Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/13/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege Dirk Becker sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Dr. Rainer Tabillion vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Dr. Rainer Tabillion zum Schriftführer gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({0}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge ({1}) - Drucksache 16/5845 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto ({3}), Christoph Waitz, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klare Konzepte für den Bau des Berliner Schlosses - Drucksache 16/5961 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({4}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 109. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) zur Mitberatung überwiesen werden. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG - Drucksache 16/5846 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- sen. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 2 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 ({7}) - Drucksache 16/6000 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 - Drucksache 16/6001 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache eine Redezeit von insgesamt sieben Stunden vereinbart. Wir beginnen die heutige Beratung mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Einzelplan 11. Als erster Redner hat der Bundesminister Franz Müntefering das Wort. ({8}) Redetext

Franz Müntefering (Minister:in)

Politiker ID: 11001570

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition ist mit ihrer Politik auf einem richtigen Weg; das hat sich auch in den Beratungen dieser Woche gezeigt. Gestern ist das noch einmal so schön plastisch geworden, als ich die Opposition gehört habe. Die Ratlosigkeit, was Alternativen angeht zu dem, was wir als Koalition vorgeschlagen haben, war sehr offensichtlich. Ich glaube, dass gestern Abend in allen Wohnzimmern klar wurde: Deutschland wartet nicht darauf, dass Westerwelle und Lafontaine hier auf die Bühne treten. ({0}) Das muss die Große Koalition schon alleine machen, und wir wollen das auch. Wir wissen um die Verantwortung, die wir tragen. In diesem Bewusstsein haben wir uns in Meseberg darüber abgestimmt, was in den beiden Jahren bis 2009 im Wesentlichen noch zu tun ist. Es geht um die Notwendigkeit, gemeinsam die Ziele zu beschreiben, um den Weg, der zu ihnen führt, zu finden: suchend, auch streitend - wir sollten uns, wo es nötig ist, nicht davon abhalten lassen -, aber auch fähig zu Kompromissen, die konstruktiv sind und in die richtige Richtung führen. Wir haben in Meseberg noch einmal gemeinsam festgestellt: Es geht darum, den Wohlstand in diesem Land dauerhaft auf hohem Niveau zu halten und ihn gerecht zu verteilen; alle sollen etwas davon haben. Das ist das gemeinsame Ziel. Dieses beschreibend, muss man versuchen, den Weg dahin zu finden. Dabei ist für alle im Kabinett, für die Bundesregierung insgesamt, aber auch für die Große Koalition klar, dass das nur gelingen kann, wenn wir Ökonomie, Ökologie und Soziales gleichgewichtig und miteinander abgestimmt zu einer guten Politik harmonisieren. Alle drei Dinge gehören zusammen: Nur wenn wir ökonomisch erfolgreich sind, werden wir die nötigen Grundlagen für ein hohes Niveau im sozialen Bereich haben. Umgekehrt gilt aber auch: Nur wenn wir in diesem Lande im sozialen Bereich Stabilität haben - soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau -, können auch die Ökonomie und die Ökologie funktionieren. ({1}) Diese drei Dinge gehören unvermeidlich zueinander. Vor diesem Hintergrund will ich ein paar Punkte herausgreifen - alles kann ich nicht ansprechen -, über die wir in Meseberg geredet haben, die uns in den nächsten Wochen und Monaten begleiten werden und die etwas mit dem Haushalt zu tun haben, über den wir jetzt beraten. Noch vor dem 1. November 2007 werden wir eine wichtige Entscheidung in Bezug auf die Fachkräfte treffen. In den letzten Wochen und Monaten gab es Meldungen, dass uns Ingenieure - Maschinenbauingenieure und Elektroingenieure - fehlen. Das ist auch offensichtlich so. Es kommen auch in den nächsten Jahren weniger neue, frische Ingenieure von den Fachhochschulen und Universitäten, als in Rente gehen. Wir in Deutschland müssen uns an dieser Stelle umsehen, was wir tun können. Wir haben in Meseberg als Koalition drei Punkte dazu festgelegt: Erstens - zweitens und drittens: die eigene Substanz im Lande nutzen. ({2}) Wir müssen das gesamte Potenzial in diesem Lande nutzen und versuchen, die Arbeit, die es in Deutschland gibt, mit den Menschen zu tun, die legal in Deutschland leben. Sie brauchen Bildung, sie brauchen Ausbildung, und sie brauchen Qualifizierung. Das alles muss sein. ({3}) Darüber müsste man lange sprechen; aber ich will hier das Konzept deutlich machen. Deshalb, der zweite Punkt, der dahinter kommt, heißt: Wir werden eine Kommission, einen Rat, bilden, der sich dauerhaft um die Frage kümmern wird, welche Notwendigkeit bezogen auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes besteht, an qualifizierte Fachkräfte zu kommen. Man wird dann immer auf ein, zwei, drei Jahre im Voraus zu werten haben, wie viele es sein sollten und wie viele es sein könnten und wen man einlädt, zu kommen. Diejenigen, die dann kommen, sind keine Gastarbeiter mehr in dem Sinne, wie das früher gemeint war - jemand kommt und soll nach drei Jahren wieder weg -, sondern das sind Leute, die hier integrierbar sind, integriert werden sollen und sich am Arbeitsmarkt bewegen. Dazu gehört auch, dass sie keinen festen Arbeitsplatz haben müssen, wenn sie kommen. Das ist eine Sache, die wir in diesem und im nächsten Jahr gut vorbereiten müssen. Und was wir jetzt - drittens machen zum 1. November 2007, sind zwei relativ kleine Schritte: zum einen die sektorale Öffnung für Maschinenbau- und Elektroingenieure für die zwölf neuen Länder der EU - diese können schon jetzt kommen, aber es gilt das Prinzip der Nachrangigkeit; ab Anfang November können sie sich gleichrangig auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewegen -; zum anderen können sich die ausländischen Studenten nach Abschluss ihres Studiums ein Jahr lang bemühen, eine Arbeit zu finden, um dann hier in Deutschland in ihrem Beruf zu arbeiten. Dazu hat Herr Westerwelle in Halbkenntnis der Zusammenhänge, wie das manchmal so ist, gesagt, wir hätten das auf drei Jahre beschränkt. Das ist falsch. Schon heute können sich Studenten in dem Bereich, in dem sie studiert haben, für drei Jahre einen Job suchen. Sie sind dann aber nachrangig am Arbeitsmarkt. Das wird jetzt geändert; die Nachrangigkeit fällt weg, und sie können gleichrangig hier im Lande bleiben und arbeiten. Herr Westerwelle hat auch gesagt, wir würden die Intelligenz aus dem Land treiben. Ich habe das als Ankündigung verstanden, dass er auf absehbare Zeit nicht mehr ins Ausland fährt. ({4}) Jedenfalls sollten Sie sich den Zusammenhang einmal ein bisschen genauer angucken. ({5}) - Bleiben Sie gelassen! ({6}) - Sagen Sie es lauter, dann können das alle hören. - Die Regelungen zu den Fachkräften werden wir also zum 1. November 2007 treffen. Wir werden in der nächsten Woche damit beginnen, den Mindestlohn im Postbereich zu realisieren. Dann haben die Tarifparteien gestern den entsprechenden Antrag gestellt. Damit ist das erfüllt, was wir gemeinsam vereinbart haben. Wir in der Bundesregierung möchten, dass noch im Verlauf dieses Jahres für alle Postdienste Mindestlöhne zustande kommen. ({7}) Das werden wir im Kabinett und danach sicherlich auch in den Fraktionen und im Bundestag zu beraten haben. ({8}) Dann kommt im November, Dezember die Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu den Dingen, die die Tarifparteien miteinander vereinbart haben. Wir werden in diesem Herbst das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz so weiterentwickeln, wie wir das vereinbart haben, und werden dann im nächsten Jahr Branchen einladen, in Sachen Mindestlohn ihr Interesse anzumelden, um dann auch aufgenommen zu werden. Im Augenblick sprechen die verschiedenen Ministerien, die davon betroffen sind, über die Idee eines Erwerbstätigenzuschusses verbunden mit einer entsprechenden Kinderkomponente. Das heißt, wir wollen versuchen, dass Menschen, die vollzeit- oder vollzeitnah beschäftigt sind, die aber mit ihrem Einkommen trotzdem angewiesen sind auf zusätzliches Arbeitslosengeld II, Aufstocker, außerhalb des Arbeitslosengeldes II verbleiben und deshalb auch nicht den Regeln des Arbeitslosengeldes II unterliegen müssen. ({9}) Das ist die Idee des Kinderzuschlags, die seinerzeit entwickelt worden ist. Die wollen wir weiter ausbauen. Und wir wollen das verbinden zu einem Erwerbstätigenzuschuss für alle, die in dieser entsprechenden Größenordnung betroffen sind, und diese dann in die Idee des Erwerbstätigenzuschusses aufnehmen. ({10}) - Von Herrn Kampeter kommt gerade der Einwurf, dass wir darüber noch reden müssen. Das ist richtig. Das ist so. Aber das ist das, was ich vorhin beschrieben habe. Wenn man gemeinsam Ziele vereinbart, dann muss man den Weg dahin suchen, wenn nötig, auch streitig. Ich gehe dem ja nicht aus dem Weg. Aber es ist ein vernünftiger Gedanke, dass man Menschen, die in diesem Grenzbereich sind - die voll arbeiten, aber nicht genug Geld verdienen -, dass man die stabilisiert jenseits der Hilfebedürftigkeit von Arbeitslosengeld II. Das ist ein vernünftiger Gedanke, der bei Ihnen im Kinderzuschlag ja auch mitgetragen ist. Wir sollten versuchen, gemeinsam daraus etwas Gutes zu machen. ({11}) Wir werden im November dieses Jahres über die Frage zu sprechen haben, ob die Anpassungsmechanismen bei den Eckregelsätzen für Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II noch stimmen oder ob man da etwas verändern muss. Da gibt es ja Ankündigungen von Preiserhöhungen. Auf dieser Grundlage haben wir eine Überprüfung ausgelöst: Stimmt das eigentlich noch von der Höhe her? Das werden wir dann wissen, und dann werden wir darüber zu sprechen haben, wie man an dieser Stelle Armut einschließlich Kinderarmut bekämpfen kann. Ich glaube, dass vor allem vier Dinge wichtig sind, wenn man Armut bekämpfen will: Erstens: Arbeit schafften, den Menschen Arbeit geben und sie fair bezahlen; ein ordentlicher Lohn! Das Zweite: Die Eckregelsätze und die Anpassungsmechanismen müssen stimmen. Das Dritte ist dieser Erwerbstätigenzuschuss, den ich eben beschrieben habe. Und das Vierte ist die Frage, ob man für die Kinder nicht weitere konkrete Hilfen über das Maß hinaus erreichen kann, das es bereits heute gibt. Viele Länder und Kommunen sind dabei, auf diesem Gebiet Gutes zu tun. Aber wir müssten einmal sehen, ob man das nicht weiter systematisieren kann. Wenn wir zu dem Ergebnis kämen, wir müssten die Eckregelsätze für Kinder erhöhen, um 10 Euro bei den unter 14-, unter 15-jährigen, dann müssten wir dafür etwa 500 Millionen Euro einsetzen. Die Frage ist, wenn wir diese 10 Euro pro Kind zusätzlich an die Bedarfsgemeinschaften geben: Kommt das bei den Kindern so an, dass die Kinder wirklich das haben, was sie eigentlich haben müssten? Deshalb müssen wir die konkrete Umsetzung - preisgünstig in Ganztagseinrichtungen gehen zu können, sei es Krippe, Kita oder Schule, preisgünstig gesund essen zu können, vernünftig eingerichtet zu sein, wenn man in die Schule kommt - mit einbeziehen in die Überlegung, wie man Kinderarmut bekämpfen kann. Da werden wir in diesem Herbst dran sein und hoffentlich zu guten gemeinsamen Entscheidungen kommen. ({12}) Wir werden Anfang nächsten Jahres ein Konzept zur Humanisierung der Arbeitswelt vorlegen. Da geht es um die Frage, wie wir altengerechte und altersgerechte Arbeit möglich machen - Initiative 50 plus hin auf dem Weg zum Renteneintrittsalter 67. Dazu gehört die Frage, die wir uns alle stellen müssen: Was kann man tun, damit die Menschen leistungsfähig älter werden, und was kann man für die Humanisierung der Arbeitswelt tun? Wir haben es in Deutschland erreicht, die Anzahl der schweren Unfälle deutlich zu reduzieren. Da liegen wir europaweit ganz weit vorn. Aber es ergeben sich neue Krankheitsbilder, die man anders angehen muss - Rücken, Augen, Haut, Psyche. Das sind Dinge, die man schwerer präventiv aufhalten kann als manche großen und schweren Unfälle, mit denen wir früher zu tun gehabt haben. Man kann Maschinen sehr sicher machen. Aber die Menschen immun zu machen gegen Erkrankungen der Augen, des Rückens und der Psyche - das ist schon etwas, das neue Herausforderungen mit sich bringt. Wir müssen da Lösungen finden. Wir werden Anfang nächsten Jahres eine ausführliche Diskussion darüber führen müssen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit am Tisch. Wir werden Anfang nächsten Jahres in der Koalition auch etwas entscheiden müssen zum Bereich Zeitarbeit. Außer dass Zeitarbeit-Arbeitgeber und -Arbeitnehmer auch gerne in die Mindestlohnregelung möchten, müssen wir prüfen - das ist auch Aufgabe von Meseberg -, dass die Ausbauchungen, die im Zeitarbeitsbereich stattfinden, in eine vernünftige Bahn gelenkt werden. Zeitarbeit ist inzwischen eine solide Branche geworden. Das wollen wir auch so. Wo aber Zeitarbeit zur Dauerarbeit wird, und zwar mit künstlich herbeigeführten niedrigen Löhnen, ist das nicht im Sinne der Erfinder. Wir müssen alle miteinander darüber sprechen, was man da verändern kann. ({13}) Außer über die soziale Situation in Deutschland haben wir in Meseberg auch darüber gesprochen, was weltweit stattfindet. Der Anspruch, der sich mit der europäischen Präsidentschaft und der G-8-Präsidentschaft verbindet, ist: dass wir ILO-Standards für menschengerechte Arbeit in der Welt unterstützen und versuchen, das umzusetzen; dass wir Mindeststandards geben, was die Lebensverhältnisse der Menschen in der Welt angeht. Das ist nicht nur soziales Denken, das ist auch eines, das vorbeugend ist für Konflikte und Kriege auf der Welt. Wir fühlen uns mitverantwortlich dafür, dass wir diese Standards nicht nur bei uns im Lande, sondern - entsprechend deren Entwicklung - in den Ländern weltweit forcieren. Dass es Kinder- und Sklavenarbeit nicht geben darf, darin werden wir uns alle einig sein; dass es sie tatsächlich gibt, ist aber leider eine Wahrheit. Deshalb müssen wir in diesem, aber auch in anderen Punkten dazu beitragen, dass wir die Standards in der Welt so verändern, dass die Menschen menschenwürdig arbeiten können. ({14}) Wir haben zum 1. Januar des nächsten Jahres den Start in das persönliche Budget für behinderte Menschen. Das ist eine Herausforderung, weil Deutschland das bisher nicht kannte. Das ist eine Sache, die in den skandinavischen Ländern üblich ist. Behinderte Menschen werden sehr viel mehr als bisher das Geld, das wir als Sozialtransfers für sie ausgeben, zur eigenen Entscheidung bekommen. Sie werden entscheiden können, was sie damit machen. ({15}) Es wird nicht leicht sein, das zu organisieren; es ist aber ein richtiger Schritt. Wir müssen ihn begleiten und dafür werben. Wir müssen dafür sorgen, dass das gelingt. Behinderte Menschen müssen in größtmöglichem Maße souverän über das Geld, das ihnen zur Verfügung steht, entscheiden können. Das wollen wir erreichen. Das Bewusstsein dafür wollen wir stärken. Da wollen wir im nächsten Jahr eine ordentliche Bewegung haben. ({16}) Ein letztes Wort zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und zur Vorbeugung. Wir haben in meinem Haus - wenig besprochen, aber wirkungsvoll, meine ich - ein Programm laufen, das unter der Überschrift „Xenos“ sich an junge Menschen richtet, an Kinder aus Migrationssituationen, aber auch an andere, in besonderer Weise an Kinder in Hauptschulen und Sonderschulen. Wir versuchen, sie gegen Rechtstendenzen zu immunisieren und sie für die Demokratie zu gewinnen, vor allen Dingen aber ihnen eine eigene Lebensperspektive zu bieten. Diese Sache bleibt eine gemeinsame, die, so glaube ich, für alle in diesem Hause von großer Bedeutung ist. Wir müssen den jungen Menschen die Botschaft vermitteln: Ihr habt die Chance. Wir wollen, dass ihr eine Chance habt. Wir sorgen dafür. Wir helfen euch. Wir fördern euch. Wir fordern euch heraus. Wir helfen alle miteinander, damit die Rechtsextremisten in diesem Land keine Chance mehr haben. ({17}) Einige wichtige Aufgaben, die sich mit dem Haushalt „Arbeit und Soziales“ befassen! Das andere werden wir im Ausschuss noch einmal sicher mit größerer Intensität beraten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Minister, die positiven Zahlen, in denen Sie sich zurzeit sonnen, sind leider nicht Ihr Verdienst. Vielmehr bringt die boomende Weltkonjunktur jetzt endlich auch den deutschen Arbeitsmarkt in Schwung. Ihre Aufgabe wäre es nun, diese Entwicklung nach Kräften zu fördern, indem Sie beispielsweise die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes vorantreiben. Bei dieser Aufgabe versagen Sie jedoch völlig. ({0}) Sie tun vielmehr alles, um diese positive Entwicklung zu stoppen. Sie ziehen durch die Lande und reiten Ihr Steckenpferd Mindestlohn. Der Mindestlohn ist für Sie zum Allheilmittel geworden. Sogar Ihre Haushaltsprobleme meinen Sie mit diesem populistischen Wahlkampfschlager lösen zu können. Mit einem Mindestlohn können Sie Ihren Haushalt aber nicht entlasten, Herr Minister; ({1}) im Gegenteil: Mit einem Mindestlohn zerstören Sie die Arbeitsplätze, die es den Menschen jetzt erlauben, wenigstens einen Teil ihres Lebensunterhalts selbst zu verdienen. ({2}) Aus Sicht des Haushalts wäre der Mindestlohn also eher mit Mehrkosten als mit Einspareffekten verbunden. Das beste Mittel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist eine Senkung der Lohnnebenkosten. Dafür tut die Regierung aber zu wenig. Die von Ihnen auf den Weg gebrachte Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung ist längst überfällig. Eine Senkung auf 3,9 Prozent ist allerdings nur ein Trippelschritt. Eine Senkung auf 3,5 Prozent wäre ohne Weiteres sofort möglich. ({3}) Die Beitragsgelder müssen denen zurückgegeben werden, die sie gezahlt haben. Stattdessen planen Sie weiterhin eine Umleitung von Beitragsgeldern aus der Arbeitslosenversicherung in den Bundeshaushalt. So wie es der Haushaltsentwurf jetzt vorsieht, bereichert sich der Arbeitsminister mit 5,5 Milliarden Euro aus den Taschen der Beitragszahler. ({4}) Er verzichtet zwar endlich auf den jetzt auf 2 Milliarden Euro geschrumpften verfassungswidrigen Aussteuerungsbetrag, will aber nun stattdessen von der Bundesagentur einen Eingliederungsbeitrag in Höhe von 5 Milliarden Euro kassieren. ({5}) Im Entwurf versteckt er dann noch eine weitere halbe Milliarde Euro, um die er seinen Haushalt auf Kosten der Bundesagentur entlasten will. Unsere klare Forderung lautet: Beitragssenkung statt Beitragsklau. Die Überschüsse der Bundesagentur gehören den Beitragszahlern. Lassen Sie endlich die Finger davon, Herr Minister! ({6}) Eine weitere massive Schwäche Ihrer Arbeitsmarktpolitik ist der ungebremste Wildwuchs von Maßnahmen. Die Regierung ist nicht fähig, diesen Wildwuchs zu begrenzen; im Gegenteil: Jobperspektive, Qualifizierungskombi, Erwerbstätigenzuschuss, Ausbildungsbonus, Einstiegsqualifizierung, Beschäftigungspakte und was es nicht noch alles an Plänen und Beschlüssen gibt. In Ihrer Koalitionsvereinbarung hatten Sie sich etwas ganz anderes vorgenommen: Sie wollten die Instrumente der Arbeitsförderung durchforsten und unwirksame Maßnahmen abschaffen. ({7}) Nichts davon ist geschehen. Im Gegenteil: Immer neue Programme werden aufgelegt. In Meseberg haben Sie sich nun wieder vorgenommen, die Instrumente zu straffen. Wer soll Ihnen das jetzt eigentlich noch glauben? Die von der Regierung selbst in Auftrag gegebene Überprüfung der Wirksamkeit hat für den größten Teil der Arbeitsmarktinstrumente verheerende Ergebnisse gebracht. ({8}) Es ist geradezu fahrlässig, dass Sie daraus bisher überhaupt keine Konsequenzen gezogen haben. ({9}) Vor kurzem berichtete die FAZ über eine neue Studie der Universität St. Gallen über den Erfolg der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. Das traurige Ergebnis lautet - ich zitiere -: Es wurde „keine Arbeitsmarktmaßnahme gefunden … die positive Effekte hatte, dafür aber eine Menge von Maßnahmen, die Arbeitslosigkeit eher verfestigen.“ Herr Minister, eine schlechtere Bewertung Ihrer Maßnahmen ist wohl kaum möglich. ({10}) Zwei Jahre lang hat die Koalition hier nichts bewirkt. Packen Sie diese Aufgabe endlich an! Statt solide Arbeit zu leisten, betreiben Sie Volksverdummung. Ich meine damit die Debatte über die sogenannten Aufstocker. Diese Menschen bekommen Ihrer Meinung nach nur deswegen ergänzend Arbeitslosengeld II, weil es in Deutschland keinen allgemeinen Mindestlohn gibt. Ich finde diese Debatte unglaublich. ({11}) Dies betrifft vor allem die Beliebigkeit, mit der Zahlen verdreht werden. Angeblich geht es um 1,3 Millionen Beschäftigte, die neben ihrem Einkommen Hartz IV beziehen. Alle Minijobber sind da eingerechnet. Diese Zahl beweist also überhaupt nichts. Es gibt auch eine Zahl der Bundesagentur für Arbeit. Sie spricht in ihrem jüngsten Monatsbericht von 502 000 Aufstockern, also Arbeitslosengeld-II-Beziehern mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Aber sozialversicherungspflichtig ist auch eine Teilzeitarbeit mit einem Verdienst von 401 Euro. Je nach Familiensituation bleibt da Bedarf nach ergänzender Unterstützung. Auch diese Zahl kann Ihre Argumentation also nicht stützen. ({12}) Stützen könnte sich diese Debatte - wenn überhaupt nur auf die Zahl der vollzeitbeschäftigten Alleinstehenden, ({13}) die von ihrem Lohn den Lebensunterhalt nicht bestreiten können und deshalb zusätzlich Hartz IV beziehen. Wissen Sie was? Das sind 47 000 Menschen. Ich finde es wichtig, hier einmal die Dimension klarzumachen, die Herrn Müntefering veranlasst, für einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn zu kämpfen. ({14}) Es geht in dieser Debatte über die Aufstocker nicht um 1,3 Millionen oder 502 000, es geht um 47 000 Arbeitnehmer. Hierbei handelt es sich vielfach um Menschen, die mit besonderen Problemen zu kämpfen haben, weil sie beispielsweise keine Berufsausbildung haben. Ihnen ist mit einem Mindestlohn nicht geholfen, wenn sie als Konsequenz ihren Arbeitsplatz verlieren. ({15}) Herr Minister, Ihre Argumentation, was die Aufstocker angeht, ist einfach falsch. Wenn Menschen, die bisher gar nicht gearbeitet haben, eine Teilzeitarbeit aufnehmen, dann erhöht sich selbstverständlich die Zahl derer, die teilunterstützt werden, also die der Aufstocker. Das bedeutet aber zugleich, dass mehr Menschen zumindest einen Teil ihres Lebensunterhalts selbst verdienen. Diese Entwicklung würgen Sie mit Ihrem Mindestlohn ab. Der Entwurf des Haushalts des Arbeitsministeriums für das Jahr 2008 enthält, wie üblich, erhebliche Risiken. In der Debatte über den Haushalt 2007 haben Sie, Herr Minister, hier gestanden und versprochen: Wir kommen 2007 mit dem Geld für Hartz IV aus. - Ihre Versprechungen waren falsch. Sie hätten es schon damals besser wissen müssen. ({16}) Trotzdem setzen Sie diesen Posten im Haushalt für das Jahr 2008 wieder unsolide an. Knapp 23 Milliarden Euro werden in diesem Jahr voraussichtlich gebraucht; das sind ungefähr 1,5 Milliarden Euro mehr als im Haushalt 2007 vorgesehen. Im Haushaltsentwurf für 2008 sind trotz dieser Entwicklung nur 21 Milliarden Euro veranschlagt. Die Lücke ist wieder absehbar. Meine Damen und Herren, im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses zum Haushalt hat der Finanzminister geklagt, er sei „umzingelt“ von Ausgabewünschen. Sie als Arbeitsminister machen bei diesem gefährlichen Spiel in vorderster Linie mit. Erwerbstätigenzuschuss, Kommunalkombi und Hartz-IV-Erhöhung: ({17}) Ideen zum Geldausgeben haben Sie reichlich. Das ist sozialdemokratische Verteilungspolitik. Solide Politik ist es jedenfalls nicht. Danke. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ilse Falk von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute den Einzelplan des Bundeshaushalts, angesichts dessen Volumen jeder zusammenzuckt: Der Betrag von 129,5 Milliarden Euro ist nicht nur eine gewaltige Summe - 45 Prozent des Gesamtetats -, sondern er macht auch deutlich, dass sowohl unser Sozialsystem als auch der Arbeitsmarkt nach wie vor großer Unterstützung bedürfen. Wir alle sind natürlich über die deutlich gesunkenen Arbeitslosenzahlen froh. Wir freuen uns über jeden der fast 1 Million Menschen, die wieder oder überhaupt zum ersten Mal eine Arbeit gefunden haben. Beschäftigung bietet den Menschen nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern stärkt auch das Selbstwertgefühl und gibt dem Leben einen Sinn. ({0}) Gut ist, dass allmählich Bewegung in die Bereiche kommt, die uns besonders große Sorgen bereiten. So war allein in den letzten zwölf Monaten ein Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 666 000 Personen zu verzeichnen, unter denen 100 000 Jugendliche unter 25 Jahren und 100 000 ältere Arbeitnehmer über 55 Jahren waren. Das bedeutet, dass sich die Perspektiven für Jung und Alt gleichermaßen verbessert haben. Hinzu kommt, dass es 355 000 Langzeitarbeitslose weniger gibt als vor einem Jahr. Das heißt, der Aufschwung erreicht auch die Sockelarbeitslosigkeit. ({1}) Außerdem ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zur Situation vor einem Jahr um 526 000 gestiegen. Es sind also neue reguläre Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Dadurch fließt wieder mehr Geld in die Sozialkassen, was zu deren Stabilisierung führt. Die Zahl der Erwerbstätigen erreicht mit 39,79 Millionen ein Rekordniveau. So hoch war diese Zahl seit der Wiedervereinigung noch nie. Mit dem Dreiklang „Investieren, Sanieren, Reformieren“ haben wir frühzeitig massive Wachstumsimpulse gesetzt und zukunftsorientierte Investitionen in Forschung, Entwicklung und Bildung getätigt. Das zahlt sich jetzt aus. Wir haben auch unpopuläre, angesichts der demografischen Entwicklung aber notwendige Reformen auf den Weg gebracht, zum Beispiel die ab 2012 beginnende schrittweise Anhebung der Rentenregelaltersgrenze um zwei Jahre, die Rente mit 67. Angesichts eines Bundeszuschusses zur Rentenkasse in Höhe von 78,6 Milliarden Euro und immer längerer Rentenbezugszeiten wäre es unverantwortlich gegenüber der jungen Generation gewesen, hier nicht zu handeln. Das allein reicht aber noch nicht aus, um Sicherheit im Alter zu garantieren. Deshalb ist es unbedingt notwendig, weiterhin Anreize zur betrieblichen und privaten Altersvorsorge zu bieten bzw. weitere Anreize zu schaffen. So wollen wir zum Beispiel die Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung beibehalten sowie Verbesserungen bei der Unverfallbarkeit von Anwartschaften durch das Betriebsrenten-Förderungsgesetz erreichen. ({2}) Im Hinblick auf die private Altersvorsorge ist die vereinbarte Erhöhung der Kinderzulage bei der RiesterRente ab 1. Januar 2008 von 138 Euro auf 185 Euro bzw. auf 300 Euro für nach dem 1. Januar 2008 geborene Kinder ein wichtiger Baustein. Insgesamt haben wir die Lebensbedingungen in Deutschland mit einer Fülle von Maßnahmen verlässlich und nachhaltig verbessert. Jetzt gilt es, dies weiter zu verstetigen, neue Impulse für fortdauerndes Wachstum zu geben und die spürbare Teilhabe möglichst aller Menschen daran zu ermöglichen. Das Ziel muss bleiben, möglichst jeden Menschen in Arbeit zu bringen. Auch 3,7 Millionen Arbeitslose sind noch entschieden zu viele. Die Politik kann keine Arbeitsplätze schaffen - das ist eine Binsenweisheit -, aber sie kann die Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Beschäftigung verbessern. Dazu gehört die weitere Senkung der Lohnnebenkosten. Dies ist im Rahmen unseres Einzelplanes, des Einzelplanes 11, durch die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung möglich. Es ist der Union ein dringendes Anliegen, den Beitrag über das schon fest vereinbarte Ziel von 3,9 Prozent hinaus um weitere 0,4 Prozentpunkte auf 3,5 Prozent zu senken. ({3}) Angesichts der von der Bundesagentur für Arbeit vorgelegten Zahlen sollte dies machbar sein und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft weiter stärken. Neue Beschäftigungsimpulse können außerdem von steuerlichen Anreizen zur Stärkung der Rolle privater Haushalte als Arbeitgeber ausgehen. Wer einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz schafft, sollte dies zu den gleichen Bedingungen können, wie sie für jeden Betrieb gelten. Davon profitieren die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber und nicht zuletzt der Staat, weil wir Licht in das Dunkel der Schwarzarbeit im privaten Sektor bringen könnten. Wir müssen den Aufschwung nutzen, um insbesondere sogenannte Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. Angesichts von weit über 1 Million offenen Stellen frage ich Sie: Wann, wenn nicht jetzt, soll dies gelingen? ({4}) Wir haben deshalb beschlossen, die Förderung bestimmter Personengruppen zu verstärken. Dazu gehört der Kombilohn zur Verbesserung der Beschäftigungschancen für Menschen unter 25 Jahren. Ferner gehört das auf die Jugend abzielende Konzept Jugend, Ausbildung und Arbeit der Bundesregierung dazu, das noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll. Auch Langzeitarbeitslose mit multiplen, besonders schweren Vermittlungshemmnissen sollen mit einer intensiven persönlichen Betreuung schrittweise wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Dafür ist ebenfalls ein Kombilohn beschlossen worden. Das alles kostet viel Geld, aber wir sind überzeugt, dass es gute und wichtige Investitionen in Lebenschancen für junge und schwer vermittelbare Menschen sind. Das rechnet sich letztlich auch für den Staat. ({5}) Ein wichtiges Thema, das uns beschäftigen muss, ist die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt. Diesbezüglich gibt es noch erhebliche Barrieren, ({6}) nicht nur in Bezug auf die Bereitschaft zur Anstellung dieser Menschen, sondern auch hinsichtlich der Gesetzeslage. Des Weiteren muss es uns gelingen, die Potenziale älterer Menschen - insbesondere angesichts des eben angesprochenen Fachkräftebedarfs - stärker auszuschöpfen. Die Initiative 50 plus ist inzwischen auf Erfolgskurs und gibt älteren Arbeitssuchenden neuen Lebensmut. In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass es uns besonders wichtig ist, jegliche Frühverrentungsanreize vonseiten des Staates schnellstmöglich abzuschaffen. Wir können angesichts der demografischen Entwicklung überhaupt nicht auf die Erfahrung bewährter Arbeitskräfte verzichten. Auch die großen Potenziale von Frauen auf dem Arbeitsmarkt könnten noch stärker genutzt werden. Inzwischen erreichen Frauen vergleichbare oder bessere Bildungsabschlüsse als Männer und möchten in ihrem Beruf arbeiten und gleichzeitig eine Familie haben. Mithilfe des Elterngeldes und des in Angriff genommenen weiteren Ausbaus der Kinderbetreuungsmöglichkeiten schafft die Bundesregierung erstmals echte Wahlfreiheit. Dabei ist mir eines wichtig: Frauen und Männer, die Beruf und Familie vereinbaren möchten, sollen dies können, ohne dass diejenigen, die sich vorübergehend oder dauerhaft ausschließlich ihrer Familie widmen möchten, diskriminiert werden. Wir haben hohe Achtung vor ihrem Engagement und sind uns ihrer Leistung wohlbewusst. In dieser Diskussion wünsche ich uns allen deutlich mehr Gelassenheit. ({7}) Generell sind noch stärkere Bemühungen bei der Aktivierung und Integration der in den Bereich des SGB II fallenden Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt nötig. Hier geht es vor allem um eine Verbesserung der Betreuung in den Jobcentern. Wir hören immer wieder Klagen über mangelnde Leistungsfähigkeit der neuen Behörde, über unfähige Mitarbeiter. Die mag es geben. Aber erstens zeigen uns neueste Umfragen, dass sich die Bewertung deutlich bessert, und zweitens darf man nicht vergessen, welch gewaltigen Umstrukturierungsprozess die Arbeitsverwaltung hinter sich hat und was den Mitarbeitern auf diesem Weg zum Teil zugemutet wurde. Deshalb will ich an dieser Stelle ausdrücklich denjenigen danken, die unter oft schwierigen, nicht unbedingt vergnügungsteuerpflichtigen Bedingungen hervorragende Arbeit leisten. ({8}) Wir könnten ihnen sicher helfen, wenn wir den Wildwuchs von Maßnahmen konsequent lichteten und ihnen mehr Entscheidungskompetenz zutrauten. Die Union fordert daher seit langem eine ehrliche Evaluation des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums im Hinblick auf Wirksamkeit und Kosten. Wir brauchen hier mehr Transparenz und eine Bündelung der erfolgreichen Instrumente für eine zielgenauere Handhabbarkeit. Maximal zehn Instrumente sollten eine ausreichende Grundlage sein. Das Ministerium und die Bundesagentur arbeiten daran. Wir hoffen, bald zu guten Ergebnissen zu kommen. ({9}) Neben dem Aspekt des Förderns, der wichtig ist, darf das Fordern nicht in den Hintergrund geraten. Es muss das Ziel bleiben, jedem Menschen zu ermöglichen, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu bestreiten. Deshalb ist es wichtig, dass bei den Arbeitsvermittlern vor Ort der Gleichklang von Fordern und Fördern - beides - konsequent umgesetzt wird, bei offensichtlicher Arbeitsverweigerung notfalls auch mit Druck. In den Fällen, in denen deutlich wird, dass angebotene Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden, muss gehandelt werden. Der Kombination aus optimierter Arbeitszeit und staatlichem Zuschuss bei gleichzeitiger maximaler Freizeit für illegale Zusatztätigkeiten müssen wir ein Ende bereiten. Wir brauchen deshalb Anreize für Vollzeittätigkeit, unter anderem durch veränderte Hinzuverdienstregelungen, wie von der Union bereits seit geraumer Zeit gefordert. Gleichzeitig müssen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung durch Kontrollen konsequenter verhindert und bekämpft werden. Eine angemessene Versorgung derer, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, muss selbstverständlich sein. Oberste Priorität haben für uns aber die Verbesserung der Beschäftigungschancen und Teilhabe für alle Menschen. Deshalb muss unser wichtigstes Ziel sein - sowohl aus der Sicht der Betroffenen als auch aus der Sicht der Solidargemeinschaft -, möglichst viele Menschen aus dem Bezug staatlicher Transfers und somit aus finanzieller und gedanklicher Abhängigkeit herauszuholen. Wir können und wollen nicht zulassen, dass es regelrechte Sozialhilfekarrieren über mehrere Generationen gibt. ({10}) Auch das ist eine Frage der Menschenwürde. Dafür müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Wirtschaft und Politik ihre Kräfte bündeln zum Wohle unseres Landes und der Menschen, die hier leben. Für den Einzelnen bedeutet Beschäftigung Sicherheit und Lebensperspektive. Für den Staat bedeutet Beschäftigung Wachstum und finanzielle Spielräume für diejenigen, die der Hilfe bedürfen. Immer aber sollten soziale Leistungen als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden und unbegrenzt nur denen vorbehalten bleiben, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Danke für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde schon gesagt: Der Arbeitsminister verfügt über fast die Hälfte des Bundeshaushaltes. Selbst wenn man die Zuschüsse zu den Rentenkassen abzieht, sind es immer noch etwa 45 Milliarden Euro, die Herr Müntefering nächstes Jahr verteilen kann. Die SPD verweist gerne auf diese riesige Summe, um zu zeigen, wie sozial ihre Haushaltspolitik sei. Doch das ist sie nicht. Im Gegenteil: Es ist wirklich erschreckend, wie wenig Positives dieses viele Geld auf dem Arbeitsmarkt bewirkt. Ich würde sogar weitergehen: Der Arbeitsminister richtet mit den Steuergeldern mehr Schaden als Nutzen an. ({0}) Das liegt an der falschen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der alten und der jetzigen Bundesregierung. Die Agenda 2010 macht den Arbeitsmarkt kaputt und hat eine verheerende Spirale des Lohndumpings ausgelöst, die zu menschenunwürdigen Bedingungen geführt hat. ({1}) Jeder von uns - auch die Kollegen auf der rechten Seite des Hauses - kennt Unternehmen, die sozialversicheDr. Gesine Lötzsch rungspflichtige Arbeitsplätze in Minijobs zerstückelt haben. Jeder von uns kennt Unternehmen, die Leiharbeiter zu Hungerlöhnen beschäftigen und ihren Mitarbeitern so wenig zahlen, dass sie ihren Lohn durch das Sozialamt aufstocken lassen müssen. ({2}) Das ist nicht hinnehmbar. ({3}) Das Politikmagazin Fakt berichtete über folgenden Vorfall: Ein Maurer, der 43 Jahre Berufserfahrung hat und gerade zwei Monate arbeitslos war, wurde von der Arbeitsagentur zu einer Trainingsmaßnahme zur Eignungsfeststellung bestellt. Der Maurer durfte dort - ohne einen Cent verdient zu haben - 14 Tage schuften. Dann wurde er gefeuert. Das ist eine unerträgliche Situation. ({4}) Die Politik der Agenda 2010 hat aus Arbeitnehmern Freiwild für skrupellose Unternehmen gemacht. Diesen Machenschaften muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Hier müssen Sie handeln, Herr Müntefering. ({5}) Mein persönlicher Wahlslogan 2005 lautete: „Von Arbeit muss man leben können“. Man wirft uns gerne vor, wir seien populistisch. ({6}) Doch was ist an dieser Forderung populistisch? Eigentlich müsste jeder Politiker - dazu zählen wir alle in diesem Saal -, der für die sorgsame Verwendung von Steuergeldern Verantwortung trägt, mir zustimmen, dass diese Forderung nicht nur human, sondern auch haushaltspolitisch zwingend ist. ({7}) Wenn es so weitergeht, dass Unternehmen ihre Lohnkosten senken und ihre Beschäftigten zum Sozialamt schicken, dann geht dieser Staat irgendwann Bankrott. ({8}) Immer mehr Menschen müssen zum Sozialamt gehen und Zuschüsse beantragen, weil ihr Lohn ihnen kein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Ihre Arbeitsmarktpolitik ruiniert die Menschen und die Staatsfinanzen. ({9}) Das beste Mittel, um die Selbstbedienungsmentalität der Unternehmen zu stoppen, ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes, und zwar nicht nur für einzelne Branchen, sondern flächendeckend ohne Ausnahme, auch wenn es der rechten Seite des Hauses nicht gefällt. Bei dieser Forderung geht es nicht nur darum, die Armut zu bekämpfen, sondern der Mindestlohn verhindert auch, dass die Unternehmen von Mitnahmeeffekten profitieren. Es ist zynisch, wenn immer wieder behauptet wird, dass Mindestlöhne den Arbeitsmarkt kaputt machen, wie es von der rechten Seite des Hauses gerne getan wird. ({10}) Im Gegenteil: Der Arbeitsmarkt geht kaputt, weil viele Unternehmen keine Mindestlöhne zahlen. Jeder, der gegen Mindestlöhne ist, sollte sich einmal in Europa umschauen - interessanterweise gab es bei den vorhergehenden Redebeiträgen entsprechende Zurufe aus den Reihen der SPD -: In allen 20 Mitgliedstaaten der EU, in denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, wurden die Mindestlöhne in diesem Jahr sogar erhöht. Daran sollten wir uns orientieren. ({11}) Ich habe bisher noch nicht gehört, dass die Länder, in denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, den Notstand ausgerufen hätten. Ich habe nicht genügend Zeit, um alle Details des Arbeitshaushaltes zu behandeln. Das ist aber auch nicht nötig. Ich habe nur das Beispiel Mindestlohn herausgenommen, um zu zeigen, wo der Systemfehler in der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung liegt. Am Beispiel des Mindestlohnes, verehrter Kollege Steinbrück, kann man auch Ihre Vorwürfe an uns Linke entkräften, dass wir immer nur mehr Geld ausgeben wollten. ({12}) Denn der Mindestlohn kostet den Staat keinen Cent. Im Gegenteil: Er bringt sogar Geld in die Kassen. ({13}) Ich denke, auch Sie können das nachrechnen. ({14}) Herr Kollege Müntefering, Sie haben öffentlich erklärt, dass die zweite Hälfte der Legislaturperiode sozialdemokratisch werden soll. Beweisen Sie es doch wenigstens in dieser Frage und setzen Sie den gesetzlichen Mindestlohn durch, und zwar nicht nur für einzelne Branchen, sondern für alle! ({15}) Dann tun Sie etwas Gutes, und dafür werden Sie unsere Unterstützung bekommen, aber nur, wenn Sie entschlossen darangehen. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer vom Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Falk, Sie haben die drei Kombilohnmodelle, die Sie mit den letzten beiden Gesetzen eingeführt haben, sehr positiv bewertet. Ein weiterer Kombilohn ist in Vorbereitung. Das heißt, innerhalb kürzester Zeit haben Sie vier neue Instrumente geschaffen. Gleichzeitig propagieren Sie, dass der Instrumentenkasten auf maximal zehn Instrumente reduziert werden soll. ({0}) Ich glaube, Ihr Programm heißt: Mit Widersprüchen leben lernen. Arbeiten Sie daran, aber verschonen Sie die Gesellschaft bitte mit diesen Widersprüchen! ({1}) Ich möchte gern auf die Klausur von Meseberg zurückkommen; denn dort hat die Regierung festgelegt, was sie sich in den nächsten zwei Jahren vornehmen will. ({2}) Die Überschrift lautet „Aufschwung, Teilhabe, Wohlstand“ für alle. Ich finde, das ist ein überaus ehrgeiziges Ziel. Das ist ein großes Versprechen. Parallel zu diesem großen Versprechen häufen sich die Meldungen über Kinderarmut und die zunehmende Zahl an Suppenküchen. Herr Müntefering, ich kann im Haushalt nicht erkennen, wie und mit welchen Instrumenten Sie dieses große Versprechen halten wollen. Ich will an die Adresse der CDU/CSU-Fraktion sagen: Wer sagt, wir wollen uns für Wohlstand für alle einsetzen, sich dann aber noch nicht einmal für Mindestlöhne für alle einsetzt, der ist in dieser Frage nicht wirklich glaubwürdig. ({3}) Ich jedenfalls habe den Verdacht, dass das Versprechen „Wohlstand für alle“ ungefähr so wenig Substanz hat wie der Spruch von Helmut Kohl von den blühenden Landschaften. Beides ist Propaganda. Von beidem können sich die Menschen leider nicht viel kaufen. ({4}) Herr Müntefering, Sie haben heute auf den Erwerbstätigenzuschuss hingewiesen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie ein bisschen genauer erklärt hätten, was Sie sich vorstellen. ({5}) Nach welchen Kriterien soll der Erwerbstätigenzuschuss gewährt werden? Unter dem Kinderzuschuss von Frau von der Leyen kann ich mir noch etwas vorstellen. Aber ein Erwerbstätigenzuschuss droht doch zu einem flächendeckenden Kombilohn zu werden. Wie Sie das abgrenzen wollen, müssen Sie uns einmal erklären. ({6}) Lassen Sie mich zu einem anderen Versprechen kommen: einen Ausbildungsplatz für jeden. In den Ausführungen von Meseberg lassen sich altbekannte Prüfaufträge und Planspiele finden. Das neue Ausbildungsjahr steht vor der Tür. 160 000 junge Menschen suchen weiterhin einen Ausbildungsplatz. Hinzu kommen 300 000, die sich in Warteschleifen befinden. Wenn Sie Ihr Versprechen wirklich einlösen wollten, müssten Sie sich intensiver für die jungen Menschen einsetzen. Das tun Sie aber leider nicht. Sie versprechen Aufstiegsmöglichkeiten für jeden. Ich frage mich, wie diese für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose aussehen sollen. Sie wissen genauso gut wie ich: Der Schlüssel zum Aufstieg ist in dieser Republik eine gute Qualifikation. Ihre vielbeschworene Qualifizierungsoffensive besteht aber im Wesentlichen aus Appellen an die Bundesländer. Das hat natürlich damit zu tun, dass Sie durch die Föderalismusreform fast alle Kompetenzen - diese hätten Sie eigentlich behalten bzw. ausbauen müssen - an die Bundesländer abgegeben haben. Insofern sind das wohlfeile Versprechen. Dort, wo Sie selber Verantwortung tragen, nämlich bei der Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen, ist von dieser Offensive aber auch nicht viel zu spüren. ({7}) Die Ressourcen der Bundesagentur für Arbeit für Qualifizierung und Weiterbildung sind in den letzten Jahren drastisch zurückgefahren worden. Der Anteil der Geringqualifizierten an der Gruppe, die an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen, liegt bei nur 27 Prozent. Aber genau das ist die Gruppe, auf die wir uns im Wesentlichen konzentrieren müssen. Wir schlagen Ihnen deswegen vor, eine doppelte 50-Prozent-Quote einzuführen, also die Hälfte der Weiterbildungsangebote für Geringqualifizierte zur Verfügung zu stellen und die andere Hälfte mit Berufsabschlüssen zu verbinden. Ich glaube, dann tun Sie wirklich etwas dafür, dass diese Gruppe Aufstiegsmöglichkeiten hat. Sie täten aber noch etwas Weiteres: Sie würden einen echten Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels leisten. ({8}) Mit Ihrer Strategie der doppelten Weigerung, nämlich der Weigerung, echte Zuwanderung zuzulassen, und der Weigerung, wirkliche Qualifizierung zu erreichen und Weiterbildung zu verbessern, sind Sie auf dem besten Weg, den Aufschwung abzuwürgen und damit das Problem für die Arbeitslosen zu vergrößern. Solange Sie diese absurd hohe Hürde von 84 000 Euro Einkommen aufrechterhalten, so lange werden Sie in Sachen Zuwanderung nicht wirklich vorankommen und so lange werden die qualifizierten Fachkräfte ihre Fähigkeiten in anderen Ländern anbieten, in denen die Bedingungen für sie weitaus besser sind. ({9}) Das jedenfalls ist kein Konzept, um den Wettbewerb um die besten Köpfe zu gewinnen. Legen Sie verdammt noch einmal die ideologischen Scheuklappen ab! Machen Sie eine vernünftige Zuwanderungspolitik möglich! Dann tun Sie wirklich etwas für die Arbeitslosen hier im Lande, die dann auch von der Zuwanderung profitieren. Der Widerspruch, der immer behauptet wird, existiert nämlich nicht. Sie haben Wohlstand für alle versprochen. Zu Wohlstand und Aufschwung gehört auch ein auskömmlicher Lohn. Für viele heißt es aber leider: Armut trotz Arbeit. 4 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiten für Niedriglöhne. Sie haben sich in der Koalition nach sehr zähen Verhandlungen darauf verständigt - wir alle konnten das in den Medien verfolgen -, einzelne Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, vorausgesetzt dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf verständigen und dass 50 Prozent der Beschäftigten dieser Branche davon betroffen sind. Das sind genau die Bedingungen, die die Postdienstleistungsbranche jetzt erfüllt hat. Nun denkt der geneigte Leser bzw. die geneigte Leserin, dass damit alles in trockenen Tüchern wäre. Weit gefehlt, der Streit geht weiter. Die Vereinbarung, die Sie miteinander getroffen haben, ist ganz offensichtlich das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht; denn sonst müssten Sie zu streiten aufhören. Das tun Sie aber nicht. ({10}) Meine Redezeit ist leider weitgehend abgelaufen. ({11}) - Auch ich finde das schade. Ich sehe, dass Sie mir gerne zuhören. Herr Müntefering, Sie werden mit den Worten zitiert, das Kabinett werde sich jetzt verstärkt für den Ausgleich zwischen Wirtschaft und Sozialem einsetzen. Ich habe allerdings das Gefühl, dass es der Großen Koalition im Wesentlichen um den Ausgleich zwischen Union und SPD geht. Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, dass das in Zukunft anders werden wird. Die Leidtragenden sind die Arbeitslosen in diesem Land, die in diesem Gerangel zerrieben werden. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von der SPD-Fraktion. ({0})

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nein, Tante Käthe gibt es heute nicht, heute gibt es Onkel Otto. ({0}) Eigentlich wollte ich gar nicht so einsteigen, aber Ihre Ausführungen haben mich wirklich dazu veranlasst, Sie mit Onkel Otto bekannt zu machen. Onkel Otto war kein Mensch, Onkel Otto war unser Hausschwein. ({1}) Onkel Otto stand in einem Stall, und der Futtertrog befand sich in einem Stall daneben. ({2}) Wenn es Futter gab, klopfte meine Oma an den Futtertrog, und das Schwein schoss durch die Tür an diesen Futtertrog heran. ({3}) Aus baulichen Gründen wurde diese Tür zugemacht, und der Ausgang wurde an eine andere Stelle verlegt. Was machte Onkel Otto? Onkel Otto raste ständig gegen die Wand. ({4}) Genau das ist Ihr Problem: Sie stehen in einem Stall mit fünf Ausgängen. Was machen Sie? Sie knallen ständig mit der Birne vor die Wand. ({5}) Meine Güte, das muss doch wehtun. Ich kann die FDP nur dringend auffordern, einmal zur Kenntnis zu nehmen: Es gibt Türen. ({6}) Ich will auch etwas zur PDS sagen. Die PDS steht aus meiner Sicht im gleichen Stall und ist dabei, jede vorhandene Öffnung zuzumauern. ({7}) Man kann geradezu sehen, dass alle Ausgänge irgendwann zu sind und das Schwein verhungert. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lehn, ich unterbreche Sie ungern. Aber der Kollege Meckelburg möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Wie ich sehe, erlauben Sie das. Bitte, Herr Meckelburg.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Lehn, Sie haben in der letzten Haushaltsberatung die Geschichte Ihrer Tante Käthe erzählt. Nun kommen Sie mit Onkel Otto. Ist Ihre Verwandtschaft sehr groß, ({0}) und dürfen wir die Aufarbeitung Ihrer Familiengeschichte auch in den nächsten Jahren erleben? ({1})

