Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege
Dirk Becker sein Amt als Schriftführer niedergelegt
hat. Als Nachfolger wird der Kollege Dr. Rainer
Tabillion vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege
Dr. Rainer Tabillion zum Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({0})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung der Heimkehrerstiftung und
zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge ({1})
- Drucksache 16/5845 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hans-Joachim Otto ({3}), Christoph
Waitz, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Klare Konzepte für den Bau des Berliner
Schlosses
- Drucksache 16/5961 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({4})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der
in der 109. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie
zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG
- Drucksache 16/5846 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? -
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 2 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2008 ({7})
- Drucksache 16/6000 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011
- Drucksache 16/6001 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt sieben Stunden vereinbart.
Wir beginnen die heutige Beratung mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Sozialordnung, Einzelplan 11. Als erster Redner
hat der Bundesminister Franz Müntefering das Wort.
({8})
Redetext
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Koalition ist mit ihrer Politik auf einem richtigen Weg; das hat sich auch in den Beratungen
dieser Woche gezeigt. Gestern ist das noch einmal so
schön plastisch geworden, als ich die Opposition gehört
habe. Die Ratlosigkeit, was Alternativen angeht zu dem,
was wir als Koalition vorgeschlagen haben, war sehr offensichtlich. Ich glaube, dass gestern Abend in allen
Wohnzimmern klar wurde: Deutschland wartet nicht
darauf, dass Westerwelle und Lafontaine hier auf die
Bühne treten.
({0})
Das muss die Große Koalition schon alleine machen,
und wir wollen das auch.
Wir wissen um die Verantwortung, die wir tragen. In
diesem Bewusstsein haben wir uns in Meseberg darüber
abgestimmt, was in den beiden Jahren bis 2009 im Wesentlichen noch zu tun ist. Es geht um die Notwendigkeit, gemeinsam die Ziele zu beschreiben, um den Weg,
der zu ihnen führt, zu finden: suchend, auch streitend
- wir sollten uns, wo es nötig ist, nicht davon abhalten
lassen -, aber auch fähig zu Kompromissen, die konstruktiv sind und in die richtige Richtung führen.
Wir haben in Meseberg noch einmal gemeinsam festgestellt: Es geht darum, den Wohlstand in diesem Land
dauerhaft auf hohem Niveau zu halten und ihn gerecht
zu verteilen; alle sollen etwas davon haben. Das ist das
gemeinsame Ziel. Dieses beschreibend, muss man versuchen, den Weg dahin zu finden. Dabei ist für alle im Kabinett, für die Bundesregierung insgesamt, aber auch für
die Große Koalition klar, dass das nur gelingen kann,
wenn wir Ökonomie, Ökologie und Soziales gleichgewichtig und miteinander abgestimmt zu einer guten Politik harmonisieren. Alle drei Dinge gehören zusammen:
Nur wenn wir ökonomisch erfolgreich sind, werden wir
die nötigen Grundlagen für ein hohes Niveau im sozialen
Bereich haben. Umgekehrt gilt aber auch: Nur wenn wir
in diesem Lande im sozialen Bereich Stabilität haben
- soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau -, können
auch die Ökonomie und die Ökologie funktionieren.
({1})
Diese drei Dinge gehören unvermeidlich zueinander.
Vor diesem Hintergrund will ich ein paar Punkte herausgreifen - alles kann ich nicht ansprechen -, über die
wir in Meseberg geredet haben, die uns in den nächsten
Wochen und Monaten begleiten werden und die etwas
mit dem Haushalt zu tun haben, über den wir jetzt beraten.
Noch vor dem 1. November 2007 werden wir eine
wichtige Entscheidung in Bezug auf die Fachkräfte treffen. In den letzten Wochen und Monaten gab es Meldungen, dass uns Ingenieure - Maschinenbauingenieure und
Elektroingenieure - fehlen. Das ist auch offensichtlich
so. Es kommen auch in den nächsten Jahren weniger
neue, frische Ingenieure von den Fachhochschulen und
Universitäten, als in Rente gehen. Wir in Deutschland
müssen uns an dieser Stelle umsehen, was wir tun können.
