Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/19/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich eröffne die Sitzung, liebe Kolleginnen und Kollegen, und begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktion der FDP hat einen Antrag auf Erweiterung der heutigen Tagesordnung um den Punkt „Aufforderung an die Bundesregierung, eine Regierungserklärung zur Lage der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland zu beschließen“ gestellt. Die Fraktion der CDU/CSU hat die Nichteinhaltung der 18-Uhr-Frist für Anträge zur Änderung der Tagesordnung gerügt. Mir ist mitgeteilt worden, dass die Fraktion der FDP nunmehr beabsichtigt, den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung unter Abweichung von der Geschäftsordnung gemäß § 126 zu stellen. Das Wort zur Geschäftsordnung hat nun der Kollege Koppelin für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesinnenminister warnt vor Terroristen mit Atomwaffen. Ist diese Gefährdung konkret, oder gibt es sie gar nicht? Der Bundesverteidigungsminister will Flugzeuge in bestimmten Situationen entgegen der eindeutigen Verfassungslage abschießen lassen. Durch eine Klage, von Liberalen initiiert, hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung klar festgestellt, dass das Leben Unschuldiger niemals geopfert werden darf. ({0}) Meine Fraktion teilt diese Auffassung, was sie in den Abstimmungen hier im Parlament immer dokumentiert hat. Muss man den Bundesverteidigungsminister eigentlich daran erinnern, dass er hier im Parlament geschworen hat, die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu wahren und zu verteidigen? ({1}) Seine Aussagen stehen in keiner Weise mit seinem Amtseid in Übereinstimmung. Seine Aussagen sind außerdem eine Zumutung für die Piloten der Bundeswehr. ({2}) Vizekanzler Müntefering hat die Aussage des Bundesverteidigungsministers zu Recht zurückgewiesen. Zu den Äußerungen des Bundesinnenministers erklärt Vizekanzler Müntefering: Ich bin nicht glücklich über diese Art und Weise des Umgangs mit einer solch ernsthaften Thematik. Das kann man nicht auf sich beruhen lassen. Darüber muss gesprochen werden. ({3}) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber muss gesprochen werden. Die Aktuellen Stunden, die in dieser Woche von den Freien Demokraten und vom Bündnis 90/Die Grünen eingereicht worden sind, reichen dafür nicht aus. Die Minister Schäuble und Jung äußern sich so, der Vizekanzler und die Justizministerin äußern sich im genau entgegengesetzten Sinn. Für uns und die Menschen in diesem Land ist es aber wichtig, dass unsere Bundesregierung eine einheitliche Meinung und eine einheitliche Auffassung zur Lage der inneren Sicherheit hat. ({4}) Deshalb beantragt die Fraktion der Freien Demokraten unter Abweichung von der Geschäftsordnung gemäß Redetext § 126 - an die Union gerichtet sage ich: Es ist einfach lächerlich, sich auf acht Minuten zu berufen, um die Debatte zu verhindern -, ({5}) dass der Deutsche Bundestag heute die Bundesregierung auffordert, eine Regierungserklärung zur Lage der inneren Sicherheit abzugeben. Sollte die Union weiterhin darauf bestehen, dass der Antrag acht Minuten zu spät eingereicht wurde, können wir ihn heute noch einmal stellen, dann findet die Abstimmung morgen statt. ({6}) Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten hat das Bundeskanzleramt schriftlich gebeten, eine solche Regierungserklärung abzugeben, und zwar in dieser Woche hier im Parlament. Die Bundesregierung hat das abgelehnt. Sie nutzen doch sonst jede Gelegenheit zu einer Regierungserklärung. Warum kneifen Sie hier? ({7}) So bleibt uns nur, heute diesen Antrag zu stellen. Wir müssen diesen Antrag stellen, weil Sie sich weigern. Hier im Deutschen Bundestag und nicht in den Medien haben sich die Bundesminister zu erklären. ({8}) Auch die Bundeskanzlerin muss sich erklären. Denn schließlich haben wir eine Bundesregierung und nicht zwei Bundesregierungen in einer. ({9}) Zu den Aussagen des Bundesverteidigungsministers wollen wir auch die Meinung der Bundesjustizministerin hören. Die Medienkampagne der Minister Schäuble und Jung muss gestoppt werden. Das kann hier durch eine Regierungserklärung der Bundesregierung geschehen. ({10}) Der Bundesinnenminister ist ja gleichzeitig auch Verfassungsminister. Wir wünschen uns einen Bundesinnenminister, der Aussagen wie die des Verteidigungsministers eindeutig zurückweist. ({11}) Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Peter Struck, hat zu Beginn dieser Legislatur erklärt, dass die SPD-Fraktion auch in der Großen Koalition selbstbewusst alles prüfen will, was von der Regierung kommt. Wörtlich sagte Peter Struck: „Dafür ist das Parlament da.“ Heute haben die Sozialdemokraten Gelegenheit, das, was Peter Struck gesagt hat, unter Beweis zu stellen. ({12}) Der Deutsche Bundestag sollte die Bundesregierung daher heute auffordern, eine Regierungserklärung zur Lage unserer inneren Sicherheit abzugeben. Wenn wir dann in dieser Debatte zu dem Ergebnis kommen, dass wir nicht ständig neue Gesetze zur Bekämpfung des Terrors brauchen, sondern vielmehr gut ausgebildete und gut ausgerüstete Sicherheitsorgane, deren Personalstand nicht immer weiter reduziert werden darf, dann wäre eine solche Debatte ein Gewinn für unser Land. Ich bitte, unserem Antrag zuzustimmen. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Da wir, auch wenn es eine Geschäftsordnungsdebatte ist, jetzt über die Bedrohung unserer Mitbürger und auch unseres freiheitlichen Verfassungsstaates durch Terrorismus sprechen, möchte ich vorschlagen, dass wir zum Ausgangspunkt dieser Debatte die folgende Frage wählen: Was erwarten eigentlich die Menschen von der Politik in der Sache und im Umgang mit dieser Gefährdungs- und Bedrohungslage? Fangen wir doch bei dieser Frage an. ({0}) Ich glaube nicht, dass die Bürger erwarten, dass wir, obwohl es sich um eine existenzielle Bedrohung handelt, in einem pluralistischen, demokratischen Land alle einig sind. Aber ich glaube, die Bürger erwarten und können erwarten, ({1}) dass wir uns, weil es um die existenzielle Bedrohung von Menschen geht, weil es um einen Angriff auf unsere freiheitliche Verfassungsstaatlichkeit geht, mit diesen Fragen mit der angemessenen Ernsthaftigkeit und - das betone ich - mit dem Willen zu demokratischer Gemeinsamkeit beschäftigen. Das können die Bürger erwarten. ({2}) Weil sie dies von uns erwarten können, habe ich für den Firlefanz einer Geschäftsordnungsdebatte kein Verständnis. ({3}) Sie beantragen eine Aktuelle Stunde und kritisieren, dass sie durchgeführt wird. ({4}) Die Koalition bietet eine parlamentarische Debatte zu diesem Thema an, möchte eine Sachdebatte vereinbaren, aber die Opposition möchte sie nicht haben. Sie wollen Firlefanz statt Sachdebatte. Das ist unverantwortlich. ({5}) Ich kann das nicht verstehen: Grüne und FDP verweigern explizit eine Debatte in der Sache. Sie haben es getan. Befragen Sie einmal Ihre Fraktionsführung dazu. ({6}) Ich bin auch deshalb über dieses parlamentarische Verhalten enttäuscht - die Verweigerung einer Sachdebatte durch die Opposition -, da nach unserer Auffassung ein 5-Minuten-Stakkato in den Aktuellen Stunden diesem Thema nicht gerecht wird, auch wenn die Bundesminister reden werden. Darum hätten wir gern im Zusammenhang debattiert. Aber das ist Ihre Entscheidung. ({7}) Wir werden diese Debatte dann eben so führen. Ich bin darüber auch deshalb enttäuscht, weil nach meinem Selbstverständnis als Parlamentarier wir in dieser Frage eine originäre Entscheidungsverantwortung haben, die wir und nicht die Regierung, die darüber entscheidet, ob sie Regierungserklärungen abgibt oder nicht, auch ausüben müssen, denn wir als Parlament sind Gesetzgeber. Daher ist die Frage an uns adressiert, wie wir zum Beispiel mit dem Problem umgehen, das der Bundesverteidigungsminister aufgeworfen hat. ({8}) - Vielleicht darf ich diese Frage einmal ausführen. Wir alle täten gut daran, die Debatte nicht in einem Ton der Aufregung zu führen, sondern sachangemessen und nüchtern darüber zu reden. ({9}) Die Frage, die der Bundesverteidigungsminister aufgeworfen hat, ist doch folgende: Nach Auskunft, Regelung und Klärung einer Situation durch den Staat, die in einem rechtlichen und in einem moralischen Dilemma besteht - ({10}) - Ja, genau. Das Verfassungsgericht hat die Frage beantwortet, indem die gesetzliche Lösungsgrundlage zum Umgang mit dem rechtlichen und mit dem moralischen Dilemma für verfassungswidrig erklärt wurde. Das Dilemma besteht darin, dass Terroristen Flugpassagiere als Geiseln nehmen können, um damit andere Menschen zu töten. Das ist eine Dilemmasituation. Die Frage, die an den Staat, an den Gesetzgeber gestellt wird, lautet: Wie gehen wir mit dieser Situation um? Es wurde versucht, mit dem Luftsicherheitsgesetz eine Antwort zu geben. Das Bundesverfassungsgericht hat sie kassiert. ({11}) Jetzt ist die Rechtslage die, dass der Staat dazu keine gesetzliche Auskunft geben kann. Der Verteidigungsminister hat darauf hingewiesen, dass aufgrund der Rechtslage in diesem Fall die individuelle strafrechtliche Verantwortung bei den in dieser Situation aktiv Handelnden liegt. Das sind insbesondere die Soldaten, die dann handeln. Wenn sie handeln, dann ist gemäß unserer Rechtsordnung dazu zu sagen: Ihr habt rechtswidrig ein Tötungsdelikt vorgenommen; ihr könnt euch aber in einem strafrechtlichen Verfahren auf einen Entschuldigungstatbestand, nämlich den des übergesetzlichen Notstandes, berufen. Da ihr als Soldaten eure Pflicht ausgeübt habt, wird man dann sehen, ob ihr dafür verurteilt werdet oder nicht. Der Bundesverteidigungsminister hat gesagt: In dieser Rechtslage, die nun einmal da ist, stelle ich klar, dass die Verantwortung bei mir liegt. Ich verstecke mich nicht hinter den Soldaten, sondern ich trage die politische Verantwortung für ein solches Verhalten. ({12}) Ich selbst möchte dazu sagen: So zutreffend wie nach meiner Beurteilung das Amtspflichtverständnis des Bundesverteidigungsministers ist, so unerträglich ist die Situation, dass der Staat als Ganzes kneift und sich hinter dem Rücken der Soldaten, die handeln müssen, versteckt. ({13}) Das ist eine staatliche Form von Feigheit, die wir nicht akzeptieren können. Der Bundesinnenminister hat seine Pflicht getan, indem er nüchtern auf die Gefährdungslage dieses Landes hingewiesen hat. Das muss er tun, und zwar nicht aufregend und nicht hysterisierend. Er hat in der Zeit, in der noch Vorbeugung möglich ist, auf die Gefährdungslage hingewiesen. Er hat nicht nur auf die Gefahr hingewiesen, sondern er hat auch an uns appelliert und Vorschläge dahin gehend gemacht, dass der Staat alles rechtsstaatlich Nötige und rechtsstaatlich Mögliche tun muss, um Terrorismus in diesem Land abzuwehren. Unsere Auffassung als CDU/CSU-Fraktion ist: Der Rechtsstaat hat im Wissen darum, dass es absolute Sicherheit nicht gibt, das ihm rechtsstaatlich Nötige und Mögliche noch nicht getan. Wir als Gesetzgeber sind aufgerufen, aus der Verantwortung den Bürgern gegenüber, in diesem Land Sicherheit in Freiheit zu ermöglichen. ({14}) Darüber muss eine Debatte geführt werden. ({15}) Der Deutsche Bundestag muss in diesen Fragen die Entscheidung treffen. Wir sind dazu bereit, diese Verantwortung wahrzunehmen. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider für die Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vorbemerkung zur Rede des Kollegen Röttgen, die ich für notwendig halte: Ich finde es erstaunlich, hier auf der einen Seite eine Sachdebatte einzufordern und auf der anderen Seite von Firlefanz zu reden. ({0}) Es ist ziemlich unerträglich, wenn das eine Fraktion tut, die hier eine Klauberei um acht Minuten betreibt. Das ist nämlich wahrhaftig Firlefanz. Die FDP beantragt, die heutige Tagesordnung um den Punkt „Aufforderung an die Bundesregierung, eine Regierungserklärung zur Lage der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland zu beschließen“ zu erweitern. Wir, die Fraktion Die Linke, werden uns diesem Antrag anschließen. ({1}) Es ist merkwürdig und im Hinblick auf die politische Kultur in unserem Land enttäuschend, dass die FDPFraktion diesen Weg gehen muss, um etwas zu erzwingen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. ({2}) Die Minister Schäuble und Jung entwerfen bezüglich der inneren Sicherheit Horrorszenarien, die hochgradig geeignet sind, in der Bevölkerung Unruhe und Unsicherheit zu schüren. Wann, wenn nicht jetzt, haben die Menschen in diesem Lande und die von ihnen gewählten Volksvertreter einen Anspruch darauf, von der Bundesregierung zu erfahren, ob es sich hierbei um Einzelmeinungen der Minister oder um die Meinung der Bundesregierung handelt ({3}) und, falls es sich um Einzelmeinungen handelt, wie die Bundesregierung zu diesem Sachverhalt steht? ({4}) Die Bundesregierung hätte von sich aus anbieten müssen, hierzu eine Regierungserklärung abzugeben. Es ist ein Scherz - zudem ein schlechter -, dass die FDP etwas erzwingen muss, was selbstverständlich sein sollte. Es geht nicht nur um die Grusel- und Horrorszenarien, die diese Minister verbreiten. Es geht vor allem um das, was sie meinen, daraus ableiten zu müssen. Meine Fraktion interessiert längst nicht mehr, was die Minister Schäuble und Jung wollen. Wir wollen wissen, ob sich die Bundesregierung an einer Aushöhlung der Verfassung bis hin zum offenen Verfassungsbruch beteiligen will oder nicht. Ich danke dem Kollegen Peter Struck, dass auch er das Wort „Verfassungsbruch“ verwendet hat. ({5}) Uns interessiert überhaupt nicht mehr, ob Minister Jung Soldaten mindestens zum Totschlag, wenn nicht zum Mord, möglicherweise zum Mord mit gemeingefährlichen Mitteln und letztlich sogar zum Verfassungsbruch auffordert. An diesem Minister interessiert uns allenfalls noch, wann er die Konsequenzen aus seinen ungeheuerlichen Forderungen zieht und zurücktreten will - und das, Kollege Röttgen, bitte nicht erst, nachdem er den Befehl gegeben hat! ({6}) Ich will Ihnen sagen: Das ist eine merkwürdige Art und Weise, sich hinter die Soldaten zu stellen. ({7}) Auf diese Aufforderung zum Rechtsbruch haben Herrn Jung der Bundeswehr-Verband, der Verband der Jetpiloten und andere eine klare Antwort gegeben. Aber Sie haben sich schon die Piloten ausgesucht, die sich, als habe es nie eine deutsche Geschichte gegeben, wie Klaus-Peter Stieglitz, der Inspekteur der Luftwaffe, darauf berufen, dass Offiziere ihre Befehle zu befolgen haben. Die Menschen in diesem Lande und wir als die von ihnen gewählten Volksvertreter haben einen Anspruch darauf, jetzt zu erfahren, ob es sich um eine Einzelmeinung des Ministers handelt oder ob diese Ungeheuerlichkeiten die Position der Bundesregierung sind. Danke schön. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Uwe Küster für die SPD-Fraktion.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuellen Äußerungen der Minister Dr. Schäuble und Dr. Jung, auf die die FDP Bezug nimmt, sind Äußerungen dieser Minister, keine Äußerungen der Bundesregierung. ({0}) Von Vizekanzler Franz Müntefering und von Justizministerin Brigitte Zypries ist dazu das Nötige gesagt worden. ({1}) Im Übrigen hat die FDP den Vorschlag, eine gemeinsame Debatte zu vereinbaren, in der sich die Fachpolitiker mit diesem Thema hätten befassen können, abgelehnt. ({2}) Sie wissen, bis kurz vor Beginn dieser Debatte haben wir Verhandlungen und Gespräche darüber geführt. Wir haben der Opposition das Angebot gemacht, statt der beiden Aktuellen Stunden, von denen eine heute und eine morgen stattfinden soll, eine vereinbarte Debatte über genau dieses Thema zu führen. ({3}) Sie von der FDP möchten dieses Thema aber weiterhin skandalisieren. ({4}) Sie wollen daraus parteipolitisch Honig saugen. ({5}) Ich sage Ihnen im Namen meiner Fraktion: Dieser Versuch ist fragwürdig und deshalb abzulehnen. ({6}) Die immer neuen öffentlichen Äußerungen der Minister Schäuble und Jung tragen zur Verunsicherung und nicht zur Stabilisierung der inneren Sicherheit bei. ({7}) Die Themen innere Sicherheit und Terrorismusbekämpfung eignen sich aber nicht für derartige parteipolitische Instrumentalisierung. ({8}) Im Übrigen haben wir statt der von der Opposition abgelehnten gemeinsamen Debatte heute und morgen die beiden Aktuellen Stunden, die von der Opposition zu den Themen Terrorismusbekämpfung und innere Sicherheit gefordert worden sind. Da werden wir ausführlich darüber debattieren können. Es steht diese Woche also genügend Zeit für die beiden von Ihnen geforderten Themen zur Verfügung. Meine Fraktion sieht daher keine Veranlassung, dem Geschäftsordnungsantrag gemäß § 126 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zuzustimmen. Danke schön. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fand, das war eine gute Rede, Uwe Küster: Das war eine gute Begründung für den Antrag der FDP, hier eine Regierungserklärung zu verlangen. ({0}) Da erklärt der amtierende Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, die Ministeräußerungen seien Individualmeinungen, ({1}) das sei nicht die Politik der Bundesregierung, da gebe es auch andere Individualmeinungen, nämlich die von Müntefering und Zypries, die ihm näher seien. Ja, gibt es auch eine Meinung der Bundesregierung zur Innenpolitik? ({2}) Ich habe vorhin unter Berücksichtigung des Grundprinzips, das hinter einer Regierungserklärung steht, darüber nachgedacht, ob ich auf den Vorschlag der Union eingehe, dies in einer vereinbarten Debatte zu behandeln. Eine vereinbarte Debatte bedeutet: Jeder sagt einmal, was er so denkt - insofern haben wir eine ständige vereinbarte Debatte in der Bundesregierung. ({3}) Da dürfen sich die Minister beteiligen - manche sind ja auch Abgeordnete -, da dürfen sich die Abgeordneten beteiligen, und dann haben wir alle einmal darüber geredet. ({4}) Volker Beck ({5}) Na ja, das machen wir doch dauernd: die Agenturen rauf und runter, die Talkshows rauf und runter. Aber wir wissen nicht, was die Regierung macht. ({6}) Eine Regierungserklärung folgt aber einem anderen Prinzip: Wenn die Bundesregierung einen Bereich ihrer Politik grundsätzlich vor dem Parlament darstellen will - vorausgesetzt, sie hat eine solche Politik -, dann geschieht das in der Regel in der Form einer Regierungserklärung. Die Erklärung selbst ist Gegenstand der Aussprache. Das heißt, dann sagen wir nicht mehr, was uns zum Thema gerade so einfällt, ({7}) sondern dann reden wir darüber, wie wir die Politik dieser Bundesregierung finden. Gegenwärtig können wir aber nicht über eine Regierungserklärung reden, weil die Regierung uns nichts zu erklären hat, weil sie nicht weiß, wie ihre Innenpolitik aussehen soll. ({8}) Das finde ich angesichts der von ihr in dieser Debatte angeschlagenen Tonlage, die nach Götterdämmerung, nach Armageddon, nach Weltuntergang klingt, ({9}) unerhört. Denn die Menschen draußen im Lande und die Parlamentarier, aber auch die Regierungskollegen haben das Recht, zu erfahren: Was wissen die beiden Minister über die Bedrohungssituation, und was ist deren Antwort darauf? Da kann nicht jeder einfach erzählen, was er will. Das macht die Menschen verrückt, besorgt und - zu Recht - ängstlich. Mit dem Entsetzen über Terrorismus treibt man nämlich keine politischen Scherze. ({10}) Das sieht der Vizekanzler übrigens genauso. Er hat heute gegenüber AP erklärt: Die Mitglieder der Regierung und der Fraktionsspitzen müssen eine Information erhalten über das, was da gewusst oder vermutet wird. Das ist richtig. Doch er ist vorsichtshalber erst gar nicht gekommen. Offensichtlich will er nicht in Versuchung geraten, dem Antrag der Opposition auf eine Regierungserklärung zustimmen zu müssen. Ich bleibe dabei: Das, was Sie wissen, gehört auf den Tisch des Hauses. Sie können nicht einfach solche Sätze formulieren, ({11}) wie Bundesinnenminister Schäuble es getan hat: Die größte Sorge aller Sicherheitskräfte ist, dass innerhalb des terroristischen Netzwerkes ein Anschlag mit nuklearem Material vorbereitet werden könnte. Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, dass es nur noch darum geht, wann solch ein Anschlag kommt, nicht mehr, ob. Dann erfahre ich jetzt von den Agenturen, er will das gar nicht so gemeint haben; das sage man unter Fachleuten schon seit 15 Jahren. Aber der Text im Interview geht ja weiter, und damit macht er sich die Aussagen zu eigen: Wir sind bedroht und bleiben bedroht. Aber ich rufe dennoch zur Gelassenheit auf. Es hat keinen Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen. ({12}) Das ist Tanz auf dem Vulkan. Das ist wie in der Pestzeit im Mittelalter, als man noch einmal feierte, bevor alle verreckten. Gibt es eine Grundlage für solche verheerenden und panikmachenden Äußerungen, oder haben Sie das einfach so dahingesagt, Herr Schäuble, um die SPD bei der Onlinedurchsuchung unter Druck zu setzen oder hier oder da über die BKA-Kompetenzen zu reden und sie durch das dadurch geschaffene öffentliche Klima mürbe zu machen? Wenn es nur dazu diente, halte ich das für fahrlässig. Das ist kein verantwortungsvolles Verhalten eines Innenpolitikers, ({13}) der seriös jedes Bedrohungsszenario - auch ein hypothetisches - analysieren muss und Vorgehensweisen vorschlagen muss, der aber nicht so bedeutungsvoll raunen darf, als ob er wisse, dass morgen ein Bombenanschlag bevorsteht. ({14}) Der Bundesverteidigungsminister beschreibt ein Dilemma. Norbert Röttgen, das ist ein Dilemma, mit dem wir uns als Parlament schon länger beschäftigt haben und zu dem das Bundesverfassungsgericht Gott sei Dank klare Worte gesprochen hat. ({15}) - Da gibt es keine einfachen Antworten. ({16}) Der Minister insinuiert - das ist das, was du willst -, es gebe für diese Situation so etwas wie eine Gebrauchsanweisung. Diese solle der Gesetzgeber möglichst auch noch in ein Gesetz gießen nach dem Motto: Wenn du 500 Menschenleben retten kannst und dafür 50 opfern musst, dann darfst du es tun, dann bist du fein raus; dann ist das Dilemma aufgehoben. ({17}) Volker Beck ({18}) Das - so hat das Bundesverfassungsgericht gesagt - gibt es innerhalb unserer verfassungsrechtlichen Ordnung nicht. Ich sorge mich, wenn wir einen Verteidigungsminister haben, der nicht die verfassungsrechtlichen Grundsätze, unseren Rechtsstaat und unsere Freiheit verteidigt, sondern sich in Interviews damit brüstet, diese rote Linie übertreten zu wollen und genau das Gegenteil dessen zu tun. Wir würden hier im Parlament gerne einmal Auskunft erhalten, ob diese Äußerung der Politik der Regierung oder der Bundeskanzlerin entspricht. Es sollte Schluss sein mit den Interviews und öffentlichen Statements. Finden Sie zu einer Politik der inneren Sicherheit, die rechtsstaatlich ist! ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen nun zur Abstimmung über den FDP-Antrag. Wer stimmt für den Antrag der FDP? - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? ({0}) Der Antrag hat nicht die erforderliche Mehrheit erhalten. Er ist abgelehnt. Wir kommen damit zur vorgesehenen Tagesordnung. ({1}) - Ich warte einige Sekunden, bis diejenigen, die der weiteren Beratung nicht folgen wollen oder können, den Saal verlassen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2007. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute dem Kabinett den Jahresbericht 2007 zum Stand der Deutschen Einheit vorgelegt und fasse den Bericht folgendermaßen zusammen: Wir haben den Wachstumskurs der neuen Bundesländer im Verlauf des letzten Jahres stärken können. Es gibt eine Reihe positiver Anzeichen für einen sich dauerhaft haltenden Wirtschaftsaufschwung. Andererseits stehen wir in den neuen Bundesländern nach wie vor vor enormen Herausforderungen. So gilt es, auf dem Erreichten, für das die Menschen in den neuen Bundesländern, aber auch die Solidarität der Menschen in den alten Bundesländern verantwortlich zeichnen, aufzubauen und uns den Herausforderungen zu stellen, die noch vor uns liegen. Das Wachstum in den neuen Bundesländern ist stabil, und ihre Wirtschaftskraft nimmt zu. 3 Prozent Wirtschaftswachstum in Relation zu 2,7 Prozent in den alten Bundesländern belegen, dass sich die Schere schließt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Sie schließt sich zu langsam. Die Industrie zieht mit einem Wachstum von 11 Prozent stärker als in den alten Bundesländern an. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Wir sind weit von einem sich selbst tragenden Aufschwung entfernt. Es gibt immer noch zu wenige Industriearbeitsplätze, immer noch zu wenige Forschungs- und Entwicklungskapazitäten beim Mittelstand und mit 67,3 Prozent, gemessen an dem der alten Bundesländer, ein deutlich geringeres Bruttoinlandsprodukt. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Dennoch bleibt das Problem der sich verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit, die in den alten Bundesländern um 20 Prozent, aber in den neuen Bundesländern lediglich um 8 Prozent abnimmt. Daneben schlagen wir uns mit den Problemen der Demografie und der Abwanderung aus den ländlichen Räumen mit all den sozialen und infrastrukturellen Folgen für das Leben in den Regionen herum. Die Bundesregierung zeigt Wege auf, wie wir den Aufschwung beschleunigen können; denn wir müssen ihn beschleunigen, wenn wir den Abstand zwischen den unterschiedlichen Regionen in den Ländern unseres Staates verringern wollen. Wir setzen auf den Solidarpakt II. Die Mittel werden eingesetzt, um die Infrastruktur zu vollenden und in Verbindung mit der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Investitionszulage Firmen anzulocken und zur Erweiterung zu bewegen. Wir setzen darauf, den Transmissionsriemen zwischen der Wissenschaft und der Wirtschaft zu verstärken, indem wir insbesondere beim Mittelstand Forschungs- und Investitionskapazitäten aufbauen. Wir setzen darauf, auch in den ländlichen Räumen die Lebensqualität zu erhalten und sie mit der Lokomotivfunktion der kleinen und großen Wachstumszentren zu verbinden. Wir setzen darauf, die Langzeitarbeitslosigkeit im engen Schulterschluss mit den Ländern und Städten durch Programme wie dem Kommunal-Kombi zu beseitigen. Eine enorme Aufgabe steht vor uns. Durch den Bericht soll ein realistisches Bild gezeichnet werden. Viel wurde erreicht, und es ist noch viel zu tun. Daneben sollen Wege aufgezeigt werden, wie wir im Laufe der nächsten Jahre weitere Schritte beim Aufbau Ost gehen können, die uns zum Erfolg führen. Vielen Dank.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Vielen Dank, Herr Bundesminister. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Ich bitte nun, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den gerade berichtet wurde. Als erstem Fragesteller erteile ich dem Kollegen Volker Blumentritt für die SPD-Fraktion das Wort.

