das könnte die Europäer ärgern, er wäre doch mit Schimpf und Schande nach Hause geschickt worden. So viel Selbstbewusstsein erwarte ich auch vom Deutschen Bundestag. ({8}) Das ist eine Frage des Rechtsstaates und unserer eigenen nationalen Souveränität. Dabei bin ich weiß Gott unverdächtig - ich bin Vorstandsmitglied der AtlantikBrücke -, dass ich hier irgendwelche antiamerikanischen Reflexe ausleben wollte. Der zweite wesentliche Vorgang: Die Bundeskanzlerin hat kurz vor ihrer Reise nach Washington und während ihres Besuches dort gesagt, Guantanamo müsse geschlossen werden, ein solches Lager passe nicht zu einem Rechtsstaat. Wir als Opposition haben ausdrücklich gesagt, dass das eine kluge und wohltuende Haltung war, die die Frau Bundeskanzlerin dort eingenommen hat. ({9}) Aber wenn man die Auffassung vertritt - offensichtlich sind wir alle dieser Meinung -, dass es solche rechtsfreien Räume nicht geben darf, dass Guantanamo Unrecht ist, dann ist es unakzeptabel, dass deutsche Beamte nach Guantanamo fliegen, um sich dort an Verhören zu beteiligen. Das wollen wir aufgeklärt wissen. ({10}) Uns wurde von der jetzigen Regierung mitgeteilt, dass der Generalbundesanwalt, der bei den Ermittlungen federführend ist, nicht einmal darüber informiert wurde, dass Beamte nach Guantanamo und übrigens auch nach Syrien gereist sind und dort in einem syrischen Foltergefängnis Vernehmungen vorgenommen haben. Das ist doch eine Frage, die uns in einem Rechtsstaat betrifft. Es geht deshalb nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung, es geht um das Selbstverteidigungsrecht des Rechtsstaates durch den Deutschen Bundestag. ({11}) Ein dritter wichtiger Punkt: Alle Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums haben erklärt, dass sich die Beamten, die dort vorgestern angehört worden sind, glaubwürdig geäußert haben. Das ist dann aber auch alles, was in der Erklärung steht. Mehr hineinzuinterpretieren ist in meinen Augen auch nicht zulässig. ({12}) - Es klatschen auch Mitglieder, die in dem Parlamentarischen Kontrollgremium gesessen haben. - Ich sage das deswegen, weil man sonst nicht mehr damit rechnen kann, dass man, wenn anschließend eine solche Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird, auf vernünftige Art und Weise miteinander umgeht. ({13}) Ich will in diesem Zusammenhang mit großem Nachdruck fragen: Warum erfahren wir eigentlich erst aus der Zeitung, dass BND-Beamte in Bagdad gewesen sind? Wieso haben Sie das nicht vorher dem Parlamentarischen Kontrollgremium berichtet, das dafür zuständig gewesen wäre? ({14}) Herr Außenminister, ich war seinerzeit bei Ihnen im Kanzleramt. Im Namen des damaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder haben Sie die Einladung ausgesprochen. Wir wurden als Partei- und Fraktionsvorsitzende informiert. Sie haben uns stets informiert auch über vieles Heikle und manches, was mehr als heikel gewesen ist. Niemals ist irgendetwas davon an die Öffentlichkeit gekommen. Über diesen Vorgang haben Sie weder uns noch das Parlamentarische Kontrollgremium informiert. Es muss doch die Frage erlaubt sein, warum nicht. Was spricht denn dagegen, dass das aufgeklärt wird? Ich finde übrigens: Wenn eine Regierung sagt, dass das nicht aufgeklärt werden soll und dass der Untersuchungsausschuss nicht eingesetzt werden darf, dann ist das - mit Verlaub - ein Anlass, darüber nachzudenken, ob er gerade deshalb nicht doch notwendig ist. ({15}) Ich appelliere deswegen auch an die anderen Kolleginnen und Kollegen, die ja genauso wie wir das Gefühl haben, dass sich am Schluss möglicherweise herausstellt, dass alles fabelhaft gewesen ist. Das mag so sein. Es ist ja der Sinn eines Untersuchungsausschusses, festzustellen, dass das Ergebnis entweder so oder so ist, und dass vielleicht auch andere Dinge besprochen werden können. Ich sage das ganz klar. ({16}) Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mal an die Debatte erinnere, die wir hier über den Visa-Untersuchungsausschuss geführt haben. Soll ich Ihnen mal zitieren, was die Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition aus SPD und Grünen gesagt haben, warum dieser VisaUntersuchungsausschuss völlig schädlich und absolut nicht notwendig sei, da alles in Ordnung gewesen sei? Mittlerweile weiß jeder, wie notwendig es war, dass der Deutsche Bundestag aufgeklärt hat. ({17}) Also: Wir Freien Demokraten wissen um die staatspolitische Verantwortung. Wir wissen aber auch, dass hier Grauzonen sichtbar geworden sind, die erhellt werden müssen. Das dient dem Rechtsstaat und das ist auch eine Frage des Selbstbewusstseins der parlamentarischen Kontrolle. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Opposition - oder auch ein Teil der Opposition - darauf verzichtet, dass hier aufgeklärt wird, was im Interesse unseres Rechtsstaates dringend aufgeklärt werden muss. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist circa eine Woche her, dass in der Öffentlichkeit Behauptungen und auch Vorwürfe über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes vor und während des Irakkrieges geäußert worden sind. Ich möchte unterstreichen, dass dies auch das Thema der heutigen Debatte ist. Es ist völlig in Ordnung und richtig, dass wir diese Debatte führen. Herr Westerwelle, dies ist das Thema und nicht der Irakkrieg als solcher und auch nicht Guantanamo oder Verhöre in Gefängnissen. Das sind andere Themen. Ich bin sehr dafür, dass wir uns in dieser Debatte auf dieses Thema konzentrieren, ohne die anderen Themen auszuschließen. Sie werden im Kontrollgremium und im Bundestag natürlich auch weiter eine Rolle spielen. Konzentrieren wir uns aber auf dieses Thema; denn es geht ja um einen erheblichen Vorwurf, der aufgestellt worden ist, nämlich um den Vorwurf der zumindest punktuellen aktiven Beteiligung an Kriegshandlungen und an der Kriegsführung der Amerikaner. Einen Tag nach Bekanntwerden dieser Behauptungen ist das Parlamentarische Kontrollgremium zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Wir haben am Mittwoch dieser Woche sechs Stunden getagt. Insgesamt haben wir jetzt rund zehn Stunden dazu getagt. Ich betone das nicht, um unseren Fleiß zu unterstreichen, sondern ich betone das, weil dieses Verfahren, die zügige Aufklärung im zuständigen Gremium, das ausdrückt, was ich allen Fraktionen zugestehe und was alle Fraktionen für sich in Anspruch nehmen, nämlich den Wunsch, die Behauptungen, die in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt haben, lückenlos aufzuklären. Das ist unsere Aufgabe. ({0}) Es verbindet uns, dass wir dies aufklären und der Öffentlichkeit auch transparent machen wollen, soweit es vertretbar ist. Darum möchte ich den einstimmigen Beschluss, den wir am Mittwoch gefasst haben, einmal in Auszügen vorlesen, um ihn auch hier im Parlament noch einmal zur Kenntnis zu bringen. Es sind Auszüge aus dem einstimmigen Beschluss. Ich zitiere: Die Mitarbeiter des BND, die vor Ort waren, haben glaubhaft bekundet, in keiner Weise, weder bei Vorbereitung noch bei Planung oder Durchführung, an der Bombardierung des Restaurants im Stadtteil Mansur am 7. April 2003 mitgewirkt zu haben. - Das war der schwerste und konkreteste Vorwurf, der gemacht worden ist. Diese Bekundung haben alle Mitglieder als glaubhaft angesehen. Diese Beteiligung hat es definitiv nicht gegeben. Das hat die Führung des Bundesnachrichtendienstes so mitgeteilt und die aktiv im Einsatz befindlichen Beamten haben das bestätigt. ({1}) Es ist wichtig, dass in diesem wichtigen Punkt Klarheit herrscht. Die Mitarbeiter des BND haben bekundet, dass es eine klare und eindeutige Auftrags- und Weisungslage gab, keine Unterstützung für operative Kampfhandlungen zu leisten. Die Bundesregierung hat dargelegt, dass diese Auftrags- und Weisungslage im tatsächlichen Vollzug eingehalten worden ist. Das Kontrollgremium wird diese Darlegungen der Bundesregierung unter anderem durch Akteneinsicht und erforderlichenfalls durch Beauftragung eines militärischen Sachverständigen überprüfen. Die Beschlusslage des Gremiums liegt vor. Wir haben es für wichtig gehalten, dass diese Informationen an die Öffentlichkeit gehen. Die Untersuchung ist noch nicht beendet, sondern wir wollen das, was mündlich durch die Bundesregierung vorgetragen worden ist, noch durch Akteneinsicht überprüfen. Aber ich möchte die Bewertung vornehmen, dass bis auf das letzte Beweismittel der Akteneinsicht, das noch aussteht, im Kontrollgremium eine sehr weitgehende Klärung erfolgt ist. Das ergibt sich aus dem dort festgestellten Sachverhalt. Gleichwohl begrüße ich für unsere Fraktion diese öffentliche Debatte ausdrücklich, die wir heute im Parlament dazu führen, obwohl wir in der Aufklärung dieses Falles sehr weit sind. Sie macht Sinn. ({2}) Sie ist nicht überflüssig. Es gibt auch ganz unterschiedliche Gesichtspunkte, die wir heute und in Zukunft weiter debattieren müssen. Ich möchte die drei wichtigsten Gesichtspunkte betonen, die aus meiner Sicht von großer politischer Bedeutung sind. Erstens. Das, was wir auch kontrovers diskutieren sollen, können und dürfen, ist die Frage: Was halten wir von der Entscheidung, Mitarbeiter des BND vor und während des Krieges dort zu platzieren, um eine eigene nachrichtendienstliche Erkenntnisgrundlage zu haben? Das ist eine politische Bewertung des Sachverhalts, um den es geht. Ich bin dafür, dass wir uns darauf konzentrieren. Ich möchte betonen, dass sich nach meiner Überzeugung die Bundesregierung diese Entscheidung nicht leicht gemacht hat, sondern es als eine sehr schwierige Abwägung nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Gefährdung der beiden Mitarbeiter angesehen hat. Zweitens. Es ist meine Überzeugung, dass diese Entscheidung in der Sache richtig war. ({3}) Es war richtig, im nationalen Sicherheitsinteresse eine eigene nachrichtendienstliche Erkenntnisgrundlage zu haben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit - mein Eindruck ist, dass ich da nicht für mich alleine spreche, sondern dass dies auch für andere Mitglieder des Gremiums gilt - hier im Parlament den beiden Mitarbeitern meinen Respekt ausdrücken, die wir im Gremium kennen gelernt haben, die um die Gefahren für ihr Leben wussten und in diesem Bewusstsein einen Dienst für unser Land und für die Sicherheit unserer Bürger geleistet haben. ({4}) Ich meine weiterhin, Herr Westerwelle, dass diese Debatte ein guter Anlass ist, über die Rolle der Geheimdienste zu reden. Darum möchte ich für unsere Fraktion deutlich machen - ich freue mich über den Konsens, das wird offensichtlich von allen so gesehen, aber es ist durchaus sinnvoll, das zu unterstreichen und zu betonen -, dass die Nachrichtendienste und die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung für unseren demokratischen Staat und die Kernaufgabe des Staates, alles für die Sicherheit der Bürger zu tun, unverzichtbar sind. Wir als demokratischer Staat brauchen Nachrichtendienste. ({5}) Ich glaube des Weiteren, dass die Bedeutung der Nachrichtendienste angesichts der Gefahren des internationalen Terrorismus gewachsen ist. Es ist wichtig, dass wir das im Parlament auf einer möglichst breiten Grundlage darstellen. Wenn das der Fall ist, dann haben wir alle ein Interesse an der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste. Auch das ist meines Erachtens Bestandteil eines begrüßenswerten Konsenses. Ich möchte betonen, dass ich nicht nur keinen Gegensatz zwischen der Funktionsfähigkeit und einer effektiven Kontrolle der Nachrichtendienste sehe, sondern auch der Auffassung bin, dass die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste von zwei Voraussetzungen abhängig ist. Wenn wir ihre Funktionsfähigkeit aufrechterhalten wollen, dann müssen wir sicherstellen, dass beide Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen müssen wir die internationale Kooperationsfähigkeit unserer Geheimdienste gewährleisten. Geheimdienste verlieren die internationale Kooperationsfähigkeit, wenn sie nicht mehr geheim operieren können. ({6}) Deshalb müssen wir im Sinne ihrer Funktionsfähigkeit und ihrer Kooperationsfähigkeit die Geheimhaltung der Geheimdienste gewährleisten. ({7}) Zum anderen müssen wir aber auch die innerstaatliche Akzeptanz der Nachrichtendienste sicherstellen. ({8}) Wenn