Wir haben in Meseberg als Koalition drei Punkte dazu
festgelegt: Erstens - zweitens und drittens: die eigene
Substanz im Lande nutzen.
({2})
Wir müssen das gesamte Potenzial in diesem Lande nutzen und versuchen, die Arbeit, die es in Deutschland
gibt, mit den Menschen zu tun, die legal in Deutschland
leben. Sie brauchen Bildung, sie brauchen Ausbildung,
und sie brauchen Qualifizierung. Das alles muss sein.
({3})
Darüber müsste man lange sprechen; aber ich will
hier das Konzept deutlich machen. Deshalb, der zweite
Punkt, der dahinter kommt, heißt: Wir werden eine
Kommission, einen Rat, bilden, der sich dauerhaft um
die Frage kümmern wird, welche Notwendigkeit bezogen auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes besteht,
an qualifizierte Fachkräfte zu kommen. Man wird
dann immer auf ein, zwei, drei Jahre im Voraus zu werten haben, wie viele es sein sollten und wie viele es sein
könnten und wen man einlädt, zu kommen.
Diejenigen, die dann kommen, sind keine Gastarbeiter mehr in dem Sinne, wie das früher gemeint war - jemand kommt und soll nach drei Jahren wieder weg -,
sondern das sind Leute, die hier integrierbar sind, integriert werden sollen und sich am Arbeitsmarkt bewegen.
Dazu gehört auch, dass sie keinen festen Arbeitsplatz haben müssen, wenn sie kommen.
Das ist eine Sache, die wir in diesem und im nächsten
Jahr gut vorbereiten müssen. Und was wir jetzt - drittens machen zum 1. November 2007, sind zwei relativ kleine
Schritte: zum einen die sektorale Öffnung für Maschinenbau- und Elektroingenieure für die zwölf neuen Länder der EU - diese können schon jetzt kommen, aber es
gilt das Prinzip der Nachrangigkeit; ab Anfang November können sie sich gleichrangig auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewegen -; zum anderen können sich die ausländischen Studenten nach Abschluss ihres Studiums ein
Jahr lang bemühen, eine Arbeit zu finden, um dann hier
in Deutschland in ihrem Beruf zu arbeiten.
Dazu hat Herr Westerwelle in Halbkenntnis der Zusammenhänge, wie das manchmal so ist, gesagt, wir hätten das auf drei Jahre beschränkt. Das ist falsch. Schon
heute können sich Studenten in dem Bereich, in dem sie
studiert haben, für drei Jahre einen Job suchen. Sie sind
dann aber nachrangig am Arbeitsmarkt. Das wird jetzt
geändert; die Nachrangigkeit fällt weg, und sie können
gleichrangig hier im Lande bleiben und arbeiten.
Herr Westerwelle hat auch gesagt, wir würden die Intelligenz aus dem Land treiben. Ich habe das als Ankündigung verstanden, dass er auf absehbare Zeit nicht mehr
ins Ausland fährt.
({4})
Jedenfalls sollten Sie sich den Zusammenhang einmal
ein bisschen genauer angucken.
({5})
- Bleiben Sie gelassen!
({6})
- Sagen Sie es lauter, dann können das alle hören. - Die
Regelungen zu den Fachkräften werden wir also zum
1. November 2007 treffen.
Wir werden in der nächsten Woche damit beginnen,
den Mindestlohn im Postbereich zu realisieren. Dann haben die Tarifparteien gestern den entsprechenden Antrag
gestellt. Damit ist das erfüllt, was wir gemeinsam vereinbart haben. Wir in der Bundesregierung möchten, dass
noch im Verlauf dieses Jahres für alle Postdienste Mindestlöhne zustande kommen.