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich bin die Älteste von elf Kindern. ({0}) Wer wie die PDS allein in dem Bereich Arbeit und Soziales zusätzlich pro Jahr 26,4 Milliarden Euro ausgeben will, wer den Rentenversicherungsbeitrag auf 28 Prozent erhöhen will, der zieht nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dieses Landes das Geld aus der Tasche, sondern er erhöht auch fahrlässig die jährliche Zinslast um mindestens 1 Milliarde Euro. ({1}) - Ich kann verstehen, dass Sie das irritiert. ({2}) Sie sind nicht nur Traumtänzer - würde man Sie so bezeichnen, wäre das wirklich geschmeichelt -, sondern Sie sind in dem, was Sie machen, absolut fahrlässig. ({3}) In den letzten 18 Monaten ist die Zahl der arbeitslosen Menschen in Deutschland um 1,3 Millionen zurückgegangen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im Vergleich zum Vorjahr um eine halbe Million gestiegen. Diese Zahlen machen doch Mut. Diese Zahlen sind doch der Lohn für Anstrengung und Arbeitsleistung der Menschen in diesem Land. Diese positive Entwicklung geht doch nicht nur auf die Weltwirtschaft zurück. ({4}) Natürlich haben auch die weltwirtschaftliche Situation und die Reformleistungen dieser Bundesregierung und die ihrer Vorgängerin dazu beigetragen. ({5}) Möglich gemacht haben das aber vor allen Dingen die Menschen in diesem Land, die arbeiten, die sich aufmachen, die sich umorientieren, die Lohnverzicht geübt haben und die viel Negatives eingesteckt haben. ({6}) In dieser Situation dürfen wir uns nicht zurücklehnen nach dem Motto: Auftrag erledigt. Die Menschen dürfen zu Recht erwarten, dass wir weitere Anstrengungen unternehmen. Viel zu viele sind noch arbeitslos. Sie haben recht: Viel zu viele warten vergeblich auf einen Ausbildungsplatz. Ich glaube, dass da wirklich noch eine ganze Menge zu tun ist. In letzter Zeit wird viel darüber gesprochen, dass man den arbeitslosen Menschen mehr Geld zahlen muss. Ich unterstütze die Initiative von Franz Müntefering, den Regelsatz objektiv zu überprüfen. Noch viel besser, noch wirkungsvoller ist es aber, die Menschen in Arbeit zu bringen. ({7}) Hier sehe ich zwei Handlungsfelder: mehr und zielgenauere Förderung auf der einen Seite und eine erhöhte Anpassungsfähigkeit des Sozialstaates auf der anderen Seite. Was heißt das nun? Ich sage: Die Maßnahmen müssen zielgenauer sein. Ich verweise zum Beispiel auf das von uns beschlossene Programm, das direkt auf Langzeitarbeitslose und Jugendliche zielt. Das ist der richtige Ansatz. Wir brauchen Instrumente, mit denen wir die Problemgruppen direkt ansprechen; denn besondere Probleme erfordern spezielle Lösungen. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass vor Ort im nächsten Jahr mehr Geld für Eingliederung, also für Förderung, zur Verfügung steht als jemals zuvor. Insgesamt werden wir 6,4 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um erwerbsfähige Empfänger und Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II wieder in Arbeit zu bringen. Der Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales macht mit 124 Milliarden Euro - das haben wir heute schon mehrfach gehört - über 40 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes aus. Jeder zweite Euro, den wir ausgeben, ist ein Euro für die Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Es ist aber nicht die Höhe dieser Ausgaben, die darüber entscheidet, wie die Qualität des Sozialstaats ist. Das bringt mich zu einem weiteren Punkt, zu der Anpassungsfähigkeit des Sozialstaats. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen lassen soziale Probleme in den Hintergrund treten und neue entstehen. Ein Sozialstaat ist umso besser, je mehr, aber vor allen Dingen auch je schneller er sich auf veränderte Bedürfnisse einstellt. Insgesamt arbeiten derzeit mehr als 1 Million Menschen, ohne dadurch ihren Bedarf decken zu können. Deswegen erhalten sie ergänzend Arbeitslosengeld II; sie sind - so der Fachbegriff - sogenannte Aufstocker. Dieser Begriff verschleiert jedoch die Realität. Hieran wird deutlich - das sage ich auch in Richtung unseres Koalitionspartners -, dass eine schlechte Bezahlung nicht nur den Beschäftigten, sondern auch dem Staat, das heißt dem Steuerzahler, teuer zu stehen kommt. ({8}) Unternehmen profitieren hier nahezu verdeckt und unerkannt, klammheimlich bis sittenwidrig. ({9}) Der geplante Erwerbstätigenzuschuss ist für die Betroffenen ein richtiger Schritt. ({10}) Er soll verhindern, dass Menschen ergänzend Arbeitslosengeld II erhalten müssen, wenn ihr Lohn das Existenzminimum nicht sichert. ({11}) Aber das Problem selbst kann auch dieses Instrument nicht lösen. Wo Sozialpartner keine existenzsichernden Löhne vereinbaren, da sind wir als Gesetzgeber gefragt. Wenn Unternehmen nicht bereit sind, die Beschäftigten trotz steigender Gewinne anständig zu bezahlen, werden sie zu Schwarzfahrern unserer Gesellschaft. Sie nutzen staatliche Maßnahmen - Steuersenkungen, Infrastrukturmaßnahmen, Bildungsstandards - aus, ohne sich an den Kosten zu beteiligen. ({12}) Deswegen wollen wir den Mindestlohn, und wir werden uns auch weiter dafür einsetzen. ({13}) Lassen Sie mich zum Schluss etwas zu einem anderen Thema sagen, das, glaube ich, viele von uns sehr beschäftigt. Mit großer Sorge haben wir in den letzten Wochen die Zahlen über Kinderarmut in Deutschland lesen müssen. Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass es in unserem Land Kinderarmut ausgeprägt schon lange gibt, allerdings in sehr verdeckter Form. ({14}) Als es noch die Trennung zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II gab, wurde über diese Zahlen nicht in dem Maße geredet, wie ich mir das manchmal gewünscht hätte; es ist eben verdeckt gewesen. Heute, auch dank der Reformen, ist transparent, wer unter diesen Bedingungen lebt. Das ist deswegen gut, weil es uns zwingt, weil es mehr Menschen zwingt, darüber nachzudenken, was man tun kann. Wir von der SPD-Fraktion unterstützen ausdrücklich die Überlegung der Bundesregierung, Unterstützungsleistungen für Kinder im System der Grundsicherung anzupassen. Es muss uns gelingen, hierfür schnell wirksame Lösungen zu finden. Wenn Kinder allgemein als unsere Zukunft bezeichnet werden, dann müssen wir dafür sorgen, dass unsere Zukunft nicht arm ist. ({15}) Nun garantiert eine Erhöhung der Sätze allein aber nicht, dass Kinder davon profitieren. ({16}) Wir müssen Hilfen entwickeln - der Minister hat bereits darauf hingewiesen -, die den Kindern direkt zugute kommen. Es ist eine direkte Hilfe, wenn arme Kinder kostenfrei im Kindergarten betreut werden, ({17}) wenn sie alles erhalten, was sie zum Schulbesuch brauchen, also eine echte Lernmittelfreiheit, ({18}) wenn sie ein gesundes Frühstück bekommen, wenn Familienhelfer dazu beitragen, dass Kinder regelmäßig und pünktlich zur Schule gehen, wenn Schulveranstaltungen und Klassenfahrten kostenfrei sind oder wenn das Erlernen eines Instruments oder der Sport nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern. ({19}) Klar ist: Für viele dieser Fragen sind die Städte, die Gemeinden, die Länder, aber auch die Gesellschaft - zum Beispiel die Vereine - insgesamt zuständig. Deswegen müssen Lösungen auch gemeinsam vereinbart werden. Wer Kinderarmut wirklich wirkungsvoll bekämpfen will, der muss vernetzt denken und handeln, und Zuständigkeiten müssen geklärt werden. ({20}) Die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist gut für die Menschen in unserem Land. Dennoch liegen Aufgaben vor uns, die wir entschlossen anpacken müssen. Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf schaffen wir diese Voraussetzungen. Ich bitte Sie alle um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Aufschwung ist nicht der Aufschwung der Bundesregierung. ({0}) Bevor Sie sich aufregen, Frau Nahles: Dieser Satz stammt nicht von mir, auch wenn ich ihn inhaltlich voll teile, sondern von Jürgen Thumann, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Thumann sagt weiter: ... insgesamt jedoch hat die Bundesregierung aus den verbesserten Wirtschaftsperspektiven zu wenig Reformkapital geschlagen. Dann kommt er zu dem Ergebnis: Wesentliche Strukturreformen liegen noch vor uns. Das Reformtempo muss nicht gedrosselt, sondern erhöht werden, der Rückenwind der guten Konjunktur muss konsequent genutzt werden. Dass im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs auch die Zuversicht und das Zukunftsvertrauen der Bürger deutlich gestiegen sind, ist dabei die Chance der Politik. ({1}) Das ist ein klar umrissenes Bild der Handlungsnotwendigkeiten zur Mitte der Legislaturperiode. Es gilt, in die Hände zu spucken und nicht die Hände in den Schoß zu legen. ({2}) Im krassen Gegensatz dazu stehen die Ankündigungen aus der Koalition, insbesondere der SPD, die nicht eine Fortsetzung der Reformen, sondern das Ende der Reformpolitik nahelegen. Kurt Beck, nicht der Onkel Otto, sondern eher der Problembär der SPD, hat es so formuliert: Die Zeit der großen Zumutungen muss erst einmal vorbei sein. ({3}) Noch krasser geht Ottmar Schreiner mit den Ergebnissen der Großen Koalition ins Gericht: Wir brauchen kein Weiter so, sondern einen Bruch mit einer gescheiterten Politik. Wen wundert es angesichts derart schwindenden Mutes noch, ({4}) dass das Wort Reform in dem Abschlusspapier der Regierungsklausur von Meseberg mit ganz wenigen Ausnahmen keine Rolle mehr spielt? ({5}) Das haben Sie offensichtlich übersehen. Auch wenn Sie eine Große Koalition der kleinen Schritte sein wollen, die Füße müssen Sie schon noch heben. Das habe ich in Meseberg vermisst. ({6}) Um es auf den Punkt zu bringen: Die schwarz-rote Bundesregierung, die sich von Koalitionsrunde zu Koalitionsrunde und von faulem Kompromiss zu faulem Kompromiss quält, will sich offensichtlich in den kommenden zwei Jahren auf die Verteilung der konjunkturellen Windfall-Profits beschränken, anstatt den Rückenwind der wirtschaftlichen Erholung für weitere Reformen zu nutzen. ({7}) Das ist eindeutig zu wenig; denn auch dieser Aufschwung wird wie alle vorhergehenden einmal zu Ende gehen. Die Aufgaben, die angepackt werden müssen, damit wir im nächsten Abschwung keine allzu harte Landung erleben, liegen offen auf dem Tisch. Nehmen wir die Sozialversicherung: Ihre Halbzeitbilanz ist hier, Herr Müntefering, wirklich ein Trauerspiel: In allen Zweigen der Sozialversicherung mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung wurden unter der Großen Koalition die Beiträge erhöht, oder es stehen Erhöhungen unmittelbar bevor. Selbst da, wo Sie Senkungen vorgenommen haben, wurden die Spielräume nicht oder nur unzureichend genutzt. Mit der Geschicklichkeit eines Hütchenspielers, Herr Müntefering, verschieben Sie vor den Augen der Öffentlichkeit im Bundeshaushalt Einnahme- und Ausgabepositionen der Sozialversicherung, sodass einem schon vom Zuschauen ganz schwindlig wird. Noch schwindliger wird aber den Bürgern unseres Landes, wenn sie am Ende des ganzen Zaubers feststellen, was ihnen tatsächlich im Portemonnaie verbleibt. Eine vierköpfige Familie muss in diesem Jahr ganze 1 400 Euro Mehrbelastung verkraften. Das sind keine Peanuts. Das ist viel Geld. Deswegen fordere ich, Herr Müntefering, im Namen der FDP-Bundestagsfraktion und auch der Menschen in diesem Lande: Münte, rück’ die Kohle raus! ({8}) Geben Sie den Menschen, wo immer möglich, ihr Geld zurück! Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung kann mindestens auf 3,5 Prozent, wahrscheinlich sogar auf 3,2 Prozent gesenkt werden. Worauf warten Sie eigentlich noch? ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Dr. Kolb, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben ja gerade die Spielräume für Beitragssenkungen bei der Arbeitslosenversicherung beschrieben. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir erklären könnten, ob ich das richtig in Erinnerung habe, ({0}) dass die CDU im Bundestagswahlkampf gesagt hat, sie wolle die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte erhöhen und das dadurch eingenommene Geld zu 100 Prozent in die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung stecken. ({1}) Herr Müntefering sagte, die Merkel-Steuer würde teuer, und wollte das verhindern. Er hat dann aber einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte zugestimmt, wobei dann die Einnahmen in Höhe von 1 Prozentpunkt zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung verwendet werden sollten. ({2}) Nun hat das Bundeskabinett ein Gesetz beschlossen ({3}) - die Frage habe ich am Anfang gestellt, Herr Fuchtel -, durch das die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 3,9 Prozent gesenkt wurden. Daraufhin wurde aber auch beschlossen, ({4}) die der Arbeitslosenversicherung zugeflossenen Mehreinnahmen aus dem 1 Prozentpunkt bei der Mehrwertsteuer in den Haushalt von Herrn Steinbrück umzulenken. ({5}) Habe ich es also richtig verstanden, dass von den ursprünglich für die Arbeitslosenversicherung vorgesehenen Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung, die ja zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung genutzt werden sollten, bei der Arbeitslosenversicherung nichts mehr verblieben ist?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das haben Sie nach meiner Kenntnis richtig verstanden, Herr Kollege Niebel. Das ist so. ({0}) Deswegen sagte ich ja, das, was hier zutage tritt, entspreche der Manier eines Hütchenspielers. Was mich in diesem Zusammenhang auch sehr stört, ist, dass sich die Koalition offensichtlich nicht mehr an die eigenen Festlegungen im Koalitionsvertrag gebunden fühlt. Der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung sollte dauerhaft auf unter 40 Prozent gesenkt werden. ({1}) Wir stehen heute bei 40,9 Prozent. Deswegen wäre genau jetzt der Zeitpunkt für eine größtmögliche Beitragssenkung auch in der Arbeitslosenversicherung. ({2}) Nehmen wir die Arbeitsmarktpolitik: Volker Kauder hat gestern an dieser Stelle gesagt, jetzt gehe es darum, zu handeln und das Land voranzubringen. Ich frage mich nun, wie sich mit dieser Absichtserklärung die skurrile Debatte um einen Mindestlohn, die jedenfalls aus Sicht der SPD rein wahltaktisch begründet ist, vereinbaren lässt. Schon ganz allgemein darf festgestellt werden, dass Mindestlöhne unser Land nicht voranbringen, sondern vielen schaden, und zwar insbesondere den Menschen mit einer geringen Qualifikation, ({3}) die durch Mindestlöhne dauerhaft vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. ({4}) In den letzten Tagen, seit der Regierungsklausur von Meseberg, treibt dieses Thema nun besondere Blüten. Es soll jetzt nämlich in der Branche der Postdienstleistungen ein Tariflohn als Mindestlohn eingeführt werden, den der Arbeitgeberverband Postdienste - das ist im Wesentlichen die Deutsche Post - und die Gewerkschaft Verdi vereinbart haben. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Einführung dieses Mindestlohns, die Sie, Herr Müntefering, mit Macht betreiben, vor allem Wettbewerber der Post vom Markt fernhalten soll und damit zumindest indirekt die Liberalisierung verhindert werden soll. ({5}) Man kann es auch so formulieren: Die Einführung eines von der Post bestimmten Mindestlohns bei gleichzeitiger Fortführung der Mehrwertsteuerbefreiung der Deutschen Post ist die Fortführung des Postmonopols mit anderen Mitteln. Das schadet unserem Land. ({6}) Die Kunden, die eine solche Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen, werden am Ende die Zeche zu zahlen haben. Herr Kauder, es geht Ihnen hier wie dem Zauberlehrling in Goethes gleichnamigem Gedicht: Die Geister, die ich rief, die werd’ ich nicht mehr los! Ich sage Ihnen voraus, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie werden von der SPD beim Thema Mindestlohn Stück für Stück über den Tisch gezogen werden. Es war eine Schnapsidee, anzunehmen, der ordnungspolitische Sündenfall, den Sie schon im Koalitionsvertrag zugelassen haben, könne begrenzt und eingedämmt werden. Besonders pikant wird das Ganze - das richtet sich jetzt an die Adresse der SPD -, wenn man weiß, dass bei der Vergabe der Versendung der Berliner Behördenpost die luxemburgische PIN Group, die deutlich unter der Deutschen Post entlohnt, den Zuschlag des - wohlgemerkt: rot-roten - Berliner Senats für ein weiteres Jahr erhalten hat. Dazu kann ich nur sagen: Das ist verlogen und erinnert mich in fataler Weise daran, dass die SPDFraktion, obwohl sie längst Forderungen nach einem Mindestlohn von 7,50 Euro erhoben hatte, eigene Mitarbeiter deutlich schlechter bezahlte. So geht das nicht. ({7}) Aber es geht noch weiter: In den letzten Tagen haben sich die DGB-Gewerkschaften zunehmend auf die boomende Zeitarbeit eingeschossen. Anstatt sich zu freuen, dass allein im letzten Jahr fast 180 000 Menschen, von denen viele zuvor arbeitslos waren, über Zeitarbeit eine neue Beschäftigung gefunden haben, werden nun Forderungen erhoben, den rechtlichen Rahmen für die Zeitarbeit wieder enger zu fassen und die Einstellung von Leiharbeitern überhaupt von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig zu machen. Das ist absurd und verkennt eindeutig Ursache und Wirkung. Ich sage Ihnen: Wer nicht bereit ist, beim Kündigungsschutz die Weichen neu zu stellen, darf sich am Ende nicht wundern, wenn die Unternehmen in einem erfreulichen, aber sicher auch endlichen Konjunkturhoch in die Zeitarbeit ausweichen. Was ist denn die Alternative? Für mich gilt: Ein Arbeitsplatz in einem Zeitarbeitsunternehmen ist allemal besser als Arbeitslosigkeit. Für mich steht außer Zweifel, dass alle Betroffenen, die vor genau dieser Alternative stehen, das ebenso sehen. ({8}) Ein Letztes. Seit einiger Zeit wird eine Debatte über sogenannte gute Arbeit geführt. Hier muss sich der DGB fragen lassen, ob er nicht pharisäerhaft handelt. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Gewerkschaften, die mit ihren Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ganz maßgebend zu einem Anstieg des Arbeits- und Zeitdrucks in den Unternehmen beigetragen haben, diesen Umstand scheinheilig beklagen. Ich meine, solange in Deutschland 3,7 Millionen Menschen ohne jede Arbeit sind, sollten wir keine Diskussion über sogenannte gute Arbeit beginnen. Denn was ist denn die Konsequenz, wenn jemand keine gute Arbeit hat? Ist sie dann unzumutbar? Besteht für denjenigen, der unverschuldet keine gute Arbeit hat, Anspruch auf staatliche Unterstützung? Der Grundton dieser Diskussion erinnert mich an Pippi Langstrumpf: Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt. - Mit der Realität einer Volkswirtschaft in einer globalisierten Welt hat diese Diskussion nichts, aber auch wirklich nichts zu tun. ({9}) Fazit: Zur Mitte der Legislaturperiode präsentiert sich die Große Koalition als Verein zur Verhinderung eines dauerhaften Aufschwungs und zur nachhaltigen Reformverweigerung. Wichtige Reformbaustellen werden nicht bearbeitet. Dort, wo es Bewegung gibt, geht sie in die falsche Richtung. Aber mit Selbstgefälligkeit allein werden Sie und wird unser Land die Zukunft nicht gewinnen können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Knapp 130 Milliarden Euro umfasst der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Wenn man den gesamten Bereich der sozialen Sicherung, also auch diejenigen Leistungen der sozialen Sicherung, die in anderen Haushalten enthalten sind, einbezieht, dann kann man feststellen: 49,7 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes fließen in diesen Bereich. Dieses Land hat zwar soziale Probleme; dieses Land hat aber vor allem auch einen gut ausgebauten Sozialstaat. Wer etwas anderes behauptet, täuscht die Menschen. ({0}) Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt wird die Situation für die Opposition hier im Hause immer verzweifelter. ({1}) Diese Verzweiflung kommt auch in den Reden, die wir hier gehört haben, zum Ausdruck. Herr Kollege Kolb, in der Vergangenheit haben Sie noch behauptet, es seien Jürgen Klinsmann und der milde Winter gewesen, die die Lage auf dem Arbeitsmarkt herbeigeführt hätten. Jetzt trauen Sie sich das nicht mehr zu sagen, sondern verstecken sich hinter anderen und sagen, diese hätten dies behauptet. Frau Pothmer läuft mit Scheuklappen durch das Land. Frau Pothmer, Sie sollten die blühenden Landschaften, die es in diesem Land gibt, einmal wahrnehmen. ({2}) Der größte Fachkräftemangel besteht bei den Arbeitsmarktpolitikern Ihrer Fraktion; das muss man einmal feststellen. Dort gibt es einen Fachkräftemangel. ({3}) Die Wahrheit ist doch: Politik ist, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeht, nicht allmächtig und nicht ohnmächtig. Wenn die Politik keinen Einfluss hätte, wäre es unsinnig, dass wir uns bei den Wählerinnen und Wählern um ein Mandat bewerben. Wahr ist auch: Wir haben nie für uns in Anspruch genommen, dass wir das, was geschafft worden ist, alleine geschafft haben. Das ist eine große Gemeinschaftsleistung in diesem Land, an dem diese Bundesregierung und die Große Koalition ihren Anteil haben. Ich möchte die Zahlen noch einmal in Erinnerung rufen: 666 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr, 633 000 Erwerbstätige mehr, 526 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr. Ich möchte auch den Zweijahresvergleich nennen: Verglichen mit der Zeit vor zwei Jahren, als die Grünen noch in der Regierung waren, haben wir 1 023 000 Arbeitslose weniger und 702 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr, etwa die Hälfte in Vollzeitstellen. Dazu sage ich Ihnen, Herr Kollege Kolb: Wir, die CDU/CSU, sind stolz auf diese Bilanz. Im Übrigen freuen wir uns über jeden zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz, egal in welcher Branche. ({4}) Wir sind stolz auf die erreichte Entwicklung. Wir haben über 1 Million offene Stellen in Deutschland; das sind 185 000 mehr als vor einem Jahr. Deswegen ist es richtig, dass wir die Politik des Förderns und Forderns fortsetzen; denn 1 Million Stellen sind immer noch zu wenig für 3,7 Millionen Arbeitslose. Es gibt aber erhebliche Potenziale, die Menschen zu den offenen Stellen zu bringen. Deswegen ist Fördern und Fordern weiterhin das richtige Konzept. ({5}) In der Diskussion darüber, wie weit wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken, ist zu unseren Forderungen hier das Nötige gesagt worden. Wenn wir diese Debatte führen, müssen wir immer sehen: Es ist eine absolute Luxusdiskussion, die wir hier führen können. Es geht nämlich um die Frage: Wohin mit den Überschüssen? Was hat denn über Jahre hier die Diskussion bestimmt? Da ging es doch um die Frage: Wie stopfen wir neue Löcher, die sich ergeben haben? Unter dieser Bundesregierung wird solide kalkuliert, werden Erwartungen im positiven Sinne übertroffen. ({6}) Es gehört auch zur Wahrheit, dass wir die Lohnzusatzkosten schon jetzt unter 40 Prozent gesenkt haben. Wenn wir es schaffen, einen Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 3,5 Prozent zu erreichen, dann führt das über die Jahre der Großen Koalition zu einer Gesamtentlastung der Beitragszahler um über 20 Milliarden Euro. ({7}) Den größten Teil des Weges dorthin sind wir schon gegangen. Das ist genau die richtige Botschaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kolb.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Brauksiepe, können Sie mir das einmal vorrechnen? Ich komme für das Jahr 2007 auf einen Gesamtsozialversicherungsbeitrag - da lasse ich die Unfallversicherung sogar außen vor - von 40,9 Prozent. Für das Jahr 2008, nach Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags und Anhebung des Pflegeversicherungsbeitrags - das ist ja der Sinn der Übung -, komme ich auf einen Gesamtbeitrag von 40,85 Prozent, vorbehaltlich zu erwartender Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Können Sie mir sagen, wie Sie behaupten können, die Lohnzusatzkosten lägen schon heute unter 40 Prozent?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kolb, wir haben Ihnen das schon mehrfach vorgerechnet. ({0}) Wenn Sie die Beiträge zur Rentenversicherung, die durchschnittlichen Beiträge zur Krankenversicherung, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und zur Pflegeversicherung zusammennehmen, dann kommen Sie, insbesondere was den Arbeitgeberbeitrag angeht - darum geht es Ihnen ja insbesondere, dieser liegt Ihnen besonders am Herzen -, auf klar unter 20 Prozent. Wir werden diesen Weg der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge weitergehen. Diese Regierung senkt die Sozialversicherungsbeiträge. Sie können zwar immer sagen, das reiche Ihnen alles nicht; aber Sie sollten zumindest zur Kenntnis nehmen, dass dies unser Weg ist: Wir senken die Abgabenbelastung; wir haben das schon getan und wir werden das auch weiterhin tun. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erlauben Sie eine Nachfrage des Kollegen Kolb?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, wenn es nicht die gleiche Frage ist, dann bin ich dazu bereit.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es geht nicht um die gleiche Frage. Herr Kollege Brauksiepe, Sie müssen schon davon ausgehen, dass wir Ihren Koalitionsvertrag gelesen haben. Da ist die Rede davon, dass der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung dauerhaft unter 40 Prozent gesenkt werden soll; da ist nicht die Rede davon, dass der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung dauerhaft unter 20 Prozent gesenkt werden soll. Die Menschen, die in der Krankenversicherung mit einem Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent belastet werden, müssen diesen sehr wohl zahlen. Wir reden hier nicht über Luft, sondern über konkrete Belastungen der Menschen. Insgesamt liegen die Sozialversicherungsbeiträge deutlich über 40 Prozent. Deswegen ist jetzt jeder Spielraum für Beitragssenkungen auszunutzen. Stimmen Sie mir zu?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kolb, ich stimme Ihnen nicht zu. Wir sind hinsichtlich des Ziels, die Beiträge zu senken, auf dem richtigen Weg; wir haben da auch schon etwas erreicht. Ich stimme Ihnen in einem Aspekt zu: Wir werden, soweit es Spielräume dafür gibt, das seriös zu finan11608 zieren, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter senken. Ich bitte, das doch auch einmal zur Kenntnis zu nehmen. Wir reden doch nicht über das Ob, also nicht über die Frage, ob wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken, sondern wir reden nur noch über die Frage, in welchem Ausmaß wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung über das hinaus senken, was im Koalitionsvertrag steht. ({0}) Dort stehen 4,5 Prozent. Wir sind bei 4,2 Prozent und werden mindestens auf 3,9 Prozent heruntergehen. Wir wollen ihn aber noch weiter senken. ({1}) Diesen Weg sollten Sie eigentlich anerkennen, Herr Kollege Kolb. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen natürlich, dass der Aufschwung die verschiedenen Gruppen am Arbeitsmarkt bisher unterschiedlich erreicht hat. Diejenigen, die gut qualifiziert und erst kurze Zeit arbeitslos sind, sind schneller wieder in Arbeit zu vermitteln, als Menschen, die langzeitarbeitslos sind. Deswegen sage ich hier auch ganz deutlich: Wir werden das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium weiter durchforsten. Wir werden es übersichtlicher gestalten und die Zahl der Instrumente reduzieren; das ist richtig. Wir haben das beispielsweise bei der Förderung von Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit auch schon getan. Wir haben Ihre Ich-AG abgeschafft und aus zweien eins gemacht. Wir werden den Weg weitergehen. Wir bekennen uns aber auch dazu, dass wir für die Gruppen, die besondere Probleme am Arbeitsmarkt haben und durch die Marktkräfte allein nicht in Beschäftigung gebracht werden können, etwas tun. Deswegen haben wir besonders für Jugendliche und für besonders arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose neue, zusätzliche Maßnahmen ergriffen, die in diesen Tagen, so denke ich, auch Zustimmung im Bundesrat finden werden und dann in Kraft treten. Das sind Programme für Menschen, die weiterhin unsere Hilfe brauchen. Dafür schämen wir uns nicht. Es ist richtig, dass wir als Große Koalition dies getan haben. ({3}) Wir werden die geschlossenen Vereinbarungen - auch zu den tariflichen Mindestlöhnen - umsetzen. ({4}) Sie werden durch die Ausweitung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes und die Modernisierung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen im Gesetzgebungsverfahren konkretisiert. Ich sage Ihnen voraus: Dies wird auch ein wichtiger Beitrag dafür sein, dass dort, wo es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst wollen und vereinbaren, auf tarifliche Weise verhindert wird, dass es Armutslöhne in Deutschland gibt. Wir wollen, dass für jeden in Deutschland gilt, dass derjenige, der eine anständige Arbeit macht, dafür auch anständig bezahlt wird. ({5}) Das können die Tarifparteien besser als der Staat. Deswegen haben wir diese Vereinbarung getroffen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne, Frau Pothmer. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Brauksiepe, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie mit Ihrer Aussage den Arbeitsminister Müntefering auffordern, dem Antrag, den die Postgewerkschaft und die Postdienstleister gestellt haben, nämlich ihren Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, stattzugeben?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Pothmer, Sie haben mich dann richtig verstanden, wenn Sie verstanden haben, dass das gilt, was die Koalition vereinbart hat und was auch in Meseberg vereinbart worden ist. ({0}) Es wird zu prüfen sein, inwieweit die Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung nehmen wir vor. ({1}) Seien Sie sich ganz sicher: Das werden wir sorgfältig und gleichzeitig zügig tun.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Auch die Frau Kollegin Pothmer würde gerne noch eine Nachfrage stellen. Erlauben Sie das?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind Sie der Auffassung, dass die Behauptung von Herrn Kauder, dass diese Vereinbarung nicht dem entspricht, was in Meseberg besprochen worden ist, falsch ist?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Pothmer, es ist unsere gemeinsame Auffassung in der Großen Koalition, dass wir das tun, was in Meseberg vereinbart worden ist. Dort wurde vereinbart, dass die Postdienstleistungen noch in diesem Jahr ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist unsere gemeinsame Auffassung. Sie sind natürlich wie immer ein bisschen schlauer. Sie haben die Prüfung schon abgeschlossen; das ist klar. Wir prüfen im Gegensatz zu Ihnen sorgfältig. Darum wird es noch ein paar Wochen dauern. Dann werden wir dieses Problem gelöst haben. ({0}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nach zweijähriger Amtszeit der Großen Koalition möchte ich auch noch etwas zu den sozialen Sicherungssystemen - insbesondere auch zur Rentenversicherung - sagen; denn wir haben gerade in diesen zwei Jahren gemerkt: Die beste Sozialpolitik ist eine gute Arbeitsmarktpolitik und eine gute Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftliche Dynamik, die in diesem Land wieder entfaltet worden ist, hat positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Erinnern wir uns an den Herbst des Jahres 2005, als die Wählerinnen und Wähler die Grünen zur kleinsten Fraktion in diesem Hause gemacht haben. Im November 2005 gab es ein Loch in der Rentenkasse in Höhe von 636 Millionen Euro. Erstmalig in ihrer Geschichte brauchte die Rentenversicherung ein Darlehen des Finanzministers. ({1}) Sie von den Grünen waren mit Ihrer Politik maßgeblich daran beteiligt, dass es bei der Rente zu ständigen Finanzkrisen, zu Nullrunden für die Rentner und gleichzeitig zu einem Abbau der Rentenrücklage kam. ({2}) Sie haben allein zwischen 2002 und 2005 die Rücklage um 12 Milliarden Euro abgebaut. Das ist das Gegenteil von nachhaltiger und generationengerechter Politik. Dafür können Sie sich heute noch schämen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Grünen. ({3}) Wir haben in der Großen Koalition den gegenteiligen Weg beschritten. Die Rentnerinnen und Rentner nehmen wieder am wirtschaftlichen Aufschwung teil. ({4}) Auch hier stellt man fest, dass die Bundesregierung eher vorsichtiger kalkuliert, als sie es nach den vorliegenden Zahlen eigentlich müsste. Wir konnten noch im Rentenbericht 2006 nicht davon ausgehen, dass vor dem Jahr 2009 Rentensteigerungen möglich sind. In diesem Jahr ist die erste - wenn auch geringe - Rentensteigerung wieder möglich gewesen. Heute lesen wir, dass das Kieler Institut für Weltwirtschaft für das nächste Jahr einen deutlichen Rentenanstieg erwartet. Wir versprechen das heute noch nicht, weil die endgültigen Zahlen noch nicht vorliegen. Aber wir können klipp und klar feststellen: Es geht auch für die Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande wieder aufwärts, wenn es insgesamt wirtschaftlich aufwärts geht. Wir haben den Beitragssatz stabilisiert und haben mit dem Aufbau einer Rentenrücklage begonnen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren eine Rücklage von 1,5 Monatsausgaben erreichen werden. Wir haben mit der Rente mit 67, die wir gegen erhebliche Widerstände eingeführt haben, die gesetzliche Rente letztlich langfristig zukunftssicher und generationengerecht ausgestaltet. An der Stelle sei auch gesagt - Ehre, wem Ehre gebührt -, dass die Grünen die einzige Oppositionsfraktion waren, die hier anerkannt haben, dass es bei einer längeren Lebenserwartung natürlich notwendig ist, dass die, die es können, länger arbeiten. Sie von der FDP drücken sich leider bis heute um diese Frage herum. Sie sagen zwar, jeder solle mit 60 in Rente gehen können. Um die Antwort auf die Frage, wo eigentlich die Grenze liegt, von wo an Zuschläge gewährt und Abschläge fällig werden, drücken Sie sich aber bis heute. ({5}) Wir machen uns da keinen schlanken Fuß. Wir haben in dem Wissen, mit dieser Entscheidung keine Popularitätspreise gewinnen zu können, die Weichen mit der Rente mit 67 richtig gestellt. Wir haben das in einer Situation geschafft - auch daran sei noch einmal erinnert -, in der wir einen Rückgang der Arbeitslosigkeit insgesamt von 15,2 Prozent haben, bei den über 50-Jährigen einen Rückgang um 15,7 Prozent und bei den über 55-Jährigen einen Rückgang um 18,2 Prozent. Das heißt, unsere Rentenpolitik und unsere Politik für mehr Beschäftigung auch für Ältere haben sich ausgezahlt. Auch darauf können wir stolz sein. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Brauksiepe, Sie haben mit Ihren letzten Ausführungen beim Kollegen Kolb den Wunsch nach einer Zwischenfrage ausgelöst. Sind Sie bereit, diese entgegenzunehmen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Kolb. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedanke mich für das forsche Ja. Herr Kollege Brauksiepe, Sie haben die Rente mit 67 und dankenswerterweise auch das Konzept der FDP angesprochen. Ja, wir wollen einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand, der ab 60 beginnen soll, bei Wegfall der Zuverdienstgrenzen, die heute viele Rentner davon abhalten, aus eigener Kraft sich ihren Lebensstandard zu sichern. Wir wollen Zuschläge für denjenigen, der länger arbeitet, und wir wollen keine, wie es heute der Fall ist, Abschläge, die heute von einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren und künftig von 67 Jahren ausgehend berechnet werden. Das ist der entscheidende Punkt. ({0}) Wir haben in der Vergangenheit ältere Menschen aus dem Erwerbsleben regelrecht herausgedrängt. Sie tragen da eine maßgebliche Verantwortung. ({1}) Wir wollen, dass Menschen auf der Basis dessen, was sie sich individuell für das Alter erarbeitet haben, bestimmen können, wie sie den Übergang gestalten. Meine Frage lautet: Stimmen Sie mir zu, dass das FDP-Konzept das viel intelligentere und modernere Konzept ist als die starre Anhebung einer Regelaltersgrenze? ({2})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kolb, wir machen keine Politik, die Frühverrentungsanreize setzt. Wir setzen klare Rahmenbedingungen in der Rentenpolitik. Ich will die Schwammigkeit Ihres Konzepts nur an dem von Ihnen angesprochenen Thema Hinzuverdienste deutlich machen. Jeder, der im gesetzlichen Rentenalter ist, kann in Deutschland zu der Rente so viel hinzuverdienen, wie er will. Grenzen bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten bestehen nur für diejenigen, die in Frührente sind. In Ihrem Konzept müssten Sie erst einmal definieren, wer Frührentner ist. Ist der 60-Jährige nach Ihrer Definition gar kein Frührentner mehr, weil man ja mit 60 in Rente gehen kann? Ist in Zukunft der 65-Jährige noch Frührentner, weil das Renteneintrittsalter bei 67 liegt, oder nicht? Sie haben diese Frage überhaupt nicht beantwortet. ({0}) Herr Kolb, Sie haben sich auf mehreren Parteitagen mit dieser Frage beschäftigt. Vermutlich brauchen Sie noch ein paar Parteitage; denn bisher drücken Sie sich um die Wahrheit herum. ({1}) Ich finde, wir können stolz auf das sein, was wir in der Großen Koalition auf diesem Gebiet geleistet haben. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping von der Fraktion Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Sommer haben verschiedene Politiker für eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze geworben, und zwar insbesondere aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise. Ich finde es sehr erfreulich, dass auch in den Reihen von CDU und SPD die Erkenntnis angekommen ist, dass 347 Euro im Monat einfach viel zu wenig sind, um an dieser Gesellschaft teilhaben zu können. ({0}) Ärgerlich ist aber, dass die Bundesregierung mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf den bisherigen Kurs von Hartz IV zementiert. Damit zementiert die Bundesregierung Verarmung, Verelendung und Entmündigung. ({1}) Frau Lehn, Sie haben uns Fahrlässigkeit vorgeworfen, haben aber selbst kostenfreie Schulspeisungen, Klassenfahrten und Kitas gefordert. Ich würde mich freuen, wenn wir tatsächlich gemeinsam für kostenfreie Schulspeisungen, Klassenfahrten und Kitas kämpfen könnten. In dieser Debatte drängt sich einem aber der Verdacht auf, dass das für Sie nur ein Ablenkungsmanöver ist; denn erst haben Sie mit Ihrer Steuerpolitik für eine Verarmung der Kommunen gesorgt, ({2}) dann haben Sie im Rahmen der Föderalismusreform dafür gesorgt, dass sich der Bund an den laufenden Kosten für Kindertagesstätten und Schulen überhaupt nicht mehr beteiligen kann, und jetzt stellen Sie sich hier hin und fordern lieber kostenfreie Kitas, anstatt die Regelsätze zu erhöhen. Leider können wir jetzt nicht frei darüber reden, was die Kommunen besser machen könnten. ({3}) - Liebe Frau Lehn, Sie stimmen mir doch sicherlich zu, dass die Tagesordnung die Debatte über den Entwurf des Bundeshaushaltes ausweist und wir hier nicht darüber sprechen, was die Kommunen anders machen könnten. Deswegen müssen wir jetzt über die Höhe der Regelsätze reden. ({4}) Verarmt, verunsichert, ausgegrenzt und ohne Perspektive - das ist das Fazit einer aktuellen Studie zu den Auswirkungen von Hartz IV. Im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat die Sozialwissenschaftlerin Anne Ames die Auswirkungen von Hartz IV untersucht. Das zentrale Ergebnis dieser Studie ist, dass 85 Prozent aller Befragten ihre sozialen Beziehungen als belastet erleben. Für die Pflege von sozialen Kontakten fehlt schlicht und ergreifend das Geld. Von Arbeitslosengeld II leben zu müssen, bedeutet leider für viele ein Leben in Isolation und Einsamkeit. Wenn wir uns ernsthaft mit der Höhe des Regelsatzes beschäftigen, dann müssen wir Folgendes zur Kenntnis nehmen: Der Regelsatz reicht noch nicht einmal für eine gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen. ({5}) Wollen Sie wirklich, dass das so bleibt? ({6}) - Auch Ihre Zwischenrufe ändern nichts an dieser Erkenntnis. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung des Institutes für Kinderernährung der Universität Bonn verweisen - das Folgende hat sich nicht meine Fraktion ausgedacht, sondern das ist die Erkenntnis der Universität Bonn -: Der gegenwärtige Regelsatz weist für 14- bis 18-Jährige pro Tag nur 3,42 Euro für Nahrung und Getränke aus. Für eine ausgewogene Ernährung eines Teenagers sind pro Tag jedoch mindestens 4,68 Euro notwendig, und das auch nur unter der Voraussetzung, dass man ausschließlich bei Billigdiscountern einkauft. Deswegen fordert die Linke, dass die Regelsätze von Hartz IV umgehend erhöht werden, und zwar auf mindestens 435 Euro. ({7}) Das wäre im Übrigen auch finanzierbar. Sie müssten nur auf einige Steuergeschenke an die Unternehmen im Rahmen der Unternehmensteuerreform verzichten. ({8}) Die Linke kritisiert aber nicht nur die Höhe des Regelsatzes, sondern fordert auch: Die Sanktionen und die 1-Euro-Jobs müssen weg. Wir können die Augen doch nicht davor verschließen, dass 1-Euro-Jobs zunehmend reguläre Arbeitsplätze verdrängen. ({9}) Neben den großen Posten im Haushaltsentwurf verdient auch eine kleinere Haushaltsstelle unsere Beachtung; denn sie ist bezeichnend. Für die „kommunikative Begleitung der Implementierung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ - hier zitiere ich aus dem Haushaltsentwurf - plant die Bundesregierung 1 Million Euro ein. Das muss man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen lassen: Es geht um die kommunikative Begleitung der Implementierung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zu Deutsch: Sie wollen die Werbetrommel für Hartz IV rühren, für ein Gesetz, das so einen schlechten Ruf hat, dass man in Talkshows kaum noch jemanden findet, der dafür verantwortlich sein will. ({10}) Dieses Geld könnten wir wirklich sinnvoller einsetzen, zum Beispiel für die Unterstützung von unabhängigen Erwerbsloseninitiativen. Nehmen Sie doch zur Kenntnis: Kein Werbefilm der Welt macht aus der Verelendungsgeschichte Hartz IV eine Erfolgsstory. ({11}) Hinter den vielen Zahlen, die wir im Zuge der Haushaltsberatungen beschließen werden, stehen ganz konkrete Schicksale, Schicksale von Männern, Frauen und Kindern. Eine dieser Frauen möchte ich am Ende meiner Rede zu Wort kommen lassen. Ich zitiere aus der erwähnten Studie: [Mir ist wichtig,] dass die Öffentlichkeit endlich begreift, dass es jedem passieren kann. Ich habe zwei prekäre Arbeitsverhältnisse und komme trotzdem nicht aus der Hartz-IV-Geschichte heraus. Ich wünsche mir, dass wir nicht als Sozialschmarotzer hingestellt werden. Ich war selbst vor zwei Jahren noch Leistungsträgerin der Gesellschaft, und ich habe es mir nicht ausgesucht, arbeitslos zu werden. Ich denke, dieses Zitat spricht für sich. Ziehen wir also bei den weiteren Haushaltsberatungen die notwendigen Schlüsse! Ein „Weiter so“ in puncto Hartz IV darf es auf keinen Fall geben. Danke schön. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundesminister Müntefering und auch mein Kollege Ralf Brauksiepe haben bereits auf die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hingewiesen. Deshalb muss ich die Daten nicht wiederholen. Aber ich will ganz deutlich sagen, dass in gut zwei Jahren über 1 Million Arbeitsplätze entstanden sind, und das, ohne die Arbeitnehmerrechte abzubauen. ({0}) Arbeit und Soziales gehören eng zusammen. Das Soziale, die Arbeitnehmerrechte haben einen eigenen Wert. Das Soziale muss nicht geschleift oder gar geopfert werden, um zu mehr Arbeitsplätzen zu kommen. Das ist die Erkenntnis des Prozesses der letzten zwei Jahre. Darauf muss man in der heutigen Debatte ganz deutlich hinweisen. Die SPD steht. Sie ist ein Garant für fortschrittliche Arbeitnehmerrechte. Wir haben nicht zugelassen, dass der Kündigungsschutz geschleift wird; wir haben nicht zugelassen, dass das Betriebsverfassungsgesetz ausgehöhlt wird, und wir haben auch nicht zugelassen, dass die Tarifautonomie durch gesetzliche Maßnahmen unterlaufen wird. ({1}) Ich hoffe sehr, dass sich das diejenigen merken, die, wenn es ein bisschen schlechter geht, behaupten, das erste Rezept zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation sei der Abbau von Arbeitnehmerrechten. Genau diesen Irrweg machen wir nicht mit. ({2}) Interessant ist auch - das will ich an dieser Stelle sagen -, welche Bedeutung dem Flächentarifvertrag wieder zukommt. Viele, die noch gestern nach dem Ausstieg gerufen und betriebliche Bündnisse als das Wunderwerk, mit dem man Tarifverträge unterlaufen könne, proklamiert oder die Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden ohne tarifliche Bindung forciert haben, erkennen zwischenzeitlich den Wert des Flächentarifvertrags angesichts stärkerer Bedeutung von Berufsverbänden wie Cockpit, Ärztevereinigungen oder auch den Lokführerverbänden ganz neu. Selbst BDA-Präsident Hundt erwartet von uns, dass wir die Unternehmen vor der neuen Gefahr schützen und sogar gesetzlich eingreifen, um genau das, wonach man vorher gerufen hat, möglichst schnell zu verhindern. Für uns - das will ich hier deutlich sagen - hat der Flächentarifvertrag eine große Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung, für die Verlässlichkeit der Arbeitsbeziehungen und für den sozialen Frieden in unserem Land. ({3}) Unsere Politik ist gut für die Menschen, für das Wachstum und die Beschäftigung in unserem Land und auch für die Sozialkassen. Die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge bei der Bundesagentur für Arbeit um 2,6 Prozentpunkte und die Vorziehung der Fälligkeit der Zahlbeträge haben allein in diesem Jahr eine Entlastung um 20 Milliarden Euro mit sich gebracht. Das ist ein wesentliches Konjunkturprogramm, durch das die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Investitionskraft der Unternehmen nachhaltig gestärkt werden. Nun zur Frage: Ist eine weitere Senkung möglich, und hat sie Priorität? Ich sage ganz deutlich: Unsere oberste Priorität besteht darin, dafür zu sorgen, dass wir genügend Mittel für Weiterbildung und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt zur Verfügung haben. Das muss unser erstes Ziel sein, wenn es um die Höhe der Beitragssätze geht. Denn 300 000 Altbewerber, bei denen es oft große Vermittlungshemmnisse gibt, brauchen auf dem Arbeitsmarkt eine Chance. Auch Ältere brauchen eine besondere Chance. Ich sage ganz deutlich: Eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten bringt denen, die benachteiligt sind, keine neuen Arbeitsplätze. Dieser Personenkreis braucht besondere Hilfen. Die SPD steht dafür, diese Hilfen rechtzeitig und umfassend zur Verfügung zu stellen. ({4}) Zu diesem Thema haben wir heute schon manches Märchenstündchen gehört. Frau Dr. Winterstein, ich fand es übrigens ein bisschen unverschämt, dass Sie dem Bundesarbeitsminister im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge Bereicherung vorgeworfen haben. Hier haben Sie sich aus meiner Sicht in Ihrem Ton und im Inhalt Ihrer Aussage vergriffen. ({5}) Ich finde, hier und heute muss der deutliche Akzent gesetzt werden, dass wir nicht prinzipiell gegen Beitragssatzsenkungen sind. ({6}) Nein, wir werden jeden Spielraum für Beitragssatzsenkungen nutzen. Wichtig ist aber, dass zuerst die Inhalte abgearbeitet werden. ({7}) Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben ermöglichen. ({8}) Meine Damen und Herren, unser Ziel ist nicht „Billiger“, sondern „Mehr Qualität“. Wir wollen keine BilligArbeitslosenversicherung. Wir wollen eine Arbeitslosenversicherung, die nachhaltig dabei hilft, die Beschäftigungssituation zu stärken. Das ist in erster Linie dadurch zu erreichen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit durch qualifizierte Mitarbeiter gesteigert wird. ({9}) Wir müssen besser statt billiger werden. Wir brauchen bessere Produkte und besseren Service. Damit können wir punkten, aber nicht, wenn wir der Mär Glauben schenken, dass eine Senkung des Beitragssatzes um 1 Prozentpunkt 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze bringt. Das würde nämlich auch den Schluss zulassen, dass wir, wenn wir die Arbeitslosenversicherung auf null herunKlaus Brandner terfahren würden, 400 000 Arbeitslose weniger hätten, dann aber nichts mehr für die 3,3 Millionen Arbeitslosen tun könnten, die es dann immer noch gäbe. Dadurch würden wir gerade denen unsere Hilfe entziehen, die sie brauchen. Deshalb sollten wir solchen Automatismusformeln nicht anhängen, sondern sehr gezielt prüfen, wohin das Geld fließt und wofür es verwendet wird. Die positive finanzielle Entwicklung bei der Bundesagentur für Arbeit ist eine große Chance für mehr Qualität in der Beratung und Vermittlung und für mehr Qualität in der Weiterbildung insbesondere derjenigen, die eine besondere Chance brauchen. Dafür ist nun Spielraum vorhanden, den wir jetzt offensiv nutzen sollten. Wir wollen Chancen für alle, erst recht in einer Situation, in der die Konjunktur dies erleichtert. Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung an einem Teil der Menschen vorbeigeht. Deshalb hat Minister Müntefering im Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für den Eingliederungstitel Mittel in Höhe von 6,4 Milliarden Euro bereitgestellt, und das ohne Sperrvermerk. Das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren: Wir haben 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung, und zwar ohne Sperrvermerk. ({10}) Es gibt also keine Unsicherheiten mehr. Insofern ist auch für die Arbeit der Fallmanager vor Ort Planungssicherheit gewährleistet. Das ist das klare Signal, dass wir mehr Weiterbildung fördern, indem wir für das Fördern umfangreiche Mittel zur Verfügung stellen. Für uns war immer klar: Druck auf die Arbeitslosen auszuüben, das allein reicht nicht aus. Für uns gilt: An erster Stelle steht das Fördern, und das Fördern ist die Legitimation für das Fordern. Jetzt stehen für bestimmte Gruppen genug Mittel zur Verfügung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Brandner, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Brandner, ist Ihnen bekannt - das ist auch ein Hinweis an Frau Lehn -, dass auch im Haushalt für 2007 für diesen Bereich Mittel in Höhe von 6,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden sind und dass, als die Einbringungsreden gehalten wurden, damals von einem Sperrvermerk weit und breit nichts zu hören war? ({0}) - Aber nicht bei der Einbringung des Haushalts.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie versichern uns jetzt, dass das, was an dieser Stelle beschlossen wird, tatsächlich für die Arbeitslosen zur Verfügung gestellt wird. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Pothmer, nehmen Sie uns doch einfach beim Wort! Ich habe gesagt, dass 6,4 Milliarden Euro im Wiedereingliederungstitel ohne Sperrvermerk zur Verfügung stehen werden. Das ist es, was wir vertreten und was wir auch in der zweiten Lesung vertreten werden. Sagen Sie das den Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen draußen im Land, damit sie sich auf diese Situation einstellen können! ({0}) - Sie können ruhig stehen bleiben, wenn ich Ihnen antworte. - Ganz besonders liegt mir das Steckenpferd der SPD am Herzen - leider haben die Linken dem nicht zugestimmt; Sie haben das kritisch begleitet -, die „JobPerspektive“. ({1}) Die „JobPerspektive“ braucht diesen finanziellen Spielraum. Die Leute vor Ort brauchen Planungssicherheit dergestalt, dass für Personen mit erheblichen Vermittlungshemmnissen - das sind diejenigen, die trotz guter arbeitsmarktpolitischer Fördermaßnahmen keine Chance auf eine dauerhafte Integration in den ersten Arbeitsmarkt haben - künftig genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Genau das sieht der Haushalt vor. Insofern: Seien Sie mit die Botschafterin dafür, dass vor Ort die Vorbereitungen für sinnvolle Beschäftigungsmaßnahmen getroffen werden! Damit haben wir für einen besonderen Personenkreis etwas Gutes getan. ({2}) Wir brauchen insbesondere einen Mentalitätswechsel, wenn es darum geht, Ältere wieder stärker in die Arbeitswelt einzugliedern. Als große Koalition haben wir bessere Rahmenbedingungen dafür vorgesehen. Die SPD-Initiative für altersgerechtes Arbeiten ist ein weiteres Stichwort, auf das ich verweisen möchte. Es geht uns im Kern darum, die Bedingungen zum Erreichen der Rente durch altersgerechtes Arbeiten zu verbessern. Wo das nicht gleich möglich ist, wollen wir gleitende Übergänge organisieren, und zwar durch eine echte Altersteilzeit und nicht vorrangig durch verblockte Zeit, durch eine bessere Teilrente. Darüber ist in den letzten Tagen sehr viel geschrieben worden, und ich freue mich ausdrücklich, dass der ZDH, der DIHK und der DGB die Pläne, die wir dazu diskutieren, ausdrücklich begrüßen und für richtig befinden. Deshalb gilt es, die Teilrente zu modernisieren, ({3}) bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten zu schaffen und damit ein flexibles Element des Übergangs vom Arbeitsleben in den nächsten Lebensabschnitt zu organisieren. ({4}) Wir stellen damit keineswegs - das will ich klar sagen das notwendige Projekt der Anhebung der Lebensarbeitszeit - die Rente mit 67 - insgesamt infrage. Vielmehr müssen wir die Bedingungen verbessern, damit die Menschen in Würde ein höheres Renteneintrittsalter erreichen können. Das ist unser Ziel; denn diese Veränderungen sind zwingend und notwendig. ({5}) Es ist wichtig, dass wir uns der Ausbildungssituation stärker widmen. Der Ausbildungspakt zeigt allmählich positive Wirkungen. ({6}) Wir haben ein deutliches Plus bei den gemeldeten Ausbildungsstellen. Ich will Ihnen aber klar sagen, dass der Anstieg in erster Linie aufgrund öffentlich geförderter Ausbildungsstellen zu verzeichnen ist. Es gibt nur 12 900 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze. Das Klagen einiger Unternehmen über den Fachkräftemangel muss in Schall und Rauch aufgehen, wenn sie nicht selbst genug für die Ausbildung in den Betrieben tun, wenn sie sich selbst nicht den Erfordernissen der Weiterbildung stellen. Die Bundesagentur für Arbeit muss - solange die finanziellen Mittel in der gegenwärtigen Größenordnung zur Verfügung stehen - zuerst dabei helfen, jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Wichtig und richtig ist aber - das soll hier deutlich gesagt werden -: Die Verantwortung bleibt bei den Unternehmen. Wir dürfen ihnen diese Verantwortung langfristig nicht abnehmen. ({7}) Bei der Weiterbildung gibt es in Deutschland große Schwächen. Die Zahl der Unternehmen, die sich den Herausforderungen der betrieblichen Weiterbildung stellen, ist weiter zurückgegangen. Dass die Unternehmen dieses Thema in einer Situation so sträflich vernachlässigen, in der unsere wichtigsten Ressourcen Qualifikation, Weiterbildung und die Fähigkeit, sich auf neue Herausforderungen einzustellen, sind, ist nicht zu verzeihen. Es ist für uns als Bundesregierung, die Initiativen zum Beispiel zur Förderung der Techniker- und Meisterausbildung gestartet hat, nicht verzeihlich, dass diese gut ausgebildeten Kräfte in Betrieben sehr häufig an Arbeitsplätzen für Angelernte belassen werden, ihnen keine Aufstiegsmöglichkeiten gegeben und sie damit nicht adäquat eingesetzt werden. Diesen Unternehmen müssen wir nahelegen, dass sie zuerst auf die vorhandenen Qualifikationen zurückgreifen sollen. Damit hätten sie für viele Menschen in diesem Lande etwas Gutes getan. ({8}) Weiterbildung und Qualifizierung sind ein wichtiges Thema. Das gilt aber auch für die Leiharbeit, die ich als letztes Stichwort kurz ansprechen möchte. Die Leiharbeit ist ein wesentliches Sprungbrett, um in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu kommen. Doch was wir dabei zwischenzeitlich erleben, können wir Sozialdemokraten nicht bejubeln. Leiharbeit, Zeitarbeit ist ein Schritt auf Zeit, aber nicht dazu gedacht, dauerhafte Leiharbeitsverhältnisse zu schaffen. ({9}) Es kann nicht angehen, dass die Zeitarbeit dazu benutzt wird, um Stammarbeitsplätze abzubauen. Das ist kontraproduktiv. Ich kann das an dieser Stelle aus Zeitgründen nicht weiter ausführen, will aber ganz deutlich sagen: Es ist im Interesse der Zeitarbeitsbranche, dass sie selbst ein Zeichen setzt, den Verleihzeitraum begrenzt und Outsourcing-Prozesse, die zu nichts anderem als Lohndumping führen, nicht durchführt. Die Zeitarbeit ist wichtig, um Auftragsspitzen abzufangen und Stammarbeitsplätze zu sichern, darf diese aber nicht ersetzen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Klaus Brandner, der Versuch, die Wirklichkeit und die Beschreibung derselben in Übereinstimmung zu bringen, muss nicht immer glücken. Es ist ja richtig, dass Sie im Haushalt wieder 6,4 Milliarden Euro für die Förderung, für die aktive Arbeitsmarktpolitik vorsehen. Aber eines muss man schon zur Kenntnis nehmen: Wir sind jetzt im dritten Jahr - am Anfang hat das noch Rot-Grün beschlossen -, in dem für die Förderung im Bereich Hartz IV bzw. Sozialgesetzbuch II 6,4 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Im dritten Jahr werden wir es nicht erreichen, die zur Verfügung gestellten Mittel auszuschöpfen. Das muss man auch einmal sagen, anstatt es schon für etwas Besonderes zu halten, dass die Leistungen jetzt ohne Sperrvermerk zur Verfügung gestellt werden. Dass Sie schon so kleine Brötchen backen, ist bezeichnend. ({0}) Herr Brauksiepe, Sie haben der Opposition, insbesondere uns als Grünen, vorgeworfen, wir hätten Scheuklappen auf, seien verzweifelt. Verzweifelt bin ich eigentlich nur, wenn Sie versuchen, vorzurechnen, wie man beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf unter 40 Prozent kommt, wenn er bei 41 Prozent liegt. ({1}) Das mit den Scheuklappen fällt also auf Sie zurück. Wir leugnen gar nicht, dass der Aufschwung positive Folgen hat. Ich halte es da mit unserem Vorsitzenden Fritz Kuhn, der ja gestern ganz offen gesagt hat: Sie haben bestimmte günstige Rahmenbedingungen. - Das wollen wir durchaus zur Kenntnis nehmen, und wir sehen auch die günstige Perspektive für die Politik in Deutschland. Aber gerade wenn man günstige Rahmenbedingungen und einen guten konjunkturellen Hintergrund hat, muss man in den Bereichen etwas tun, bei denen man sich Sorgen machen muss, und dort die Scheuklappen abnehmen. Wenn ich mir als sozialpolitischer Sprecher meiner Fraktion über etwas Sorgen mache, dann sind das die Kinder, die dauerhaft in Armut leben und deren Zahl trotz des Aufschwungs weiter wächst. ({2}) Ich muss Ihren Fraktionsvorsitzenden Kauder ernst nehmen können, wenn er sagt: Jeder soll beim Aufschwung mitgenommen werden. Doch er geht mit keinem Wort auf die Zahl der Kinder ein, die von Leistungen nach SGB II, Arbeitslosengeld II, leben. Ihre Zahl hat im April 2007 den Höchststand von 1,9 Millionen erreicht. Nach den vorläufigen Zahlen für August 2007 sind es weiterhin 1,8 Millionen Kinder. Wenn wir noch diejenigen berücksichtigen, ({3}) die sich verdeckt, ohne das Geld zu beantragen, auf ähnlichem materiellen Niveau befinden, sind wir bei über 2,5 Millionen Kindern. Wenn wir dann noch auf die Großstädte fokussieren, insbesondere auf Berlin, das Ruhrgebiet, die Ballungsräume, stellen wir fest, dass in Berlin 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren in Haushalten leben, die Arbeitslosengeld II beziehen. Wenn von den 25 000 Kindern, die Ende August in Berlin eingeschult wurden, 40 Prozent in Haushalten leben, die Arbeitslosengeld II erhalten, dann heißt das, es gibt Schulklassen, in denen über die Hälfte der Kinder vom Arbeitslosengeld II lebt. Das müssen wir einmal zur Kenntnis nehmen! Vor diesem Hintergrund ist eine Regelsatzdebatte mehr als überfällig und absolut gerechtfertigt. ({4}) Man muss diese Debatte nüchtern führen. Aus meiner Sicht reichen vage Hinweise wie „Wir müssen schauen, ob die Ecksätze stimmen“, wie der Minister in seiner Auftaktrede festgestellt hat, nicht aus. Die Länderkollegen sind teilweise schon weiter. Ich denke zum Beispiel an Herrn Laumann aus Nordrhein-Westfalen - wir haben ihn noch aus der letzten Legislaturperiode in guter Erinnerung -, der vor einigen Monaten im Mai 2007 in einer Debatte im Landtag von Nordrhein-Westfalen darauf hingewiesen hat, dass es nicht zutreffen kann, dass ein Kind von 14 Jahren nur 60 Prozent von dem verzehrt, was ein Erwachsener zu sich nimmt; als Vater von drei Kindern könne er das beurteilen. ({5}) Auch wenn ich vieles an Herrn Laumann kritisieren kann, gefällt mir sein von der Lebenswelt geprägter Zugang zur Politik in diesem Zusammenhang durchaus. ({6}) Er hat auch Konsequenzen gezogen - dafür muss man ihn loben -, ({7}) indem er eine unabhängige Kommission eingerichtet hat, die die Legitimität der Regelsätze überprüfen soll. Ich wünsche mir, dass wir das auch auf Bundesebene machen und unabhängig von mathematischen Rechenmodellen überprüfen, ob mit dem Betrag von 208 Euro für unter 14-Jährige ein vernünftiges Leben überhaupt darstellbar ist. ({8}) Das alles, was dieser Landesminister oder auch Ministerpräsidenten wie Herr Althaus und Herr Stoiber machen - der als Abschiedsgruß festgestellt hat, dass der Regelsatz für Kinder erhöht werden muss -, wird allerdings zur Heuchelei, wenn die Ministerpräsidenten der Länder Wohltaten fordern, was Sie dann aber auf Bundesebene ignorieren. Auf diese Weise führen Sie die Bürgerinnen und Bürger hinters Licht. Sie sollten sich einmal mit den Folgen der Kinderarmut befassen. Erst gestern hat der Präsident der größten Krankenkasse dargelegt, dass 22 Prozent der Kinder psychische Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die bei ärmeren Kindern konzentriert auftreten. Die größte Krankenkasse gibt jährlich 50 Millionen Euro für psychotherapeutische Behandlungen aus. Weitere 25 Millionen Euro - auch das konzentriert sich bei den Ärmeren - werden für logopädische Behandlungen erstattet. Diese Folgekosten muss man in die Gesamtberechnung einbeziehen. Darauf habe ich schon mehrfach hingewiesen. Das wird aber nachhaltig ignoriert. Stattdessen lassen Sie sich einen Kinderzuschlag einfallen, der nur die Erwerbstätigen erfasst und diejenigen ausschließt, die dauerhaft arbeitslos sind. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte um Nachsicht, aber ich folge dem Finale Ihrer Rede mit gespanntem Interesse.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es hatte sich eine Zwischenfrage ergeben, die wahrscheinlich beim Präsidentenwechsel untergegangen ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Noch kann es keine Zwischenfrage gegeben haben. Sie kann allenfalls angemeldet worden sein. Aber ich verstehe Ihren dezenten Hinweis als das ausgeprägte Interesse, durch Zulassung dieser Zwischenfrage Ihre Redezeit zu verlängern. - Bitte schön, Frau Falk.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kurth, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass eine Anhebung des Regelsatzes für Kinder die geschilderten Probleme löst. Sie müssen doch einerseits den Hintergrund sehen, warum Kinder in die Situation kommen, Transferleistungen zu beziehen. Der Hintergrund besteht darin, dass Eltern aus Gründen, die ich jetzt nicht zu bewerten habe, in Arbeitslosigkeit geraten sind und selber von der Transferleistung abhängig sind. Die Leistungen, die sie für ihre Kinder bekommen, sollten in aller Regel ausreichen. Wenn das nicht der Fall ist, liegt die Ursache häufig darin, dass Eltern nicht in der Lage sind, mit dem Geld umzugehen und ihren Kindern zu Hause die richtigen Rahmenbedingungen zu bieten, ({0}) damit sie aufwachsen können, ohne psychisch belastet zu werden und psychische Defizite zu entwickeln, wie es vielfach der Fall ist. Wir müssen in die Familien hineingehen und ihnen helfen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie hatten sich zu einer Zwischenfrage gemeldet, Frau Kollegin. ({0})