ihnen die innerstaatliche und parlamentarische Akzeptanz fehlt, sind sie ebenfalls nicht funktionsfähig. ({9}) Um innerstaatliche Akzeptanz herzustellen, ist die effektive Kontrolle der Nachrichtendienste unerlässlich. ({10}) Diese kann nur auf einer Basis wechselseitigen Vertrauens stattfinden. Ich glaube, ich kann für das Parlament unterstreichen, dass wir den Anspruch und die Erwartung haben, dass wir - insbesondere das zuständige Gremium - offen, vertrauensvoll und frühzeitig informiert werden. Wir könnten es als Parlament nicht akzeptieren, wenn die Information erst dann erfolgen würde, wenn bereits in den Medien über entsprechende Vorfälle berichtet wurde. ({11}) In diesem Fall würde die Information zu spät erfolgen. Ich möchte aber genauso betonen, dass die Nachrichtendienste auf dieser Basis das Vertrauen des Parlaments verdienen. Darum kann es auch nicht richtig sein, dass schon ein Zeitungsbericht oder eine Fernsehsendung ausreicht, um das Vertrauen zu zerstören. Die Vertrauensgrundlagen müssen schon wechselseitig geschaffen werden. ({12}) Zur Akzeptanz gehört weiter - ich greife Ihren Hinweis auf -, dass wir eine Debatte führen und eine Entscheidung über die Grenzen des Einsatzes von Nachrichtendiensten treffen müssen. Wir haben nach meiner Auffassung in dieser Debatte noch nicht die notwendige Klarheit erzielt. Dass wir die Nachrichtendienste wollen, steht außer Frage. Aber wo sind die Grenzen ihres Einsatzes zu ziehen? Nachrichtendienstliche Tätigkeit findet in unserem Land wie jede staatliche Tätigkeit im Rahmen und unter der Bedingung von Rechtsstaatlichkeit statt. ({13}) Davon ist kein Bereich ausgenommen. Nachrichtendienste kooperieren aber auch mit Nachrichtendiensten aus Staaten, die keine rechtsstaatliche Ordnung haben. Wo in dem Spannungsverhältnis von eigenen rechtsstaatlichen Vorstellungen und der Informationsbeschaffung, die für die Sicherheitslage unseres Landes möglicherweise relevant ist - dabei geht es um die Frage der Verhöre -, Grenzen zu ziehen sind, ist zu justieren. Wir müssen diese Debatte führen und in dieser Frage eine Entscheidung treffen. Drittens müssen wir uns über den parlamentarischen Umgang mit diesem Vorfall im Zusammenhang mit den Nachrichtendiensten klar werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir einen angemessenen Umgang in dem Spannungsverhältnis, in dem sich die Nachrichtendienste bewegen, finden. Notwendig sind effektive Kontrollen. Die Bevölkerung hat einen legitimen Anspruch auf Information. Eine weitere Notwendigkeit besteht darin, die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste sicherzustellen. Mit diesen Notwendigkeiten wird das Parlament verantwortungsvoll umgehen. Ich komme zum Schluss. Als Parlamentarier möchte ich mir diese Bemerkung nicht verkneifen, Herr Außenminister. Das Recht, Untersuchungsausschüsse einzurichten, ist ein Minderheitenrecht des Parlaments. Ich verteidige dieses Recht ohne Einschränkung. Letztlich muss die Minderheit darüber befinden, ob sie von diesem Recht Gebrauch machen möchte. ({14}) Ich bin der Auffassung, dass sich das Parlament selber zu organisieren und darüber zu entscheiden hat. Ich habe keinen Zweifel an seinem verantwortlichen Umgang in diesem Spannungsverhältnis und seiner Entscheidung, mit welchen Instrumenten es an solche Fragen herangeht. Ich halte Ratschläge der Regierung, wie sich das Parlament sinnvollerweise zu organisieren habe, für unangemessen. Das ist Sache des Parlaments. Wir, die Parlamentarier, sollten darüber entscheiden. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Röttgen, bitte kommen Sie zum Schluss.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Ich möchte meinen Hinweis auf dieses Recht des Parlaments und die Zuversicht, dass wir alle damit verantwortlich umgehen, allerdings mit einer Bitte an alle Kolleginnen und Kollegen verbinden. Als aktiver Teilnehmer habe ich volles Verständnis für parteipolitische Auseinandersetzungen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es in diesem Fall um die Gewährleistung der Sicherheit unserer Bürger in einer Bedrohungslage geht, die sich auch gegen unser Land richtet. Ich appelliere: Wir sollten dies in den Gesprächen zwischen den Fraktionsvorsitzenden berücksichtigen und einen angemessenen Umgang finden. Wir haben zahlreiche andere Gelegenheiten für parteipolitische Darstellungen. Nutzen wir nicht dieses Feld dafür! Wir haben Verantwortung für das Land und die Bevölkerung. Wir werden ihr gerecht; darin bin ich mir ganz sicher. Danke sehr. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke im Bundestag will einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, aber nicht zur Selbstbeschäftigung und auch nicht zum parlamentarischen Schattenboxen. Wir sind der Meinung: Der Vorwurf etwa, dass der BND im Irakkrieg kriegswichtige Informationen an die USA gegeben habe, und weitere Vorwürfe müssen öffentlich nachvollziehbar aufgeklärt werden. ({0}) Ich möchte daran erinnern: Am 21. Juni des vergangenen Jahres hat das Bundesverwaltungsgericht ein bemerkenswertes Urteil gefällt. Es hat bekräftigt, dass der Krieg im Irak völkerrechtswidrig ist, und es hat festgestellt, dass Deutschland an ihm indirekt beteiligt ist. Das Gericht hat klargestellt: Eine Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Delikt ist selbst ein völkerrechtswidriges Delikt. ({1}) Der Bundestag und die Bundesregierung gingen damals mit bemerkenswerter Verschwiegenheit zur Tagesordnung über. Dabei ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine ganz schlimme Anklage. Damals wurde die „Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg“ mit der Gewährung von Überflugrechten für USamerikanische Militärflieger oder mit dem besonderen Schutz US-amerikanischer Einrichtungen auf deutschem Boden durch die Bundeswehr begründet. Inzwischen gibt es weitere Vorwürfe, die einer Klärung bedürfen. Was wusste die Bundesregierung von den so genannten CIA-Folterflügen? Was wusste sie von geheimen CIA-Gefängnissen in Europa und - vor allem was hat die Bundesregierung dagegen unternommen? ({2}) Hinzu kommt der Vorwurf, dass Sicherheitsdienste der Bundesrepublik Gefangene vernommen haben, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vordem gefoltert wurden. Aktuell ist zu klären, wie, auf welcher Grundlage und mit welchem Ziel der BND im Irak mit der Kriegspartei USA zusammengearbeitet hat und welchen Part dabei die Bundesregierung gespielt hat. ({3}) Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht nicht mehr um „Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg“, wie es noch vom Bundesverwaltungsgericht im Pfaff-Urteil festgestellt wurde. Der Vorwurf, der nun im Raum steht, lautet: Teilhabe an einem völkerrechtswidrigen Krieg. Das ist eine neue Qualität. Das ist ein so weit reichender Vorwurf, dass mir völlig unklar ist, warum sich die SPD gegen einen Untersuchungsausschuss sperrt. ({4}) Gerade sie müsste doch ein riesengroßes Interesse daran haben, diesen Vorwurf aus der Welt zu schaffen. Ich erinnere mich noch gut an die Großflächen, mit denen die SPD ihren Bundestagswahlkampf 2005 geführt hat. „Friedensmacht“ stand darauf. ({5}) Ich sage Ihnen, teure Genossinnen und Genossen der SPD-Fraktion: Ich persönlich wäre hoch erfreut, wenn sich all die Vorwürfe, die hier im Raume stehen, begründet und nachvollziehbar widerlegen ließen; denn ich will nicht, dass Deutschland ein Kriegsland ist. ({6}) Die CDU/CSU lehnt den Untersuchungsausschuss als überflüssig ab. Einige ihrer Worte fielen mit Blick auf die drei Oppositionsfraktionen auch drastischer als „überflüssig“ aus. Aber: geschenkt. Unverschämter fand ich ohnehin das, was der Fraktionsvorsitzende der Union, Herr Kauder, via ZDF den interessierten Bürgerinnen und Bürgern als Nachricht zugemutet hat. Alles, so sagte er nach der ersten Runde in dem PKGr, sei im zuständigen Kontrollgremium besprochen worden und zwei Drittel der Vertreter im Kontrollgremium seien mit dem Gehörten sehr einverstanden gewesen, also brauche man keinen weiteren Ausschuss. Ich finde, so veralbert man Bürgerinnen und Bürger, die ein Recht auf Aufklärung haben, ({7}) zumal ihnen ja täglich eingebläut wird, sie seien Deutschland. Sie hätten wenigstens dazu sagen müssen: Das Kontrollgremium ist ein Geheimklub, in dem die Vertreter der Fraktionen sich etwas anhören, was sie dann anschließend verschwiegen mit ins Grab nehmen dürfen, mehr nicht. - Sie hätten Ihre Rechnung auch ehrlicher vortragen können; denn die zwei Drittel, von denen Herr Kauder sprach, bringen schon die Vertreter von SPD und Union auf, also lediglich zwei Fraktionen. Die Vertreter der anderen Fraktionen waren also - nach allem, was man hört - mitnichten mit dem zufrieden, was dort erzählt wurde. Auch deshalb ist das Nachdenken über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungssausschusses folgerichtig. Und weil ich gerade beim Abwiegeln der Union bin: Ich kann das aus Ihrer Sicht sogar nachvollziehen. Schließlich hatten Sie ja eine andere Meinung zum Irakkrieg als die PDS und die Linksfraktion. Ihr Kollege Pflüger hat sich mehrfach als Kriegsbefürworter engagiert, selbst wenn der Krieg völkerrechtswidrig ist. ({8}) Folglich ist eine deutsche Beteiligung am Krieg im Irak für ihn sicherlich auch kein Skandal, sondern eher ein Liebesdienst an die USA, den man dann auch würdigen sollte. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran: Kurz bevor die USA in den Irak einfielen, demonstrierten allein hier in Berlin 500 000 Friedensbewegte gegen den drohenden Krieg. Weltweit waren es zig Millionen Menschen. ({9}) Danach ereiferte sich Friedbert Pflüger öffentlich, es sei eine Schande für Deutschland - so sagte er damals -, dass auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei dieser Friedensmanifestation dabei war. Ich könnte zum Beleg auch andere Kollegen der Union aufrufen. Aber da der Kollege Pflüger ja demnächst als Spitzenkandidat der Berliner CDU in den Landtagswahlkampf ziehen will, ({10}) möchte ich hier festhalten: Die Hauptstadt hat etwas Besseres verdient. ({11}) - Herr Pflüger soll da nicht gehört werden. Da brauchen Sie keine Angst zu haben. Der Parlamentarische Untersuchungssausschuss, den wir fordern, folgt übrigens noch einer ganz anderen Logik. Im 15. Bundestag waren für die PDS Gesine Lötzsch und ich vertreten. Wir hatten eingeschränkte parlamentarische Rechte, aber wir haben sie bestmöglich ausgeschöpft. So haben wir immer wieder Fragen zu Guantanamo, zu Menschenrechtsverletzungen im Krieg in Afghanistan und auch zur Beteiligung am Irakkrieg gestellt. Nach allem, was bislang bekannt ist, wurden wir in den Antworten der Bundesregierung getäuscht. Damit stellt sich ganz grundsätzlich die Frage nach der Rolle des Bundestages. Man kann nicht die Bürgerinnen und Bürger zur Wahl rufen, ihnen einreden, sie seien der Souverän, und ihren gewählten Vertreterinnen und Vertretern danach bedeuten, sie seien eigentlich nichts. ({12}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, appelliere ich an alle Mitglieder des Bundestages, egal ob Sie der Unionsfraktion angehören oder den Grünen: Im Scheinwerfer stehen hier zugleich die Würde des Bundestages und das Selbstwertgefühl der Abgeordneten. Sie wissen doch, dass viele Umfragen belegen, dass das Zutrauen in die Politik, in die Parlamente und in die Demokratie sinkt. Dagegen können wir mit Transparenz ein Zeichen setzen. Wir sollten es auch endlich tun. Mein letztes Wort geht an die Grünen. Die Medien melden und die Bürgerinnen und Bürger haben es zur Kenntnis genommen: Ein Untersuchungsausschuss kann nur einberufen werden, wenn die drei Oppositionsfraktionen dies gemeinsam wollen. ({13}) Seit gestern melden die Medien - auch das nehmen die Bürgerinnen und Bürger zur Kenntnis -, die drei Oppositionsfraktionen wollten es womöglich nicht, weil es Unstimmigkeiten zwischen den Grünen und der FDP gebe. Nun gibt es in der Tat keine Koalition in der Opposition. Aber es geht hier nicht um Allgemeinplätze und auch nicht um parteipolitische Profilierung, ({14}) jedenfalls nicht nach unserer Auffassung und, wie ich nach den Gesprächen mit den Liberalen festgestellt habe, auch nicht nach Auffassung der FDP. ({15}) Wir wollen keine völkerrechtswidrigen Kriege und wir wollen, dass Menschenrechte universell gelten. Wir wollen, dass die EU demokratisch gestaltet wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen zum Schluss kommen.