Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich eröffne die Sitzung, liebe Kolleginnen und Kollegen, und begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen
Beratungen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln.
Die Fraktion der FDP hat einen Antrag auf Erweiterung der heutigen Tagesordnung um den Punkt „Aufforderung an die Bundesregierung, eine Regierungserklärung zur Lage der inneren Sicherheit in der
Bundesrepublik Deutschland zu beschließen“ gestellt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat die Nichteinhaltung der
18-Uhr-Frist für Anträge zur Änderung der Tagesordnung gerügt. Mir ist mitgeteilt worden, dass die Fraktion
der FDP nunmehr beabsichtigt, den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung unter Abweichung von der Geschäftsordnung gemäß § 126 zu stellen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat nun der Kollege
Koppelin für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bundesinnenminister warnt vor Terroristen mit
Atomwaffen. Ist diese Gefährdung konkret, oder gibt es
sie gar nicht?
Der Bundesverteidigungsminister will Flugzeuge in
bestimmten Situationen entgegen der eindeutigen Verfassungslage abschießen lassen. Durch eine Klage, von
Liberalen initiiert, hat das Bundesverfassungsgericht in
einer Entscheidung klar festgestellt, dass das Leben Unschuldiger niemals geopfert werden darf.
({0})
Meine Fraktion teilt diese Auffassung, was sie in den
Abstimmungen hier im Parlament immer dokumentiert
hat.
Muss man den Bundesverteidigungsminister eigentlich daran erinnern, dass er hier im Parlament geschworen hat, die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu
wahren und zu verteidigen?
({1})
Seine Aussagen stehen in keiner Weise mit seinem
Amtseid in Übereinstimmung. Seine Aussagen sind außerdem eine Zumutung für die Piloten der Bundeswehr.
({2})
Vizekanzler Müntefering hat die Aussage des Bundesverteidigungsministers zu Recht zurückgewiesen. Zu
den Äußerungen des Bundesinnenministers erklärt Vizekanzler Müntefering:
Ich bin nicht glücklich über diese Art und Weise
des Umgangs mit einer solch ernsthaften Thematik.
Das kann man nicht auf sich beruhen lassen. Darüber muss gesprochen werden.
({3})
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber muss gesprochen werden. Die Aktuellen Stunden, die in dieser
Woche von den Freien Demokraten und vom Bündnis 90/Die Grünen eingereicht worden sind, reichen dafür nicht aus.
Die Minister Schäuble und Jung äußern sich so, der
Vizekanzler und die Justizministerin äußern sich im genau entgegengesetzten Sinn. Für uns und die Menschen
in diesem Land ist es aber wichtig, dass unsere Bundesregierung eine einheitliche Meinung und eine einheitliche Auffassung zur Lage der inneren Sicherheit hat.
({4})
Deshalb beantragt die Fraktion der Freien Demokraten
unter Abweichung von der Geschäftsordnung gemäß
Redetext
§ 126 - an die Union gerichtet sage ich: Es ist einfach lächerlich, sich auf acht Minuten zu berufen, um die Debatte zu verhindern -,
({5})
dass der Deutsche Bundestag heute die Bundesregierung
auffordert, eine Regierungserklärung zur Lage der inneren Sicherheit abzugeben. Sollte die Union weiterhin
darauf bestehen, dass der Antrag acht Minuten zu spät
eingereicht wurde, können wir ihn heute noch einmal
stellen, dann findet die Abstimmung morgen statt.
({6})
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten hat
das Bundeskanzleramt schriftlich gebeten, eine solche
Regierungserklärung abzugeben, und zwar in dieser Woche hier im Parlament. Die Bundesregierung hat das abgelehnt. Sie nutzen doch sonst jede Gelegenheit zu einer
Regierungserklärung. Warum kneifen Sie hier?
({7})
So bleibt uns nur, heute diesen Antrag zu stellen. Wir
müssen diesen Antrag stellen, weil Sie sich weigern.
Hier im Deutschen Bundestag und nicht in den Medien haben sich die Bundesminister zu erklären.
({8})
Auch die Bundeskanzlerin muss sich erklären. Denn
schließlich haben wir eine Bundesregierung und nicht
zwei Bundesregierungen in einer.
({9})
Zu den Aussagen des Bundesverteidigungsministers
wollen wir auch die Meinung der Bundesjustizministerin
hören. Die Medienkampagne der Minister Schäuble und
Jung muss gestoppt werden. Das kann hier durch eine
Regierungserklärung der Bundesregierung geschehen.
({10})
Der Bundesinnenminister ist ja gleichzeitig auch Verfassungsminister. Wir wünschen uns einen Bundesinnenminister, der Aussagen wie die des Verteidigungsministers eindeutig zurückweist.
({11})
Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten,
Peter Struck, hat zu Beginn dieser Legislatur erklärt,
dass die SPD-Fraktion auch in der Großen Koalition
selbstbewusst alles prüfen will, was von der Regierung
kommt. Wörtlich sagte Peter Struck: „Dafür ist das Parlament da.“ Heute haben die Sozialdemokraten Gelegenheit, das, was Peter Struck gesagt hat, unter Beweis zu
stellen.
({12})
Der Deutsche Bundestag sollte die Bundesregierung
daher heute auffordern, eine Regierungserklärung zur
Lage unserer inneren Sicherheit abzugeben. Wenn wir
dann in dieser Debatte zu dem Ergebnis kommen, dass
wir nicht ständig neue Gesetze zur Bekämpfung des Terrors brauchen, sondern vielmehr gut ausgebildete und
gut ausgerüstete Sicherheitsorgane, deren Personalstand
nicht immer weiter reduziert werden darf, dann wäre
eine solche Debatte ein Gewinn für unser Land.
Ich bitte, unserem Antrag zuzustimmen.
({13})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Norbert Röttgen für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Da wir, auch wenn es eine Geschäftsordnungsdebatte ist, jetzt über die Bedrohung unserer Mitbürger und
auch unseres freiheitlichen Verfassungsstaates durch
Terrorismus sprechen, möchte ich vorschlagen, dass wir
zum Ausgangspunkt dieser Debatte die folgende Frage
wählen: Was erwarten eigentlich die Menschen von der
Politik in der Sache und im Umgang mit dieser Gefährdungs- und Bedrohungslage? Fangen wir doch bei dieser
Frage an.
({0})
Ich glaube nicht, dass die Bürger erwarten, dass wir,
obwohl es sich um eine existenzielle Bedrohung handelt,
in einem pluralistischen, demokratischen Land alle einig
sind. Aber ich glaube, die Bürger erwarten und können
erwarten,
({1})
dass wir uns, weil es um die existenzielle Bedrohung
von Menschen geht, weil es um einen Angriff auf unsere
freiheitliche Verfassungsstaatlichkeit geht, mit diesen
Fragen mit der angemessenen Ernsthaftigkeit und - das
betone ich - mit dem Willen zu demokratischer Gemeinsamkeit beschäftigen. Das können die Bürger erwarten.
({2})
Weil sie dies von uns erwarten können, habe ich für den
Firlefanz einer Geschäftsordnungsdebatte kein Verständnis.
({3})
Sie beantragen eine Aktuelle Stunde und kritisieren,
dass sie durchgeführt wird.
({4})
Die Koalition bietet eine parlamentarische Debatte zu
diesem Thema an, möchte eine Sachdebatte vereinbaren,
aber die Opposition möchte sie nicht haben. Sie wollen
Firlefanz statt Sachdebatte. Das ist unverantwortlich.
({5})
Ich kann das nicht verstehen: Grüne und FDP verweigern explizit eine Debatte in der Sache. Sie haben es getan. Befragen Sie einmal Ihre Fraktionsführung dazu.
({6})
Ich bin auch deshalb über dieses parlamentarische
Verhalten enttäuscht - die Verweigerung einer Sachdebatte durch die Opposition -, da nach unserer Auffassung ein 5-Minuten-Stakkato in den Aktuellen Stunden
diesem Thema nicht gerecht wird, auch wenn die Bundesminister reden werden. Darum hätten wir gern im Zusammenhang debattiert. Aber das ist Ihre Entscheidung.
({7})
Wir werden diese Debatte dann eben so führen.
Ich bin darüber auch deshalb enttäuscht, weil nach
meinem Selbstverständnis als Parlamentarier wir in dieser Frage eine originäre Entscheidungsverantwortung
haben, die wir und nicht die Regierung, die darüber entscheidet, ob sie Regierungserklärungen abgibt oder
nicht, auch ausüben müssen, denn wir als Parlament sind
Gesetzgeber. Daher ist die Frage an uns adressiert, wie
wir zum Beispiel mit dem Problem umgehen, das der
Bundesverteidigungsminister aufgeworfen hat.
({8})
- Vielleicht darf ich diese Frage einmal ausführen. Wir
alle täten gut daran, die Debatte nicht in einem Ton der
Aufregung zu führen, sondern sachangemessen und
nüchtern darüber zu reden.
({9})
Die Frage, die der Bundesverteidigungsminister aufgeworfen hat, ist doch folgende: Nach Auskunft, Regelung und Klärung einer Situation durch den Staat, die in
einem rechtlichen und in einem moralischen Dilemma
besteht - ({10})
- Ja, genau. Das Verfassungsgericht hat die Frage beantwortet, indem die gesetzliche Lösungsgrundlage zum
Umgang mit dem rechtlichen und mit dem moralischen
Dilemma für verfassungswidrig erklärt wurde.
Das Dilemma besteht darin, dass Terroristen Flugpassagiere als Geiseln nehmen können, um damit andere
Menschen zu töten. Das ist eine Dilemmasituation. Die
Frage, die an den Staat, an den Gesetzgeber gestellt
wird, lautet: Wie gehen wir mit dieser Situation um? Es
wurde versucht, mit dem Luftsicherheitsgesetz eine Antwort zu geben. Das Bundesverfassungsgericht hat sie
kassiert.
({11})
Jetzt ist die Rechtslage die, dass der Staat dazu keine gesetzliche Auskunft geben kann. Der Verteidigungsminister hat darauf hingewiesen, dass aufgrund der Rechtslage
in diesem Fall die individuelle strafrechtliche Verantwortung bei den in dieser Situation aktiv Handelnden liegt.
Das sind insbesondere die Soldaten, die dann handeln.
Wenn sie handeln, dann ist gemäß unserer Rechtsordnung
dazu zu sagen: Ihr habt rechtswidrig ein Tötungsdelikt
vorgenommen; ihr könnt euch aber in einem strafrechtlichen Verfahren auf einen Entschuldigungstatbestand,
nämlich den des übergesetzlichen Notstandes, berufen.
Da ihr als Soldaten eure Pflicht ausgeübt habt, wird man
dann sehen, ob ihr dafür verurteilt werdet oder nicht.
Der Bundesverteidigungsminister hat gesagt: In dieser Rechtslage, die nun einmal da ist, stelle ich klar, dass
die Verantwortung bei mir liegt. Ich verstecke mich nicht
hinter den Soldaten, sondern ich trage die politische Verantwortung für ein solches Verhalten.
({12})
Ich selbst möchte dazu sagen: So zutreffend wie nach
meiner Beurteilung das Amtspflichtverständnis des Bundesverteidigungsministers ist, so unerträglich ist die Situation, dass der Staat als Ganzes kneift und sich hinter
dem Rücken der Soldaten, die handeln müssen, versteckt.
({13})
Das ist eine staatliche Form von Feigheit, die wir nicht
akzeptieren können.
Der Bundesinnenminister hat seine Pflicht getan, indem er nüchtern auf die Gefährdungslage dieses Landes
hingewiesen hat. Das muss er tun, und zwar nicht aufregend und nicht hysterisierend. Er hat in der Zeit, in der
noch Vorbeugung möglich ist, auf die Gefährdungslage
hingewiesen. Er hat nicht nur auf die Gefahr hingewiesen, sondern er hat auch an uns appelliert und Vorschläge dahin gehend gemacht, dass der Staat alles
rechtsstaatlich Nötige und rechtsstaatlich Mögliche tun
muss, um Terrorismus in diesem Land abzuwehren.
Unsere Auffassung als CDU/CSU-Fraktion ist: Der
Rechtsstaat hat im Wissen darum, dass es absolute Sicherheit nicht gibt, das ihm rechtsstaatlich Nötige und
Mögliche noch nicht getan. Wir als Gesetzgeber sind aufgerufen, aus der Verantwortung den Bürgern gegenüber,
in diesem Land Sicherheit in Freiheit zu ermöglichen.
({14})
Darüber muss eine Debatte geführt werden.
({15})
Der Deutsche Bundestag muss in diesen Fragen die
Entscheidung treffen. Wir sind dazu bereit, diese Verantwortung wahrzunehmen.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst eine Vorbemerkung zur Rede des Kollegen
Röttgen, die ich für notwendig halte: Ich finde es erstaunlich, hier auf der einen Seite eine Sachdebatte einzufordern und auf der anderen Seite von Firlefanz zu reden.
({0})
Es ist ziemlich unerträglich, wenn das eine Fraktion tut,
die hier eine Klauberei um acht Minuten betreibt. Das ist
nämlich wahrhaftig Firlefanz.
Die FDP beantragt, die heutige Tagesordnung um den
Punkt „Aufforderung an die Bundesregierung, eine Regierungserklärung zur Lage der inneren Sicherheit in der
Bundesrepublik Deutschland zu beschließen“ zu erweitern. Wir, die Fraktion Die Linke, werden uns diesem
Antrag anschließen.
({1})
Es ist merkwürdig und im Hinblick auf die politische
Kultur in unserem Land enttäuschend, dass die FDPFraktion diesen Weg gehen muss, um etwas zu erzwingen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein
sollte.
({2})
Die Minister Schäuble und Jung entwerfen bezüglich
der inneren Sicherheit Horrorszenarien, die hochgradig
geeignet sind, in der Bevölkerung Unruhe und Unsicherheit zu schüren. Wann, wenn nicht jetzt, haben die Menschen in diesem Lande und die von ihnen gewählten
Volksvertreter einen Anspruch darauf, von der Bundesregierung zu erfahren, ob es sich hierbei um Einzelmeinungen der Minister oder um die Meinung der Bundesregierung handelt
({3})
und, falls es sich um Einzelmeinungen handelt, wie die
Bundesregierung zu diesem Sachverhalt steht?
({4})
Die Bundesregierung hätte von sich aus anbieten müssen, hierzu eine Regierungserklärung abzugeben. Es ist
ein Scherz - zudem ein schlechter -, dass die FDP etwas
erzwingen muss, was selbstverständlich sein sollte.
Es geht nicht nur um die Grusel- und Horrorszenarien, die diese Minister verbreiten. Es geht vor allem um
das, was sie meinen, daraus ableiten zu müssen. Meine
Fraktion interessiert längst nicht mehr, was die Minister
Schäuble und Jung wollen. Wir wollen wissen, ob sich
die Bundesregierung an einer Aushöhlung der Verfassung bis hin zum offenen Verfassungsbruch beteiligen
will oder nicht. Ich danke dem Kollegen Peter Struck,
dass auch er das Wort „Verfassungsbruch“ verwendet
hat.
({5})
Uns interessiert überhaupt nicht mehr, ob Minister
Jung Soldaten mindestens zum Totschlag, wenn nicht
zum Mord, möglicherweise zum Mord mit gemeingefährlichen Mitteln und letztlich sogar zum Verfassungsbruch auffordert. An diesem Minister interessiert uns allenfalls noch, wann er die Konsequenzen aus seinen
ungeheuerlichen Forderungen zieht und zurücktreten
will - und das, Kollege Röttgen, bitte nicht erst, nachdem er den Befehl gegeben hat!
({6})
Ich will Ihnen sagen: Das ist eine merkwürdige Art und
Weise, sich hinter die Soldaten zu stellen.
({7})
Auf diese Aufforderung zum Rechtsbruch haben
Herrn Jung der Bundeswehr-Verband, der Verband der
Jetpiloten und andere eine klare Antwort gegeben. Aber
Sie haben sich schon die Piloten ausgesucht, die sich, als
habe es nie eine deutsche Geschichte gegeben, wie
Klaus-Peter Stieglitz, der Inspekteur der Luftwaffe, darauf berufen, dass Offiziere ihre Befehle zu befolgen haben.
Die Menschen in diesem Lande und wir als die von
ihnen gewählten Volksvertreter haben einen Anspruch
darauf, jetzt zu erfahren, ob es sich um eine Einzelmeinung des Ministers handelt oder ob diese Ungeheuerlichkeiten die Position der Bundesregierung sind.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Uwe Küster für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die aktuellen Äußerungen der Minister Dr. Schäuble
und Dr. Jung, auf die die FDP Bezug nimmt, sind Äußerungen dieser Minister, keine Äußerungen der Bundesregierung.
({0})
Von Vizekanzler Franz Müntefering und von Justizministerin Brigitte Zypries ist dazu das Nötige gesagt
worden.
({1})
Im Übrigen hat die FDP den Vorschlag, eine gemeinsame Debatte zu vereinbaren, in der sich die Fachpolitiker mit diesem Thema hätten befassen können, abgelehnt.
({2})
Sie wissen, bis kurz vor Beginn dieser Debatte haben wir
Verhandlungen und Gespräche darüber geführt. Wir haben der Opposition das Angebot gemacht, statt der beiden Aktuellen Stunden, von denen eine heute und eine
morgen stattfinden soll, eine vereinbarte Debatte über
genau dieses Thema zu führen.
({3})
Sie von der FDP möchten dieses Thema aber weiterhin skandalisieren.
({4})
Sie wollen daraus parteipolitisch Honig saugen.
({5})
Ich sage Ihnen im Namen meiner Fraktion: Dieser Versuch ist fragwürdig und deshalb abzulehnen.
({6})
Die immer neuen öffentlichen Äußerungen der Minister Schäuble und Jung tragen zur Verunsicherung und
nicht zur Stabilisierung der inneren Sicherheit bei.
({7})
Die Themen innere Sicherheit und Terrorismusbekämpfung eignen sich aber nicht für derartige parteipolitische
Instrumentalisierung.
({8})
Im Übrigen haben wir statt der von der Opposition
abgelehnten gemeinsamen Debatte heute und morgen
die beiden Aktuellen Stunden, die von der Opposition zu
den Themen Terrorismusbekämpfung und innere Sicherheit gefordert worden sind. Da werden wir ausführlich
darüber debattieren können. Es steht diese Woche also
genügend Zeit für die beiden von Ihnen geforderten Themen zur Verfügung. Meine Fraktion sieht daher keine
Veranlassung, dem Geschäftsordnungsantrag gemäß
§ 126 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
zuzustimmen.
Danke schön.
({9})
Nun hat das Wort der Kollege Volker Beck für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
fand, das war eine gute Rede, Uwe Küster: Das war eine
gute Begründung für den Antrag der FDP, hier eine Regierungserklärung zu verlangen.
({0})
Da erklärt der amtierende Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, die Ministeräußerungen seien Individualmeinungen,
({1})
das sei nicht die Politik der Bundesregierung, da gebe es
auch andere Individualmeinungen, nämlich die von
Müntefering und Zypries, die ihm näher seien. Ja, gibt es
auch eine Meinung der Bundesregierung zur Innenpolitik?
({2})
Ich habe vorhin unter Berücksichtigung des Grundprinzips, das hinter einer Regierungserklärung steht, darüber nachgedacht, ob ich auf den Vorschlag der Union
eingehe, dies in einer vereinbarten Debatte zu behandeln. Eine vereinbarte Debatte bedeutet: Jeder sagt einmal, was er so denkt - insofern haben wir eine ständige
vereinbarte Debatte in der Bundesregierung.
({3})
Da dürfen sich die Minister beteiligen - manche sind ja
auch Abgeordnete -, da dürfen sich die Abgeordneten
beteiligen, und dann haben wir alle einmal darüber geredet.
({4})
Volker Beck ({5})
Na ja, das machen wir doch dauernd: die Agenturen rauf
und runter, die Talkshows rauf und runter. Aber wir wissen nicht, was die Regierung macht.
({6})
Eine Regierungserklärung folgt aber einem anderen
Prinzip: Wenn die Bundesregierung einen Bereich ihrer
Politik grundsätzlich vor dem Parlament darstellen will
- vorausgesetzt, sie hat eine solche Politik -, dann geschieht das in der Regel in der Form einer Regierungserklärung. Die Erklärung selbst ist Gegenstand der Aussprache. Das heißt, dann sagen wir nicht mehr, was uns
zum Thema gerade so einfällt,
({7})
sondern dann reden wir darüber, wie wir die Politik dieser Bundesregierung finden. Gegenwärtig können wir
aber nicht über eine Regierungserklärung reden, weil die
Regierung uns nichts zu erklären hat, weil sie nicht weiß,
wie ihre Innenpolitik aussehen soll.
({8})
Das finde ich angesichts der von ihr in dieser Debatte angeschlagenen Tonlage, die nach Götterdämmerung, nach
Armageddon, nach Weltuntergang klingt,
({9})
unerhört. Denn die Menschen draußen im Lande und die
Parlamentarier, aber auch die Regierungskollegen haben
das Recht, zu erfahren: Was wissen die beiden Minister
über die Bedrohungssituation, und was ist deren Antwort
darauf? Da kann nicht jeder einfach erzählen, was er
will. Das macht die Menschen verrückt, besorgt und - zu
Recht - ängstlich. Mit dem Entsetzen über Terrorismus
treibt man nämlich keine politischen Scherze.
({10})
Das sieht der Vizekanzler übrigens genauso. Er hat heute
gegenüber AP erklärt:
Die Mitglieder der Regierung und der Fraktionsspitzen müssen eine Information erhalten über das,
was da gewusst oder vermutet wird.
Das ist richtig. Doch er ist vorsichtshalber erst gar nicht
gekommen. Offensichtlich will er nicht in Versuchung
geraten, dem Antrag der Opposition auf eine Regierungserklärung zustimmen zu müssen.
Ich bleibe dabei: Das, was Sie wissen, gehört auf den
Tisch des Hauses. Sie können nicht einfach solche Sätze
formulieren,
({11})
wie Bundesinnenminister Schäuble es getan hat:
Die größte Sorge aller Sicherheitskräfte ist, dass innerhalb des terroristischen Netzwerkes ein Anschlag mit nuklearem Material vorbereitet werden
könnte.
Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, dass es
nur noch darum geht, wann solch ein Anschlag
kommt, nicht mehr, ob.
Dann erfahre ich jetzt von den Agenturen, er will das gar
nicht so gemeint haben; das sage man unter Fachleuten
schon seit 15 Jahren. Aber der Text im Interview geht ja
weiter, und damit macht er sich die Aussagen zu eigen:
Wir sind bedroht und bleiben bedroht. Aber ich rufe
dennoch zur Gelassenheit auf. Es hat keinen
Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch
noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine
Weltuntergangsstimmung versetzen.
({12})
Das ist Tanz auf dem Vulkan. Das ist wie in der Pestzeit
im Mittelalter, als man noch einmal feierte, bevor alle
verreckten.
Gibt es eine Grundlage für solche verheerenden und
panikmachenden Äußerungen, oder haben Sie das einfach so dahingesagt, Herr Schäuble, um die SPD bei der
Onlinedurchsuchung unter Druck zu setzen oder hier
oder da über die BKA-Kompetenzen zu reden und sie
durch das dadurch geschaffene öffentliche Klima mürbe
zu machen? Wenn es nur dazu diente, halte ich das für
fahrlässig. Das ist kein verantwortungsvolles Verhalten
eines Innenpolitikers,
({13})
der seriös jedes Bedrohungsszenario - auch ein hypothetisches - analysieren muss und Vorgehensweisen vorschlagen muss, der aber nicht so bedeutungsvoll raunen
darf, als ob er wisse, dass morgen ein Bombenanschlag
bevorsteht.
({14})
Der Bundesverteidigungsminister beschreibt ein Dilemma. Norbert Röttgen, das ist ein Dilemma, mit dem
wir uns als Parlament schon länger beschäftigt haben
und zu dem das Bundesverfassungsgericht Gott sei Dank
klare Worte gesprochen hat.
({15})
- Da gibt es keine einfachen Antworten.
({16})
Der Minister insinuiert - das ist das, was du willst -, es
gebe für diese Situation so etwas wie eine Gebrauchsanweisung. Diese solle der Gesetzgeber möglichst auch
noch in ein Gesetz gießen nach dem Motto: Wenn du
500 Menschenleben retten kannst und dafür 50 opfern
musst, dann darfst du es tun, dann bist du fein raus; dann
ist das Dilemma aufgehoben.
({17})
Volker Beck ({18})
Das - so hat das Bundesverfassungsgericht gesagt - gibt
es innerhalb unserer verfassungsrechtlichen Ordnung
nicht.
Ich sorge mich, wenn wir einen Verteidigungsminister
haben, der nicht die verfassungsrechtlichen Grundsätze,
unseren Rechtsstaat und unsere Freiheit verteidigt, sondern sich in Interviews damit brüstet, diese rote Linie
übertreten zu wollen und genau das Gegenteil dessen zu
tun. Wir würden hier im Parlament gerne einmal Auskunft erhalten, ob diese Äußerung der Politik der Regierung oder der Bundeskanzlerin entspricht. Es sollte
Schluss sein mit den Interviews und öffentlichen Statements. Finden Sie zu einer Politik der inneren Sicherheit,
die rechtsstaatlich ist!
({19})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den FDP-Antrag. Wer stimmt für den Antrag der FDP? - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen?
({0})
Der Antrag hat nicht die erforderliche Mehrheit erhalten.
Er ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur vorgesehenen Tagesordnung.
({1})
- Ich warte einige Sekunden, bis diejenigen, die der weiteren Beratung nicht folgen wollen oder können, den
Saal verlassen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2007.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe heute dem Kabinett den Jahresbericht
2007 zum Stand der Deutschen Einheit vorgelegt und
fasse den Bericht folgendermaßen zusammen:
Wir haben den Wachstumskurs der neuen Bundesländer im Verlauf des letzten Jahres stärken können. Es gibt
eine Reihe positiver Anzeichen für einen sich dauerhaft
haltenden Wirtschaftsaufschwung. Andererseits stehen
wir in den neuen Bundesländern nach wie vor vor enormen Herausforderungen. So gilt es, auf dem Erreichten,
für das die Menschen in den neuen Bundesländern, aber
auch die Solidarität der Menschen in den alten Bundesländern verantwortlich zeichnen, aufzubauen und uns
den Herausforderungen zu stellen, die noch vor uns liegen.
