Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes
- Drucksache 16/6383 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({1}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dorothée Menzner, Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Börsengang der Deutsche Bahn AG stoppen
- Drucksachen 16/3801, 16/4110 Berichterstattung:
Abgeordneter Enak Ferlemann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Wolfgang Tiefensee.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Sehr verehrte Gäste! Während wir
hier dieses Gesetz beraten, fahren 34 000 Züge, werden
Millionen von Pendlern transportiert, werden Container
von Nord nach Süd, von Ost nach West, von West nach
Ost und von Süd nach Nord auf den Schienen bewegt.
Die Deutsche Bahn AG ist das Mobilitäts- und Logistikunternehmen in Deutschland. Wir wollen es mit dieser
Reform stärker machen. Wir setzen einen Weg fort, der
bereits Anfang der 90er-Jahre beschritten wurde.
({0})
Die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn - Anfang
der 90er-Jahre wurde sie formell in eine Aktiengesellschaft umgewandelt - ist eine Erfolgsgeschichte. Die
Deutsche Bahn AG ist ein starkes Dienstleistungsunternehmen.
({1})
Damals hat uns das Interesse geleitet, mehr Verkehr
von der Straße auf die Schiene zu bringen. Wir wollen,
dass dieses Unternehmen wirtschaftlich arbeitet, dass
der Haushalt entlastet wird, dass wir den Wettbewerb in
Europa, aber auch in Deutschland bestehen, und wir
wollen - auch das treibt uns um - 230 000 Arbeitsplätze
bei der Deutschen Bahn AG sichern. Das ist eine große
Verantwortung, die wir haben.
({2})
Man kann sehen, wie die Dienstleistungsqualität gestiegen ist: 90 Prozent der Menschen in Deutschland haben weniger als zehn Minuten Distanz zu einer Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs zu überwinden; die
Taktfrequenzen sind gut; die Fern- und Regionalverkehre sind gut organisiert, jeder hat Zugriff darauf, und
die Güter werden abtransportiert. Das ist die Erfolgsgeschichte der formellen Privatisierung der DB AG.
Jetzt stehen wir vor neuen Herausforderungen. Wir
brauchen noch besseren Service. Wir müssen rollendes
Material anschaffen, unsere Bahnhöfe renovieren und
dafür sorgen, dass Lärm vermieden wird. Die Grenzen
öffnen sich. Seit dem 1. Januar 2007 ist der internationale Güterverkehr liberalisiert. Ab dem 1. Januar 2010
Redetext
wird der internationale Personenverkehr liberalisiert
sein. Wettbewerb findet auf deutschen Schienen statt,
und wir wollen, dass die offenen Märkte des Personenund Güterverkehrs in den neuen und alten EU-Mitgliedstaaten auch durch den Wettbewerber Deutsche
Bahn AG bedient werden. Endlich öffnen sich die neuen
EU-Mitgliedstaaten für Partner für ihre Eisenbahnunternehmen. Um diese Herausforderungen anzunehmen,
braucht die Deutsche Bahn frisches Kapital.
Es gibt zwei Wege. Zwischen diesen beiden Wegen
hat man sich in den Jahren 2003/2004 entschieden. Entweder legt der Steuerzahler auf das Geld, das er bereits
investiert - 2,5 Milliarden Euro pro Jahr zum Erhalt der
Schiene - weiteres Geld drauf - das wird in dieser Haushaltssituation nicht möglich sein -, oder wir versichern
uns privater Partner. Wir haben den zweiten Weg gewählt, weil wir uns sicher sind, dass wir mit diesen Partnern, mit dem Geld, das wir aus einer Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG erlösen, die Bahn in
Deutschland stärker machen.
Wir brauchen eine stärkere Bahn. Warum? Weil wir
den Wettbewerb bestehen wollen; weil wir mehr Verkehr
von der Straße auf die Schiene verlagern und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen; weil wir
die Arbeitsplätze von 230 000 Menschen sichern wollen;
({3})
weil wir die Finanzmittel, die der Steuerzahler aufbringt,
begrenzen und effektiv einsetzen wollen. Das sind die
Ziele, die wir uns gestellt haben. Die Lösung, die wir gefunden haben, ist: Wir erhalten den integrierten Konzern; wir erhalten ein Unternehmen, das in den letzten
Jahren in dieser Konstellation so erfolgreich gearbeitet
hat wie kein zweites dieser Größenordnung in Europa.
Darauf sind wir stolz. Deshalb erhalten wir es in dieser
Art und Weise.
Erstens. Wir werden das Netz, jeden Kilometer
Schiene, im Eigentum des Volkes behalten.
({4})
Der Bund wird weiter mit starkem Zügel Einfluss darauf
haben, was auf der Schiene passiert und wie die Qualität
gewährleistet werden kann. Das ist das Entscheidende:
Der Bund verschleudert kein Volksvermögen. Im Gegenteil: Das Eigentum an der Schiene, den Bahnhöfen und
Stellwerken bleibt zu 100 Prozent in der Hand des Bundes. Der Bund bleibt Eigentümer des Netzes.
({5})
Mit dieser Vorgehensweise erreichen wir, dass wir für
die nächsten Jahre ein stabiles, starkes Unternehmen
- die Deutsche Bahn AG - fortentwickeln können.
({6})
Wir brauchen jetzt eine Auseinandersetzung um die
beste Lösung. Ich weiß, dass in der Bevölkerung viel
Unsicherheit besteht.
({7})
Daher rufe ich der Bevölkerung zu: Auch in der Zukunft
werden die Länder Regionalverkehre wie bisher bestellen können. Die Regionalverkehre bleiben unangetastet.
Die Fläche wird so wie bisher bedient. Das ist öffentliche Daseinsvorsorge.
({8})
Zweitens. Wir werden dafür Sorge tragen, dass die
Qualität des Netzes noch besser wird. Transparenz wird
durch einen sogenannten Netzentwicklungsbericht hergestellt. Wir wissen, dass das Netz an vielen Stellen noch
zu verbessern ist. Nicht alles ist so gut, wie wir es uns
vorstellen.
({9})
Wir werden dafür sorgen, dass die Qualität des deutschen Schienennetzes verbessert wird.
Drittens. Wir werden dafür sorgen, dass wir uns auch
in unseren EU-Nachbarstaaten stark aufstellen können.
Denn nur wenn wir dort Marktanteile gewinnen, werden
wir ein starkes Unternehmen mit starken Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland haben. Nur
wenn wir über Transport- und Reiseketten reden, die
auch über Deutschland hinausgehen, wenn wir unser
Unternehmen also stark europäisch aufstellen, werden
wir die Zukunft meistern. Auch das steckt in diesem Gesetzentwurf.
Wir diskutieren darüber, was sein wird, wenn das Gesetz verabschiedet ist und die Aktien gehandelt werden.
In meiner Partei wird klug und heftig darüber diskutiert.
({10})
Denn diese Frage ist wichtig. Wir werden eine Antwort
darauf finden. Die Länder werden im Bundesrat beraten
und Sorge dafür tragen, dass wir starke Unternehmen haben, die die regionalen Verkehre bedienen können. Ich
freue mich auf eine interessante, spannende und konstruktive Diskussion.
Ich bedanke mich bei Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass Sie es mit Ihren Beschlussfassungen, beispielsweise dem Entschließungsantrag vom November 2006 auf der Grundlage des Koalitionsvertrages,
möglich gemacht haben, dass wir ein solches Gesetz auf
solidem Fundament einbringen können, ein Gesetz, das
unsere Deutsche Bahn AG stark macht.
Vielen Dank.
({11})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Horst Friedrich,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Sie haben recht: Eigentlich müsste man
froh sein, dass wir heute den letzten Schritt zur Vollendung der Bahnreform machen, die von dem Bundestag, der von 1990 bis 1994 gewählt war, richtigerweise
auf den Weg gebracht worden ist. Das Wort eigentlich
bezieht sich darauf, dass Sie nach wie vor nicht begriffen
haben, dass diese Reform nur dann für alle Beteiligten
erfolgreich zum Abschluss gebracht werden kann, wenn
Sie an der richtigen Stelle trennen.
Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen vorlegen, ist nichts weiter als die Fortführung des Status
quo eines Mischkonzerns. Die Deutsche Bahn als Aktiengesellschaft braucht den Steuerzahler, um ihre weltweiten Logistiktätigkeiten zu finanzieren. In genau diesem Maße wird sie auf das Netz und auf die Steuerzahler
zugreifen. Was Sie vorlegen, ist ein schlechter Versuch,
Markt und Marx miteinander zu kombinieren.
({0})
Schon bei Graf Lambsdorff konnten Sie nachlesen, dass
diese Kombination - auch wenn man glaubt, dadurch
eine bessere Marktwirtschaft zu erzielen - bestenfalls
Murks produziert.
({1})
Das ist die Ausgangssituation, von der aus man diesen
Gesetzentwurf beurteilen muss.
Wo kommen wir her? Im Jahre 1994 haben wir eine
Bahnreform beschlossen. Das geschah zu einem Zeitpunkt, zu dem die damalige Deutsche Bundesbahn einen
Geschäftsbericht vorgelegt hat, der auswies, dass ihre
Personalkosten höher als die Erlöse aus ihrer normalen
Geschäftstätigkeit waren. Es war zwingend notwendig,
dieses Problem zu lösen. Das war der erste Grund, aus
dem wir die Bahnreform beschlossen haben.
Der zweite Grund bestand darin, dass in Anbetracht
der damaligen Konstruktion der Deutschen Bahn im
Endeffekt jeder, auch die Politik, festlegen konnte, welche Leistungen die Bahn zu erbringen hat, dass er daraus
aber keine finanziellen Konsequenzen ziehen musste.
Aus genau diesem Grund hat der damalige Gesetzgeber
- Gott sei Dank und richtigerweise - im Eisenbahnneuordnungsgesetz festgelegt, dass die Bahn an den Stellen
entscheiden soll, an denen es für ein Wirtschaftsunternehmen notwendig und sinnvoll ist, und dass die Politik
und damit die Steuerzahler dort entscheiden sollen, wo
es für sie sinnvoll ist.
Die Trennaufgabe ist völlig klar: Der Bund ist für die
Eisenbahninfrastruktur zuständig. Transport war, ist und
wird keine staatliche Aufgabe sein. Deswegen hat man
festgelegt, dass die Länder in die Lage versetzt werden
sollen, aus den Einnahmen aus dem Mineralölsteueraufkommen über den Bund Nahverkehr zu bestellen und damit in der Fläche Daseinsvorsorge zu betreiben.
Für ein Staatsunternehmen besteht keine Notwendigkeit, weltweit als Logistikdienstleister aufzutreten und
dadurch anderen, die in diesem Bereich schon tätig, aber
keine Staatsunternehmen sind, Konkurrenz zu machen,
allerdings unter besseren Ausgangsbedingungen, weil
man als deutsches Staatsunternehmen immer auf den
deutschen Steuerzahler zurückgreifen kann. Die Konstruktion, die Sie wählen, hat zur Folge, dass die Bundesrepublik Deutschland immer mit einem Anteil von
mindestens 50,1 Prozent Eigentümer der DB AG sein
muss, ob sie es will oder nicht.
({2})
Als Gegenleistung bekommt der deutsche Steuerzahler eine sensationelle Rechnung präsentiert: Ein Netz,
das nach unterschiedlichen Schätzungen bereits in der
Größenordnung eines dreistelligen Milliardenbetrags finanziert ist, wird mit dem Rest des Unternehmens an die
Börse gebracht. Unter positiven Voraussetzungen wird
der Erlös für den Finanzminister schätzungsweise einmalig 4 Milliarden Euro betragen. Weitere 4 Milliarden Euro
müssen ebenfalls einmalig an die Deutsche Bahn gegeben werden. Man macht das Ganze schließlich, um die
Deutsche Bahn mit einer besseren Finanzbasis auszustatten.
Mit diesem Schritt verpflichten Sie den deutschen
Steuerzahler und den Haushaltsgesetzgeber dauerhaft,
nämlich mindestens 18 Jahre lang, jährlich 2,5 Milliarden Euro für die Pflege des Bestandsnetzes und weitere
ungefähr 1,5 Milliarden Euro für Neubaumaßnahmen an
die Deutsche Bahn auszureichen.
({3})
Bereits jetzt steht fest, dass dann, wenn der Bewirtschaftungszeitraum, den Sie für die Deutsche Bahn vorgeben,
abgelaufen ist und wir das Netz dann zurückhaben wollen, um es vielleicht einem anderen Unternehmen zur
Bewirtschaftung zu geben,
({4})
schätzungsweise weitere 8 Milliarden Euro fällig werden, um das Netz, das wir schon einmal bezahlt haben,
zurückzukaufen. Das ist ein Geschäft, das ich als Kaufmann auch gerne machen würde. Doch als verantwortlicher Politiker werde ich mich dieser Lösung nicht anschließen, Herr Minister.
({5})
Sie behaupten, dadurch werde die Qualität des Netzes
besser; wir könnten auf der Basis eines nachprüfbaren
Netzzustandsberichtes eine Leistungs- und Finanzie12000
Horst Friedrich ({6})
rungsvereinbarung abschließen. Einen solchen Netzzustandsbericht verlangt der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages seit Jahren; doch er liegt bis jetzt
nicht vor.
Schauen wir uns einmal die tatsächliche Situation an:
Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg hat im Auftrag des Verkehrsministers des Landes Brandenburg eine
Bestandsaufnahme vorgenommen. Die Deutsche Bahn
sagt: Im Bereich des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg gibt es 35 Langsamfahrstellen. - Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg hat nachgezählt und festgestellt: Es gibt 600 Langsamfahrstellen. Das ist eine
kleine Differenz. An einer Strecke kann man beispielhaft
nachweisen, wo das Problem liegt: Laut DB Netz AG
gibt es auf der Strecke Berlin-Dresden keine Langsamfahrstelle. Dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg
nach sind es insgesamt 18 Langsamfahrstellen. Wie
kann das sein? Für die Deutsche Bahn gelten Langsamfahrstellen, die bereits seit mehreren Jahren existieren,
nicht mehr als Langsamfahrstellen - sie sind in den
Fahrplan eingerechnet. Das mag ja optisch ganz schön
sein. Nur ist das Problem nicht gelöst. Denn Fakt ist:
Diese Strecke ist auf 160 Stundenkilometer ausgelegt.
({7})
Ein Drittel der Strecke ist jedoch nicht mit dieser Geschwindigkeit zu befahren. Das ist das eigentliche Problem.
({8})
Man muss doch, bevor man Verpflichtungen eingeht,
erst einmal klarstellen, was man bekommt. Hier kneift
die Große Koalition, und das wird auch mit den Änderungsanträgen, die Sie vorgelegt haben, nicht besser,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es ist ja bezeichnend - hoffentlich ist es kein schlechtes Omen -, dass der Gesetzentwurf der Koalition, über
den wir heute in erster Lesung beraten, vom Bundesverkehrsminister eingebracht wird. Das ist natürlich eins zu
eins das, was er vorgelegt hat. Die Verfassungsrechtler
- zumindest die große Mehrheit: mittlerweile sieben zu
zwei ({9})
halten das, was der Bundesminister vorgelegt hat, für
verfassungswidrig. Er behauptet jetzt, er hat ein Zertifikat - wahrscheinlich von der Justizministerin.
({10})
- Das hatten wir auch bei der Privatisierung der Deutschen Flugsicherung. Ich kann Ihnen nur empfehlen, in
Ihrem Büro an der Wand schon ein bisschen Platz zu machen neben dem Zertifikat, das da schon hängt. Auf diesen Pfad würde ich mich an Ihrer Stelle nicht begeben.
({11})
Denn weder die Länder noch der Bundespräsident befinden sich nach dieser Diskussion noch im Zustand der
Unschuld. Alle wissen, dass es einer der entscheidenden
Punkte ist, ob die Fiktion, die der damalige Gesetzgeber
ins Grundgesetz geschrieben hat - dass der Bund Mehrheitseigentümer eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens sein muss -, mit dem Gesetzesvorschlag, den Sie
vorgelegt haben, erfüllt ist oder nicht. Das ist eine relativ
einfache Frage.
Nun legen Sie ein abenteuerliches Konstrukt vor.
({12})
Sie splitten das Eigentum: Sie nehmen die DB Netz AG
formal aus der Deutschen Bahn AG heraus. Das juristische Eigentum bleibt beim Bund, sagen Sie.
({13})
Gleichzeitig überlassen Sie die DB Netz AG als wirtschaftliches Eigentum der Deutschen Bahn AG, sie darf
sie nämlich bilanzieren. Sie behaupten, ein privater Investor, der sich an der Holding, an der Hauptgesellschaft
Deutsche Bahn AG, beteiligt, habe dann rechtlich keinen
Zugriff auf das Netz.
({14})
Da muss man einmal einen Blick in das Aktiengesetz
werfen! Sie können ja Beschränkungen beschließen.
Aber eines habe ich nach 25 Jahren in der freien Wirtschaft gelernt: Ich habe keinen Investor gesehen, der
sich an einer großen Gesellschaft beteiligt und der an einer Tochtergesellschaft, die in der Bilanz konsolidiert
wird, nicht zumindest indirekt beteiligt ist. Genau das
wird weiterhin passieren. Deswegen ist das, was Sie sagen, vielleicht Ihr Glaube, aber wahrscheinlich nicht die
Realität. Das ist der entscheidende Punkt.
({15})
Herr Minister, Sie schneiden an der völlig falschen
Stelle. Es gibt eigentlich nur eine klare Lösung:
({16})
Trennen Sie das Netz vom Betrieb! Machen Sie einen
sauberen Schnitt!
({17})
Übertragen Sie die Infrastruktur einem eigenen Unternehmen,
({18})
das in Staatsbesitz bleibt! Jagen Sie den deutschen Steuerzahler mit Ihrer Gesetzgebung nicht in ein unkalkulierbares finanzielles Abenteuer, und bedenken Sie die verfassungsmäßigen Risiken!
Horst Friedrich ({19})
Herr Minister, auch die Volksaktie, die Ihre Partei
jetzt propagiert, wird das Problem nicht lösen. Deswegen kann ich Ihnen zum Schluss nur sagen: Etwas Dummes zu sagen, ist für einen Minister sogar gefährlicher,
als etwas Dummes zu tun. - Denken Sie noch einmal
nach! Der Spruch stammt nicht von mir, sondern von
Kardinal de Retz. Er war im Kabinett Richelieu unter
Ludwig XIV. Was schon damals gegolten hat, gilt auch
heute noch.
Danke sehr.
({20})
Ich gebe dem Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, der erste wichtige Erfolg, den wir
heute verkünden können, ist, dass wir verhindert haben,
dass das Schienennetz, die Infrastruktur, an die Börse
geht, was sich einige im Bahnvorstand noch vor eineinhalb Jahren vorgestellt haben. Ich bedanke mich für die
begleitende Kritik in der öffentlichen Auseinandersetzung auch bei der Opposition, bei den Grünen und bei
der FDP. Ich glaube, auch Ihre Argumentation war sehr
hilfreich.
Die Bahnreform vollzieht sich in mehreren Stufen.
Die erste Stufe hat der Minister beschrieben: von der Behördenbahn zur betriebswirtschaftlich wirtschaftenden
Bahn. Wir gehen jetzt einen weiteren Zwischenschritt,
ohne das Ziel, das wir von Anfang an im Auge hatten,
aus den Augen zu verlieren. Das Ziel heißt: Wir wollen
eine Trennung von Betrieb und Schiene, eine Trennung
von Logistik und Infrastruktur. Sehr einleuchtend begründet hat das, so glaube ich, der Kollege von der FDP.
Logistik auf der Schiene und auf der Straße - die Deutsche Bahn AG betreibt mit ihrer Tochter Schenker Logistik auch auf der Straße - findet heute schon im Wettbewerb statt. Das ist gut; denn nur wer sich dem
Wettbewerb stellt, bleibt wettbewerbsfähig. Das ist für
die Wettbewerbsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene
wichtig.
({0})
Dieser Teil, der Betrieb auf der Schiene - es gibt viele
Bahn- und Fuhrunternehmen -, kann eines Tages - das
ist unser Ziel - vollständig privatisiert werden. Das, was
nicht privatisiert werden kann, ist die Infrastruktur, das
sind die Schienen, die Bahnhöfe und die Energieversorgung, all das, was notwendig ist, um den Wirtschaftsund Investitionsstandort Deutschland zu erschließen, um
den ländlichen Raum zu erschließen, um die Chancen
der Verkehrsdrehscheibe Deutschland, das in der Mitte
Europas liegt, wahrzunehmen. Deswegen machen wir
jetzt einen Zwischenschritt, der genau diese Trennung
vorprogrammiert und in absehbarer Zeit zum Ziel führt.
Wir haben uns mit unseren Freunden und Kollegen von
der sozialdemokratischen Fraktion darauf geeinigt und
im Deutschen Bundestag im November letzten Jahres
beschlossen, dass das Eigentum an der Infrastruktur in
der öffentlichen Hand, beim Bund, bleibt. Wir haben uns
aber auch darauf geeinigt - der Minister hat das mit
Blick auf die 230 000 Beschäftigten begründet -, dass
zunächst für eine Übergangszeit die konzerninternen Arbeitsplätze bei der Deutschen Bahn AG erhalten bleiben.
({1})
Wir haben auch der Gewerkschaft Transnet in den letzten 13, 14 Jahren im Zusammenhang mit dem Umbau
der Deutschen Bahn sehr viel zu verdanken.
({2})
Deswegen verstehe ich, dass wir jetzt bei diesem Zwischenschritt dieses Zugeständnis machen. Nur, das
macht eine äußerst komplizierte juristische Konstruktion
notwendig. Aber, lieber Herr Kollege Friedrich, nicht alles, was kompliziert ist, ist deswegen schon schlecht.
({3})
Was erreichen wir mit dieser Konstruktion?
({4})
Erstens. Das erste Mal seit 1994 wird die Infrastruktur
- Schienen, Grundstücke, Energieversorgung und Bahnhöfe - in einer Gesellschaft konzentriert. Das gab es bisher noch nie. Bisher war die Infrastruktur irgendwo im
Konzern verstreut, und man konnte es nicht überschauen. Jetzt wird sie in einer Gesellschaft konzentriert
und vom übrigen Betrieb klar abgetrennt.
({5})
Wir übertragen diese Infrastruktur, die heute dem Konzern Deutsche Bahn AG gehört, in das Eigentum der
Bundesrepublik Deutschland. Wir entreißen sie dem
Konzern und geben sie in die Hand der Bundesrepublik
Deutschland.
({6})
Jetzt kommt der zweite Schritt, der mit der Bilanzierung zusammenhängt. Damit die Bahn bilanzieren kann,
müssen wir das Recht der Ausübung der Gesellschaftsrechte für einen kurzen Zeitraum von einigen Jahren auf
die Bahn übertragen. Wir machen das im Wege einer
Vollmacht. Wir bevollmächtigen die Deutsche Bahn AG
für einige Jahre, unsere Rechte aus der InfrastrukturGesellschaft wahrzunehmen. Das ist der zweite wichtige Schritt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Keine Zwischenfragen.
Keine Zwischenfragen. Gut.
Deswegen darf die Bahn diese Infrastruktur jetzt auch
noch eine gewisse Zeit lang bewirtschaften. Wir kontrollieren aber auch die Bahn. Herr Kollege Friedrich, ich
sage Ihnen das nur.
({0})
Als Eigentümer der Infrastruktur muss der Bahnvorstand
künftig jede Verschuldung des Netzes vom Bund genehmigen lassen. Er muss jede Kapitalveränderung vom
Bund genehmigen lassen. Er muss eine Genehmigung
einholen, wenn er im Netz in erheblichem Umfang Personalveränderungen vornimmt. Peter Ramsauer hat mit
klarer Sprache gesagt: Wir nehmen die Bahn an die Kandare. Genau das ist der entscheidende Punkt.
({1})
Drittens. Wir legen in diesem Gesetz fest, dass die
Bahn endlich einen Netzzustandsbericht vorlegen muss,
und zwar nicht nur einmal, sondern Jahr für Jahr. Es
muss Schluss sein mit der Geheimniskrämerei. Wir wollen wissen, wie die Qualität des Netzes in Deutschland
ist.
({2})
Wir wollen wissen, wie die Qualität in jedem einzelnen
Bundesland ist. Auch die Ministerpräsidenten der Länder haben ein Recht, zu wissen, welche Qualität das Netz
in ihrem Bundesland hat. Das fordern wir, und das legen
wir in diesem Gesetz fest.
({3})
Der Minister hat es richtig gesagt. Wir schließen eine
klare Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit der
DB ab, mit der sie verpflichtet wird, im Gegenzug für
die Zuschüsse, die sie vom Bund weiterhin haben
möchte, die Qualität zu sichern.
Viertens. Wir werden verhindern, dass die Deutsche
Bahn in Zukunft das tut, was ihr heute von vielen unterstellt wird; vielleicht ist da ja auch etwas - mit Blick auf
die Berichte der Netzagentur sage ich das - dran. Wir
verhindern, dass die Bahn die Wettbewerber diskriminiert. Denn Wettbewerb ist notwendig für die Stärkung
des Verkehrsträgers Schiene. Wirtschaftsminister
Michael Glos hat in den Ressortbesprechungen durchgesetzt, dass wir die Aufsichtsrechte der Regulierungsbehörde stärken. Für die CDU/CSU sage ich: Das steht
noch nicht im Entwurf, aber wir wollen es im Entwurf
haben. Wir wollen eine externe Preiskontrolle. Wir wollen es nicht zulassen, dass die Bahn die Höhe der Trassenpreise beliebig festlegen kann. Vielmehr wollen wir
eine externe Kontrolle, damit alles seine Ordnung hat.
({4})
Fünftens. Am Ende der Laufzeit - der Minister spricht
von 18 Jahren; wir wollen eine kürzere Laufzeit - entscheidet der Deutsche Bundestag darüber, ob die Bahn
weiter bilanzieren soll oder ob sie die Vollmacht zurückgibt. Sobald die Vollmacht von der Bahn an den Bund
zurückgegeben wird, ist das erreicht, was wir gemeinsam - der Kollege Friedrich und die Kollegen von den
Grünen, wenn ich es richtig verstehe - immer gefordert
haben: Dann ist die Trennung von Netz und Betrieb erreicht.
({5})
- Sie müssen erst einmal sehen, ob Sie in zehn Jahren
noch etwas zu sagen haben. - Das ist die Entscheidung
des Deutschen Bundestages am Ende der Laufzeit.
({6})
Im Übrigen: Wenn der Bundestag nicht entscheidet, fällt
das wirtschaftliche Eigentum automatisch an den juristischen Eigentümer, die Bundesrepublik Deutschland, zurück.
({7})
Wir programmieren mit diesem Gesetz die Trennung
von Netz und Betrieb. Es wird eine automatische Trennung geben.
({8})
Wenn ich höre, dass wir das Netz zurückkaufen müssen,
dann kann ich nur sagen: Bitte erzählen Sie keine Märchen!
({9})
Wenn wir den Wert des Netzes, der in der Bilanz
steht, eines Tages aus der Bilanz herausziehen, dann
müssen wir genau diesen Wert - nicht mehr und nicht
weniger - ersetzen, was im Übrigen kein Problem sein
dürfte, da der Finanzminister bei einer Trennung von
Netz und Betrieb in der Lage sein wird, den Betrieb sofort komplett zu privatisieren und dadurch schöne Einnahmen zu erzielen. Machen Sie sich also keine Sorgen!
Das wird nicht das Problem sein.
Jetzt sage ich an die Kollegen von der SPD: Aus Ihren
Reihen kommt der Vorschlag Volksaktie.
({10})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({11})
Gut, wenn Sie das so wollen, verschließen wir uns dieser
Idee nicht. Wenn das mit diesem Modell, also der Proklamierung der Trennung von Netz und Betrieb durch
die entsprechende Konstruktion, kombiniert wird, können wir im Laufe des Verfahrens über diese Dinge reden.
Ich lade Sie von der Opposition ein, jetzt keine Fundamentalopposition zu betreiben
({12})
- ich habe Sie doch gelobt, lieber Kollege Friedrich; ich
will Sie auch künftig loben können -, sondern konstruktiv mitzuarbeiten, damit wir in diesem Punkt eine saubere, zukunftsorientierte Lösung erreichen. Dann bin ich
ganz optimistisch, dass wir alle in diesem Hohen Hause
mit der zweiten Stufe der Bahnreform sehr zufrieden
sein werden.
Ich bedanke mich herzlich.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung sind die Heilsbotschaften des Neoliberalismus,
({0})
eines Wirtschaftssystems, das ausläuft - das haben noch
nicht alle gemerkt -,
({1})
das vielen Menschen auf der Welt keine Vorteile, sondern erhebliche Nachteile gebracht hat, das auf die Steigerung der Einkommen und Vermögen einer Minderheit
gerichtet ist und im Gegenzug eine Verschlechterung der
Lebensbedingungen für viele Menschen mit sich gebracht hat.
Wenn man solche Absichten hat, muss man möglichst
viele Fremdwörter gebrauchen; denn Fremdwörter sind
stets dazu da, die wahren Absichten zu verschleiern.
({2})
Beginnen wir mit der Deregulierung. Hätte man vom
Abbau des Kündigungsschutzes, von der Abschaffung
der Tarifverträge oder von der Abschaffung langfristig
gesicherter Arbeitsplätze gesprochen, dann hätte jeder
verstanden, was da eigentlich beabsichtigt ist.
Zur Flexibilisierung. Hätte man von Arbeitszeiten
rund um die Uhr ohne Rücksicht auf die Familie und auf
soziale Belange gesprochen oder zum Beispiel den Beschäftigten der Telekom gesagt, dass sie irgendwann
Fahrten zum Arbeitsplatz von 200 Kilometern in Kauf
nehmen müssen, dann hätten alle verstanden, was mit
Flexibilisierung eigentlich gemeint ist.
Das Wort Privatisierung hätte man schlicht und einfach übersetzen müssen: privare heißt, ins Deutsche
übersetzt, berauben. Bei der Privatisierung der Bahn
geht es also schlicht und einfach um eine Beraubung
oder Enteignung der Bevölkerung; denn fünf Generationen haben diese Bahn in Deutschland aufgebaut und mit
ihrem Vermögen finanziert. Jetzt soll schlicht und einfach enteignet werden.
({3})
Es ist schon erstaunlich, wie die Technik der Verschleierung und der Darstellung falscher Zusammenhänge einfach weiter angewandt wird. Der Verkehrsminister stellt sich hier hin und spricht mit blauen oder
vielleicht auch braunen Augen - ich erkenne das auf die
Entfernung nicht ganz - von einer Erfolgsgeschichte. Da
ist man doch wirklich platt. Diejenigen, die uns jetzt zuhören und das gehört haben, fragen sich sicherlich, wer
da eigentlich redet.
({4})
- Freuen Sie sich ein bisschen! Gleich werden Sie sich
nicht mehr freuen.
Die Erfolgsgeschichte sieht so aus: Zwischen 1994
und 2004 wurden 5 000 Kilometer Schiene stillgelegt.
Ist das wirklich eine Erfolgsgeschichte?
({5})
Die Zahl der Bahnhöfe ist um 400 gesunken. Ist das
wirklich eine Erfolgsgeschichte? Macht sich ein Minister, der hier im Deutschen Bundestag so etwas erzählt,
nicht zum Narren?
({6})
100 000 Arbeitsplätze sind abgebaut worden. Hat man
wirklich die Frechheit, so etwas als Erfolgsgeschichte zu
bezeichnen?
({7})
Die in den letzten Jahren aufgehäuften Schulden sind
weitaus höher als die, die vor der Privatisierung der
Bahn aufgehäuft worden sind.
({8})
So etwas als Erfolgsgeschichte zu bezeichnen, ist
schlicht und einfach Volksverdummung. Die Bevölkerung merkt die Absicht und ist verstimmt.
({9})
Wenn schon Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind, dann wissen die Menschen, was es
zu bedeuten hat, wenn jemand verspricht, die Arbeitsplätze zu sichern. Das sind die üblichen Beschwichtigungsformeln, die immer wieder vorgetragen werden,
wenn der Prozess so weitergehen wird. Die Bevölkerung
und die Beschäftigten der Bahn müssen wissen: Wenn
Renditedenken im Vordergrund steht, dann werden weiterhin Arbeitsplätze abgebaut, Strecken stillgelegt und
Bahnhöfe verkauft oder was auch immer damit geschieht.
({10})
Wir haben bei der Post und bei der Telekom erlebt,
was das für die Beschäftigten bedeutet. Wie kann man
nur so blind sein und dies als großen Erfolg verkaufen?
({11})
Die Beschäftigten bei der Telekom und bei der Post haben große Nachteile in Kauf zu nehmen. Sie haben in
großem Umfang ungesicherte Arbeitsplätze in Kauf nehmen müssen. Es kann nicht ernsthaft die Absicht bestehen, dies fortzusetzen.
Die Lebensbedingungen der Menschen werden
durch die Privatisierung der Bahn erheblich verschlechtert.
({12})
Dies gilt insbesondere für diejenigen in der Bevölkerung, die nicht in Ballungsgebieten wohnen. Es sind
keine tiefgehenden Kenntnisse über die Funktionsweise
des öffentlichen Nahverkehrs nötig, um zu wissen, was
passiert, wenn die Strecken privat betrieben werden.
({13})
Private betreiben Strecken, wenn sie damit wirtschaftliche Gewinne erzielen können. Wenn sich die Strecken
nicht rentieren, dann werden sie schlicht und einfach
aufgegeben. Das war in den vergangenen Jahrzehnten
immer der Fall und wird auch in Zukunft so sein.
({14})
Es ist eine besondere Tragik, dass Sie dieses Programm
ankündigen, Herr Bundesverkehrsminister; denn die
Stilllegung von Strecken wird in erster Linie in Ostdeutschland erfolgen. Was Sie vorgestellt haben, ist ein
Abbauprogramm Ost, um dies in aller Klarheit zu sagen.
({15})
Diese Maßnahme ist im Grunde genommen auch gegen die ökologischen Erfordernisse gerichtet. Es ist eine
Tatsache, dass das Schienensystem effizienter und auch
unter Energiegesichtspunkten jeder anderen Verkehrsart vorzuziehen ist. Wenn man das Renditedenken in den
Vordergrund stellt und wie in den vergangenen Jahren
darauf abzielt, möglichst große Gewinne zu erwirtschaften, dann geht das zulasten einer umweltfreundlichen
Gestaltung des öffentlichen Nahverkehrs und des Umweltschutzes.
({16})
Diese Logik, die Sie übersehen, veranlasst uns, diese
Maßnahme abzulehnen.
Wir könnten Sie zwar im Sinne der Parteienkonkurrenz ermuntern, so weiterzumachen - im Sinne der Parteienkonkurrenz freuen wir uns, wenn Sie einen Fehler
nach dem anderen begehen -, aber leider trifft das in
großem Umfang die Bevölkerung. Das ist der Nachteil.
Warum beschließen Sie immer wieder Maßnahmen, die
von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt
werden? Sie sind doch Volksvertreter.
({17})
Volksvertretung heißt, dass man den mehrheitlichen
Willen der Bevölkerung respektiert, statt ihn systematisch zu ignorieren.
({18})
Auch zwei Drittel der Anhängerschaft von Union und
SPD lehnen diese Maßnahme ab. Das alles interessiert
Sie aber nicht. Die Gründe, die Sie vortragen, sind mehr
als zweifelhaft.
({19})
Diejenigen in der Bevölkerung, die sich mit der Bahnprivatisierung befasst haben, sind als Kunden sicherlich
genauso sachkundig wie Sie alle hier; denn sie erleben
täglich, was Bahnprivatisierung heißt. Sie erleben es als
Beschäftigte und auch als Bewohnerinnen und Bewohner strukturschwacher Gebiete. Die Bahnprivatisierung
ist für die Menschen mit großen Nachteilen verbunden.
({20})
Es ist erstaunlich, dass Sie das alles ignorieren können
und unbeirrt einen Weg weiterverfolgen wollen, der
große Nachteile für die Bevölkerung mit sich bringt.
({21})
- Sie sagen: ohne Sachverstand. Der Zuruf zeigt Ihre
Arroganz. Sie glauben, Sie hätten die Weisheit gepachtet, und die große Mehrheit der Bevölkerung wisse nicht,
worum es geht. Aber Sie irren sich. Sie begehen die Fehler; die Bevölkerung hat in vielen Fragen mehr Durchblick als Sie.
({22})
Manchmal kann man auch von der Entwicklung in
anderen Ländern lernen. Es gab schon in England eine
Bahnprivatisierung
({23})
- ich kenne die Differenzen -, die vollständig war und
bei der man noch blauäugiger in manche Fallen getappt
ist, als Sie es nun tun. Aber Sie verkennen mit Ihrem
Verweis auf die 49-Prozent-Regelung die Wirkungsweise der Privatisierung, die man schon jetzt im Unternehmen erkennen kann. Privatisierung bedeutet nun einmal Renditesteigerung, die wiederum zur Stilllegung
von Strecken und Bahnhöfen sowie zum Abbau der Bedingungen für die Beschäftigten führt. Es ist doch kein
Zufall, dass beispielsweise die Lokführer in Deutschland
deutlich weniger verdienen als ihre Kollegen in anderen
europäischen Ländern. Erklären Sie das doch einmal!
Ich fasse zusammen: Wir lehnen die geplante Bahnprivatisierung ab, weil sie schlicht und einfach gegen die
Bevölkerung und die Beschäftigten gerichtet ist.
({24})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zurück
zur Bahnreform.
({0})
Ich möchte an die Ziele der Bahnreform erinnern, wie
wir sie 1993 gemeinsam im Bundestag formuliert und
beschlossen haben. Der Minister hat eingangs darauf
verwiesen, aber einige vergessen. Deswegen zähle ich
sie vollständig auf: erstens mehr Verkehr auf die
Schiene, zweitens Wahrung des Gemeinwohlauftrags bei
Ausbau und Erhalt der Schieneninfrastruktur gemäß
Art. 87 e des Grundgesetzes, drittens mehr Wettbewerb,
Genosse Lafontaine, viertens Begrenzung der finanziellen Belastung des Bundeshaushaltes, fünftens Stärkung
der Wirtschaftlichkeit der Bahn und sechstens klare
Trennung von staatlich-hoheitlicher und unternehmerischer Verantwortung.
({1})
Das sind die gemeinsamen Ziele, die der Minister zum
großen Teil vergessen hat zu erwähnen. Das ist kein
Wunder; denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
werden diese Ziele gar nicht mehr verfolgt.
({2})
Im Gesetzentwurf heißt es unter Problem und Ziel:
Teilweise Kapitalprivatisierung der Deutsche Bahn
AG
So schrumpft das Reformprojekt der Neuorganisation
des Eisenbahnwesens auf die teilweise Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn zusammen. Das ist die eigentliche Krux Ihres Vorgehens.
({3})
Ich komme auf die einzelnen Punkte zu sprechen.
Mehr Verkehr auf die Schiene: In diesem Punkt muss
ich meinen kritischen Vorrednern recht geben. Es handelt sich bei der Entwicklung in den letzten zwölf Jahren
nicht nur um eine Erfolgsgeschichte. Vielmehr ist im
ländlichen Raum ausgedünnt worden. Strecken und
Bahnhöfe wurden stillgelegt. Die Bahn hat mächtig rationalisiert. Das, was nun angeschoben werden soll, hat
also schon stattgefunden. Man müsste nun eigentlich
vorsichtig sein und darüber nachdenken, wie man eine
Bremse einbauen könnte. Wenn man die verschiedenen
Strategiepapiere liest, zum Beispiel Pro Netz der
Deutschen Bahn, erkennt man, dass das Netz in Zukunft
renditelogisch betrieben werden soll. Liebe Kollegen
von der SPD, so viel verstehen doch auch Sie von der
Marktwirtschaft, um einzusehen, dass, wenn privates
Kapital reingeholt wird, auch die Logik des privaten Kapitals verfolgt wird. Sonst müsste man es gar nicht machen. Gerade darin besteht die Gefahr.
Wahrung des Gemeinwohlauftrags: Kollege Friedrich
hat wortreich ausgeführt, Sie hätten das Eigentum der
Bahn entrissen - sie gehört uns übrigens noch -, um es
dann für das Volk als Eigentum festzuhalten und den
Gemeinwohlauftrag bei der Infrastruktur zu sichern.
Alle Kritiker - auch in den Reihen von SPD und CDU/
CSU - sagen in Übereinstimmung mit allen Experten
klipp und klar: Wer das Eigentum nur formal hält, es
aber wirtschaftlich an die DB abgibt, genauso wie seine
Aufsichtsratsposten, wer alle diese Einschränkungen
vornimmt, hat nur noch eine leere Hülse in der Hand.
Man hat kein Eigentum mehr und hat nichts mehr zu sagen. Das ist die Wahrheit.
({4})
Wörtlich heißt es in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs zum wirtschaftlichen Eigentum bei der DB AG:
Voraussetzung hierfür ist die Möglichkeit des Mutterunternehmens,
- also der DB AG die Finanz- und Geschäftspolitik dieses Unternehmens zu bestimmen, um aus dessen Tätigkeit Nutzen zu ziehen.
({5})
Das ist der eigentliche Zweck dieses Gesetzes. Reden
Sie nicht drum herum! Das ist die Wahrheit. Ich bedaure,
dass Sie das schönreden wollen, Kollege Friedrich.
({6})
Im Übrigen: Man muss nicht jedem Juristen glauben.
Wenn aber eine ganze Batterie von Juristen bei allen Anhörungen immer wieder das Gleiche sagt, dann sollten
Sie das ernst nehmen. Mit diesem Entwurf widersprechen Sie den Aufträgen des Grundgesetzes. Wenn alle
sagen, dass man es nicht so hinbiegen kann, wie Sie das
wollen, dann sollten Sie zumindest anfangen, darüber
nachzudenken. Aber das tun Sie nicht.
Zur dritten Frage: mehr Wettbewerb auf der Schiene
oder - wie man inzwischen sagen muss - National
Champion? Ich zitiere aus dem Interview von Minister
Tiefensee in Vanity Fair. Dort heißt es auf die Frage nach
dem Gewinn der Privatisierung wörtlich:
Es gibt
mehr Deutsche Bahn und weniger ausländische Anbieter.
Da hat man doch glatt den Eindruck, dass das Ordnungsprinzip Wettbewerb durch Marktwirtschaft zu einem
chauvinistischen Begriff verkommt. Darum geht es doch
gar nicht. Tatsächlich geht es darum, dass wir den Schienenbereich so organisieren, dass Wettbewerb möglich
ist. Genau das wird durch dieses Gesetz völlig vermieden. Kollege Friedrich von der CSU, die formale Abtrennung des Eigentums am Netz ist keine hilfreiche
Konstruktion, weil Sie dadurch das öffentliche Eigentum
nicht bewahren und weil Sie keinen Wettbewerb im
Markt organisieren. Damit führen Sie vielmehr ein verquastes Konstrukt ein.
({7})
Wir Grüne stehen eindeutig zu dem Prinzip Wettbewerb auf der Schiene. Wir sagen klipp und klar: Die Infrastruktur, die Schiene, muss in öffentlicher Hand bleiben. So will es auch das Grundgesetz.
({8})
Dort, wo es Wettbewerb gibt, ist man vorangekommen.
Das gilt im Bereich des Güterverkehrs und im Bereich
des Personennahverkehrs, aber eben genau dort und
sonst nirgends.
Kommen wir zu einem anderen Punkt, der uns allen
wichtig ist, nämlich dem Haushalt. Man ist immer wieder in der Versuchung, zu fragen: Warum machen ausgerechnet Sozialdemokraten so einen miesen Deal? Man
muss es noch einmal sagen: Ein Vermögen, das gemäß
Ihrem eigenen Änderungsantrag einen Wert von
180 Milliarden Euro hat, verkaufen Sie zur Hälfte für
gerade einmal 8 Milliarden Euro. Das reicht noch nicht
aus: Zusätzlich versprechen Sie 15 Jahre lang einen jährlichen Beitrag von 2,5 Milliarden Euro.
({9})
Hinzu kommen 1 Milliarde Euro für den Ausbau sowie
weitere Milliarden Regionalisierungsmittel.
({10})
Meine Damen und Herren Genossen,
({11})
der eine oder andere von Ihnen kennt noch das Märchen
vom Hans im Glück. Wirklich aufgepasst haben Sie
schon damals nicht; denn Hans im Glück hatte das
Tauschwertprinzip der Marktwirtschaft nicht verstanden.