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das hängt alles zusammen. Ich will nur deutlich machen, dass die Frage darauf abzielt, dass die finanzielle Leistung alleine nicht ausschlaggebend sein kann, sondern dass viele andere Hilfen nötig sind. Sind Sie mit mir dieser Meinung?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass es speziell für Kinderarmut - wie auch für Armut im Allgemeinen viele Ursachen gibt und dass finanzielle Transferleistungen alleine nicht ausreichen, um die Armutssituation dauerhaft zu überwinden. Aber ich lehne es ab, strukturelle Hilfen in den Bereichen Bildung und Erziehung sowie Familienhilfen gegen eine Erhöhung des Regelsatzes auszuspielen. ({0}) Grundlage ist die materielle Sicherheit, auf der andere Hilfen und zusätzliche Unterstützung aufbauen können. Ich möchte noch kurz auf Ihren Hinweis eingehen, dass das nicht reiche. Das Ergebnis einer von Margot Münnich für das Statistische Bundesamt erhobenen Studie über die Einkommensverhältnisse armer Familien ist, dass Eltern in der Regel alles tun, um ihre Kinder vor Armut zu bewahren, und zuerst bei ihren Ausgaben sparen, bevor sie bei den Kindern sparen. ({1}) Es wird behauptet, die Hilfen kämen oft nicht bei den Kindern an, oder die Eltern seien daran schuld, dass die Unterstützung nicht den Kindern zugute komme. Das mag in bestimmten Fällen so sein. Aber das ist keineswegs empirisch belegt. Ich komme zum Schluss. Von dem Kinderzuschlag, den Sie vorschlagen, profitieren nur diejenigen, die bereits arbeiten. Aber wir müssen für die 2,2 Millionen, die trotz aller Unterstützungsmaßnahmen leider mehr oder minder dauerhaft Arbeitslosengeld II beziehen, Lösungen finden. Dazu gehören eine Erhöhung des Regelsatzes und natürlich auch ergänzende Hilfen für Essen und Lernmittel, Frau Lehn. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen haben in der Vergangenheit zwei Anträge gestellt mit der Forderung, den Jobcentern im Rahmen einer Kannbestimmung zumindest die Möglichkeit zu eröffnen, Essen, Lernmittel und Fahrtkosten zu bezuschussen. ({2}) Aber Sie haben das abgelehnt. Bevor Sie wohlfeile Forderungen an Länder und Kommunen stellen, sollten Sie sich an die eigene Nase fassen und die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Wir können dies tun. Wir sollten keine Sonntagsreden halten und Forderungen stellen, die wir schon längst hätten erfüllen können. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Hans-Joachim Fuchtel ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als langjähriger Haushälter verrate ich Ihnen: ({0}) Wenn es dem Einzelplan 11 gut geht, dann geht es dem gesamten Bundeshaushalt gut. ({1}) Ich habe heute von niemandem gehört, dass sich die Situation nicht stabilisiert habe. Die Wahrheit ist, dass wir erste Entlastungstendenzen verspüren. Dies ist insgesamt gut für dieses Land. ({2}) Verehrte Frau Kollegin Dr. Winterstein, Sie haben vorhin manches gesagt, was ich mittragen kann. In einem Punkt muss ich Ihnen aber deutlich widersprechen. Die Entlastung ist nicht nur das Ergebnis der guten Konjunktur. Sie kommt vielmehr auch durch die strukturellen Veränderungen, die durch die Gesetzgebung bewirkt wurden. ({3}) Sonst führte die SPD beispielsweise nicht eine Diskussion über die Agenda 2010. ({4}) Es geht darum, wie wir die Gestaltungsräume nutzen. Ich darf die Prioritäten kurz skizzieren: erstens weitere Entlastung der Beitragszahler - ich bin mir ganz sicher, dass wir hierüber noch ins Gespräch kommen -, zweitens Fortsetzung der Konsolidierung und drittens die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme. Dazu ist heute sehr wenig gesagt worden. Aber wer eine nachhaltige Sozialpolitik gestalten möchte, muss auch Reserven für die Stabilisierung schaffen. Am Ende des Jahres werden wir Reserven in Höhe von circa 16 Milliarden Euro in der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung aufgebaut haben. Hier sollten Sie von den Grünen einmal gut zuhören. Als Sie aus der Regierung ausgeschieden sind, gab es null Reserven. Das ist der Unterschied. ({5}) Schwarz-Rot erfüllt das, was Rot-Grün versprochen hat. Der Aufbau der Reserven ist ein Beispiel dafür, dass die Stabilisierung gelungen ist. Das vierte wichtige Projekt, das wir in der jetzigen guten Situation voranbringen müssen, damit Deutschland ein moderner Sozialstaat bleibt, ist der weitere Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Es ist natürlich ein sehr wichtiger Punkt, wenn 7,3 Millionen Menschen von Hartz IV betroffen sind. Diese Zahl müssen wir reduzieren. Dem wird Priorität eingeräumt. Die Union wird in den nächsten Monaten einige Impulse geben. Zunächst einmal wollen wir nicht mit dem Kopf durch die Wand, aber wenn es die Herbstzahlen zulassen, dann reden wir - da sind wir mit dem Minister einig - über eine weitere Beitragssenkung in der Arbeitslosenversicherung. Wenn mir Herr Kollege Kolb dazu Zwischenfragen stellen würde, würde ich ihm im Einzelnen erläutern, warum das nicht so einfach geht. ({6}) Wenn sich der Trend bei den Herbstzahlen fortsetzt, dann wird eine Senkung des Beitrags von 3,9 Prozent auf 3,5 Prozent möglich werden. Das werden wir ernsthaft anstreben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich mache in der Zwischenzeit vorsichtshalber darauf aufmerksam, dass ich so offensichtlich bestellte Zwischenfragen nicht zulassen würde. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Zwischenbemerkung wurde mir aber nicht auf meine Redezeit angerechnet, Herr Präsident? Ein anderes Thema ist die Schaffung weiterer Liquidität. Wir wollen, dass eine Entrümpelung der Arbeitsmarktinstrumente stattfindet. Statt 80 Einzelprogrammen wollen wir eine Neufassung mit weniger Programmen. Das beseitigt Bürokratie und wird die Abläufe beschleunigen. Als nächsten Schritt werden wir als Union auf eine bedingungslose Evaluierung jedes Arbeitsmarktprogramms hinarbeiten. Wir müssen - das sage ich uns allen - stärker den Spruch beherzigen: Wenn das Pferd tot ist, muss man auch absteigen. ({0}) Der nächste Punkt betrifft die Privathaushalte. Wir müssen die Privathaushalte als Arbeitgeber entdecken. Herr Minister Müntefering, herzlichen Dank für das Interview, das Sie der Welt am Sonntag vor zwei Wochen gegeben haben. Endlich entdecken auch die Kollegen in der Koalition, dass hier ein großes Potenzial besteht. Hier kann man noch Arbeitskräfte aktivieren, und hier gibt es eine Nachfrage, wenn man die Rahmenbedingungen richtig gestaltet. Ich darf zusammenfassend sagen: Herr Minister, die Union steht für einen großen Wurf auf diesem Gebiet bereit. ({1}) Wir hoffen, dass wir nicht in ideologische Diskussionen verfallen, sondern dass wir die Chancen nutzen. Ich persönlich denke, dass man auf eine Obergrenze von monatlich 2 500 Euro inklusive Sachbezüge kommen kann, wenn man alle Instrumente zusammenführt. Dann werden wir eine große Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze schaffen, was den Arbeitsmarkt entlasten wird. Wir rechnen zurzeit nach und werden konkrete Vorschläge machen. Das möchte ich hier ankündigen. Diese Zeit ist auch die Stunde einer verstärkten Bekämpfung der Schwarzarbeit. Auch das ist heute noch nicht angesprochen worden. Während die Politesse heutzutage den Parksünder mit digitalen Geräten verfolgt und ihm Strafzettel ausstellt, kämpfen unsere tapfe11618 ren Beamten der Finanzverwaltung gegen die Schwarzarbeit in unserem Hightechland mit der Hand am Arm an. Wir müssen auch hier digitale Instrumente einführen und unsere Ressourcen nutzen. Das ist im Interesse der Kultur der sozialen Marktwirtschaft, des regulären Arbeitsmarkts und der öffentlichen Kassen. ({2}) Das Thema der privaten und betrieblichen Altersvorsorge ist ganz kurz angesprochen worden. Für uns intern war die Entscheidung über die Entgeltumwandlung sehr schwierig. Wir reden hier nicht von kleinen Brötchen, sondern von richtig großen Broten. Wir schätzen, dass wir einen Beitragsausfall in Höhe von bis zu 2,4 Milliarden Euro haben werden, wenn wir die bisherige Form der Freistellung von der Sozialversicherungspflicht beibehalten. Das aber ist für die junge Generation ein Angebot. Deswegen machen wir das. ({3}) Die Union wird am Investivlohn dranbleiben. Partnerschaft in der globalen Wirtschaft braucht eine stärkere Arbeitnehmerbindung an den Betrieb. Vermögensbildung muss konkret sein und darf nicht in anonymen Fonds stattfinden. Mich als Haushälter hat am meisten das Schuler-Modell überzeugt. Das kostet den Staat wenig und bringt dem Einzelnen viel. All diese Zukunftsprojekte stehen natürlich unter dem Signum äußerster Sparsamkeit; denn die guten Arbeitslosenzahlen bieten keinen Anlass zur Euphorie. Eines muss man nämlich hervorheben: Allein der Bund gibt über 35 Milliarden Euro für die Grundsicherung aus. Hinzu kommen 8 Milliarden Euro, die die Länder für den Wohnungsbereich zur Verfügung stellen. Insgesamt bringt der Staat also 43 Milliarden Euro auf, und dann kommen Sie und machen das schlecht. Sie sollten froh sein, dass der deutsche Steuerzahler die Kraft hat, so viel Geld für diese Aufgabe einzusetzen. ({4}) Weder SPD noch Union brauchen Nachhilfeunterricht über die Zusammensetzung des Kreises der Empfänger von Mitteln nach dem Sozialgesetzbuch II. Bei allen Bemühungen um eine Vereinfachung der Instrumente ist klar, dass wir die Situation mit konkreten Programmen - sie sind bereits dargestellt worden - noch differenzierter angehen. Als Haushälter sage ich: Ideenreichtum ist gefragt. Er darf allerdings nicht mehr als insgesamt 6,4 Milliarden Euro kosten. Zur Rentenversicherung brauche ich nicht viel zu sagen. Hier ist eine Entlastung und Entspannung eingetreten. Der Koalition ist es nach so vielen turbulenten Jahren Gott sei Dank gelungen, auf diesem Gebiet für Stabilität zu sorgen. Das ist ganz wichtig. Zum Schluss möchte ich sagen: Die Arbeitsmarktund Sozialpolitik ist sicher nicht unbedingt die Hauptgemeinsamkeit dieser Koalition. ({5}) Wenn man aber sieht, dass es gelungen ist, dafür zu sorgen, dass es über 1 Million zusätzliche Erwerbstätige gibt, dann muss man feststellen, dass das ein ganz gutes Ergebnis ist. Wir können darüber im Interesse der Menschen in diesem Land froh sein. Das sollte uns alle, auch die Menschen draußen im Lande, ermutigen, daran zu arbeiten, dass es noch besser wird. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in der Aussprache zu diesem Einzelplan ist der Kollege Stefan Müller für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Kolb hat mich gerade aufgefordert, etwas über meine Verwandtschaft zu erzählen. Mein Vater hat acht Geschwister; ich habe das gerade schon eingeworfen. Ich wüsste jetzt gar nicht, wo ich da anfangen soll; aber ich behalte mir das einmal vor. Ich kann jedenfalls noch viele Haushaltsberatungen mit Anmerkungen zu Onkeln und Tanten bestreiten. Wenn man diese Debatte verfolgt, zumindest die Reden der Opposition, dann hat man ein bisschen den Eindruck, als hätte man das alles schon einmal gehört. ({0}) Frau Lehn gehört zwar nicht der Opposition an, hat aber immerhin etwas Neues gebracht: Sie hat von Onkel Otto erzählt. Im letzten Jahr hat sie noch über Tante Käthe berichtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsfraktionen, viel Neues kam von Ihnen nicht. Die FDP sagt: Das ist ja alles schön und gut; aber der Aufschwung ist nicht der Aufschwung der Großen Koalition. Die Grünen sagen: Das ist alles schön und gut; aber es ist alles noch nicht ausreichend. Die Linke sagt: Alles ist schlecht; Hartz IV muss im Übrigen sowieso weg. Herr Kolb, Sie haben diverse Wünsche geäußert. Ich will darauf gern eingehen. Ich möchte aus Ihrer Haushaltsrede vom vergangenen Jahr zitieren. Sie haben damals als Kronzeugen Ihrer Aussagen den Wirtschaftssachverständigen Gustav Horn angeführt. Sie haben ihn zitiert: Der negative Impuls, der sich aus der saldierten Wirkung von Mehrwertsteuererhöhung und Änderung der Beitragssätze ergebe, führe zu einem Wachstumsverlust von über 1 Prozent. ({1}) Wie Sie vorgerechnet haben, müsste es im Jahr 2007 zu einem Wachstum von 1,5 Prozent minus X kommen. Stefan Müller ({2}) Herr Kolb, ich stelle fest, dass die Wirtschaftssachverständigen in diesem Jahr davon ausgehen, dass unser Wirtschaftswachstum nicht bei 1,5 minus X, sondern bei 2 Prozent plus X liegt; 2,3 Prozent sind prognostiziert worden. ({3}) Ich empfehle Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, sehr, sich als Kronzeugen für das, was Sie in Ihren Reden behaupten, bessere Sachverständige zu suchen. ({4}) Sie haben weiterhin darauf verwiesen, dass die positive Entwicklung, insbesondere bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, im Verlauf des Jahres 2007 sich wieder umkehren werde und dass wir unterm Strich weniger hätten. Die Zahlen brauche ich hier nicht mehr vorzutragen. Wenn die letzten Arbeitsmarktdaten, die ich gesehen habe, richtig sind, dann hatten wir zwischen August 2006 und August 2007 einen Zuwachs von weit über 600 000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. ({5}) Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten wenigstens einmal Ihrer Freude darüber Ausdruck verliehen, dass die Menschen, die letztes Jahr arbeitslos waren, in diesem Jahr wieder eine Beschäftigung haben. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Kolb hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. - Bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Kollege Müller, wenn Sie mir aufmerksam zugehört haben, konnten Sie unter anderem feststellen, dass ich mich sehr darüber gefreut habe, dass 180 000 Menschen, die zuvor arbeitslos waren, einen Arbeitsplatz in der Leiharbeit gefunden haben. Ich freue mich auch sonst über jeden, der einen sicheren und gut entlohnten Arbeitsplatz gefunden hat. Nun sagen Sie, die Opposition habe in der Vergangenheit die Dinge schlechtgeredet. Nein, wir mahnen - das ist unsere Aufgabe -, und wir mahnen auch jetzt: In der Zeit, in der wir eine wirklich gute konjunkturelle Entwicklung und hohe Beitragseinnahmen haben, ist es wichtig, Vorsorge für den Fall zu betreiben, dass dieses Konjunkturhoch wieder zu einem Ende kommt. Das wird passieren. Ich will mich hier jetzt nicht als Kassandra betätigen, aber jeder Konjunkturzyklus hat irgendwann ein Ende. Die Frage ist, welches Niveau an Sockelarbeitslosigkeit dann zurückbleibt. Der Aufschwung könnte stärker sein, wenn Sie nicht diesen negativen Impuls in die Volkswirtschaft gegeben hätten. Deutschland liegt im EU-Vergleich deutlich unter dem Schnitt. Das ist Fakt. Dazu haben Sie mit Ihrer Politik ganz deutlich beigetragen. Stimmen Sie dem zu?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu, Herr Kollege Dr. Kolb. ({0}) Ich stelle fest, dass zu Beginn der Amtszeit der unionsgeführten Bundesregierung unsere Volkswirtschaft im Vergleich der EU-Staaten ein ganzes Stück schlechter abgeschnitten hat, als das heute der Fall ist. ({1}) Ich würde mir wünschen, dass Sie sich hier hinstellen und das einfach einmal zugeben würden. Der Herr Kollege Kurth hat uns immerhin zugebilligt, dass es Verbesserungen gegeben hat. Ich billige Ihnen wiederum zu, dass Sie sagen: Als Opposition muss man auch mahnen. - Der Auffassung kann man durchaus sein. Aber tun Sie doch nicht so, als wäre hier in den letzten zwei Jahren nichts passiert, um die Rahmenbedingungen auch für Arbeitsplätze in Deutschland zu verbessern! ({2}) Sie müssen einfach zugeben, dass wir heute sehr viel besser dastehen als noch vor einigen Jahren. ({3}) Die Frau Kollegin Pothmer hat das Thema Fachkräftemangel angesprochen. Ich will dazu gern etwas sagen, weil ich mich über die Debatte, die in den letzten Wochen und Monaten geführt worden ist - das Thema hat auch heute bereits eine Rolle gespielt -, schon etwas wundere. Das Problem ist unbestritten: Wir haben einen Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Die Bundesregierung hat bei ihrer Klausurtagung das eine oder andere dazu auf den Weg gebracht bzw. sie will es noch auf den Weg bringen. Sie können sagen, das alles sei nicht ausreichend. Klar ist: Wir wollen Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland. Ich persönlich kann mir, ehrlich gesagt, aber nicht vorstellen, dass wir angesichts von 3,7 Millionen Arbeitslosen in Deutschland darauf angewiesen sind, Fachkräfte aus dem Ausland in einer hohen Anzahl nach Deutschland zu holen. ({4}) Bevor wir auf ausländische Fachkräfte zugreifen, muss zunächst einmal - der Meinung bin ich - das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland ausgeschöpft werden. ({5}) Es geht darum, dass Geringqualifizierte qualifiziert werden müssen. Es geht darum, dass wir Ältere länger im Erwerbsleben halten. Es geht darum, dass die jüngeren Stefan Müller ({6}) Menschen in unserem Land eine Chance haben müssen, ausgebildet zu werden. ({7}) Der beste Schutz vor Fachkräftemangel ist, den eigenen Fachkräftenachwuchs heute selbst auszubilden. ({8}) Wer heute nicht ausbildet, darf sich morgen nicht darüber beklagen, dass es einen Fachkräftemangel gibt, dass man keine qualifizierten Leute findet. Nun will ich nicht bestreiten, dass wir auf dem Arbeitsmarkt - das zeigen die Zahlen - eine zweigeteilte Entwicklung haben; das ist auch schon angesprochen worden. Wer heute neu arbeitslos wird, aber über entsprechende Qualifikationen verfügt, hat in aller Regel keine Probleme, auch wieder eine neue Beschäftigung zu finden. Das hat etwas damit zu tun, dass in den vergangenen Jahren Einstellungshemmnisse abgebaut worden sind. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Vermittlungsarbeit der Bundesagentur für Arbeit besser geworden ist. Das hat aber auch damit zu tun, dass die Unternehmen in diesem Land in den letzten Jahren wieder dazu übergegangen sind, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und Investitionen zu tätigen. Der Standort ist nicht so schlecht, wie er in den vergangenen Jahren dargestellt worden ist; er ist immer wieder schlechtgeredet worden, insbesondere von der Opposition. Es hat auch etwas damit zu tun, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Lohnverzicht in den vergangenen Jahren ihrerseits dazu beigetragen haben, dass Arbeitsplätze wieder wettbewerbsfähig sind. Das sollte man bei einer solchen Debatte auch einmal würdigen. ({9}) Unbestritten ist, dass wir ein Problem bei denen haben, die schon lange arbeitslos sind, die vielleicht über zu geringe Qualifikationen verfügen. Aber auch dort gibt es einen Rückgang. Es ist falsch, zu behaupten, dass es dort keine Entwicklung, keinen Abbau gegeben hätte. Es hat dort einen Abbau gegeben. Auch da tut sich etwas. Wir haben die politische Aussage, dass wir uns gerade um diejenigen, die schon seit langem arbeitslos sind, besonders kümmern wollen. Es ist nicht so, dass wir in der Hinsicht nichts getan hätten. Ich erinnere an all das, was wir in den letzten zwei Jahren für ältere Langzeitarbeitslose zu einem Kombilohn für Schwervermittelbare, zu verschiedenen Sonderprogrammen der Bundesagentur für Arbeit oder auch - was noch ansteht zu einem Kombilohn für Regionen mit einer besonders hohen Arbeitslosigkeit beschlossen haben. Im Übrigen ist eine solche zweigeteilte Entwicklung keine Überraschung. Es ist völlig normal, dass in einem solchen Konjunkturverlauf diejenigen als Erste davon profitieren, die leichter in den Arbeitsmarkt vermittelbar sind, und erst dann diejenigen, die über geringere Qualifikationen verfügen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Müller, möchten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth beantworten?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade ein neues Kombilohnmodell angekündigt, das Sie noch auflegen wollen, und haben im gleichen Satz die Vielzahl der Kombilohnmodelle und Arbeitsmarktprogramme genannt, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben. Wie verträgt sich die Ankündigung neuer Modelle mit den eben von Herrn Fuchtel so fuchtig beschriebenen Bestrebungen, die Zahl der Arbeitsmarktinstrumente zu verringern, ja gar zu entrümpeln, wenn ich ihn zitieren darf?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, das eine schließt das andere ja nicht aus. ({0}) Natürlich haben Sie recht: Wenn ich auf der einen Seite Arbeitsmarktinstrumente zurückführen will oder sinnvoll zusammenfassen möchte und auf der anderen Seite neue einführe, dann müssen wir uns genau ansehen, was kommt. Ich kann Sie aber beruhigen: Es gibt intensive Gespräche über das Thema, wie wir die Instrumente der Bundesagentur weiter verbessern können. Wir werden die BA auf dem Weg unterstützen, die Instrumente genauer auszurichten. Es ist im Übrigen schon einiges passiert. Das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen. Der Kollege Brauksiepe hat bereits den Gründungszuschuss erwähnt, der seit gut einem Jahr in Kraft ist. ({1}) Dort haben wir zwei Instrumente zusammengeführt, wodurch wir heute mit weniger Geld Existenzgründungen von Arbeitslosen noch besser fördern können. Das ist ein Vorbild für das, was noch in diesem Herbst ansteht, nämlich dass wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch besser ausrichten, indem wir bestehende Instrumente verbessern und auch - was der Kollege Fuchtel angekündigt hat - indem wir wirkungslose Arbeitsmarktinstrumente abschaffen werden. Insgesamt geht es darum, diese Arbeitsmarktinstrumente wirkungsvoller und effizienter auszugestalten. Es geht um mehr Transparenz, ({2}) um Deregulierung und auch um eine bessere Vermittelbarkeit und Handhabbarkeit bei den Vermittlern vor Ort sowie bei denjenigen, die diese Instrumente in Anspruch nehmen sollen. Ich sage bei der Gelegenheit ausdrücklich: Es geht nicht - jedenfalls mir nicht - darum, dass wir in einem Stefan Müller ({3}) hohen Ausmaß versuchen, Gelder einzusparen. Darum geht es ausdrücklich nicht. Es geht nicht um eine massive Kosteneinsparung, sondern um eine bessere Handhabbarkeit. Seien Sie gespannt, was da noch auf Sie zukommt; wir werden das Richtige auf den Weg bringen. ({4}) Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Haushalt der Bundesagentur für Arbeit sagen, weil das heute auch eine Rolle gespielt hat: Wir haben in den letzten zwei Jahren die finanziellen Spielräume genutzt, um den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,2 Prozent zu senken; eine weitere Senkung auf 3,9 Prozent ist verabredet. Wir wünschen uns noch etwas mehr, und es ist sehr wahrscheinlich, dass wir auf bis zu 3,5 Prozent hinunterkommen. Das wird einen Impuls für weitere und mehr Beschäftigung in unserem Land setzen. Wir werden damit Einstellungshemmnisse abbauen. Das sorgt letztlich dafür, dass bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr übrig bleibt, dass der Aufschwung endlich bei den Leuten, vor allem bei den Arbeitnehmern, ankommt. Unser Problem ist doch heute, dass zwischen dem, was oben auf dem Gehaltszettel steht, und dem, was unten netto herauskommt, eine zu große Differenz besteht. ({5}) Das ist ein Problem, weswegen wir in Deutschland mit Schwarzarbeit zu kämpfen haben. Wir haben einige spannende Wochen an Haushaltsberatungen vor uns. Ich will nur abschließend daran erinnern, dass wir das alles nicht zum Selbstzweck machen, sondern der Haushalt letztendlich das unterstützen soll, was wir politisch auf den Weg bringen wollen. Wir haben uns für 2008 einiges vorgenommen. Wir wollen erreichen, dass die Arbeitslosigkeit weiter sinkt. Wir wollen, dass endlich auch die in Arbeit kommen, die heute noch keine Arbeit haben und schon lange arbeitslos sind. Wir wollen also, dass der Aufschwung bei allen ankommt. Ich würde mir wünschen, dass nicht nur die Koalitionsfraktionen mit der Regierung an diesem Ziel arbeiten, sondern uns auch die Opposition dabei nach Kräften unterstützt. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17. Ich eröffne die Aussprache zu diesem Einzelplan und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. Vielleicht warten wir noch einen Moment, Frau Ministerin, bis der Schichtwechsel eine ordnungsgemäße gemeinsame Beratung ermöglicht. - Herzlichen Dank.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in Familie investiert, und wir wollen weiter in Familie investieren. Der Einzelplan 17, den wir jetzt beraten, macht das sehr deutlich. Er umfasst allein für 2008 ein Ausgabevolumen von rund 6,2 Milliarden Euro. Das sind rund 1 Milliarde Euro mehr als in diesem Jahr. Im Wesentlichen liegt das am Elterngeld. Allein 4 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt. Nach den ersten Auswertungen lässt sich durchaus sagen: Das Elterngeld erfüllt die darin gesetzten Erwartungen. Fast jede Familie, die in diesem Jahr ein Kind bekommen hat, beantragt und erhält das Elterngeld. Im ersten Halbjahr wurden allein über 200 000 Elterngeldanträge bewilligt. Ich freue mich vor allem darüber, dass das Elterngeld Elternzeit für die Väter attraktiv gemacht hat. Bisher hatten nur 3,5 Prozent der Väter Elternzeit genommen. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres hat sich die Zahl mehr als verdoppelt, nämlich auf 8,5 Prozent. Diese Zahl steht dabei nur für die ganz frühen Trendsetter, nämlich diejenigen Väter, die mit der Geburt ihres Kindes sofort Elternzeit nehmen und nicht erst bis zum Ablauf von zwölf Elterngeldmonaten warten. Ich denke, das ist ein Erfolg. Das ist ein positives Zeichen für das Thema Erziehung in Deutschland. ({0}) Das Elterngeld ist ein wichtiger Baustein, um die Kinder- und Familienarmut zu bekämpfen. Von der höheren Geringverdienerkomponente, die uns in den Beratungen sehr wichtig gewesen ist, profitieren 20 Prozent der Familien. Damit erhalten sie in diesem Jahr echtes Einkommen. Gerade Familien mit kleinem Einkommen werden damit in ihrer Erwerbsbereitschaft unterstützt. Es handelt sich ja vielfach um Eltern, die bienenfleißig das Einkommen für ihre Familie verdienen und so, wie ich finde, ihren Kindern ein prägendes Vorbild sind. Die müssen wir darin unterstützen. Das ist auch der Grundgedanke des Kinderzuschlags. Der Kinderzuschlag setzt einen wichtigen arbeitsmarktpolitischen Anreiz und gibt eine familiengerechte Antwort auf das drängende Problem der Kinderarmut; denn der Kinderzuschlag hilft den Familien, in denen die Eltern aus eigener Kraft ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können, aber in denen es für die oft vielen Kinder nicht oder noch nicht reicht. Gerade bei Familien mit sehr kleinem Einkommen und insbesondere bei kinderreichen Familien verhindert der Kinderzuschlag, dass sie, nur weil sie Kinder haben, zu ALG-II-Empfängern werden. Ich denke, gerade an dieser Stelle muss gelten: Arbeit lohnt sich. ({1}) Wir wollen mit dem Kinderzuschlag etwa eine halbe Million Kinder erreichen. Dazu muss das Antragsverfahren deutlich verbessert und entbürokratisiert werden, und die entsprechenden Regelungen müssen flexibilisiert werden. Das zentrale Thema - das war schon in der Debatte zuvor ein spannendes Thema -, den Menschen unbürokratisch und flexibel mit dem richtigen Arbeitsanreiz zu helfen, damit sie wieder gewiss sein können, dass sich Arbeit überhaupt und dass sich auch mehr Arbeit lohnt, betrifft den gesamten Niedriglohnsektor. Im Einzelplan 17 sind die Mittel für den Kinderzuschlag auf Basis der heutigen Rechtslage zwar noch mit 150 Millionen Euro veranschlagt. Ich bin aber mit dem Bundesarbeitsminister in sehr guten Gesprächen darüber, wie wir einen verbesserten, flexibleren und entbürokratisierten Kinderzuschlag im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für den Niedriglohnsektor ermöglichen können. Ich denke, es ist ein lohnendes Ziel, das in diesen Wochen dingfest zu machen. Kinderarmut ist eines der beschämendsten Probleme in unserem Land. ({2}) Das Entscheidende ist, was man dagegen tut. Wir müssen vor allem auf drei Feldern tätig werden: Der erste Baustein ist die bessere Teilhabe der Familien am Konjunkturaufschwung, das heißt am Arbeitsmarkt. Der zweite wichtige Baustein sind bessere Chancen auf frühe Bildung von Kindern, also die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur, damit der Teufelskreis der über mehrere Generationen vererbten sogenannten Bildungsarmut durchbrochen wird. Der dritte Baustein ist eine deutlich bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Väter und Mütter; das hilft vor allen Dingen den Alleinerziehenden. Dazu braucht es eine gute und flexible Kinderbetreuung. Die maßgeblichen Weichen sind jetzt gestellt. Der Beitrag von 4 Milliarden Euro, den die Bundesregierung für den Ausbau der Betreuung von unter Dreijährigen bereitstellt, ist nicht im Einzelplan 17 etatisiert. Dennoch gehört der Ausbau der Kinderbetreuung mit zu den zukunftsentscheidenden Investitionen für Familien, Kinder und Bildung. Das ist ein großer Schritt, den diese Große Koalition gemeinsam geschafft hat. ({3}) Mein Dank geht deshalb vor allem an all diejenigen hier im Raum, aber auch in den Ländern und Kommunen, die dies mit politischer Kraft und mit Leidenschaft für die Realisierung unserer familienpolitischen Ziele möglich gemacht haben. Von Herzen Dank für diesen gemeinsamen Einsatz, in relativ kurzer Zeit so etwas auf die Beine zu stellen! Wir werden damit endlich ein bedarfsgerechtes Angebot schaffen und bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren zum europäischen Durchschnitt aufschließen. Wir haben vereinbart, dass ab 2013 ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung besteht und ein Betreuungsgeld eingeführt wird. Es ist wichtig, dass sich Eltern darauf verlassen können, dass sie Beruf und Kindererziehung miteinander vereinbaren können. Es ist mir ebenso wichtig, dass wir die Erziehung von Kindern zu Hause in hohem Maße wertschätzen. ({4}) Das Entscheidende ist: Wir dürfen die Eltern nicht spalten. Wir dürfen nicht die eine Wahl der Eltern gegen die andere ausspielen, sondern müssen gemeinsam hinter dem Bemühen der Eltern stehen, ihr Lebensmodell in verschiedenen Phasen auch wirklich umsetzen zu können. ({5}) Ich denke, es ist wichtig, uns vor Augen zu führen: Die allermeisten Eltern wollen ihre Kinder so gut wie irgend möglich ins Leben hinausbegleiten. Ob die Eltern einen Monat, ein Jahr oder zehn Jahre zu Hause bleiben oder ob sie nach einem Monat, nach einem Jahr oder nach zehn Jahren wieder Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen: Wir müssen ihnen dabei helfen. Wir müssen ihren Einsatz noch sehr viel mehr wertschätzen, als das bisher der Fall gewesen ist. Ich bin sicher: Auch dies wird die Große Koalition schaffen. ({6}) Lassen Sie mich zum Einzelplan 17 für 2008 zurückkommen. Wir bündeln in der Titelgruppe Stärkung der Zivilgesellschaft verschiedene Initiativen und Maßnahmen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements und machen sie dadurch im Haushalt sichtbar. Wir wollen die Jugendfreiwilligendienste flexibler und attraktiver gestalten und die generationenübergreifenden Freiwilligendienste weiterentwickeln. Wir bekämpfen nachhaltig und konsequent jede Form von Extremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Das wird daran deutlich, dass es in 60 Kommunen lokale Aktionspläne gibt und dass wir mit 30 Modellprojekten bereits jetzt dichte Netze gegen Rechtsextremismus und Gewalt geflochten haben. Wir bauen dieses Programm in den nächsten Monaten auf 90 lokale Aktionspläne und 90 Modellprojekte aus. Hier liegt der Schwerpunkt vor allem auf den neuen Bundesländern, die seit Juli dieses Jahres über Beratungsnetzwerke und mobile Interventionsteams verfügen. Ich möchte ganz deutlich sagen: Wir nehmen den Kampf gegen den Rechtsextremismus sehr ernst. Wir werden die Mittel für die neuen Programme dauerhaft finanzieren; wir haben sie in der Finanzplanung für die kommenden Jahre fortgeschrieben. Damit setzen wir ein deutliches Signal gegen den Rechtsextremismus und für die Nachhaltigkeit unseres Einsatzes. ({7}) Mit dem Haushalt 2008 haben wir ein Zeichen für Familien gesetzt. Die Familienpolitik ist für die Zukunft gut aufgestellt. Dazu haben alle hier im Saal mit ihrer Arbeit beigetragen. Vielen Dank für diesen Einsatz. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke für die FDPFraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von der Leyen, es ist Ihr Verdienst, dass bundesweit über Familienpolitik diskutiert wird. Auch in der CDU/CSU gehört es jetzt zum guten Ton, sich für eine außerhäusliche Betreuung für Kinder unter drei Jahren einzusetzen. ({0}) Die FDP möchte, dass die 145 familienbezogenen Leistungen analysiert werden, ehe eine weitere Sozialleistung versprochen wird. In Norwegen hat das Betreuungsgeld zu dem geführt, was die FDP befürchtet: In der Betreuung ist der Anteil der Kinder nichtwestlicher Einwanderer, die sprachlich weitergebildet werden müssen, konstant geblieben; die Bildungs- und Betreuungsangebote sind nicht vermehrt in Anspruch genommen worden, aber das Geld. Die Ausgaben im Haushalt des Familienministeriums haben sich durch die Einführung des Elterngeldes erhöht. Den Systemwechsel hin zu einer lohnbezogenen Leistung trägt die FDP grundsätzlich mit. Aber bereits im ersten Jahr des Elterngeldes zeigen sich Fehler im Gesetz: Warum erhält eine Frau, die sich mit einem Schreibbüro selbstständig macht und über 30 Stunden arbeitet, kein Elterngeld, wohl aber die ALG-II-Empfängerin 300 Euro Elterngeld monatlich? Das Gesetz ist in sich nicht schlüssig. Auch Frauen in Steuerklasse V werden von der Koalition unfair behandelt. Erwerbstätige Ehefrauen in Steuerklasse V mit einem Verdienst von 2 000 Euro brutto müssen beim Elterngeld im Vergleich zur Steuerklasse III Verluste in Höhe von 390 Euro monatlich hinnehmen. Es ist schon erstaunlich, dass es vonseiten der SPD dazu keinen Protest gibt. Sie haben sich endlich auf eine Finanzierung der Kleinkindbetreuung geeinigt. Bei den vorangegangenen Verhandlungen saßen die Kommunen nicht einmal am Katzentisch, und das, obwohl sie schließlich für die Umsetzung vor Ort verantwortlich sind. Bis 2013 wollen Sie 4 Milliarden Euro für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren einsetzen. Das ist auch gut so; da stimmen wir mit Ihnen überein. ({1}) Herr Singhammer, meine Frage an Sie: Wie viel von diesem Geld wird denn für das Jahr 2008 ausgeschüttet? Lediglich 400 Millionen Euro für Investitionen. ({2}) Das ist eine lächerlich kleine Summe. Dabei sollte es doch im nächsten Jahr so richtig losgehen. Die FDP hat Ihnen einen besseren, unbürokratischen und verfassungsgemäßen Vorschlag zur Finanzierung über die Umsatzsteuer vorgelegt. Bei uns geht das Geld direkt an die Kommunen. ({3}) Die Politiker der Großen Koalition - das stelle ich immer wieder fest - machen das ganze Jahr über Versprechungen, die sich mit keinem Cent im Haushalt wiederfinden: kostenfreie Kitaplätze, Familiensplitting oder, wie von Herrn Pofalla gefordert, 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Pampers. Die Vorschläge sind gut. Aber wo bleibt nach der Pressemitteilung der konkrete Vorschlag hier im Bundestag? ({4}) Nun will die Bundesregierung die Ausweitung des missglückten Kinderzuschlages. Die Ministerin hat vergessen, zu erwähnen, dass nur 12 Prozent der Antragsteller Geld aus dem Topf erhalten. Alle anderen Anträge werden abgewiesen. Der Verwaltungsaufwand beläuft sich auf 18 Prozent der Gesamtkosten - das hat die Ministerin ja gesagt ({5}) der Antrag auf Kinderzuschlag umfasst 27 Seiten. Kinderarmut wird durch den Kinderzuschlag nicht beseitigt. Frau Ministerin nannte es einen Baustein. Das mag ja sein. Aufgrund dieser Zahlen sollten Sie sich aber überlegen, ob Sie nicht nach einem neuen Konzept suchen sollten. ({6}) Um den Familien zielgenauer helfen zu können, brauchen wir die Wirkungsanalyse des Kompetenzzentrums hinsichtlich der 145 familienbezogenen Leistungen mit 185 Milliarden Euro an Ausgaben, die immer noch fehlt. Die Opposition will endlich erste Ergebnisse sehen. Eines steht aber schon fest: Durch die größte Steuer- und Abgabenerhöhung aller Zeiten sind die Familien erst einmal auf der Verliererstraße. Der Einzelplan 17 beinhaltet auch Ausgaben für Zivildienst und Freiwilligendienste. Das Entwicklungshilfeministerium hat dafür eben mal 25 Millionen Euro und für das darauffolgende Jahr 70 Millionen Euro bereitgestellt. Sie schaffen es nicht einmal, die Jugendfreiwilligendienste im Inland kontinuierlich auszubauen. Die überfraktionelle Einigung in der 14. Legislaturperiode haben Sie bisher noch nicht umgesetzt. Die SPD bereitet sich mit dem Vorschlag der freiwilligen Wehrpflicht faktisch auf den Ausstieg aus dem Wehrdienst und damit aus dem Zivildienst vor. Ich will hier für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Die FDP fordert die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie wollen in dieser Legislaturperiode mehr Wehr- und Zivildienstgerechtigkeit. Gleichzeitig reduzieren Sie den Soldansatz für den Zivildienst und verschärfen die Wehrungerechtigkeit damit noch einmal. Nur 17 Prozent aller tauglichen jungen Männer leisten den Wehrdienst ab, knapp 60 Prozent leisten weder Wehr- noch Zivildienst. Nur die CDU/CSU klammert sich noch an den Pflichtdienst. Ich komme zum Schluss. Mein Kollege Otto Fricke wird sich zu weiteren Ungereimtheiten in diesem Einzelplan 17 äußern. Die Gruppe der FDP-Abgeordneten im Familienausschuss wird die Arbeit der Regierung mit Augenmaß und Sinn für Realität wie immer konstruktiv und kritisch begleiten. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Lenke, ich weiß ja, dass in einer Haushaltsdebatte immer Kritik geübt werden soll. ({0}) So ist Parlamentarismus angelegt. Angesichts der Situation, in der wir uns heute befinden, nämlich dass es eine, wie ich finde, herausragende Einigung zwischen Bund und Ländern zum Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen gibt, sollten aber eigentlich alle Herz zeigen und sagen: Das ist ein richtig großer Schritt zur Verbesserung der gesellschaftlichen und der bildungspolitischen Situation in Deutschland. Das wäre eigentlich auch Aufgabe der Opposition. ({1}) Was zwar nicht in diesem Haushalt vereinbart wurde, aber seinen Niederschlag im Nachtragshaushalt finden wird, ist, dass wir den Ausbau der Kinderbetreuung in ein rundes und stimmiges Konzept fassen, wodurch sowohl den Eltern als auch den Kommunen und dem Bund Sicherheit gegeben wird. Ich bin davon überzeugt, dass wir dadurch im Verbund der europäischen Staaten, wo es bildungspolitisch und hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch Defizite gibt, einen Riesensprung nach vorne machen. Dieser Schritt wird uns ökonomisch helfen, bildungspolitisch weiterbringen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr stark verbessern. ({2}) Ich will deutlich machen: Es ist aus Sicht der Kinder ein stimmiges Konzept. Uns ist ganz wichtig, dass es nicht um die Sicht der Eltern, sondern um die Sicht der Kinder geht. ({3}) Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung werden wir dafür sorgen, dass bereits Kleinkinder - insbesondere in überforderten Familien, aber nicht nur in diesen Fällen bezüglich Integration und Vermittlung von sozialen Fähigkeiten auf Wunsch frühzeitig gefördert werden. Damit wecken wir die Potenziale der ganz Kleinen. Es besteht von staatlicher Seite schon lange die Verantwortung, dafür die besten Rahmenbedingungen zu schaffen. ({4}) Manchmal wird ein Zerrbild gezeichnet, indem die Behauptung aufgestellt wird, das Angebot einer frühen Förderung und Betreuung richte sich gegen Kinder und nutze nur den Eltern. Ich bin überzeugt, das Gegenteil ist der Fall. Eltern müssen nicht mehr hetzen, um ihre Kinder bei der Tante, der Nachbarin oder der Tagesmutter abzugeben. Stattdessen können sie entspannt die gemeinsame Zeit mit ihren Kindern verbringen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben. Insofern ist es ganz wichtig, deutlich zu machen, dass es nicht darum geht, Lebensmodelle gegeneinander auszuspielen. Mit diesem Schritt, den wir gehen werden, wollen wir die Chancen von Eltern und Kindern verbessern. Das ist in Deutschland ein längst überfälliger Schritt. ({5}) Es ist auch ein stimmiges Konzept für Eltern. Ich habe es vorhin schon angesprochen: Die Garantie eines Betreuungsplatzes bewirkt, dass sich die Eltern in aller Ruhe zusammensetzen und selber entscheiden können, wer welche Aufgabe und welche Rolle in der Familie übernimmt. Das wollen wir; das verstehe ich unter Wahlfreiheit. Die Entscheidung der Eltern soll nicht durch äußere Bedingungen beeinflusst werden. Wenn es keinen Betreuungsplatz gibt, ist eine selbstbestimmte Entscheidung der Eltern nicht möglich. Ich will noch einmal ganz deutlich machen: Wir glauben nicht, dass die Politik ein bestimmtes Lebensmodell vorschreiben darf. ({6}) Im Gegenteil: Wir schaffen jetzt die Möglichkeit, dass sich die Eltern gemeinsam für ein bestimmtes Lebensmodell entscheiden können. Es ist für mich auch deshalb ein stimmiges Konzept für Eltern, weil wir damit nicht allein an die Symptome gehen, sondern das Armutsproblem auch an der Wurzel packen. Wir wissen aus allen Armutsberichten, dass in Deutschland die Alleinerziehenden am meisten von Armut betroffen sind. Wer glaubt, dass man allein - ich sage ausdrücklich: allein - durch höhere Transferleistungen Abhilfe schaffen könne, der täuscht sich. Eine bessere Kinderbetreuung ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Frauen eine angebotene Arbeit annehmen können. Damit sorgen wir dafür, dass Armut vermieden wird. - Man sieht, es gibt verschiedene Aspekte, warum der von uns vereinbarte Ausbau der Kinderbetreuung so wichtig und so entscheidend ist. ({7}) Das vereinbarte Konzept ist auch für Bund, Länder und Kommunen stimmig. Der Bund - Frau Lenke, in diesem Punkt täuschen Sie sich - stellt nicht nur 4 Milliarden Euro bis zum Jahre 2013 als AufbaufinanNicolette Kressl zierung bereit. Es ist nämlich noch vereinbart, dass ab 2013 der Bund über einen Umsatzsteuervorwegabzug dauerhaft 770 Millionen Euro pro Jahr über die Länder an die Kommunen gibt. Wir sollten also nicht nur die 4 Milliarden Euro zur Aufbaufinanzierung im Kopf haben, sondern auch die Tatsache, dass der Bund die Länder und die Kommunen in diesem Bereich dauerhaft unterstützt. ({8}) Ich halte diese Maßnahme für gerechtfertigt: Wenn der Bund will, dass es einheitliche Lebensverhältnisse gibt, dann hat er sich an entsprechenden Maßnahmen finanziell zu beteiligen. Ich betone noch einmal: Was wir jetzt auf den Weg gebracht haben, ist ein rundes und stimmiges Finanzierungskonzept, zu dem wir ausdrücklich stehen. Ich sage nicht ohne Stolz: Dieses Konzept kommt dem, was die sozialdemokratische Bundestagsfraktion frühzeitig vorgeschlagen hatte, sehr nahe. Darüber freuen wir uns. ({9}) Das Konzept ist auch aus Sicht der Kommunen stimmig. ({10}) Wir haben immer auf die Kombination mit dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bestanden. Inzwischen ist folgende Situation entstanden: Die Länder erhalten einen Teil des Umsatzsteueraufkommens, und zwar in Form eines Vorwegabzugs, aber das ist mit dem Rechtsanspruch gekoppelt. Dadurch ist geklärt, dass dieses Geld zwar frei verwendet werden kann, aber in den Ausbau der Kinderbetreuung gehen muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Länderverfassungen inzwischen ein Konnexitätsprinzip enthalten. Das heißt, die Länder müssen den Rechtsanspruch umsetzen und die Mittel an die Kommunen weiterleiten. Ich gehe davon aus, dass in allen Ländern so früh wie möglich zwischen den Landesregierungen, den Parlamenten und den Kommunen Gespräche stattfinden werden. ({11}) Es handelt sich also um ein schlüssiges Prinzip. ({12}) - Sie haben offensichtlich noch nichts über das Konnexitätsprinzip in Verfassungen gelesen. Das Konzept, das wir jetzt gemeinsam vereinbart haben, wird so zügig wie möglich umgesetzt, und zwar in vier Schritten - Frau Lenke, weil Sie immer nach konkreten Schritten rufen, will ich das noch einmal deutlich machen - : Der erste konkrete Schritt ist der Aufbau des Sondervermögens, in das die 2,15 Milliarden Euro für die Investitionskosten fließen werden; das ist bereits auf dem Weg. Der zweite Schritt ist die Formulierung einer Verwaltungsvereinbarung, die dafür sorgen wird, dass dieses Geld abfließen kann. Im dritten konkreten Schritt wird durch die Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes der Rechtsanspruch verankert, um sicherzustellen, wohin die Gelder gehen. Im vierten konkreten Schritt wird durch eine Änderung des Finanzausgleichgesetzes dafür gesorgt, dass die Mittel über den Vorwegabzug bei der Umsatzsteuer auch tatsächlich bei den Ländern ankommen. Wir haben dafür Sorge getragen - das lag im Interesse des Bundes -, dass nur das Gesamtpaket greift. Ich will es noch einmal sagen: Es sind keine Einzelmaßnahmen, sondern in diesem Gesamtpaket wurden alle föderalen Ebenen berücksichtigt. ({13}) Diese Vereinbarung bringt uns im europäischen Vergleich endlich voran. Während der Haushaltsdebatte in den letzten Tagen ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass Deutschland sich auf ökonomischem Gebiet gut entwickelt hat. Ich finde, es zeugt von einem wunderbaren Gleichschritt, dass wir jetzt auch im gesellschaftspolitischen Bereich einen großen Schritt nach vorne machen. Es ist immer gut, wenn sich Ökonomie und Gesellschaftspolitik im Gleichschritt bewegen. Es ist auch gut, dass wir auf diese Art und Weise den Weg für starke Eltern, für starke Kinder und damit für eine starke Gesellschaft bahnen. Wir freuen uns, dass dies gelungen ist. Es wäre schön, wenn Sie sich mit uns freuen würden. Vielen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Diana Golze, Fraktion Die Linke. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundes soll laut Ihrer Aussage, Frau Ministerin, ein Zeichen für Familien setzen. Schauen wir uns also an, welche Pläne Union und SPD im Bereich Ihres Ministeriums haben und wie sie auf die Situation im Land reagieren wollen. Wie sieht sie aus, die Situation im Herbst 2007? Die Kinderarmut in der Bundesrepublik steigt auf Rekordniveau. Mehr als 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben in Deutschland in Familien, die auf das Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Im sächsischen Mügeln wurden im August indische Mitbürger durch die Stadt gejagt und mit ausländerfeindlichen Parolen bedroht. Der FDP-Bürgermeister durfte das Verhalten auf diesem Fest in den Medien - bis hin zur Jungen Freiheit - als normalen Stammtischjargon relativieren und verharmlosen. Gleichzeitig mehren sich die Forderungen nach einer besseren Integration von Kindern mit Migrationshintergrund im Bildungswesen. All das sind Bereiche, die im Einzelplan 17 des Bundeshaushaltes Widerhall finden müssten. In dieser Situation und vor allem vor dem Hintergrund der medienwirksamen und vollmundigen Versprechungen der Familienministerin von der Leyen ist der Einzelplan 17 entweder eine Umkehrung der Realität oder er zeugt davon, welchen Stellenwert Kinder-, Jugend- und Familienpolitik in der Bundesrepublik wirklich haben. ({0}) Im Entwurf ist aus meiner Sicht keinerlei Widerspiegelung dessen zu finden, was jede Bürgerin und jeder Bürger mit einem normalen Informationsstand aus Presse und Fernsehen täglich sehen kann. Die Bundesregierung beweist vielmehr einmal mehr, dass sie keine Antworten auf die Fragen hat, die die Bürgerinnen und Bürger stellen. Stattdessen feiern Mann und Frau auf der großen Regierungsklausur Dinge, die entweder schon Gesetzgebung sind, wie der schon vor Jahren beschlossene Kindertagesstättenausbau, oder Dinge, die aus dem eigenen Aufgabenkatalog - Koalitionsvertrag genannt stammen, nämlich die Evaluierung des Kinderzuschlages. Beides findet sich jedoch im vorgelegten Haushaltsentwurf gar nicht wieder. Der Ausbau der Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren soll über ein erst noch zu schaffendes Sondervermögen finanziert werden. ({1}) Zum Kinderzuschlag findet sich folgende Aussage im Beipackzettel zum Einzelplan 17: Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Weiterentwicklung konnte wegen fehlender Etatreife noch nicht berücksichtigt werden. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank, das ist für mich eher eine politische Ohrfeige als die Erfüllung Ihres Koalitionsvertrags. ({3}) Wie viele Studien, Erhebungen und Analysen braucht es eigentlich noch, um Sie endlich aufzurütteln? Ich kann Ihnen diese Lektüre nur empfehlen. Denn sie macht deutlich, wie verfehlt Ihre Sozialpolitik in den vergangenen zwei Jahren gewesen ist. Geschönt durch die überfällige Angleichung des Ostregelsatzes beim ALG II waren Sie es, die die Situation der betroffenen Familien weiter verschärft haben. Die Kinderarmut in Deutschland ist hausgemacht. Der Haushaltsansatz für das kommende Jahr bietet aber wieder keine Lösungen. Die vagen Ankündigungen der Ministerin von der Leyen zur eben genannten Evaluierung des Kinderzuschlags lassen mich zwar hoffen, aber von diesen Ankündigungen sind in den vergangenen Monaten leider zu viele im politischen Nirwana dieses Hauses verlorengegangen. ({4}) Hoffen wir, dass diese Überarbeitung tatsächlich gemacht wird und zur Folge hat, dass mehr Familien diese Leistungen bekommen können und dass man als beantragende Eltern nicht über Rechtsanwaltswissen verfügen muss, um den Antrag auszufüllen. Hoffen wir auch, dass diesem Schritt schnell und vielleicht ausnahmsweise einmal ohne großen Streit in den Medien weitere Schritte folgen. Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, brauchen wir eine Grundsicherung für Kinder, die den Bedürfnissen eines Kindes entspricht und nicht einfach 60 Prozent des Regelsatzes eines alleinstehenden 50-jährigen Mannes abbildet. ({5}) Diesen Weg zu gehen, muss politisch gewollt sein. Mut brauchen Sie dafür nicht viel, Frau von der Leyen; denn Sie würden dafür zahlreiche Unterstützung hier im Parlament, aber vor allem in der Bevölkerung bekommen. ({6}) Die Kinder auf der Schattenseite des Lebens standen zumindest am Anfang Ihrer Amtszeit auf Ihrem Programm. Fraglich ist inzwischen, ob es immer noch so ist. Ihre bisherigen politischen Unternehmungen sprechen leider eine andere Sprache. Mit der Einführung des Elterngeldes in diesem Jahr, das einen beachtlichen Teil des Aufwuchses im Einzelplan 17 hervorruft, hatten Sie die Chance, endlich eine Balance zwischen den verschiedenen Elterngruppen zu schaffen. Ich befürworte die Einführung des Elterngeldes als emanzipatorisch wertvolle Initiative, weil sie Müttern und Vätern gleichermaßen die Möglichkeit gibt, sich in den ersten Lebensmonaten um ihr Kind zu kümmern. Dass Sie es nicht vermocht haben, sich auch für die Eltern einzusetzen, die über wenig oder kein Einkommen verfügen, und diese sogar noch schlechter gestellt haben als beim Erziehungsgeld, bleibt ein Makel an diesem Gesetz. ({7}) Vorschläge, diesen Makel abzubauen oder aufzuheben, haben wir gemacht. Die Fraktion Die Linke wird diese als Forderung nach einer sozial gerechten Form des Elterngeldes in die Haushaltsberatungen einbringen. Auch ein anderes Prestigeobjekt Ihres Hauses richtet sich ausschließlich an Eltern, die sich in Erwerbstätigkeit befinden. Sie begründen den notwendigen Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren stets mit der Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was aber ist mit den Kindern, deren Eltern keine Erwerbstätigkeit oder adäquate Beschäftigung nachweisen können? Von einem Rechtsanspruch, wie ihn inzwischen nicht nur wir, sondern auch die SPD gern möchte, ist das weit entfernt. ({8}) Nichts von der nötigen Beschleunigung der Bemühungen ist im vorgelegten Bundeshaushalt zu finden. Stattdessen haben Sie gemeinsam mit Herrn Steinbrück in den vergangenen Wochen auf Ihren Pressekonferenzen so getan, als wäre Ihnen das Problem gerade erst vor die Füße gefallen. Zu allem Übel erklären Ihnen nun auch noch die Länder und Kommunen, dass sie nicht bereit sind, die Umsetzung dieses Gesetzes in diesem Maße mitzufinanzieren. Der Kompromiss, den Sie in den vergangenen Wochen in der Presse gefeiert haben, wird aus unserer Sicht zu Recht als nicht ausreichend kritisiert. ({9}) Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass Sie die ostdeutschen Länder immer deshalb lobend erwähnen, weil die Betreuungsquote dort zum Glück noch hoch ist, ist zu befürchten, dass genau diese Länder mit den Aufgaben, die mit dem Erhalt der Kindertagesstätten verbunden sind, in Zukunft ziemlich allein dastehen könnten ({10}) oder dass diese Länder die Ausbildung der dringend benötigten qualifizierten Erzieherinnen und Erzieher schultern müssen, von einer angemessenen Bezahlung der Fachkräfte - ob in den Kitas oder in der Tagespflege ganz zu schweigen. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Golze, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Natürlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, bevor sich hier Unwahrheiten festsetzen: Sie sollten eigentlich gelesen bzw. gerade von mir gehört haben, dass wir es sehr bewusst nicht nur über die Investitionskosten, sondern auch - das ist ganz besonders im Interesse der neuen Bundesländer - über den Anteil an der Umsatzsteuer ermöglichen, dass die Qualifikation, die Erhaltung, die Sicherung und die Beteiligung an den laufenden Betriebskosten vom Bund mitfinanziert werden. Ich bitte Sie dringend, solche Aussagen wie die, die Sie gerade gemacht haben, nicht zu verbreiten, da wir es in einem durchaus schwierigen Prozess - auch im Gespräch mit dem Finanzminister - erreicht haben, dass diese Mittel frei verfügbar sind und dadurch insbesondere für die neuen Bundesländer Sicherheit gewährleistet ist. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Obwohl das keine Frage war, will ich gerne auf das, was Sie gesagt haben, eingehen. Erstens. Sie wissen sehr genau, dass die Förderung erst 2009 beginnt. Das heißt, dass gerade die ostdeutschen Bundesländer, die jetzt mit der Situation zu kämpfen haben, dass die Erzieherinnen und Erzieher im Durchschnitt ein Alter von über 50 Jahren haben und daher sofort in die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erzieher investiert werden müsste, wenn überhaupt, erst ab 2009 davon profitieren werden. ({0}) - Jetzt bin ich dran. Ich habe das Wort. ({1}) Zweitens hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion nicht einmal anerkannt, dass es hier Handlungsbedarf gibt, was zum Beispiel den Fachkräftebedarf und die Bezahlung der in diesem Bereich beschäftigten Personen betrifft. Das nehmen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis. ({2}) - Ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer nicht gestellten Frage. ({3}) - Sie haben ja keine Frage gestellt. Was soll ich denn da machen? ({4}) Entschuldigung, Herr Präsident. Ich bin immer noch bei der Beantwortung dieser Anregung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachdem Sie gerade erläutert haben, dass Sie bei der Beantwortung einer nicht gestellten Frage sind, können wir uns vielleicht gemeinsam darauf verständigen, dass Sie schlicht mit Ihrer Rede fortfahren. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann möchte ich, dass geprüft wird, wie lange hier nach der Geschäftsordnung Fragen beantwortet bzw. Anregungen gegeben werden dürfen. ({0}) Ich möchte auf die Qualität der Ausbildung der Fachkräfte zurückkommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gelingen des Ausbaus der Kindertagesbetreuung von der Qualität der Ausbildung abhängt. Die Linke wird dem Ausbau der Kindertagesbetreuung nur dann zustimmen, wenn unter anderem auch Tagesmütter und Tagesväter endlich eine Absicherung durch eine zertifizierte Ausbildung erhalten, wenn dazu bundesweit geltende rechtliche Regelungen geschaffen werden und wenn sie eine angemessene Entlohnung bekommen. ({1}) Einer Billigvariante des geplanten Ausbaus der Kinderbetreuung werden wir nicht zustimmen. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin gespannt, ob bzw. wie die Bundesregierung in den kommenden Monaten das wachsende Problem der Ausländerfeindlichkeit und des Rechtsextremismus auf die Tagesordnung bringt. Es wird wohl nicht ausreichen, in die Schlagzeilen gekommene Kommunen und ihre Bürgermeister letztlich doch in das entsprechende Bundesprogramm aufzunehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Gemeinde Mügeln dies allein helfen wird. Die Politik der Bundesregierung sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, die Träger der freien Jugendhilfe, die Vereine und Verbände zu stärken, sodass dort ein gutes Freizeit- und Bildungsangebot für junge Menschen entsteht. Denn das ist die Grundvoraussetzung für das Gelingen eines solchen Bundesprogramms. Abschließend ein paar Worte zu einem Politikfeld, das zumindest noch in der Bezeichnung des Ministeriums eine Rolle spielt. Beim Lesen des Haushaltsentwurfs fragt man sich allerdings, ob dieses Themengebiet dort überhaupt noch beackert wird. Die Ministerin gibt nämlich gern viel Geld für Öffentlichkeitsarbeit aus. Ein gutes Beispiel ist die PR-Aktion zu den Mehrgenerationenhäusern. Was aber das Politikfeld Frauen betrifft, gibt der Haushaltsentwurf sehr zu denken. In den nächsten vier Jahren möchte Frau Ministerin jährlich 392 000 Euro für Infobörsen für Frauen ausgeben. Das ist für mich Selbstbeweihräucherung, die die Bundesrepublik gleichstellungspolitisch keinen Deut weiterbringt. ({2}) Warum finanzieren Sie mit dem Geld nicht ein Projekt zur Förderung von Berufsrückkehrerinnen nach der Elternzeit? ({3}) Ein bisschen weniger Show und ein bisschen mehr Handeln würden nicht nur diesem Haushalt guttun. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, ich möchte einmal so beginnen: Manchmal gilt selbst für die Opposition: Lob und Ermutigung beschleunigen den Lernfortschritt. ({0}) Das erhoffe ich mir bei Ihnen in vielen familienpolitischen Fragen. Ich fange mit dem an, was an Ihrem Etat zu begrüßen ist. Uns als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker kann es sicherlich freuen, dass der Etat von 5,2 Milliarden Euro auf 6,2 Milliarden Euro gestiegen ist. ({1}) Das ist gut so. Denn die vielen strukturellen Probleme im Hinblick auf eine verlässliche Kinderbetreuung, die Herausforderungen des demografischen Wandels, eine zukunftsfähige Altenpolitik, eine konsequente Frauenpolitik, die mehr bedeuten muss als die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und eine konzeptionell fundierte Jugendpolitik brauchen ein solides Fundament. Da haben Sie reihenweise Nachholbedarf. Aber, Frau Ministerin, Sie können von uns nicht erwarten, dass wir Sie allein dafür besonders loben, dass Sie in der Familienpolitik richtige und notwendige Schlussfolgerungen ziehen, ({2}) obwohl Sie von der familienpolitisch lernverzögerten CDU kommen. Von der CSU rede ich erst gar nicht. ({3}) Wir nehmen uns die Freiheit, Ihre Politik schlicht und ergreifend anhand von Fakten zu beurteilen. ({4}) Ich sage an Sie persönlich gerichtet - nicht nur an die programmatischen Grundlagen der CDU/CSU -, ({5}) dass längst nicht alles Gold ist, was glänzt und sich öffentlich wunderbar in Geschenktüten verpacken lässt. ({6}) Ich möchte nun die Zahlen bewerten: Die hohe Steigerung des Gesamtetats geht zu einem Großteil auf das Konto des Elterngeldes; das haben Sie eingangs selbst betont. ({7}) Ein Elterngeld macht familienpolitisch aus meiner Sicht erst dann Sinn, wenn nach der Elternzeit auch wirklich eine Anschlussbetreuung gewährleistet ist. ({8}) Frau Ministerin, selbst wenn wir noch so viel Geld in Ihren Etat pumpen, hilft das nichts, wenn Sie Ihre Familienpolitik nicht konzeptionell unterlegen, ({9}) sodass eine Maßnahme in die andere greift und im Ergebnis schlüssig ist. Es gilt die Erkenntnis: Geld allein macht nicht glücklich. Wir brauchen nicht nur eine nominale Erhöhung des Etats des Familienressorts, wir brauchen auch eine qualitative Steigerung Ihrer Politik in den verschiedenen Ressorts; ich denke vor allen Dingen an die Jugendpolitik. Von Ihren zahlreichen öffentlichen Erklärungen, dass wir mehr Kinderbetreuungsplätze in unserem Land brauchen, ist noch kein einziger Kinderbetreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren vor Ort eingerichtet worden. Liebe Nicolette Kressl, Sie können so wütend sein, wie Sie wollen, aber es ist schlicht ein Fakt, dass die Kommunen, nachdem sie sich diesen wunderbaren Kompromiss angesehen haben, merken, dass die Länder längst nicht all das nachvollziehen, was auf Bundesebene vereinbart worden ist. Es gibt in den Kommunen jede Menge Widerstand, weil man Angst hat, dass die Kosten für die Umsetzung des Rechtsanspruchs bei ihnen hängen bleiben werden. ({10}) Es war nun zu hören, dass das Bundeskabinett sich am 28. August mit den Ländern geeinigt hat. Die Zahlen sind im Hinblick auf Investitionskosten und Betriebskostenzuschüsse klar. Ab 2014 sollen die laufenden Kosten in Höhe von 770 Millionen Euro von Bundesseite mitfinanziert werden. Das ist gut so. Haushaltsrechtlich ist aus meiner Sicht allerdings Kritik angebracht. ({11}) Nennen Sie mir doch einen sachlichen Grund dafür, bereits jetzt für Ausgaben in den Jahren 2008 bis 2013 Geldabflüsse in ein Sondervermögen auf den Weg zu bringen. Es sind ja genügend Haushälter da, die gleich noch reden werden. Auf die Auflösung bin ich gespannt. ({12}) Eltern brauchen Sicherheit, sie müssen mit verlässlicher Unterstützung rechnen können, und zwar schon bald; sie wollen nicht bis 2013 auf die Realisierung warten. Was wollen Sie denn denjenigen Familien sagen, die Sie jetzt mit dem Elterngeld beglücken? „Seht her, ihr bekommt das Elterngeld; einen Rechtsanspruch auf Betreuung gibt es aber erst ab 2013“? „Eure Enkelkinder haben einen Betreuungsplatz sicher“? ({13}) Wir reden über Geld, über viel Geld. Dieses Geld muss gut angelegt sein. Beenden Sie deshalb endlich den Unfug mit dem Betreuungsgeld! Eine Herdprämie - auch wenn sich manche über diesen Begriff echauffieren - bleibt eine Zuhausebleibprämie. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Haßelmann, darf Ihnen der Kollege Kampeter kurz vor Schluss noch eine Zwischenfrage stellen?

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lassen Sie mich gerade zur Herdprämie zu Ende sprechen; dann kann Herr Kampeter fragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, das kann er eben nicht; denn dann ist Ihre Redezeit vorbei.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kampeter, bitte.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben noch einmal die Finanzierung der Investitionskosten angesprochen und deutlich gemacht, dass Sie das noch nicht verstanden haben. Deshalb bitte ich Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Mit der Einbringung dieses materiellen Teils ist verbunden, dass wir 2,15 Milliarden Euro möglichst nah an die Gemeinden bringen wollen. Sie haben in Nordrhein-Westfalen an der Umsetzung des TAG politisch mitgewirkt. Als Sie aus der politischen Verantwortung ausgeschieden sind, war die Ausstattung für die Betreuung der unter Dreijährigen relativ schlecht. ({0}) Im Zusammenhang mit dem jetzigen Gesetzgebungsverfahren geht es auch um die nahezu vor dem Abschluss stehende Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern, über die wir hier im Parlament im Oktober ringen werden. Anders als beim TAG soll es - dazu diese Verwaltungsvereinbarung - Erfolgskontrollen und eine Rückzahlungsoption geben für den Fall, dass die Länder das Geld nicht in den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen stecken. Das ist ein qualitativer Unterschied gegenüber allen bisherigen Fördermaßnahmen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Peer Steinbrück, dass er eine solch ambitionierte Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern ausgehandelt hat. Meine Frage lautet: Wann sind Sie endlich bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen? ({1})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kampeter, um Ihre Frage zu beantworten: Ich habe verstanden, dass wir mit unseren finanziellen Ressourcen sehr verantwortungsvoll umgehen müssen. Deshalb halte ich Ihre Idee des Betreuungsgeldes für besonders fahrlässig: Milliardengeschenke für die CSU, nur um ihre ideologischen familienpolitischen Vorstellungen durchzusetzen. ({0}) Ich frage die sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen: Warum sagen Sie da eigentlich nicht: „Das läuft mit uns nicht!“? Nach meiner Information ist im Begründungsteil des Gesetzentwurfs ein Sollbetrag für das Betreuungsgeld vorgesehen. Sind Sie ernsthaft gewillt, so etwas mitzumachen, während Sie öffentlich über das Betreuungsgeld reden? Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Kampeter: Ich habe sehr wohl verstanden, was Sie mit dem Sondervermögen vorhaben. Deshalb frage ich auch, wie Sie das haushalterisch erläutern wollen. ({1}) Zuletzt zum Thema Kinderarmut. Beim Thema Kinderarmut machen Sie den Leuten etwas vor. Seit Wochen und Monaten wird öffentlich darüber geredet, dass es Kinderarmut in Deutschland gibt, dass 2,5 Millionen Kinder davon betroffen sind. Ich bitte Sie: Im Rahmen des Haushaltes - sowohl bei Arbeit und Sozialem als auch bei Familie - können Sie unter Beweis stellen, dass Sie das, was Kurt Beck, was Ihre Familienpolitikerinnen, was CDU-Politikerinnen und -Politiker sagen, ernst meinen. Unterlegen Sie das mit einer finanziellen Ausstattung, anstatt es bei der Ankündigung, gegen Kinderarmut in diesem Land etwas zu tun, zu belassen! Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Dr. Ole Schröder für die CDU/CSU-Fraktion das Wort, ({0}) bevor der Kollege Fricke nach zwei gescheiterten Versuchen, nach Ablauf der Redezeit des jeweiligen Redners noch eine Zwischenfrage zu stellen, seine Ausführungen nun in seiner eigenen knappen Redezeit unterbringen muss.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte zeigt ja langsam, dass Schwung in die familienpolitische Diskussion gekommen ist. ({0}) Das haben wir Ihnen zu verdanken, Frau Ministerin von der Leyen. Sie haben es geschafft, die Familienpolitik in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion zu stellen und sie vor allen Dingen dort auch zu verankern. Noch wichtiger: Sie haben die notwendigen Maßnahmen auf den Weg gebracht. Der Bedeutungszuwachs der Familienpolitik lässt sich an diesem Haushalt sehr gut nachvollziehen. Gegenüber dem Vorjahr ist für den Einzelplan 17 eine Steigerung von 18 Prozent zu verzeichnen. Trotz der notwendigen Haushaltskonsolidierung setzt die Große Koalition hier einen wichtigen Akzent. Die Förderung von Kindern und Familie ist eine wichtige Investition in die Zukunft. Sie, Frau Ministerin, haben Ihr Ministerium, das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zum Zukunftsministerium gemacht. ({1}) Das Elterngeld wird gut angenommen. Darauf ist bereits hingewiesen worden. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Vätermonate steigt. Das Bewusstsein, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht allein Sache der Frauen ist, sondern eine Herausforderung, der sich Männer und Frauen gleichermaßen stellen müssen, wächst. ({2}) So hat sich schon in den ersten Monaten der Anteil der Männer erheblich erhöht, die bereit sind, für die Kindererziehung für einen bestimmten Zeitraum auf eine berufliche Tätigkeit zu verzichten. Insgesamt schaffen wir mit dem Elterngeld im ersten wichtigen Jahr nach der Geburt Sicherheit für die Familien. Jungen Paaren wird es damit leichter gemacht, sich für Kinder zu entscheiden. ({3}) Das gleiche Ziel verfolgen wir auch mit dem Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Mit der Einigung zur Finanzierung mit den Ländern und Kommunen ist nun der Weg frei, dass wir die Anzahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige auf 750 000 verdreifachen. Das Sondervermögen ist wichtig, damit wir den Mittelabfluss direkt an die Kommunen zielgenau organisieren können, sodass das Geld nicht bei den Finanzministern, sondern bei den Kommunen vor Ort und den Familien landet. ({4}) Wir vergessen auch nicht die Eltern, die ihr Kind selbst betreuen wollen und dafür auf ihre Berufstätigkeit verzichten. Die Familienpolitik hat die Aufgabe, auch diese Eltern besser zu unterstützen. Ein weiteres zentrales Ziel der Unionsfraktion ist die bessere Bekämpfung der Kinderarmut. Es freut mich daher, dass sich die Familienministerin dieser Aufgabe stellt und das Instrument des Kinderzuschlags ({5}) endlich so ausgestaltet, dass mehr Familien davon profitieren. Besonders wichtig ist mir schon aus haushaltspolitischen Gründen, dass wir die unterschiedlichen familienpolitischen Maßnahmen besser aufeinander abstimmen, damit das Geld bei den Eltern und Familien ankommt, statt in der Förderbürokratie zu versickern. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lührmann?

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich möchte Ihnen eine Frage zu dem Sondervermögen stellen, das Sie eben als sehr gut bezeichnet haben. ({0}) Inwieweit können Sie das mit Ihrer Vorstellung von Generationengerechtigkeit verbinden? Nach meiner Auffassung hat das Sondervermögen vor allem den einen Zweck, die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr möglichst hoch zu halten, um sie in den nächsten Jahren langsam zu senken. ({1}) Ich führe dafür als Beleg ein Zitat aus dem Handelsblatt aus der vergangenen Woche an: Steinbrück will unter allen Umständen vermeiden, dass die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr unter die Planzahl von 12,9 Milliarden Euro für das nächste Jahr rutscht. „Das wäre politisch problematisch. Die Neuverschuldung sollte besser Schritt für Schritt abgebaut werden“, sagte Steinbrücks Sprecher. Deshalb frage ich noch einmal: Ist das Sondervermögen nicht vielmehr ein Haushaltstrick, um die Nettokreditaufnahme möglichst hoch zu halten?