Das Wachstum in den neuen Bundesländern ist stabil,
und ihre Wirtschaftskraft nimmt zu. 3 Prozent Wirtschaftswachstum in Relation zu 2,7 Prozent in den alten
Bundesländern belegen, dass sich die Schere schließt.
Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Sie schließt
sich zu langsam. Die Industrie zieht mit einem Wachstum von 11 Prozent stärker als in den alten Bundesländern an. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist:
Wir sind weit von einem sich selbst tragenden Aufschwung entfernt.
Es gibt immer noch zu wenige Industriearbeitsplätze,
immer noch zu wenige Forschungs- und Entwicklungskapazitäten beim Mittelstand und mit 67,3 Prozent, gemessen an dem der alten Bundesländer, ein deutlich geringeres Bruttoinlandsprodukt. Die Arbeitslosigkeit geht
zurück. Dennoch bleibt das Problem der sich verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit, die in den alten Bundesländern um 20 Prozent, aber in den neuen Bundesländern lediglich um 8 Prozent abnimmt. Daneben schlagen
wir uns mit den Problemen der Demografie und der Abwanderung aus den ländlichen Räumen mit all den sozialen und infrastrukturellen Folgen für das Leben in den
Regionen herum.
Die Bundesregierung zeigt Wege auf, wie wir den
Aufschwung beschleunigen können; denn wir müssen
ihn beschleunigen, wenn wir den Abstand zwischen den
unterschiedlichen Regionen in den Ländern unseres
Staates verringern wollen.
Wir setzen auf den Solidarpakt II. Die Mittel werden
eingesetzt, um die Infrastruktur zu vollenden und in Verbindung mit der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung
der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Investitionszulage Firmen anzulocken und zur Erweiterung zu bewegen. Wir setzen darauf, den Transmissionsriemen
zwischen der Wissenschaft und der Wirtschaft zu verstärken, indem wir insbesondere beim Mittelstand Forschungs- und Investitionskapazitäten aufbauen. Wir setzen darauf, auch in den ländlichen Räumen die
Lebensqualität zu erhalten und sie mit der Lokomotivfunktion der kleinen und großen Wachstumszentren zu
verbinden. Wir setzen darauf, die Langzeitarbeitslosigkeit im engen Schulterschluss mit den Ländern und Städten durch Programme wie dem Kommunal-Kombi zu
beseitigen.
Eine enorme Aufgabe steht vor uns. Durch den Bericht soll ein realistisches Bild gezeichnet werden. Viel
wurde erreicht, und es ist noch viel zu tun. Daneben sollen Wege aufgezeigt werden, wie wir im Laufe der
nächsten Jahre weitere Schritte beim Aufbau Ost gehen
können, die uns zum Erfolg führen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Bundesminister.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich bitte nun, zunächst Fragen zu dem Themenbereich
zu stellen, über den gerade berichtet wurde.
Als erstem Fragesteller erteile ich dem Kollegen
Volker Blumentritt für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Minister, mit welchen konkreten
Maßnahmen will die Bundesregierung die, wie ich
denke, dynamische Entwicklung in Ostdeutschland beschleunigen?
Ist für Sie dabei insbesondere das Programm „Soziale
Stadt“ wichtig - ich spreche da aus eigener Erfahrung -,
das 1999 durch die Bundesregierung initiiert wurde und
wodurch vielfältigste Möglichkeiten eröffnet wurden?
Wie kann man das potenzieren? Was kann man daraus
noch machen? Wofür werden die Mittel, die Sie für die
nächsten Jahre aufgestockt haben, in erster Linie eingesetzt? Das Programm „Soziale Stadt“ - ich sehe das genauso wie Sie - ist insbesondere im Hinblick auf die Stabilisierung des Standortes Ostdeutschland und ein Stück
weit auch im Hinblick auf die Etablierung großer Unternehmen in Ostdeutschland ein wesentlicher Faktor.
Vielen Dank. - Wir müssen auf verschiedenen
Feldern agieren. Ein Feld ist die Stärkung der Wirtschaftskraft. Dadurch werden Arbeitsplätze entstehen; es
werden weniger Sozialtransfers nötig sein, und die Menschen können aus eigener Kraft agieren.
Wir wollen die Wirtschaftskraft stärken, indem wir
mit der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur fortfahren. Dafür wollen wir
auch die Investitionszulage über das Jahr 2009 hinaus
verlängern, wie es in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen wurde. Damit gewährleisten wir, dass Investoren
auch auf dem sogenannten flachen Land Investitionen
tätigen und ihre Unternehmen erweitern bzw. neue gründen können.
Wir wollen darüber hinaus ein zweites Themenfeld
angehen: die Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Wir haben einen Wettbewerb initiiert, der mit
23 Millionen Euro ausgestattet ist. Die ersten elf Projekte konnten identifiziert und mit finanziellen Mitteln
ausgestattet werden. Denn wir wissen, dass der Osten
nicht länger die verlängerte Werkbank des Westens sein
darf; wir müssen vielmehr den Aufbau eigener Forschungs- und Entwicklungskapazitäten ermöglichen.
Das dritte Feld ist die Infrastruktur. Seit der friedlichen Revolution sind in Deutschland ungefähr
170 Milliarden Euro in den Ausbau von Infrastruktur geflossen, davon allein 67 Milliarden Euro in die neuen
Bundesländer. Der Anteil ist deshalb überproportional
hoch, weil wir wissen, dass die Wirtschaft der Infrastruktur folgt. Wir intensivieren unsere Bestrebungen,
ausländische Unternehmen in den Osten zu holen. Das
alles soll die Wirtschaft stärken.
Ein weiteres Themenfeld ist die Stadt. Hier haben wir
es mit besonderen Herausforderungen zu tun. Ich nenne
in diesem Zusammenhang als Stichwort das Programm
„Soziale Stadt“. Um Disparitäten zwischen Stadtteilen
auszugleichen, haben wir das Programm nicht nur von
70 Millionen Euro auf 110 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt, sondern wollen auch mit 20 Millionen Euro einen nicht unbeträchtlichen Anteil dieser Mittel über die
Investitionstätigkeit hinaus zur Finanzierung von Pilotprojekten einsetzen, die zur Verbesserung der Situation
benachteiligter Stadtteile beitragen.
Darüber hinaus kümmern wir uns um den Städtebau.
Die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Städtebaulicher
Denkmalschutz“, die sich mit der Stadtentwicklung im
weitesten Sinne beschäftigen, sind nicht nur verstetigt,
sondern auch aufgestockt worden. Denn die demografische Entwicklung bedingt den teilweisen Rückbau von
Infrastruktur unter und über der Erde, um die Steuergelder der Bevölkerung adäquat einsetzen zu können. Das
sind einige Beispiele.
Ein anderes Themenfeld hatte ich bereits kurz angesprochen: die Langzeitarbeitslosigkeit. Dazu verweise
ich exemplarisch auf das Programm „KommunalKombi“; darüber hinaus ließen sich weitere Programme
anführen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Peter Hettlich.
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben
eben in der Antwort auf die Frage des Kollegen
Blumentritt auf die Investitionszulage und die Gemeinschaftsaufgabe Ost hingewiesen. Sie haben immer wieder festgestellt, dass die Förderung gezielter erfolgen
muss. Wir haben aber schon in der letzten Debatte über
die Investitionszulage im vergangenen Jahr immer wieder gefragt, wie Sie sich das vorstellen. Da ein Rechtsanspruch auf die Investitionszulage besteht, ist damit keine
gezielte Förderung möglich. Die Gemeinschaftsaufgabe
Ost wird - übrigens auch von den Wirtschaftsinstituten immer wieder als probates Mittel empfohlen. Können
Sie mir erklären, warum Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe für dieses Jahr kürzen? Diese Frage interessiert viele Menschen.
Können Sie mir des Weiteren erläutern, wie Sie bei
einem um 0,3 Prozentpunkte geringeren BIP-Wachstum
im Osten gegenüber dem Westen auf 20 Jahre bis zur
Angleichung zwischen West und Ost kommen? Das ist
für mich arithmetisch nicht nachvollziehbar.
Zunächst zu den beiden Programmen: Wir wollen
eine Balance zwischen einer gezielten Förderung über
die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen
Wirtschaftsstruktur einerseits und dem Rechtsanspruch
von Unternehmen andererseits, die neue Investitionen
oder Ersatzinvestitionen tätigen, schaffen. Dabei geht es
um die sogenannte Investitionszulage, die sich auf drei
Bereiche und auf alle Regionen der neuen Bundesländer
bezieht. Die drei Bereiche sind bekannt. Dabei handelt
es sich um die Industrie im klassischen Sinne, die industrienahen Dienstleistungen und ab dem Jahr 2006 das
Beherbergungsgewerbe.
Wir setzen auf diese Dualität, weil wir glauben, dass
die Politik die starken Regionen, ob klein oder groß, gezielt fördern sollte - das geschieht bereits, und zwar mit
Strategie und Planung -; andererseits wollen wir aber
der Unternehmerschaft nicht den Weg verbauen, ihrerseits in dieser oder jener Region, die noch nicht als Zielgebiet in dieser Weise identifiziert ist und diese Stärken
noch nicht aufweist, entsprechende Förderung anzubieten.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. In der letzten
Woche haben wir in Arnstadt ein Werk zur Überholung
von Rolls-Royce-Flugzeugturbinen übergeben. Von der
Grundsteinlegung bis zur Eröffnung sind nur zwölf Monate vergangen. Dort ist es gelungen, ein Unternehmen
in einer Region anzusiedeln, die vorher nicht als industrielles Zentrum Thüringens galt. Das war durch gezielte
Förderung möglich. Die Konkurrenz zu einem tschechischen Mitbewerber konnte gewonnen werden, weil die
Förderung an diesem Ort sowohl in strategischer Hinsicht als auch vom Unternehmer selbst gelenkt werden
konnte.
Die GA stellt eine gute Basis für eine finanzielle Balance dar. Die Investitionszulage und die GA sind in
etwa gleich ausgestattet. Ich denke, dass durchaus immer
Möglichkeiten zur Aufstockung der GA-Mittel bestehen.
Ich setze darauf, dass der Solidarpakt sowohl 2007 als
auch 2008 in vollem Umfang zum Tragen kommt und
dass diese beiden Instrumente dafür sorgen, dass mehr
Arbeitsplätze geschaffen werden.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Roland Claus.
Herr Bundesminister, das Nürnberger Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat herausgefunden, dass in einem Drittel der ostdeutschen Betriebe die
1-Euro-Jobber die Mehrheit stellen. Ich hielt das für unglaublich, aber es ist wahr. Bewerten Sie diesen Fakt als
Beleg für den in Ihrem Bericht konstatierten Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt, oder bewerten Sie diesen Fakt genauso wie ich als einen Skandal?
({0})
Ich möchte die Zahlen nicht bestätigen, weil sie mir
nicht vorliegen. Aber sie beschreiben den Trend, dass
wir zwar den Arbeitsmarkt beleben und die Anzahl der
Arbeitslosen senken, aber nicht in gleichem Umfang
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Osten
Deutschlands schaffen können. Das heißt, wir haben
nach wie vor eine Diskrepanz zwischen den Arbeitsplätzen, die nachgefragt werden, und denen, die tatsächlich
angeboten werden.
Wie behelfen wir uns in einer Situation, in der die
industrielle Produktion anspringt und in den neuen Branchen - regenerative Energien, Chipherstellung, Kunststoffindustrie, elektrotechnische Industrie und chemische Industrie - zwar zahlreiche Arbeitsplätze entstehen,
aber nicht in ausreichendem Umfang? Wie behelfen wir
uns angesichts des Gaps zwischen Angebot und Nachfrage? Wir bieten auf dem ersten Arbeitsmarkt geförderte Arbeitsplätze für diejenigen an, die Arbeit nachfragen, aber nicht in der Lage sind, auf dem regulären
Arbeitsmarkt Arbeit zu finden.
Wir, die Bundesregierung, arbeiten daran, dass diese
Zeitspanne möglichst kurz ist und dass möglichst viele
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen.
Aber ich hielte es für skandalös, wenn wir einerseits Arbeitsplätze, die nicht sozialversicherungspflichtig sind
und die nicht auf dem regulären ersten Arbeitsmarkt zu
finden sind, nicht anbieten würden und es andererseits
zuließen, dass Menschen mit ihrer Hände Arbeit nicht
ein Einkommen erwirtschaften können, das ausreicht,
um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu
bestreiten. Herr Kollege Claus, der Skandal wäre, solche
Menschen weiter zu Hause sitzen zu lassen, zu alimentieren und ihnen nicht die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten. Wir arbeiten daran, dass möglichst schnell mehr
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen.
Das Wort hat nun der Kollege Jan Mücke.
Herr Minister, Sie haben vorhin über die Bedeutung
von Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern sowie der Hochschulen und über die daraus folgenden Möglichkeiten gesprochen, dass junge Leute, die
innovative Ideen haben und ein Produkt entwickeln wollen, sich, von den Universitäten kommend, selbstständig
machen, sodass Arbeitsplatzeffekte in den neuen Bundesländern erzielt werden. Diese Strategie halten wir, die
FDP-Bundestagsfraktion, für richtig.
Für uns stellt sich nur die Frage, wie diese Förderung
der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft tatsächlich
aussieht. Es ist doch ein Fakt, dass beispielsweise bei der
Exzellenzinitiative der Bundesregierung in der ersten
Stufe nicht eine einzige ostdeutsche Universität in den
Genuss einer zusätzlichen Förderung gekommen ist,
weil offensichtlich die Voraussetzungen dafür sehr viel
schlechter gewesen sind, als das in den alten Bundesländern der Fall war.
Erstens. Wie verträgt sich das miteinander, und wie
konkret sieht die Forschungsförderung für die neuen
Länder aus, damit wir die Effekte, die Sie beschrieben
haben, erzielen können? Zweitens. Wie verträgt sich Ihre
Aussage mit der Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion „Umsetzung der Koalitionsvereinbarung - Ansiedlung einer
Großforschungseinrichtung in den neuen Bundesländern“? Es gab diverse Ideen zu diesem Thema. Die Bundesregierung hat uns geantwortet, dass sie nicht beab11756
sichtigt, eine solche Großforschungseinrichtung in den
neuen Ländern in der nächsten Zeit anzusiedeln.
Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, stelle ich noch
eine dritte Frage. Sie haben in Meseberg eine Offensive
Ost angekündigt. Könnten Sie erläutern, was Sie konkret
darunter verstehen und was die neuen Bundesländer davon erwarten können?
Kollege Mücke, Sie nennen zu Recht Forschung und
Entwicklung, Hochschulen und Universitäten als
Schlüsselthemen für den Aufbau Ost. Wenn es uns gelingt, in der Zukunft diese Kapazitäten zu stärken, vor allen Dingen die Verbindung zur Wirtschaft zu verstärken,
dann sollte es gelingen, dass die neuen Bundesländer
schneller in diesem Angleichungsprozess vorwärtskommen.
Sie haben als Erstes die Exzellenzinitiative angesprochen. Diese ist so angelegt, dass in Deutschland nach
einheitlichen, objektiven Kriterien gesucht wird, welche
Hochschuleinrichtung in der Lage ist, exemplarisch für
Deutschland Forschungsleistungen, wissenschaftliche
Leistungen zu erbringen. Wir konstatieren, dass einige
der ostdeutschen Hochschulen knapp unter der Messlatte
geblieben sind und diese nicht übersprungen haben. Ich
bin mir mit meiner Kollegin Schavan einig, dass wir
jetzt in der zweiten Phase der Exzellenzinitiative, in der
es nicht nur um die Eliteuniversitäten, sondern auch um
die Cluster geht, die eine besondere Förderung bekommen sollen, besonders diejenigen Standorte in den Blick
nehmen müssen, die besonders dynamisch Entwicklungsfortschritte gemacht haben.
Ein weiterer Punkt. Die Strategie, die Hochschulen zu
stärken, gründet sich zum Beispiel auf den Hochschulpakt, den die Kollegin Schavan geschlossen hat. Ihnen
ist bekannt, dass wir nicht zuletzt im Rahmen der
Föderalismusreform I den Ländern die Kompetenzen für
die Hochschulentwicklung übertragen haben. Dennoch
interessiert sich der Bund stark dafür, wie wir es zum
Beispiel schaffen können, dass die Anzahl der Studenten
auch an den ostdeutschen Hochschulen und Universitäten auf einem Niveau gehalten wird, dass der Lehrbetrieb effizient und gut ist. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die dafür sorgen sollen. Der Hochschulpakt
bietet eine solide Grundlage dafür.
Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Programmen,
die dazu dienen sollen, Drittmittel einzuwerben bzw.
- ich spreche es noch einmal an - die Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft herzustellen. Der Innovationswettbewerb „Wirtschaft trifft Wissenschaft“,
den wir in Gang gesetzt haben, soll die Netzwerke, die
im Osten in noch viel zu ungenügender Zahl bestehen,
stärken und exemplarisch aufbauen. Ich gebe Ihnen ein
Beispiel: Wir werden über kurz oder lang in Frankfurt/
Oder die in der Welt führende Solarzellenfabrik haben.
Hier entsteht ein Nukleus aus einer wissenschaftlichen
Forschung heraus, weil die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft so eng ist. Das wollen wir stärken und unterstützen. Wir denken, dass das der richtige
Weg ist.
Die Offensive, die wir für die neuen Bundesländer in
Gang setzen, bezieht sich auf die Felder, die ich bereits
vorhin in Zusammenhang mit der Frage des Kollegen
Blumentritt angesprochen habe. Das betrifft die Verstetigung der Förderung für die Wirtschaft: Wir investieren
in die Hochschulen; wir kümmern uns um die Infrastruktur; wir wollen, was die Hochschulen anbetrifft, ein
neues Instrument beraten und werden es hoffentlich auf
den Weg bringen. Das sind die externen ForschungsGmbHs, die den Mittelstand in die Lage versetzen, außerhalb ihrer Unternehmen Forschungen ansiedeln zu
können. Wir kümmern uns - das hatte ich bereits ausgeführt - mithilfe einer Reihe von Projekten um den Arbeitsmarkt. Das ist die Offensive, die wir brauchen, um
den Aufschwung zu beschleunigen.
Sie haben mit den Großforschungseinrichtungen noch
ein spezielles Thema angesprochen, auf das die Bundesregierung Bezug genommen hat. Ich denke an die Spallationsquelle im Raum Halle/Leipzig, über die wir
immer wieder einmal diskutiert haben. Die Forschungsministerin ist - auch im Hinblick auf den europäischen
Kontext - überzeugt davon, dass wir für eine solche Einrichtung auf absehbare Zeit keine Unterstützung erhalten
werden bzw. dass die Notwendigkeit zur Schaffung einer
solchen Einrichtung nicht in dem Maße besteht, dass die
Investitionen fließen können. Sollte im europäischen
oder im deutschen Kontext eine neue Einrichtung realisiert werden, werden wir selbstverständlich die neuen
Bundesländer wieder ins Gespräch bringen.
Es stellt sich zum Beispiel die Frage: Was ist überhaupt eine Großforschungseinrichtung? Bedenken Sie
bitte, dass wir das Biomasseforschungszentrum in den
neuen Bundesländern angesiedelt haben. Wir haben zu
einem Zeitpunkt darüber diskutiert, als die Fragen des
Klimawandels noch gar nicht auf der Tagesordnung
standen. Jetzt stellen wir fest, dass sich unsere Forschungseinrichtung im Zentrum einer ganz wichtigen
Branche befindet. Diese Einrichtung ist übrigens genau
in dem Raum angesiedelt, von dem Sie sprechen. Es gibt
aber momentan keine Chance, dass die Spallationsquelle
realisiert wird.
Nun kommen wir zu der Frage der Kollegin Andrea
Wicklein.
Herr Minister, Sie haben zu Recht die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angesprochen, die wir
jetzt glücklicherweise auch in Ostdeutschland vorfinden.
Dennoch haben wir nach wie vor das Problem der Abwanderung von Fachkräften, die wir dringend brauchen,
und insbesondere die Abwanderung von jungen Frauen,
gerade aus den ländlichen Regionen. Welche Konzepte
hat die Bundesregierung, um dieser Abwanderung etwas
entgegenzusetzen? Welche Konzepte gibt es zur Entwicklung der ländlichen Räume? Wo sehen Sie da Perspektiven?
Darauf gibt es drei Antworten: Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Arbeitsplätze schaffen in den neuen Bundesländern, in
den kleinen und mittleren Städten, in den großen Ballungszentren, aber auch im ländlichen Raum ist die entscheidende Voraussetzung dafür. Diese Arbeitsplätze
entstehen nicht von selbst. Ihre Entstehung kann zwar
gefördert werden, Rahmenbedingungen kann man verbessern, aber sie müssen aus der Wirtschaft selbst, aus
der Industrie, aus dem Dienstleistungsbereich entstehen.
Dass wir mit unserer Strategie der Förderung richtigliegen, das zeigt sich an den Zahlen, die wir heute vorweisen können: Ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent
in Relation zu einem Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent in den alten Bundesländern zeigt, dass wir richtig
investiert haben, dass diese Lokomotiven jetzt in der
Lage sind, ein Wirtschaftswachstum zu generieren, das
sich auch am Arbeitsmarkt niederschlägt.
Übrigens ist interessant, dass die neuen Bundesländer
zunehmend ihre geografische Lage im Hinblick auf die
neuen EU-Mitgliedstaaten ausspielen. Das, was zunächst
Angst gemacht hat - dass mit der Erweiterung der Europäischen Union die Anzahl der Arbeitsplätze zurückgeht -,
das erweist sich als nicht richtig. Wir profitieren von der
Erweiterung.
Die Abwanderung findet übrigens auch innerhalb der
neuen Bundesländer statt. Wir haben eine Vielzahl von
Regionen, die einen Bevölkerungsaufwuchs vorweisen.
Ich nenne exemplarisch Dresden, Jena, Potsdam, Leipzig und Magdeburg. In diesen Städten wird nicht nur das
negative Sterbesaldo kompensiert, sondern es gibt dort
auch einen Bevölkerungsaufwuchs. Menschen aus ländlichen Regionen der neuen Bundesländer ziehen in die
Ballungszentren der neuen Bundesländer.
Das alles ist für diejenigen, die in der Region keinen
Arbeitsplatz finden, allein noch keine gute Nachricht.
Wir haben ein Programm aufgelegt, durch das Regionen
im ländlichen Raum exemplarisch identifiziert und unterstützt werden sollen. Es soll eine Antwort auf folgende Fragen gegeben werden: Wie kann man Lebensqualität im ländlichen Raum erhalten? Wie kann es eine
Verantwortungsgemeinschaft zwischen dem Oberzentrum und dem ländlichen Raum geben? Ausgewählt sind
beispielsweise die Region Stettiner Haff und die Region
Südharz/Kyffhäuser Kreis, um vorzuführen, wie man
das tun kann. Die ersten Ansätze sind vorhanden. Die
Projekte, von denen wir zunächst nur gelesen haben,
sind sehr erfolgversprechend. Das wollen wir unterstützen. Wir investieren eine Menge Geld in diese Projekte,
die wir später auf andere Regionen übertragen wollen.
Es bleibt dabei: Wir werden Unterschiede zwischen
Nord und Süd, Ost und West, aber auch zwischen dem
ländlichen Raum und den Wachstumszentren haben. Wir
konzentrieren uns darauf, die Stärken zu stärken. Wenn
es uns gelingt, bis zum Auslaufen des Solidarpakts II,
also bis 2019, zu erreichen, dass sich eine Vielzahl dieser
Wachstumskerne selbstständig gestaltet, aus einem sich
selbst tragenden Aufschwung heraus und mit einer Wirtschaftskraft, die sich aus sich selbst speist, dann sollte es
möglich sein, auch die ländlichen Regionen, die es deutlich schwerer haben als die Wachstumskerne, im Rahmen des normalen Länderfinanzausgleichs mitzuziehen.
Nun hat das Wort die Kollegin Gesine Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, Sie
haben das Thema Forschung und Entwicklung mehrmals
zu Recht angesprochen. Ich glaube, man braucht nicht
darüber zu diskutieren, dass dies ein entscheidendes
Thema ist. Sie haben einige Leuchttürme benannt. Sie
haben aber wenig Problembewusstsein gezeigt.
Die Bundesregierung hat mir auf meine Fragen geantwortet, dass Ostdeutschland an gesamtdeutschen Förderprogrammen auffällig unterdurchschnittlich beteiligt ist.
Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel - das ist noch ein
relativ positives -: Es fließen nur 10 Prozent der gesamtdeutschen Forschungsmittel für zukunftsorientierte
Energien in den Osten. Welche Anstrengungen, Herr Minister, unternehmen Sie, um Ihre Kabinettskollegen zu
überzeugen, an dieser Stelle eine ausgewogene Zuweisung der Forschungsmittel zu erreichen? Welche Ideen
haben Sie entwickelt, um dem offensichtlichen Missstand abzuhelfen, dass nur ein geringer Anteil der Mittel
für Forschungsförderprogramme in den Osten fließt?
Diese Gelder, Frau Abgeordnete, benötigen Adressaten. Wir brauchen starke Hochschulen und starke Forschungseinrichtungen, vor allen Dingen aber Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, die an den
Unternehmen angelagert sind.
Wir verfügen in den neuen Bundesländern über eine
hervorragende Struktur der öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen. Ich möchte in dem Zusammenhang ausdrücklich Dank sagen der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, den Einrichtungen
der Blauen Liste, der Helmholtz-Gemeinschaft usw., die
dafür gesorgt haben, dass diese Infrastruktur stabil besteht.