Volker Blumentritt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003741, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Minister, mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung die, wie ich denke, dynamische Entwicklung in Ostdeutschland beschleunigen? Ist für Sie dabei insbesondere das Programm „Soziale Stadt“ wichtig - ich spreche da aus eigener Erfahrung -, das 1999 durch die Bundesregierung initiiert wurde und wodurch vielfältigste Möglichkeiten eröffnet wurden? Wie kann man das potenzieren? Was kann man daraus noch machen? Wofür werden die Mittel, die Sie für die nächsten Jahre aufgestockt haben, in erster Linie eingesetzt? Das Programm „Soziale Stadt“ - ich sehe das genauso wie Sie - ist insbesondere im Hinblick auf die Stabilisierung des Standortes Ostdeutschland und ein Stück weit auch im Hinblick auf die Etablierung großer Unternehmen in Ostdeutschland ein wesentlicher Faktor.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Vielen Dank. - Wir müssen auf verschiedenen Feldern agieren. Ein Feld ist die Stärkung der Wirtschaftskraft. Dadurch werden Arbeitsplätze entstehen; es werden weniger Sozialtransfers nötig sein, und die Menschen können aus eigener Kraft agieren. Wir wollen die Wirtschaftskraft stärken, indem wir mit der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur fortfahren. Dafür wollen wir auch die Investitionszulage über das Jahr 2009 hinaus verlängern, wie es in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen wurde. Damit gewährleisten wir, dass Investoren auch auf dem sogenannten flachen Land Investitionen tätigen und ihre Unternehmen erweitern bzw. neue gründen können. Wir wollen darüber hinaus ein zweites Themenfeld angehen: die Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Wir haben einen Wettbewerb initiiert, der mit 23 Millionen Euro ausgestattet ist. Die ersten elf Projekte konnten identifiziert und mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Denn wir wissen, dass der Osten nicht länger die verlängerte Werkbank des Westens sein darf; wir müssen vielmehr den Aufbau eigener Forschungs- und Entwicklungskapazitäten ermöglichen. Das dritte Feld ist die Infrastruktur. Seit der friedlichen Revolution sind in Deutschland ungefähr 170 Milliarden Euro in den Ausbau von Infrastruktur geflossen, davon allein 67 Milliarden Euro in die neuen Bundesländer. Der Anteil ist deshalb überproportional hoch, weil wir wissen, dass die Wirtschaft der Infrastruktur folgt. Wir intensivieren unsere Bestrebungen, ausländische Unternehmen in den Osten zu holen. Das alles soll die Wirtschaft stärken. Ein weiteres Themenfeld ist die Stadt. Hier haben wir es mit besonderen Herausforderungen zu tun. Ich nenne in diesem Zusammenhang als Stichwort das Programm „Soziale Stadt“. Um Disparitäten zwischen Stadtteilen auszugleichen, haben wir das Programm nicht nur von 70 Millionen Euro auf 110 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt, sondern wollen auch mit 20 Millionen Euro einen nicht unbeträchtlichen Anteil dieser Mittel über die Investitionstätigkeit hinaus zur Finanzierung von Pilotprojekten einsetzen, die zur Verbesserung der Situation benachteiligter Stadtteile beitragen. Darüber hinaus kümmern wir uns um den Städtebau. Die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Städtebaulicher Denkmalschutz“, die sich mit der Stadtentwicklung im weitesten Sinne beschäftigen, sind nicht nur verstetigt, sondern auch aufgestockt worden. Denn die demografische Entwicklung bedingt den teilweisen Rückbau von Infrastruktur unter und über der Erde, um die Steuergelder der Bevölkerung adäquat einsetzen zu können. Das sind einige Beispiele. Ein anderes Themenfeld hatte ich bereits kurz angesprochen: die Langzeitarbeitslosigkeit. Dazu verweise ich exemplarisch auf das Programm „KommunalKombi“; darüber hinaus ließen sich weitere Programme anführen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Fragesteller ist der Kollege Peter Hettlich.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben eben in der Antwort auf die Frage des Kollegen Blumentritt auf die Investitionszulage und die Gemeinschaftsaufgabe Ost hingewiesen. Sie haben immer wieder festgestellt, dass die Förderung gezielter erfolgen muss. Wir haben aber schon in der letzten Debatte über die Investitionszulage im vergangenen Jahr immer wieder gefragt, wie Sie sich das vorstellen. Da ein Rechtsanspruch auf die Investitionszulage besteht, ist damit keine gezielte Förderung möglich. Die Gemeinschaftsaufgabe Ost wird - übrigens auch von den Wirtschaftsinstituten immer wieder als probates Mittel empfohlen. Können Sie mir erklären, warum Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe für dieses Jahr kürzen? Diese Frage interessiert viele Menschen. Können Sie mir des Weiteren erläutern, wie Sie bei einem um 0,3 Prozentpunkte geringeren BIP-Wachstum im Osten gegenüber dem Westen auf 20 Jahre bis zur Angleichung zwischen West und Ost kommen? Das ist für mich arithmetisch nicht nachvollziehbar.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Zunächst zu den beiden Programmen: Wir wollen eine Balance zwischen einer gezielten Förderung über die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur einerseits und dem Rechtsanspruch von Unternehmen andererseits, die neue Investitionen oder Ersatzinvestitionen tätigen, schaffen. Dabei geht es um die sogenannte Investitionszulage, die sich auf drei Bereiche und auf alle Regionen der neuen Bundesländer bezieht. Die drei Bereiche sind bekannt. Dabei handelt es sich um die Industrie im klassischen Sinne, die industrienahen Dienstleistungen und ab dem Jahr 2006 das Beherbergungsgewerbe. Wir setzen auf diese Dualität, weil wir glauben, dass die Politik die starken Regionen, ob klein oder groß, gezielt fördern sollte - das geschieht bereits, und zwar mit Strategie und Planung -; andererseits wollen wir aber der Unternehmerschaft nicht den Weg verbauen, ihrerseits in dieser oder jener Region, die noch nicht als Zielgebiet in dieser Weise identifiziert ist und diese Stärken noch nicht aufweist, entsprechende Förderung anzubieten. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. In der letzten Woche haben wir in Arnstadt ein Werk zur Überholung von Rolls-Royce-Flugzeugturbinen übergeben. Von der Grundsteinlegung bis zur Eröffnung sind nur zwölf Monate vergangen. Dort ist es gelungen, ein Unternehmen in einer Region anzusiedeln, die vorher nicht als industrielles Zentrum Thüringens galt. Das war durch gezielte Förderung möglich. Die Konkurrenz zu einem tschechischen Mitbewerber konnte gewonnen werden, weil die Förderung an diesem Ort sowohl in strategischer Hinsicht als auch vom Unternehmer selbst gelenkt werden konnte. Die GA stellt eine gute Basis für eine finanzielle Balance dar. Die Investitionszulage und die GA sind in etwa gleich ausgestattet. Ich denke, dass durchaus immer Möglichkeiten zur Aufstockung der GA-Mittel bestehen. Ich setze darauf, dass der Solidarpakt sowohl 2007 als auch 2008 in vollem Umfang zum Tragen kommt und dass diese beiden Instrumente dafür sorgen, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Fragesteller ist der Kollege Roland Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundesminister, das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat herausgefunden, dass in einem Drittel der ostdeutschen Betriebe die 1-Euro-Jobber die Mehrheit stellen. Ich hielt das für unglaublich, aber es ist wahr. Bewerten Sie diesen Fakt als Beleg für den in Ihrem Bericht konstatierten Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt, oder bewerten Sie diesen Fakt genauso wie ich als einen Skandal? ({0})

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Ich möchte die Zahlen nicht bestätigen, weil sie mir nicht vorliegen. Aber sie beschreiben den Trend, dass wir zwar den Arbeitsmarkt beleben und die Anzahl der Arbeitslosen senken, aber nicht in gleichem Umfang sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Osten Deutschlands schaffen können. Das heißt, wir haben nach wie vor eine Diskrepanz zwischen den Arbeitsplätzen, die nachgefragt werden, und denen, die tatsächlich angeboten werden. Wie behelfen wir uns in einer Situation, in der die industrielle Produktion anspringt und in den neuen Branchen - regenerative Energien, Chipherstellung, Kunststoffindustrie, elektrotechnische Industrie und chemische Industrie - zwar zahlreiche Arbeitsplätze entstehen, aber nicht in ausreichendem Umfang? Wie behelfen wir uns angesichts des Gaps zwischen Angebot und Nachfrage? Wir bieten auf dem ersten Arbeitsmarkt geförderte Arbeitsplätze für diejenigen an, die Arbeit nachfragen, aber nicht in der Lage sind, auf dem regulären Arbeitsmarkt Arbeit zu finden. Wir, die Bundesregierung, arbeiten daran, dass diese Zeitspanne möglichst kurz ist und dass möglichst viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Aber ich hielte es für skandalös, wenn wir einerseits Arbeitsplätze, die nicht sozialversicherungspflichtig sind und die nicht auf dem regulären ersten Arbeitsmarkt zu finden sind, nicht anbieten würden und es andererseits zuließen, dass Menschen mit ihrer Hände Arbeit nicht ein Einkommen erwirtschaften können, das ausreicht, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu bestreiten. Herr Kollege Claus, der Skandal wäre, solche Menschen weiter zu Hause sitzen zu lassen, zu alimentieren und ihnen nicht die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten. Wir arbeiten daran, dass möglichst schnell mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jan Mücke.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben vorhin über die Bedeutung von Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern sowie der Hochschulen und über die daraus folgenden Möglichkeiten gesprochen, dass junge Leute, die innovative Ideen haben und ein Produkt entwickeln wollen, sich, von den Universitäten kommend, selbstständig machen, sodass Arbeitsplatzeffekte in den neuen Bundesländern erzielt werden. Diese Strategie halten wir, die FDP-Bundestagsfraktion, für richtig. Für uns stellt sich nur die Frage, wie diese Förderung der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft tatsächlich aussieht. Es ist doch ein Fakt, dass beispielsweise bei der Exzellenzinitiative der Bundesregierung in der ersten Stufe nicht eine einzige ostdeutsche Universität in den Genuss einer zusätzlichen Förderung gekommen ist, weil offensichtlich die Voraussetzungen dafür sehr viel schlechter gewesen sind, als das in den alten Bundesländern der Fall war. Erstens. Wie verträgt sich das miteinander, und wie konkret sieht die Forschungsförderung für die neuen Länder aus, damit wir die Effekte, die Sie beschrieben haben, erzielen können? Zweitens. Wie verträgt sich Ihre Aussage mit der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion „Umsetzung der Koalitionsvereinbarung - Ansiedlung einer Großforschungseinrichtung in den neuen Bundesländern“? Es gab diverse Ideen zu diesem Thema. Die Bundesregierung hat uns geantwortet, dass sie nicht beab11756 sichtigt, eine solche Großforschungseinrichtung in den neuen Ländern in der nächsten Zeit anzusiedeln. Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, stelle ich noch eine dritte Frage. Sie haben in Meseberg eine Offensive Ost angekündigt. Könnten Sie erläutern, was Sie konkret darunter verstehen und was die neuen Bundesländer davon erwarten können?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Kollege Mücke, Sie nennen zu Recht Forschung und Entwicklung, Hochschulen und Universitäten als Schlüsselthemen für den Aufbau Ost. Wenn es uns gelingt, in der Zukunft diese Kapazitäten zu stärken, vor allen Dingen die Verbindung zur Wirtschaft zu verstärken, dann sollte es gelingen, dass die neuen Bundesländer schneller in diesem Angleichungsprozess vorwärtskommen. Sie haben als Erstes die Exzellenzinitiative angesprochen. Diese ist so angelegt, dass in Deutschland nach einheitlichen, objektiven Kriterien gesucht wird, welche Hochschuleinrichtung in der Lage ist, exemplarisch für Deutschland Forschungsleistungen, wissenschaftliche Leistungen zu erbringen. Wir konstatieren, dass einige der ostdeutschen Hochschulen knapp unter der Messlatte geblieben sind und diese nicht übersprungen haben. Ich bin mir mit meiner Kollegin Schavan einig, dass wir jetzt in der zweiten Phase der Exzellenzinitiative, in der es nicht nur um die Eliteuniversitäten, sondern auch um die Cluster geht, die eine besondere Förderung bekommen sollen, besonders diejenigen Standorte in den Blick nehmen müssen, die besonders dynamisch Entwicklungsfortschritte gemacht haben. Ein weiterer Punkt. Die Strategie, die Hochschulen zu stärken, gründet sich zum Beispiel auf den Hochschulpakt, den die Kollegin Schavan geschlossen hat. Ihnen ist bekannt, dass wir nicht zuletzt im Rahmen der Föderalismusreform I den Ländern die Kompetenzen für die Hochschulentwicklung übertragen haben. Dennoch interessiert sich der Bund stark dafür, wie wir es zum Beispiel schaffen können, dass die Anzahl der Studenten auch an den ostdeutschen Hochschulen und Universitäten auf einem Niveau gehalten wird, dass der Lehrbetrieb effizient und gut ist. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die dafür sorgen sollen. Der Hochschulpakt bietet eine solide Grundlage dafür. Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Programmen, die dazu dienen sollen, Drittmittel einzuwerben bzw. - ich spreche es noch einmal an - die Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft herzustellen. Der Innovationswettbewerb „Wirtschaft trifft Wissenschaft“, den wir in Gang gesetzt haben, soll die Netzwerke, die im Osten in noch viel zu ungenügender Zahl bestehen, stärken und exemplarisch aufbauen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir werden über kurz oder lang in Frankfurt/ Oder die in der Welt führende Solarzellenfabrik haben. Hier entsteht ein Nukleus aus einer wissenschaftlichen Forschung heraus, weil die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft so eng ist. Das wollen wir stärken und unterstützen. Wir denken, dass das der richtige Weg ist. Die Offensive, die wir für die neuen Bundesländer in Gang setzen, bezieht sich auf die Felder, die ich bereits vorhin in Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Blumentritt angesprochen habe. Das betrifft die Verstetigung der Förderung für die Wirtschaft: Wir investieren in die Hochschulen; wir kümmern uns um die Infrastruktur; wir wollen, was die Hochschulen anbetrifft, ein neues Instrument beraten und werden es hoffentlich auf den Weg bringen. Das sind die externen ForschungsGmbHs, die den Mittelstand in die Lage versetzen, außerhalb ihrer Unternehmen Forschungen ansiedeln zu können. Wir kümmern uns - das hatte ich bereits ausgeführt - mithilfe einer Reihe von Projekten um den Arbeitsmarkt. Das ist die Offensive, die wir brauchen, um den Aufschwung zu beschleunigen. Sie haben mit den Großforschungseinrichtungen noch ein spezielles Thema angesprochen, auf das die Bundesregierung Bezug genommen hat. Ich denke an die Spallationsquelle im Raum Halle/Leipzig, über die wir immer wieder einmal diskutiert haben. Die Forschungsministerin ist - auch im Hinblick auf den europäischen Kontext - überzeugt davon, dass wir für eine solche Einrichtung auf absehbare Zeit keine Unterstützung erhalten werden bzw. dass die Notwendigkeit zur Schaffung einer solchen Einrichtung nicht in dem Maße besteht, dass die Investitionen fließen können. Sollte im europäischen oder im deutschen Kontext eine neue Einrichtung realisiert werden, werden wir selbstverständlich die neuen Bundesländer wieder ins Gespräch bringen. Es stellt sich zum Beispiel die Frage: Was ist überhaupt eine Großforschungseinrichtung? Bedenken Sie bitte, dass wir das Biomasseforschungszentrum in den neuen Bundesländern angesiedelt haben. Wir haben zu einem Zeitpunkt darüber diskutiert, als die Fragen des Klimawandels noch gar nicht auf der Tagesordnung standen. Jetzt stellen wir fest, dass sich unsere Forschungseinrichtung im Zentrum einer ganz wichtigen Branche befindet. Diese Einrichtung ist übrigens genau in dem Raum angesiedelt, von dem Sie sprechen. Es gibt aber momentan keine Chance, dass die Spallationsquelle realisiert wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun kommen wir zu der Frage der Kollegin Andrea Wicklein.