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Überhaupt nicht. Wir sichern mit dem Sondervermögen, dass die Mittel dann zielgenau an die Kommunen fließen können, wenn die Kommunen es benötigen, und nicht abhängig von der Haushaltslage. ({0}) Wir werden damit Planungssicherheit für die Kommunen erzielen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Möchten Sie vielleicht auch Frau Lenke noch mit einer Zwischenfrage zu Wort kommen lassen? ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, meinen Sie, dass das Konzept des Kinderzuschlags richtig ist, wenn Sie sehen - ich meine das ernst; das hat mit Parteipolitik nichts zu tun -, dass es notwendig ist, 27 Seiten auszufüllen, um den Zuschlag zu erhalten, dass 18 Prozent der Mittel zur Deckung der Gesamtkosten für Bürokratie draufgehen, dass nur 12 Prozent der Anträge genehmigt werden und dass über 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, bei denen Sie große Erwartungen erwecken, enttäuscht sein werden, wenn sie den Kinderzuschlag, der bis zu 150 Euro betragen kann - das können in manchen Fällen auch nur 10 oder 20 Euro sein -, nicht erhalten? Meine Frage ist folgende: Fällt Ihnen nichts Besseres ein als dieser missglückte Vorschlag, der auf dem alten Kinderzuschlag aufbaut? Ich bitte Sie herzlich, andere Antworten zu finden. Wir von der Opposition werden das dann nicht ausschlachten.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Lenke, Sie haben völlig recht: Die bisherige Regelung des Kinderzuschlags ist viel zu bürokratisch; das ist ein bürokratisches Monstrum. Ich habe in den letzten Haushaltsdebatten immer wieder angesprochen und angemahnt, dass wir diese Regelung unbedingt reformieren müssen. ({0}) Ich habe daher eben positiv erwähnt, dass wir das nun machen. Wir sollten in den Beratungen gemeinsam darauf achten, dass wir den Kinderzuschlag nicht nur erhöhen und dafür sorgen, dass mehr Eltern davon profitieren, sondern dass wir ihn auch entbürokratisieren. Sie haben völlig recht: Es ist unzumutbar, dass so viele Anträge - ich habe in Erinnerung: neun von zehn - abgelehnt werden. Wir brauchen dringend schlankere Organisationsformen, um den Eltern und Kindern tatsächlich zu helfen. ({1}) Das Geld soll schließlich bei den Eltern und Kindern ankommen und nicht in der Förderbürokratie versickern. ({2}) Um sich der Veränderung der Altersstruktur umfassend zu stellen, sind bessere Rahmenbedingungen für Kinder und Eltern nur eine Seite der Medaille. Genauso wichtig ist es, die Alterung der Gesellschaft positiv aufzunehmen und die Politik auf einen höheren Anteil an Senioren auszurichten. Genau dies geschieht mit Maßnahmen zum Thema „Wirtschaftsfaktor Alter“, der Initiative „Erfahrung ist Zukunft“ oder mit der Förderung von Seniorenorganisationen, um nur wenige Beispiele aus dem Haushalt zu nennen. Auch die im Einzelplan 17 geförderten Mehrgenerationenhäuser sind ein wichtiges Projekt. Sie helfen die Bindungen zu stärken, die die Gesellschaft zusammenhalten. Ältere Menschen können hier ihre Kompetenzen und Erfahrungen besser einbringen. Die Vielfalt an Umsetzungen, die wir vor Ort erleben, zeigt, dass wir hier auf einem richtigen Weg sind. ({3}) Darüber hinaus müssen wir aber auch an die älteren Menschen denken, die nicht mehr so aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Es bleibt unsere Aufgabe, für die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen eine bessere Politik zu betreiben. Die von der Bundesregierung geplante Pflegereform ist hierzu ein erster Schritt. In vielen Einrichtungen herrschen nach wie vor unbefriedigende Zustände. Hauptursache hierfür ist vor allem in der Dementenbetreuung fehlendes Personal. Daher haben wir, die wir heute über den Einzelplan 17 diskutieren, die Aufgabe, uns Gedanken über die Zukunft des Zivildienstes machen. Zivildienstleistende übernehmen wichtige Betreuungsaufgaben. Sie helfen älteren Menschen beim Essen. Sie gehen mit Demenzkranken spazieren. Sie übernehmen Fahrdienste. Das sind sehr wertvolle Dienste, die bei der gegebenen Finanzausstattung zurzeit nicht allein von regulär Beschäftigten übernommen werden können. Auch wenn ich die Wehrpflicht nicht mit dem Zivildienst begründen möchte, möchte ich anmerken, dass die CDU/CSU-Fraktion in diesem Haus die einzige politische Kraft ist, die an der Wehrpflicht und damit auch am Zivildienst festhält. ({4}) Jeder, der diese Dienste abschaffen will, muss sich darüber Gedanken machen, wie er die dann entstehenden Betreuungslücken schließen und das finanzieren will. ({5}) Bei allen wichtigen Investitionen in eine gute Familienpolitik dürfen wir ein zentrales Ziel nicht aus den Augen lassen, das für die Handlungsfähigkeit der jungen Generation von entscheidender Bedeutung ist: Das ist die Haushaltssanierung. Wir müssen daher so schnell wie möglich zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Der jetzige Finanzplan setzt ein positives Signal, aber angesichts des enormen Schuldenbergs des Bundes von über 900 Milliarden Euro dürfen wir diesen Pfad der Sanierung auf gar keinen Fall verlassen. ({6}) Ich freue mich auf die gemeinsamen Ausschussberatungen, die hoffentlich sehr konstruktiv verlaufen, damit wir auch im Jahr 2008 eine noch bessere Politik für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestalten können. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, ja - nein, nein, so könnte man diesen Haushalt, jedenfalls was dieses Ministerium angeht, zusammenfassen. Wir haben an vielen Stellen richtige Entwicklungen. Es war auch dringend Zeit. Ich muss immer wieder sagen, dass die „Entwicklungshilfeministerin“ von der Leyen bei der CDU/CSU sehr viel erreicht hat. ({0}) Aber es reicht nicht, das Elterngeld einzuführen, und es reicht nicht, die Betreuung der unter Dreijährigen stärker auszubauen. ({1}) Das sind richtige Dinge, aber man muss das alles auf Dauer richtig machen. Da fällt mir eines auf: Wir wissen jetzt seit mehreren Jahren, dass wir über 180 Milliarden Euro - es gibt dazu unterschiedliche Angaben - für Familienleistungen im weitesten Sinne ausgeben. Irgendwann muss man doch sagen: Okay, wir brauchen neue Leistungen. Wir hinken da hinterher, weil meine Partei etwas länger gebraucht hat. - Man muss sich aber auch fragen, welche der Leistungen falsch ist, wenn man feststellt, wie hoch die Kinderarmut bei uns ist. ({2}) Frau Ministerin, ich erwarte von Ihnen spätestens noch im Laufe dieses Jahres eine klare Identifizierung der Leistungen, die Sie für falsch halten, weil sie nicht bei den Betroffenen ankommen. ({3}) Dazu sind Sie - ich bleibe dabei - verpflichtet; denn Sie sind es, die die Kinder davor schützen muss, dass diejenigen, die heute Leistungen bekommen, später für diese Leistungen doppelt und dreifach bezahlen. Sie müssen Ihren Kabinettskollegen sagen: Hört auf, mehr zu fordern! Das müssen sonst die Kinder, denen ich zu helfen versuche, damit sie in der Zukunft weitere Chancen haben, bezahlen, wenn sie erwachsen sind. ({4}) Ich bleibe dabei, dass die Konstruktion des Elterngeldes nicht zu Hartz IV passt. Da gibt es so viele Widersprüche, dass wir uns damit sicher noch einmal befassen müssen. Zum Sondervermögen. Der Kollege Kampeter hat sehr geschickt zu vermeiden versucht, zu sagen, warum man das 2007 macht. Das ist - die Kollegin Lührmann hat recht - ein schlichter Trick. Man will lieber in diesem Jahr etwas mehr ausgeben, damit man im nächsten Jahr und im folgenden Jahr behaupten kann, etwas weniger ausgegeben zu haben. ({5}) Es wird eine Geschichte fortgeschrieben, anstatt das Ganze so schnell wie möglich abzuschreiben. Kollege Schröder sagt, er wolle das schon jetzt machen. Vielleicht hat die Koalition Angst, dass ihr in den nächsten Jahren das Geld nicht mehr zur Verfügung steht, und sichert es deswegen lieber in diesem Jahr ab. Notwendig wäre das nicht gewesen. Es wäre besser gewesen, wenn man den Kommunen das Geld direkt gegeben hätte. ({6}) - Erzählen Sie doch keine Geschichten, die nicht stimmen! - Das hätte man auch über das Finanzausgleichsgesetz machen können. Es sind den Kommunen doch schon wiederholt Umsatzsteuerpunkte gegeben worden. Sie haben die Finanzierung deswegen über die Länder organisiert - das ist kein Vorwurf an die Koalitionsfraktionen -, weil die Länder ihre klebrigen Finger daran halten wollen und weil die Länder die Kommunen kontrollieren wollen. Es ist doch nichts anderes. ({7}) Ich finde es dennoch gut, dass sich die Regierung dazu entschlossen hat, das Ganze in einem Nachtragshaushalt zu regeln. Ich bin gespannt, in welcher Weise wir dann hier über den Nachtragshaushalt debattieren werden. Insofern ist wenigstens das Parlament als Haushaltsgesetzgeber geachtet worden. Ich will zu der sogenannten Herdprämie nur eines sagen. ({8}) - Sie wird so genannt, und man muss sich überlegen, warum sich der Begriff hält. - Es wird viel darüber diskutiert. Die SPD bestreitet, dass sie kommt, die CSU behauptet, sie vereinbart zu haben. ({9}) Für die Bürger draußen: In einer Formulierungshilfe der Bundesregierung steht in der Begründung, dass man so etwas in Zukunft vorhabe. In der Begründung könnte auch stehen, dass Angela Merkel im Jahre 2013 noch Bundeskanzlerin ist. Der Effekt ist der gleiche: Es ist nur beschriebenes Papier, nicht mehr. Deswegen sollte die CDU/CSU einfach sagen, dass sie in dieser Beziehung rechtlich noch gar nichts erreicht hat. Ein Gesetz müsste es geben, wenn Sie dieses Geld auf Dauer für Familien ausgeben wollen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kollegin Pieper?

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Fricke, geben Sie mir recht, dass insbesondere die Liberalen bemüht sind, Bildung mit Kinderbetreuung und frühkindlicher Erziehung zu verbinden und dass das mit der „Herdprämie“ nichts zu tun hat? Können Sie mir einmal erklären, warum es gerade in den neuen Bundesländern seit der deutschen Einheit einen mit Bildung verknüpften Rechtsanspruch auf Krippenund Kindergartenplätze gibt, obwohl der Bund damals keine größeren Zuschüsse gegeben hat? Nach der Wiedervereinigung, als der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahre eingeführt wurde, haben die neuen Länder den Kommunen übrigens keinerlei Einnahmen aus der Umsatzsteuer weitergereicht. Diese Regierungskoalition will den Rechtsanspruch auf Krippenplätze erst 2013, also erst in der übernächsten Legislaturperiode, verwirklichen. Für mich ist das eine „Vergackeierung“ der Wähler.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Pieper, ein Grundproblem der gesamtdeutschen Gesellschaft ist, dass der westliche Teil gedacht hat, dass alles, was aus der DDR kommt, schlicht falsch ist, und das wiederum war falsch. Über die Frage „Ab wann setzt Bildung ein?“ hat die westliche Gesellschaft unseres Landes lange nachgedacht. Wenn man in Diskussionen bei uns zu Hause vor zehn Jahren gesagt hat: „Bildung fängt schon bei den unter Dreijährigen an“, dann wurde man angeschaut, als wäre man von einem anderen Planeten. Insofern können die neuen Bundesländer stolz sein, dass sie im vereinigten Deutschland eine Vorreiterrolle bezüglich der Frage der vorschulischen Bildung spielen. Die neuen Bundesländer hätten sich - gerade weil die Bundeskanzlerin aus den neuen Ländern kommt schneller durchsetzen können. Wenn ich mir den Kollegen Kampeter anschaue, dann bin ich sicher, dass er mit der Bundeskanzlerin noch darüber reden wird, an welcher anderen Stelle man einsparen kann, um für so etwas in Zukunft mehr und vor allen Dingen schneller Geld in die Hände zu nehmen. Oder Kollege Kampeter? Ich komme zum letzten Punkt, weil meine Redezeit langsam zu Ende geht. In der Debatte über Kinder, aber eben auch über Soziales hat der Kollege Kurth von den Grünen gesagt, man müsse die Hartz-IV-Regelsätze erhöhen. Es geht immer wieder um Geld. Der Präsident - er ist leider nicht mehr anwesend - hat gestern Abend bei einer Veranstaltung mit jungen Christen gesagt: Der christliche Wert der Nächstenliebe ist in der Politik sehr wichtig. Er hat aber auch gesagt, dass wir Politiker viel zu oft meinen, Nächstenliebe sei nur etwas, was wir durch mehr soziale Leistungen zustande bringen können. ({0}) Ich warne ausdrücklich davor, diesem Gedanken zu folgen. Es ist schön, wenn es durch finanzielle Leistungen zu einem gerüttelt Maß an zusätzlicher Freiheit und zu mehr, was die Kinder erreicht, kommt. Wir dürfen aber nicht glauben, dass wir dadurch, dass wir mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, auch mehr Nächstenliebe geben. ({1}) Durch das, was Pastor Bernd Siggelkow - er arbeitet bei der Arche - in dem Buch Deutschlands vergessene Kinder geschrieben hat, habe ich gelernt: Wir werden über finanzielle Leistungen niemals dafür sorgen können, dass wir bei dem Thema Kinderbetreuung in irgendeiner Weise Ruhe bekommen, sodass wir sagen können: Wir haben genug getan. Wir müssen uns in der nächsten Zeit - Frau Ministerin, ich würde mich freuen, wenn Sie dabei einen Schwerpunkt setzten - mit der Frage „Liebe, Zuneigung, Nähe“ viel mehr beschäftigen, und wir dürfen uns nicht nur mit abstrakten Fragen wie „finanzielle Mittel“ befassen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Christel Humme, SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ein bisschen verwundert mich diese Debatte schon. ({0}) Vor einem Jahr habe ich hier gestanden und gefordert: Wenn der bedarfsgerechte Ausbau von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige bis 2010 nicht kommt, dann muss es einen Rechtsanspruch geben. Heute, nur ein Jahr später, stehe ich hier und kann sagen: Dieser Rechtsanspruch kommt, und das nicht 2010, sondern wir regeln ihn jetzt. Deshalb bitte ich Sie von der Opposition, sich mit uns zu freuen. Erkennen Sie an, dass wir dank des Engagements von Peer Steinbrück und Frau von der Leyen neue Wege gehen. ({1}) Neue Wege sind: erstens Unterstützung durch den Bund bei den Investitionskosten - wann hat es das bei der Betreuung unter Dreijähriger schon einmal gegeben? -, zweitens Unterstützung bei den Betriebskosten, und zwar so, dass das Geld tatsächlich bei den Kommunen ankommt. Sie unterstellen da etwas. Durch den Rechtsanspruch ist gewährleistet, dass das Geld, 770 Millionen Euro jährlich ab 2013, tatsächlich bei den Kommunen ankommt. Darauf können wir mit Recht stolz sein. ({2}) Wir wollen damit natürlich den Ausbau etwas beschleunigen. Da gebe ich Ihnen von der Opposition recht: Das Ganze geht in der Tat nur im Schneckentempo voran. Wir brauchen das Betreuungsangebot aber schnell. Am 1. Januar 2008 wird unser Elterngeld ein Jahr alt. Alle, die nach einem Jahr Elternzeit wieder ihre Berufstätigkeit aufnehmen wollen, müssen natürlich einen adäquaten Betreuungsplatz haben. Mit unseren Maßnahmen helfen wir diesen Vätern und Müttern. Sie brauchen mehr Wahlfreiheit, was Familie und Beruf angeht; Frau Kressl hat das vorhin schon gesagt. Wahlfreiheit haben sie - das ist entscheidend - heute nämlich nicht. Diese Ungerechtigkeit müssen wir so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. Deshalb gebe ich der Kanzlerin recht, die gesagt hat: Unsere erste Priorität ist, bis 2013 mit einem finanziellen Kraftakt von 12 Milliarden Euro - das sage ich noch einmal ganz deutlich - 750 000 Betreuungsplätze zu schaffen. ({3}) Auch in den ersten Tagen der Haushaltsdebatte hat sich wieder gezeigt, dass wir keine Gelegenheit auslassen, zu sagen: Gute Deutschkenntnisse sind eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Darum müssen wir die richtigen Konsequenzen ziehen. Allein Sprachtests, ohne vorher eine Förderung zu organisieren, machen wenig Sinn. Fehlende Bildungsintegration ist nicht nur ein Problem der Kinder mit Migrationshintergrund, sondern auch zunehmend ein Problem deutscher Kinder. Allen Kindern müssen wir die größtmögliche Förderung zukommen lassen - und das von Anfang an. Das ist unsere zentrale Aufgabe. Das Projekt „Die 2. Chance“ des Familienministeriums zur Unterstützung Jugendlicher ohne Schulabschluss ist zurzeit notwendig und richtig und wird von uns ausdrücklich begrüßt. Zusammen mit den in Meseberg verabschiedeten Einstiegsprogrammen für mehr Ausbildung sind das heute die richtigen Ansätze, um jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Für die Zukunft heißt das aber auch: Wir dürfen gar nicht erst zulassen, dass es Schulabbrecher gibt, wie das heute der Fall ist. ({4}) Auch das ist nur mit einem qualitativ guten Bildungsund Betreuungsangebot von Anfang an zu erreichen. Das sind unsere Vorstellungen von Chancengleichheit. Zu diesen Vorstellungen von Chancengleichheit gehört natürlich auch, dass Bildung von Anfang an kostenfrei gestellt werden muss - das ist unser langfristiges Ziel -; denn nur so erreichen wir, dass alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben, ob arm oder reich, Deutsche oder Ausländer. ({5}) Chancengleichheit, das schließt auch ein - wir haben das heute an vielen verschiedenen Stellen gehört -, dass wir unsere Anstrengungen zur Armutsprävention fortsetzen müssen. Wir haben gehört, dass es in der Tat Familien gibt, die ein so geringes Einkommen haben, dass es nicht ausreicht, den Unterhalt der Kinder zu decken. Ihnen helfen wir zurzeit mit dem von der SPD am 1. Januar 2005 eingeführten Kinderzuschlag. Ich gebe allen recht, die gesagt haben: Das muss reformiert werden, weil es viel zu kompliziert und bürokratisch ist. ({6}) Ich gebe allen recht, die sagen: Das System muss vereinfacht werden. Genau deshalb ist in Meseberg beschlossen worden, ein Gesamtkonzept für Familien mit Kindern vorzulegen, um sie dann zu unterstützen, wenn ihr Einkommen nicht ausreicht, für ihre Kinder zu sorgen. Das wollen wir, weil wir im Vergleich zu heute mehr als doppelt so viele Kinder aus der Armut holen wollen. Das ist ein wichtiges Ziel, das wir verfolgen müssen. ({7}) Aber ich sage auch: Wer es mit der Bekämpfung von Kinderarmut wirklich ernst meint, der muss sich der Frage stellen, wie wir erreichen, dass existenzsichernde Löhne gezahlt, dass gesetzliche Mindestlöhne auf den Weg gebracht werden; denn gesetzliche Mindestlöhne bekämpfen meiner Ansicht nach wirkungsvoll Kinderarmut. ({8}) Ich bleibe dabei: Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch mehr gute Betreuungsplätze und die damit verbundene Erhöhung der Frauenerwerbsquote sind die besten Instrumente, Familienarmut zu verhindern. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Frauenerwerbsquote zu erhöhen. Auch hier muss das Prinzip der fairen Entlohnung gelten, nämlich: gleicher Lohn bei gleicher Arbeit. Ich wünsche mir, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, im Familienministerium angesiedelt, ihr Augenmerk auch darauf richtet. Wir haben für diese Stelle gekämpft, damit endlich auch in Deutschland die Akzeptanz von Vielfalt selbstverständlich wird. Für diese wichtige Arbeit muss die Stelle voll arbeitsfähig sein. Dafür sind im Gleichbehandlungsgesetz 5,6 Millionen Euro vorgesehen, bisher sind im Haushalt aber lediglich 2,8 Millionen Euro eingestellt. Darüber müssen wir noch reden, da müssen wir noch nachjustieren. Die Stelle hat einen ambitionierten Auftrag: Sie soll unter anderem über Öffentlichkeitsarbeit ein Bewusstsein für Toleranz und gegen Ausgrenzung schaffen. Ausgrenzung findet bei uns leider täglich statt und zeigt ihr hässliches Gesicht in Vorfällen wie in Mügeln als Spitze des Eisbergs. Rechtsextreme Gewalt gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ist die schlimmste Form von Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist eine Daueraufgabe und braucht dauerhafte Strukturen. ({9}) - Ja, da darf ruhig applaudiert werden. Strohfeuermaßnahmen immer dann, wenn gerade etwas Furchtbares passiert ist, helfen nicht. Im letzten Jahr hat die SPD erkämpft, die Mittel für Programme gegen Rechtsextremismus um 5 Millionen Euro auf insgesamt 24 Millionen Euro aufzustocken. ({10}) - Ich kenne die Debatte sehr gut, Herr Kampeter. - Wir wollten mit den zusätzlichen 5 Millionen Euro die Arbeit von mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen sichern. Frau von der Leyen, wir müssen jetzt alles daransetzen, dass die Programme gegen rechts konsequent fortgeführt werden können; denn wir sind zutiefst davon überzeugt, dass es mehr zivilgesellschaftlicher Initiativen bedarf, wenn Rechtsextremismus erfolgreich bekämpft werden soll. ({11}) Ich freue mich auf die Debatte über den Haushaltsplan 2008; denn er zeigt eindeutig, Frau Lührmann - ist sie noch da? -, dass beides geht: auf der einen Seite die niedrigste Nettoneuverschuldung und damit die Konsolidierung des Haushalts, auf der anderen Seite Investitionen in die Zukunft über Bildung. Beides machen wir im Interesse der Familien, der Senioren, der Kinder und auch der Enkelkinder.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich höre sofort auf. - Zum Abschluss möchte ich sagen: Der wichtige Bereich der Seniorenpolitik ist in meiner Rede, der Zeit geschuldet, zu kurz gekommen. Ich lade Sie alle ein: In der nächsten Woche gibt es eine ausführliche Debatte zum Fünften Altenbericht. Dort werden wir das Ganze noch einmal aufrollen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/ Die Grünen. Bevor ich Ihnen aber das Wort gebe, Frau Kollegin, gratuliere ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen in diesem Hohen Hause zu Ihrem 40. Geburtstag. ({0})

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank! - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einigen Wochen kennt hier wahrscheinlich fast jeder - meine Vorrednerin ist auch schon darauf eingegangen - die sächsische Kleinstadt Mügeln. Mitte August ereignete sich ein Vorfall auf dem Stadtfest: Acht Inder flohen vor einer Gruppe von Deutschen in eine zum Glück nahegelegene Pizzeria. Rufe wie „Ausländer raus!“ begleiteten den Übergriff. Es gab Verletzungen, die Opfer waren traumatisiert. Die mediale Empörung war groß - und kurz. Dies ist leider beispielhaft für den beschämenden Umgang mit rassistischen Übergriffen in unserem Land. ({0}) Die immer wieder zu beobachtende Strategie heißt: Leugnen und Beschwichtigen. Es sei gar kein rechtsextremer Übergriff gewesen, meinte sogar der Bürgermeister Deuse aus Mügeln. Er verstieg sich gar zu Aussagen wie: „Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen.“ ({1}) - Doch! - Dazu kann ich nur sagen: Für solch eine Äußerung habe ich kein Verständnis. ({2}) Wer so etwas nie denkt, dem kommt es auch nicht über die Lippen, egal ob nüchtern oder betrunken. ({3}) Dass der Mügelner Bürgermeister seine Relativierungen ausgerechnet in einem Interview mit der rechtslastigen Zeitung Junge Freiheit wiederholte, ist ein Beispiel für den alltäglichen Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Warum gehört das alles nun zur Debatte über den Familienhaushalt? Weil es dort die beiden Bundesprogramme Vielfalt tut gut und Förderung von Beratungsnetzwerken - ({4}) - Der ist von der FDP. Ich bin extra nicht darauf eingegangen. Also lassen Sie mich bitte fortfahren. ({5}) - Ja, jeder weiß es. Aber sind Sie darauf stolz? Ich hoffe, nicht. Die sächsische FDP hat sich somit nicht mit Ruhm bekleckert. ({6}) - Nein, das habe ich nicht behauptet. Ich bin darauf nicht eingegangen. Deshalb können Sie sich beruhigen. Sie haben schon gesprochen. Das ist doch okay. ({7}) - Herr Mücke, bitte! An beiden Programmen gibt es Kritik von uns. Am Beispiel Mügeln lässt sich das gut verdeutlichen. Etablierte Initiativen können sich um längerfristige Förderung nicht selbst bewerben. Nur noch Kommunen und Landkreise dürfen Anträge stellen. Was aber, wie wieder das Beispiel Mügeln zeigt, wenn die Bürgermeister selbst Teil des Problems sind? Der Landkreis TorgauOschatz, in dem Mügeln liegt, beantragte Mittel für einen lokalen Aktionsplan, erhielt sie aber nicht, weil es in Sachsen wie in anderen Ländern mehr Anträge gab, als bewilligt werden konnten. Nach den blutigen Auseinandersetzungen will Frau Ministerin von der Leyen plötzlich doch noch Fördermittel freigeben. Makaber, dass erst Menschen verletzt werden müssen, damit die Arbeit gegen Rassismus unterstützt wird. ({8}) Ich hoffe, der Landkreis bezieht nun die Initiativen vor Ort mit ein. Einen offiziellen Anspruch darauf haben sie nicht. Das muss sich ändern. Das Programm muss umstrukturiert werden, damit zivilgesellschaftliche Projekte wieder selbst Gelder beantragen können. ({9}) Ich fordere die Große Koalition auf: Blockieren Sie die demokratischen Projekte vor Ort nicht länger! Ändern Sie jetzt in diesem Haushaltsverfahren die Förderrichtlinien. In diesem Jahr gab es genügend negative Beispiele. In den Tagen nach dem Mügelner Vorfall gab es etliche Stimmen, auch vonseiten der SPD, die forderten, die Mittel für die Bundesprogramme zu erhöhen. Denen schließen wir uns an: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, hier haben Sie uns auf Ihrer Seite. Lassen Sie uns in den nächsten Wochen gemeinsam darum kämpfen, dass der Haushaltsansatz erhöht wird, damit Opfer, Aussteiger aus der Naziszene, überforderte Eltern und ratlose Lehrer in Ost und West im nächsten Jahr mehr Beratungsangebote bekommen. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer im Februar dieses Jahres 2007 behauptet hätte, dass im September dieses Jahres 4 Milliarden Euro in Berlin für den Ausbau der Kinderbetreuung abholbereit liegen, der wäre als Märchenerzähler verspottet worden. Heute liegt das Geld bereit. Diese Bundesregierung, diese Ministerin, diese Große Koalition, diese Fraktion der CDU/CSU haben es geschafft, was Millionen von Menschen und insbesondere Eltern sehnsüchtig erwartet haben: ein größeres Angebot an Kinderbetreuung mit einer gesicherten finanziellen Zukunft. ({0}) Wir haben die Sorge um die Zukunft der Familien vom Gedöns hin zu einem politischen Spitzenthema befördert. Vom ersten Tag in der Großen Koalition an war es unser fester Wille, mit Siebenmeilenstiefeln bessere Bedingungen für Familien in Deutschland zu schaffen. ({1}) Denn nichts wird die Entwicklung unseres Landes nachhaltiger bestimmen, Frau Kollegin Kressl, als das Wohlergehen der Familien. ({2}) Deshalb haben wir als Allererstes das Elterngeld durchgesetzt. Im Haushaltsjahr 2008 wird das Elterngeld erstmals voll zum Tragen kommen. Mit gut 4 Milliarden Euro jährlich unterstützen wir Eltern im ersten Lebensjahr ihres Kindes, und zwar alle Eltern, die das wünschen. Gegen zunächst erhebliche Widerstände haben wir durchgesetzt, dass ein sogenanntes Mindestelterngeld, ein Sockelelterngeld, von 300 Euro pro Monat gezahlt wird. Siehe da, die ersten nachprüfbaren Zahlen zeigen: Das Sockelelterngeld, das Mindestelterngeld, ist der Renner des Jahres. 54 Prozent der Mütter und Väter erhalten diese 300 Euro im Monat. Das sind nicht weniger als derzeit 108 000 Eltern. Die meisten hätten nach einem früheren Entwurf keinen einzigen Cent gesehen. Dieses Elterngeld fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; das ist unser Ziel. Es unterstützt aber auch die Alleinverdienerfamilie, junge Studenten ({3}) und Erwerbslose, die nach der ursprünglichen Fassung leer ausgegangen wären. Ich sage das deshalb, weil damit der rote Faden der Unionspolitik deutlich wird. Wir wollen den Familien keine Vorschriften machen, wie sie zu leben haben. Wir wollen alle Familien und damit die Vielfalt der Lebensmodelle unterstützen und ihnen mehr und nicht weniger Wahlfreiheit geben. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne. ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich glaube, ich habe Sie nicht ganz richtig verstanden. Sie haben gesagt, es sei auch für Studenten gut, dass sie Elterngeld bekämen. Ich will Sie einmal aufklären: Wenn Sie das entsprechende Gesetz durchlesen, können Sie feststellen: Jetzt, nach dem System des Elterngelds, werden nur zwölf Monate lang 300 Euro an betroffene Studenten gezahlt, während nach dem alten System des Erziehungsgeldes 24 Monate lang 300 Euro gezahlt worden sind. Wir haben den Vorschlag eines Baby-BAföG gemacht, damit Studenten länger Unterstützung erhalten. Darauf sind Sie nicht eingegangen. Für Studenten ist dieses Elterngeld also kein Fortschritt. Was sagen Sie dazu?

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Lenke, Sie haben mich, glaube ich, sehr gut verstanden. Ich habe ausgeführt, dass entgegen den ursprünglichen Planungen, in denen kein Mindestelterngeld, kein Sockelbetrag, vorgesehen war, die von Ihnen beschriebene Gruppe, also Studentinnen, ein Elterngeld von 300 Euro erhalten. ({0}) Jeder, der es beantragt, bekommt das Elterngeld. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zu früheren Planungen. ({1}) Echte Wahlfreiheit bedeutet - jetzt komme ich auf den entscheidenden Punkt zu sprechen -, dass mehr Kinderbetreuungsplätze vorgehalten werden. Denn wer keine Chance hat, eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung zu finden, kann auch keine Wahl treffen. Deshalb wollen wir, wie versprochen, die Verdreifachung des Angebots an Kleinkinderbetreuung. Daher haben wir eine entsprechende Finanzierung auf den Weg gebracht. Wir sagen aber auch, dass parallel dazu ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld eingeführt werden soll. Manchmal wird der Eindruck erweckt, Kinder zu Hause zu erziehen, sei eine vergleichsweise bequeme Angelegenheit, die man in der Hängematte erledigen könne. Doch Familienmanagerin oder Familienmanager zu sein, hat wenig mit Freizeit und Erholung zu tun, aber viel mit täglichem Stress und täglicher Arbeit. Ich möchte heute hier meinen Respekt, meine Hochachtung und meine Dankbarkeit gegenüber denjenigen Müttern und Vätern zum Ausdruck bringen, die diese schwierige, aber sicher auch wunderschöne Arbeit tagtäglich bewältigen. ({2}) Respekt und Schulterklopfen genügt jedoch für die meisten dieser Familien nicht; sie brauchen auch Bares, finanzielle Unterstützung. Das Betreuungsgeld hat ein Ziel: den Familien mehr Raum, mehr Entfaltungsmöglichkeiten und mehr Freiheit zu geben, ihr Familienmodell zu leben und zu gestalten. In der Diskussion werden immer wieder Bedenken vorgebracht, das Betreuungsgeld werde möglicherweise nicht zum Wohl der Kinder eingesetzt. Dazu sage ich: Ja, es stimmt, dass es bei Steuergeldern leider immer wieder vorkommt, dass sie nicht bestimmungsgemäß eingesetzt werden. Es stimmt, dass uns immer wieder Meldungen von spektakulären Kindesvernachlässigungen oder gar Kindesmisshandlungen erreichen. Es stimmt, dass es Problemfamilien gibt. Es stimmt auch, dass es Einwandererfamilien guttut, wenn ihre Kinder in Kinderbetreuungseinrichtungen möglichst rasch Deutsch lernen. Es wäre aber verhängnisvoll, wenn wir den Blick nur auf Problemfamilien, auf Schwierigkeiten richten würden und die Millionen von Familien aus dem Blick nähmen, die sich darum bemühen, ihre Kinder sorgfältig und mit Liebe zu erziehen, die oft viel mehr Geld einsetzen, als sie überhaupt aufbringen können, die sich jeden Tag krumm machen, damit sie es finanziell einigermaßen packen. Für diese Millionen von Familien ist das Betreuungsgeld eine echte Erleichterung. ({3}) Es ist nichts Unrechtes, wenn man Vertrauen in die Eltern setzt; denn sie wissen am besten, was ihre Kinder brauchen. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Mir ist nur gerade der Name der Kollegin nicht eingefallen. Entschuldigung.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollegin Gruß. - Bitte sehr.

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schönen Gruß an dieser Stelle. - Sehr geehrter Herr Kollege Singhammer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass jede Familie aufgrund anderer von der Großen Koalition beschlossener Reformen bereits seit einigen Monaten 136 Euro mehr im Monat zu zahlen hat? Wären Sie also geneigt, darüber nachzudenken, wie sich Reformen, die Sie in anderen Politikbereichen vollziehen, auf Familien auswirken, bevor Sie ein Betreuungsgeld planen, das letzten Endes wahrscheinlich nicht bei den Kindern ankommt, obwohl dies wünschenswert wäre?

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Gruß, es freut mich, dass Sie die Erfolge der Bundesregierung loben und zu Recht konstatieren, dass hier vieles getan worden ist. Ich meine, dass wir diesen Weg fortsetzen müssen. Sie haben gerade wieder die Bedenken angesprochen, die Eltern würden gerade das geplante Betreuungsgeld möglicherweise missbräuchlich einsetzen. Deshalb möchte ich noch einmal darauf eingehen. ({0}) - Gleich! - Wir diskutieren heute in dieser Debatte auch über die Frage des Kinderzuschlags in Höhe von 140 Euro. Beim Betreuungsgeld ist ein Betrag von 150 Euro in der Diskussion. Jetzt bitte ich Sie, meinem Gedankengang zu folgen: Die Argumentation, beim Kinderzuschlag sei das Risiko gering, dass ein Euro missbräuchlich - möglicherweise für Alkohol oder Flachbildschirme - verwendet und nicht zum Wohl der Kinder eingesetzt werde, während dieses Risiko beim Betreuungsgeld ungeheuer groß sei, kann man nicht als seriös betrachten. Das ist eine Unterstellung. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist jedenfalls richtig, dass wir die Kinderbetreuung in dem vorgeschriebenen Tempo ausbauen und dass das Betreuungsgeld zeitgleich mit dem Rechtsanspruch im Jahre 2013 fixiert wird. Darauf wartet auch die Mehrheit der Eltern. Mit unserer Familienpolitik verfolgen wir zwei Ziele: Wir wollen es den Familien in Deutschland leichter machen, mit ihren Kindern zu leben und sich für Kinder zu entscheiden, und wir wollen in der Politik Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Vielfalt der Familien und der unterschiedlichen Lebensentscheidungen von Familien nicht eingeengt wird, sondern dass sie neuen Freiraum gewinnen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Petra Hinz, SPD-Fraktion. ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor fast einem Jahr hat die Ministerin, Frau von der Leyen, die erste Lesung des Haushalts damit begonnen: Geld ist zwar nicht alles, aber im Rahmen der Haushaltsberatung redet man auch über Geld. - Genau das werde ich jetzt tun. Viele von Ihnen haben einzelne Positionen im Haushalt des Familienministeriums aufgeführt. Ich möchte mich auf einige wenige beschränken. Wer sich im Wahlkreis umtut - ich gehe davon aus, dass wir alle uns in den sitzungsfreien Wochen im Wahlkreis bewegen -, wird sicherlich oft gefragt: Was habe ich eigentlich von dem, was ihr in den Haushaltsberatungen beschließt? Ich finde es legitim, dass die Menschen, die uns in dieses Parlament geschickt haben, uns das fragen. Die Maßnahmen und Projekte, die im Haushalt des Familienministeriums aufgeführt sind, erreichen die Menschen unterschiedlicher Generationen sofort und unmittelbar, weil die Menschen die Förderung - sei es in Bezug auf die Kindergartenplätze oder die Mehrgenerationenhäuser, um nur zwei Beispiele herauszugreifen Petra Hinz ({0}) in ihren Familien unmittelbar erleben. Das Ministerium ist erlebbar, und die Menschen erfahren sofort Unterstützung oder Ablehnung. Wir haben uns in der Großen Koalition als großes gesellschaftliches Ziel vorgenommen, mehr für Familienförderung und Chancengleichheit in Bildung und Entwicklung der Kinder, der jungen Erwachsenen, der Männer und Frauen, der Migranten, kurz: der Familien, zu investieren. Dies muss allerdings eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen sein. Ich widerspreche meiner Kollegin Nicolette Kressl eigentlich sehr ungern. ({1}) Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und habe bei der jetzigen Landesregierung sehr wohl einen anderen Eindruck, nämlich dass der Ministerpräsident bei den Geldern, die an die Kommunen weitergeleitet werden sollen, in der Tat sehr klebrige Finger hat. Dort werden seit 2005 insbesondere im Bereich der Kinderbetreuung - gerade im Sozialbereich; wir diskutieren jetzt über den Bereich Kibiz - Kürzungen vorgenommen. Das meine ich mit einer gemeinsamen Anstrengung. Ob Bund, Land oder Kommune: Wir müssen ein Ziel verfolgen, nämlich die Förderung der Familien und der Kinder. ({2}) Es ist schon viel darüber gesagt worden, welche Ansätze und Rahmenbedingungen wir in unserem Ministerium für den Haushalt 2008 vorfinden. Ich möchte als Haushälterin auf eines aufmerksam machen - das ist unsere Aufgabe; so verstehe ich meine Aufgabe als Haushälterin -: Das, was die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker in den Gremien beschlossen und auf den Weg gebracht haben, wird von der Regierungsbank insgesamt - auch von unserer Ministerin - umgesetzt. ({3}) Ich greife ein Projekt heraus: das Mehrgenerationenhaus. Herr Schröder, Sie haben zu Recht darauf aufmerksam gemacht - deswegen will ich hier gar nicht ins Detail gehen -, wie wichtig gerade dieses Projekt ist. Durch Mehrgenerationenhäuser wird eine Verbindung, eine Brücke zwischen Jung und Alt gebaut, zwischen Menschen, die im Arbeitsprozess stehen, und anderen, die diesen hinter sich haben, sich aber noch einbringen können. Dieses Projekt wird in diesem Jahr wie auch im Vorjahr, also unverändert, mit 20,5 Millionen Euro gefördert. Insgesamt stehen für dieses Projekt 98 Millionen Euro zur Verfügung. 200 Anträge liegen zur Bewilligung vor. 157 sind bereits bearbeitet worden. Frau Ministerin, ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im Klaren sind, dass von den 98 Millionen Euro 10 Millionen Euro an externe Unternehmen gehen. Rund 10 Prozent des operativen Etats werden also von Ihrem Haus für PR, Imagekampagnen und Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben. ({4}) Sind das vielleicht verdeckte Personalkosten? Wir können uns gerne im Rahmen der Haushaltsberatungen damit beschäftigen. Mit diesen 10 Millionen Euro könnten wir 30 bis 50 weitere Projekte unterstützen. Dieses Vorhaben soll ein Beispiel dafür sein, dass Mittel, die für sinnvolle Förderprogramme bereitgestellt werden, auch zu hundert Prozent sachbezogen ausgegeben werden sollten. Es darf im Rahmen der Haushaltsberatung kein Tabu geben. Ich sage es noch einmal: Die Prioritäten, die das Parlament setzt und die im Fachausschuss beraten werden, müssen von dem Ministerium beachtet werden. Jung und Alt, Migranten, Frauen und Männer, Seniorinnen und Senioren müssen sich insgesamt wiederfinden. Sie müssen eine Antwort auf die Frage bekommen - ich habe sie eingangs erwähnt -, was sie von den Haushaltsberatungen haben. Dann werden die Menschen draußen erkennen, was wir im Parlament für sie im Rahmen der Projektförderung auf den Weg bringen. Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen und auf die Debatte. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf: 4 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes - Drucksache 16/5725 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Strahlenschutzvorsorgegesetzes - Drucksache 16/6232 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({2}), Christoph Waitz, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klare Rahmenbedingungen für den dualen Rundfunk im multimedialen Zeitalter - Drucksache 16/5959 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({3}) Haushaltsausschuss Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ZP 1 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge ({4}) - Drucksache 16/5845 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({6}), Christoph Waitz, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klare Konzepte für den Bau des Berliner Schlosses - Drucksache 16/5961 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({7}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Jürgen Koppelin, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Den Auswärtigen Dienst für die Aufgaben der Diplomatie des 21. Jahrhunderts stärken - Drucksachen 16/3018, 16/5543 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Dr. Rolf Mützenich Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({9}) Es handelt sich um eine Beschlussfassung zu einer Vorlage, zu der keine Aussprache vorgesehen ist. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel Den Auswärtigen Dienst für die Aufgaben der Diplomatie des 21. Jahrhundert stärken. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5543, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3018 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15. Das Wort hat die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. ({10})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Vor allen Dingen lieb, hoffe ich. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie heute einen im Ausland tätigen Arzt fragen, wo er im Falle einer schweren Erkrankung behandelt werden möchte, dann lautet die Antwort unisono: in Deutschland selbstverständlich. Das ist kein Zufall, sondern dafür gibt es einen guten Grund. Bei allen Problemen, die es sicherlich im Einzelfall geben kann, können wir sagen, dass wir in Deutschland ein gutes Gesundheitswesen haben, das einen umfassenden Gesundheitsschutz für seine Bürgerinnen und Bürger bereithält. Wir sorgen dafür, dass in Zukunft in diesem Land niemand ohne Versicherungsschutz ist. Unsere Gesundheitsreform enthält für alle die Pflicht, sich krankenzuversichern. Ich glaube, dass dies ein wichtiger Schritt im Rahmen der Reformpolitik der letzten Jahre ist. Eines ist klar: Wer unser Gesundheitswesen erhalten will, der muss Reformen auf den Weg bringen. Ziel unserer Reformpolitik ist die Teilhabe aller am medizinischen Fortschritt. Dazu gehören auch der Bereich der humanen Pflege und die Unterstützung für die betroffenen Familien. Dazu bedarf es aber einer Politik, die dafür sorgt, dass das alles bezahlbar bleibt. Es handelt sich um zwei Seiten einer Medaille. ({0}) Unser Gesundheitswesen basiert auf dem Solidaritätsprinzip, auf der Solidarität des Einzelnen, der für diejenigen zahlt, die Hilfe brauchen, wohl wissend, dass auch er eines Tages auf die Solidarität der anderen angewiesen sein kann. Solidarität setzt aber voraus, dass jeder das Gefühl haben muss, dass jeder Euro zielgenau dort eingesetzt wird, wo er gebraucht wird. Das entspricht unserer Reformpolitik. Diesen Weg müssen wir gehen. Wir müssen immer wieder neu bestimmen, was sich hinsichtlich Organisation und Zusammenarbeit verändern muss, damit diese Zielgenauigkeit erreicht wird. Darum haben wir im Rahmen der Gesundheitsreform konsequent mehr in den Bereich Prävention investiert, das heißt, in Maßnahmen, die der Vermeidung von Krankheiten dienen. Darum haben wir das Prinzip „Rehabilitation vor Pflege“ konsequent verfolgt. Darum haben wir den Akteuren im Gesundheitswesen die Instrumente an die Hand gegeben, die es ihnen ermöglichen, Verträge zu schließen, die eine gute medizinische VerBundesministerin Ulla Schmidt sorgung der kranken Menschen gewährleisten. Diese Versorgung soll möglichst optimal, aber auch bezahlbar sein. In diesem Jahr werden die gesetzlichen Krankenkassen ihren Haushalt voraussichtlich zum vierten Mal mit Überschuss abschließen. Spätestens im nächsten Jahr kann die notwendige Entschuldung der Kassen erfolgreich abgeschlossen werden. ({1}) Ich würde das nicht unterschätzen. In den letzten Jahren sind 8,3 Milliarden Euro Schulden abgetragen worden. Wenn die Kassen mit einem ausgeglichenen Haushalt ohne Zinslasten starten können, bedeutet das, dass die Beiträge komplett für die Versorgung eingesetzt werden können. Damit haben alle gesetzlichen Krankenkassen eine gute Möglichkeit, ihre Aufgabe wahrnehmen zu können. Mit dem Start des Gesundheitsfonds im Jahr 2009 wird sichergestellt, dass alle Kassen zu gleichen und fairen Bedingungen Geld für die Versorgung der Versicherten erhalten. Auf dieser Grundlage wird sich ein fairer Wettbewerb um die beste Qualität entwickeln können. Die Kassen können all ihre Instrumente einsetzen, damit jeder Euro da hingelenkt wird, wo er am nötigsten gebraucht wird. Aus dem Bundeshaushalt erhalten die Kassen im nächsten Jahr insgesamt 2,5 Milliarden Euro für die Abgeltung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben. ({2}) Dieser Zuschuss wird in den Folgejahren um jeweils 1,5 Milliarden Euro bis zu einer Gesamthöhe von 14 Milliarden Euro steigen. ({3}) Das hat einen Grund: Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt, anders als alle anderen Systeme, eine Riesenaufgabe im Bereich familienpolitischer Leistungen. Ich nenne hier nur die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern, Leistungen im Bereich der Schwangerenfürsorge oder des Mutterschutzes. Es gibt noch vieles andere mehr. Das sind aber keine Aufgaben der gesetzlich Versicherten allein; das sind vielmehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Deshalb ist es richtig, diese über Steuern zu finanzieren. ({4}) Selbstverständlich muss ein entsprechendes Steueraufkommen vorhanden sein, damit das umgesetzt werden kann. Das ist eine Entlastung des Faktors Arbeit. Ökonomisch macht es Sinn, die Lohnnebenkosten nicht weiter zu erhöhen, sondern einen Teil der Kosten über Steuern zu finanzieren. In Zukunft werden immerhin rund 10 Prozent der heutigen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung über Steuern finanziert. Mit der Reform werden wir den Bereich der Prävention konsequent stärken. Mit den Mitteln, die wir im Haushalt für Prävention, Aufklärung und Forschung vorsehen - insgesamt sind es 66 Millionen Euro -, setzen wir ein deutliches Signal.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Ministerin, der Herr Kollege Bahr würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Ist das der richtige Zeitpunkt dafür?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Er kann zu jedem Zeitpunkt fragen, wenn Sie die Uhr nicht weiterlaufen lassen. - Herr Kollege Bahr.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin Schmidt, Sie haben eben ausgeführt, dass die Familienmitversicherung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und deshalb die kostenlose Krankenversicherung der Kinder durch Steuergelder zu finanzieren sei. Jetzt frage ich mich: Warum hat die schwarzrote Koalition vorgesehen, die Steuermittel nur für die gesetzliche Krankenversicherung zu verwenden? Denn wenn die Krankenversicherung der Kinder eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wäre, dann müsste es doch egal sein, ob es sich um ein Kind handelt, dessen Eltern privat oder gesetzlich versichert sind. Sprich: Die Steuergelder müssten, wenn es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, auch für die Prämien von privatversicherten Kindern verwendet werden. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Das Entscheidende ist, dass diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe heute nur diejenigen wahrnehmen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. ({0}) Denn dort zahlen diejenigen, die keine Kinder haben, für diejenigen mit, die Kinder haben. ({1}) Deshalb haben wir gesagt: Diese Aufgaben sollen über Steuern finanziert werden. ({2}) Wenn wir eines Tages so weit wären - so weit sind wir aber noch nicht; der Bereich umfasst bei den Krankenkassen 25 Milliarden Euro -, ({3}) dass man Beiträge für Kinder über Steuern in die gesetzliche Krankenversicherung zahlt, dann müsste man - da haben Sie recht ({4}) auch die Beiträge für die Kinder zahlen, die in der privaten Krankenversicherung sind. Aber das machen wir hier nicht. Das ist eine pauschale Abgeltung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Dazu gehört unter anderem die beitragsfreie Mitversicherung. Darum geht es erst einmal. Die Menschen in der privaten Krankenversicherung, die keine Kinder haben, zahlen dafür keinen Cent; die anderen, die Kinder haben, müssen ihre Beiträge zahlen. Das ist der Unterschied. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Ministerin, der Herr Kollege Schily würde gerne noch eine Zwischenfrage stellen.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ja, bitte.

Dr. Konrad Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003840, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, habe ich richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, dass Privatversicherte in der Regel keine Kinder haben?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Das habe ich nicht gesagt. Da haben Sie mich völlig falsch verstanden. Ich habe gesagt: Nur in der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen die Kinderlosen die Leistungen für diejenigen, die Kinder haben, mit. ({0}) In der privaten Krankenversicherung zahlt jeder für sich und damit die Eltern für ihre eigenen Kinder. Das ist ein ganz anderes System. ({1}) - So ist es. Für Kinder muss man einen Beitrag zahlen; wenn man keine Kinder hat, muss man nicht zahlen. Das ist der Unterschied. ({2}) Ich bin sehr froh, dass wir im kommenden Jahr für die Bekämpfung von Aids erneut mehr Geld zur Verfügung haben, insgesamt 15,8 Millionen Euro. Darin werden 1,5 Millionen Euro enthalten sein, die für die Zusammenarbeit mit Osteuropa eingesetzt werden. Das ist ein ganz wichtiger Bereich. Das hat auch die HIV/AidsKonferenz in Bremen gezeigt, die neue Impulse gesetzt hat. Wir führen derzeit gute Gespräche, um die Vereinbarung mit der pharmazeutischen Industrie umzusetzen, dass auch die Menschen in ärmeren Ländern, in ärmeren Mitgliedstaaten Osteuropas Zugang zu innovativen Arzneimitteln zu bezahlbaren Preisen erhalten. Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass wir noch in diesem Jahr zu den ersten Verträgen kommen können und damit einen entscheidenden Schritt dahin machen, dass in den EU-Mitgliedstaaten alle Menschen, die infiziert sind, diesen Zugang zu diesen Arzneimitteln haben und damit ein Beitrag zur Überwindung von Diskriminierung, Stigmatisierung und Tabuisierung dieses Themas geleistet wird. ({3}) Mit der vorgesehenen Stärkung des Robert-KochInstituts schaffen wir die heute notwendigen Bedingungen, um auf das mögliche Auftreten alter und neuer Krankheiten und auf neue gesundheitliche Bedrohungen schnell und kompetent reagieren zu können. Deshalb erhält das Robert-Koch-Institut im Rahmen eines umfassenden Gesamtkonzeptes bereits im ersten Schritt 49 neue Stellen und die entsprechenden Sachmittel. Ich bedanke mich ganz herzlich bei all denjenigen, die dazu beigetragen haben, dass wir diese neuen Aufgaben im Haushalt berücksichtigen werden. Mein Ministerium wird bis zum Jahresende, wie in der Kabinettsklausur von Meseberg beschlossen, den Entwurf eines Präventionsgesetzes vorlegen. Ziel ist, den Flickenteppich, der heute aus vielen unzähligen Projekten besteht, zusammenzufassen und uns in die Lage zu versetzen, eine solide, breite Struktur in Deutschland aufzubauen, damit Prävention, Gesundheitsvorsorge und die Übernahme von Verantwortung für die eigene Gesundheit wirklich eine nationale Aufgabe werden. Dabei werden wir dorthin gehen müssen, wo diejenigen leben, die wir heute nicht erreichen. Denn die Menschen, die an individuellen Maßnahmen, auch an denen, die von den Krankenkassen angeboten werden, teilnehmen, sind meist diejenigen, die ohnehin etwas für sich tun, gesund leben und Verantwortung übernehmen wollen. Wir brauchen Instrumente, die geeignet sind, um die Menschen in ihren Lebenswelten zu erreichen: in Kindergärten, Schulen, Stadtteilen, Betrieben, Senioreneinrichtungen usw. Das wollen wir auf den Weg bringen. Denn eines wissen wir schon heute: Diejenigen, die aus sozial schwächeren Familien kommen - das gilt auch für Kinder -, und Menschen mit Migrationshintergrund haben häufig schlechtere gesundheitliche Voraussetzungen. Ich hoffe auf die Unterstützung des gesamten Hohen Hauses, wenn wir diesen Weg gehen und dafür sorgen, dass das Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist der Aktionsplan „Gesunde Ernährung und Bewegung“, über den mein Ministerium derzeit gemeinsam mit dem Verbraucherschutzministerium mit allen Ebenen - von der Kommune bis zum Bund - diskutiert und für den im Haushalt 5 Millionen Euro veranschlagt sind. Ich glaube, wenn wir auf Bewegung, gesunde Ernährung und den nun mehr und mehr verbesserten Nichtraucherschutz setzen, dann haben wir uns drei wichtiger Themen angeBundesministerin Ulla Schmidt nommen, die unter dem Gesichtspunkt der Prävention von entscheidender Bedeutung sind. ({4}) Ein weiterer Schwerpunkt, den die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen setzen, ist die Pflegereform. Uns kommt es darauf an, eine Reform auf den Weg zu bringen, durch die die Menschenwürde der älteren Generation, der Pflegebedürftigen in die Mitte der Gesellschaft getragen wird. Dabei geht es zunächst darum, den Angehörigen altersverwirrter und pflegebedürftiger Menschen, die bei der Pflege Unendliches leisten, mehr Hilfen anzubieten. Deshalb besteht unser Hauptziel darin, den Grundsatz „ambulant vor stationär“ zu stärken ({5}) und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die diese Arbeit täglich leisten, wirklich die Unterstützung erhalten, die ihnen der Staat im Rahmen der Pflegeversicherung geben kann. ({6}) Deswegen haben wir vor, die Leistungen im Bereich der häuslichen Pflege zu verbessern. Dabei geht es zum Beispiel um die Höhe des Pflegegeldes, aber auch um den Umfang von Sachleistungen. Diese Leistungen werden erhöht und dynamisiert, mit dem Ziel, dass diejenigen, die professionell pflegen, besser entlohnt werden können. Denn zu der Debatte über die Qualität gehört auch die Frage, unter welchen Arbeitsbedingungen die Pflege stattfinden muss. Wir hoffen, dass die Erhöhung des Umfangs der Leistungen von den professionellen Einrichtungen weitergegeben wird. Wir werden entbürokratisieren und neue Anreize für eine bessere Organisation der Pflege schaffen. Ob in der Stadt oder auf dem Land: Alles soll unter einem Dach stattfinden. Die Pflegestützpunkte sind neue Anlaufstellen. Sie haben keine neue Bürokratie zur Folge. Vielmehr werden in den Pflegestützpunkten Leistungen und Informationen angeboten, die sich die Menschen sonst, wenn ein Pflegefall eintritt, erst mühsam zusammensuchen müssen, was viel Zeit kostet. Zu diesen Leistungen gehört unter anderem die Betreuung von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz. Es werden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, neue Wohnformen zu fördern. Die Pflegebedürftigen können die Leistungen auch „poolen“ ({7}) und zum Beispiel den Einsatz einer Pflegekraft gemeinsam organisieren. Dadurch kann dem Einzelnen mehr Zeit und mehr Zuwendung gewidmet werden. Zu den neuen Angeboten gehören viele weitere Punkte, zum Beispiel auch die professionelle Pflegebegleitung. Ich glaube, diese Angebote werden dazu beitragen, dass wir eine gute Pflege gewährleisten können, eine Pflege, in deren Rahmen man auf die Menschen zugeht und mit deren Angeboten die Betroffenen, die in dieser Situation oft überfordert sind, dabei unterstützt werden, die Aufgaben in ihrer Familie erfüllen zu können. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Ministerin, der Kollege Seifert würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ja.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, niemand wird bestreiten, dass es sinnvoll und notwendig ist, denjenigen, die auf Pflege angewiesen sind, und ihren Angehörigen mehr Beratung zukommen zu lassen. Ihre hochgelobten Pflegestützpunkte, die Sie einrichten wollen, erinnern mich in fataler Weise an die sogenannten gemeinsamen Servicestellen nach dem SGB IX. Wenn man diese schließen würde, würde das in 80 Prozent der Fälle überhaupt keiner merken, nicht einmal diejenigen, die dort arbeiten. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass dies bei Ihren Pflegestützpunkten nicht eintritt, abgesehen davon, dass die Finanzierung nicht geklärt ist?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Wir wollen das sicherstellen, Herr Kollege Seifert, indem die Pflegekassen verpflichtet werden, für jeweils 20 000 Einwohner und Einwohnerinnen einen Pflegestützpunkt vor Ort zu organisieren. Man muss dabei auf bewährte Strukturen zurückgreifen. Die professionelle Pflegebegleitung wird in diesen Pflegestützpunkten angesiedelt sein, und zwar mit dem Ziel, dass das, was Sie zu Recht kritisieren, nicht passiert. Altenhilfe, Krankenhilfe, Pflegehilfe, Behindertenhilfe sowie die Vermittlung von Angeboten zur Betreuung oder zu anderen Leistungen sollen für die Menschen im Stadtteil erreichbar sein. Die Menschen sollen wissen, wo sie hingehen und Hilfe erhalten können und wo diese Dinge organisiert werden. Dies ist das Ziel. Ich rate Ihnen, sich einmal die Einrichtungen in den Niederlanden anzusehen, die wohnortnah, auf dem Land wie in der Stadt, eine Betreuung für die Menschen organisieren und nicht schon beim ersten Schritt eine Hürde darstellen. Die Freistellung derjenigen, die pflegen - ich rede nicht nur von der Freistellung von bis zu einem halben Jahr, sondern auch von kurzfristigen Freistellungen -, ist sehr wichtig. ({0}) Denn wenn ein Pflegefall auftritt, hat man dann Zeit, in Ruhe zu organisieren und anhand der Veröffentlichungen der Qualitätsberichte zu entscheiden, wo man hingehen möchte. Diese Zeit ist notwendig, wenn wir auf Dauer eine gute und qualitativ hochwertige Pflege organisieren möchten. Wir müssen den Menschen Zeit geben. So, wie die Eltern Zeit für ihre Kinder brauchen, brauchen die Kinder auch Zeit für ihre Eltern, damit sie das organisieren können, was in der Familie gebraucht wird. ({1}) Wir werden darüber noch lange diskutieren. ({2}) Ich bitte Sie diesbezüglich um Ihre Unterstützung. ({3}) - Dies ist nicht wie bei der Gesundheitsreform, Herr Bahr. Von Ihnen ist ja noch gar kein Vorschlag dazu gekommen, wie man die Pflege organisieren könnte. ({4}) Sie können sicher sein, dass die Koalition sich von einem Ziel leiten lassen wird: Wir wollen, dass die Menschen, die pflegebedürftig sind, die Hilfe erhalten, die möglich ist. ({5}) Wir wollen diejenigen, die diese Arbeit verrichten - ob in der Familie oder professionell -, unterstützen, soweit es uns möglich ist, und damit die Würde älterer und pflegebedürftiger Menschen in den Mittelpunkt dieser Gesellschaft rücken und sie nicht am Rande stehen lassen. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Claudia Winterstein, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede eben wieder einmal bewiesen, dass Sie eine große Meisterin im Schönreden sind. ({0}) Denn zum Beispiel die erste Bilanz der Gesundheitsreform ist mehr als enttäuschend. Die Beiträge zur Krankenversicherung sind mit durchschnittlich 14,8 Prozent auf einem Rekordhoch, ({1}) von Wettbewerb zwischen den Kassen findet sich keine Spur, und mit dem Gesundheitsfonds und dem Einheitsverband der Krankenkassen liegt das größte Übel erst noch vor uns. Das gleiche Spiel erleben wir in diesem Jahr mit der Pflegeversicherung. Wir alle wissen, dass wir dringend eine Reform brauchen. Außerdem wollen wir langfristig ein menschenwürdiges Altern und ein angemessenes Niveau bei der Pflege garantieren. Doch wie vor einem Jahr scheitert die Große Koalition auch diesbezüglich an ihren grundsätzlich verschiedenen Vorstellungen in der Sozialpolitik. Statt eine grundlegende Umstellung des Pflegesystems vorzunehmen, erweitern Sie schlicht den Leistungskatalog und erhöhen die Beiträge. Sie versprechen neue soziale Wohltaten, machen sich aber keine Gedanken über eine solide Finanzierung. Durch Ihre Pläne wird die Pflegeversicherung selbst zum Pflegefall, insbesondere finanziell. Allein durch die neuen Leistungen entstehen Kosten, die bis zum Jahr 2012 auf jährlich 2,3 Milliarden Euro anwachsen werden. Dabei wird der Finanzbedarf der Pflegeversicherung ohnehin massiv zunehmen. Bis zum Jahre 2030 werden wir etwa 3 Millionen Pflegebedürftige zu versorgen haben, ein Drittel mehr als heute. Der Beitragssatz der Pflegeversicherung müsste dann bei über 4 Prozent liegen, mehr als doppelt so hoch wie heute - unvorstellbar! Es hilft nur ein grundlegender Wechsel der Finanzierung. ({2}) Die FDP schlägt vor, das System nach und nach von der Umlagefinanzierung auf die Kapitaldeckung umzustellen. So schaffen wir eine nachhaltige Finanzierung der Pflegeleistungen, ohne, wie jetzt, die Lasten einfach in die Zukunft zu verschieben. ({3}) Aus der Sicht der Haushaltspolitiker sei noch darauf hingewiesen: Der Verzicht darauf, in den Sozialsystemen Rücklagen zu bilden, treibt die verdeckte Staatsverschuldung weiter nach oben. ({4}) Die Regierung wird zum Jahresanfang den Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken - ein richtiger Schritt. Jedoch nützt er wenig, wenn an anderer Stelle weiter erhöht wird. Dieser Verschiebebahnhof im Sozialsystem - Pflegebeiträge rauf, Arbeitslosenversicherungsbeitrag runter verdeutlicht auf traurige Weise die Kopf- und Planlosigkeit dieser Regierung. ({5}) Mehrwertsteuererhöhung, höhere Krankenkassenbeiträge, höhere Pflegeversicherungsbeiträge - der Bürger wird weiter belastet, und es wird ihm Sand in die Augen gestreut. ({6}) Nach jeder Ihrer sogenannten Reformen ist alles komplizierter und undurchsichtiger. Ein Paradebeispiel ist das Hickhack um den Steuerzuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung, der Jahr für Jahr um 1,5 MilDr. Claudia Winterstein liarden Euro wachsen soll. Bis zum Jahr 2016 wird er auf insgesamt 76,5 Milliarden Euro wachsen. Verraten Sie endlich, woher dieses Geld kommen soll! Dazu haben Sie wieder nichts gesagt. Sie schüren weiter die Ansprüche der Bürger an den Sozialstaat, ohne die Leistungen, die Sie versprechen, solide zu finanzieren. Der Bürger braucht Transparenz. Das Prinzip von Leistung und Gegenleistung muss für jeden Steuer- und Beitragszahler wieder klar erkennbar werden. ({7}) Sie müssen den Bürgern reinen Wein einschenken. Soziale Leistungen lassen sich nicht dauerhaft allein mit öffentlichen Mitteln finanzieren - die Menschen müssen stärker selbst vorsorgen. Hören Sie also auf, den Bürger für dumm zu verkaufen, und trauen Sie den Menschen endlich zu, für ihre Zukunft selbst Verantwortung zu übernehmen! ({8}) Dass ihr Vertrauen in die Menschen nicht sonderlich groß ist, beweist diese Regierung auch mit den unzähligen Kampagnen zur Erziehung der Bürger. Mal rauchen wir zu viel, dann essen wir schlecht und sind bewegungsfaul, und zu dick sind wir auch. ({9}) In der Welt ist das in einem Kommentar zu Herrn Seehofers Regierungserklärung vom 10. Mai zu gesunder Ernährung und Bewegung auf den Punkt gebracht worden: Statt uns endlich von einem offenkundig dysfunktionalen und kollektivistischen Gesundheitssystem zu befreien, werden wir ständig mit millionenteuren Kampagnen ermahnt, diesem nicht zu sehr zur Last zu fallen. In der Tat, die beiden Oberlehrer Horst Seehofer und Ulla Schmidt haben zur gesundheitlichen Prävention den Aktionsplan Gesunde Ernährung und Bewegung ausgetüftelt. Hier soll das Geld nach dem Gießkannenprinzip auf alle möglichen Bereiche verteilt werden. Eine konsequente Präventionsstrategie ist nicht zu erkennen. Allein im Haushalt des Gesundheitsministeriums werden 5 Millionen Euro bereitgestellt. Dazu kommt die Präventionskampagne mit 2,5 Millionen Euro, im Übrigen immer noch ohne Präventionsgesetz. Ferner steigen die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit auf satte 6,3 Millionen Euro. Also viel Geld für Kampagnen, aber wenig Effektivität. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauterbach?