({7})
Das werden wir im Kabinett und danach sicherlich auch
in den Fraktionen und im Bundestag zu beraten haben.
({8})
Dann kommt im November, Dezember die Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu den Dingen, die die Tarifparteien miteinander vereinbart haben.
Wir werden in diesem Herbst das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz
so weiterentwickeln, wie wir das vereinbart haben, und
werden dann im nächsten Jahr Branchen einladen, in Sachen Mindestlohn ihr Interesse anzumelden, um dann
auch aufgenommen zu werden.
Im Augenblick sprechen die verschiedenen Ministerien, die davon betroffen sind, über die Idee eines Erwerbstätigenzuschusses verbunden mit einer entsprechenden Kinderkomponente. Das heißt, wir wollen
versuchen, dass Menschen, die vollzeit- oder vollzeitnah
beschäftigt sind, die aber mit ihrem Einkommen trotzdem angewiesen sind auf zusätzliches Arbeitslosengeld II, Aufstocker, außerhalb des Arbeitslosengeldes II
verbleiben und deshalb auch nicht den Regeln des
Arbeitslosengeldes II unterliegen müssen.
({9})
Das ist die Idee des Kinderzuschlags, die seinerzeit
entwickelt worden ist. Die wollen wir weiter ausbauen.
Und wir wollen das verbinden zu einem Erwerbstätigenzuschuss für alle, die in dieser entsprechenden Größenordnung betroffen sind, und diese dann in die Idee des
Erwerbstätigenzuschusses aufnehmen.
({10})
- Von Herrn Kampeter kommt gerade der Einwurf, dass
wir darüber noch reden müssen. Das ist richtig. Das ist
so. Aber das ist das, was ich vorhin beschrieben habe.
Wenn man gemeinsam Ziele vereinbart, dann muss man
den Weg dahin suchen, wenn nötig, auch streitig. Ich
gehe dem ja nicht aus dem Weg. Aber es ist ein vernünftiger Gedanke, dass man Menschen, die in diesem
Grenzbereich sind - die voll arbeiten, aber nicht genug
Geld verdienen -, dass man die stabilisiert jenseits der
Hilfebedürftigkeit von Arbeitslosengeld II. Das ist ein
vernünftiger Gedanke, der bei Ihnen im Kinderzuschlag
ja auch mitgetragen ist. Wir sollten versuchen, gemeinsam daraus etwas Gutes zu machen.
({11})
Wir werden im November dieses Jahres über die
Frage zu sprechen haben, ob die Anpassungsmechanismen bei den Eckregelsätzen für Sozialhilfe und
Arbeitslosengeld II noch stimmen oder ob man da etwas
verändern muss. Da gibt es ja Ankündigungen von Preiserhöhungen. Auf dieser Grundlage haben wir eine Überprüfung ausgelöst: Stimmt das eigentlich noch von der
Höhe her? Das werden wir dann wissen, und dann werden wir darüber zu sprechen haben, wie man an dieser
Stelle Armut einschließlich Kinderarmut bekämpfen
kann.
Ich glaube, dass vor allem vier Dinge wichtig sind,
wenn man Armut bekämpfen will: Erstens: Arbeit
schafften, den Menschen Arbeit geben und sie fair bezahlen; ein ordentlicher Lohn! Das Zweite: Die Eckregelsätze und die Anpassungsmechanismen müssen stimmen. Das Dritte ist dieser Erwerbstätigenzuschuss, den
ich eben beschrieben habe. Und das Vierte ist die Frage,
ob man für die Kinder nicht weitere konkrete Hilfen über
das Maß hinaus erreichen kann, das es bereits heute gibt.
Viele Länder und Kommunen sind dabei, auf diesem Gebiet Gutes zu tun. Aber wir müssten einmal sehen, ob
man das nicht weiter systematisieren kann.