Er hatte nach mehrfachem Tausch am Schluss nichts
mehr in der Hand. Das ist sozusagen die Quintessenz des
Märchens. - Sie geben auf einen Schlag alles weg. Sie
tauschen es weg, schieben den Privaten die Milliarden
noch hinterher - das hat Hans im Glück übrigens nicht
gemacht - und sagen, das sei ein gutes Geschäft. Wem
wollen Sie das eigentlich verkaufen?
({12})
Zum letzten Punkt, der Trennung der staatlich-hoheitlichen Verantwortung von der unternehmerischen Verantwortung. Was machen Sie? Statt einer Trennung machen Sie eine Vermischung. Statt Wahrnehmung der
staatlich-hoheitlichen Verantwortung im Bereich Infrastruktur übergeben Sie die Verantwortung an Private und
übergeben dies damit der Profitlogik. Sie vermischen
konsequent unternehmerische Verantwortung und staatliche Verantwortung. Was ich als Politiker besonders
schlimm finde, ist, dass Sie nicht nur dieses Unternehmen verkaufen, sondern die Schienenverkehrspolitik
gleich mit.
Fazit: Dieses Gesetz hat grundlegende, ja kapitale
Mängel. Es ist ein verqueres, paradoxes, grundgesetzwidriges Konstrukt. Es ist ökonomisch und politisch unsinnig. Dadurch wird öffentliches Vermögen verschleudert und weiteres öffentliches Vermögen noch
hinterhergeschoben. Das alles tun Sie angeblich im
Geiste der Sicherung des Gemeinwohls und der Stärkung des German Champions, der Deutschen Bahn. Sie
verpacken dies in schöne Worte. Tatsächlich aber ist das
ein Ausverkauf von Politik und Wirtschaft.
({13})
Dieses Gesetz schadet dem Schienenverkehr, es schadet dem Kunden, es schadet der Wirtschaft, es schadet
den Ländern und letztendlich auch der Politik. Wir Grünen werden dieser Art von Privatisierung nicht zustimmen.
Wir sehen, dass es in den Koalitionsfraktionen erheblichen Widerspruch gibt. Wir freuen uns über diesen Widerspruch und hätten uns mit Ihnen, Kollege Friedrich,
gerne auf einen kritisch-konstruktiven Diskurs eingelassen. So war es übrigens auch einmal angekündigt. Dann
aber hat Minister Tiefensee mit seinem Haus in engem
Schulterschluss mit Herrn Mehdorn einen Gesetzentwurf
konstruiert, der der Debatte in diesem Haus überhaupt
nicht entspricht. Dieser Gesetzentwurf, dieses verquaste
Eigentumssicherungskonzept, ist bis zum heutigen Tag
weitergeschoben und als Koalitionsentwurf in den Bundestag eingebracht worden, obwohl die Kritik in Ihren
Reihen groß ist, obwohl es erhebliche Bedenken gibt.
Wir sind immer noch bereit, konstruktiv mit Ihnen zusammenzuarbeiten und etwas anderes zu beschließen.
Dann aber muss es substanzielle Änderungen geben.
Herr Kollege Hermann, darf ich Sie an Ihre Redezeit
erinnern?
Ich komme zum Schluss. - Es muss sehr viel geändert
werden; es geht nicht nur um einige Schönheitskorrekturen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Klaas Hübner, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn Die Linke in diesem Haus die Erfolgsgeschichte der Bahn platterdings nicht nur infrage stellt,
sondern schlicht verleugnet, tut sie den 230 000 Beschäftigten, die exzellent gearbeitet haben in den letzten
Jahren, absolut unrecht. Es ist nicht in Ordnung, was Sie
machen. Wir sind stolz auf das, was die Beschäftigten
geleistet haben. Es ist in der Tat eine Erfolgsgeschichte,
die nur zusammen mit den Beschäftigten der Deutschen
Bahn AG entstehen konnte. Wir sagen an dieser Stelle
Dank an alle Beschäftigten!
({0})
Des Weiteren wird gesagt, wir würden das Schienennetz verkaufen. Das ist schlicht falsch. Dieser Gesetzentwurf besagt etwas anderes. Momentan ist die Situation
so, dass wir Eigentum an der DB AG haben und die
DB AG Eigentümerin des Schienennetzes ist. Kurzum:
Der Bund hat mittelbares Eigentum. Mit diesem Gesetz
verschaffen wir uns unmittelbares Eigentum,
({1})
indem der Bund die Eisenbahninfrastrukturunternehmungen direkt übernimmt. Da wir aber wissen, dass die
Bewirtschaftung dieses Netzes nichts ist, was der Bund
heute leisten kann, dass wir dafür Experten brauchen, die
es bewirtschaften und betreiben, überlassen wir der
DB AG die Bewirtschaftung. Das ist die Situation. Hören Sie also auf, so zu tun, als würden wir das Schienennetz verkaufen! Das ist schlicht nicht wahr.
({2})
Mit der sogenannten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung leiten wir einen Paradigmenwechsel ein.
Bisher ist es so, dass wir kontrollieren und festlegen, wo
instand gehalten und wo ausgebaut wird. Aber wir haben
keine Übersicht über die Qualität des Gesamtnetzes. Mit
der neuen Konzeption werden wir eine outputorientierte
Betrachtung einführen. Wir legen fest, dass die Bahn die
Qualität des Netzes erhalten muss. Wir überprüfen das
jedes Jahr durch entsprechende Messfahrten und werden
die Bahn, wenn sie gefehlt hat, wenn sie bei Regionaloder Fernnetzen die entsprechende Qualität nicht erreicht hat, pönalisieren. Das heißt, sie muss eine Strafe
dafür bezahlen.
({3})
Wir messen den Output, also ob die entsprechende Qualität vorhanden ist, und nicht mehr den Input. Es ist ein
positiver Paradigmenwechsel, der in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Herr Kollege, Frau Kollegin Menzner würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Nein, vielen Dank, keine Zwischenfrage.
Außerdem war uns Sozialdemokraten ein starker, integrierter Konzern sehr wichtig; denn nur so ist es möglich, den konzerninternen Arbeitsmarkt zu erhalten.
({0})
Das ist eine ganz wichtige Forderung, die wir im Sinne
der Beschäftigten der Deutschen Bahn AG in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt haben. Darauf sind
wir stolz.
Oft wird die Befürchtung geäußert, dass regionale
Strecken stillgelegt werden könnten. Die Wahrheit ist
aber, dass die Länder mit den Regionalisierungsmitteln,
die der Bund ihnen zur Verfügung stellt, schon heute selber die Verkehre bestellen. Die regionalen Verkehre sind
bereits regionalisiert. Mit der Privatisierung hat das gar
nichts zu tun. Die Länder können selber entscheiden, wie
und bei wem sie Verkehr bestellen: ob sie ausschreiben,
ob sie sich an die DB AG oder an einen der anderen Anbieter wenden. Hören Sie doch auf, den Leuten hier etwas zu erzählen, was schlicht nicht wahr ist! Halten Sie
sich doch einmal an den Gesetzestext! Zu einer seriösen
Politik gehört es doch, den Gesetzestext zu lesen, oder
nicht?
({1})
Ich möchte noch etwas zu den Streckenstilllegungen
sagen. Schon heute ist es so, dass die DB AG selber gar
keine Möglichkeit hat, eine Strecke stillzulegen. Wenn
überhaupt etwas passiert, dann Folgendes: Wenn die
DB AG eine Strecke nicht mehr befahren möchte, dann
teilt sie das dem Eisenbahn-Bundesamt mit; sie meldet
sich dort sozusagen ab. Das Eisenbahn-Bundesamt wird
diese Strecke dann ausschreiben. Jeder Anbieter, der
diese Strecke auf eigenes Risiko befahren will, bekommt
die Möglichkeit, das zu tun. Wenn dann nur ein einziger
Anbieter sein Interesse bekundet, darf diese Strecke
- das gilt schon heute - gar nicht stillgelegt werden.
Kurzum: Alles, was Sie bezüglich möglicher Streckenstilllegungen durch die Privatisierung sagen, ist blanker
Unsinn. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts
zu tun.
({2})
Ich möchte noch auf das eingehen, was die Kollegen
von der FDP und von den Grünen, die ja die Trennung
favorisieren, gesagt haben.
({3})
Sie müssen konzedieren: Wenn man die Trennung schon
heute vornehmen würde, dann wäre sofort ein Wertausgleich von 7,5 Milliarden Euro fällig.
({4})
Dabei geht es um in die Infrastruktur geflossene Gelder,
die nicht aus Steuermitteln stammen, sondern von der
DB AG erwirtschaftet worden sind; es sind also Eigenmittel der DB AG, die ihr ersetzt werden müssten. Auch
das ist die Wahrheit.
({5})
- Selbstverständlich. Das sind die Gewinne der DB AG. Sprechen Sie also nicht nur davon, dass nach unserem
Modell am Ende ein Wertausgleich fällig wird! Nach Ihrem Modell wäre er sofort fällig.
({6})
Die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn ist meines
Erachtens deswegen notwendig, weil wir es in Deutschland mit enorm wachsenden Logistikmärkten zu tun haben. Das ist insgesamt ein wichtiger Schlüssel für das
wirtschaftliche Wachstum in Deutschland. Angesichts
dessen, dass die Güterverkehrsmärkte seit dem 1. Januar
dieses Jahres offen sind und dass die Personenverkehrsmärkte ab dem 1. Oktober 2010 europaweit geöffnet
werden, sollten wir ein Interesse daran haben - egal was
wir machen, wir werden immer Mehrheitseigentümer
der Bahn sein -, dass die Deutsche Bahn AG in der Lage
ist, mit den anderen Wettbewerbern mitzuhalten. Dazu
muss sie investieren, auch in ihre Züge, in rollendes Material, und dazu braucht sie Mittel. Diese Mittel wollen
wir ihr dadurch verschaffen, dass wir einen Teil der
DB AG privatisieren. Damit versetzen wir die DB AG in
die Lage, wettbewerbsfähig zu sein und mitzuwachsen.
Das ist die Grundvoraussetzung dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken, dass die Beschäftigungsverhältnisse gesichert bleiben. Eine nicht
marktfähige DB AG wird ihren Beschäftigten keine Perspektive auf einen gesicherten Arbeitsplatz geben können. Darum ist das, was wir tun, im Sinne der Beschäftigten und nicht gegen sie gerichtet.
({7})
Ich glaube, wir haben eine riesige Chance, die
DB AG deutlich zu stärken. Ich halte es für sinnvoll
- übrigens auch unter ökonomischen Gesichtspunkten -,
dass sie ein integrierter Konzern bleibt. Auf den wachsenden Logistikmärkten werden heute zum Beispiel von
denjenigen, die Waren exportieren, Teilstrecken nicht
mehr nachgefragt. Wenn etwa eine Firma aus Hamburg
etwas exportieren will, dann wird sie nicht erst einen
Schienenverkehr, dann einen Schiffsverkehr und danach
einen Flugverkehr bestellen. Sie sucht sich vielmehr einen Spediteur, einen Logistiker, der die Ware abholt und
zum Bestimmungsort bringt, selbst wenn der in China
ist.
({8})
Dazu wird die Bahn als integrierter Konzern in der Lage
sein. Das hat einen besonders positiven Effekt: Weil es
ihr Kerngeschäft ist, wird die Bahn AG versuchen, die
Ware auf der Schiene zu transportieren. Das ist ökologisch sinnvoll und von uns gewollt.
({9})
Darum brauchen wir eine starke, integrierte Deutsche
Bahn AG.
Sie wissen, dass der vorliegende Gesetzentwurf nicht
festlegt, in welcher Form private Anleger zu beteiligen
sind. Darüber gibt es auch in meiner Partei eine Diskussion. Wir werden darüber diskutieren, was sinnvoll ist.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Wir können private
Anleger zum Beispiel über Stammaktien direkt beteiligen; uns ist auch das Modell der Volksaktie vorgelegt
worden. Über all das wird unsere Fraktion sehr offen
und ernsthaft diskutieren. Dabei werden wir uns an folgenden drei Kriterien orientieren: Erstens. Es muss sichergestellt sein, dass der Einfluss des Bundes auf die
Bahn und vor allem auf das Schienennetz gesichert ist.
Zweitens. Es muss gewährleistet sein, dass die Beschäftigten sichere Arbeitsplätze haben. Drittens. Gewährleistet muss auch sein, dass die DB AG finanziell gestärkt
wird.
Ich persönlich glaube, dass wir auf einem guten und
richtigen Weg sind. Die Koalition weiß, was sie an dieser Stelle will. Wir wollen eine starke Bahn.
({10})
Wir wollen eine Bürgerbahn. Das heißt, wir wollen eine
moderne Bahn. Ich kann Sie nur bitten, daran mitzuwirken.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Menzner. Sie, Herr Kollege Hübner, können dann
darauf antworten.
Kollege Hübner, Sie haben eben ausführlich dargelegt, wieso Sie glauben, dass die Teilprivatisierung uns
als Parlament mehr Möglichkeiten gibt, zu kontrollieren,
in welchem Zustand das Schienennetz ist. Damit haben
Sie implizit auch deutlich gemacht, dass wir als Vertreter
des Eigentümers schon jetzt nur minimale Möglichkeiten haben, das Ganze zu kontrollieren. Ich möchte einmal wissen, woher Sie die Hoffnung nehmen, dass wir
mehr Einfluss und mehr Kontrollmöglichkeiten haben,
wenn uns nur noch die Hälfte gehört.
Sie haben dann ausgeführt, dass die Bahn investieren
müsse. Insofern haben wir noch nicht einmal einen Dissens. Wenn wir uns die Zahlen und die Geschäftspraktiken der letzten Jahre anschauen, stellen wir fest: Die
DB AG hat im Wesentlichen nicht in Wagen, nicht in
Güterwagen, nicht ins Netz in Deutschland investiert. Zu
nennen sind statt dessen Bax Global, Aufrüstung der
Transsib, chinesische Containerterminals etc. Das ist
nicht das, was der Steuerzahler, der Bürger von der Bahn
erwartet.
({0})
Er will hier von A nach B kommen - zu vernünftigen
Preisen, in einem vernünftigen Takt.
({1})
Herr Kollege Hübner.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Menzner, noch
einmal: Was Sie sagen, ist doch schlicht falsch. Das
Schienennetz wird nicht verkauft,
({0})
sondern verbleibt beim Bund. Nehmen Sie das doch einfach einmal zur Kenntnis! Lesen Sie das Gesetz! Lektüre
hilft manchmal. Lesen bildet. Das macht Sinn.
({1})
Richtig ist auch, dass die DB AG in den letzten Jahren sehr viel investiert hat, gerade in das rollende Material. Denken Sie an die modernen ICE-Züge! Warum ist
die Qualität besser geworden? Warum hat sich die Qualität für Fahrer und Fahrgäste verbessert?
({2})
Weil dort investiert worden ist! Das können Sie doch
nicht einfach negieren.
Die Realität ist auch: Die Märkte werden weiter
wachsen. Meine Fraktion und ich möchten gern, dass die
DB AG mitwachsen kann und dass wir sie dafür entsprechend ausstatten können. Das ist in meinen Augen auch
im Sinne der Beschäftigten und im nationalen Interesse.
Für die Öffentlichkeit sage ich noch einmal ganz klar:
Erstens. Das Schienennetz wird nicht verkauft. Es
bleibt dauerhaft beim Bund.
Zweitens. Wir wollen eine starke Bahn haben. Dazu
müssen wir sie finanziell so ausstatten, dass sie mitwachsen kann. Darum sind wir hiermit auf einem sehr
guten Weg.
({3})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dirk Fischer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes wird das wichtigste verkehrspolitische Gesetzgebungsvorhaben der Großen Koalition auf
den Weg gebracht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
will die Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG,
aber unter akzeptablen Rahmenbedingungen.
({0})
Entscheidend ist, dass der Bund auf Dauer Eigentümer der Infrastruktur bleibt. Dazu gehören völlig unstreitig: Netz, Bahnhöfe und Energieversorgung. Nur so
wird der Bund seiner Infrastrukturverantwortung gerecht, und der Gesetzgeber behält für die Zukunft Gestaltungsoptionen.
Der Deutsche Bundestag hat am 24. November 2006
beschlossen, dass die Infrastruktur nicht an den Kapitalmarkt gebracht wird, sondern frei von juristischen Risiken dauerhaft im Eigentum des Bundes verbleibt. Der
Gesetzentwurf sieht nunmehr ein Modell vor, in dem das
juristische und wirtschaftliche Eigentum für einen befristeten Bewirtschaftungszeitraum aufgespalten wird
und dem Bund für diesen Zeitraum die Gesellschaftsanteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Sicherheit übereignet werden müssen.
Die Union ist bereit, das vorliegende Modell als
Übergangsmodell zu akzeptieren. Dieses Sicherungseigentum ohne eigentumsrechtliche Gestaltungsbefugnis
des Eigentümers endet nach Ablauf des im Gesetz geregelten Bewirtschaftungszeitraums. Danach hat der Bund
das uneingeschränkte Eigentum und ist völlig frei, per
Gesetz über die weitere Zukunft der Infrastruktur zu entscheiden. Der Bund ist dann verpflichtet, der DB AG ei12010
Dirk Fischer ({1})
nen Wertausgleich in Höhe des bilanziellen Eigenkapitals der Infrastrukturgesellschaften zu zahlen; das wären
per 31. Dezember 2006 etwa 7,5 Milliarden Euro gewesen.
Aus der Sicht der CDU/CSU-Fraktion müssen im Gesetzgebungsverfahren aber noch einige Änderungen
und Ergänzungen im Gesetzentwurf erfolgen.
Dem Gesetzgeber dürfen keinerlei Vorgaben gemacht
werden, wie er nach Ablauf des Bewirtschaftungszeitraums mit seinem Eigentum verfährt. Deswegen sind die
in Art. 2 § 5 des Gesetzentwurfs enthaltenen Handlungsalternativen ersatzlos zu streichen.
Die Infrastrukturverantwortung des Staates muss im
Gesetzentwurf gestärkt werden. Der Bund muss für die
vom Gesetzgeber beschlossenen vordringlichen Bedarfsplanmaßnahmen ein Durchsetzungsrecht erhalten. Das
haben wir übrigens schon im letzten November beschlossen; es steht nur noch nicht im Gesetzentwurf.
({2})
Hier müssen Konflikte zwischen der Infrastrukturverantwortung des Staates sowie den betriebswirtschaftlichen
Interessen der DB AG einerseits und ihrer Wettbewerber
andererseits verhindert werden.
Die heutige Netzqualität, für die der Bund teuer bezahlt, muss gesichert werden. In einem fortzuschreibenden Netzzustandsbericht muss diese objektiv, das heißt
extern, evaluiert werden.
({3})
Auch das haben wir übrigens im letzten November beschlossen; es steht aber noch nicht im Gesetzentwurf.
({4})
Vor der Verabschiedung des Gesetzes muss dem
Deutschen Bundestag eine unterschriftsreife Leistungsund Finanzierungsvereinbarung vorliegen.
({5})
Diese muss vor einer materiellen Privatisierung, wie
vom PRIMON-Gutachten empfohlen, in einem einjährigen Echtbetrieb erprobt und gegebenenfalls an die Erfahrungen angepasst werden.
({6})
Denn nur so hat der Bund die nötigen Informationen und
Möglichkeiten, um Änderungen an der LuFV tatsächlich
durchzusetzen, und zwar bevor die Kapitalprivatisierung
stattfindet.
({7})
Die LuFV regelt die gegenseitigen Rechte und Pflichten
zur Aufrechterhaltung eines betriebsbereiten Schienennetzes und dessen Finanzierung über einen sehr langen
Zeitraum. Sie ist daher von entscheidender Bedeutung
für den Erfolg der Privatisierung und die Sicherung der
Infrastrukturqualität.
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Laufzeit des Bewirtschaftungszeitraums - der Kollege Hans-Peter
Friedrich hat es schon gesagt - und damit der Sicherungsübertragung von 18 Jahren ist zu lang und muss
verkürzt werden. Der Bund muss in einem überschaubaren Zeitraum ohne Wenn und Aber über sein Eigentum
verfügen können.
Für mehr Wettbewerb auf der Schiene müssen die
Rechte der Regulierungsbehörde gestärkt werden. Die
Bundesnetzagentur muss in der Lage sein, Trassenentgelte zu verhindern, die einseitig die Wettbewerber der
DB AG belasten und die sich nicht an den Kosten einer
effizienten Leistungserstellung orientieren.
({8})
Auch sollte eine Anreizregulierung eingeführt werden.
Bei all diesen Punkten handelt es sich aus der Sicht
der Union um unverzichtbare Kernforderungen.
({9})
Mit der jetzigen Reform werden die Kontroll-, Zustimmungs- und Genehmigungsrechte des Bundes gegenüber der DB AG deutlich verbessert. Das ist erfreulich. Aber es bringt in der Sache nur etwas, wenn der
ernsthafte Wille zu einer effizienteren Wahrnehmung der
Rechte des Bundes, an der es in der Vergangenheit oft
gemangelt hat, besteht. Das ist nur mit einer Personalausstattung möglich, die nach Zahl und Qualifikation der
der DB AG ebenbürtig ist.
Bundesminister Tiefensee hat für die Bundesregierung in unseren Verhandlungen dem Deutschen Bundestag zugesagt, dass das ausgehandelte Privatisierungskonzept vor dem konkreten Kapitalmarkteintritt dem
Deutschen Bundestag zur Prüfung und Zustimmung vorgelegt werden muss. Das haben wir bereits in unseren
Beschlüssen vom letzten November in der Form festgelegt, dass das Konzept dem Parlament darzulegen ist, damit es entscheiden kann, ob das konkrete Geschäft aus
seiner Sicht vernünftig und verantwortbar sowie aus der
Sicht des Bundes auch werthaltig ist.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesen Prämissen tritt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion konstruktiv in das Gesetzgebungsverfahren ein.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Uwe Beckmeyer,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir sind mitten in der Debatte; sie hat nicht erst
gestern angefangen, sondern hat bereits einen Vorlauf
von einigen Jahren. Diejenigen, die sich mit dem Thema
Bahnreform näher beschäftigt haben, wissen, dass wir
von Positionen unterschiedlicher Art kommen, die sehr
weit auseinanderliegen. Die unterschiedlichen Positionen kann man folgendermaßen kennzeichnen:
Erstens. Es gibt Kräfte in der Republik, die die Lasten, die bei der Bahn entstehen, möglichst der Bundesrepublik Deutschland auferlegen wollen, während sie
den anderen Teil, mit dem man Geld verdienen kann,
privatisieren möchten. Dies ist für die Sozialdemokratie
nicht akzeptabel. Daher haben wir uns in den vergangenen Jahren sehr intensiv darum bemüht, festzustellen, in
welcher Form es gelingen kann, einen solchen Anspruch
abzuwehren.
Als ich vorhin dazwischengerufen habe, es gebe hier
in diesem Hause einige Ackermann-Jünger, meinte ich
damit diejenigen, die genau dieses Modell praktizieren
wollen: Sie wollen bis zu 100 Prozent der Eisenbahnunternehmen, die die Infrastruktur nutzen, privatisieren,
um das Geld zu verdienen, das wir dringend brauchen,
um Eisenbahn in Deutschland überhaupt möglich werden zu lassen. Daher muss man aufpassen, dass man bei
der jetzigen Debatte nicht in alte Schablonen und alte
Ziele verfällt.
Warum hat dieses Gesetz einen wichtigen Teil, der
Sicherungsübertragung heißt? Mit der Sicherungsübertragung wird in diesem Gesetz ein wichtiges Ziel
umgesetzt, nämlich den Zugriff von privaten Investoren
auf die Infrastruktur der Eisenbahnen in Deutschland zu
verhindern. Die Sicherungsübertragung ist also das zentrale Element, mit dem wir ein wesentliches Ziel dieses
Gesetzes erreichen.
Zweitens. Wir haben es bei der DB AG seit der ersten
Bahnreform mit einer Aktiengesellschaft zu tun. Trotz
der hundertprozentigen Eigentümerschaft des Bundes an
den Aktien gilt für diese Gesellschaft das Aktienrecht,
und dieses Recht schlägt durch. Darum ist das, was
Klaas Hübner vorhin gesagt hat, richtig: Bei einer Trennung ist sofort eine entsprechende Zahlung fällig. Wenn
Sie darauf verzichten, entsteht eine Aktiengesellschaft
ohne Eigenkapital, die sofort umfällt. Dies bedeutet, der
Finanzminister müsste sofort zahlen. Das hätte zur Konsequenz, dass alle in diesem Hause bestehenden Trennungsideen sofort ein enormes Haushaltsdesaster auslösen würden.
({0})
- Doch, das stimmt.
Drittens. Was treibt die sozialdemokratische Partei
und Fraktion aktuell in der Diskussion an? Wir müssen
und wollen den Bürgerinnen und Bürgern deutlich
machen, dass wir kein Interesse daran haben, dass
Gasproms, irgendwelche russischen Staatsbahnen,
Scheichs oder Ähnliche Zugriff auf die Deutsche Bahn
bzw. auf ihre Infrastruktur bekommen. Das wollen und
das werden wir vermeiden; das sage ich an dieser Stelle
ganz deutlich.
({1})
Wir haben Diskussionen zu führen, und der Kollege
Fischer von der christdemokratischen Union hat hier
ebenfalls deutlich gemacht, dass in dieser Angelegenheit
im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beide Fraktionen der Koalition einen Diskussionsbedarf sehen. Bei
uns gibt es einen solchen Diskussionsbedarf. Sie wissen,
dass innerhalb des SPD-Parteivorstandes das Volksaktienmodell angesprochen worden ist. Wir müssen uns
darüber unterhalten, wie ein solches Volksaktienmodell
auszugestalten ist, ob man entsprechende Renditegarantien geben kann und ob das ökonomisch sinnvoll ist.
({2})
- Es gibt auch noch andere Modelle für Volksaktien, die
durchaus denkbar sind. Sie haben aber alle einen Kern,
und zwar die Sicherung von Infrastrukturen. Ich glaube,
das ist ernst zu nehmen. Wir werden im Laufe des Beratungsgangs sehr ausführlich und intensiv diskutieren, um
unser Ziel zu erreichen. Das private Kapital soll dorthin
fließen, wo es sinnvoll ist, und zwar zu den Eisenbahnverkehrsunternehmen, die ihren Betrieb auf der vorhandenen Infrastruktur vornehmen und die keinen Zugriff
auf die 130 oder 180 Milliarden Euro Volksvermögen
des Netzes haben. Die Operation ist doch deswegen zur
Jahresmitte erfolgt, damit sämtliche Immobilien, die bei
der Holding lagen, auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen konzentriert werden.
({3})
Bei der Holding ist so gut wie nichts mehr übriggeblieben, abgesehen vom Kaiserbahnhof in Potsdam, in
dem sich eine Schulungsstätte befindet. Alles andere ist
auf die Infrastrukturunternehmen verteilt worden und in
ihr Eigentum übergegangen.
({4})
Das ist Inhalt des Gründungsgesetzes. Endlich ist es
vollzogen worden. Die Koalitionsfraktionen haben großen Wert darauf gelegt, dass das geschieht.
Ein weiterer Punkt: In diesem Gesetz ist zum ersten
Mal in Deutschland eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gesetzlich verankert. Der Bund
zahlt aufgrund des grundgesetzlichen Auftrags Geld an
die Länder, und zwar 6,7 Milliarden Euro, aufwachsend
2009 um 1,5 Prozent, für Regionalverkehre. Damit bestellen die Länder in der Fläche eigenverantwortlich, das
heißt, sie müssen den Bund nicht fragen. Darüber hinaus
geben wir jährlich 2,5 Milliarden Euro direkt für die Sicherung und für den Unterhalt des Netzes aus. Das wird
der Bund aufgrund der grundgesetzlichen Bestimmungen auch zukünftig leisten müssen. Dabei handelt es sich
nicht um eine Morgengabe an die DB AG; das Grundgesetz verpflichtet den Bund vielmehr zur Versorgung der
Schienenverkehre in Deutschland.
Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung beschreibt die Leistungen, die wir von der Bahn erwarten,
sowie den Finanzierungsanteil des Bundes. Dieser Finanzierungsanteil wird durch einen Netzzustandsbericht,
den wir jährlich im Plenum oder in den Ausschüssen des
Deutschen Bundestages diskutieren werden, zum ersten
Mal überprüfbar. So etwas gab es bisher nicht in
Deutschland. Eine solche Überprüfbarkeit wird zukünftig aufgrund dieses Gesetzes bestehen. Das ist ein Umstand, der uns zum ersten Mal in die Lage versetzt, nachzuprüfen, was denn mit dem vielen Geld, das die DB AG
vom Bund erhält, passiert. Wir verbessern die Situation
der parlamentarischen Kontrolle von null auf hundert;
darauf muss an dieser Stelle einmal hingewiesen werden.
({5})
Zum Wettbewerb: Zurzeit sind in Deutschland für die
36 000 Kilometer Netz, die es 2006 gab, 361 Eisenbahnverkehrsunternehmen eingetragen.
In der Tat sind nach der Wende in erheblichem Umfang Streckenstilllegungen erfolgt. Das lag aber auch
daran, dass es in der DDR keine andere Nahverkehrsversorgung gab. Aber von 2005 auf 2006 sind in Deutschland nach Absprache mit den Ländern und mit dem Eisenbahn-Bundesamt lediglich 100 Kilometer stillgelegt
worden. Dazu haben alle Beteiligten genickt.
Herr Kollege!
Liebe Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Herr Kollege Beckmeyer, Ihre Redezeit ist zwar überschritten, aber Herr Kollege Seifert hatte schon vor Ende
Ihrer Redezeit eine Zwischenfrage angemeldet. Ich
würde sie gerne zulassen, wenn Sie dazu bereit sind.
Der Kollege Seifert ist sehr geschätzt, aber ich
möchte meinen Gedanken zu Ende bringen und schlage
ihm vor, dass er mit mir im Verkehrsausschuss über sein
Anliegen spricht.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Wir haben bei
den Eisenbahnversorgungsunternehmen den Wettbewerb
klar im Auge. Gemeinsam mit der Regulierungsbehörde
und dem Netzbeirat werden wir den Wettbewerb stärken.
Vieles wird in Zukunft aufgrund dieses Gesetzes besser:
Die Sicherheit wird erhöht, es erfolgt eine Sicherungsübertragung der Immobilien und der entsprechenden Infrastruktur, es wird auch zukünftig eine klare Aussage
hinsichtlich der Regionalisierungsmittel getroffen, und
darüber hinaus haben wir einen verbesserten Wettbewerb zu erwarten.
Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber zum Schluss
kommen.
Ja. - Wenn ich das alles resümiere, kann ich nur Folgendes sagen: Die Vorteile des Gesetzes sind augenscheinlich vorhanden. Wir werden es in den Beratungen
bis zur zweiten und dritten Lesung mit den Vorschlägen
der SPD und der CDU/CSU noch weiter verbessern können.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Döring zu einer
Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber, geschätzter
Kollege Beckmeyer, ich will auf zwei Punkte eingehen.
Sie haben zunächst behauptet, das Trennungsmodell sei
sofort haushaltswirksam. Diese Aussage impliziert Ihre
Bewertung, dass ein Teilverkauf von Schenker, Bax
Global, Railion und anderen Unternehmensteilen - all
diese sind ja zurzeit zu 100 Prozent Eigentum des Bundes - zu geringeren Erlösen als 7,5 Milliarden Euro führen würde. Wenn das Ihre Annahme ist, dann wird die
Vorstellung umso skurriler, dass der Bund, wenn ein Anteil von 49 Prozent an allen Unternehmensteilen veräußert würde, noch weniger - dies wird im Gesetzentwurf
so angenommen - erlösen wird. Deshalb werden diese
7,5 Milliarden Euro bei einer sofortigen Trennung zwar
fällig, aber nicht im Rahmen des Bundeshaushaltes, sondern im Rahmen der Erlöse, die der Eigentümer Bund
deshalb erhalten kann, weil er bestimmte Anteile an einzelnen Unternehmen, die ihm heute zu 100 Prozent gehören, verkauft. Das ist der Privatisierungsweg, den der
Kollege Friedrich angesprochen hat.
({0})
Eine zweite Bemerkung. Sie haben gesagt: Die Sozialdemokraten wollten verhindern, dass russische
Staatsfonds und russische Staatsbahnen Teileigentümer
der DB AG werden. Sie sollten sich einmal überlegen,
was Sie wollen. Der Bundesverkehrsminister möchte
- auch Herr Hübner hat dies angesprochen - eine international erfolgreiche, wettbewerbsfähige Bahn. Ich frage
mich, wie man als Mitglied dieses Hauses sagen kann:
Wir wollen auf der einen Seite weiter mit 51 Prozent an
einem Unternehmen beteiligt sein, das sich bei der Bahn
in Schottland und in Slowenien einkauft und in Prag den
Nahverkehr organisiert, und wir wollen auf der anderen
Seite Unternehmen in der Welt verbieten, sich an unserer
Bahn zu beteiligen. - Das, geschätzter Kollege, passt
nicht zusammen.
Herzlichen Dank.
({1})
Herr Kollege Beckmeyer, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, herzlichen Dank.
({0})
- Nein, sprachlos bin ich überhaupt nicht, nur ein bisschen nachdenklich hinsichtlich des Gehaltes dieser Kurzintervention.
({1})
Erstens. Bei einer entsprechenden sofortigen Aufspaltung des Unternehmens hätten Sie eine DB AG ohne Eigenkapital. Eine DB AG ohne Eigenkapital fällt sofort
um. Das bedeutet, der Bund als 100-prozentiger Gesellschafter ist gehalten, sofort Geld nachzuschießen. Das
bedeutet, bei einer Trennung fließt sofort Geld, und zwar
in der Höhe des Eigenkapitals, das notwendig ist, um die
Bilanz im Gleichgewicht zu halten. Das heißt,
7,5 Milliarden Euro werden fällig. Da können Sie die
Wurst drehen, wie Sie wollen. Sie bekommen das dritte
Ende nicht in die Hand.
({2})
- Es gibt kein drittes Ende. Das haben jetzt auch Sie gemerkt. Sie sind ja ein Schnellmerker, Herr Friedrich.
({3})
Zweitens zu dem, was wir im Zusammenhang mit einer Beteiligung erreichen können. Es geht hier um einen
Börsengang - entweder in Form einer Volksaktie oder in
Form einer Variante der Volksaktie; darüber muss man
nachdenken. Es geht aus meiner Sicht zum einen nicht
darum, irgendwelche Strategen zu uns zu bitten. Die
werden nämlich versuchen, uns in die Suppe zu spucken;
da kommt kein Geldfluss zustande. Zum anderen sollten
an der DB keine Unternehmen beteiligt werden, von denen das deutsche Volk glaubt, dass sie am Ende die
Deutsche Bahn majorisieren und diese fremdbestimmt
wird.
Der zentrale Punkt ist: Wir wollen eine ganz normale
börsenorientierte Öffnung derjenigen Unternehmen, die
zur Bahn gehören. Dafür ist, so denke ich, die Holding
geeignet. Es gibt inzwischen börsenorientierte Gesellschaften, die dies durchaus im Auge haben. Insofern
sollten wir das Projekt in der Öffentlichkeit nicht mit bestimmten Begrifflichkeiten dämonisieren. Ein solcher
Börsengang ist ein ganz normales Geschäft. Wichtig ist
nur, dass wir das Gesetz im Hinblick auf die Sicherung
unseres Volksvermögens so ausgestalten, dass daran keiner rütteln kann. Ich möchte keinen Zugriff von Investoren auf die Infrastruktur der Bahn. Der Gesetzentwurf in
der vorliegenden Form ist ein Garant dafür.
Herzlichen Dank.
({4})
Herr Friedrich, ich würde gerne das Wort dem Kollegen Enak Ferlemann geben, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte den Eindruck, das könnte ein recht langweiliger Vormittag werden. Herr Friedrich, ich war ganz enttäuscht, wie wenig
Kritik Sie für die FDP geäußert haben. Ich hatte den Eindruck, die FDP könnte am Ende der Debatte noch zustimmen. Der Kollege Döring hat diesen Eindruck aber
ein wenig aufgelockert. Von daher ist es nun doch noch
eine recht spannende Debatte geworden. Ich bin dem
Kollegen Hübner dankbar dafür, dass er einiges von
dem, was in den letzten Tagen an Irrungen und Wirrungen durch die Medien gegeistert ist, klargestellt hat.
Warum machen wir eine Privatisierung der Deutschen
Bahn? Wir machen das, weil wir eine Europäisierung
des Eisenbahnverkehrs haben, und zwar schon seit
dem 1. Januar dieses Jahres. Der Güterfernverkehr in
ganz Europa wurde freigegeben. Die Bürgerinnen und
Bürger merken, dass deutlich mehr Güterfernverkehr auf
den Gleisen ist. Das werden wir ab dem 1. Januar 2010
auch im Personenfernverkehr erleben.
Die Bahn AG braucht Geld für Investitionen, um,
Herr Kollege Döring, ein europäischer Player werden zu
können. Die Bahn AG soll auf diesem Feld nicht nur ein
Global Player, sondern auch ein europäischer Player
sein. Darauf sind wir stolz. Wir möchten das aber nicht
mit Staatskapital finanzieren, sondern mit Privatkapital.
Es stellt sich die Frage, wie man das organisiert. Einige sind für ein striktes Trennungsmodell. Sie sagen,
dass Netz und Betrieb ganz klar getrennt werden müssen, weil der Wettbewerb so am besten zu organisieren
sei. Dieser Auffassung bin ich dem Grundsatz nach
auch.
({0})
Einige bevorzugen ein Integrationsmodell. Sie sagen,
dass nur ein integrierter Konzern das Maximum an Leistung aus dem Netz herausholen kann. Der Minister hat
uns einen Kompromiss vorgeschlagen, das sogenannte
Eigentumssicherungsmodell: Das Netz bleibt juristisch
beim Bund - das ist die Forderung derjenigen, die
trennen wollen -, das wirtschaftliche Eigentum geht aber
auf die Bahn über, die 15 Jahre in einem integrierten Betrieb wirtschaften kann.
({1})
Nun müssen wir schauen, ob dieses Modell erstens
dem EU-Recht standhält - darüber ist hier überhaupt
noch nicht diskutiert worden; dass die Europäische
Kommission unser Modell befürwortet, ist aber die
Grundvoraussetzung -, zweitens verfassungskonform ist
und drittens das internationale Bilanzrecht einhält.
({2})
Das, was wir machen, ist ein Versuch. Das ist eine - so
sage ich es einmal - Rechtskonstruktion sui generis, die
es in dieser Form in Deutschland und, soweit ich weiß,
in Europa noch nicht gibt. Wir probieren hier etwas aus,
was innovativ ist; das kann man anders nicht beschreiben.
({3})
Gleichwohl gibt es seitens der Bundesländer erhebliche Kritik. Ich kenne das Protokoll der Länderministerkonferenz, in dem erhebliche Bedenken zu vielen verschiedenen Bereichen geäußert werden. Wir werden uns
dazu äußern müssen. Es gibt Kritik von Verbänden, von
Bürgerinnen und Bürgern, und natürlich wird auf den
Parteitagen Kritik geäußert werden; da bin ich mir recht
sicher.
Aus diesen Bedenken ergibt sich ein Forderungskatalog. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat einen solchen Forderungskatalog aufgestellt. Der Kollege Dirk
Fischer hat in beeindruckender Weise die Kernvoraussetzungen dargestellt, die unseres Erachtens erfüllt sein
müssen, damit dieses innovative Eigentumssicherungsmodell zum Erfolg geführt werden kann.
({4})
Sehr verehrter Herr Minister, ich kann Ihnen nicht ersparen, zu sagen, dass ich enttäuscht darüber bin, dass
Sie zu Beginn dieser Debatte weder einen vernünftigen
Netzzustandsbericht, geschweige denn einen Netzentwicklungsbericht vorgelegt haben und es keine Sicherungsübereignung gibt. Wir brauchen diesen Vertrag,
von dem eben schon die Rede war. Er ist die Voraussetzung dafür, dass wir unser Eigentum sichern können.
({5})
Außerdem - das ist wohl der größte Mangel - liegt keine
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vor. Ich
weiß, dass Ihr Haus seit zweieinhalb Jahren mit der
DB AG darüber verhandelt, wie diese Vereinbarung ausgestaltet werden soll. Sie erwarten von uns, dass wir
diesem Gesetzentwurf zustimmen, obwohl wir einen
wesentlichen Bestandteil, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, noch gar nicht kennen.
({6})
Insofern kann ich nur feststellen: Wir stehen ganz am
Anfang des Gesetzgebungsverfahrens, und wir werden
eine Menge zu beraten haben.
({7})
Ich freue mich auf eine engagierte Debatte. Herr Kollege
Burkert, mit Ihnen - Sie sind ja auch ein Fachmann wird das wohl funktionieren.
({8})
Wir dürfen uns allerdings nicht unter Zeitdruck setzen
lassen. Ich habe den Medien entnommen, dass das Gesetz noch in diesem Jahr im Bundestag in zweiter und
dritter Lesung beschlossen werden soll.
({9})
Angesichts dessen, was aus dem Hause des Ministers
Tiefensee alles noch fehlt - ich habe das vorgetragen -,
kann man eine substanzielle Beratung bis zum Ende dieses Jahres nicht abschließen. Das muss man ganz eindeutig sagen.
({10})
Insofern wage ich die Prognose, dass wir hier Anfang
nächsten Jahres in aller Ruhe darüber beraten werden.
Dann werden wir alle Belange aus den verschiedenen
Organisationen und Verbänden, aus den verschiedenen
Fraktionen, aus dem Hause des Ministers und den anderen Ministerien berücksichtigen. Wir werden das ganz in
Ruhe machen und zu einer vernünftigen Bahnreform
kommen, wie Deutschland sie verdient hat und wie wir
sie brauchen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Hermann Scheer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
dem Kollegen Ferlemann sehr dankbar - darauf möchte
ich mich jetzt beziehen -, dass er deutlich gemacht hat,
dass innerhalb der CDU/CSU-Fraktion eine sehr intensive, offen geführte Debatte stattfindet, die zeigt, dass
eine Modifizierung des vorliegenden Entwurfs der
Bahnreform durch wesentliche Ergänzungen durchaus
beabsichtigt ist und eingeleitet werden soll. Ich will aus
diesem Grund darauf hinweisen, dass das Gleiche in der
SPD-Fraktion stattfindet; denn das wurde in den bisherigen Reden nicht so deutlich.
({0})
- Es ist aus nachvollziehbaren Gründen - Kollegen
engagieren sich für ein bestimmtes Konzept und vertreten es dann hier - nicht so richtig deutlich geworden.
Es gibt in der SPD-Fraktion sehr breit vorgetragene
schwerwiegende Bedenken bezüglich eines Punktes der
Bahnreform. Eine Kapitalprivatisierung unter Einbeziehung privater Kapitalgruppen ist vorgesehen, und zwar
vor dem Hintergrund der sehr künstlichen Unterscheidung zwischen wirtschaftlichem und juristischem Eigentum. Dies sehen viele aus verfassungsrechtlichen und
auch aus sachlichen Gründen sowie Praktikabilitätsgründen als nicht tragbar an. Die Frage, wer Kapitaleigner
ist, ist für die Ausrichtung der Unternehmensstrategie
unter Umständen von zentraler Bedeutung.
({1})
Es ist keineswegs egal, wer Kapitaleigner ist, auch wenn
es um die private Seite geht. Deswegen gibt es eine Ablehnung dieses Konzeptes, die, wie die Öffentlichkeit
weiß, in der SPD breit vertreten wird.
Es gibt den Versuch eines Brückenbaus: ein Volksaktienkonzept, das wir in der SPD-Fraktion ernsthaft prüfen werden. Ich bin dem Kollegen Friedrich sehr dankbar, dass er das durchaus in den Erwägungskatalog der
CDU/CSU-Fraktion einbezogen hat.
Ich glaube, dass wir - ich will bestätigen, was Herr
Ferlemann gesagt hat - in der Tat eine offene Diskussion
unter Prüfung aller kritischen Aspekte, die immer noch
gegeben sind, brauchen, um zu einer konsistenten Bahnreform kommen zu können.
Danke schön.
({2})
Herr Kollege Ferlemann, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Scheer, ich bin froh, dass ich Ihnen Anlass zu einer Kurzintervention geben konnte, um Ihre
Position darzustellen. Auch diese wird natürlich von uns
geprüft werden müssen. Es ist nun einmal so: Über das
Gesetz entscheidet weder eine Regierung noch die DB
AG, sondern dieses Parlament.