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte jetzt zum Schluss kommen. Sie sind angetreten, um die Bereiche Gesundheit und Pflege grundlegend zu reformieren. An dieser Aufgabe sind Sie, Frau Ministerin, grandios gescheitert. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor einem Jahr haben wir das Gesundheitsreformgesetz beraten. Ich habe schon damals festgestellt, dass dieses Gesetz viel besser ist, als von vielen Kritikern behauptet wurde. Wenn wir heute in Gesprächen mit den Beteiligten feststellen, dass sie ihre Chancen erkennen, die in diesem Gesetz liegen, sind wir froh, dass sich unsere Aussage bewahrheitet. In diesem Zusammenhang sei mir eine Anmerkung erlaubt. Die zum Teil negative Einstellung der Bürger zu der Reform ist vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass man den Menschen immer wieder eingeredet hat, Spitzenmedizin für alle sei zum Nulltarif zu erhalten. Qualität hat aber ihren Preis. ({0}) Das Gesetz ist - darauf habe ich damals bereits hingewiesen - erstens gut für die Patienten. Die neuen Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wie die Palliativersorgung, Vater/Mutter-Kind-Kuren, geriatrische Rehabilitation und Impfungen sind bereits im ersten Halbjahr vermehrt von den Kassen gewährt und von den Patienten in Anspruch genommen worden. Des Weiteren konnte durch die wachsende Zahl zuzahlungsbefreiter Arzneimittel die Entlastung der Patienten erreicht werden. Inzwischen gibt es über 12 000 Arzneimittel ohne jegliche Zuzahlung. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Damals wurden wir in diesem Haus für diese Maßnahme belächelt. Zweitens ist das Gesetz gut für die Versicherten. Alle Nichtversicherten haben einen Anspruch darauf, wieder in die gesetzliche oder private Krankenversicherung aufgenommen zu werden. Damit muss niemand mehr ohne Versicherungsschutz bleiben. Allerdings stimmen die bisher bekannten Zahlen von etwa 43 000 Rückkehrern in die gesetzliche und 3 000 in die private Krankenversicherung nachdenklich. ({1}) Wenn die von der Bundesregierung genannte Zahl von bis zu 400 000 Nichtversicherten zutrifft, dann besteht hier noch ein erheblicher Nachholbedarf. Ich wünsche mir, dass die Krankenkassen und die privaten Krankenversicherungen stärker als bisher auf die Möglichkeit der Wiederaufnahme hinweisen. ({2}) Darüber hinaus haben die Versicherten neben diesen Rückkehrrechten eine Vielzahl neuer Wahlrechte erhalten. Hier beobachten wir noch einen etwas verhaltenen Start. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass die Kassen erst neue Wahltarife entwickeln und diese den Versicherten noch ausreichend bekannt gemacht werden müssen. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren eine sehr gute Ausweitung des Angebots erfahren können. Eine kritische Anmerkung von unserer Seite bezieht sich darauf, dass zum Beispiel eine gesetzliche Krankenkasse einen Wahltarif für stationäre Wahlleistungen anbietet. Hier stellt sich die Frage, ob die gesetzliche Krankenkasse bei Anbietung privater Leistungen ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verlieren könnte und damit eine Vielzahl von Privilegien wie die Steuerfreiheit zur Disposition stünde. ({3}) Dies sollten wir im Interesse der Krankenversicherten nicht riskieren. ({4}) Drittens wird das Gesetz zu mehr Wettbewerb führen. Die Krankenkassen haben durch das Gesetz neue Möglichkeiten erhalten, mit Arzneimittelherstellern zum Beispiel Rabattverträge abzuschließen. Dieses Instrument ist erstaunlich schnell, vielleicht zum Teil auch überstürzt umgesetzt worden. Etwa ein Viertel des Gesamtumsatzes der gesetzlichen Krankenversicherung für Arzneimittel ist durch Rabattverträge abgedeckt. Dies alles hat bereits zu deutlichen Marktverschiebungen hin zu Herstellern mit rabattierten Arzneimitteln geführt. Hierin liegt ein Problem, das, wie ich meine, von einigen Krankenkassen noch nicht zufriedenstellend gelöst wurde. Denn einige der vertraglich gebundenen Hersteller sind nicht in der Lage, die Arzneimittel in ausreichender Menge und angemessener Zeit zu liefern. Diese Entwicklung sehe ich mit Sorge. Wenn es zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln kommt, kann es nicht sein, dass das Problem auf die Apotheker und Patienten abgewälzt wird. Die Krankenkassen müssen dieses Problem schnellstmöglich lösen oder zumindest dafür sorgen, dass die Apotheken bei Lieferengpässen auch in den nächsten Monaten noch nicht rabattierte Arzneimittel an die Patienten abgeben können. ({5}) Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, für den ich persönlich vom Hausärzteverband in meiner bayerischen Heimat heftig kritisiert wurde. Wir haben im Gesetz die Möglichkeit verbessert, Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung zu gestalten. ({6}) Daneben gibt es die Möglichkeit, diese Verträge im Auftrag der Hausärzte durch die Kassenärztlichen Vereinigungen aushandeln zu lassen. Das heißt, entweder verhandeln die Hausärzte direkt mit den Krankenkassen, oder sie lassen sich durch ihre KV vertreten. In beiden Fällen haben immer die Hausärzte die Entscheidung über das Vorgehen. Geschieht dies nicht, ist nach meiner Auffassung die Bundes- oder die Landesaufsicht gefordert. Inzwischen liegen erste Zahlen vor. Demnach sind bisher 42 Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung geschlossen worden, von denen rund 60 Prozent unter Beteiligung der KVen zustande kamen. Ich kann den Ärzten nur eines empfehlen - das war einmal ein Slogan meiner Partei -: Miteinander hat Zukunft. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein sehr ernstes Problem ansprechen, und zwar die flächendeckende Versorgung durch Haus- und Fachärzte. Wir sollten den Mut haben, zu sagen: Hier sind zusätzliche finanzielle Mittel notwendig, um den Ärzten wieder eine Zukunftsperspektive aufzuzeigen. ({7}) Zur Reform der Pflegeversicherung: Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten darüber diskutieren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt dies. Die dort formulierten Forderungen werden zu einer Verbesserung der Leistungen für Pflegebedürftige führen. Dies ist angesichts der seit zwölf Jahren stagnierenden Leistungsbeträge überfällig. Hier gibt es auch keinen Dissens. Allerdings gibt es auch Punkte, auf deren Ausgestaltung wir in den Beratungen aufpassen müssen, wie Pflegebegleiter, Beratungsstellen, Pflegestützpunkte, Versorgungsmanager und vieles mehr. Dies alles wollen wir, glaube ich, gemeinsam so umsetzen, dass keine zusätzliche Bürokratie und kein Kompetenzwirrwarr entstehen. ({8}) Es darf nicht dazu kommen, dass es mehr qualifizierte Personen gibt, die sich um Organisation und Aufsicht kümmern als um die Pflege selber. ({9}) Gerade die Berichte über die Pflegequalität in den letzten Wochen haben gezeigt, dass wir dringend motiviertes und qualifiziertes Personal für die Pflege vor Ort brauchen. ({10}) Diese Menschen, die einen sehr anspruchsvollen und schwierigen Dienst an den Pflegebedürftigen leisten, sollen wissen, dass wir ihre Arbeit schätzen. Pflegeheime, die qualitativ gute Arbeit leisten, werden sich nicht vor Prüfungen fürchten müssen. Prüfungen sind notwendig, um schlechte Pflege festzustellen und Defizite zu beseitigen. ({11}) Wir dürfen aber die Pflegenden nicht alle in einen Topf werfen und nicht mit überzogenen Prüfvorschriften und bürokratischen Auflagen gängeln. Hier müssen wir den richtigen Weg zu einer effizienten und dauerhaft wirksamen Qualitätskontrolle finden. Es geht also nicht um ein Mehr an Vorschriften und Kontrollen, sondern um die richtige Anwendung. ({12}) An dieser Stelle möchte ich im Namen meiner Fraktion einen ausdrücklichen Dank und Anerkennung den Pflegenden, die aufopferungsvolle Arbeit leisten, ob zu Hause oder in den Heimen, aussprechen. ({13}) Bei der Pflegeversicherung werden wir nicht lange damit warten können, den Umstieg auf eine nachhaltige und demografiefeste Finanzierung hinzubekommen. Das ist bedauerlicherweise bei den Verhandlungen über die Eckpunkte noch nicht gelungen. Gerade in der Pflegeversicherung wäre aber die möglichst rasche Einführung kapitalgedeckter Elemente sinnvoll und notwendig. ({14}) Eines der anstehenden Projekte ist das Präventionsgesetz. ({15}) Unser Gesundheitssystem ist in vielen Bereichen außerordentlich erfolgreich. Die Lebenserwartung von Männern und Frauen ist kontinuierlich gestiegen und wird weiter steigen. Jedoch leidet ein zunehmend großer Anteil der Bevölkerung an den sogenannten Volkskrankheiten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes mellitus, Allergien, Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats und Übergewicht. Im letzten Jahr habe ich noch gesagt, Sie brauchten sich an mir kein Beispiel zu nehmen. Jetzt habe ich 15 Kilogramm weniger. Jetzt können Sie sich ein Beispiel an mir nehmen. ({16}) Ein erheblicher Teil dieser Erkrankungen wäre vermeidbar. Wir kennen die Risikofaktoren, die für Entstehung und Verlauf dieser Krankheiten verantwortlich sind. Sie beruhen zum Teil auf externen Einflüssen und zum Teil auf individuellem Fehlverhalten. Damit sind Staat und Gesellschaft, aber vor allem jeder Einzelne gefordert. Staatliches und gesellschaftliches Handeln kann dabei aber nur unterstützend mitwirken, Präventionsmaßnahmen zu initiieren und im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Wir müssen Wege aufzeigen, wie Prävention im Denken und Handeln der Menschen verankert und gefördert werden kann. Prävention und Gesundheitsförderung sind zur Vermeidung von Krankheiten und zur Erhaltung der Gesundheit eine lohnende Investition in die Zukunft unseres Gesundheitswesens und deshalb unabdingbar. Dazu brauchen wir keine neuen Institutionen, keine zusätzliche Bürokratie, sondern effektive Maßnahmen, die bei den Bürgern ankommen. ({17}) Dann werden wir die Ziele erreichen, die wir mit dem Präventionsgesetz verfolgen: für die Krankenkassen einen effizienteren Einsatz ihrer begrenzten Mittel und für jeden Einzelnen ein Mehr an Lebensqualität und Gesundheit. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Frank Spieth, Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Tolle Bescherung! Wenn man sich das so anhört, hat man den Eindruck, es wäre schon Weihnachten, insbesondere angesichts der Debattenbeiträge, die von der Koalition kommen. Ich muss zu der großartigen Erfolgsgeschichte, zu der sich Frau Merkel gestern verstiegen hat, ehrlich sagen, dass ich etwas anderes erlebe. In meinem Wahlkreis in Thüringen sagen 90 Prozent der Befragten, dass der Aufschwung bei ihnen nicht angekommen ist. Mir erzählen Selbstständige, Handwerker, Einzelhändler, Facharbeiter, Rentnerinnen und Rentner sowie Arbeitslose, dass sie sogar weniger im Portemonnaie haben. Mich wundert das nicht. Mich wundert auch nicht, dass Sie, Frau Ministerin, sich in den Reigen der Erfolgserzähler einreihen und sich selbst auf die Schulter klopfen. 307 Millionen Euro Überschuss bei den gesetzlichen Krankenkassen im ersten Halbjahr 2007 ist eigentlich wirklich klasse, möchte man meinen. Ja, die Zunahme der Beschäftigung hat zusätzliche Gelder in die Töpfe der Krankenkassen gespült. Aber die gute Einnahmeentwicklung ist im Wesentlichen auf eine drastische Beitragssatzsteigerung Anfang des Jahres 2007 zurückzuführen. Das ist doch die Tatsache. ({0}) Damit ist die Katze aus dem Sack. Mehr Beitragseinnahmen für die Krankenkassen heißt für den Einzelnen weniger Geld in der eigenen Tasche. Dies ist nur eine der vielen neuen Belastungen, die die Regierung gerade den Geringverdienern zumutet. Da wundert es auch nicht, wenn die Zahl der armen Kinder laut Kinderschutzbund innerhalb eines Jahres um über 100 000 zugenommen hat. Das ist nach meiner Auffassung ein Skandal. ({1}) Der Armutsforscher Christoph Butterwegge aus Köln weist darauf hin, dass man Armut aber nicht nur an einem Mangel an Geld festmachen kann, sondern dass zu ihren Begleiterscheinungen auch Nachteile und Diskriminierungen in unterschiedlichen Lebensbereichen gehören, unter anderem auch bei der Gesundheitsversorgung. Besonders seien dabei Kinder benachteiligt. Der Armutsforscher weist darauf hin, dass es eine deutliche Spaltung in Deutschland gibt, die sich in dreifacher Hinsicht ausdrückt: in einer Spaltung zwischen Arm und Reich, in einer Spaltung zwischen Ost und West sowie in der Schere zwischen Stadt und Land. Es ist deshalb kein Wunder, dass die aktuelle Studie Die Ängste der Deutschen 2007 belegt, dass die sozialen Sorgen zunehmen und viele Menschen Angst haben, schwer zu erkranken oder später pflegebedürftig zu werden. Fast jeder Zweite gibt uns, den Volksvertretern, deshalb die Note „mangelhaft“ oder „ungenügend“. Kein Wunder: Die Eintrittsgebühr beim Arzt, die Zuzahlungen beim Kauf von Medikamenten, Hilfsmitteln und Heilmitteln, die Abschaffung des Sterbegeldes und der Erstattung von Kosten für Brillen und nicht verschreibungspflichtige Medikamente usw. haben dazu geführt, dass sich zu viele in dieser Gesellschaft ihre medizinische Versorgung eingeschränkt oder gar nicht mehr leisten können. Kurz: Die Note „mangelhaft“ ist die Quittung der Versicherten für Belastungen und höhere Beiträge bei gleichzeitiger Kürzung der Beiträge der Arbeitgeber zur gesetzlichen Krankenversicherung. Die Linke fordert eine Trendwende in der Gesundheitspolitik. ({2}) Meine Fraktion wird mit ihrem Antrag Wiedereinführung der vollständigen Zuzahlungsbefreiungen für Versicherte mit geringem Einkommen im Wege der Härtefallregelung vorschlagen, dass durch eine entsprechende Beschlussfassung in diesem Haus über 10 Millionen Menschen in Deutschland mit einem Einkommen bis zu 980 Euro von Zuzahlungen befreit werden. ({3}) Wir reagieren damit auf den Skandal, dass Geringverdiener Gesundheitsleistungen wegen der Zuzahlungen nicht mehr oder nur unvollständig in Anspruch nehmen können. Wir stellen damit im Grunde nur den Zustand wieder her, der bis zum 31. Dezember 2003 gesetzlich geregelt war. Wir schlagen Ihnen außerdem vor, dass die in diesem Jahr vorgenommene Kürzung des Bundeszuschusses an die Krankenkassen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro zurückgenommen wird und dass 2008 erneut 4,2 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Dann würde der Mutterschutz wieder gesamtgesellschaftlich finanziert, Frau Ministerin. Es ist also anders, als es hier dargestellt wurde. Die Linke fordert mit ihrem Zukunftsinvestitionsprogramm außerdem eine jährliche Finanzhilfe von 2,5 Milliarden Euro zur Überwindung unterlassener Modernisierungen der Krankenhäuser. Die Kosten für diese Modernisierungen belaufen sich durch die Einsparungen der öffentlichen Hand mittlerweile auf etwa 50 Milliarden Euro. Wir fordern die schnelle Einführung eines Präventionsgesetzes und in diesem Zuge die Einrichtung eines Fonds, der in den nächsten vier Jahren jeweils mit 1 Milliarde Euro gespeist werden sollte. Über diesen Fonds sollten - mit besonderem Augenmerk auf die schlechtere Gesundheitssituation finanziell und sozial benachteiligter Gruppen - Vorbeugung und Vorsorge finanziert werden. ({4}) Die Linke fordert, dass die Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung von der Bundesagentur für Arbeit dazu verwendet werden, endlich wieder die kostendeckenden Beiträge Arbeitsloser an die Krankenkassen zu überweisen. ({5}) Wenn Sie wie wir gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit sind, wenn Sie wie wir gegen eine Zweiklassenmedizin eintreten, dann sollten Sie unseren Vorschlägen in den weiteren Haushaltsberatungen zustimmen. Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meinem Vorredner möchte ich schon gern die Frage stellen, wo zur Finanzierung der vielen Wohltaten, die Sie fordern, eigentlich der Dukatenscheißer ist? Diese Frage stellt sich einfach. ({0}) Im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums finden sich viele sinnvolle und notwendige Projekte. Diese reichen von der Aidsaufklärung über Modellprojekte zum Drogenausstieg und über das Leuchtturmprojekt Demenz bis hin zur Ernährungs- und Bewegungsprävention. Trotzdem muss ich sagen: Das Ganze sieht ein bisschen wie schöne, bunt bepflanzte Blumenkästen vor den Fenstern eines Hauses aus, dem ein solides Fundament und tragfähige Wände fehlen. Wo ist das politische und fiskalische Fundament einer stringenten Gesundheitspolitik dieser Koalition? Ich kann es nicht erkennen. ({1}) Drei Beispiele. Der Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung - er beträgt in diesem Jahr 2,5 Milliarden Euro; Sie loben sich selbst dafür; ich will gar nicht mehr darauf hinweisen, wie lange das umkämpft war - soll, so lautet Ihr Versprechen, einen Aufwuchs auf 14 Milliarden Euro erfahren. Was ist das, wenn nicht eine Luftbuchung? Es findet sich nirgends eine Gegenfinanzierung. ({2}) Zur Pflege: Gewiss liegt jetzt ein Referentenentwurf vor. Ich will nicht groß darauf eingehen, dass Sie darüber noch streiten. Was aber eine nachhaltige Finanzierung angeht, schweigen Sie alle beide, und das besonders nachhaltig. Ein Präventionsgesetz existiert - das haben wir eben wieder gehört - in Ankündigungen. Wie schön! Aber wo ist denn in diesem Fall der Referentenentwurf, auf den Sie sich verständigt haben? Im Gesundheitsministerium gibt es einen großen und steigenden Etat für die Öffentlichkeitsarbeit. Das ist nicht per se etwas Obszönes. Ich sehe aber, dass das Geld vor allem in die Finanzierung der Gesunden Zeitung geht, in der laut Spiegel nur Gutes über die Ministerin geschrieben wird. ({3}) Deshalb mache ich einen Vorschlag: Geben Sie doch einmal Geld aus, damit die Leute verstehen, welche Verbesserung im Gesundheitswesen etwa die elektronische Gesundheitskarte bewirken kann! Es gibt jede Menge Resolutionen und Boykottaufrufe gegen die elektronische Gesundheitskarte. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass eine Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit vonseiten des Ministeriums dazu nicht existiert. ({4}) Wer tatsächlich will, dass Transparenz und Vernetzung zu einem besseren Gesundheitswesen beitragen und wer dazu die elektronische Gesundheitskarte einsetzen will, muss als Ministerin auch etwas dafür tun, dass die Patientinnen und Patienten, deren Zustimmung Voraussetzung für die Speicherung von Informationen ist, nicht durch falsche Behauptungen verunsichert werden. Da wäre Geld für die Öffentlichkeitsarbeit wahrlich gut eingesetzt. ({5}) Ich komme zur Prävention; das Stichwort ist schon gefallen. Ich sehe kein Gesetz; ich sehe einen Aktionsplan zum Thema „Ernährung und Bewegung“. Das ist durchaus wichtig. Ich hoffe, dass es hierbei nicht nur um PR geht. Deswegen sollten Sie beherzigen, Frau Ministerin, was Ihnen der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen neulich zum Thema Sinnhaftigkeit von Kampagnen ins Stammbuch geschrieben hat. Eine PR-Kampagne wie die zu den 3 000 Schritten macht keinen Sinn. Sinn macht eine Kampagne dann, wenn sie gezielt und abgestimmt ist, das heißt wenn sie die Betroffenen erreicht und diese dort abgeholt werden, wo sie sind; in dem Fall könnte man auch sagen: wo sie sitzen. Eine solche Kampagne kann es geben, soll es geben. Sie muss auf die vielen guten Projekte Bezug nehmen, die es schon gibt, und zu ihrer Vernetzung beitragen. Wenn sie das tut, dann ist sie richtig. Trotzdem: Wir brauchen ein Präventionsgesetz als großen Rahmen. Es ist eine verbindliche Zusammenarbeit von Bund und Ländern, von Kassen und Kommunen erforderlich, damit diese gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich frage: Ist diese Große Koalition eigentlich politikfähig? Ist sie regierungsfähig? ({6}) Beim Thema Gesundheit ist sie es jedenfalls nicht. Ist sie es bei der Prävention, oder werden beide Parteien wieder darauf verweisen, dass es am Ende der Amtszeit der Großen Koalition zu einer politischen Morgenröte kommt und dann alle Reformen mit dem Originalabzeichen der eigenen Partei gemacht werden? Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir brauchen einen klaren Rahmen und verbindliche Strukturen für die Prävention. Wenn wir diese nicht haben, nur über Verbesserungen in der Versorgung von Kranken reden - das ist auch notwendig -, aber immer nur den Reparaturbetrieb befördern, dann rennen wir den gesellschaftlichen Problemen im Gesundheitsbereich lediglich hinterher. Das können wir nicht machen. Deswegen verspreche ich als Grüne Ihnen: Wir werden beiden Parteien der Koalition im Nacken sitzen, damit nicht nur im Aktionsplan Bewegung stattfindet, sondern auch in Ihrer Politik. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ewald Schurer, SPDFraktion. ({0})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jede Haushaltsdebatte ist Anlass, die Bedeutung von Gesundheit für die Menschen ganz persönlich, aber auch für die Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Das hohe Gut Gesundheit ist für die Lebensqualität von uns allen unerlässlich. Das ist eine Erkenntnis, über die Konsens bestehen müsste und der auch die Opposition nur schwer widersprechen kann. Herr Spieth, was Sie an Ergebnissen zum Stichwort Vertrauen vorgetragen haben, widerspricht meinen sämtlichen Erkenntnissen aus der Sozialforschung. Es gibt in Deutschland gegenüber den wichtigen Instanzen und Akteuren des Gesundheitswesens trotz kritischer Einlassungen nach wie vor insgesamt ein sehr hohes Vertrauen. Das ist etwas, was auch die Sozialforschung immer wieder ausweist. Die Frau Ministerin hat dargestellt, dass das selbst bei dem Berufsstand der Ärzte der Fall ist. Das gilt für Krankenhäuser und Kliniken, Arztpraxen, Apotheken, Kassen und Pflegeeinrichtungen, aber auch für Einrichtungen der Prävention und der Reha. Das sollte eigentlich auch - darüber sind wir uns sicherlich einig - für die politischen Prozesse Gültigkeit haben. Wir wissen, dass die gesellschaftlichen Veränderungen hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Dynamik im Gesundheitswesen von großer Bedeutung sind. Ich nenne hier die Veränderungen in der Arbeitswelt - wie Menschen leben und arbeiten, hat eine enorm hohe Auswirkung auf deren gesundheitliche Konstitution -, die veränderten Lebensgewohnheiten der Menschen - Ernährung ist schon genannt worden -, das Mobilitätsverhalten der Menschen, das in einer arbeitsteiligen Gesellschaft immer mehr gestiegen ist, aber auch die Grundeinstellungen, Werte und Bewusstseinsstrukturen der Menschen, wie sie mit sich selbst, soweit sie darüber verfügen können, umgehen. Das sind wichtige Komponenten. Man darf auch nicht vergessen, dass sich unsere gesundheitliche Versorgungslandschaft in den letzten 10, 20 Jahren so stark verändert hat, dass heute im technischen, diagnostischen und therapeutischen Bereich Angebote vorgehalten werden, die noch vor 10, 15 Jahren nur erahnt werden konnten. Das bringt mich zum nächsten Punkt, zur Gesundheitsökonomie: Die letzte Gesundheitsreform und auch die vorherigen haben gezeigt, dass es eine gewaltige Herausforderung ist, mit diesen Anforderungen gesundheitsökonomisch wie medizinisch Schritt zu halten und sie zu bewältigen, wenn wir solche Veränderungen in der Gesellschaft, im Leistungsspektrum erleben. Wiewohl wir in der internationalen Beurteilung unseres Gesundheitssystems - das war die Eingangsbemerkung der Frau Ministerin - gute Noten bekommen - das darf man nicht negieren, Herr Spieth -, wiewohl auch die Forschung sagt, dass die sogenannte Volksgesundheit bei uns im europäischen und internationalen Vergleich relativ gut und auch die Altersentwicklung als solche eine positive Errungenschaft der Gesellschaft ist - das muss man einmal wertfrei betrachten -, haben wir - das darf man nicht leugnen - teilweise dramatische Entwicklungstendenzen in dieser Gesellschaft, mit der sich der Haushalt in seinen Titeln und Kapiteln auseinanderzusetzen hat, da er Entsprechungen für solche Entwicklungen vorhalten und darauf entsprechend reagieren muss. Es ist Fakt, dass mittlerweile 6 Millionen Menschen in Deutschland an Diabetes leiden; die Tendenz steigt. Schätzungen zufolge leiden bereits fast 1 Million Menschen an Alzheimer oder Demenz; die Tendenz ist steigend. Über die Jahre hat der Bedarf an Pflegeleistungen zugenommen, deutlich über 2 Millionen Menschen nehmen diese in Anspruch. Die Kollegin Frau Dr. Winterstein hat darauf verwiesen, dass sich das entsprechend entwickeln wird. Ich darf die Notwendigkeit für den Ausbau von Prävention betonen. Die Rehaleistungen wurden bei der jüngsten Reform in den GKV-Reformkatalog als Pflichtleistung der Kassen aufgenommen - eine wahrlich wichtige Komponente. Man darf auch nicht vergessen, dass die Zahl der seelischen und psychischen Erkrankungen in dieser Gesellschaft leider sehr stark zunimmt. Das darf man nicht tabuisieren, sondern muss es aktiv im Kontext der Gesundheitspolitik aufgreifen. Vor diesem Hintergrund setzt der Haushalt 2008 an manchen Stellen wichtige Impulse und Prioritäten. Es ist schon gesagt worden: 66 Millionen Euro werden für gesundheitspolitisch relevante Maßnahmen ausgegeben. Darin - das möchte ich nicht weiter ausführen, weil bereits zitiert - ist ein Schwerpunkt das Programm Ernährung und Bewegung mit 5 Millionen Euro. Weil die Zahl der Aidsinfizierten leider weiterhin hoch ist, ist der in 2007 aufgestockte Titel für die Aidsaufklärung mit 12,2 Millionen Euro auf dem hohen Niveau beibehalten worden. Bei den Forschungstiteln - auch das ist bereits gesagt worden - gibt es das Leuchtturmprojekt Demenz. Dort werden 4,5 Millionen Euro neu eingestellt. Es gibt begleitende Programmmaßnahmen im Haushalt, auch mit Titeln für die Pflegereform. Ich möchte die Öffentlichkeitsarbeit erwähnen. Ich tue das nicht nur, weil sie zu einem positiven Bild der Ministerin beiträgt, sondern weil sie wichtig ist. Die Bundesregierung und das Ministerium für Gesundheit geben 6,5 Millionen Euro - sehr sachgerecht, wie ich meine - für die Öffentlichkeitsarbeit aus und setzen damit wichtige Impulse, beispielsweise bei der Information über die elektronische Gesundheitskarte. Das sind Gelder, die gemessen an den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben gut austariert, notwendig und ohne Alternative sind. ({0}) Insgesamt umfasst der Haushalt - das ist kein Geheimnis - im Einzelplan 15 2,879 Milliarden Euro; 2,5 Milliarden Euro davon sind der durchlaufende Posten. Das wünschen wir uns - das haben die Koalitionshaushälter, werte Kollegin Bender, schon beim letzten Mal beschlossen; das kommt auch - vom BMF eine nachhaltige Gegenfinanzierung dieses aufwachsenden Postens. Ich bin überzeugt, dass wir dabei mit dem BMF wie auch sonst einen soliden Partner haben. Die 380 Millionen Euro für die eigentlichen Maßnahmen sind vor allen Dingen durch über 100 Millionen Euro für Personalausgaben des BMG und seiner nachgelagerten Häuser, also im Regelfall Institute, geprägt. Gegen den Trend - auch das wurde schon von der Frau Ministerin erwähnt - werden im Rahmen des Konzeptes „RKI 2010“ im Haushalt des Robert-KochInstituts - das hat eine hohe Reputation und stellt sozusagen das deutsche Leitinstitut für die Gesundheitsvorsorge und -fürsorge dar - 49 neue Stellen ausgewiesen. Das geschah in Abstimmung mit uns Haushältern, weil wir davon überzeugt sind, dass das zum Beispiel wegen steigender Infektionsgefahren, Pandemieszenarien oder sich entwickelnder Antibiotikaresistenzen fachlich notwendig ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. - Das RKI muss also besser ausgestattet werden; dazu gibt es keine Alternative. Ganz zum Schluss möchte ich mit Ihrer Zustimmung noch einen Gedanken in aller Kürze bringen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Aber wirklich in aller Kürze, Herr Kollege.

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Mich beschäftigt noch die Errichtung der DAMA. Wir hoffen, dass wir hier vorankommen. Wir wissen, dass die Überführung des BfArM in die DAMA insbesondere für die Evaluierung neuer Medikamente wichtig ist. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bin eigentlich guten Mutes, dass wir in der Gesundheitspolitik gut vorankommen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann, FDPFraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal dem Versuch der Geschichtsklitterung entgegentreten, den die Gesundheitsministerin unternommen hat, als sie sagte, von der FDP sei zur Pflege in den letzten Jahren nichts gekommen. ({0}) Wir werden Ihnen also alle unsere Anträge noch einmal zusenden. Wir werden Sie auch insbesondere an unseren Antrag zur Entbürokratisierung erinnern. Darin finden Sie eine Menge Handlungsanweisungen, um die Sie sich übrigens vor drei Jahren, als der damalige Prüfbericht noch schlimmere Mängel als der jetzige aufwies, auch schon hätten kümmern können. Wo waren Sie denn damals? Was haben Sie eigentlich damals gemacht? ({1}) Sie sind jetzt fünf Jahre im Amt. Auch mit Stimmen Ihrer Fraktion wurden schon vor Jahren unsere Vorschläge zur Durchführung unangemeldeter Kontrollen abgelehnt. Jetzt tun Sie so, als hätten Sie das Rad neu erfunden. Erst nach fünf Jahren im Amt ist Ihnen nun endlich einmal eingefallen, eine Kommission einzusetzen, die den Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert. Das schafft diese Kommission aber natürlich nicht vor November 2008. Das hat zur Folge, dass Sie jetzt im Gesetz Leistungsverschiebungen vornehmen, ohne wirklich einen neuen Begriff an der Hand zu haben. Nachdem Ihre Bilanz in der Pflegepolitik dermaßen traurig aussieht, sollten Sie sich da lieber zurückhalten. ({2}) Die Bundeskanzlerin hat gestern die Gesundheitspolitik in ihrer Rede völlig ausgespart. Das war sehr klug. Wer reitet denn schon gerne freiwillig in den Sumpf? In ihren Aussagen zur Pflege hat sie sich darauf beschränkt, den Pflegekräften zu danken. Das tun wir alle in diesem Hause, nicht nur für die eigene Fraktion, wie Herr Zöller. Sie, Herr Kollege Zöller, wirkten mir übrigens früher irgendwie authentischer; aber das ist eine andere Frage. ({3}) Wir alle in diesem Hause danken also den Pflegekräften. Selbstverständlich haben wir auch bemerkt, dass die Bundeskanzlerin ein Eigenlob vorgenommen hat, das ich aufgrund des Zusammenhangs mit der Pflegepolitik hier zitieren möchte. Es lautete: Der Erfolg dieser Bundesregierung besteht darin, dass wir nichts versprochen haben, was wir nicht halten konnten, und die Dinge so gemacht haben, dass sie am Ende im Zweifel besser waren. Da denkt man natürlich an den Koalitionsvertrag, in dem steht: Um angesichts der demografischen Entwicklung sicherzustellen, dass die Pflegebedürftigen auch in Zukunft die Pflegeleistungen erhalten, die sie für eine ausreichende und angemessene Pflege zu einem bezahlbaren Preis brauchen, ist die Ergänzung des Umlageverfahrens durch kapitalgedeckte Elemente als Demografiereserve notwendig. ({4}) Nichts davon findet sich in den Eckpunkten, nichts davon im Referentenentwurf, nichts davon in den Beschlüssen von Meseberg für die restliche Zeit der Zwangsehe dieser Großen Koalition. Sie haben schlichtweg versagt. Wenn Sie wissen wollen, wie es geht, empfehle ich Ihnen, den Beschluss zu lesen, der vom Bundesparteitag der FDP in Stuttgart im Juni dieses Jahres einstimmig verabschiedet worden ist. Da steht sowohl zur Finanzierung als auch zu allen anderen Fragen der Pflege das drin, was Sie umsetzen könnten, damit aus Ihnen doch noch eine erfolgreiche Ministerin wird, liebe Frau Schmidt. ({5}) An jedem einzelnen Tage, an dem das Umlagesystem beibehalten wird, wird - hieran werden dessen massive finanziellen Auswirkungen deutlich - eine Zukunftsschuld von fast 50 Cent pro Betroffenen und Tag aufgebaut; es wird dann alles umso teurer für die jüngeren Generationen. ({6}) Wenn Sie das einmal nachrechnen, kommen Sie bei einer mittleren Bevölkerungsentwicklung pro Tag auf einen Betrag von 29 Millionen Euro. Wenn Sie das mit 365 multiplizieren - Frau Ferner, Sie hatten es schon das letzte Mal nicht verstanden -, dann kommen Sie auf mehr als 10 Milliarden Euro im Jahr. ({7}) Wenn die Umstellung auf ein kapitalgedecktes und prämienfinanziertes System, wie wir es vorschlagen, statt Anfang 2008 frühestens 2011 stattfindet, dann kommt man auf eine Summe von 30 Milliarden Euro. Das sind Schulden. Das ist die wahre Bilanz dieser Koalition und der Gesundheitsministerin. Wenn ich „Schulden“ sage, dann klingt das nicht nur wie Schuld. Die junge Generation wird dies auch so empfinden. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauterbach?

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich. ({0}) - Natürlich auch dann, wenn er heute keine Fliege trägt.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lanfermann, glauben Sie, dass sich die wirtschaftlichen Probleme des Umlagesystems, die Sie hier beklagen, leichter lösen lassen, wenn man Ihren Vorschlägen folgt, wenn, wie Sie es für richtig halten, keine Steuermittel in dieses System fließen und sich die Einkommensstärksten an diesem System nicht beteiligen, oder sind Sie mit mir der Meinung, dass Sie die Probleme, die Sie hier beklagen, selbst verursachen, ({0}) indem Sie sich dagegen sperren, dass Steuermittel in das System fließen, und indem Sie dafür sorgen, dass sich die 10 Prozent der Bevölkerung, die die höchsten Einkommen haben und über 30 Prozent des Gesamteinkommens und 50 Prozent des Gesamtvermögens verfügen, an diesem Solidarsystem nicht beteiligen? ({1}) Sie sind es doch, die das Solidarsystem schwächen und dann dessen Schwäche beklagen. Sie verurteilen die Opfer Ihrer eigenen Politik. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen bitte stehen bleiben.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Lauterbach, erstens einmal sind Ihre Zahlen völlig falsch, weil die Beamten, die überwiegend gar nicht viel verdienen, in der Gruppe der Privatversicherten enthalten sind; das ignorieren Sie immer. Im Übrigen ist es so, dass die Pflegeversicherung selbst dann, wenn alle Mitglied des Umlagesystems wären, letztlich zu genau demselben Zeitpunkt zusammenbrechen würde, wie das jetzt prognostiziert wird, und die Beiträge bis 2045 bzw. 2050 auf mindestens 4 bis 4,5 Prozent - wahrscheinlich eher auf mehr als 6 Prozent - steigen würden, um das zu verhindern. ({0}) Das ist kein wirtschaftliches Problem, wie Sie behauptet haben. Das ist ein demografisches Problem und lässt sich leicht ausrechnen. Es geht hier um die grundsätzliche Frage, ob man ein Umlagesystem will - auch eine Bürgerversicherung wäre nur ein Umlagesystem - oder ob man ein kapitalgedecktes System einführt, bei dem das Geld mündelsicher angelegt wird - um auch diese Frage mitzubeantworten -, damit im Prinzip jeder Mensch auf Dauer für seine eigenen Pflegekosten im Rahmen einer Versicherung aufkommen kann. ({1}) Dabei muss natürlich der Beitrag der sozial Schwächeren finanziert werden. Es stimmt auch nicht, dass wir dagegen seien, Steuermittel in das System fließen zu lassen. Bei einer sinnvollen Umstellung auf ein kapitalgedecktes System, die wegen der Größe des Projekts nur über einen längeren Zeitraum, also innerhalb von 20 bis 30 Jahren, erfolgen kann - denn die Generationen müssen hineinwachsen -, sind auch Steuermittel nötig; das wissen wir sehr wohl. Welchen Umfang diese haben müssen, wird auch angesichts der Frage zu verhandeln sein, welche Beiträge welchen Jahrgängen unter Beachtung der Rückstellungen und der Zukunftsvorsorge zuzumuten sind. Das ist das Zukunftsweisende an diesem System. - Danke schön. ({2}) Im Referentenentwurf ist völlig unklar, wie die Pflegestützpunkte gestaltet werden sollen. Das ist ein neues Schlagwort; es wird verkauft wie das Paradies. Es scheint manchmal aber eher wie eine Fata Morgana zu sein. Die Finanzierung liegt völlig im Nebel. Wenn Sie nicht aufpassen, dann ist das die Keimzelle einer neuen überbordenden Bürokratie: Jeder berät jeden; jeder kontrolliert jeden. Aber wer kümmert sich am Ende um die Pflegebedürftigen? ({3}) Ich habe den Verdacht: Das wird eher zum Bermudadreieck als zum Paradies. Sie haben hier einige Forderungen an die Pflegekassen und Krankenkassen, an die Träger von Alten- und Sozialeinrichtungen sowie an die Länder und Kommunen gestellt. Da steht dann, dass sie angesprochen werden sollen, sich an der Finanzierung zu beteiligen. In diesem Entwurf und in der Begründung stehen völlig naive Sätze, als hätte es die FöderalismusHeinz Lanfermann reform nicht gegeben und als lebten wir im französischen Zentralstaat. Sie können doch nicht einfach behaupten, die Länder und Kommunen würden sich dann mit riesig hohen Millionenbeträgen - am Ende werden es hunderte Millionen sein - beteiligen. Ein Letztes. Eine Vorratsbeitragserhebung ist nicht im Sinne eines Umlagesystems. Anderswo versuchen Sie, die Beiträge zu drücken; hier nehmen Sie 0,25 Prozentpunkte mehr, als Sie brauchen, um in den nächsten zwei bis drei Jahren praktisch auf Vorrat Geld anzuhäufen, damit die nächste Reform erst 2013 oder 2014 notwendig sein wird; das kann ich mathematisch nachvollziehen. Es ist aber nicht redlich und auch nicht im Sinne des Gesetzes. Wenn die Große Koalition damit das Ziel verfolgt, auch durch die übernächste Wahl zu kommen, dann macht die Aktion natürlich Sinn. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde schon mehrfach gesagt, aber ich möchte es noch einmal betonen - Frau Ministerin, Sie haben vollkommen recht -: In Deutschland organisieren wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, vielleicht sogar das beste. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle allen herzlich zu danken, die daran beteiligt sind: den Kassen, der Pharmaindustrie und allen Übrigen. Insbesondere möchte ich einmal den Leistungserbringern Danke sagen: den viel geschmähten Ärzten, den Krankenschwestern, den Apothekern und den Physiotherapeuten. Sie leisten tagtäglich hervorragende Arbeit. Ihnen geht es nicht immer nur um den eigenen Geldbeutel, sondern es wird mit viel Berufsethos gearbeitet. Dafür herzlichen Dank. ({0}) Ich will aber auch erwähnen, dass viele Bürgerinnen und Bürger bereits heute viel für die eigene Gesundheitsvorsorge tun, indem sie sich für eine gesunde Lebensweise entscheiden. Dazu gibt es ein wunderschönes Zitat des bekannten Gesundheitspfarrers Sebastian Kneipp, der einmal gesagt hat: Wer nicht jeden Tag etwas Zeit für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern. Mir gefällt dieses Zitat so gut, weil es sich wunderbar auf unsere Beratung in dieser Woche in diesem Hohen Hause übertragen lässt: Wer nicht jedes Jahr ernsthaft um einen soliden Haushalt ringt, der muss eines Tages sehr viel Geld für Zins und Tilgung aufbringen. Es ist die Leitlinie von uns Haushaltspolitikern, dementsprechend zu handeln. So gehen wir auch an diesen Etat heran. Frau Ministerin, ich möchte Ihren Etatentwurf ausdrücklich loben. Der Einzelplan 15 ist ein Sparhaushalt; denn rechnet man den Zuschuss an die GKV in Höhe von 2,5 Milliarden Euro ab, verbleiben 380 Millionen Euro; das sind 40 Millionen Euro weniger als im Vorjahr. Dies bedeutet eine Sparquote von immerhin 1,4 Prozent. Das ist respektabel. ({1}) Wir haben vorhin über die Familienförderung diskutiert. Wenn wir in einzelnen Bereichen Ausgabenzuwächse wollen, dann müssen wir in anderen Etats sorgsam bemüht sein, unseren Konsolidierungskurs zu halten; dies gilt auch für den Gesundheitsetat. Ich habe bereits vom Zuschuss an die GKV gesprochen. Dieser Zuschuss in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, der in den kommenden Jahren Zug um Zug, Jahr für Jahr, bis auf 14 Milliarden Euro anwachsen wird, bereitet uns Haushältern ein lachendes und ein weinendes Auge: ({2}) ein lachendes Auge, weil es durchaus richtig ist, die Ausgaben für gesamtgesellschaftliche Aufgaben zunehmend aus Steuermitteln zu bestreiten - das liegt ganz auf der Linie unserer Fraktion -, ein weinendes Auge, weil wir in den kommenden Jahren die Finanzierung dieses immer größer werdenden Postens im Haushalt leisten müssen. Damit wächst der Anteil der Sozialausgaben an unserem Gesamthaushalt erheblich. Ich möchte mich an die Linke wenden - ich habe die gestrige unsägliche Rede des Herrn Lafontaine noch im Ohr - und kurz aufzeigen, wie sich diese Ausgaben entwickelt haben. 1989 lag die Sozialausgabenquote bei 33,7 Prozent; das war etwa ein Drittel des Haushalts. 2007 geben wir von rund 270 Milliarden Euro etwa 140 Milliarden Euro allein für Soziales aus; das ist mehr als die Hälfte. Es gab also bei abnehmender Investitionsquote einen Aufwuchs von einem Drittel auf mehr als die Hälfte des Gesamthaushalts. 2008 wird sich dieser Trend weiter verfestigen. Wer angesichts dessen von sozialer Kälte, vom Abbau des Sozialstaats spricht, der verkennt die Wirklichkeit, der betreibt bewusst Desinformation. Das nenne ich schändlich. ({3}) Lassen Sie mich zum Einzelplan 15 zurückkommen. Der größte Posten in diesem Haushalt ist der Personaletat mit 119 Millionen Euro. Wir Haushälter schauen immer sorgsam auf die Personaletats. Ich muss an dieser Stelle feststellen, dass wir in den vergangenen Jahren hinsichtlich der Sparbemühungen auf diesem Feld Gro11654 ßes geleistet haben, inzwischen aber an die Grenze dessen gestoßen sind, was noch möglich ist. Wir Haushälter tragen deshalb den Regierungskurs mit, dass die pauschale Kürzung auf 0,75 Prozent zurückgenommen werden soll. Frau Ministerin, das Gesundheitsressort ist ein Paradebeispiel dafür, dass man hier nicht nur pauschal vorgehen darf, sondern dies gezielt und differenziert tun muss; denn gerade im Gesundheitsbereich - im Gesundheitsministerium und in nachgeordneten Behörden ({4}) sind viele hochspezialisierte Fachleute beschäftigt. Einen Arzt, eine Ärztin, einen Apotheker, einen Chemiker oder eine Labormitarbeiterin kann man nicht einfach durch einen Juristen oder eine Verwaltungssachbearbeiterin ersetzen. Deshalb sind wir dort an Grenzen angelangt und tragen auch den beim RKI vorgesehenen Personalaufwuchs mit. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir dieses Institut als das zentrale öffentliche Gesundheitsinstitut stärken wollen, daher müssen wir auch etwas dafür tun und dafür an anderer Stelle Personal einsparen. ({5}) Lassen Sie mich noch einen weiteren Bereich ansprechen, den mein Kollege Ewald Schurer bereits genannt hat - wir sind uns hinsichtlich des roten Fadens unserer Gesundheitspolitik meistens weitestgehend einig -, nämlich die Überführung des BfArM in die sogenannte DAMA, die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur. Ich denke, auf dem Weg hin zu dieser Agentur sind noch viele offene Fragen zu klären. Das Gesetzesvorhaben muss an bestimmten Stellen noch abgestimmt werden. Unsere Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker will ich an dieser Stelle nochmals ermuntern, sich von zwei Leitlinien leiten zu lassen: Einerseits muss aus der Umformung mittelfristig ein Gewinn für den Haushalt resultieren - es muss also ein Einsparvolumen geben -, ({6}) andererseits muss die Leistung besser werden. ({7}) Wenn sich hinterher keine besseren Leistungen ergeben, dann braucht man auch nichts umzubauen. Deshalb unterstützen wir die Ministerin darin, dass sie mit diesem Vorhaben versucht, Deutschland wieder dahin zu bringen, wo es einmal war, nämlich sozusagen die Apotheke der Welt zu sein. Das müssen wir wieder erreichen, das müssen wir schaffen; denn das ist ein Bestandteil unseres guten Gesundheitswesens. Deshalb unterstützen wir sie darin. Ihre Kollegin Annette Schavan macht mit ihrer Pharma-Forschungsinitiative ebenfalls einen Schritt in die gleiche Richtung. Das passt gut zusammen. Ein Letztes. Ich hoffe sehr, dass die elektronische Gesundheitskarte demnächst eingeführt werden kann. Ich hoffe, dass noch in diesem Jahr die entsprechenden Tests ablaufen können, sodass wir diese Karte noch in dieser Periode flächendeckend wirklich einführen können; ({8}) denn wir versprechen uns von der elektronischen Gesundheitskarte enorme Effizienzgewinne. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Bedenkenträger und Verhinderer, die in diesem Lande unterwegs sind, dem guten Ganzen eines Tages beugen und ihre Widerstände aufgeben. In diesem Sinne herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe dem Kollege Ilja Seifert, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich mir die Pflegesituation ansehe, dann komme ich mir vor wie in einer schizophrenen Lage. ({0}) Einerseits ist die Not so groß, dass man sofort radikal helfen muss. Wenn mehr als ein Drittel der pflegebedürftigen Menschen Hunger und Durst haben muss - amtlich bestätigt - und noch mehr an Dekubitus, also an Druckgeschwüren, erkranken, wodurch nicht wenige von ihnen unter großen Schmerzen sterben, dann muss sofort etwas getan werden. Andererseits weiß jeder, der sich ein bisschen damit befasst, dass eigentlich eine ganz langfristige und vernünftige Konzeption bzw. Strategie erforderlich ist. Was tut die Bundesregierung? - Flickschusterei. ({1}) - Ich würde gerne einmal wissen, wo da eine Strategie sein soll. Wenn sie eine Strategie hätte und ich wüsste, in welche Richtung es geht, dann könnte ich mich immer noch darüber beklagen, dass die Schritte in die entsprechende Richtung zu kurz sind. Aber momentan machen Sie irgendwelche Schritte in irgendeine Richtung, und keiner weiß, wohin sie führen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Sie sagen, wir machen ein wenig für Demenzkranke und richten Pflegestützpunkte ein. Aber erst nächstes Jahr wollen Sie sagen, was für Sie Pflege eigentlich ist. Ich hätte gerne die Definition von Pflege und nicht die Definition von Pflegebedürftigkeit. Ich will also nur wissen, was Sie unter Pflege verstehen. ({2}) Ich sage Ihnen: Pflege ist gar nicht so schwer zu definieren. Was wir brauchen, ist die Ermöglichung einer assistierten Teilhabe. Es muss auch dann eine Teilhabe möglich sein, wenn man inkontinent ist oder wenn man ständig auf Begleitung und auf Assistenz angewiesen ist. Das muss das Ziel einer vernünftigen Pflegepolitik sein. Deswegen rede ich sehr gerne über Assistenz. Wenn Sie diese Richtung nicht vorgeben, dann kann natürlich niemand von Ihren Beamtinnen und Beamten etwas Vernünftiges dazu aufschreiben; denn er bzw. sie wissen ja nicht, in welche Richtung es gehen soll. Wir brauchen deshalb eine vernünftige Konzeption. Ich habe schon die Ermöglichung einer assistierten Teilhabe erwähnt. Danach müssen wir noch über die notwendigen Schritte reden. Sie haben nun die Pflegestützpunkte sowie die Funktion der Pflegebegleiterin und Pflegebegleiter erfunden. Ein Lob möchte ich Ihnen gerne aussprechen: Es ist schön, dass Sie wenigstens ein deutsches Wort gefunden haben. Das ist immer noch besser als Fremdwörter wie Case-Manager. Wenn ich aber höre, was diese alles machen sollen, dann kommen sie mir wie Vormünder vor. Das möchte ich nun ganz und gar nicht. Ich möchte - das ist ganz wichtig - die Ermöglichung einer selbstbestimmten assistierten Teilhabe. Das ist etwas anderes. ({3}) Lassen Sie uns darüber reden, wie wir die jetzt vorhandenen Strukturen viel besser nutzen können. Wir müssen die Selbsthilfeorganisationen in die Lage versetzen, beispielsweise die Menschen beraten zu können, deren Angehörige plötzlich auf Pflege und Assistenz angewiesen sind. Es gibt hervorragend arbeitende Selbsthilfeorganisationen mit viel Erfahrung, die das alles für quasi nichts am Küchentisch machen. Drücken Sie denen ein paar Euro dreißig in die Hand, damit sie ihre Telefonkosten bezahlen können und die Möglichkeit haben, jemanden zu Hause aufzusuchen und zu beraten! Unterstützen Sie diese Organisationen auf Dauer und erfinden Sie keine neuen Strukturen, die zwar unheimlich gut klingen, aber nur eine neue Bürokratie werden! Sie sind, wie bereits vorhin angedeutet, genauso überflüssig wie die sogenannten gemeinsamen Servicestellen nach SGB IX. Es wird sich erweisen, dass pflegende Assistenz Teilhabe so ermöglicht, wie es der Würdebegriff des Grundgesetzes gebietet. Lassen Sie uns daran arbeiten! Wenn dann eines Tages im Haushalt des Einzelplans, über den wir jetzt reden, etwas zum Stichwort Pflege enthalten sein sollte, dann würde ich das nicht schlecht finden. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion. ({0})

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Zahlen des Einzelplanes 15 anschaut, kann man feststellen, dass es durchaus gelungen ist, einen Haushalt aufzustellen, der den vielfältigen Aufgaben des Ministeriums gerecht wird. Den größten Teil dieses Haushaltes macht die pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben in Höhe von 2,5 Milliarden Euro aus. Das sind die sogenannten versicherungsfremden Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich darf daran erinnern, dass diese pauschale Abgeltung 2006 noch 4,2 Milliarden Euro betragen hat. Das weist darauf hin, dass wir mitten in einem Reformprozess auf der Finanzierungsseite sind, der die Richtung zu mehr Transparenz und mehr Vertragsfreiheit weist. Die Regierungsfraktionen wollen mit dieser teilweisen Abkopplung der Sozialbeiträge von den Arbeitnehmerentgelten und einer stärkeren Steuerfinanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung bessere Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen schaffen. Lassen Sie mich bitte aus der Vielzahl der gesundheitspolitisch relevanten Maßnahmen und Themen den finanziellen Aufgabenschwerpunkt Prävention herausnehmen, dessen hohen Stellenwert ich hier ganz besonders betonen möchte. Für die allgemeine gesundheitliche Aufklärung wird im Vergleich zum letzten Haushalt im Haushalt 2008 eine um 0,7 Millionen Euro höhere Summe veranschlagt, nämlich 6,4 Millionen Euro. Dies macht deutlich, dass die Prävention ein fester und selbstverständlicher Teil unseres Lebens werden muss. ({0}) Es geht um jede vermiedene Krankheit; denn das bedeutet nicht nur mehr Lebensqualität für den Betroffenen, sondern wirkt sich auch hinsichtlich der Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens vorteilhaft aus. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen - erfreulicherweise - immer länger leben und - leider immer weniger junge Menschen nachkommen. Jedem Einzelnen soll es besser gehen. Das Bemühen, Krankheiten zu vermeiden, liegt vor allen Dingen im Interesse der Menschen, es wirkt sich aber auch auf unsere Finanzen aus. Ein Mensch, der gesund ist, hat viel Kraft, und es geht ihm insgesamt besser. Genau das sollten wir fördern. Daher ist es so immanent wichtig, dass jede Bürgerin und jeder Bürger so lange fit bleibt, wie es nur eben geht. Investitionen in Prävention und Gesundheitsförderung sind wichtige und notwendige Zukunftsinvestitionen. Sie liegen nicht nur im Interesse der Gesundheit des Einzelnen, sondern auch im Interesse der Gesellschaft; denn wir stehen im Wettbewerb mit Ländern, deren Gesellschaften im Schnitt jünger sind. Für die Kampagne für das Präventionsgesetz stehen 2,5 Millionen Euro zur Verfügung. Erstmalig sind für den Aktionsplan Gesundheitliche Prävention durch Ernährung und Bewegung, der gemeinsam mit dem BMELV betrieben wird, 5 Millionen Euro ausgewiesen. Ich will an dieser Stelle auch noch auf die medizinische Rehabilitation hinweisen. Die Kurbeherbergungsbetriebe leisten einen enormen Beitrag, wenn es um die Genesung von Kranken und die Stärkung der Gesundheit geht. Das können Sie mir glauben. Das bayerische Bäderdreieck liegt direkt vor meiner Tür. ({1}) - Ja. Wir tauschen uns da aus. Auch in anderen Bundesländern gibt es schöne Kurbeherbergungsbetriebe. Damit sollten jetzt alle genannt worden sein. ({2}) Ich bin sehr dafür, dass wir diesen Bereich ausbauen. Wenn wir den Präventionsbereich nicht ausbauen, steht zu befürchten, dass die gesundheitlichen, sozialen und volkswirtschaftlichen Schäden ungleich schwerer werden als angenommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns auf einem guten Weg befinden, dass Prävention, Behandlung, Rehabilitation und Pflege künftig gleichrangig nebeneinander stehen können. Neben der Prävention liegt mir die Aufklärungsarbeit am Herzen. Wie unverzichtbar diese Arbeit ist, kann man an der Entwicklung von HIV/Aids sehen. Im letzten Jahr sind hierzulande so viele neue Aidsinfektionen registriert worden wie noch nie seit 1993. Die Zahl der HIV-Neudiagnosen stieg 2006 um 4 Prozent auf 2 611, so neue Zahlen des Robert-Koch-Instituts. Ich meine, dass Aids für zu viele der nachwachsenden Generationen nur noch eine Krankheit der Dritten Welt ist, weil sie die erfolgreichen Aufklärungskampagnen der 90er-Jahre nicht mitbekommen haben. Das macht mir Sorgen. Wir müssen daher weiterhin in diesen Bereich investieren. Prävention ist das einzige Mittel, das wirklich hilft. Bisher gibt es keine Heilung dieser tödlichen Krankheit, sondern nur ein Überleben mit vielen Medikamenten. Für den Kampf gegen Aids stehen daher mehr Mittel als im Vorjahr zur Verfügung. Dieses Problem wird von uns nach wie vor ernst genommen. ({3}) Ähnliches gilt für den Drogen- und Suchtbereich. Hier muss die erfolgreiche Politik fortgesetzt werden. Zur Bekämpfung des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs werden Mittel auf dem hohen Vorjahresniveau veranschlagt: Für Aufklärungsarbeit stehen 9,2 Millionen Euro zur Verfügung, und für Modellmaßnahmen im Bereich Drogen- und Suchtmittelmissbrauch stehen 3,8 Millionen Euro zur Verfügung. Ein großer Teil davon entfällt auf die erfolgreichen Aufklärungsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die sich vor allen Dingen an junge Menschen wenden, um bei ihnen eine Verhaltensänderung zu erreichen. Die Zahl derjenigen, die von den sogenannten legalen Drogen, Tabak, Alkohol und Medikamenten, abhängig sind, steigt. Auch das ist ein gesellschaftliches Problem, das ernst genommen wird. Ich darf nur eine Zahl nennen: Allein bis zu 1,9 Millionen Menschen in Deutschland sind medikamentenabhängig, darunter viele Frauen und ältere Menschen. Die Besteuerung und Steuererhöhungen bei Tabak und Alkohol haben eindeutig eine Lenkungsfunktion, die von guter Aufklärungsarbeit begleitet werden muss. Bei allen Einzelfragen, die wir in der nächsten Zeit regeln müssen, geht es um den Schutz vor Krankheiten, um eine optimale Versorgung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit und vor allem darum, dass sich die Menschen in unserem Lande sicher fühlen. Ich glaube, diesem Anspruch wird unser Haushalt gerecht. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/Grünen.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit ein paar Tagen liegt ein Referentenentwurf zur Pflegereform vor. Sie werden es nicht glauben, Frau Ministerin, ich finde in Ihrem Gesetzentwurf einige wirklich gute Ansätze. ({0}) Wir Grünen haben unsere Vorschläge zur Reform der Pflegeversicherung schon im September 2006 vorgelegt. Offensichtlich haben Sie unsere grünen Vorschläge sehr gut und aufmerksam gelesen. Denn einiges finden wir in Ihrem Entwurf wieder. Vielen Dank dafür. ({1}) Ich erkenne Ihre Bemühungen zur Verbesserung der Pflegequalität ausdrücklich an. Ich verstehe nur nicht, warum noch in monatelangen Verfahren und Kommissionen Standards und Qualitätskriterien entwickelt werden müssen. Das kann und muss schneller gehen. Wir haben kein Erkenntnisproblem, Frau Ministerin, wir haben ein Umsetzungsproblem. ({2}) Lieber Kollege Zylajew und liebe Frau WidmannMauz, ich höre schon Ihre mahnenden Stimmen, das hätte Rot-Grün in den sieben Regierungsjahren doch umsetzen können. ({3}) Es stimmt - das muss ich hier sagen -: Es gab unter RotGrün keine Pflegereform. Trotzdem werden wir uns weiter an der Debatte beteiligen. Sie wissen: Es reicht nicht, den Finger nur in rot-grüne Wunden zu legen. Jetzt haben wir die Halbzeit der Großen Koalition, und Sie sind dran, nicht nur zu meckern, sondern zu zeigen, was Sie draufhaben. ({4}) Apropos draufhaben, liebe Fachkolleginnen und Fachkollegen im Bereich Pflege: Bitte bringen Sie Ihrem jungen Gesundheitspolitiker Spahn das kleine Einmaleins der Pflegepolitik bei! ({5}) Dann müssen wir uns zukünftig nicht mehr die schnöseligen und unqualifizierten Kommentare von Herrn Spahn ({6}) zu Leistungen, Finanzierung und Pflegeurlaub, wie wir sie heute im Tagesspiegel lesen konnten, antun. Frau Ministerin, zurück zu Ihrem Entwurf. Gute Reformansätze im Sinne der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen - darum geht es doch eigentlich bei der Pflegereform, oder irre ich mich? Das Gemeckere der Unionspolitiker in den letzten Tagen lässt mich allerdings etwas daran zweifeln. Von der Union höre ich nur: Da ist zu viel Bürokratie, das ist zu teuer, und bloß die Finger weg von der privaten Pflegeversicherung. Da fragen wir Grünen uns, und, ich glaube, auch einige von der SPD hier im Haus sich, ({7}) wessen Interessen Sie denn eigentlich vertreten. Schauen Sie sich lieber einmal Ihren Gesetzentwurf an und sorgen Sie dafür, dass einige der durchaus guten Ansätze im Sinne der Betroffenen umgesetzt werden - und das bitte schnell. ({8}) Ich will Ihnen am Beispiel der Pflegezeit deutlich machen, was ich damit meine. Auch wir wollen eine gesetzliche Pflegezeit. Sie wollen damit die Übernahme von Pflege durch nahe Angehörige erleichtern. Diese Zielsetzung halten wir für grundsätzlich falsch. Wenn wir die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf fördern wollen, müssen wir Angehörige dabei unterstützen, Pflege zu organisieren, nicht, sie zu übernehmen. ({9}) Sonst besteht die Gefahr, dass die Angehörigen aus der Pflegezeit dauerhaft in die Pflege hineinrutschen. Bei Ihnen wird die Pflegezeit zum Einstieg in den Berufsausstieg; ({10}) das gilt vor allem für die pflegenden Töchter und Schwiegertöchter. Der bezahlte Pflegeurlaub an sich ist als Ansatz nicht übel. ({11}) Aber ein zehntägiger Pflegeurlaub ist einfach zu wenig, um gute Pflege zu organisieren. Das reicht gerade für eine erste Bestandsaufnahme der Situation. Eine unbezahlte Pflegezeit von sechs Monaten können sich nur Besserverdienende leisten. Wer kann es sich schon ohne Weiteres erlauben, bis zu sechs Monate auf sein Gehalt zu verzichten und zu Hause zu bleiben? ({12}) Da frage ich mich wirklich: In welcher Realität leben Sie? Wir Grünen sagen: Drei Monate Pflegezeit reichen, um eine gute Pflege zu organisieren. In dieser Zeit sollen die Beschäftigten eine steuerfinanzierte Lohnersatzleistung von bis zu 1 000 Euro pro Monat erhalten. ({13}) Zu den geplanten Pflegestützpunkten und Pflegebegleitern. Ich finde den Grundgedanken wirklich gut. Die Betroffenen brauchen die Möglichkeit der individuellen Begleitung und Beratung. Das können nur unabhängige und neutrale Personen leisten. Es geht hierbei um ein Vertrauensverhältnis, das tief in die Privatsphäre hineinreicht. Laut Ihrem Entwurf sollen die Pflegebegleiter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflegekassen sein. Ich frage Sie: Wie sollen diese Mitarbeiter als Angestellte der Kassen im Sinne der Betroffenen neutral und unabhängig handeln? Dieser Spagat kann nicht funktionieren. Hier müssen Sie sich eine andere Lösung überlegen. ({14}) Sonst verkommt dieser gute und innovative Ansatz zu einem reinen Kontroll- und Kostensparinstrument. Zum Schluss noch ein Wort zu einem anderen Thema. Dass Sie bei der Finanzreform komplett versagt haben, wissen Sie selbst am besten. All Ihre Leistungsverbesserungen, ob sinnvoll oder nicht, sind und bleiben ungedeckte Schecks. Weder wird die angekündigte Demografiereserve eingeführt, noch wird der Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung umgesetzt - nicht einmal ansatzweise. Es geht hier um eine Pflegereform, nicht um die Verschlimmbesserung der jetzigen Situation.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Es gibt gute Ansätze. Setzen Sie also Ihre ideologischen Scheuklappen ab und handeln Sie jetzt im Sinne der Betroffenen! Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in der Debatte zu diesem Haushalt ist der Kollege Jens Spahn, CDU/CSU. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf das eine oder andere, was gesagt worden ist, eingehen. Lieber Kollege Spieth, als ich Ihnen zugehört habe, habe ich mich gefragt: Ist denn schon Weihnachten? Sie haben gesagt, dass Sie einen zusätzlichen Steuerzuschuss von 1,7 Milliarden Euro für die Krankenversicherung und 1 Milliarde Euro für die Prävention wollen. Außerdem haben Sie uns aufgefordert, mehr in die Krankenhäuser zu investieren und Zuzahlungen zu streichen. Allerdings haben Sie nicht ein Wort darüber verloren, wie Sie das bezahlen wollen. ({0}) Falls Ihr Fraktionsvorsitzender bei seinen Ausflügen zu seinen kommunistischen Freunden auf Kuba einen Schatz gefunden hat, mit dem Sie all das bezahlen können, lassen Sie uns das wissen. Aber allen alles zu versprechen - nach dem Motto: Freibier für alle! -, ohne zu sagen, wie das bezahlt werden soll, das ist ein bisschen billig. ({1}) Zu den einzelnen Positionen des Haushalts wurde schon vieles gesagt. Mir ist wichtig, dass der Haushaltsansatz für die Bekämpfung von HIV/Aids im Bereich der Prävention weiterhin auf dem hohen Niveau von 12 Millionen Euro verbleibt. Damit stellen wir uns den Herausforderungen steigender Infektionsraten. Zugleich aber - deswegen bin ich froh, dass Bundesministerin Schavan schon hier ist - zeigt sich unser Schwerpunkt hier daran, dass wir auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung zusätzliche Anstrengungen unternehmen. Wir stärken also die Kompetenzen, die wir bei der Bekämpfung von HIV/Aids, aber auch in anderen Bereichen haben. Insbesondere im Zusammenhang mit Demenz werden wir uns mehr als bisher im Forschungsbereich engagieren; das ist unser Plan für die Zukunft. Dadurch kann es gelingen, dass wir einen Großteil der prognostizierten Kosten, die infolge demenzieller Erkrankungen auf unsere Gesellschaft zukommen werden, und - das ist noch viel wichtiger - viele Schicksalsschläge für Familien vermeiden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Spahn, der Herr Kollege Spieth würde gerne eine Zwischenfrage stellen. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Spahn, auf Kuba spielt nicht so sehr Bier eine Rolle, sondern eher Rum; das gebe ich Ihnen zunächst einmal zu bedenken. ({0}) Nun zu meiner Frage. Würden Sie mir recht geben, dass Investitionen in die Krankenhäuser - in den letzten 15 Jahren haben sie nicht stattgefunden - getätigt werden müssen, wenn die Krankenhäuser in einem erträglichen Zustand erhalten werden sollen, und würden Sie mir bitte sagen, von wem? Ich habe die Forderung aufgestellt, dass der Bund einen Teil dazu beitragen soll. Geben Sie mir recht, dass die Arbeitgeber dadurch, dass nur die Versicherten ihren Beitrag zahlen müssen, entlastet worden sind ({1}) und dass alle anderen Forderungen, die ich erhoben habe, locker bezahlt werden könnten, wenn die Arbeitgeber ihren Teil paritätisch in die Krankenversicherung einzahlen würden? ({2})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dass wir mit Blick auf die Krankenhäuser zusätzliche Investitionen brauchen, ist völlig unbestritten. ({0}) Es werden zum Beispiel Diskussionen über die Änderung der Fallpauschalen geführt, übrigens auch mit den Ländern. In dem einen oder anderen Land regiert Ihre Partei mit, wenn mich nicht alles täuscht. ({1}) Auch dort sieht es, was Investitionen in die Krankenhäuser angeht, nicht sehr rosig aus. ({2}) Wir müssen gemeinsam überlegen, was zu tun ist, um die notwendigen Mittel bereitstellen zu können. Herr Spieth, ich habe gesagt: Indem Sie sich hier hingestellt und allen alles versprochen und viele Milliarden Euro in den Raum gestellt haben, haben Sie es sich etwas zu einfach gemacht. Ich weiß, dass es einfach ist, in der Opposition zu sein. Aber ab und zu muss man auch einmal sagen, wie das Ganze bezahlt werden soll. ({3}) Jetzt möchte ich, da wir im Moment auch eine Art Pflegedebatte führen, einiges zur Pflegereform sagen. Grundsätzlich stellen die Eckpunkte der Regierung sowie der Gesetzentwurf für uns als Unions-Bundestagsfraktion eine gute Basis für die weitere Debatte dar. Sie halten sich im Rahmen dessen, was momentan mit den politischen Mehrheiten im Deutschen Bundestag möglich ist. Ich will nur die bessere finanzielle Ausstattung der Betreuung an Demenz erkrankter Menschen nennen. Außerdem werden wir den ambulanten Sektor stärken. Wir werden jenseits der Kategorien Heim, ambulante und stationäre Behandlung mehr Zwischenstufen möglich machen, Herr Seifert. Dazu gibt es Modellprojekte, in denen Leistungen gepoolt werden können und bei denen es um die Kombination von Tages- und Nachtpflege geht. Mit Blick auf diese Modelle müssen wir gemeinsam schauen, wie wir in einer älter werdenden Gesellschaft eigentlich leben werden. Meine Generation wird diejenige sein, die 2050 70 Jahre und 2060 80 Jahre alt sein wird. Wir müssen uns fragen, wie dann die Menschen über 60 Jahre, immerhin ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland - vielleicht noch zusammen mit Ihnen Herr Tauss -, leben werden. ({4}) Es geht um die Frage, wie diese ältere Gesellschaft leben wird. Genau dieser Frage wollen wir mit diesen Modellprojekten nachgehen. Außerdem ist das Thema Transparenz sehr wichtig; das merkt man auch in Gesprächen in den Wahlkreisen. Diese Debatte ist notwendig, richtig und wichtig und wurde durch den jüngsten Bericht des Medizinischen Dienstes neu angestoßen. Die Debatte über Transparenz und Qualitätssicherung müssen wir im Übrigen auch im Sinne der gut arbeitenden Einrichtungen führen. Nur wenn wir transparent machen, wer gut und wer schlecht arbeitet, können sich die gut arbeitenden Einrichtungen, wo mit viel Engagement und viel Einsatz der Pflegekräfte viel Gutes getan wird, gegen pauschale Verunglimpfungen, wie wir sie aus manchen Zeitungen kennen, wehren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Jetzt, Herr Kollege Spahn, würde der Kollege Seifert gern eine Zwischenfrage stellen. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Kollege Spahn, da Sie sich nun öffentlich als Pflegeexperte geoutet haben, werden Sie mir sicher darin zustimmen können, dass seit vielen Jahren in allen einschlägigen Gesetzen steht, dass ambulante Behandlung stationärer vorgeht. Seit vielen Jahren sind dennoch immer alle Investitionen in den stationären Bereich gegangen. Wenn das, was Sie gesagt haben, wahr werden soll, müssen Sie mir doch zustimmen, dass endlich auch einmal Investitionen in den ambulanten Bereich stattfinden müssen. Das müssen Investitionen in Strukturen sein, die nicht starr, sondern flexibel sind. Sie müssen, wie Sie selbst sagen, ein sehr breites Spektrum verschiedener Varianten der assistierten Begleitung überhaupt erst ermöglichen.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Seifert, wenn Sie unseren Entwurf lesen, werden Sie sehen, dass wir genau das tun. Wir erhöhen die finanziellen Leistungen für den ambulanten Bereich, für alle drei Pflegestufen, erhöhen das Pflegegeld und machen es möglich, Leistungen zu poolen, sodass mehrere Pflegebedürftige sich Leistungen zusammen einkaufen können. ({0}) Wir bringen wesentlich mehr Flexibilität in diesen Bereich hinein. Insofern könnten Sie auch einmal anerkennen, dass wir in diesen Bereichen viele wichtige Schritte in die richtige Richtung tun.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Jetzt, Herr Kollege Spahn, würde die Kollegin Scharfenberg gern noch eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie es genehmigen. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die letzte für heute.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Spahn, stimmen Sie mir darin zu, dass es etwas verwirrend ist, wenn Sie sich sehr positiv über die Eckpunkte des Referentenentwurfes zur Pflegereform äußern, dann aber heute Morgen im Tagesspiegel folgende Äußerung von Ihnen zu lesen ist: Wir sollten nicht neue Leistungen einführen, wenn wir Probleme haben, die bestehenden zu bezahlen. ({0}) Stimmen Sie mir ferner zu, dass es etwas verwirrend ist, dass gerade die Union eine breite Finanzierungsbasis durch die Einbeziehung der privaten Pflegeversicherung verhindert?