Wenn wir zu dem Ergebnis kämen, wir müssten die
Eckregelsätze für Kinder erhöhen, um 10 Euro bei den
unter 14-, unter 15-jährigen, dann müssten wir dafür
etwa 500 Millionen Euro einsetzen. Die Frage ist, wenn
wir diese 10 Euro pro Kind zusätzlich an die Bedarfsgemeinschaften geben: Kommt das bei den Kindern so an,
dass die Kinder wirklich das haben, was sie eigentlich
haben müssten? Deshalb müssen wir die konkrete Umsetzung - preisgünstig in Ganztagseinrichtungen gehen
zu können, sei es Krippe, Kita oder Schule, preisgünstig
gesund essen zu können, vernünftig eingerichtet zu sein,
wenn man in die Schule kommt - mit einbeziehen in die
Überlegung, wie man Kinderarmut bekämpfen kann. Da
werden wir in diesem Herbst dran sein und hoffentlich
zu guten gemeinsamen Entscheidungen kommen.
({12})
Wir werden Anfang nächsten Jahres ein Konzept zur
Humanisierung der Arbeitswelt vorlegen. Da geht es um
die Frage, wie wir altengerechte und altersgerechte
Arbeit möglich machen - Initiative 50 plus hin auf
dem Weg zum Renteneintrittsalter 67. Dazu gehört die
Frage, die wir uns alle stellen müssen: Was kann man
tun, damit die Menschen leistungsfähig älter werden,
und was kann man für die Humanisierung der Arbeitswelt tun?
Wir haben es in Deutschland erreicht, die Anzahl der
schweren Unfälle deutlich zu reduzieren. Da liegen wir
europaweit ganz weit vorn. Aber es ergeben sich neue
Krankheitsbilder, die man anders angehen muss - Rücken,
Augen, Haut, Psyche. Das sind Dinge, die man schwerer
präventiv aufhalten kann als manche großen und schweren Unfälle, mit denen wir früher zu tun gehabt haben.
Man kann Maschinen sehr sicher machen. Aber die
Menschen immun zu machen gegen Erkrankungen der
Augen, des Rückens und der Psyche - das ist schon etwas, das neue Herausforderungen mit sich bringt. Wir
müssen da Lösungen finden. Wir werden Anfang nächsten Jahres eine ausführliche Diskussion darüber führen
müssen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit am Tisch.
Wir werden Anfang nächsten Jahres in der Koalition
auch etwas entscheiden müssen zum Bereich Zeitarbeit.
Außer dass Zeitarbeit-Arbeitgeber und -Arbeitnehmer
auch gerne in die Mindestlohnregelung möchten, müssen wir prüfen - das ist auch Aufgabe von Meseberg -,
dass die Ausbauchungen, die im Zeitarbeitsbereich stattfinden, in eine vernünftige Bahn gelenkt werden. Zeitarbeit ist inzwischen eine solide Branche geworden. Das
wollen wir auch so. Wo aber Zeitarbeit zur Dauerarbeit
wird, und zwar mit künstlich herbeigeführten niedrigen
Löhnen, ist das nicht im Sinne der Erfinder. Wir müssen
alle miteinander darüber sprechen, was man da verändern kann.
({13})
Außer über die soziale Situation in Deutschland haben wir in Meseberg auch darüber gesprochen, was weltweit stattfindet. Der Anspruch, der sich mit der europäischen Präsidentschaft und der G-8-Präsidentschaft
verbindet, ist: dass wir ILO-Standards für menschengerechte Arbeit in der Welt unterstützen und versuchen,
das umzusetzen; dass wir Mindeststandards geben, was
die Lebensverhältnisse der Menschen in der Welt angeht. Das ist nicht nur soziales Denken, das ist auch eines, das vorbeugend ist für Konflikte und Kriege auf der
Welt. Wir fühlen uns mitverantwortlich dafür, dass wir
diese Standards nicht nur bei uns im Lande, sondern
- entsprechend deren Entwicklung - in den Ländern
weltweit forcieren. Dass es Kinder- und Sklavenarbeit
nicht geben darf, darin werden wir uns alle einig sein;
dass es sie tatsächlich gibt, ist aber leider eine Wahrheit.