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie haben zu Recht die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angesprochen, die wir jetzt glücklicherweise auch in Ostdeutschland vorfinden. Dennoch haben wir nach wie vor das Problem der Abwanderung von Fachkräften, die wir dringend brauchen, und insbesondere die Abwanderung von jungen Frauen, gerade aus den ländlichen Regionen. Welche Konzepte hat die Bundesregierung, um dieser Abwanderung etwas entgegenzusetzen? Welche Konzepte gibt es zur Entwicklung der ländlichen Räume? Wo sehen Sie da Perspektiven?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Darauf gibt es drei Antworten: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Arbeitsplätze schaffen in den neuen Bundesländern, in den kleinen und mittleren Städten, in den großen Ballungszentren, aber auch im ländlichen Raum ist die entscheidende Voraussetzung dafür. Diese Arbeitsplätze entstehen nicht von selbst. Ihre Entstehung kann zwar gefördert werden, Rahmenbedingungen kann man verbessern, aber sie müssen aus der Wirtschaft selbst, aus der Industrie, aus dem Dienstleistungsbereich entstehen. Dass wir mit unserer Strategie der Förderung richtigliegen, das zeigt sich an den Zahlen, die wir heute vorweisen können: Ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent in Relation zu einem Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent in den alten Bundesländern zeigt, dass wir richtig investiert haben, dass diese Lokomotiven jetzt in der Lage sind, ein Wirtschaftswachstum zu generieren, das sich auch am Arbeitsmarkt niederschlägt. Übrigens ist interessant, dass die neuen Bundesländer zunehmend ihre geografische Lage im Hinblick auf die neuen EU-Mitgliedstaaten ausspielen. Das, was zunächst Angst gemacht hat - dass mit der Erweiterung der Europäischen Union die Anzahl der Arbeitsplätze zurückgeht -, das erweist sich als nicht richtig. Wir profitieren von der Erweiterung. Die Abwanderung findet übrigens auch innerhalb der neuen Bundesländer statt. Wir haben eine Vielzahl von Regionen, die einen Bevölkerungsaufwuchs vorweisen. Ich nenne exemplarisch Dresden, Jena, Potsdam, Leipzig und Magdeburg. In diesen Städten wird nicht nur das negative Sterbesaldo kompensiert, sondern es gibt dort auch einen Bevölkerungsaufwuchs. Menschen aus ländlichen Regionen der neuen Bundesländer ziehen in die Ballungszentren der neuen Bundesländer. Das alles ist für diejenigen, die in der Region keinen Arbeitsplatz finden, allein noch keine gute Nachricht. Wir haben ein Programm aufgelegt, durch das Regionen im ländlichen Raum exemplarisch identifiziert und unterstützt werden sollen. Es soll eine Antwort auf folgende Fragen gegeben werden: Wie kann man Lebensqualität im ländlichen Raum erhalten? Wie kann es eine Verantwortungsgemeinschaft zwischen dem Oberzentrum und dem ländlichen Raum geben? Ausgewählt sind beispielsweise die Region Stettiner Haff und die Region Südharz/Kyffhäuser Kreis, um vorzuführen, wie man das tun kann. Die ersten Ansätze sind vorhanden. Die Projekte, von denen wir zunächst nur gelesen haben, sind sehr erfolgversprechend. Das wollen wir unterstützen. Wir investieren eine Menge Geld in diese Projekte, die wir später auf andere Regionen übertragen wollen. Es bleibt dabei: Wir werden Unterschiede zwischen Nord und Süd, Ost und West, aber auch zwischen dem ländlichen Raum und den Wachstumszentren haben. Wir konzentrieren uns darauf, die Stärken zu stärken. Wenn es uns gelingt, bis zum Auslaufen des Solidarpakts II, also bis 2019, zu erreichen, dass sich eine Vielzahl dieser Wachstumskerne selbstständig gestaltet, aus einem sich selbst tragenden Aufschwung heraus und mit einer Wirtschaftskraft, die sich aus sich selbst speist, dann sollte es möglich sein, auch die ländlichen Regionen, die es deutlich schwerer haben als die Wachstumskerne, im Rahmen des normalen Länderfinanzausgleichs mitzuziehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, Sie haben das Thema Forschung und Entwicklung mehrmals zu Recht angesprochen. Ich glaube, man braucht nicht darüber zu diskutieren, dass dies ein entscheidendes Thema ist. Sie haben einige Leuchttürme benannt. Sie haben aber wenig Problembewusstsein gezeigt. Die Bundesregierung hat mir auf meine Fragen geantwortet, dass Ostdeutschland an gesamtdeutschen Förderprogrammen auffällig unterdurchschnittlich beteiligt ist. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel - das ist noch ein relativ positives -: Es fließen nur 10 Prozent der gesamtdeutschen Forschungsmittel für zukunftsorientierte Energien in den Osten. Welche Anstrengungen, Herr Minister, unternehmen Sie, um Ihre Kabinettskollegen zu überzeugen, an dieser Stelle eine ausgewogene Zuweisung der Forschungsmittel zu erreichen? Welche Ideen haben Sie entwickelt, um dem offensichtlichen Missstand abzuhelfen, dass nur ein geringer Anteil der Mittel für Forschungsförderprogramme in den Osten fließt?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Diese Gelder, Frau Abgeordnete, benötigen Adressaten. Wir brauchen starke Hochschulen und starke Forschungseinrichtungen, vor allen Dingen aber Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, die an den Unternehmen angelagert sind. Wir verfügen in den neuen Bundesländern über eine hervorragende Struktur der öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen. Ich möchte in dem Zusammenhang ausdrücklich Dank sagen der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, den Einrichtungen der Blauen Liste, der Helmholtz-Gemeinschaft usw., die dafür gesorgt haben, dass diese Infrastruktur stabil besteht. In diese Strukturen fließen die Gelder. Es ist dringend nötig, dass wir zwischen Mittelstand und Hochschule oder angelagert an den Mittelstand Forschungs- und Entwicklungskapazitäten generieren, die dann Adressat dieser Fördergelder sein können. Es ist also nicht auf Goodwill zurückzuführen, wenn Geld fließt, bzw. auf Zurückhaltung, wenn Geld nicht fließt; es bedarf konkreter Projekte. Weil wir um diese Schwierigkeit wissen, kümmern wir uns beispielsweise um die externen Forschungs-GmbHs. Ich will mit Zahlen noch einmal das unterstreichen, was Sie gesagt haben. In Deutschland werden von den Unternehmen rund 51 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben, um zu forschen und zu entwickeln: in den Zentren der Automobilindustrie, der Elektrotechnik, wo auch immer. In den Osten fließen gerade einmal 1,5 Milliarden Euro dieser 51 Milliarden Euro - eine große Disparität. Diese bauen wir auch nicht dadurch ab, dass wir einen Automobilhersteller auffordern, sein Kompetenzzentrum, sein Design- oder Forschungs- und Entwicklungszentrum komplett in die neuen Bundesländer zu verlegen. So wird es nicht gehen. Es wird aber funktionieren, wenn wir die Nuklei, die jetzt schon vorhanden sind, verstärken, sie so unterstützen, dass sie sich entwickeln können und größer werden. Das ist die Zielrichtung, die wir verfolgen. Adressat sind nicht nur die Bundesregierung und die Landesregierungen; Adressat sind vor allen Dingen die Unternehmen selbst, die mit eigenen Mitteln dafür sorgen müssen, dass Projekte generiert werden, die am Ende gefördert werden können. Die Verantwortung liegt also sowohl beim Bund - er hat Rahmenbedingungen zu schaffen - als auch bei den Universitäten, Hochschulen und Unternehmen selbst.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, zu den Prozessen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit gehört auch die Fusion von Reichsbahn und Bundesbahn zur Deutschen Bahn. Es gab zu diesem Komplex von unserer Fraktion verschiedene Nachfragen, auch zu Unternehmen, die in den neuen Ländern Besitztümer haben und Energie produzieren, insbesondere zu der DB Energie GmbH. Sowohl auf eine schriftliche Frage meines Kollegen Winfried Hermann als auch auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion hat sich Ihr Ministerium der Antwort verweigert. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihnen bekannt ist, dass eine Antwortverweigerung gegenüber dem Parlament begründet werden muss und dass auch nicht alle Fragen zu privatwirtschaftlichen Unternehmen abgewiesen werden können, insbesondere nicht zu Unternehmen, deren hundertprozentiger Eigner der Bund ist. Das Parlament wird, wenn der Gesetzentwurf nicht noch zurückgezogen wird, in dieser Woche die Debatte über die Frage der Privatisierung der Deutschen Bahn und über die Strategie, die verfolgt wird, beginnen. Um darüber debattieren zu können, muss das Parlament die Fakten erst einmal kennen; erst dann kann es entscheiden, was es aus diesen Fakten macht. Sind Sie bereit, dem Parlament die Fragen, die wir zur DB Energie GmbH und zu anderen Punkten eingereicht haben, noch zu beantworten? Wenn nicht: Woraus schließen Sie, dass das Parlament bei diesen Fragen dumm bleiben muss, obwohl es über diese Sachverhalte entscheidet?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Ich gehe davon aus, dass wir am Freitag hier im Parlament den Gesetzentwurf zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes beraten werden. Ich gehe also nicht davon aus, dass er zurückgezogen wird, um diesem Nebensatz gleich entgegenzutreten. Ich werde dem Vorgang nachgehen und Ihnen eine entsprechende Antwort zukommen lassen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bis wann - die Antwort kann ja in die aktuellen Beratungen mit einfließen - kann das Parlament mit einer Beantwortung unserer Fragen rechnen, nachdem Ihr Haus zunächst die schriftliche Antwort in Drucksache 16/6222 verweigert hat?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Ich werde das in zwei Phasen tun. Zunächst einmal werde ich prüfen, ob eine Antwort möglich ist, und wenn sie möglich ist, werde ich sie dem Parlament in der angemessenen Zeit zukommen lassen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Beck, die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Minister, Sie kommen ebenso wie ich aus Sachsen. Ich möchte noch einmal an die Frage des Kollegen Hettlich von den Grünen anschließen und auf die Kürzung der GA-Mittel eingehen. Es geht nicht nur um 50 Millionen Euro, sondern auch um den Anteil der Länder. Insgesamt sind es dann 100 Millionen Euro, die dem Mittelstand verloren gehen. Nach Sachsen geht jeder vierte Euro. Ich frage Sie: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass gerade durch diese Einsparung von 100 Millionen Euro im Mittelstandsbereich die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert wird, weil gerade der Mittelstand die meisten Arbeitsplätze in Deutschland schafft?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Nein. Erstens bin ich nicht der Meinung, dass wir damit die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern. Wir haben in einigen Ländern Probleme mit dem Abfluss der GA-Mittel; das wissen Sie. Dazu zählt nicht das Land, aus dem offensichtlich wir beide kommen. Zweitens ist im Rahmen der Haushaltsdebatte - unter Federführung meines Kollegen Glos - über die Frage diskutiert worden, inwieweit wir diesen Haushalt fortführen können. Wir haben den Posten der GA-Mittel leicht senken müssen, um einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, stützen uns aber in der Kopplung von GA-Mitteln und Investitionszulage immerhin auf einen Betrag, der per anno weit über 1 Milliarde Euro beträgt. Wir werden die GA-Mittel und ihre Anwendung in den einzelnen Bundesländern weiter verfolgen, und ich gehe davon aus, dass wir, wenn es Spielräume gibt, auch in dieser Position Flexibilität beweisen. Es soll nach Möglichkeit kein Investor abgewiesen und keine Investition verhindert werden. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Fragesteller ist der Kollege Klaas Hübner.

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, die ostdeutschen Länder werden in naher Zukunft ausgeglichene Haushalte vorlegen können, was sehr zu begrüßen ist. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die zugesagten Leistungen aus dem Solidarpakt II?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Es ist ein sehr erfreulicher Umstand, dass sowohl die Länder als zunehmend auch die Kommunen ausgeglichene Haushalte vorlegen können. Wir dürfen nicht vergessen: Ausgeglichener Haushalt heißt, dass genauso viel ausgegeben wird, wie eingenommen wird. Dabei darf aber ebenso nicht vergessen werden, dass sowohl auf der Länder- als auch auf der Kommunalebene noch ein extremer Schuldenberg abzutragen ist. Diese Schwierigkeit besteht nach wie vor. Wir wissen, dass insbesondere die Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern einen hohen Schuldenberg aufgebaut haben, um den Aufbauprozess zu beschleunigen. Die Früchte sehen wir jetzt. Dennoch brauchen wir Kapazität, die Schulden abzubauen. Ich denke, wir sind einer Meinung, dass der Solidarpakt II in seinen zwei Teilen, Korb I und Korb II, zielgerichtet eingesetzt werden muss. In Korb I geht es darum, insbesondere Investitionen in die Infrastruktur zu fördern. Ich bin froh, konstatieren zu können, dass die Bundesländer, und zwar vom Norden bis zum Süden, zunehmend der Verpflichtung nachkommen, die Gelder zweckgemäß einzusetzen, und somit auf den Pfad der Tugend zurückkehren. Ich weiß um die extremen Belastungen, die beispielsweise durch die Zusatzrentensysteme und durch Altschulden auf den neuen Bundesländern lasten. Dennoch darf das kein Grund sein, die Korb-I-Mittel nicht zu einem großen Teil oder sogar zu 100 Prozent für Investitionen einzusetzen. Das Gleiche gilt für den Korb II, mit dem 51 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Hier haben wir, wie Sie sich erinnern werden, schwierige Verhandlungen mit den Bundesländern gehabt. Ich bin froh und auch etwas stolz darauf, dass wir dieses schwierige Kapitel geräuschlos haben abschließen können. Aber auch hier gilt, dass wir das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern zweckgemäß und zielgenau an der richtigen Stelle einsetzen müssen. Dazu gehören zum Beispiel die vom Kollegen Hettlich und vom Kollegen Mücke angesprochenen Forschungsgelder, die dort etatisiert sind und den größtmöglichen Nutzen entfalten sollen. Ich appelliere also auch von hier aus an die Finanzminister der neuen Bundesländer, die Gelder aus dem Korb I des Solidarpaktes zweckgemäß und zielgenau einzusetzen, damit wir, trotz schrittweiser Reduzierung gerade dieser Gelder, den Aufschwung bis 2019 beschleunigen können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Zeit für die Regierungsbefragung schon etwas überzogen. Weitere Fragen kann ich deshalb nicht mehr zulassen. Herr Bundesminister, ich danke Ihnen herzlich für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/6367, 16/6380 Zu Beginn der Fragestunde beschäftigen wir uns nach Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde zunächst mit den dringlichen Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Für die Beantwortung steht Herr Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur dringlichen Frage 1 des Kollegen Volker Beck ({0}): In welcher Weise und mit welchen Argumenten war die Bundesregierung an der Berufung des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber nach dem Ende seiner Amtszeit zum künftigen Leiter einer 15-köpfigen Expertengruppe der Europäischen Union, EU, zum Bürokratieabbau beteiligt bzw. informiert, die der Präsident der EU-Kommission am Freitag, dem 14. September 2007, bekannt gegeben hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung begrüßt, dass EU-Kommissionspräsident Barroso mit der Einsetzung eines unabhängigen Sachverständigenausschusses zur Unterstützung der Kommission und der Mitgliedstaaten bei der Verringerung der Verwaltungslasten ein Ergebnis des Europäischen Rates vom 8./9. März dieses Jahres umsetzt. Die Berufung der Mitglieder, auch von Ministerpräsident Stoiber zum ehrenamtlichen Vorsitzenden dieses Ausschusses, ist eine Aufgabe der Europäischen Kommission. Eine Befassung der Mitgliedstaaten ist nicht vorgesehen. Ich füge hinzu: Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die Benennung von Herrn Dr. Stoiber.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin erstaunt, dass Sie die Frage nicht beantwortet haben. Wir haben nicht gefragt, ob die Bundesregierung des Begrüßens mächtig ist, sondern in welcher Weise und mit welchen Argumenten die Bundesregierung an der Berufung beteiligt war. Hat die Bundeskanzlerin, wie man in der Zeitung lesen kann, mit Herrn Barroso in Bayreuth oder anderswo gesprochen, hat sie mit ihm Volker Beck ({0}) telefoniert, oder hat sie gesimst - das tut sie ja zuweilen ganz gerne -, um Herrn Stoiber auf seinem Altenteil noch ein bisschen Beschäftigung zu verschaffen?

Not found (Gast)

Ich wiederhole das, was ich in meiner Antwort gesagt habe, nämlich dass es die Aufgabe des Kommissionspräsidenten ist, diese Expertengruppe zu berufen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Frau Präsidentin. - Das ist richtig. Aber wir haben mittlerweile das Problem, dass die Bundesregierung meint, sie sei frei, Fragen im Parlament einfach nicht zu beantworten. Die Frage ist: War die Bundesregierung an der Berufung beteiligt? Sie können ja sagen, sie war in keiner Weise daran beteiligt, wenn es so war. Wenn es anders war, sagen Sie uns das oder sagen Sie, dass Sie das nachreichen. Aber Sie können hier nicht einfach die Antwort auf eine Frage verweigern.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, ich verweigere nicht die Antwort. Ich habe nur gesagt, dass als Folge aus den Ergebnissen des Frühjahrsrates die Aufgabe bestand, eine solche Expertengruppe zu berufen. Die Bundesregierung ist von der Berufung für diese Kommission lediglich vorab unterrichtet worden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Es gibt nun eine weitere Nachfrage von Herrn Kollegen Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Herr Gloser, es besteht kein Zweifel darüber, dass die Berufung Aufgabe der Kommission ist. Das hat auch Kollege Beck nicht bestritten. Ist es zutreffend, dass die Kommission - so, wie Sie es suggerieren diese Entscheidung, ihre ureigene Aufgabe erfüllend, getroffen hat, ohne sich vorher mit den Mitgliedstaaten zu konsultieren und damit das Herkunftsland des künftigen ehrenamtlichen Vorsitzenden der Kommission für Bürokratieabbau, Dr. Edmund Stoiber, einfach übergangen hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Trittin, Sie wissen, dass es in der Vergangenheit nicht nur zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission einen intensiven Dialog gegeben hat, sondern dass europäische Politik sehr stark von den Ländern beeinflusst wird - gerade hier in Deutschland - und es sehr viele Kontakte gegeben hat. Insofern kommt die Frage nicht von ungefähr, ob es von anderer Seite eine Information darüber hätte geben müssen, ob Herr Stoiber nun der richtige Mann oder der Richtige aus diesem Bundesland ist. Vielmehr war es eine Entscheidung der Kommission.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Volker Beck ({0}) auf: Welche Rolle spielten dabei nach Kenntnis der Bundesregierung die strengen Auswahlkriterien für die Berufung von EU-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, zum Beispiel Fremdsprachenkenntnisse und detaillierte Kenntnis des EU-Apparates, bei dieser Personalentscheidung, und welche Qualifikationsmerkmale erfüllt Dr. Edmund Stoiber nach Kenntnis der Bundesregierung für diese Tätigkeit?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass es sich um ein politisches Ehrenamt handelt. In Ihrer Frage werden eine Reihe von Merkmalen und Qualifikationen aufgeführt, die letztlich auch dem Personalstatut zugrunde liegen. Aber eine ehrenamtliche Berufung setzt nicht voraus, dass diese Regeln des Personalstatuts auf der europäischen Ebene Berücksichtigung finden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Beck, Ihre Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie stimmen mir also darin zu, dass der Kollege Stoiber zumindest keines der formalen Qualifikationskriterien erfüllt, die für eine andere Position bei der Europäischen Union notwendig wären?

Not found (Gast)

Nein, das habe ich mit meiner Antwort nicht gesagt, und es ist so auch nicht richtig. Vielmehr ist für diese Aufgabe jemand gesucht worden, der Erfahrungen aus der Praxis mitbringt. Ich denke, da dürfte es keinen Widerspruch geben. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre weitere Nachfrage, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme Ihnen ausdrücklich darin zu, dass sich der Kollege Stoiber um den Bürokratieaufwuchs große Verdienste im Freistaat Bayern erworben hat. Das ist allgemein unbestritten. Ich frage aber noch einmal zu dem Sachverhalt von vorhin nach: Gab es vor der Entscheidung der Kommission eine positive oder negative Kontaktaufnahme von Mitarbeitern oder Mitgliedern der Bundesregierung zu Behörden in Brüssel, um diese auf diesen Personalvorschlag zu bringen, oder können Sie dieses ausschließen?

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Ich habe vorhin schon gesagt, wie der Ablauf gewesen ist. Eine solche Kontaktaufnahme ist mir nicht bekannt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage hat nun der Herr Kollege Zeil.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, da Kollege Beck die Erfahrungen des Kandidaten beim Bürokratieaufbau angesprochen hat, möchte ich Sie noch einmal im Hinblick auf die Sicht der Bundesregierung fragen: Halten Sie bei Berücksichtigung anderer möglicher Kandidaten und der Zusammensetzung zum Beispiel des Normenkontrollrats, wie die Bundesregierung ihn implementiert hat, angesichts der Defizite gerade beim Bürokratieabbau in Bayern den in Aussicht genommenen Kandidaten für qualifiziert?

Not found (Gast)

Herr Kollege Zeil, wir kommen ja beide aus demselben Bundesland und mögen jetzt über vieles spekulieren. Ich kann nur sagen, dass Herr Dr. Stoiber über viele Jahre - das wissen Sie genauso gut wie ich - in Bayern Politik als Staatssekretär, als Innenminister und als Ministerpräsident betrieben hat. Es steht mir jetzt nicht zu, einzelne Bereiche zu bewerten. Auf jeden Fall gab es in dem Land - wie Sie wissen - Initiativen zum Bürokratieabbau und zur Einsetzung einer entsprechenden Kommission, die er selbst gestartet hat. Ich glaube, dass er im Rahmen seines politischen Managements - dabei geht es auch um das Wissen über den Einfluss von Verbänden auf die Gesetzgebung, was letztendlich manchmal auch Bürokratie aufgebaut hat - verschiedene Facetten kennengelernt hat. Ich glaube, dass Herr Barroso diese Entscheidung deshalb getroffen hat, weil Herr Stoiber diese Erfahrungen mitbringt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen nun zur dringlichen Frage 3 des Kollegen Jürgen Trittin: Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu der Aufforderung des französischen Außenministers Bernard Kouchner ein, der in einem Interview ({0}) gefordert hat, neben möglichen Sanktionen durch die Vereinten Nationen, UN, auch Sanktionen der Europäischen Union, EU - analog zu den einseitigen der USA -, gegen den Iran zu verhängen, und die EU aufgefordert hat, sich auch auf einen Krieg gegen den Iran vorzubereiten, und will sie sich an einseitigen, von den UN gelösten Sanktionen gegen den Iran beteiligen sowie sich auf einen Krieg vorbereiten?

Not found (Gast)

Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie alle Anstrengungen unternimmt, um in der Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Die Bundesregierung lässt auch keinen Zweifel daran, dass sie keine vernünftige Alternative zu einer Verhandlungslösung erkennen kann. Der französische Außenminister Bernard Kouchner hat inzwischen deutlich gemacht, dass er mit seinen jüngsten Äußerungen zur iranischen Nuklearproblematik keineswegs so verstanden werden wolle, als ob Frankreich eine militärische Lösung befürworte, sondern dass es ihm darum gegangen sei, auf die Gefahr einer militärischen Eskalation des Konflikts um das iranische Nuklearprogramm warnend aufmerksam zu machen. Die Bundesregierung ist weiterhin der Überzeugung, dass die Wahrung der Geschlossenheit der drei Partner aus Europa plus der drei anderen Partner, also der USA, Russlands und Chinas, eine entscheidende Voraussetzung für einen Erfolg der Bemühungen um eine friedliche Lösung des Nuklearstreits mit Iran bleibt. Wenn Sanktionen gegenüber Iran wirksam sein sollen, müssen sie global gelten und daher im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen werden. Die Bundesregierung beteiligt sich konstruktiv an Gesprächen über eine dritte Sanktionsresolution. Sie tut dies in enger Abstimmung mit den E-3-plus-3-Partnern. Die Frage eventueller EUSanktionen müsste zunächst in den europäischen Gremien intensiv konsultiert werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Gloser, ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie eventuelle Sanktionen nur im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen sehen, weil Sie die Geschlossenheit der E 3 plus 3 wahren wollen. Das heißt, dass Sie einseitige Sanktionen der EU ablehnen. In welcher Form hat die Bundesregierung ihre Auffassung, die ja deutlich von der des Herrn Kouchner abweicht, gegenüber der französischen Regierung zum Ausdruck gebracht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Trittin, ich darf darauf hinweisen, dass es gerade Initiativen Deutschlands und Frankreichs in früheren Jahren zu verdanken ist, dass wir das Format gefunden haben, andere kritische Partner einzubeziehen. Ich füge ferner hinzu, dass wir gerade während unserer deutschen Präsidentschaft von der französischen Seite Unterstützung für diese entsprechenden Initiativen bekommen haben. Es ist ein richtiger Ansatzpunkt der französischen Seite, dass wir geschlossen vorgehen. Das heißt, die E 3 plus 3 müssen zusammenbleiben; der andere Aspekt spielt keine Rolle.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, wenn Sie zu Recht darauf verweisen, dass es eine gute Tradition Europas gegeben hat, wie man an diese Frage herangeht, und Sie jetzt mit einem durch den Präsidentenwechsel in Frankreich offenkundig veränderten Kurs Frankreichs konfrontiert sind, dann ist doch die Frage berechtigt, welche Mittel Sie einsetzen wollen, um zu europäischer Geschlossenheit auf Basis der bisher bewährten Linie zurückzukehren.

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Herr Kollege Trittin, es gibt ja neue Äußerungen des französischen Außenministers Bernard Kouchner. Er hat entgegen den Meldungen, die einen Tag vorher veröffentlicht worden sind, eindeutig gesagt, dass ihm eine kriegerische Lösung oder andere Alternativen fernlägen. Der erste Schritt müsse vielmehr sein, die Geschlossenheit, die effiziente Vorgehensweise, die bereits in den letzten beiden Jahren praktiziert worden sei, weiterhin zu verfolgen. Der andere Aspekt ist - ich unterstreiche für die Bundesregierung, dass dies richtig ist -, dass wir im Rahmen der Vereinten Nationen eine Basis finden. Eine weitere Frage ist: Wenn es denn isolierte Maßnahmen geben sollte, dann muss dies erst einmal im Kreis der Europäischen Union erörtert werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage hat nun die Kollegin Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Gloser, Ihr Kollege Erler hat gesagt: „Wir sind bereit, mit unseren Partnern weitere Sanktionen zu beraten und auch zu beschließen.“ Sind Sie der Meinung, dass die Franzosen im Zusammenhang mit Sanktionen eine neue Linie verfolgen, also bei einem Scheitern der P 5 gegebenenfalls EU-Sanktionen verhängen wollen, und ist Deutschland bereit, auf diesem Weg mitzugehen? Oder setzen Sie nur, wie bisher, auf die UN-Sanktionen? Das ist die Schlüsselfrage.

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Genau das ist der Punkt. Sie wissen genau, dass wir uns in den nächsten Tagen am Rande der Versammlung der Vereinten Nationen treffen werden. Die Politischen Direktoren werden sich darüber abstimmen, und auch die Außenminister werden sich treffen. Das ist ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass die Bundesregierung auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen will. Gegenüber dem Iran kann der E-3-plus-3-Prozess nur dann Wirkung entfalten, wenn er einen internationalen Rahmen hat. Das heißt, wir verabschieden uns nicht von unserer bisherigen Position, und gegenwärtig gibt es keine Alternativen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich nun das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, wie die Bundesregierung Herrn Kouchner verstehen will, ist die eine Sache, wie er sich verstanden wissen will, ist eine andere. Ich halte mich lieber an ein Zitat. Herr Kouchner hat wörtlich gesagt: Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten. Das ist der Krieg. Das ist ein Zitat aus der FAZ. Ist die Bundesregierung bereit, dem französischen Außenminister zu sagen, dass ein derartiges öffentliches Daherreden, das in der Politik Mode zu werden scheint, unverantwortlich ist, wenn man einen gemeinsamen Standpunkt vertreten will?

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Herr Kollege Gehrcke, ich habe vorhin schon einmal gesagt, dass zwischen Frankreich und Deutschland dahin gehend Einigkeit besteht, dass die E 3 plus 3 eine Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen finden müssen. Wir haben die Äußerungen von Bernard Kouchner folgendermaßen interpretiert und verstanden: Er hat eindringlich deutlich gemacht, dass wir vom Iran erwarten, dass er jetzt, nach verschiedenen Maßnahmen, die gezeigt haben, dass wir doppelgleisig fahren - auf der einen Seite Sanktionen, auf der anderen Seite eine offene Tür für Verhandlungen -, ein deutliches Zeichen setzt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun kommen wir zur dringlichen Frage 4 des Kollegen Jürgen Trittin: Sieht die Bundesregierung diese Sanktions- und Kriegsdrohungen Frankreichs gegen den Iran als hilfreich bei der Umsetzung des zwischen der Internationalen AtomenergieOrganisation und dem Iran vereinbarten Zeitplans zur Klärung offener Fragen zum iranischen Atomprogramm an, oder droht diese Rhetorik diesen Fortschritt bei der Kontrolle des iranischen Nuklearprogramms nicht vielmehr zu gefährden?

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Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung hat die Vereinbarung eines Zeitplans zwischen Iran und der Internationalen Atomenergieorganisation, IAEO, zur Klärung der offenen Fragen über die Vergangenheit des iranischen Nuklearprogramms begrüßt. Der Generaldirektor dieser Behörde, Mohammed alBaradei, ist jedoch der Auffassung, dass dieser Schritt nicht ausreichend ist, um das Vertrauen in den friedlichen Charakter des iranischen Nuklearprogramms herzustellen. Iran hat es in der Hand, durch Befolgung der Forderungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - hier ist die Suspendierung der Urananreicherung zu nennen - den Weg zur Lösung des Streits um sein Nuklearprogramm zu ebnen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, eine Nachfrage, bitte.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ich stimme Ihnen zu: Das, was Iran bisher geliefert hat, ist nicht hinreichend. Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts des Standes der Nuklearanreicherung im Iran die Gefahr, dass solche, wie ich finde, fahrlässigen Äußerungen wie die von Herrn Kouchner zum Vorwand genommen werden, um die Kooperation, auch wenn sie nicht hinreichend ist, abzubrechen, was dazu führen könnte, dass der Iran auf der Basis einer großen Anzahl von Zentrifugen tatsächlich anreichern könnte und überhaupt keinerlei Kontrolle durch die IAEO bestünde?