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zuerst, Frau Kollegin Scharfenberg, bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mir für das, was ich ohnehin sagen wollte, noch mehr Zeit geben. ({0}) Nach den von mir gerade genannten Dingen, die uns richtig und wichtig erscheinen, sind nämlich jetzt die Punkte anzusprechen, bei denen es noch Beratungsbedarf gibt. Dazu gehören auch neue Leistungen, zum Beispiel für die Finanzierung der Freistellung von zehn Tagen. Ich stehe zu meiner Aussage, unabhängig davon, ob Sie meinen, dass ich rechnen kann oder nicht. ({1}) Wenn nahe Angehörige im plötzlichen Pflegefall der eigenen Eltern zum Beispiel - wenn auch nicht jeder Pflegefall plötzlich eintritt - drei oder vier Tage ihres eigenen Urlaubs aufwenden müssen, um eine Unterkunft für sie zu finden, finde ich das zumutbar. Ich finde, familiärer Zusammenhalt sollte beinhalten, dass so etwas ohne gesetzliche Regelungen möglich ist. ({2}) Ein weiterer Punkt ist die Frage der Beratungsstrukturen, die aufgebaut werden sollen. Wir stimmen mit dem Referentenentwurf und dem Vorschlag überein, dass wir eine besser vernetzte Angebots- und Beratungsstruktur brauchen. Wogegen wir uns allerdings wehren würden - deswegen müssen wir darüber noch diskutieren -, wäre, wenn dafür eine Beratungsbürokratie mit 4 000 Beratungsstellen quer über das Land und, Hochrechnungen zufolge, bis zu 13 000 neuen sogenannten Fallmanagern aufgebaut werden sollte. Da müssen wir genau schauen, Frau Ministerin, dass wir auf vorhandene Strukturen aufsetzen und diese bündeln, anstatt neue Strukturen zu schaffen - damit das Geld am Bett der Pflegebedürftigen und nicht am Schreibtisch von irgendwelchen Beratern ankommt. ({3}) Deswegen ist das eine wichtige Stelle, über die noch zu diskutieren ist. Was wir im Rahmen dessen, was momentan eine parlamentarische Mehrheit findet, beschlossen haben, ist eine gute Basis. Dennoch wird die Rücklage im nächsten Jahrzehnt wieder in Anspruch genommen werden müssen. Deshalb muss ich sagen: Die Unionsfraktion bedauert es, dass es nicht gelungen ist, additiv eine Kapitaldeckung einzuführen. Ich würde mich freuen, wenn es möglichst bald parlamentarische Mehrheiten dafür gäbe. Abschließend ganz kurz zur Gesundheitsreform. Der Kollege Zöller hat es schon gesagt: Die Gesundheitsreform ist wesentlich besser als ihr Ruf. Wir sehen, wie die Akteure die Möglichkeiten, die wir ihnen gegeben haben - Verträge schließen, Wettbewerb um Qualität und Preis -, nutzen. Von daher, Frau Kollegin Bender: Es ist richtig, wenn Sie von der Opposition uns im Nacken sitzen und uns darauf hinweisen, wo wir besser werden können. Aber es wäre auch angebracht, wenn Sie uns, wenn wir etwas richtig machen, ab und zu auf die Schulter klopfen würden. ({4}) Denn auch davon gibt es eine ganze Menge. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30. Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Annette Schavan. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat gestern die Leitlinien der Politik der Bundesregierung formuliert: Wir wollen Teilhabe verbreitern und neue Quellen des Wohlstands erschließen. - Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung legen in besonderer Weise das Fundament dafür, Teilhabe für alle zu ermöglichen und die Quellen des künftigen Fortschritts zu erschließen. Deutlich höhere Finanzinvestitionen, neue Konzepte und strukturelle Weiterentwicklung kennzeichnen unsere Bildungs- und Forschungspolitik. Wir stellen die Weichen in Deutschland so, dass jeder Jugendliche Chancen hat und unser Land zu einem der attraktivsten Forschungsstandorte wird. Die Investitionen für Forschung und Entwicklung im Einzelplan 30 steigen um rund 580 Millionen Euro. Insgesamt wächst der Plafond um 7,85 Prozent auf fast 9,2 Milliarden Euro; das ist ein Plus von 670 Millionen Euro. ({0}) Das neue Konzept der Hightechstrategie wirkt außerordentlich positiv auf die Entwicklung der FuE-Ausgaben der Unternehmen. Das war ja die zentrale Frage bei der Arbeit an der Hightechstrategie: Wird es gelingen, durch die Erhöhung der öffentlichen Mittel zu erreichen, dass auch die Unternehmen ihre Mittel für Forschung und Entwicklung steigern? Die Zahlen des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft belegen: Allein im Zeitraum zwischen 2005 und 2007 sind die Ausgaben der Unternehmen für Forschung und Entwicklung den Schätzungen zufolge um 8 Prozent gestiegen, von 38 auf knapp 42 Milliarden Euro. Die Rechnung geht auf. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Forschungsprämie, die Förderinitiative KMU-innovativ und den Spitzenclusterwettbewerb. Die Mittel für die Projektförderung sind deutlich erhöht worden und belaufen sich inzwischen auf 3 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Plus von 18 Prozent. Das alles sind Beispiele für wirksame Signale, dass das Ziel der Lissabon-Strategie erreicht wird. ({1}) Am Forschungsstandort Deutschland herrscht Aufbruchstimmung. Auch in den Unternehmen herrscht Aufbruchstimmung in dem Bewusstsein dafür, wo die Quellen künftigen Wohlstands liegen. Über die Investitionen hinaus ist es wichtig, dass wir Schwerpunkte setzen. Einige Schwerpunkte sind schon im Laufe des Tages genannt worden. Frau Kollegin Schmidt hat auf die Erhöhung der Mittel für die Gesundheitsforschung in ihrem Haus im Hinblick auf konkrete Projekte hingewiesen. In Meseberg wurde hinsichtlich der Gesundheitsforschung mit dem Vorhaben, ein nationales Forschungszentrum zur Bekämpfung von Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen zu gründen, ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das ist nicht nur hinsichtlich der Investitionen, sondern auch bezüglich der Strukturen in der Gesundheitsforschung eine wichtige Initiative. Alles, was in diesen Bereich fällt, hat in der Gesundheitsforschung der Zukunft höchste Priorität. ({2}) Ein weiterer Schwerpunkt liegt im gesamten Bereich Klima und Energie, in dem ebenfalls eine Erhöhung der Mittel um 16 Prozent zu verzeichnen ist. Im Oktober wird die Hightechstrategie für den Klimaschutz vorgestellt. Auch hier gibt es eine gute Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium als zuständigem Fachressort; denn bei all diesen Fragen ist es wichtig, dass die Strategien gebündelt und abgestimmt und Schwerpunkte gesetzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass beim Klimaschutz die Forschung im Hinblick auf mittel- und langfristige Entwicklungen eine zentrale Rolle spielen wird. ({3}) Des Weiteren modernisieren wir das Wissenschaftssystem. Die Exzellenzinitiative gehört genauso dazu wie der Pakt für Forschung und Innovation. Dazu gehört aber auch der zweite wichtige Punkt, der in Meseberg beschlossen worden, ein sogenanntes Wissenschaftsfreiheitsgesetz zu erarbeiten, das wir im kommenden Jahr vorlegen werden und das unseren Forschungsorganisationen mehr Spielraum, mehr Selbstständigkeit und mehr Möglichkeiten bietet, Spitzenwissenschaftler nach Deutschland zurückzuholen. Die neuen modernen Spielregeln werden unsere international hoch angesehenen Forschungsinstitutionen im internationalen Wettbewerb stärken. Was den Hochschulpakt angeht, sind uns nicht nur die 90 000 zusätzlichen Studienplätze wichtig, sondern auch die Stärkung der universitären Forschung durch die Programmkostenpauschale. Das ist ebenfalls ein deutliches Zeichen auch an die junge Generation, dass es uns wichtig ist, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel zu erreichen, den Anteil derjenigen eines Jahrgangs, die ein Hochschulstudium absolvieren, auf 40 Prozent zu erhöhen. In den vergangenen Jahren konnten keinerlei Fortschritte in diese Richtung erzielt werden. Ferner haben wir eine BAföG-Erhöhung vorgesehen. Im Haushaltsjahr 2008 erfolgt eine Erhöhung der Förderbeträge um 5 Prozent und der Freibeträge um 4 Prozent. Für das Jahr 2009 haben wir eine weitere Erhöhung um 5 Prozent bzw. 4 Prozent beantragt. Bislang gibt es darüber in der Regierung noch keinen Konsens. Meines Wissens wird das aber in der SPD-Fraktion anders gesehen als im Finanzministerium. Wir werden sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln. ({4}) - Mit Verlaub, das CDU-geführte Ministerium hat die Erhöhung beantragt. Insofern ist das ziemlich klar. ({5}) - Herr Rossmann, Sie können die von uns angeblich gewollte Abschaffung des BAföGs so lange behaupten, wie Sie wollen. Sie wissen aber, dass ich damals etwas anderes gesagt habe. Ich habe gesagt: Wir brauchen in Deutschland ein neues System der Bildungs- und Studienfinanzierung. Dazu gehören die dritte Säule der Stipendien und eine elternunabhängige Ausbildungsförderung. ({6}) Darüber wurde damals eine Diskussion geführt. Dass Sie darauf noch zehn Jahre zurückgreifen, verstehe ich zwar, aber es ändert nichts daran, dass die vom Ministerium beantragte BAföG-Erhöhung nicht dem entspricht, was uns bewilligt worden ist. Deshalb sehe ich der weiteren Debatte mit Spannung entgegen. ({7}) Wir stärken die Internationalisierung; auch das ist Teil des Koalitionsvertrages. Wir schaffen neue Instrumente für die internationale Kooperation. Ich bin davon überzeugt, dass in diesem Zusammenhang die Stärkung der Rolle von Wissenschaft und Forschung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiger Punkt sein wird. Hier können wir auf exzellente internationale Kooperationen zurückgreifen. Wenn es um die internationale Entwicklungszusammenarbeit der Zukunft geht, dann gilt, dass die in Wissenschaft und Forschung vorhandenen Möglichkeiten noch besser genutzt werden müssen. Zur Modernisierung des Wissenschaftssystems gehört für mich auch, die Situation der Frauen in der Wissenschaft zu verbessern. Hier haben wir zusammen mit den Bundesländern und den Forschungsorganisationen eine Initiative ergriffen, die dazu dient, im Laufe des nächsten Jahres ein gemeinsames bundesweites Signal zu setzen. Wir kümmern uns um die Zukunftschancen der jungen Generation: Bildung, Ausbildung, Qualifizierung. 2,6 Milliarden Euro im Haushalt werden in Qualifizierung und die Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems investiert. Es gibt zudem neue Programme für Jugendliche im Übergang von der Schule zur Berufsausbildung und eine Pilotinitiative zur Nachqualifizierung, sodass 12 500 Altbewerbern - diese Gruppe hat in der Diskussion schon eine große Rolle gespielt - in der ersten Phase mit einem Konzept der Ausbildungsbausteine die Chance auf einen Berufsabschluss gegeben wird. Jeder Jugendliche braucht eine Chance zur Qualifizierung. Das ist das Ziel der Nationalen Qualifizierungsinitiative, das wir bis zum Ende der Legislaturperiode erreichen wollen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Bitte schön.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie meine Frage zulassen. - Nach allen Ihren Lobgesängen zu den Budgetaufwüchsen bei Bildung und Forschung möchte ich Ihnen an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass bei einem Gesamthaushalt mit einem Volumen von 283 Milliarden Euro der Haushalt für Bildung und Forschung ein Volumen von lediglich 9,2 Milliarden Euro hat. Das sind 3,2 Prozent des Bundeshaushalts. Glauben Sie wirklich, dass Sie damit Ihren Anspruch mit der Wirklichkeit in Einklang bringen können? Ist das angesichts dessen, was China - die Kanzlerin war neulich erst dort - und andere asiatische Staaten sowie unsere europäischen Nachbarn und die Vereinigten Staaten in Bildung und Forschung investieren, nicht eher eine Mücke und kein Elefant, der mit Ihrem Haushalt geboren wird? So können wir den globalen Wettbewerb in Bildung und Forschung aus meiner Sicht nicht gewinnen. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das war weniger eine Frage als eine Feststellung Ihrerseits. Dazu haben Sie ohnehin noch die Chance, wenn Frau Flach gleich reden wird und vermutlich Ähnliches sagen wird. Ich gehe jetzt nicht auf Mücke und Elefant ein. Das Tierreich lasse ich weg. Ich kann Ihnen nur raten, sich die Entwicklung in den letzten 20 Jahren anzuschauen. Dann wird es ziemlich klar. Von 1987 bis 2000 sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung kontinuierlich gesunken. ({0}) - Nein, bis 2000. Das Statistische Bundesamt ist keine CDU-Geschäftsstelle. Wir reden über die Investitionen der öffentlichen Hand und der Unternehmen in Deutschland. ({1}) - Sie können ganz ruhig bleiben. Ich tue Ihnen nichts. Ich beschimpfe auch nicht die Vorgängerregierung. ({2}) Es geht um die FuE-Quote von Bund, Ländern und Unternehmen von 1987 bis 2000 sowie von 2000 bis 2005. Hier gibt es verschiedene Kurven. Die erste ging nach unten. Die nächste zeigt, dass die Ausgaben auf gleichem Niveau geblieben sind. Nach 2005 zeigt die Kurve nach oben. Eine Forschungsministerin wird nie so bescheuert sein, zu sagen: Das reicht. - Das ist doch klar. Ich finde, es ist eine erhebliche Anstrengung. Es gibt einen deutlichen Aufwärtstrend. Wir liegen unter den 27 Mitgliedern der Europäischen Union in der Spitzengruppe. Sie können in vielen Bereichen den Vergleich mit China und Japan anstellen, aber dieser Vergleich ist immer irgendwie schräg. Ich finde, Sie, Frau Pieper, sollten anerkennen, dass diese Regierung das einlöst, was sie sich vorgenommen hat und was im Koalitionsvertrag steht, nämlich das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Bund, Länder und die Unternehmen in Deutschland haben darüber einen Konsens, und die Aufbruchstimmung ist erreicht. ({3}) Ich komme zum Schluss. Wenn wir von der Nationalen Qualifizierungsinitiative sprechen, dann geht es nicht nur um diese oder jene Phase im Bildungssystem, sondern letztlich darum, dass wir auf allen Stufen der Bildungsbiografie Verbesserungen brauchen. Der Schlüssel liegt in der frühkindlichen Bildung, die Frau Kollegin von der Leyen schon angesprochen hat. Der zweite wichtige Akzent liegt auf dem Übergang von der Schule zur Berufsausbildung. Wir werden die Zahl derer, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen, deutlich reduzieren müssen. Wir müssen dahin kommen, dass jeder Jugendliche einen Abschluss erreicht und auch die Chance bekommt, einen qualifizierten Beruf zu ergreifen. Wir wollen die Quote derer, die an Weiterbildung teilnehmen, auf 50 Prozent erhöhen. Hier liegen wir unter dem europäischen Schnitt. Wir wissen, dass es angesichts der technologischen Entwicklung und angesichts rasanter Veränderungen in der Arbeitswelt notwendig ist, dass Weiterbildung Teil der Bildungsbiografie wird. Weiterbildungssparen ist ein Einstieg. Die weitere Vertiefung, Konkretisierung und Ausweitung des Konzepts „Lernende Regionen“ mit Kooperation aller Bildungsinstitutionen vor Ort ist ein anderer wichtiger Akzent. Weitere werden folgen. In Meseberg wurde auch der Beschluss gefasst, dass es ein Konzept für die dauerhafte Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte geben wird. Auch das ist für unseren Bereich eine wichtige Entscheidung. Es ist eine andere Art von Zuwanderungsdebatte als in der Vergangenheit. ({4}) Es geht darum, dass Deutschland für die Talente aus aller Welt attraktiv wird. Das betrifft die Wissenschaft ebenso wie unsere Unternehmen. Aber klar ist auch: Es gibt nicht die Alternative Bildung, Ausbildung, Qualifizierung einerseits, Zuwanderung andererseits. Wir müssen beides tun, und den Vorrang haben alle Bemühungen im Bereich von Bildung und Ausbildung. ({5}) Letzter Satz: Ich danke den Regierungsfraktionen, ich danke den Kolleginnen und Kollegen im Parlament für ihre Unterstützung und dafür, dass dieser Haushalt so möglich ist. Ich bin davon überzeugt, dass er nicht nur den Konsens zeigt, sondern auch die Entschlossenheit der Großen Koalition, die Zukunftschancen der jungen Generation zu mehren und die Aufbruchstimmung am Forschungsstandort Deutschland weiterzuentwickeln. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle hier in diesem Raum wissen, dass für uns Liberale das Thema Bildung und Forschung immer eines der Schwerpunktthemen unseres politischen Wirkens gewesen ist. ({0}) - Herr Tauss, wir haben das in unserer gemeinsamen Zeit in all den letzten Jahren immer mit den entsprechenden Haushaltsanträgen begleitet. ({1}) Ich will an dieser Stelle deutlich und klar sagen: Wir stehen nach wie vor - das ist eben durch die Frage von Frau Pieper deutlich geworden - zu dem Ziel, 3 Prozent des BIP für FuE auszugeben. ({2}) Wir stellen allerdings fest, dass Sie, liebe Frau Ministerin, sich diesem Ziel nicht in der nötigen Geschwindigkeit, die wir erhoffen, nähern. Sie sind auch in diesem Jahr - die Kanzlerin sprach gestern von 2,8 Prozent nach wie vor ein ganzes Stück von diesem Ziel entfernt. Es wäre besser gewesen, wenn dieses Ziel zügiger erreicht werden würde, vor allen Dingen da wir erkennen, dass die Wirtschaft einen höheren Anteil an den Steigerungsraten hat als Sie. ({3}) Auch bei den Bildungsausgaben liegt Deutschland nach wie vor unter dem OECD-Mittel. Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, liebe Kollegen von der SPD, Ihr Vorschlag - er wurde in der gestrigen Debatte auf den Tisch gelegt -, das BAföG um 10 Prozent anzuheben. Ich bin schon eine Weile Bundestagsabgeordnete und erinnere mich noch sehr gut an den Vorschlag der SPD - es war einer der ersten Vorschläge von Frau Bulmahn -, das sogenannte Drei-Körbe-Modell einzuführen. Über das, was Sie jetzt einbringen, bin ich natürlich mehr als enttäuscht. Zum Ergebnis Ihrer Beratungen kann ich nur sagen: Der Berg kreißte und gebar wirklich nur ein kleines Mäuschen. ({4}) Greifen Sie doch einmal tief in die Taschen der Ministerin und veranschlagen Sie genau die Milliarden, die sie eigentlich braucht, um das BAföG so zukunftssicher und vor allem elternunabhängig auszugestalten, wie es die FDP seit vielen Jahren fordert. ({5}) Frau Ministerin, hinzu kommt, dass der Einsatz Ihrer Mittel nach wie vor sehr widersprüchlich ausfällt. ({6}) Sie reden zwar von Hightech; aber auch in diesem Haushalt sparen Sie bei den Hightechmitteln - das machen Sie nicht anders als Frau Bulmahn -, und zwar an Stellen, über die man sich schon Gedanken machen muss. Für die optischen Technologien sind 79 Millionen Euro angesetzt. Das ist kein Aufwuchs, obwohl die Förderung dieser Technologien angeblich ein sehr wichtiges Element Ihrer Hightechstrategie ist. Bei der Mikrosystemtechnik sehen Sie sogar eine Absenkung der Mittel um 3 Millionen Euro auf dann 54 Millionen Euro vor. Auch die Mittel für neue Werkstoffe und Nanomaterialien sollen sinken, und zwar von 95 Millionen Euro auf 93 Millionen Euro. Da, wo es um die Anwendung von Technologien geht - dadurch muss dieses Land unserer Meinung nach so richtig nach vorne gebracht werden -, haben Sie es in den vergangenen zwei Jahren nicht geschafft, die Widersprüche Ihrer Großen Koalition aufzulösen. ({7}) Ich verweise auf das Dilemma mit dem Transrapid, mit dem Sie es zurzeit wieder zu tun haben. ({8}) - Ja, eben. Ich sage das, gerade weil es alte Kamellen sind, Herr Tauss. ({9}) Der Transrapid hätte sein Ziel längst erreicht haben müssen. Auch diese Koalition schafft es offensichtlich nicht, über die Fundamentalkritiker in ihren eigenen Reihen hinwegzuspringen. ({10}) Über das Thema Gentechnik möchte ich an dieser Stelle wirklich nur noch ungern reden. Was das, was Herr Seehofer uns da vorgelegt hat, angeht: Ich hätte mir noch nicht einmal in den schlimmsten Träumen vorstellen können, dass ein Minister dieser Regierung, der der CSU angehört, so etwas plant. ({11}) Ich erinnere mich noch sehr genau an das, was wir gemeinsam in diesem Hause in der letzten Legislaturperiode pro Grüne Gentechnik gesagt haben. ({12}) Schauen Sie sich an, wie Sie mit den Mitteln umgehen. Herr Hagemann, weitere Haushälter und ich haben uns mit diesem Thema in den letzten Wochen intensiv befasst. Frau Schavan, Sie haben einen an und für sich bemerkenswerten Etat: 9,18 Milliarden Euro, das ist schon etwas, ({13}) auch wenn diese Summe im Vergleich zu den entsprechenden Zahlen der Konkurrenzländer verschwindend gering ist. Aber eine Aufgabe des Haushälters ist es nun einmal, zu schauen, was bei einer Sache herauskommt. Entscheidend ist, wie effizient und wie sinnvoll Sie die eingesetzten Mittel verwenden. Damit komme ich auf Ihren zweiten Schwachpunkt zu sprechen. Die Ergebnisse der bisherigen Anstrengungen lassen sich nun einmal nicht quantifizieren, auch nicht mithilfe dessen, was Sie eben gesagt haben. Natürlich sind Exzellenzinitiative, Hochschulpakt und auch die Hightechstrategie im Grundsatz richtig, und sie werden auch von uns ausdrücklich anerkannt. ({14}) Ob diese Maßnahmen aber zur Folge haben, dass bei uns schneller Produkte und Arbeitsplätze entstehen, ist empirisch nicht nachvollziehbar. Sie können Ihre in den Raum gestellte Zahl von 1,5 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen nicht belegen. Das Schöne ist: Wir haben das inzwischen auch schriftlich, und zwar aus Ihrem Hause. Für die Opposition ist es immer gut, zu erkennen, dass ein Minister schon zur Halbzeit seines Wirkens klar sagen muss: Ich stecke zwar viel Geld hinein; aber ich weiß nicht, was dabei im Endeffekt herauskommt. Das heißt: Obwohl Sie sehr viel Geld bereitgestellt haben - Sie haben zum Beispiel die Forschungsprämie eingeführt -, stochern Sie nach wie vor im Nebel. Frau Ministerin, die Zeit rennt Ihnen davon. Wir leben nicht auf einer Insel. ({15}) Deutschland steht mit anderen Forschungsnationen im Wettbewerb. Wo wir stehen und wie unsere Mittel effizient eingesetzt werden können, muss durch ein klares System von Projekt- und Prozesskontrolle, durch Zielvereinbarungen und durch Benchmarking definiert werden. Übrigens, unsere Konkurrenz tut das; der Kollege Hagemann wird das gleich sicherlich bestätigen. Die Amerikaner gehen sehr effizient, sehr zielsicher vor. Auf diese Art und Weise werden sie mit dem zur Verfügung stehenden Geld deutlich besser vorankommen, als wir es tun werden, Frau Minister. ({16}) Der zweite Schwachpunkt - Sie haben es angesprochen - ist der inzwischen dramatische Mangel an Fachkräften. ({17}) Der Weg, den Sie gehen müssen, Frau Schavan - man muss wirklich sagen: Sie müssen ihn gehen; denn eigentlich wollten Sie ihn viel weiter gehen, Sie wollten ihn in unserem Sinne gehen -, ist nicht hilfreich. Ich habe heute Morgen mit Interesse gehört, dass Herr Müntefering angekündigt hat, für Elektro- und Maschinenbauingenieure einen erleichterten Zugang zu ermöglichen. Ehrlich gesagt: Das kann doch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein sein. Wie soll denn bei dieser Kleinstlösung ein wirklich gutes, für uns alle tragbares Ergebnis herauskommen? Ich komme aus einem Bundesland, in dem der jetzige Ministerpräsident einmal eine Wahl verloren hat, indem er gesagt hat: Kinder statt Inder. - Was Sie jetzt betreiben, erinnert mich fatal an diesen Weg. ({18}) Ich will einmal vorlesen, was die taz - das ist eine Zeitung, die ein Liberaler eigentlich sehr selten zitiert, aber ab und zu sollte man es tun - dazu sagt: Die Meseberger Beschlüsse lesen sich wie ein Aufruf an die Reservearmee des Arbeitsmarkts: Schulabbrecher sollen künftig eine zweite Chance erhalten, ältere Arbeitnehmer sich fortbilden, Handwerksmeister und Nichtabiturienten studieren … Grundschulen und Kindergärten zu „Bildungshäusern“ zu verbinden. ({19}) Keine Frage, das sind alles sinnvolle bildungspolitische Reformen - nur lässt sich mit ihnen die schmerzliche Ingenieurslücke schwerlich schließen. Die deutschen Global Player können nicht warten, bis Vierjährige in „Bildungshäusern“ zu kleinen Genies herangereift sind. ({20}) Recht hat die taz. 90 Prozent der Unternehmen in NRW zum Beispiel beklagen sich über Fachkräftemangel. ({21}) Sie werden - das ist sozusagen mein entschiedener Appell an die rechte Seite des Hauses - um eine Punkteregelung für den Fachkräftezuzug nicht herumkommen. ({22}) Kommen Sie doch endlich einmal auf die SüssmuthKommission zurück! Setzen Sie doch endlich einmal um, was Leute in Ihren eigenen Reihen gesagt haben! Wir werden nur auf diese Art und Weise ein innovationstreibendes Land sein. Ich will auch an dieser Stelle wieder an unsere Gespräche mit Herrn Professor Störmer, immerhin Nobelpreisträger, erinnern. Auf unsere Frage: „Warum ist Amerika innovativ?“, hat er klar geantwortet: wegen der Einwanderer. - Das ist das treibende Element. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie hier endlich einen Schritt nach vorn geht und uns hilft, aus einer Falle herauszukommen, in der wir sonst gefangen bleiben. ({23}) Frau Schavan, man könnte vieles über die letzten Wochen sagen. Sie haben - das ist gerade für jemanden, der schon eine Weile in diesem Haus tätig ist, erkennbar eine erstaunliche Wandlung vollzogen. Ich denke an Ihre Reden zum Thema: Wie zentral soll eigentlich Schulpolitik werden? Ich habe mit Erstaunen gesehen, wie schnell das von Ihren Länderkollegen wieder eingesammelt wurde. Aber auch Sie werden sich, genau wie Ihre Vorgängerin, daran gewöhnen müssen, dass nach der Föderalismusreform von uns hier oben nichts mehr zu regeln ist. Ich möchte Sie an dieser Stelle auch daran erinnern, wem wir diese Regelung eigentlich zu verdanken haben. Nicht zuletzt Ihnen, Frau Schavan! ({24}) Sie selbst haben die Weichen dafür gestellt, dass in diesem Haus nichts mehr für die Bildungspolitik in Deutschland getan werden kann. Jetzt müssen Sie damit leben. ({25}) Es wäre schön, wenn Sie das offen und ehrlich angingen. Dann könnte man leichter damit umgehen. ({26}) Lassen Sie mich zum Abschluss Folgendes sagen: Frau Schavan, Sie haben mehr Geld zur Verfügung ({27}) und einen deutlich stärkeren Rückenwind durch Ihre Kanzlerin, ({28}) als Ihre Vorgängerin sie entsprechend hatte. ({29}) Aber Sie werden dadurch natürlich auch mit deutlich höheren Erwartungen konfrontiert als Frau Bulmahn. ({30}) Wir als Liberale wollen diese Erwartungen gern erfüllt sehen. Wir wollen Erfolge, keine bunten Heftchen. Da reicht auch nicht der Ritt auf der guten Konjunktur und der Hinweis darauf, dass Deutschlands Unternehmen aufgrund Ihrer guten Arbeit mehr in F und E investieren; Sie haben das heute in der Rheinischen Post zu platzieren versucht. Dagegen steht allein schon die Aussage des IW, dass überhaupt nur 8 Prozent der Mittelständler Fördergelder erhalten. Ihre neue Initiative KMU-innovativ, die Sie nach zwei Jahren auf den Weg bringen, zeigt, wie wenig erfolgreich Sie auf diesem Gebiet in den letzten Jahren gewesen sind. ({31}) Frau Ministerin, die FDP wird den Bildungsminister dieses Landes wie immer positiv kritisch begleiten. ({32}) Aber wir wollen natürlich sehen, dass dabei etwas herauskommt. Wir werden uns im Herbst darüber noch einmal unterhalten. Unsere Unterstützung dafür, bessere Bildungs- und Forschungspolitik zu betreiben, haben Sie. Ich hoffe, wir kommen gemeinsam voran. ({33})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Klaus Hagemann, SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Flach, an Ihren letzten Gedanken anschließend: Stimmen Sie doch dann, wenn wir im November die Schlussabstimmung haben, dem Einzelplan 30 zu. Die Voraussetzungen sind gut. ({0}) Das ist der richtige Weg, dem Sie folgen können; denn noch nie, Frau Pieper, Frau Flach, wurde so viel Geld für Bildung und Forschung ausgegeben wie jetzt. ({1}) Noch nie hat es so viele Studierende gegeben wie jetzt. Wir erinnern uns an die 90er-Jahre, als Herr Rüttgers hier noch die Verantwortung unter einer schwarz-gelben Koalition getragen hat: Damals sind die Mittel nach unten gefahren worden, und die Studierendenzahlen waren so weit unten wie noch nie. Auch daran wollen wir immer wieder erinnern. ({2}) Der Einzelplan 30, über den wir heute beraten, entspricht der Haushaltspolitik der Großen Koalition, denn er passt sehr gut in den Dreiklang Sanieren, Reformieren und Investieren. ({3}) Die Finanzspielräume werden voll für Zukunftsinvestitionen, für Bildung und Forschung genutzt. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Mittel und die Ausgaben um 7,8 Prozent gesteigert wurden. Das trägt mit dazu bei, die Konkurrenzfähigkeit unseres Landes zu steigern, aber auch - ich komme nachher noch einmal auf das BAföG zu sprechen - die Chancengerechtigkeit für viele junge Menschen zu steigern und zu fördern. ({4}) Wir nutzen den Aufschwung und die Steuermehreinnahmen dazu, sie über Bildung und Forschung wieder mehr Menschen zukommen zu lassen. Hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Zahlen wurden genannt, aber ich will sie noch einmal deutlich machen: Eine Steigerung um 670 Millionen Euro auf 9,2 Milliarden Euro, das ist viel Geld. Wenn ich die 500 Millionen Euro Ganztagsschulprogramm, die in der Zeit unter Frau Bulmahn erkämpft wurden, und die Forschungsmittel in anderen Einzelplänen zu unserem Einzelplan hinzurechne, dann kommen wir immerhin auf eine Summe von rund 13,5 Milliarden Euro für Forschung und Bildung. Das kann sich sehen lassen. Frau Flach hat es bereits mehrfach angesprochen: Wir beide waren zusammen als Berichterstatter für den Einzelplan 30 in Kanada und in den USA. Unsere Forschungspolitik hat in den Gesprächen dort Anerkennung gefunden. Die Exzellenzinitiative wurde besonders herausgestellt - auch eine Sache, die unter Frau Bulmahn und der rot-grünen Koalition eingeführt worden ist. Das muss man sehr positiv herausstellen. ({5}) Das findet Anerkennung, und es ist gut, dass man das feststellt. Das haben Sie leider nicht dazu gesagt, Frau Flach. ({6}) Die 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die wir als Ziel für Forschung und Entwicklung vorgesehen haben, wurden bereits angesprochen. Auch hier sind wir auf einem guten Weg. Die Zahlen wurden genannt: 2,7 Prozent in diesem Jahr, 2,8 Prozent können im Jahre 2009 erwartet werden. Jetzt müssen auch die Bundesländer beweisen, dass sie ihren Anteil mit 0,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt erbringen. Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Wirtschaft ihre 2 Prozent erreichen wird. Wir alle zusammen müssen noch viel Druck machen, Frau Ministerin, damit diese Mittel zur Verfügung gestellt werden. ({7}) Ich sprach von 13,5 Milliarden Euro, die in diesem Jahr für Forschung zur Verfügung stehen. Wichtig ist, dass das umgesetzt wird, dass die Gelder abgerufen werden und in Projekte und Förderungen einfließen werden. Es bleibt die Frage: Woran liegt es, dass nicht alle Gelder ordentlich, nicht schnell genug abfließen? Ich möchte das am Beispiel der Exzellenzinitiative aufgreifen: Wenn man die Haushaltsüberwachungsliste liest, ist die Hälfte - nämlich 52,5 Prozent - abgeflossen. Es stellt sich die Frage: Warum konnten bisher nicht - die Frage müssen wir in den Haushaltsberatungen in den nächsten Tagen und Wochen besprechen - mehr Mittel verausgabt werden? ({8}) Es sind immerhin 142 Millionen Euro. Für nächstes Jahr haben wir das Doppelte vorgesehen: 285 Millionen Euro. Haben Bund, Länder und die Universitäten die Vorbereitungen getroffen, damit alle Mittel abfließen können? Die Hightechinitiative wurde schon angesprochen. In den nächsten Jahren stehen immerhin 6 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir freuen uns, wenn aus dem zweiten Zwischenbericht, den Sie, Frau Ministerin, uns Ende September vorlegen werden, hervorgehen wird, dass die Mittel zügig abfließen und konkreten Projekten zugute kommen. Wir hoffen, dass hier entsprechend gehandelt wird. ({9}) Was unternehmen die Wirtschaft und die Länder, damit sie ihr Prozentziel erreichen? Immerhin fließen nach dem ersten Bericht noch 75 Prozent der Mittel des Bundes in die Wirtschaft. Wird dieses Geld nun bei der Wirtschaft mitgezählt oder beim Bund? Über diese Fragen müssen wir sprechen. Sie, Frau Ministerin, haben ein neues Modellprojekt entwickelt, für das auch Mittel in den Haushalt eingestellt sind, nämlich den Cluster-Wettbewerb. Hierfür stehen in den nächsten Jahren 600 Millionen Euro zur Verfügung. Hier ist nun zu fragen: Wie sehen die Richtlinien für die Vergabe aus? Wie wird gewährleistet - das ist eine sehr wichtige Frage -, dass nicht immer wieder dieselben Cluster in denselben Regionen die Zuschüsse bekommen? ({10}) Hier muss allen Regionen, allen Betrieben und allen Universitäten eine faire Chance gegeben werden. Es muss in den Richtlinien seinen Niederschlag finden und gewährleistet werden, dass, wie man bei uns in Rheinhessen sagt, die Tauben nicht immer wieder dorthin fliegen, wo schon Tauben sind. Die sitzen nämlich meistens in Süddeutschland. Hoffen wir, dass hier die entsprechenden Richtlinien geschaffen werden. Im Sommer wurde viel über den Fachkräftemangel diskutiert. Wir haben eben die Meinung von Frau Flach dazu gehört. Ich hoffe, dass das nicht nur ein Sommerlochthema gewesen ist, sondern dass hier ein wichtiger Schritt nach vorne getan wird. Jährlich sollen dadurch Kosten von 20 Milliarden Euro entstehen, so konnte man kürzlich in der Süddeutschen Zeitung lesen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat festgestellt: Es fehlen TechKlaus Hagemann niker und Meister. Da kann man nur rufen: Bitte, liebe Wirtschaft, bildet doch aus! ({11}) Sorgt dafür, dass Ausbildungsplätze und andere Qualifizierungsmaßnahmen eingeleitet werden! - Es muss also auch vonseiten der Betriebe dafür Sorge getragen werden, dass Möglichkeiten zur Weiterbildung und Qualifizierung bestehen. Hier sind die Betriebe gefordert, das Notwendige zu leisten. Unsere Kollegin Burchardt hat ja den Vorschlag gemacht, über einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung nachzudenken. Auch darüber sollte man ernsthaft diskutieren. ({12}) Natürlich brauchen wir Zuwanderung; darin stimmen wir mit Ihnen überein, Frau Flach. Wichtiger ist aber, dass vonseiten der Betriebe, aber auch vom Staat entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, dass mehr für Ausbildung und Qualifizierung für die bereits hier Lebenden geleistet wird. Der Bund hat deshalb unter anderem gemeinsam mit den Ländern den Hochschulpakt ins Leben gerufen. Darin wurde schriftlich festgelegt, dass entsprechende Maßnahmen zur Steigerung der Studierendenzahlen eingeleitet werden. ({13}) Es darf natürlich nicht dazu kommen, dass die Länder die Leistungen, die sie erbringen müssten - es soll sich ja um eine Fifty-fifty-Finanzierung handeln -, nach unten fahren. Im Sommer habe ich in der Presse gelesen, dass gerade im Bereich der Ingenieurwissenschaften Professorenstellen abgebaut worden sind. Es passt doch nicht zusammen, dass einerseits im ingenieurwissenschaftlichen Bereich in den letzten zehn Jahren 356 Stellen abgebaut wurden, also 13,3 Prozent der Professorenstellen weggefallen sind, aber andererseits beklagt wird, dass Zehntausende von Ingenieuren fehlen. Das ist der falsche Weg. Das muss hier noch einmal unterstrichen werden. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Bildungsbereich kommen. Sehr erfreulich waren die mit Zahlen untermauerten Ausführungen zum Bundesausbildungsförderungsgesetz, das sich an Schüler und Studenten richtet. Die Erhöhungen sind ganz in unserem Sinne. Wir meinen aber, nach sieben Jahren wäre es notwendig, einen deutlich größeren Schritt nach vorne zu machen. Unser Fraktionsvorsitzender Peter Struck hat darauf hingewiesen, dass die Förderleistungen um 10 Prozent angehoben werden sollten und die Freibeträge, damit mehr die Möglichkeit haben, BAföG zu beantragen, um 8 Prozent hochgesetzt werden sollten. ({15}) Das gilt natürlich genauso für die Strukturverbesserungen. Wir tragen diesen Vorschlag natürlich voll und ganz mit. Hier besteht noch weiterer Handlungsbedarf. Ich möchte zum Schluss noch auf einen Punkt zu sprechen kommen: Wissenschaft und Forschung leben von der Internationalität. Es wurde vorgeschlagen, einen neuen Wissenschaftspreis zu kreieren. Das findet auch unsere Unterstützung. Nur darf dies nicht auf Kosten anderer internationaler Aufgaben geschehen, indem beispielsweise die Mittel für den DAAD, für den Deutschen Akademischen Austauschdienst, heruntergefahren werden. ({16}) Das geht nicht; denn gerade der DAAD hat in diesem Bereich eine wichtige Aufgabe. Wir meinen, dass wir die Mittelansätze, so wie es die Koalition bereits für das laufende Jahr getan hat, Herr Kollege Willsch, gerade in diesem Bereich wieder anheben sollten. Ich denke, dass wir wieder in dieser Richtung handeln sollten. ({17}) Bewährt hat sich schon ein Wissenschaftspreis. Das ist der Kovalevskaja-Preis, der sehr viel Positives ausgelöst hat. Dies könnte ein richtiger Weg sein. Wie ich gehört habe, soll der neue Preis der am höchsten dotierte Wissenschaftspreis der Welt sein. Hoffen wir, dass dann auch die entsprechenden Reaktionen kommen. Wir haben von der Regierung einen guten Haushaltsentwurf vorgelegt bekommen. ({18}) - Jawohl, das verdient Applaus. - Durch unsere Beratungen, die wir jetzt im Haushaltsausschuss führen werden, durch die Fragen, die wir stellen werden, und die Anträge, die wir einbringen werden, wollen wir dazu beitragen, diesen guten Entwurf noch ein bisschen besser zu machen, damit wir zum Schluss eine sehr gute Vorlage haben, um vielleicht einen Gathering Storm, wie die Amerikaner ihr Forschungsprogramm nennen, auslösen zu können. Dass wir dies erreichen, davon sind wir überzeugt. Das sind die Ziele, die sich die SPD vorgenommen hat. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden sich denken können, dass ich ein bisschen Wasser in Ihre Freudenfeuer gießen muss. ({0}) Ich werde mich vor allem dem zweiten Teil des zur Diskussion stehenden Ressorts widmen, nämlich der Bildung. Für mich hat die ganze Bildungsdebatte etwas beklemmend Entlarvendes. Schlagworte wie „Fachkräfte- und Akademikermangel als Innovations- und Wachstumshemmnis“, „Rekrutierung ausländischer Experten“ und „Geringqualifizierte als Prellbock der Joblokomotive“ gehören jetzt zur Alltagssprache der Medien und der Politik. ({1}) Entlarvend daran ist für mich aus linker Sicht vor allem, dass Bildung in einen rein funktionalen Zusammenhang zur Wirtschaft gestellt wird. Das halte ich für sehr problematisch. ({2}) Dabei werden nämlich die eigentlichen Bildungsdefizite und deren Ursachen nicht thematisiert. Man muss eben einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen keinen höheren Bildungsabschluss erlangen, geschweige denn, dass sie jemals in den Höhen von Wissenschaft und Forschung ankommen. Für mich ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet die Bildungsministerin das Problem dieser Bildungsungerechtigkeit so wenig thematisiert. ({3}) Die Zahl armer Kinder - wir haben es bereits gestern gehört - hat in der deutschen Geschichte eine Rekordhöhe von 2,6 Millionen erreicht. In meiner Heimatstadt, in Halle an der Saale, leben 34,6 Prozent der Kinder auf Sozialhilfeniveau. Genau diese Kinder sind es, die in unserem Bildungswesen ausgegrenzt bleiben. In keinem anderen Land in Europa entscheidet der soziale Hintergrund von Kindern und Jugendlichen so maßgeblich über ihre Bildungs- und natürlich damit auch über ihre Lebenschancen. ({4}) Dabei ist kaum ein anderes Land reicher als Deutschland. Wenn die Zahl armer Kinder sogar in Zeiten guter Konjunktur zunimmt, dann muss man sich doch vor Augen halten, dass sich an dem Bildungsmangel nachwachsender Generationen nichts ändern wird, sondern dass sich die Situation weiter verschärft. Das allein wäre schon Skandal genug; aber er findet seine Fortsetzung in der älteren Generation. Die Zahl langzeitarbeitsloser Menschen verfestigt sich ebenso in dramatischer Höhe. Dabei wären viele Langzeitarbeitslose verdammt froh, ihr Wissen endlich über eine geeignete Weiterbildung zu aktualisieren und damit natürlich auch bessere Beschäftigungschancen zu bekommen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich taub gestellt, als auf den Montagsdemonstrationen tausendfach die Forderung nach dem Ende von Hartz IV erhoben wurde. Sie hat sich taub gestellt, als Kinderschutzbund und Sozialverbände Maßnahmen gegen die tausendfache Armut von Kindern und Jugendlichen gefordert haben. Sie hat sich ebenso taub gestellt, als Studierende auf den Straßen gegen Studiengebühren und Bildungsprivatisierung protestiert haben. Erst den Wirtschaftsverbänden haben Sie Gehör geschenkt, und zwar genau in dem Moment, als diese den Fachkräftemangel zum negativen Standortfaktor erklärt haben. Erst dann hat sich Geschäftigkeit entwickelt. Das, meine ich, ist entlarvend für diese Debatte. ({5}) Ihnen geht es nicht etwa um die in den Verfassungen verankerten Rechte auf Bildung, teilweise sogar auf Ausbildung. Bildung wird nicht als „kulturelles Menschenrecht in allen Lebensphasen“ umgesetzt, wie es die UN-Menschenrechtskonvention verlangt. Stattdessen wird einem Drittel der Bevölkerung dauerhaft die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und an Bildung verwehrt. Welch zivilisatorische Sprengkraft davon ausgehen kann, zeigt sich auch im Erstarken des Rechtsextremismus. ({6}) Bildung ist Demokratie von unten. ({7}) Wir, die Linke, sagen Ihnen: Diese Politik stellt die gesellschafts- und sozialpolitische Kompetenz dieser Regierung grundsätzlich infrage. Die Regierung wird nicht müde - wir haben es gehört -, die vielen Milliarden zu feiern, die in Exzellenzwettbewerben, im Pakt für Forschung und Innovation, in der Hightechstrategie und nun auch im Spitzencluster-Wettbewerb sowie in vielen anderen elitären Projekten versenkt werden. Wirtschafts- und Interessenverbände reiben sich die Hände; sie fordern weitere Gelder, diesmal eben für Fachkräfte. Schon als ich das erste Mal die Bezeichnung „nationale Qualifizierungsoffensive“ hörte, habe ich gestutzt: Man verwendet das Wort „national“, obwohl es um ausländische Fachkräfte geht. Das ist ein bisschen eigenartig. Alles andere, was man zurzeit von der Qualifizierungsoffensive sehen kann, sind Versatzstücke: Vorhaben, deren Umsetzung Sie noch mit den Ländern klären müssen. Das heißt, all das hat noch rein appellativen Charakter. Demzufolge wird sich an der Bildungsmisere in absehbarer Zeit nicht wirklich etwas ändern. ({8}) Ich will das an zwei weiteren Beispielen belegen. Erstens: der Hochschulpakt. Er wurde zwischen Bund und Ländern geschlossen. Bis 2010 sollen etwa 90 000 zuDr. Petra Sitte sätzliche Studienplätze entstehen. Rechnerisch würden für jeden neuen Studienplatz 22 000 Euro ausgegeben, verteilt auf vier Jahre. Die Hälfte davon soll jeweils das Bundesland aufbringen; das ist auch in Ordnung. In meinem Land, in Sachsen-Anhalt, will man nun 2 000 Studienplätze halten, die man ursprünglich abbauen wollte; es werden also keine neuen Studienplätze geschaffen. Wissen Sie, wie hoch der Anteil des Landes ist? Er beträgt 600 Euro. Das ist kein Einzelfall. Mit solchen Ansätzen löst man das Problem nicht. Was lernen wir aus diesem konkreten Beispiel? Hochschulen bleiben dramatisch unterfinanziert. Auf einen Studienplatz kommen bundesweit immer noch zwei Studierende. Die geplante Anhebung des BAföG, die Sie hier gerade feiern, ist aus sozialer Sicht bei weitem unzureichend; denn sie ist überhaupt nicht bedarfsdeckend. ({9}) Dazu muss man sagen, dass die Erhöhung allein durch die Studiengebühren, die heute schon in sieben Bundesländern eingeführt worden sind, aufgefressen wird. Aus diesem Grund ist die 10-prozentige Erhöhung weniger als ein Nachholen. ({10}) - Wir werden sehen, wer mehr Angst hat. Mein zweites Beispiel: die Weiterbildung, zum einen im Zuständigkeitsbereich der Bildungsministerin, zum anderen im Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit. Auch hier entdecken wir höchst Widersprüchliches. Derzeit kommen auf einen Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin in Deutschland nur zehn Weiterbildungsstunden im Jahr. Im Jahre 2001 waren noch etwa 350 000 Menschen in Weiterbildung. 2006 waren es nur noch 120 000, die Weiterbildungsmaßnahmen durchlaufen haben. Das ist im europäischen Vergleich eine ganz miserable Bilanz. Aber was macht Frau Schavan? Sie veranstaltet erst einmal eine Pressekonferenz. Dort verspricht sie die bereits erwähnte Qualifizierungsoffensive. Haushaltsposten bekommen neue Namen. Unter der neuen Überschrift „Stärkung des Lernens im Lebenslauf“ reduziert sie die Mittel für Weiterbildung von 40 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro. Wenn das nicht absurd ist, was eigentlich dann? ({11}) Wie sieht es mit der Weiterbildung seitens der Bundesagentur für Arbeit aus? Da die Konjunktur brummt, könnte man annehmen, dass Weiterbildung angesagt ist. Die Leute werden auf dem Arbeitsmarkt gebraucht, also kann man ihnen entsprechende Maßnahmen zur Verfügung stellen. Schaut man aber genauer hin, sieht man, dass nichts dergleichen geschieht: weder im Haushalt noch in den Jobcentern vor Ort. Im Gegenteil: In meinem Bundesland ist die Zahl der Weiterbildungsmaßnahmen im April weiter heruntergegangen, und zwar um 13 Prozent, in den anderen Ländern - wir haben das geprüft - ebenfalls. Wiederum sind vor allem junge Arbeitslose und ältere Langzeitarbeitslose betroffen. Ich frage Sie: Wo, wenn nicht dafür, könnten die Milliardenüberschüsse der Bundesagentur für Arbeit wirklich sinnvoll eingesetzt werden? ({12}) Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, die Linke fordert: Werfen Sie endlich Ihren bildungspolitischen Flickenteppich in die Tonne! Bildung beginnt mit Kindertagesstätten und reicht über Schulen, Hochschulen sowie Forschung und Entwicklung bis hin zur Weiterbildung. Wer die Bildungsmisere in diesem Land wirklich bekämpfen will, der muss endlich damit anfangen, das Bildungswesen als Ganzes zu verstehen und auszufinanzieren. Danke schön. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Bundesregierung hat eine nationale Qualifizierungsoffensive beschlossen. Das ist eine große Ankündigung, die aber leider weder durch reale Politik noch durch Haushaltsmittel unterfüttert ist. Das ist ein Riesenproblem. Die Ministerin hat jetzt endlich begriffen, dass es im Schulbereich eine gesamtstaatliche Verantwortung geben muss. Dieser Reifeprozess kommt leider zu spät, Frau Schavan. Sie können nicht einmal ein Programm zur Migrantenförderung in die Wege leiten, um die Ergebnisse des Integrationsgipfels umzusetzen. Sie können auch kein eigenes Projekt zur Halbierung der Schulabbrecherquote, welches Sie immer propagiert haben, in den Haushalt aufnehmen; denn mit der Föderalismusreform haben Sie sich alle Chancen genommen. Frau Schavan, damit bleiben Sie in diesem Bereich eine Ministerin der warmen Worte. ({0}) Gleiches gilt für den Bereich der Ausbildung. Frau Sitte, Ausbildung ist für die individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Berufsleben wichtig. Wir müssen aber durchaus auch den Fachkräftemangel im Blick haben. Ich finde es gar nicht ehrenrührig, darüber zu reden. ({1}) Die Ministerin könnte auf diesem Gebiet etwas tun. Seit zwei Jahren kündigt sie das Projekt der zweiten Chance an. Bis heute ist nichts passiert. Eine strukturelle Reform ist trotz vieler Sitzungen ihres Innovationskreises bis heute nicht in Sicht. Priska Hinz ({2}) Seit Beginn dieser Wahlperiode fordern wir, dass Warteschleifen endlich in Ausbildungsbausteine umgewandelt werden; denn Warteschleifen dequalifizieren. Die Zersplitterung der Berufe muss beendet werden. Vor allen Dingen muss die Fähigkeit des Anschlusses an die akademische Bildung und Weiterbildung hergestellt werden. Wir vermissen bei Ihnen die Entschiedenheit, diese Schritte tatsächlich zu gehen. ({3}) Bei der Weiterbildung fällt Ihnen nichts anderes ein als Bildungssparen, und das im wörtlichen Sinne; Frau Sitte hat darauf hingewiesen. Mit Ihrem Modell des Bildungssparens schieben Sie die Verantwortung für Weiterbildung einseitig auf die Beschäftigten. Zudem ist Ihr Modellprojekt haushaltsneutral ausgestaltet. Das heißt, Ihnen ist Weiterbildung im wahrsten Sinne des Wortes nichts wert, nicht einmal einen Euro in Ihrem Haushalt. ({4}) Die von Ihnen als wichtig benannten Zielgruppen der Geringqualifizierten, der Älteren und der Frauen werden mit einem solchen Modell überhaupt nicht erreicht. Legen Sie doch bitte ein Konzept für die Weiterentwicklung des Meister-BAföGs vor, verändern Sie das Bildungssparen zielgruppengerecht und fördern Sie eine unabhängige Bildungsberatung! Kurz gesagt: Nehmen Sie die Vorschläge der Grünen an. ({5}) Dann bekommen wir ein tolles Konzept für die Weiterbildung, und dann schaffen wir international den Anschluss. ({6}) Durch die Forschungspolitik der Großen Koalition soll das 3-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung erreicht werden. Das wird von uns ausdrücklich unterstützt. Doch schauen wir uns einmal Ihren Haushalt daraufhin an. Es ist schon fraglich, ob dieses Ziel erreicht werden kann, weil die Ausgaben nicht an die konjunkturelle Entwicklung angepasst werden. Wenn das Bruttoinlandsprodukt schneller steigt, muss mehr Geld aufgewandt werden, um die 3 Prozent zu erreichen. ({7}) Eine entsprechende Überlegung gibt es bei Ihnen aber derzeit nicht. ({8}) Das ist ein Fall für die Nationale Qualifizierungsinitiative: Mathematik Sekundarstufe I. ({9}) Es reicht auch nicht, wenn das 6-Milliarden-Euro-Programm dreimal verkauft wird. Daraus werden keine 18 Milliarden Euro. Frau Schavan, ich habe nichts gegen Leuchttürme. Aber schauen wir doch einmal, was sich genau dahinter verbirgt. Beispiel Klimaschutz. Hier bleibt trotz aller Erkenntnis noch viel zu tun. Sie haben auf Ihrem Klimagipfel im Mai mit großen Worten 255 Millionen Euro für das Aktionsprogramm Forschung für den Klimawandel angekündigt. Jetzt haben Sie im Haushalt 49 Millionen Euro mehr für Klimaschutz eingestellt, wobei noch nicht einmal klar ist, wofür genau das Geld verwendet werden soll. Wo sind die restlichen Tortenstücke geblieben? Das möchten wir gerne von Ihnen wissen. Ein richtig gutes Forschungsprogramm mit frischem Geld für Bereiche wie Energie und Mobilität hätte unsere Unterstützung und wäre auch sinnvoller, als ein Programm mit einem Umfang von 100 Millionen Euro für die Unterstützung der Pharmaindustrie aufzulegen, um aus Deutschland die „Apotheke der Welt“ zu machen. Stecken Sie das Geld in eine bessere Klimaforschung und in eine bessere Gesundheitsforschung! Da wäre es sinnvoller eingesetzt. ({10}) Mit der Schwerpunktsetzung haben Sie sowieso Schwierigkeiten, Frau Schavan. Solange das Bildungsministerium im Rahmen der Hightechstrategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ein Unternehmen unterstützt, das gentechnisch veränderte, kälteresistente Weihnachtssterne für die Vermarktung entwickelt, hat dieses Ministerium nicht verstanden, was eine sinnvolle Nationale Qualifizierungsinitiative ist. Daran muss noch gearbeitet werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir werden entsprechende Anträge zum Haushalt stellen und hoffen sehr, dass Sie diesen mit uns gemeinsam zustimmen. Danke schön. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Der Verlauf dieser Debatte zeigt: Die Erkenntnis, dass Bildung und Forschung eine Schlüsselressource für Deutschland sind, wenn wir unsere Position in einer an Wettbewerbsintensität zunehmenden Welt halten oder sogar ausbauen wollen, ist inzwischen Allgemeingut geworden. Das ist gut so. Die Vertreter der Opposition tun mir ein wenig leid. Man kennt das ja aus eigener Erfahrung: Man muss etwas Regierungskritisches sagen, ({0}) obwohl man in das Lob einstimmen möchte, das allenthalben von Vertretern der Großen Koalition vorgetragen wird. Aber das sehen wir Ihnen nach, weil wir wissen, dass Sie etwas Negatives finden müssen. Wenn zu viel Geld vorhanden ist, dann fließt zu wenig ab, und wenn zu wenig Geld vorhanden ist, muss umgeschichtet werden. Irgendeinen Kritikpunkt findet man immer, wenn man lange genug im Haushalt sucht. Diesbezüglich geben Sie sich große Mühe. Ich weiß aber, dass Sie im Grunde genommen bei uns sind und anerkennen, dass wir es richtig machen. ({1}) Das ist auch verständlich, weil wir in der Zielbeschreibung immer übereinstimmen und mit den Indikatoren und Zahlen nachgewiesen werden kann, dass wir auf dem richtigen Weg sind. ({2}) Auf Ebene der EU gibt es das 7. Forschungsrahmenprogramm mit einem Volumen von 54,5 Milliarden Euro - das ist ein Zuwachs von 60 Prozent - für die Jahre 2007 bis 2013. Das gibt ebenso wichtige Impulse für die Forschungslandschaft wie unsere Arbeit hier. Es ist erfreulich, feststellen zu können, dass die deutsche Wissenschaft intensiv an diesem Rahmenprogramm teilnimmt. Deutsche Forscher spielen hier eine wichtige Rolle. 80 Prozent aller Projekte finden mit Beteiligung deutscher Forscher statt. Das kann uns ein Stück weit stolz machen. Es ist mir ein ganz wichtiges Anliegen, die internationale Zusammenarbeit weiter auszubauen. Ich freue mich in diesem Zusammenhang, dass wir eine Delegation unter Führung des kroatischen Staatssekretärs für Wirtschaft, Herrn Špančić, zu Besuch haben. Wir waren heute Morgen zusammen im Fraunhofer-Institut und haben Wissenschaftsprojekte im Bereich der Sicherheitsforschung besprochen. Herzlich Willkommen! Auf eine gute Zusammenarbeit! ({3}) Wir haben den Ländern durch Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes die Möglichkeit gegeben, die Hochschulen aus der staatlichen Detailsteuerung zu entlassen. Mit dem Hochschulpakt haben wir die Voraussetzung dafür geschaffen - es ist wichtig, das zu erwähnen, wenn wir darüber sprechen, wie man Potenziale ausschöpfen kann -, 90 000 zusätzliche Studienplätze einzurichten. Es ist schon mehrfach angesprochen worden - auch die Bundeskanzlerin hat das im Rahmen der Generaldebatte angesprochen -, dass wir auf einem guten Weg sind, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes sollen für Bildung und Forschung ausgegeben werden. Das ist in einer schrumpfenden Gesellschaft wie der unseren dringend notwendig. Im Parlamentskreis Mittelstand haben wir gestern mit Herrn Keese von der Welt am Sonntag zusammengesessen. Er hat mich auf einen Zusammenhang aufmerksam gemacht, den man sich wirklich einmal bewusst machen sollte. In dieser Woche haben wir alle gelesen, dass es im letzten Jahr in Deutschland einen negativen Rekord bei den Geburtenzahlen gab; es waren 673 000. Im Jahr 1964 - diesem Jahrgang gehört Herr Keese an - gab es 1 357 000 Geburten; das ist mehr als doppelt so viel. Wenn man die Sterbetafel zur Hand nimmt, stellt man fest, dass im Jahr 2050 immer noch mehr Menschen dem Jahrgang 1964 angehören werden als dem Jahrgang 2006. Wenn man zwei Jahrgangskohorten so nebeneinanderstellt, verdeutlicht das die dramatische Alterung der Gesellschaft. Das zeigt, was sich in diesem Land verändern wird. Umso wichtiger ist es, dass wir im Bereich der Begabtenförderung mehr tun. Wir dürfen keine Talente verlieren; ({4}) wir müssen sie fördern. Nur wenn man in der Spitze fördert, wird es auch in der Breite einen entsprechenden Aufwuchs geben. Deshalb ist es wichtig, dies zu tun. Der Kurs, den die Bundesregierung, insbesondere die Bildungs- und Forschungsministerin, einschlägt, ist richtig. Wir haben eben festgestellt, dass wir uns beim BAföG einig sind. Wir wollen das BAföG erhöhen und die Bemessungsgrenze anheben. Wir denken, dass es klug ist, es so zu machen, wie es der Finanzminister vorgeschlagen hat, und zwar in zwei Schritten, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Über die Details werden wir in den Berichterstattergesprächen reden. ({5}) Ich glaube in der Tat, dass wir es rechtfertigen können, hier von unserer Grundregel, nicht verstärkt in den konsumtiven Bereich zu investieren, abzuweichen, weil an dieser Front sehr lange, seit 2001, nichts getan worden ist. ({6}) Wir müssen ein bisschen weiter denken und dürfen nicht glauben, das sei alles eine Frage des Geldes. Wenn ich es in den sogenannten Wahlkreiswochen irgendwie einrichten kann, bringe ich meine Anna und meine Klara morgens selber in den Kindergarten. Bei der Gelegenheit merke ich oft, dass Bildung nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun haben muss. Bei der Gelegenheit bekommt man ja einen flüchtigen Eindruck von den anderen Kindern. Man stellt fest, dass einige viel reden und einen großen Wortschatz haben, und man merkt, dass andere, die zu Hause weniger Ansprache erfahren, schlechtere Chancen haben. Wir haben die Durchlässigkeit des Systems ja schon erheblich verbessert. In den 80er-Jahren war es sechsmal wahrscheinlicher, als Beamtensohn oder Beamten11672 tochter ein Studium zu beginnen, denn als Arbeitersohn oder -tochter. Heute ist es nur noch 3,6-mal wahrscheinlicher. Insofern ist hier in unserer Gesellschaft schon einiges in Bewegung gekommen. Ich glaube aber, wir müssen weiter ausholen. Der Bildungs- und Erziehungsplan in Hessen fand viel Beachtung. Wir sehen die Phase zwischen der Geburt und dem zehnten Lebensjahr als Einheit an, weil das die intensivste Prägephase ist. Dadurch können die Kinder zum Beispiel variabel eingeschult werden.Das können wir auf der Bundesebene nicht leisten. Dieser Aufgabe müssen sich die Länder stellen. Ich habe mich jetzt in den Bildungsfragen so verloren, dass ich für den Forschungsbereich voll auf Ilse Aigner setzen muss. Liebe Ilse, du wirst das sicher in deiner Redezeit ansprechen und entsprechend würdigen. Ich glaube, wir setzen mit der Hightechstrategie die richtigen Impulse. Wir gehen mit neuen Instrumenten zu Werk, zum Beispiel mit der Forschungsprämie. Klaus Hagemann, wir haben die Frage, wie viel abfließt und wie viel umgesetzt wird, auch an alle anderen gerichtet. Wir sollten da mitarbeiten. Die Pferde müssen auch saufen wollen. Dabei können wir helfen. Wir müssen in unseren Wahlkreisen in die Firmen und in die Forschungseinrichtungen gehen und ihnen sagen: Bitte, wir haben neue Möglichkeiten geschaffen, setzt sie um und nutzt sie. Dann kann das ganze Werk gelingen. Ich will zum Schluss kommen - hier blinkt es schon bedrohlich - und noch einen Satz aufnehmen, der diese Woche - ich glaube, es war vorgestern - gefallen ist. Dem Finanzminister wurden für den Fall, dass er schon vor 2010 einen ausgeglichenen Haushalt zustande bringt, mehrere Flaschen Saint-Émilion angeboten. Das ist sicherlich ein guter Wein. Zu meinem Wahlkreis gehört das obere Mittelrheinthal; es ist eine Stätte des Weltkulturerbes. ({7}) Wir haben heute Abend eine schöne Feier dazu. Ich lege eine Kiste Rheingauer Riesling und einen schönen Rüdesheimer oder Assmannshäuser Spätburgunder dazu, wenn wir das Ziel früher erreichen. Das können wir dann gemeinsam - das ist ein Ansporn für die Haushälter - in der Haushälterrunde miteinander trinken, wenn die Arbeit getan ist. Das wird uns sicher gut bekommen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sonntagsreden der Großkoalitionäre können mich nicht überzeugen. ({0}) Ihr Haushalt offenbart die ganze werktägliche Wahrheit Ihrer Bildungspolitik. Schöne Worte gibt es bei Ihnen genug; schöne Zahlen leider kaum. ({1}) Nehmen wir das Beispiel nationale Qualifizierungsoffensive. Wer eine Offensive braucht, ist offensichtlich in die Defensive geraten. Denn Sie haben zwei Jahre lang beim Fachkräftemangel geschlafen. ({2}) Was Sie in Meseberg veranstaltet haben, kommt schon fast einer nationalen Täuschungsoffensive gleich. Denn die Zahl der Studienanfänger ist unter Bundesbildungsministerin Schavan Semester für Semester gesunken anstatt gestiegen. Die Zugangshürden vor den Hörsaaltüren werden immer höher aufgetürmt anstatt abgesenkt. Die Arbeitsmarktzugänge und Aufenthaltsbestimmungen ausländischer Spitzenkräfte, Studierender und Akademiker wurden noch vor der Sommerpause durch die Große Koalition verschlechtert statt verbessert. ({3}) Frau Schavan, ich finde, es ist auch ein starkes Stück, dass Sie als Waffe zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ein freiwilliges technisches Jahr einführen. Was soll denn das bitte schön sein? In Wirklichkeit ist es doch nichts anderes als ein staatlich gefördertes Langzeitpraktikum und damit für die Jugendlichen eine weitere Warteschleife zwischen Schule und Ausbildung. Das ist ineffektiv, demotivierend und letztlich dequalifizierend. Das ist ein schöner Begriff, aber ein falsches Konzept. ({4}) Uns ist klar: Mit Ausbildungsmisere und Studienplatzmangel ist die Fachkräftelücke nicht zu schließen. Gegen das Fachkräftetief wirkt auf Dauer nur ein Studierendenhoch. Aber was machen Sie? 2007 wollen Sie im Hochschulpakt nur 35 Millionen Euro für die Schaffung von mehr Studienplätzen ausgeben. Das sind gerade einmal 4 Promille des Bildungshaushaltes. Angesichts Zehntausender junger Menschen, die zusätzlich an die Hochschulen strömen könnten, fordern wir für diesen Haushaltstitel, für den Hochschulpakt, eine Quantifizierungsoffensive. Denn für einen wirksamen Hochschulpakt müssten Sie laut Prognosen allein im kommenden Jahr 300 Millionen Euro für zusätzliche Studienplätze drauflegen. Im Übrigen müssen Sie auch die Planungssicherheit für die Zeit nach 2010 schaffen. ({5}) Nur dann schaffen Sie qualitativ hochwertige Studienplätze in ausreichender Zahl und können den Fachkräftemangel bekämpfen. Mehr Studienplätze allein bringen jedoch wenig, wenn sich junge Menschen ein Studium nicht mehr leisten können. Wir Grüne wollen - anders als zum Beispiel die FDP in NRW und die Union in vielen Bundesländern Kai Gehring kein Studieren auf Pump. Wir wollen kein Bezahlstudium an den Universitäten. Wir wollen eine Studienfinanzierung, die gerade hochschulfernen Schichten den Weg an die Unis öffnet. ({6}) Deshalb muss das BAföG erhöht werden, und zwar sofort und um mindestens 10 Prozent. Ich muss Ihnen sagen: Ihr monatelanger BAföGZickzackkurs müsste Ihnen eigentlich selbst peinlich sein. ({7}) Noch im Frühjahr dieses Jahres wollten Union und SPD gemeinsam eisern an einer BAföG-Nullrunde festhalten. ({8}) - Das haben Sie zusammen im Januar sogar noch in Ihrem Koalitionsantrag zum BAföG festgeschrieben. ({9}) - Ja. Ich freue mich, dass wir heute hier im Parlament nicht mehr über das Ob einer BAföG-Erhöhung streiten, sondern darüber, wie hoch sie ausfallen soll; ({10}) das ist etwas anderes. Das ist in erster Linie der vernichtenden Kritik der Opposition, ({11}) der Wissenschaftsorganisationen, der Experten, die sich in der Anhörung geäußert haben, und der Studierenden zu verdanken, nicht etwa allein der Großen Koalition. ({12}) Es ist öffentlich Druck gemacht worden, um eine ordentliche BAföG-Erhöhung zu erreichen. Die Studierenden in diesem Land würden von Ihnen gerne schon heute das Signal bekommen, welchen Umfang die BAföG-Erhöhung haben wird. ({13}) Die Große Koalition musste zum Jagen getragen werden, anstatt von Anfang an ein starker Anwalt der Studierenden zu sein. Ich finde, gerade in Zeiten des Aufschwungs sollte man bei der BAföG-Erhöhung klotzen und nicht kleckern. Das ist ein wichtiger Punkt. Die Koalition sollte über die goldenen Brücken gehen, die ihr der Finanzminister am Dienstag dieser Woche hier im Plenum gebaut hat, als er sagte, dass er die Bemühungen des Parlaments beim Thema BAföG respektvoll zur Kenntnis nehmen werde. Nehmen Sie diesen Ball auf und erhöhen Sie das BAföG jetzt und um 10 Prozent! ({14}) Damit würden Sie den Empfehlungen des BAföG-Beirates gerecht werden. Wenn Sie wollen, dass wir Ihre Sonntagsreden vom Aufbruch in die Wissensgesellschaft und vom Kampf gegen den Fachkräftemangel ernst nehmen, dann müssen Sie diese Bemühungen auch im Haushalt in ausreichendem Maße finanziell unterlegen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Ausbau der Zahl der ausfinanzierten Studienplätze, die Durchführung einer BAföG-Erhöhung um mindestens 10 Prozent und die Einleitung einer Qualifizierungsoffensive, die diesen Namen verdient. Ich wünsche Ihnen gute Haushaltsberatungen und hoffe, dass Ihre Nacharbeiten noch zu einigen guten Ergebnissen führen werden. Vielen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Gehring, wie ist das mit der politischen Souveränität? Dazu gehört auch, dass man anerkennen können sollte, wenn etwas wirklich besser geworden ist. ({0}) Sie und ich wissen, dass SPD und Grüne gemeinsam stolz darauf sein können - ich sage ausdrücklich: stolz sein können -, was in unserer Regierungszeit in Sachen Ganztagsschule, Förderung der frühkindlichen Bildung, Hochschulpakt und Ausbildungspakt erreicht wurde. Da ich nicht nur Sie, Kollege Gehring, in den Blick nehmen möchte, sage ich: Souveränität kann auch von höchster Stelle, nämlich von der Regierung, geübt werden. Frau Ministerin Schavan, ich glaube, manchmal würde es zur Entspannung beitragen, wenn wir auch einmal von Ihnen hören würden, dass der Aufschwung im Bereich von Bildung und Forschung nicht erst im Jahre 2005 begonnen hat, sondern dass in dieser Hinsicht ein kontinuierliches Bemühen stattgefunden hat, das jetzt unter glücklichen Umständen eine Beschleunigung erfährt. ({1}) Das würde vieles leichter machen, wäre kooperativer und letztlich auch produktiver. Für diese Souveränität werben wir, und zwar in die eine wie in die andere Richtung. ({2}) Denn nur dann, wenn man diese Souveränität an den Tag legt, kann man Menschen und auch Institutionen mitnehmen. Frau Sitte, es wird Sie nicht wundern, dass ich vieles, was Sie gesagt haben, nicht positiv bewerte. Aber eines finde ich richtig: Es muss das Bewusstsein wachsen, dass es um eine Bildungs- und Wissensgesellschaft für die Zukunft geht, nicht vorrangig um ökonomische Verwertbarkeit. In der Bildungs- und Wissensgesellschaft steht das Menschenrecht auf Bildung - von Anfang an und ein Leben lang - im Mittelpunkt, ebenso der kluge Gedanke, dass eine wissensbasierte Ökonomie aufgebaut werden sollte, weil sie gesünder und fortschrittlicher ist und auch den Ländern, die sich in ökonomischer Hinsicht bisher nicht so weit entwickeln konnten, neue Chancen eröffnet. So weit zum Allgemeinen. Nun knüpfe ich an die Erfolge an, die wir gemeinsam erzielt haben. Unter anderem haben wir das Thema „lebenslanges Lernen“ im ersten nationalen Bildungsbericht in sehr positiver Weise in den Blick genommen. Ich will nicht nur Kritik äußern, sondern auch souverän zugeben, dass wir es sehr gut finden, wie diese Regierung sich insbesondere im nationalen Bildungsbericht um die Integration gekümmert hat. ({3}) Sie haben zum Beispiel in Bezug auf die Alphabetisierung Initiativen ergriffen, die wir vorher noch nicht ergriffen haben und ergreifen konnten. Auch das möchte ich ausdrücklich anerkennen. ({4}) In diesem Sinne aber müssen von den diese Regierung tragenden Fraktionen und der Regierung selbst bitte auch an anderen Stellen Signale ausgehen, dass wir die Prioritäten richtig setzen. Im Sommer hätte es darum gehen können und müssen, nicht nur eine nationale Hightechstrategie, sondern auch eine nationale Bildungsstrategie aufzubauen. Dennoch war die unschöne und ablenkende Debatte um die Einführung eines Zentralabiturs in ganz Deutschland fast das bestimmende Thema. Aus dem, was wir erarbeitet haben und weiter erarbeiten wollen, geht stattdessen doch vielmehr hervor, dass wir eine nationale Grundbildungsstrategie sowie eine nationale Qualifizierungsstrategie brauchen und wollen. Die Punkte in Bezug auf Altbewerber und den beruflichen Bereich müssen abgearbeitet werden. Alle diese Menschen müssen eine Chance bekommen. Wir müssen ferner eine nationale akademische Bildungsstrategie entwerfen. Das müssen die Botschaften sein. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Bund und Länder an diesen Stellen entschieden mitarbeiten. Ich werbe darum, die Akzente richtig zu setzen. Wir müssen dies auch auf dem Feld tun, das uns durch die Föderalismusreform neu zuwächst. Es ist anerkannt, dass diese Regierung bei der Bildungsforschung sehr viel mehr macht und machen kann. Die zentralen Forschungsfragen müssen hier erkannt und umgesetzt werden. Konkret: Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ist ein großer Schritt nach vorn bei der frühkindlichen Betreuung. Wir als SPD wünschen uns aber auch, dass die frühkindliche Bildungsqualität durch Forschung erhöht wird. Wir wünschen uns, dass das gemeinsame Lernen durch Bildungsforschung noch stärker untermauert wird. Ferner wünschen wir uns, dass die zweite Chance - es gibt nun einmal Biografien mit Brüchen - durch Bildungsforschung besser aufgearbeitet wird. Wir setzen darauf, dass Sie dies mit uns zusammen durchsetzen wollen, damit wir ein gutes Bildungsforschungsprogramm haben. Der zweite Teil dessen, was uns besonders wichtig ist, knüpft noch einmal an den gemeinsam erstrittenen Hochschulpakt an, der Teil einer Föderalismusreform ist, die letztlich doch nicht ganz so harsch ausgefallen ist, was die Kooperationsmöglichkeiten zwischen den staatlichen Ebenen angeht. Wenn wir bisher über Quantität diskutiert haben, möchte ich jetzt mit der Qualität anfangen. Wir nehmen das, was wir von den Gewerkschaften über die Qualität beruflicher Bildung hören, sehr ernst. Möglicherweise ist es nicht der Weisheit letzter Schluss, wieder auf die Ausbilder-Eignungsverordnung zurückzukommen. Wir als Sozialdemokraten möchten aber auch für Anstrengungen stehen, die berufliche betriebliche Ausbildung und auch Weiterbildung auf didaktischer und personeller Ebene zu verbessern. Genauso ist uns die Qualität der Lehre an den Hochschulen - sozusagen das „Hochschul-PISA“ - ein ausgesprochen wichtiges Anliegen. Wir wollen sowohl Qualität als auch Quantität. Zum BAföG ist schon vieles gesagt worden. Polemisierend könnte man - um einmal die Schlachtordnung klarzumachen - das letzte bemerkenswerte Zitat von Herrn Kampeter zu diesem Thema im Sommer aufgreifen. Damals hat Peter Struck verdeutlicht, was wir als SPD diesbezüglich wollen. Herr Kampeter aber sprach von einer „populistischen Sommeroffensive der SPD“. ({5}) Wir, SPD und CDU/CSU, können jetzt zusammen belegen, dass es keine populistische Sommeroffensive der SPD war, sondern dass wir es zusammen hinbekommen haben. ({6}) Aber dann muss es auch einen Blumenstrauß für Peter Struck geben, und zwar nicht nur von den Studierenden, sondern vielleicht auch von Ihnen. Schließlich stoße ich mich noch daran, dass Sie, Frau Schavan, gesagt haben, Sie wollten eine elternunabhängige Förderung und wollten das BAföG nicht abschaffen. Rhetorik ist das eine. Wenn das aber bedeuten soll, dass es für alle nur noch Kredite gibt - ich frage ja nur -, dann wäre das die Abschaffung des BAföG. Denn Ziel des BAföG ist es, denjenigen teilweise eine Darlehensund Schuldenlast zu ersparen, die es sozial nötig haben, weil sie keinen großzügigen finanziellen Hintergrund zu Hause besitzen. Dies geschieht durch Zuschüsse, die dank der großen BAföG-Reform, die wir in einer der vergangenen Legislaturperioden gemeinsam machen konnten, gestiegen sind, und es geschieht durch Darlehen, die wir deckeln konnten, damit die Schulden nicht zu hoch werden. Wir wollen daran festhalten. Ich sage das auch an diejenigen gerichtet, die jetzt wieder den elternunabhängigen Teil betonen, Frau Flach. Uns ist im Zweifelsfall soziale Partizipation wichtiger als individuelle Emanzipation. ({7}) Wir müssen verhindern, dass ganze gesellschaftliche Gruppen von akademischer Bildung ferngehalten werden. Wenn wir diese Proportion wahren, will ich für die Sozialdemokratie gerne hinzufügen: Der große Bruder BAföG hat immer eine kleine Schwester gehabt: das Meister-BAföG. Wenn wir diese beiden zusammenhalten wollen, müssen wir uns auch für das Meister-BAföG etwas überlegen. Denn das gehört in eine nationale Strategie zur Qualifizierung von Fachkräften hinein. ({8}) Wir werden daran arbeiten, und wir werden Initiativen ergreifen, damit dieses nicht erst in einer nächsten Legislaturperiode kommt. Im Übrigen hat sich damit dann die kleine Schwester vom großen Bruder emanzipiert. Frau Schavan, es hat uns gefreut, dass Sie nicht nur das Ziel der 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ansprachen, sondern auch die Bildungsfinanzierung. Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten, dass wir 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung und 7 Prozent des BIP für Bildung aufwenden. Jeder zehnte Wert, der in Deutschland geschaffen wird, für die Zukunft in Form von Bildung und Forschung - das wäre ein gutes gemeinsames Ziel. Danke schön. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Ilse Aigner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über den Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu reden, müsste eigentlich für jeden und jede hier im Haus eine wahre Freude sein. Leider habe ich das in der letzten Stunde nicht von allen gehört, stattdessen manchmal nur hilflosen Neid. Sehr bedauerlich! ({0}) Allein von 2006 auf 2008 wird der Etat dieses Bundesministeriums um 1,2 Milliarden Euro erhöht. Das sind 15 Prozent mehr für Bildung und Forschung, das sind 15 Prozent mehr für unsere Zukunft. ({1}) Nie zuvor wurde im Bundeshaushalt so viel für Bildung und Forschung eingestellt. Bis 2011 legen wir gegenüber 2006 fast 7 Milliarden Euro drauf. Das ist praktisch ein ganzer Jahresetat zusätzlich. Wenn das keine Spitzenleistung ist, weiß ich auch nicht, was wir noch machen sollen. ({2}) Mehr Geld ist allerdings nicht alles. Entscheidend ist es, Neues anzustoßen. Wir hätten es uns relativ einfach machen können, indem wir die bisherigen Titel aufstocken. Doch wir haben uns dafür entschieden, zusätzliche Instrumente einzuführen. Der Grundgedanke ist: Nicht alles vorgeben, sondern Kreativität nutzen und Leistung belohnen. Ein Teil der Mittel dient deshalb dem Einstieg in die Vollkostenfinanzierung, besser bekannt als Overhead für Forschungsmittel. Dafür haben wir jahrelang gekämpft. Zwei Beispiele, was das in der Praxis bedeutet: Im Land Berlin haben die Forscher 2005 und 2006 jährlich Mittel in der Höhe von 125 Millionen Euro eingeworben. Wenn sie auch 2008 so fleißig sind, bekommen sie 25 Millionen Euro obendrauf. Die Forscher in Nordrhein-Westfalen bekämen sogar 56 Millionen Euro zusätzlich. Damit wird Spitzenforschung auch wirklich spitze belohnt. ({3}) Die Stärkung der Grundlagenforschung ist aber nur ein Element auf dem Weg zu einem besseren Innovationssystem. Mindestens ebenso kräftig muss in die anwendungsnahe Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft investiert werden, aber auch mit der Wirtschaft. Entscheidend ist der Pakt für Forschung und Innovation, den wir mit unseren fünf weltweit anerkannten Forschungseinrichtungen verabredet haben. Wir haben ihnen die verlässliche Zusage gegeben, dass sie jedes Jahr 3 Prozent mehr Mittel bekommen. Das sichert Planung und eröffnet neue Gestaltungsspielräume. ({4}) Im Gegenzug unterstützen die Forschungseinrichtungen unsere Ziele: verstärkte Nachwuchsförderung, verstärkte Förderung von Wissenschaftlerinnen, verstärkte Vernetzung mit der Wirtschaft in Forschungsverbünden. Auch hierzu ein Beispiel: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat sieben Innovationscluster gegründet. Sie hat gezielt das Wissen und Können aller kompetenten Partner - Wirtschaft, Hochschulen und die Fraunhofer-Institute selbst - in einer Region gebündelt. Der Innovationscluster Optische Technologien in Jena ist ein Paradebeispiel dafür: Zwei Fraunhofer-Institute, zwei Universitäten, eine Fachhochschule und zwei weitere Forschungsinstitute arbeiten mit über einem Dutzend Unternehmen zusammen. Sie bündeln ihre Kompetenzen zur Entwicklung mikrooptischer Systeme und setzen die Forschungsergebnisse zügig in marktfähige Produkte um. Beispielsweise wurde ein Verfahren zur Entspiegelung von Plastikoberflächen entwickelt. Dabei werden sogenannte Mottenaugenstrukturen erzeugt. Es könnte sein, dass Sie ein Produkt dieser Entwicklung in der Tasche haben, weil es bei den neuen Handykameras schon eingesetzt werden kann. So werden öffentliche Mittel nicht nur nachhaltig eingesetzt, sondern sie aktivieren zusätzlich private Mittel für die Forschung. Auf diese Weise ist eins plus eins dann mehr als zwei. Das ist innovative Mathematik. ({5}) Diese positive Erfahrung mit Forschungsclustern begrüßen wir sehr. Deshalb werden 2008 erhebliche Mittel für einen Wettbewerb von Spitzenclustern bereitgestellt. Mir ist übrigens immer noch kein passendes deutsches Wort für „Cluster“ eingefallen. Der treffendste Begriff ist wohl immer noch „Verbund“. Ihnen ist ja auch nichts wesentlich Besseres eingefallen. Vielleicht sollten wir auch dazu einen Wettbewerb ausschreiben. ({6}) - Das ist sehr innovativ. Der Spitzencluster-Wettbewerb hat vor zwei Wochen begonnen; er ist ganz aktuell. Nach dem Grundsatz „Stärken stärken!“ sollen bereits vorhandene Cluster auf dem Weg in eine internationale Spitzengruppe unterstützt werden. Diese Spitzencluster werden die gesamte Innovationskette von der Idee bis zum Produkt abdecken. ({7}) Ich freue mich besonders, dass bei diesem Wettbewerb keine thematischen Eingrenzungen stattfinden. Jeder Technologiebereich hat eine Chance. Ausgewählt werden die Kandidaten mit den besten Konzepten für die Märkte der Zukunft. ({8}) Unsere Grundüberzeugung ist: Unsere Wissenschaftler sind nicht auf unsere Ideen angewiesen. Anders herum wird ein Schuh daraus: Wir brauchen die guten Ideen und die Kreativität unserer Wissenschaftler. ({9}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Etat hat ein neues Gesicht. Ich begrüße ausdrücklich die neue Struktur. Sie verdeutlicht unsere drei strategischen Leitlinien: Erstens: Leistungsfähigkeit des Bildungswesen und der Nachwuchsförderung. Das ist das Fundament für eine innovative Gesellschaft und Volkswirtschaft. Das ist Zukunft pur. Zweitens: Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsund Innovationssystems durch die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit unserer Hochschulen, die Exzellenzinitiative, den Hochschulpakt mit der neuen Gemeinkostenfinanzierung - dem Overhead - und die Stärkung der Grundlagenforschung mit der DFG, der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft. So wird unser Wissenschaftssystem weltweit Spitze. Drittens: Forschung und Innovation. Darin sind alle Maßnahmen der Hightechstrategie konzentriert, auch die anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Institute und die Helmholtz-Zentren. Mit all den zusätzlichen Mitteln und neuen Ideen starten wir in die zweite Halbzeit der Legislaturperiode. So gestalten wir die Zukunft Deutschlands. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist nun der Kollege Jörg Tauss für die SPD-Fraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Sitte, Sie haben einen sehr wichtigen Punkt angesprochen: den Zusammenhang zwischen Armut und Bildungschancen von Kindern. Darin stimme ich Ihnen zu; darüber muss eine politische Diskussion geführt werden. Es ist aber keine neue Erkenntnis, sondern das Ergebnis der PISA-Studie, dass es weltweit kein vergleichbares Industrieland gibt, in dem der Bildungserfolg und die Bildungschancen von Kindern stärker von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Status abhängen als bei uns. Deshalb hilft es uns, glaube ich, auch nicht weiter, wenn wir das Problem nur über Armut definieren würden. Wenn wir beispielsweise die Regelsätze erhöhen, dann würde die Zahl der armen Kinder zunehmen. Das würde keinen Sinn machen. Die Lösung besteht vielmehr darin, dass wir niemanden verloren geben. Kollege Willsch, das ist vielleicht das, was uns bei aller Freundschaft in der Koalition unterscheidet. Sie haben an dieser Stelle verstärkt diejenigen mit Spitzenbegabung angesprochen. Diese müssen wir in Deutschland selbstverständlich fördern. Aber wir müssen auch diejenigen fördern, die weniger Chancen haben. Kein Talent darf verloren gehen. Das gilt sowohl für oben als auch für unten. Ich glaube, hier haben wir keinen Dissens. ({0}) Bildung und Betreuung im frühkindlichen Bereich sind genau aus diesem Grund so unglaublich wichtig. Das ist auch einer der Gründe, warum wir in der letzten Regierung das Tagesbetreuungsausbaugesetz auf den Weg gebracht haben und nun weitere Initiativen in diesem Bereich ergreifen. Rheinland-Pfalz will die Kindergartengebühren abschaffen und nimmt damit eine Vorreiterrolle für viele andere Bundesländer ein. Dabei ist Rheinland-Pfalz nicht das reichste Bundesland. Kurt Beck kokettiert immer damit und sagt: Unter den Armen sind wir die Reichsten. - Das ist okay. Aber dieses Bundesland macht reicheren Bundesländern vor, wie man mit Kindergartengebühren zu verfahren hat. Das eröffnet allen Kindern Chancen. ({1}) Wir brauchen nicht darum herumzureden: Wir brauchen in diesem Bereich eine verbesserte Förderung. Es gibt tolle Projekte. Kürzlich haben wir beim Helmholtz-Frühstück über kleine Forscherinnen und Forscher in Kindergärten diskutiert. Dieses Projekt wird nicht mit Mitteln aus einem staatlichen Programm, sondern mit Mitteln der Forschungsorganisationen finanziert. Das halte ich für den besseren Weg, liebe Frau Kollegin Flach, als den amerikanischen, den Sie gehen wollen. Natürlich habe ich auf meinen Reisen in Amerika viel Beeindruckendes kennengelernt. Sie sagen, kümmert euch nicht um Vierjährige - ich wundere mich nun nicht mehr darüber, warum es auf eurem Parteitag einen so großen Krach um die Kindergartengebühren gegeben hat -, sondern um die Zuwanderung. Aber genau dann wäre der amerikanische Weg falsch. Wir müssen vielmehr beides tun. Wir brauchen ein Punktesystem, um dort, wo es notwendig ist, qualifizierte Zuwanderer zu bekommen. Gleichzeitig dürfen wir die Bildung von denjenigen, die unten sind, bis hin zu den Studierenden nicht vernachlässigen. Aber das haben die Amerikaner in den letzten Jahren versäumt. Das wird sie einholen. ({2}) Das amerikanische Bildungssystem ist in der Substanz verrottet. Schon breite Mittelstandsschichten haben dort keine guten Bildungschancen, sodass die Probleme über Zuwanderung gelöst werden müssen. ({3}) - Wenn Sie mir nun bestätigen, dass das nicht das FDPKonzept ist, bin ich einigermaßen erleichtert. Aber Ihre Worte haben etwas anderes vermuten lassen. Sie haben behauptet, wir hätten nicht genügend Mittel für die angesprochenen Qualifizierungsinitiativen im Herbst eingestellt. Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Kritik kommen. Ich bin jedenfalls dankbar, dass Frau Schavan und Franz Müntefering diese Initiativen gemeinsam voranbringen. Wir sind Franz Müntefering außerordentlich dankbar, dass er einen Ausbildungsbonus zum Thema gemacht hat. ({4}) Natürlich müssen wir hier Geld in die Hand nehmen und das auch mit Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit gegenfinanzieren. Ich halte es für wichtiger, mit den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit sinnvolle Maßnahmen zu fördern, als sie für Beitragssenkungen zu verwenden; das wäre plump. Für uns ist das völlig klar. Allerdings besteht hier noch Diskussionsbedarf. ({5}) Liebe Frau Flach, Ihre tränenreichen Ausführungen über die armen Studierenden nehme ich Ihnen nicht ab. Wo Sie regieren, ob in Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen - das gilt auch für Bayern -, werden die Studierenden über Studiengebühren abgezockt. Lassen Sie also das Klagen über die armen Studierenden! ({6}) Lassen Sie uns den Unfug mit den Studiengebühren beenden!