In diese Strukturen fließen die Gelder. Es ist dringend
nötig, dass wir zwischen Mittelstand und Hochschule
oder angelagert an den Mittelstand Forschungs- und Entwicklungskapazitäten generieren, die dann Adressat dieser Fördergelder sein können. Es ist also nicht auf Goodwill zurückzuführen, wenn Geld fließt, bzw. auf
Zurückhaltung, wenn Geld nicht fließt; es bedarf konkreter Projekte. Weil wir um diese Schwierigkeit wissen,
kümmern wir uns beispielsweise um die externen Forschungs-GmbHs.
Ich will mit Zahlen noch einmal das unterstreichen,
was Sie gesagt haben. In Deutschland werden von den
Unternehmen rund 51 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben, um zu forschen und zu entwickeln: in den Zentren
der Automobilindustrie, der Elektrotechnik, wo auch immer. In den Osten fließen gerade einmal 1,5 Milliarden
Euro dieser 51 Milliarden Euro - eine große Disparität.
Diese bauen wir auch nicht dadurch ab, dass wir einen
Automobilhersteller auffordern, sein Kompetenzzentrum, sein Design- oder Forschungs- und Entwicklungszentrum komplett in die neuen Bundesländer zu verlegen. So wird es nicht gehen. Es wird aber funktionieren,
wenn wir die Nuklei, die jetzt schon vorhanden sind,
verstärken, sie so unterstützen, dass sie sich entwickeln
können und größer werden. Das ist die Zielrichtung, die
wir verfolgen.
Adressat sind nicht nur die Bundesregierung und die
Landesregierungen; Adressat sind vor allen Dingen die
Unternehmen selbst, die mit eigenen Mitteln dafür sorgen müssen, dass Projekte generiert werden, die am
Ende gefördert werden können. Die Verantwortung liegt
also sowohl beim Bund - er hat Rahmenbedingungen zu
schaffen - als auch bei den Universitäten, Hochschulen
und Unternehmen selbst.
Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck.
Herr Minister, zu den Prozessen im Zusammenhang
mit der deutschen Einheit gehört auch die Fusion von
Reichsbahn und Bundesbahn zur Deutschen Bahn. Es
gab zu diesem Komplex von unserer Fraktion verschiedene Nachfragen, auch zu Unternehmen, die in den
neuen Ländern Besitztümer haben und Energie produzieren, insbesondere zu der DB Energie GmbH. Sowohl
auf eine schriftliche Frage meines Kollegen Winfried
Hermann als auch auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion hat sich Ihr Ministerium der Antwort verweigert.
Ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihnen bekannt ist,
dass eine Antwortverweigerung gegenüber dem Parlament begründet werden muss und dass auch nicht alle
Fragen zu privatwirtschaftlichen Unternehmen abgewiesen werden können, insbesondere nicht zu Unternehmen,
deren hundertprozentiger Eigner der Bund ist. Das Parlament wird, wenn der Gesetzentwurf nicht noch zurückgezogen wird, in dieser Woche die Debatte über die
Frage der Privatisierung der Deutschen Bahn und über
die Strategie, die verfolgt wird, beginnen. Um darüber
debattieren zu können, muss das Parlament die Fakten
erst einmal kennen; erst dann kann es entscheiden, was
es aus diesen Fakten macht.
Sind Sie bereit, dem Parlament die Fragen, die wir zur
DB Energie GmbH und zu anderen Punkten eingereicht
haben, noch zu beantworten? Wenn nicht: Woraus
schließen Sie, dass das Parlament bei diesen Fragen
dumm bleiben muss, obwohl es über diese Sachverhalte
entscheidet?
Ich gehe davon aus, dass wir am Freitag hier im Parlament den Gesetzentwurf zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes beraten werden. Ich gehe also nicht
davon aus, dass er zurückgezogen wird, um diesem
Nebensatz gleich entgegenzutreten. Ich werde dem Vorgang nachgehen und Ihnen eine entsprechende Antwort
zukommen lassen.
Bis wann - die Antwort kann ja in die aktuellen Beratungen mit einfließen - kann das Parlament mit einer Beantwortung unserer Fragen rechnen, nachdem Ihr Haus
zunächst die schriftliche Antwort in Drucksache 16/6222
verweigert hat?
Ich werde das in zwei Phasen tun. Zunächst einmal
werde ich prüfen, ob eine Antwort möglich ist, und wenn
sie möglich ist, werde ich sie dem Parlament in der angemessenen Zeit zukommen lassen.
({0})
Herr Kollege Beck, die nächste Fragestellerin ist die
Kollegin Sabine Zimmermann.
Danke schön. - Herr Minister, Sie kommen ebenso
wie ich aus Sachsen. Ich möchte noch einmal an die
Frage des Kollegen Hettlich von den Grünen anschließen und auf die Kürzung der GA-Mittel eingehen. Es
geht nicht nur um 50 Millionen Euro, sondern auch um
den Anteil der Länder. Insgesamt sind es dann
100 Millionen Euro, die dem Mittelstand verloren gehen. Nach Sachsen geht jeder vierte Euro.
Ich frage Sie: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass
gerade durch diese Einsparung von 100 Millionen Euro
im Mittelstandsbereich die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert wird, weil gerade der Mittelstand die
meisten Arbeitsplätze in Deutschland schafft?
Nein. Erstens bin ich nicht der Meinung, dass wir damit die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern. Wir
haben in einigen Ländern Probleme mit dem Abfluss der
GA-Mittel; das wissen Sie. Dazu zählt nicht das Land,
aus dem offensichtlich wir beide kommen.
Zweitens ist im Rahmen der Haushaltsdebatte - unter
Federführung meines Kollegen Glos - über die Frage
diskutiert worden, inwieweit wir diesen Haushalt fortführen können. Wir haben den Posten der GA-Mittel
leicht senken müssen, um einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, stützen uns aber in der Kopplung von
GA-Mitteln und Investitionszulage immerhin auf einen
Betrag, der per anno weit über 1 Milliarde Euro beträgt.
Wir werden die GA-Mittel und ihre Anwendung in
den einzelnen Bundesländern weiter verfolgen, und ich
gehe davon aus, dass wir, wenn es Spielräume gibt, auch
in dieser Position Flexibilität beweisen. Es soll nach
Möglichkeit kein Investor abgewiesen und keine Investition verhindert werden.
({0})
Nächster Fragesteller ist der Kollege Klaas Hübner.
Herr Minister, die ostdeutschen Länder werden in naher Zukunft ausgeglichene Haushalte vorlegen können,
was sehr zu begrüßen ist. Wie beurteilen Sie vor diesem
Hintergrund die zugesagten Leistungen aus dem
Solidarpakt II?
Es ist ein sehr erfreulicher Umstand, dass sowohl die
Länder als zunehmend auch die Kommunen ausgeglichene Haushalte vorlegen können. Wir dürfen nicht vergessen: Ausgeglichener Haushalt heißt, dass genauso
viel ausgegeben wird, wie eingenommen wird. Dabei
darf aber ebenso nicht vergessen werden, dass sowohl
auf der Länder- als auch auf der Kommunalebene noch
ein extremer Schuldenberg abzutragen ist. Diese
Schwierigkeit besteht nach wie vor.
Wir wissen, dass insbesondere die Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern einen hohen
Schuldenberg aufgebaut haben, um den Aufbauprozess
zu beschleunigen. Die Früchte sehen wir jetzt. Dennoch
brauchen wir Kapazität, die Schulden abzubauen.
Ich denke, wir sind einer Meinung, dass der
Solidarpakt II in seinen zwei Teilen, Korb I und Korb II,
zielgerichtet eingesetzt werden muss. In Korb I geht es
darum, insbesondere Investitionen in die Infrastruktur zu
fördern. Ich bin froh, konstatieren zu können, dass die
Bundesländer, und zwar vom Norden bis zum Süden, zunehmend der Verpflichtung nachkommen, die Gelder
zweckgemäß einzusetzen, und somit auf den Pfad der
Tugend zurückkehren. Ich weiß um die extremen Belastungen, die beispielsweise durch die Zusatzrentensysteme und durch Altschulden auf den neuen Bundesländern lasten. Dennoch darf das kein Grund sein, die
Korb-I-Mittel nicht zu einem großen Teil oder sogar zu
100 Prozent für Investitionen einzusetzen.
Das Gleiche gilt für den Korb II, mit dem
51 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Hier
haben wir, wie Sie sich erinnern werden, schwierige Verhandlungen mit den Bundesländern gehabt. Ich bin froh
und auch etwas stolz darauf, dass wir dieses schwierige
Kapitel geräuschlos haben abschließen können. Aber
auch hier gilt, dass wir das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern zweckgemäß und zielgenau an
der richtigen Stelle einsetzen müssen. Dazu gehören
zum Beispiel die vom Kollegen Hettlich und vom Kollegen Mücke angesprochenen Forschungsgelder, die dort
etatisiert sind und den größtmöglichen Nutzen entfalten
sollen.
Ich appelliere also auch von hier aus an die Finanzminister der neuen Bundesländer, die Gelder aus dem
Korb I des Solidarpaktes zweckgemäß und zielgenau
einzusetzen, damit wir, trotz schrittweiser Reduzierung
gerade dieser Gelder, den Aufschwung bis 2019 beschleunigen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Zeit
für die Regierungsbefragung schon etwas überzogen.
Weitere Fragen kann ich deshalb nicht mehr zulassen.
Herr Bundesminister, ich danke Ihnen herzlich für die
Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/6367, 16/6380 Zu Beginn der Fragestunde beschäftigen wir uns nach
Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde zunächst mit den dringlichen Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Für die Beantwortung steht Herr Staatsminister
Günter Gloser zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur dringlichen Frage 1 des
Kollegen Volker Beck ({0}):
In welcher Weise und mit welchen Argumenten war die
Bundesregierung an der Berufung des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber nach dem Ende seiner Amtszeit zum künftigen Leiter einer 15-köpfigen Expertengruppe
der Europäischen Union, EU, zum Bürokratieabbau beteiligt
bzw. informiert, die der Präsident der EU-Kommission am
Freitag, dem 14. September 2007, bekannt gegeben hat?
Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung begrüßt, dass EU-Kommissionspräsident Barroso mit der Einsetzung eines unabhängigen Sachverständigenausschusses zur Unterstützung der Kommission und der Mitgliedstaaten bei der
Verringerung der Verwaltungslasten ein Ergebnis des
Europäischen Rates vom 8./9. März dieses Jahres umsetzt. Die Berufung der Mitglieder, auch von Ministerpräsident Stoiber zum ehrenamtlichen Vorsitzenden dieses Ausschusses, ist eine Aufgabe der Europäischen
Kommission. Eine Befassung der Mitgliedstaaten ist
nicht vorgesehen. Ich füge hinzu: Die Bundesregierung
begrüßt ausdrücklich die Benennung von Herrn
Dr. Stoiber.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?
Ich bin erstaunt, dass Sie die Frage nicht beantwortet
haben. Wir haben nicht gefragt, ob die Bundesregierung
des Begrüßens mächtig ist, sondern in welcher Weise
und mit welchen Argumenten die Bundesregierung an
der Berufung beteiligt war. Hat die Bundeskanzlerin, wie
man in der Zeitung lesen kann, mit Herrn Barroso in
Bayreuth oder anderswo gesprochen, hat sie mit ihm
Volker Beck ({0})
telefoniert, oder hat sie gesimst - das tut sie ja zuweilen
ganz gerne -, um Herrn Stoiber auf seinem Altenteil
noch ein bisschen Beschäftigung zu verschaffen?
Ich wiederhole das, was ich in meiner Antwort gesagt
habe, nämlich dass es die Aufgabe des Kommissionspräsidenten ist, diese Expertengruppe zu berufen.
Herr Kollege, haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, Frau Präsidentin. - Das ist richtig. Aber wir haben
mittlerweile das Problem, dass die Bundesregierung
meint, sie sei frei, Fragen im Parlament einfach nicht zu
beantworten. Die Frage ist: War die Bundesregierung an
der Berufung beteiligt? Sie können ja sagen, sie war in
keiner Weise daran beteiligt, wenn es so war. Wenn es
anders war, sagen Sie uns das oder sagen Sie, dass Sie
das nachreichen. Aber Sie können hier nicht einfach die
Antwort auf eine Frage verweigern.
Herr Kollege Beck, ich verweigere nicht die Antwort.
Ich habe nur gesagt, dass als Folge aus den Ergebnissen
des Frühjahrsrates die Aufgabe bestand, eine solche Expertengruppe zu berufen. Die Bundesregierung ist von
der Berufung für diese Kommission lediglich vorab unterrichtet worden.
Es gibt nun eine weitere Nachfrage von Herrn Kollegen Trittin.
Frau Präsidentin! Herr Gloser, es besteht kein Zweifel
darüber, dass die Berufung Aufgabe der Kommission ist.
Das hat auch Kollege Beck nicht bestritten. Ist es zutreffend, dass die Kommission - so, wie Sie es suggerieren diese Entscheidung, ihre ureigene Aufgabe erfüllend, getroffen hat, ohne sich vorher mit den Mitgliedstaaten zu
konsultieren und damit das Herkunftsland des künftigen
ehrenamtlichen Vorsitzenden der Kommission für Bürokratieabbau, Dr. Edmund Stoiber, einfach übergangen
hat?
Herr Kollege Trittin, Sie wissen, dass es in der Vergangenheit nicht nur zwischen der Bundesregierung und
der Europäischen Kommission einen intensiven Dialog
gegeben hat, sondern dass europäische Politik sehr stark
von den Ländern beeinflusst wird - gerade hier in
Deutschland - und es sehr viele Kontakte gegeben hat.
Insofern kommt die Frage nicht von ungefähr, ob es von
anderer Seite eine Information darüber hätte geben müssen, ob Herr Stoiber nun der richtige Mann oder der
Richtige aus diesem Bundesland ist. Vielmehr war es
eine Entscheidung der Kommission.
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Volker
Beck ({0}) auf:
Welche Rolle spielten dabei nach Kenntnis der Bundesregierung die strengen Auswahlkriterien für die Berufung von
EU-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, zum Beispiel Fremdsprachenkenntnisse und detaillierte Kenntnis des EU-Apparates, bei dieser Personalentscheidung, und welche Qualifikationsmerkmale erfüllt Dr. Edmund Stoiber nach Kenntnis der
Bundesregierung für diese Tätigkeit?
Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass es sich um ein
politisches Ehrenamt handelt. In Ihrer Frage werden eine
Reihe von Merkmalen und Qualifikationen aufgeführt,
die letztlich auch dem Personalstatut zugrunde liegen.
Aber eine ehrenamtliche Berufung setzt nicht voraus,
dass diese Regeln des Personalstatuts auf der europäischen Ebene Berücksichtigung finden.
Herr Kollege Beck, Ihre Nachfrage.
Sie stimmen mir also darin zu, dass der Kollege
Stoiber zumindest keines der formalen Qualifikationskriterien erfüllt, die für eine andere Position bei der Europäischen Union notwendig wären?
Nein, das habe ich mit meiner Antwort nicht gesagt,
und es ist so auch nicht richtig. Vielmehr ist für diese
Aufgabe jemand gesucht worden, der Erfahrungen aus
der Praxis mitbringt. Ich denke, da dürfte es keinen Widerspruch geben.
({0})
Ihre weitere Nachfrage, bitte.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich darin zu, dass sich der
Kollege Stoiber um den Bürokratieaufwuchs große Verdienste im Freistaat Bayern erworben hat. Das ist allgemein unbestritten.
Ich frage aber noch einmal zu dem Sachverhalt von
vorhin nach: Gab es vor der Entscheidung der Kommission eine positive oder negative Kontaktaufnahme von
Mitarbeitern oder Mitgliedern der Bundesregierung zu
Behörden in Brüssel, um diese auf diesen Personalvorschlag zu bringen, oder können Sie dieses ausschließen?
Ich habe vorhin schon gesagt, wie der Ablauf gewesen ist. Eine solche Kontaktaufnahme ist mir nicht bekannt.
Eine weitere Nachfrage hat nun der Herr Kollege
Zeil.
Herr Staatsminister, da Kollege Beck die Erfahrungen
des Kandidaten beim Bürokratieaufbau angesprochen
hat, möchte ich Sie noch einmal im Hinblick auf die
Sicht der Bundesregierung fragen: Halten Sie bei Berücksichtigung anderer möglicher Kandidaten und der
Zusammensetzung zum Beispiel des Normenkontrollrats, wie die Bundesregierung ihn implementiert hat, angesichts der Defizite gerade beim Bürokratieabbau in
Bayern den in Aussicht genommenen Kandidaten für
qualifiziert?
Herr Kollege Zeil, wir kommen ja beide aus demselben Bundesland und mögen jetzt über vieles spekulieren.
Ich kann nur sagen, dass Herr Dr. Stoiber über viele
Jahre - das wissen Sie genauso gut wie ich - in Bayern
Politik als Staatssekretär, als Innenminister und als Ministerpräsident betrieben hat. Es steht mir jetzt nicht zu,
einzelne Bereiche zu bewerten. Auf jeden Fall gab es in
dem Land - wie Sie wissen - Initiativen zum Bürokratieabbau und zur Einsetzung einer entsprechenden Kommission, die er selbst gestartet hat. Ich glaube, dass er im
Rahmen seines politischen Managements - dabei geht es
auch um das Wissen über den Einfluss von Verbänden
auf die Gesetzgebung, was letztendlich manchmal auch
Bürokratie aufgebaut hat - verschiedene Facetten kennengelernt hat.
Ich glaube, dass Herr Barroso diese Entscheidung
deshalb getroffen hat, weil Herr Stoiber diese Erfahrungen mitbringt.
Wir kommen nun zur dringlichen Frage 3 des Kollegen Jürgen Trittin:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu der Aufforderung des französischen Außenministers Bernard Kouchner ein, der in einem Interview ({0}) gefordert hat, neben möglichen
Sanktionen durch die Vereinten Nationen, UN, auch Sanktionen der Europäischen Union, EU - analog zu den einseitigen
der USA -, gegen den Iran zu verhängen, und die EU aufgefordert hat, sich auch auf einen Krieg gegen den Iran vorzubereiten, und will sie sich an einseitigen, von den UN gelösten
Sanktionen gegen den Iran beteiligen sowie sich auf einen
Krieg vorbereiten?
Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie alle Anstrengungen unternimmt, um in der Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm zu einer Verhandlungslösung zu
kommen. Die Bundesregierung lässt auch keinen Zweifel daran, dass sie keine vernünftige Alternative zu einer
Verhandlungslösung erkennen kann.
Der französische Außenminister Bernard Kouchner
hat inzwischen deutlich gemacht, dass er mit seinen
jüngsten Äußerungen zur iranischen Nuklearproblematik
keineswegs so verstanden werden wolle, als ob Frankreich eine militärische Lösung befürworte, sondern dass
es ihm darum gegangen sei, auf die Gefahr einer militärischen Eskalation des Konflikts um das iranische Nuklearprogramm warnend aufmerksam zu machen.
Die Bundesregierung ist weiterhin der Überzeugung,
dass die Wahrung der Geschlossenheit der drei Partner
aus Europa plus der drei anderen Partner, also der USA,
Russlands und Chinas, eine entscheidende Voraussetzung für einen Erfolg der Bemühungen um eine friedliche Lösung des Nuklearstreits mit Iran bleibt. Wenn
Sanktionen gegenüber Iran wirksam sein sollen, müssen
sie global gelten und daher im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen werden. Die Bundesregierung
beteiligt sich konstruktiv an Gesprächen über eine dritte
Sanktionsresolution. Sie tut dies in enger Abstimmung
mit den E-3-plus-3-Partnern. Die Frage eventueller EUSanktionen müsste zunächst in den europäischen Gremien intensiv konsultiert werden.
Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Herr Gloser, ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie
eventuelle Sanktionen nur im Zusammenhang mit den
Vereinten Nationen sehen, weil Sie die Geschlossenheit
der E 3 plus 3 wahren wollen. Das heißt, dass Sie einseitige Sanktionen der EU ablehnen. In welcher Form hat
die Bundesregierung ihre Auffassung, die ja deutlich
von der des Herrn Kouchner abweicht, gegenüber der
französischen Regierung zum Ausdruck gebracht?
Herr Kollege Trittin, ich darf darauf hinweisen, dass
es gerade Initiativen Deutschlands und Frankreichs in
früheren Jahren zu verdanken ist, dass wir das Format
gefunden haben, andere kritische Partner einzubeziehen.
Ich füge ferner hinzu, dass wir gerade während unserer
deutschen Präsidentschaft von der französischen Seite
Unterstützung für diese entsprechenden Initiativen bekommen haben. Es ist ein richtiger Ansatzpunkt der
französischen Seite, dass wir geschlossen vorgehen. Das
heißt, die E 3 plus 3 müssen zusammenbleiben; der andere Aspekt spielt keine Rolle.
Herr Kollege Trittin.
Herr Staatsminister, wenn Sie zu Recht darauf verweisen, dass es eine gute Tradition Europas gegeben hat,
wie man an diese Frage herangeht, und Sie jetzt mit einem durch den Präsidentenwechsel in Frankreich offenkundig veränderten Kurs Frankreichs konfrontiert sind,
dann ist doch die Frage berechtigt, welche Mittel Sie
einsetzen wollen, um zu europäischer Geschlossenheit
auf Basis der bisher bewährten Linie zurückzukehren.
Herr Kollege Trittin, es gibt ja neue Äußerungen des
französischen Außenministers Bernard Kouchner. Er hat
entgegen den Meldungen, die einen Tag vorher veröffentlicht worden sind, eindeutig gesagt, dass ihm eine
kriegerische Lösung oder andere Alternativen fernlägen.
Der erste Schritt müsse vielmehr sein, die Geschlossenheit, die effiziente Vorgehensweise, die bereits in den
letzten beiden Jahren praktiziert worden sei, weiterhin
zu verfolgen.
Der andere Aspekt ist - ich unterstreiche für die Bundesregierung, dass dies richtig ist -, dass wir im Rahmen
der Vereinten Nationen eine Basis finden. Eine weitere
Frage ist: Wenn es denn isolierte Maßnahmen geben
sollte, dann muss dies erst einmal im Kreis der Europäischen Union erörtert werden.
Eine weitere Nachfrage hat nun die Kollegin Kerstin
Müller.
Herr Kollege Gloser, Ihr Kollege Erler hat gesagt:
„Wir sind bereit, mit unseren Partnern weitere Sanktionen zu beraten und auch zu beschließen.“ Sind Sie der
Meinung, dass die Franzosen im Zusammenhang mit
Sanktionen eine neue Linie verfolgen, also bei einem
Scheitern der P 5 gegebenenfalls EU-Sanktionen verhängen wollen, und ist Deutschland bereit, auf diesem
Weg mitzugehen? Oder setzen Sie nur, wie bisher, auf
die UN-Sanktionen? Das ist die Schlüsselfrage.
Genau das ist der Punkt. Sie wissen genau, dass wir
uns in den nächsten Tagen am Rande der Versammlung
der Vereinten Nationen treffen werden. Die Politischen
Direktoren werden sich darüber abstimmen, und auch
die Außenminister werden sich treffen. Das ist ein ganz
deutliches Zeichen dafür, dass die Bundesregierung auf
dem eingeschlagenen Weg weitergehen will. Gegenüber
dem Iran kann der E-3-plus-3-Prozess nur dann Wirkung
entfalten, wenn er einen internationalen Rahmen hat.
Das heißt, wir verabschieden uns nicht von unserer bisherigen Position, und gegenwärtig gibt es keine Alternativen.
Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich nun das Wort
dem Kollegen Wolfgang Gehrcke.
Herr Staatsminister, wie die Bundesregierung Herrn
Kouchner verstehen will, ist die eine Sache, wie er sich
verstanden wissen will, ist eine andere. Ich halte mich
lieber an ein Zitat. Herr Kouchner hat wörtlich gesagt:
Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten.
Das ist der Krieg.
Das ist ein Zitat aus der FAZ.
Ist die Bundesregierung bereit, dem französischen
Außenminister zu sagen, dass ein derartiges öffentliches
Daherreden, das in der Politik Mode zu werden scheint,
unverantwortlich ist, wenn man einen gemeinsamen
Standpunkt vertreten will?
Herr Kollege Gehrcke, ich habe vorhin schon einmal
gesagt, dass zwischen Frankreich und Deutschland dahin
gehend Einigkeit besteht, dass die E 3 plus 3 eine Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen finden müssen.
Wir haben die Äußerungen von Bernard Kouchner folgendermaßen interpretiert und verstanden: Er hat eindringlich deutlich gemacht, dass wir vom Iran erwarten,
dass er jetzt, nach verschiedenen Maßnahmen, die gezeigt haben, dass wir doppelgleisig fahren - auf der einen Seite Sanktionen, auf der anderen Seite eine offene
Tür für Verhandlungen -, ein deutliches Zeichen setzt.
Nun kommen wir zur dringlichen Frage 4 des Kollegen Jürgen Trittin:
Sieht die Bundesregierung diese Sanktions- und Kriegsdrohungen Frankreichs gegen den Iran als hilfreich bei der
Umsetzung des zwischen der Internationalen AtomenergieOrganisation und dem Iran vereinbarten Zeitplans zur Klärung offener Fragen zum iranischen Atomprogramm an, oder
droht diese Rhetorik diesen Fortschritt bei der Kontrolle des
iranischen Nuklearprogramms nicht vielmehr zu gefährden?
Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung hat die
Vereinbarung eines Zeitplans zwischen Iran und der Internationalen Atomenergieorganisation, IAEO, zur Klärung der offenen Fragen über die Vergangenheit des iranischen Nuklearprogramms begrüßt.
Der Generaldirektor dieser Behörde, Mohammed alBaradei, ist jedoch der Auffassung, dass dieser Schritt
nicht ausreichend ist, um das Vertrauen in den friedlichen Charakter des iranischen Nuklearprogramms herzustellen. Iran hat es in der Hand, durch Befolgung der
Forderungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- hier ist die Suspendierung der Urananreicherung zu
nennen - den Weg zur Lösung des Streits um sein Nuklearprogramm zu ebnen.