({0})
Deswegen, glaube ich, ist es klug, dass wir, bevor wir
so eine für die Verkehrspolitik der Bundesrepublik
Deutschland sehr wesentliche Entscheidung fällen, alle
Modelle, Varianten und Ideen sammeln, um das Beste
daraus zu machen. Insofern kann es sicherlich eine
Sternstunde des Parlaments werden, wenn wir im nächsten Frühjahr zu einer abschließenden Beratung kommen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6383 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 24 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel Bör-
sengang der Deutsche Bahn AG stoppen. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4110, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/3801 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/
CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 e auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich
der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels
- Drucksache 16/5847 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des
subventionierten Steinkohlenbergbaus zum
Jahr 2018 ({1})
- Drucksache 16/6384 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul K.
Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zukunftsgerichtet gestalten - RAG-Börsengang
an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten
- Drucksache 16/5422 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll,
Dr. Gesine Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE
Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen
Rechts überführen - Börsengang verhindern
- Drucksache 16/6392 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, Eva
Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Kein Börsengang der Ruhrkohle AG - Bei der
Zukunft des Steinkohlenbergbaus soziale und
ökologische Aspekte berücksichtigen
- Drucksachen 16/3695, 16/5947 Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Bundesminister Michael Glos.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sind uns alle einig: Wir brauchen eine Energieversorgung, die klimafreundlich, sicher und zuverlässig ist und gleichzeitig wettbewerbsfähige Preise bietet.
({0})
Es geht nicht darum, ob sich die Manager einzelner
Energieunternehmen selbst den Strom leisten können,
sondern es geht um die Verbraucher und vor allen Dingen darum, dass unsere produzierende Wirtschaft mit
preiswertem Strom versorgt wird.
({1})
Zu diesem Zweck bringt die Bundesregierung jetzt den
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch ein. Ich verstehe mich grundsätzlich als Minister
für Wirtschaft, also für alle Menschen, nicht als Minister
der Wirtschaft. Deswegen ist es mir immer ein Anliegen,
darauf zu achten, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht stärker belastet werden, als es sein muss.
({2})
Die steigenden Strom- und Energiepreise, insbesondere allerdings die steigenden Preise für Strom - beim
Gas hat das andere Ursachen -, beweisen, dass dieses
Anliegen ungeheuer wichtig ist. Trotz der Marktöffnung
haben sich die Strom- und Gaspreise in Deutschland leider weiter erhöht.
Eine Ursache dafür ist, dass der Wettbewerb nicht so
funktioniert, wie wir es alle gerne hätten. Ich unterstelle
niemandem Preisabsprachen, aber man muss feststellen:
Wir haben nur wenige große Unternehmen, die Energieversorgung anbieten. Diese haben historisch abgegrenzte
Absatzgebiete. Die Marktkräfte sind offensichtlich noch
zu schwach,
({3})
um Preiserhöhungen gerade beim Strom entgegenzuwirken. Hier greift die Missbrauchsaufsicht, die ein
Bestandteil des vorliegenden Gesetzentwurfes ist.
({4})
Dieses Instrument wollen wir stärken durch Beweislastumkehr, durch bessere Vergleichsmöglichkeiten und
durch sofortigen Vollzug. Wir schärfen also ein vorhandenes Schwert. Für mich ist die Missbrauchsaufsicht der
Knüppel im Sack. Dieser Knüppel muss aber nicht unbedingt wie im Märchen aus dem Sack kommen. Niemand,
der sich marktgerecht verhält, muss dieses Gesetz fürchten.
({5})
Eine erfreuliche Wirkung zeichnet sich bereits im
Vorfeld ab. An den zusätzlichen Konkurrenzangeboten
wird deutlich, dass es ein gemeinsames Verständnis von
Wettbewerb gibt. Manche fürchten eine ständige Kostenkontrolle, andere, dass die Preise so niedrig gehalten
werden, dass weniger neue Anbieter auf den Markt kommen. Letzteres würde aber im Umkehrschluss bedeuten,
dass ein Unternehmen nur dann neu auf den Markt
kommt und nur dann Strom produzieren will, wenn
übermäßig große Preisspannen möglich sind. Gegen
maßvolle Preisspannen haben wir überhaupt nichts einzuwenden. Genau hier greift dieses Instrument.
Wir haben dieses Gesetz bis zum Jahr 2012 befristet,
weil wir hoffen, dass es auf dem EU-Strommarkt zu
mehr Wettbewerb kommt. Es wird bei diesem Gesetz
also ein Modell angewandt, das erst vor wenigen Tagen
für die Ehe vorgeschlagen wurde: Es läuft automatisch
aus.
({6})
Falls man das Gesetz dann, wenn es ausläuft, noch will,
muss man gemeinsam vereinbaren, es zu verlängern.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nur
wenige Worte zu den Vorschlägen aus Brüssel sagen. Sie
gehen in die richtige Richtung. Wir müssen allerdings
aufpassen, dass wir unsere Energiekonzerne nicht durch
Regelungen, die in Brüssel getroffen werden, so sehr
knebeln, dass sie gegenüber französischen und anderen
europäischen Großanbietern nicht mehr wettbewerbsfähig sind.
Vor allen Dingen brauchen wir genug Investitionen in
die Netze. Da wir die erneuerbaren Energien stärker integrieren wollen - darin sind wir uns einig -, ist ein Ausbau der Netze notwendig. Dieser Ausbau wird uns noch
vor schwierige Aufgaben stellen. Auch hier kann es sein,
dass wir ein neues Gesetz brauchen.
({8})
Wir setzen mit dem zweiten Teil des Gesetzes - das
gehört dazu - die Koalitionsvereinbarung um; dazu ist
der Wirtschaftsminister beauftragt, auch wenn ihm nicht
alles dabei gefällt. Wir wollen die kleinen und mittleren
Einzelhändler vor der Marktmacht der Großen schützen.
({9})
Auch Tante-Emma-Läden gehören zur Vielfalt des
Marktes. Mit der neuen Regelung in § 20 GWB wird das
geltende Verbot von Verkäufen unter Einstandspreis erweitert.
Der Bundesrat hat bisher signalisiert, dass er diese
Gesetzentwürfe so, wie sie vorliegen, unterstützt.
Ich komme zu einem weiteren Gesetzentwurf, den wir
aus Rationalisierungsgründen mit einbringen und der
eine große Bedeutung für die Zukunft hat. Das ist das
Steinkohlefinanzierungsgesetz, das dazu führen soll,
dass die Subventionen für den Steinkohlenbergbau
auslaufen. Deswegen muss nicht gleichzeitig der Steinkohlenbergbau auslaufen. Wenn sich Kohle marktgerecht fördern lässt - in einzelnen Gruben oder wenn die
Nachfrage entsprechend steigt -, dann soll das so sein.
Ich bedanke mich bei allen, insbesondere bei meinem
Kollegen Finanzminister, der neben vielen anderen wie
der IGBE daran beteiligt war, hier zu Regelungen zu
kommen, die die Grundsatzentscheidung für alle Beteiligten zwar nicht leicht, aber doch erträglich gemacht haben. Das war ein zähes Ringen; aber das liegt im Wesen
der Sache. Wir haben versucht, die Bedenken aus dem
parlamentarischen Raum, insbesondere aus den Koalitionsfraktionen, schon im Vorfeld zu berücksichtigen.
Das heißt, wenn wir die Subventionen wie geplant abbauen - ich bin sehr zuversichtlich, weil das gut vorbesprochen worden ist -, muss niemand Arbeitslosigkeit
fürchten. Der Abbau der Beschäftigten geht sozialverträglich vor sich. Er kann zwischenzeitlich überprüft
werden, und selbstverständlich hat jede Regierung ihre
eigene Dispositionsgewalt.
Wir zeigen damit auch in der Energiepolitik, dass uns
Zukunft vor Vergangenheit geht. Das hat mit Undankbarkeit gegenüber all den Kumpels und den Verantwortlichen, die uns über viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte mit
deutscher Steinkohle versorgt haben, nichts zu tun.
({10})
Ich bin der Meinung, Politik bedeutet immer Zukunftsgestaltung. Dieser Gesetzentwurf bietet große
Chancen, gerade für Nordrhein-Westfalen. Die Firma
Evonik - das ist der neue Name für den verbliebenen
RAG-Konzern - wird jetzt in die Freiheit der Börse entlassen, allerdings nicht so, dass es zu einer feindlichen
Übernahme kommen könnte. Wie gesagt, es gibt sehr
große Chancen für dieses Gebiet.
Das Ganze zeigt auch unsere Handlungsfähigkeit. Die
können Sie noch stärker unter Beweis stellen, indem Sie
die Gesetzentwürfe zügig beraten. Ich freue mich schon
auf die Verabschiedung.
Danke schön.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Es
ist schwierig, nachzuvollziehen, weshalb wir heute zwei
so wichtige Punkte wie die Beendigung der Subventionierung des Steinkohlenbergbaus und die Novelle zum
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als einen Tagesordnungspunkt beraten. Ich finde, beide Themen sind
so wichtig, dass sie separat diskutiert werden müssten.
Ich hoffe, dass dieses Manko mit einer Trennung in der
zweiten und dritten Lesung behoben wird.
Sehr geehrter Herr Minister Glos, zur GWB-Novelle
gibt es viel zu sagen. Auf der einen Seite meinen Sie, Sie
müssten in den Markt eingreifen und ein Sonderkartellrecht für den Energiebereich schaffen. Selbstverständlich sind wir uns darüber einig, Herr Minister, dass wir
alles tun müssen, um die Wettbewerbsstrukturen in
Deutschland weiterzuentwickeln. Dort gibt es immer
noch Defizite. Ich finde es schon bemerkenswert, dass
Sie an dieser Stelle zwar einige Punkte nennen - das eine
oder andere ist nachvollziehbar und richtig -, dass Sie
aber beispielsweise völlig vergessen, was Sie selbst zu
der Höhe der Strompreise beitragen. Sie wissen, dass
Steuern und Abgaben fast 42 Prozent der Strompreise
ausmachen. Das heißt, auch die Politik muss aufgefordert werden, die Abgaben- und Steuerschraube nicht
weiter anzuziehen, sondern Abgaben und Steuern zu
senken.
({0})
Im Lebensmittelsektor ist es ähnlich. Sie sagen, Sie
möchten mit der GWB-Novelle dazu beitragen, dass
auch der gelegentliche Verkauf von Lebensmitteln unter
Einstandspreisen verboten sein soll. Sie erhoffen sich
davon einen besseren Schutz für kleine und mittelgroße
Händler vor Preisdumping der größeren Händler, und sie
erhoffen sich davon eine größere Produktqualität; Stichwort: Vermeidung des Verkaufs von Gammelfleisch. Ich
glaube, dass Sie mit beiden Anliegen scheitern werden.
Den kleinen und mittleren Händlern ist eher daran gelegen, dass man sie von der überbordenden Bürokratie entlastet.
Das, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf wollen, ist
nicht hilfreich. Ich zitiere aus dem Tätigkeitsbericht des
Bundeskartellamts, das zum Bereich der Lebensmittel in
der Novelle ausführt, das Gesetz
würde vielmehr den fairen Leistungswettbewerb
unter Umständen sogar zu Lasten der Verbraucher
einschränken oder wäre angesichts der zu erwartenden Vielzahl von Beschwerdefällen im Hinblick auf
die knappen Ressourcen des Bundeskartellamts
kaum umzusetzen.
Das Bundeskartellamt, Wettbewerbshüter Nummer
eins, fürchtet, dass das, was Sie wollen, gar nicht in die
Realität umgesetzt werden kann. Das Gesetz trägt nicht
dazu bei, dass die Qualität von Lebensmitteln in
Deutschland zunimmt. Insofern lautet das Urteil der
FDP-Bundestagsfraktion: Dieses Gesetz ist eher ein Placebogesetz, als dass es tatsächlich die Verhältnisse verändert.
({1})
Nun zur Steinkohlesubventionierung. Mit Blick auf
die Vergangenheit und fast drei Jahrzehnte Steinkohleförderung und Subventionierung des Steinkohlebergbaus
sind 128 Milliarden Euro tatsächlich genug. Wir als FDP
haben im Land NRW, aber auch hier im Bund seit Jahren,
zum Teil seit zwei Jahrzehnten dagegen gekämpft, dass
ein Wirtschaftsbereich, der im internationalen Vergleich
nachweislich nicht wettbewerbsfähig ist, weiterhin mit
Steuergeldern subventioniert wird. Die Förderkosten der
deutschen Steinkohle sind um etwa 200 Prozent höher als
im internationalen Vergleich. Wir wissen das alle. Es
liegt an den geologischen Gegebenheiten. Daher ist es
zwingend notwendig, zu einem Ende zu kommen.
Es gibt wenigstens einen positiven Punkt, nämlich
den, dass endlich eine Entscheidung getroffen werden
soll, die einen Schlussstrich unter die fortgesetzte Subventionierung zieht. Wenn ich Schlussstrich sage, dann
heißt das - das können sich die Leute draußen wahrscheinlich kaum vorstellen -, dass die Subventionierung
des Bergbaus trotzdem noch bis 2018 weitergehen soll.
({2})
Das ist unser Kritikpunkt Nummer eins. Vom heutigen
Zeitpunkt an bis 2018 werden noch einmal fast
40 Milliarden Euro in dunkle Schächte und nicht in helle
Köpfe investiert. Können wir uns das leisten?
({3})
In dem Sektor sind 35 000 Arbeitnehmer beschäftigt,
Techniker und Ingenieure, die sehr gut ausgebildet und
hochqualifiziert sind und die mit Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt eine alternative Beschäftigung fänden bzw. innerhalb des weißen Konzerns, der neu strukturiert wird,
unterkommen könnten. Umgerechnet auf 35 000 Bergleute betragen die Ausgaben 1,1 Millionen Euro pro
Kopf. Beim Anpassungsgeld, bei den Anreizen zur Frühverrentung und bei allem, was dazukommt, frage ich
mich schon, ob das noch sozial gerecht ist. Eine große Tageszeitung hat vor kurzem errechnet, dass ein Hartz-IVEmpfänger 274 Jahre lang von einer solchen staatlichen
Unterstützung leben könnte, wenn man diese Leistungen
auf Hartz-IV-Empfänger umlegen würde.
({4})
Deshalb muss man schon fragen, ob diese Förderung tatsächlich angebracht ist, ob sie so richtig ist. Das ist ein
Ausstieg de luxe, aber nicht zielführend. Wir wollen
auch einen sozial verträglichen Ausstieg, aber wir wollen Anreize zur Beschäftigung und nicht Anreize zur
Frühverrentung geben.
Der Kritikpunkt Nummer zwei: Der Gesetzentwurf
enthält doch tatsächlich eine Revisionsklausel. Sie sprechen davon, dass der Beschluss, der über das Auslaufen
der Subventionierung des Steinkohlebergbaus gefasst
werden soll, 2012 noch einmal überprüft werden soll. In
meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen läuft gerade
Frau Kraft von der SPD herum und sagt, es sei alles
nicht so tragisch, man brauche sich nicht aufzuregen, die
Subventionierung, die jetzt zum Abschluss gebracht
werden soll, werde unter Umständen aufrechterhalten.
Ich halte das für verantwortungslos.
({5})
Gerade aus Achtung und Respekt vor den Bergleuten ist
es unsere Pflicht, ihnen reinen Wein einzuschenken und
ihnen zu sagen, wie die Lage ist, dass wir uns für die Zukunft ausrichten müssen und nicht länger die Vergangenheit finanzieren dürfen. Eine solche Ehrlichkeit sind wir
gerade den Beschäftigten und deren Familien schuldig.
({6})
Der dritte Kritikpunkt richtet sich an unseren Bundesfinanzminister Steinbrück. Ihn frage ich: Können Sie eigentlich beruhigt sein, wenn Sie diesen Gesetzentwurf
sehen, mit dem die Bundesregierung einen Blankoscheck für die Übernahme von etwa einem Drittel der
Kosten ausstellt, die sich aus den Zahlungsverpflichtungen der Stiftung ergeben, sofern das Stiftungsvermögen
auf Dauer nicht ausreichen sollte, um alle Risiken abzudecken und alle Verpflichtungen zu erfüllen? Sie wissen,
es gibt Altlasten und Ewigkeitslasten. Sollte das Geld
dafür nicht ausreichen, muss der Bund einspringen. Das
ist ein Blankoscheck für die Zukunft. Das empfinde ich
als problematisch.
Ich bin mit meiner Fraktion auch der Ansicht, dass
das Anpassungsgeld nicht zielführend ist, das dem Bergmann, der unter Tage gearbeitet hat, die Möglichkeit
gibt, mit 50 Jahren Übergangsgeld zu beziehen und anschließend in Rente zu gehen.
Den Börsengang unterstützen wir grundsätzlich. Gerade im Ruhrgebiet ist ein DAX-Unternehmen ein positives Zeichen für die Zukunft.
Wir halten es auch für richtig, dass ein Ende der Subventionierung des Steinkohlebergbaus nun endlich in
Sicht ist. Ich bitte Sie aber alle, noch einmal in sich zu
gehen und umsichtig zu prüfen, ob Sie das, was jetzt im
Gesetzentwurf steht, so stehen lassen können oder ob Sie
mit Blick auf mögliche Mehrinvestitionen in Wissenschaft und Bildung weniger Subventionen zahlen, ob Sie
also die Subventionen nicht bis 2018, sondern nur bis
2012 weiterlaufen lassen, um 12 Milliarden Euro einsparen zu können.
({7})
Frau Kollegin!
Ich komme zum Schluss. - Die SPD hat sich hier
kaum bewegt, aber auch die Grünen haben in Ihrer früheren Regierungszeit dazu leider keinen Beitrag geleistet.
Vielen Dank.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Tat behandeln wir heute zwei wichtige Themen in verbundener Debatte.
({0})
Ich habe keine Einwände dagegen, sie bei der abschließenden Lesung zu trennen. Beide Themen verdienen unsere Aufmerksamkeit.
Schon im Koalitionsvertrag hat diese Koalition Eckpfeiler zum Thema Steinkohlefinanzierung verankert. Es
ging um zwei wesentliche Punkte: Zum einen ging es darum - das stand schon im Vertrag -, den Anpassungsprozess weiterhin sozialverträglich zu gestalten. Damit ist
das Entscheidende zur Kritik an dem weiteren Subventionsverlauf eigentlich schon gesagt. Zum Zweiten haben wir uns auf eine Unterstützung des Börsengangs des
weißen Bereichs der RAG Aktiengesellschaft verständigt.
Warum haben wir das getan? Wir haben das vor allen
Dingen getan, weil wir von Anfang erkannt haben, dass
Nichthandeln, Abwarten und Weiter so keine Optionen gewesen wären. Aufgrund des nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrages, in dem ein Ausstieg bis 2010
gefordert wird, hätte das bedeutet: Die RAG hätte kurzfristig allein für den Bergbau geradestehen müssen.
({1})
Das hätte den Selbstverzehr des Unternehmens bedeutet
und den Verlust von Wertschöpfung und Beschäftigung
im Lande Nordrhein-Westfalen zur Folge gehabt. Am
Ende - das muss auch gesagt werden - wären die noch
existierenden Altlasten letztlich bei der öffentlichen
Hand - beim Bund, bei den Gebietskörperschaften und
in der Folge beim Gewährsträger, dem Land NordrheinWestfalen - verblieben.
Insofern war es richtig und wichtig, dass gehandelt
wurde. Ich denke, wir können zufrieden sein, dass es bei
solch heterogenen Ausgangspositionen - der Minister
hat eben auch schon darauf angespielt - letztlich gelungen ist, die Positionen zu einem vernünftigen Ergebnis
zusammenzuführen, auch wenn wir ein bisschen Zeit investieren mussten.
({2})
Als erstes wichtiges Thema sind in dem Gesetzentwurf ein Auslaufen des subventionierten deutschen
Steinkohlebergbaus bis zum Jahre 2018 und eine Überprüfung dieser Entscheidung im Jahre 2012 vorgesehen.
Allen heute auch noch einmal wiederholten Forderungen
eines sehr frühzeitigen Endes des deutschen Steinkohlebergbaus - ich habe erwähnt, dass selbst das Jahr 2010
genannt worden ist - wird eine Absage erteilt. Das sorgt
dafür, dass das Auslaufen, wenn es denn dazu kommt,
sozial verträglich erfolgen kann. Ich glaube, das sind wir
den Kumpels schuldig, die nicht gerade die leichteste
Arbeit in diesem Land und für unser Land verrichten.
({3})
Ich weiß, dass Bergleute keine Bergsteiger sind, und
ich habe sie auch schon persönlich bei der Arbeit beobachten können. Ich kann Ihnen versichern, dass das sogar helle Köpfe sind. Deswegen hat es sich gelohnt, in
sie zu investieren und das auch weiterhin zu tun.
({4})
Der Anpassungsprozess wird auch durch das Anpassungsgeld für die Arbeitnehmer im Steinkohlebergbau
abgefedert. Ich denke, dass die Arbeitsteilung zwischen
Bund und Land, wie sie hier entschieden wurde, angemessen ist.
Ich will dazusagen, dass das Land Nordrhein-Westfalen auch in der Pflicht ist, für die Steinkohlereviere
- dort, wo die Zechenschließungen anstehen - eine geeignete Politik zu entwickeln. Dazu wird mein Kollege
Rolf Stöckel gleich sicherlich das Notwendige sagen.
Die Revisionsklausel im Jahre 2012 wird sich, so denke
ich, Dieter Grasedieck zum Thema machen.
Der Börsengang des weißen Bereichs der RAG
- jetzt: Evonik Industries AG - ist ebenfalls ein Projekt,
das unsere besondere Unterstützung verdient, wie wir
das im Koalitionsvertrag ja auch festgelegt haben. Das
Unternehmen mit einem Umsatzvolumen von jetzt etwa
14,8 Milliarden Euro erhält damit die Möglichkeit, am
Sitz Nordrhein-Westfalen als erfolgreiches börsennotiertes Unternehmen tätig zu werden. Die ursprünglich auch
diskutierte Filetierung, die letztlich die Vorstufe einer
Auflösung im Zuge von Marktbereinigungsprozessen
gewesen wäre, ist vermieden worden.
Dem Unternehmen wird jetzt der Zugang zum Kapitalmarkt mit den entsprechenden Wachstumsperspektiven geöffnet. Wie eben schon angedeutet, wurde der drohende Selbstverzehr des Unternehmens abgewendet.
Das ist gerade auch für das Land Nordrhein-Westfalen
die beste Nachricht, dessen Landesregierung sich am
längsten geziert, am Ende aber Gott sei Dank auch im
Sinne der eigenen Bürgerinnen und Bürger die Kurve
bekommen hat.
({5})
Das zweite wichtige Thema ist die GWB-Novelle.
Mir ist es wichtig, festzustellen, dass sich diese Gesetzesnovelle in ein ganzes Paket von Maßnahmen zur Verbesserung des Wettbewerbs bei den leitungsgebundenen Energien Strom und Gas einordnet. Schon die rotgrüne Bundesregierung hat diesen Weg eingeschlagen.
Sie hat im Jahr 2005 das Energiewirtschaftsgesetz novelliert, den Ordnungsrahmen grundlegend modernisiert
und Entflechtungsvorschriften auf der Basis einer europäischen Richtlinie erlassen, die sich gerade in der Implementierungsphase befinden. Das heißt, die Bundesnetzagentur ist dabei, die rechtliche, operationelle, informatorische und buchhalterische Entflechtung des Netzbetriebs von der Erzeugung umzusetzen. Sie ist
zuversichtlich, dass sie auf diese Art und Weise den diskriminierungsfreien Netzzugang sichern kann. Ich
denke, wir sollten ihr die notwendige Zeit geben, unabhängig davon, dass die Europäische Kommission mittlerweile schon weitergehende Vorstellungen veröffentlicht hat.
Klar ist, dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung
nur Ultima Ratio sein kann. Klar ist auch, dass ein Independent System Operator zwar eine prüfenswerte Option
ist, die sich aber auch die Überprüfung im Hinblick auf
das Kriterium gefallen lassen muss, dass wir eine möglichst geringe Eingriffstiefe in bestehende Eigentumsrechte sichergestellt sehen wollen.
({6})
Ich habe die Bundesnetzagentur erwähnt. Wir haben
sie vor zwei Jahren gegründet. Sie hat mittlerweile erhebliche Fortschritte erzielt und insgesamt im Netzbereich Kosten- und Entgeltkürzungen in Höhe von
2,5 Milliarden Euro beim Strom und 600 Millionen Euro
beim Gas durchgesetzt. Ich denke, sie hat auch erhebliche Fortschritte bei der Durchsetzung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs erreicht.
Die neue Bundesregierung hat - auch das war schon
durch das Energiewirtschaftsgesetz 2005 vorgeprägt eine Anreizregulierungsverordnung erlassen, mit der wir
sicherlich weitere Fortschritte im Wettbewerb in den
Netzen erreichen werden. Wichtig ist parallel dazu auch
die jetzt erlassene Kraftwerksanschlussverordnung. Dabei geht es letztlich um den diskriminierungsfreien Netzzugang für Stromerzeuger. Ich glaube, dass gerade die
temporäre Bevorzugung von Neuanbietern den Neuen
eine echte Chance bietet, Zugang zum Wettbewerb zu
finden. Durch eine gesteigerte Liquidität am Markt und
ein Mehr an Angebot ergibt sich eine gewisse Chance
auf sinkende Preise. Allerdings muss der Ehrlichkeit halber darauf hingewiesen werden, dass objektive Tendenzen zu möglichen Kosten- und damit letzten Endes auch
Preissteigerungen in den nächsten Jahren erkennbar
sind. Beispielsweise können die Primärenergiekosten
und auch die Netzkosten beim notwendigen Netzausbau
- den wir alle, etwa im Norden unseres Landes für den
Ausbau der Offshore-Windenergie, befürworten - steigen.
Letztlich soll auch das, was wir im Zusammenhang
mit dem Emissionshandel entschieden haben, über Anreize zu Investitionen in einen breiten Kraftwerksmix
dazu beitragen, dass mehr Kraftwerke entstehen und damit mehr Strom erzeugt wird und mehr Wettbewerb am
Strommarkt und die Chance auf zumindest tendenziell
preisdämpfende Effekte entstehen.
Dennoch gibt es den Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers zu einer Novelle des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen, und dieser Vorschlag ist
auch sinnvoll, weil in der Tat gerade auch im Erzeugungsbereich zurzeit eine oligopolistische Struktur besteht. Der Wettbewerb konnte sich noch nicht in dem
Maße entfalten, wie wir es uns gewünscht haben. Deswegen ist eine befristete Regelung im Sinne einer Brückenfunktion zu einem verbesserten Wettbewerb, wie sie
in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist, sinnvoll.
Als Instrumente sind im Gesetzentwurf eine veränderte Kostenkontrolle - der Minister hat es bereits erwähnt -, eine Beweislastumkehr und der Sofortvollzug
kartellbehördlicher Verfügungen vorgesehen. Dieses Instrument ist im Vergleich zu den anderen von mir erwähnten Möglichkeiten eher systemfremd, weil es nicht
unmittelbar wettbewerbsfördernd wirkt, sondern eher einen Eingriff in den Wettbewerb durch den Staat bedeutet, weil der Wettbewerb an bestimmten Stellen noch
nicht ausreichend funktioniert. Deswegen muss man besonders sorgfältig darauf achten, dass mit der Ausgestaltung dieser Novelle tatsächlich wettbewerbsförderliche
Effekte erreicht werden, die geschilderte Brückenfunktion tatsächlich erfüllt wird und dass nicht etwa die erkennbaren wettbewerblichen Ansätze von Markt, internationalem Strom- und Gashandel sowie Börsenhandel
erstickt werden. Ich bin aber ganz sicher, dass wir es
nach konstruktiver Debatte schaffen werden, dass das
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen seinen Namen verdient.
Herr Minister, Sie haben eben die Handlungsfähigkeit
der Bundesregierung herausgestellt. Sie haben innerhalb
von zwei Jahren diese beiden Gesetzentwürfe vorgelegt.
Ich verspreche Ihnen: Wir werden die Handlungsfähigkeit des Parlaments nachweisen und nach zügiger und
konstruktiver Beratung - möglicherweise nicht in zwei
Monaten, aber in kurzer Zeit - ein gutes Ergebnis erzielen.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Bergleute haben dieses Land tatsächlich geprägt. Sie stehen
für Solidarität, für gleichberechtigte Mitbestimmung von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
({0})
sie stehen für soziale Verantwortung von Unternehmen
und - das muss man heute deutlich sagen - von Regierungen auch in Zeiten des Strukturwandels. Nun müssen
sie genauso wie wir mit ansehen, wie Sie, Kolleginnen
und Kollegen von der Regierungskoalition, mit dem
Börsengang der Ruhrkohle AG Wirtschaftsdemokratie
und soziale Verantwortung auf dem Altar des Shareholder-Values opfern.
({1})
Sie verschachern die Zukunft der Menschen an der
Börse. Das bedeutet nicht nur die Gefährdung Zehntausender Arbeitsplätze im Bergbau, bei den Zulieferern
und anderen, die davon leben. Vielmehr sind akut
300 Ausbildungsplätze bei der Deutschen Steinkohle
AG gefährdet. Insgesamt stehen fast 3 000 Ausbildungsplätze auf dem Prüfstand. Sie beklagen den Fachkräftemangel und hätten die Möglichkeit gehabt, die RAGStiftung zu verpflichten, diese hochwertigen Ausbildungsplätze zu erhalten. Aber was haben Sie getan? Nichts! Wir fordern Sie auf, gemeinsam mit dem Land
Nordrhein-Westfalen eine Verbundlösung zur Erhaltung der Ausbildungsplätze zu schaffen. RAG-Stiftung
und Evonik Industries müssen in die Pflicht genommen
werden, aber auch andere Betriebe der Region.
({2})
Gewerkschaften, Handwerkskammern, regionale Industrie- und Handelskammern, die Agentur für Arbeit und
die Kommunen sind an der Entwicklung einer solchen
Lösung zu beteiligen. Auch der profitable Bereich von
Evonik Industries ist unter der Renditeerwartung von
Arbeitsplatzabbau bedroht. Einige Tausend hat schon
die Vorbereitung des Börsengangs gekostet. Nun will
sich die berüchtigte Heuschrecke Cerberus bei Evonik
einkaufen.
Was Sie hier vorhaben, ist auch ein dreistes Kapitel
der Umverteilung von öffentlichem Vermögen in die
privaten Hände von Aktionären. Dafür bitten Sie die
Steuerzahlerinnen und -zahler auch noch mehrfach zur
Kasse. Die öffentliche Hand trägt 20 Milliarden Euro
und damit 95 Prozent der Kosten bei der Beendigung des
Steinkohlenbergbaus. Ihre Entscheidungs- und Mitsprachemöglichkeiten dabei geben Sie an eine private Stiftung ab. Diese Stiftung wird für die Abwicklung des
Bergbaus zuständig sein. Im Kuratorium der Stiftung haben Bundes- und Landesregierungen nur begrenzte Mitsprachemöglichkeiten, das Parlament gar keine. Der
Bundesrechnungshof stellt - wie wir - fest:
Die vorgesehene Anzahl der Mitglieder des Bundes
im Kuratorium entspricht
nicht seinen finanziellen Verpflichtungen.
({3})
Die Stiftung soll den Börsengang organisieren. Es ist
ihre Aufgabe, das Stiftungsvermögen so zu verwalten,
dass es möglichst zur Regulierung aller auftretenden
Altlasten und Ewigkeitskosten - die Kosten der Wasserhaltung, der Dauerbergschäden und der Grundwasserreinigung - ausreicht. Das Gutachten zur Ermittlung des
Unternehmenswertes vom 1. Januar 2007 geht von
Marktverhältnissen aus. Hören wir auch dazu den Bundesrechnungshof:
Es ist nicht auszuschließen, dass es im Zeitraum bis
zur tatsächlichen Verwertung zu erheblichen, auch
ungünstigen Veränderungen des Marktes kommt.
Und:
Die Stiftungssatzung enthält weder Regelungen zur
Verwertung, geschweige denn eine Mindestbeteiligung der Stiftung.
Die gesamte Verwertung wird den drei Vorstandsmitgliedern überlassen. Die Folgekosten werden, falls die
Erlöse nicht reichen, den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern überlassen.
In einem Erblastenvertrag ist festgelegt, dass die betroffenen Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland den
nicht gedeckten Teil der Ewigkeitskosten zu zwei Dritteln und der Bund zu einem Drittel bezahlen werden. Es
gibt keinerlei Haftungsobergrenze. Mit uns kritisiert
auch hier der Bundesrechnungshof, das Gutachten für
die Berechnung der Ewigkeitskosten stehe auf hohlen
Fundamenten. Es stützt sich auf Zahlen, die der RAGKonzern selbst herausgegeben hat. Selbst dabei werden
erhebliche Risiken beschrieben. Das Ausmaß dieser Risiken - so der Bundesrechnungshof weiter - könnten
weder der Gutachter noch die RAG selber einschätzen.
Diese Risiken wollen Sie der Öffentlichkeit aufbürden,
damit sich private Investoren an den Gewinnen der Evonik Industries bereichern können. Das Steinkohlefinanzierungsgesetz, das Sie hier vorlegen, ist die letzte Möglichkeit, dies zu stoppen. Deshalb sagen wir Nein zu
diesem Gesetz.
({4})
Frau Thoben, nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin der CDU, die nicht zu den Linken gehört, stellte
unlängst fest, dass der Konzern eigentlich den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gehöre, schließlich hätten
sie seit 1949 etwa 128 Milliarden Euro für den Konzern
bereitgestellt und ihn damit finanziert. Folgerichtig fordern wir Sie auf: Überführen Sie den gesamten Konzern
in eine öffentlich-rechtliche statt in eine private Stiftung.
({5})
Der Haftungsverbund darf nicht aufgehoben werden.
Die profitablen Teile dürfen nicht an die Börse. Stattdes12022
sen müssen ihre Erträge für die Folgen des Auslaufens
des Bergbaus genutzt werden. Die Ewigkeitskosten müssen weiterhin damit gesichert werden. Die Aus- und
Weiterbildung sowie die Beschäftigung sollen gefördert
werden. Gleichzeitig können notwendige Entwicklungen
angestoßen werden. Die RAG könnte faktisch Aufgaben
im Ausbildungsbereich, im öffentlichen Beschäftigungssektor und von Wohnungsbauunternehmen übernehmen.
Mit der STEAG wäre tatsächlich eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung hin zu einer verstärkten
Energieeffizienz und zu einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien möglich. Es wäre ferner möglich,
einen klimaschädlichen Ausbau von konventionellen
Kohlekraftwerken zu bremsen.
Da die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Hauptlasten tragen, sollten in den Stiftungsgremien mehrheitlich gemeinwohlorientierte Gruppen und gewählte Vertreterinnen und Vertreter des Bundestages und der
Länder sitzen. Die Beschäftigten sollten weiterhin durch
die Gewerkschaften angemessen beteiligt werden.
Wir fordern Sie aber auch auf, in Nordrhein-Westfalen und im Saarland ein Strukturprogramm für die
Bergbauregion aufzulegen. Wir halten eine Grundfördermenge an Steinkohle als Sockel tatsächlich für notwendig. Vor allem aber haben die Menschen im Ruhrgebiet
und an der Saar ein Recht auf zukunftsfähige Industriearbeitsplätze.
({6})
Der Wandel hin zu einer nachhaltigen Energiepolitik, zu Energieeffizienz und zu erneuerbaren Energien
bietet Chancen.
({7})
Es geht nicht darum, heimische Kohle durch billige Importkohle zu ersetzen, was Sie vorhaben. Wir brauchen
eine gezielte Ansiedlungsstrategie in Richtung Anlagenbau und erneuerbare Energien. Hier haben die Bergbauregionen große Potenziale, die man nutzen muss. Für
diese Ansiedlungsstrategie müssen der Bund und das
Land Nordrhein-Westfalen finanzielle Mittel bereitstellen.
({8})
Der Bund und Nordrhein-Westfalen sparen bis 2019
insgesamt 8 Milliarden Euro an Subventionen ein. Wir
sagen: So lange, bis ausreichende Ersatzarbeitsplätze geschaffen worden sind, fordern wir Sie auf, die frei werdenden Subventionen in ein Strukturprogramm für erneuerbare Energien, für Energieeffizienz und für
Anlagenbau zu stecken, um für die Menschen an der
Ruhr und an der Saar eine Zukunft zu schaffen.
({9})
Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen die Gewinne
des Konzerns und die Entscheidungen privatisieren und
die Kosten sozialisieren. Wir wollen auch die Gewinne
und die Entscheidungen sozialisieren, nicht nur die Kosten.
({10})
Kurz noch zum Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch: Wir werden uns in der zweiten Lesung ausführlich damit befassen. Aber schon heute möchte ich
dazu sagen, dass es dem Namen, den es trägt, nicht gerecht wird. Es schützt die Verbraucherinnen und Verbraucher insbesondere im Energiesektor, aber auch im
Lebensmittelbereich nicht. Gleichzeitig bekämpfen Sie
die Entscheidung der EU-Kommission für eine wirkliche
Entflechtung von Netz und Erzeugung. Wir fordern Sie
auf, diesen Widerstand gegen die Entflechtung aufzugeben. Damit wäre tatsächlich ein Schritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher im Kampf gegen die
Energiemonopole und ihr Preiskartell getan. Wir fordern
Sie ferner auf, die Netze dann in die öffentliche Hand zu
überführen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Josef Fell,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung und die Große Koalition
setzen weiter auf die klima- und umweltschädliche
Kohle. Bis 2018 soll der unwirtschaftliche deutsche
Steinkohlebergbau mit 38 Milliarden Euro unterstützt
werden - als ob dieses Fass ohne Boden nicht längst genug Geld bekommen hätte. Allein von 1998 bis 2006
wurden aus dem Bundeshaushalt fast 28 Milliarden Euro
für den Steinkohlebergbau ausgegeben, was die SPD gegen den grünen Widerstand durchsetzte. Dies ist nichts
anderes als eine hoch subventionierte Klimazerstörung
und Geldverschwendung.
({0})
Die 38 Milliarden Euro werden fehlen, um erneuerbare
Energien und Energieeinsparungen auszubauen und um
so auch für die letzten Kohlekumpel neue, verlässliche
und klimaschützende Arbeitsplätze zu schaffen.
Doch wer nun glaubt, dass 2018 endgültig Schluss
sei, täuscht sich. Denn im Entwurf des Steinkohlefinanzierungsgesetzes ist eine erneute Begutachtung und
Überprüfung des Ausstiegsbeschlusses für das Jahr 2012
festgelegt.
({1})
Dabei war sogar das Land Nordrhein-Westfalen in den
Verhandlungen bereit, die Kohlesubventionen bereits
2014 zu beenden.
({2})
Die Bundesregierung konnte die Kohleförderung bis
2018 aber nur durchsetzen, indem sie den Anteil des
Landes Nordrhein-Westfalen an den Subventionen von
2015 bis 2018 übernommen hat. Ohne Not hat der Bund
zusätzliche Belastungen übernommen, weil die SPD sich
erneut als Schutzmacht der Kohle profilieren will. Das
ist nicht akzeptabel.
({3})
Wir fordern die Große Koalition auf, in diesem Gesetzgebungsverfahren die gefundene Regelung noch einmal
zu überarbeiten und bis 2012 aus der Kohlesubventionierung auszusteigen.
({4})
Das Festhalten der SPD und der Bundesregierung an
der Kohlenutzung
({5})
wird immer absurder. Die Kohleverstromung gehört zu
den größten Kohlendioxidschleudern in Deutschland.
Daher wäre eine Beendigung der Kohlesubventionen
gleichbedeutend mit Klimaschutz, nicht aber der Neubau von Kohlekraftwerken, wie die Bundesregierung ihn
absurderweise als einen der Hauptpunkte in ihrem Klimaschutzpaket vorschlägt.
Die ständige Behauptung von Umweltminister
Gabriel und Wirtschaftsminister Glos, erneuerbare Energien und Energieeinsparungen könnten die zukünftige
Stromversorgung nicht gewährleisten, ist schlicht falsch.
({6})
Die Wachstumsraten der letzten Jahre bei den erneuerbaren Energien im Strombereich zeigen dies auf. Wir
Grünen haben in unserem Konzept Energie 2.0 eindrucksvoll nachgewiesen, dass Atomausstieg und Klimaschutz ohne neue Kohlekraftwerke möglich sind.
Aber Umweltminister Gabriel und Wirtschaftsminister
Glos tun nun alles, um die notwendigen Wachstumsraten
bei den erneuerbaren Energien zurückzudrängen.
({7})
Erste scharfe Bremsspuren sind bereits erkennbar und
werden schon bald junge Unternehmen aus der Branche
der erneuerbaren Energien in den Konkurs treiben.
So sind im ersten Halbjahr 2007 in Deutschland die
neuen Investitionen in wichtigen Teilbranchen der erneuerbaren Energien bereits dramatisch eingebrochen.
Schuld hat die Bundesregierung, die dagegen nichts tut.
Bei der Windenergie gibt es einen Einbruch von
20 Prozent im Binnenmarkt,
({8})
bei der Biogasbranche gar von 50 Prozent. In Bezug auf
Holzpelletheizungen gibt es ebenfalls einen Einbruch
von 50 Prozent und bei Sonnenkollektoren von
35 Prozent. Wer so mit den - außer bei den Bioenergien - kostenlosen Energiequellen der erneuerbaren
Energien umgeht, treibt Stromkunden immer schneller
in eine teurer werdende konventionelle Energieversorgung hinein. Der aktuelle Ölpreishöchststand spricht für
sich.
Gerade im Kohlebereich ist dies doch deutlich sichtbar. Erste Investoren haben dies bereits erkannt und haben Entscheidungen, in neue Kohlekraftwerke zu investieren, zurückgezogen, etwa in München, Bremen
oder Krefeld.
({9})
Die Begründungen sind immer gleich: Investitionen
in Kohlekraft bergen unkalkulierbare Finanzrisiken. Die
Anlagenpreise sind um 30 Prozent gestiegen
({10})
und verteuern so die Investitionen in Kohlekraftwerke.
Wie hoch die CO2-Kosten ab 2012 sein werden, kann
niemand vorhersagen. Nur eines ist klar: Aufgrund der
rasant zunehmenden Klimaveränderung werden sie steigen und steigen.
Die Agitation der Bundesregierung gegen die Wettbewerbsvorschläge der EU-Kommission wird ebenfalls die Strompreise steigen lassen. Meine Kollegin
Bärbel Höhn wird auf die Wettbewerbspolitik noch näher eingehen. Selbst die Rohstoffpreise für Kraftwerkskohle sind in den letzten Jahren ständig gestiegen und
werden weiter steigen, weil Verknappungen auch bei der
Kraftwerkskohle bevorstehen. So warnte die deutsche
Steinkohlewirtschaft im Mai dieses Jahres vor Verknappungen auf dem internationalen Kraftwerkskohlemarkt
bereits ab 2009. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen, beispielsweise die von der Energy Watch
Group, haben den Nachweis erbracht, dass die weltweiten Kohleressourcen viel geringer sind, als bisher geglaubt.
Wer, wie diese Bundesregierung, die SPD und die
großen Energiekonzerne, heute noch am Kohleinvestment festhält, wird die Bürgerinnen und Bürger in die
Falle immer höherer Energiekosten stürzen und wird
wohl die nächste Finanzkrise heraufbeschwören. Schon
heute ist absehbar, dass Investitionen in neue Kohlekraftwerke niemals mehr rentabel sein können.
({11})
Wir können nur an die Große Koalition appellieren:
Beenden Sie den Irrweg der Kohlesubventionen spätestens ab 2012 und werfen Sie wenigstens ab diesem Zeitpunkt kein Steuergeld mehr für die Unterstützung der
Klimazerstörung aus dem Fenster!
Wir Grünen werden die vielen Bürgerinitiativen gegen neue Kohlekraftwerke unterstützen. Unsere Unterstützung gilt auch den Menschen in der Lausitz, die gegen den Verlust ihrer Heimat durch das Abbaggern von
33 Dörfern wegen der Braunkohlevorkommen kämpfen.
Sie alle werden unsere Unterstützung bekommen.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Albert Rupprecht,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn wir die Verbraucher kurzfristig wirksam vor Monopolpreisen schützen wollen, dann gibt es zur Verschärfung der Missbrauchsaufsicht keine Alternative.
Herr Minister, deswegen war die Initiative Ihres Ministeriums, das Wettbewerbsrecht entsprechend zu ändern,
richtig, auch wenn es massiven Gegenwind von vielen
Interessengruppen gibt. Die Novelle wurde von exzellenten Mitarbeitern des Wirtschaftsministeriums gemeinsam mit Mitarbeitern des Bundeskartellamtes vorbereitet; dafür vielen Dank.