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Kollege Trittin, in meiner Antwort auf Ihre erste dringliche Frage habe ich bereits gesagt, dass wir einen internationalen Rahmen dafür finden werden. Es gibt Resolutionen. Sowohl wir als auch die iranische Seite haben bestimmte Leistungen zu erbringen. Ich glaube nicht, dass es auf französischer Seite hiervon eine Abweichung gibt. Es sei noch einmal deutlich gesagt, dass dem französischen Partner klar ist, dass wir zusammenbleiben müssen und keine Extrawege eingeschlagen können. Vielmehr müssen wir gegenüber dem Iran Geschlossenheit zeigen, um durchsetzungsfähig sein zu können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine zweite Nachfrage, bitte.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, kann ich daraus schließen, dass Sie die Auffassung von Herrn al-Baradei, dem Chef der IAEO, teilen, dass ein solches Gerede über Sanktionen und solche Drohungen - ich meine nicht die des UN-Sicherheitsrates - den konstruktiver werdenden Prozess zwischen der IAEO und dem Iran gefährden?

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Ich habe die Äußerungen von Herrn al-Baradei jetzt nicht zu kommentieren. Ich kann nur noch einmal sagen, dass es genau der Punkt ist. Wir haben im internationalen Rahmen eine Vereinbarung getroffen. In diesem Rahmen ist sich weiter fortzubewegen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir jetzt nicht mit unterschiedlichen Stimmen in der E 3 plus 3 auftreten, sondern - sowohl in der konkreten Handlung, als auch in unseren Äußerungen geschlossen. Ich glaube, das ist auch die Position Frankreichs.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage dazu hat nun die Kollegin Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister Gloser, den Franzosen wird ja aufgrund Kouchners Äußerungen der Vorwurf gemacht, sie hätten sich jetzt auf die amerikanische Seite geschlagen. Sieht denn die Bundesregierung auf der US-amerikanischen Seite die Bereitschaft zu einem umfassenden politischen Kompromiss mit dem Iran zur Lösung des Atomstreits oder sehen Sie eher, dass die Zeichen auf ein längerfristig militärisch gestütztes regionales Containment stehen?

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Nein, Frau Kollegin Müller, ich sehe weiterhin, dass das die richtige Initiative ist. Sie wissen ja noch aus Ihrer eigenen Tätigkeit, wie schwierig es zu Beginn war, diese vier - Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die Amerikaner - einzubinden, und dass die Amerikaner weiterhin auf dieser Ebene gemeinsam mit uns diesen Weg gehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit schließen wir im Bereich der dringlichen Fragen diesen Geschäftsbereich ab. Herr Staatsminister, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Hier steht zur Beantwortung der dringlichen Frage der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Wir kommen zur dringlichen Frage 5 der Kollegin Cornelia Hirsch: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den am 18. September 2007 veröffentlichten Ergebnissen der OECD-Studie Bildung auf einen Blick, wonach Deutschland im weltweiten Vergleich von Rang 10 auf Rang 22 deutlich nach unten abrutscht?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die OECD-Studie bestätigt einerseits, dass Deutschland bei den Abschlüssen der Sekundarstufe II zur Spitzengruppe der OECDStaaten gehört. Andererseits erfordert die internationale Dynamik bei den Abschlüssen im Tertiärbereich zusätzliche Anstrengungen zur Erhöhung der Akademikerquote in Deutschland. Die Bundesregierung hat zusammen mit den Ländern bereits wichtige Weichen gestellt, um dieser Herausforderung zu begegnen. So haben wir mit den Ländern den Hochschulpakt 2020 vereinbart. Damit können die Hochschulen bis 2010 über 90 000 zusätzliche Studienanfänger aufnehmen. Hierfür stellt der Bund allein bis 2010 rund 565 Millionen Euro zur Verfügung. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen über den Entwurf des 22. BAföG-Änderungsgesetzes beabsichtigt die Bundesregierung, die BAföG-Bedarfssätze und Freibeträge deutlich anzuheben. Dies wird sowohl den Kreis der BAföG-Berechtigten spürbar ausweiten als auch die Förderbeträge für die BAföG-Geförderten steigen lassen, sodass finanzielle Hürden bei der Studienentscheidung weiter abgebaut werden. Die Bundesregierung wird darüber hinaus im Herbst eine nationale Qualifizierungsinitiative beschließen. Diese wird das gesamte Spektrum unseres Bildungswesens umfassen, angefangen bei der frühkindlichen Bildung, über die Schule, die berufliche Bildung und das Studium bis hin zur kontinuierlichen berufsbegleitenden Weiterbildung. In diesem Rahmen wird der Bund gemeinsam mit den Ländern Strategien entwickeln, um das deutsche Bildungssystem zukunftsfest zu machen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Ihre Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. - Vorab vielleicht kurz eine Anmerkung: Ich finde es erstaunlich, merkwürdig und vielleicht auch ein bisschen schade, dass auf Grundlage dieser Studie in der Öffentlichkeit einhellig eine ganz massive Kritik am bundesdeutschen Bildungssystem geübt wird und einzig das BMBF sagt: Im Prinzip ist doch alles nicht so schlimm, wir haben schon Anstrengungen unternommen, die wir nun fortsetzen. Ich finde, das ist schon ein bisschen -

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, darf ich Sie bitten, die Zeit für die Fragen zu nutzen.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zu meiner Frage. Ich möchte in meiner ersten Frage konkrete Punkte, die Sie angesprochen haben, aufgreifen. Das ist zum einen die BAföG-Erhöhung. Dazu wurde im Rahmen der Haushaltsdebatte geäußert, dass Sie für das nächste Jahr eine Erhöhung um 4 bis 5 Prozent und dann in einem zweiten Schritt eine Erhöhung in ungefähr dem gleichen Rahmen planen. Ist Ihnen bewusst, dass unter anderem das Deutsche Studentenwerk berechnet hat, dass, um zu einer bedarfsdeckenden Studienfinanzierung zu kommen, die Bedarfssätze beim BAföG noch in diesem Jahr um 19 Prozent steigen müssten? Sie orientieren sich dabei an dem Wert, der von den Familiengerichten festgelegt wurde, um den Lebensunterhalt während des Studiums zu finanzieren. Meine Frage lautet: Ist Ihnen das bewusst, und wie gehen Sie damit um, inwieweit halten Sie es trotzdem für gerechtfertigt, zu sagen, dass diese BAföG-Erhöhung ein sinnvoller und richtiger Schritt ist und keine Aushöhlung, die es aus unserer Sicht faktisch darstellt?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, wie Ihnen bekannt ist, sind relevant für die Abschätzung des Erhöhungsbedarfs beim BAföG die Einschätzungen, vor allem aber auch die Berechnungen des Beirates, die dem BAföG-Bericht beiliegen, dessen Vorlage im Februar erfolgt ist. Aus der Abwägung dieser Sachverhalte geht hervor, dass bei den Bedarfssätzen insgesamt ein Anpassungsbedarf von bis zu 10 Prozent und bei den Freibeträgen von bis zu 8 Prozent zu sehen ist. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen, die mit Sicherheit in diesem Spätherbst abgeschlossen werden können, wird zu entscheiden sein, in welchem Umfang und in welchem Zeitraum eine entsprechende Erhöhung erfolgen kann.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre zweite Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte Ihren zweiten Vorschlag aufgreifen. Sie sind auf den Hochschulpakt eingegangen und haben diesen als einen zweiten Schritt genannt, durch den man der von der OECD genannten Misere etwas entgegensetzen kann. Es gab auch am Hochschulpakt massive Kritik von verschiedensten bildungspolitischen Organisationen. Die Hochschulrektorenkonferenz hat unter anderem von einem Tropfen auf den heißen Stein gesprochen. Meine Frage lautet daher - der erste Hochschulpakt ist mehr oder weniger unter Dach und Fach -: Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen dazu, oder könnten Sie sich für einen Vorschlag erwärmen, der besagt: „Offensichtlich reicht all dies noch lange nicht aus, und wir unternehmen auch eine Initiative zum zweiten Hochschulpakt“? Diesen könnte man gut mit Vorschlägen des Deutschen Studentenwerks hinsichtlich eines Ausbaus der sozialen Infrastruktur oder auch mit Vorschlägen von der Bundesregierung mit dem Ziel einer familiengerechteren Hochschule unter dem Schlagwort „Kein Campus ohne Kita“ koppeln. Schwerpunkt muss natürlich ein Ausbau der Studienplatzkapazitäten sein, was im Rahmen des ersten Hochschulpaktes noch vollkommen unzureichend geschieht, weil die Mittel bei Weitem nicht ausreichen.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, der Hochschulpakt hat insgesamt eine zeitliche Reichweite bis zum Jahr 2020. Das, was ich geschildert habe, sind die Maßnahmen zur Schaffung von Kapazitäten in der Lehre, und zwar in einer ersten Stufe bis zum Jahr 2010. Selbstverständlich werden für diesen Bereich auch für die Zeit nach dem Jahr 2010 gemeinsame Maßnahmen von Bund und Ländern vorbereitet. Darüber hinaus geht es darum, die Hochschulen auch im Bereich der Forschung zu stärken. Ihnen ist bekannt, dass wir in zeitlichen Stufen eine sogenannte Overhead-Pauschale einführen. Ferner gibt es neben dem Hochschulpakt eine Reihe von weiteren Maßnahmen, um die Attraktivität der Hochschulen in Deutschland zu stärken. Ich nenne hier unter anderem die gemeinsamen Beratungen von Bund und Ländern mit den Hochschulen zur Fortsetzung des Bologna-Folgeprozesses mit der Umstellung der Studiengänge. Hiervon sind auch wesentliche Beiträge zu erwarten, um einen Abbau der im OECD-Bericht festgestellten Defizite - etwa die Reduzierung der Studienabbrecherquote - zu erreichen. All dies erfolgt natürlich begleitend zum Hochschulpakt und kann nicht Gegenstand des Hochschulpaktes selber sein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage hat nun die Kollegin Sevim Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Storm, in dem OECD-Bericht wird noch einmal deutlich gemacht, dass Schule und Gesellschaft vor großen Herausforderungen bezüglich der Integration von Migrantinnen und Migranten stehen. In diesem Zusammenhang wird in dem neuesten Bericht noch einmal deutlich, dass der Leistungsabstand von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im Ländervergleich sehr unterschiedlich ist. Deutschland weist - gemeinsam mit Belgien - selbst für die zweite Generation einen Abstand von 90 Punkten auf. Welche spezifischen Maßnahmen planen Ihr Ministerium und die Bundesregierung insgesamt, um diesen Leistungsabstand zu verringern und um die Bildungserwartung zu erhöhen? Dabei geht es nicht nur um eine Erhöhung der Bildungserwartung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, sondern auch um eine Erhöhung der Bildungserfolge.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Die Verbesserung der Bildungschancen für Migrantinnen und Migranten ist eine wesentliche Aufgabe der Bildungspolitik. Bund und Länder haben hierzu im Hochschulbereich, vor allen Dingen auch im Bereich der frühen Bildung eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen. Diese setzen bei der frühkindlichen Bildung und bei der Sprachförderung an. Es geht um eine gezielte Förderung während der Schulzeit. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung werden sehr viele Maßnahmen ergriffen, um jungen Menschen mit Migrationshintergrund einen Weg hin zu Ausbildungsplätzen zu ermöglichen; hier sind wir gut vorangekommen. Die Fülle dieser Maßnahmen ist in die Ergebnisse des von der Bundeskanzlerin veranstalteten Nationalen Integrationsgipfels eingeflossen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich nun das Wort dem Kollegen Volker Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich finde es bemerkenswert, dass Sie auf die Tatsache verweisen, dass wir, was die Sekundarstufe II betrifft, in der Spitzengruppe sind. Am Rande sei erwähnt: Insgesamt sind wir von Platz 10 auf Platz 22 zurückgefallen. Zu meiner Frage. Sie haben den Bologna-Prozess angesprochen. Mittlerweile wurden erste Erfahrungen mit den konkreten Auswirkungen dieses Prozesses gemacht. Ich stelle in diesem Zusammenhang zunächst einmal fest, dass die Einführung des Bachelor-Abschlusses ein hohes Maß an Aussortierung zur Folge haben wird. Die Einführung dieses Abschlusses bedeutet im Grunde genommen keine Qualitätsverbesserung, sondern nur eine Verkürzung der Studiendauer. Glauben Sie - insbesondere vor dem Hintergrund, dass in einigen Bereichen fragwürdig ist, ob der Bachelor tatsächlich ein berufsqualifizierender Abschluss ist -, dass ein Konzept zur reinen Verkürzung der Studiendauer geeignet ist, um den Problemen im Bildungsbereich beizukommen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter, die nach dem Bologna-Prozess erforderliche Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Master-Abschlüsse dient nicht in erster Linie einer Verkürzung der Studiendauer, sondern der Internationalisierung. An diesem Prozess sind mittlerweile 46 Länder beteiligt. Ein wesentliches Ziel ist, dafür zu sorgen, dass der Bachelor-Abschluss berufsqualifizierend ist. Hierzu findet ein permanenter Dialog zwischen Politik, Hochschulen und vor allen Dingen der Wirtschaft statt. Ich darf an Kampagnen der Wirtschaft wie etwa „Bachelor welcome!“ erinnern, mit denen dafür geworben wurde, insbesondere Hochschulabgängern mit Bachelor-Abschluss einen Arbeitsplatz anzubieten. Im Hinblick auf Ihre Vorbemerkung ist darauf hinzuweisen, dass es in Deutschland, anders als in vielen anderen Ländern, ein System der dualen beruflichen Ausbildung gibt, das Bildungsabschlüsse mit hervorragenden Qualifikationen ermöglicht, die in anderen Ländern mit einem Fachhochschulniveau vergleichbar sind. Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zu dem Ziel, die Studienanfängerquote auf 40 Prozent zu erhöhen. In internationalen Vergleichen ist dabei allerdings zu berücksichtigen, dass in unserem dualen System qualitativ hochwertige Bildungsabschlüsse zu erreichen sind, diese allerdings nicht in der Akademikerquote enthalten sind.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage hat nun der Kollege Dr. Keskin.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, meine Kollegin Frau Dağdelen hat Sie ganz konkret nach Maßnahmen gefragt, die geeignet sind, die Defizite im Bildungsbereich insbesondere mit Blick auf benachteiligte soziale Schichten und Kinder zu beheben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie konkretisieren könnten, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreift, um die Situation in diesem Bereich zu verbessern.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Keskin, ich habe schon ausgeführt, dass das nahezu alle Bildungsbereiche betrifft, in denen besondere Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungschancen junger Migrantinnen und Migranten durchgeführt werden. Was den Bund angeht, handelt es sich vor allen Dingen um Maßnahmen zur Verbesserung der Chancen im Rahmen der beruflichen Bildung. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, durch die Defizite beseitigt - Stichwort: Ausbildungsreife junger Migrantinnen und Migranten - und die Chance auf einen Ausbildungsplatz verbessert werden sollen. An dieser Stelle sei das Förderprogramm „Jobstarter“ erwähnt, das bis zum Jahr 2010 mit Mitteln in Höhe von insgesamt 125 Millionen Euro dotiert ist, von denen ein nicht unbeachtlicher Teil insbesondere zur Verbesserung der Chancen junger Migrantinnen und Migranten verwendet wird. Vergleichbare Maßnahmen werden zur Verbesserung der Chancen der Migrantinnen und Migranten im Rahmen der frühkindlichen Bildung durchgeführt - Stichwort: Sprachförderung -, um dazu beizutragen, dass ihr Einstieg in eine erfolgreiche Schulkarriere gelingen kann; dafür sind allerdings vor allem die Länder zuständig. Vergleichbares gibt es natürlich auch im Hochschulbereich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit sind die dringlichen Fragen beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen herzlich. Wir kommen nun zu den Fragen auf Drucksache 16/6367. Wir gehen in der üblichen Reihenfolge vor. Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Die Frage 1 des Herrn Kollegen Hans-Christian Ströbele aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz wird schriftlich beantwortet. Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Für die Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Rainder Steenblock: Wie sehen die Pläne der Bundesregierung bzw. des Bundesministeriums der Finanzen konkret aus, die umweltfreundliche Energieversorgung von in Häfen liegenden Schiffen von der Steuer zu befreien und in diesem Zusammenhang bei der Europäischen Union eine Ausnahme von der Energiebesteuerung zu beantragen und die „nationale Gesetzgebung anzupassen“ ({0})?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Steenblock, Sie fragen danach, wie wir die landseitige Stromversorgung von Schiffen steuerfrei zu stellen gedenken. Das Bundesministerium der Finanzen erarbeitet derzeit eine möglichst praktikable Vorschrift zur Befreiung der landseitigen Stromversorgung von Schiffen von der Stromsteuer. Die betroffenen Kreise werden noch zu beteiligen sein. Parallel dazu bereitet die Bundesregierung den für eine solche Steuerbefreiung nach Art. 19 der EU-Energiesteuerrichtlinie erforderlichen Antrag bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vor.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Ihre Nachfrage.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, könnten Sie etwas über die Zeitabläufe sagen: Wann rechnen Sie damit, dass ein Gesetzentwurf diesem Haus vorgelegt werden kann, und wann wird diese Steuerbefreiung EU-weit realisiert werden können?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Wir hoffen, dass wir das etwa um die Jahreswende erreichen können. Wir sind nicht ganz sicher, weil ein solcher Antrag bei der Europäischen Kommission die Zustimmung aller Mitgliedsländer bekommen muss. Das heißt, das muss im Ecofin behandelt werden. Andererseits ist nicht zu erkennen, warum es dort Widerstand von anderen Ländern geben sollte. Die Stromsteuerbefreiung hat schließlich nichts mit Wettbewerbsverzerrung zu tun. Denn es ist ja so, dass auch die bisherige Stromversorgung von Schiffen durch Dieselgeneratoren steuerbefreit ist. Eine landseitige Stromversorgung hätte demgegenüber einen erheblichen positiven Effekt auf die Umwelt. Da dies für alle Hafenstandorte gleichermaßen von Interesse wäre, können wir nicht sehen, warum es Widerstand von anderen Mitgliedsländern geben sollte. Im Gegenteil, wir sind hier möglicherweise Vorreiter, übrigens auch für die Installation der für die landseitige Erzeugung von Strom notwendigen Aggregate.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Keine weitere Zusatzfrage. Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Hier steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Kasparick zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Welche Vorstöße unternimmt der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Ermöglichung der Fahrradmitnahme im ICE-Fernverkehr der bundeseigenen Deutschen Bahn AG, nachdem dem vom Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgeschlagenen Pilotversuch zur Fahrradmitnahme im ICE seitens der Deutschen Bahn AG eine Absage erteilt wurde, und wann rechnet der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit einem Regelangebot zur Fahrradmitnahme im ICE?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Dr. Hofreiter, wir haben ja hier im Plenum über das Thema, nach dem Sie erneut fragen, mehrfach gesprochen. Ich darf Ihnen berichten, dass wir mit dem Vorstand der Deutschen Bahn über das Thema Radverkehr im guten und regelmäßigen Gespräch sind. Sie wissen, in Deutschland wird mit dem Rad Jahr für Jahr ein Volumen von etwa 3 Milliarden Kilometern zurückgelegt. Das Rad ist ein Verkehrsmittel, das keine Emissionen hat und deswegen für die innerstädtische Verkehrsentwicklung von hoher Bedeutung ist. Der Bund gibt etwa 80 Millionen Euro pro Jahr aus, um das nationale Radverkehrswegenetz auszubauen. Wir sind deshalb mit der Bahn besonders dringend im Gespräch, die Angebote, die die Bahn hat - bei den ICs, im Personennahverkehr, insbesondere aber bei den schnellen Strecken, bei den ICEs -, zu verbessern. Mein Eindruck ist, dass die Bahn bei diesem Themenfeld in Bewegung kommt. Wir haben vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG vor kurzem einen Brief erhalten zu dem von uns vorgeschlagenen Pilotversuch, auf ausgewählten Strecken eine Fahrradmitnahme im ICE zu testen, um zu prüfen, ob die Argumente, die von der Deutschen Bahn vorgetragen werden, stichhaltig sind. Herr Dr. Mehdorn war diesem Vorschlag gegenüber, etwas zurückhaltend. Wir haben diesen Brief als Gesprächsangebot verstanden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wäre es möglich, dass der sehr geehrte Herr Staatssekretär die nächste Frage gleich beantwortet und ich die Nachfragen dann im Paket stelle? Denn es handelt sich um exakt das gleiche Themenfeld.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, sind Sie damit einverstanden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ja, das können wir gerne machen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dann können wir so verfahren. Ich rufe damit die Frage 4 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Mit welcher Argumentation hat die Deutsche Bahn AG einen Pilotversuch abgelehnt, und inwieweit konnte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung diese Argumentation nachvollziehen?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich habe das eben schon indirekt beantwortet: Wir haben der Bahn vorgeschlagen, einen Pilotversuch zu machen, um die Argumente der Bahn zu prüfen. Im Wesentlichen wird argumentiert, der Aufenthalt der Züge in den Bahnhöfen würde sich verlängern. Es wird argumentiert, die Auslastung des Angebotes sei saisonbedingt; das Angebot sei von daher betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. Schließlich wird argumentiert, es komme zu einer Verdrängung von Sitzplätzen. Im Moment sind wir nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Argumente, die von der Bahn vorgetragen werden, stichhaltig sind. Wir haben vorgeschlagen, diesen Pilotversuch zu machen, um diese Argumente zu überprüfen. Wir halten an diesem Vorschlag fest und sind bereit, dafür Mittel aus dem Haushalt zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist mein Eindruck, dass wir, um das wirklich zu erreichen, das weitere Gespräch brauchen. Gefreut hat mich, dass die Deutsche Bahn sich im Bereich des IC-Verkehrs bewegt hat. Wir haben das Angebot bekommen, beispielsweise die Buchungsmöglichkeiten über das Internet zu verbessern. Wir haben das Angebot bekommen, dass die DB alle Angebote, die sie bereits formuliert hat, zusammenfasst, sodass es für den Kunden überschaubarer wird. Wir haben ein Pilotprojekt verabredet, im Rahmen dessen die Mietmöglichkeiten, die man an Haltebahnhöfen des ICE hat, deutlich verbessert werden sollen, und sind da im Gespräch mit privaten Mietunternehmen. Es ist also schon der Eindruck vorhanden, dass Bewegung im Gespräch ist. Allerdings bin ich mit dem derzeitigen Ergebnis noch nicht zufrieden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfragen, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, erst einmal eine Nachfrage zur Frage 3. Da wird ganz konkret gefragt, in welchem Zeitrahmen der Bundesminister damit rechnet, dass es ein Regelangebot zur Fahrradmitnahme im ICE gibt. Dazu haben Sie nichts ausgeführt.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich habe Ihnen den derzeitigen Gesprächsstand beschrieben. Wir haben das Gespräch mit der Bahn zu diesem Thema aufgenommen. Es hat zwei Gespräche mit dem Vorstand Personenverkehr der Deutschen Bahn gegeben. Es gibt jetzt einen Brief des Vorstandsvorsitzenden an Herrn Bundesminister Tiefensee. Mit diesem Brief sind wir nicht zufrieden. Deshalb habe ich etwas salomonisch formuliert: Wir verstehen diesen Brief als ein Gesprächsangebot. - Angesichts dieses Verhandlungsstandes können wir im Moment über Fristen für ein Regelangebot noch nichts sagen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben davon gesprochen, dass Sie bereit wären, Geld für diesen Pilotversuch in die Hand zu nehmen.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ja.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich erwarte jetzt von Ihnen nicht, dass Sie das auf die Kommastelle genau sagen. Aber gibt es eine ungefähre Vorstellung im Ministerium, welche Mittel Sie bereit wären da einzusetzen?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Das hängt wesentlich vom Design des Versuchs ab. Wir haben ein paar Strecken vorgeschlagen und die Bahn gebeten, ihrerseits Vorschläge dazu zu machen, auf welchen Strecken man das untersuchen könnte. Es ist kostenrelevant, welche Strecke verabredet wird. Die Größenordnung wird nach meiner Einschätzung deutlich unter 1 Million liegen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Dem Staatssekretär müsste eigentlich bekannt sein, dass die Bahn zu 100 Prozent der öffentlichen Hand gehört. Deshalb ist es erstaunlich, dass ein Bundesminister öffentlich sagt, es wird einen Pilotversuch geben, dann ein Angestellter eines Bundesunternehmens bekannt gibt, dass es diesen Pilotversuch nicht geben wird, und dass wir dann hören, dass man im Gespräch ist. Ist es normal, dass das Bundesministerium selbst solche Kleinigkeiten gegenüber dem zu 100 Prozent der öffentlichen Hand gehörenden Unternehmen nicht durchsetzen kann?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Sie verfolgen die Gesprächsprozesse zwischen DB AG und Bundesverkehrsministerium auch in anderen Themenfeldern sicher sehr aufmerksam. Sie können an diesem Themenfeld sehr genau verfolgen, welche Möglichkeiten der direkten Einflussnahme gegeben sind. Wir brauchen das politische Gespräch miteinander. Wir brauchen insbesondere auch ein hohes Maß an öffentlicher Beteiligung an dem Gespräch. Mich freut sehr, dass sich die Radfahrerverbände an diesem Gespräch beteiligen. Mein Eindruck ist, dass das im Vorstand der Deutschen Bahn AG zunehmend wahrgenommen wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, eine Chance haben Sie noch.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn sich das Bundesverkehrsministerium bereits bei der Fahrradmitnahme nicht durchsetzen kann, die - wie Sie selbst genau wissen - im Vergleich zu den Problemen, die Sie sonst mit der Bahn haben, eine Kleinigkeit ist, stimmen Sie mir dann zu, dass es die reinste Hybris ist, zu glauben, dass dieses Bundesverkehrsministerium so etwas Komplexes wie eine LuF, also eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, bei einer teilprivatisierten Bahn auch nur ansatzweise wird durchsetzen können, oder genügt es dem Bundesverkehrsministerium, nette, freundliche, aber folgenlose Gespräche zu führen?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich teile Ihre Einschätzung nicht, dass die Gespräche, die wir mit der Bahn führen, folgenlos sind. Durch die politischen Projekte, die Sie ansprechen und die uns im Deutschen Bundestag ausführlich beschäftigen werden, wird deutlich, dass der Gesetzgeber, das Parlament, uns beauftragt hat, einen Finanzierungsvorschlag zu machen, um zusätzliche Mittel für Infrastrukturinvestitionen freizubekommen. Diesen Auftrag werden wir jetzt abarbeiten. Sie wissen auch, dass es dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufgrund der Strukturen, die wir gemeinsam mit der DB AG vereinbart haben, nicht möglich ist, auf direkte Unternehmensentscheidungen Einfluss zu nehmen. Dafür sind die Gremien des Unternehmens zuständig. Das muss man auch beachten, wenn man ganz konkrete verkehrsplanerische und verkehrspolitische Umsetzungen vom Unternehmen erwartet. Deswegen bleibt uns nur der Weg - den gehen wir auch -, ein drängendes, konkretes und zielorientiertes Gespräch miteinander zu führen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen herzlich. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 5 des Abgeordneten HansKurt Hill: Wann wird die Bundesregierung bei importiertem Sojaund Palmöl mit Blick auf die katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen aufgrund des industriellen Plantagenanbaus in den Erzeugerländern dem Deutschen Bundestag eine wirksame Nachhaltigkeitszertifizierung für Importbiokraftstoffe vorlegen, und in welcher Weise wird die Bundesregierung Importbeschränkungen bzw. einen Förderausschluss bei der EEG-Verstromung solcher Produkte durchsetzen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr verehrter Herr Kollege Hill, Ihre Frage beantworte ich Ihnen wie folgt: Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an einer Verordnung, mit der sichergestellt werden soll, dass Biokraftstoffe nur dann auf die Erfüllung der Biokraftstoffquote gemäß § 37 a ff. Bundes-Immissionsschutzgesetz angerechnet werden können bzw. dass für diese nur dann eine Steuerentlastung gemäß § 50 Energiesteuergesetz in Anspruch genommen werden kann, wenn bei der Erzeugung der eingesetzten Biomasse nachweislich bestimmte Anforderungen an eine nachhaltige Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen oder bestimmte Anforderungen zum Schutz natürlicher Lebensräume erfüllt werden oder wenn Biokraftstoffe ein bestimmtes Treibhausgasverminderungspotenzial aufweisen. Die bisher geführten Gespräche zwischen den zuständigen Ressorts und ein Fachgespräch mit den zu beteiligenden Verbänden und Organisationen haben gezeigt, dass die weiteren notwendigen Abstimmungen und die formale Anhörung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz aufgrund der komplexen und schwierigen Materie noch Zeit in Anspruch nehmen werden. Es wird aber angestrebt, die nationale Abstimmung bis zum Dezember 2007 abzuschließen. Nach der Abstimmung auf nationaler Ebene ist der Verordnungsentwurf bei der EU-Kommission zu notifizieren. Wegen der Binnenmarktrelevanz und der laufenden Arbeiten zu Nachhaltigkeitskriterien auf EU-Ebene ist damit zu rechnen, dass die EU-Kommission eine Genehmigung nicht vor Abschluss der eigenen Arbeiten erteilen wird, um kein Präjudiz zu schaffen. Aufgrund der bisherigen Erfahrung rechnen wir mit einer Dauer von etwa 6 bis 18 Monaten. Im Übrigen ist auch zum Aufbau der weltweit anzuwendenden Zertifizierungssysteme ein Vorlauf nötig, sodass unabhängig vom formellen Inkrafttreten der Verordnung eine Übergangsfrist bis zur vollen Wirksamkeit der Anforderungen notwendig sein wird. Andernfalls könnten mangels Zertifizierung überhaupt keine BioParl. Staatssekretärin Astrid Klug kraftstoffe mehr zur Erfüllung der Biokraftstoffquote verwendet werden. Zum EEG. Es ist geplant, die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gemäß den Beschlüssen von Meseberg spätestens am 5. Dezember 2007 im Kabinett zu beschließen. Im Rahmen der Novellierung des EEG plant das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Einsatz von nicht nachhaltig erzeugtem Palm- und Sojaöl komplett zu unterbinden. Dies soll erfolgen, indem der Anreiz zum Einsatz dieser Öle, soweit sie nicht nachweislich nachhaltig erzeugt wurden, so weit gesenkt wird, dass ein wirtschaftlicher Einsatz nicht mehr möglich ist.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Ihre erste Zusatzfrage bitte.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Kollegin Staatssekretärin. Sie haben mir eine wirklich ausreichende und erschöpfende Antwort gegeben. Sie sagen, dass Sie die Problematik insbesondere in den Ländern, in denen im Plantagenanbau systematisch nachwachsende Rohstoffe zulasten der Umwelt und der Menschen angebaut werden, kennen. Mich interessiert jetzt noch, welche Möglichkeiten Sie sehen, dies kurzfristig so zu unterbinden, dass diese Stoffe tatsächlich nicht mehr in den entsprechenden Biomasseanlagen bzw. Anlagen eingesetzt werden können.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Das Hauptproblem hinsichtlich des Einsatzes von Palmöl sind Anlagen zur Erzeugung von Strom, durch die die Nachfrage nach Palmöl wächst. Dies wollen wir in Zukunft unterbinden, vor allem dann, wenn Palmöl aus Ländern importiert werden soll, in denen nachweislich Regenwälder abgeholzt werden, um es zu erzeugen - was für den Klimaschutz, den wir alle ja wollen, kontraproduktiv ist. Der wichtigste Hebel, um dies in der Zukunft auszuschließen, ist das EEG. Wir sehen keinen Vertrauensschutz im Hinblick auf Anlagen, die noch gebaut werden oder in der Vergangenheit gebaut wurden und heute schon Palmöl einsetzen, das nicht nachhaltig angebaut wurde. Das kommunizieren wir überall, wo wir die Möglichkeit dazu haben, und werden es in der EEG-Novelle auch gesetzlich fixieren, sodass wir es für die Zukunft ausschließen können. Das gelingt uns, indem wir in Zukunft keinen Nawaro-Bonus mehr für Anlagen zahlen, die nachweislich nicht nachhaltig produziertes Palmöl einsetzen, und indem wir für größere Anlagen, solche über 150 Kilowatt, keine Förderung durch das EEG mehr zulassen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch eine Frage. Wir haben auf der einen Seite die nationale Verpflichtung, etwas dagegen zu tun; auf der anderen Seite können wir auf der europäischen Ebene Einfluss nehmen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, internationale Standards einzuführen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