Herr Kollege, eine Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ich stimme Ihnen zu: Das, was
Iran bisher geliefert hat, ist nicht hinreichend. Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts des Standes der Nuklearanreicherung im Iran die Gefahr, dass solche, wie
ich finde, fahrlässigen Äußerungen wie die von Herrn
Kouchner zum Vorwand genommen werden, um die Kooperation, auch wenn sie nicht hinreichend ist, abzubrechen, was dazu führen könnte, dass der Iran auf der Basis einer großen Anzahl von Zentrifugen tatsächlich
anreichern könnte und überhaupt keinerlei Kontrolle
durch die IAEO bestünde?
Kollege Trittin, in meiner Antwort auf Ihre erste
dringliche Frage habe ich bereits gesagt, dass wir einen
internationalen Rahmen dafür finden werden. Es gibt
Resolutionen. Sowohl wir als auch die iranische Seite
haben bestimmte Leistungen zu erbringen. Ich glaube
nicht, dass es auf französischer Seite hiervon eine Abweichung gibt. Es sei noch einmal deutlich gesagt, dass
dem französischen Partner klar ist, dass wir zusammenbleiben müssen und keine Extrawege eingeschlagen
können. Vielmehr müssen wir gegenüber dem Iran Geschlossenheit zeigen, um durchsetzungsfähig sein zu
können.
Eine zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, kann ich daraus schließen, dass
Sie die Auffassung von Herrn al-Baradei, dem Chef der
IAEO, teilen, dass ein solches Gerede über Sanktionen
und solche Drohungen - ich meine nicht die des UN-Sicherheitsrates - den konstruktiver werdenden Prozess
zwischen der IAEO und dem Iran gefährden?
Ich habe die Äußerungen von Herrn al-Baradei jetzt
nicht zu kommentieren. Ich kann nur noch einmal sagen,
dass es genau der Punkt ist. Wir haben im internationalen Rahmen eine Vereinbarung getroffen. In diesem
Rahmen ist sich weiter fortzubewegen. Ich glaube, es ist
wichtig, dass wir jetzt nicht mit unterschiedlichen Stimmen in der E 3 plus 3 auftreten, sondern - sowohl in der
konkreten Handlung, als auch in unseren Äußerungen geschlossen. Ich glaube, das ist auch die Position Frankreichs.
Eine weitere Nachfrage dazu hat nun die Kollegin
Kerstin Müller.
Herr Staatsminister Gloser, den Franzosen wird ja
aufgrund Kouchners Äußerungen der Vorwurf gemacht,
sie hätten sich jetzt auf die amerikanische Seite geschlagen. Sieht denn die Bundesregierung auf der US-amerikanischen Seite die Bereitschaft zu einem umfassenden
politischen Kompromiss mit dem Iran zur Lösung des
Atomstreits oder sehen Sie eher, dass die Zeichen auf ein
längerfristig militärisch gestütztes regionales Containment stehen?
Nein, Frau Kollegin Müller, ich sehe weiterhin, dass
das die richtige Initiative ist. Sie wissen ja noch aus Ihrer
eigenen Tätigkeit, wie schwierig es zu Beginn war, diese
vier - Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die
Amerikaner - einzubinden, und dass die Amerikaner
weiterhin auf dieser Ebene gemeinsam mit uns diesen
Weg gehen.
Damit schließen wir im Bereich der dringlichen Fragen diesen Geschäftsbereich ab. Herr Staatsminister,
herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Hier steht zur Beantwortung der dringlichen Frage der Parlamentarische
Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung.
Wir kommen zur dringlichen Frage 5 der Kollegin
Cornelia Hirsch:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
am 18. September 2007 veröffentlichten Ergebnissen der
OECD-Studie Bildung auf einen Blick, wonach Deutschland
im weltweiten Vergleich von Rang 10 auf Rang 22 deutlich
nach unten abrutscht?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die OECD-Studie
bestätigt einerseits, dass Deutschland bei den Abschlüssen der Sekundarstufe II zur Spitzengruppe der OECDStaaten gehört. Andererseits erfordert die internationale
Dynamik bei den Abschlüssen im Tertiärbereich zusätzliche Anstrengungen zur Erhöhung der Akademikerquote in Deutschland.
Die Bundesregierung hat zusammen mit den Ländern
bereits wichtige Weichen gestellt, um dieser Herausforderung zu begegnen. So haben wir mit den Ländern den
Hochschulpakt 2020 vereinbart. Damit können die
Hochschulen bis 2010 über 90 000 zusätzliche Studienanfänger aufnehmen. Hierfür stellt der Bund allein bis
2010 rund 565 Millionen Euro zur Verfügung. Im Zuge
der parlamentarischen Beratungen über den Entwurf des
22. BAföG-Änderungsgesetzes beabsichtigt die Bundesregierung, die BAföG-Bedarfssätze und Freibeträge
deutlich anzuheben. Dies wird sowohl den Kreis der
BAföG-Berechtigten spürbar ausweiten als auch die Förderbeträge für die BAföG-Geförderten steigen lassen,
sodass finanzielle Hürden bei der Studienentscheidung
weiter abgebaut werden.
Die Bundesregierung wird darüber hinaus im Herbst
eine nationale Qualifizierungsinitiative beschließen.
Diese wird das gesamte Spektrum unseres Bildungswesens umfassen, angefangen bei der frühkindlichen Bildung, über die Schule, die berufliche Bildung und das
Studium bis hin zur kontinuierlichen berufsbegleitenden
Weiterbildung. In diesem Rahmen wird der Bund gemeinsam mit den Ländern Strategien entwickeln, um das
deutsche Bildungssystem zukunftsfest zu machen.
Frau Kollegin, Ihre Nachfrage.
Besten Dank. - Vorab vielleicht kurz eine Anmerkung: Ich finde es erstaunlich, merkwürdig und vielleicht auch ein bisschen schade, dass auf Grundlage dieser Studie in der Öffentlichkeit einhellig eine ganz
massive Kritik am bundesdeutschen Bildungssystem geübt wird und einzig das BMBF sagt: Im Prinzip ist doch
alles nicht so schlimm, wir haben schon Anstrengungen
unternommen, die wir nun fortsetzen. Ich finde, das ist
schon ein bisschen -
Frau Kollegin, darf ich Sie bitten, die Zeit für die Fragen zu nutzen.
Ich komme zu meiner Frage.
Ich möchte in meiner ersten Frage konkrete Punkte,
die Sie angesprochen haben, aufgreifen. Das ist zum einen die BAföG-Erhöhung. Dazu wurde im Rahmen der
Haushaltsdebatte geäußert, dass Sie für das nächste Jahr
eine Erhöhung um 4 bis 5 Prozent und dann in einem
zweiten Schritt eine Erhöhung in ungefähr dem gleichen
Rahmen planen. Ist Ihnen bewusst, dass unter anderem
das Deutsche Studentenwerk berechnet hat, dass, um zu
einer bedarfsdeckenden Studienfinanzierung zu kommen, die Bedarfssätze beim BAföG noch in diesem Jahr
um 19 Prozent steigen müssten? Sie orientieren sich dabei an dem Wert, der von den Familiengerichten festgelegt wurde, um den Lebensunterhalt während des Studiums zu finanzieren. Meine Frage lautet: Ist Ihnen das
bewusst, und wie gehen Sie damit um, inwieweit halten
Sie es trotzdem für gerechtfertigt, zu sagen, dass diese
BAföG-Erhöhung ein sinnvoller und richtiger Schritt ist
und keine Aushöhlung, die es aus unserer Sicht faktisch
darstellt?
Frau Abgeordnete Hirsch, wie Ihnen bekannt ist, sind
relevant für die Abschätzung des Erhöhungsbedarfs
beim BAföG die Einschätzungen, vor allem aber auch
die Berechnungen des Beirates, die dem BAföG-Bericht
beiliegen, dessen Vorlage im Februar erfolgt ist. Aus der
Abwägung dieser Sachverhalte geht hervor, dass bei den
Bedarfssätzen insgesamt ein Anpassungsbedarf von bis
zu 10 Prozent und bei den Freibeträgen von bis zu
8 Prozent zu sehen ist. Im Zuge der parlamentarischen
Beratungen, die mit Sicherheit in diesem Spätherbst abgeschlossen werden können, wird zu entscheiden sein, in
welchem Umfang und in welchem Zeitraum eine entsprechende Erhöhung erfolgen kann.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich möchte Ihren zweiten Vorschlag aufgreifen. Sie
sind auf den Hochschulpakt eingegangen und haben diesen als einen zweiten Schritt genannt, durch den man der
von der OECD genannten Misere etwas entgegensetzen
kann. Es gab auch am Hochschulpakt massive Kritik von
verschiedensten bildungspolitischen Organisationen. Die
Hochschulrektorenkonferenz hat unter anderem von einem Tropfen auf den heißen Stein gesprochen. Meine
Frage lautet daher - der erste Hochschulpakt ist mehr
oder weniger unter Dach und Fach -: Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen dazu, oder könnten Sie sich
für einen Vorschlag erwärmen, der besagt: „Offensichtlich reicht all dies noch lange nicht aus, und wir unternehmen auch eine Initiative zum zweiten Hochschulpakt“? Diesen könnte man gut mit Vorschlägen des
Deutschen Studentenwerks hinsichtlich eines Ausbaus
der sozialen Infrastruktur oder auch mit Vorschlägen von
der Bundesregierung mit dem Ziel einer familiengerechteren Hochschule unter dem Schlagwort „Kein Campus
ohne Kita“ koppeln. Schwerpunkt muss natürlich ein
Ausbau der Studienplatzkapazitäten sein, was im Rahmen des ersten Hochschulpaktes noch vollkommen unzureichend geschieht, weil die Mittel bei Weitem nicht
ausreichen.
Frau Abgeordnete Hirsch, der Hochschulpakt hat insgesamt eine zeitliche Reichweite bis zum Jahr 2020.
Das, was ich geschildert habe, sind die Maßnahmen zur
Schaffung von Kapazitäten in der Lehre, und zwar in einer ersten Stufe bis zum Jahr 2010. Selbstverständlich
werden für diesen Bereich auch für die Zeit nach dem
Jahr 2010 gemeinsame Maßnahmen von Bund und Ländern vorbereitet. Darüber hinaus geht es darum, die
Hochschulen auch im Bereich der Forschung zu stärken.
Ihnen ist bekannt, dass wir in zeitlichen Stufen eine sogenannte Overhead-Pauschale einführen. Ferner gibt es
neben dem Hochschulpakt eine Reihe von weiteren
Maßnahmen, um die Attraktivität der Hochschulen in
Deutschland zu stärken. Ich nenne hier unter anderem
die gemeinsamen Beratungen von Bund und Ländern
mit den Hochschulen zur Fortsetzung des Bologna-Folgeprozesses mit der Umstellung der Studiengänge. Hiervon sind auch wesentliche Beiträge zu erwarten, um einen Abbau der im OECD-Bericht festgestellten Defizite
- etwa die Reduzierung der Studienabbrecherquote - zu
erreichen. All dies erfolgt natürlich begleitend zum
Hochschulpakt und kann nicht Gegenstand des Hochschulpaktes selber sein.
Eine weitere Nachfrage hat nun die Kollegin Sevim
Dağdelen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Storm,
in dem OECD-Bericht wird noch einmal deutlich gemacht, dass Schule und Gesellschaft vor großen Herausforderungen bezüglich der Integration von Migrantinnen
und Migranten stehen. In diesem Zusammenhang wird
in dem neuesten Bericht noch einmal deutlich, dass der
Leistungsabstand von Schülerinnen und Schülern mit
Migrationshintergrund im Ländervergleich sehr unterschiedlich ist. Deutschland weist - gemeinsam mit Belgien - selbst für die zweite Generation einen Abstand
von 90 Punkten auf. Welche spezifischen Maßnahmen
planen Ihr Ministerium und die Bundesregierung insgesamt, um diesen Leistungsabstand zu verringern und um
die Bildungserwartung zu erhöhen? Dabei geht es nicht
nur um eine Erhöhung der Bildungserwartung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, sondern auch um eine Erhöhung der Bildungserfolge.
Die Verbesserung der Bildungschancen für Migrantinnen und Migranten ist eine wesentliche Aufgabe der
Bildungspolitik. Bund und Länder haben hierzu im
Hochschulbereich, vor allen Dingen auch im Bereich der
frühen Bildung eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen. Diese setzen bei der frühkindlichen Bildung und
bei der Sprachförderung an. Es geht um eine gezielte
Förderung während der Schulzeit. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung werden sehr viele Maßnahmen ergriffen, um jungen Menschen mit Migrationshintergrund einen Weg hin zu Ausbildungsplätzen zu
ermöglichen; hier sind wir gut vorangekommen. Die
Fülle dieser Maßnahmen ist in die Ergebnisse des von
der Bundeskanzlerin veranstalteten Nationalen Integrationsgipfels eingeflossen.
Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich nun das Wort
dem Kollegen Volker Schneider.
Herr Staatssekretär, ich finde es bemerkenswert, dass
Sie auf die Tatsache verweisen, dass wir, was die
Sekundarstufe II betrifft, in der Spitzengruppe sind. Am
Rande sei erwähnt: Insgesamt sind wir von Platz 10 auf
Platz 22 zurückgefallen.
Zu meiner Frage. Sie haben den Bologna-Prozess angesprochen. Mittlerweile wurden erste Erfahrungen mit
den konkreten Auswirkungen dieses Prozesses gemacht.
Ich stelle in diesem Zusammenhang zunächst einmal
fest, dass die Einführung des Bachelor-Abschlusses ein
hohes Maß an Aussortierung zur Folge haben wird. Die
Einführung dieses Abschlusses bedeutet im Grunde genommen keine Qualitätsverbesserung, sondern nur eine
Verkürzung der Studiendauer. Glauben Sie - insbesondere vor dem Hintergrund, dass in einigen Bereichen
fragwürdig ist, ob der Bachelor tatsächlich ein berufsqualifizierender Abschluss ist -, dass ein Konzept zur
reinen Verkürzung der Studiendauer geeignet ist, um den
Problemen im Bildungsbereich beizukommen?
Herr Abgeordneter, die nach dem Bologna-Prozess
erforderliche Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Master-Abschlüsse dient nicht in erster Linie
einer Verkürzung der Studiendauer, sondern der Internationalisierung. An diesem Prozess sind mittlerweile
46 Länder beteiligt. Ein wesentliches Ziel ist, dafür zu
sorgen, dass der Bachelor-Abschluss berufsqualifizierend ist. Hierzu findet ein permanenter Dialog zwischen
Politik, Hochschulen und vor allen Dingen der Wirtschaft statt. Ich darf an Kampagnen der Wirtschaft wie
etwa „Bachelor welcome!“ erinnern, mit denen dafür geworben wurde, insbesondere Hochschulabgängern mit
Bachelor-Abschluss einen Arbeitsplatz anzubieten.
Im Hinblick auf Ihre Vorbemerkung ist darauf hinzuweisen, dass es in Deutschland, anders als in vielen anderen Ländern, ein System der dualen beruflichen
Ausbildung gibt, das Bildungsabschlüsse mit hervorragenden Qualifikationen ermöglicht, die in anderen Ländern mit einem Fachhochschulniveau vergleichbar sind.
Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zu
dem Ziel, die Studienanfängerquote auf 40 Prozent zu
erhöhen. In internationalen Vergleichen ist dabei allerdings zu berücksichtigen, dass in unserem dualen System qualitativ hochwertige Bildungsabschlüsse zu erreichen sind, diese allerdings nicht in der Akademikerquote
enthalten sind.
Eine weitere Nachfrage hat nun der Kollege
Dr. Keskin.
Herr Staatssekretär, meine Kollegin Frau Dağdelen
hat Sie ganz konkret nach Maßnahmen gefragt, die geeignet sind, die Defizite im Bildungsbereich insbesondere mit Blick auf benachteiligte soziale Schichten und
Kinder zu beheben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
konkretisieren könnten, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreift, um die Situation in diesem Bereich zu verbessern.
Herr Abgeordneter Keskin, ich habe schon ausgeführt, dass das nahezu alle Bildungsbereiche betrifft, in
denen besondere Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungschancen junger Migrantinnen und Migranten
durchgeführt werden. Was den Bund angeht, handelt es
sich vor allen Dingen um Maßnahmen zur Verbesserung
der Chancen im Rahmen der beruflichen Bildung. Es
gibt eine Reihe von Maßnahmen, durch die Defizite beseitigt - Stichwort: Ausbildungsreife junger Migrantinnen und Migranten - und die Chance auf einen Ausbildungsplatz verbessert werden sollen. An dieser Stelle sei
das Förderprogramm „Jobstarter“ erwähnt, das bis zum
Jahr 2010 mit Mitteln in Höhe von insgesamt
125 Millionen Euro dotiert ist, von denen ein nicht unbeachtlicher Teil insbesondere zur Verbesserung der Chancen junger Migrantinnen und Migranten verwendet wird.
Vergleichbare Maßnahmen werden zur Verbesserung
der Chancen der Migrantinnen und Migranten im Rahmen der frühkindlichen Bildung durchgeführt - Stichwort: Sprachförderung -, um dazu beizutragen, dass ihr
Einstieg in eine erfolgreiche Schulkarriere gelingen
kann; dafür sind allerdings vor allem die Länder zuständig. Vergleichbares gibt es natürlich auch im Hochschulbereich.
Damit sind die dringlichen Fragen beantwortet. Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen herzlich.
Wir kommen nun zu den Fragen auf Drucksache
16/6367. Wir gehen in der üblichen Reihenfolge vor.
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Die Frage 1 des Herrn Kollegen Hans-Christian
Ströbele aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz wird schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Für die Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Rainder
Steenblock:
Wie sehen die Pläne der Bundesregierung bzw. des Bundesministeriums der Finanzen konkret aus, die umweltfreundliche Energieversorgung von in Häfen liegenden Schiffen von
der Steuer zu befreien und in diesem Zusammenhang bei der
Europäischen Union eine Ausnahme von der Energiebesteuerung zu beantragen und die „nationale Gesetzgebung anzupassen“ ({0})?
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Steenblock, Sie fragen danach, wie wir die landseitige Stromversorgung
von Schiffen steuerfrei zu stellen gedenken. Das Bundesministerium der Finanzen erarbeitet derzeit eine
möglichst praktikable Vorschrift zur Befreiung der landseitigen Stromversorgung von Schiffen von der Stromsteuer. Die betroffenen Kreise werden noch zu beteiligen
sein. Parallel dazu bereitet die Bundesregierung den für
eine solche Steuerbefreiung nach Art. 19 der EU-Energiesteuerrichtlinie erforderlichen Antrag bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vor.
Herr Kollege, Ihre Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie etwas über die
Zeitabläufe sagen: Wann rechnen Sie damit, dass ein Gesetzentwurf diesem Haus vorgelegt werden kann, und
wann wird diese Steuerbefreiung EU-weit realisiert werden können?
Wir hoffen, dass wir das etwa um die Jahreswende
erreichen können. Wir sind nicht ganz sicher, weil ein
solcher Antrag bei der Europäischen Kommission die
Zustimmung aller Mitgliedsländer bekommen muss. Das
heißt, das muss im Ecofin behandelt werden. Andererseits ist nicht zu erkennen, warum es dort Widerstand
von anderen Ländern geben sollte. Die Stromsteuerbefreiung hat schließlich nichts mit Wettbewerbsverzerrung zu tun. Denn es ist ja so, dass auch die bisherige
Stromversorgung von Schiffen durch Dieselgeneratoren
steuerbefreit ist. Eine landseitige Stromversorgung hätte
demgegenüber einen erheblichen positiven Effekt auf
die Umwelt. Da dies für alle Hafenstandorte gleichermaßen von Interesse wäre, können wir nicht sehen, warum
es Widerstand von anderen Mitgliedsländern geben
sollte. Im Gegenteil, wir sind hier möglicherweise Vorreiter, übrigens auch für die Installation der für die landseitige Erzeugung von Strom notwendigen Aggregate.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Hier steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Ulrich Kasparick zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
auf:
Welche Vorstöße unternimmt der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Ermöglichung der Fahrradmitnahme im ICE-Fernverkehr der bundeseigenen Deutschen Bahn AG, nachdem dem vom Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgeschlagenen Pilotversuch zur Fahrradmitnahme im ICE seitens der Deutschen
Bahn AG eine Absage erteilt wurde, und wann rechnet der
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit
einem Regelangebot zur Fahrradmitnahme im ICE?
Herr Dr. Hofreiter, wir haben ja hier im Plenum über
das Thema, nach dem Sie erneut fragen, mehrfach gesprochen.
Ich darf Ihnen berichten, dass wir mit dem Vorstand
der Deutschen Bahn über das Thema Radverkehr im guten und regelmäßigen Gespräch sind. Sie wissen, in
Deutschland wird mit dem Rad Jahr für Jahr ein Volumen von etwa 3 Milliarden Kilometern zurückgelegt.
Das Rad ist ein Verkehrsmittel, das keine Emissionen hat
und deswegen für die innerstädtische Verkehrsentwicklung von hoher Bedeutung ist. Der Bund gibt etwa
80 Millionen Euro pro Jahr aus, um das nationale Radverkehrswegenetz auszubauen. Wir sind deshalb mit der
Bahn besonders dringend im Gespräch, die Angebote,
die die Bahn hat - bei den ICs, im Personennahverkehr,
insbesondere aber bei den schnellen Strecken, bei den
ICEs -, zu verbessern.
Mein Eindruck ist, dass die Bahn bei diesem Themenfeld in Bewegung kommt. Wir haben vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG vor kurzem einen
Brief erhalten zu dem von uns vorgeschlagenen Pilotversuch, auf ausgewählten Strecken eine Fahrradmitnahme
im ICE zu testen, um zu prüfen, ob die Argumente, die
von der Deutschen Bahn vorgetragen werden, stichhaltig
sind. Herr Dr. Mehdorn war diesem Vorschlag gegenüber, etwas zurückhaltend. Wir haben diesen Brief als
Gesprächsangebot verstanden.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Wäre es möglich, dass der sehr geehrte Herr Staatssekretär die nächste Frage gleich beantwortet und ich die
Nachfragen dann im Paket stelle? Denn es handelt sich
um exakt das gleiche Themenfeld.
Herr Staatssekretär, sind Sie damit einverstanden?
Ja, das können wir gerne machen.
Dann können wir so verfahren.
Ich rufe damit die Frage 4 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Mit welcher Argumentation hat die Deutsche Bahn AG einen Pilotversuch abgelehnt, und inwieweit konnte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung diese
Argumentation nachvollziehen?
Ich habe das eben schon indirekt beantwortet: Wir haben der Bahn vorgeschlagen, einen Pilotversuch zu machen, um die Argumente der Bahn zu prüfen. Im Wesentlichen wird argumentiert, der Aufenthalt der Züge in
den Bahnhöfen würde sich verlängern. Es wird argumentiert, die Auslastung des Angebotes sei saisonbedingt; das Angebot sei von daher betriebswirtschaftlich
nicht zu rechtfertigen. Schließlich wird argumentiert, es
komme zu einer Verdrängung von Sitzplätzen. Im Moment sind wir nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Argumente, die von der Bahn vorgetragen werden, stichhaltig sind.
Wir haben vorgeschlagen, diesen Pilotversuch zu machen, um diese Argumente zu überprüfen. Wir halten an
diesem Vorschlag fest und sind bereit, dafür Mittel aus
dem Haushalt zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist
mein Eindruck, dass wir, um das wirklich zu erreichen,
das weitere Gespräch brauchen.
Gefreut hat mich, dass die Deutsche Bahn sich im Bereich des IC-Verkehrs bewegt hat. Wir haben das Angebot bekommen, beispielsweise die Buchungsmöglichkeiten über das Internet zu verbessern. Wir haben das
Angebot bekommen, dass die DB alle Angebote, die sie
bereits formuliert hat, zusammenfasst, sodass es für den
Kunden überschaubarer wird. Wir haben ein Pilotprojekt
verabredet, im Rahmen dessen die Mietmöglichkeiten,
die man an Haltebahnhöfen des ICE hat, deutlich verbessert werden sollen, und sind da im Gespräch mit privaten
Mietunternehmen. Es ist also schon der Eindruck vorhanden, dass Bewegung im Gespräch ist. Allerdings bin
ich mit dem derzeitigen Ergebnis noch nicht zufrieden.
Ihre Nachfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, erst einmal eine Nachfrage zur Frage 3.
Da wird ganz konkret gefragt, in welchem Zeitrahmen
der Bundesminister damit rechnet, dass es ein Regelangebot zur Fahrradmitnahme im ICE gibt. Dazu haben Sie
nichts ausgeführt.
Ich habe Ihnen den derzeitigen Gesprächsstand beschrieben. Wir haben das Gespräch mit der Bahn zu diesem Thema aufgenommen. Es hat zwei Gespräche mit
dem Vorstand Personenverkehr der Deutschen Bahn gegeben. Es gibt jetzt einen Brief des Vorstandsvorsitzenden an Herrn Bundesminister Tiefensee. Mit diesem
Brief sind wir nicht zufrieden. Deshalb habe ich etwas
salomonisch formuliert: Wir verstehen diesen Brief als
ein Gesprächsangebot. - Angesichts dieses Verhandlungsstandes können wir im Moment über Fristen für ein
Regelangebot noch nichts sagen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Sie haben davon gesprochen, dass Sie bereit wären,
Geld für diesen Pilotversuch in die Hand zu nehmen.
Ja.
Ich erwarte jetzt von Ihnen nicht, dass Sie das auf die
Kommastelle genau sagen. Aber gibt es eine ungefähre
Vorstellung im Ministerium, welche Mittel Sie bereit
wären da einzusetzen?
Das hängt wesentlich vom Design des Versuchs ab.