Die deutschen Verbraucher zahlen im Jahr unglaubliche 9,5 Milliarden Euro Monopolaufschlag auf ihre
Stromrechnungen. Das sind die aktuellsten Werte der
Europäischen Kommission. Das heißt: Ein Vier-Personen-Haushalt zahlt pro Jahr im Schnitt über 400 Euro
Monopolaufschlag. Das sind eben keine Peanuts. Anders
als Herr Bernotat behauptet, ist Strom in Deutschland
eben nicht zu billig, sondern zu teuer. Solange es Monopolgewinne gibt, ist der Strompreis zu hoch. Unsere Vorstellung von Deutschland ist, dass sich Leistung lohnt.
Das heißt aber auch, dass Leistung bezahlt wird und
nicht Größe oder Macht bzw. Vermachtungsstrukturen.
Das ist soziale Marktwirtschaft.
Natürlich wollen wir einen Wettbewerb, der funktioniert; darüber sind wir uns in diesem Hause einig. Wir
sind mit der Anreizregulierung, mit der Kraftwerksanschlussverordnung und anderen Maßnahmen einen großen Schritt vorangekommen. Jeder Realist hier im Hause
weiß aber auch: Es wird Jahre dauern, bis die Ernte eingefahren wird. Wir gehen davon aus, dass es spätestens
2010 so weit ist. Bis dahin braucht es aber schnell zeitlich befristete Übergangslösungen.
Deswegen gibt es kurzfristig keine Alternative: Das
Kartellamt muss personell gestärkt werden, und es
braucht insbesondere schärfere Waffen. Die Vorschläge,
die nun vorliegen, kommen von Praktikern aus dem Kartellamt. Die Anwender selbst wissen am besten, wieso
sie von den Konzernen an der Nase herumgeführt werden.
Wie ist denn die Situation zurzeit? Zurzeit treiben die
Konzerne ein absurdes Spiel. Auf der einen Seite gibt es
sieben Mitarbeiter im Bundeskartellamt und auf der anderen Seite stehen international tätige und verflochtene
Konzerne. Das Kartellamt wühlt sich durch Hunderte
von Ordnern und muss überhöhte Preise nachweisen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Zeil von der FDP-Fraktion?
Gern.
Herr Kollege Rupprecht, weil Sie gerade noch einmal
über die Problematik im Kartellamt gesprochen haben,
frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
was der Wissenschaftliche Beirat des Ministers, den Sie
gerade so gelobt haben,
({0})
gesagt hat? Er hat Bedenken gegen diese Novellierung
und hat festgestellt - ich darf das kurz zitieren -:
Das für marktbeherrschende Unternehmen der
Energiewirtschaft vorgesehene Verbot der Forderung von Entgelten, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten, ist ordnungspolitisch
problematisch, schafft Rechtsunsicherheit, kann fatale Präzedenzwirkungen haben und
- jetzt kommt das Entscheidende wird das Ausgangsproblem der hohen Preise für
Strom und Gas nicht beheben.
Wie bewerten Sie diese Kritik?
Herr Kollege Zeil, Sie wissen, dass sich das Gutachten auf den Referentenentwurf bezieht. Der Referentenentwurf wurde wesentlich überarbeitet. Es gab zwei bedeutende Kritikpunkte, die im vorliegenden
Gesetzentwurf nicht mehr enthalten sind; darauf werde
ich nachher noch zu sprechen kommen.
({0})
Zurück zur Situation des Kartellamts. Das Kartellamt
wühlt sich, wie gesagt, durch die Ordner, durch die Unterlagen und muss überhöhte Preise nachweisen. Das Ergebnis ist, dass es zu jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen kommt. Am Schluss passiert überhaupt
nichts, weil sich nach solchen jahrelangen juristischen
Auseinandersetzungen der Sachverhalt längst geändert
hat und die Preissenkung nicht mehr vollzogen wird.
Die Konzerne führen das Kartellamt, die Politik und
letztendlich auch die Verbraucher an der Nase herum.
Die Bürger erwarten von uns zu Recht, dass wir diesem
Treiben ein Ende bereiten.
Die vorliegende Novelle leistet das. Im Zentrum stehen zwei Änderungen, zum einen die Beweislastumkehr - künftig müssen marktmächtige Unternehmen
nachweisen, dass ihre Preise gerechtfertigt sind - und
zum anderen der Sofortvollzug. Künftig bringt es nichts
mehr, über juristische Tricks Zeit zu schinden, weil sofort vollzogen wird und die Preissenkung angeordnet
wird.
Um es nochmals klarzustellen: Es geht hier nicht um
eine flächendeckende Preiskontrolle wie bei der Netzregulierung, es geht auch überhaupt nicht um eine staatliche Preissetzung, wie manche Propaganda glauben machen will, sondern es geht ausschließlich um eine
nachträgliche, zügige und schlagkräftige Einzelfallprüfung. Es geht darum, ob Marktmacht missbraucht wurde
Albert Rupprecht ({1})
und überhöhte Preise verlangt wurden. Es geht darum,
dass wir vor internationalen Großkonzernen nicht einknicken. Es geht darum, dass eine staatliche Institution
endlich in die Lage versetzt wird, ihren Auftrag zu erfüllen. Das muss doch wohl in unser aller Interesse sein.
({2})
Es gab in der Tat, Herr Kollege Zeil, in den vergangenen Monaten eine rege Debatte um die Reform. Daran
waren durchaus ernst zu nehmende Institutionen und
ernst zu nehmende Personen beteiligt. So gab es unter
anderem das Gutachten, das Sie angesprochen haben, sowie ein Sondergutachten der Monopolkommission. Um
das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Kritik wurde auf
der Basis des ersten Referentenentwurfs formuliert. In
dem Gesetzentwurf, der heute eingebracht wird, ist diese
berechtigte Kritik aufgenommen worden.
Im Wesentlichen betrafen die Kritikpunkte zwei Stellen: Es wurde kritisiert, dass Investitionen verhindert
werden, wenn die zulässigen Kosten die Investitionskosten nicht beinhalten. Deswegen wurde vorgeschlagen, klarzustellen, dass es sich bei den akzeptierten Kosten um Preis gleich Grenzkosten handelt. Genau diese
Formulierung ist in der Gesetzesbegründung nun umgesetzt.
({3})
Der zweite wesentliche Kritikpunkt betraf die Streichung des Erheblichkeitszuschlages. Zum Verständnis: Der Erheblichkeitszuschlag besagt, dass das Kartellamt bei Preisen, die um bis zu 10 Prozent höher sind als
die der Konkurrenz, nicht ermittelt. In diesem Zusammenhang wurde die Sorge geäußert, dass bei Streichung
des Erheblichkeitszuschlages alle Anbieter quasi dazu
verdonnert würden, in Zukunft zu denselben Preisen anzubieten, weil sie sonst ein Verfahren des Kartellamtes
befürchten müssten. Im Ergebnis hätte das dazu geführt,
dass der Preiswettbewerb totgemacht worden wäre. Ich
denke, diese Kritik war in der Tat berechtigt. Deswegen,
Herr Minister, ist auf die Streichung des Erheblichkeitszuschlages im vorliegenden Gesetzentwurf zu Recht verzichtet worden. Ich glaube, dass damit den relevanten
Anliegen der Fachwelt auf konstruktive Art und Weise
Rechnung getragen wurde.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Strompreise sind
zu hoch. Wir brauchen eine zeitlich befristete Stärkung
des Kartellamtes, um gegen Machtmissbrauch vorzugehen, zumindest solange der Wettbewerb noch nicht funktioniert. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt, wie ich
meine, eine überzeugende Arbeit des Wirtschaftsministers und seines Teams dar und bietet uns eine gute
Grundlage für die parlamentarische Debatte in den
nächsten Wochen. Zufrieden können wir erst sein, wenn
der Monopolaufschlag in Höhe von 9,5 Milliarden Euro
jährlich wieder bei den Verbrauchern verbleibt, statt bei
Oligopolen und Monopolisten zu landen.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegin Bärbel Höhn,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister legt uns einen Gesetzentwurf vor, mit dem er den
Preismissbrauch auf den Energiemärkten bekämpfen
will. Sie, Herr Minister Glos, haben hier sehr deutlich
gesagt, worum es geht, als Sie ausführten - so habe ich
es jedenfalls mitgeschrieben -: Der Wettbewerb funktioniert nicht so, wie Sie es gerne hätten. - Die gleiche Begründung wird ja auch, auf Beamtendeutsch, im Gesetzentwurf gegeben. Auf gut Deutsch heißt das: Es gibt
keinen Wettbewerb. Die vier großen Energiekonzerne
beherrschen den Markt und missbrauchen ihre Macht,
um Wirtschaft und Verbraucher mit unfairen Preisen zu
belasten. Das müssen wir stoppen, auch im Sinne der
wirtschaftlichen Situation Deutschlands.
({0})
In der Situationsbeschreibung sind wir uns ja noch einig. Aber mit Ihrem Lösungsansatz, Herr Minister, werden Sie dem fehlenden Wettbewerb nicht beikommen.
({1})
Eine Missbrauchsaufsicht ist ein stumpfes Schwert.
Damit werden Sie das Problem, das Sie hier zu Recht beklagen, nicht lösen können.
({2})
Ich sage Ihnen auch sehr deutlich, dass das nicht nur
meine Meinung ist. Auch Professor Basedow, Vorsitzender der Monopolkommission, sagt in seiner Pressemitteilung ganz klar:
Sinnvoller als eine Symptombekämpfung
- wie Sie es jetzt machen ist das Ansetzen an den
Ursachen für den fehlenden Wettbewerb
({3})
Das ist der Weg, den wir gehen müssen: Ansetzen an den
Ursachen für den fehlenden Wettbewerb. Die EU-Kommission tut das. Sie hat nämlich den Vorschlag gemacht,
zur Erreichung von mehr Wettbewerb eine klare eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Produktion
vorzunehmen. Und was machen Sie? Sie verwässern
diesen Vorschlag. Deutschland und Frankreich haben so
lange interveniert, bis die EU-Kommission als Alternative zu der eigentumsrechtlichen Trennung die zweit12026
beste Lösung vorgeschlagen hat, nämlich die Schaffung
eines unabhängigen Systembetreibers. Das ist schon
eine Verwässerung.
Sie können nicht auf der einen Seite hier sagen, Sie
seien der Hüter des Wettbewerbs, und auf der anderen
Seite die Vorschläge der EU-Kommission verwässern,
die für mehr Wettbewerb streitet. Das funktioniert nicht.
({4})
Hinzu kommt: Erst haben Sie sich für den verwässerten Vorschlag der Schaffung unabhängiger Systembetreiber eingesetzt. Aber jetzt, wo dieser vorgelegt worden ist, sagen Sie, das sei mit zu viel Bürokratie
verbunden. Da gibt es eine ganz einfache Lösung, die
überhaupt nicht bürokratisch ist: Machen wir einen Aktiensplit und sorgen wir damit dafür, dass Netzbetrieb
und Stromproduktion getrennt werden. Das wäre die einfache, unbürokratische Lösung, die die EU-Kommission
vorschlägt. Unterstützen Sie die EU-Kommission in diesem Vorhaben. Damit würden Sie etwas für den Wettbewerb tun.
({5})
- So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es nicht.
({6})
Herr Glos, ich nehme Ihnen ab, dass Sie wirklich etwas für den Wettbewerb tun wollen; Sie haben das an
vielen Punkten deutlich gemacht. Sie haben zu Recht gesagt, Sie sind Minister für die gesamte Wirtschaft, nicht
nur für die Energiewirtschaft. Für die gesamte Wirtschaft aber sind zu hohe, unfaire Energiepreise nicht in
Ordnung; sie gefährden den Standort. Aber Sie haben
ein Ministerium, in das RWE und andere Energiekonzerne direkt hineinregieren. Am Ende sind Sie für das
verantwortlich, was die Mitarbeiter Ihres Ministeriums
Ihnen aufschreiben und Sie hier erzählen. Meines Erachtens müssten Sie an dieser Stelle etwas anderes tun; ansonsten werden Sie, gewollt oder ungewollt, zum verlängerten Arm der Energiekonzerne. Das kann nicht in
Ihrem Sinne sein.
({7})
Meine Damen und Herren, als ich hier den Kollegen
Hempelmann hörte, hatte ich den Eindruck, er versuche
jetzt schon wieder, im Sinne von RWE Widerstand selbst
gegen diese zweitbeste Lösung aufzubauen.
({8})
Das ist nicht in Ordnung. Wir haben die Verpflichtung,
uns für alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und für die gesamte Wirtschaft in diesem Land einzusetzen, nicht nur für die vier Energieriesen. Das wäre
ein Vorgehen, das wir niemals unterstützen werden.
Danke schön.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Dieter Grasedieck,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Glos, Sie sprachen vorhin von
dem Vorschlag Ihrer Parteifreundin zur befristeten Ehe.
Ich kann es Ihnen im Vertrauen sagen: Ich würde die Ehe
nach Ablauf der Frist mit meiner Frau verlängern.
({0})
Dies will ich nun auf den Bergbau übertragen: Die Ehe
soll auch über die Zeit nach 2018 verlängert werden. Der
Sockelbergbau soll auch nach 2018 erhalten bleiben,
({1})
und zwar sowohl im Saarland als auch in NordrheinWestfalen. Das ist ein ganz wichtiges Ziel, darum müssen wir kämpfen.
Meine Damen und Herren, wir müssen einfach über
den Tellerrand hinweg, also auch in die Zeit nach 2018,
schauen. Insofern begrüße ich den Beschluss der Bundesregierung zum Steinkohlefinanzierungsgesetz. Herr
Hempelmann hat bereits ausführlich dargestellt, dass es
möglich ist, im Kohlebereich wie auch in den Bereichen
der Chemie, der Immobilien und der Kohlekraftwerke zu
einer längerfristigen Lösung zu kommen.
Wir Politiker müssen über den Tag, also auch über
2018, hinausdenken. Aufgrund der Zeitungsmeldungen
der letzten Woche konnte man die Preissprünge im Ölbereich besonders deutlich wahrnehmen. In den letzten
drei Jahren ist der Ölpreis von 30 Dollar pro Barrel auf
gestern 82,5 Dollar pro Barrel gestiegen, und die Experten sagen, im nächsten Jahr werde die Schallgrenze von
100 Dollar pro Barrel überschritten werden.
({2})
Dies muss bei der gesamten Diskussion in Betracht gezogen werden, denn es ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Der Süddeutschen Zeitung konnte man unter anderem entnehmen: Die Schwellenländer treiben die
Ölpreise nach oben, aber natürlich auch - das steht außer
Frage - die anderen Energiepreise. China und Indien
sind auf dem Markt vertreten und kämpfen um die international angebotenen Ressourcen: Die Jagd nach Energiereserven hat längst begonnen.
Eines muss man beachten, meine Damen und Herren:
Die Vorräte an Öl und Gas neigen sich in 40 bis
60 Jahren dem Ende zu. Im Zusammenhang mit der zwischen Russland und China neu gebauten Pipeline müssen wir befürchten, dass in der kommenden Zeit Preissprünge stattfinden werden, und zwar nicht nur beim
Gas, sondern natürlich auch im Kohlebereich.
Die Importabhängigkeit wird von der FDP in ihren
Anträgen immer deutlich angesprochen.
({3})
Gas kommt aus Norwegen und Russland, Öl kommt aus
Saudi-Arabien und Libyen, in zehn Jahren vielleicht aus
dem Iran und dem Irak. Ganz sicher sind dies nicht alles
demokratische Staaten, ganz sicher nicht alles sichere
Staaten; das müssen wir bei der Gesamtdiskussion
ebenso berücksichtigen wie die Tatsache, dass die Kohlepreise bei weiterer Ressourcenverknappung selbstverständlich ebenfalls nach oben gehen werden.
({4})
All dies muss man mit Blick auf das Jahr 2012 in die
Überlegung einbeziehen. Insofern ist die Überprüfungsklausel, die wir eingebaut haben, hervorragend.
Wir werden die Weiterentwicklung der erneuerbaren
Energien forcieren und unterstützen, aber wir brauchen
auch im Jahr 2050 noch unsere Steinkohle,
({5})
vielleicht dann in Verbindung mit CO2-freien Kraftwerken, Herr Fell. Das sagt jeder Experte im Energiebereich. Das ist einfach wichtig, vor allem deshalb, weil
wir die flankierenden Industrien berücksichtigen müssen, zum Beispiel die Hersteller von Bergmaschinen.
Tausende von Arbeitsplätzen hängen davon ab. 40 Prozent der weltweit eingesetzten Bergmaschinen wurden in
Deutschland produziert; auch in diesem Bereich ist
Deutschland Exportweltmeister. Wir brauchen daher ein
Übungsfeld, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({6})
Deshalb kommt es entscheidend darauf an, dass wir dieses Übungsfeld in der nächsten Zeit - auch nach 2018 erhalten.
Einen Punkt will ich noch ansprechen, das ist der Bereich Ausbildung, der gerade für das Saarland und für
Nordrhein-Westfalen ein entscheidendes Thema ist. Der
Bergbau bildet an den zwei Standorten Saarland und
Nordrhein-Westfalen in hervorragender Weise in modernen Berufen aus. Dort werden Zerspanungsmechaniker
und Industriekaufleute ausbildet, ferner das gesamte
Feld der Berufe im Elektronikbereich. Das sind modernste Berufe; die darin Ausgebildeten werden vom
Markt aufgesogen.
({7})
Die jungen Leute bekommen so eine Chance, und diese
Chance sollen sie auch in den kommenden Jahren haben.
Im Jahre 2012 werden die Sozialdemokraten diese
Argumente - steigende Energiekosten, Importabhängigkeit und Arbeitsplätze - gewichten. Deutschland braucht
vor Ort einen heimischen Energiesockel. Die Lichter auf
unseren wenigen Schachtanlagen dürfen auch nach 2018
nicht ausgehen.
Glück auf!
({8})
Ich erteile dem Kollegen Joachim Pfeiffer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einstieg in
den Ausstieg aus dem dauersubventionierten Steinkohlebergbau in Deutschland, den der heute in erster Lesung
zu behandelnde Gesetzentwurf und die in ihm enthaltene
Vereinbarung darstellen, ist ordnungspolitisch richtig
und wichtig und stellt den größten Subventionsabbau
dar, der bisher in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland erfolgt ist.
({0})
Dies ist eine wichtige Entscheidung für den Standort
Deutschland; sie zeigt nämlich, dass wir in der Lage
sind, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung moderner, zukunftsgerichteter Strukturen zu schaffen, und
nicht an dem festhalten, was in der Vergangenheit vielleicht einmal richtig war, was aber heute weder unter
weltwirtschaftlichen, noch national-volkswirtschaftlichen oder energiepolitischen und erst recht nicht unter
arbeitsmarkt- oder strukturpolitischen Gesichtspunkten
sinnvoll ist. Deswegen betone ich, dass wir mit der Entscheidung über die Beendigung der Dauersubventionen, die im Übrigen in einem sehr breiten Konsens
- einschließlich der Gewerkschaften - erarbeitet wurde,
eine zukunftsorientierte Entscheidung treffen.
Im Folgenden möchte ich doch noch einmal auf die
Argumente, die heute genannt wurden, eingehen, weil
vieles nicht einfach so im Raum stehen bleiben kann.
Vielleicht sollte man sich zunächst noch einmal die
Historie vor Augen halten, um eine Antwort auf die
Frage zu geben, warum sich der Bundestag überhaupt
mit dem Thema Steinkohle beschäftigt. Anfang der 70erJahre, als das Thema Versorgungssicherheit auf einmal
auf die Tagesordnung kam, haben wir gesagt, wir brauchen zwecks Versorgungssicherheit eine nationale Reserve, um national die Produktion von Strom, Wärme,
Heizung und anderer Dinge mehr aufrechterhalten zu
können. Das war damals, Anfang der 70er-Jahre, richtig.
({1})
Wie aber stellt sich die Situation heute dar? Heute ist
die Situation eine andere. Das, was Sie betreiben, ist
Schönfärberei der Vergangenheit; die Realitäten sind
heute andere. Das gilt zum Beispiel hinsichtlich des
Sockelbergbaus, wie Sie ihn fordern. Die Aufrechterhaltung von 6 bis 8 Millionen Tonnen Sockelbergbau
würde angesichts der gegenwärtigen Weltmarktpreise
1,5 Milliarden Euro an staatlichen Beihilfen und Subventionen pro Jahr erfordern.
({2})
Sagen Sie den Bürgern einmal, wer dieses Geld aufbringt! Es wird nämlich vom Steuerzahler aufgebracht.
1,5 Milliarden Euro für 6 bis 8 Millionen Tonnen, bei einem Weltmarkt von 800 Millionen Tonnen Steinkohle,
also für nicht einmal 1 Prozent der Weltproduktion von
Steinkohle.
Auch zur Deckung unseres Primärenergieverbrauchs trägt die nationale deutsche Steinkohleproduktion heute nur noch mit einem Anteil von 5 Prozent bei.
Mit 6 bis 8 Millionen Tonnen betrüge der Anteil zur Deckung des Primärenergieverbrauchs nur noch 1 Pro-zent.
Die Steinkohle hätte dann mit der Gewährleistung von
Versorgungssicherheit überhaupt nichts mehr zu tun. Es
ist Augenwischerei, was Sie da betreiben; denn der
Steinkohlenbergbau ist mit dem Argument der Versorgungssicherheit in keiner Weise zu rechtfertigen.
Ein Sockelbergbau ist für die deutsche Bergbauindustrie auch gar nicht notwendig, wie Sie teilweise versuchen, uns einzureden.
({3})
Diese ist nämlich schon heute im Ausland tätig und hat
dort entsprechende Referenzen vorzuweisen. Einen
Bergbau in über 800 oder 1 000 Meter Tiefe, wie er in
Deutschland stattfindet, gibt es außer in Polen sonst nirgends weltweit. Das heißt, die Referenzanlagen, die man
in Deutschland vorweisen kann, werden im Ausland gar
nicht benötigt. Auch diese Argumentation läuft also ins
Leere.
Wir sollten auch noch einmal deutlich machen, welcher Herausforderung der Bund sich jetzt damit stellt,
dass er sich noch einmal abschließend engagiert. Über
dieses Engagement wurde ja ein Konsens erzielt. Das
Argument der Versorgungssicherheit hat dabei keine Bedeutung; hier geht es um eine regionalwirtschaftliche
Frage. Trotzdem haben wir uns darauf verständigt, dass
der Bund von den 39 Milliarden Euro, die für den Steinkohlenbergbau noch aufzubringen sind, über 20 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. Das ist ein einzigartiger
Vorgang. In der gesamten Legislaturperiode wird damit,
um die Dimension einmal deutlich zu machen - vorhin
haben wir bei der Bahn-Debatte ja heftig darüber gestritten, wie wir die Bahn neu ausrichten -, weniger für den
Ausbau und die Instandhaltung der deutschen Schienenwege ausgegeben, als der Bund für die Beendigung des
subventionierten Steinkohlenbergbaus ausgibt. Diese
Größenordnung sollte man sich vor Augen führen.
({4})
- Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. - Der Bund geht insofern mit seinem Engagement
bis an die Schmerzgrenze. Trotzdem ist die gefundene
Lösung sozialverträglich. Dass sie im Konsens erzielt
wurde, ist, wie ich denke, ein wichtiges Ergebnis. Insofern ist ein Ende mit Schrecken in diesem Zusammenhang besser als ein Schrecken ohne Ende.
({5})
Jetzt möchte ich auf die Zukunft eingehen, darauf,
was wir mit diesem Konsens schaffen; dies wurde ja von
den Linken angesprochen, die sich für die besseren Unternehmer halten. Wir haben ja an der DDR gesehen,
wohin das führt, wenn der Staat und die Linken die Unternehmer sind: in den Bankrott. Wahrscheinlich würden
sie auch gerne den weißen Bereich der RAG in diesen
führen.
Was bedeutet denn jetzt diese Aufspaltung? Dies bedeutet, dass 43 000 Beschäftigte im weißen Bereich, in
den Bereichen Chemie, Energie und Immobilien, aus einem Korsett befreit werden, eine zukunftsträchtige Entwicklung vor sich haben und der weiße Bereich einen
Nukleus darstellen kann, der in dieser strukturschwachen Region auf dem Markt bestehen kann.
({6})
Mit dem Börsengang erhält der weiße Bereich nämlich
Zugang zum Kapitalmarkt und kann notwendige Innovationen und Investitionen ohne das Korsett, mit dem
schwarzen Bereich verbunden zu sein, und ohne das Damoklesschwert, dass sich angesichts dessen kein privater
Investor engagieren würde, angehen. In diesem Bereich
können damit langfristig zukunftsträchtige Arbeitsplätze
geschaffen werden.
({7})
Der Umsatz in diesem Bereich betrug im letzten Jahr
15 Milliarden Euro. Dieser wird jetzt durch eine intelligente und zukunftsfähige Konstruktion gestärkt.
Gleichzeitig schaffen wir eine Lösung, die die Ewigkeitslasten wie Bergbaudauerschäden, Wasserhaltung
usw. dauerhaft und abschließend in Form eines Stiftungsmodells regelt.
({8})
In der Anhörung, die bevorsteht, werden wir sicher sehr
genau hinterfragen müssen, ob die vorhandenen Mittel
und die geplante Konstruktion für die Regelung dieser
Fragen ausreichen. Alle Gutachten und alle bisher vorliegenden Zahlen und Fakten unterstreichen dies. Insofern, Frau Kopp, stellen wir keinen Blankoscheck für
den schwarzen Bereich aus, der für den Bund oder andere Teile der öffentlichen Hand unbegrenzte Risiken
mit sich bringen könnte.
({9})
Zum Schluss möchte ich die Grünen ansprechen. Es
ist immer wieder erstaunlich, Herr Fell und Frau Höhn,
was Sie hier vortragen. Sie versuchen Ihr Versagen in
der Sache zu vertuschen. Sie waren sieben Jahre in der
Regierung; da hätten Sie das Ganze doch angehen können.
({10})
Dann wären wir nicht erst 2018 ausgestiegen, sondern
vielleicht 2012. Das hätten Sie machen können. Sie können heute nicht mit schriller Rhetorik überdecken, dass
Sie als Raubkatze gestartet und als Bettvorleger gelandet
sind. In dieser Angelegenheit haben Sie rein gar nichts
erreicht. Es ist ziemlich dreist, uns heute vorzuwerfen,
diesen Schritt nicht früher erreicht zu haben.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Ich komme jetzt definitiv zum Schluss, Herr Präsident.
Die Große Koalition hat mit diesem historischen Beschluss wieder einmal Handlungsfähigkeit bewiesen.
Für die betroffenen Regionen ist das der Startschuss für
einen auf die Zukunft ausgerichteten Strukturwandel.
Die Regionen können jetzt optimistisch in die Zukunft
schauen, und die Große Koalition hat deutlich gemacht,
dass sie energie- und wettbewerbspolitisch handlungsfähig ist.
Vielen Dank.
({0})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich Kollegen Rolf Stöckel, SPD-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Steinkohlefinanzierungsgesetz ist in der Tat ein großer Erfolg
der Großen Koalition, weil damit erstmals sowohl für
das Unternehmen als auch für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihre Familien Planungssicherheit geschaffen wird. Mangelnde Planungssicherheit war in den letzten Jahren ein großes Problem.
Die Landesregierung von NRW, bestehend aus CDU und
FDP, hat ja in den letzten Monaten, eigentlich seit Beginn ihrer Regierungstätigkeit, wesentlich zur sozialen
Verunsicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land beigetragen.
({0})
- Ich komme dazu. Ich erkläre Ihnen das später.
Ich möchte mich ausdrücklich bei Wirtschaftsminister
Glos dafür bedanken, dass er in seinem Redebeitrag zur
Einbringung dieser beiden Gesetze ausdrücklich auf die
Verbraucher und die Bergleute eingegangen ist. In vielen
Redebeiträgen, die ich gehört habe, ging es um Subventionen, darum, dass 40 Milliarden Euro in dunklen
Schächten vergraben werden. Ich glaube, dass das den
tatsächlichen Funktionen und Wirkungen dieser Subventionen nicht gerecht wird. Die Steinkohlesubventionen
machen 2 Prozent der gesamten Subventionen des Bundes und der Länder aus. Wenn wir hier über Subventionen für die Bereiche Landwirtschaft, Pharmaindustrie
oder regenerative Energien gesprochen hätten, hätten wir
eine ganz andere Debattenlage gehabt.
({1})
Meine Partei und meine Fraktion unterstützen die
Subventionen für die Landwirtschaft. In unserer Gesellschaft besteht ja wahrscheinlich dahin gehend Konsens,
dass es sinnvoll ist, die Landschaft zu pflegen, und dahin
gehend, dass wir einen Beitrag dazu leisten müssen. Das
gilt sicherlich auch für den Bereich der Förderung der regenerativen Energien aus Gründen ökologischer Notwendigkeiten und der Nachhaltigkeit.
Wer behauptet, dass die Subventionen völlig unnütz
gewesen seien und man besser Hartz IV hätte auszahlen
sollen, Frau Kopp, der zeigt, dass er von dem Thema
überhaupt keine Ahnung hat.
({2})
Frau Kopp, Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen. Da
sollten Sie wissen, dass nicht nur Familien von dem
Lohn eines Bergmanns abhängig sind, sondern auch die
mittelständische Wirtschaft; die gesamte Region und
nicht nur die Bergbauzulieferindustrie lebt also davon.
({3})
Deshalb ist es gut, dass das Steinkohlefinanzierungsgesetz, das ich in der Tat als Meilenstein betrachte,
zustande gekommen ist. Dafür will ich ausdrücklich
noch einmal allen danken, die daran beteiligt waren, sowohl aufseiten der Bundesregierung, insbesondere aber
aufseiten der Gewerkschaften und des Unternehmens.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein vitales Interesse
daran, dass es einen geordneten Rückzug und eine ernsthafte Überprüfung im Jahr 2012 gibt.
Nordrhein-Westfalen ist ein Industrie-, ein Energieland. Wir haben ein starkes Interesse an einer börsennotierten RAG, die erfolgreich ist. Die Opposition ist sich
- das haben wir gerade gehört - in der Ablehnung dieses
Weges total einig. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Früher
gab es die Haftung des weißen Bereichs für die Altlasten
aus dem Abbau und für die sozialen Kosten des schwarzen Bereichs. Was wäre gewesen, wenn wir Börsengang
und Stiftungsgründung nicht hinbekommen hätten? Aus
Reihen der FDP, vor allen Dingen aber aus Reihen der
CDU in Nordrhein-Westfalen wurde das ja lange Zeit
torpediert. Das meinte ich übrigens, als ich vorhin gesagt
habe, dass Sie die Bergarbeiter und die Beschäftigten im
weißen Bereich über Monate hinweg zusätzlich verunsichert haben.
Wir wissen, dass mit diesem Gesetz ein verantwortbarer Weg beschritten wird. Das liegt im Interesse der
Steuerzahler, die weniger Risiken für Folgekosten - das
sind soziale Kosten und Altlasten, die man in der Tat
noch nicht abschätzen kann - tragen. Nordrhein-Westfalen hat aber auch ein großes Interesse an energiepolitischer Sicherheit. Deswegen wollen wir den Zugang zu
den Lagerstätten wahren. In der Tat ist es so, dass überall auf der Welt noch lange Steinkohlevorräte vorhanden
sein werden und diese Energieform genutzt werden
wird. Wenn wir, wie das meine Kollegen Grasedieck und
Hempelmann hier deutlich gemacht haben, die Bergbauzulieferer und -ausrüster dabei unterstützen, wenn sie
überall auf der Welt bessere Kohlekraftwerke mit höheren Wirkungsgraden bauen, dann werden wir einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Nordrhein-Westfalen haftet nach der heutigen Rechtslage für die Alt- und Ewigkeitslasten, die nicht durch
den Haftungsverbund in der RAG gedeckt sind. Deswegen ist es auch im Landesinteresse, dieses Risiko zu begrenzen. Frau Kopp, Sie und einige Vorredner haben hier
die Landesvorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD,
Hannelore Kraft, dafür kritisiert, dass sie gesagt hat, sie
stehe an der Seite der Bergleute und hoffe auf Veränderungen der politischen Mehrheiten. Ich kann nur sagen:
Die SPD in Nordrhein-Westfalen, aber auch im Bund
steht zu den Bergleuten, und die Mehrheitsverhältnisse
werden wir verändern.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5847, 16/6384, 16/5422 und
16/6392 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel Kein Börsengang
der Ruhrkohle AG - Bei der Zukunft des Steinkohlenbergbaus soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5947, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3695 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({0}), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Die gesetzliche Rentenversicherung zur solidarischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen
- Drucksache 16/6440 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Volker Schneider, Fraktion Die Linke.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ich mir die Berichterstattung über die Rentenpolitik der Bundesregierung und ihre Selbstdarstellung in
diesem Bereich anschaue, dann fühle ich mich bisweilen
an Helmut Kohl erinnert, der in einer seiner berühmt-berüchtigten, tiefenphilosophischen Betrachtungen einmal
gesagt hat: Die Wirklichkeit ist leider anders als die Realität.
Sie werden nicht müde, die Erfolge Ihrer Rentenpolitik zu feiern. Ganz aktuell freut sich Kurt Beck, dass
2008 voraussichtlich mit einer Rentenerhöhung um
1,5 Prozent zu rechnen sei. Hätte er sich beim Kieler Institut für Weltwirtschaft erkundigt, hätte er erfahren,
dass sogar mit 1,7 Prozent zu rechnen ist. Das ist ein toller Erfolg, aber nur, wenn man nicht in Betracht zieht,
dass gleichzeitig mit einer Inflationsrate in Höhe von
2 Prozent zu rechnen ist. Das bedeutet, auch 2008 real
weniger für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, nämlich 0,3 Prozent.
({0})
- Herr Weiß, Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. - Das hatten wir in diesem und im letzten Jahr - beides Boomjahre - in Deutschland auch schon. In diesem
Jahr gibt es real ein Minus von 1,2 bis 1,5 Prozent: nämlich bei einer geschätzten Inflationsrate von 1,7 bis
2 Prozent und einer Erhöhung der Rente um 0,54 Prozent. 2006 gab es real keine Erhöhung und eine Inflationsrate von 1,7 Prozent: Das machte ein Minus von
1,7 Prozent. Diese lange Reihe von Erhöhungen und
Nullrunden hatte letztlich immer dasselbe Ergebnis: Die
Rentnerinnen und Rentner haben real weniger Geld in
der Tasche. Das sind die Erfolge Ihrer Politik. In AnbeVolker Schneider ({1})
tracht des vielgefeierten Aufschwungs ist dieses Ergebnis wahrlich keine überaus erfolgreiche Rentenpolitik.
Auch an anderer Stelle werden Sie nicht müde, die
Erfolge Ihrer Rentenpolitik zu feiern. Ihr Hauptargument
lautet immer: Wir haben die Rente angesichts der Herausforderungen der Demografie zukunftsfest gemacht. Aber was meinen Sie, wenn Sie von Zukunftsfestigkeit
reden, und was meinen Sie, was sich die Menschen draußen im Lande erhoffen, wenn sie an Zukunftsfestigkeit
denken? Sicherlich nicht, dass sie ihren Lebensabend am
Ende eines möglicherweise harten, hoffentlich aber langen und nicht durch Arbeitslosigkeit unterbrochenen Erwerbslebens auf dem nicht armutsfesten Niveau der
Grundsicherung im Alter fristen müssen.
Stellen Sie sich die Situation eines jungen Menschen
vor, der heute 1 843 Euro brutto verdient und sein Arbeitsleben lang in dieser Gehaltsgruppe verbleibt, also
nur in den Genuss hoffentlich regelmäßiger Lohnsteigerungen kommt. Wo findet sich dieser Mensch im Alter
wieder? Selbst wenn ihm Arbeitslosigkeit ein Leben
lang erspart bliebe, müsste er 48 Beitragsjahre nachweisen können, um sich dann auf dem Niveau der Grundsicherung - das entspricht heute rund 670 Euro - wiederzufinden. Ist das für Sie zukunftssicher?
Sie wollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
absichern, indem Sie sie verriestern und verrürupen.
Aber was heißt das für diesen jungen Menschen? Er bekommt ein Nettogehalt in Höhe von 1 200 Euro. Davon
kann man längst nicht mehr all das bezahlen, was man
braucht, wenn man gerade dabei ist, sich eine Existenz
aufzubauen, eine Wohnung einzurichten, den eigenen
Lebensunterhalt zu finanzieren und ein Auto zu unterhalten. Aber Sie wollen, dass dieser junge Mensch von
seinem Geld noch rund 75 Euro pro Monat in die
Riester-Rente einzahlt. Selbst Ihre Minister wissen, dass
das nicht geht, und sind schnell mit schlauen Vorschlägen zur Stelle. Sie sagen, für die Altersvorsorge könne
man ja auf den Urlaub oder auf das Auto verzichten.
Sind das die Erfolge Ihrer Rentenpolitik?
Immerhin lobt Sie die OECD für Ihre Erfolge. Aber
was steht tatsächlich im Bericht der OECD? Dort steht
nichts anderes, als dass ein Arbeitnehmer, der im
Jahr 2004 im Alter von 20 Jahren zu arbeiten beginnt, bei
voller Erwerbstätigkeit bis zum gesetzlichen Rentenalter
und mit konstant 50 Prozent des Durchschnittseinkommens - das wären aktuell 1 229 Euro brutto - 39,9 Prozent seines Bruttoverdienstes als Rente bekommt. Damit
nimmt Deutschland unter allen OECD-Staaten den letzten Platz ein. Dafür lassen Sie sich loben?
({2})
Das ist leider kein bedauerlicher Ausreißer. Im Schnitt
befindet sich Deutschland auf dem sechstletzten Platz.
An der Spitze stehen neben Luxemburg solche Wirtschaftsgiganten wie Griechenland und die Türkei.
Gestern haben wir hier über den Altenbericht der
Bundesregierung diskutiert. Die große Koalition stellt in
einer von ihr eingebrachten und verabschiedeten Entschließung zum Altenbericht hinsichtlich der Auswirkungen ihrer eigenen Rentenpolitik auf das Einkommens- und Vermögensniveau der zukünftigen älteren
Generationen Erstaunliches fest:
Berechnungen prognostizieren selbst unter der Annahme ununterbrochener Erwerbsverläufe und
- jetzt müssen Sie aufpassen unter voller Ausnutzung der Fördermöglichkeiten
ein sinkendes Niveau des Nettoeinkommens im Alter, sodass aufgrund einer zunehmenden Einkommensungleichheit ein steigendes Armutsrisiko im
Alter befürchtet werden muss.
Da kann ich Ihnen uneingeschränkt recht geben. Auch
bei ununterbrochener Erwerbstätigkeit und bei voller
Ausnutzung aller Fördermöglichkeiten werden zukünftige Rentner damit rechnen müssen, in zunehmendem
Maße von Altersarmut betroffen zu sein. Das ist der Erfolg Ihrer Rentenpolitik.
Genauso, wie Sie im Hinblick auf die Rentenpolitik
Ihre ganz eigene Realität schaffen, versuchen Sie darüber
hinaus, den Menschen draußen im Lande ein verzerrtes
Bild von der Rentenpolitik der Linken wiederzugeben.
Sie behaupten, dass die Linke den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern mehr Geld für die Rente aus den Taschen ziehen will.
({3})
Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Spieth aus Ihrer Fraktion? Ich nehme an,
das ist hilfreich für Sie.
({0})
Ich lasse fast alle Zwischenfragen zu.
({0})
Es ist interessant, wie die Mitglieder der anderen
Fraktionen reagieren, wenn man einem Redner aus der
eigenen Fraktion eine Frage stellen will; Sie machen das
übrigens regelmäßig. Das ist aber nur eine Vorbemerkung.
Zu meiner Frage. Herr Kollege Schneider, können Sie
bestätigen, dass Bundestagsabgeordnete, die eine volle
Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundestages
waren und in ihrer zweiten Legislaturperiode nach zwei
Jahren ausscheiden, ab ihrem 65. Lebensjahr eine Rente
von knapp 1 700 Euro erhalten, und das, ohne jemals
Beiträge gezahlt zu haben?
({0})
Wenn die zweite Legislaturperiode aufgrund der vorzeitigen Auflösung des Bundestages verkürzt wäre, ja.
Ansonsten muss man für diesen Anspruch beide Legislaturperioden vollständig haben, lieber Kollege Spieth.
({0})
Zu der Frage, ob wir den Arbeitnehmern mehr oder
weniger Geld aus der Tasche ziehen. Nach unseren Vorschlägen wären zurzeit 22 Prozent in die Rentenversicherung einzuzahlen; das wären 11 Prozent für die Arbeitnehmer. Dank Ihrer Reformen gilt derzeit ein Satz
von 19,5 Prozent; der Arbeitnehmeranteil beträgt also
9,75 Prozent. Hinzu kommen selbst nach Abzug der
staatlichen Förderung - die immerhin ein Drittel der
Riester-Sparer gar nicht in Anspruch nehmen - noch einmal 3 Prozentpunkte. Das macht 12,75 Prozent - und
das bei einem niedrigeren Rentenniveau. Wollten Sie
dieses auch noch ausgleichen, brauchten Sie weitere
3 Prozentpunkte für die private Vorsorge. Das macht
15,75 Prozent. Was liegt nun höher: 15,75 Prozent oder
11 Prozent? Um das zu beurteilen, reicht wohl die berühmt-berüchtigte Volksschule Sauerland. Das sind die
Erfolge Ihrer Rentenpolitik.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Weiß, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben wieder einmal eine der üblichen Rentenbeschimpfungen und Lügenkampagnen der Linken mitbekommen,
({0})
aber keine einzige Antwort an die Rentnerinnen und
Rentner und an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland auf die Frage, wie man es denn besser machen wollte.
({1})
Es ist festzustellen, dass die seit Mitte des vergangenen Jahres positive wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland und die Politik der Großen Koalition dazu
führen, dass in Sachen Rente endlich nicht ständig neue
Hiobsbotschaften verkündet werden müssen, sondern
dass wir endlich einmal gute Nachrichten haben. Um es
noch einmal für alle klarzustellen: Die gesetzliche
Grundlage ist - das wird übrigens von den Linken nicht
infrage gestellt: Sie haben nicht beantragt, das zu ändern -, dass sich die Rentenerhöhung danach bemisst,
wie die Löhne im Vorjahr durchschnittlich gestiegen
sind, nach nichts anderem. Wir haben dieses Jahr eine
leichte Rentenerhöhung gehabt, und wir werden aller
Voraussicht nach auch nächstes Jahr eine haben, von einem 1 Prozent oder mehr. Das ist deutlich mehr als die
Nullrunden der vergangenen Jahre.
Zweitens. Unsere Rentenkasse ist nicht mehr klamm.
Sie kann jedes Jahr neue Rücklagen bilden, sodass wir in
den kommenden Jahren relativ rasch wieder auf eine
Rücklage von 1,5 Monatsausgaben kommen. Dann werden wir die Situation haben, dass wir den Rentenversicherungsbeitrag wieder senken können. Um die Entwicklung gerade des letzten Jahres noch einmal
zusammenzufassen: Unter der Großen Koalition ist die
Rente wieder sicherer geworden. Das ist eine gute Botschaft.
({2})
Mein Vorredner hat nicht davon geredet, dass die Linken zu dieser Debatte einen Antrag vorgelegt haben,
({3})
in dem vorgeschlagen wird, dass alle Rentenreformen
der vergangenen Jahre zu beseitigen sind. Dann würde
es den Menschen in Deutschland angeblich wieder besser gehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das
ist eine glatte Lüge. Links lügt die Menschen in diesem
Lande in einer schamlosen Weise an, was die Rente anbelangt.
({4})
Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen,
warum die Rentenreformen notwendig gewesen sind.
War das Jux und Tollerei, oder war das eine Notwendigkeit? Wir stehen in Deutschland vor zwei wichtigen demografischen Herausforderungen. Die eine ist: Die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge - diese Menschen
sind heute zwischen 35 und 55 Jahre alt; übrigens ist der
Jahrgang 1964 der geburtenstärkste im Nachkriegsdeutschland - werden in den kommenden Jahrzehnten
sukzessive in Rente gehen. Ihnen folgen Jahrgänge, die
ein Drittel weniger Männer und Frauen umfassen.
Das zweite Problem ist: Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt noch einmal deutlich an. Im
Jahr 2030 werden 50 Rentnerinnen und Rentner auf
100 Erwerbstätige kommen, während heute das Verhältnis 32 Rentnerinnen und Rentner zu 100 Erwerbstätigen
ist. Deswegen hat schon im Jahr 1987 die im Auftrag der
Bundesregierung verfasste Prognos-Studie festgestellt,
dass, wenn wir angesichts dieser demografischen Herausforderung - längere Lebenserwartung, die weiter ansteigt; mehr Ältere, die in Rente gehen; weniger Junge,
die nachkommen - nicht handeln, der Rentenversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2030 auf 36 oder sogar
Peter Weiß ({5})
41 Prozent ansteigen wird. Das ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine unvorstellbare Zahl. Deswegen ist gehandelt worden.