An genau diesem Punkt arbeiten wir. Wir wollen die nationalen Standards, die wir entwickeln, auch zu europäischen und internationalen Standards machen. Dazu sind wir in intensivem Gespräch mit der Europäischen Kommission. Das Thema wurde auch im Rahmen unserer europäischen Präsidentschaft diskutiert. Alle Vorarbeiten, die wir jetzt leisten, bringen wir in die europäische Debatte mit ein.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Frage 6 des Kollegen Rainder Steenblock wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke auch Ihnen, sehr geehrte Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Die Frage 7 der Kollegin Cornelia Hirsch wurde zurückgezogen. Gleiches gilt für die nächste Frage nicht. Das heißt, wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Cornelia Hirsch: Liegen der Bundesregierung Zahlen über die nach Maßgabe der personellen und sächlichen Ausstattung ausfinanzierten Studienplätze in Deutschland vor und, wenn ja, welche?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch nach vorliegenden Zahlenangaben zu Studienplätzen beantworte ich wie folgt: Für die Bereitstellung von Studienplätzen sind die Länder zuständig. Eine bundesweite Übersicht über Studienplatzzahlen besteht nicht. Auch bei den Verhandlungen zum Hochschulpakt 2020 haben die Länder bestätigt, dass eine einheitliche Feststellung von Studienplatzzahlen für alle Länder und Fächer nicht möglich ist. Daher wurde beim Hochschulpakt die Zahl der zusätzlichen Studienanfänger als Maßstab genommen. Lediglich für die Fächer Medizin, Pharmazie, Tiermedizin und Zahnmedizin sowie - das gilt allerdings nur für einige Hochschulen Biologie und Psychologie, in denen die Studienplätze bundesweit über die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen - ZVS - vergeben werden, liegen konkrete Zahlen zu den Studienplätzen an den einzelnen Hochschulen vor, die auf der Homepage der ZVS veröffentlicht sind.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Ihre Nachfrage, bitte.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank für die Antwort. - Meine erste Nachfrage lautet: Halten Sie es für sinnvoll, dass die Bundesregierung keinerlei Auskunft über die Situation der Studienplätze insgesamt geben kann und trotzdem unter anderem im Koalitionsvertrag die Vorgabe festgehalten worden ist, die Studierendenquote auf 40 Prozent zu erhöhen? Wie will man das leisten, wenn nicht einmal Zahlenangaben darüber vorliegen, wie viele Studienplätze es zurzeit in diesem Land gibt?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, es handelt sich hierbei um ein statistisches Definitionsproblem. Wir haben Zahlenangaben zu den Studierenden und Studienanfängern. Der Hochschulpakt basiert auf sehr konkreten Annahmen über die Entwicklung der Zahl der Studienanfänger. „Studienplatz“ ist ein kapazitätsrechtlicher Begriff, der von Fach zu Fach variiert. Die Länder legen in den Fächern, in denen keine bundeseinheitlichen Vergabeverfahren über die ZVS laufen, unterschiedliche kapazitätsrechtliche Definitionen zugrunde. Insofern ist kein Vergleich möglich. Es ergibt keinen Sinn, unterschiedlich definierte Studienplätze zu addieren. Das würde bedeuten, Äpfel und Birnen zusammenzuzählen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine zweite Nachfrage, bitte.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stimmen Sie mir zu, dass eine Änderung der Rechtslage ohne Weiteres möglich wäre - da der Bund auch nach der Föderalismusreform I die Kompetenz hat, über Hochschulzulassungen zu entscheiden -, indem man ein bundesweites Hochschulzulassungsgesetz oder Ähnliches schafft, um in der Hochschulpolitik insgesamt zu einer sinnvolleren Planung und Abstimmung zu kommen und die Praxis der unterschiedlichen kapazitätsrechtlichen Vorgaben in jedem einzelnen Bundesland zu stoppen, wodurch auf Bundesebene, wo eine gesamtstaatliche Verantwortung für den Hochschulbereich existieren muss, keine umfassenden Zahlenangaben möglich sind?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, ich stimme Ihnen deswegen nicht zu, weil wir ansonsten ausreichende statistische Informationen insbesondere zur Entwicklung der Studienanfängerzahlen haben. In wenigen Wochen wird uns gemeldet werden, wie sich die Studienanfängerzahlen in den einzelnen Bundesländern zum kommenden Wintersemester entwickelt haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 9 des Abgeordneten Alexander Bonde wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 10 und 11 der Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 14 des Kollegen Dr. Hakki Keskin von der Linkspartei: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem erneuten Gammelfleischskandal für die Lebensmittelsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere hinsichtlich der strafrechtlichen Sanktionierung von Gammelfleischproduktion und -lagerung? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Keskin, wir haben darüber heute früh lange im zuständigen Fachausschuss diskutiert. Seit 2006, seit wir in der Regierung sind, haben wir seitens des Bundes eine Reihe von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Bundesländern umgesetzt. Ich nenne als herausragendes Beispiel das VIG. So der Bundesrat am kommenden Freitag zustimmt, wird es in Zukunft möglich sein, die Namen der Betriebe zu nennen, die Gammelware in den Verkehr bringen. Wir haben zudem das Thema Rückverfolgbarkeit aufgegriffen. Wenn K-3-Material in den Geschäftsgang gebracht wird, ist eine Bestätigung, ein Rückschein, erforderlich. Ich nenne mit Blick auf die zweite Frage von Herrn Keskin als Beispiel die Zuverlässigkeitsprüfung für Lebensmittelunternehmen. Die Voraussetzungen dafür sind nun gegeben. Wir setzen darüber hinaus im Oktober ein vom Kabinett beschlossenes Gesetzesvorhaben zur Meldepflicht um. In Zukunft sind Lebensmittelunternehmer, die Gammelware abnehmen, verpflichtet, dies zu melden; das ist strafsanktioniert. Wie Sie sehen, sind wir auf allen Ebenen tätig. Die Verbraucherschutzministerkonferenz in der vergangenen Woche hat sich dafür ausgesprochen, K-3-Material einzufärben. Die EU-Kommission hat dazu erstmals grünes Licht gegeben, leider nur national. Wir wünschen uns eine europaweit einheitliche Regelung. Es wurde noch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen umgesetzt, aber so viel erst einmal dazu. Ich warte auf Ihre Nachfragen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Keskin, Ihre erste Nachfrage.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Gammelfleischskandale beunruhigen, ja erschüttern seit Jahren das Land. Der Bundestag hätte schon längst gesetzliche Maßnahmen gegen diesen Missbrauch ergreifen müssen. Sind Sie eigentlich mit den Maßnahmen zufrieden, die die Verbraucherschutzministerkonferenz 2006 und 2007 beschlossen hat und die nun als erledigt betrachtet werden? Sie sagten, es seien einige Initiativen in Angriff genommen worden, und haben einiges konkret genannt. Sind hier wirklich strafrechtliche Maßnahmen für Leute vorgesehen, die immer wieder einen solchen Missbrauch begehen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Selbstverständlich. Es liegen bereits erste Urteile mit einem Strafmaß von über vier Jahren für zurückliegende Fälle vor. Es wurde also auch vonseiten der Strafverfolgungsbehörden deutlich gemacht, dass es sich hier um keine Bagatelldelikte handelt. Dennoch werden wir mit dem neuen Lebensmittel- und Futtermittelgesetz im Oktober das Strafmaß für das vorsätzliche Inverkehrbringen von Gammelfleisch von 20 000 Euro auf 50 000 Euro anheben. Es wird aber trotz aller gesetzlichen Maßnahmen nicht zu verhindern sein, dass es auch in Zukunft auf diesem Sektor das eine oder andere Problem gibt. Wenn ich in die Kühlschränke der 50 jungen Leute auf der Zuschauertribüne schauen würde, dann - diese Prognose wage ich - würde ich feststellen, dass das Haltbarkeitsdatum des einen oder anderen Joghurts abgelaufen ist. Das gilt auch für das eine oder andere Stück Wurst, das sich in Abgeordnetenkühlschränken befindet. Wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, dann wird es zu Gammelfleisch. Jeder Verbraucher und jede Verbraucherin ist aufgefordert, beim Einkaufen eine bewusste Entscheidung an der Theke zu treffen. Alle Betriebe sind aufgefordert, wachsam zu sein. Wir haben in Deutschland eine hervorragende Versorgungs- und Sicherheitslage in diesem Sektor. Es gibt einzelne Vorfälle wie im Wertinger Fall, in dem die Betroffenen hohe kriminelle Energie entwickelt haben. Wenn hohe kriminelle Energie im Spiel ist, können alle möglichen Maßnahmen nicht verhindern, dass wir solche Fälle auch in Zukunft haben werden.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär Müller, es entsteht der Eindruck, als ob von den Gammelfleischskandalen speziell die Dönerbranche betroffen ist. Das führt dazu, dass manche Leute meinen, es gebe eine gelenkte Politik gegen die Inhaber von Dönerläden. Was, glauben Sie, könnte man tun, um diesem Eindruck entgegenzutreten?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident, diese Frage ist Inhalt der schriftlich formulierten Frage 15.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich die Frage 15 des Abg. Dr. Hakki Keskin auf: Unternimmt die Bundesregierung Aktivitäten, um den von manchen Medien und einigen Politikern erweckten Eindruck, es handle sich vorrangig um ein spezifisches Problem der Dönerbranche, entgegenzutreten und, wenn ja, welche?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich möchte zunächst einmal klarstellen: Der Bund setzt die Rahmengesetzgebung. Für die Kontrollen sind die Länder zuständig, in Berlin somit das Land Berlin. Dönerbetriebe sind im aktuellen Fall Geschädigte. Ich sage aber auch: Dönerbetriebe wie jeder Abnehmer von Fleisch und Fleischwaren stehen in der Pflicht, sich und den Kunden zu schützen. Das heißt, wenn Billigstfleisch zu Billigstpreisen auf dem Markt angeboten wird, ist Vorsicht angebracht. Jeder Dönerbetrieb muss, was die Qualität seiner Ware betrifft, seinen Kunden Zuverlässigkeit garantieren. Es wird in diesem Fall nicht nur gegen das Wertinger Unternehmen ermittelt, sondern auch gegen die abnehmenden Betriebe. Aber ein Generalverdacht ist nicht angebracht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Haben Sie weitere Nachfragen? - Das ist nicht der Fall. Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 18 der Kollegin Ina Lenke: In welchen Bundesländern sind privatgewerbliche Anbieter unter welchen Voraussetzungen als Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen zugelassen und können damit an dem ESF-Programm zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung grundsätzlich partizipieren?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich beantworte die Frage wie folgt: Das mit der EUKommission abgestimmte ESF-Programm soll das Engagement gerade kleiner und mittlerer Unternehmen mit bis zu 1 000 Beschäftigten bei der Schaffung neuer betriebsnaher Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren auf unbürokratische Weise unterstützen. Die Förderung ist als Anschubfinanzierung konzipiert, um die Startphase zu erleichtern. Dazu werden die Betriebskosten neu zu schaffender Betreuungsplätze für die Dauer von zwei Jahren durch eine Anteilsfinanzierung in Höhe von 40 Prozent bis zu einem Höchstbetrag von 5 000 Euro jährlich bezuschusst. Die Fördermittel erhält der Träger einer Betreuungseinrichtung, der mit einem Betrieb bzw. mehreren Betrieben zusammenarbei11772 tet. Die Betriebe entscheiden darüber, mit welchem Träger sie kooperieren wollen. In allen Bundesländern brauchen die Träger einer Kindertageseinrichtung, also auch privatgewerbliche Anbieter, für den Betrieb der Einrichtung die Erlaubnis durch das zuständige Landesjugendamt nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Die Erteilung einer Betriebserlaubnis setzt voraus, dass in der Einrichtung die Betreuung der Kinder durch geeignete Kräfte gesichert und das Kindeswohl gewährleistet ist. Die Länder sind gemäß § 49 SGB VIII befugt, die näheren Voraussetzungen zur Erteilung der Betriebserlaubnis, insbesondere die Standards für die Eignung der Einrichtung und für die Eignung des Personals, selbst zu regeln. Dementsprechend sind auch in den Kita-Gesetzen der Länder sowie in den entsprechenden Erlassen und Verordnungen Anforderungen festgelegt, etwa in Bezug auf die pädagogische Konzeption der Einrichtung, die Ausbildung und die Anzahl des Betreuungspersonals sowie den Bau und die Ausstattung der Einrichtungen. Nach Kenntnis der Bundesregierung enthalten die Regelungen der Länder insoweit keine Sonderregelung für privatgewerblich betriebene Betreuungseinrichtungen. Daneben müssen alle Betreuungseinrichtungen allgemeingültige Vorgaben erfüllen, etwa in Bezug auf bauliche Anforderungen, Brandschutz, hygienische Bedingungen usw. Privatgewerblich betriebene Einrichtungen sind also grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen zuzulassen wie Einrichtungen öffentlicher oder privatgemeinnütziger Träger. Zur Genehmigungspraxis der nach Landesrecht jeweils zuständigen Behörden kann die Bundesregierung keine Aussage treffen. Hierüber können nur die jeweiligen Länder Auskunft geben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung gewillt, auf die Länder zuzugehen und den Bereich der privaten Anbieter in die Überlegungen einzubeziehen? Schließlich kommt ein Drittel des Geldes vom Bund.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sie sprechen jetzt das geplante Sondervermögen zur Finanzierung von Betreuungsplätzen an. Im SGB VIII wird geregelt werden, was danach im Einzelnen gefördert werden kann. Dabei wird es auch um die Rolle der privaten Träger gehen. Wir gehen davon aus, dass sie im Prinzip in die Jugendhilfeplanung der Länder einbezogen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, zweite Nachfrage.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Was das ESF-Programm angeht, fordern Sie wahrscheinlich vertragliche Bindungen zwischen dem Betrieb und der Einrichtung für Kinder unter drei Jahren. Muss dieser Vertrag vor der Bezuschussung geschlossen sein, oder gibt es die Möglichkeit, diese vertraglichen Dinge im Nachhinein, also nachdem ein Platz bereitgestellt worden ist, zu regeln?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wir werden abzuwarten haben, wie die Länder ihre Betreuungsinfrastruktur im Einzelnen aufbauen, in welchem Umfang sie auch auf privatgewerbliche Einrichtungen setzen. Aus Sicht der Bundesregierung ist das prinzipiell möglich. Es hängt allerdings davon ab, ob die Länder sie sehr bewusst einbeziehen. Wir gehen davon aus, dass das der Fall ist. Schließlich wird man, wie wir vermuten, bei der Erfüllung der gemeinsamen Vereinbarung, für 35 Prozent der unter Dreijährigen Angebote zu schaffen, auch auf die gewerblichen Betreiber setzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nun kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Lenke: Welche Unterstützung erhalten private und privatgewerbliche Initiativen zur Kindertagesbetreuung - auch mit Blick auf Beratungsangebote - durch die Bundesregierung, und inwieweit sind Verbesserungen mit Blick auf eine Trägervielfalt und die Schaffung von mehr Wettbewerb bei der Kinderbetreuung durch die Bundesregierung geplant?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Neben dem, was ich auf die Zusatzfragen schon geantwortet habe, will ich ausdrücklich Folgendes sagen: Die Bundesregierung setzt bei der Kinderbetreuung auf Vielfalt. Wir gehen davon aus, dass Eltern zeitlich flexible Angebote benötigen. Bei den künftigen Regelungen wird die Bundesregierung darauf achten, dass - unter der Voraussetzung der fachlichen Qualität - die Vielfalt der Trägerlandschaft gefördert wird. Das wird sich auch im SGB VIII - wir werden darüber im Kabinett beschließen - niederschlagen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Heute Morgen ist im Familienausschuss zwischen Tagesmüttern und privaten Einrichtungen hinsichtlich der Selbstständigkeit ein Unterschied gemacht worden. Die Tagesmütter sind selbstständig tätig; sie sind nirgendwo angestellt. Meine Frage ist: Wo ist der rechtliche Unterschied zwischen selbstständigen Tagesmüttern und privaten Anbietern, zum Beispiel Erzieherinnen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich weiß nicht, worauf Sie jetzt im Einzelnen abheben. Vielleicht können Sie die Frage wiederholen.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Bundesregierung will im Hinblick auf die 750 000 Plätze für Kinder unter drei Jahren ganz besonIna Lenke ders die Tagesmütter in die Betreuung einbeziehen. Sie hat nur von den Tagesmüttern gesprochen. Tagesmütter - darüber sind wir uns einig - sind selbstständig tätig; man kann auch sagen: gewerblich-selbstständig. Diese sind in die Förderung explizit einbezogen. Aber die privaten Anbieter sind nicht einbezogen. Meine Frage ist jetzt, ob Sie da Unterschiede sehen. Ansonsten müsste ein privater Anbieter von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahre die gleichen Subventionstatbestände erfüllen wie eine selbstständige Tagesmutter.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich sehe es nicht so, dass die privaten Anbieter bei einer Förderung prinzipiell nicht einbezogen sind. Wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, werden sie in gleicher Weise Förderung erhalten. Das muss das jeweilige Land im Rahmen der Jugendhilfeplanung festlegen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zu Frage 20 der Kollegin Monika Lazar von den Grünen: Wann und in welcher Höhe wird die Bundesregierung Mügelns Landkreis Torgau-Oschatz Fördermittel aus dem Programm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ zuweisen, wie es die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, in den Medien angekündigt hat ({0})?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich antworte darauf wie folgt: In Sachsen wird neben dem Programm „Vielfalt tut gut“ auch das im Juli gestartete Programm „Förderung von Beratungsnetzwerken Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ umgesetzt. Dazu hat das Land ein landesweites Beratungsnetzwerk eingerichtet, in das auch die Opferberatungsstellen in Sachsen und das mobile Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen e. V. aufgenommen wurden. Die Opferberatungsstellen haben zu den beim Überfall verletzten Indern Kontakt aufgenommen und beraten diese. Das Mobile Beratungsteam hat auch Kontakt zum Bürgermeister von Mügeln. Es hat eine erste Lageanalyse erstellt und Hilfe angeboten. Zusätzlich haben sich Bund und Land am 3. September dieses Jahres in Leipzig mit Vertretern des Landkreises zu einem Gespräch getroffen. Im Ergebnis wurde in dem Gespräch vereinbart, dass das Mobile Beratungsteam gemeinsam mit dem Landkreis und der Stadt eine Strategie entwickelt, die das Ziel hat, Ereignisse wie in der Nacht vom 17. auf den 18. August 2007 nach Möglichkeit zukünftig auszuschließen. Teil der Strategie soll neben der Entwicklung von Konzepten für die Arbeit mit jungen Menschen vor allem das Aufzeigen von Ansprechmöglichkeiten für die lokalen deutungsmächtigen Akteure sowie Unterstützungsangebote für eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit sein. Dabei ist auch der Landkreis intensiv gefordert, für die Stärkung der Zivilgesellschaft vor Ort mehr zu tun als in der Vergangenheit. Der Bund unterstützt den Landkreis durch die Finanzierung der Arbeit des Mobilen Beratungsteams aus Mitteln des Programms „Beratungsnetzwerke“ und bietet durch die Regiestelle des Programms „Vielfalt tut gut“ auf dem Gebiet der Medienberatung bzw. des Umgangs mit der öffentlichen Darstellung Hilfe an. Sofern sich aus der Beratungsarbeit der Bedarf für eine konkrete projektbezogene Hilfe ergibt, werden sich - wie ich das heute Morgen auch schon im Ausschuss erläutert habe Bund und Land über Fördermöglichkeiten verständigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe über das Gespräch, das Anfang September in Leipzig stattgefunden hat, sowohl mit einer Kollegin vom Mobilen Beratungsteam als auch mit dem Dezernenten von Torgau-Oschatz gesprochen. Beide haben mir gegenüber erklärt, sie seien sehr enttäuscht, weil sie doch andere Erwartungen hatten. Insbesondere in den Tagen nach dem Mügelner Vorfall kam ja zum Ausdruck, es gebe noch Möglichkeiten im Rahmen des Bundesprogramms „Vielfalt tut gut“. Finden Sie nicht auch, dass man damit falsche Hoffnungen geweckt hat, wenn jetzt stattdessen auf das ganz normale Programm der Beratungsteams zurückgegriffen wird?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich kann nicht ganz ausschließen, dass durch die Diskussion unmittelbar nach dem Vorfall auch falsche Erwartungen geweckt wurden. Ich sage aber ganz ausdrücklich: Es kann nicht richtig sein, bei diesem langfristig angelegten Programm anlassbezogen zu reagieren. Man muss sicherlich - das habe ich Ihnen heute Morgen im Ausschuss bereits gesagt - von Zeit zu Zeit Bilanz ziehen, um festzustellen, was an dem Programm richtig ist und was falsch. Wir haben bis jetzt jedenfalls keinen Anlass, anzunehmen, diese langfristig angelegten lokalen Aktionspläne seien falsch. Es war auch Ergebnis der wissenschaftlichen Evaluation der ersten Programme, die aufgelegt wurden, dass sie langfristig angelegt und lokal vernetzt sein müssen, damit sie eine dauerhafte Wirkung haben. Dass beim dortigen Beratungsteam falsche Hoffnungen geweckt wurden, kann ich mir nicht vorstellen, weil sie von uns gefördert werden; sie haben auch jetzt eine finanzielle Unterstützung bekommen. Sie sind voll integriert und voll eingebunden. Mir scheint der richtige Weg zu sein, mit dem Land und auch mit dem Landkreis abzustimmen - der Sozialdezernent hat an dem Gespräch teilgenommen -, was vor Ort sinnvoll und notwendig ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben ja das zweite Bundesprogramm, um solche kurzfristigen Krisen zu bewältigen. Das ist richtig, um gerade den Regionen zu helfen, die keine lokalen Aktionspläne haben. Wie sehen Sie aber die Chancen dafür, auch Regionen, die keine Zusagen für lokale Aktionspläne haben, vor solch schlimmen Vorfällen zu bewahren, egal in welchem Teil unseres Landes? Gibt es noch eine Möglichkeit, sie im Rahmen des Programms „Vielfalt tut gut“ zu fördern, oder ist das bis zum Ende der Förderperiode ausgeschlossen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe gesagt, dass wir in dem ganz konkreten Fall genau hinsehen werden. Wenn sich abzeichnet, dass dort ein Projekt notwendig ist, werden wir mit dem Land darüber reden, ob der Bund es finanziert. Dabei ist egal, wie es im Einzelnen genannt wird. Ich glaube, es ist nachvollziehbar, dass wir nicht an jedem Ort in der Bundesrepublik solche Aktionspläne umsetzen können. Zunächst einmal setzen wir diese 90 Pläne Schritt für Schritt um - die Kommunen und auch die Länder brauchen eine gewisse Zeit dafür -, und danach werten wir sie aus. Ich will noch einmal sagen: Das Programm, das wir auflegen, ist präventiv angelegt und wird nie anlassbezogen reagieren können. Dafür ist das Beratungsnetzwerk gedacht. Im Übrigen will ich ausdrücklich sagen, dass die konkrete Jugendarbeit vor Ort völlig unabhängig davon ist. Wir legen größten Wert darauf und tun alles dafür, gerade auch in den neuen Ländern, dass dort, wo eine Zivilgesellschaft oder Bürgerschaft vielleicht nicht in der Form existiert, wie wir uns das wünschen, Jugendliche und auch Erwachsene einbezogen werden. Das ist zwingend notwendig. Deshalb empfehle ich allen, in Jugendarbeit zu investieren. Jugendliche, die begleitet werden und irgendwo eingebunden sind, laufen nicht so schnell Gefahr, sich auf solche Irrwege zu begeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage 21 des Kollegen Kai Gehring soll schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit - die Frage 22 des Kollegen Frank Spieth, die Fragen 23 und 24 der Kollegin Sibylle Laurischk und die Fragen 25 und 26 der Kollegin Eva Bulling-Schröter - sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, die den Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Nr. 33 vom 13. August 2007, über die Zustände im US-Gefangenenlager Guantánamo, insbesondere über systematische Folterungen wie zum Beispiel, dass Gefangene in Ketten gehalten werden: - „… die Gelenke liegen in Handschellen. Eine Kette schnürt sich um seinen Bauch und fixiert seine Hände vor seinem Nabel, in einer Haltung der Demut“, dass eine „Extreme Reaction Force“ in Guantánamo tätig ist: „Sie tragen Schutzkleidung, der Erste hat einen Plastikschild, und da ist ein Sechster mit einer Kamera, der alles filmt. Sie sprühen dir Pfefferspray ins Gesicht, verdrehen deine Arme und Beine und legen dir Hand- und Fußschellen an. Sie rasieren deine Haare ab, deinen Bart, deine Augenbrauen. Sie springen auf deinen Rücken. Sie nehmen deinen Kopf und schlagen ihn auf den Boden. Sie drücken dir ihre Finger in die Augen“ - bestätigen? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Gehrcke, Sie haben in Ihrer Frage Bezug genommen auf einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom 13. August 2007 über Zustände im Gefangenenlager Guantánamo. Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung hat gegenüber den Vereinigten Staaten ihre Auffassung bezüglich Guantánamo und die Notwendigkeit einer menschenwürdigen Behandlung von Gefangenen mehrmals deutlich gemacht. Sie hat höchstrangig und öffentlich erklärt, dass eine Institution wie Guantánamo auf Dauer so nicht existieren dürfe und dass Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden müssten. Die Gefangenen von Guantánamo sind unabhängig von der Frage ihres Status im Einzelfall nach den rechtlichen Standards des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu behandeln. Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse über die Vorgänge, über die Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 13. August 2007 berichtete. Der Bundesregierung ist hingegen der Bericht einer Gruppe von Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen vom 15. Februar 2006 bekannt, der massive Kritik an der Behandlung der Gefangenen in Guantánamo übt. Ich weise aber darauf hin, dass die Sonderberichterstatter selbst nicht in Guantánamo gewesen sind. Am 2. Januar 2007 hat im Übrigen das FBI umfangreiche Dokumente betreffend Untersuchungen über Misshandlungen von Häftlingen in Guantánamo veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass auf der Grundlage der Befragung von insgesamt 493 FBI-Beamten 26 Hinweise auf aggressives Verhalten gegenüber Gefangenen bzw. Misshandlungen von Gefangenen vorliegen. Auch die OSZE hat im Juli 2007 einen Bericht unter anderem zu den Haftbedingungen der Gefangenen in Guantánamo vorgelegt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ich freue mich natürlich über die kritische Position der Bundesregierung; ich kann ihr voll zustimmen. Mir leuchtet allerdings nicht ein, warum die Bundesregierung, was Guantánamo und andere Fälle angeht, weniger Erkenntnisse haben soll als das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Es muss doch möglich sein, zu sagen, ob das, was im Spiegel steht, aus Sicht der Bundesregierung stimmt oder nicht.