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es geht also um mehr als nur um die Frage, ob zwei BND-Beamte im Irak aus dem Ruder gelaufen sind. Wir sollten uns dieser Untersuchungsaufgabe gemeinsam stellen und wir sollten nicht kleinkariert debattieren. Das Europaparlament hat es uns vorgemacht: Es hat gestern einen Ausschuss mit einem umfassenden Untersuchungsauftrag eingesetzt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Renate Künast vom Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte zeigt, dass sich der Untersuchungsauftrag schon gelohnt hat. Wir haben unseren Aufklärungsbedarf in dieser Sache in einem Fraktionsbeschluss bekundet. Wir wollen aufklären. Wir wollen eine Novelle des PKGr-Gesetzes, weil wir der Meinung sind, dass die Kontrolle, wie sie in der Vergangenheit stattgefunden hat, nicht angemessen ist, und wir wollen Transparenz in Bezug auf diese Vorfälle. Teilweise ist etwas durchgesickert, teilweise wurde regelrecht Desinformation betrieben. Vielleicht ist an der einen oder anderen Stelle auch die Wahrheit bekannt geworden. Die Drohung, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, hat längst gezogen. Was wir gemacht haben, war gut so. Es gibt im Parlamentarischen Kontrollgremium mittlerweile eine Vollständigkeit, wie es sie bisher noch nicht gab. Es gibt aber auch keinen Grund, hier irgendetwas gesundzubeten. Den PKGr-Mitgliedern wurde bezüglich el-Masri zweimal gesagt, man wisse davon nichts, obwohl zumindest der Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz oder der Vizepräsident des BKA davon wusste. So fing es an. Angesichts der Vielzahl der erhobenen Vorwürfe war es genau deshalb richtig, zu fordern, dass die schärfste Waffe des Parlaments eingesetzt wird. Man musste nämlich den Eindruck haben, dass man sich hinter den detaillierten Regelungen des PKGr-Gesetzes verschanzt. Auch wenn ich jetzt für die Grünen von der Möglichkeit einer besseren Entwicklung spreche, muss ich sagen: Glaubhafte Aussagen von BND-Mitarbeitern sind nicht alles, was an Aufklärung passieren muss. Auch darauf will ich hinweisen, damit es öffentlich nicht zu Fehlwahrnehmungen kommt. ({0}) Es gibt da noch jede Menge zu tun. Aber ich muss lobend erwähnen: Die Aufklärung geht voran. Genau das wollen wir Grüne. Wir haben ein Interesse an vollständiger Aufklärung. Alles, worüber wir in den letzten Tagen geredet haben, ist mit der Absicht verbunden, dass es ein öffentlich erkennbares, transparentes Ergebnis gibt. Lieber Herr Außenminister, ich meine, dass es an dieser Stelle kein Spannungsfeld zwischen dem Informationsinteresse des Parlamentes und den Geheimdiensten gibt. Dieses Spannungsfeld darf es gar nicht geben. Vielmehr geht es darum, wie man die Parlamentarier vollständig aufklärt und wie man - natürlich unter Wahrung des Schutzes von Menschenleben - der Öffentlichkeit dadurch ermöglicht, an der Debatte teilzunehmen, dass man die Fragen beantwortet, was geschehen ist und was an den Vorwürfen dran ist. Genau das ist der grüne Ansatz: Wissen, was war, und in einem Rechtsstaat öffentlich darüber diskutieren. ({1}) Herr Außenminister, ich muss den Vorwurf zurückweisen, wer einen Untersuchungsausschuss und Aufklärung wolle, verabschiede sich an dieser Stelle von der rot-grünen Regierungspolitik. Eines muss klar sein: Jeder Mann und jede Frau muss die Größe haben, zu ihrer eigenen Politik zu stehen und bei solchen Vorwürfen trotzdem zu erkennen, wann scharfe Aufklärungsarbeit nötig ist. Das gehört zur grünen Identität. ({2}) Ich sage in Richtung der beiden anderen Oppositionsfraktionen: Wir standen hier in Regierungsverantwortung, und zwar in sehr schweren Zeiten. Diese Zeiten sind auch nicht einfacher geworden, zum Beispiel was den internationalen Terrorismus anbelangt. Wir haben in der Regierungsverantwortung standgehalten, als andere wirklich massivste Register zogen. Wir in der rot-grünen Bundesregierung, vornan auch Joschka Fischer, haben gefragt und analysiert: Was ist da? Stimmen die Behauptungen der USA? Was kann ein Krieg dort auslösen, nicht nur im Irak, sondern in der gesamten arabischen Welt? Welche Auseinandersetzungen löst er darüber hinaus aus? Wir hatten die Fähigkeit, vorauszuschauen. Wir hatten auch den Mut, es zu sagen und an der Stelle zu stehen, als Stürme um uns tosten. Dies werden wir uns von niemandem nehmen lassen, schon gar nicht von der PDS oder der FDP. ({3}) „Geschichtsklitterung geht nicht“, sage ich Ihnen klar. Ich lasse mich nicht ins Bockshorn jagen, trotz aller Aufklärungsbemühungen. Auch von einem Pentagon858 Mitarbeiter, also einem Mitarbeiter der Macht, die vorher mit Lug und Trug behauptet hat, es gebe überzeugende Gründe für den Irakkrieg, lasse ich mich nicht ins Bockshorn jagen. Ich meine nicht, dass die per se Recht haben. ({4}) Herr Westerwelle, Sie haben gerade so schön erzählt, was alles mit den Freien Demokraten war und wie Herr Gerhardt hier gestanden hat. Herr Westerwelle, schön erzählt! Aber ich erinnere mich auch sehr gut daran, wie Sie mit anderen zusammen hier immer gebohrt und gesagt haben, die Bundesregierung halte ihr Wissen über Massenvernichtungswaffen im Irak zurück. Welch andere Motivation hatte das denn, als uns zu sagen: „Es ist falsch, dass ihr nicht mit Soldaten in den Irak wollt“? Sonst wäre das überhaupt nicht logisch gewesen. ({5}) Wir haben keine Soldaten in den Irak geschickt. Wir hatten den Mut dazu. Wir wissen aber auch - das erwarte ich eigentlich von allen und schon gar von einer Partei, die jahrelang berühmt gewordene und sehr angesehene Außenminister stellte; das ist hier auch immer gesagt worden -: Wir sind in der NATO und es bestehen Bündnisverpflichtungen. Daraus ergibt sich so manche Unterstützung oder so manches Bündnisverhalten. Daran kann man an der Stelle nichts ändern. Das bitte ich auch anzuerkennen. In Ihrem Entwurf für den Untersuchungsauftrag, Herr Westerwelle, steht - ich habe es erst nicht geglaubt und das Blatt noch einmal umgedreht -: Die Bundesregierung behauptet, nicht am Krieg teilzunehmen; tatsächlich aber hat Informationsaustausch zwischen dem deutschen Geheimdienst und dem US-Geheimdienst stattgefunden. - Was wollen Sie damit eigentlich anderes sagen als: „Es darf keiner stattfinden“ oder: „Man muss jegliche Zusammenarbeit, auch im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, aufgeben“? ({6}) - Sonst können Sie den Vorwurf nicht erheben. ({7}) Sonst müsste der Vorwurf anders lauten. ({8}) Er müsste dann lauten - dem wollen wir auch gern nachgehen -, dass man keine Weisung hatte - aber es gab ja eine - bzw. dass man die verletzt hat und meinetwegen Ziele geliefert hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Herr Stadler würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Stadler, bitte.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Künast, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie aus unserem Beschlussvorschlag für den Untersuchungsauftrag soeben falsch zitiert haben? Die Stelle, die Sie angesprochen haben, lautet nämlich richtig: Wie ist es zu bewerten, dass die Bundesregierung diese besagte Haltung eingenommen hat und auf der anderen Seite einen Informationsaustausch gepflegt hat? ({0}) Das ist eine Fragestellung. Wie wir erfahren haben, hat gerade die grüne Fraktion in den Gesprächen zum Untersuchungsauftrag zu Recht auf jedes Wort großen Wert gelegt, also darauf, den Untersuchungsauftrag präzise zu formulieren. Sind Sie daher bereit, zur Kenntnis zu nehmen, wie unser Vorschlag genau lautet? ({1})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Stadler, ich nehme zur Kenntnis, wie diese Formulierung genau lautet, auch wenn Sie sie jetzt nicht komplett vorgelesen haben. Aber trotz eines fehlenden Germanistikstudiums habe ich spontan das Gefühl: Sie sagt doch genau das aus, was ich hier gerade in die Welt gesetzt habe. ({0}) Ich habe mich in den letzten Tagen hin und wieder ein bisschen an so manchen populistischen Äußerungen gestört, die es auch seitens der FDP gab. Da wurde gesagt, mal von Herrn Stadler, mal von Herrn Gerhardt: „Es geht uns gar nicht um Details; es geht uns um die Verlogenheit der rot-grünen Bundesregierung“ oder so. Da wollte ich Ihnen eigentlich spontan anbieten, dass wir den Untersuchungsausschuss lassen und uns draußen auf der Wiese zum Raufen finden könnten. Mir ist bei einem Gespräch aber eines aufgegangen, nämlich dass mit solchen Sätzen von Herrn Gerhardt vielleicht gar nicht ich gemeint bin oder auch wir Grünen gar nicht gemeint sind. Wir wissen, wie strittig die Debatte über den Untersuchungsausschuss auch bei Ihnen in der FDP an der Stelle geführt wird. ({1}) Ich habe mich mittlerweile zu der These verstiegen, dass, wenn Herr Gerhardt rot-grüne Politik kritisiert und entlarven will, das in Wahrheit eine ganz perfide Strategie ist, den Untersuchungsausschuss - weil er sich Ihnen gegenüber, Herr Westerwelle, noch nicht ganz durchsetzen konnte - auf intelligente Art und Weise zu torpedieren. ({2}) - Herr Westerwelle, wir wissen, dass da ein interner Streit existiert. Wenn wir über Aufklärung reden, müssen alle Beteiligten fair und ehrlich sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Künast, der Kollege Westerwelle würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eigentlich nur, damit sich das nicht weiter festsetzt - ich habe das ja auch gelesen; es ist schon putzig, wie Sie das jetzt hier einführen -: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Fraktionsvorsitzende, Dr. Wolfgang Gerhardt, in der Fraktion als erster Redner den Antrag auf Beschlussfassung zugunsten eines Untersuchungsausschusses gestellt hat und dass die Fraktion bei Enthaltungen, aber ohne Gegenstimme dementsprechend entschieden hat? ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Westerwelle, dagegen, dass dieser Ablauf so war, kann ich jetzt logischerweise nicht argumentieren. ({0}) Ich weiß aber auch, dass das im Zweifelsfall nicht viel aussagt; denn die Spatzen pfeifen auch von den Dächern, dass Herr Gerhardt und andere Außenpolitiker in Ihrer Fraktion aufgrund des teilweise populistischen Getues erheblich leiden. Sie werden mir diese Bewertung nachsehen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen dann bitte auch zum Schluss kommen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte an dieser Stelle noch einen Satz zu Frau Pau sagen. Sie haben hier über Teilhabe und Beihilfe gesprochen. Sie kennen die Gerichtsentscheidung. Ich weise Sie aber auf eines hin: Wenn Sie diese Auseinandersetzung führen - auch ich führe sie; das alles geht ja nicht einfach an einem vorbei -, müssen Sie sich auch selber einmal fragen, warum zum Beispiel Ihr Fraktionsvorsitzender, als er noch Minister war, nicht als Erstes beschlossen hat, sich solcher Verpflichtungen zu entledigen, indem er als Minister im Bundeskabinett den Austritt aus der NATO beantragt. Dann hätten Sie auch das Folgeproblem nicht, nämlich gewisse Bündnisverpflichtungen. ({0}) - So ist das; das wissen auch Sie.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erinnere Sie noch einmal an die Redezeit.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Weil ich schon bei Herrn Lafontaine bin, sage ich Ihnen auch: Ich will die Debatte mit der PDS gerne aufnehmen. Wir alle reden über Folter. Ich wäre froh, wenn Deutschland das Zusatzprotokoll zur Antifolterkonvention längst unterzeichnet hätte. ({0}) Aber das ist an FDP-mitregierten Bundesländern gescheitert. Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, wo die FDP an der Regierung beteiligt ist, haben das nicht mitgetragen. Ich weiß, dass es auch bei Ihnen eine Debatte über das Thema Folter gibt. Wir alle wissen, dass Herr Lafontaine im Fall Daschner einen sehr lockeren Umgang pflegt, wie es, glaube ich, sonst niemand in diesem Hause tut. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich weise darauf hin, dass die Redezeit der GrünenFraktion jetzt fast komplett aufgebraucht ist. - Frau Lötzsch würde gerne noch eine Zwischenfrage stellen. Frau Künast, lassen Sie diese Frage zu?