({6})
Von diesem Problem redet die Linke überhaupt nicht.
Sie versteckt sich vor den Tatsachen und erzählt den
Leuten schlichtweg etwas Falsches.
({7})
Worin besteht die Antwort im Zuge der Rentenreform
der vergangenen Jahre? Wir lassen den Rentenversicherungsbeitrag für die jüngeren Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nicht auf 41 Prozent hochschnellen - auch
die wollen von dem leben, was sie in ihrem Beruf verdienen -,
({8})
sondern wir belassen ihn auf maximal 20 oder
22 Prozent.
({9})
Dafür sinkt langsam das Rentenniveau.
Aber wir lassen die Rentnerinnen und Rentner der
Zukunft mit diesem Problem nicht alleine und haben uns
deswegen entschieden, das deutsche Alterssicherungssystem so umzubauen, dass es künftig nicht mehr nur auf
einer Säule, der gesetzlichen Rentenversicherung, beruht, sondern auf drei Säulen.
({10})
Ergänzend zur gesetzlichen Rente gibt es eine betriebliche Altersvorsorge und eine kapitalgedeckte Altersvorsorge. Diesen Systemwandel haben die Deutschen verstanden;
({11})
denn Sie handeln entsprechend.
Bereits heute haben 65 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zusätzlich einen
Betriebsrentenanspruch. Die Anzahl derer, die einen solchen Anspruch haben, ist in den letzten Jahren deutlich
angewachsen. Es gibt bereits heute 8,5 Millionen
Riester-Verträge in Deutschland. Allein vom letzten Jahr
auf dieses Jahr wurden über 2 Millionen Riester-Verträge zusätzlich abgeschlossen. Die Menschen haben
durchaus verstanden, dass es richtig ist, die Altersvorsorge der Zukunft nicht nur auf ein, sondern auf drei
Standbeine zu stellen.
Was machen wir in der Politik? Wir haben die Verpflichtung, die Menschen dabei zu unterstützen. Deswegen werden wir zum Beispiel noch in diesem Herbst im
Deutschen Bundestag beschließen, dass die steuer- und
sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung zugunsten der
Altersvorsorge über das Jahr 2008 hinaus verlängert
wird. Das ist ein klares und eindeutiges Angebot an Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das sie auch in Anspruch nehmen.
({12})
Wir zahlen bei der Förderung der Riester-Rente eine
relativ großzügige Zulage. Wir haben miteinander verabredet, dass ab dem nächsten Jahr diese Zulage auf
300 Euro pro Kind erhöht wird. Das ist bares Geld, das
der Staat den Bürgerinnen und Bürgern schenkt, die einen Riester-Vertrag abschließen, und zwar jedes Jahr
neu.
({13})
Der Altersvorsorgebericht der Bundesregierung stellt
zusammenfassend fest, dass das Gesamtversorgungsniveau der Rentnerinnen und Rentner der Zukunft mit
diesen drei Säulen nicht sinken und niemand in Altersarmut geraten wird; denn das Versorgungsniveau kann
auch in Zukunft stabil gehalten werden. Das ist die eigentlich gute Nachricht. Der Wechsel in der deutschen
Altersvorsorge von einer Säule auf drei Säulen funktioniert. Diejenigen, die noch nicht mitgemacht haben,
kann ich nur auffordern: Bitte gehen Sie diesen Weg mit.
Für die Jüngeren gilt: Nicht eine Säule, sondern drei
Säulen sind notwendig, um im Alter einigermaßen auskömmlich leben zu können. Dann ist Altersarmut auch
in Zukunft in Deutschland ein Fremdwort.
Nun gibt es von den Linken noch eine Idee, die sie
ganz großartig finden. Sie wollen die Probleme in der
Rentenversicherung dadurch beseitigen, dass alle einzahlen müssen. Das hört sich zunächst einmal ganz gut
an. Wenn aber alle einzahlen, bekommen auch alle etwas
heraus. Ausgerechnet Personengruppen mit einem Anspruch auf eine hohe Rente und einer relativ hohen Lebenserwartung, die über dem Durchschnitt liegt, sollen
in die Rentenkassen integriert werden. Das, was die Linken vorschlagen, ist für die Rentenversicherung kein
Plusgeschäft, sondern ein Minusgeschäft.
({14})
Deswegen hat der Deutsche Bundestag die EnqueteKommission Demographischer Wandel eingesetzt. Prominente Wissenschaftler haben untersucht, was passieren würde, wenn man alle in die Rentenversicherung
aufnehmen würde und es dadurch mehr Bezieher hoher
Renten geben würde. Im Schlussbericht aus dem Jahre
2002 wurde festgestellt:
Da sich bei einem versicherungsmäßig organisierten
Rentensystem jede Ausweitung des Versichertenkreises zeitversetzt in ausgeweiteten Ansprüchen
niederschlägt, ist - zumal Freiberufler, Selbständige
und Beamte eine höhere ferne Lebenserwartung als
der gegenwärtige Versichertenbestand haben dürften - eine Ausweitung des Versichertenkreises keine
Antwort auf das demographische Problem.
Peter Weiß ({15})
Offensichtlich können die Linken nicht lesen. Sie finden
auch keine Bundestagsdrucksachen zu diesem Thema.
Sonst müssten sie es wissen und würden hier keinen solchen Unsinn beantragen.
({16})
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Sitte von der Linksfraktion?
Ja.
Herr Kollege, zu meiner Lesekompetenz will ich
mich jetzt nicht äußern.
({0})
Wenn Sie sich mit unserem Konzept schon so auseinandersetzen, nehmen Sie doch bitte wenigstens zur
Kenntnis, dass wir gerade bei dem letzten Beispiel ausdrücklich von einer Degression sprechen und davon,
dass die Leistungen nach oben gedeckelt sind. Sie wissen natürlich ganz genau: Wenn es so wäre, wie Sie es
beschreiben, würde uns die Rente von Herrn Ackermann
tatsächlich nackt machen.
({1})
Frau Kollegin Sitte, ich empfehle Ihnen, einfach einmal die Rentengesetzgebung insgesamt durchzulesen.
({0})
- Ja, ich rede von Ihrem Vorschlag.
({1})
Selbstverständlich war es in der Rentenversicherung
schon immer so und ist es auch heute noch, dass nur bis
zur Beitragsbemessungsgrenze Rentenversicherungsbeiträge gezahlt werden. Die Rente bemisst sich natürlich
nach den Entgeltpunkten, die gesammelt wurden und
nicht nach dem Supergehalt, das über der Beitragsbemessungsgrenze liegt. Das war schon immer so.
Ich wiederhole: Ihr Vorschlag bedeutet, dass Personenkreise, die zurzeit durch ein eigenes Versicherungssystem abgesichert sind, dort relativ hohe Rentenansprüche erwerben, weil sie relativ gut verdienen, und die
nach den Untersuchungen der Enquete-Kommission Demographischer Wandel im Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung haben als andere und damit noch länger
Rente beziehen, in die Rentenversicherung aufgenommen werden. Dann müssen diese hohen Renten aber
auch relativ lange gezahlt werden. Auch Sie von der
Linksfraktion können Adam Riese nicht außer Kraft setzen.
({2})
Unter dem Strich ist das schlichtweg ein Minusgeschäft
für die deutsche Rentenversicherung. Das machen wir
nicht mit.
({3})
Ich will gern Folgendes zugeben: Bei den künftigen
Veränderungen, die wir im Rentensystem sicher noch erleben werden, werden wir noch einmal genau prüfen
müssen, ob die Rentenversicherung auch eine Antwort
darauf geben muss, dass sich die Lebenswirklichkeit der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland
verändert hat. Früher ist man Angestellter oder Arbeiter
geworden, und das blieb man dann auch bis zur Rente;
oder man ist Selbstständiger geworden, und das blieb
man ebenfalls bis ins Alter. Heute erleben wir es, dass
immer mehr Menschen zwischen den beiden Beschäftigungsformen selbstständig und nicht selbstständig
wechseln. Deshalb muss die Rentenversicherung für die
Zukunft ein Angebot machen, damit wir für diese Personenkreise eine durchgängige Alterssicherung aufbauen
und auf diese sich verändernde gesellschaftliche Wirklichkeit reagieren können. Dieses Reformvorhaben liegt
vor uns.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zusammenfassend will ich noch einmal feststellen, dass die Große
Koalition zu Recht stolz darauf sein kann, dass sie die
Rente in Deutschland wieder auf ein sicheres Fundament
gestellt hat.
Wir können stolz darauf sein, dass die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land verstanden haben, dass sie
eine zweite und dritte Säule der Alterssicherung brauchen. Wir werden sie durch unsere Gesetzgebungsmaßnahmen aktiv dabei unterstützen - auch mit nennenswerten finanziellen Förderbeträgen.
Wir sollten diesen Weg einer zukunftsfesten Alterssicherung in Deutschland weitergehen und uns nicht durch
Lügengeschichten und Märchenstunden von links verwirren lassen.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute
hier zu diskutierende Antrag der Linken entspricht dem
gängigen Muster nahezu aller Anträge dieser Fraktion:
Erst werden vorgeblich oder tatsächlich bestehende ProDr. Heinrich L. Kolb
bleme immer in dramatisierender Form, Herr Schneider,
angesprochen, und dann werden - Geld spielt keine
Rolle - allerlei Heilsversprechen zur Problemlösung angeboten.
Bei dem, was wir heute hier beraten, ist mein Eindruck, dass Wünsch dir was offensichtlich wieder der
Leitgedanke bei der Abfassung des Antrags gewesen ist.
Herr Weiß, das ist eben das Problem: Die Linken geben
Antworten, aber sie geben nur einfache Antworten und
gehen den Weg des geringsten Widerstandes.
({0})
Herr Schneider, was den Antrag besonders diskreditiert, ist, dass Sie - und das wider besseres Wissen; denn
eigentlich wissen Sie, wie die gesetzliche Rente funktioniert - in der gesetzlichen Rentenversicherung, die bisher nach dem Äquivalenzprinzip funktioniert, künftig
das Solidaritätsprinzip zur Maxime machen wollen. Das
heißt im Klartext,
({1})
dass nicht mehr die Beitragsleistung eines Versicherten,
sondern allein sein Bedarf leistungsbegründend sein soll.
Das halten wir für falsch, und das ist auch nicht mehr die
gesetzliche Rentenversicherung, die in den letzten fünf
Jahrzehnten erfolgreich war und die Sie doch angeblich
wieder stärken wollen.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schneider?
Selbstverständlich, ja.
Herr Kollege Kolb, in unserem Antrag steht, dass wir
solidarische Elemente in dieser Rentenversicherung wollen, aber es ist nicht das enthalten, was Sie jetzt beschrieben haben. Sehe ich das richtig? Oder können Sie
das, was Sie ausgeführt haben, vielleicht anhand einer
anderen Stelle belegen?
Eine Anmerkung dazu: Es ist doch auch Ihnen bekannt, dass solche solidarischen Elemente in der Rentenversicherung zumindest nicht ganz neu wären; denn das
System der Mindestentgeltpunkte hat auch früher schon
dazu gedient, die ganz niedrigen Renten anzuheben.
Ein Letztes. Spricht nach der grundgesetzlichen Auslegung des Äquivalenzprinzipis etwas dagegen, beispielsweise bei den hohen Einkommen die Kurve der
Rente abzuflachen, um das, was man dort einspart, im
unteren Bereich zu verteilen?
Herr Kollege Schneider, ich habe mir Ihren Antrag
vorsichtshalber mit an das Rednerpult genommen. Unter
Ziffer II.1 lese ich, dass der Deutsche Bundestag die
Bundesregierung auffordern soll, die gesetzliche Rentenversicherung zu einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung weiterzuentwickeln.
({0})
- Das steht dort schwarz auf weiß. - Dort heißt es weiter:
in der alle Erwerbseinkommen rentenversicherungspflichtig sind, und so insbesondere dem Wandel in der Arbeitswelt und dem wachsenden Schutzbedürfnis der Erwerbstätigen
Rechnung zu
tragen
Die Kernaussage ist also, dass die gesetzliche Rentenversicherung zu einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung weiterentwickelt werden soll.
Ich verstehe diesen Punkt so, wie ich es hier ausgeführt habe,
({1})
nämlich dass es nicht mehr darum geht, wer welchen
Beitrag gezahlt hat, sondern dass geschaut werden soll,
wer was braucht. Dann müssen alle mit ihren Beitragsgeldern solidarisch dazu beitragen, dass dieser Bedarf
gedeckt wird.
Wenn man das liest, dann kann man vielleicht auch zu
anderen Ergebnissen kommen. Ich ziehe diesen Schluss
aber für mich. Ich glaube, dass viele in diesem Hause,
die das auch gelesen haben oder die die Debatte jetzt
zum Anlass nehmen, das zu lesen, zu den gleichen Ergebnissen kommen werden.
({2})
Herr Kollege Schneider, da Sie von einem falschen
Grundprinzip ausgehen, kommen Sie natürlich auch zu
den falschen Ergebnissen; denn - das hat der Kollege
Weiß schon gesagt - eine Ausdehnung des Kreises der
Versicherten schafft nur kurzfristig finanziellen Spielraum. Schon mittelfristig - und langfristig sowieso - stehen den zusätzlichen Beiträgen auch zusätzliche Rentenzahlungen gegenüber.
Was meinen Sie eigentlich mit Ihrer Forderung in Ziffer II.5 Ihres Antrages - vielleicht können Sie auch dazu
eine Zwischenfrage stellen, Herr Schneider -, Maßnahmen zu ergreifen, um den solidarischen Ausgleich in der
Gesetzlichen Rentenversicherung zu stärken? Zwischen welchen Gruppen soll denn konkret ein solidarischer Ausgleich gestärkt werden? Aus unserer Sicht
muss es vor allem um einen gerechten Ausgleich zwischen den Generationen gehen.
({3})
Generationengerechtigkeit scheint aber für die Linken,
die populistisch immer die nächste Wahl im Blick haben,
kein Thema zu sein.
({4})
Sonst könnten Sie nicht ernsthaft die Streichung der
Dämpfungsfaktoren in der Rente - Nachhaltigkeits-,
Nachhol- und Riester-Faktor - fordern, durch die verhin12036
dert werden soll, dass die Beiträge für die kommenden
Generationen auf ein unerträgliches Maß ansteigen.
({5})
Ich finde es im Übrigen putzig, Herr Schneider, wenn
sich die Linken jetzt um die Zukunft der Selbstständigen
in diesem Lande sorgen,
({6})
die angeblich nicht mehr genug Geld verdienen, um für
ihr Alter vorzusorgen. Wenn das so wäre, Herr
Schneider, wäre es dann nicht sinnvoller und konsequenter, nach Mindestlöhnen nun auch Mindestgewinne zu
fordern?
({7})
Ich bin mir aber sicher, dass es der Linken gar nicht
um den Schutz der betroffenen Selbstständigen, sondern
um das ideologische Ziel der Gleichmacherei geht.
({8})
Die vielfältigen Formen der Altersvorsorge sollen reduziert und die Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten
eingeschränkt werden.
Wir wollen aber keine soziale Gerechtigkeit, die darin
besteht, dass es allen gleich schlecht geht. Wer mehr für
sein Einkommen im Alter tut - gerne auch im Wege einer kapitalgedeckten Vorsorge; deswegen sind wir mit
Ihnen einer Meinung, dass die Förderung bei der
Riester-Rente für alle geöffnet werden soll -, der soll
und muss letzten Endes auch mehr haben.
Man darf nicht übersehen, dass die Präferenzen der
einzelnen Menschen unterschiedlich sind. Manch einer
möchte während seiner Erwerbstätigkeit lieber sparen
und in ein kleines Häuschen investieren. Er benötigt
dann im Alter eine nicht so hohe Rente wie derjenige,
der im Alter weiterhin Miete zahlen muss. Klar muss aus
meiner Sicht allerdings sein: Wer in jungen Jahren sein
Einkommen in den Konsum fließen lässt, der darf nicht
im Alter der Gemeinschaft zur Last fallen.
({9})
Nach diesen Ausführungen wird es Sie nicht überraschen, dass wir Ihren Antrag ablehnen.
Ich will aber - da wir in einem Punkt zumindest teilweise übereinstimmen; auch die FDP lehnt die Anhebung der starren Regelaltersgrenze auf 67, die die Koalition beschlossen hat, ab ({10})
die verbleibende Redezeit dazu nutzen, das FDP-Konzept zur Bewältigung der Herausforderungen, die auf die
Rentenversicherung in Zukunft zukommen, zu skizzieren.
Ich glaube, dass unser Konzept modern und innovativ
ist und dass der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand neu geregelt werden muss.
({11})
Notwendig ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel.
Statt eines möglichst frühen Ausscheidens aus dem Arbeitsprozess muss eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben zum neuen gesellschaftlichen Leitbild werden. Ich will dieses Leitbild mit dem Konzept eines
flexiblen Übergangs in die Rente ab 60 bei gleichzeitigem Wegfall aller Zuverdienstgrenzen umschreiben. Das
schafft Anreize, möglichst lange zu arbeiten und bietet
zugleich den Menschen die Möglichkeit, individueller
als heute zu entscheiden, in welcher Lebensphase sie
welchen Lebensstandard haben wollen.
({12})
Ich denke auch, dass ein solches Konzept der Lebenswirklichkeit besser gerecht wird als die Anhebung des
starren Renteneintrittsalters auf 67. Heute erfolgen nur
noch 22 Prozent der Rentenzugänge aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Nur 28 Prozent der
über 60-Jährigen sind noch erwerbstätig. Insofern glaube
ich, dass man mit den folgenden vier Punkten den Menschen besser gerecht werden kann:
Erstens. Wie schon gesagt, sollte für alle Versicherten
ab 60 Jahren die Möglichkeit bestehen, sich zu entscheiden, ob sie eine Voll- oder Teilrente beziehen wollen.
Voraussetzung für den flexiblen Rentenzugang ist allein
die Grundsicherungsfreiheit, also dass die Summe der
gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersversorgungsansprüche ab dem Zeitpunkt des Rentenbezugs
über dem Niveau der Grundsicherung liegt. Die Prüfung
erfolgt für die Bedarfsgemeinschaft, sodass auch Frauen
der flexible Rentenzugang ermöglicht wird. Wir gehen
davon aus, dass 90 Prozent der Versicherten diese Möglichkeit nutzen könnten.
Zweitens. Die Grenzen für Zuverdienst neben dem
Rentenbezug werden aufgehoben. Die Versicherten entscheiden selbst, ob und in welchem Umfang sie neben
einem Rentenbezug noch erwerbstätig sein wollen. Damit wird es möglich, den Lebensstandard auch bei einem
vorzeitigen Rentenbezug zu halten. Für den Zuverdienst
sind Sozialversicherungsbeiträge mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung zu zahlen. Die durch die Rentenbeiträge neu erworbenen Entgeltpunkte können dann
von einem versicherten Arbeitnehmer zu einem von ihm
wählbaren Zeitpunkt zur Erhöhung der eigenen Rente
eingesetzt werden.
Drittens. Mit einem individuellen Zugangsfaktor wird
der Zeitpunkt des Rentenzugangs ab dem 60. Lebensjahr
berücksichtigt. Je länger der Versicherte arbeitet, desto
höher ist der Zugangsfaktor. Im aktuellen Rentenwert
wird zudem für jede Alterskohorte die zu erwartende
durchschnittliche Rentenbezugsdauer berücksichtigt.
Dadurch wird eine gerechte Verteilung der Lasten auf
die verschiedenen Jahrgänge erreicht.
({13})
Schließlich brauchen wir flankierende Reformen des
Arbeitsmarktes, damit die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer wieder begünstigt wird. Dass heutzutage über
50-Jährige schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, ist den geltenden Arbeitsmarktregelungen und -gesetzen geschuldet. Man kann diese Regelungen und Gesetze so anpassen, dass Ältere in den Unternehmen
bessere Chancen auf Wiedereinstellung haben.
({14})
Wir haben ein modernes Konzept in die Beratungen
über die Rente mit 67 eingebracht. Wir setzen damit auf
die freie Entscheidung jedes Einzelnen, statt über die
Köpfe der Menschen hinweg ein höheres Renteneintrittsalter anzuordnen. Mit unserem Konzept gibt es Anreize, länger zu arbeiten und später Rente zu beziehen.
Das wird die Beschäftigungsquote bei den Älteren steigern. Wir freuen uns, Herr Kollege Amann, dass die
SPD unseren Vorschlag aufgreift und über bessere Möglichkeiten der Flexibilisierung und der Inanspruchnahme
einer Teilrente nachdenkt. Es wäre schön, wenn sich
auch die Kollegen der Union auf diesen Weg begäben.
Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, liebe Kollegen von
der Linken, dann kann ich nur sagen: Bei Ihnen scheint
Hopfen und Malz verloren zu sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit
({15})
Ich erteile das Wort Kollegin Gabriele Hiller-Ohm,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, wir
mussten ziemlich lange auf Ihren Antrag warten. Gelohnt hat sich das Warten allerdings nicht. Sie wollen mit
einem Sechspunkteprogramm eine Revolution im Rentensystem auslösen. Was Sie vorlegen, ist jedoch nur
Stückwerk.
({0})
Richtig ist, dass die gesetzliche Rentenversicherung
weiterentwickelt werden muss. Auch die SPD spricht
sich für eine Erwerbstätigenversicherung aus, in die
möglichst alle Beschäftigten und Arbeitslosengeldbezieher einbezogen werden sollen. Wir wollen das System
auf eine breitere Basis stellen und möglichst alle Erwerbstätigen am Solidarsystem beteiligen. Uns ist aber
ganz wichtig, dass wir bei einer Umgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung mehr Gerechtigkeit im
System erreichen. Ihr Sechspunkteprogramm hilft uns
hier allerdings nicht weiter. Es enthält keinen einzigen
konkreten Vorschlag für einen solidarischen Ausgleich.
Vielleicht sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linksfraktion, Ihren Antrag einmal daraufhin
durchlesen.
Konkret hingegen fordern Sie die ersatzlose Streichung der gesetzlichen Begrenzung des Beitragssatzes.
Das scheint auf den ersten Blick eine griffige Gerechtigkeitsforderung zu sein. Wer viel Geld hat, soll entsprechend viel zahlen. Warum also nicht die Reichen prozentual genauso an den Einzahlungen beteiligen wie die
Ärmeren? Das hört sich gut an. Leider blenden Sie aber
bei Ihrer Forderung völlig aus, dass die gutbetuchten
Einzahler, die Sie zur Kasse bitten wollen, natürlich
auch komfortable Leistungsansprüche erwerben. Die
Höhe der Ansprüche richtet sich nämlich nach dem, was
eingezahlt wurde. Man nennt das Äquivalenzprinzip.
Eine solidarische Erwerbstätigenversicherung nach
unseren Vorstellungen muss garantieren, dass möglichst
alle abgesichert sind. Sie muss aber auch gewährleisten,
dass die erworbenen Ansprüche dann im Rentenalter
zwischen den Bevölkerungsschichten gerecht verteilt
werden. Hier liegt der Hase im Pfeffer; denn dies ist
schon heute nicht gewährleistet. Ursache ist die unterschiedliche Lebenserwartung von armen und reichen Bevölkerungsschichten bzw. Beitragszahlern. Gutverdiener
leben in unserer Gesellschaft statistisch gesehen etwa
fünf Jahre länger als Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten.
Es ist ganz klar: Wer länger lebt, der bezieht auch
länger Rente. Gutverdiener profitieren aufgrund ihrer
längeren Lebenserwartung also deutlich länger vom Solidarsystem als Versicherte aus ärmeren Bevölkerungsschichten. Dies ist die heutige Situation. Durch die Streichung der Beitragsbemessungsgrenze verschärfen Sie
diese ungerechte Verteilung noch, denn durch die Streichung kommen mehr Gutverdiener in das System, die
zulasten von Geringverdienern überproportional profitieren. Fazit: Ihre Forderung hätte eine Verschärfung des
Verteilungsproblems zulasten der kleinen Leute zur
Folge, zu deren Anwalt Sie sich hier in diesem Haus so
gern aufspielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen deshalb
die Ursachen dieses Verteilungsproblems bekämpfen;
aber auch dazu finde ich in Ihrem Antrag nichts. Warum
leben ärmere Menschen kürzer als reiche? Das hängt natürlich ganz wesentlich mit den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen zusammen. Menschen mit geringen
Einkommen sind im Arbeitsleben in der Regel körperlich stärker belastet. Sie werden eher krank und haben
deshalb eine kürzere Lebenserwartung. Das ist in unserer Wohlfahrtsgesellschaft ein Skandal. Wir dürfen es
nicht zulassen, dass Menschen durch ihre Arbeit im Alter von 50 oder 55 Jahren bereits verschlissen sind. Es
kann nicht die Lösung sein, diese Menschen dann, wenn
sie sich kaputt gearbeitet haben, in die Frühverrentung
zu schicken. Nein, wir brauchen veränderte Arbeitsbedingungen. Wir brauchen eine Humanisierung der
Arbeitswelt. In einem Hochtechnologieland wie
Deutschland muss es doch möglich sein, gute Arbeitsbedingungen zu gestalten.
({1})
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen eine
reelle Chance haben, bis zur Rente gesund zu arbeiten
und diese lange zu genießen.
({2})
Wir brauchen gute Arbeit.
({3})
Hierzu hat die SPD in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt. Ein Blick darauf würde Ihnen vielleicht weiterhelfen.
Natürlich wird es auch bei besten Arbeitsbedingungen immer Menschen geben, die aus körperlichen oder
aus seelischen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben
ausscheiden müssen. Für diese Menschen wollen wir die
Übergänge in die Rente erleichtern. Hierzu hat die SPDFraktion Lösungsvorschläge erarbeitet, die derzeit im
Ministerium beraten werden.
In Ihrem Antrag fordern Sie, dass der Lebensstandard
aller Rentnerinnen und Rentner durch die gesetzliche
Rentenversicherung abgesichert werden soll. Das ist
eine gute Forderung. Leider sagen Sie aber nicht, wie
sich die Umsetzung dieser Forderung auf die Beitragssätze auswirken würde. Meine Fraktion hat dies einmal
errechnet. Im Jahr 2030 müssten 28 Prozent des Lohns
allein in die gesetzliche Rentenversicherung fließen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das grenzt fast schon
an Lohnenteignung, denn die Menschen müssten diese
hohe Belastung tragen, auch wenn sie sich ihre finanzielle Absicherung im Alter anders vorstellen. Sie haben
darauf hingewiesen.
({5})
Diese Menschen wollen vielleicht lieber ihr Wohneigentum abbezahlen, damit sie im Alter mietfrei wohnen
können. Andere Menschen würden vielleicht lieber
anderweitig vorsorgen. Die hohen Rentenversicherungsbeiträge würden ihnen diese Entscheidungsfreiheit nehmen. Uns aber ist Entscheidungsfreiheit wichtig. Deshalb haben wir auch die von Ihnen so bekämpfte
staatlich geförderte zusätzliche Altersvorsorge im Rahmen der Riester-Rente und der betrieblichen Altersvorsorge gestärkt. Die gesetzliche Rentenversicherung ist
und bleibt für uns die wichtigste Säule der Altersabsicherung. Im Gegensatz zu Ihnen gehören für uns eine
weiterentwickelte gesetzliche Rente und eine eigenverantwortliche Vorsorge der Menschen zusammen. Um es
klar zu sagen: Unverantwortlich ist, dass Sie die private
Vorsorge und deren staatliche Förderung als riskanten
und teuren Irrweg bezeichnen. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Linksfraktion, damit verunsichern Sie
die Menschen.
({6})
Immerhin haben sich von 2001 bis heute über 9 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger auf diesen
Weg begeben.
({7})
Wollen Sie diesen Menschen unterstellen, sie wüssten
nicht, was sie tun?
({8})
Die Riester-Rente wird von Ihnen immer wieder so dargestellt, als wäre sie für Arbeitslose oder Menschen mit
niedrigem Einkommen nicht finanzierbar. Das ist nicht
nur falsch, sondern geradezu heuchlerisch.
({9})
Denn Ihre hier dargestellten Forderungen würden die
Menschen zwingen, deutlich mehr von ihrem Einkommen in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.
Ich fasse zusammen: Sie wollen mit einem 13 Zeilen
und sechs Punkte umfassenden Forderungskatalog die
gesetzliche Rentenversicherung revolutionieren. Ihre unausgereiften Forderungen greifen aber viel zu kurz und
helfen uns auf dem Weg zu einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung nicht weiter. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schneider, der Titel Ihres Antrages hat mich zunächst neugierig gemacht. Wer nur den Titel kennt,
könnte die Erwartung haben, dass uns ein Konzept vorgelegt wird, mit dem wir uns heute auseinandersetzen
können. Aber bei näherer Betrachtung ist das, was die
Linkspartei vorlegt, ein erneuter rentenpolitischer Rundumschlag nach dem Motto: Wenn wir nur alles zurücknehmen und allen alles versprechen, dann ist die Welt
schon wieder in Ordnung.
({0})
Ich könnte es mir einfach machen und meine Rede,
die ich Anfang Juli hier gehalten habe, einfach wiederholen. Denn bereits Anfang Juli lag uns ein ähnlicher
Antrag vor: Alle Reformen zurücknehmen, die goldenen
Zeiten unter Kohl und Blüm wiederbeleben - und die
Rente ist sicher.
({1})
Das ist das, was Die Linke uns heute erneut als ihr rentenpolitisches Konzept verkaufen will. Das ist einfach zu
mager, und ich frage mich, was Sie mit diesem erneuten
Aufguss Ihrer alten Anträge wirklich bewirken wollen.
Wollen Sie nur die SPD ärgern, oder warum stellen Sie
immer wieder die gleichen Anträge? Ein grüner Tee wird
bei erneutem Aufguss besser, von den Anträgen der Linken kann man das aber nicht behaupten.
({2})
Wir Bündnisgrünen stehen zu den Strukturreformen,
die die Nachhaltigkeit des Rentensystems wesentlich
verbessert haben. Wir stehen zur Abkehr von der Frühverrentungspolitik, die ältere Beschäftigte auf Kosten
der Allgemeinheit aus dem Arbeitsmarkt ausgrenzt. Wir
stehen zu den Verbesserungen für die Rentenanwartschaften von Frauen durch Anrechnung der Kindererziehungszeiten und der Angehörigenpflege in der Rente.
Wir stehen auch zu den ersten Schritten auf dem Weg zu
einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen. Ferner
stehen wir dazu, dass sich die gesetzliche Rente, die
private und die betriebliche Altersvorsorge sinnvoll ergänzen. Ziel grüner Rentenpolitik ist es, jede und jeden
individuell gegen Armut zu schützen. Auch künftige
Rentnerrinnen und Rentner müssen am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben können. Deshalb wollen wir
die Koppelung der Rente an die Entwicklung der Löhne
und Gehälter beibehalten.
Aber wir brauchen dringend Nachbesserungen an den
Schwachstellen der aktuellen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass Geringverdienende zukünftig nicht mehr vor Altersarmut
geschützt sind. Bei einer zunehmenden Zahl von Beschäftigten sind die Löhne so niedrig, dass sie trotz einer
Vollzeitstelle ergänzend Arbeitslosengeld II benötigen.
Nicht alle nehmen das in Anspruch, aber nach Schätzungen betrifft es mindestens 1 Million Menschen. Diese
Gruppe ist schon während der Erwerbsphase arm und
wird es im Alter ebenso sein. Darum brauchen wir auch
einen Mindestlohn. Es ist wichtig, dass schon während
der Erwerbszeit eine entsprechende finanzielle Ausstattung vorhanden ist.
({3})
Die OECD und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung haben kürzlich auf ein höheres Armutsrisiko von Geringverdienenden und Langzeitarbeitslosen
hingewiesen und ein Nachjustieren gefordert. Als ersten
wichtigen Schritt verlangen wir daher von der Bundesregierung und der Großen Koalition die Rücknahme der
halbierten Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose. Ein Rentenanspruch von 2,19 Euro pro Monat ist skandalös. Ich finde es beschämend, wenn trotz
der guten Konjunktur gerade an dieser Stelle gespart
wird.
({4})
Langzeitarbeitslose dürfen auch nicht zwangsweise
mit Abschlägen vorzeitig in Rente geschickt werden.
Sie, die Große Koalition, verhindern immer wieder, dass
die vorliegenden Anträge auf die Tagesordnung kommen; denn das Ganze ist Ihnen peinlich. Sie wissen, dass
Sie da etwas tun müssen. Aber wir werden Ihnen nicht
ersparen, darüber zu diskutieren. Wir werden Sie immer
wieder darauf hinweisen, dass Sie schlechte Vorschläge
gemacht haben.
Wir müssen in der Rentenpolitik aber auch neue
Wege gehen, um Versicherte individuell besser vor Armut im Alter zu schützen. Das Berufsleben von immer
weniger Bürgerinnen und Bürgern folgt heutzutage einer
vorgezeichneten Bahn. Die Tätigkeiten abhängig Beschäftigter und Selbstständiger gehen ineinander über.
Wir wissen, dass mehr als drei Viertel aller Selbstständigen in keinem Alterssicherungssystem obligatorisch versichert sind. Darum wollen wir Grüne eine obligatorische Absicherung in der Rentenversicherung für
diejenigen Selbstständigen, die über keine Alterssicherung verfügen. So gewinnt die gesetzliche Rentenversicherung vermehrt die Funktion einer Erwerbstätigenversicherung.
Aber anders als Sie, Herr Schneider und die Linke,
wollen wir die Versorgungswerke von Selbstständigen
und die landwirtschaftlichen Alterssicherungssysteme
als rechtlich selbstständige Systeme erhalten. Der verfassungsrechtlich verbürgte Eigentumsschutz gilt nämlich auch für berufsständische Versorgungswerke.
({5})
Planwirtschaft ist hier nicht angesagt. Es könnte allenfalls sinnvoll sein, die Versorgungswerke mittelfristig
unter das Dach der Rentenversicherung zu bringen, um
Verwaltungskosten einzusparen.
Gegen eine universelle Rentenversicherungspflicht,
wie Sie von den Linken sie wollen, sprechen aber auch
finanzielle und demografische Argumente. Es ist vorhin
schon gesagt worden: Wir wissen, dass die Lebenserwartung in dieser Gesellschaft nicht gleich ist: Beamte und
Selbstständige haben im Allgemeinen eine höhere Lebenserwartung als abhängig Beschäftigte.
Da ist es eigentlich sehr kurzfristig gedacht, die Kassen jetzt erst einmal prall füllen zu wollen und nicht zu
berücksichtigen, dass später eine vielfach höhere Rentenleistung ausgezahlt werden muss. Herr Schneider,
wollen Sie den Rentenversicherten auch die ungedeckten
Lasten und die hohen Kosten der Beamtenversorgung
aufbürden? Wollen Sie den gesetzlich Versicherten die
Lasten der fehlenden Alterssicherung von Selbstständigen aufhalsen?
({6})
Sie versprechen doch allen eine Alterssicherung, die den
Lebensstandard sichern soll.
Die Fraktion Die Linke hat mit ihrem Antrag viele
Fragen aufgeworfen, aber auf die heiklen Fragen keine
überzeugenden Antworten gegeben. Deshalb finde ich,
dass Ihr Anliegen hier billiger Populismus ist. Sie wollen
es allen recht machen, drücken sich aber davor, die Konsequenzen beim Namen zu nennen.
Noch eines ist mir aufgefallen: Weder in Ihrer Analyse noch in Ihren vermeintlichen Lösungen kommen die
dauerhaft niedrigen Rentenanwartschaften von Frauen
vor. Diese Anwartschaften ignorieren Sie einfach. Da
liegt der Verdacht nahe, dass Sie die Frauen nur als Zuverdienerinnen sehen, deren eigentliche Bestimmung in
der häuslichen Sorge liegt, so wie es auch Ihr Vorsitzender Lafontaine propagiert. Das werden sich die Frauen
nicht bieten lassen.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Max Straubinger, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute wiederum einen Antrag der Fraktion der Linken zur Rentenpolitik. Man bemüht sich, dafür zu sorgen, dass wir uns in einem ständigen Austausch befinden. Wie meine Vorrednerinnen und
Vorredner bereits kundgetan haben, steht in diesem Antrag nichts Neues. Bei den Linken ist letztendlich bemerkenswert, dass sie, wenn sie die Begründungen ihrer Anträge niederschreiben, die Wirklichkeit nicht mehr
wahrnehmen wollen.
Ich habe diesen Antrag da; er befindet sich auf
Drucksache 16/6440 vom 19. September 2007. Wenn
man sich die Einleitung dieses Antrags durchgelesen hat,
versteht man, warum die im Antrag gezogenen Schlussfolgerungen falsch sein müssen. Ich möchte den zweiten
Satz dieser Einleitung zitieren:
Hohe Erwerbslosigkeit, die Ausweitung prekärer
Beschäftigung und der damit einhergehende Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, die Ausweitung prekärer Selbstständigkeit und sinkende Löhne und Gehälter,
reißen Löcher in die Alterssicherung der Menschen
und senken erheblich die Einnahmebasis der gesetzlichen Rentenversicherung.
({0})
- Was Sie schreiben, ist völlig falsch. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisse steigt.
({1})
Wir haben mittlerweile den höchsten Stand der Erwerbstätigkeit in Deutschland seit der Wiedervereinigung erreicht. Das ist letztendlich der Erfolg der Bundesregierung und darüber hinaus natürlich auch der Erfolg der
vielen wieder in Arbeit stehenden Menschen,
({2})
die damit ihren Beitrag dazu leisten, dass unser bewährtes Rentenversicherungssystem auch in Zukunft die nötige finanzielle Grundlage hat.
({3})
Es ist schon bemerkenswert, dass sich die Linke letztendlich nur noch in Zerrbildern über unser soziales Sicherungssystem auslässt und nicht mehr wahrnehmen
möchte, dass wir verschiedene Säulen der sozialen Sicherung für die Menschen in unserem Land haben.
Es wurde von der Kollegin Schewe-Gerigk bereits
darauf hingewiesen: Wir haben nicht nur die gesetzliche
Rentenversicherung. Wir haben berufsständische Versorgungswerke. Wir haben die Landwirtschaftliche Alterskasse. Wir haben zudem natürlich eine solide Beamtenversorgung. Wir haben darüber hinaus eine breite
betriebliche Altersvorsorge für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland - mit zunehmender
Tendenz der Inanspruchnahme. Wir haben die zusätzliche Möglichkeit, privat Riester-Verträge abzuschließen,
für die es staatliche Förderung gibt.
Daneben haben wir noch die Lebensversicherungsverträge. 80 Millionen Lebensversicherungsverträge
sind ein Beweis für den Sparwillen der Bevölkerung und
dafür, dass sie weiß, dass die gesetzliche Rentenversicherung zwar die Grundsicherung für die Menschen in
Deutschland bedeutet, aber dass sie zusätzlich Eigenvorsorge betreiben müssen, um für das Alter vorzusorgen.
Dies ist immer auch staatlich unterstützt worden. Ich
glaube, gerade mit diesem bewährten System - gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche Altersvorsorge und
private Vorsorge - sind wir in der Vergangenheit gut gefahren. Wir werden damit auch in der Zukunft die Alterssicherung für die Menschen gewährleisten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Spieth?
Ja.
Herr Kollege Straubinger, sind Sie bereit, mir zu bestätigen, dass der Deutsche Bundestag am 9. November
1989 eine große Rentenreform beschlossen hat, in der
festgelegt wurde, einen Beitragssatz von bis zu
28 Prozent zu akzeptieren, paritätisch finanziert, also
von Arbeitgebern und Versicherten finanziert, um eine
lebensstandardsichernde Rente zu gewährleisten?
({0})
Sind Sie bereit, zuzugeben, dass das von Ihnen präferierte neue Modell der Rentenabsicherung - neben der
gesetzlichen Mindestabsicherung, die nicht mehr den
Lebensstandard sichert, werden zusätzliche private Systeme aufgebaut, die, wenn auch mit staatlichen ZuschüsFrank Spieth
sen, von den Versicherten allein bezahlt werden - dazu
führt, dass der Versicherte am Ende der Entwicklung
17 Prozent zahlen muss, um seinen Lebensstandard zu
sichern, während der Arbeitgeber nur noch mit
11 Prozent beteiligt ist, oder ist das falsch?
({1})
Das muss ich zurückweisen, Herr Kollege Spieth. Es
ist Folgendes: Wir haben in staatlicher Verantwortung
Zukunftsperspektiven zur Sicherung und nachhaltigen
Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung eröffnet, und zwar in erträglichem Rahmen, was die Belastung der Generationen angeht.
({0})
- Letztendlich muss alles erwirtschaftet werden, Herr
Kollege.
({1})
Wenn wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben,
dann sind wir auch in der Lage, die private Vorsorge mit
staatlichen Zuschüssen zu unterstützen. Wohlgemerkt:
Das gilt für alle Bevölkerungsgruppen in unserem Land.
Sie haben sich in Ihrem Antrag auch auf Hartz IV bezogen. Gerade Hartz-IV-Empfänger haben damit die Möglichkeit, neu in das Rentenversicherungssystem aufgenommen zu werden und damit eine zusätzliche soziale
Absicherung über die Rentenversicherung zu erlangen.
({2})
Das gilt nicht nur im Alter. Zu erwähnen sind auch die
zusätzlichen Leistungen wie Rehamaßnahmen und Sonstiges, die die Rentenversicherung gewährt. Das ist die
Errungenschaft, die wir gemeinsam erreicht haben.
({3})
Das zeigt sehr deutlich: Die Linken in unserem Hause
wollen das bewährte Rentenversicherungssystem letztendlich abschaffen.
({4})
Unter Erwerbstätigenversicherung verstehen Sie, dass
alle gezwungen werden, in ein staatliches System einzuzahlen; möglicherweise müssen dann alle privaten Formen aufgelöst werden. Sie halten auch nichts von grundrechtlich verbürgten Ansprüchen und Ähnlichem, gerade
aus berufsständischen Versorgungswerken. Ich bin überzeugt, dass Sie bereit sind, auch die Rücklagen zu verwenden.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage,
und zwar der Kollegin Reinke von der Fraktion Die
Linke?
Nein; wir müssen ja irgendwann auch einmal weiterkommen.
({0})
Ich bin überzeugt, dass Sie erneut einen solchen Antrag, den immerwährenden Antrag, stellen werden, weil
Sie nicht bereit sind, wahrzunehmen, dass gerade wir in
Deutschland für die Rentnerinnen und Rentner eine gute
Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten
und der verschiedensten Systeme geschaffen haben. Es
wäre gut, wenn Sie mehr Realismus einkehren lassen
und das entsprechend aufnehmen würden.
Wir können feststellen: Wir haben in Deutschland
keine Altersarmut.
({1})
Das ist eine große Errungenschaft unseres Sozialstaates.
({2})
Darüber hinaus wird von der OECD bescheinigt, dass in
Deutschland 11,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
für die Altersversorgung aufgewendet werden. Der
Durchschnitt in den von der OECD verglichenen Ländern liegt bei 7,7 Prozent. Das zeigt sehr deutlich, dass
wir in Deutschland besonders viel für die Altersversorgung der Menschen tun und die entsprechende Unterstützung geben. Das wird mit fast 80 Milliarden Euro
Bundeszuschuss für die gesetzlichen Rentenversicherungssysteme auch im Bundeshaushalt dokumentiert.
({3})
Unser Rentenversicherungssystem ist eine große und
gute Errungenschaft.
Werte Damen und Herren, das Entscheidende ist aber,
unabhängig von dem Streit über Systeme: Wer eine gute
Altersversorgung für die Menschen in Deutschland haben möchte, der braucht entsprechendes wirtschaftliches
Wachstum. Mit wirtschaftlichem Wachstum schaffen wir
auch eine bessere Grundlage für eine langfristige Unterstützung der Rentenversicherung, auch unter finanziellen Gesichtspunkten, sowie dafür, dass die Rücklagen
sich erhöhen und dass möglicherweise bis 2011 die volle
Rücklage, die unter den gesetzlichen Vorgaben notwendig ist, geschaffen worden ist. Das ist ein Erfolg dieser
Bundesregierung, den man nicht kleinreden, sondern im
Gegenteil anerkennen sollte. Ich bin überzeugt, dass die
Menschen in Deutschland das erkennen.