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Herr Kollege Gehrcke, ich habe auf Ihre Frage geantwortet, die sich ausdrücklich auf die Darstellungen im Nachrichtenmagazin Der Spiegel bezieht. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass natürlich Erkenntnisse vorliegen, die, vor allem wenn es sich um Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes handelt, in den zuständigen Gremien dargelegt werden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Ich fand diesen Hinweis sehr spannend. Kann ich davon ausgehen, dass zu den zuständigen Gremien, in denen die Bundesregierung bereit ist, weitergehende Erkenntnisse, einschließlich der Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes, offenzulegen, auch solche Ausschüsse wie der Auswärtige Ausschuss und der Menschenrechtsausschuss des Parlamentes gehören, und wäre die Bundesregierung bereit, das Versprechen in diesen Ausschüssen einzulösen?

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Ich habe gerade ausgeführt, dass wir diese Erkenntnisse in den zuständigen Gremien werden darlegen können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 28 des Kollegen Gehrcke: Ist die Bundesregierung bereit, die Einrichtung und die Zustände im US-Gefangenenlager Guantánamo auf die Tagesordnung der UNO-Menschenrechtskommission in Genf zu setzen?

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Ich habe in meiner Antwort auf Ihre erste Frage, Herr Kollege Gehrcke, ausdrücklich gesagt, welche Standards unserer Auffassung nach in einem solchen Lager erfüllt werden müssen. Wir - nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die Europäische Union - befinden uns in einem ständigen Dialog mit den Vereinigten Staaten, um auf die Einhaltung der völkerrechtlichen Standards zu pochen. Darüber hinaus behandeln wir im Rahmen der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten - Sie wissen, es gibt einen offenen und ehrlichen Dialog mit dem Außenministerium der Vereinigten Staaten - gerade die Rolle des Rechtsstaats bei der Bekämpfung des Terrorismus sehr intensiv.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ich freue mich immer, wenn ich eine Frage beantwortet bekomme, die ich gar nicht gestellt habe. Ich habe konkret nachgefragt, ob die Bundesregierung bereit ist, diese Zustände, die Sie selber noch einmal beschrieben haben, auf die Tagesordnung der UN-Menschenrechtskommission in Genf zu setzen; denn da gehören sie hin.

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Ich habe vorhin ausgeführt, dass es in der Tat vielfältige Informationen und Dialoge zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten gibt, ebenso zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, dass wir aber Initiativen, die wir in bestimmten Kommissionen oder im Rahmen der Vereinten Nationen planen, mit unseren Partnern in der Europäischen Union abstimmen wollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich versuche es noch einmal, Herr Präsident; schönen Dank. - Irgendwie verstehen wir uns nicht. Die Frage ist doch relativ simpel. Ich habe gefragt, ob die Bundesregierung bereit ist, die Zustände, die Sie aus meiner Sicht richtig beschrieben haben, auf die Tagesordnung des VN-Gremiums zu setzen, das dafür zuständig ist, nämlich die Menschenrechtskommission in Genf. Diese Frage kann man doch mit Ja oder Nein beantworten.

Not found (Gast)