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dafür wäre ich sehr dankbar, weil mir die Zeit davonrennt. - Liebe Frau Kollegin Flach, vielen Dank. Stellen Sie eine Frage, bei deren Beantwortung ich noch möglichst viel ansprechen kann.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Flach, bitte sehr.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Tauss, das Land Nordrhein-Westfalen stellt sehr viele neue Professoren ein, weil es nicht nur Gelder aus dem Hochschulpakt hat, sondern auch 300 Millionen Euro aus dem Studiengebührentopf. Vertreter der Universität Bochum werden mit den schönen Worten zitiert, sie hätten Angst, dass die SPD wieder an die Macht komme; denn die Gelder aus diesem Topf fielen dann weg. Wie stehen Sie denn dazu? ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin Mitglied des Kuratoriums eines sehr wichtigen Instituts an der Universität Bochum. Insofern bin ich dort sehr oft. Aber einen solchen Unfug hat mir dort niemand erzählt. ({0}) Frau Kollegin Flach, Sie sprechen ein ernstes Problem an. Der entscheidende Punkt ist in der Tat: Hochschulen sind unterfinanziert. Die Gesamtgesellschaft kommt ihrem Auftrag, Bildung und Forschung so zu fördern, wie es notwendig wäre, nicht nach, und dann kommt es zur Individualisierung. Ihr Minister hat von einem Freiheitsgesetz gesprochen - das ist die Freiheit, unter Brücken zu schlafen -, aber er hat die Hochschulen erpresst, indem er sagte, sie müssten diesen Kampf individuell austragen. Es gibt noch mutige Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, die dies zugunsten ihrer Studierenden nicht gemacht haben. Vielleicht können wir uns darauf einigen, Frau Kollegin Flach, dass wir angesichts des Rückgangs der Studierendenzahlen in NordrheinWestfalen ({1}) - das wollen wir einmal festhalten -, der problematisch ist, gemeinsam über den Unfug der Studiengebühren nachdenken und den Ländern einen Weg weisen. Das wäre hilfreich. Ich bin stolz darauf: Wo Sozialdemokraten regieren, gibt es keine Studiengebühren. Das ist ein Punkt, den wir an dieser Stelle festhalten wollen. ({2}) Wir haben heute schon eine Reihe von Themen angesprochen. Ich will gerne noch auf einige Details eingehen, die im Zusammenhang mit einer Haushaltsberatung wichtig sind. Neue Instrumente in der Forschungspolitik - die Ministerin und andere haben es angesprochen sind auf den Weg gebracht worden. Ich nenne das Stichwort „Forschungsprämie“. Ein wichtiger Erfolg ist auf europäischer Ebene dadurch erreicht worden, dass die gemeinnützigen Forschungseinrichtungen in den Kreis derer, die eine Forschungsprämie erhalten können, aufgenommen wurden. Ich kann jetzt nur an die Universitäten appellieren - Frau Flach, dazu können auch Sie einen Beitrag leisten, wenn Sie in Nordrhein-Westfalen durch die Gegend touren -, dass sie dieses Instrument noch stärker in Anspruch nehmen und die Mittel abrufen. Hier geht es um die Kooperation mit dem Mittelstand, um kleine und mittlere Unternehmen stärker zu fördern. Wir sollten gemeinsam dafür werben, dass sie dies tun. Ich sage den Haushältern, lieber Kollege Hagemann - den Kollegen Willsch sehe ich gerade nicht -, ausdrücklich: Uns geht es nicht nur darum, Geld einzunehmen. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, gemeinsam mit dem ganzen Haus zu schauen, ob die Instrumente, die neu eingeführt worden sind, eine entsprechende Wirkung entfalten oder ob wir möglicherweise in dem einen oder anderen Bereich, wenn sie nicht funktionieren, ein anderes Instrument brauchen. Kollegin Flach hat natürlich recht, wenn sie sagt, dass wir immer noch ein Problem haben. Das Ganze ist nicht ein Problem der Bundesregierung, sondern ein Problem der deutschen Wirtschaft, der es gelegentlich an Innovationskraft und Ideen mangelt. Ich nenne als Stichworte Fax, Mikrowelle, MP3-Player usw. In diesen Fällen hat die Wirtschaft eben nicht Erkenntnisse der Grundlagenforschung in Produkte umgesetzt, obwohl sie vorhanden waren. Wir müssen über diese Transferlücke diskutieren, zumal wir wissen, dass in der Grundlagenforschung das Risiko für Ausgründungen und potenzielle Kapitalgeber in der Frühphase noch relativ groß ist. Wir sollten überlegen, ob es hier eines ergänzenden Instruments bedarf. Es gibt dazu Vorschläge. Ich nenne das Stichwort „Innovationsforen“. Darüber sollten wir unvoreingenommen diskutieren. Was Frau Hinz - ich sehe die Kollegin im Moment nicht; berichten Sie es ihr bitte - zum Bruttoinlandsprodukt gesagt hat, war schlicht falsch. Selbstverständlich ist es so, dass wir aufgrund der erfreulichen Tatsache, dass das Bruttoinlandsprodukt wächst, unsere Mittel aufstocken, wenn wir das Ziel haben, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der Klausurtagung. Wir werden im nächsten Jahr mit 2,7 Prozent einen Schritt nach vorne machen und im Jahr 2009 2,8 Prozent erreichen. Ich habe jetzt noch ungefähr acht DIN-A4-Seiten vorzutragen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dafür wird die Zeit nicht mehr reichen.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, wie wir das hinbekommen sollen. Aus diesem Grund ein klares Bekenntnis: Im Bereich der Bildung müssen wir uns um die bildungsfernen Schichten kümmern. Im Bereich der Forschung müssen wir uns um die kümmern, die Spitzenforschung betreiben, aber nicht um diese allein. Wir müssen die Forschung in Deutschland in der Breite aufrechterhalten. Die berufliche Bildung ist ganz wichtig; ich sage das ausdrücklich. Es geht unter anderem um die Qualifizierungsbausteine, ferner darum, was wir mit den Jugendlichen machen und wie wir die Mittel einsetzen, die von der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt werden. Das sind unsere Herausforderungen. Mit diesem Haushaltsentwurf sind wir in all diesen Punkten auf einem richtigen Weg. Das halte ich für das wichtige Signal dieser Haushaltsberatungen. Wir haben Geld für Zukunftsinvestitionen in Deutschland. Auf den Gebieten Bildung, Wissenschaft und Forschung setzt diese Regierung - lieber Kollege Rossmann, Sie haben es angemahnt - den erfolgreichen Weg, den Vorgängerregierungen eingeschlagen haben, kontinuierlich fort. Sie schauen so entsetzt, Kollegin Aigner.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war praktisch der Schluss, Frau Präsidentin. Die Kollegin Aigner schaut immer so entsetzt, wenn ich von Kontinuität spreche. Ich wollte das jetzt gar nicht vertiefen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das können Sie anschließend gern vertiefen, Herr Kollege.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Einzelplan. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12. Als erstem Redner erteile ich das Wort Herrn Bundesminister Wolfgang Tiefensee.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Der Einzelplan 12 in nüchternen Zahlen ist wiederum der größte Investitionshaushalt des Bundes. Es ist nicht nur der größte Investitionshaushalt, sondern, verglichen mit den Etats aller anderen Ministerien, auch der viertgrößte Einzelhaushalt. Wir schlagen vor, in diesem Jahr 13 Milliarden Euro für Investitionen auszugeben. Damit stärken wir das Rückgrat der Wirtschaft und ermöglichen, dass die Wirtschaft in den Bereichen Verkehr, Bau und Stadtentwicklung floriert. Das kommt bei den Menschen an. Das brauchen wir, damit der Aufschwung, den wir in diesem Jahr konstatieren, sich in der nächsten Zeit kräftig fortsetzt. ({0}) 13 Milliarden Euro Investitionen, das bedeutet, dass wir im Einzelplan 12 im investiven Bereich aufstocken, während wir im konsumtiven Bereich zurückfahren. Sollte im Redemanuskript eines Oppositionspolitikers stehen, dass der Haushalt insgesamt um 1,8 Prozent sinkt, dann streichen Sie das gleich. Wir arbeiten nämlich vorbildlich: Wir schnallen den Gürtel enger hinsichtlich der konsumtiven Ausgaben - minus 450 Millionen Euro -, während wir andernorts um über 300 Millionen Euro aufstocken, weil wir glauben, dass wir stärker investieren müssen, wenn wir Deutschland voranbringen wollen. ({1}) Diese Zahlen allein genügen aber nicht. Was verlangt werden kann, ist eine strategische Ausrichtung. Wo wollen wir mit diesen Geldern eigentlich Akzente setzen? Wir kümmern uns um einen sogenannten Masterplan Güterverkehr und Logistik, der die strategische Ausrichtung im Verkehr in Bezug auf die Gütermassen, die wir bewältigen müssen, aufzeigt und gleichermaßen den Klimaschutz im Blick behält. Darüber hinaus werden wir dafür Sorge tragen, dass Menschen, egal wie viel sie im Portemonnaie haben, auf den Transport, auf die Mobilität zurückgreifen können. Das Gleiche gilt für den Städtebau und das Bauen allgemein. Auch hier setzen wir strategische Akzente, die über das Jahr 2008 hinausweisen und Deutschland im Klimaschutz, aber auch bei der Entlastung der Mieterinnen und Mieter voranbringen sollen. Das ist eine kluge Politik, eine strategische Linie, die auch beim Bürger ankommt. So wollen wir das auch im Jahre 2008 halten. ({2}) Lassen Sie mich jetzt ganz kurz einige Stichworte aus den Einzeletats aufgreifen. Zum Verkehrsbereich. Wir verstetigen und lassen aufwachsen die Investitionen für die drei Verkehrsträger: die Straße, die Schiene und die Binnenwasserstraße. Wir investieren stabil in die Straße: 4,6 bzw. 4,7 Milliarden Euro. Wir investieren in die Schiene. Auch auf diesem Gebiet kommt es zu einem Aufwuchs. Unsere Mittel hierfür liegen mittlerweile bei 3,6 Milliarden Euro. 2,5 Milliarden Euro fließen in den Erhalt der Schiene, und eine reichliche Milliarde wird in Aus- und Neubauten investiert. Wir investieren mehr in die Binnenwasserstraße, weil wir wissen, dass dort Defizite sind. Bei der Straße steuern wir Schritt für Schritt um vom Neubauschwerpunkt hin zum Erhalt, weil wir wissen, dass wir die Defizite der letzten Jahre beseitigen müssen. Es kann nicht sein, dass wir allein deshalb im Stau stehen, weil der Zustand der Straßen immer schlechter wird. Aus diesem Grund dort ein starkes Investment! Wir fördern den Lärmschutz. Immer mehr erwächst aus der Lärmbelastung auf der Schiene eine Belastung für den Bürger. Aus diesem Grund eine Aufstockung dieser Mittel! 100 Millionen Euro geben wir für aktiven und passiven Lärmschutz aus. Wir werden auch nicht nachlassen, an den neuralgischen Punkten, dort, wo die Schiene mitten durch die Stadt geht, Maßnahmen zu treffen, damit die Bürger entlastet werden. Auch hier gilt wieder: Mobilität und Logistik dürfen nicht zulasten des Bürgers gehen; soweit Geld vorhanden ist, werden wir es in diesem Bereich investieren. ({3}) Wir brauchen private Partner, Public-Private Partnership. Die Maßnahme A 8 ist in Gang gesetzt. Die Maßnahme A 4 ist unmittelbar in der Vorbereitung. Wir wollen nicht nur die Verbreiterung von Autobahnen, sondern sogar auch den Neubau von Autobahnen mit diesem neuen Finanzierungsinstrument realisieren. Wir investieren in die Revitalisierung, in den Ausbau von Gleisanschlüssen zu den Unternehmen. Wir investieren in den kombinierten Verkehr - 10 Millionen obendrauf -, weil wir wissen, dass wir die Schiene nur dann attraktiv machen, wenn sie als Punkt-zu-Punkt-Verbindung genutzt werden kann. Wir investieren in solche Systeme wie GMES - Umweltbeobachtung -, Galileo - dort leisten wir unseren ersten Beitrag -, vor allen Dingen aber auch in den Klimaschutz, nämlich mit unserem Wasserstoff- und Brennstoffzellenprogramm. Auch die Verkehrssicherheit kommt nicht zu kurz. Hier werden wir nennenswerte Millionenbeträge investieren, um aufzuklären und für Sicherheit zu sorgen. Wir setzen Akzente im Städtebau. Es gibt ein neues Programm im Jahr 2008. 40 Millionen Euro stecken wir in ein Programm Aktive Stadt- und Ortsteilzentren. Wir wollen im Wettbewerb zwischen der grünen Wiese und dem Innern der Stadt Akzente setzen. Wir verstetigen das Programm Soziale Stadt. Wir verstetigen das Programm zum Stadtumbau Ost. Wir werden bei der Einbringung des Berichts zur deutschen Einheit sicherlich ausführlicher über den Osten sprechen können. An dieser Stelle sei schon einmal gesagt: Die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen und auch die Investitionen in den Stadtumbau Ost kommen den neuen Bundesländern zu11680 gute und führen dazu, dass der Aufschwung verstetigt und dynamisiert wird. ({4}) Wir stecken Geld in den städtebaulichen Denkmalschutz und wollen im Jahr 2009 aus dem Ostprogramm ein Programm für Ost und West machen, weil wir wissen, dass auch im Westen investiert werden muss. Im Städtebau also nicht nur Verstetigung, sondern auch Aufwuchs, sowohl in den Investitionen als auch in den Pilotprojekten. Wir sind stolz darauf, dass wir einer negativen Tendenz der Stadtentwicklung, einem Auseinanderdriften von Stadtteilen und Städten entgegenwirken können. Natürlich bewegt in diesen Tagen ein besonderes Thema die Medien, die Bevölkerung und nicht zuletzt auch den Bundestag mit seinen Fraktionen: die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG. Wenn wir über Klimaschutz reden und darüber, wie wir die gigantischen Herausforderungen bei der Bewältigung der Güterverkehre in der Zukunft gewährleisten wollen, kommen wir um eine Neuausrichtung und eine Stärkung unserer DB AG nicht herum. ({5}) Deshalb bin ich froh, dass die Koalitionsfraktionen in einer Entschließung im November noch einmal bekräftigt haben, welche Ziele wir verfolgen. Wir wollen mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene bringen. Wir wollen dieses effiziente und klimaschonende Verkehrsmittel weiter ausbauen. Wir wollen uns in Europa stark aufstellen, wollen aber natürlich auch in Deutschland unseren Verpflichtungen als Dienstleister gerecht werden. Die Taktfrequenzen in der Fläche sollen genauso stabil bleiben - vielleicht sogar noch verbessert werden - wie die Investitionen in die Fernverkehre. Wir wollen den Güterverkehr in Deutschland genauso im Blick behalten wie die Herausforderungen in Europa. ({6}) Darüber hinaus wollen wir die Investitionen, die der Bund tätigen kann und tätigen muss, begrenzen. Wir haben nicht genug Steuergelder. Wir haben nicht genug öffentliches Geld, um diesen Auftrag mit der DB AG erfüllen zu können. Aus diesem Grund werden wir uns mit Privaten verbinden, um Geld frei zu machen, die Deutsche Bahn AG zu einem Dienstleister im Inland und im Ausland voranzubringen. Ich bin den Kollegen Fischer und Beckmeyer dankbar, dass wir in der Vergangenheit sehr konstruktiv an diesem Thema gearbeitet haben, das wie kein zweites in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Lassen Sie uns alle Möglichkeiten nutzen, deutlich zu machen, dass wir einen starken, integrierten Konzern haben wollen, der dem Wettbewerb standhält, dass das Eigentum an den Infrastrukturunternehmen, an Netz und Stationen beim Volk, beim Bund bleibt, die Arbeitsplätze sicher sind und die DB AG trotz des geöffneten Markts in Europa außerhalb Deutschlands Fuß fassen kann. Darüber werden wir in den nächsten Tagen und in der Zukunft diskutieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen werden. ({7}) Der Einzelplan 12 ist der Investitionshaushalt. Ich will zum Schluss nicht verhehlen, dass, sollte irgendwo noch ein Euro zu finden sein, er bei der Infrastruktur immer wieder gut angelegt ist. Ich freue mich auf intensive, erfolgreiche und gute Verhandlungen über den Einzelplan 12. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Claudia Winterstein für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus - so in etwa könnte man die derzeitige Lage im Verkehrsministerium beschreiben. Die Privatisierung der Bahn AG steht an und soll zum Höhepunkt Ihrer Amtszeit werden, Herr Minister. Da auch Ihnen die Auflösungserscheinungen in der schwarz-roten Koalition nicht entgangen sein können, ({0}) wollen Sie die Bahn lieber heute als morgen zu Geld machen. Für uns Haushälter und für den Steuerzahler stellt sich die Situation allerdings deutlich anders dar: Ihre Pläne zur Privatisierung der Bahn bedeuten vor allem ein riskantes und teures Spiel auf Kosten der Bahnversorgung und der Steuerzahler. ({1}) Rund 5 Milliarden Euro soll der Verkauf von Bahnanteilen einbringen. ({2}) Mindestens 8 Milliarden Euro würde der Bund aber für den Rückkauf in 15 Jahren bezahlen müssen ({3}) ein völlig absurder Plan. ({4}) Sie wollen öffentliches Eigentum zum Spottpreis verschleudern, das später teuer zurückgekauft werden muss, falls sich in 15 Jahren überhaupt ein Finanzminister auf dieses Spiel einlässt. Ansonsten würde sich der Bund endgültig vom Schienennetz verabschieden. ({5}) Doch nicht nur haushaltspolitisch, sondern auch ordnungspolitisch führt Ihre geplante Privatisierung an den Erfordernissen einer leistungsfähigen Bahn vorbei. Subventioniert durch Steuergelder stärken Sie die Bahn AG als Monopolisten auf der Schiene, ({6}) der über Trassenpreise und Nutzungsbedingungen seiner Konkurrenten bestimmen darf. Das ist so, als würde man die Verantwortung über die Autobahnen an VW übergeben, und VW verlangt dann Gebühren von den Fahrern anderer Automarken, damit sie überhaupt auf der Autobahn fahren dürfen. ({7}) Die FDP ist grundsätzlich für eine Privatisierung der Bahn; das wissen Sie. Nur, das Netz muss vollständig beim Bund bleiben, sonst schaffen Sie Milliardenrisiken für den Bundeshaushalt, gefährden die Versorgung und verhindern den Wettbewerb. ({8}) Wettbewerb ist nur möglich, wenn das Netz vollständig in der Verantwortung des Bundes bleibt. ({9}) Nur dann ist ein fairer Zugang für alle Eisenbahnunternehmen zur Schiene möglich, nur dann wird Bahnfahren günstig, nur dann ist eine flächendeckende Versorgung durch die Schiene gewährleistet. Bei all den Argumenten gegen Ihr Privatisierungskonzept ist es kein Wunder, dass Sie außer Ihrem ehrgeizigen Mitstreiter Hartmut Mehdorn kaum Freunde für Ihr Projekt gewinnen können. Dass sich fast alle Länderregierungen, große Teile Ihres Koalitionspartners und sogar große Teile Ihrer eigenen Fraktion im Deutschen Bundestag hartnäckig gegen das Gesetz wehren, sollte Ihnen ernsthaft zu denken geben, Herr Minister. ({10}) Während Sie in Sachen Bahnprivatisierung dabei sind, Milliardenbeträge zu verschleudern, fehlen die Gelder an anderer Stelle: Das Straßennetz behandeln Sie wie ein ungeliebtes Stiefkind. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs und steigender Mobilität stellen Sie wieder weniger Geld für die Straße zur Verfügung - weniger und nicht mehr, Herr Tiefensee! ({11}) Sie haben eben dargelegt, dass die Ausgaben für die Verkehrsinvestitionen im Haushaltsentwurf 2008 gegenüber dem Haushalt des Jahres 2007 steigen. Das ist richtig, auch wenn nur minimale 216 Millionen Euro dabei herauskommen. Gemäß der Finanzplanung bis 2011 aber wollen Sie weniger investieren, und darunter leidet allein die Straße. Was sollen also die Märchen, die Sie uns eben erzählt haben? ({12}) Bereits in der Planung für 2008 senken Sie die Straßeninvestitionen auf 4,7 Milliarden Euro ab, bis 2011 sogar auf nur noch 4,5 Milliarden. Das sind die Zahlen. Zur Erinnerung: 2004 waren es noch deutlich über 5 Milliarden Euro. Dabei wissen wir alle: Die Anforderungen an die Straße werden in den nächsten Jahren deutlich wachsen. Deutschland stellt eine zentrale Drehscheibe in Europa dar. Sowohl der Güter- als auch der Personenverkehr werden stark zunehmen. Viele Autobahnabschnitte und Bundesstraßen sind in einem miserablen Zustand und müssen dringend modernisiert werden. 15 Prozent der Brücken befinden sich in einem kritischen Zustand. Wichtige Neubau- und Ausbauprojekte liegen auf Eis. Deutschland ist Stauland, und das verursacht Milliardenschäden für unsere Volkswirtschaft. ({13}) Sie lassen das Straßennetz verkommen. Das ist Ihre verantwortungslose Politik, Herr Tiefensee. Und das, obwohl die Lkw-Maut dieses Jahr Rekordsummen in die Kasse spülen wird: 3,4 Milliarden Euro planen Sie für 2008 im Haushalt ein. An dieser Stelle will ich daran erinnern: Die Mauteinnahmen waren ursprünglich als zusätzliche Mittel für die Infrastruktur vorgesehen. Daran haben Sie sich nicht gehalten. Im Ergebnis liegen die gesamten Investitionen für Schiene, Straße und Wasserstraße jetzt 0,5 Milliarden Euro unter dem Betrag von 2004, als es die Maut noch gar nicht gab. ({14}) Hätten Sie die Mautmittel tatsächlich zusätzlich verwendet, so könnten wir jetzt statt 9,1 Milliarden ganze 12,5 Milliarden Euro investieren. Das wären fast 40 Prozent mehr.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- Ja. - Dieser Mautbetrug ist ein weiteres Ergebnis schwarz-roter Verkehrsbehinderungspolitik. Danke sehr. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Winterstein, ich muss Sie leider enttäuschen: Die schwarz-roten Auflösungserscheinungen, die Sie feststellten, gibt es nicht. ({0}) Diese Koalition steht fest und eng zusammen. ({1}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({2}) Wenn Sie sich Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung machen, muss ich Sie leider bis 2009 vertrösten. Seien Sie sicher, wir werden auch in der Frage der Bahnreform eine gute, den Interessen der Menschen, der Steuerzahler, der Wirtschafts-, Ordnungs- und Verkehrspolitiker angemessene Lösung finden. ({3}) Ich kann Sie da beruhigen. Ab nächster Woche beginnt darüber die Diskussion hier im Hohen Haus. Wenn Experten gefragt werden, was denn die Grundlagen des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind, dann nennen sie im Wesentlichen zwei entscheidende: Eine Grundlage bilden - darüber wurde schon in der vorigen Debatte gesprochen - gut ausgebildete, motivierte und fleißige Menschen. Dass wir die brauchen, ist inzwischen in den Köpfen der Menschen angekommen. Als zweite Grundlage für die derzeitige und zukünftige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland werden die gute Infrastruktur, die Versorgung mit Energie und die Kommunikationsnetze genannt. All dies ermöglicht Mobilität und logistische Höchstleistungen. Das scheint allerdings bei vielen noch nicht so richtig angekommen zu sein. ({4}) Deswegen ist es, wie ich glaube, Aufgabe auch der Politik, deutlich zu machen, wie wichtig Investitionen in den Infrastrukturbereich sind. Erst wenn Streiks am Horizont erscheinen, wie beispielsweise vor einigen Wochen der Streik der GDL, entsteht große Aufregung. Erst dann erkennt man, wie wichtig Logistik und Mobilität für die wirtschaftliche Entwicklung sind. Sie stellen sozusagen den Lebenssaft der Wirtschaft dar. Meine Damen und Herren, die Zunahme des Güterverkehrs in Deutschland - sie ist auch im Jahr 2007 dramatisch; es ist die stärkste Zunahme seit der Wiedervereinigung - ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass wir in Deutschland und Europa einen wirtschaftlichen Aufschwung haben, sondern auch darauf, dass es zu einer verstärkten Einbindung Deutschlands und Europas in die globalisierte, immer feingliedriger werdende Arbeitsteilung kommt. Darin liegt eine Herausforderung - denn als Transitland müssen wir entsprechende Korridore schaffen -, darin liegt aber auch eine Chance, die große Chance, dass in Deutschland im Logistik- und Mobilitätsbereich, der schon heute nicht unterschätzt werden darf, durch Wertschöpfung Arbeitsplätze geschaffen werden können. Lassen Sie uns, wie die Bundeskanzlerin gestern in ihrer Rede gesagt hat, diese Chancen nicht nur erkennen, sondern auch ergreifen. Wir werden Sie, Herr Minister, in den nächsten Wochen bei Ihren Bemühungen unterstützen, die Mittel im Verkehrsbereich zu verstärken. Sie haben uns, die Verkehrspolitiker, in dieser Frage an Ihrer Seite. Da ich gerade vom Ergreifen von Chancen gesprochen habe, möchte ich Ihnen, Herr Minister, ganz herzlich danken und zu dem Ergebnis gratulieren, das Sie in der letzten Woche erzielt haben: Ich meine den Durchbruch beim Transrapid. Viele haben nicht mehr daran geglaubt. Ich danke Ihnen, dass Sie ein Machtwort gegenüber all denen gesprochen haben, die Zweifel hatten. Ich danke Ihnen, dass Sie sich offensichtlich beim Finanzminister, der Bedenken geäußert hat, durchsetzen konnten und gesagt haben: 925 Millionen Euro kommen auf den Tisch des Hauses. ({5}) Ich bin überzeugt: Mein Kollege und Namensvetter Horst Friedrich von der FDP würde Ihnen, wenn das Transrapidprojekt gescheitert wäre, vorwerfen, das sei eine persönliche Niederlage. Mit dem gleichen Recht sage ich: Es ist Ihr persönlicher Erfolg, dass dieses Projekt durchgesetzt wird. ({6}) Deutschland beweist in dieser Frage seine Innovationsfähigkeit. ({7}) Es gibt zwar eine kleine Finanzierungslücke; aber Sie kennen den Spruch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Auch wenn es zusätzliche Risiken geben mag, bin ich sicher, dass wir ein partnerschaftliches Miteinander zwischen Bund und Freistaat Bayern erleben werden. Herr Minister, Sie haben das Thema Masterplan Logistik angesprochen. Auch dazu gibt es erste Zwischenergebnisse. Interessante Teilaspekte wurden bereits genannt. Ich nenne die Entmischung der Güterverkehre auf Schiene und Straße. Dies ist ein interessanter Bereich, über den wir verstärkt diskutieren sollten. Es muss nicht immer alles so bleiben, wie es in den letzten Jahrzehnten war. Die Bestanderhaltung unserer Fernstraßen und Schienen ist ein wichtiger Aspekt, der immer mehr in das Blickfeld gerät, vor allem dann, wenn man sich anschaut, welche Mittel notwendig sind, um das Streckennetz zu erhalten. Ein weiterer wichtiger Teilaspekt ist die Parkplatzsituation der Lkws an den Bundesautobahnen. Wir sollten uns aber davor hüten, ein Sammelsurium an Teilaspekten aufzuhäufen und nach dem Motto „Gut, dass wir darüber gesprochen haben“ abzuheften. Wir brauchen ein Gesamtkonzept; jetzt wird dafür die Vorarbeit geleistet. Bestimmte Dinge müssen vor die Klammer gezogen werden: beispielsweise die wichtig bleibende Frage der Beschleunigung von Planungsverfahren. Die Wettbewerbsfähigkeit der Logistik hängt von der Geschwindigkeit ab. Deswegen ist es gerade in diesem Bereich notwendig, Logistikeinrichtungen jeder Art möglichst schnell, möglichst beschleunigt realisieren zu können. Ich halte das für ganz wichtig. Ich nenne den Bereich des Lärmschutzes; dies wurde schon angesprochen. Mobilität und Verkehr benöDr. Hans-Peter Friedrich ({8}) tigen die Akzeptanz der Bevölkerung. Deswegen müssen wir nicht nur bei den Lärmschutzeinrichtungen an Schienen und Straßen, sondern auch beim Lärmschutz durch technische Neuerungen an den Fahrzeugen etwas tun, und zwar nicht nur einseitig zulasten der deutschen Unternehmen, etwa der deutschen Eisenbahnunternehmen. Vielmehr müssen auch diejenigen Europäer, die durch Deutschland fahren wollen, in die Pflicht genommen werden. Wer wie in allen Bereichen mit knappen Mitteln umgeht, muss Prioritäten setzen. Wir haben das nach der deutschen Wiedervereinigung getan. Damals ging es darum, möglichst rasch die neuen Länder mit Verkehrsleistungen zu versorgen, mit Autobahnen und Fernstraßen. Wenn ich heute von hier in meinen Wahlkreis fahre, über Leipzig bis nach Hof, dann freue ich mich immer über den guten Zustand der Autobahnen in den neuen Ländern. Die Freude wird aber getrübt, wenn ich über die Autobahnen in den alten Bundesländern fahre und auf fehlende Lückenschlüsse, schlechte Fahrbahnbeläge und Brückenbauwerke treffe, denen man schon ansieht, dass sie eigentlich zu alt sind und dringend erneuert werden müssten. Ich halte es für notwendig, dass wir jetzt einmal überlegen, wie wir mit diesem Zustand umgehen. Wenn ich - auch in den neuen Ländern - mit den Menschen rede, stelle ich fest: Sie verstehen, dass man die Qualität der Bundes- und Fernstraßen sowie der Autobahnen in den alten Ländern an den hohen Standard, den wir in den neuen Ländern erreicht haben, angleichen muss. Deswegen unterstütze ich ausdrücklich die Forderung des bayerischen Innenministers Beckstein, ein Angleichungsprogramm sozusagen vor die Klammer zu ziehen, wie wir es bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit gemacht haben, oder die VIFG mit Kreditfähigkeit auszustatten, jedenfalls ein mehrjähriges Programm zur Ertüchtigung und zur Erneuerung der Fernstraßen in den alten Ländern aufzulegen. ({9}) Lassen Sie mich einige Worte zum Thema Umwelt sagen, das, meine Herren Minister, ({10}) bei Ihrer Klausur in Meseberg eine wesentliche Rolle spielte. Fast zwei Drittel des Energieverbrauchs fallen in den Bereichen des Verkehrs und der Gebäude an. Deswegen ist es richtig, dass wir da etwas tun. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist eine Erfolgsgeschichte. Wenn die mir vorliegenden Zahlen richtig sind, wurden allein im Jahr 2006 die Sanierungen von 265 000 Wohnungen mit diesem Programm unterstützt. Dieses Programm ist heute viermal so hoch wie im Jahr 2005 - dem Zeitpunkt des Eintritts der CDU/CSU in die Regierung - ausgestattet. Man erkennt also die klare Handschrift unserer Partei im Bereich der Ökologie. ({11}) Ich denke, die Vervierfachung der Investitionen im Gebäudebereich kann sich sehen lassen. Jetzt muss es darum gehen, Stück für Stück die Sanierung des Gebäudebestandes nach dem Stand der Technik vorzunehmen. Ich warne aber dringend vor Verunsicherung. Wir brauchen bei diesem Unternehmen die Partnerschaft der Bürger. Wir wollen zusammen mit den Bürgern, den Vermietern und den Hauseigentümern einen neuen, hohen Standard erreichen. Da macht es relativ wenig Sinn, wenn der Bundesumweltminister mit starken Sprüchen Mieter und Vermieter polarisiert. ({12}) Wir haben die große Chance, eine Gewinnersituation für die Eigentümer, die Mieter und die Umwelt zu erzeugen. Wir dürfen diese Chance nicht verspielen, indem Einzelne versuchen, sich links zu profilieren. Vielmehr sollten wir alle uns dem Ziel verschreiben und der Sache dienen. Zwangsmaßnahmen sind dabei nicht notwendig. Lieber Herr Tiefensee, nachdem Sie beim Transrapid erfolgreich ein Machtwort gesprochen haben, bitte ich Sie, auch in einer anderen Frage ein Machtwort zu sprechen, nämlich bei der Einbeziehung des Wohneigentums in die staatliche Förderung. Aus ideologischen Gründen wird hier leider immer noch blockiert. Wir brauchen eine solche Förderung aber dringend: In diesem Jahr gab es allein in den ersten sechs Monaten einen Rückgang des Wohnungsbaus um 38 Prozent. Das kann so nicht weitergehen. Es muss ein Signal für den Wohnungsbau gesetzt werden, auch in der Frage der staatlichen Förderung des Wohnungsbaus, und zwar ohne Antasten der Wohnungsbauprämie. Im Übrigen denke ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Minister, und den Kollegen, die im Haushaltsausschuss an der Front stehen, alles Gute bei den weiteren Beratungen in den nächsten Wochen. ({13}) Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Wir reden hier in der Tat über den bedeutendsten Investitionshaushalt des Bundes. Darin steht sehr viel Vernünftiges, das die Unterstützung meiner Fraktion erfahren wird. Das sagt aber natürlich noch nichts über die Arbeit Ihres Ministeriums. ({0}) Schließlich reden wir hier über Steuergelder, und die haben Sie ja nicht mit dem Cello eingespielt, Herr Bundesminister - bei allem Respekt. Solange Sie über die größte Gießkanne dieser Republik verfügen, müssen Sie sich von uns und der Öffentlichkeit natürlich über das Wachstum der Pflanzen befragen lassen. Das ist alles andere als Majestätsbeleidigung. Deutschland, sagte die Bundeskanzlerin gestern, habe Grund zur Zuversicht. Ihr Ostbeauftragter bestätigte das hier. Ich will Ihnen zunächst sagen: Für sehr viele Menschen - gerade in den neuen Bundesländern, aber nicht nur dort - ist die Lebenswirklichkeit eine andere. Solange es im Osten eine verstetigt doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie im Westen gibt, sich die Abwanderung - vor allem junger qualifizierter Frauen - fortsetzt und Löhne, Gehälter und Renten zum Teil unter dem Existenzminimum gezahlt werden, ist dort kein sozialer Frieden in Sicht. Minister Tiefensee meint nun - das ist gewissermaßen sein erklärtes Erfolgsrezept -, dem Osten zu nutzen, indem er den Wessis die Sorgen, die sie mit den Ostdeutschen haben, weglächelt. „Don’t worry, be happy“ von Festvortrag zu Festvortrag. Manche meinen, Tiefensee macht dabei eine gute Figur. Die Ostdeutschen fragen sich allerdings, warum er nicht lieber etwas für sie tut. ({1}) Deshalb komme ich jetzt zu einigen Haushaltsposten im Einzelnen. Ein entscheidendes Kapitel in diesem Etat heißt - ich hoffe, das wird noch eine Weile so bleiben -: „Eisenbahnen des Bundes“. Wir geben hier viele Steuergelder für die Bahn aus. Durch das Kapitel „Eisenbahnen des Bundes“ wird aber die Frage aufgeworfen, wer hier der Bund ist. Inzwischen redet eine Volkspartei, nämlich die SPD, von Volksaktien bei der Bahn. Nebenher gesagt: Diese Volkspartei wird in der Heimat von Wolfgang Tiefensee inzwischen bei 8 Prozent gehandelt. Herr Minister, Sie meinen immer noch, das als eine kluge Politik verkaufen zu können, die bei den Leuten ankommt. Ich habe hier doch meine Zweifel. Wenn jetzt also über Volksaktien nachgedacht wird, dann muss doch die Frage gestattet sein, warum das Volk Aktien für Sachen kaufen soll, die ihm ohnehin gehören. Warum sollte das einen Sinn machen? ({2}) Statt über Volksaktien zu debattieren, sollten wir die Bahn lieber beim Volk, also beim Bund, belassen und uns um mehr Qualität kümmern, also beispielsweise auch den Zustand der Bahnhöfe verbessern. ({3}) Im nächsten Jahr sollen die Würfel in Sachen Bahnprivatisierung fallen. Die Börse soll es richten. Wenn Ihnen die Ereignisse um die IKB und die Sächsische Landesbank noch nicht die Augen geöffnet haben, dann muss man es wohl noch einmal sagen: Wer die Bahn heute den Hedgefonds aussetzt, der treibt sie in ein solches Fahrwasser wie das, in dem auch die Landesbank in Sachsen untergegangen ist. ({4}) - Seitdem Ihnen Herr Müntefering hilfreicherweise den Spruch mit den Heuschrecken zugedacht hat, denken Sie wohl, dass Sie aus dem Problem herauskommen. Natürlich wird eine solche Privatisierung, wie Sie sie angedacht haben, all die Probleme mit sich bringen. Davor warnen wir ausdrücklich. ({5}) Dabei gibt es im Hause Tiefensee doch auch blitzgescheite Erkenntnisse. Er hat es gegenwärtig mit einem sehr peinlichen Vorgang zu tun: Der Neubau seines Ministeriums muss saniert werden. Der oberste Bauherr des Landes sitzt in einem schon wieder sanierungsbedürftigen Haus. ({6}) Sie haben seinerzeit die Bauaufsicht aus der Hand gegeben, und die Versicherung zahlt nur einen Teil. Nun lese ich im Bericht des Ministeriums über diesen Vorgang wörtlich: Dieses Modell einer sehr weitgehenden Verlagerung der Bauherrenaufgaben von der staatlichen Bauverwaltung auf private Büros hat sich nicht bewährt. Herr Bundesminister, wenn sich ein solches Vorgehen, eine solche Privatisierung, nicht bewährt hat, könnten Sie nun die richtige Lehre ziehen und diese Logik auch bei der Bahn anwenden. Stattdessen haben Sie einen Verkauf unter Wert vor. Mit Aurelius haben Sie das jetzt schon vollzogen. Die Risiken sollen beim Staat bleiben, die Gewinne werden privatisiert. Jetzt ist vielleicht - ich weiß, dass nicht nur in meiner Fraktion so gedacht wird - die letzte Chance, den Zug dieser Zwangsprivatisierung der DB AG noch anzuhalten. Nutzen wir diese Chance! ({7}) Stichwort Transrapid. Als Ingenieur bin ich immer den Verlockungen der neuen Technik ausgesetzt. Wenn aber heute - wir leben nicht im 19. Jahrhundert - eine Technologie 30 Jahre lang im Angebot ist und keine Nachfrage erfährt, dann stimmt damit etwas nicht. ({8}) Dann haben wir es mit einer Sackgasse zu tun, aus der wir herauskommen sollten, bevor wir 1 Milliarde Euro verpulvern. ({9}) Ich würde mir natürlich wünschen, dass das noch in der Amtszeit von Edmund Stoiber geschieht, weil er das wahrscheinlich wieder in unnachahmlicher Weise kommentieren würde. ({10}) Stichwort Maut. Es ist schon vergessen, dass dem Bund bei der Einführung etliche Milliarden Euro entgangen sind. Wir reden jetzt über Schiedsverfahren. Im Haushalt 2008 ist aber noch immer kein Geld eingestellt, das als Ergebnis aus diesen Schiedsverfahren erwartet wird. ({11}) Das Mindeste an dieser Stelle wäre, dass der Bund die Konsequenzen zieht und diejenigen Unternehmen, die am Schiedsverfahren beteiligt sind, von Zuwendungen des Bundes im Jahre 2008 ausnimmt. Das könnten wir sehr wohl tun. Stichwort Galileo. Dieses Projekt wird hier vom Minister gefeiert. Ich sehe aber wirklich keinen Grund dafür. Wie staatsnahe Monopolisten mit Regierung und Parlament umgehen, hat - nebenbei gesagt - mit Marktwirtschaft nichts zu tun. ({12}) Es ist schon reichlich obskur, dass Ihnen ein Sozialist das dauernd erklären muss. Stichwort Gebäudesanierungsprogramm. Hier stehen wir mit vielen Kolleginnen und Kollegen nicht auf der Bremse, sondern auf dem Gaspedal. Seit 2006 fordern wir eine Erhöhung der Mittel für dieses Programm. Sie haben unsere Anträge im Parlament immer abgelehnt. ({13}) Aber hinterher haben Sie sie doch umgesetzt, indem Sie die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm erhöht haben. Wenn es den kleinen und mittelständischen Unternehmen und der Umwelt nützt, können wir mit diesem Verfahren gerne so weitermachen. Noch einige Worte zur Lage in den neuen Bundesländern. Es naht wieder der 3. Oktober, und es nahen die Festreden. Fakt ist: Die Prognos AG - das ist nun wirklich keine linke Filiale - hat einen Zukunftsatlas 2007 erstellt; das ist ein Ranking aller Landkreise und kreisfreien Städte der gesamten Republik. Unter den 138 Städten und Kreisen, die beste bis gute Zukunftschancen haben, kommen nur vier aus dem Osten. ({14}) Auf der anderen Seite befinden sich unter den 49 Städten und Kreisen, für die ein hohes Risiko festgestellt wird, 48 aus dem Osten. Zu diesem Punkt hat damals im Auftrag der Bundesregierung die Dohnanyi-Kommission Vorschläge gemacht. Diese Vorschläge finden offenbar beim für den Aufbau Ost zuständigen Minister kein Interesse mehr. Sie liegen quasi brach. Ein letzter Punkt, Herr Minister. Ich glaube, wir werden hier noch gemeinsam die Situation erleben, dass wir uns endlich entschließen, die Bundesregierung komplett in Berlin tätig werden zu lassen. Auch Ihre Beschäftigten, Herr Bundesminister, sind nach wie vor zu 56 Prozent am Standort Bonn vertreten. Seien Sie sich hier Ihrer Vorreiterrolle bewusst und verändern Sie die Situation! Meine Damen und Herren, der bedeutendste Investitionshaushalt des Bundes ist selbstverständlich eine Einladung an die Opposition im Deutschen Bundestag, nämlich eine Einladung zu Veränderungen. An diesen Veränderungen wollen wir gerne mitwirken. Vielen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Winfried Hermann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde der Versuchung widerstehen, etwas zur Bahnprivatisierung zu sagen; ({0}) denn ich habe in den nächsten zwei Monaten noch reichlich Gelegenheit dazu. Aber meine Kollegin wird dazu noch ein paar Anmerkungen machen. Ich will mich auf den Anspruch des Ministers konzentrieren. Herr Tiefensee, Sie haben Ihre Rede mit der Bemerkung begonnen, dass es das Ministerium für Investitionen sei. Das ist richtig. Sie haben ferner gesagt, dass es darauf ankomme, einen strategischen Politikansatz zu wählen und strategisch etwas für den Klimaschutz zu tun. Daran will ich Sie messen. Ich bin der Meinung, dass Sie, gerade weil Sie so viele Möglichkeiten haben, in besonderer Weise gefordert sind, einen zukunftsfähigen und klimaschutzorientierten Haushalt vorzulegen. Wir haben erhebliche Zweifel daran, dass Sie mit dem, was Sie hier vorgestellt haben, tatsächlich einen solchen Schwerpunkt setzen. ({1}) Die Regierung hat beschlossen, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren; in den Bereichen Verkehr und Wohnen sollen es 30 oder 35 Prozent sein. Wenn man strategisch ansetzt, müssten Sie sagen, mit welchen Maßnahmen Sie das erreichen wollen. Genau dazu erfährt man in Ihrem Haushalt aber nichts. Auch in Ihrer Rede haben Sie es nicht klarmachen können. Sie tun zwar etwas; ich bin aber der Meinung, dass das zu wenig und zu wenig strategisch ist. Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen: Erstes Beispiel: Autopolitik. Es ist doch offenkundig ein Problem, dass es zu viele Autos gibt, die zu viel Sprit schlucken. Es wird höchste Zeit, dass der Automobilindustrie und den Kundinnen und Kunden über eine neue CO2-orientierte Kfz-Steuer signalisiert wird, dass derjenige, der ein spritfressendes Auto fährt, in Zukunft mehr bezahlen muss als derjenige, der ein klimafreundliches Auto fährt. Jetzt müsste endlich einmal ein Konzept vorgelegt werden. Sie geben zwar Interviews, legen aber kein Konzept vor. Legen Sie es endlich vor! ({2}) Zweiter Punkt: Grenzwerte. Die Automobilindustrie kämpft auf europäischer Ebene gegen die neuen, hohen Grenzwerte. Sie will, dass sie nicht ab 2012, sondern erst ab 2015 gelten. Ein durchschnittlicher Ausstoß von 120 Gramm CO2 pro Kilometer ist ihnen außerdem zu niedrig. Sie sollten einmal auf die IAA gehen; ich komme heute von der Messe. Sie werden verblüfft sein, wie viele Autos schon heute die Grenzwerte von übermorgen einhalten können und wie viele Autos angekündigt werden, die bereits im nächsten oder übernächsten Jahr all diese Grenzwerte einhalten können. ({3}) Fazit: Die Automobilindustrie macht eine „grüne Woche“ in Frankfurt, in Brüssel bremst sie bei grün. Hier muss die Politik eingreifen und sagen: Wir stehen dazu. Wir wollen, dass der neue Grenzwert ab 2012 gültig ist. Wir haben ambitionierte Ziele. ({4}) Wir sind der Meinung, dass ein Förderprogramm notwendig ist, mit dem neue Antriebstechnologien, die sogenannten Nullemissionstechnologien - beispielsweise Hybridfahrzeuge und Elektrofahrzeuge - stärker unterstützt werden können. Analog zu anderen Bereichen, zum Beispiel der Energiewirtschaft, muss im Bereich Verkehr mehr getan werden. Dritter Punkt: Güterverkehr. Sie haben ihn angesprochen. Die Schienenverkehrsanschlüsse für Betriebe sind ein schönes Beispiel und eine gute Sache. Sie haben gesagt, dass im Bereich „kombinierter Verkehr“ schon jetzt 110 Millionen Euro investiert werden. Es ist erstaunlich, dass Ihnen nicht aufgefallen ist, dass das ein bisschen lächerlich ist. Allein die Kosten für eine durchschnittliche Umgehungsstraße belaufen sich nämlich schon auf 110 Millionen Euro. Es ist ein Zehntel dessen, was Sie in den Transrapid investieren wollen, wohlgemerkt: für eine Nahverkehrsstrecke, deren praktischer Wert darin liegt, dass Sie, nachdem Sie lange gebraucht haben, um zum Hauptbahnhof zu fahren, dann in einem schnellen Zug zum Flughafen rausfahren können. Nichts gewonnen, aber 2 Milliarden Euro ausgegeben. Das ist keine strategische Politik. Das nützt der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene nicht. Das nützt übrigens nicht einmal der Verlagerung des Personenverkehrs auf die Schiene. Sie sollten das einmal kritischer beurteilen und sich nicht immer dem Technikwahn anschließen. ({5}) Viertens möchte ich kurz ansprechen, dass es richtig ist, dass dank der Ökopartei CSU endlich ein Altbausanierungsprogramm auf den Weg gebracht wurde. Sie haben den Mittelansatz deutlich erhöht. Da sind Sie besser als die Grünen einst unter Rot-Grün; das haben wir amüsiert zur Kenntnis genommen. Interessant ist aber, dass dieses Programm zu einer energetischen Sanierungsquote von weniger als 1 Prozent pro Jahr geführt hat. Was heißt das? Faktisch brauchen wir weit mehr als hundert Jahre, um die Gebäude unter energetischen Gesichtspunkten so zu sanieren, dass sie klimafreundlich sind. Wenn die Politik das erkannt hat, muss sie es doch als ihre Aufgabe ansehen, zu überlegen, was sie tun kann, außer Geld zu geben. Neben dem Geldgeben muss man gute Ordnungs-, Finanz- und Steuerpolitik machen. Ich habe mit Schmunzeln lesen müssen, dass im „Regierungsprogramm“ von Meseberg steht, dass die EnEV, die Energieeinsparverordnung für Alt- und Neubauten, nicht mehr zeitgemäß ist, dass man sie deutlich verbessern müsste. Wir erwarten, dass Sie das tun. Das kostet nichts, würde aber richtig viel Klimaschutz bringen. ({6}) - Nein. Die Novellierung, die zwei Monate alt ist, ist nach Aussage der Regierung selbst im Grunde schon wieder überholt. Hier muss man also ran. Ich kann Ihnen in meiner kurzen Redezeit nur sagen: Der strategische Ansatz Klimaschutz ist richtig erkannt, aber nicht wirklich strategisch ausgeführt. Sie stehen in der Pflicht, weil Sie das zentrale Ministerium für Klimaschutz und zukunftsorientierte Investitionen sind. Vielen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Uwe Beckmeyer. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Nun sind wir wieder in der Haushaltsdebatte und bei einem wichtigen Bereich, in dem sich abbildet, was in dieser Republik in den letzten Jahren stattgefunden hat. Es gab eine wirtschaftliche Erholung. Die Bedeutung des Verkehrshaushaltes für das, was wir in dieser Republik ökonomisch erlebt haben, ist nicht zu unterschätzen. Das ist, denke ich, nachgewiesen. Wir haben hier eben einige Beiträge zur klimapolitischen Bedeutung des Verkehrs, der Stadtentwicklung und des Städtebaus gehört. Ich denke, wir sind gar nicht weit auseinander, wenn wir sagen, dass eine nachhaltige Mobilitätspolitik für Deutschland und eine zeitgemäße CO2-Minderungspolitik für unsere Gebäude genau das ist, was wir brauchen. Das gehört zusammen. Es hat sich in Deutschland herumgesprochen, dass das von dieser Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen mit großem Nachdruck vorangetrieben wird. Dass dabei auch konjunkturpolitisch etwas bewirkt wird und sich das in den letzten Jahren ganz hervorragend mit diesem Programm verknüpft hat, ist wichtig festgehalten zu werden. Allein an dem Darlehensvolumen in Höhe von über 5 Milliarden Euro, das über das CO2-Minderungsprogramm in der Bundesrepublik durch Privatpersonen abgerufen worden ist, erkennt man die ökonomische Entwicklung und den konjunkturpolitischen Effekt. Ich glaube, inzwischen sind weit über 310 000 Wohnungen in Deutschland auf diese Art und Weise im Sinne der Energiepolitik saniert worden. Ich denke, das ist ein großer Erfolg, den man deutlich aussprechen muss. ({0}) Hier ist vorhin das Wort Akzeptanzerhöhung gefallen. Ich glaube, das ist wichtig. Wir müssen feststellen: Durch Verkehr - gerade da, wo er ausgebaut wird, wo für mehr Mobilität gesorgt werden soll - fühlen sich viele Menschen belästigt, besonders durch Lärm und durch den Ausbau insgesamt. Die Politik, wir alle hier müssen dazu beitragen, dass die Akzeptanz für Verkehrsprojekte, für Mobilität in Deutschland erhöht wird. Ich denke, das ist ein wichtiger Teil der Verkehrshaushaltsdebatte. Wir sorgen für mehr Akzeptanz, wenn wir über Lärmsanierung, zum Beispiel an Schienenwegen, sprechen und diese fördern, wenn wir für die Lärmminderung an Straßen, Bundesstraßen und Autobahnen Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Das ist der richtige Weg. Aber wir müssen dafür sorgen, dass auch die Investoren, die Schienenfahrzeuge bestellen, herangezogen werden. Sie müssen zum Beispiel dazu beitragen, dass in Deutschland zukünftig nur noch Waggons mit K-Sohle angeschafft werden. Wir selbst müssen dann unseren Beitrag dazu leisten, indem wir solche K-Sohlen, also Kunststoffbremsen, zukünftig im Rahmen eines Lärmminderungsprogramms fördern. Da müssen wir zusammen mit den Investoren etwas tun. Ich glaube, das ist unser beider Anliegen. ({1}) So weit, so gut. Verkehr, der nicht fließt, der im Stau steht, und Güter, die nicht transportiert werden, sind Gift für unser Klima. Wir wissen, dass es in einigen Bereichen zu Emissionskonzentrationen kommt und dass wir auch an volkswirtschaftlichem Wert viel verlieren, wenn Güter und Personen nicht zügig transportiert werden. Ich glaube, das alles zeigt, dass wir, wenn wir das Ganze nicht beschleunigen, Probleme bei der Konjunktur, beim Wirtschaftswachstum und damit auch auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Das bedeutet: Jeder investierte Euro in eine Beschleunigung und Verbesserung des Verkehrsflusses ist eine ökonomisch und volkswirtschaftlich sinnvolle Investition. Wir müssen Wert darauf legen, dass uns in Zukunft für solche Investitionen in Deutschland ein möglichst hoher Betrag zur Verfügung steht. Wie wir wissen, gibt es in diesem Bereich einen nicht unbedingt gut dotierten Finanzplan. Wir Verkehrspolitiker machen uns gerade mit gewisser Befriedigung, aber noch nicht mit sehr großem Enthusiasmus Gedanken darüber, wie wir mit dem aktuellen Entwurf des Verkehrshaushaltes umgehen sollten. An dieser Stelle sage ich Ihnen: Wir haben noch Wünsche. Diese Wünsche werden wir formulieren. Wir hoffen, dass wir sie im Prozess der parlamentarischen Beratung noch unterbringen können. Ich will auf einige dieser Wünsche eingehen. Es gibt manche Gebiete, auf denen wir noch besser werden können. Wenn wir zum Beispiel das Fahrpersonalgesetz verschärfen, weil wir der Meinung sind, dass Kraftfahrer, die bei Speditionen beschäftigt sind, unter humanen Arbeitsbedingungen arbeiten müssen und nicht ununterbrochen auf dem Bock sitzen dürfen, dann müssen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, an einer Autobahn auf eine Raststätte zu fahren, ihren Lkw abzustellen und eine oder zwei Stunden zu schlafen. Das Problem ist, dass wir dann in größerem Umfang Lkw-Abstellflächen an Autobahnen errichten müssen. Das ist unsere Aufgabe. Hier müssen wir, was unsere Investitionspolitik angeht, noch besser werden. ({2}) Ein zweites Beispiel sind die A- und F-Modelle. Ich glaube, wir sollten im Hinblick auf Investitionen in FModelle dafür sorgen, dass die Industrie, die sich privat engagiert, interessiert bleibt. Hier müssen wir aufpassen. Denn wir haben festgestellt, dass sich die interessierte Bauindustrie bei Investitionen in F-Modelle in zwei Fällen vergaloppiert hat. ({3}) Darum müssen wir uns bemühen, dass das Interesse der Industrie aufrechterhalten bleibt; denn wir brauchen diese Projekte. Die Querspange in Hamburg zum Beispiel ist verkehrspolitisch unabdingbar. ({4}) Wenn es sie nicht gäbe, würde eine gesamte Großstadt im Stau stehen. Das ist ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Meine Fraktion ist der Meinung - ich hoffe, dass wir auch unseren Koalitionspartner dafür gewinnen können -, dass wir versuchen sollten, durch eine Erhöhung der Anschubfinanzierung ein größeres Interesse bei Privatinvestoren zu wecken. Zu diesem Zweck sollten wir überlegen, die Anschubfinanzierung von derzeit 20 Prozent in Richtung 30 oder sogar 33 Prozent zu steigern. In der heutigen ersten Lesung dieses Haushalts mache ich ganz bewusst solche Vorschläge. Denn die Bevölkerung soll zur Kenntnis nehmen, dass die Haushaltsberatungen gerade erst beginnen und wir noch ganz am Anfang dieser Debatte stehen. Es ist wichtig, das zu sagen. Jetzt noch ein Wort zur strategischen Politik. Herr Hermann, ich glaube, Verkehrspolitik und Städtebaupolitik haben eine strategische Bedeutung. Wir wollen alles tun, um die Belastung von Mensch und Natur zu verringern. Ein paar Beispiele: Als es um die Klimapolitik ging, haben wir über das Ziel der Verringerung des CO2Ausstoßes gesprochen. Wir sind dabei, die Höhe der Schadstoffemissionen zu reduzieren. Zur Senkung des Mineralölverbrauchs unterstützen wir die Entwicklung moderner Antriebsalternativen. Außerdem sind wir beim Thema Lärm auf dem richtigen Weg. Ich denke, wir müssen umweltfreundliche Verkehrsträger unterstützen. Damit bin ich beim Thema Bahn. Die Bahn wickelt in ganz Europa Transporte ab, und zwar mehr als in der Vergangenheit. Sie ist unter ökonomischen Gesichtspunkten sogar in der Lage, noch mehr zu tun und auch neue Logistikkonzepte zu realisieren. Sie könnte nicht nur die Durchführung von Transporten von A nach B bewerkstelligen, sondern auch Logistikketten anbieten. Das ist unser Thema. Denn in diesem Fall benötigen wir privates Geld, das auch bei Infrastrukturinvestitionen gebraucht wird. Herr Claus, Sie haben vorhin erneut gesagt, wir wollten Volksvermögen verscherbeln. Das ist falsch. ({5}) Die Bahn bleibt im Besitz des deutschen Volkes bzw. der Bundesrepublik Deutschland, und zwar zu 100 Prozent. ({6}) Kein Investor wird daran beteiligt. Sie müssen sich endlich einmal mit unserem Gesetzentwurf auseinandersetzen. ({7}) Dann werden auch Sie feststellen, dass Sie ein Argument anführen, das nichts taugt. Dieses Thema ist bereits besetzt. Die klare politische Aussage unseres Gesetzentwurfes ist eine andere. Bitte nehmen auch Sie das zur Kenntnis. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege!