Ich möchte aber noch eines ausführen, weil die Linken in unserem Hause mit der privaten Altersvorsorge
offensichtlich überhaupt nichts anzufangen wissen. Gerade durch die Riester-Verträge können sich auch Geringstverdiener, ALG-II-Bezieher, eine privat gestützte
Altersvorsorge leisten. Mit 5 Euro Monatsaufwand, also
60 Euro Jahresaufwand, kann man die höchste staatliche
Förderung bekommen.
({4})
Das zeigt sehr deutlich, dass wir ein gutes System geschaffen haben, durch das jeder in die Lage versetzt worden ist, für sein Alter vorzusorgen.
({5})
Der Antrag der Linken begründet sich auch dadurch,
dass man unsere Beschlüsse zur Rente mit 67 infrage
stellen möchte.
({6})
Aber die Linken bleiben die Antwort schuldig. Wie wollen Sie die aus der steigenden Lebenserwartung, die zu
begrüßen ist, erwachsenden Lasten, nämlich die längere
Rentenbezugsdauer, schultern? Natürlich mit höheren
Beiträgen. Sie stellen ja den Antrag, dass die Begrenzung des gesetzlichen Beitrags ersatzlos gestrichen wird.
Ich ersehe daraus, dass dann die Beiträge weiter steigen
sollen.
Es ist immer wieder die Politik der Linken, die Menschen besonders stark zu belasten, aber an Nachhaltigkeit und die zukünftigen Generationen nicht zu denken.
({7})
Das ist letztendlich die Politik der Linken hier in diesem
Hause, und es zeigt sehr deutlich: Die Linken haben kein
Konzept, um die zukünftigen Herausforderungen an unsere Alterssicherungssysteme zu bewältigen. In diesem
Sinne werden wir den Antrag ablehnen.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Kollegin Reinke, Fraktion Die Linke.
Kollege Straubinger, für Sie als Versicherungsfachmann nur zur Information - Sie haben ja keine Frage zugelassen -: Bei einem Regelsatz von 347 Euro für einen
Alleinstehenden sind 5 Euro eine Menge Geld. Glauben
Sie mir, die sind nicht übrig. Selbst wenn man die Möglichkeit nutzen wollte, ginge es davon nicht. Auch die
Leute, die im Niedriglohnsektor arbeiten, haben diese
Möglichkeit nicht. Also erzählen Sie hier nicht, dass jeder Bürger privat vorsorgen könne! Sie können es nicht,
selbst wenn sie wollten.
Danke schön.
({0})
Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwiderung. - Sie
verzichten.
Dann hat der Kollege Gregor Amann für die SPDFraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie viele Anträge enthält auch dieser einige
gute und einige schlechte Passagen; ich will mit dem
Guten anfangen. Für gut halte ich die Überschrift Die
gesetzliche Rentenversicherung zur solidarischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen. Dieser Forderung
können wir Sozialdemokraten sofort zustimmen. Das ist
ein Beschluss unseres Bochumer Bundesparteitages aus
dem Jahr 2003, und in dem Grundsatzprogramm, das wir
im Herbst in Hamburg verabschieden werden, wird dies
wahrscheinlich auch enthalten sein. Wenn die Linken
gute Ideen der Sozialdemokraten abschreiben, haben wir
nichts dagegen.
({0})
Jetzt komme ich zu dem Schlechten. Für schlecht
halte ich an dem Antrag, ehrlich gesagt, den gesamten
Text nach der Überschrift.
({1})
Hätten Sie es bei der Überschrift belassen, dann hätten
Sie die Zustimmung der SPD.
({2})
Dem vorliegenden Antragstext können wir jedoch nicht
zustimmen, denn er hat mit der Überschrift nichts zu tun.
({3})
Es geht Ihnen nicht um eine Erwerbstätigenversicherung, sondern um das Aufwärmen von alten Ladenhütern, die Rücknahme der Rente mit 67, die Abschaffung
des Nachhaltigkeitsfaktors und Ihre daraus logisch folgende, aber ökonomisch irrsinnige Forderung nach einer
Anhebung der Beitragssätze in der Rentenversicherung.
({4})
Sie diskutieren wieder einmal rückwärts gewandt
Themen, zu denen bereits Beschlüsse gefasst sind, anstatt in die Zukunft zu denken, anstatt Vorschläge zu machen, wie eine Erwerbstätigenversicherung tatsächlich
aussehen könnte. Dazu steht in Ihrem Antrag kein Wort.
Für Sie ist das Konzept der Erwerbstätigenversicherung
nur ein Vehikel, um durch die Einbeziehung von mehr
Beitragszahlern die Finanzprobleme der Rentenversicherung vermeintlich lösen zu können. Aber genau dafür
taugt das Konzept der Erwerbstätigenversicherung nicht.
Einfach nur mehr Beitragszahler einzahlen zu lassen
- darauf bezog sich der Disput vorhin zwischen Herrn
Weiß und Frau Sitte -, führt zwar kurzfristig zu mehr
Beitragseinnahmen; aber langfristig werden sich die
Ausgaben dann ebenfalls erhöhen, da jede zusätzliche
Beitragszahlung natürlich auch entsprechende Rentenansprüche nach sich zieht. Die Einbeziehung neuer
Gruppen von Beitragszahlern wäre nur dann ein Beitrag
zur Lösung der langfristigen Finanzprobleme in der Rentenversicherung, wenn Sie die Beitragsbemessungsgrenze aufhöben und den späteren Rentenanspruch deckelten, so wie Sie es vorhin gesagt hatten. Aber Sie
wissen genau oder sollten es genau wissen, dass das
Bundesverfassungsgericht dies nicht zulässt.
({5})
Nein, die Idee der Erwerbstätigenversicherung ist viel
komplexer und für uns aus ganz anderen Gründen wichtig. Wir wissen, dass eine wachsende Anzahl von Selbstständigen nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
versichert ist, dass aber ihre Einkünfte so gering sind,
dass sie überhaupt keine Altersvorsorge betreiben. Wenn
wir die Rentenversicherung im Sinne einer Erwerbstätigenversicherung für diese Menschen öffnen würden,
wäre dies ein Beitrag, um diese Menschen vor Altersarmut zu schützen. Deshalb sprechen wir uns für einen
Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung in eine Erwerbstätigenversicherung aus. Dr. Herbert Rische, Präsident der Deutschen Rentenversicherung, schätzt den
Kreis der Betroffenen auf etwa 2 bis 3 Millionen zusätzlich Versicherte.
Ein weiterer Aspekt bei der Erwerbstätigenversicherung ist die Tatsache, dass Arbeitslosigkeit heute und zukünftig noch zunehmend nur einer von mehreren möglichen Gründen für Lücken und Brüche in der Erwerbsund Rentenbiografie ist. Zeiten der Kindererziehung
oder der Pflege von Angehörigen sind weitere Gründe
für eine Unterbrechung des Erwerbslebens. In unserer
Wissensgesellschaft gewinnen berufliche Auszeiten für
die berufliche Weiterbildung einen immer größeren Stellenwert. Wenn wir verhindern wollen, dass Menschen
aufgrund solcher Lücken bzw. aufgrund solcher gesellschaftlich erwünschten Brüche in der Biografie dafür im
Alter nicht mit Altersarmut bezahlen, müssen wir selbstverständlich darüber nachdenken, wie wir unser heutiges
Rentenversicherungssystem weiterentwickeln.
({6})
Wir Sozialdemokraten tun das. In Ihrem Antrag steht
dazu hingegen kein Wort. Das nennt man Etikettenschwindel. Sie haben Ihren Antrag zwar mit dem Wort
Erwerbstätigenversicherung aufgemotzt, setzen sich
aber intellektuell überhaupt nicht mit diesem Konzept
auseinander; denn in Wirklichkeit geht es Ihnen doch gar
nicht darum. Sie haben einfach nur einen Weg gesucht,
um Ihre bereits gescheiterten politischen Parolen neu
verbreiten zu können.
Im Übrigen ist Ihr Antrag voller Fehler. In der Begründung schreiben Sie, die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nähmen seit Jahren ab.
Herr Straubinger hat darauf hingewiesen: Die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist allein im
vergangenen Jahr um etwa 600 000 gestiegen. Das ist
ein Erfolg dieser Regierung und der rot-grünen Vorgängerregierung, die die Grundlagen dafür geschaffen hat.
({7})
In Ihrem Antrag wird auch die Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge beim Bezug von ALG II kritisiert. Aber Sie verschweigen dabei, dass aufgrund der
Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe für die früheren Sozialhilfebezieher überhaupt erst
Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt werden. Dadurch erwerben diese überhaupt erst einen Rentenanspruch, und vor allem haben sie dadurch Zugang zu den
Reha-Leistungen der Rentenversicherung.
({8})
Wenn in dem Antrag steht, die Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge von ALG-II-Beziehern führe
zur Altersarmut, so ist das falsch. Wenn Langzeitarbeitslosen Altersarmut droht, dann ist die Ursache dafür nicht
die Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge,
({9})
sondern die Langzeitarbeitslosigkeit an sich.
({10})
Wenn Sie Menschen vor Altersarmut schützen wollen, müssen Sie sich in erster Linie darum kümmern,
dass sie gar nicht erst arbeitslos werden und, wenn sie
denn arbeitslos werden, dass sie wieder in Arbeit kommen. Genau das tut die Bundesregierung.
({11})
Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit mehr als
sechs Jahren nicht mehr. Im vergangenen Jahr gab es
knapp 700 000 Arbeitslose weniger.
Kollege Amann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Amann, Sie unterstellen uns unwahre
Behauptungen. Daher stelle ich an dieser Stelle eine
Nachfrage zu einem Entschließungsantrag, den die
Große Koalition gestellt hat und aus dem ich eben schon
zitiert habe. Wie vereinbart sich das, was Sie gerade gesagt haben, mit Ihren folgenden Aussagen:
Berechnungen prognostizieren selbst unter Annahme ununterbrochener Erwerbsmöglichkeiten
- wir reden also nicht von Phasen der Arbeitslosigkeit und unter voller Ausnutzung der Fördermöglichkeiten
- wenn also tatsächlich jemand die Fördermöglichkeiten
bei Riester bis zum Gehtnichtmehr ausschöpft ein sinkendes Niveau des Nettoeinkommens im Alter, sodass aufgrund einer zunehmenden Einkom12044
Volker Schneider ({0})
mensungleichheit ein steigendes Armutsrisiko befürchtet werden muss.
Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie genauso die Unwahrheit verbreiten wie wir, oder was unterstellen Sie
uns an dieser Stelle?
({1})
Die OECD-Studie, die Sie wiederholt zitieren, besagt
das genaue Gegenteil. Dort heißt es: Durch die Reform
der Rentenversicherung in Deutschland und durch die
zusätzliche private und betriebliche Altersversorgung
können wir die Menschen vor Altersarmut schützen. Das
halte ich für die richtige Antwort.
({0})
Ich will Ihnen an dieser Stelle nicht noch einmal erklären, warum die langfristige Anhebung des Rentenalters auf 67 sinnvoll und notwendig war. Darüber haben
wir schon wiederholt diskutiert. Aber ich will alle, die
dieser Debatte zuhören, eindringlich vor der Alternative
warnen, die Sie in Ihrem Antrag propagieren, nämlich
das unkontrollierte Ansteigen des Beitragssatzes zur
Rentenversicherung. Das ist zum einen aus Gründen der
Generationengerechtigkeit abzulehnen; denn Sie lasten
damit den Beitragszahlern im erwerbsfähigen Alter eine
Bürde auf, die sie zu Sklaven der Rentnergeneration
macht. Zum anderen ist dies ökonomischer Unsinn; denn
ein zu erwartender Anstieg des Rentenversicherungsbeitrags auf 28 Prozent würde mindestens 600 000 Arbeitsplätze in diesem Land vernichten.
({1})
Oskar Lafontaine hatte vollkommen recht, als er in
der Münchener Abendzeitung sagte - ich zitiere -:
Um bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue
zu schaffen, müssen auch die Kosten für den Faktor
Arbeit sinken. Die gesetzlichen Lohnnebenkosten
müssen gesenkt werden.
Ich gebe zu: Das Zitat ist von 1993. Ihr Fraktionsvorsitzender wechselt nun einmal die politischen Ansichten
wie ein Chamäleon seine Farbe, immer passend zur jeweiligen Umgebung.
({2})
Ich darf zusammenfassen: Wir Sozialdemokraten sind
für einen Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung in
eine echte Erwerbstätigenversicherung. Der vorliegende
Antrag handelt trotz seiner Überschrift genau davon
nicht. Er ist rückwärtsgewandt, voller Fehler und Unwahrheiten. Deswegen können und wollen wir ihm nicht
zustimmen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/6440 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an
den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Christel RiemannHanewinckel, Dr. Sascha Raabe, Gabriele
Groneberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/AIDS,
Tuberkulose und Malaria stärken
- Drucksache 16/6398 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Kortmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria gehören
unzweifelhaft zu den schrecklichsten Infektionskrankheiten der Gegenwart. Alle zehn Sekunden stirbt ein
Mensch an den Folgen von HIV/Aids. Pro Tag sterben
circa 4 400 Menschen an Tuberkulose, und mehr als
1 Million Menschen sterben jedes Jahr an Malaria. Zusammengenommen verursachen diese drei Krankheiten
den Tod von mehr als 6 Millionen Menschen jedes Jahr.
Manchmal brauchen wir Bilder, um diese Zahl überhaupt zu begreifen: Dies würde bedeuten, dass jedes Jahr
alle Einwohner Dänemarks an solchen Pandemien sterben würden.
Diese Krankheiten verstärken Armut und soziale
Ausgrenzung, Diskriminierung und Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen. Sie erschüttern die Sicherheit ganzer Gesellschaften, Gemeinschaften und Wirtschaftssysteme. Sie beeinträchtigen die regionale
Stabilität und sind das größte Hindernis für Entwicklung
und Forschung.
({0})
In diesem Sinne
- so der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan Parl. Staatssekretärin Karin Kortmann
nimmt Aids nicht nur die Gegenwart. Es nimmt die
Zukunft.
Ganze Generationen in Afrika werden das 40. Lebensjahr nicht erreichen, wenn wir - die Industrie- und die
Entwicklungsländer gemeinsam - nicht mehr in Maßnahmen gegen diese Pandemien investieren. Damit
meine ich Aufklärung, Prävention und bezahlbare Medikamente. Es muss mehr in die Forschung investiert werden, um eine effektive Behandlung von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen. Vor allem sind wir uns darin
einig, dass wir mehr tun müssen, um den Aufbau einer
flächendeckenden Gesundheitsversorgung garantieren
zu können.
({1})
Denn eines ist sicher: So unterschiedlich auch die einzelnen Pandemien sind, sie alle sind behandelbar. Die
Bedrohung der Sicherheit und der Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung ist das eine, der Antrag mit
dem Titel Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/AIDS,
Tuberkulose und Malaria stärken, den uns die Regierungsfraktionen heute vorgelegt haben, ist das andere.
SPD und Union fordern ein eindeutiges, klares und stärkeres Engagement der deutschen Seite.
Wir haben die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria
und Tuberkulose sowie die Stärkung von Gesundheitssystemen zum Kernthema unserer EU- und G-8-Präsidentschaft gemacht. Mit Recht wird in den verabschiedeten Ratsschlussfolgerungen betont, wie wichtig es ist,
nicht nur punktuell zu agieren und keine Parallelstrukturen zu schaffen, sondern Hilfsmöglichkeiten zu bündeln,
dabei von manchen bilateralen Gepflogenheiten Abstand
zu nehmen und stärker in multilaterale Systeme zu investieren.
Genauso wichtig ist es aber, speziell für Frauen Hilfen anzubieten. Frauen stark machen, heißt, die Aidspandemie zu schwächen. Deshalb arbeiten wir eng mit
dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria
und Tuberkulose zusammen, der gemeinsam mit den
Nichtregierungsorganisationen in den beteiligten Ländern eine durchgehende Gender-Orientierung der Maßnahmen des Fonds beschlossen hat. Daran arbeiten wir
tatkräftig mit.
Auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm wurde beschlossen, weltweit einen umfassenden Zugang zu Prävention, Behandlung und Pflege bezüglich HIV/Aids
anzustreben. In der Entwicklungszusammenarbeit bezeichnen wir das als universal access. Die G-8-Staaten
stehen zu diesen Verpflichtungen und sind bereit, über
ihre Bemühungen Rechenschaft abzulegen. Beschlüsse
sind das eine, die Umsetzung ist das andere. Unter der
deutschen G-8-Präsidentschaft wurde erstmals ein Bericht über die Bemühungen der G-8-Staaten erstellt. Der
Bericht wird nächste Woche bei der Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Fonds in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.
Am 5. September wurde in London die globale Initiative International Health Partnership gestartet, die eine
verbesserte Geberkoordinierung im Gesundheitssektor
in Entwicklungsländern zum Ziel hat. Bundeskanzlerin
Angela Merkel hat darüber mit Premier Gordon Brown
gesprochen und diese sinnvolle Maßnahme im Kontext
der verabredeten G-8-Initiative auf die Agenda gesetzt,
die es zu konkretisieren gilt.
Außerdem setzt sich die Bundesregierung nachdrücklich für eine angemessene Wiederauffüllung des Globalen Fonds ein. Im Antrag von SPD und Union ist ebenfalls von einem angemessenen Beitrag die Rede. Ich
glaube, angesichts des Haushaltsvolumens, das uns im
kommenden Jahr zur Verfügung steht, haben wir allen
Grund, die Wiederauffüllung mitzugestalten.
({2})
Die Bundesregierung hat ihre Mittel für Maßnahmen
im Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria
bereits deutlich erhöht: von rund 20 Millionen Euro im
Jahr 1998 auf jährlich 300 Millionen Euro seit 2003.
Dieser lebensrettende Beitrag ist im Rahmen der Haushaltsberatungen im Jahr 2007 auf 400 Millionen Euro erhöht worden und soll ab 2008 insgesamt 500 Millionen
Euro jährlich ausmachen. In Heiligendamm haben die
G-8-Staaten beschlossen, in den nächsten Jahren 60 Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose zur Verfügung zu stellen. Die
deutsche Bundesregierung wird bis 2015 4 Milliarden
Euro beisteuern.
Deutschland hat an der Gründung des Globalen Fonds
im Jahr 2001 mitgewirkt. Wir haben gesagt, dass das ein
wichtiges Instrument ist. Die Geschichte dieses Fonds ist
mittlerweile eine Erfolgsstory. Er leistet weltweit Pionierarbeit auf dem Gebiet der effektiven Krankheitsbekämpfung.
({3})
Dem Beifall setze ich gerne die Zahlen hinzu:
1,8 Millionen Menschen konnte das Leben gerettet werden, 3 000 kommen täglich hinzu. Das sind Zahlen, die
für sich sprechen.
Die Konferenz wird Weichen stellen: Schafft es die
Weltgemeinschaft, den schrecklichen Trend umzukehren? Schafft sie es, die Infektionsverläufe von HIV/Aids,
Tuberkulose und Malaria zu durchbrechen? Schaffen wir
es, auch den ärmsten Kindern in Afrika Zugang zu Prävention und Behandlung zu ermöglichen? Dazu bedarf
es des Engagements unserer Partnerregierungen im Süden und auch der Zivilgesellschaften.
Es geht hierbei um Good Governance. Es geht um
klare Sprache. Ich greife gern auf, was Herr Addicks immer sagt: Wir können nicht tolerieren, dass Regierungen
wie Gesundheitsministerinnen und -minister in Afrika
eine völlig verfehlte Behandlungspolitik propagieren
und der internationalen Standard, den wir längst anerkannt haben, dort immer noch außen vor ist.
({4})
Das geht aber nicht ohne die gezielte Unterstützung
der Gebergemeinschaft. Bei alldem, was vorliegt, geht
es weder um einen Kostenfaktor noch um eine milde Tat.
Es geht vielmehr darum, dass es ein Menschenrecht auf
Leben gibt, das wir unterstützen. Diese Unterstützung
wird geleistet, wenn es darum geht, die Nichtregierungsorganisationen an der Seite zu haben. Eine Umfrage von
Oxfam zur Entwicklungszusammenarbeit hat gezeigt,
dass 61 Prozent der Befragten erklärt haben, die deutsche Bundesregierung solle doch bitte die Entwicklungsgelder im Bereich der Dienstleistungen für die Gesundheitsfürsorge erhöhen. Ich glaube, damit sind wichtige
Punkte genannt.
Ich will meine Redezeit nicht überstrapazieren; aber
auf eines möchte ich noch hinweisen.
Kollegin Kortmann, Sie reden langsam auf Kosten
der Redezeit Ihrer Kollegen.
Ich nehme die Mahnung entgegen; ich sage nicht,
dass ich zum letzten Satz komme.
Klären Sie das mit Ihren Kollegen.
Ich will daran erinnern, dass Willy Brandt vor circa
30 Jahren Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission der
Vereinten Nationen geworden ist. Damals ging es im
Abschlussbericht darum, zu fragen: Was können wir eigentlich für das Überleben der Menschheit tun? Er hat
damals gesagt: Noch nie hat die Menschheit über so
viele Instrumente und so viele Expertisen verfügt, um
Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen. Allein, es
fehlt der politische Wille.
Anhand des Antrages und aufgrund der Beratungen
im AwZ weiß ich: Der politische Wille ist da. Ich weiß,
dass Sie an guter Seite sind, wenn es um die Wiederauffüllung des Global Fund geht.
Herzlichen Dank, und ich bitte um Verständnis bezüglich der Redezeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die
FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Global Fund wurde vor sechs Jahren
gegründet. Mit ihm bekämpfen wir drei verheerende
Krankheiten. Zwei davon, Tuberkulose und Malaria,
sind so alt wie die Menschheit. Aids kennen wir erst seit
ungefähr 25 Jahren. Diese Krankheit ist im Unterschied
zu den beiden anderen sexuell übertragbar; wahrscheinlich hat sie sich deshalb so rasant ausgebreitet. Es hat
nach dem Ausbruch von Aids fast 20 Jahre gedauert, bis
wir eine globale, adäquate Antwort darauf gefunden haben. Das war der Global Fund. Heute sehen wir bei der
Bekämpfung von Aids die ersten Erfolge, nicht in allen
Ländern, aber in sehr vielen. Wir haben den Kampf gegen Aids noch nicht gewonnen. Aber wir können eine
gewisse Zuversicht haben. Ich glaube, wir haben mit der
Einrichtung des Global Fund das Richtige getan.
Über den Schrecken von Aids sind Malaria und zum
Teil auch Tuberkulose fast vergessen worden. Malaria ist
eine Krankheit, die wir hierzulande nicht so sehr kennen;
sie ist hier nicht endemisch. Aber die Menschen in den
Tropen und Subtropen sind damit mindestens genauso
geschlagen wie mit Aids. Malaria fordert fast genauso
viele Opfer wie Aids. An Malaria sterben vor allem Kinder, schwangere Frauen, alte und schwache Menschen.
Diejenigen, die zusätzlich Aids oder Tuberkulose haben,
sterben daran noch viel eher.
Es gibt also überhaupt keinen Grund, in der Bekämpfung dieser drei Krankheiten nachzulassen. Deshalb haben wir, die FDP, schon vor zwei Jahren gefordert, den
deutschen Beitrag zum Global Fund zu erhöhen.
({0})
Das tut die Bundesregierung jetzt; aber sie tut es zu einem Zeitpunkt, wo erste kleine Fragezeichen bezüglich
der Arbeit des Global Fund auftauchen. Bitte verstehen
Sie mich nicht falsch: Ich halte den Global Fund für
richtig, aber es wäre nach sechs Jahren der Arbeit des
Global Fund jetzt die Zeit, sich kritisch mit seiner bisherigen Arbeit auseinanderzusetzen.
({1})
Vielleicht könnte der Global Fund noch effizienter arbeiten.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Kamerun. Ich habe das
Land vor etwa zwei Wochen besucht. In Kamerun hilft
der Global Fund seit drei Jahren bei der Malariabekämpfung. Dort sollen Moskitonetze und Medikamente verteilt werden. Die Zahlen der Malariaerkrankungen und
Todesfälle haben sich bisher so gut wie nicht verändert.
Es kann natürlich sein, dass dieser Zeitraum vielleicht
ein bisschen zu kurz ist.
Wenn man die Dörfer besucht, dann stellt man aber
fest, dass die Menschen, die dort leben, so gut wie keine
Moskitonetze haben. Ich habe gefragt: Wo sind denn die
Moskitonetze, die über den Global Fund verteilt werden
sollten? Man zeigte mir einen Container, in dem
40 000 Netze lagen. Ich fragte: Warum sind diese Netze
nicht verteilt worden? Man antwortete mir: Sie müssen
noch mit einem Insektizid imprägniert werden, damit die
Mücken nicht durchstechen können. Meine nächste
Frage war: Warum sind sie noch nicht imprägniert? Die
Antwort lautete: weil das Insektizid nicht da ist. Dann
fragte ich: Warum ist das Insektizid nicht da? Die AntDr. Karl Addicks
wort war: Das Insektizid liegt beim Zoll in der Hafenstadt Douala, und dort kommt es nicht heraus.
Man muss wissen, dass der Zoll in einem Land wie
Kamerun eine der Stellen ist, an denen am meisten bestochen wird. Wer dort keine Bestechungsgelder zahlt,
der kann monatelang warten, bis er seine Waren bekommt.
({2})
Ich halte es für einen Skandal, dass gerade solche Güter,
auf die die Menschen in diesem Land warten und auf die
sie dringend angewiesen sind, nicht vom Zoll freigegeben werden und dass die Moskitonetze, statt verteilt zu
werden, dort auf Halde liegen.
({3})
Da stehen mir wirklich die Haare zu Berge.
Hinzu kommt, dass diese Netze eigentlich kostenlos
abgegeben werden sollen. Kinder und Schwangere bekommen sie zwar kostenlos. Aber alle anderen müssen
7,50 Dollar für ein Netz bezahlen. Das ist für einen Kameruner nicht gerade wenig Geld.
Was passiert mit dem eingenommenen Geld? Auch
hinter dieser Frage muss man ein großes Fragezeichen
machen. Ich finde, das darf nicht so bleiben. Statt die
Netze endlich unter das Volk zu bringen, hat man sich
dort erst einmal große Fuhrparks angeschafft und viel
Personal eingestellt. Das ist zwar auch eine Art von Entwicklungszusammenarbeit, aber nicht der Sinn des Global Fund.
Es hat nicht nur in Kamerun, sondern auch in Uganda
Fälle von Veruntreuung gegeben. In Uganda sind teure
Aids-Medikamente verfallen, weil sie nicht rechtzeitig
abgegeben worden sind. So etwas darf nicht geschehen.
An dieser Stelle kann und muss der Global Fund besser
werden. Es reicht nicht, den Ländern nur Gelder zur Verfügung zu stellen, sondern es muss auch die Verwendung
der Gelder überwacht und kontrolliert werden,
({4})
und das vor allem in Ländern, in denen es bekanntermaßen keine gute Regierungsführung gibt.
Der Global Fund arbeitet mit 136 Ländern zusammen. Wir wissen, dass viele von ihnen auf Good Governance keinen großen Wert legen. Die Bundesregierung
sagt selbst, dass der Global Fund, weil er vor Ort über
keine eigenen Strukturen verfügt, auf zuverlässige und
vertrauenswürdige Partner angewiesen ist. Diese haben
wir leider nicht überall.
Das zeigt sich auch daran, dass der kamerunische Gesundheitsminister wenige Tage nach dem Besuch unserer Delegation gefeuert wurde. Das kann ich eigentlich
nur begrüßen. Wenn die Arbeit des Global Fund aber
durch solche Fälle belastet wird, dann ist er in Gefahr,
beschädigt zu werden. Das muss unbedingt verhindert
werden.
Die USA haben den Umfang ihrer Zahlungen an den
Global Fund seit dem letzten Jahr halbiert. Ich vermute,
dass die USA dafür Gründe haben. Sie scheinen es vorzuziehen, bilaterale Projektarbeit zu betreiben. Wenn
nächste Woche die Wiederauffüllungskonferenz stattfindet, dann müssen auch diese Themen auf den Tisch.
Denn wie an vielen Stellen in der Entwicklungszusammenarbeit wird auch hier deutlich, dass die Verwendung
der Mittel ständig überprüft und kontrolliert werden
muss. Das gilt nicht nur für den Global Fund, sondern
für die gesamte Entwicklungszusammenarbeit.
Bei der Abstimmung über den Antrag, den die Koalition vorgelegt hat, werden wir uns enthalten.
({5})
Er ist im Grunde ein Aufguss des interfraktionellen Antrags, den wir vor einem halben Jahr gestellt haben. Das
finde ich sehr schön; aber dazu unsere Zustimmung zu
signalisieren, das ginge uns ein bisschen zu weit.
({6})
Der Wiederauffüllungskonferenz wünsche ich viel Erfolg und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({7})
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Sibylle
Pfeiffer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bill Gates hat einmal über den Global Fund gesagt: Der
Global Fund ist eines der besten und liebenswürdigsten
Dinge, die Menschen für Menschen jemals geschaffen
haben. - Weil wir Entwicklungspolitiker der CDU/CSUFraktion ebenfalls finden, dass der Global Fund eine
gute Einrichtung ist, unterstützen wir seine Arbeit.
In der nächsten Woche findet in Berlin die Wiederauffüllungskonferenz statt. Sie soll zum einen Planungssicherheit für die Arbeit des Fonds gewährleisten. Zum
anderen bietet sie eine Plattform für die Diskussion über
seine Leistungsfähigkeit und -möglichkeiten sowie über
seine Effizienz.
Es ist ein großer Erfolg, dass sich die G-8-Staaten
verpflichtet haben, 44 Milliarden Euro für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose bereitzustellen. Deutschland wird bis 2015 insgesamt 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Anerkennung an die Regierung und an Angela Merkel! Das ist ein beachtlicher
Beitrag.
({0})
Der Global Fund leistet eine segensreiche Arbeit. Seit
2002 hat er insgesamt 5,5 Milliarden Euro für 450 Programme in 136 Ländern zur Verfügung gestellt. Man
schätzt, dass durch die Arbeit des Global Fund
1,8 Millionen Menschen - 3 000 jeden Tag - das Leben
gerettet wurde.
Nicht zum Selbstzweck, sondern allein zum Wohle
der Menschen in den Entwicklungsländern seien mir begleitend einige konstruktive kritische Worte gestattet.
Der Global Fund hat die Funktion eines Finanzierungsinstrumentes. Überspitzt könnte man sagen, dass in den
136 Ländern eine Art Budgetfinanzierung stattfindet.
Damit sind natürlich Risiken verbunden, die wir nicht
einfach beiseite schieben können. Wir alle sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass es in gewissen
Ländern eine eigenartige Interpretation von Mittelverwendung gibt. Die entscheidende Frage lautet: Kommt
das Geld dort an, wo es am dringendsten benötigt wird?
Wir wissen von Fällen, in denen Moskitonetze als Fischernetze gebraucht werden. Wir wissen, dass Kondome zu Wasserbehältern umfunktioniert werden. Wir
wissen, dass es korrupte Politiker in Entwicklungsländern gibt, die sich an Spendengeldern schamlos bereichern. Wir wissen nicht immer, ob die Hilfsmittel die
Menschen erreichen. Deshalb, Kollege Addicks, ist es
wichtig, auch bei der Vergabe der Mittel des GFATM
einzufordern, dass Good-Governance-Kriterien erfüllt
werden.
({1})
Mein Motto lautet: Vorbeugen ist immer besser als
Heilen. Dies spiegelt sich in der Statistik der Verwendung der Mittel des GFATM leider nicht immer wider.
Keine Frage: Die Behandlung von HIV/Aids ist extrem
wichtig. Tatsache ist aber auch, dass auf jeden an Aids
Erkrankten, der Zugang zu Medikamenten hat, sechs
Neuinfizierte kommen. Der Global Fund gibt fast die
Hälfte seiner Mittel für Behandlungen aus, aber nur ein
Drittel für Prävention. Auch darüber sollte nächste Woche gesprochen werden.
Ich bedaure sehr, dass der Global Fund in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit fast ausschließlich mit der
Bekämpfung von HIV/Aids in Verbindung gebracht
wird. Mehr als 2 Millionen Menschen sterben jährlich an
Tuberkulose, mehr als 3 Millionen Menschen an Malaria. Der Fonds heißt deshalb auch: Globaler Fonds zur
Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Das
Teuflische ist, dass es zwischen Aids, Malaria und
Tuberkulose Wechselwirkungen gibt. Wo Aids ist, ist
Tuberkulose nicht weit: Tuberkulose ist die häufigste
Todesursache von HIV/Aids-Patienten. HIV-Positive haben ein 30-mal höheres Risiko, an Tuberkulose zu erkranken, als Gesunde. Genauso gibt es eine Wechselwirkung zwischen Aids und Malaria: HIV erhöht das
Risiko, an Malaria zu erkranken und zu sterben. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Katastrophen im
Zusammenhang mit diesen verheerenden Krankheiten
sind uns Entwicklungspolitikern wohlbekannt.
Tuberkulose gilt in Westeuropa als ein Überbleibsel
aus vergangenen Zeiten. Obwohl diese Krankheit gut
heilbar ist, ist Tuberkulose in Osteuropa, Asien und
Afrika immer noch eine der häufigsten Krankheiten mit
Todesfolge. Der Tuberkulosetest ist sage und schreibe
125 Jahre alt und kann nur in 40 bis 60 Prozent der Fälle
die Krankheit ermitteln. Millionen Erkrankungen bleiben deshalb unentdeckt. Die gängigen Tuberkulosemedikamente sind 40 Jahre alt und älter. Das kann nicht sein!
Ich appelliere an die Pharmaindustrie, sich hier stärker
zu engagieren.
({2})
Malaria und Tuberkulose fordern mindestens so viele
Opfer wie HIV/Aids. Die Verteilung der Mittel des Global Fund spiegelt dies jedoch nicht wider. Mehr als die
Hälfte der Gelder gibt der Fund für die Bekämpfung von
HIV/Aids aus und nur 14 Prozent für die Bekämpfung
von Tuberkulose. Für mich ist das ein weiterer Diskussionspunkt in der nächsten Woche.
Was mich am meisten ärgert, ist, dass, obwohl Malaria relativ einfach bekämpft werden kann, nicht genug
unternommen wird. Auch hier gilt: Vorbeugen ist besser
als Heilen. Malaria wird von Mücken übertragen, und
die stechen nachts. Dagegen schützen Moskitonetze.
Noch besser schützen sie, wenn sie mit Insektiziden imprägniert sind. Ein behandeltes Netz bietet doppelt so
viel Schutz wie ein unbehandeltes. Was auch wichtig ist:
Eine Mücke, die mit einem solchen Netz in Kontakt
kommt, stirbt. Es muss aber sichergestellt werden, dass
die Menschen diese Netze erhalten und sachgerecht anwenden.
Ein wirksames Mittel gegen Malariamücken ist die
Verwendung von Insektengiften. Dazu gehört auch die
maßvolle Verwendung von Dichlordiphenyltrichlorethan,
({3})
DDT. Damit kein Missverständnis aufkommt, damit es
morgen nicht in der Presse heißt: Pfeiffer will uns mit
DDT einnebeln, sage ich: Es geht mir um einen maßvollen und begrenzten Einsatz von DDT zur Bekämpfung der Malariamücke.
({4})
Sogar die WHO spricht sich für den sachgerechten Einsatz von DDT, in Gebäuden wohlgemerkt, aus. Das Mittel soll auf die Wände und Decken der Gebäude aufgetragen werden. Die WHO hat in einer Pressemitteilung
erklärt: Der korrekte und rechtzeitige Einsatz von DDT
kann die Malariaübertragung um 90 Prozent senken. Ich denke, dieser Erkenntnis und dieser Empfehlung
dürfen wir uns nicht verschließen, schon gar nicht aus
ideologischen Gründen.
Medikamente und präventive Maßnahmen allein
reichen im Kampf gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose nicht aus. Die Grundvoraussetzungen sind funktionierende Gesundheitseinrichtungen bzw. Gesundheitssysteme. Die besten Medikamente nützen nichts,
wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Dies
führt uns unter anderem zur Frage der sozialen Sicherungssysteme in Entwicklungsländern. Kollege Walter
Riester und ich haben vor zwei Tagen an einer Tagung
der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen
zu diesem wichtigen Thema teilgenommen. Auch dort
wurde klipp und klar deutlich: Soziale Sicherungssysteme, also Kranken-, Renten- und Sozialversicherung, in
Entwicklungsländern sind kein Luxus, sondern eine Investition in die Zukunft.
({5})
Die besten Krankenhäuser und die besten Medikamente nützen wenig, wenn kein qualifiziertes Personal
vorhanden ist. Die Abwanderung von medizinischem
Personal wird immer mehr zu einem Problem in den Entwicklungsländern. Die ohnehin angespannte Situation
im Gesundheitswesen der Entwicklungsländer wird
durch die Abwanderung von Ärzten, Pflegepersonal,
Krankenschwestern und Hebammen noch verschärft.
Besonders schlimm ist die Situation in Afrika. Afrika
muss 25 Prozent der weltweiten Krankheitslast tragen.
Dort arbeitet aber nur etwa 1 Prozent des weltweiten
Personalbestandes im Gesundheitswesen. Schätzungen
zufolge fehlen in Afrika 1 Million medizinische Fachkräfte. Andererseits wandern jedes Jahr 20 000 medizinische Fachkräfte allein aus Afrika nach Europa und in
die USA. Wir haben völlig abstruse Verhältnisse. So arbeiten in Frankreich mehr Ärzte aus Benin als in Benin
selbst, in Manchester mehr malawische Ärzte als in Malawi. Die Situation wird sich verschärfen, da der Bedarf
an medizinischem Fachpersonal in den Industrieländern
steigen wird.
Zusammen mit den Herkunftsländern müssen die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für medizinisches
Fachpersonal in den Herkunftsländern verbessert werden. Mit anderen Worten: Ein Arzt oder eine Ärztin, eine
Hebamme oder ein Krankenpfleger müssen in der Lage
sein, sich und ihre Familie zu ernähren. Das Fachpersonal in den Entwicklungsländern muss zudem die Gelegenheit bekommen, sich beruflich fortbilden zu können.
Ich bin überzeugt, dass die Lösung des sogenannten
Braindrain eine der Hauptaufgaben der deutschen und
der europäischen Entwicklungspolitik sein muss; denn
das medizinische Personal ist eine Säule nachhaltiger
Entwicklung.
({6})
Zurück zu HIV/Aids. Die Bekämpfung von HIV/Aids
ist untrennbar mit dem Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit verbunden. HIV wird nun einmal fast
ausschließlich durch Geschlechtsverkehr übertragen. Ist
ein Kondom zur Verhütung von HIV, zur Verhütung von
Schwangerschaft oder gar für beides gedacht? Wir sollten die Dinge mit gesundem Menschenverstand angehen; denn die Bekämpfung von HIV/Aids und reproduktive Gesundheit schließen sich nicht aus, im Gegenteil:
Sie ergänzen sich.
({7})
Im vorliegenden Antrag gehen wir auch auf den
UNFPA, den United Nations Fund for Population Activities, ein. Er spielt in den Entwicklungsländern in Fragen
der reproduktiven Gesundheit und der Bevölkerungsentwicklung eine wichtige Rolle. Seine Aufgabe ist, weltweit das Bewusstsein für dieses Thema zu fördern und
zu stärken. Der UNFPA unterstützt Programme, die
Frauen und Männern bei der Familienplanung helfen
und ungewollte Schwangerschaften verhindern. Er setzt
sich für eine qualifizierte Betreuung von Schwangerschaften und Geburten ein und hilft, durch Aufklärungsarbeit die Verbreitung von HIV/AIDS und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten einzudämmen. Der
UNFPA kämpft außerdem für Chancengleichheit und
gegen Gewalt gegen Frauen. Ich meine, diese Organisation verdient unsere Unterstützung genauso wie IPPF,
International Planned Parenthood Federation, die Internationale Vereinigung geplanter Elternschaft. Diese Organisation setzt sich für das Recht von Frauen und Männern ein, die Zahl ihrer Kinder frei zu bestimmen. Sie
alle wissen, dass meine Begeisterung für multilaterale
Organisationen sehr begrenzt ist. Diese beiden aber gehören zweifelsohne zu denjenigen, die in meinen Augen
größere Unterstützung verdienen.
Im Zusammenhang mit der sexuellen und reproduktiven Gesundheit liegt mir noch etwas auf dem Herzen,
was ich unbedingt loswerden möchte. Sich für die sexuelle und reproduktive Gesundheit einzusetzen, hat
nichts, aber überhaupt nichts damit zu tun, dass Abtreibung als ein Mittel der Familienplanung betrachtet wird.
Wer dies behauptet, hat von der Sache keine Ahnung.
Sexuelle und reproduktive Gesundheit hat mit Prävention und Aufklärung zu tun. Reproduktive Gesundheit
hat auch etwas mit Frauenrechten zu tun. Ich finde es
völlig normal, dass eine Frau selber entscheiden kann,
ob sie schwanger wird, von wem sie schwanger wird und
wie oft sie schwanger wird. Dieses Recht ist für uns
selbstverständlich. Ich meine, dass den Frauen in den
Entwicklungsländern dieses Recht nicht verwehrt bleiben kann und darf.
({8})
In diesem Zusammenhang erwähne ich Femidom. Ich
befürworte und unterstütze aber auch die Forschung im
Bereich der Mikrobizide. Beides, Femidom und Mikrobizide, sind Verhütungsmethoden, die deshalb so wichtig
sind, weil über deren Anwendung die Frauen selbst bestimmen können.
Da wir schon bei Verhütungsmitteln sind, möchte ich
darauf hinweisen, dass in Entwicklungsländern immer
noch ein gravierender Mangel an Verhütungsmitteln
herrscht. In Afrika, wo die Aidspandemie besonders
schlimm ist, stehen jedem Mann sechs bis acht Kondome zur Verfügung - pro Jahr, wohlgemerkt! Ich wiederhole mich: Dies ist schlichtweg zu wenig.
({9})
Ich freue mich, dass die Wiederauffüllungskonferenz
des Global Fund uns die Möglichkeit gegeben hat, über
das Thema HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria im Bundestag zu diskutieren. Ich glaube, dieses Thema ist zu
wichtig, als es in den Hintergrund geraten zu lassen.
({10})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Frank
Spieth das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine
Damen und Herren! Die Linke begrüßt es außerordentlich, dass Deutschland in der nächsten Woche die Geberkonferenz des Globalen Fonds zur Bekämpfung von
Aids, Tuberkulose und Malaria ausrichtet. Dieser Fonds
ist seit seiner Gründung vor sechs Jahren zu einer großen
Hoffnung für die Kranken in den armen Ländern dieser
Welt geworden. Das Aktionsbündnis gegen Aids schätzt,
dass durch die Programme bisher knapp 2 Millionen
Menschen gerettet werden konnten. Das ist ein phänomenaler Erfolg. Deshalb ist es umso wichtiger, dass
Deutschland als Gastgeberland mit einem deutlichen Signal vorangeht, und zwar sowohl mit Geld als auch bei
der Auswahl der zu finanzierenden Maßnahmen.
In Ihrem Antrag, dem wir heute zustimmen werden,
werden in vielen Punkten die richtigen Themen aufgegriffen: der Ausbau der Mutter-Kind-Programme zur
Verhütung der Übertragung von Aids, die Berücksichtigung der spezifischen Situation von Frauen und Mädchen oder die Abwerbung von medizinischen Fachkräften durch die Industrieländer.
Gestatten Sie mir aber eine Bemerkung: Seit Beginn
der Großen Koalition - das wurde eben erwähnt - kommen von Ihnen im Halbjahresabstand wolkige und wohlklingende Erklärungen zur Bekämpfung von HIV, Malaria und Tuberkulose. Was wir allerdings vermissen, ist,
dass Sie mit ganz konkreten Vorschlägen auf die Situation vor Ort eingehen.
So fordern Sie in Ihrem Antrag - ich nenne hier nur
Stichworte - verstärkte Anstrengungen, Intensivierungen, eine bessere Zusammenarbeit und eine forcierte Integration. Sie fordern dazu auf, wesentlich mehr Beiträge zu leisten, mehr Aufmerksamkeit zu schenken,
daran zu arbeiten und mitzuwirken. Ich muss Ihnen sagen: Wunderbar, die pastorale Erfüllung spricht aus jeder
Zeile. Aber was steht konkret dahinter? Ein wenig klarer
dürfte es schon sein, wenn der Antrag kein Wunschzettel
an den Weihnachtsmann bleiben soll. Wie wollen Sie
konkret erreichen, dass das medizinische Fachpersonal
nicht in die Industrieländer abwandert? Wie möchten Sie
den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten gewährleisten? Wie wollen Sie die Situation der Frauen und Mädchen verbessern, wenn Sie mit keinem Wort auf die Gewalt gegen Frauen als eine Schlüsselursache für die
Ausbreitung von HIV eingehen?