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann bitte schön.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Künast, Sie haben soeben meine Kollegin Frau Pau in der Frage der Bündnisverpflichtungen angegriffen. ({0}) Sind Sie bereit, zuzugeben, dass die NATO ein Verteidigungsbündnis und kein Angriffsbündnis ist und dass die indirekte Unterstützung des Irakkrieges etwas mit Angriff und nicht mit Verteidigung zu tun hatte? ({1})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage kann ich gut verstehen, Frau Lötzsch. Ich sage Ihnen trotzdem an dieser Stelle: Wir und auch RotGrün haben zu jedem Zeitpunkt offen gelegt, dass wir - das ist hier vorhin schon einmal zitiert worden, und zwar aus einem Redebeitrag des damaligen Bundeskanzlers - keine Soldaten dorthin schicken, ({0}) dass wir aber in einer Vernetzung von Bündnisverpflichtungen stehen. Das habe ich hier klar gesagt. Davon gibt es auch nichts zurückzunehmen. Ich sage Ihnen noch einmal, weil mir diese Pfennigfuchserei ehrlich gesagt auf den Nerv geht - Sie tun schon wieder so, als gehe es nur darum, jemanden zu desavouieren -: Wir reden in diesem Zusammenhang auch über internationalen Terrorismus und Gefährdungen für dieses Land. Ich bin, obwohl Oppositionsvertreterin, nicht bereit, hier eine unverantwortliche Vorführung zu geben. Ich weiß: Wir brauchen in einem demokratischen Rechtsstaat Geheimdienste. Diese müssen aber scharf kontrolliert werden. Die Abgeordneten und die Menschen müssen wissen, was gewesen ist. Wir müssen an dieser Stelle auch die Sicherheit unserer Bevölkerung garantieren. Genau das wollen wir tun. ({1}) Noch eine Bemerkung zum Schluss. Der Untersuchungsauftrag von uns liegt vor. Damit ist klar, was wir untersuchen wollen. Wir stehen hinsichtlich der Aufklärung der Fragen meines Erachtens allenfalls am Anfang. Wir sind bereit, am Montag mit den anderen Fraktionsvorsitzenden über das weitere Vorgehen zu reden. Aber ich sage Ihnen ganz klar: Es geht um die Aufklärung der Fragen und um einen öffentlichen Diskurs. Darunter geht gar nichts. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Diether Dehm.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich hatte diesen Beitrag eigentlich als Frage angelegt, als ich Sie, Frau Künast, noch am Pult wähnte. Ich muss - ebenfalls in Ermangelung eines Germanistikstudiums - fragen: Sind die Grünen jetzt dafür oder dagegen? ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Künast, bitte bleiben Sie mit Ihrer Antwort unter drei Minuten.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke für den Hinweis, Frau Präsidentin. - Herr Dehm, Sie hatten nun die Lacher auf Ihrer Seite. Wir haben also gemeinsam, dass wir beide kein Germanistikstudium haben. Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Fragestellung, so lustig sie auch ist, war mir angesichts der Wichtigkeit dieses Themas unterkomplex. ({0}) Wir haben einen Untersuchungsauftrag gestellt und die Fragen vorgelegt. Wir haben dies getan, weil die Aufklärung mit konventionellen Mitteln bisher nicht funktioniert hat. Ich sehe, dass wir jetzt einen Schritt weiter sind. Ich habe Ihnen keinerlei Signal gegeben, dass ich diesen Auftrag jetzt zurückziehe. Um das zu verstehen, brauchen Sie kein Germanistikstudium. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Ulrich Klose, SPD-Fraktion.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich äußere mich in dieser Debatte aus der Sicht eines Außenpolitikers. Außenpolitiker sind für ihre tägliche Arbeit auf vielfältige Informationen angewiesen. Man kann sogar sagen: Ein großer Teil unserer Arbeit besteht aus Informationserarbeitung, -verarbeitung und -auswertung. Zu unseren Informanten gehört auch der BND, der in der Regel auf Anforderung in mündlicher oder schriftlicher Form berichtet. Seine Berichte sind, auch wenn sie nicht qualifiziert sind, ihrer Natur nach vertraulich bzw. nicht öffentlich. Letzteres gilt ganz generell auch für die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses. Als Konsequenz daraus folgt, dass wir über die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses immer nur zur Sache, nicht aber zur Person berichten. Diese Grundregel wird weitgehend eingehalten und erlaubt es, in einer sehr offenen Weise miteinander zu debattieren, was ich immer als großen Vorzug des Auswärtigen Ausschusses empfunden habe. Die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes haben uns bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass es bei ihren Analysen nicht nur um Tatsachen, sondern immer auch um Interpretationen und Bewertungen geht. So auch in dem einen viel diskutierten Punkt, der vor dem Irakkrieg und auch später eine erhebliche Rolle gespielt hat. Ich rede von den so genannten rollenden Containern, in denen, wie es hieß, Biowaffen produziert wurden. Der Bundesnachrichtendienst hat uns und - soweit wir richtig informiert sind - auch die Amerikaner rechtzeitig über die problematische Quellenlage unterrichtet und keinen Zweifel an seinen eigenen Zweifeln gelassen. Das ist nicht unwichtig, weil bis zum heutigen Tage immer wieder behauptet wird, der BND habe mit Falschmeldungen Begründungen für den Irakkrieg geliefert. Das hat er nicht, auch wenn es in den amerikanischen Medien gelegentlich anders dargestellt wurde. Dass der BND auch während des Irakkrieges im Irak tätig war, wussten wir - ohne die Einzelheiten zu kennen. Ich selbst habe es immer für richtig gehalten, zum einen, weil wir ein unmittelbares deutsches Interesse an eigenen Informationen hatten. Hatten wir doch den Amerikanern nach den Anschlägen von New York und Washington unsere „uneingeschränkte Solidarität“ zugesagt. Wir wussten oder vermuteten, dass der Irakkrieg das terroristische Problem verschärfen könnte. Das war doch einer der Gründe dafür, warum die damalige Bundesregierung eine Beteiligung am Irakkrieg ablehnte und sich insgesamt skeptisch äußerte. ({0}) Joschka Fischer dazu: „I’m not convinced.“ Zum anderen war die Bundesrepublik schon zum damaligen Zeitpunkt in der Region engagiert und mit Soldaten in Afghanistan, Kuwait und am Horn von Afrika präsent. Es war daher für uns wichtig, aus eigener Anschauung zu erfahren, wie die Dinge im Irak und in der Region sich entwickelten: Gab es im Irak, wie vermutet, Massenvernichtungswaffen? Würden sie eingesetzt und mit welchen Folgen? Die Befürchtungen, dass sie eingesetzt würden, waren im Übrigen nicht unplausibel; denn immerhin hatte Saddam Hussein zweimal vorher chemische Waffen eingesetzt: ({1}) im Krieg gegen den Iran und gegen die eigene kurdische Bevölkerung. Die Bundesregierung, die Regierung Schröder, hat deshalb richtig entschieden, als sie dem BND den Auftrag erteilte, auch nach Schließung der Deutschen Botschaft im Irak zu bleiben, um die Lage für sich und in Kooperation mit befreundeten Diensten zu beobachten und zu analysieren. Das ist nicht zu kritisieren. Das ist im Gegenteil zu loben. ({2}) Anders wäre es, wenn, wie jetzt behauptet, die BNDMitarbeiter operativ kriegsunterstützend tätig geworden wären, zum Beispiel bei der Definition von Zielen für amerikanische Bombenangriffe. Das ist, wie auch das Parlamentarische Kontrollgremium einstimmig festgestellt hat, nicht geschehen. Die Aussagen der beiden BND-Mitarbeiter seien glaubhaft, so die Erklärung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, was doch nur heißen kann: Wir, die Mitglieder dieses Gremiums, glauben ihnen, nachdem wir über sechs Stunden mit ihnen darüber verhandelt haben. Vor Gericht jedenfalls, lieber Kollege Westerwelle, reicht das aus. ({3}) Was bleibt nach allem für einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema übrig? Zur Sache nichts, jedenfalls nicht viel; allenfalls die Frage, warum jetzt, zu diesem Zeitpunkt, anderes behauptet wurde, und von wem. ({4}) Dazu gibt es die üblichen Verschwörungstheorien, an deren Verbreitung ich nicht mitwirken möchte. Die Gerüchtemacherei kann meines Erachtens in einer Grauzone bleiben, zumal diese Dinge nach meinen Erfahrungen niemals vollständig aufgeklärt werden. Auch Desinformation gehört bisweilen zum nicht immer erfreulichen Geschäft geheimdienstlicher Aktivitäten. ({5}) Deren vollständige Offenlegung in allen Details und vor aller Öffentlichkeit zu fordern, gehöre zum Geschäft der Medien und der Opposition, entnehme ich den Beiträgen der Opposition am heutigen Tage. Ich kann dem aber nicht zustimmen. ({6}) Es liegt nun einmal in der Logik geheimdienstlicher Aktivitäten, dass sie in großem Umfang im Geheimen geleistet werden, um effektiv zu sein. Auf Effektivität sind wir alle aus Gründen der Sicherheit angewiesen. Wir wissen doch: Den Kampf gegen den internationalen Terrorismus können wir nur gewinnen, wenn wir ein verlässliches Netzwerk von Informationen und Kooperation aufbauen. Niemand - ich wiederhole: niemand - kann ein Interesse daran haben, dass der BND als geheimdienstlicher Koalitionspartner verbrannt wird. Die Gefahr, dass dies geschieht, ist nicht klein, vor allem dann nicht, wenn die Motive der Aufklärungsbemühungen diffus sind, und das scheint mir hier der Fall zu sein. Die Besorgnis über die mangelnde Kontrolle der Geheimdienste will ich damit nicht kleinreden, Herr Kollege Westerwelle. Sie ist umso mehr berechtigt, je intensiver die Dienste international kooperieren. Damit müssen wir uns als Parlamentarier im Bundestag und zusammen mit unseren parlamentarischen Kolleginnen und Kollegen in den Partnerländern beschäftigen, und zwar zu gegebener Zeit, nicht innenpolitischem Kalkül folgend und schon gar nicht im Schnellverfahren. Die SPD-Fraktion, genauer: die Arbeitsgruppe Außenpolitik meiner Fraktion, hat mit solchen Beratungen bereits begonnen und wir laden die anderen Fraktionen ausdrücklich ein, sich an unseren Beratungen zu beteiligen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen bitte zum Ende kommen, Herr Klose.