Wir haben ein paar Strecken vorgeschlagen und die
Bahn gebeten, ihrerseits Vorschläge dazu zu machen, auf
welchen Strecken man das untersuchen könnte. Es ist
kostenrelevant, welche Strecke verabredet wird. Die
Größenordnung wird nach meiner Einschätzung deutlich
unter 1 Million liegen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja. - Dem Staatssekretär müsste eigentlich bekannt
sein, dass die Bahn zu 100 Prozent der öffentlichen
Hand gehört. Deshalb ist es erstaunlich, dass ein Bundesminister öffentlich sagt, es wird einen Pilotversuch
geben, dann ein Angestellter eines Bundesunternehmens
bekannt gibt, dass es diesen Pilotversuch nicht geben
wird, und dass wir dann hören, dass man im Gespräch
ist. Ist es normal, dass das Bundesministerium selbst solche Kleinigkeiten gegenüber dem zu 100 Prozent der öffentlichen Hand gehörenden Unternehmen nicht durchsetzen kann?
Sie verfolgen die Gesprächsprozesse zwischen
DB AG und Bundesverkehrsministerium auch in anderen Themenfeldern sicher sehr aufmerksam. Sie können
an diesem Themenfeld sehr genau verfolgen, welche
Möglichkeiten der direkten Einflussnahme gegeben
sind. Wir brauchen das politische Gespräch miteinander.
Wir brauchen insbesondere auch ein hohes Maß an öffentlicher Beteiligung an dem Gespräch. Mich freut sehr,
dass sich die Radfahrerverbände an diesem Gespräch beteiligen. Mein Eindruck ist, dass das im Vorstand der
Deutschen Bahn AG zunehmend wahrgenommen wird.
Herr Kollege, eine Chance haben Sie noch.
Herr Staatssekretär, wenn sich das Bundesverkehrsministerium bereits bei der Fahrradmitnahme nicht
durchsetzen kann, die - wie Sie selbst genau wissen - im
Vergleich zu den Problemen, die Sie sonst mit der Bahn
haben, eine Kleinigkeit ist, stimmen Sie mir dann zu,
dass es die reinste Hybris ist, zu glauben, dass dieses
Bundesverkehrsministerium so etwas Komplexes wie
eine LuF, also eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, bei einer teilprivatisierten Bahn auch nur ansatzweise wird durchsetzen können, oder genügt es dem
Bundesverkehrsministerium, nette, freundliche, aber folgenlose Gespräche zu führen?
Ich teile Ihre Einschätzung nicht, dass die Gespräche,
die wir mit der Bahn führen, folgenlos sind.
Durch die politischen Projekte, die Sie ansprechen
und die uns im Deutschen Bundestag ausführlich beschäftigen werden, wird deutlich, dass der Gesetzgeber,
das Parlament, uns beauftragt hat, einen Finanzierungsvorschlag zu machen, um zusätzliche Mittel für Infrastrukturinvestitionen freizubekommen. Diesen Auftrag
werden wir jetzt abarbeiten.
Sie wissen auch, dass es dem Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufgrund der Strukturen, die wir gemeinsam mit der DB AG vereinbart
haben, nicht möglich ist, auf direkte Unternehmensentscheidungen Einfluss zu nehmen. Dafür sind die Gremien des Unternehmens zuständig. Das muss man auch
beachten, wenn man ganz konkrete verkehrsplanerische
und verkehrspolitische Umsetzungen vom Unternehmen
erwartet.
Deswegen bleibt uns nur der Weg - den gehen wir
auch -, ein drängendes, konkretes und zielorientiertes
Gespräch miteinander zu führen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen herzlich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 5 des Abgeordneten HansKurt Hill:
Wann wird die Bundesregierung bei importiertem Sojaund Palmöl mit Blick auf die katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen aufgrund des industriellen Plantagenanbaus
in den Erzeugerländern dem Deutschen Bundestag eine wirksame Nachhaltigkeitszertifizierung für Importbiokraftstoffe
vorlegen, und in welcher Weise wird die Bundesregierung Importbeschränkungen bzw. einen Förderausschluss bei der
EEG-Verstromung solcher Produkte durchsetzen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr verehrter Herr
Kollege Hill, Ihre Frage beantworte ich Ihnen wie folgt:
Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an einer
Verordnung, mit der sichergestellt werden soll, dass Biokraftstoffe nur dann auf die Erfüllung der Biokraftstoffquote gemäß § 37 a ff. Bundes-Immissionsschutzgesetz
angerechnet werden können bzw. dass für diese nur dann
eine Steuerentlastung gemäß § 50 Energiesteuergesetz in
Anspruch genommen werden kann, wenn bei der Erzeugung der eingesetzten Biomasse nachweislich bestimmte
Anforderungen an eine nachhaltige Bewirtschaftung
landwirtschaftlicher Flächen oder bestimmte Anforderungen zum Schutz natürlicher Lebensräume erfüllt werden oder wenn Biokraftstoffe ein bestimmtes Treibhausgasverminderungspotenzial aufweisen.
Die bisher geführten Gespräche zwischen den zuständigen Ressorts und ein Fachgespräch mit den zu beteiligenden Verbänden und Organisationen haben gezeigt,
dass die weiteren notwendigen Abstimmungen und die
formale Anhörung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz aufgrund der komplexen und schwierigen Materie
noch Zeit in Anspruch nehmen werden. Es wird aber angestrebt, die nationale Abstimmung bis zum Dezember 2007 abzuschließen.
Nach der Abstimmung auf nationaler Ebene ist der
Verordnungsentwurf bei der EU-Kommission zu notifizieren. Wegen der Binnenmarktrelevanz und der laufenden Arbeiten zu Nachhaltigkeitskriterien auf EU-Ebene
ist damit zu rechnen, dass die EU-Kommission eine Genehmigung nicht vor Abschluss der eigenen Arbeiten erteilen wird, um kein Präjudiz zu schaffen. Aufgrund der
bisherigen Erfahrung rechnen wir mit einer Dauer von
etwa 6 bis 18 Monaten.
Im Übrigen ist auch zum Aufbau der weltweit anzuwendenden Zertifizierungssysteme ein Vorlauf nötig, sodass unabhängig vom formellen Inkrafttreten der Verordnung eine Übergangsfrist bis zur vollen Wirksamkeit
der Anforderungen notwendig sein wird. Andernfalls
könnten mangels Zertifizierung überhaupt keine BioParl. Staatssekretärin Astrid Klug
kraftstoffe mehr zur Erfüllung der Biokraftstoffquote
verwendet werden.
Zum EEG. Es ist geplant, die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gemäß den Beschlüssen von
Meseberg spätestens am 5. Dezember 2007 im Kabinett
zu beschließen. Im Rahmen der Novellierung des EEG
plant das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, den Einsatz von nicht nachhaltig
erzeugtem Palm- und Sojaöl komplett zu unterbinden.
Dies soll erfolgen, indem der Anreiz zum Einsatz dieser
Öle, soweit sie nicht nachweislich nachhaltig erzeugt
wurden, so weit gesenkt wird, dass ein wirtschaftlicher
Einsatz nicht mehr möglich ist.
Herr Kollege, Ihre erste Zusatzfrage bitte.
Vielen Dank, Frau Kollegin Staatssekretärin. Sie haben mir eine wirklich ausreichende und erschöpfende
Antwort gegeben.
Sie sagen, dass Sie die Problematik insbesondere in
den Ländern, in denen im Plantagenanbau systematisch
nachwachsende Rohstoffe zulasten der Umwelt und der
Menschen angebaut werden, kennen. Mich interessiert
jetzt noch, welche Möglichkeiten Sie sehen, dies kurzfristig so zu unterbinden, dass diese Stoffe tatsächlich
nicht mehr in den entsprechenden Biomasseanlagen
bzw. Anlagen eingesetzt werden können.
Das Hauptproblem hinsichtlich des Einsatzes von
Palmöl sind Anlagen zur Erzeugung von Strom, durch
die die Nachfrage nach Palmöl wächst. Dies wollen wir
in Zukunft unterbinden, vor allem dann, wenn Palmöl
aus Ländern importiert werden soll, in denen nachweislich Regenwälder abgeholzt werden, um es zu erzeugen - was für den Klimaschutz, den wir alle ja wollen,
kontraproduktiv ist. Der wichtigste Hebel, um dies in der
Zukunft auszuschließen, ist das EEG.
Wir sehen keinen Vertrauensschutz im Hinblick auf
Anlagen, die noch gebaut werden oder in der Vergangenheit gebaut wurden und heute schon Palmöl einsetzen,
das nicht nachhaltig angebaut wurde. Das kommunizieren wir überall, wo wir die Möglichkeit dazu haben, und
werden es in der EEG-Novelle auch gesetzlich fixieren,
sodass wir es für die Zukunft ausschließen können. Das
gelingt uns, indem wir in Zukunft keinen Nawaro-Bonus
mehr für Anlagen zahlen, die nachweislich nicht nachhaltig produziertes Palmöl einsetzen, und indem wir für
größere Anlagen, solche über 150 Kilowatt, keine Förderung durch das EEG mehr zulassen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ich habe noch eine Frage. Wir haben auf der einen
Seite die nationale Verpflichtung, etwas dagegen zu tun;
auf der anderen Seite können wir auf der europäischen
Ebene Einfluss nehmen. Welche Möglichkeiten sehen
Sie, internationale Standards einzuführen?
An genau diesem Punkt arbeiten wir. Wir wollen die
nationalen Standards, die wir entwickeln, auch zu europäischen und internationalen Standards machen. Dazu
sind wir in intensivem Gespräch mit der Europäischen
Kommission. Das Thema wurde auch im Rahmen unserer europäischen Präsidentschaft diskutiert. Alle Vorarbeiten, die wir jetzt leisten, bringen wir in die europäische Debatte mit ein.
Danke schön.
Die Frage 6 des Kollegen Rainder Steenblock wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich danke auch Ihnen, sehr geehrte Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Andreas Storm
zur Verfügung.
Die Frage 7 der Kollegin Cornelia Hirsch wurde zurückgezogen.
Gleiches gilt für die nächste Frage nicht. Das heißt,
wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Cornelia Hirsch:
Liegen der Bundesregierung Zahlen über die nach Maßgabe der personellen und sächlichen Ausstattung ausfinanzierten Studienplätze in Deutschland vor und, wenn ja, welche?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch nach vorliegenden Zahlenangaben zu
Studienplätzen beantworte ich wie folgt: Für die Bereitstellung von Studienplätzen sind die Länder zuständig.
Eine bundesweite Übersicht über Studienplatzzahlen besteht nicht. Auch bei den Verhandlungen zum Hochschulpakt 2020 haben die Länder bestätigt, dass eine einheitliche Feststellung von Studienplatzzahlen für alle
Länder und Fächer nicht möglich ist. Daher wurde beim
Hochschulpakt die Zahl der zusätzlichen Studienanfänger als Maßstab genommen. Lediglich für die Fächer
Medizin, Pharmazie, Tiermedizin und Zahnmedizin sowie - das gilt allerdings nur für einige Hochschulen Biologie und Psychologie, in denen die Studienplätze
bundesweit über die Zentralstelle für die Vergabe von
Studienplätzen - ZVS - vergeben werden, liegen konkrete Zahlen zu den Studienplätzen an den einzelnen
Hochschulen vor, die auf der Homepage der ZVS veröffentlicht sind.
Frau Kollegin, Ihre Nachfrage, bitte.
Besten Dank für die Antwort. - Meine erste Nachfrage lautet: Halten Sie es für sinnvoll, dass die Bundesregierung keinerlei Auskunft über die Situation der Studienplätze insgesamt geben kann und trotzdem unter
anderem im Koalitionsvertrag die Vorgabe festgehalten
worden ist, die Studierendenquote auf 40 Prozent zu erhöhen? Wie will man das leisten, wenn nicht einmal
Zahlenangaben darüber vorliegen, wie viele Studienplätze es zurzeit in diesem Land gibt?
Frau Abgeordnete Hirsch, es handelt sich hierbei um
ein statistisches Definitionsproblem. Wir haben Zahlenangaben zu den Studierenden und Studienanfängern. Der
Hochschulpakt basiert auf sehr konkreten Annahmen
über die Entwicklung der Zahl der Studienanfänger.
„Studienplatz“ ist ein kapazitätsrechtlicher Begriff,
der von Fach zu Fach variiert. Die Länder legen in den
Fächern, in denen keine bundeseinheitlichen Vergabeverfahren über die ZVS laufen, unterschiedliche kapazitätsrechtliche Definitionen zugrunde. Insofern ist kein
Vergleich möglich. Es ergibt keinen Sinn, unterschiedlich definierte Studienplätze zu addieren. Das würde bedeuten, Äpfel und Birnen zusammenzuzählen.
Eine zweite Nachfrage, bitte.
Stimmen Sie mir zu, dass eine Änderung der Rechtslage ohne Weiteres möglich wäre - da der Bund auch
nach der Föderalismusreform I die Kompetenz hat, über
Hochschulzulassungen zu entscheiden -, indem man ein
bundesweites Hochschulzulassungsgesetz oder Ähnliches schafft, um in der Hochschulpolitik insgesamt zu
einer sinnvolleren Planung und Abstimmung zu kommen und die Praxis der unterschiedlichen kapazitätsrechtlichen Vorgaben in jedem einzelnen Bundesland zu
stoppen, wodurch auf Bundesebene, wo eine gesamtstaatliche Verantwortung für den Hochschulbereich existieren muss, keine umfassenden Zahlenangaben möglich
sind?
Frau Abgeordnete Hirsch, ich stimme Ihnen deswegen nicht zu, weil wir ansonsten ausreichende statistische Informationen insbesondere zur Entwicklung der
Studienanfängerzahlen haben. In wenigen Wochen wird
uns gemeldet werden, wie sich die Studienanfängerzahlen in den einzelnen Bundesländern zum kommenden
Wintersemester entwickelt haben.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 9 des Abgeordneten Alexander Bonde wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 10 und 11
der Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 14 des Kollegen Dr. Hakki
Keskin von der Linkspartei:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
erneuten Gammelfleischskandal für die Lebensmittelsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere hinsichtlich der strafrechtlichen Sanktionierung von Gammelfleischproduktion und -lagerung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Keskin, wir haben darüber heute früh lange im
zuständigen Fachausschuss diskutiert. Seit 2006, seit wir
in der Regierung sind, haben wir seitens des Bundes eine
Reihe von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Bundesländern umgesetzt. Ich nenne als herausragendes Beispiel das VIG. So der Bundesrat am kommenden Freitag
zustimmt, wird es in Zukunft möglich sein, die Namen
der Betriebe zu nennen, die Gammelware in den Verkehr
bringen. Wir haben zudem das Thema Rückverfolgbarkeit aufgegriffen. Wenn K-3-Material in den Geschäftsgang gebracht wird, ist eine Bestätigung, ein Rückschein, erforderlich. Ich nenne mit Blick auf die zweite
Frage von Herrn Keskin als Beispiel die Zuverlässigkeitsprüfung für Lebensmittelunternehmen. Die Voraussetzungen dafür sind nun gegeben. Wir setzen darüber
hinaus im Oktober ein vom Kabinett beschlossenes Gesetzesvorhaben zur Meldepflicht um. In Zukunft sind
Lebensmittelunternehmer, die Gammelware abnehmen,
verpflichtet, dies zu melden; das ist strafsanktioniert.
Wie Sie sehen, sind wir auf allen Ebenen tätig. Die
Verbraucherschutzministerkonferenz in der vergangenen Woche hat sich dafür ausgesprochen, K-3-Material
einzufärben. Die EU-Kommission hat dazu erstmals grünes Licht gegeben, leider nur national. Wir wünschen
uns eine europaweit einheitliche Regelung. Es wurde
noch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen umgesetzt, aber
so viel erst einmal dazu. Ich warte auf Ihre Nachfragen.
Bitte schön, Herr Keskin, Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Gammelfleischskandale beunruhigen, ja erschüttern seit Jahren das Land. Der Bundestag hätte schon längst gesetzliche Maßnahmen gegen
diesen Missbrauch ergreifen müssen. Sind Sie eigentlich
mit den Maßnahmen zufrieden, die die Verbraucherschutzministerkonferenz 2006 und 2007 beschlossen hat
und die nun als erledigt betrachtet werden? Sie sagten, es
seien einige Initiativen in Angriff genommen worden,
und haben einiges konkret genannt. Sind hier wirklich
strafrechtliche Maßnahmen für Leute vorgesehen, die
immer wieder einen solchen Missbrauch begehen?
Selbstverständlich. Es liegen bereits erste Urteile mit
einem Strafmaß von über vier Jahren für zurückliegende
Fälle vor. Es wurde also auch vonseiten der Strafverfolgungsbehörden deutlich gemacht, dass es sich hier um
keine Bagatelldelikte handelt. Dennoch werden wir mit
dem neuen Lebensmittel- und Futtermittelgesetz im Oktober das Strafmaß für das vorsätzliche Inverkehrbringen
von Gammelfleisch von 20 000 Euro auf 50 000 Euro
anheben. Es wird aber trotz aller gesetzlichen Maßnahmen nicht zu verhindern sein, dass es auch in Zukunft
auf diesem Sektor das eine oder andere Problem gibt.
Wenn ich in die Kühlschränke der 50 jungen Leute
auf der Zuschauertribüne schauen würde, dann - diese
Prognose wage ich - würde ich feststellen, dass das
Haltbarkeitsdatum des einen oder anderen Joghurts abgelaufen ist. Das gilt auch für das eine oder andere Stück
Wurst, das sich in Abgeordnetenkühlschränken befindet.
Wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, dann wird
es zu Gammelfleisch. Jeder Verbraucher und jede Verbraucherin ist aufgefordert, beim Einkaufen eine bewusste Entscheidung an der Theke zu treffen. Alle Betriebe sind aufgefordert, wachsam zu sein. Wir haben in
Deutschland eine hervorragende Versorgungs- und Sicherheitslage in diesem Sektor. Es gibt einzelne Vorfälle
wie im Wertinger Fall, in dem die Betroffenen hohe kriminelle Energie entwickelt haben. Wenn hohe kriminelle
Energie im Spiel ist, können alle möglichen Maßnahmen
nicht verhindern, dass wir solche Fälle auch in Zukunft
haben werden.
Herr Staatssekretär Müller, es entsteht der Eindruck,
als ob von den Gammelfleischskandalen speziell die Dönerbranche betroffen ist. Das führt dazu, dass manche
Leute meinen, es gebe eine gelenkte Politik gegen die
Inhaber von Dönerläden. Was, glauben Sie, könnte man
tun, um diesem Eindruck entgegenzutreten?
Herr Präsident, diese Frage ist Inhalt der schriftlich
formulierten Frage 15.
Dann rufe ich die Frage 15 des Abg. Dr. Hakki
Keskin auf:
Unternimmt die Bundesregierung Aktivitäten, um den von
manchen Medien und einigen Politikern erweckten Eindruck,
es handle sich vorrangig um ein spezifisches Problem der Dönerbranche, entgegenzutreten und, wenn ja, welche?
Ich möchte zunächst einmal klarstellen: Der Bund
setzt die Rahmengesetzgebung. Für die Kontrollen sind
die Länder zuständig, in Berlin somit das Land Berlin.
Dönerbetriebe sind im aktuellen Fall Geschädigte. Ich
sage aber auch: Dönerbetriebe wie jeder Abnehmer von
Fleisch und Fleischwaren stehen in der Pflicht, sich und
den Kunden zu schützen. Das heißt, wenn Billigstfleisch
zu Billigstpreisen auf dem Markt angeboten wird, ist
Vorsicht angebracht. Jeder Dönerbetrieb muss, was die
Qualität seiner Ware betrifft, seinen Kunden Zuverlässigkeit garantieren. Es wird in diesem Fall nicht nur gegen das Wertinger Unternehmen ermittelt, sondern auch
gegen die abnehmenden Betriebe. Aber ein Generalverdacht ist nicht angebracht.
Haben Sie weitere Nachfragen? - Das ist nicht der
Fall.
Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 18 der Kollegin Ina Lenke:
In welchen Bundesländern sind privatgewerbliche Anbieter unter welchen Voraussetzungen als Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen zugelassen und können damit an dem
ESF-Programm zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung
grundsätzlich partizipieren?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Das mit der EUKommission abgestimmte ESF-Programm soll das Engagement gerade kleiner und mittlerer Unternehmen mit
bis zu 1 000 Beschäftigten bei der Schaffung neuer betriebsnaher Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren auf unbürokratische Weise unterstützen.
Die Förderung ist als Anschubfinanzierung konzipiert, um die Startphase zu erleichtern. Dazu werden die
Betriebskosten neu zu schaffender Betreuungsplätze für
die Dauer von zwei Jahren durch eine Anteilsfinanzierung in Höhe von 40 Prozent bis zu einem Höchstbetrag
von 5 000 Euro jährlich bezuschusst. Die Fördermittel
erhält der Träger einer Betreuungseinrichtung, der mit
einem Betrieb bzw. mehreren Betrieben zusammenarbei11772
tet. Die Betriebe entscheiden darüber, mit welchem Träger sie kooperieren wollen.
In allen Bundesländern brauchen die Träger einer
Kindertageseinrichtung, also auch privatgewerbliche
Anbieter, für den Betrieb der Einrichtung die Erlaubnis
durch das zuständige Landesjugendamt nach § 45 Abs. 1
Satz 1 SGB VIII. Die Erteilung einer Betriebserlaubnis
setzt voraus, dass in der Einrichtung die Betreuung der
Kinder durch geeignete Kräfte gesichert und das Kindeswohl gewährleistet ist. Die Länder sind gemäß § 49
SGB VIII befugt, die näheren Voraussetzungen zur Erteilung der Betriebserlaubnis, insbesondere die Standards für die Eignung der Einrichtung und für die Eignung des Personals, selbst zu regeln. Dementsprechend
sind auch in den Kita-Gesetzen der Länder sowie in den
entsprechenden Erlassen und Verordnungen Anforderungen festgelegt, etwa in Bezug auf die pädagogische Konzeption der Einrichtung, die Ausbildung und die Anzahl
des Betreuungspersonals sowie den Bau und die Ausstattung der Einrichtungen. Nach Kenntnis der Bundesregierung enthalten die Regelungen der Länder insoweit
keine Sonderregelung für privatgewerblich betriebene
Betreuungseinrichtungen. Daneben müssen alle Betreuungseinrichtungen allgemeingültige Vorgaben erfüllen,
etwa in Bezug auf bauliche Anforderungen, Brandschutz, hygienische Bedingungen usw. Privatgewerblich
betriebene Einrichtungen sind also grundsätzlich unter
den gleichen Voraussetzungen zuzulassen wie Einrichtungen öffentlicher oder privatgemeinnütziger Träger.
Zur Genehmigungspraxis der nach Landesrecht jeweils zuständigen Behörden kann die Bundesregierung
keine Aussage treffen. Hierüber können nur die jeweiligen Länder Auskunft geben.
Nachfrage, Frau Kollegin Lenke.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung gewillt,
auf die Länder zuzugehen und den Bereich der privaten
Anbieter in die Überlegungen einzubeziehen? Schließlich kommt ein Drittel des Geldes vom Bund.
Sie sprechen jetzt das geplante Sondervermögen zur
Finanzierung von Betreuungsplätzen an. Im SGB VIII
wird geregelt werden, was danach im Einzelnen gefördert werden kann. Dabei wird es auch um die Rolle der
privaten Träger gehen. Wir gehen davon aus, dass sie im
Prinzip in die Jugendhilfeplanung der Länder einbezogen werden.
Bitte schön, zweite Nachfrage.
Was das ESF-Programm angeht, fordern Sie wahrscheinlich vertragliche Bindungen zwischen dem Betrieb und der Einrichtung für Kinder unter drei Jahren.
Muss dieser Vertrag vor der Bezuschussung geschlossen
sein, oder gibt es die Möglichkeit, diese vertraglichen
Dinge im Nachhinein, also nachdem ein Platz bereitgestellt worden ist, zu regeln?
Wir werden abzuwarten haben, wie die Länder ihre
Betreuungsinfrastruktur im Einzelnen aufbauen, in welchem Umfang sie auch auf privatgewerbliche Einrichtungen setzen. Aus Sicht der Bundesregierung ist das
prinzipiell möglich. Es hängt allerdings davon ab, ob die
Länder sie sehr bewusst einbeziehen. Wir gehen davon
aus, dass das der Fall ist. Schließlich wird man, wie wir
vermuten, bei der Erfüllung der gemeinsamen Vereinbarung, für 35 Prozent der unter Dreijährigen Angebote zu
schaffen, auch auf die gewerblichen Betreiber setzen.
Nun kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Lenke:
Welche Unterstützung erhalten private und privatgewerbliche Initiativen zur Kindertagesbetreuung - auch mit Blick
auf Beratungsangebote - durch die Bundesregierung, und inwieweit sind Verbesserungen mit Blick auf eine Trägervielfalt
und die Schaffung von mehr Wettbewerb bei der Kinderbetreuung durch die Bundesregierung geplant?
Neben dem, was ich auf die Zusatzfragen schon geantwortet habe, will ich ausdrücklich Folgendes sagen:
Die Bundesregierung setzt bei der Kinderbetreuung auf
Vielfalt. Wir gehen davon aus, dass Eltern zeitlich flexible Angebote benötigen. Bei den künftigen Regelungen wird die Bundesregierung darauf achten, dass - unter der Voraussetzung der fachlichen Qualität - die
Vielfalt der Trägerlandschaft gefördert wird. Das wird
sich auch im SGB VIII - wir werden darüber im Kabinett beschließen - niederschlagen.
Nachfrage.
Heute Morgen ist im Familienausschuss zwischen Tagesmüttern und privaten Einrichtungen hinsichtlich der
Selbstständigkeit ein Unterschied gemacht worden. Die
Tagesmütter sind selbstständig tätig; sie sind nirgendwo
angestellt. Meine Frage ist: Wo ist der rechtliche Unterschied zwischen selbstständigen Tagesmüttern und privaten Anbietern, zum Beispiel Erzieherinnen?
Ich weiß nicht, worauf Sie jetzt im Einzelnen abheben. Vielleicht können Sie die Frage wiederholen.