({0})
Die Koalition muss sich noch klarer für die Eindämmung von HIV, Malaria und Tuberkulose in den armen
Ländern einsetzen. Es ist an der Zeit, dass ein Programm
für eine gerechte Entwicklungs-, Wirtschafts-, Finanzund Handelspolitik vorgelegt wird, um die Armut und
die häufig tödlichen Erkrankungen in den armen Ländern konsequent zu bekämpfen. Stattdessen - das hören
Sie vielleicht nicht so gerne - erklärt die Bundesregierung den Patentschutz der Pharmakonzerne, der eine wesentliche Ursache dafür ist, dass 72 Prozent der Aidskranken in den armen Ländern keinen Zugang zu
erschwinglichen Arzneimitteln haben, zum unangreifbaren Tabu.
({1})
Die Industrie hat in den vergangenen 20 Jahren nicht
ein neues Arzneimittel gegen Tuberkulose und erst recht
keine Impfung gegen Malaria auf den Markt gebracht,
dafür aber haufenweise überflüssige Haarwuchsmittel
und Schlankmacher produziert.
({2})
Wenn Sie schon Deutschland mit Ihrem neuen Forschungsprogramm, über das wir diskutieren, wieder zur
Apotheke der Welt machen wollen, dann dürfen Sie das
Geld nicht einfach großflächig in die Forschung pumpen, sondern dann müssen Sie Ihre Programme auch an
den Krankheiten ausrichten, über die wir heute reden.
Ich wünsche mir, dass Sie mehr Druck auf das amerikanische Unternehmen Abbott ausüben, das sich weigert, wichtige Medikamente an Thailand zu verkaufen,
weil das Land es gewagt hat, das dringend benötigte
teure HIV-Mittel Kaletra von Abbott kostengünstig
nachzubauen,
({3})
und zwar für die Patienten, die auf staatliche Wohlfahrt
angewiesen sind und bisher keine Chance auf Behandlung haben. So rettet man auch Menschenleben. Statt
hier konkret zu helfen, verspricht Frau Merkel vor laufenden Fernsehkameras auf dem G-8-Gipel in Heiligendamm werbewirksam milliardenschwere Hilfsprogramme für die Kranken in Afrika, während gleichzeitig
im Kleingedruckten der G-8-Verträge die Durchsetzung
des Patentschutzes unter Strafandrohung festgeschrieben
wurde. Für Millionen Aids-, Malaria- und Tuberkulosekranke ist das aus meiner Sicht eine tödliche Entscheidung.
Wir erwarten, dass die Bundesregierung, wie vom
Aktionsbündnis gegen Aids gefordert, auf der Geberkonferenz eine deutlich höhere Zusage macht, als im
Antrag vorgesehen, und zusätzlich Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und die internationalen Bekämpfungsprogramme bereitstellt. Wir wünschen uns
auch mehr Unterstützung der Entwicklungshilfeministerin, weil wir glauben, dass noch sehr viel zu tun ist.
({4})
Ich wünsche uns gemeinsam, dass wir nicht erst am
Welt-Aids-Tag wieder über Wünsche und Handlungsbedarfe diskutieren und ansonsten nur Prosa produzieren.
Schönen Dank.
({5})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Ute Koczy das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Man kann es drehen, wie man will. Eines
ist klar: Ohne innovative Finanzierungsinstrumente werden die dauerhaften Erhöhungen der Mittel für die Bekämpfung der Krankheiten HIV/Aids, Tuberkulose und
Malaria Eintagsfliegen bleiben;
({0})
denn ohne zum Beispiel eine Flugticketabgabe oder
die Kerosinsteuer haben wir keine Chance, frisches Geld
zu erhalten, um die Ausgaben zu verstetigen. Darauf legen wir Grünen in dieser Debatte besonderen Wert.
Es geht bei der Bekämpfung dieser Krankheiten um
riesige Summen. Die UN legt Schätzungen vor, wonach
im Zeitraum von 2008 bis 2010 zwischen 84 und
90 Milliarden US-Dollar zur Erreichung der Gesundheitsmillenniumsziele benötigt werden. Es ist zwar gut,
wenn sich die G-8-Staaten - gedrängt durch die öffentliche Aufmerksamkeit - verpflichtet sehen, den Globalen
Fonds mit berechenbaren und langfristigen Beiträgen
aufzufüllen. Es reicht aber nicht aus, anzugeben, wie viel
Geld man zum gegenwärtigen Zeitpunkt investieren
will. Vielmehr müssen die Mittel verstetigt werden. Wir
erwarten, dass das Engagement in den nächsten Jahren
fortgesetzt wird.
Deutschland will bis 2015 4 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Pandemie ausgeben. Das ist zwar gut und
richtig, aber die Bundesregierung muss an dieser Stelle
Tacheles reden und angeben, wie sie diese Zusagen
finanziell absichern will und woher die Mittel dafür
kommen; denn sonst steht das gesamte Vorhaben weiterhin auf tönernen Füßen.
Wir sind uns fraktionsübergreifend inhaltlich darin einig, dass viel mehr getan werden muss. Die Bedeutung
des Themas Gesundheit für die Entwicklung ist bekannt:
Von 2000 bis 2005 haben sich die Mittel von 6 Milliarden auf 14 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt. Es
sind schon entsprechende Erfolge im Gesundheitsbereich
zu verzeichnen, die wir sehr begrüßen. So sind zum Beispiel Todesfälle durch Masern seit 1999 weltweit um
60 Prozent zurückgegangen. Immerhin 2 Millionen Menschen erhalten Medikamente gegen Aids.
Wir finden es ebenfalls richtig - auch darin sind wir
uns einig -, dass nicht nur in die Bekämpfung einer einzigen Krankheit wie HIV/Aids investiert werden sollte.
Notwendig ist vielmehr die ganzheitliche Stärkung von
Gesundheitssystemen.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, in dem
mir Ihr Antrag nicht weit genug geht. Sie fordern zwar
ein, was in der G-8-Erklärung von Heiligendamm schon
festgeschrieben und zugesagt wurde, aber Sie gehen
kaum darüber hinaus. Sie haben uns einen Antrag vorgelegt, in dem lediglich wiederholt wird, was bereits beschlossen worden ist.
Ein Beispiel betrifft den Zusammenhang zwischen
Umwelt und Gesundheit. Eine neue Studie einer USamerikanischen Universität zeigt den Zusammenhang
klar auf: Weltweit sterben vier von zehn Menschen an
Umweltverschmutzungen; denn vor dem Hintergrund
der steigenden Bevölkerungszahlen tragen Verschmutzungen in Wasser, Luft und Böden zu Unter- und Fehlernährungen und verstärkter Krankheitsanfälligkeit bei.
Auch Deutschland ist betroffen: Aufgrund dieser Faktoren sterben jährlich 100 000 Menschen an Umweltverschmutzungen.
({1})
Weltweit sind 3,7 Milliarden Menschen gefährdet.
Dieser Zusammenhang wird uns in Zukunft weiter
beschäftigen. Das haben uns die Regenfälle und Überschwemmungen in der Sahelzone vor Augen geführt.
Neue Hungerkatastrophen zeichnen sich ab. Die Ernten
sind vernichtet. Es wird von ersten Cholerafällen berichtet. Über die Wasserfluten breiten sich Krankheiten aus.
Die gefluteten Gebiete sind ideale Brutstätten für Krankheitserreger. Das heißt, es ist schon in diesem Jahr ein
dramatischer Zuwachs an Gefährdungspotenzialen zu
verzeichnen, auf den wir jetzt reagieren müssen. Die
afrikanischen Gesundheitssysteme sind, wie wir wissen,
dafür nicht gerüstet. Diese Herausforderung müssen wir
jetzt angehen. Die vagen Forderungen in Ihrem Antrag
reichen dafür nicht aus.
Ein weiterer Punkt ist schon von meinem Vorredner
angesprochen worden, nämlich der Zugang zu preiswerten Medikamenten und Impfstoffen. Sie haben es bereits
angesprochen, Frau Pfeiffer, aber man kann es nicht oft
genug wiederholen: Wir müssen Anreize für die Pharmaindustrie schaffen, damit sie ihre Forschungstätigkeit
auch auf die Krankheiten ausdehnt, die bisher vernachlässigt wurden, weil diese Krankheiten nur in den Entwicklungsländern und hauptsächlich bei armen Menschen auftreten. Insofern ist dieser Bereich kein
interessanter Markt. Inzwischen treten solche Krankheiten aber auch in Europa auf. Die Krankheitserreger verändern sich, und es entstehen neue Gefährdungspotenziale. Angesichts von Krankheiten wie Ebola, das im
Kongo ausgebrochen ist, oder das Chikungunya-Fieber,
das sich zurzeit in Norditalien ausbreitet, trifft es nicht
zu, dass sich Krankheiten auf ein bestimmtes Gebiet beschränken. Die Gefährdungspotenziale bestehen vielmehr weltweit.
Auch in diesem Zusammenhang stimme ich mit Ihrem Antrag nicht überein. Mir erscheint die Formulie12052
rung zu schwach. Ich meine, wir müssen darauf achten,
dass die Gesundheitsvorsorge als öffentliches Gut Priorität vor den Wirtschaftsinteressen hat. Deswegen werden
wir uns in der Abstimmung der Stimme enthalten.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir können Geld geben und so etwas Gutes tun.
Wir werden in der nächsten Woche über die Höhe der
Mittel sprechen und auch darüber, wofür wir das Geld
ausgeben. Der Global Fund, der mittlerweile sechs Jahre
existiert, wurde vom G-8-Gipfel in Okinawa initiiert.
Unter Kofi Annan wurde von den VN das umgesetzt,
was dort projektiert war. Das hat sich gut entwickelt. Der
Global Fund ist eine Erfolgsgeschichte. Wir sind uns
einig, dass er ein Instrument ist, welches zuerst einmal
lokalisiert, wo auf der Welt Hilfe am dringendsten notwendig ist, und dann dafür sorgt, dass nur dort geholfen
wird, wo das Geld effizient eingesetzt werden kann.
Von den vielen Anträgen, die beim Global Fund eingehen, werden nur 40 Prozent positiv beschieden.
60 Prozent werden abgelehnt, weil es sich um korrupte
Länder handelt, weil man den Regierungen nicht zutraut,
mit dem Geld etwas Vernünftiges für die Menschen zu
tun, weil die Strukturen nicht geeignet sind, weil die Anträge zeigen, dass das Geld nicht vernünftig angelegt
werden kann, oder weil in den betreffenden Ländern zu
viele Geber unkoordiniert nebeneinander arbeiten; auch
das kommt vor. Darüber haben wir mit den Vertretern
des Global Fund kürzlich reden können; das war spannend. Dabei ist folgendes Problem deutlich geworden:
Der Global Fund muss bislang die Gründe für eine Ablehnung verheimlichen; das ist ein Tabu. Bei den zugesagten Geldern werden wird jedoch veröffentlicht, warum die betreffenden Länder Geld bekommen. Aber über
die Länder, die kein Geld bekommen, wird nichts gesagt; darüber wird Stillschweigen bewahrt. Das geht
nicht. Wenn wir nicht nur Geld geben, sondern auch politisch Einfluss nehmen wollen, damit in den betreffenden Ländern etwas Vernünftiges geschieht, dann müssen
wir die Gründe für eine Ablehnung kennen, damit wir
den Besuchern aus den betreffenden Ländern sagen können: Wir würden euch gerne helfen, aber da gibt es noch
etwas zu tun; da müsst ihr in die Puschen kommen.
({0})
Wir bitten die Regierung daher, gemeinsam mit anderen
Ländern auf eine Veröffentlichung der Ablehnungsgründe auf der Konferenz in der nächsten Woche zu
drängen.
Wir haben ein weiteres Problem. Alle 10 Sekunden
stirbt ein Mensch an HIV/Aids und alle 20 Sekunden an
Tuberkulose.
({1})
Zählt man die vielleicht doppelt? Wir haben gehört, dass
die meisten Menschen, die an Aids erkrankt sind, an der
Infektionskrankheit Tuberkulose sterben. Die vorhandene Epidemiologie ist also völlig unzureichend. Die
Menschen sind auch HIV-positiv und verhungern. Es ist
wichtig, das auseinanderzuhalten; denn mit 1 oder
2 Dollar, die eine Aidstherapie am Tag kostet, kann man
in vielen Ländern eine Familie vor dem Hungertod bewahren. Das heißt, man muss das Problem sehr differenziert betrachten. Es ist gut, dass nicht wir Politiker bestimmen, wer Geld bekommt, sondern eine Institution,
die sehr differenziert darauf achtet, was alles zusammenpassen muss, damit es Sinn hat. Wenn wir HIV-Medikamente in Länder schicken, in denen die Menschen verhungern, nutzt das überhaupt nichts. Daher ist es gut,
dass wir den Global Fund haben, der mit großer Fachkenntnis versucht, vernünftige Strategien zu verfolgen.
({2})
Wir haben ein weiteres Problem. Wenn wir Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder HIV/
Aids bekämpfen wollen, brauchen wir nicht nur eine Diagnose, aus der hervorgeht, wo diese Krankheiten auftreten, sondern auch eine Therapie. Bei der Therapie ist es
zuallererst wichtig, zu wissen, was man machen kann,
ob es überhaupt wirksame Medikamente gibt. Wie wir
wissen - das wurde schon angesprochen -, sind seit 30,
40 Jahren keine neuen Medikamente gegen Tuberkulose
auf den Markt gekommen. Vielmehr versucht man neue
Kombinationen. Auch das, was gerade ausprobiert wird,
sind Medikamente, die es schon gibt und die man nun
daraufhin testet, ob sie bei Tuberkulose Linderung bringen. Es muss viel mehr geforscht werden, damit neue,
wirksame Medikamente zur Bekämpfung dieser schweren Seuchen entwickelt werden. Hier gibt es gute Ansätze.
Ich bin sehr begeistert von Netzwerken, die sich inzwischen gebildet haben und die sich zusammentun, um
neue Produkte zu entwickeln. Diese Netzwerke sind aber
sehr differenziert zu sehen. Es gibt Netzwerke, die auf
Patentjagd sind. Diese Netzwerke versuchen, an Geld zu
kommen. Dort forscht man gemeinsam, was auch
schneller geht. Dann aber einigt man sich darauf, wer
das Monopol verwerten darf. Das nützt uns nicht viel.
Solche Netzwerke dienen den Aktionären, um hohe Rendite zu erzielen. Der Nutzen kommt also nicht bei den
Menschen an, die die Medikamente brauchen.
Es gibt aber auch positive Beispiele. Ich möchte hier
das DNDi nennen; das ist die Drugs for Neglected Diseases Initiative. Diese Initiative hat ein phantastisches
Medikament gegen Malaria entwickelt. Es bestand von
vornherein der Anspruch, dass dieses Medikament patentfrei sein wird. Auch arme Länder können es also selber herstellen. In Ghana haben wir eine solche Fabrik
gesehen. Wir wissen, dass sich auch große Pharmaunternehmen, die sonst hinter den Patenten herjagen, über
diese Möglichkeit Gedanken machen und sich dafür einsetzen. Dort sagt man: Das geht so nicht weiter, wir müssen unsere Strategie ändern. - An der Entwicklung des
neuen Malaria-Medikamentes ist zum Beispiel die Firma
Sanofi-Aventis beteiligt. Sie verzichtet auf Ansprüche.
Ich erwähne diese Firma, weil dies ein positives Beispiel
ist. Das muss man auch einmal loben.
({3})
Die Medikamente, die vom DNDi-Netzwerk entwickelt worden sind - das sind Artemisinin und Amodiaquin-Kombinationen -, gibt es jetzt überall. Sie sehen sie
überall: Sie werden überall verkauft und in vielen Ländern hergestellt. Sie sind spottbillig und sehr wirksam,
wahrscheinlich noch viel wirksamer als so manches Medikament, das hier in Deutschland patentgeschützt in der
Apotheke gekauft werden kann. Dieses Medikament ist
in Deutschland nicht zugelassen. Wieso eigentlich nicht?
Darüber kann man nachdenken, aber das mache ich dann
im Gesundheitsausschuss.
Wenn wir über Entwicklungshilfe reden, dann reden
wir über Geld. Wir müssen aber aufpassen, dass wir
Geld nicht als Ablass verstehen und uns nicht freikaufen.
Wir haben eine Schuld. Wir sind auch schuld daran, dass
es den Menschen in anderen Ländern so schlecht geht.
Wir sehen die Gewaltökonomien und den Waffenhandel,
wobei ich mit wir die reichen Länder meine. Wir wissen, dass sexualisierte Gewalt ausgeübt wird. Es geht
nicht um sexuelle Gewalt - Karin Kortmann hat das neulich sehr differenziert dargestellt -, sondern um sexualisierte Gewalt. Es ist Gewalt mittels Sexualität, um Menschen zu entwürdigen.
({4})
Das ist ein Mittel der Kriegsführung, mit dem die Menschenwürde mit Füßen getreten und noch Schlimmeres
angerichtet wird.
Wenn wir politische Verhältnisse tolerieren, in denen
sich Warlords ausbreiten können und Waffenhändler ihre
Geschäfte machen können, dann werden wir sehr darauf
achten müssen, dass wir dann, wenn wir Hilfe beispielsweise nach Darfur schicken -
Herr Kollege Wodarg, das ist ein sehr wichtiges
Thema. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch. Deshalb
habe ich Ihnen auch die zwei Minuten Redezeit der Kollegin Kortmann nicht abgezogen. Ich bitte Sie aber, jetzt
wirklich einen Schlusssatz zu formulieren.
Danke. - Der Schluss ist: Es ist gut, dass wir Geld geben. Das darf uns aber nicht trösten. Wir bleiben an dem,
was in der Welt passiert, schuldig. Wir müssen politisch
darauf hinwirken, dass wir die Probleme ursächlich bekämpfen und sich die Verhältnisse ändern.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/6398 mit dem Titel Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria stärken.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag bei Enthaltung der
Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
komme ich auf den Tagesordnungspunkt 22 zurück. Es
handelt sich um den bereits gestern an die Ausschüsse
überwiesenen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 16/6399 zu der Regierungskonferenz zur Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union. Es ist interfraktionell vereinbart, dass
dieser Antrag nachträglich an den Ausschuss für Kultur
und Medien überwiesen werden soll. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck ({0}), Winfried Hermann,
Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechtslage im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing
- Drucksache 16/6175 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der
Vergabe der Sommerspiele an Peking vor sieben Jahren
verband sich die Hoffnung auf eine weitere Öffnung
Chinas und auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in diesem Land. Mit der heutigen Debatte zeigen
wir, dass wir als Deutscher Bundestag und als Bundesrepublik Deutschland die Chinesen beim Wort nehmen
und genau hinschauen, wie die Situation tatsächlich ist,
und das Ganze parlamentarisch begleiten werden. Mit
der Großen Anfrage meiner Fraktion machen wir heute
sozusagen den Auftakt. Aber wir werden im Januar noch
eine gemeinsame Anhörung von Menschenrechts- und
Sportausschuss haben. Das zeigt, dass dieses Thema
dem gesamten Deutschen Bundestag sehr wichtig ist.
Die Hoffnung, die sich mit den Olympischen Spielen
verband, ist nicht tot, hat sich aber bislang auch nicht erfüllt; das müssen wir ganz deutlich sagen. Das Bild sieht
differenziert aus. Wenn man die Chinesinnen und Chine12054
Volker Beck ({0})
sen fragt, werden sicherlich viele von ihnen sagen, dass
die Menschenrechtslage inzwischen etwas besser ist, als
sie einmal war. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen, um
den Dialog mit den Chinesinnen und Chinesen weiter
glaubwürdig fortzusetzen.
Von der chinesischen Regierung hört man immer wieder, sie sei sich der noch existenten Probleme bewusst,
brauche aber Zeit und es dürfe vor allem keinen Druck
von außen geben. Letzteres befürworte ich sicher nicht.
In der sogenannten westlichen Welt häufen sich in letzter
Zeit die Berichte über verseuchtes Spielzeug, Umweltkatastrophen, Enteignungen ohne Entschädigung beim
Bau der olympischen Stätten und über die insgesamt
schlechte Menschenrechtslage. Es gibt gravierende
Menschenrechtsprobleme in China, etwa die eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit, obwohl versprochen war, dass Pressefreiheit die Olympischen
Spiele begleiten wird. Natürlich haben wir damit die
Hoffnung verbunden, dass dies nicht nur für ausländische Journalisten, sondern auch für die chinesischen
Journalistinnen und Journalisten gilt.
({1})
Die Verfolgung und Diskriminierung von ethnischen
und religiösen Minderheiten ist ein großes Problem in
Bezug auf die Situation in Tibet, bei den Uiguren im
Westen Chinas, aber auch der Katholiken und der Anhänger von Falun Gong. Die Zwangsenteignungen bei
den Vorbereitungen der Olympiade sind ein Skandal und
dürfen uns nicht ruhen lassen.
({2})
Das System der Arbeits- und Umerziehungslager haben wir als Deutscher Bundestag schon offiziell gerügt,
was uns leider Gottes eine Ausladung des Menschenrechtsausschusses für den Oktober dieses Jahres eingebracht hat. Einerseits merken wir daran, dass man uns
ernst nimmt und unsere Reaktionen zur Kenntnis nimmt.
Andererseits soll man aber nicht glauben, dass man uns
durch eine Rücknahme der Einladung, sich die Lage einmal anzuschauen, davon abhalten kann, das Land weiter
aufmerksam zu beobachten.
({3})
Es muss uns schon sehr misstrauisch machen, wenn man
den Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages und seine Besuche in diesem Land fürchtet.
Herr Kollege Leutert, wir haben uns gestern im Obleutegespräch darüber unterhalten: Ich finde es richtig,
dass wir ein Thema aufgegriffen und uns als Bundestag
klar dazu verhalten haben. Ich teile Ihre Auffassung, wonach man durch Leisetreterei vielleicht eine Reise mehr
gemacht hätte, ausdrücklich nicht. Gerade bei Menschenrechten darf sich der Deutsche Bundestag nicht
von ausländischen Staaten erpressen lassen, sondern
muss die Wahrheit aussprechen. Die Dinge beim Namen
zu nennen, ist das Einzige, was den Menschen in diesen
Ländern hilft.
({4})
Die chinesische Regierung versucht, Frau Merkel davon abzuhalten, den Dalai Lama zu treffen. Ich hoffe,
Frau Merkel wird bei ihrer Linie bleiben und sich da
nicht hineinreden lassen.
Ausländische Medienvertreterinnen und Medienvertreter wurden bei der Fußball-WM der Frauen beobachtet und bespitzelt. Das sind alles Vorgänge, die uns nicht
ruhen lassen und die zeigen, dass die Chinesen ihr Wort
nicht halten.
China ist vor kurzem in den Menschenrechtsrat der
Vereinten Nationen gewählt worden. Es hat sich bei dieser Gelegenheit verpflichtet, den Internationalen Pakt
über bürgerliche und politische Rechte zu unterzeichnen.
China gehört zusammen mit Ländern wie Sudan und
Saudi-Arabien zu den wenigen Ländern, die diesen Pakt,
der die menschenrechtlichen Minimalstandards klärt,
noch nicht unterzeichnet haben. Die Bundesregierung
sollte in allen Gesprächen möglichst viel Druck dahin
gehend machen, dass China diesem Menschenrechtspakt
endlich beitritt. Das wäre ein klares Signal, und die Chinesen haben ihn ja bereits akzeptiert.
Vielleicht gelingt es uns, ein Projekt voranzubringen,
bei dem wir mit den Chinesinnen und Chinesen schon
ein Stück weitergekommen sind, nämlich bei der Abschaffung und Eindämmung der Todesstrafe. Die Todesstrafe wurde von den Chinesen einem neuen Rechtsverfahren unterworfen; der Oberste Gerichtshof muss die
Todesurteile bestätigen. Das ist ein richtiger Schritt, den
wir ausdrücklich unterstützen. Leider scheint die Implementierung dieses rechtlichen Verfahrens seine Wirkung
bislang nicht ausreichend zu entfalten: Amnesty International berichtet uns, dass in China allein im letzten Jahr,
2006, 1 010 Todesurteile vollstreckt und 2 790 Todesurteile ausgesprochen wurden.
Wir sollten klarmachen, dass wir sehen, wo Fortschritte zu verzeichnen sind. Wir sollten aber auch klarmachen, dass wir jetzt die Konsequenzen des richtigen
Schritts, die Todesstrafe einem neuen Rechtsverfahren
zu unterwerfen, sehen wollen. Die Unterzeichnung des
Internationalen Pakts über bürgerliche und politische
Rechte würde dazu führen, dass man die Todesstrafe,
wenn überhaupt, nur noch bei schwersten Verbrechen
verhängen darf, und das ist in China bis heute leider
nicht der Fall. Dort ist die Palette der Straftaten, die mit
der Todesstrafe geahndet werden, noch sehr groß.
Wir fordern hier kleine Schritte ein. Wir sehen uns bemüßigt, dafür zu sorgen, dass wir hier Schritt für Schritt
vorankommen.
Kollege Beck, ich habe gehofft, dass Sie einen
Schlusssatz bilden können.
Ich bedanke mich bei der Präsidentin, dass sie mir für
den letzten Schritt in meiner Rede noch eine Minute gegönnt hat.
({0})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Holger
Haibach das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir beim
Thema China sind, möchte ich an ein schönes Sprichwort erinnern: Auch der längste Weg beginnt mit dem
ersten Schritt. Es ist richtig, dass wir heute über China
und die dortige Menschenrechtslage sprechen. Ich freue
mich, dass der Kollege Beck eindeutige Worte gefunden
hat.
Mir ist immer noch nicht ganz klar, warum die Debatte über diese Große Anfrage ausgerechnet heute auf
der Tagesordnung steht. Normalerweise wird die Debatte über eine Große Anfrage auf die Tagesordnung gesetzt, wenn sie eingebracht wird oder wenn die Antwort
darauf vorliegt. Darüber in der Zwischenzeit zu diskutieren, ist ein eher ungewöhnliches Verfahren. Nichtsdestoweniger ist es sicherlich ein wichtiges Thema, und das
wollen wir natürlich mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit angehen.
({0})
Ich bin über die klaren Worte, die gefunden worden
sind, sehr froh. Ich kann sie in vielen Teilen durchaus
unterstützen. Ich bin auch froh, dass die Bundesregierung und die Koalition, die sie trägt, klare Worte zu dem
finden, was in China vor sich geht. Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass die Bundeskanzlerin und auch
der Außenminister bei verschiedenen Treffen klargemacht haben, dass die Menschenrechtslage für uns eine
ganz wichtige Angelegenheit ist und dass es nicht immer
wieder den vielzitierten Gegensatz zwischen Wirtschaftsinteressen und Menschenrechtsinteressen geben
muss. Man kann durchaus deutlich sagen, was man über
die Menschenrechtslage in einem Land denkt, ohne dass
das bedeutet, dass am Ende des Tages keine wirtschaftlichen Beziehungen mehr möglich sind.
({1})
Das sage ich auch im Namen aller Mitglieder des Tibet-Gesprächskreises des Deutschen Bundestages, dessen Vorsitzender ich bin. Ich bin ausgesprochen froh,
dass Frau Merkel sich mit dem Dalai Lama trifft und ein
klares Zeichen setzt. Dass dieses Zeichen etwas gebracht
hat, sieht man daran, dass zum Beispiel auch der österreichische Bundeskanzler Gusenbauer sich mit dem
Dalai Lama getroffen hat, und auch daran, dass plötzlich
andere ganz begierig auf ein solches Treffen sind.
Einer, der in solchen Fragen sonst sicherlich nicht immer sofort zitiert wird, ist der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Er pflegt schon lange intensive Beziehungen zu dem Dalai Lama und hat sich immer für
die Sache Tibets eingesetzt. Morgen wird er in meinem
Wahlkreis den Dalai Lama im Rahmen einer großen Versammlung empfangen. Roland Koch hat am Montag im
Spiegel zu Recht gesagt, dass die Tatsache, dass man
sich eines Problems eines Landes annimmt, nicht automatisch heißt, dass es keine wirtschaftlichen Verbindungen mit diesem Land geben kann.
Ich glaube, dass es am Ende des Tages ganz wichtig
ist, den richtigen Ton zu treffen. Das hat die Bundesregierung getan, und wir als Koalition unterstützen sie in
diesem Vorgehen.
({2})
Man kann feststellen, dass die Menschenrechtslage in
China Licht und Schatten hat. Sicher, es gibt gewisse
Fortschritte. Zu nennen ist das Thema Presse- und Meinungsfreiheit im Vorfeld der Olympischen Spiele. Wir
wollen natürlich, dass die Fortschritte, die erreicht worden sind, nicht nur für ausländische Journalisten, sondern auch für chinesische Journalisten gelten. Wir wollen, dass sie nicht nur bis zu den Olympischen Spielen
gelten, sondern dass sie immer und allgegenwärtig gelten, damit so etwas wie freie Presse und Berichterstattung - ein ganz wichtiger Bestandteil von Demokratie wirklich auf Dauer gewährleistet sind.
Das gilt ebenfalls für einen zweiten Bereich: das Internet. China ist zu einem der Länder mit den meisten Internetnutzern geworden. Schätzungen gehen von etwa
140 bis 150 Millionen Menschen aus. Das ist eine gewaltige Zahl. Die Tatsache, dass die chinesische Regierung relativ wenig unterlassen hat, um unliebsame ausländische Seiten zu blocken - also zu verhindern, dass
sie aufgerufen werden können -, und die Tatsache, dass
die chinesische Regierung es geschafft hat, dass einige
westliche Suchmaschinen sich den Kriterien Chinas unterworfen haben, zeigen natürlich deutlich, dass auch die
chinesische Seite erkannt hat, welch gewaltige Wirkung
das Internet haben kann.
Hier haben wir als Deutscher Bundestag auch auf internationaler Ebene die Pflicht, finde ich, Meinungsfreiheit zu verteidigen und einzufordern.
({3})
Das gilt nicht nur für die Meinungsfreiheit. Das gilt
natürlich auch in besonderem Maße dafür, dass jemand
seinen Glauben leben kann. Die Frage der Religionsfreiheit in China verfolgen wir schon sehr lange. Wir konnten durchaus bestimmte positive Entwicklungen feststellen. So gibt es sicherlich wesentlich mehr Bibeln als zur
Zeit der maoistischen Regierung nach der damaligen Re12056
volution. Aber trotzdem ist die Lage für Gläubige immer
noch sehr schwierig, zumindest für diejenigen, die sich
nicht unter das Diktat des Staates stellen wollen und die
in ihren Kirchen unabhängig vom chinesischen Staat
weiterhin ihren eigenen Glauben leben wollen.
Der Vatikan hat da offensichtlich etwas erreicht. Vor
kurzem konnten Berufungen von Bischöfen in China tatsächlich im Einvernehmen zwischen Vatikan und chinesischer Regierung erfolgen.
Nichtsdestoweniger muss es unser Ziel sein, jedem
den Glauben zu ermöglichen, der ihm nun einmal am
nächsten ist. Das gilt für die Christen. Das gilt für die
Tibeter. Das gilt auch für die Uiguren. Das gilt für jeden
in diesem Land. Auch die Religionsfreiheit ist also ein
wichtiges Ziel, auf das wir hinarbeiten müssen.
Auf die Todesstrafe ist der Kollege Beck schon eingegangen. Dazu möchte ich keine längeren Ausführungen
machen. Die internationale Staatengemeinschaft spielt
bei allen diesen Fragen eine wichtige Rolle.
Um nicht nur ein schwarzes Bild zu malen, will ich
auch darauf hinweisen, dass China uns an der einen oder
anderen Stelle durchaus weitergeholfen hat. Denken wir
zum Beispiel an das Atomwaffenprogramm Nordkoreas!
Keine einzige Möglichkeit hätte es gegeben, Nordkorea
zu einem Einlenken zu bewegen, wenn die Chinesen
nicht den entsprechenden Druck ausgeübt hätten. Sosehr
man sich darüber auseinandersetzen kann, was die Wirksamkeit der Sicherheitsratsresolution zu Darfur betrifft,
so sehr muss aber auch klar sein: Ohne den Einfluss Chinas auf die Regierung in Khartoum wäre es nicht möglich gewesen, zu dieser Resolution zu kommen. Das sind
ermutigende Zeichen, die wir durchaus zur Kenntnis
nehmen sollten.
({4})
China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern wird immer mehr zu einer Macht, mit der gerechnet werden
muss. Das macht sich in vielen verschiedenen Bereichen
bemerkbar. China hat auch einen größeren Einfluss auf
internationale Einrichtungen, zum Beispiel auf den Menschenrechtsrat und auf andere Gremien innerhalb der
UN. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir den Dialog
pflegen. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir zwar deutlich sagen, was wir wollen, aber auch versuchen, China
auf unsere Seite zu ziehen und klarzumachen, dass unsere Ziele ehrenhaft sind und dass wir uns an dieser
Stelle wirklich für die Menschenrechte einsetzen.
Ich denke, dass wir die Entwicklung weiterhin beobachten müssen. Ich habe es sehr bedauert, dass wir,
aus welchen Gründen auch immer, nicht die Möglichkeit
haben, im Oktober mit einer Delegation des Menschenrechtsausschusses nach China zu reisen. Gleichzeitig
gab es eine Anfrage an den Auswärtigen Ausschuss des
Deutschen Bundestages, eine Delegation des Auswärtigen Ausschusses des chinesischen Volkskongresses zu
empfangen. Ich persönlich habe die Meinung vertreten,
dass wir die chinesischen Kolleginnen und Kollegen
empfangen sollten. Aber ich habe den Vorsitzenden des
Auswärtigen Ausschusses auch gebeten, deutlich zu machen, dass es der Wunsch des gesamten Deutschen Bundestages ist, dass der Menschenrechtsausschuss des
Deutschen Bundestages in jedes Land reisen kann, also
im nächsten Jahr auch nach China.
({5})
Denn was bewirkt es eigentlich, wenn keine Einladung ausgesprochen wird? Es bewirkt im Wesentlichen
eines: nämlich dass bei demjenigen, der nicht kommen
darf, der Verdacht entsteht, es gebe Dinge, die nicht gezeigt werden dürften. Was könnte unsere Zweifel und
unsere Schwierigkeiten mit China besser entkräften als
die Tatsache, dass wir einreisen dürfen? Dann könnten
wir uns mit eigenen Augen ein Bild machen und uns
über das, was wir in China sehen, Gedanken machen.
Danach könnten wir mit einem anderen Bild oder auch
dem gleichen, aber auf jeden Fall mit klaren Empfehlungen, wie wir in dieser Angelegenheit weiterhin verfahren, zurückkommen.
Man muss versuchen, ohne Zorn sowie mit der gebotenen Sachlichkeit und Deutlichkeit an das Ganze heranzugehen. Dass das funktioniert, haben viele Beispiele in
der letzten Zeit gezeigt. Ich denke, wir werden, wenn wir
an unserem Kurs festhalten - wenn wir ein deutliches
Wort reden, was die Frage betrifft, ob wir miteinander
reden können und wie wir miteinander verhandeln können, aber auf der anderen Seite kooperativ sind -, sicherlich Erfolg haben.
Herzlichen Dank.
({6})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Burkhardt
Müller-Sönksen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Haibach, Sie haben ein schönes chinesisches Sprichwort bemüht: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Aber da wir heute im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen über China
sprechen, lassen Sie mich sagen, dass wir für die Chinesen besser den Dreisprung ansetzen. Die Menschenrechtssituation in China erfordert nicht nur einen kleinen
Trippelschritt, sondern einen Ruck. Wenn es schon um
die Olympischen Spiele geht, sollte der olympische Ehrgeiz beim Dreisprung der Maßstab für die Menschenrechtsdebatte sein.
({0})
Als China 2001 den Zuschlag für die Olympischen
Spiele 2008 erhielt, versprach die Führung der Kommunistischen Partei eine spürbare Verbesserung der Menschenrechtssituation. Es war die Hoffnung auf eine politische Öffnung, die viele Länder damals bewog, die
Olympischen Spiele nach Peking zu vergeben. Knapp
ein Jahr vor Beginn der Olympischen Spiele am
8. August 2008 müssen wir ernüchtert zur Kenntnis nehBurkhardt Müller-Sönksen
men, dass viele der Versprechungen bisher nicht erfüllt
worden sind. Unliebsame Kritiker, Menschenrechtsverteidiger und Gläubige, die sich außerhalb der staatlich
sanktionierten religiösen Gemeinden bewegen, werden
mehr denn je bedroht und inhaftiert. Nationale Minderheiten wie Tibeter und Uiguren werden weiterhin diskriminiert und sind willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt.
Nach wie vor werden in der Volksrepublik weltweit die
meisten Todesurteile vollstreckt.
Einen dieser eklatanten Missstände, den Betrieb menschenverachtender Arbeitslager zur Umerziehung, die
sogenannten Laogai-Lager, hat der Deutsche Bundestag
auf Initiative meiner Fraktion im Mai einhellig verurteilt.
Dennoch gibt es - das will ich nicht verschweigen hier und da einen kleinen Hoffnungsschimmer. Diese
reichen zwar nicht aus, gehen aber immerhin in die richtige Richtung. Ein positives Beispiel ist die Anfang 2007
eingeführte Überprüfung von Todesurteilen durch den
Obersten Gerichtshof. Es ist zu hoffen, dass dadurch die
Zahl der vollstreckten Todesurteile gesenkt werden
kann. Dennoch können auch heute noch 68 Straftatbestände, unter anderem Steuerhinterziehung, mit der Todesstrafe belegt werden, was kein gutes Bild hinterlässt.
Ein weiteres positives Beispiel sind die seit Januar
2007 gelockerten Bestimmungen für die Arbeit ausländischer Journalisten. Die Kollegen sind darauf eingegangen. Für uns ist natürlich unerträglich, dass es eine Pressefreiheit erster und zweiter Klasse gibt, damit im Falle
der ausländischen Journalisten im Ausland ein guter
Schein gewahrt werden kann. Sie dürfen ohne vorherige
Anfrage und Genehmigung Interviews führen. Für die
inländischen Journalisten gilt dies nicht; Herr Kollege
Haibach und Herr Kollege Beck wiesen darauf hin. In
diesem Bereich gibt es in China Licht und Schatten.
Die chinesische Regierung betrachtet die Austragung
der Olympischen Spiele als nationales Prestigeobjekt
ersten Ranges, denn Olympia ist aus chinesischer Sicht
kein bloßes Sportereignis; vielmehr soll es der Welt zeigen, dass China eine Großmacht geworden ist. Die
Olympischen Spiele werden deshalb ein sportliches wie
auch ein politisches Großereignis werden.
Das Dilemma, in das sich die chinesische Führung
durch ihren Ehrgeiz selbst hineinmanövriert hat, ist
heute unsere Chance. Einerseits will das Land agieren
und gerade auch in Europa und den USA anerkannt und
respektiert werden. Andererseits ist das Land aber kaum
bereit, nach innen oder außen eine dementsprechend verantwortungsvolle Politik zu machen. Wer auf der einen
Seite zu Hause Inhaftierungslager betreibt, zensiert und
willkürlich verhaftet sowie auf internationaler Ebene um
des lieben Öls willen einen Genozid im Sudan billigend
in Kauf nimmt, der kann auf der anderen Seite nicht unsere uneingeschränkte Zuneigung erwarten.
Dieses Dilemma ist der chinesischen Führung offensichtlich mehr und mehr bewusst, und es ist zu hoffen,
dass die Olympischen Spiele diesen Bewusstseinswandel noch weiter beschleunigen und im Ergebnis zu Verbesserungen führen, die von Dauer sind.
Ich halte es für wichtig, dass diejenigen Politiker,
Journalisten, Sportfans und Touristen, die zu den Olympischen Spielen nach Peking fahren, sich dort nicht nur
für den Sport interessieren. Vielmehr sollten sie diese
Gelegenheit nutzen, um sich mit Menschenrechtsaktivisten zu treffen und Gespräche mit ihnen zu führen sowie
nach ihnen zu fragen, um ihnen dadurch Rückendeckung
zu geben. Insofern können alle Beteiligten die Chance
nutzen, dass die Olympischen Spiele in Beijing 2008
auch Spiele für die Menschenrechte der Welt werden.
Es ist bereits richtigerweise gesagt worden, dass die
Bundeskanzlerin am nächsten Wochenende als erste
deutsche Regierungschefin den Dalai Lama treffen wird.
Ich halte das für ein sehr gutes Zeichen. Sie greift damit
- lassen Sie mich das abschließend sagen - eine sehr
gute liberale Tradition der Unterstützung für das tibetische Volk auf, die in Deutschland jahrzehntelang maßgeblich Otto Graf Lambsdorff geprägt hat, und das ist
auch gut so.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die vor wenigen Jahren getroffene Entscheidung zur
Vergabe der Olympischen Sommerspiele nach Peking ist
- ich formuliere es einmal zurückhaltend - in der Welt
nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen.
({0})
Der Vizepräsident Liu Jingmin, seinerzeit Vizepräsident
des Bewerbungskomitees der Chinesen, verbrämte dies
allerdings etwas mit der Feststellung, die Vergabe der
Olympischen Spiele helfe auch der Entwicklung der
Menschenrechte.
Wir müssen den Wert dieser Worte heute an dem messen, was tatsächlich geschehen ist, an dem, was wir
heute sehen und womit wir es heute zu tun haben. Deshalb wähle ich auch eine etwas andere Sichtweise auf
diese Ereignisse: Das, was wir sehen und was passieren
wird, ist zwar ganz wesentlich, aber nicht nur eine Sache
der Politik, eine Sache der öffentlichen Gemeinschaft,
sondern es ist auch eine Sache derjenigen, die diese
Olympischen Spiele in Peking veranstalten, die letztendlich die Verantwortung dafür haben, was dort vor Ort bei
diesem Fest der Jugend der Welt passiert.
Ich zitiere aus der Charta des IOC; sie besagt, sinngemäß übersetzt: Die olympische Idee ist neben der Freude
und der sportlichen Leistung auch auf universelle, auf
fundamentale Prinzipien zurückzuführen, auf die Wahrung der Würde des Menschen, auf die Ablehnung jeglicher Form von Diskriminierung und das Ziel einer friedlichen und besseren Welt. - Man sollte auch die Damen
und Herren des IOC - ich werde darauf noch zurückkommen - an diese Werte der Olympischen Spiele erinnern. Dann könnten wir im nächsten Jahr vielleicht auch
beruhigter nach Peking fahren.
({1})
Hierauf basiert im Übrigen - auch das sollte man zitieren, und auch darauf sollte man sich beziehen - ein
Positionspapier des Deutschen Olympischen Sportbundes, ebenfalls aus dem Jahr 2001, mit der Überschrift
Die Olympischen Spiele in Peking und die Menschenrechte in China. Darin werden als wesentliche Ziele, die
man damit verbindet, explizit die Abschaffung der Todesstrafe, die Ächtung der Folter, die Bewegungsfreiheit
aller Journalisten, eine Amnestie für politische Gefangene sowie eine Entschädigung bei Enteignung genannt.
Wir werden demnächst eine gemeinsame Anhörung
des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe und des Sportausschusses zu diesem Thema durchführen und werden dies bei dieser Gelegenheit den offiziellen Vertreterinnen und Vertretern des deutschen
Sports vorhalten. Wir würden gerne wissen, ob sie in ihrem Umfeld darauf hinwirken, dass diese Ziele verwirklicht werden.
Wir haben bereits an vielen Stellen über Menschenrechtsverletzungen gesprochen. Ich will das nicht alles
wiederholen, sondern möchte nur einen meiner Meinung
nach besonders zynischen Aspekt der Diskussion über
die Todesstrafe hinzufügen. Wie völlig zu Recht gesagt
wurde, sind in dieser Hinsicht Fortschritte zu erkennen.
Es gibt dort einen rechtsstaatlichen Weg der Bestätigung
der Todesurteile durch das oberste Gericht, aber es gibt
auch etwas, was ich in der letzten Woche in einem Bericht von Reportern von Amnesty International gelesen
habe, dass nämlich Menschen, die zum Tode verurteilt
worden sind, vor ihrer Hinrichtung zur sogenannten Vorbereitung auf ihre Hinrichtung unter anderem auch in
Stadien deportiert werden. Meine Damen und Herren,
wenn man über Menschenrechte spricht, dann ist das
- ich glaube, da gibt es überhaupt keinen Dissens - der
Gipfel des Zynismus. Das gab es in vielen Situationen,
zum Beispiel in Chile und anderswo. Wenn in solchen
Stadien Spiele der Weltjugend stattfinden, dann darf man
dazu meiner Meinung nach nicht schweigen, sondern
sollte sagen, dass das nun überhaupt nicht geht.