Ich habe gesagt: Wenn das so ist, dann werden wir das mit unseren Partnern abstimmen. Derzeit ist das nicht beabsichtigt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Monika Knoche sollen schriftlich beantwortet werden. Es liegen keine weiteren Fragen vor. Damit sind wir am Ende dieser Fragestunde. Zwischen den Geschäftsführern ist vereinbart, dass die Aktuelle Stunde um 16 Uhr stattfindet. Deswegen unterbreche ich die Sitzung und werde sie um 16 Uhr wiedereröffnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, in Terrorabsicht entführte Flugzeuge ohne gesetzliche Grundlage abschießen zu lassen Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort die Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der FDP-Fraktion. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion will eine rationale Debatte zur inneren Sicherheit - frei von Hysterie, Übertreibung und Angstmacherei - führen, wie dies auch Herr Ministerpräsident Wulff heute angemahnt hat. Das Parlament ist dafür genau der richtige Platz. Wir lassen uns hier nicht zu einer Quasselbude degradieren, in der Firlefanz geredet wird. ({0}) Die FDP-Bundestagsfraktion nimmt die Herausforderung des internationalen Terrorismus sehr ernst. Sie war und ist bereit, auf dem Boden des Grundgesetzes konstruktiv über angemessene und sinnvolle Maßnahmen zu beraten. Sie ist nicht bereit, Bundesverfassungsgerichtsurteile zu missachten, das Abwägungsverbot in Bezug auf Menschenleben außer Kraft zu setzen und einer Amerikanisierung des deutschen Rechtes zum Beispiel mit Einführung eines Quasiverteidigungsfalles bei terroristischer Bedrohung Vorschub zu leisten. ({1}) Heute geht es um die von Ihnen, Herr Verteidigungsminister Jung, geäußerte Absicht, von einem angeblichen Recht auf übergesetzlichen Notstand Gebrauch zu machen und den Befehl zum Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeuges, das mit Passagieren besetzt ist, zu geben, also die Menschen in diesem Flugzeug töten zu lassen. Weiter behaupten Sie, ein Abschuss sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch in Fällen gemeiner Gefahr oder der Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung möglich. Man hat fast den Eindruck, als hätte es das Gesetzgebungsverfahren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Hinblick auf die Regelung in § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz, unter bestimmten Voraussetzungen den Abschuss eines Flugzeuges zu ermöglichen, nicht gegeben. Man hat den Eindruck, es hätte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben, das ausgeführt und damit die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung erklärt hat, dass es gegen Art. 1 und Art. 2 unseres Grundgesetzes verstößt, wenn ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug, in dem neben den Terroristen weitere Personen an Bord sind, abgeschossen werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass es schlechterdings undenkbar ist, dies gesetzgeberisch in Form einer Bestimmung zu regeln und damit eine gesetzliche Grundlage für einen Abschuss zu schaffen. ({2}) Es ist nicht nachvollziehbar, dass behauptet wird, das Bundesverfassungsgericht habe mit seinen in der Begründung gemachten Ausführungen den Abschuss gerade nicht verbieten wollen. Herr Minister Jung, es ist nicht möglich, sich im Voraus auf das Recht des übergesetzlichen Notstandes zu berufen und dies als Rechtsgrundlage, als Anspruchsgrundlage für einen Abschuss zu nehmen. ({3}) Im ersten Semester des Studiums der Rechtswissenschaften lernt man, dass das Institut des übergesetzlichen Notstandes keine strafbare Handlung rechtfertigt, sondern eine solche Handlung in diesem Fall rechtswidrig ist, dass es aber erst dann in Erwägung gezogen werden kann, wenn es um die persönliche Verantwortung in einer ganz konkreten Situation geht, wenn es also bereits zu einem solchen Konflikt gekommen ist. Sie können das nicht antizipieren. In der gegenwärtigen Situation liegt kein übergesetzlicher Notstand vor. Auch wenn Sie schon jetzt alle Abwägungsprozesse vorwegnehmen, die eigentlich erst dann ablaufen, wenn es um die persönliche Verantwortung geht, können Sie sich in einer solch schwierigen Konfliktlage wahrscheinlich nicht darauf berufen. ({4}) Herr Verteidigungsminister Jung, es ist wichtig, dass in dieser Debatte klargemacht wird, dass Ihre Äußerungen im Focus-Interview vom 17. September so nicht stehen bleiben können. Sie müssen korrigiert werden. Es muss klargemacht werden, dass das Grundgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts strikt eingehalten werden. Dann können Sie gerne über einen möglichen politischen Handlungsspielraum diskutieren. Für das, was Sie gefordert haben, gibt es in der Form aber keinen Handlungsspielraum. ({5}) Wir wollen eine Diskussion, die die Gefährdung der inneren Sicherheit durch internationalen Terrorismus und andere Formen der Bedrohung zum Gegenstand hat, sich aber auch darauf beschränkt. Wir müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, unsere Grundrechte verteidigen und im rechtsstaatlichen Verfahren die richtigen Antworten geben. Wir wollen den Terroristen nicht Vorschub leisten. Sie hätten es nämlich gern, dass wir genau das nicht tun. Recht herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, dass ich die Notwendigkeit einer politischen und verfassungsrechtlichen Diskussion darüber sehe, wie auf die geänderte Bedrohungslage unseres Landes zu reagieren ist. Die rot-grüne Mehrheit hat damals die Auffassung vertreten, dass man das Problem durch einfaches Gesetz lösen kann, indem man das Luftsicherheitsgesetz entsprechend formuliert. Die CDU/CSU-Fraktion war, wenn ich richtig informiert bin, schon damals der Meinung, dass dafür eine verfassungsrechtliche Klarstellung erforderlich ist. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat genau diese gesetzliche Bestimmung für verfassungswidrig erklärt. Es hat gesagt, dass ein Abschuss eines unbemannten Flugzeuges oder eines nur mit Terroristen besetzten Flugzeuges aus seiner Sicht möglich ist, und zwar im Rahmen der Regelung zum schweren Unglücksfall, Art. 35 Grundgesetz, dass dafür aber eine verfassungsrechtliche Klarstellung erforderlich ist; denn in Art. 35 steht nur: polizeiliche Mittel. Das Bundesverfassungsgericht hat ferner gesagt, dass in diesem Fall eine Abwägung Leben gegen Leben nicht stattfinden kann, weil der Grundsatz des Art. 1 Grundgesetz - Menschenwürde - zu berücksichtigen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich erklärt, dass es sich nicht zu der Frage äußert, wie sich die Rechtslage bei der - ich zitiere - „Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind“, darstellt. Heute müssen wir uns leider Terroranschläge vorstellen, die teilweise eine andere Art und Zielsetzung haben, wie es beispielsweise mein Amtsvorgänger Georg Leber erlebt hat. Er hat zur Schlussfeier der Olympischen Spiele am 11. September 1972 die Information bekommen, dass ein Flugzeug mit einer Bombe auf das vollbesetzte Olympiastadion zufliegt. Er schildert in seinen Memoiren diese geradezu dramatische Konfliktsituation, als die Abfangjäger mit scharfen Waffen aufgestiegen sind. Zum Glück hat sich diese Information nachher als falsch herausgestellt. Er hat damals gesagt - er hat es in seinen Memoiren noch einmal unterstrichen -, dass er es für gut erachte, wenn der Vorfall einmal juristisch und politisch aufgearbeitet würde. Er schreibt: Niemand kann ausschließen, dass es sich in ähnlicher Form wieder einmal ereignet. Ich denke, dass klar sein muss, dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten, die in einer solch schwierigen Situation handeln sollen, darauf verlassen müssen, dass nur Befehle erteilt werden, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen und der ethischen Gesichtspunkte sowie der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung - und damit der rechtlichen Gesichtspunkte - erfolgen. Hier muss klar sein - das möchte ich deutlich unterstreichen -, dass die Soldaten in einer solch schwierigen Situation nicht alleingelassen werden, sondern dass die politische Verantwortung für eine solche Entscheidung bei demjenigen liegt, der diese Verantwortung zu tragen hat. Das ist im Zweifel der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. ({1}) Ich finde allerdings auch, dass es der Schwierigkeit der Situation nicht gerecht wird, wenn der Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts in der FAZ vom 5. Januar 2007 wie folgt zitiert wird: … er habe darauf gehofft, dass es im Letzten ein verantwortlicher Amtsträger auf sich nehmen würde, das Notwendige zu vollziehen und als Person die Last eines Rechtsverstoßes auf sich zu laden. Ich denke, dass unverkennbar ist, dass eine solche Extremsituation eine enorme Gewissensbelastung für die Verantwortlichen darstellt. In dieser Situation ist auf unsere Rechtsordnung Rücksicht zu nehmen, die die Menschenwürde umfasst; es ist aber auch zu berücksichtigen, dass wir einen Eid geschworen haben, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Das kann zu tragischen und schwierigsten Entscheidungen führen. Ich finde, dass eines klar sein muss: Wehrhafte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeuten nach meinem Verständnis, dass auch verheerendste und menschenverachtendste Angriffe auf unser Gemeinwesen nicht außerhalb der Rechtsordnung, sondern gerade mit den Mitteln der Rechtsordnung bekämpft werden müssen. Deshalb wünsche ich mir hier eine verfassungsrechtliche Klarstellung durch das Parlament, das als Verfassungsgeber diesbezüglich in Betracht kommt. Nichts stellt unseren Rechtsstaat mehr infrage als die Behauptung, auf seiner Grundlage sei man extremsten Formen terroristischer Angriffe wehrlos ausgeliefert. Dieser Staat ist nicht wehrlos. Ich wiederhole: Wir haben die Verpflichtung, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Ich denke, dass hier deutlich wird, welch tragische und schwierige Situation entstehen kann. Ich wünsche mir, dass ich persönlich nicht in eine Situation, in der ich eine solche Entscheidung treffen muss, kommen möge. Wenn es aber eine solche Entscheidungssituation notwendig macht, dann muss man dafür unter Abwägung aller Gesichtspunkte, die ich vorgetragen habe, die politische Verantwortung übernehmen. ({2}) Leider sind aus meiner Sicht im Rahmen der Debatte Thesen vorgetragen worden, die der Sache nicht gerecht werden. Ich denke deshalb, dass wir gemeinsam gefordert sind, auch und gerade unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das hier die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Klarstellung gesehen hat, diese Verantwortung wahrzunehmen. Ich glaube, wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die Freiheit, für das Recht, aber auch für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in der alten Bundesrepublik einmal einen Innenminister, der gesagt hat: Ich kann doch nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen. Jetzt haben wir einen Minister, der in voller Kenntnis des Grundgesetzes und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Grunde genommen sagt: Ich halte mich nicht daran, ich setze mich darüber hinweg.- Ich finde, das ist ein beispielloser Vorgang. ({0}) In einem solchen Fall ist es besser, der Minister tritt nicht erst nach einem Abschussbefehl zurück, sondern vorher. Die Bundeskanzlerin müsste ihn eigentlich entlassen. ({1}) Ich finde, der Hinweis auf die verfassungsrechtliche Klarstellung ist eine Nebelkerze. Das Verfassungsgericht hat im Februar letzten Jahres klargestellt, der Abschuss von Flugzeugen, in denen Unbeteiligte sitzen, sei mit Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen. ({2}) Das ist eine eindeutige Aussage, an der Sie nicht vorbeikommen. Sie gilt genauso wie das absolute Folterverbot. Ich finde, hier muss ganz klar sein: Wer das aufweicht, der macht sich nicht nur strafbar, sondern der verschiebt rechtsstaatliche und moralische Maßstäbe. Das können wir allesamt nicht wollen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier werden Szenarien heraufbeschworen. Sie reden einer vorbeugenden Tötung von Passagieren einer gekaperten Maschine das Wort. Damit beanspruchen Sie, genau zu wissen, wie das Ganze ausgeht. Es heißt, die Menschen in der Maschine würden ohnehin getötet. Wenn es nicht gelingt, die Maschine abzuschießen, würden möglicherweise noch mehr Menschen sterben. Woher wissen Sie, dass das so ausgeht? Es könnte genauso gut sein, dass den Passagieren die Entwaffnung der Terroristen gelingt. Sie aber wollen im Vorfeld darüber entscheiden. Wenn wir sagen: „Der Abschuss wird freigegeben“, dann frage ich: Wie wirkt das auf die Passagiere in dieser Maschine? Haben Sie sich das einmal überlegt? Ich glaube, es ist ganz klar: Sie kommen an dem Leitsatz 3 des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe nicht vorbei. Diese Abwägung von Leben gegen Leben darf es nicht geben. Ich frage mich, was Sie in dieser Sache geritten hat, wenn Sie Art. 35 des Grundgesetzes ändern bzw. erweitern wollen. Man kann zwar sagen, die Bundeswehr kann im Bereich der inneren Sicherheit neue Zuständigkeiten für sich reklamieren, doch das löst das Problem nicht. Deshalb denken Sie an die Erweiterung von Art. 87 des Grundgesetzes. Auch hierdurch beseitigen Sie das Verfassungsgerichtsurteil nicht; aber es ist ganz klar, worauf dies hinausläuft. Sie sagen, das sei praktisch ein Verteidigungsfall. Wir müssen also gegen eine solche terroristische Attacke quasi mit dem Kriegsrecht antworten. Dazu sage ich: Terrorismus bleibt ein Fall von Schwerstkriminalität und muss entsprechend bekämpft werden. Das ist keine Aufgabe für eine Kriegsführung. ({4}) Wenn wir es zulassen, dass hier eine Tür aufgemacht wird, dann orientieren wir uns wirklich am War on Terrorism. Ich habe ein wenig den Verdacht, dass es in diese Richtung gehen soll. Wir haben in den USA aber erlebt, wohin das führt, wenn man sagt: „Wir müssen in einem gewissen Maß die innerstaatliche Mobilmachung gegen den äußeren Feind betreiben“. Dabei bleiben oft Grundrechte und Freiheiten auf der Strecke, oder sie werden beschnitten. Genau diese Entwicklung wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht. ({5}) Herr Minister, es ist richtig - Sie haben auf dieses Dilemma angespielt -, dass es Grenzsituationen sind, in denen entschieden werden muss. Daher könnten Sie nach Lage der Dinge mildernde Umstände für sich geltend machen. Aber es muss klar sein, dass die Abwägung, die Sie vornehmen, nicht rechtens ist. So zu handeln, das wäre strafbar. Diesem Problem muss man sich stellen. Man kann das nicht im Voraus regeln. Das ist der Punkt, um den es hier geht. ({6}) Noch eine Bemerkung zum Schluss. Mindestens genauso schlimm wie ein vorsätzlicher Gesetzesbruch ist es, andere mit hineinzuziehen. Wie wir hören, sollen sogar schon Piloten ausgesucht worden sein, die dazu bereit sind, alle Befehle zu 100 Prozent zu befolgen. Ich finde, das ist ein starkes Stück. Sie sind als Minister nicht aus dem Schneider, wenn Sie zurücktreten, nachdem Sie den Abschussbefehl gegeben haben. Denn dann muss geprüft werden, ob dieser Befehl nicht eine Anstiftung zum Totschlag war. Diese Verantwortung müssen Sie übernehmen. Sie können zurücktreten, die Piloten können nicht einmal das. Reden Sie den Piloten auch nicht ein, sie brauchten aufgrund des übergesetzlichen Notstands keine Skrupel zu haben. Zentral ist der Hinweis auf § 11 des Soldatengesetzes, in dem es heißt, dass ein Befehl, durch den eine Straftat begangen würde, nicht ausgeführt werden darf. Es ist eine ganz entscheidende Errungenschaft, die auf Paul Schäfer ({7}) die Erfahrungen mit der Wehrmacht im Dritten Reich zurückgeht, dass es unseren Soldatinnen und Soldaten möglich sein muss, einen Befehl zu verweigern. Das ist die Umsetzung des Konzepts des Staatsbürgers in Uniform. Diese wichtige Tradition und Errungenschaft der Bundeswehr dürfen wir jetzt nicht aufgeben. Danke. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Arnold von der SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich hätte mir gewünscht - ich sage das offen -, dass der heutige Tag genutzt wird, um die Dinge zurechtzurücken. ({0}) Dieses Thema hilft unserer Koalition nicht, und es hilft vor allen Dingen den Soldaten nicht, die Sie in diesem Zusammenhang in eine sehr schwierige Situation bringen. Außerdem ist dieses Thema nicht zielführend. Die Menschen erwarten von uns, dass wir das regeln, was geregelt werden kann, und dass wir nicht über Dinge reden, die wohl nicht geregelt werden können. ({1}) Ich meine, es gibt eine Reihe von Argumenten, die das belegen. Im Rahmen der Diskussion geht es zunächst einmal um staatsrechtliche Fragen. Das Bundesverfassungsgericht hat Recht gesprochen. Wir, die wir damals dafür gestimmt haben, lagen mit unserer Einschätzung falsch. ({2}) Unsere Aufgabe ist, aus Fehlern zu lernen und sie nicht sehenden Auges zu wiederholen. Klar ist: Der Wesensgehalt von Art. 1 unseres Grundgesetzes darf nicht über andere Artikel ausgehebelt werden. ({3}) Neben der staatsrechtlichen Frage stellt sich natürlich auch die strafrechtliche Frage. Herr Minister, Ihren Ansatz, darüber zu philosophieren, ob es möglicherweise ein höheres Gut der Verantwortung gibt, halte ich für falsch. Wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben, dann können Sie, indem Sie sich auf einen übergesetzlichen Notstand berufen, im Nachhinein - ich sage das sehr deutlich - um Entschuldigung bitten. Aber Sie werden sich immer schuldig machen müssen, egal wie Sie sich entscheiden. ({4}) Man sollte aber nicht von Vornherein über den übergesetzlichen Notstand diskutieren und ihn definieren. ({5}) Das ist eine sehr schwierige Debatte, die allerdings nachgelagert zu führen ist. Es ist für einen Minister viel schwieriger als für einen Piloten oder einen Polizisten, zu sagen, was ein übergesetzlicher Notstand ist. Deshalb hilft uns dieser Begriff in der konkreten Diskussion nicht weiter. Diese Debatte hat auch eine politische Dimension. Wer glaubt, wir müssten den zweifellos vorhandenen Sorgen bezüglich des Terrorismus begegnen, indem wir Kriegsdefinitionen entwickeln, der führt uns wirklich in die Irre. ({6}) Das Land, das so vorgegangen ist, ist ein sehr abschreckendes Beispiel, an dem man allerdings erkennen kann, welche Fehler begangen werden können. Wir brauchen in der Situation der terroristischen Bedrohung Besonnenheit statt Scheinlösungen. ({7}) Damit komme ich zum Praktischen. Wir sollten nicht glauben, der 11. September wiederholt sich auf der Welt eins zu eins; das wäre fantasielos. Ich weiß nicht, was die Terroristen aushecken. Ich weiß aber, dass wir viel getan haben, damit sich der 11. September 2001 nicht eins zu eins wiederholen kann: dass Terroristen nicht mehr ohne Weiteres ins Cockpit kommen; dass auf dem Boden viel getan wird. Außerdem hätten wir in Deutschland wahrscheinlich keine halbe oder dreiviertel Stunde Zeit zum Reagieren. Die Terroristen werden nicht im Kreis herumfliegen wie der psychopathische Sportpilot in Frankfurt, sondern entschlossen ans Werk gehen. Da helfen uns die ganzen abstrahierenden Debatten nicht weiter. ({8}) Deshalb lassen Sie uns in der Koalition tun, was getan werden muss, Herr Minister, und das Fenster schließen, das uns das Bundesverfassungsgericht geöffnet hat, nämlich zulassen, dass dort, wo die polizeilichen Mittel in der Luft und auf See enden - nach der 12-MeilenZone -, militärische Mittel eingesetzt werden können, ({9}) im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35. Dieser Vorschlag der Sozialdemokratie liegt seit Monaten auf dem Tisch. Es wundert mich sehr, dass dieses Thema immer wieder neu mit falschen Argumenten gepuscht wird, anstatt dass wir uns einer realistischen Lösung zuwenden, die übrigens auch den Piloten helfen würde. ({10}) Lassen Sie uns dies in nächster Zeit bewerkstelligen! Wir müssen uns eines klarmachen: Wir können nicht so tun, als ob die einen die Gesellschaft schützen wollten und die anderen, die darauf verweisen, dass sich Art. 87 a dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge nicht dafür eignet, dies nicht tun wollten. Wir alle wollen das Menschenmögliche tun, um unsere Gesellschaft vor Terrorismus zu schützen. Wir sollten aber keine Scheinlösungen versprechen, und wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als ob es absoluten Schutz gäbe; den gibt es nicht. Das müssen die Menschen wissen. Wir müssen aufpassen, dass Rechtsstaatlichkeit und Schutz vor Terror am Ende nicht gegenläufige Ziele sind. Wer uns vor Terror schützen will, muss erkennen: Rechtsstaatliches Handeln und das Bestmögliche gegen Terroristen zu tun, sind ein und dieselbe Sache. Darauf kommt es am Ende an. Danke schön. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als der Kollege Arnold gerade zu reden anfing und eine Frage an den Minister richtete, dachte ich: Ja, eine Frage habe ich auch; die will ich auch stellen. - Dann habe ich ihm mit wachsender Begeisterung zugehört, weil er ja sehr viel Richtiges gesagt hat. Zuerst habe ich mir gedacht: Na gut, ein einzelner Abgeordneter aus der SPD. Doch dann habe ich festgestellt: Die SPD hat überwiegend geklatscht. - Da frage ich mich doch: Was ist eigentlich die Auffassung der Bundesregierung - einer Bundesregierung, die auch von der SPD-Fraktion getragen wird - in dieser Frage, wenn der Minister das eine sagt, die SPD-Fraktion aber fast geschlossen zu den Auffassungen des Kollegen Arnold klatscht? ({0}) Auch ich stelle mir natürlich die Frage: Herr Minister Jung, welcher Teufel reitet Sie eigentlich, dass Sie seit letztem Wochenende Tag für Tag an keinem Mikrofon vorbeigehen können, ohne zu sagen: Ich bin entschlossen, den Befehl zu geben, Passagiermaschinen abzuschießen, und ich habe Vorsorge getroffen, dass das von der Bundeswehr auch umgesetzt wird: Ich weiß jetzt, welche Piloten bereit sind, auch rechtswidrige, verfassungswidrige, illegale Befehle zu befolgen; die anderen haben wir aussortiert. Wir werden nur diejenigen in den Einsatz schicken, die vorher versprochen haben, meinen illegalen Befehlen zu folgen. Ich frage mich: Warum sagen Sie das in dieser Zeit jeden Tag immer wieder? Gibt es dafür einen konkreten Anlass, oder was ist der Hintergrund? Denn es kann doch nicht sein, dass Sie die möglichen Selbstmordattentäter meinen. Die lassen sich von solchen Ankündigungen sicherlich nicht beeinflussen. Richtet sich das an die Passagiere? Wenn ich das jeden Tag höre - wir sind ja alle Passagiere -, dann frage ich mich: Was sagt mir das? Wie soll ich mich verhalten? Welche Vorsichtsmaßnahmen könnte ich gegen einen solchen Befehl des Ministers treffen? Mir fällt dazu nichts ein. ({1}) Wenn sich das nicht an diese beiden Adressen richtet, dann bleibt nur übrig, dass Sie sich an die Öffentlichkeit richten, dass Sie versuchen, in der Öffentlichkeit einen Gewohnheitseffekt zu erreichen, dass man sagt: Es ist ja klar, wenn da ein Flugzeug gekapert worden ist und die Selbstmordattentäter drohen, die Maschine abstürzen zu lassen, dann wird dieser Befehl gegeben. Von all den Abwägungsüberlegungen, die zum Beispiel angestellt werden müssten, wenn ein übergesetzlicher Notstand angenommen werden sollte, sagen Sie nichts; vielmehr sind Sie fest entschlossen, diesen Befehl zu geben. Da kann ich Sie nur auf ein gestern Abend gesendetes Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Jentsch aufmerksam machen, der völlig zu Recht auf Folgendes hingewiesen hat: Wenn Sie nach einem solchen Befehl im Erklärungsnotstand gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber Ihrem Richter sind und erklären, dass Sie in einem übergesetzlichen Notstand waren und so gehandelt haben, weil Sie eine Abwägung vorgenommen haben, dann wird er Ihnen entgegenhalten, dass Sie vorher Tag für Tag immer wieder betont haben, dass Sie fest entschlossen sind, das zu tun. Wo ist da der Abwägungsprozess, der notwendig gewesen wäre? ({2}) Weil Sie als Bundesminister nicht nur die Piloten in solche einteilen, die verfassungswidrigen, rechtswidrigen, illegalen Befehlen gehorchen, und solche, die das nicht tun - sie werden also ausgesondert, sie dürfen dort keinen Dienst tun -, weil Sie selber sich dazu bereit erklärt und gesagt haben, Sie würden das tun, Sie würden sich illegal, gesetzlos verhalten, würden solche Einsatzbefehle geben, ({3}) bei denen es um Leben und Tod von 10, 20, 50, 100 oder vielleicht auch mehreren Hundert Passagieren geht, und weil das zeigt, dass Sie da die notwendigen Skrupel nicht haben, deshalb, Herr Minister, ist es nicht hinHans-Christian Ströbele nehmbar, dass Sie weiter im Amt sind, weiter dieser Bundesregierung angehören; denn Sie sind in dieser Weise nicht nur eine Gefahr für die Truppe, sondern auch eine Gefahr für die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland und für die Passagiere, die sich in Zukunft in Flugzeuge setzen. ({4}) Deshalb muss die Forderung lauten: Quittieren Sie Ihr Amt, wie Sie das schon einmal im September 2000 mit einem Ministeramt in Hessen getan haben! ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert von der CDU/CSU-Fraktion.

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir die beiden letzten Reden in Erinnerung rufe, dann habe ich den Eindruck, als würden wir diese Diskussion heute das erste Mal führen. ({0}) Deswegen will ich Sie mit ein paar Zitaten vertraut machen: Die Abwehr terroristischer Angriffe im Land ist Aufgabe der Polizei. D’accord. Nur dort, wo die Bundeswehr allein über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, wird sie herangezogen. Dazu haben wir ein Luftsicherheitsgesetz verabschiedet, das dem Verteidigungsminister - hören Sie gut zu erlaubt, den Befehl zu geben, terroristische Angriffe aus der Luft zu bekämpfen. An anderer Stelle wird gesagt: „notfalls auch den Abschuss eines von Terroristen als Waffe benutzten Passagierflugzeuges zu befehlen“. Das ist ein Zitat aus der damaligen Zeit der rot-grünen Regierung, vorgetragen von dem Verteidigungsminister Peter Struck. ({1}) Dies macht deutlich, dass Sie damals überzeugt waren, ({2}) dass wir diesen Bereich mit einem Gesetz rechtlich auffüllen müssen, nämlich mit dem damals von Ihnen beschlossenen Luftsicherheitsgesetz. ({3}) Wir haben damals gesagt: Bevor Sie das Gesetz verabschieden, sollten Sie mit uns gemeinsam die Verfassung ändern. ({4}) Dann hätte das Gesetz auch vor dem Verfassungsgericht Bestand gehabt, lieber Herr Kollege. ({5}) Durch das Zitat von damals wird deutlich, dass wir in der damaligen Situation einen Regelungsbedarf hatten. Durch die jetzigen Erklärungen von Franz Josef Jung wird deutlich, dass wir auch heute einen Regelungsbedarf haben. ({6}) Die rot-grüne Regierung hat das Luftsicherheitsgesetz verabschiedet, weil es damals genau diesen Regelungsbedarf gab. Die Aussagen in der gesamten Diskussion waren übrigens ähnlich wie die heute. Sie von der Fraktion der Grünen haben das Gesetz damals gemeinsam mit der SPD auf den Weg gebracht. Sie haben es verabschiedet. Vor dem Bundesverfassungsgericht haben Sie Schiffbruch erlitten. ({7}) Wenn ich heute mit Ihrer Art der Diskussion die Vorgänge von damals beurteilen würde, dann müsste ich sagen, dass Sie mit dem Gesetz, das Sie damals verabschiedet haben, bewusst in Kauf genommen haben - Sie wurden vorher nämlich gewarnt -, die Verfassung zu brechen. ({8}) Deswegen muss ich an dieser Stelle feststellen: Sie versuchen den Eindruck zu hinterlassen, als wären Sie bei der Behandlung dieses Themas damals nicht in der Regierung gewesen und als hätten Sie sich nicht mit den gleichen Fragen beschäftigt, mit denen wir uns heute auch beschäftigen. ({9}) Deshalb müssen wir schauen, welchen Spielraum uns das Verfassungsgericht gegeben hat, hier eine Regelung zu finden. ({10}) Das ist unsere Aufgabe heute. ({11}) Deswegen sage ich nach meinen Formulierungen von eben an dieser Stelle: Es ist unsere Aufgabe, jetzt gemeinsam darüber nachzudenken, was wir zu formulieren haben und was wir mehrheitlich hinbekommen, sodass wir das Risiko beseitigen können. Die Menschen draußen erwarten von uns doch, dass wir uns nicht monatelang über diese Frage hinwegstehlen, sondern dass wir ihnen eine Lösung anbieten. Darum müssen wir kämpfen, dafür müssen wir arbeiten. ({12}) Das, was Sie vorgelegt haben, ist noch keine Lösung, sondern die Lösung muss umfangreicher sein und auch Verfassungsänderungen beinhalten. ({13}) - Nein. Ich will jetzt etwas zurückhaltender werden und noch einmal darauf hinweisen: ({14}) Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die von uns erwarten, dass wir etwas regeln. Wir haben diese Verantwortung gegenüber den Menschen, die sich auf Großveranstaltungen befinden und möglicherweise mit dem Risiko leben müssen, dass ein Anschlag stattfindet. Wir haben aber auch die Pflicht, den Menschen, die in den Flugzeugen sitzen, eine Antwort darauf zu geben, wie wir das regeln, so wie Herr Ströbele das eben durchaus auch angemahnt hat. Sie müssen diese Mahnung aber auch an sich selbst richten, lieber Herr Ströbele. ({15}) Wir haben auch die Verantwortung, eine Regelung zu finden, ({16}) durch die den Soldaten im Falle eines Falles eine Antwort gegeben wird. Schließlich haben wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Minister, dass wir etwas regeln. Der Minister hat uns mit seinen Formulierungen deutlich gemacht - er hat den Finger in die Wunde gelegt -, dass wir die Situation nicht so belassen können, wie sie ist. Ich denke, damit hat er nicht verantwortungslos, sondern in höchstem Maße verantwortungsvoll gehandelt. Er verdient unsere Belobigung. ({17}) Deshalb stehen wir als Christdemokraten und Christsoziale hinter diesem Minister. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Herr Kollege Siebert, Sie haben zum Schluss etwas aus Ihrer Sicht Notwendiges gesagt, nämlich dass Ihre Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, hinter den Aussagen des Ministers steht. Das war notwendig zu erwähnen. Die Mehrheit des Deutschen Bundestags steht nicht hinter diesen Aussagen des Bundesverteidigungsministers. ({0}) Das ist es, was zählt. Nicht einmal die Mehrheit der Bundesregierung selbst steht hinter diesem Verteidigungsminister. Für wen hat der von mir persönlich sehr geschätzte Herr Verteidigungsminister eigentlich hier gesprochen? Für die Mehrheit des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung spricht er nicht. Für wen spricht er dann? Es gibt noch einen entscheidenden Grund, warum Sie bis jetzt eine Regierungserklärung verweigert haben: Sie wissen, dass Sie in dieser Frage alleine sind. Sie sind in der Minderheit. Sie können den Soldaten nicht solche Befehle geben. In welche Situation bringen Sie die Soldatinnen und Soldaten, indem Sie vortäuschen, das sei rechtmäßig? Es ist rechtswidrig, und ein Minister darf so etwas auch den Soldaten nicht abverlangen. ({1}) Wir könnten es uns als Freie Demokraten sehr leicht machen. Sie haben sich mit dem Luftsicherheitsgesetz von SPD und Grünen auseinandergesetzt. Wir sind, wie Sie wissen, die einzige Fraktion gewesen, die damals klar dagegengestimmt hat. ({2}) Die Liberalen haben damals auch das Bundesverfassungsgericht angerufen. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied, durch den sich eine neue Situation ergibt. Insofern ist es, meine ich, bei allem Respekt zu honorieren, dass Kollege Arnold das klar gesagt hat. Es gibt einen einfachen Rechtsgrundsatz zu der Frage, was verfassungsgemäß und was verfassungswidrig ist: Roma locuta, causa finita. Wenn das Verfassungsgericht entschieden hat, dass etwas gegen die Verfassung verstößt, dann gilt das für jeden hier, auch für den Verteidigungsminister. Es mag einen übergesetzlichen Notstand geben; aber kein übergesetzlicher Notstand führt über die Verfassung hinaus. Alle Staatsgewalt ist daran gebunden. ({3}) Dementsprechend ist es auch unzulässig, Herrn Kollegen Arnold, Herrn Kollegen Ströbele und anderen, die heute ihre Meinung geäußert haben, entgegenzuhalten, dass es sich lediglich um eine Frage der Gesetzestechnik handele; man könne mit Änderungen der Art. 35 und 87 a des Grundgesetzes hinsichtlich der Zuständigkeiten von Bund und Ländern etwas an der Sache ändern. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006, die im Übrigen von uns Liberalen erwirkt worden ist, das Abschießen von unschuldigen Menschen in Passagiermaschinen nicht nur aus irgendwelchen formellen Gründen nicht zulässig ist; sondern die Verfassung verbietet es auch materiell, ({4}) weil es gegen die Menschenwürde und das Recht auf Leben verstößt. Das sollten Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen. ({5}) Es ist ein einmaliger Vorgang, dass die Justizministerin der Bundesrepublik Deutschland ihrem Kabinettskollegen, dem Bundesverteidigungsminister, sagt, dass er sich klar verfassungswidrig äußert, dieser aber trotzdem weiterhin diese Meinung vertritt. Herr Kollege Jung, Sie haben nicht mehr viel Zeit. Aber Sie sollten sie allmählich nutzen, um von einer absolut esoterischen Diskussion mit dramatischen Konsequenzen - übrigens auch für das Gerechtigkeitsgefühl in unserer Bevölkerung Abschied zu nehmen. ({6}) Sie sind doch kein Philosoph, der irgendwelche Diskussionen beginnen könnte. Von Ihnen erwartet man, dass Sie sich an Recht und Gesetz halten, vor allen Dingen, dass Sie nicht nur auf dem Boden der Verfassung, sondern im Zweifelsfall auch zu ihr stehen. Das ist der feine Unterschied. Man kann das Leben von Unschuldigen nicht gegeneinander abwägen. Man kann auch nicht das Leben von Unschuldigen gegeneinander aufrechnen. Wo hört man auf, und wo fängt man an? Darf der Staat zehn umbringen, wenn möglicherweise 100 gerettet werden können? Oder vielleicht zehn zu zwanzig, eins zu zwei oder eins zu tausend? Das ist eine Diskussion, die sich der Staatsgewalt entziehen muss. Der übergesetzliche Notstand, den Sie ins Feld führen, führt Sie erstens über die Verfassung nicht hinaus und hat zweitens den wesentlichen Charakterzug, dass er im Vorhinein nicht normiert werden kann. Aber genau das ist es, was Sie in Wahrheit wollen. ({7}) Ich sehe hierin eine sehr traurige und unglückliche Entwicklung der Diskussion in diesem Jahr. Der Innenminister meldet sich - von der Unschuldsvermutung über das Töten auf Verdacht bis zum Szenario eines atomaren Angriffs durch Terroristen - zu Wort. Der Verteidigungsminister sagt, er sei selbstverständlich bereit, Befehle zum Abschuss Unschuldiger zu erteilen. Das alles schafft ein Klima der Verunsicherung. Deswegen sage ich Ihnen: Da die Mehrheit dieses Hauses dieses Verhalten augenscheinlich missbilligt, Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, werden wir dem Deutschen Bundestag einen Missbilligungsantrag zu den infrage stehenden Äußerungen des Verteidigungsministers zur Abstimmung vorlegen. Dann werden wir sehen, ob Sie dazu stehen. Koalitionsräson ist das eine. Das andere ist die Verfassung, die über der Koalitionsräson steht. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Hermann Scheer von der SPD-Fraktion.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den Terrorismus ist signifikant: Er kommt in der Regel aus dem Dickicht des Alltags. Die Aktionsform ist überraschend genauso wie der Aktionsort. Die größte anzunehmende terroristische Gefahr, bei der, wenn überhaupt, ein übergesetzlicher Notstand geltend gemacht werden könnte, ist ohne Zweifel der Atomterrorismus. Davon hat Minister Schäuble am Wochenende ausführlich gesprochen. Es ist klar, dass eine solche Gefahr ernst zu nehmen ist. Es ist klar, dass man gegen diese Gefahr kaum adäquat gewappnet sein kann. Es ist klar, dass die Gefahr des Atomterrorismus dazu führen kann - darauf hat schon vor drei Jahrzehnten Robert Jungk in seinem Buch Der Atomstaat hingewiesen -, dass Demokratie und Rechtsstaat, wenn man nicht aufpasst, daran ersticken. Nun befinden wir uns in einer Diskussion, die sich anhand der Äußerungen von Minister Jung auf die Frage konzentriert, wie wir Quellen akuter Gefahren möglicherweise in letzter Minute beseitigen können. Aber zur Betrachtung einer solchen Gefahr gehört zumindest genauso, wenn nicht sogar an erster Stelle, die Berücksichtigung der Gefahrenstellen, wenn wir den Sicherheitsauftrag ernst nehmen, und zwar mit den Mitteln, die uns im gesetzlichen Normalfall zur Verfügung stehen, also ohne den übergesetzlichen Notstand in Anspruch zu nehmen. Hier haben wir ganz andere Möglichkeiten. Wenn man diese Gefahr schon heraufbeschwört, muss man diese Möglichkeiten tatsächlich ins Auge fassen. Das möchte ich an einem Herrn Minister Jung sicherlich mehr als fast allen anderen in diesem Hause bekannten Standort deutlich machen, nämlich den Biblis-Reaktoren in Hessen. Jeder weiß - das ist unbestritten -, dass zumindest einer der beiden Reaktoren, nämlich Biblis A, einen besonders eingeschränkten Schutz vor terroristischen Angriffen oder einem „normalen“ Flugzeugabsturz bietet. Wir reden aber im Zusammenhang mit Terrorismus von gezielten Flugzeugabstürzen. Dass gezielte Flugzeugabstürze zum Spektrum terroristischer Aktionen gehören, weiß man seit dem 11. September. Amerikanische Sicherheitsbehörden haben bekanntgegeben, dass ursprünglich geplant war, einen Atommeiler direkt anzufliegen. Das ist Gott sei Dank unterlassen worden. Die Katastrophe hätte ein gigantisches Ausmaß angenommen, weit über die Katastrophe hinaus, die tatsächlich stattgefunden hat. Unmittelbar danach sind in Deutschland Untersuchungen mit verschiedenen Szenarien durchgeführt worden, die aus guten Gründen geheim gehalten werden, um niemanden auf besondere Gefahrenstellen im Einzelnen aufmerksam zu machen. Aber die Gefahr besteht, insbesondere bei dem genannten Reaktor, der gerade einmal 40 Flugsekunden von der Hauptanfluglinie des Flughafens Frankfurt entfernt ist. Die Untersuchungen haben bisher ein einziges, hilfloses Ergebnis zu Tage gefördert, nämlich dass man versuchen könnte, mit technischen Maßnahmen eine Einnebelung solcher Reaktoren zu erreichen. Dieser Versuch der Einnebelung ist laut Pilotenvereinigung Cockpit deswegen hilflos, weil jedes Flugzeug heute GPS-gesteuert ist, und wer ein Flugzeug steuern kann, kann auch die GPS-Anlage bedienen und Ziele durch Nebel hindurch anfliegen. Wenn Sie, Herr Jung, und viele andere, die von der Gefahr des Atomterrorismus sprechen, es ernst meinen, dann ist es zwingend, in erster Linie auf die Gefahrenstelle zu schauen; denn die haben wir in der Hand. Dann ist es ein politischer Widerspruch allerersten Ranges, die Gefahrenstelle einfach so zu belassen, gerade wenn sie unbestritten gegeben ist, und stattdessen Aktionen dieser Art starten zu wollen. Damit täuschen Sie eine Sicherheit vor, die die Bevölkerung gar nicht fühlt; solche Aktionen erzeugen höchstens Angst. Sie sprechen sogar von einem Recht auf übergesetzlichen Notstand. Ein solches Recht kann es nicht geben; denn ein Recht auf übergesetzlichen Notstand heißt, sich selbst ein Recht zu nehmen. Wenn das jemand tut, der einen Amtseid auf die Verfassung abgelegt hat, dann sind die Grenzen der normalen parlamentarischen Demokratie überschritten. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der ungeschriebene Lebenssinn des Staates ist, die allgemeine Sicherheit seiner Bürger aufrechtzuerhalten. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion, die wir führen, sehr einseitig. ({0}) Wir haben nur das Bild im Auge, dass ein mit Passagieren besetztes Flugzeug auf staatlichen Befehl hin abgeschossen wird. Aber es gibt nicht nur dieses Bild des Flugzeuges mit den Passagieren. Untrennbar mit dem Inferno des Terrors ist ein zweites Bild verbunden, das Bild von den Opfern am Boden, über denen das Flugzeug zum Absturz gebracht werden soll, das Bild von einem vollbesetzten Fußballstadion mit Zigtausend Menschen oder vielleicht das Bild von vor zwei Jahren, als der Papst auf dem Marienfeld in Köln vor 1 Million junger Menschen seine Messe zelebriert hat. Stellen Sie sich bitte vor, es hätte Terroristen gegeben, die ein Flugzeug gekapert hätten, um dieses Flugzeug auf das Marienfeld in Köln zu steuern. ({1}) Stellen Sie sich das bitte vor! Wie hätte Ihrer Meinung nach der Staat in dieser Situation handeln sollen? ({2}) Daran sehen Sie, dass der Staat in einem Dilemma steckt. ({3}) Er muss entscheiden, auf tragische Weise entscheiden. Er kann sich nicht neutral verhalten, er muss handeln. Er kann sich nicht zurücklehnen und die Dinge ihrem Schicksal überlassen. Der Staat muss auch Zigtausende unschuldiger Menschen vor Angriffen durch Terroristen schützen. Welche Entscheidung er auch immer trifft: Es werden Menschen sterben. Das rot-grüne Gesetz, das vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde, ist bereits mehrfach angesprochen worden. Es war der Versuch, einfachgesetzlich etwas zu regeln, was scheitern musste. Wir müssen uns die Verfassung genauer anschauen. Hier wird der Eindruck erweckt - er sollte hier zurechtgerückt werden -, das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt - ich nehme an, dass der Kollege Jürgen Gehb darauf zu sprechen kommen wird -, es sei in jedem denkbaren Fall verboten, ein solches Flugzeug abzuschießen. Das ist irrig. Alle, die sich näher damit befassen wollen - ich hoffe, Sie werden das tun, Herr Westerwelle; Sie haben dieses Urteil hochgehalten -, verweise ich auf die Randnummern 134 f. des Urteils. Das Bundesverfassungsgericht hat dort den Fall angesprochen, dass ein terroristischer Angriff „auf die BeseiDr. Hans-Peter Uhl tigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet“ ist. In diesem Fall müsse der Staat sich wehren können. Die asymmetrische kriegsähnliche Bedrohung durch Terroristen konnten die Väter des Grundgesetzes nicht kennen. Sie kannten nur den klassischen Verteidigungsfall, den herkömmlichen Krieg. Die Staatengemeinschaft hat diesem Krieg ganz neuer Art, dem Terrorismus, ihrerseits den Krieg erklärt - ich meine, zu Recht. In diesem Zustand befinden wir uns zurzeit. Das heißt, die Unterschiede zwischen innerer und äußerer Sicherheit verwischen in diesem Zustand. Hier muss man neu nachdenken. Hier muss man sich weniger entrüsten. Hier muss man Wege finden. Ein Weg - wir meinen, der verfassungsrechtlich einzig denkbare Weg - ist, die Streitkräfte in die Lage zu versetzen, nicht nur im Verteidigungsfall, sondern auch in diesem Fall, dem der asymmetrischen terroristischen Bedrohung, handeln zu dürfen. Das geht nur über eine Fortschreibung des Verfassungsrechts. Geradezu unerträglich wäre es, wenn wir, das Parlament, die Regierung, der Verteidigungsminister und die anderen Minister, auch das höchste Gericht in solchen Notlagen nicht den Mut zum Handeln aufbrächten. Wir alle müssen den Mut zum Handeln aufbringen. Auf gar keinen Fall darf am Schluss dem Letzten in der Befehlskette, dem Piloten, zugemutet werden, den Mut aufzubringen, den wir nicht haben. ({4}) Das wäre ein Zerrbild des Rechtsstaates. Wer diese Bedrohung durch den Terrorismus, durch die Feinde des Rechtsstaates nicht ernst nimmt, wer sagt, wir müssen schicksalhaft hinnehmen, was sie tun, wer sagt, nur die Menschen im Flugzeug haben Menschenwürde, und die Zigtausende auf dem Marienfeld, im Fußballstadion oder in den Stadtzentren haben eine zu vernachlässigende Menschenwürde oder was auch immer, ({5}) wer ein solches Staatsverständnis hat, der hat ein sinnentleertes Staatsverständnis. Ich komme zum Schluss. Ich hoffe, dass wir angesichts der terroristischen Bedrohung den Ernst der Lage erkennen. Ich hoffe, dass wir alle zusammen im Parlament unsere Verantwortung spüren. Der Minister hat die Verantwortung, unter der er steht, wahrgenommen und sich zu ihr bekannt. Jetzt sind wir als Parlament, als Verfassungsgeber an der Reihe, unsere Verantwortung ernst zu nehmen und zu prüfen, was das Parlament tun kann, um die terroristische Bedrohung zum Schutze unserer Bürger wirksam in Schach zu halten. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann von der SPD-Fraktion.