Die Bundesregierung will im Hinblick auf die
750 000 Plätze für Kinder unter drei Jahren ganz besonIna Lenke
ders die Tagesmütter in die Betreuung einbeziehen. Sie
hat nur von den Tagesmüttern gesprochen. Tagesmütter
- darüber sind wir uns einig - sind selbstständig tätig;
man kann auch sagen: gewerblich-selbstständig. Diese
sind in die Förderung explizit einbezogen. Aber die privaten Anbieter sind nicht einbezogen.
Meine Frage ist jetzt, ob Sie da Unterschiede sehen.
Ansonsten müsste ein privater Anbieter von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahre die gleichen Subventionstatbestände erfüllen wie eine selbstständige Tagesmutter.
Ich sehe es nicht so, dass die privaten Anbieter bei einer Förderung prinzipiell nicht einbezogen sind. Wenn
sie die Voraussetzungen erfüllen, werden sie in gleicher
Weise Förderung erhalten. Das muss das jeweilige Land
im Rahmen der Jugendhilfeplanung festlegen.
({0})
Wir kommen zu Frage 20 der Kollegin Monika Lazar
von den Grünen:
Wann und in welcher Höhe wird die Bundesregierung Mügelns Landkreis Torgau-Oschatz Fördermittel aus dem Programm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ zuweisen, wie es die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, in den
Medien angekündigt hat ({0})?
Ich antworte darauf wie folgt: In Sachsen wird neben
dem Programm „Vielfalt tut gut“ auch das im Juli gestartete Programm „Förderung von Beratungsnetzwerken Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ umgesetzt. Dazu hat das Land ein landesweites Beratungsnetzwerk eingerichtet, in das auch die Opferberatungsstellen in Sachsen und das mobile Beratungsteam des
Kulturbüros Sachsen e. V. aufgenommen wurden.
Die Opferberatungsstellen haben zu den beim Überfall
verletzten Indern Kontakt aufgenommen und beraten
diese. Das Mobile Beratungsteam hat auch Kontakt zum
Bürgermeister von Mügeln. Es hat eine erste Lageanalyse
erstellt und Hilfe angeboten.
Zusätzlich haben sich Bund und Land am
3. September dieses Jahres in Leipzig mit Vertretern des
Landkreises zu einem Gespräch getroffen. Im Ergebnis
wurde in dem Gespräch vereinbart, dass das Mobile Beratungsteam gemeinsam mit dem Landkreis und der
Stadt eine Strategie entwickelt, die das Ziel hat, Ereignisse wie in der Nacht vom 17. auf den 18. August 2007
nach Möglichkeit zukünftig auszuschließen. Teil der
Strategie soll neben der Entwicklung von Konzepten für
die Arbeit mit jungen Menschen vor allem das Aufzeigen von Ansprechmöglichkeiten für die lokalen deutungsmächtigen Akteure sowie Unterstützungsangebote
für eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit sein. Dabei ist
auch der Landkreis intensiv gefordert, für die Stärkung
der Zivilgesellschaft vor Ort mehr zu tun als in der Vergangenheit.
Der Bund unterstützt den Landkreis durch die Finanzierung der Arbeit des Mobilen Beratungsteams aus Mitteln des Programms „Beratungsnetzwerke“ und bietet
durch die Regiestelle des Programms „Vielfalt tut gut“
auf dem Gebiet der Medienberatung bzw. des Umgangs
mit der öffentlichen Darstellung Hilfe an. Sofern sich
aus der Beratungsarbeit der Bedarf für eine konkrete
projektbezogene Hilfe ergibt, werden sich - wie ich das
heute Morgen auch schon im Ausschuss erläutert habe Bund und Land über Fördermöglichkeiten verständigen.
Nachfrage.
Ich habe über das Gespräch, das Anfang September in
Leipzig stattgefunden hat, sowohl mit einer Kollegin
vom Mobilen Beratungsteam als auch mit dem Dezernenten von Torgau-Oschatz gesprochen. Beide haben
mir gegenüber erklärt, sie seien sehr enttäuscht, weil sie
doch andere Erwartungen hatten. Insbesondere in den
Tagen nach dem Mügelner Vorfall kam ja zum Ausdruck, es gebe noch Möglichkeiten im Rahmen des Bundesprogramms „Vielfalt tut gut“. Finden Sie nicht auch,
dass man damit falsche Hoffnungen geweckt hat, wenn
jetzt stattdessen auf das ganz normale Programm der Beratungsteams zurückgegriffen wird?
Ich kann nicht ganz ausschließen, dass durch die Diskussion unmittelbar nach dem Vorfall auch falsche Erwartungen geweckt wurden. Ich sage aber ganz ausdrücklich: Es kann nicht richtig sein, bei diesem
langfristig angelegten Programm anlassbezogen zu reagieren. Man muss sicherlich - das habe ich Ihnen heute
Morgen im Ausschuss bereits gesagt - von Zeit zu Zeit
Bilanz ziehen, um festzustellen, was an dem Programm
richtig ist und was falsch. Wir haben bis jetzt jedenfalls
keinen Anlass, anzunehmen, diese langfristig angelegten
lokalen Aktionspläne seien falsch. Es war auch Ergebnis
der wissenschaftlichen Evaluation der ersten Programme, die aufgelegt wurden, dass sie langfristig angelegt und lokal vernetzt sein müssen, damit sie eine dauerhafte Wirkung haben.
Dass beim dortigen Beratungsteam falsche Hoffnungen geweckt wurden, kann ich mir nicht vorstellen, weil
sie von uns gefördert werden; sie haben auch jetzt eine
finanzielle Unterstützung bekommen. Sie sind voll integriert und voll eingebunden. Mir scheint der richtige
Weg zu sein, mit dem Land und auch mit dem Landkreis
abzustimmen - der Sozialdezernent hat an dem Gespräch teilgenommen -, was vor Ort sinnvoll und notwendig ist.
Zweite Nachfrage.
Wir haben ja das zweite Bundesprogramm, um solche
kurzfristigen Krisen zu bewältigen. Das ist richtig, um
gerade den Regionen zu helfen, die keine lokalen Aktionspläne haben. Wie sehen Sie aber die Chancen dafür,
auch Regionen, die keine Zusagen für lokale Aktionspläne haben, vor solch schlimmen Vorfällen zu bewahren, egal in welchem Teil unseres Landes? Gibt es noch
eine Möglichkeit, sie im Rahmen des Programms „Vielfalt tut gut“ zu fördern, oder ist das bis zum Ende der
Förderperiode ausgeschlossen?
Ich habe gesagt, dass wir in dem ganz konkreten Fall
genau hinsehen werden. Wenn sich abzeichnet, dass dort
ein Projekt notwendig ist, werden wir mit dem Land darüber reden, ob der Bund es finanziert. Dabei ist egal,
wie es im Einzelnen genannt wird. Ich glaube, es ist
nachvollziehbar, dass wir nicht an jedem Ort in der Bundesrepublik solche Aktionspläne umsetzen können. Zunächst einmal setzen wir diese 90 Pläne Schritt für
Schritt um - die Kommunen und auch die Länder brauchen eine gewisse Zeit dafür -, und danach werten wir
sie aus.
Ich will noch einmal sagen: Das Programm, das wir
auflegen, ist präventiv angelegt und wird nie anlassbezogen reagieren können. Dafür ist das Beratungsnetzwerk
gedacht. Im Übrigen will ich ausdrücklich sagen, dass
die konkrete Jugendarbeit vor Ort völlig unabhängig davon ist. Wir legen größten Wert darauf und tun alles dafür, gerade auch in den neuen Ländern, dass dort, wo
eine Zivilgesellschaft oder Bürgerschaft vielleicht nicht
in der Form existiert, wie wir uns das wünschen, Jugendliche und auch Erwachsene einbezogen werden. Das ist
zwingend notwendig. Deshalb empfehle ich allen, in Jugendarbeit zu investieren. Jugendliche, die begleitet werden und irgendwo eingebunden sind, laufen nicht so
schnell Gefahr, sich auf solche Irrwege zu begeben.
Die Frage 21 des Kollegen Kai Gehring soll schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit - die Frage 22 des Kollegen Frank Spieth, die Fragen 23 und 24 der Kollegin
Sibylle Laurischk und die Fragen 25 und 26 der Kollegin
Eva Bulling-Schröter - sollen schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, die den Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Nr. 33 vom
13. August 2007, über die Zustände im US-Gefangenenlager
Guantánamo, insbesondere über systematische Folterungen
wie zum Beispiel, dass Gefangene in Ketten gehalten werden:
- „… die Gelenke liegen in Handschellen. Eine Kette schnürt
sich um seinen Bauch und fixiert seine Hände vor seinem Nabel, in einer Haltung der Demut“, dass eine „Extreme Reaction Force“ in Guantánamo tätig ist: „Sie tragen Schutzkleidung, der Erste hat einen Plastikschild, und da ist ein Sechster
mit einer Kamera, der alles filmt. Sie sprühen dir Pfefferspray
ins Gesicht, verdrehen deine Arme und Beine und legen dir
Hand- und Fußschellen an. Sie rasieren deine Haare ab, deinen Bart, deine Augenbrauen. Sie springen auf deinen Rücken. Sie nehmen deinen Kopf und schlagen ihn auf den Boden. Sie drücken dir ihre Finger in die Augen“ - bestätigen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Gehrcke, Sie haben in Ihrer Frage Bezug genommen auf einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der
Spiegel vom 13. August 2007 über Zustände im Gefangenenlager Guantánamo. Ich darf Ihre Frage wie folgt
beantworten:
Die Bundesregierung hat gegenüber den Vereinigten
Staaten ihre Auffassung bezüglich Guantánamo und die
Notwendigkeit einer menschenwürdigen Behandlung
von Gefangenen mehrmals deutlich gemacht. Sie hat
höchstrangig und öffentlich erklärt, dass eine Institution
wie Guantánamo auf Dauer so nicht existieren dürfe und
dass Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den
Gefangenen gefunden werden müssten. Die Gefangenen
von Guantánamo sind unabhängig von der Frage ihres
Status im Einzelfall nach den rechtlichen Standards des
humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu
behandeln. Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse über die Vorgänge, über die Der Spiegel in
seiner Ausgabe vom 13. August 2007 berichtete.
Der Bundesregierung ist hingegen der Bericht einer
Gruppe von Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen vom 15. Februar 2006 bekannt, der massive Kritik
an der Behandlung der Gefangenen in Guantánamo übt.
Ich weise aber darauf hin, dass die Sonderberichterstatter selbst nicht in Guantánamo gewesen sind. Am
2. Januar 2007 hat im Übrigen das FBI umfangreiche
Dokumente betreffend Untersuchungen über Misshandlungen von Häftlingen in Guantánamo veröffentlicht.
Daraus geht hervor, dass auf der Grundlage der Befragung von insgesamt 493 FBI-Beamten 26 Hinweise auf
aggressives Verhalten gegenüber Gefangenen bzw.
Misshandlungen von Gefangenen vorliegen. Auch die
OSZE hat im Juli 2007 einen Bericht unter anderem zu
den Haftbedingungen der Gefangenen in Guantánamo
vorgelegt.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke?
Herr Staatsminister, ich freue mich natürlich über die
kritische Position der Bundesregierung; ich kann ihr voll
zustimmen. Mir leuchtet allerdings nicht ein, warum die
Bundesregierung, was Guantánamo und andere Fälle angeht, weniger Erkenntnisse haben soll als das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Es muss doch möglich sein, zu
sagen, ob das, was im Spiegel steht, aus Sicht der Bundesregierung stimmt oder nicht.
Herr Kollege Gehrcke, ich habe auf Ihre Frage geantwortet, die sich ausdrücklich auf die Darstellungen im
Nachrichtenmagazin Der Spiegel bezieht. Im Übrigen
weise ich darauf hin, dass natürlich Erkenntnisse vorliegen, die, vor allem wenn es sich um Erkenntnisse des
Bundesnachrichtendienstes handelt, in den zuständigen
Gremien dargelegt werden können.
Weitere Nachfrage?
Ja. - Ich fand diesen Hinweis sehr spannend. Kann
ich davon ausgehen, dass zu den zuständigen Gremien,
in denen die Bundesregierung bereit ist, weitergehende
Erkenntnisse, einschließlich der Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes, offenzulegen, auch solche Ausschüsse wie der Auswärtige Ausschuss und der Menschenrechtsausschuss des Parlamentes gehören, und
wäre die Bundesregierung bereit, das Versprechen in
diesen Ausschüssen einzulösen?
Ich habe gerade ausgeführt, dass wir diese Erkenntnisse in den zuständigen Gremien werden darlegen können.
Dann kommen wir zur Frage 28 des Kollegen
Gehrcke:
Ist die Bundesregierung bereit, die Einrichtung und die
Zustände im US-Gefangenenlager Guantánamo auf die Tagesordnung der UNO-Menschenrechtskommission in Genf zu
setzen?
Ich habe in meiner Antwort auf Ihre erste Frage, Herr
Kollege Gehrcke, ausdrücklich gesagt, welche Standards
unserer Auffassung nach in einem solchen Lager erfüllt
werden müssen. Wir - nicht nur die Bundesrepublik
Deutschland, sondern auch die Europäische Union - befinden uns in einem ständigen Dialog mit den Vereinigten Staaten, um auf die Einhaltung der völkerrechtlichen
Standards zu pochen. Darüber hinaus behandeln wir im
Rahmen der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten - Sie wissen, es gibt einen offenen und ehrlichen Dialog mit dem Außenministerium der Vereinigten Staaten - gerade die Rolle des
Rechtsstaats bei der Bekämpfung des Terrorismus sehr
intensiv.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke?
Herr Staatsminister, ich freue mich immer, wenn ich
eine Frage beantwortet bekomme, die ich gar nicht gestellt habe. Ich habe konkret nachgefragt, ob die Bundesregierung bereit ist, diese Zustände, die Sie selber noch
einmal beschrieben haben, auf die Tagesordnung der
UN-Menschenrechtskommission in Genf zu setzen;
denn da gehören sie hin.
Ich habe vorhin ausgeführt, dass es in der Tat vielfältige Informationen und Dialoge zwischen Deutschland
und den Vereinigten Staaten gibt, ebenso zwischen der
Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, dass
wir aber Initiativen, die wir in bestimmten Kommissionen oder im Rahmen der Vereinten Nationen planen, mit
unseren Partnern in der Europäischen Union abstimmen
wollen.
Weitere Nachfrage?
Ich versuche es noch einmal, Herr Präsident; schönen
Dank. - Irgendwie verstehen wir uns nicht. Die Frage ist
doch relativ simpel. Ich habe gefragt, ob die Bundesregierung bereit ist, die Zustände, die Sie aus meiner Sicht
richtig beschrieben haben, auf die Tagesordnung des
VN-Gremiums zu setzen, das dafür zuständig ist, nämlich die Menschenrechtskommission in Genf. Diese
Frage kann man doch mit Ja oder Nein beantworten.
Ich habe gesagt: Wenn das so ist, dann werden wir das
mit unseren Partnern abstimmen. Derzeit ist das nicht
beabsichtigt.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Monika Knoche
sollen schriftlich beantwortet werden.
Es liegen keine weiteren Fragen vor. Damit sind wir
am Ende dieser Fragestunde.
Zwischen den Geschäftsführern ist vereinbart, dass
die Aktuelle Stunde um 16 Uhr stattfindet. Deswegen
unterbreche ich die Sitzung und werde sie um 16 Uhr
wiedereröffnen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung, in Terrorabsicht entführte Flugzeuge ohne gesetzliche Grundlage
abschießen zu lassen
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion will eine rationale
Debatte zur inneren Sicherheit - frei von Hysterie, Übertreibung und Angstmacherei - führen, wie dies auch
Herr Ministerpräsident Wulff heute angemahnt hat. Das
Parlament ist dafür genau der richtige Platz. Wir lassen
uns hier nicht zu einer Quasselbude degradieren, in der
Firlefanz geredet wird.
({0})
Die FDP-Bundestagsfraktion nimmt die Herausforderung des internationalen Terrorismus sehr ernst. Sie war
und ist bereit, auf dem Boden des Grundgesetzes konstruktiv über angemessene und sinnvolle Maßnahmen zu
beraten. Sie ist nicht bereit, Bundesverfassungsgerichtsurteile zu missachten, das Abwägungsverbot in Bezug
auf Menschenleben außer Kraft zu setzen und einer
Amerikanisierung des deutschen Rechtes zum Beispiel
mit Einführung eines Quasiverteidigungsfalles bei terroristischer Bedrohung Vorschub zu leisten.
({1})
Heute geht es um die von Ihnen, Herr Verteidigungsminister Jung, geäußerte Absicht, von einem angeblichen Recht auf übergesetzlichen Notstand Gebrauch zu
machen und den Befehl zum Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeuges, das mit Passagieren besetzt
ist, zu geben, also die Menschen in diesem Flugzeug töten zu lassen. Weiter behaupten Sie, ein Abschuss sei
nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
auch in Fällen gemeiner Gefahr oder der Gefährdung der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung möglich.
Man hat fast den Eindruck, als hätte es das Gesetzgebungsverfahren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
im Hinblick auf die Regelung in § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz, unter bestimmten Voraussetzungen den Abschuss eines Flugzeuges zu ermöglichen, nicht gegeben.
Man hat den Eindruck, es hätte die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben, das ausgeführt und damit die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung erklärt hat, dass es gegen Art. 1 und Art. 2 unseres Grundgesetzes verstößt, wenn ein von Terroristen
gekapertes Passagierflugzeug, in dem neben den Terroristen weitere Personen an Bord sind, abgeschossen werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt,
dass es schlechterdings undenkbar ist, dies gesetzgeberisch in Form einer Bestimmung zu regeln und damit
eine gesetzliche Grundlage für einen Abschuss zu schaffen.
({2})
Es ist nicht nachvollziehbar, dass behauptet wird, das
Bundesverfassungsgericht habe mit seinen in der Begründung gemachten Ausführungen den Abschuss gerade nicht verbieten wollen. Herr Minister Jung, es ist
nicht möglich, sich im Voraus auf das Recht des übergesetzlichen Notstandes zu berufen und dies als Rechtsgrundlage, als Anspruchsgrundlage für einen Abschuss
zu nehmen.
({3})
Im ersten Semester des Studiums der Rechtswissenschaften lernt man, dass das Institut des übergesetzlichen
Notstandes keine strafbare Handlung rechtfertigt, sondern eine solche Handlung in diesem Fall rechtswidrig
ist, dass es aber erst dann in Erwägung gezogen werden
kann, wenn es um die persönliche Verantwortung in einer ganz konkreten Situation geht, wenn es also bereits
zu einem solchen Konflikt gekommen ist. Sie können
das nicht antizipieren. In der gegenwärtigen Situation
liegt kein übergesetzlicher Notstand vor. Auch wenn Sie
schon jetzt alle Abwägungsprozesse vorwegnehmen, die
eigentlich erst dann ablaufen, wenn es um die persönliche Verantwortung geht, können Sie sich in einer solch
schwierigen Konfliktlage wahrscheinlich nicht darauf
berufen.
({4})
Herr Verteidigungsminister Jung, es ist wichtig, dass
in dieser Debatte klargemacht wird, dass Ihre Äußerungen im Focus-Interview vom 17. September so nicht stehen bleiben können. Sie müssen korrigiert werden. Es
muss klargemacht werden, dass das Grundgesetz und
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts strikt eingehalten werden. Dann können Sie gerne über einen möglichen politischen Handlungsspielraum diskutieren. Für
das, was Sie gefordert haben, gibt es in der Form aber
keinen Handlungsspielraum.
({5})
Wir wollen eine Diskussion, die die Gefährdung der
inneren Sicherheit durch internationalen Terrorismus
und andere Formen der Bedrohung zum Gegenstand hat,
sich aber auch darauf beschränkt. Wir müssen auf dem
Boden des Grundgesetzes stehen, unsere Grundrechte
verteidigen und im rechtsstaatlichen Verfahren die richtigen Antworten geben. Wir wollen den Terroristen nicht
Vorschub leisten. Sie hätten es nämlich gern, dass wir
genau das nicht tun.
Recht herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef
Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, dass ich
die Notwendigkeit einer politischen und verfassungsrechtlichen Diskussion darüber sehe, wie auf die geänderte Bedrohungslage unseres Landes zu reagieren ist.
Die rot-grüne Mehrheit hat damals die Auffassung
vertreten, dass man das Problem durch einfaches Gesetz
lösen kann, indem man das Luftsicherheitsgesetz entsprechend formuliert. Die CDU/CSU-Fraktion war,
wenn ich richtig informiert bin, schon damals der Meinung, dass dafür eine verfassungsrechtliche Klarstellung
erforderlich ist.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat genau diese gesetzliche Bestimmung für verfassungswidrig erklärt. Es
hat gesagt, dass ein Abschuss eines unbemannten Flugzeuges oder eines nur mit Terroristen besetzten Flugzeuges aus seiner Sicht möglich ist, und zwar im Rahmen
der Regelung zum schweren Unglücksfall, Art. 35
Grundgesetz, dass dafür aber eine verfassungsrechtliche
Klarstellung erforderlich ist; denn in Art. 35 steht nur:
polizeiliche Mittel. Das Bundesverfassungsgericht hat
ferner gesagt, dass in diesem Fall eine Abwägung Leben
gegen Leben nicht stattfinden kann, weil der Grundsatz
des Art. 1 Grundgesetz - Menschenwürde - zu berücksichtigen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich erklärt, dass es sich nicht zu der Frage äußert, wie sich die
Rechtslage bei der - ich zitiere - „Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die
Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind“, darstellt.
Heute müssen wir uns leider Terroranschläge vorstellen, die teilweise eine andere Art und Zielsetzung haben,
wie es beispielsweise mein Amtsvorgänger Georg Leber
erlebt hat. Er hat zur Schlussfeier der Olympischen
Spiele am 11. September 1972 die Information bekommen, dass ein Flugzeug mit einer Bombe auf das vollbesetzte Olympiastadion zufliegt. Er schildert in seinen
Memoiren diese geradezu dramatische Konfliktsituation,
als die Abfangjäger mit scharfen Waffen aufgestiegen
sind. Zum Glück hat sich diese Information nachher als
falsch herausgestellt. Er hat damals gesagt - er hat es in
seinen Memoiren noch einmal unterstrichen -, dass er es
für gut erachte, wenn der Vorfall einmal juristisch und
politisch aufgearbeitet würde. Er schreibt:
Niemand kann ausschließen, dass es sich in ähnlicher Form wieder einmal ereignet.
Ich denke, dass klar sein muss, dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten, die in einer solch schwierigen Situation handeln sollen, darauf verlassen müssen, dass
nur Befehle erteilt werden, die unter Berücksichtigung
der tatsächlichen und der ethischen Gesichtspunkte sowie der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung - und
damit der rechtlichen Gesichtspunkte - erfolgen. Hier
muss klar sein - das möchte ich deutlich unterstreichen -,
dass die Soldaten in einer solch schwierigen Situation
nicht alleingelassen werden, sondern dass die politische
Verantwortung für eine solche Entscheidung bei demjenigen liegt, der diese Verantwortung zu tragen hat. Das
ist im Zweifel der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt.
({1})
Ich finde allerdings auch, dass es der Schwierigkeit
der Situation nicht gerecht wird, wenn der Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts in der FAZ vom
5. Januar 2007 wie folgt zitiert wird:
… er habe darauf gehofft, dass es im Letzten ein
verantwortlicher Amtsträger auf sich nehmen
würde, das Notwendige zu vollziehen und als Person die Last eines Rechtsverstoßes auf sich zu laden.
Ich denke, dass unverkennbar ist, dass eine solche
Extremsituation eine enorme Gewissensbelastung für die
Verantwortlichen darstellt. In dieser Situation ist auf unsere Rechtsordnung Rücksicht zu nehmen, die die Menschenwürde umfasst; es ist aber auch zu berücksichtigen,
dass wir einen Eid geschworen haben, Schaden vom
deutschen Volke abzuwenden.
Das kann zu tragischen und schwierigsten Entscheidungen führen. Ich finde, dass eines klar sein muss:
Wehrhafte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeuten
nach meinem Verständnis, dass auch verheerendste und
menschenverachtendste Angriffe auf unser Gemeinwesen nicht außerhalb der Rechtsordnung, sondern gerade
mit den Mitteln der Rechtsordnung bekämpft werden
müssen. Deshalb wünsche ich mir hier eine verfassungsrechtliche Klarstellung durch das Parlament, das als Verfassungsgeber diesbezüglich in Betracht kommt.
Nichts stellt unseren Rechtsstaat mehr infrage als die
Behauptung, auf seiner Grundlage sei man extremsten
Formen terroristischer Angriffe wehrlos ausgeliefert.
Dieser Staat ist nicht wehrlos. Ich wiederhole: Wir haben
die Verpflichtung, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Ich denke, dass hier deutlich wird, welch tragische und schwierige Situation entstehen kann. Ich wünsche mir, dass ich persönlich nicht in eine Situation, in
der ich eine solche Entscheidung treffen muss, kommen
möge.
Wenn es aber eine solche Entscheidungssituation notwendig macht, dann muss man dafür unter Abwägung
aller Gesichtspunkte, die ich vorgetragen habe, die politische Verantwortung übernehmen.
({2})
Leider sind aus meiner Sicht im Rahmen der Debatte
Thesen vorgetragen worden, die der Sache nicht gerecht
werden. Ich denke deshalb, dass wir gemeinsam gefordert sind, auch und gerade unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das
hier die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen
Klarstellung gesehen hat, diese Verantwortung wahrzunehmen. Ich glaube, wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die Freiheit, für das Recht, aber auch für die
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in der alten Bundesrepublik einmal einen Innenminister, der gesagt hat:
Ich kann doch nicht immer mit dem Grundgesetz unter
dem Arm herumlaufen. Jetzt haben wir einen Minister,
der in voller Kenntnis des Grundgesetzes und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im
Grunde genommen sagt: Ich halte mich nicht daran, ich
setze mich darüber hinweg.- Ich finde, das ist ein beispielloser Vorgang.