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aus außenpolitischer und parlamentarischer Sicht wäre dies die angemessene Verhaltensweise. Ich fände es gut, wenn wir uns darauf verständigen würden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Klose, ich habe mich über Ihre Rede geärgert. Ich habe mich auch über die Berichterstattung - die ich heute in den Zeitungen gelesen habe - über die Sitzung des PKGr, deren Folgen und den Bericht geärgert. Ich werfe der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen vor, dass sie das PKGr und die Geheimhaltungspflicht im PKGr bewusst missbrauchen. ({0}) Sie delegieren die Aufklärung der gravierenden Vorwürfe - wir sind uns ja einig, dass die Vorwürfe, die erhoben werden, gravierend sind - in das PKGr und kommen anschließend auf der Grundlage von Berichten aus dem PKGr zu völlig unzutreffenden Schlussfolgerungen. ({1}) Das PKGr hat nicht festgestellt, dass an den Vorwürfen nichts dran ist, wie das Herr Minister Steinmeier gestern von Kairo aus verlauten ließ oder wie Kollege Kauder es nach der letzten Sitzung des PKGr festgestellt hat. Vielmehr hat das PKGr in seiner Erklärung - der Kollege Röttgen hat sie ja heute zum Teil zitiert - lediglich festgestellt, dass ein Teil der Angaben der beiden Zeugen vom Bundesnachrichtendienst glaubhaft war. Das PKGr hat darüber hinaus festgestellt, was die Bundesregierung berichtet hat. Damit ist überhaupt nichts darüber ausgesagt, was daran richtig oder falsch ist. Es handelte sich hier ja um Angaben - wenn Sie so wollen - von „Beschuldigten“. ({2}) Denn es werden ja Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst, gegen einzelne Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes in der Öffentlichkeit erhoben. Dazu haben sie Stellung genommen. Die Stellungnahme ist jetzt in Halbsätzen wiedergegeben worden. Ob diese Stellungnahme richtig ist, hat das PKGr nicht festgestellt. Vielmehr handelt es sich dabei lediglich um Angaben von „Beschuldigten“, bei denen eine Überprüfung notwendig ist. ({3}) Ich sage Ihnen: Die Angaben, die hier von „Beschuldigten“ gemacht worden sind, sind vor allen Dingen auch deshalb zweifelhaft, weil ich in diesem Gremium - gerade in Sachen el-Masri - die Erfahrung gemacht habe, dass von der Bundesregierung in der Vergangenheit falsch informiert worden ist. Deshalb sind Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung zunächst berechtigt und begründet. Deshalb muss die Arbeit fortgesetzt werden; deshalb müssen die Akten eingesehen werden und deshalb muss jede weitere Möglichkeit, Klarheit und Wahrheit in diese Angaben hineinzubringen, genutzt werden. Und dazu gehört auch die Arbeit eines Untersuchungsausschusses. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Klose, bevor Sie antworten, gebe ich das Wort noch dem Kollegen Gehrcke ebenfalls zu einer Kurzintervention.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Klose, Sie haben die Bedeutung von Sachauskünften, Vorträgen und Berichten des Bundesnachrichtendienstes gerade für die Arbeit des Auswärtigen Ausschusses unterstrichen. Da kann man sehr geteilter Meinung sein. Ich habe immer meine Zweifel an den Berichten der Geheimdienste; das steht aber jetzt nicht zur Debatte. Wenn es denn so ist, erklären Sie mir doch bitte, warum der Chef des Bundeskanzleramtes, Herr Thomas de Maizière, in einem Schreiben an den Parlamentspräsidenten mitgeteilt hat, wonach er angewiesen habe, dass Beamte des BND zu Auskünften gegenüber dem Auswärtigen Ausschuss, dem Menschenrechtsausschuss und dem Innenausschuss in dieser Angelegenheit nicht mehr zur Verfügung stehen und die Ausschüsse nicht mehr informieren dürfen. Das heißt, alle Informationen, die gegeben werden, wandern ins Grab der Verschwiegenheit des angeblichen Kontrollgremiums, das Parlament wird ausgeschaltet und die Beamten der entsprechenden Dienste dürfen nicht mehr vor den Ausschüssen des Parlaments Auskunft geben. Genau so geht es nicht und genau deswegen brauchen wir einen solchen Untersuchungsausschuss. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Klose.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Ströbele, ich gehöre auch zu denjenigen, die nicht Germanistik studiert haben, aber Jura. ({0}) Ich habe in meinem früheren Leben auch als Jurist gearbeitet, genauer gesagt als Staatsanwalt. Aus dieser Erfahrung muss ich Ihnen sagen: Wenn ich damals in meiner Bewertung und dem Plädoyer von einer Aussage gesagt habe, sie sei glaubhaft und der Zeuge sei glaubwürdig, dann hieß das: „Ich glaube ihm“ und nicht: „Ich zweifle an dem, was er gesagt hat“. ({1}) Deshalb scheint mir in Wahrheit der Teil Ihrer Aussage richtig zu sein, in dem Sie ein Unbehagen über das Verfahren in dem Parlamentarischen Kontrollgremium überhaupt äußern. Ich bin durchaus bereit, darüber zu reden, ob dabei irgendetwas verändert werden muss, ob so etwas wie ein Instanzenzug eingebaut werden muss, um das Verfahren effektiver zu machen. Auf der Ebene eines „Ich glaube“ bzw. „Ich glaube nicht“ zu operieren, scheint mir diesem Verfahren nicht angemessen. Das sollten wir dann auch lassen. ({2}) Und zu dem Kollegen Gehrcke: Sie sollten sich Ihre generellen Zweifel an Aussagen der Geheimdienste ruhig erhalten. ({3}) Das macht ja nichts. Ich glaube nur, dass Ihre Anfrage im Wesentlichen an die Bundesregierung gerichtet war; denn das, was wir als Parlamentarier bisher mit dem BND erlebt haben, entspricht dem, was Sie gesagt haben, nicht. Wenn wir als Parlamentarier vom Bundesnachrichtendienst eine Auskunft haben wollten und einen angemessenen Zeitpunkt gefunden hatten, haben wir diese uneingeschränkt bekommen. Unser Verhalten sollte darauf gerichtet sein, das auch in Zukunft sicherzustellen. Wenn Sie dabei mithelfen würden, wäre ich Ihnen dankbar. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Maurer von der Fraktion Die Linke.

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klose, ich unterstelle zu Ihren Gunsten, dass Sie als Staatsanwalt Plädoyers erst dann gehalten haben, wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen war. ({0}) Ich unterstelle zu Ihren Gunsten, dass Sie eine Würdigung des Beweisergebnisses durchgeführt und sich nicht auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen reduziert haben. Ich will eine schlichte Feststellung für uns treffen: Wir haben zwei Versionen: die Aussagen der Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und die Behauptungen eines hochrangigen Offiziers des amerikanischen Nachrichtendienstes DIA gegenüber den Medien. ({1}) Es ist nichts aufgeklärt. Das entnehme ich den Veröffentlichungen. Wir haben auch keinen „Beschluss“, wie es der Kollege Röttgen genannt hat. ({2}) Es handelt sich vielmehr um das Protokoll des Beginns einer Beweisaufnahme, bei der bei weitem nicht alle Beweismittel erhoben und bei weitem nicht alle Zeugen gehört wurden. ({3}) Wer aus einem Protokoll einen Beschluss macht, versucht damit, die Öffentlichkeit zu täuschen. ({4}) Deswegen gibt es an dieser Stelle großen Aufklärungsbedarf. Wir stellen mit großer Verwunderung fest, dass der Bundesnachrichtendienst gegenüber dem „Stern“ offensichtlich wesentlich auskunftsfreudiger ist als gegenüber dem Deutschen Bundestag.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Maurer, Herr Röttgen würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde dies gern noch mit Ihrer Genehmigung zitieren und dann die Frage zulassen. Ich entnehme dem „Stern“: Den Amerikanern wurden im Krieg überdies „allgemeine Lageberichte überlassen“, räumt ein hochrangiger Geheimdienstmann in Pullach ein. In sie flossen über die BND-Abteilung 3 ... auch Erkenntnisse, die die zwei Agenten aus Bagdad lieferten. ... Der Geheimdienstler „will nicht ausschließen, dass in den Berichten noch etwas zu finden ist, das sich irgendwie hochziehen lässt“. Doch „selbst wenn in den allgemeinen Berichten mal von beobachteten Militärkolonnen die Rede gewesen sein sollte, dann bekamen die Amerikaner das ja zeitverzögert ... Es gibt also noch viel aufzuklären. ({0}) Vor allem kann es nicht sein, dass der Deutsche Bundestag und seine Ausschüsse durch Pullach schlechter unterrichtet sind als der „Stern“. Das kann nicht sein! ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Maurer, wollen Sie jetzt die Zwischenfrage von Herrn Röttgen zulassen?

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie haben mir vorgeworfen - nur darum habe ich mich zu einer Zwischenfrage gemeldet -, ich hätte von einem Beschluss des Gremiums gesprochen und damit die Öffentlichkeit getäuscht. Ich möchte Ihnen einen kleinen Vorwurf machen, nämlich dass Sie sich mit der Sache, über die Sie sprechen, nicht sorgfältig beschäftigt haben. Darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, Folgendes zur Kenntnis zu neh864 men - ich zitiere jetzt das Protokoll der in Rede stehenden Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums -: „Das Parlamentarische Kontrollgremium hat einstimmig den folgenden Beschluss gefasst: …“? ({0})

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe Ihre Pressemitteilung gelesen, Herr Kollege Röttgen, und ich bleibe dabei, dass das, was da als Beschluss bezeichnet worden ist, ({0}) die Wiedergabe einer Aussage der beiden vernommenen Zeugen ist. Es tut mir Leid, aber mehr ist das nicht. Das muss ich Ihnen als Jurist doch nicht erklären. Sie haben behauptet, dass es sich dabei um glaubhafte Aussagen handelt. Das kann man nicht als Beschluss bezeichnen. Ein Beschluss ist aus meiner Sicht eine Würdigung von Beweisergebnissen oder eine Feststellung. Aber lassen wir das Thema. ({1}) - Nein. Ich bleibe dabei: Es gibt in dieser Frage widersprüchliche Zeugenaussagen und natürlich auch in den Medien widersprüchliche Darstellungen. ({2}) - Wollen Sie sie denn nicht hören?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich fürchte, wir können sie nicht mehr hören, Herr Maurer, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist. ({0})

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bitte, die Redezeit, die ich gerade verwendet habe, um diese Frage zu beantworten, zu berücksichtigen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die habe ich bereits abgerechnet. Dafür wurde die Uhr angehalten.

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben heute vom Außenminister gehört, die Haltung der Bundesregierung zu diesem Krieg sei differenziert gewesen und man habe die logistischen Basen zur Verfügung gestellt. Es steht fest, dass dies vom Bundesverwaltungsgericht als indirekte Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gewertet wurde, Frau Künast. Diese differenzierte Haltung beinhaltet auch den Einsatz dieser Agenten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Maurer, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Über deren Tätigkeit gibt es widersprüchliche Äußerungen. Deswegen sage ich Ihnen: Dies ist nicht geklärt. Die Feststellung unserer Fraktion ist: Kein Organ der Bundesrepublik Deutschland,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Maurer!