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Siebert, ich möchte Sie kurz ansprechen. Ich war ebenfalls Berichterstatter bei den Beratungen über das Luftsicherheitsgesetz. Mich hat das Urteil des Verfassungsgerichts sehr getroffen, weil ich der Meinung war, wir hätten das Richtige getan. Auch ich bin der Überzeugung, dass Peter Struck, der zu dem Zeitpunkt Verteidigungsminister war, das Richtige tun wollte. Ich meine aber, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Zäsur bedeutet. An dieser Stelle unterscheiden wir uns. Ich möchte Sie bitten, das Urteil wirklich noch einmal nachzulesen. Jetzt kann nicht mehr so getan werden, als ob der jetzige Verteidigungsminister nur das fortsetzen würde, was der vorherige begonnen hat. Durch die Zäsur der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das nicht mehr möglich. ({0}) Den Minister Jung möchte ich bitten, an das Naheliegende zu denken und nicht an das Spektakulärste, womit man Schlagzeilen produziert. Ich sage deswegen auch heute hier wieder: Flugzeugentführungen werden am Boden verhindert oder ermöglicht. Wir müssen erst daran denken und uns erst darum kümmern. Wie ist die Lage? Nach der jetzt geplanten Reform der Bundespolizei wird nach den Aussagen von Experten die Bundespolizei auf den Flughäfen um etwa 1 000 Stellen unterbesetzt sein. Wie sind die Sicherheitskontrollen? Die Realtests haben gezeigt: Sie sind mehr als verbesserungsbedürftig. In der Praxis gilt es also, an dieser Stelle anzusetzen und nicht bei der Frage, ob Flugzeuge abgeschossen werden sollen. Angesetzt werden muss nicht beim übergesetzlichen Notstand oder beim Verfassungsbruch, sondern bei der guten Arbeit der Sicherheitskräfte; darum muss es uns in erster Linie gehen. ({1}) Ich möchte mich nicht wiederholen, sondern nur noch auf das Ergebnis zu sprechen kommen: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz lässt aus meiner Sicht für den von Minister Jung vorgeschlagenen Weg keinen Raum. Es gibt keinen Raum für den propagierten übergesetzlichen Notstand. Wenn ich mir anschaue, was die Minister Schäuble und Jung in den letzten Tagen, Wochen und Monaten vorgebracht haben, dann sage ich: Es gibt eine Summe von einzelnen Vorschlägen, aber keine Strategie. Weder der Innenminister noch der Verteidigungsminister machen verfassungsfeste Vorschläge. Die Stichworte dafür Frank Hofmann ({2}) sind: gezielte Tötung von Terroristen, Aufhebung der Unschuldsvermutung, Einsatz der Bundeswehr im Inneren und atomare Anschläge. Ich sage dazu: Terrorismusbekämpfung ist Kriminalitätsbekämpfung und nicht Krieg, ist Polizeiarbeit und nicht Kriegshandlung. ({3}) Ich habe den Eindruck: Die beiden CDU-Minister wollen den Rechtsstaat nicht weiterentwickeln; sie wollen ihn zerschießen. ({4}) Sie suchen den Konflikt mit der SPD. Sie sind sich dessen bewusst, dass sie mit ihrem Vorschlag dem Koalitionspartner SPD Schaden zufügen. Sie setzen darauf, dass der Bevölkerung die Sicherheit wichtiger ist als die Freiheit, wenn sie nur genügend Angst vor dem Terrorismus schüren. Sie sind mit den Verfassungsgerichtsentscheidungen der letzten Jahre, zum Beispiel mit denen zur Wohnraumüberwachung oder zum Luftsicherheitsgesetz, nicht einverstanden und versuchen nun, das Bundesverfassungsgericht zu provozieren. Das Motto der eifrigen Unionisten lautet: Durch eine entsprechende Verfassungsänderung möchten wir dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit geben, seine Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. - Anders formuliert: Sie möchten das Bundesverfassungsgericht erziehen, bis es nach ihrem politischen Gusto funktioniert. Wenn jedoch eine Erziehungsmaßnahme erforderlich ist, dann von Frau Merkel für ihren respektlosen und wildgewordenen Minister. ({5}) Gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten sind die Forderungen von Herrn Jung verantwortungslos. Er verlangt ihnen gesetzwidriges Verhalten ab und setzt sie somit unnötig unter Druck. Unsere Soldaten und Soldatinnen machen einen schwierigen und guten Job. Hierfür haben sie jede Unterstützung verdient, nicht aber die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung. ({6}) Und überhaupt: Wie soll denn bitte eine Einsatzstrategie funktionieren, bei der Soldaten ihren Befehl jederzeit verweigern könnten, weil er rechtswidrig ist? Sollen unsere Planungen für den Notfall ernsthaft so aussehen? Unsere Terrorismusbekämpfungsstrategie darf nicht von Aktionismus und von Angst geprägt sein. Wie mein Vorredner Rainer Arnold gesagt hat: Besonnenheit ist besser als jede Scheinlösung. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben Ihren Redebeitrag mit dem Wunsch begründet: ein bisschen weniger Hysterie, ein bisschen mehr Ratio - und das vor dem Hintergrund, dass am Sonntagabend kein Geringerer als Ihr Generalsekretär Niebel vor laufenden Kameras gesagt hat, wenn ein solcher Befehl von Herrn Jung käme, wäre das für ihn Mord. Meine Damen und Herren, Mörder ist, - nach der Legaldefinition des § 211 Abs. 2 StGB ({0}) wer aus Mordlust, zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch ({1}) oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. Glaubt irgendjemand in diesem Haus außer Herrn Niebel und vielleicht noch Herrn Nešković, ({2}) dass sich irgendein Verteidigungsminister von den von mir genannten Mordmerkmalen zu einer Entscheidung leiten lässt, die er in einem Dilemma, in einem Triagefall, in einer ausweglosen Situation treffen muss? ({3}) Meine Damen und Herren, die strafrechtliche Beurteilung dieser Triagefälle ist seit der Entscheidung des „Brett des Karneades“, zurückgehend auf ein philosophisches Gedankengut, mehrmals über Cicero und Kant bis in die Neuzeit entschieden und in allen juristischen Prüfungsaufgaben rauf und runter durchdekliniert worden. Alle kamen zu einem Ergebnis, ungeachtet der dogmatischen Begründung. Heute hat man gehört: übergesetzlicher Notstand, entschuldigender Notstand, rechtfertigender Notstand. - Eines stand jedenfalls fest: Im Ergebnis ist, vor diese Handlungsalternative gestellt, jede Handlung, die hier zwischen Scylla und Charybdis steht, jedenfalls nicht strafbar. Die alten Lateiner haben schon gesagt: Das ist nicht inculpabile, aber impunibile, zwar strafwürdig, aber nicht strafbar. Und weil dieser Weg rechtsdogmatisch so kompliziert ist, ist mit dem Luftsicherheitsgesetz der Versuch unternommen worden - es war ein Anliegen -, nicht den letzten armen Entscheidungsträger ({4}) - ähnlich wie im Falle des SEK-Polizisten beim finalen Rettungsschuss, solange dieser nicht in den Länderpolizeigesetzen geregelt war ({5}) diese Entscheidung treffen zu lassen. Damit wollte der Gesetzgeber eine Regelung treffen. ({6}) Nun hat das Bundesverfassungsgericht in seiner heute mehrmals angesprochenen Entscheidung in der Tat dieses Gesetz auch materiell für nichtig und mit der Verfassung nicht vereinbar gehalten. ({7}) Aber jetzt, Herr Westerwelle, nicht nur mit dem Gesetzbuch wedeln! Ich will Ihnen einmal fast auswendig sagen, was die Richter aus Karlsruhe in der Randnummer 130 ausführen: Dabei ist hier nicht zu entscheiden, wie ein gleichwohl erfolgter Abschuss und die darauf bezogene Anordnung strafrechtlich zu würdigen wären. Klammer auf: mehrere Literaturhinweise. Dieses Obiter Dictum zeigt, ({8}) wie weise die Bundesverfassungsrichter waren. Sie haben geradezu befürchtet, dass sich eine unsägliche Diskussion anschließen wird, und mit der Aufhebung des Luftsicherheitsgesetzes ist der Status quo ante wiederhergestellt. Im Grunde genommen ist die Exekutive wieder in die Grauzone des Strafrechts zurückgeworfen worden, und die Verfassungswidrigkeit lautet nicht - Sie finden dazu keinen einzigen Satz -, dass der Abschuss von Flugzeugen verboten ist, sondern verfassungswidrig ist die vom Gesetzgeber generell abstrakt getroffene Ermächtigungsgrundlage. Der Gesetzgeber soll keine Carte blanche a priori geben können, indem man irgendeinen Fall antizipiert und Maschinen zum Abschuss freigibt. Das gilt übrigens auch bei den anonymen Vaterschaftstests, wo das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, - ({9}) - Jawohl, nur damit Sie es verstehen. - Da hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Die gesetzliche Schaffung einer solchen Grundlage ist verfassungswidrig. Etwas ganz anderes ist, wie der Handelnde später rechtlich zu beurteilen ist. ({10}) - Ich sehe schon: Sie verstehen es nicht. ({11}) Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Grundlage ist nicht gleichbedeutend mit der Rechtswidrigkeit einer späteren Handlung durch die Exekutive. ({12}) Ich will einen letzten Satz sagen, weil ich merke, dass meine juristische Lehrstunde bei Ihnen auf taube Ohren stößt. ({13}) Es sind Worte gefallen wie Mörder, Verfassungsbruch, Sicherheitsrisiko, Brunnenvergifter. Ich bin sicherlich kein Kind von Traurigkeit, auch nicht in meiner sprachlichen Schärfe. ({14}) Aber die politischen Konkurrenten oder gar Gegner von heute könnten die Partner von morgen sein. ({15}) Wenn wir der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, wir würden uns hier gegenseitig als Mörder oder als Brunnenvergifter bezeichnen, ({16}) dann kann ich nur Ihren Appell, Frau LeutheusserSchnarrenberger, wiederholen, aber vor einem ganz anderen Hintergrund: dass wir verbal ein bisschen abrüsten und es uns gegenseitig nicht vorwerfen, wenn wir in einer schwierigen Situation nach gemeinsamen demokratischen Lösungenzu suchen. ({17}) Darum bitte ich Sie alle, meine Damen und Herren in diesem Hause. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der Kollege Jörn Thießen von der SPD-Fraktion das Wort.

Jörn Thießen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003855, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in meinem vorherigen Leben Pastor in Hamburg-Barmbek gewesen. Mir sind manchmal Menschen begegnet, die ihre moralischen Probleme durch starke Sprüche überdecken wollten. In dieser Debatte sind es gelegentlich, Kollege Gehb und Kollege Uhl, auch halbstarke Sprüche gewesen, mit denen manche moralischen Probleme überdeckt worden sind. ({0}) Denn eines bleibt doch klar: Zu Recht sprechen wir in dieser Debatte von Handlungsdruck und von Verantwortung. Sie sprechen von einer Regelungslücke. Es ist eine ernste Debatte, die wir hier führen. Aber wir sollten sie nicht im Focus führen, sondern in den Gremien des Deutschen Bundestages, denn dort gehört sie hin. ({1}) Das Parlament ist der Ort, an dem wir uns mit diesem Thema schon länger beschäftigen und auch weiterhin sine ira et studio beschäftigen sollten. ({2}) Wir haben, Kollege Koppelin, bisher auch im Parlament eine gute Debatte geführt, zu der Sie gelegentlich sogar das eine oder andere Gute beigetragen haben. ({3}) - Wir konkurrieren ja im gleichen Wahlkreis, Herr Dr. Westerwelle. Ich habe 1999 in Piacenza jungen Piloten ins Auge geschaut, die auf dem Wege zu Flugangriffen im Kosovo waren. Ich weiß, was das für eine riesige Verantwortung bedeutet - für den Bundesminister der Verteidigung, für die militärisch Verantwortlichen, für das Parlament. Eines ist dabei uns allen klar: Diese Piloten sitzen am Steuerknüppel; aber an den Hebeln der Politik und der Entscheidung sitzen andere. Auf dem Rücken der Piloten - da sind wir uns doch einig, und da müssen wir eine Lösung finden - dürfen die Probleme nicht ausgetragen werden. Die Piloten müssen geschützt werden. ({4}) Das kann in der Tat ein Luftsicherheitsgesetz tun. Ich habe dem damaligen - da war ich Beamter und habe schweigen sollen, wollen, dürfen und müssen - kritisch gegenübergestanden. Aber die SPD hat zur Änderung des Art. 35 des Grundgesetzes Vorschläge gemacht, die Bundeswehr und Polizei als Amtshilfe miteinander verbinden. Diese Vorschläge sollten wir miteinander bedenken. Sie liegen auf dem Tisch, und dazu ist die SPD bereit. ({5}) Ein solches Luftsicherheitsgesetz kann helfen. Aber wo hilft es nicht? Es löst kein einziges moralisches Dilemma, für wen auch immer. Die sogenannte ganz außerordentliche Extremsituation ist eben ganz außerordentlich und kann niemals in einen ordentlichen Gesetzestext gepresst werden. Nennen Sie mir bitte - diejenigen, die es wollen - eine einzige Formulierung, über die wir diskutieren können! Nennen Sie eine Formulierung, die es uns ermöglicht, aus dem gewollten Dilemma, Leben nicht gegen Leben setzen zu dürfen, herauszukommen! Wir werden diese Formulierung miteinander nicht finden. ({6}) Diese möglichen Situationen müssen ausgehalten werden. Sie müssen von Amtsträgern ausgehalten werden, also auch vom Bundesminister der Verteidigung, der sich im Zweifel schuldig macht, moralisch und juristisch. Danach wird es ein Verfahren geben, und der Amtsträger wird sich verantworten; das ist auch richtig so. Ich rate dazu, in dieser Debatte keine falschen Konflikte zu fördern, auch dazu, die Soldatinnen und Soldaten zu entlasten, aber eines nicht vorzugeben: dass es uns jemals gelingen könnte, das elementare Problem, dass Leben nicht gegen Leben abgewogen werden darf, durch eine Formel zu lösen. Herr Kollege Uhl, Sie sprechen von einem Flugzeug oben und dem Papst auf dem Marienfeld unten. Wer ist denn wertvoller im Angesicht des Staates? - Das kann und darf ich nicht definieren! ({7}) Wer ist wertvoller, wenn ein Kindergarten, ein Jugendlager oder das deutsche Parlament bedroht ist? Eines ist doch klar: Wir wollen das nicht abwägen. Der Bestand unserer demokratischen Grundordnung, um den es im Art. 91 des Grundgesetzes geht, wird durch eine solche furchtbare Katastrophe im Zweifel nicht gefährdet werden - der Bestand unserer demokratischen Grundordnung. Wir brauchen jetzt keine Eilkompetenz für irgendjemanden, sondern sollten die Kompetenz dieses Hauses nutzen. Die SPD hat Vorschläge gemacht, und dazu stehen wir. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. September 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.