({0})
In einem solchen Fall ist es besser, der Minister tritt
nicht erst nach einem Abschussbefehl zurück, sondern
vorher. Die Bundeskanzlerin müsste ihn eigentlich entlassen.
({1})
Ich finde, der Hinweis auf die verfassungsrechtliche
Klarstellung ist eine Nebelkerze. Das Verfassungsgericht
hat im Februar letzten Jahres klargestellt, der Abschuss
von Flugzeugen, in denen Unbeteiligte sitzen, sei mit
Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes nicht in Einklang zu
bringen.
({2})
Das ist eine eindeutige Aussage, an der Sie nicht vorbeikommen. Sie gilt genauso wie das absolute Folterverbot. Ich finde, hier muss ganz klar sein: Wer das aufweicht, der macht sich nicht nur strafbar, sondern der
verschiebt rechtsstaatliche und moralische Maßstäbe.
Das können wir allesamt nicht wollen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier werden Szenarien heraufbeschworen. Sie reden einer vorbeugenden
Tötung von Passagieren einer gekaperten Maschine das
Wort. Damit beanspruchen Sie, genau zu wissen, wie das
Ganze ausgeht. Es heißt, die Menschen in der Maschine
würden ohnehin getötet. Wenn es nicht gelingt, die Maschine abzuschießen, würden möglicherweise noch mehr
Menschen sterben. Woher wissen Sie, dass das so ausgeht? Es könnte genauso gut sein, dass den Passagieren
die Entwaffnung der Terroristen gelingt. Sie aber wollen
im Vorfeld darüber entscheiden. Wenn wir sagen: „Der
Abschuss wird freigegeben“, dann frage ich: Wie wirkt
das auf die Passagiere in dieser Maschine? Haben Sie
sich das einmal überlegt? Ich glaube, es ist ganz klar: Sie
kommen an dem Leitsatz 3 des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe nicht vorbei. Diese Abwägung von
Leben gegen Leben darf es nicht geben.
Ich frage mich, was Sie in dieser Sache geritten hat,
wenn Sie Art. 35 des Grundgesetzes ändern bzw. erweitern wollen. Man kann zwar sagen, die Bundeswehr
kann im Bereich der inneren Sicherheit neue Zuständigkeiten für sich reklamieren, doch das löst das Problem
nicht. Deshalb denken Sie an die Erweiterung von
Art. 87 des Grundgesetzes. Auch hierdurch beseitigen
Sie das Verfassungsgerichtsurteil nicht; aber es ist ganz
klar, worauf dies hinausläuft. Sie sagen, das sei praktisch
ein Verteidigungsfall. Wir müssen also gegen eine solche
terroristische Attacke quasi mit dem Kriegsrecht antworten. Dazu sage ich: Terrorismus bleibt ein Fall von
Schwerstkriminalität und muss entsprechend bekämpft
werden. Das ist keine Aufgabe für eine Kriegsführung.
({4})
Wenn wir es zulassen, dass hier eine Tür aufgemacht
wird, dann orientieren wir uns wirklich am War on
Terrorism. Ich habe ein wenig den Verdacht, dass es in
diese Richtung gehen soll. Wir haben in den USA aber
erlebt, wohin das führt, wenn man sagt: „Wir müssen in
einem gewissen Maß die innerstaatliche Mobilmachung
gegen den äußeren Feind betreiben“. Dabei bleiben oft
Grundrechte und Freiheiten auf der Strecke, oder sie
werden beschnitten. Genau diese Entwicklung wollen
wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht.
({5})
Herr Minister, es ist richtig - Sie haben auf dieses Dilemma angespielt -, dass es Grenzsituationen sind, in denen entschieden werden muss. Daher könnten Sie nach
Lage der Dinge mildernde Umstände für sich geltend
machen. Aber es muss klar sein, dass die Abwägung, die
Sie vornehmen, nicht rechtens ist. So zu handeln, das
wäre strafbar. Diesem Problem muss man sich stellen.
Man kann das nicht im Voraus regeln. Das ist der Punkt,
um den es hier geht.
({6})
Noch eine Bemerkung zum Schluss. Mindestens genauso schlimm wie ein vorsätzlicher Gesetzesbruch ist
es, andere mit hineinzuziehen. Wie wir hören, sollen sogar schon Piloten ausgesucht worden sein, die dazu bereit sind, alle Befehle zu 100 Prozent zu befolgen. Ich
finde, das ist ein starkes Stück. Sie sind als Minister
nicht aus dem Schneider, wenn Sie zurücktreten, nachdem Sie den Abschussbefehl gegeben haben. Denn dann
muss geprüft werden, ob dieser Befehl nicht eine Anstiftung zum Totschlag war. Diese Verantwortung müssen
Sie übernehmen. Sie können zurücktreten, die Piloten
können nicht einmal das.
Reden Sie den Piloten auch nicht ein, sie brauchten
aufgrund des übergesetzlichen Notstands keine Skrupel
zu haben. Zentral ist der Hinweis auf § 11 des Soldatengesetzes, in dem es heißt, dass ein Befehl, durch den eine
Straftat begangen würde, nicht ausgeführt werden darf.
Es ist eine ganz entscheidende Errungenschaft, die auf
Paul Schäfer ({7})
die Erfahrungen mit der Wehrmacht im Dritten Reich
zurückgeht, dass es unseren Soldatinnen und Soldaten
möglich sein muss, einen Befehl zu verweigern. Das ist
die Umsetzung des Konzepts des Staatsbürgers in Uniform. Diese wichtige Tradition und Errungenschaft der
Bundeswehr dürfen wir jetzt nicht aufgeben.
Danke.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Arnold von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich hätte mir gewünscht - ich sage das offen -, dass der heutige Tag genutzt wird, um die Dinge
zurechtzurücken.
({0})
Dieses Thema hilft unserer Koalition nicht, und es hilft
vor allen Dingen den Soldaten nicht, die Sie in diesem
Zusammenhang in eine sehr schwierige Situation bringen. Außerdem ist dieses Thema nicht zielführend. Die
Menschen erwarten von uns, dass wir das regeln, was
geregelt werden kann, und dass wir nicht über Dinge
reden, die wohl nicht geregelt werden können.
({1})
Ich meine, es gibt eine Reihe von Argumenten, die
das belegen. Im Rahmen der Diskussion geht es zunächst einmal um staatsrechtliche Fragen. Das Bundesverfassungsgericht hat Recht gesprochen. Wir, die wir
damals dafür gestimmt haben, lagen mit unserer Einschätzung falsch.
({2})
Unsere Aufgabe ist, aus Fehlern zu lernen und sie nicht
sehenden Auges zu wiederholen. Klar ist: Der Wesensgehalt von Art. 1 unseres Grundgesetzes darf nicht über
andere Artikel ausgehebelt werden.
({3})
Neben der staatsrechtlichen Frage stellt sich natürlich
auch die strafrechtliche Frage. Herr Minister, Ihren Ansatz, darüber zu philosophieren, ob es möglicherweise
ein höheres Gut der Verantwortung gibt, halte ich für
falsch. Wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben,
dann können Sie, indem Sie sich auf einen übergesetzlichen Notstand berufen, im Nachhinein - ich sage das
sehr deutlich - um Entschuldigung bitten. Aber Sie werden sich immer schuldig machen müssen, egal wie Sie
sich entscheiden.
({4})
Man sollte aber nicht von Vornherein über den übergesetzlichen Notstand diskutieren und ihn definieren.
({5})
Das ist eine sehr schwierige Debatte, die allerdings
nachgelagert zu führen ist. Es ist für einen Minister viel
schwieriger als für einen Piloten oder einen Polizisten,
zu sagen, was ein übergesetzlicher Notstand ist. Deshalb
hilft uns dieser Begriff in der konkreten Diskussion nicht
weiter.
Diese Debatte hat auch eine politische Dimension.
Wer glaubt, wir müssten den zweifellos vorhandenen
Sorgen bezüglich des Terrorismus begegnen, indem wir
Kriegsdefinitionen entwickeln, der führt uns wirklich in
die Irre.
({6})
Das Land, das so vorgegangen ist, ist ein sehr abschreckendes Beispiel, an dem man allerdings erkennen kann,
welche Fehler begangen werden können. Wir brauchen
in der Situation der terroristischen Bedrohung Besonnenheit statt Scheinlösungen.
({7})
Damit komme ich zum Praktischen. Wir sollten nicht
glauben, der 11. September wiederholt sich auf der Welt
eins zu eins; das wäre fantasielos. Ich weiß nicht, was
die Terroristen aushecken. Ich weiß aber, dass wir viel
getan haben, damit sich der 11. September 2001 nicht
eins zu eins wiederholen kann: dass Terroristen nicht
mehr ohne Weiteres ins Cockpit kommen; dass auf dem
Boden viel getan wird. Außerdem hätten wir in Deutschland wahrscheinlich keine halbe oder dreiviertel Stunde
Zeit zum Reagieren. Die Terroristen werden nicht im
Kreis herumfliegen wie der psychopathische Sportpilot
in Frankfurt, sondern entschlossen ans Werk gehen. Da
helfen uns die ganzen abstrahierenden Debatten nicht
weiter.
({8})
Deshalb lassen Sie uns in der Koalition tun, was getan
werden muss, Herr Minister, und das Fenster schließen,
das uns das Bundesverfassungsgericht geöffnet hat,
nämlich zulassen, dass dort, wo die polizeilichen Mittel
in der Luft und auf See enden - nach der 12-MeilenZone -, militärische Mittel eingesetzt werden können,
({9})
im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35. Dieser Vorschlag der Sozialdemokratie liegt seit Monaten auf dem
Tisch. Es wundert mich sehr, dass dieses Thema immer
wieder neu mit falschen Argumenten gepuscht wird, anstatt dass wir uns einer realistischen Lösung zuwenden,
die übrigens auch den Piloten helfen würde.
({10})
Lassen Sie uns dies in nächster Zeit bewerkstelligen!
Wir müssen uns eines klarmachen: Wir können nicht
so tun, als ob die einen die Gesellschaft schützen wollten
und die anderen, die darauf verweisen, dass sich
Art. 87 a dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge nicht dafür eignet, dies nicht tun wollten. Wir alle
wollen das Menschenmögliche tun, um unsere Gesellschaft vor Terrorismus zu schützen. Wir sollten aber
keine Scheinlösungen versprechen, und wir dürfen nicht
den Eindruck erwecken, als ob es absoluten Schutz gäbe;
den gibt es nicht. Das müssen die Menschen wissen. Wir
müssen aufpassen, dass Rechtsstaatlichkeit und Schutz
vor Terror am Ende nicht gegenläufige Ziele sind. Wer
uns vor Terror schützen will, muss erkennen: Rechtsstaatliches Handeln und das Bestmögliche gegen Terroristen zu tun, sind ein und dieselbe Sache. Darauf kommt
es am Ende an.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Als der Kollege Arnold gerade zu reden anfing und eine
Frage an den Minister richtete, dachte ich: Ja, eine Frage
habe ich auch; die will ich auch stellen. - Dann habe ich
ihm mit wachsender Begeisterung zugehört, weil er ja
sehr viel Richtiges gesagt hat. Zuerst habe ich mir gedacht: Na gut, ein einzelner Abgeordneter aus der SPD.
Doch dann habe ich festgestellt: Die SPD hat überwiegend geklatscht. - Da frage ich mich doch: Was ist eigentlich die Auffassung der Bundesregierung - einer
Bundesregierung, die auch von der SPD-Fraktion getragen wird - in dieser Frage, wenn der Minister das eine
sagt, die SPD-Fraktion aber fast geschlossen zu den Auffassungen des Kollegen Arnold klatscht?
({0})
Auch ich stelle mir natürlich die Frage: Herr Minister
Jung, welcher Teufel reitet Sie eigentlich, dass Sie seit
letztem Wochenende Tag für Tag an keinem Mikrofon
vorbeigehen können, ohne zu sagen: Ich bin entschlossen, den Befehl zu geben, Passagiermaschinen abzuschießen, und ich habe Vorsorge getroffen, dass das von
der Bundeswehr auch umgesetzt wird: Ich weiß jetzt,
welche Piloten bereit sind, auch rechtswidrige, verfassungswidrige, illegale Befehle zu befolgen; die anderen
haben wir aussortiert. Wir werden nur diejenigen in den
Einsatz schicken, die vorher versprochen haben, meinen
illegalen Befehlen zu folgen.
Ich frage mich: Warum sagen Sie das in dieser Zeit jeden Tag immer wieder? Gibt es dafür einen konkreten
Anlass, oder was ist der Hintergrund? Denn es kann
doch nicht sein, dass Sie die möglichen Selbstmordattentäter meinen. Die lassen sich von solchen Ankündigungen sicherlich nicht beeinflussen. Richtet sich das an die
Passagiere? Wenn ich das jeden Tag höre - wir sind ja
alle Passagiere -, dann frage ich mich: Was sagt mir das?
Wie soll ich mich verhalten? Welche Vorsichtsmaßnahmen könnte ich gegen einen solchen Befehl des Ministers treffen? Mir fällt dazu nichts ein.
({1})
Wenn sich das nicht an diese beiden Adressen richtet,
dann bleibt nur übrig, dass Sie sich an die Öffentlichkeit
richten, dass Sie versuchen, in der Öffentlichkeit einen
Gewohnheitseffekt zu erreichen, dass man sagt: Es ist ja
klar, wenn da ein Flugzeug gekapert worden ist und die
Selbstmordattentäter drohen, die Maschine abstürzen zu
lassen, dann wird dieser Befehl gegeben. Von all den
Abwägungsüberlegungen, die zum Beispiel angestellt
werden müssten, wenn ein übergesetzlicher Notstand angenommen werden sollte, sagen Sie nichts; vielmehr
sind Sie fest entschlossen, diesen Befehl zu geben.
Da kann ich Sie nur auf ein gestern Abend gesendetes
Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter
Jentsch aufmerksam machen, der völlig zu Recht auf
Folgendes hingewiesen hat: Wenn Sie nach einem solchen Befehl im Erklärungsnotstand gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber Ihrem Richter sind und erklären, dass Sie in einem übergesetzlichen Notstand waren
und so gehandelt haben, weil Sie eine Abwägung vorgenommen haben, dann wird er Ihnen entgegenhalten, dass
Sie vorher Tag für Tag immer wieder betont haben, dass
Sie fest entschlossen sind, das zu tun. Wo ist da der Abwägungsprozess, der notwendig gewesen wäre?
({2})
Weil Sie als Bundesminister nicht nur die Piloten in
solche einteilen, die verfassungswidrigen, rechtswidrigen, illegalen Befehlen gehorchen, und solche, die das
nicht tun - sie werden also ausgesondert, sie dürfen dort
keinen Dienst tun -, weil Sie selber sich dazu bereit erklärt und gesagt haben, Sie würden das tun, Sie würden
sich illegal, gesetzlos verhalten, würden solche Einsatzbefehle geben,
({3})
bei denen es um Leben und Tod von 10, 20, 50, 100 oder
vielleicht auch mehreren Hundert Passagieren geht, und
weil das zeigt, dass Sie da die notwendigen Skrupel
nicht haben, deshalb, Herr Minister, ist es nicht hinHans-Christian Ströbele
nehmbar, dass Sie weiter im Amt sind, weiter dieser
Bundesregierung angehören; denn Sie sind in dieser
Weise nicht nur eine Gefahr für die Truppe, sondern
auch eine Gefahr für die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland und für die Passagiere, die sich in Zukunft in Flugzeuge setzen.
({4})
Deshalb muss die Forderung lauten: Quittieren Sie Ihr
Amt, wie Sie das schon einmal im September 2000 mit
einem Ministeramt in Hessen getan haben!
({5})
Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ich mir die beiden letzten Reden in Erinnerung
rufe, dann habe ich den Eindruck, als würden wir diese
Diskussion heute das erste Mal führen.
({0})
Deswegen will ich Sie mit ein paar Zitaten vertraut
machen:
Die Abwehr terroristischer Angriffe im Land ist
Aufgabe der Polizei.
D’accord.
Nur dort, wo die Bundeswehr allein über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, wird sie herangezogen. Dazu haben wir ein Luftsicherheitsgesetz verabschiedet, das dem Verteidigungsminister
- hören Sie gut zu erlaubt, den Befehl zu geben, terroristische Angriffe aus der Luft zu bekämpfen.
An anderer Stelle wird gesagt: „notfalls auch den Abschuss eines von Terroristen als Waffe benutzten Passagierflugzeuges zu befehlen“.
Das ist ein Zitat aus der damaligen Zeit der rot-grünen
Regierung, vorgetragen von dem Verteidigungsminister
Peter Struck.
({1})
Dies macht deutlich, dass Sie damals überzeugt waren,
({2})
dass wir diesen Bereich mit einem Gesetz rechtlich auffüllen müssen, nämlich mit dem damals von Ihnen beschlossenen Luftsicherheitsgesetz.
({3})
Wir haben damals gesagt: Bevor Sie das Gesetz verabschieden, sollten Sie mit uns gemeinsam die Verfassung ändern.
({4})
Dann hätte das Gesetz auch vor dem Verfassungsgericht
Bestand gehabt, lieber Herr Kollege.
({5})
Durch das Zitat von damals wird deutlich, dass wir in
der damaligen Situation einen Regelungsbedarf hatten.
Durch die jetzigen Erklärungen von Franz Josef Jung
wird deutlich, dass wir auch heute einen Regelungsbedarf haben.
({6})
Die rot-grüne Regierung hat das Luftsicherheitsgesetz
verabschiedet, weil es damals genau diesen Regelungsbedarf gab. Die Aussagen in der gesamten Diskussion
waren übrigens ähnlich wie die heute.
Sie von der Fraktion der Grünen haben das Gesetz damals gemeinsam mit der SPD auf den Weg gebracht. Sie
haben es verabschiedet. Vor dem Bundesverfassungsgericht haben Sie Schiffbruch erlitten.
({7})
Wenn ich heute mit Ihrer Art der Diskussion die Vorgänge von damals beurteilen würde, dann müsste ich sagen, dass Sie mit dem Gesetz, das Sie damals verabschiedet haben, bewusst in Kauf genommen haben - Sie
wurden vorher nämlich gewarnt -, die Verfassung zu
brechen.
({8})
Deswegen muss ich an dieser Stelle feststellen: Sie
versuchen den Eindruck zu hinterlassen, als wären Sie
bei der Behandlung dieses Themas damals nicht in der
Regierung gewesen und als hätten Sie sich nicht mit den
gleichen Fragen beschäftigt, mit denen wir uns heute
auch beschäftigen.
({9})
Deshalb müssen wir schauen, welchen Spielraum uns
das Verfassungsgericht gegeben hat, hier eine Regelung
zu finden.
({10})
Das ist unsere Aufgabe heute.
({11})
Deswegen sage ich nach meinen Formulierungen von
eben an dieser Stelle: Es ist unsere Aufgabe, jetzt
gemeinsam darüber nachzudenken, was wir zu formulieren haben und was wir mehrheitlich hinbekommen, sodass wir das Risiko beseitigen können. Die Menschen
draußen erwarten von uns doch, dass wir uns nicht monatelang über diese Frage hinwegstehlen, sondern dass
wir ihnen eine Lösung anbieten. Darum müssen wir
kämpfen, dafür müssen wir arbeiten.
({12})
Das, was Sie vorgelegt haben, ist noch keine Lösung,
sondern die Lösung muss umfangreicher sein und auch
Verfassungsänderungen beinhalten.
({13})
- Nein.
Ich will jetzt etwas zurückhaltender werden und noch
einmal darauf hinweisen:
({14})
Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die von uns erwarten, dass wir etwas regeln. Wir
haben diese Verantwortung gegenüber den Menschen,
die sich auf Großveranstaltungen befinden und möglicherweise mit dem Risiko leben müssen, dass ein Anschlag stattfindet. Wir haben aber auch die Pflicht, den
Menschen, die in den Flugzeugen sitzen, eine Antwort
darauf zu geben, wie wir das regeln, so wie Herr
Ströbele das eben durchaus auch angemahnt hat. Sie
müssen diese Mahnung aber auch an sich selbst richten,
lieber Herr Ströbele.
({15})
Wir haben auch die Verantwortung, eine Regelung zu
finden,
({16})
durch die den Soldaten im Falle eines Falles eine Antwort gegeben wird. Schließlich haben wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Minister, dass wir etwas regeln.
Der Minister hat uns mit seinen Formulierungen deutlich gemacht - er hat den Finger in die Wunde gelegt -,
dass wir die Situation nicht so belassen können, wie sie
ist. Ich denke, damit hat er nicht verantwortungslos, sondern in höchstem Maße verantwortungsvoll gehandelt.
Er verdient unsere Belobigung.
({17})
Deshalb stehen wir als Christdemokraten und Christsoziale hinter diesem Minister.
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Herr Kollege Siebert, Sie haben zum
Schluss etwas aus Ihrer Sicht Notwendiges gesagt, nämlich dass Ihre Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, hinter
den Aussagen des Ministers steht. Das war notwendig zu
erwähnen. Die Mehrheit des Deutschen Bundestags steht
nicht hinter diesen Aussagen des Bundesverteidigungsministers.
({0})
Das ist es, was zählt.
Nicht einmal die Mehrheit der Bundesregierung
selbst steht hinter diesem Verteidigungsminister. Für
wen hat der von mir persönlich sehr geschätzte Herr Verteidigungsminister eigentlich hier gesprochen? Für die
Mehrheit des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung spricht er nicht. Für wen spricht er dann?
Es gibt noch einen entscheidenden Grund, warum Sie
bis jetzt eine Regierungserklärung verweigert haben: Sie
wissen, dass Sie in dieser Frage alleine sind. Sie sind in
der Minderheit. Sie können den Soldaten nicht solche
Befehle geben. In welche Situation bringen Sie die Soldatinnen und Soldaten, indem Sie vortäuschen, das sei
rechtmäßig? Es ist rechtswidrig, und ein Minister darf so
etwas auch den Soldaten nicht abverlangen.
({1})
Wir könnten es uns als Freie Demokraten sehr leicht
machen. Sie haben sich mit dem Luftsicherheitsgesetz
von SPD und Grünen auseinandergesetzt. Wir sind, wie
Sie wissen, die einzige Fraktion gewesen, die damals
klar dagegengestimmt hat.
({2})
Die Liberalen haben damals auch das Bundesverfassungsgericht angerufen. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied, durch den sich eine neue Situation ergibt. Insofern ist es, meine ich, bei allem Respekt zu
honorieren, dass Kollege Arnold das klar gesagt hat. Es
gibt einen einfachen Rechtsgrundsatz zu der Frage, was
verfassungsgemäß und was verfassungswidrig ist: Roma
locuta, causa finita. Wenn das Verfassungsgericht entschieden hat, dass etwas gegen die Verfassung verstößt,
dann gilt das für jeden hier, auch für den Verteidigungsminister. Es mag einen übergesetzlichen Notstand geben;
aber kein übergesetzlicher Notstand führt über die Verfassung hinaus. Alle Staatsgewalt ist daran gebunden.
({3})
Dementsprechend ist es auch unzulässig, Herrn Kollegen Arnold, Herrn Kollegen Ströbele und anderen, die
heute ihre Meinung geäußert haben, entgegenzuhalten,
dass es sich lediglich um eine Frage der Gesetzestechnik
handele; man könne mit Änderungen der Art. 35 und
87 a des Grundgesetzes hinsichtlich der Zuständigkeiten
von Bund und Ländern etwas an der Sache ändern. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006, die
im Übrigen von uns Liberalen erwirkt worden ist, das
Abschießen von unschuldigen Menschen in Passagiermaschinen nicht nur aus irgendwelchen formellen Gründen nicht zulässig ist; sondern die Verfassung verbietet
es auch materiell,
({4})
weil es gegen die Menschenwürde und das Recht auf Leben verstößt. Das sollten Sie wenigstens zur Kenntnis
nehmen.
({5})
Es ist ein einmaliger Vorgang, dass die Justizministerin der Bundesrepublik Deutschland ihrem Kabinettskollegen, dem Bundesverteidigungsminister, sagt, dass er
sich klar verfassungswidrig äußert, dieser aber trotzdem
weiterhin diese Meinung vertritt. Herr Kollege Jung, Sie
haben nicht mehr viel Zeit. Aber Sie sollten sie allmählich nutzen, um von einer absolut esoterischen Diskussion mit dramatischen Konsequenzen - übrigens auch
für das Gerechtigkeitsgefühl in unserer Bevölkerung Abschied zu nehmen.
({6})
Sie sind doch kein Philosoph, der irgendwelche Diskussionen beginnen könnte. Von Ihnen erwartet man,
dass Sie sich an Recht und Gesetz halten, vor allen Dingen, dass Sie nicht nur auf dem Boden der Verfassung,
sondern im Zweifelsfall auch zu ihr stehen. Das ist der
feine Unterschied.
Man kann das Leben von Unschuldigen nicht gegeneinander abwägen. Man kann auch nicht das Leben von
Unschuldigen gegeneinander aufrechnen. Wo hört man
auf, und wo fängt man an? Darf der Staat zehn umbringen, wenn möglicherweise 100 gerettet werden können?
Oder vielleicht zehn zu zwanzig, eins zu zwei oder eins
zu tausend?
Das ist eine Diskussion, die sich der Staatsgewalt entziehen muss. Der übergesetzliche Notstand, den Sie ins
Feld führen, führt Sie erstens über die Verfassung nicht
hinaus und hat zweitens den wesentlichen Charakterzug,
dass er im Vorhinein nicht normiert werden kann. Aber
genau das ist es, was Sie in Wahrheit wollen.
({7})
Ich sehe hierin eine sehr traurige und unglückliche
Entwicklung der Diskussion in diesem Jahr. Der Innenminister meldet sich - von der Unschuldsvermutung
über das Töten auf Verdacht bis zum Szenario eines atomaren Angriffs durch Terroristen - zu Wort. Der Verteidigungsminister sagt, er sei selbstverständlich bereit, Befehle zum Abschuss Unschuldiger zu erteilen. Das alles
schafft ein Klima der Verunsicherung.