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- auch nicht der Bundesnachrichtendienst, mag er noch so geheim sein, bewegt sich im rechtsfreien Raum. Dies zu garantieren, ist die Aufgabe des Parlaments. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe das Wort dem Kollegen Olaf Scholz von der SPD-Fraktion.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal den äußeren Rahmen der Debatte ansprechen, der hier genannt werden muss. Deutschland hat im Jahre 2002 entschieden, sich nicht an einem Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Die deutsche Bundesregierung hat dies mit klaren und deutlichen Worten getan. Seitdem hat es eine Diskussion darüber gegeben, ob das richtig oder falsch war - das ist die eine Debatte; in dieser kann man unterschiedliche Positionen haben und ob man der Bundesregierung diese Haltung eigentlich glauben könne. In dieser Debatte gibt es eine Besonderheit: Es wurde immer so getan, als sei diese Haltung gar nicht ernst gemeint gewesen. Als die Diskussion im Sommer 2002 zugange war, haben viele gesagt: Wenn der Wahlkampf zu Ende ist, dann gilt wieder etwas anderes. Als die Bundesregierung nach der Wahl bei ihrer Haltung blieb, ging die Diskussion weiter. Man fragte: Wann endlich kriegen sie die Kurve, um wegen besonderer Umstände eine andere Haltung einzunehmen? Noch unmittelbar vor Kriegsbeginn wurde in der Diskussion immer und immer wieder von vielen Medien und von vielen Interessierten in diesem Lande vermutet: Eigentlich sei das alles nicht ernst gemeint und das komme schon bald heraus. ({0}) Als dann der Krieg ausgebrochen war und sich Deutschland immer noch nicht am Krieg beteiligt hatte, wurde überall darüber diskutiert und spekuliert, dass das eine oder andere Verhalten in Wahrheit die Unglaubwürdigkeit der ganzen Haltung deutlich mache, nämlich, dass wir zum Beispiel die amerikanischen Stützpunkte mit unseren Soldaten beschützen, dass wir Überflugrechte gewähren, dass wir die AWACS-Flüge ermöglichen, dass wir ganz offensiv Mitglied der NATO-Allianz bleiben und bleiben wollen. All das war als Infragestellung gedacht. Aber die wichtigste Wahrheit in der gesamten Diskussion war immer: Deutschland hat keine Soldaten in den Irakkrieg geschickt. In diesem Krieg sind keine jungen Männer und Frauen aus Deutschland gestorben. ({1}) Ich sage Ihnen voraus: Daran wird auch die aktuelle Debatte nichts ändern. Das ist mir wichtig; ich hoffe, auch anderen. Wenn es um die Vorwürfe, die am letzten Donnerstag aufgekommen sind, geht, dann ist auch festzustellen, dass es in beispielloser Geschwindigkeit gelungen ist, die entsprechenden Informationen zu bekommen, um darüber diskutieren zu können. Wir haben uns am letzten Freitag und am Mittwoch dieser Woche getroffen. Der Nachrichtendienst hat die betreffenden Akten zusammengetragen und alle Mitarbeiter, die daran beteiligt gewesen waren, herbeigeführt, damit wir mit ihnen sprechen konnten. Die Akten konnten wir zwar noch nicht lesen, aber das liegt auch an uns. Das müssen und werden wir noch tun. Allerdings finde ich, dass wir schnell und zügig informiert worden sind. Das ist zu loben, meine Damen und Herren. ({2}) Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass in den trotz aller Unterschiedlichkeit sachlichen Redebeiträgen von FDP und Grünen, die ich heute gehört habe, immer davon gesprochen wurde, dass wir gemeinsam für Aufklärung sorgen wollen. Wie Vertreter der Grünen und der Freidemokraten gesagt haben, ist bereits viel Aufklärung geleistet worden. Aber natürlich ist noch mehr zu tun. Das soll auch getan werden. Ich fände es schön, wenn wir uns darüber verständigen könnten, auf welchem Wege und auf welche Art und Weise diese Aufklärung öffentlich - an den Stellen, an denen sie geheim bleiben muss: nicht öffentlich - betrieben werden kann, sodass wir alle ein gutes Gefühl haben, wenn wir uns über diese Angelegenheit abschließend eine Meinung bilden. Das fände ich richtig. Ich glaube, das können wir mit einer gewissen Entspanntheit tun. Denn einer der Sätze, die wir im Parlamentarischen Kontrollgremium gemeinsam festgestellt haben, lautet - die Formulierung ist semantisch völlig korrekt -: Die zuständigen Mitarbeiter haben gesagt, dass es eine klare Weisungslage gab, keine Informationen weiterzugeben, die eine Beteiligung an Kriegseinsätzen ermöglichen. - Das ist die politisch entscheidende Aussage. Selbst wenn sich noch neue Kenntnisse ergeben sollten, die dann im Detail zu betrachten wären, ({3}) bleibt festzuhalten: Es gab den politischen Willen der Führung des Landes und der Führung des BND, keine Kriegsbeteiligung durch nachrichtendienstliche Tätigkeit zu bewirken. Diese Erkenntnis ist wichtig und gut. ({4}) Im Rahmen unserer weiteren Diskussion sollten wir nach einem Weg suchen, wie wir die Aufklärung gewährleisten können. Dabei sollten wir aber auch die Frage im Blick haben, wie wir in Deutschland in Zukunft mit der Kontrolle unserer Nachrichtendienste umgehen wollen. Dazu gehört neben den bereits mehrfach abgelegten Bekenntnissen, die hier im Hause einvernehmlich beklatscht worden sind ({5}) - ja, so war es -, auch die Feststellung, dass wir eine strenge nachrichtendienstliche Kontrolle brauchen. Trotz des vorhandenen Reformbedarfs, über den man diskutieren kann - wie Herr Klose lade auch ich Sie alle dazu ein, das in Zukunft weiterhin zu tun -, darf man eines nicht vergessen: Die Kontrolle der Nachrichtendienste in Deutschland ist weltweit vorbildlich. ({6}) In den jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa hat man sich aufgrund seines vorzüglichen internationalen Rufs am deutschen Kontrollgremiumgesetz orientiert. Natürlich darf man eine solche Institution wie das Parlamentarische Kontrollgremium nicht dadurch entwerten, dass man ihre eigentliche Arbeit von anderen noch einmal machen lässt. Darum ist meine Bitte bzw. mein Rat: Lassen Sie uns lieber darüber diskutieren, wie wir dem formulierten Aufklärungsinteresse öffentlich - wenn notwendig: nicht öffentlich - gerecht werden können, ohne diese so wichtige Institution kaputtzumachen, die wir zwar vielleicht fortentwickeln müssen, die in der Welt aber weiterhin als Vorbild dient, wenn es um den Umgang eines demokratischen Staates mit seinen Nachrichtendiensten geht. ({7}) Was soll ein Untersuchungsausschuss noch leisten? Diese Frage müssen - hier stimme ich dem Kollegen Röttgen zu - zuallererst die Oppositionsparteien beantworten. Denn das Recht auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist ein Minderheitenrecht, das wir respektieren und für das ich überall zu kämpfen bereit bin. Von diesem Minderheitenrecht muss man auch Gebrauch machen dürfen. Wir als Parlament und Öffentlichkeit sollten die Courage haben, uns nicht von der Erwägung leiten zu lassen: Was fordert eine Art von Medienöffentlichkeit in ihrer Aufgeregtheit von uns, welche Forderung muss man zur Steigerung des Medieninteresses und des Spektakels noch draufsetzen? Nein, wir müssen uns das Recht vorbehalten, parlamentarische Untersuchungsausschüsse einzusetzen - oder eben nicht. Das ist immer das Recht der Minderheit. ({8}) Deshalb ist die Frage, was da noch zu untersuchen ist, schon bemerkenswert. Denn wenn wir haben, was wir haben, und wenn wir uns darüber verständigen, wie wir das bekommen - öffentlich und nicht öffentlich -, was wir noch brauchen, kann am Ende auch die kluge Entscheidung stehen, keinen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Ich werbe darum, all dies noch einmal zu bedenken. Denn ein Untersuchungsausschuss, der zusammentritt, wenn vieles öffentlich oder halböffentlich bekannt ist, wenn vieles Geheime schon aufgeklärt ist, hat natürlich einen Grad von Lächerlichkeit, der dem Ansehen des Parlamentarismus auch nicht zugute kommt. Insofern glaube ich, macht es Sinn, über diese Frage noch einmal nachzudenken. Fragen der politischen Bewertung gehören sowieso hier ins Parlament. Ich lasse mir von keinem Untersuchungsausschuss sagen, was ich zu denken habe. Wie die Nachrichtendienste Befragungen von Gefangenen in ausländischen Gefängnissen vornehmen oder mit besonderen Situationen umgehen, das muss auch hier diskutiert werden. Ich habe die Bundesregierung gebeten, Grundsätze für die Befragung von Gefangenen zu formulieren, und mir ist auch zugesagt worden, dass wir diese erhalten. Darüber müssen wir dann politisch diskutieren. Denn das Schlimmste im Umgang mit Nachrichtendiensten ist, wenn man herumdruckst und sich schämt, darüber zu reden, wenn man so tut, als gäbe es sie gar nicht. Wenn man sie bejaht, dann muss man auch festlegen, was sie tun sollen. Das zu formulieren - und damit auch ihre Grenzen -, das ist unsere Aufgabe. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das ist eigentlich ein schöner Schlusssatz gewesen, Herr Scholz.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen wirklich letzten Satz; ich sage das nicht nur als Ankündigung. Das Parlament besteht aus über 600 Staatsmännern und Staatsfrauen. Ich glaube, es stellt sich bei einer solchen Angelegenheit auch die Frage: Werden wir der Bedeutung gerecht, der eine der größten und wirtschaftlich und militärisch kräftigsten Demokratien der Welt gerecht zu werden hat? Ich glaube, auch das ist ein Auftrag für unsere Debatte und für das weitere Vorgehen. Schönen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort der Kollege Bernd Schmidbauer von der Fraktion der CDU/CSU.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf einige Dinge eingehen, die von Herrn Westerwelle und von Frau Künast vorgetragen wurden. Herr Westerwelle, ich stimme ausdrücklich zu, dass die Punkte, die Sie angesprochen haben - el-Masri, Zammar, Guantanamo -, im PKGr in unmittelbarer Folge auf die Tagesordnung gesetzt worden sind und dort besprochen werden. Vorwegzunehmen, was wir an Ergebnissen haben werden, wäre falsch. Auch jetzt darüber zu diskutieren, ob oder ob nicht und, wenn ja, welche Verfehlungen vorliegen, ist falsch. Aber ich stimme Ihnen zu: Das muss in dieses Paket hineingenommen werden. Frau Künast, Sie haben Recht, dass manche Information relativ spät gekommen ist, dass dies zu monieren ist und dass man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann, dass dies Auseinandersetzungen sind, die nicht das Jetzt, sondern die Vergangenheit betreffen, und dass wir darüber reden müssen, wie solche aktuellen Informationen im PKGr künftig besser behandelt werden können. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Herr Gehrcke, ich verstehe Ihr Lamentieren nicht: Ihre Fraktion ist doch beteiligt. - Wenn Sie jetzt nicht zuhören, schadet das natürlich. Deshalb will ich es für Sie wiederholen, Herr Gehrcke. - Zu sagen, dass eine Fraktion von Informationen ausgeschlossen sei, ist absolut falsch. Ihr Mann, Ihr Vertreter, sitzt im PKGr und wird - das kann ich Ihnen sagen - liebevoller behandelt, als wir uns ohnehin untereinander behandeln, ({0}) um ihn doch noch zu überzeugen. - Herr Westerwelle, so sind wir in dem Gremium: Wir versuchen zu überzeugen und nicht, uns mit alten Regeln und Ritualen durchzuhangeln. - Wenn aber dann Herr Maurer hier jemanden der Falschaussage bezichtigt, nur weil er selber nicht die Unterlagen liest, also so weit kann die Liebe nicht gehen! Ich bitte dringend, alle Ausflüge in die Welt der Fantasie zu beenden und allen hektischen Aktionismus abzulegen und sich einzig und allein um die Fakten zu kümmern, um die es in diesem Fall geht. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Schmidbauer, der Kollege Gehrcke würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie diese zulassen?

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, können Sie mir erklären, was ich davon habe, wenn mein Kollege, der, wie ich höre, im PKGr liebevoll behandelt wird - das finde ich sehr schön -, in diesem Kontrollgremium Informationen erhält, die für die allgemeine Willensbildung wichtig wären, mir davon aber nichts sagen darf? Was habe ich als Abgeordneter davon, wenn ein Einzelner exklusiv etwas erfährt, das vielleicht nahe an der Wahrheit ist, mir das aber nicht sagen darf?

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihre Frage finde ich gut. Herr Ströbele hat sich vorhin zu meinem Bedauern in ähnlicher Weise ausgelassen. Deshalb hat sich das Gremium entschlossen, eine Presseerklärung mit Informationen herauszugeben. Aus diesem Grund ist auch diese Debatte zu begrüßen, in der wir auf Fragen Antwort geben können. Sie sind nicht Abgeordneter zweiter Klasse. Dass wir in diesem Hause gemeinsam über das Thema debattieren, zeigt seine hohe Priorität. Dadurch sind wir alle in der Lage, Erklärungen zu interpretieren. Damit bin ich wieder bei dem Thema Studium angekommen; das will ich jetzt aber nicht vertiefen. Das verstehen Sie jetzt sicherlich. Im Übrigen möchte ich Sie, lieber Herr Gehrcke, darauf hinweisen, dass wir in der betreffenden Zeit im Auswärtigen Ausschuss, dem auch Sie angehören, Informationen in großer Dichte bekommen haben. Wenn ich mich auch an wenig erinnere, an diese wichtige Zeit aber kann ich mich sehr genau erinnern, als Bundesnachrichtendienst und Bundesregierung die Abgeordneten in einer dichten Abfolge über ihren Wissensstand, aber auch über Zweifel informiert haben, deren Basis Informationen unserer Dienste sein sollten. Keiner konnte zum damaligen Zeitpunkt annehmen, dass dies irgendwelche Papiere aus dem Intercity waren, die vorgelesen wurden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schmidbauer, lassen Sie auch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele zu?