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Einen Punkt möchte ich noch ansprechen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Achten Sie aber bitte auf Ihre Redezeit. Sie ist schon abgelaufen.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - All die Investitionen, die angesprochen worden sind, müssen auch getätigt werden. Das ist eine Frage des Personals. Wir müssen das Personal bei den verschiedenen Behörden des Bundes im Auge behalten. Wir brauchen gute Ingenieure bei der WSD und beim Luftfahrt-Bundesamt. Wir brauchen Menschen, die uns helfen, diese Politik umzusetzen. Herzlichen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Jan Mücke für die FDP-Fraktion. ({0})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst eine Vorbemerkung in die Richtung von Herrn Claus machen, der vorhin über das Thema Bonn/Berlin gesprochen hat. Eine grundsätzliche Bemerkung dazu scheint mir notwendig zu sein. An den Satz pacta sunt servanda - Verträge sind einzuhalten sollten wir Ostdeutsche uns gewiss halten. So wie wir als Vertreter der ostdeutschen Länder ganz selbstverständlich erwarten, dass beispielsweise der Solidarpakt bis zum Jahr 2019 von allen mitfinanziert wird und die ostdeutschen Länder bis zu diesem Zeitpunkt unterstützt werden, so muss man sich auch auf das von diesem Haus beschlossene Berlin/Bonn-Gesetz verlassen können. Dieses legt einen Ausgleich für Bonn fest und bestimmt, dass Berlin Bundeshauptstadt ist und viele Ministerien nach Berlin umziehen mussten. Es ist gut für die innere Einheit dieses Landes, wenn wir an diesem Berlin/BonnGesetz längerfristig festhalten. Herr Minister, bei Ihrer Rede hatte ich ein Déjà-vuErlebnis. Denn es war fast wortwörtlich - mit nur wenigen Nuancen - dieselbe Rede, die Sie im letzten Jahr gehalten haben. Auch in diesem Jahr haben Sie wieder viel davon gesprochen, dass Sie Ausgaben verstetigen wollen. ({0}) Der Begriff Verstetigung kommt in Ihrer Rede insgesamt viermal vor. Das war auch beim letzten Mal der Fall. Bedauerlicherweise hat der Begriff Verstetigung bei Ihnen offensichtlich eine andere Bedeutung als bei uns. Wir haben uns den Haushalt sehr genau angesehen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nominal kein Rückgang der Investitionen beispielsweise in die Bundesfernstraßen im Haushalt vorgesehen ist - wir reden über 4,7 Milliarden Euro -, so muss doch jedem bewusst sein, dass es in diesem Jahr eine Mehrwertsteuererhöhung gab, womit jede Baumaßnahme erheblich teurer geworden ist. Ferner muss jedem bewusst sein, dass es einen Anstieg der Baukosten sowie der Tariflöhne im Baugewerbe gibt. Damit sollte für jeden offenkundig sein, dass wir für dasselbe Geld in diesem Jahr und in den kommenden Haushaltsjahren sehr viel weniger bauen können, als es in den Vorjahren der Fall war. ({1}) Deshalb ist es absolut nicht ausreichend, die Mittel zu verstetigen. Wir brauchen eine sehr schnelle und messbare Erhöhung dieser Mittel. Ich rede dabei nicht von wenigen hunderttausend Euro. Ich habe die Befürchtung, dass Ihren Masterplan Güterverkehr und Logistik ein ähnliches Schicksal ereilen wird. Denn im Papier Ihres Ministeriums, das den Mitgliedern des Verkehrsausschusses zu diesem Thema ausgeteilt wurde, heißt es: Wir wollen mit den vorhandenen Mitteln das bestmögliche Ergebnis erzielen. Da sehe ich schwarz. Denn wenn wir versuchen, mit gleichbleibenden Mitteln den Anstieg im Güterverkehr in den nächsten Jahren zu bewältigen, dann werden wir grandios scheitern. Davon ist mit Sicherheit auszugehen. ({2}) Es reicht eben nicht, wenn wir das Augenmerk nur darauf legen, den Bestand zu sichern. Das wird auf keinen Fall reichen. Wir wissen schon heute - das entspricht den Aussagen aus Ihrem eigenen Haus -, dass wir den Transportbedarf, der im Bundesverkehrswegeplan für das Jahr 2015 angesetzt ist, schon im Jahr 2009 erreichen werden. Einige Initiativen, wie zum Beispiel Pro Mobilität e. V., gehen davon aus, dass wir diese Belastungen unserer Infrastruktur schon in diesem Jahr erreicht haben. Wir werden bis zum Jahr 2050 einen Anstieg der Güterverkehrsleistung von 600 Milliarden Tonnenkilometer auf das Doppelte, auf 1 200 Milliarden Tonnenkilometer, verzeichnen. Schon die Gesetze der Logik verbieten, dass wir bei gleichbleibenden Investitionshaushalten mehr Infrastrukturvorhaben verwirklichen können. Wir müssen in diesem Bereich mehr investieren. ({3}) Auch aus ökologischen Gründen werden wir darum nicht herumkommen; denn wir müssen ja unseren CO2Ausstoß reduzieren. Selbstverständlich sind auch wir dafür. Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine Anfrage gestellt, wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden ist, der jedes Jahr dadurch entsteht, dass es Stau in Deutschland gibt. Nach einer Schätzung der EU-Kommission beläuft sich der Schaden, der durch Stau entsteht, auf gigantische 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das heißt, dass wir bezogen auf Deutschland über einen Betrag zwischen 10 und 12 Milliarden Euro im Jahr reden. Wenn wir es aber ernst meinen mit der CO2-Reduzierung, dann müssen wir doch auch sehen, dass der Stau, der tagtäglich auf deutschen Fernstraßen herrscht, einen gigantischen CO2-Ausstoß verursacht, der vermeidbar wäre, wenn wir eine ordentliche Verkehrsinfrastruktur hätten. Deshalb halten wir es für dringend erforderlich, dass diese Investitionen verstetigt werden und langfristig aufwachsen. Dafür gibt es auch einen objektiven Maßstab: Die Pellmann-Kommission hat festgestellt, dass wir allein im Bereich der Straße jährlich mindestens 6 Milliarden Euro investieren müssen. Die Straße ist nun einmal nach wie vor der Hauptträger unserer Logistik. Mir ist völlig klar, dass Sie das nicht von einem Tag auf den anderen erreichen können; das verlangt die Opposition auch nicht. Aber wir müssen es erreichen, dass wir in einem überschaubaren Zeitraum auf dieses Mindestmaß an Investitionen kommen. ({4}) Ein letzter Gedanke.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Sie müssen bitte auf die Zeit achten.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme dann auch schon zum Schluss. - Es geht mir noch einmal um die Privatisierung der Bahn.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Aber kein neues, umfassendes Thema!

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Primon-Gutachten ist festgestellt worden, mit welcher Form der Privatisierung Sie mehr Güterverkehr auf die Schiene bringen können. Das Modell, das Sie gewählt haben, ist dafür genau das falsche. Mit dem Modell, für das die FDP eintritt - die Trennung von Netz und Betrieb -, bekäme man mehr Wettbewerb auf der Schiene. Dann hätte man auch mehr Güterverkehr auf der Schiene; das wäre für uns alle wünschenswert. Herzlichen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Norbert Königshofen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Einnahmen aus Privatisierung sind ein wichtiger Posten des Bundeshaushalts. Darunter fallen auch die Einnahmen aus der beabsichtigten Teilkapitalprivatisierung der DB AG. Ich will zu Beginn sagen, dass die Union diese Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Bahn, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, will. Aber ich will auch sagen, dass wir mit dem Gesetzentwurf so, wie er vorliegt, Probleme haben, dass sich für uns Fragen auftun. ({0}) Ich darf darauf hinweisen, dass wir die Hälfte der Bahn verkaufen für einen Erlös von schätzungsweise 6 bis 8 Milliarden Euro. ({1}) Die Hälfte davon soll die DB AG für Investitionen bekommen, die andere Hälfte, also maximal 4 Milliarden Euro, sollen in den Bundeshaushalt fließen. Wir verkaufen die Hälfte der DB AG einschließlich der 397 Tochtergesellschaften. - Sie gucken, Herr Mücke? Das ist wie bei Karl V.: In Mehdorns Reich geht die Sonne nicht unter. ({2}) Die sind zusammen 20 Milliarden Euro wert: Stinnes/ Schenker rund 6 Milliarden Euro; Aurelis wird jetzt, wie Sie gelesen haben, für 1,64 Milliarden Euro an Hochtief verkauft. ({3}) Die Infrastruktur wird rechtlich Eigentum des Bundes bleiben, aber wirtschaftlich der Bahn überlassen. ({4}) Der Wert der Infrastruktur beträgt übrigens 126 Milliarden Euro. ({5}) - Nur das Netz. Die Schätzungen gehen etwas auseinander; sie liegen zwischen 100 Milliarden und 200 Milliarden Euro, wenn man alles einbezieht. Die Zahl 126 Milliarden haben wir vom Ministerium übernommen. ({6}) Wir werden 15 plus 3 Jahre lang der Bahn jährlich 2,5 Milliarden Euro für die Unterhaltung des Netzes zahlen. Hinzu kommen - der Herr Minister hat darauf hingewiesen; dieses Jahr werden es 1,2 Milliarden Euro sein - Baukostenzuschüsse für den Neu- und Ausbau in Höhe von 1 Milliarde bis 1,5 Milliarden Euro jährlich. 4 Milliarden Euro mal 18 sind 72 Milliarden Euro. Hinzu kommen - das wird leicht übersehen - noch die Regionalisierungsmittel. Davon fallen ungefähr 4,5 Milliarden Euro an die DB Regio. ({7}) - Richtig, Herr Hermann: pro Jahr. ({8}) Außerdem haben wir eine Rückholoption. Dabei müssen wir einen Wertausgleich zahlen, der zurzeit bei 7,5 Milliarden Euro liegt. ({9}) Das bedeutet im Klartext: Wir verkaufen die Hälfte von allem für 8 Milliarden Euro, von denen 4 Milliarden Euro dem Haushalt zufließen, und investieren in den nächsten 18 Jahren über 70 Milliarden Euro. Wenn wir das Netz zurückholen müssen - beispielsweise weil das auf europäischer Ebene verlangt wird -, zahlen wir mindestens 7,5 Milliarden Euro. ({10}) Das ist schwer zu vermitteln. ({11}) Man fragt sich, warum wir das tun. Sie müssen sich nicht genieren, wenn Sie sich diese Frage stellen. Denn fast alle - auch die Journalisten bzw. die Fachleute - fragen sich, warum wir das tun.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Claus?

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne. ({0}) - Alle, die ins Parlament gewählt werden, haben die gleichen Rechte, auch Herr Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Königshofen, gibt es auch Teile des Privatisierungsgesetzentwurfes, die Ihre Zustimmung finden könnten, und womit wollen Sie letztendlich der geneigten Öffentlichkeit die irgendwann zu erwartende Zustimmung erklären?

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Claus, das ist ganz einfach. Ich vertraue auf das Struck’sche Gesetz. Das Struck’sche Gesetz - also ein SPD-Gesetz ({0}) lautet: Es kommt nichts so aus dem Bundestag heraus, wie es hineinkommt. Ich hoffe, dass es zu so vielen Änderungen kommt, dass auch die Union dem Gesetzentwurf zustimmen kann. ({1}) - Wir wollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Rechtsprofessoren haben große Zweifel an der Verfassungskonformität des Gesetzentwurfs. ({2}) Nun fragen wir, wie gesagt: Warum tun wir das? Zudem ist noch nicht klar, wer dann die 49 Prozent kauft. Es gibt einen interessanten Vorschlag, Volksaktien anzubieten. In der Presse wurde berichtet, dass sich die russische Staatsbahn dafür interessiert. Nur zur Information: Wir können uns als Ausländer nicht an der russischen Staatsbahn beteiligen. Die Bahn braucht Geld. Vielleicht wird sie 4 Milliarden Euro bekommen. Was machen wir, wenn die 4 Milliarden Euro verbraucht sind? ({3}) Die nächste - viel wichtigere - Frage ist, wofür die Bahn Geld braucht. Braucht sie Geld für das Netz? Darauf könnte man kommen. Wenn man den Artikel Brüchige Gleise im Spiegel liest, gewinnt man sofort den Eindruck, dass die Bahn dafür Geld braucht. Aber die UnNorbert Königshofen terhaltung wird vom Bund und aus Trassenerlösen finanziert. Zu befürchten ist, dass die Bahn Geld für weltweite Logistikunternehmen braucht. ({4}) - Für den Zukauf. Dann werden aus 397 vielleicht 500 Tochtergesellschaften. Vor kurzem war der Presse ein Hinweis zu entnehmen, worum es geht: Stichwort Slowenien. Wir lesen, dass sich die Deutsche Bahn AG an der slowenischen Staatsbahn und an den Häfen in Slowenien beteiligen will. Sie soll dafür im Gegenzug bis zum Jahr 2020 9 Milliarden Euro in das slowenische Netz investieren, das im Übrigen Eigentum des Staates bleibt. Ich will deutlich sagen: Wir sind dafür, dass sich deutsche Unternehmen international aufstellen und sich dort engagieren; je mehr, desto besser. Aber es stellt sich die Frage - das müssen wir prüfen -, ob das Staatsunternehmen sein müssen. ({5}) Muss das ein Unternehmen sein, das dem Steuerzahler gehört und das der Steuerzahler finanziert? ({6}) Das ist die entscheidende Frage: Brauchen wir eine Deutsche Bahn AG, die uns zu 51 Prozent gehört und die Geld braucht, um in der Welt weiter zuzukaufen? ({7}) Darüber werden wir diskutieren müssen. Ich freue mich auf die Diskussionen in den nächsten Wochen und vor allen Dingen auf dem SPD-Parteitag. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Anna Lührmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Welt redet vom Klimawandel. Nur die Bundesregierung ist dabei, das klimafreundliche Verkehrsmittel Nummer eins, die Bahn, kaputtzumachen. Denn eines ist klar: Wenn der Börsengang in der geplanten Form kommt, bedeutet das nicht mehr Verkehr auf der Schiene, sondern viel Profit für Wenige. ({0}) Ich könnte jetzt sehr lange darüber reden, warum Ihr Börsengang falsch für das Klima und die Mobilität in Deutschland ist. Aber in der Haushaltsdebatte will ich mich auf die finanziellen Aspekte konzentrieren. 130, 37,5 und 4, das sind die Zahlen, auf die es in dieser Debatte ankommt. 130 Milliarden Euro hat der Bund seit der Bahnreform in das System Schiene gesteckt. 37,5 Milliarden Euro muss der Bund nach dem Börsengang der Bahn allein in den nächsten 15 Jahren zahlen. Hinzu kommen, wie vom Kollegen Königshofen ausgeführt, Infrastrukturinvestitionen und Regionalisierungsmittel. 4 Milliarden Euro von diesem krummen Deal werden erst einmal für den Bundeshaushalt übrig bleiben, wenn sich überhaupt ein Käufer findet. ({1}) Zusammengefasst: 130 Milliarden Euro gezahlt, mindestens 37,5 Milliarden Euro Ausgaben in der Zukunft, 4 Milliarden Euro bleiben übrig. ({2}) Das hat doch mit solider Haushaltsführung nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({3}) Langfristig bleibt es noch nicht einmal bei diesen 4 Milliarden Euro Einnahmen. Vielmehr muss der Bund langfristig noch etwas drauflegen. Das liegt an Ihrem komplizierten Eigentumssicherungsmodell. Wie immer, wenn sich die Große Koalition nicht auf ein transparentes und einfaches Modell einigen kann, kommt ein fauler Kompromiss heraus. ({4}) Denn der Bund kann nach 15 bis 18 Jahren das Netz von der DB wieder zurücknehmen; das will die CDU/CSU. Aber dafür müssen wir mindestens 7,5 Milliarden Euro als Wertausgleich auf den Tisch legen. Das steht in der Beantwortung der Bundesregierung der Kleinen Anfrage fast wörtlich. Ich will das einmal mit einem Beispiel, das vor kurzem im Stern zu lesen war, illustrieren. Herr Tiefensee, damit verhält es sich genauso, als ob Sie mir Ihr Haus liehen, ich dann wirtschaftlicher Eigentümer Ihres Hauses wäre, Ihnen keine Miete zahlte, sondern Sie zahlten mir jeden Monat eine gehörige Summe für Reparatur und Instandhaltung. ({5}) Wenn Sie wieder in Ihr Haus zurückwollten, müssten Sie mir noch Geld dafür zahlen. Dabei wüssten Sie vorher noch nicht einmal, wie viel Geld Sie mir dafür zahlen müssten. Als Privatmann würden Sie einen solch krummen Deal nie im Leben machen. ({6}) Um das auf Börsendeutsch zu wiederholen: Wie viel der Bund am Ende zahlt, hängt von der Höhe des bilanziellen Eigenkapitals - des Netzes - ab. Die DB AG bzw. die Heuschrecke - um die SPD-Sprache zu benutzen -, die sich dann dort eingekauft hat, will natürlich das Eigenkapital so viel wie möglich erhöhen, damit sie am Ende für das Netz vom Bund so viel Geld wie möglich bekommt. ({7}) - Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie, Herr Beckmeyer, sehr aufgeregt sind, weil ich hier das wiederhole, was die allermeisten Ihrer Genossinnen und Genossen in Ihrer Partei denken. Die werden auf Ihrem Parteitag wahrscheinlich die gleiche Rede halten, die ich jetzt gerade halte. Ich kann das alles mit sehr seriösen Zahlen belegen, die die Regierung selber zur Verfügung gestellt hat. ({8}) Denken Sie lieber darüber nach, ob Sie nicht zu einer sinnvolleren Lösung kommen können. Zurück zu der Frage, was passieren wird und wie die Investoren das Eigenkapital erhöhen können, damit sie zum Schluss mehr Geld vom Bund erhalten. Eigenkapital erhöht man, indem man erstens mit weniger Leuten das gleiche Ergebnis erzielt, also Leute rausschmeißt, zweitens, indem man stille Reserven hebt, also Immobilien verscherbelt, drittens, indem man Strecken stilllegt, die nicht rentabel sind. ({9}) Das sind die Wege, wie man Eigenkapital erhöhen kann. ({10}) - Wir reden jetzt über das Netz. Wir reden gar nicht über die Holding. Mit dem Börsengang, den Sie beschließen - deswegen regen Sie sich so auf -, beschließen Sie unkalkulierbare Risiken für den Bundeshaushalt. In Ihrem Entschließungsantrag, den Sie im letzten Herbst hier beschlossen haben, haben Sie festgestellt, es gebe für den Haushalt keine unkalkulierbaren Risiken. Diese gibt es jetzt aber. Sie setzen Anreize für Streckenstilllegungen, was falsch ist, und dazu darf es nicht kommen. ({11}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, schließe ich mich dem Appell von Herrn Königshofen an: Schauen Sie bei den Haushaltsberatungen nicht nur auf die Projekte im Einzelplan 12, sondern verhindern Sie diese milliardenschwere Fehlentscheidung. Künftige Generationen werden es Ihnen danken. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Petra Weis für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Petra Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003657, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Wenn ich gewusst hätte, dass wir heute im Vorgriff auf spätere Debatten eine Debatte über die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG führen, dann hätte ich mich ganz anders vorbereitet. Alle, die zweifeln, können sicher sein, dass der SPD-Parteitag wie bislang auch schon das Thema mit großem Sachverstand diskutieren wird ({0}) und eine hohe politische Verantwortung für die Zukunft der Deutschen Bahn AG und die Mobilität in unserem Land zeigen wird. So viel will ich an dieser Stelle doch gesagt haben. ({1}) - Da haben Sie noch einmal Glück gehabt, Kollege Hermann, das denke auch ich. Ich will mich von der Versuchung nicht verleiten lassen, ({2}) sondern in den kommenden Minuten einige Takte zum Thema Stadtentwicklung sagen, und zwar in der Annahme, dass wir über dieses Thema mit viel Enthusiasmus, aber mit weniger negativen Emotionen diskutieren können. Angesichts der erfreulich stabilen Konjunktur und der guten Vorzeichen in diesem Jahr geht man doch viel leichteren Herzens in die Haushaltsberatungen 2008. Das sage ich jetzt nicht im Widerspruch zum Finanzminister und seinem legitimen Interesse an Haushaltsdisziplin und Haushaltskonsolidierung; ich möchte vielmehr darauf hinweisen, dass es der Bereich Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist, der maßgeblich am Zustandekommen dieser guten Zahlen beteiligt ist. Ich freue mich, dass wir nicht nur wiederholt über den größten Investitionshaushalt des Bundes diskutieren - der Minister hat schon darauf hingewiesen -, sondern dass wir diese Investitionen 2008 auch um beinahe 300 Millionen Euro steigern können. Das ist ein gutes Signal an die Bauwirtschaft. ({3}) Die guten Zahlen sind aber kein Grund, sich nun zurückzulehnen und sich nicht weiter zu bemühen, die Programme im Bau- und Stadtentwicklungsbereich weiter zu optimieren und einer Qualitätskontrolle zu unterziehen. Wir haben selbstverständlich auch den Anspruch, sie finanziell entsprechend abzusichern. Moderne Stadtentwicklungspolitik verlangt nach integrativen Ansätzen, die den jeweiligen lokalen Bedingungen angepasst werden müssen. Wir haben bereits in den vergangenen Jahren die Weichen gestellt, weil wir wissen, dass Stadtentwicklungspolitik über die Zukunftsfähigkeit des Landes in entscheidendem Maß mitbestimmt. Das sage ich auch angesichts der Tatsache, dass wir bei den vorherigen Beratungen über den Bereich Bildung und Forschung Vergleichbares gehört haben. Wir müssen stärker über Fachgrenzen hinwegdenken, und wir müssen die Zukunftsaufgabe Stadtentwicklungspolitik im öffentlichen Bewusstsein stärker positionieren. Dazu dient auch der nationale Strategieplan für eine integrierte Stadtentwicklungspolitik. Es ist nur folgerichtig, dass wir in diesem Haushalt einen Verpflichtungsrahmen in einer Höhe von 5 Millionen Euro veranschlagt haben. Ich werde natürlich einige wenige Worte zu unserem Programm Soziale Stadt sagen. Ich bin sehr froh, dass sich auch in diesem Entwurf unsere Absicht widerspiegelt, die Investitionen stärker mit sozialen Maßnahmen in den betroffenen Quartieren zu verzahnen. Ich halte es für ausgesprochen klug und folgerichtig, dass wir 20 Millionen Euro für Modellvorhaben mit erweiterten Fördermöglichkeiten insbesondere im Bereich der Jugend- und Bildungspolitik sowie auf dem Gebiet der lokalen Ökonomie vorsehen. ({4}) Für uns hat das Thema Stadtumbau natürlich weiterhin Priorität. Der Stadtumbau Ost hat in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle gespielt. Die Zwischenbilanz nach fünf Jahren Stadtumbau Ost macht deutlich, dass die Umsetzung der definierten Ziele sicherlich mehr Zeit braucht als bis zum Jahr 2009. Wie wir wissen, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch westdeutsche Städte mit derartigen Herausforderungen - wenn auch in abgeschwächter Form - konfrontiert sein werden. Der Stadtumbau West war insoweit eine logische Konsequenz. Wir müssen ihm in den kommenden Jahren sicherlich verstärkt unsere Aufmerksamkeit widmen, nicht zuletzt deshalb, weil wir hier die Chance haben, eine vorausschauende Politik zu betreiben. Diese Chance sollten wir meines Erachtens nicht vergeben. Auch das neue Programm zur Innenentwicklung der Städte und Gemeinden mit einem Verpflichtungsrahmen von 40 Millionen Euro ist eine logische Konsequenz unserer bisherigen Politik. Dazu zähle ich auch das Thema städtebaulicher Denkmalschutz West. Hinzu kommt der Klimaschutz, den ich in meiner Rede eigentlich gar nicht ansprechen wollte. Aber der Kollege Friedrich hat mich dazu animiert, zu sagen: Ich freue mich ein bisschen über Ihre Fähigkeit zur Selbstironie. Ich finde es gut, dass wir dieses Programm - es wurde, wie gesagt, von der Vorgängerregierung aufgelegt - konsequent fortsetzen. Ich bin mir absolut sicher, dass wir auch durch die kritische Begleitung der Energieeinsparverordnung dazu beitragen werden, dieses zukunftsfähige Programm weiterzuentwickeln und damit sozusagen mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. ({5}) Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir den Kommunen über den Kommunalkredit die Möglichkeit geben, ihre Gebäude zu sanieren. Wir sollten auch an diejenigen Kommunen denken, die sich in sogenannten Haushaltsnotlagen befinden, und wir sollten ihnen über Zuschüsse die Möglichkeit geben, an diesen Programmen zu partizipieren. Über die Finanzierung des Humboldt-Forums werden wir an anderer Stelle sicherlich noch ausführlicher diskutieren können. Ich würde mich freuen, wenn uns da ein großer Wurf gelänge. Lieber Kollege Friedrich, auch ich hätte mich gefreut, wenn wir bei der Einbeziehung des Wohneigentums in die private Altersvorsorge weitergekommen wären. Ich habe gerade ein bisschen geschmunzelt, als Sie in unsere Richtung den Ideologieverdacht geäußert haben. Ich weise diesen Verdacht natürlich in aller Form und mit großer Überzeugung zurück. Vielleicht haben wir in den kommenden zwei Jahren die Chance, uns diesbezüglich zu verständigen. Ich freue mich auch auf die Beratungen in den kommenden Wochen. ({6}) Ich denke, sie werden konstruktiv verlaufen. Ich hoffe, dass wir sie gemeinsam in der Überzeugung führen, auch mit diesem Haushalt effektive Bedingungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu schaffen. Unser Ziel sollte sein, die Städte so zu fördern, dass sie in der Lage sind, auch für die Region und für die ländlichen Räume um sie herum Verantwortung zu übernehmen, Wachstum und Innovation ebenso zu verkörpern wie gute Wohn- und Lebensqualität sowie sozialen Zusammenhalt und nicht zuletzt aufseiten ihrer Bewohnerschaft aktive und engagierte Partnerinnen und Partner zu finden. Es ist beinahe schon ein geflügeltes Wort - ich weiß im Augenblick gar nicht, von wem es stammt -: Wenn es den Städten gut geht, dann geht es auch den Menschen gut. Diesem Anspruch fühlt sich zumindest meine Fraktion verpflichtet, auch und gerade was den Entwurf dieses Einzelplans angeht. Danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Georg Brunnhuber für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich könnte natürlich etwas zur Bahn sagen; schließlich sind wir alle Eigentümer, und alle Eigentümer haben eine gewisse Verpflichtung, ihr Unternehmen nicht schlechtzureden. Das möchte ich hier einmal deutlich machen. ({0}) Aber darüber reden wir ja intensiv in den nächsten Wochen. Deshalb möchte ich darauf heute nicht weiter eingehen. Vielleicht noch ein Satz. Alle, die über die Bahn und die Zukunft der Bahn reden, sollten sich mindestens eines gelegentlich auch hier im Hohen Hause vor Augen führen: Dort sind 240 000 Menschen, ({1}) die 24 Stunden, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr dafür sorgen, dass der Zug fährt. ({2}) Ihnen sollte man einmal ein Dankeschön sagen; man sollte sie nicht ständig nur kritisieren. ({3}) Bei den Reden aus der Opposition ist mir etwas in den Sinn gekommen. Wir haben von allen Rednern der Opposition in diesen Tagen gehört: Ihr müsst mehr sparen, ihr müsst schneller zur Nullverschuldung kommen, am besten schon im nächsten Jahr Rücklagen bilden und Schulden tilgen. - Aber bei jedem Einzelplan - ich habe das verfolgt - haben alle noch eine Idee, wo man noch mehr Geld ausgeben müsste; man fordert und fordert und fordert. Das geht so nicht. Ich sage hier in aller Offenheit: Wer vor zwei Jahren die Erwartung geäußert hätte, dass wir in 2008 einen solch enormen Investitionsrahmenplan für unseren Verkehrsbereich vorlegen können, ({4}) der hätte mit Sicherheit Gelächter ausgelöst. Heute ist das eine Tatsache. Das ist einmalig. Da kann man sich doch wirklich nur dafür bedanken, dass wir als Große Koalition es fertiggebracht haben, die Investitionen auf einem so hohen Niveau zu halten. Herzlichen Dank also allen Beteiligten! ({5}) Natürlich - da braucht man die CDU/CSU nicht katholisch zu machen - könnten wir jeden Euro, den wir noch zusätzlich bekommen können, unterbringen. Auch mir geht es gelegentlich so, dass ich an bestimmten Punkten sage: Man müsste, man sollte; auch da ist noch eine Investitionsnotwendigkeit. - Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, man muss auch sehen, was machbar ist. Wenn ich alles addiere, die GVFG-Mittel und auch die Mittel für verschiedene Forschungsprogramme dazunehme, dann stelle ich fest: Uns stehen für die nächsten drei, vier Jahre in jedem Jahr konstant fast 11 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Zahl sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das hat es noch nie gegeben. ({6}) Das ist etwas, was wir herausstellen müssen. Ich finde das großartig. Wir als Koalitionsfraktionen sollten uns nicht auch noch dafür entschuldigen, dass wir so viel Geld für die Verkehrsinfrastruktur ausgeben. ({7}) Dass wir in der Unionsfraktion Überlegungen mit dem Ziel anstellen, mehr privates Kapital für die Verkehrsinfrastruktur, insbesondere im Straßenbau, zu nutzen, ist kein Geheimnis. Wir haben dies in der Koalitionsvereinbarung Gott sei Dank festgeschrieben. Wir sind uns einig. Wir werden in diesen Haushaltsberatungen sicherlich überlegen, wie wir mehr A-Modelle, mehr Projekte organisieren können, ob nun über die VIFG oder anders. Auf jeden Fall ist es so, dass wir mit mehr privatem Kapital auch beim Bundesverkehrswegeplan schneller nach vorn kommen. Das Ministerium hat hierfür Bereitschaft gezeigt und bereitet auch einiges vor. Wenn sich die Haushälter und Finanzpolitiker - einige sind ja auch hier - einen Ruck geben könnten, das zu unterstützen, ({8}) dann - daraus will ich keinen Hehl machen - würden wir noch schneller vorwärtskommen. Wir werden alles unterstützen, was das Ministerium hierzu vorlegt, weil wir in die gleiche Richtung marschieren. Es wäre für die Infrastruktur auf jeden Fall von Vorteil. Ich möchte noch einen Punkt zum Thema Logistik und Logistikstandort nennen. Die Bundesrepublik Deutschland und viele Unternehmen der Wirtschaft haben erkannt: Wir sind ein idealer Standort für Logistik. Die Logistikbranche boomt. Sie wird nicht nur ein Jahr boomen, sie wird auch danach wachsen. Von daher ist es sehr intelligent, dass die Bahn AG in diesen Markt investiert, weil dort Arbeitsplätze geschaffen werden und Geld verdient wird. Wenn wir Logistikstandort sein wollen, ist vor allen Dingen ein Projekt - Herr Minister, darauf möchte ich Sie persönlich ansprechen - von entscheidender Bedeutung. Wir konnten während unserer Präsidentschaft der letzten sechs Monate durchsetzen, dass das Projekt zur satellitengestützten Navigation, Galileo, nicht hinten runter gefallen ist, ({9}) Sie haben dafür gesorgt, dass dieses Projekt bei allen Ländern weiter im Rennen ist und wir unter der jetzigen Präsidentschaft vielleicht einen Schritt weiterkommen. Ich sage es in aller Offenheit - das ist nicht mit meiner Fraktion und Arbeitsgruppe abgestimmt -: Dieses Projekt ist für den Standort Deutschland so wichtig, dass wir es im Zweifelsfall, wenn wir es nicht allein schaffen können, mit einer kleineren Gruppe von Ländern schultern müssen. In diesem Sektor werden jetzt jährlich 25 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Alle Wissenschaftler erklären: In zehn Jahren sind es bereits 400 Milliarden Euro. Wenn wir mit dabei sind und ({10}) dieses System installiert ist, dann hat nicht nur die Logistikwirtschaft, sondern die Gesamtwirtschaft den größten Vorteil. Hier sagen wir als Unionsfraktion: Herr Minister, da haben Sie klasse verhandelt. Wenn das so weitergeht, werden wir Arbeitsplätze schaffen und die Technologieführerschaft für Deutschland erreichen. Diese haben wir in vielen Bereichen und dann auch im Verkehr. Wir machen eine ordentliche Politik. Die Koalitionsfraktionen machen eine Verkehrspolitik, wie wir sie vorher selten hatten. In die Zukunft geblickt: Wenn wir zusammenhalten, werden wir bis 2009 noch einiges zustande bringen, von dem die Opposition noch nicht einmal gedacht hat, dass man es machen könnte. Herzlichen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Einzelplan mehr vor. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung. Wir werden die Beratungen zum Haushaltsplan morgen, am Freitag, den 14. September 2007, um 9 Uhr fortsetzen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe die Sitzung.