({2})
Die Probleme der Pressefreiheit sind bereits angesprochen worden. Ich erinnere an ein Gespräch mit dem
chinesischen Botschafter vor etwa sechs Monaten, bei
dem einige der Kolleginnen und Kollegen auch anwesend waren. Ich will es jetzt gar nicht vertiefen, aber ich
fand eine Bemerkung des Botschafters sehr interessant,
die sinngemäß wie folgt lautete: Natürlich ist gewährleistet, dass die internationalen Journalisten während der
Olympischen Spiele Zugang zu allen Informationen haben können, die sie brauchen. Ich meine, wir sollten.
diese Einschränkung während der Olympischen Spiele
sehr genau zur Kenntnis nehmen und darauf drängen,
dass auch nach Beendigung der Olympischen Spiele an
dieser Stelle natürlich nicht Schluss sein darf.
Wir sollten auch unsere eigenen Journalisten daran erinnern, dass es selbst dann, wenn, wie es im Moment jedenfalls der Fall ist, die Pressemitteilungen der internationalen Journalisten noch zensiert werden, durchaus
richtig und wichtig ist, auch im Rahmen der Olympischen Spiele über Tabuthemen wie Falun Gong oder die
furchtbare, menschenunwürdige Situation in Tibet zu
schreiben. Unsere Bürgerinnen und Bürger haben ein
Anrecht darauf zu erfahren, was dort tatsächlich los ist.
Ich möchte noch kurz zwei Bereiche streifen, die aus
meiner Sicht unmittelbar im Zusammenhang mit den
Olympischen Spielen eine ganz erhebliche menschenrechtliche, aber auch bürgerrechtliche Relevanz haben.
Das ist zum einen der Umstand, dass in vielen chinesischen Städten - ich nenne es einfach einmal so, weil es
so ist - Säuberungsaktionen durchgeführt werden. Dabei
geht es nicht darum, Graffiti zu entfernen oder Unrat zu
beseitigen, sondern dabei geht es darum - man beachte
den Begriff Säuberung -, Bettler, Straßenhändler und
Wanderarbeiter aus den Innenstädten zu vertreiben und
unter menschenunwürdigen Umständen in Lager einzusperren, um die Städte so herzurichten, dass man glaubt,
man könne sie den ausländischen Besucherinnen und
Besuchern vorführen.
Auch an dieser Stelle ist die Politik gefordert. Das
brauchen wir nicht. Wir brauchen keine sterilen Olympischen Spiele auf Kosten der Menschen, auf Kosten der
Ärmsten in China, die irgendwohin vertrieben werden,
wo ihr Leben und ihre Menschenwürde nicht mehr gewährleistet sind. Meiner Meinung nach gehört auch dies
zur öffentlichen Diskussion.
({3})
Ich komme zu einem letzten Punkt, der ebenfalls noch
keine Erwähnung gefunden hat. Es gibt auch - unter
anderem bei dpa veröffentlicht - einen Bericht des Kongresses der International Trade Union Congress Confederation, also der internationalen Gewerkschaftsbewegung,
bezüglich der Produktionsstätten für Fanartikel in China.
Was dort berichtet wird, erinnert zumindest mich an das,
was man hier vielleicht noch so nennen darf, nämlich an
die Vorzeit des Manchesterkapitalismus: Kinderarbeit,
kein Arbeitsschutz, unerträglich lange Arbeitszeiten, und
das alles zur Produktion von Fanartikeln, die wir in den
nächsten Jahren tragen sollen. Ich glaube, auch diesbezüglich müssen klare Signale gesetzt werden. Wenn wir
erfahren, woher solche Produkte kommen, ist es aus
meiner Sicht angemessen, diese Produkte zu boykottieren. Solche Produkte, die unter solchen Umständen produziert werden, brauchen wir in Deutschland und auf der
ganzen Welt überhaupt nicht.
({4})
Ich möchte noch einmal auf das Thema des Verhältnisses zwischen Sport und Politik zurückkommen, weil
ich meine, dass wir auch diesbezüglich Klarheit schaffen
sollten. Wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, aus
unserer eigenen Vergangenheit, dass Sport oft missbraucht wird, um eine Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Zustände vorzustellen, die das verdecken, was hinter
den Kulissen stattfindet und was die Sportlerinnen und
Sportler und die Touristinnen und Touristen nicht sehen.
Ich glaube, dass an dieser Stelle auch eine politische
Verantwortung der Sportverbände zu sehen ist. Wenn der
Chef der IOC-Koordinierungskommission, Hein
Verbruggen, mit Hinweis auf die - ich zitiere - traditionell entpolitisierte Rolle des Sports verlautbart, man
wolle sich nicht in politische Fragen verwickeln lassen,
dann widerspricht dies nach meiner Auffassung eklatant
dem olympischen Geist, der durch Völkerverständigung,
Frieden und Gerechtigkeit gekennzeichnet ist; auch dies
sollten wir in dieser Diskussion deutlich sagen.
({5})
Ich will nicht, dass ein Missverständnis entsteht. Man
gerät ja sehr schnell in den Verdacht, dass man den Menschen, insbesondere den Sportlerinnen und Sportlern,
dieses Ereignis nicht gönnt. Wir sollten klarmachen: Wir
wollen niemandem die Freude an einem glanzvollen Fest
nehmen, schon gar nicht den Sportlerinnen und Sportlern aus aller Welt, die sich teilweise seit Jahren unter
vielleicht höchsten Entbehrungen auf dieses sportliche
Lebensziel vorbereiten. Das ist nicht unser Ziel. Wir
wollen, dass die Olympischen Spiele so stattfinden, dass
alle etwas davon haben.
Das bedeutet aber auch - das wäre sicherlich ein gutes Ergebnis dieser Olympischen Spiele und würde dem
olympischen Geist entsprechen -: Der Glanz dieser weltumspannenden Ereignisse sollte nicht nur die Teilnehmerinnen und Teilnehmer treffen, und wir sollten nicht
nur, wie ich hoffe, mit dem Medaillenspiegel zufrieden
sein. Der Glanz der Olympischen Spiele sollte vielmehr
auch denjenigen helfen, die in China selbst unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Das ist für mich
die Verbindung von Menschenrechten und Politik.
Wenn das gelingt und wir dazu einen Beitrag leisten
können, dann ist dieses Ereignis aus meiner Sicht gelungen, und dann können wir alle uns weltweit darüber
freuen.
Herzlichen Dank.
({6})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Kern sind wir uns einig: Menschenrechte sind unteilbar und haben ohne Wenn und Aber überall, in jedem
Land, zu gelten.
({0})
Ich glaube, wir sind uns genauso darüber einig, dass soziale und politische Rechte nicht gegeneinandergestellt
werden dürfen und hier nicht differenziert werden darf.
Wenn es so ist, dass Menschenrechte unteilbar sind
- ich bin sehr gespannt auf die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung -, dann darf es
natürlich nicht sein, dass unterschiedliche ökonomische
Interessen zu unterschiedlichen Strategien bezüglich des
Schutzes der Menschenrechte in Bezug auf verschiedene
Länder führen. Unsere Strategien, unsere Methoden zum
Schutz der Menschenrechte müssen gegenüber China
oder den USA natürlich genauso gelten wie gegenüber
Kuba oder Saudi-Arabien. Ich glaube, auch in diesem
Punkt sind wir uns einig.
({1})
Herr Kollege Beck, Sie haben mich vorhin angesprochen. Ich verwahre mich dagegen: Ich habe nicht gesagt,
dass wir in Bezug auf China eine Politik auf leisen Sohlen machen sollten. Ich habe vielmehr gesagt, dass ich es
für sinnvoll halte, wenn wir erst in ein Land fahren - der
Menschenrechtsausschuss war zumindest in dieser Legislaturperiode noch nicht in China - und uns erst ein
Bild vor Ort machen und danach zu einer Meinung und
im Notfall auch zu einer Verurteilung kommen.
({2})
- Nach Guantánamo kommt man ja leider nicht; darauf
komme ich gleich noch zu sprechen.
({3})
Zu den Arbeitsbedingungen. Das Straflagersystem,
das Laogai-Lagersystem, wurde angesprochen. Wir alle
lehnen dieses Lagersystem ab. Herr Strässer, Sie haben
es gerade gesagt: Es geht nicht nur um die Arbeitsbedingungen in diesem Straflagersystem. Letztendlich muss
es uns generell um die Arbeitsbedingungen in China gehen. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Blick
auf die Lebensumstände der Wanderarbeiterinnen und
Wanderarbeiter werfen. Auch sie leben zum Teil in lagerähnlichen Einrichtungen. Die Arbeitsbedingungen dort
sind letztendlich nicht besser als die in dem LaogaiLagersystem.
Es hilft eben nicht, an die deutsche Wirtschaft einfach
nur Appelle zu richten, indem wir sagen: Wir boykottieren die dort hergestellten Produkte. Wir können auch
von Deutschland aus einen ganz konkreten Beitrag dazu
leisten, dass sich die Menschenrechtssituation in China
verbessert, indem man Firmen, die ihren Sitz in Deutschland haben, mit Sanktionen belegt, wenn sie in bestimmte Lieferketten eingebunden sind und damit solche
Zustände dulden, oder wenn sie sogar wissen, unter welchen Bedingungen ihre Produkte hergestellt werden.
Wir werden in nächster Zeit einen Antrag in das Parlament einbringen, der genau diese Frage thematisiert,
und die Schaffung einer Kontrollstelle in Deutschland
fordern, die ein solches Vorgehen kontrolliert und notfalls Sanktionen aussprechen kann.
Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass ich es
für verfehlt halte - ich habe das schon im Zusammenhang mit dem Antrag zum Laogai-Lager gesagt -, wenn
der US-Kongress als Kronzeuge in Sachen Menschenrechte herangezogen wird. Das entwertet die Drucksachen, egal von welcher Fraktion die Anträge stammen.
Es tut mir leid, aber die Vereinigten Staaten von Amerika - einige Stichwörter: Guantánamo, Abu Ghureib,
Todesstrafe und Folterdebatte - sind meines Erachtens
beim besten Willen kein glaubwürdiger Zeuge in Sachen
Menschenrechte.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel
Bahr ({1}), Paul K. Friedhoff, Heinz
Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Umlageverfahren U1 zur Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfall auf freiwillige Basis stellen
- Drucksachen 16/2674, 16/5282 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger
Wir nehmen den Beitrag des Kollegen Max
Straubinger für die Unionsfraktion, der Kollegin Jella
Teuchner für die SPD-Fraktion, des Kollegen Heinz
Lanfermann für die FDP-Fraktion, des Kollegen Frank
Spieth für die Fraktion Die Linke und der Kollegin
Birgitt Bender für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
zu Protokoll.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit zum Antrag der FDP mit dem
Titel Umlageverfahren U1 zur Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall auf freiwillige Basis stellen. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5282, den Antrag der FDP auf
Drucksache 16/2674 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthal-
tungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Be-
schlussempfehlung gegen die Stimmen der Antragsteller
angenommen.
1) Anlage 2
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,
Ulla Lötzer, Dr. Diether Dehm, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für solidarische Assoziierungsabkommen der
EU mit den zentralamerikanischen Staaten
und den Staaten der Andengemeinschaft
- Drucksachen 16/5045, 16/5983 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Sascha Raabe
Hellmut Königshaus
Heike Hänsel
Thilo Hoppe
Auch hierzu nehmen wir die Redebeiträge der Kolle-
ginnen und Kollegen zu Protokoll. Das betrifft die Kol-
legin Anette Hübinger für die Unionsfraktion, den Kol-
legen Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion, den
Kollegen Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion, die
Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke und
den Kollegen Thilo Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.2)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel Für solidarische Assoziierungsabkommen der EU
mit den zentralamerikanischen Staaten und den Staaten
der Andengemeinschaft. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5983, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5045
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kinderrechte in der Verfassung stärken
Drucksache 16/5005 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Beratung eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll.
Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist dies so beschlossen.
2) Anlage 3
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kinder haben Rechte. Kinderrechte sind Menschenrechte. Diese Slogans, diese Aussagen sind bekannt. Sie wurden gestern, am Weltkindertag, wieder
einmal stark bemüht.
Über 50 Jahre ist es her, dass die Vereinten Nationen
den Kindertag ins Leben gerufen haben. Der Anlass ist
heute so aktuell wie damals, international und natürlich
auch national bei uns in Deutschland.
({0})
Denn auch hier gibt es für die Kinderrechte noch eine
Menge zu tun.
Leider konnten, Sie, meine Damen und Herren von
der Großen Koalition, sich immer noch nicht zu der
längst überfälligen Stärkung der Kinderrechte in der Verfassung durchringen. Es ist aus grüner Sicht an der Zeit,
ein klares Signal zu setzen. Die Rechtsstellung von Kindern sollte grundgesetzlich verankert werden.
Natürlich genießen Kinder alle in der Verfassung formulierten Menschenrechte. In Art. 6 des Grundgesetzes
werden sie sogar explizit erwähnt:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die
staatliche Gemeinschaft.
Das wird Kindern bei weitem nicht gerecht. Wir müssen Kinder als eigenständige Akteure mit individuellen
Interessen in den Blick nehmen. Wir sind mit unserer
Forderung nicht allein. Auch das Deutsche Kinderhilfswerk, UNICEF und Altbundespräsident Roman Herzog
fordern seit Jahren, Kinderrechte in der Verfassung zu
verankern. Dies fordern auch wir Grünen.
({1})
Kinder sind Wesen mit eigener Menschenwürde und
einem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit. Häufig
wird aber vergessen, dass Kinder ihre Persönlichkeit zunächst entwickeln müssen, bevor sie diese entfalten können. Deshalb brauchen Kinder eine individuelle Förderung, eine gute Bildung und eine gesunde Umwelt.
Rechtliche Dimensionen, die dieser Tatsache gerecht
werden, sind derzeit nicht in der Verfassung verankert.
Die Rechte von Kindern verwirklichen sich in vielerlei Hinsicht in der Familie, gehen aber weit über das familiäre Leben hinaus. Wenn wir die Kinder- und Familienfreundlichkeit in allen Lebensbereichen verbessern
wollen, müssen wir den Kinderrechten einen entsprechenden Stellenwert einräumen und dürfen nicht nur
darüber reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Großen Koalition, das sage ich ganz entschieden in Ihre
Richtung. Denn seit Monaten versuchen wir, in der Kinderkommission gemeinsam darüber zu diskutieren, Kinderrechte in der Verfassung zu verankern. Nette Worte
- auch wenn sie von der Kanzlerin kommen; denn auch
sie äußert sich mittlerweile zu den Kinderrechten in der
Verfassung - reichen nicht aus.
Kollegin Haßelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?
Bitte.
Frau Kollegin Haßelmann, ist Ihnen bekannt, dass in
der Kinderkommission fraktionsübergreifend ein Fahrplan abgesprochen ist, der genau das Thema Kinderrechte in der Verfassung betrifft? Wir wollen das
Thema inhaltlich sehr intensiv behandeln und haben uns
verabredet, gemeinsam einen Weg zu finden und zu beschreiten.
Mir ist sehr wohl bekannt, lieber Kollege - das muss
auch Ihnen bekannt sein -, dass wir in der Kinderkommission seit Monaten darüber diskutieren, wenn nicht
sogar seit Jahren. Denn schon in der letzten Legislaturperiode haben wir uns mit dem Thema Kinderrechte in
der Verfassung beschäftigt. Sie wissen, dass wir für
eine Verfassungsänderung mehr als die Mehrheit von
Rot-Grün brauchten. Deshalb ist es in der letzten Legislaturperiode nicht gelungen, die Kinderrechte in der Verfassung zu verankern.
Mir ist auch bekannt, Herr Kollege, dass wir uns in
der Kinderkommission nicht verständigt haben. Wir haben lange und sehr viel diskutiert. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, sowohl in der SPD-Fraktion als auch
in der CDU/CSU-Fraktion und in der FDP-Fraktion, die
dies wollen. Aber keine Fraktion ist wie unsere Fraktion
insgesamt zu einer Initiative bereit. Deshalb haben wir
sie ja ergriffen. Denn es ist bislang nicht zu einem interfraktionellen Antrag gekommen.
Wir glauben, dass der Zeitpunkt gekommen ist, nicht
immer nur über Kinderrechte zu reden, sondern auch die
Kraft zu finden, sie parlamentarisch mit breiter Mehrheit
in der Verfassung zu verankern. Deshalb haben wir uns
zu einem Fraktionsantrag entschlossen; denn für einen
interfraktionellen Antrag sahen wir keine Perspektive.
Das werden mir sicherlich die Rednerinnen und Redner
der anderen Fraktionen bestätigen, in denen es keine
Mehrheiten dafür gibt, sondern individuell der Wunsch
einiger Kolleginnen und Kollegen besteht, das in die
Verfassung aufzunehmen.
({0})
Kollegin Haßelmann, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Kucharczyk?
Ist Ihnen bekannt - davon gehe ich aus -, dass es
hierzu einen einstimmigen Beschluss gibt?
Es gibt einen einstimmigen Beschluss der Kinderkommission. Aber ich frage Sie: Was soll UNICEF bzw.
das Kinderhilfswerk und was sollen die Kinder in diesem Land mit dem einstimmigen Beschluss der Kinderkommission anfangen?
({0})
Mit Verlaub: Ich schätze diese Kommission und die Kolleginnen und Kollegen, die in dieser Kommission sitzen,
sehr. Aber dadurch, dass eine Kommission des Deutschen Bundestages eine Absichtserklärung abgegeben
hat, sind die Kinderrechte noch nicht in der Verfassung
verankert. Dem Parlament liegt kein Antrag vor, der darauf zielt, die Kinderrechte in der Verfassung zu verankern. Denn hierzu hat die Große Koalition keine gemeinsame Auffassung; das ist ein Fakt.
({1})
- Sie können gerne noch mehr Fragen stellen. Aber das,
was ich gesagt habe, ist eine Tatsache.
Es reicht nicht aus, dass sich die Kinderkommission
des Bundestages dieses Themas annimmt, eine Anhörung dazu durchführt, dann aber nichts passiert. Es reicht
nicht aus, dass nur einige der Abgeordneten bereit sind,
die Kinderrechte endlich in der Verfassung zu verankern;
dass dem so ist, weiß ich, weil ich darüber viel mit den
Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichen
Fraktionen diskutiert habe. Um das zu realisieren, brauchen wir in diesem Hause eine Zweidrittelmehrheit. Dafür werben wir.
({2})
Wir brauchen keine weiteren Ankündigungen und
keine weiteren Debatten. Stellen Sie sich dem Dissens in
Ihrer Koalition und beseitigen Sie ihn! Legen Sie den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vor, damit die Kinderrechte in der Verfassung verankert werden und wir die Rechte der Kinder auf diesem
Wege endlich stärken.
Vielen Dank.
({3})
Nun hat die Kollegin Michaela Noll für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bevor ich mit meinem Redebeitrag beginne,
möchte ich einen lieben Gruß an unsere Kollegin Golze
senden, die ihre Rede zu Protokoll gegeben hat, weil ihr
Kind einen Unfall hatte. Auch wir sind Mütter bzw. Väter und haben Familie. Ich wünsche ihr und insbesondere
ihrem Kind - es ist noch sehr klein - alles Gute; ein
Schlüsselbeinbruch ist sehr unangenehm.
({0})
Am Anfang meines Debattenbeitrages stelle ich die
Frage: Ist heute ein guter Tag für die Kinder in Deutschland? Ich sage Ihnen klipp und klar: Heute ist ein guter
Tag. Die Kinderrechte brauchen mehr Öffentlichkeit,
und zwar nicht nur dann, wenn in der Presse über traurige und schreckliche Kinderschicksale berichtet wird.
Die heutige Debatte ist das richtige Signal zum richtigen
Zeitpunkt.
({1})
Im Gegensatz zum dem, was Sie, Frau Haßelmann,
eben in den Raum gestellt haben - ich muss ganz ehrlich
sagen, dass mich das etwas sauer gemacht hat -, ist es
das erklärte Ziel der Koalition, die Kinderrechte in die
Öffentlichkeit zu transportieren. Da Sie hier sehr skeptisch sind, bitte ich Sie, unseren Antrag mit dem Titel
Gesundes Aufwachsen ermöglichen - Kinder besser
schützen - Risikofamilien helfen auf Drucksache 16/4604
zu lesen; das ist relativ einfach zu machen.
Es ist nicht das erste Mal, dass wir im Bundestag darüber sprechen, die Kinderrechte in der Verfassung zu
verankern. Bereits in der 14. Legislaturperiode wurde
ein entsprechender Antrag gestellt. Auch in der Kinderkommission haben wir über dieses Vorhaben diskutiert;
in der letzten Wahlperiode ging es dort allerdings um
Fragen des Antragsrechts und des Wahlrechts. Es wäre
nett, wenn Sie etwas genauer in den Protokollen nachlesen würden.
({2})
Abgesehen davon war auch Bundesjustizministerin
Zypries in der Kinderkommission zu Gast. Wir haben eingehend mit ihr diskutiert. Sie hat die Gründe für ihre
Skepsis gegenüber einer Grundgesetzänderung erläutert.
Die Befürworter einer Grundgesetzänderung glauben, dadurch könnten wir in unserem Land ein Klima von mehr
Kinderfreundlichkeit erzeugen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich finde, dieser Klimawandel hat bereits stattgefunden. Ich werde versuchen, Ihnen das zu erklären.
Wir haben bereits sehr große Fortschritte für die Kinder in Deutschland erzielt. Wir können zu Recht behaupten, dass wir auf einem guten Weg sind, eine kinderfreundlichere Gesellschaft zu werden. Das ist allein das
Verdienst unserer Ministerin.
Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele. Stichwort Schulverweigerer. Wenn die Leute das Wort Schulverweigerer
hören, sagen sie immer: Das ist die Null-Bock-Generation. Das stimmt so aber nicht. Wenn Sie die Jugendlichen fragen, in welchen Lebensverhältnissen sie groß
geworden sind - oft heißt es, die Kinder hätten keine
Lust auf Leistung; um dieses Thema geht es aber nicht -,
stellen Sie fest: Oft haben die Kinder nicht die nötige
Kraft, um Leistung zu erbringen. Ich glaube, viele von
uns haben ein falsches Bild vor Augen. Das Programm
Schulverweigerung - Die 2. Chance ist für viele Jugendliche die erste Chance.
Sehen wir uns einmal die Situation der Jungen an. Es
heißt immer, Jungen sind unsere Sorgenkinder, Jungen
haben schlechte Noten, und Jungen entwickeln sich
nicht so, wie sie sich entwickeln sollten. In diesem Jahr
ist es allerdings zum ersten Mal der Fall, dass im Bundeshaushalt Mittel nur zur Förderung von Jungen zur
Verfügung gestellt werden; auch das ist ein Zeichen.
({3})
- Das kommt gleich.
Sprechen wir über eines der traurigsten Kapitel in
Deutschland: Ich meine, alle kennen noch die Namen
Jessica und Kevin. In jeder Stadt gibt es Fälle von Vernachlässigung. Deswegen haben wir mit den frühen Hilfen eine Prävention ab Nabelschnur aufgebaut.
Jetzt komme ich zu einem der großen Schritte: Stichwort Ausbau der Krippenplätze. Ich glaube, noch vor
einem halben Jahr hätte keiner hier im Haus gedacht,
dass uns das gelingt. Aber diese Regierung hat es geschafft. Sie hat alle an einen Tisch bekommen, und wir
haben uns geeinigt. Das ist dem Engagement und der
Hartnäckigkeit unserer Ministerin zu verdanken.
({4})
- Ja, und natürlich unser Staatssekretär. Das können Sie
gerne weitergeben.
Unsere Ministerin hat nicht nur das Thema Kinder
aus dem Schattendasein herausgeholt, sondern auch die
ganze Familienpolitik. Die Familienpolitik ist in den
Mittelpunkt der Politik gerückt, Priorität number one.
({5})
Für diesen Elan ist sie von der Deutschen Public Relations Gesellschaft als Kommunikatorin des Jahres 2007
ausgezeichnet worden. In der Laudatio hieß es unter anderem:
Ursula von der Leyen hat es mit vorbildlichem Einsatz der Kommunikation geschafft, den Umdenkungsprozess zu den familienpolitischen Themen in
unserer Gesellschaft in Gang zu setzen.
Genau so ist es. Endlich haben Kinder und Familie in
Deutschland einen höheren Stellenwert bekommen.
Jetzt ist die Frage, ob es diesen Stellenwert weiter erhöht, wenn wir die Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen. Meine liebe Frau Haßelmann, es tut mir leid,
dass ich jetzt sagen muss: Die Grünen waren sieben
Jahre in der Regierung. Wenn Sie davon so überzeugt
sind, warum haben Sie nicht ein bisschen mehr getrommelt? Was Sie eben gesagt haben, ist sachlich falsch. Es
ging um Antragsrecht und es ging um Wahlrecht. Als
Mitglied der Kinderkommission weiß ich, was wir dort
tun.
({6})
- Zur Verfassung komme ich gleich.
Ein effektiver Schutz der Kinder verlangt nicht unbedingt eine Grundgesetzänderung, es gilt vielmehr entschlossen dafür einzutreten, dass der bestehende grundgesetzliche Schutz eingehalten wird, sagen die einen.
Eine sachgerechte Verfassungsänderung könnte dennoch
dem Wohl der Kinder dienen, sagen die anderen. Skeptische Stimmen - das wissen Sie - gibt es in allen Fraktionen.
Auf der Länderebene hat sich einiges getan. Seit Juni
gibt es einen Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz, in dem deutlich steht: Die JFMK begrüßt
die Diskussionen, die im Bund und in einzelnen Ländern
über die Frage der Aufnahme von Kinderrechten in das
Grundgesetz bzw. in die jeweiligen Landesverfassungen
geführt werden. Die JFMK wird die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz zu einem Schwerpunktthema der nächsten JFMK im Jahr 2008 machen.
({7})
Ich bin gespannt, wie diese Diskussion weitergeht. Elf
Bundesländer haben die Kinderrechte bereits in ihre Verfassung aufgenommen.
Einen kleinen Schwenk zur FDP. Im Saarland ist das
auch debattiert worden. Dort kamen Bedenken von der
FDP. Ihr Kollege Baldauf sagte:
Etwas in der Verfassung zu ändern, ohne dass es in
der Praxis auch nur im Geringsten etwas an der bestehenden Rechtslage ändert, ist nichts Weiteres als
der Versuch, ein Loch zu stopfen, das an dieser
Stelle nicht vorhanden ist. Ich sage sogar: Das ist
Augenwischerei.
({8})
Deswegen stellt sich die Frage: Wozu wollen wir das?
Brauchen wir das? Die Befürworter sagen: Im Grundgesetz sind Kinder nicht explizit als Träger von Rechten erwähnt, sie werden nicht als Rechtssubjekte betrachtet,
wir bräuchten ein Signal an die Gesellschaft, dass Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen
Rechten zu achten und in der Gesellschaft zu beteiligen
sind. Ähnliches sagt Roman Herzog.
Zur Diskussion steht zurzeit auch die Aufnahme von
Kultur und Sport in das Grundgesetz. Sollte man da
nicht erst recht über die Kinderrechte diskutieren? Für
mich hätten sie gegenüber all dem Priorität.
Wir müssen uns aber auch die Fragen stellen: Würden
durch die Kinderrechte die Elternrechte eingeschränkt?
Würden wir damit reine Symbolpolitik betreiben? Würden dadurch falsche Erwartungen geweckt? Ginge es
den Kindern dann tatsächlich besser?
({9})
Ich glaube, die Abwägung von Elternrechten und Kinderrechten ist ein wichtiger Punkt. Aber ich möchte an
dieser Stelle keinen juristisch dezidierten Diskurs führen; das ist Aufgabe der Rechtspolitiker.
Kinder brauchen Erwachsene, die sich für sie einsetzen, für ihre Rechte kämpfen und dafür sorgen, dass es
ihnen gut geht. Kinder brauchen aber auch politischen
Schutz. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Dialog über
Kinderrechte in der Verfassung führen. Die Bereitschaft
dazu ist in vielen Teilen der Gesellschaft vorhanden.
Aber es gibt auch viele skeptische Stimmen und Zweifel,
die wir ernst nehmen und über die wir sprechen müssen.
Eine Änderung der Verfassung - das wissen Sie, Frau
Haßelmann - gehört nicht zum parlamentarischen Alltagsgeschäft. Das heißt, wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten.
Ich kann allen nur anraten: Lassen Sie uns doch in die
Beratungen gehen! Ich möchte Sie herzlich einladen, die
Diskussion um die Aufnahme von Kinderrechten in die
Verfassung weiter zu vertiefen; denn jedes Kind verdient
es, geliebt, geschätzt, geschützt und unterstützt zu werden.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Miriam Gruß für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kenne negative Beispiele aus
Deutschland, die keine Kinderfreundlichkeit ausdrücken. Ich kann Sie alle nur bitten, die eine oder andere Reise mit mir zu unternehmen, mit der Bahn oder
mit dem Flugzeug. Wie oft erlebe ich mit meinem kleinen Sohn, dass sich die Leute von uns wegsetzen, weil
das Kind vielleicht zu laut redet oder vielleicht schreit!
Wie oft erleben wir, dass Spielplätze geschlossen werden
müssen oder nur zu bestimmten Zeiten öffnen dürfen,
weil sich Anwohner beschweren! Ich glaube den Studien, die besagen, Deutschland sei ein kinderentwöhntes
Land, und den Leuten, die sagen, in Deutschland gebe es
inzwischen eine Kultur der Kinderlosigkeit.
({0})
Dabei sind Kinder unsere Zukunft; diesen Satz hören
wir immer wieder. Wir sollten ihn wirklich verinnerlichen und ihn nicht für politische Taktierereien missbrauchen. Familien entstehen dort, wo Menschen Vertrauen
in eine gemeinsame Zukunft haben. Kinder und Jugendliche sind somit ein wichtiger Teil der Gegenwart.
Gleichzeitig sind sie die Lebensperspektive unserer Gesellschaft. Auch daher ist es unerlässlich, Kinderpolitik
als einen eigenständigen Bereich der Politik zu begreifen. Auch anlässlich des gestrigen Weltkindertages haben wir - im Übrigen aus aller Welt - von der Notwendigkeit gehört, Kindern eine Stimme zu verleihen. Es
muss im Interesse des Staates sein, kinderfreundliche
Strukturen zu schaffen und zu fördern sowie den Bedürfnissen der Kinder in allen Lebensbereichen besondere
Bedeutung und Beachtung beizumessen.
({1})
Wir müssen erkennen, dass Kinder eben keine kleinen
Erwachsenen sind, sondern ureigene Bedürfnisse, Interessen, Rechte und Pflichten haben. Sie bedürfen zudem
einer besonderen Förderung, um eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln zu können.
Lassen Sie mich dies anhand zweier Beispiele verdeutlichen:
Erstens. Kinder brauchen Bildung; sie brauchen Unterstützung bei besonderen Begabungen, aber auch bei
Leistungsschwächen. Wir müssen allen Kindern die gleichen Startbedingungen verschaffen. Allen Kindern muss
der Zugang zu Bildung ermöglicht werden; denn nur
durch Bildung werden sie am gesellschaftlichen Leben
partizipieren können. Die aktuelle OECD-Bildungsstudie zeigt aber, dass Deutschland im internationalen Vergleich weiter absackt. Können wir uns das eigentlich
weiterhin leisten?
Zweitens. Kinder müssen entsprechend ihrem Entwicklungsstand am gesellschaftlichen Leben teilnehmen
können. Wir müssen ihnen Möglichkeiten geben, sich
einzubringen und sich eingebunden zu fühlen.
An den beiden genannten Beispielen zeigt sich überdeutlich: Kinder haben ein Recht auf Bildung; Kinder
haben ein Recht auf Beteiligung; sie haben ein Recht
darauf, dass ihre Meinung gehört und berücksichtigt
wird.
Eine ausdrückliche Verankerung von Kinderrechten
findet sich im UN-Übereinkommen über die Rechte des
Kindes, im Vertrag über eine Verfassung für Europa und
in der Mitteilung der Europäischen Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie von 2006 sowie
- es wurde bereits erwähnt - in einigen Landesverfassungen.
Im Grundgesetz sind Kinderrechte bislang nicht ausdrücklich als Grundrecht oder in Form einer Staatszielbestimmung verankert. Kinder sind nur indirekt in Art. 6
Abs. 2 Grundgesetz über das Recht zur elterlichen Sorge
geschützt, welches die Eltern zum Wohl der Kinder auszuüben haben.
Ungeachtet der Zweifel, inwieweit eine Erweiterung
der Verfassung um Kinderrechte mit der Struktur des
Grundgesetzes vereinbar wäre, würde die Verankerung
von Kinderrechten in der Verfassung in jedem Fall bewirken, dass der Gesetzgeber nicht mehr ein Ermessen
darüber hätte, ob er die Rechte von Kindern überhaupt
fördern oder schützen will; lediglich die Ausgestaltung
des Wie läge in seinem Ermessen. Der schwachen
Durchsetzung von Kinderrechten könnte so entgegengewirkt werden.
({2})
Von den verfassungsrechtlich verbürgten Kinderrechten
würde ein ständiger Appell an die jeweils zuständigen
Organe des Bundes und der Länder ausgehen, beim Gebrauch ihrer Kompetenzen Kinderrechte zu berücksichtigen.
Dieser Ansicht hat sich auch die Kinderkommission
einstimmig angeschlossen. Sie sah sich in der Anhörung
im November letzten Jahres in ihrer Auffassung bestärkt, dass eine entsprechende Verfassungsänderung erforderlich ist und dass die Zeit dafür reif ist. Die Kinderkommission hatte sich auch für ein gemeinsames
Vorgehen und den Weg über einen interfraktionellen
Entwurf entschieden. Diesen Schritt unterstütze ich als
amtierende Vorsitzende der Kinderkommission natürlich
ausdrücklich.
({3})
Dieser Konsens in der Kinder- und Jugendpolitik hat die
Arbeit der Kinderkommission während der letzten Jahre
ausgezeichnet, und er hat sich bewährt. Umso bedauerlicher ist es, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
dieses bewährte Vorgehen mit ihrem alleinigen Vorpreschen durchbrochen hat,
({4})
und dies nicht etwa, weil sie sich mit ihren Vorstellungen
in der Kinderkommission nicht durchsetzen konnte, sondern aus rein taktischen Gründen.
({5})
Dies ist zu bedauern, denn diese Fraktion will sich hier
auf Kosten der Kinder profilieren.
({6})
Meine Damen und Herren, die Kinder müssen uns
mehr wert sein als eine taktische Masse im politischen
Geschehen. Kinder heute zu schützen, ist unsere ureigene Pflicht. Kinder zu fördern, ist unser oberstes Gebot.
Kinder zu achten und für ihre Zukunft zu denken, muss
eine gesamtgesellschaftliche Prämisse sein - im Übrigen
nicht nur für Kinder- und Jugendpolitiker und nicht nur
am Weltkindertag.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Liebe Jugendliche oben auf
der Tribüne und vielleicht auch am Fernsehgerät! Wie
muss denn ein Politiker üblicherweise sein? Tue Gutes
und rede darüber. Wie muss ein Politiker oder eine Politikerin sein, wenn er oder sie in der Kinderkommission
ist? Derzeit sind wir fünf Frauen. Sie müssen Gutes tun,
eine Eselsgeduld und Durchsetzungsvermögen haben,
und manchmal dürfen sie nicht darüber reden, wenn sie
Gutes tun wollen, weil es der Sache dient. Von uns Fünfen werden ganz kräftige Strategien, viel Überlegung
und Kenntnisreichtum verlangt, und wir müssen der Sache und dem Anliegen von Kindern dienen. Das versuche ich hier klarzumachen.
Frau Haßelmann, wir haben in einem langen, gemeinsamen Prozess über Zeitplan und Verfahren diskutiert.
Ich bin allen Kolleginnen und Kollegen, die in der Kinderkommission sind, dankbar dafür, dass sie diesen Weg
mitgegangen sind, dass sie auf eigene Profilierung verzichten und den Weg gemeinsam gehen. Es ist ein
schwieriger Weg. Wir wissen, dass es in allen Fraktionen
große, mittelgroße und kleine Bedenken, aber auch Zustimmung zu unseren Vorschlägen gibt. Für eine Verfassungsänderung brauchen wir in diesem Haus zwei Drittel der Stimmen. Dafür brauchen wir auch den
Bundesrat. Wir brauchen gute Argumente und müssen
vor allem mit einer Stimme sprechen. Das haben wir bisher gemacht, und darauf versuche ich auch heute wieder
zurückzukommen.
Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir die Anliegen
von Kindern, die 1992 in der UN-Kinderrechtskonvention in der Bundesrepublik festgeschrieben worden sind,
stärken. Für eine reife Demokratie ist es wichtig, dass erkennbar ist, dass die Grundlagen unserer Demokratie
nicht nur von Erwachsenen für Erwachsene festgeschrieben sind. In Art. 2 des Grundgesetzes ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit genannt. Ein Baby ist noch keine
fertige Persönlichkeit.
({0})
Wenn wir alles gut machen, wird es eine tolle Persönlichkeit, eine tolle Demokratin oder ein toller Demokrat.
Wir müssen das gemeinsam versuchen.
Für eine reife Demokratie ist es an der Zeit, dass wir
uns fragen, ob wir in unserem Grundgesetz eine Grundlage erkennen können, mit der auch unsere Kinder als
Subjekte klar erkennbar gemeint sind. Viele Verfassungsrechtler sagen uns, dass diese Subjektstellung noch
nicht klar erkennbar ist. Sonst hätte es nicht so lange gedauert, bis das Verfassungsgericht 1968 - 19 Jahre nach
Verabschiedung und Inkrafttreten des Grundgesetzes feststellen musste, dass auch Kinder Grundrechtsträger
sind. 19 Jahre lang haben wir eigentlich einen Schwebezustand gehabt.
Wir haben weitere Jahre gebraucht, um die Kinder,
wenn wir auf sie blicken, nicht als Mangelwesen oder
defizitäre Erwachsene, sondern als eigenständige Menschen zu empfinden, bei denen wir Erwachsene die Ver12066
Marlene Rupprecht ({1})
antwortung dafür übernehmen, dass sie gut aufwachsen.
Das Elternrecht ist nämlich kein Machtrecht, sondern die
große Verantwortung, die auf uns übertragen wird, diesen Kindern alles zu geben, damit sie gesund und gut
aufwachsen und gute Demokraten werden.
({2})
Was brauchen die Kinder dafür? Kinder brauchen dafür erst einmal Eltern, die sie akzeptieren. Daneben müssen aber auch die Lebensbedingungen so sein, dass sie
gut aufwachsen können, das heißt: Zugang zu Bildung,
Zugang zur Gesundheitsversorgung und gute Ernährung.
Sie müssen all das erhalten, was ein kleines Wesen zum
Aufwachsen braucht. Vor allem brauchen sie eine Gesellschaft, die sagt: Herzlich willkommen, gut, dass Du
da bist. Genau Du hast gefehlt.
({3})
Nur dann werden sie wirklich selbstbewusst, um allen Irrungen und Wirrnissen standzuhalten, denen sie im
Laufe des Lebens begegnen - es werden sehr kräftige
auf sie zukommen, und manchmal werden sie kurz davor
sein, umzufallen -, und nur dadurch halten sie stand und
erfahren, dass sie willkommen sind.
Genau deshalb wollen wir dies in der Verfassung zum
Ausdruck bringen. Es soll in die Verfassung aufgenommen werden, dass wir bereit sind, den Kindern einen besonderen Schutz zu gewähren. Sie sind schutzbedürftig nicht nur satt, sauber und still. Diesen Schutz gewähren
wir ihnen, und zwar nicht erst, wenn sie schon halbtot
geschlagen sind, sondern dieses Recht haben sie von Anfang an gegenüber allen. Vor allem der Gesetzgeber
muss seine Gesetze daraufhin überprüfen. Auch die Behörden und Institutionen müssen überprüfen, ob das, was
sie tun, immer kindgerecht ist.
Wenn das einmal nicht der Fall ist, dann doch nicht,
weil sie dem Kind schaden wollten, sondern weil viele
vergessen haben, wie es als Kind ist. Auch uns fällt es
manchmal schwer, die Beratungen unter diesem Blickwinkel zu führen. Wir, die Mitglieder der Kinderkommission, sind dazu da, den Kollegen manchmal den Kopf
genau so zu drehen, dass sie die Kinder im Blick haben.
Das sehe ich als unsere Aufgabe an. - Den Schutz gewährleisten wir also.
Zur Förderung. Wenn ein Kind eine Sprachbehinderung hat, braucht es dann Hilfe, wenn die Sprachbehinderung auftritt, nicht erst hinterher, wenn das Kind bereits massive psychische Probleme hat. Es geht um eine
frühzeitige und gute Förderung. Das soll mit aufgenommen werden.
Wir wollen auch, dass die Kinder an allen Angelegenheiten kindgerecht beteiligt werden. Das heißt nicht,
dass wir Erwachsene die Verantwortung für unsere Entscheidungen abgeben. Das würde eine Erwachsenensicht
bedeuten. Die Beteiligung muss kindgerecht und in dem
Umfang erfolgen, der möglich ist. Die Öffentlichkeit
und wir haben die Verpflichtung, alles zu tun, damit die
Kinder hier bei uns gut aufwachsen.
Das schaffen nicht fünf Frauen - und ein Mann, der
immer anwesend ist -, sondern das schaffen wir nur mit
zwei Dritteln dieses Hauses. Wenn der Antrag der Grünen dazu dient, das weiter zu befördern, dann sage ich:
Oh Gott, dann soll es so sein, meinetwegen. Wenn wir
dadurch die Öffentlichkeit heute noch einmal erreichen
können und es dem Anliegen dient, dann ist es mir recht.
Die Koalition klärt noch ab - das steht auch so im Koalitionsvertrag -, wie wir in diesem Verfahren weiter
vorgehen. Meine Kolleginnen kennen mich so gut, dass
sie wissen, dass ich nicht nachgebe. Hier vorne sitzt unser Geschäftsführer, und der kennt mich auch.
({4})
Er wird schon dafür sorgen - und ich auch -, dass das
Thema nicht vom Tisch fällt. Es fällt nicht der Diskontinuität anheim. Wir werden dafür sorgen, dass dieses
Thema weiter befördert wird.
Wir haben uns eine Deadline gesetzt. Ich sage hier öffentlich - Herr Geschäftsführer, horchen Sie zu -, dass
die Kinderkommission beschlossen hat: Am 7. November 2007 müssen wir wissen, wie wir damit umgehen. Ansonsten gehen wir in die Vollen. - Lieber Kollege Scholz, ich garantiere Ihnen: Dann sind wir nicht
mehr so sanft, sondern ziemlich ungehalten und sehr
massiv. Ich bin heute ganz sanft. Merkst du es? Dann
aber werden wir uns nicht mehr darüber freuen, dass von
den Verbänden freundlich öffentlich aufgefordert wird,
sondern dann tun wir das ziemlich massiv.
Damit das nicht schiefgeht, brauchen wir Sie dort
oben auf den Tribünen, Sie an den Fernsehern und alle
vernünftigen Leute - auch die Eltern, die ihre Kinder lieben. Denjenigen, die sie nicht lieben - ich glaube, auf sie
sind wir nicht angewiesen -, müssen wir helfen, damit
sie lernen, sie zu lieben.
Aber alle, die ihre Kinder lieben und Verständnis für
sie haben, werden uns unterstützen. Wir nehmen ihnen
nichts weg. Vielmehr stärken wir sie, indem wir ihre
Kinder stärken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns, dass wir
am Wochenende rausgehen - denn am Wochenende finden noch sehr viele Veranstaltungen zum Weltkindertag
statt -, gehen Sie raus als Botschafter für unsere Kinder!
Es heißt immer, Kinder seien die Zukunft. Das ist ein
ähnlicher Spruch wie Im Himmel wird es einem schon
gedankt. Ich meine, Kinder sind unsere Gegenwart. In
der Gegenwart müssen wir etwas tun, damit sie in der
Zukunft zu vernünftigen Erwachsenen werden und ihre
Kinder gut aufziehen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende.
Danke schön.
({5})
Den Beitrag der Kollegin Diana Golze nehmen wir
- verbunden mit den besten Wünschen - zu Protokoll.1)
Ich schließe die Aussprache.
1) Anlage 4
Vizepräsidentin Petra Pau
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5005 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Oktober 2007, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und auch ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.