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von Herrn Ströbele immer gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schmidbauer, geben Sie mir Recht - Sie können das bestätigen, weil Sie dabei waren -, dass das Gremium von der Bundesregierung auch falsch informiert wird? Am 16. Februar 2005 haben wir auf Antrag eines Abgeordneten über den Fall el-Masri geredet und sind darüber informiert worden. Der Vertreter der Bundesregierung hat aber nicht bestätigen können - das hat er ausdrücklich gesagt -, dass die Angaben, die man damals schon den Zeitungen und Fernsehsendungen entnehmen konnte, richtig sind. Er hat behauptet, er könne das nicht bestätigen. Heute wissen wir, dass die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt, dem 16. Februar 2005, über das Gespräch informiert war, das der damalige Bundesinnenminister Schily mit dem US-Botschafter Coats sieben Monate zuvor geführt hatte. Das war damals nicht nur dem damaligen Bundesinnenminister bekannt, sondern auch anderen Mitgliedern der Bundesregierung und ihr unterstellten Stellen, nämlich dem Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes und dem Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Danach war die Information, dass der Sachverhalt nicht bestätigt werden könne, falsch.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ströbele, ich wiederhole gerne, was ich schon eingangs gesagt habe, nämlich dass wir uns mit diesem Fall noch auseinandersetzen müssen. Ich bin sehr froh, dass dieser Fall in die Regierungszeit fällt, als Sie mit in der Koalition gesessen haben und durchaus die Möglichkeit hatten, zu hinterfragen, was sich abgespielt hat. Ich bin mir aber sicher, Herr Ströbele, dass wir in der Lage sind, dies aufzuklären. Wir werden am Mittwoch damit beginnen. Das sage ich so deutlich, damit nicht der Eindruck entsteht, im PKGr werde etwas unter den Teppich gekehrt. Dem ist nicht so. Auch im Fall el-Masri wird das nicht so sein. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass wir aber auch die andere Seite berücksichtigen müssen. Ich sehe, dass anlässlich bestimmter Vorgänge in Damaskus über bestimmte Personen Krokodilstränen vergossen werden. Ich habe neulich darauf hingewiesen, dass es besser wäre, wir würden uns erst über die Personen unterhalten, um beide Seiten zu verstehen, und dann darüber, was vorgefallen ist und was wir als Parlamentarier zu kritisieren haben. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Tatsachen stehen fest? - Fest steht, dass in dieser Zeit zwei Mitarbeiter des BND im Irak waren. Fest steht, dass die Bundesregierung davon wusste, dass alle zuständigen Ressorts und das Kanzleramt den Einsatz gebilligt hatten und dass für die Aufgabe dieses Sondereinsatzteams ein klarer Rahmen vorgegeben wurde. Das ist kein Skandal, das ist die Wahrheit, das sind die Fakten. Die beiden Mitarbeiter haben ihre in Bagdad gewonnenen Erkenntnisse ihrem Auftrag entsprechend an die BNDZentrale in Pullach weitergegeben. An einem Teil dieser Informationen konnten selbstverständlich auch Partner und Verbündete partizipieren. Ich bin froh, dass wir uns alle einig sind, dass dies so in Ordnung war. Wir vertreten dies nicht nur glaubwürdig, sondern dies ist so. ({1}) - Ihnen können wir wahrscheinlich nie helfen; das gebe ich zu. Skandalös wäre es, wenn die Bundesregierung oder das Kanzleramt nichts von diesem Einsatz gewusst hätten oder wenn wichtige Informationen nicht schnellstmöglich weitergegeben und ausgewertet worden wären. ({2}) Skandalös wäre es auch, wenn Vorschub für eine aktive operative Kriegsunterstützung geleistet worden wäre. Nicht ein einziger Beleg ist dafür vorhanden. Herr Ströbele, Sie sprachen vorhin von Beschuldigten. Wissen Sie: Wenn wir Beschuldigte so definieren, dass schon ein dünner Zeitungsbericht, ein dünner Beitrag in den Medien, in dem anonyme Zeugen genannt werden, ausreicht, um in diesem Haus von Beschuldigten zu reden, dann gehen wir relativ weit. ({3}) Ich will sagen - diese Erfahrung habe ich in vielen Jahren gesammelt -, dass der BND gute Arbeit leistet und dass die damalige Bundesregierung von dieser Arbeit profitiert hat. Ich will auch sagen, dass das für die zwei BND-Beamten zutrifft. Ich schließe mich meinem Fraktionskollegen an, der vorhin gesagt hat, dass wir ihnen eigentlich Dank zu sagen haben. Wir sollten es nicht dabei belassen, dass die USA ihnen Medaillen verleihen. Wir sollten vielmehr sagen, dass wir für diese risikoreiche Arbeit in der damaligen Zeit sehr dankbar sind. Das will ich hier auch sagen. ({4}) Ich finde, es ist wichtig - das müsste jedem einleuchten; das ist ein schlichtes Gebot der Vernunft -, dass auch in einer Mediengesellschaft wie der unsrigen nicht alles öffentlich ausgebreitet werden kann. Das geht einfach nicht. Hier handelt es sich nicht um Peterchens Mondfahrt, sondern hier geht es um die Sicherheit und den Schutz unseres Landes sowie um Solidarität und Kooperation mit unseren Partnern. Meine Damen und Herren, ich will daran erinnern - das wurde vorhin bereits gesagt -, dass unsere Soldaten in Afghanistan und überall auf der Welt im Einsatz sind. Hier findet eine Debatte statt, die in keiner vergleichbaren Situation in einem anderen Staat stattfinden könnte. Ich bitte Sie dringend: Denken Sie auch an die Situation unserer Soldaten. Denken Sie daran, wie es um die Sicherheit unserer Soldaten bestellt ist, wenn wir hier alles ausbreiten und alle Möglichkeiten eröffnen, um - das sage ich einmal sehr offen - zu einem noch besseren Feindbild zu werden. Das ist in dieser Debatte nicht angebracht. Ich darf Ihnen dazu sagen: Machen Sie die Augen auf! Wir stehen noch unter dem Eindruck des 11. September 2001 und anderer Anschläge. Dieses Bedenken der Sicherheit unserer Soldaten sollten wir nicht leicht gewichten. Es wäre ein wirklicher Skandal, wenn die Bundesregierung auf die Gewinnung oder Verwertung wichtiger Informationen verzichten würde. Ich glaube, niemand, der an der Regierung ist und Verantwortung trägt, kann auf solche Informationen verzichten. Meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zum Untersuchungsausschuss: Es ist richtig, dass wir niemandem vorschreiben können, dass er dieses oder jenes tun oder lassen soll. Wir können aber darauf aufmerksam machen, dass alle Erfahrungen, die wir bislang gesammelt haben, zeigen, dass Untersuchungsausschüsse nicht zu dem geführt haben, was wir eigentlich wollten. Ich stelle die Frage, ob es nicht besser ist, wenn wir im zuständigen Gremium all die Details gemeinsam erörtern. Wir können sie dort auch im Hinblick auf unsere Bedrohungslage besser erörtern, als dies in einem Untersuchungsausschuss möglich ist. ({5}) Ich darf noch auf einen Artikel von Jochim Stoltenberg vom 19. Januar dieses Jahres verweisen und ihn zitieren. Er schrieb: Es ist selbstverständlich das Recht der Opposition, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Zugleich fragt er aber auch danach, ob das klug sei. Stoltenberg berichtet von den Erfolgen des Nachrichtendienstes. Bezüglich des Irakeinsatzes schreibt er - ich bitte, genau zuzuhören -: Daß der BND, als es ernst wurde im Irak, nicht die Koffer packte, sondern weiter versuchte, sich und der Bundesregierung ein eigenes Lagebild zu verschaffen, gehört zu den Selbstverständlichkeiten eines Geheimdienstes. Ich finde - das will ich noch einmal unterstreichen -: Geheimdienste bleiben für die Sicherheit unseres Landes unersetzbar. Natürlich bedarf es der Kontrolle des Parlaments, und es bedarf der Kontrolle der Regierung, die wesentlich bessere Möglichkeiten hat, um den Dienst - ich will es einmal so sagen - an der kurzen Leine zu halten. Zu der Effizienz von Untersuchungsausschüssen fällt mir ein Zitat von Samuel Beckett ein: Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues. ({6}) Das wird auch in diesem Fall das Ergebnis sein, wenn wir versuchen, diese Angelegenheit auszubreiten, und wenn wir die Dinge, bei denen wir Bedenken haben, nicht berücksichtigen. In diesem Sinne lassen Sie uns unsere Arbeit tun und lassen Sie die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes ihre Arbeit tun. Wenden wir uns den wichtigen Problemen zu und arbeiten wir alles, was an Anregungen heute gekommen ist, gemeinsam auf. Ein Gespräch am Anfang der nächsten Woche hierzu würde ich sehr begrüßen. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Max Stadler von der FDPFraktion. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Schmidbauer hat mit einem netten Zitat die Frage zu beantworten versucht, ob wir diesen Untersuchungsausschuss brauchen. Insofern haben wir heute wirklich etwas dazugelernt. Eingangs der Debatte hat Herr Minister Steinmeier eine für mich etwas unverständliche These formuliert. Herr Minister Steinmeier hat gesagt, die FDP werfe Traditionen über Bord, wenn sie dieses parlamentarische Instrument benutze. Das Gegenteil ist richtig, Herr Minister Steinmeier. Unser Ziel ist es, rechtsstaatliche Traditionen in unserer Sicherheitspolitik zu bewahren. Deswegen brauchen wir diesen Ausschuss. ({0}) Herr Kollege Scholz, Sie haben in beachtlich sachlicher Weise die Vorgänge erörtert, aber doch in einem Punkt nicht ganz den richtigen Eindruck erweckt. Auch wenn von den vielen verschiedenen Fragen, die von uns aufgeworfen worden sind, das Parlamentarische Kontrollgremium zu einer Detailfrage eine Bewertung abgegeben hat, dann bleiben noch etliche andere Fragen offen. Es kann nicht deswegen schon die Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses entfallen. ({1}) Wir sehen ihn aus einem Grund als erforderlich an - das geht weit über das Thema BND-Einsatz im Irak hinaus -: Jeder weiß - die Nachrichtendienste betonen es selber immer wieder -, dass sich seit dem 11. September 2001 für unsere Sicherheitsbehörden eine neue Aufgabenstellung ergeben hat: der Schutz vor der terroristischen Bedrohung. Deswegen ist das Spannungsfeld zwischen der einen Notwendigkeit einer umfassenden Informationsgewinnung und der anderen Notwendigkeit, sich dabei unter Geltung des Grundgesetzes an rechtsstaatliche Prinzipien zu halten, so groß geworden. Wir haben den Eindruck, dass in diesem neuen Spannungsfeld die Maßstäbe durch die Politik noch nicht abschließend und richtig formuliert worden sind. Das zeigt sich an den Verhören in Syrien, auf Guantanamo und möglicherweise auch im Libanon. Das zeigt sich ebenso an der Reaktion der Bundesregierung auf den Entführungsfall el-Masri, die wir für unzureichend halten. Die Frage der CIA-Flüge beschäftigt jetzt auch das Europaparlament. Da gibt es also offenkundig Aufklärungsbedarf. ({2}) Wir von der FDP sagen sehr deutlich: Es ist nicht zulässig, dass wir die Verantwortung für schwierige Grenzziehungen, was im Einzelfall noch erlaubt ist, etwa bei der Informationsgewinnung, auf einzelne Mitarbeiter von Behörden abwälzen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung und des Parlaments, hier Maßstäbe zu formulieren. ({3}) Dies ist die eigentliche Rechtfertigung für den von uns vorgeschlagenen Untersuchungsausschuss. Es sind die konkreten Fälle, die Anlass geben, zu zweifeln, ob die Grenzen immer richtig definiert worden sind, präzise aufzuklären. Das funktioniert in einem Untersuchungsausschuss viel besser als im normalen Parlamentsbetrieb, wie wir in diversen Ausschusssitzungen erlebt haben. Nach der Aufklärung wird sich das Parlament mit den Fragen zu befassen haben, was an Informationsgewinnung zulässig ist, wenn zum Beispiel klare Hinweise vorliegen, dass Gefangene gefoltert oder unter folterähnlichen Bedingungen inhaftiert worden sind. Die Bundesregierung ist in ihrer eigenen Haltung noch nicht klar, wie die unterschiedlichen Äußerungen der Justizministerin und des Innenministers zu diesem Problem zeigen. ({4}) Deswegen brauchen wir eine präzise und umfassende Aufklärung des Sachverhalts, damit wir daraus die richtigen politischen Leitlinien für die Zukunft formulieren können. Sie können sicher sein, dass die FDP ihre parlamentarischen Rechte in dieser schwierigen Frage im Interesse des gesamten Staates und der Bewahrung des Rechtsstaates vollständig und verantwortungsbewusst nutzen wird. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf auf das Thema unserer Tagesordnung zurückkommen. Es begann damit, dass der damalige Bundeskanzler Schröder gesagt hat, Deutschland beteilige sich nicht an dem Irakkrieg, halte aber die Bündnisverpflichtungen ein. Danach folgte - insbesondere in jüngster Zeit - eine Reihe von Pressemeldungen, Gerüchten, Unterstellungen und Halbwahrheiten, denen es selbstverständlich nachzugehen gilt. Ich halte auch die journalistische Neugier für richtig, den aufgeworfenen Fragen nachzugehen. Was ist daran richtig? Wurde ein Doppelspiel gespielt? Hat die rotgrüne Regierung unter Schröder die Grenzen des Rechtsstaates überschritten? Hat sie sich gegenüber Washington in rechtsstaatlicher Hinsicht der Leisetreterei schuldig gemacht? Nicht nur die Journalisten müssen diesen Fragen nachgehen, sondern auch wir im Parlament. Das haben wir getan. Den Hauptpunkt, der die beiden Agenten des Bundesnachrichtendienstes betrifft, haben wir schon besprochen. Ich möchte das nicht wiederholen. Es sind aber - wenn auch nur bei wenigen - Zweifel zurückgeblieben, obwohl nicht nur dahergeredet, sondern glaubhaft und in militärtechnischer Hinsicht logisch begründet wurde, warum diese beiden Agenten keinen unmittelbaren Beitrag zu Kampfhandlungen im Irak leisten durften, sollten, wollten und konnten. Das ist glaubhaft versichert worden. Nun sagt Kollege Ströbele: Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({0}) Für diesen Fall - das haben wir schon festgestellt - besteht noch die Möglichkeit der Akteneinsicht. Ich werde davon keinen Gebrauch machen, Herr Kollege Ströbele. Sie aber sollten davon Gebrauch machen, ({1}) damit der letzte Zweifel ausgeräumt wird. Ich bin in der Sitzung überzeugt worden. Aber wenn Sie noch Restzweifel haben, dann ist das Ihre Sache. Damit haben wir diesen Fall eigentlich abgeschlossen. Das gilt für mich und nach Akteneinsicht hoffentlich auch für Sie. Dennoch wird - insbesondere in den anderen Fragen - die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gefordert, Herr Kollege Westerwelle. Über die el-MasriVerschleppung wurde im Innenausschuss stundenlang debattiert, ({2}) und zwar mit einer Offenheit, die mir bei diesem Thema zu weit ging. Innenminister Schäuble hat im Ausschuss vorgetragen, was ihm von der Vorgängerregierung bekannt war. Auch für mich stellt sich der Fall völlig klar dar: Die Bundesregierung hat, nachdem sie von dem Umstand der Verschleppung erfahren hatte, alles getan, was sie tun konnte. ({3}) Das entspricht klassischem Verwaltungshandeln und ist auf allen Ebenen nachvollziehbar. Auch hierbei empfehle ich, sich die Akten anzuschauen. Sie werden sehen, dass sich am Ende der Beratungen des Untersuchungsausschusses kein vorwerfbares Verschulden gegenüber der Vorgängerregierung ergeben wird. Nehmen wir die CIA-Flüge. Auch hierüber wurde diese Woche im Innenausschuss lange mit dem zuständigen Staatssekretär debattiert. Welche neuen Erkenntnisse soll hier ein Untersuchungsausschuss noch liefern? Mir fällt dazu nicht viel ein. Schließlich bleibt die Vernehmung von Zammar. Auch hierüber gab es im Innenausschuss eine lange Debatte. Dies werden wir im PKGr noch ausführlich behandeln. Ich meine, dass das der Ort ist, an dem wir solche Dinge besprechen sollten, nicht ein Untersuchungsausschuss. Nun hat Herr Röttgen Recht, wenn er sagt, es sei nicht Sache des Außenministers, der Opposition Ratschläge zu geben, ob sie einen Untersuchungsausschuss einsetzen soll oder nicht. Das geht die Regierung nichts an. Aber vielleicht nehmen Sie von mir einen Hinweis an. Ich habe schließlich fast ein Jahr für die Einsetzung des Visa-Untersuchungsausschusses gekämpft. Im Nachhinein sagen fast alle außer dem vorhin auf der vorletzten Bank sitzenden Exaußenminister Joschka Fischer - er hat übrigens während der Rede von Frau Künast furchtbar gequält gelächelt -: Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Visamissbrauch war richtig und wichtig; er wird Konsequenzen haben. Hier aber, Herr Westerwelle, geht es um etwas anderes. Die in Rede stehenden Fälle sind bzw. werden aufgeklärt. Es sieht schon jetzt so aus, dass man keinen Vorwurf erheben kann. Das allein reicht zwar nicht aus, um einen Untersuchungsausschuss abzulehnen. Man könnte ihn trotzdem einsetzen. Wer weiß, ob nicht doch etwas herauskommt. Aber hier liegt der Fall anders. Ein Untersuchungsausschuss soll von seinem Wesen her das Parlament und die Öffentlichkeit unterrichten. Die Erkenntnisse, die in einem solchen Ausschuss gewonnen werden, werden auf die Marktplätze hinausgetragen. Das darf aber hier nicht geschehen. Das Parlament hat entschieden - hier herrscht bei den Kollegen von der Linken ein nicht zu beseitigender Kenntnismangel -, dass es nicht erfahren will, was die Geheimdienste machen. ({4}) Denn dafür sind neun Kollegen ausgewählt worden und allein diesen ist die ganze Verantwortung übertragen worden. Diese Kollegen haben das Recht, zu prüfen, und genießen unser Vertrauen. Wir glauben, dass sie ihre Arbeit richtig machen. Das ist der Gedanke, um den es hier geht. Ein Untersuchungsausschuss, der die Geheimhaltungsgrenzen durchbricht, richtet Schaden an unseren Nachrichtendiensten und - das ist noch schlimmer - an der Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den ausländischen Nachrichtendiensten an. Das wiederum schadet der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Dabei haben wir erst gestern wieder erfahren, dass Osama Bin Laden mit neuen Terroranschlägen droht. Bitte bedenken Sie all diese Aspekte. Es geht nicht darum, vielleicht noch etwas zu erfahren, was wir noch nicht wussten, sondern darum, dass man durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Schaden anrichten kann. Deswegen bin ich dagegen. Ich bin in meinem Innersten noch nicht so weit im Regierungslager angekommen, als dass ich das reflexhafte Verhalten von Oppositionspolitikern nicht verstehen könnte. Es liegt doch förmlich auf der Hand, dass man einer rot-grünen Bundesregierung, die mit der Attitüde angetreten ist, sich nicht an dem Irakkrieg zu beteiligen, nachweisen möchte, dass sie etwas ganz anderes gemacht hat als das, was damals auf dem Marktplatz von Goslar hinausposaunt wurde. Das verstehe ich durchaus. Aber bedenken Sie, dass Sie Schaden anrichten können! Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen, sondern Sie lediglich ermuntern, nachzudenken. Es handelt sich ja um eine merkwürdige Allianz bei der Opposition: von einem liberalen Gelb über ein etwas angegilbtes Grün bis zu einem tiefen Rot. ({5}) Diese unheilige Allianz passt nicht zusammen. Sie haben ja an dem heutigen Rencontre gesehen, wie es weitergehen wird. Jeder von Ihnen will doch eine ganz andere Aufklärung betreiben. Es handelt sich ja um ein dreifaches Aufklärungsbegehren, das nicht zusammenpasst. Ich will mich nicht an den Spekulationen beteiligen, ob die Grünen die rot-grüne Außenpolitik aufarbeiten wollen. Man muss sich nur das Gesicht von Exaußenminister Fischer anschauen, wenn Frau Künast spricht. Für mich ist entscheidend, dass die Aufarbeitung der rotgrünen Politik bereits durch den Wähler geschehen ist. Was braucht man mehr? ({6}) Ich meine, wir sollten die Angelegenheit im PKGr abschließend behandeln. Zum Schluss noch ein Punkt: Ich teile den Vorwurf des Kollegen Ströbele, dass das Kanzleramt das PKGr in der Vergangenheit nicht immer so informiert hat, wie man es hätte tun sollen. ({7}) Deswegen sollten wir tiefer gehende Kontrollmöglichkeiten schaffen, wahrscheinlich durch eine Änderung des PKGr-Gesetzes, aber nicht durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Westerwelle das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Uhl, ich habe zunächst einmal anzumerken, dass Ihre Einschätzung, dass die drei unterschiedlichen Oppositionsparteien nicht zusammenpassen, nicht völlig von der Hand zu weisen ist. ({0}) Auch die Behauptung, dass SPD und Union zusammenpassten, darf bestritten werden. ({1}) - Für diese Erkenntnis brauche ich keinen Untersuchungsausschuss, Herr Kollege. Jetzt komme ich zu dem ernsten Grund, warum ich mich gemeldet habe. Ich bitte Sie, einen Zungenschlag nicht zu verwenden, den ich offen gestanden für unsere Zusammenarbeit für außerordentlich gefährlich hielte. Wir wollen den Untersuchungsausschuss, weil wir die Sorge haben, dass rote Linien überschritten worden sind, und weil wir der Überzeugung sind, nicht aufzuklären ist schlechter, als aufzuklären. Wenn es Missstände gab, dann müssen diese aufgeklärt werden, und wir unterhalten uns dann allenfalls darüber, welche Instrumente des Parlaments die sinnvolleren sind. Wenn es Missstände gab, dann müssen sie aufgeklärt werden, und es dürfen nicht diejenigen, die aufklären, dass es Missstände gab, mit dem Hinweis in die Ecke gestellt werden, sie verschlechterten die Sicherheitslage Deutschlands. Das tun vielmehr diejenigen, die diese Missstände zu verantworten haben. So viel sollte immer noch klar sein. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Herr Kollege Uhl.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westerwelle, Sie werden gehört haben, dass ich Ihnen nicht unterstellen wollte, dass Sie sich bewusst an den Konsequenzen eines solchen Untersuchungsausschusses, der das Ganze transparent macht, schuldig machen. Trotzdem ist das vom Bundesnachrichtendienst vorgetragene Argument nicht von der Hand zu weisen, dass wir Schaden anrichten und Menschen gefährden können, wenn die Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Nachrichtendienst und anderen Nachrichtendiensten in der arabischen Welt publik wird. Das will ich aber hier nicht vertiefen. Die Zusammenhänge sind nicht ohne Logik und haben mich überzeugt. Sie sagen, wir müssten Missstände aufklären, wenn sie vorgekommen seien. Selbstverständlich. Jetzt kommt der entscheidende Unterschied: Was hindert uns daran, die Missstände im Parlamentarischen Kontrollgremium aufzuklären und dann über das Kanzleramt und die zuständigen Minister Konsequenzen zu ziehen? Das kann von der Ahndung von fehlerhaftem Verhalten von Beamten über Versetzungen bis hin zu anderen personellen Konsequenzen reichen. Alles ist als Ergebnis des geheimen Wirkens im Parlamentarischen Kontrollgremium möglich. Mir geht es darum: Kontrolle muss sein, auch bei den Nachrichtendiensten, Rechtsstaat muss sein, auch bei den Nachrichtendiensten. Aber bei den Nachrichtendiensten muss alles im geheimen Bereich bleiben. Auch Konsequenzen, die gezogen werden müssen, können geheim und wirksam umgesetzt werden. Das ist der Gedanke, um den es mir geht. Lassen Sie uns in der Sphäre der Geheimhaltung bleiben, lassen Sie uns aber trotzdem kritisch bleiben, kontrollieren und Konsequenzen ziehen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Präsident Dr. Norbert Lammert Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Januar 2006, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende und, soweit das neben mancherlei Verpflichtungen möglich ist, dass Sie auch privat etwas davon haben. Die Sitzung ist geschlossen.