Deswegen sage ich Ihnen: Da die Mehrheit dieses
Hauses dieses Verhalten augenscheinlich missbilligt,
Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, werden
wir dem Deutschen Bundestag einen Missbilligungsantrag zu den infrage stehenden Äußerungen des Verteidigungsministers zur Abstimmung vorlegen. Dann werden
wir sehen, ob Sie dazu stehen. Koalitionsräson ist das
eine. Das andere ist die Verfassung, die über der Koalitionsräson steht.
({8})
Das Wort hat der Kollege Hermann Scheer von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den
Terrorismus ist signifikant: Er kommt in der Regel aus
dem Dickicht des Alltags. Die Aktionsform ist überraschend genauso wie der Aktionsort. Die größte anzunehmende terroristische Gefahr, bei der, wenn überhaupt,
ein übergesetzlicher Notstand geltend gemacht werden
könnte, ist ohne Zweifel der Atomterrorismus. Davon
hat Minister Schäuble am Wochenende ausführlich gesprochen. Es ist klar, dass eine solche Gefahr ernst zu
nehmen ist. Es ist klar, dass man gegen diese Gefahr
kaum adäquat gewappnet sein kann. Es ist klar, dass die
Gefahr des Atomterrorismus dazu führen kann - darauf
hat schon vor drei Jahrzehnten Robert Jungk in seinem
Buch Der Atomstaat hingewiesen -, dass Demokratie
und Rechtsstaat, wenn man nicht aufpasst, daran ersticken.
Nun befinden wir uns in einer Diskussion, die sich anhand der Äußerungen von Minister Jung auf die Frage
konzentriert, wie wir Quellen akuter Gefahren möglicherweise in letzter Minute beseitigen können. Aber zur
Betrachtung einer solchen Gefahr gehört zumindest genauso, wenn nicht sogar an erster Stelle, die Berücksichtigung der Gefahrenstellen, wenn wir den Sicherheitsauftrag ernst nehmen, und zwar mit den Mitteln, die uns
im gesetzlichen Normalfall zur Verfügung stehen, also
ohne den übergesetzlichen Notstand in Anspruch zu nehmen. Hier haben wir ganz andere Möglichkeiten.
Wenn man diese Gefahr schon heraufbeschwört, muss
man diese Möglichkeiten tatsächlich ins Auge fassen.
Das möchte ich an einem Herrn Minister Jung sicherlich
mehr als fast allen anderen in diesem Hause bekannten
Standort deutlich machen, nämlich den Biblis-Reaktoren
in Hessen. Jeder weiß - das ist unbestritten -, dass
zumindest einer der beiden Reaktoren, nämlich Biblis A,
einen besonders eingeschränkten Schutz vor terroristischen Angriffen oder einem „normalen“ Flugzeugabsturz bietet.
Wir reden aber im Zusammenhang mit Terrorismus
von gezielten Flugzeugabstürzen. Dass gezielte Flugzeugabstürze zum Spektrum terroristischer Aktionen gehören, weiß man seit dem 11. September. Amerikanische
Sicherheitsbehörden haben bekanntgegeben, dass ursprünglich geplant war, einen Atommeiler direkt anzufliegen. Das ist Gott sei Dank unterlassen worden. Die
Katastrophe hätte ein gigantisches Ausmaß angenommen, weit über die Katastrophe hinaus, die tatsächlich
stattgefunden hat.
Unmittelbar danach sind in Deutschland Untersuchungen mit verschiedenen Szenarien durchgeführt worden, die aus guten Gründen geheim gehalten werden, um
niemanden auf besondere Gefahrenstellen im Einzelnen
aufmerksam zu machen. Aber die Gefahr besteht, insbesondere bei dem genannten Reaktor, der gerade einmal
40 Flugsekunden von der Hauptanfluglinie des Flughafens Frankfurt entfernt ist. Die Untersuchungen haben
bisher ein einziges, hilfloses Ergebnis zu Tage gefördert,
nämlich dass man versuchen könnte, mit technischen
Maßnahmen eine Einnebelung solcher Reaktoren zu erreichen. Dieser Versuch der Einnebelung ist laut Pilotenvereinigung Cockpit deswegen hilflos, weil jedes Flugzeug heute GPS-gesteuert ist, und wer ein Flugzeug
steuern kann, kann auch die GPS-Anlage bedienen und
Ziele durch Nebel hindurch anfliegen.
Wenn Sie, Herr Jung, und viele andere, die von der
Gefahr des Atomterrorismus sprechen, es ernst meinen,
dann ist es zwingend, in erster Linie auf die Gefahrenstelle zu schauen; denn die haben wir in der Hand. Dann
ist es ein politischer Widerspruch allerersten Ranges, die
Gefahrenstelle einfach so zu belassen, gerade wenn sie
unbestritten gegeben ist, und stattdessen Aktionen dieser
Art starten zu wollen. Damit täuschen Sie eine Sicherheit vor, die die Bevölkerung gar nicht fühlt; solche Aktionen erzeugen höchstens Angst.
Sie sprechen sogar von einem Recht auf übergesetzlichen Notstand. Ein solches Recht kann es nicht geben;
denn ein Recht auf übergesetzlichen Notstand heißt, sich
selbst ein Recht zu nehmen. Wenn das jemand tut, der einen Amtseid auf die Verfassung abgelegt hat, dann sind
die Grenzen der normalen parlamentarischen Demokratie überschritten.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der ungeschriebene Lebenssinn des Staates
ist, die allgemeine Sicherheit seiner Bürger aufrechtzuerhalten. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion, die
wir führen, sehr einseitig.
({0})
Wir haben nur das Bild im Auge, dass ein mit Passagieren besetztes Flugzeug auf staatlichen Befehl hin abgeschossen wird. Aber es gibt nicht nur dieses Bild des
Flugzeuges mit den Passagieren. Untrennbar mit dem Inferno des Terrors ist ein zweites Bild verbunden, das
Bild von den Opfern am Boden, über denen das Flugzeug zum Absturz gebracht werden soll, das Bild von einem vollbesetzten Fußballstadion mit Zigtausend Menschen oder vielleicht das Bild von vor zwei Jahren, als
der Papst auf dem Marienfeld in Köln vor 1 Million junger Menschen seine Messe zelebriert hat. Stellen Sie
sich bitte vor, es hätte Terroristen gegeben, die ein Flugzeug gekapert hätten, um dieses Flugzeug auf das Marienfeld in Köln zu steuern.
({1})
Stellen Sie sich das bitte vor! Wie hätte Ihrer Meinung
nach der Staat in dieser Situation handeln sollen?
({2})
Daran sehen Sie, dass der Staat in einem Dilemma
steckt.
({3})
Er muss entscheiden, auf tragische Weise entscheiden.
Er kann sich nicht neutral verhalten, er muss handeln. Er
kann sich nicht zurücklehnen und die Dinge ihrem
Schicksal überlassen. Der Staat muss auch Zigtausende
unschuldiger Menschen vor Angriffen durch Terroristen
schützen. Welche Entscheidung er auch immer trifft: Es
werden Menschen sterben.
Das rot-grüne Gesetz, das vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde, ist bereits mehrfach angesprochen worden. Es war der Versuch, einfachgesetzlich
etwas zu regeln, was scheitern musste. Wir müssen uns
die Verfassung genauer anschauen.
Hier wird der Eindruck erweckt - er sollte hier zurechtgerückt werden -, das Bundesverfassungsgericht
habe festgestellt - ich nehme an, dass der Kollege Jürgen
Gehb darauf zu sprechen kommen wird -, es sei in jedem denkbaren Fall verboten, ein solches Flugzeug abzuschießen. Das ist irrig. Alle, die sich näher damit befassen wollen - ich hoffe, Sie werden das tun, Herr
Westerwelle; Sie haben dieses Urteil hochgehalten -,
verweise ich auf die Randnummern 134 f. des Urteils.
Das Bundesverfassungsgericht hat dort den Fall angesprochen, dass ein terroristischer Angriff „auf die BeseiDr. Hans-Peter Uhl
tigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet“ ist. In
diesem Fall müsse der Staat sich wehren können.
Die asymmetrische kriegsähnliche Bedrohung durch
Terroristen konnten die Väter des Grundgesetzes nicht
kennen. Sie kannten nur den klassischen Verteidigungsfall, den herkömmlichen Krieg. Die Staatengemeinschaft
hat diesem Krieg ganz neuer Art, dem Terrorismus, ihrerseits den Krieg erklärt - ich meine, zu Recht. In diesem Zustand befinden wir uns zurzeit. Das heißt, die Unterschiede zwischen innerer und äußerer Sicherheit
verwischen in diesem Zustand. Hier muss man neu nachdenken. Hier muss man sich weniger entrüsten. Hier
muss man Wege finden. Ein Weg - wir meinen, der verfassungsrechtlich einzig denkbare Weg - ist, die Streitkräfte in die Lage zu versetzen, nicht nur im Verteidigungsfall, sondern auch in diesem Fall, dem der
asymmetrischen terroristischen Bedrohung, handeln zu
dürfen. Das geht nur über eine Fortschreibung des Verfassungsrechts.
Geradezu unerträglich wäre es, wenn wir, das Parlament, die Regierung, der Verteidigungsminister und die
anderen Minister, auch das höchste Gericht in solchen
Notlagen nicht den Mut zum Handeln aufbrächten. Wir
alle müssen den Mut zum Handeln aufbringen. Auf gar
keinen Fall darf am Schluss dem Letzten in der Befehlskette, dem Piloten, zugemutet werden, den Mut aufzubringen, den wir nicht haben.
({4})
Das wäre ein Zerrbild des Rechtsstaates.
Wer diese Bedrohung durch den Terrorismus, durch
die Feinde des Rechtsstaates nicht ernst nimmt, wer sagt,
wir müssen schicksalhaft hinnehmen, was sie tun, wer
sagt, nur die Menschen im Flugzeug haben Menschenwürde, und die Zigtausende auf dem Marienfeld, im
Fußballstadion oder in den Stadtzentren haben eine zu
vernachlässigende Menschenwürde oder was auch immer,
({5})
wer ein solches Staatsverständnis hat, der hat ein sinnentleertes Staatsverständnis.
Ich komme zum Schluss. Ich hoffe, dass wir angesichts der terroristischen Bedrohung den Ernst der Lage
erkennen. Ich hoffe, dass wir alle zusammen im Parlament unsere Verantwortung spüren. Der Minister hat die
Verantwortung, unter der er steht, wahrgenommen und
sich zu ihr bekannt. Jetzt sind wir als Parlament, als Verfassungsgeber an der Reihe, unsere Verantwortung ernst
zu nehmen und zu prüfen, was das Parlament tun kann,
um die terroristische Bedrohung zum Schutze unserer
Bürger wirksam in Schach zu halten.
({6})
Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Siebert, ich
möchte Sie kurz ansprechen. Ich war ebenfalls Berichterstatter bei den Beratungen über das Luftsicherheitsgesetz. Mich hat das Urteil des Verfassungsgerichts sehr
getroffen, weil ich der Meinung war, wir hätten das
Richtige getan. Auch ich bin der Überzeugung, dass
Peter Struck, der zu dem Zeitpunkt Verteidigungsminister war, das Richtige tun wollte.
Ich meine aber, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Zäsur bedeutet. An dieser Stelle
unterscheiden wir uns. Ich möchte Sie bitten, das Urteil
wirklich noch einmal nachzulesen. Jetzt kann nicht mehr
so getan werden, als ob der jetzige Verteidigungsminister nur das fortsetzen würde, was der vorherige begonnen hat. Durch die Zäsur der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das nicht mehr möglich.
({0})
Den Minister Jung möchte ich bitten, an das Naheliegende zu denken und nicht an das Spektakulärste, womit
man Schlagzeilen produziert. Ich sage deswegen auch
heute hier wieder: Flugzeugentführungen werden am
Boden verhindert oder ermöglicht. Wir müssen erst daran denken und uns erst darum kümmern.
Wie ist die Lage? Nach der jetzt geplanten Reform
der Bundespolizei wird nach den Aussagen von Experten die Bundespolizei auf den Flughäfen um etwa
1 000 Stellen unterbesetzt sein.
Wie sind die Sicherheitskontrollen? Die Realtests haben gezeigt: Sie sind mehr als verbesserungsbedürftig.
In der Praxis gilt es also, an dieser Stelle anzusetzen und
nicht bei der Frage, ob Flugzeuge abgeschossen werden
sollen. Angesetzt werden muss nicht beim übergesetzlichen Notstand oder beim Verfassungsbruch, sondern bei
der guten Arbeit der Sicherheitskräfte; darum muss es
uns in erster Linie gehen.
({1})
Ich möchte mich nicht wiederholen, sondern nur noch
auf das Ergebnis zu sprechen kommen: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz lässt aus meiner Sicht für den von Minister
Jung vorgeschlagenen Weg keinen Raum. Es gibt keinen
Raum für den propagierten übergesetzlichen Notstand.
Wenn ich mir anschaue, was die Minister Schäuble
und Jung in den letzten Tagen, Wochen und Monaten
vorgebracht haben, dann sage ich: Es gibt eine Summe
von einzelnen Vorschlägen, aber keine Strategie. Weder
der Innenminister noch der Verteidigungsminister machen verfassungsfeste Vorschläge. Die Stichworte dafür
Frank Hofmann ({2})
sind: gezielte Tötung von Terroristen, Aufhebung der
Unschuldsvermutung, Einsatz der Bundeswehr im Inneren und atomare Anschläge. Ich sage dazu: Terrorismusbekämpfung ist Kriminalitätsbekämpfung und nicht
Krieg, ist Polizeiarbeit und nicht Kriegshandlung.
({3})
Ich habe den Eindruck: Die beiden CDU-Minister
wollen den Rechtsstaat nicht weiterentwickeln; sie wollen ihn zerschießen.
({4})
Sie suchen den Konflikt mit der SPD. Sie sind sich dessen bewusst, dass sie mit ihrem Vorschlag dem Koalitionspartner SPD Schaden zufügen. Sie setzen darauf,
dass der Bevölkerung die Sicherheit wichtiger ist als die
Freiheit, wenn sie nur genügend Angst vor dem Terrorismus schüren.
Sie sind mit den Verfassungsgerichtsentscheidungen
der letzten Jahre, zum Beispiel mit denen zur Wohnraumüberwachung oder zum Luftsicherheitsgesetz, nicht
einverstanden und versuchen nun, das Bundesverfassungsgericht zu provozieren. Das Motto der eifrigen
Unionisten lautet: Durch eine entsprechende Verfassungsänderung möchten wir dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit geben, seine Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. - Anders formuliert: Sie möchten
das Bundesverfassungsgericht erziehen, bis es nach ihrem politischen Gusto funktioniert. Wenn jedoch eine
Erziehungsmaßnahme erforderlich ist, dann von Frau
Merkel für ihren respektlosen und wildgewordenen Minister.
({5})
Gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten sind die
Forderungen von Herrn Jung verantwortungslos. Er verlangt ihnen gesetzwidriges Verhalten ab und setzt sie somit unnötig unter Druck. Unsere Soldaten und Soldatinnen machen einen schwierigen und guten Job. Hierfür
haben sie jede Unterstützung verdient, nicht aber die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung.
({6})
Und überhaupt: Wie soll denn bitte eine Einsatzstrategie funktionieren, bei der Soldaten ihren Befehl jederzeit
verweigern könnten, weil er rechtswidrig ist? Sollen unsere Planungen für den Notfall ernsthaft so aussehen?
Unsere Terrorismusbekämpfungsstrategie darf nicht von
Aktionismus und von Angst geprägt sein. Wie mein Vorredner Rainer Arnold gesagt hat: Besonnenheit ist besser
als jede Scheinlösung.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben Ihren Redebeitrag mit dem Wunsch begründet: ein bisschen weniger Hysterie, ein bisschen mehr Ratio - und das vor
dem Hintergrund, dass am Sonntagabend kein Geringerer als Ihr Generalsekretär Niebel vor laufenden Kameras gesagt hat, wenn ein solcher Befehl von Herrn Jung
käme, wäre das für ihn Mord.
Meine Damen und Herren,
Mörder ist,
- nach der Legaldefinition des § 211 Abs. 2 StGB ({0})
wer aus Mordlust, zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch
({1})
oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln
oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder
zu verdecken, einen Menschen tötet.
Glaubt irgendjemand in diesem Haus außer Herrn
Niebel und vielleicht noch Herrn Nešković,
({2})
dass sich irgendein Verteidigungsminister von den von
mir genannten Mordmerkmalen zu einer Entscheidung
leiten lässt, die er in einem Dilemma, in einem Triagefall, in einer ausweglosen Situation treffen muss?
({3})
Meine Damen und Herren, die strafrechtliche Beurteilung dieser Triagefälle ist seit der Entscheidung des
„Brett des Karneades“, zurückgehend auf ein philosophisches Gedankengut, mehrmals über Cicero und Kant
bis in die Neuzeit entschieden und in allen juristischen
Prüfungsaufgaben rauf und runter durchdekliniert worden. Alle kamen zu einem Ergebnis, ungeachtet der dogmatischen Begründung. Heute hat man gehört: übergesetzlicher Notstand, entschuldigender Notstand,
rechtfertigender Notstand. - Eines stand jedenfalls fest:
Im Ergebnis ist, vor diese Handlungsalternative gestellt,
jede Handlung, die hier zwischen Scylla und Charybdis
steht, jedenfalls nicht strafbar. Die alten Lateiner haben
schon gesagt: Das ist nicht inculpabile, aber impunibile,
zwar strafwürdig, aber nicht strafbar. Und weil dieser
Weg rechtsdogmatisch so kompliziert ist, ist mit dem
Luftsicherheitsgesetz der Versuch unternommen worden
- es war ein Anliegen -, nicht den letzten armen Entscheidungsträger
({4})
- ähnlich wie im Falle des SEK-Polizisten beim finalen
Rettungsschuss, solange dieser nicht in den Länderpolizeigesetzen geregelt war ({5})
diese Entscheidung treffen zu lassen. Damit wollte der
Gesetzgeber eine Regelung treffen.
({6})
Nun hat das Bundesverfassungsgericht in seiner heute
mehrmals angesprochenen Entscheidung in der Tat dieses Gesetz auch materiell für nichtig und mit der Verfassung nicht vereinbar gehalten.
({7})
Aber jetzt, Herr Westerwelle, nicht nur mit dem Gesetzbuch wedeln! Ich will Ihnen einmal fast auswendig sagen, was die Richter aus Karlsruhe in der Randnummer
130 ausführen:
Dabei ist hier nicht zu entscheiden, wie ein gleichwohl erfolgter Abschuss und die darauf bezogene
Anordnung strafrechtlich zu würdigen wären.
Klammer auf: mehrere Literaturhinweise. Dieses Obiter
Dictum zeigt, ({8})
wie weise die Bundesverfassungsrichter waren. Sie haben geradezu befürchtet, dass sich eine unsägliche Diskussion anschließen wird, und mit der Aufhebung des
Luftsicherheitsgesetzes ist der Status quo ante wiederhergestellt. Im Grunde genommen ist die Exekutive wieder in die Grauzone des Strafrechts zurückgeworfen
worden, und die Verfassungswidrigkeit lautet nicht - Sie
finden dazu keinen einzigen Satz -, dass der Abschuss
von Flugzeugen verboten ist, sondern verfassungswidrig
ist die vom Gesetzgeber generell abstrakt getroffene Ermächtigungsgrundlage. Der Gesetzgeber soll keine
Carte blanche a priori geben können, indem man irgendeinen Fall antizipiert und Maschinen zum Abschuss
freigibt. Das gilt übrigens auch bei den anonymen Vaterschaftstests, wo das Bundesverfassungsgericht gesagt
hat, - ({9})
- Jawohl, nur damit Sie es verstehen. - Da hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Die gesetzliche Schaffung
einer solchen Grundlage ist verfassungswidrig. Etwas
ganz anderes ist, wie der Handelnde später rechtlich zu
beurteilen ist.
({10})
- Ich sehe schon: Sie verstehen es nicht.
({11})
Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Grundlage
ist nicht gleichbedeutend mit der Rechtswidrigkeit einer
späteren Handlung durch die Exekutive.
({12})
Ich will einen letzten Satz sagen, weil ich merke, dass
meine juristische Lehrstunde bei Ihnen auf taube Ohren
stößt.
({13})
Es sind Worte gefallen wie Mörder, Verfassungsbruch,
Sicherheitsrisiko, Brunnenvergifter. Ich bin sicherlich
kein Kind von Traurigkeit, auch nicht in meiner sprachlichen Schärfe.
({14})
Aber die politischen Konkurrenten oder gar Gegner von
heute könnten die Partner von morgen sein.
({15})
Wenn wir der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, wir
würden uns hier gegenseitig als Mörder oder als Brunnenvergifter bezeichnen,
({16})
dann kann ich nur Ihren Appell, Frau LeutheusserSchnarrenberger, wiederholen, aber vor einem ganz anderen Hintergrund: dass wir verbal ein bisschen abrüsten
und es uns gegenseitig nicht vorwerfen, wenn wir in einer schwierigen Situation nach gemeinsamen demokratischen Lösungenzu suchen.
({17})
Darum bitte ich Sie alle, meine Damen und Herren in
diesem Hause.
Herzlichen Dank.
({18})
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der
Kollege Jörn Thießen von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in meinem vorherigen Leben Pastor in
Hamburg-Barmbek gewesen. Mir sind manchmal Menschen begegnet, die ihre moralischen Probleme durch
starke Sprüche überdecken wollten. In dieser Debatte
sind es gelegentlich, Kollege Gehb und Kollege Uhl,
auch halbstarke Sprüche gewesen, mit denen manche
moralischen Probleme überdeckt worden sind.
({0})
Denn eines bleibt doch klar: Zu Recht sprechen wir in
dieser Debatte von Handlungsdruck und von Verantwortung. Sie sprechen von einer Regelungslücke. Es ist eine
ernste Debatte, die wir hier führen. Aber wir sollten sie
nicht im Focus führen, sondern in den Gremien des
Deutschen Bundestages, denn dort gehört sie hin.
({1})
Das Parlament ist der Ort, an dem wir uns mit diesem
Thema schon länger beschäftigen und auch weiterhin
sine ira et studio beschäftigen sollten.
({2})
Wir haben, Kollege Koppelin, bisher auch im Parlament
eine gute Debatte geführt, zu der Sie gelegentlich sogar
das eine oder andere Gute beigetragen haben.
({3})
- Wir konkurrieren ja im gleichen Wahlkreis, Herr
Dr. Westerwelle.
Ich habe 1999 in Piacenza jungen Piloten ins Auge
geschaut, die auf dem Wege zu Flugangriffen im Kosovo
waren. Ich weiß, was das für eine riesige Verantwortung
bedeutet - für den Bundesminister der Verteidigung, für
die militärisch Verantwortlichen, für das Parlament.
Eines ist dabei uns allen klar: Diese Piloten sitzen am
Steuerknüppel; aber an den Hebeln der Politik und der
Entscheidung sitzen andere. Auf dem Rücken der Piloten - da sind wir uns doch einig, und da müssen wir eine
Lösung finden - dürfen die Probleme nicht ausgetragen
werden. Die Piloten müssen geschützt werden.
({4})
Das kann in der Tat ein Luftsicherheitsgesetz tun. Ich
habe dem damaligen - da war ich Beamter und habe
schweigen sollen, wollen, dürfen und müssen - kritisch
gegenübergestanden. Aber die SPD hat zur Änderung
des Art. 35 des Grundgesetzes Vorschläge gemacht, die
Bundeswehr und Polizei als Amtshilfe miteinander verbinden. Diese Vorschläge sollten wir miteinander bedenken. Sie liegen auf dem Tisch, und dazu ist die SPD bereit.
({5})
Ein solches Luftsicherheitsgesetz kann helfen. Aber
wo hilft es nicht? Es löst kein einziges moralisches Dilemma, für wen auch immer. Die sogenannte ganz außerordentliche Extremsituation ist eben ganz außerordentlich und kann niemals in einen ordentlichen Gesetzestext
gepresst werden. Nennen Sie mir bitte - diejenigen, die
es wollen - eine einzige Formulierung, über die wir diskutieren können! Nennen Sie eine Formulierung, die es
uns ermöglicht, aus dem gewollten Dilemma, Leben
nicht gegen Leben setzen zu dürfen, herauszukommen!
Wir werden diese Formulierung miteinander nicht finden.
({6})
Diese möglichen Situationen müssen ausgehalten
werden. Sie müssen von Amtsträgern ausgehalten werden, also auch vom Bundesminister der Verteidigung,
der sich im Zweifel schuldig macht, moralisch und juristisch. Danach wird es ein Verfahren geben, und der
Amtsträger wird sich verantworten; das ist auch richtig
so.
Ich rate dazu, in dieser Debatte keine falschen Konflikte zu fördern, auch dazu, die Soldatinnen und Soldaten zu entlasten, aber eines nicht vorzugeben: dass es uns
jemals gelingen könnte, das elementare Problem, dass
Leben nicht gegen Leben abgewogen werden darf, durch
eine Formel zu lösen. Herr Kollege Uhl, Sie sprechen
von einem Flugzeug oben und dem Papst auf dem
Marienfeld unten. Wer ist denn wertvoller im Angesicht
des Staates? - Das kann und darf ich nicht definieren!
({7})
Wer ist wertvoller, wenn ein Kindergarten, ein Jugendlager oder das deutsche Parlament bedroht ist? Eines ist
doch klar: Wir wollen das nicht abwägen.
Der Bestand unserer demokratischen Grundordnung,
um den es im Art. 91 des Grundgesetzes geht, wird
durch eine solche furchtbare Katastrophe im Zweifel
nicht gefährdet werden - der Bestand unserer demokratischen Grundordnung. Wir brauchen jetzt keine Eilkompetenz für irgendjemanden, sondern sollten die Kompetenz dieses Hauses nutzen. Die SPD hat Vorschläge
gemacht, und dazu stehen wir.
Vielen Dank.
({8})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. September
2007, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.