Deshalb müssen wir in diesem, aber auch in anderen
Punkten dazu beitragen, dass wir die Standards in der
Welt so verändern, dass die Menschen menschenwürdig
arbeiten können.
({14})
Wir haben zum 1. Januar des nächsten Jahres den
Start in das persönliche Budget für behinderte Menschen. Das ist eine Herausforderung, weil Deutschland
das bisher nicht kannte. Das ist eine Sache, die in den
skandinavischen Ländern üblich ist. Behinderte Menschen werden sehr viel mehr als bisher das Geld, das wir
als Sozialtransfers für sie ausgeben, zur eigenen Entscheidung bekommen. Sie werden entscheiden können,
was sie damit machen.
({15})
Es wird nicht leicht sein, das zu organisieren; es ist aber
ein richtiger Schritt. Wir müssen ihn begleiten und dafür
werben. Wir müssen dafür sorgen, dass das gelingt. Behinderte Menschen müssen in größtmöglichem Maße
souverän über das Geld, das ihnen zur Verfügung steht,
entscheiden können. Das wollen wir erreichen. Das Bewusstsein dafür wollen wir stärken. Da wollen wir im
nächsten Jahr eine ordentliche Bewegung haben.
({16})
Ein letztes Wort zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und zur Vorbeugung. Wir haben in meinem Haus
- wenig besprochen, aber wirkungsvoll, meine ich - ein
Programm laufen, das unter der Überschrift „Xenos“
sich an junge Menschen richtet, an Kinder aus Migrationssituationen, aber auch an andere, in besonderer
Weise an Kinder in Hauptschulen und Sonderschulen.
Wir versuchen, sie gegen Rechtstendenzen zu immunisieren und sie für die Demokratie zu gewinnen, vor allen
Dingen aber ihnen eine eigene Lebensperspektive zu
bieten. Diese Sache bleibt eine gemeinsame, die, so
glaube ich, für alle in diesem Hause von großer Bedeutung ist. Wir müssen den jungen Menschen die Botschaft
vermitteln: Ihr habt die Chance. Wir wollen, dass ihr
eine Chance habt. Wir sorgen dafür. Wir helfen euch.
Wir fördern euch. Wir fordern euch heraus. Wir helfen
alle miteinander, damit die Rechtsextremisten in diesem
Land keine Chance mehr haben.
({17})
Einige wichtige Aufgaben, die sich mit dem Haushalt
„Arbeit und Soziales“ befassen! Das andere werden wir
im Ausschuss noch einmal sicher mit größerer Intensität
beraten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr verehrter Herr Minister, die positiven Zahlen, in denen Sie sich zurzeit sonnen, sind leider nicht
Ihr Verdienst. Vielmehr bringt die boomende Weltkonjunktur jetzt endlich auch den deutschen Arbeitsmarkt in
Schwung. Ihre Aufgabe wäre es nun, diese Entwicklung
nach Kräften zu fördern, indem Sie beispielsweise die
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes vorantreiben. Bei
dieser Aufgabe versagen Sie jedoch völlig.
({0})
Sie tun vielmehr alles, um diese positive Entwicklung
zu stoppen. Sie ziehen durch die Lande und reiten Ihr
Steckenpferd Mindestlohn. Der Mindestlohn ist für Sie
zum Allheilmittel geworden. Sogar Ihre Haushaltsprobleme meinen Sie mit diesem populistischen Wahlkampfschlager lösen zu können. Mit einem Mindestlohn
können Sie Ihren Haushalt aber nicht entlasten, Herr Minister;
({1})
im Gegenteil: Mit einem Mindestlohn zerstören Sie die
Arbeitsplätze, die es den Menschen jetzt erlauben, wenigstens einen Teil ihres Lebensunterhalts selbst zu verdienen.
({2})
Aus Sicht des Haushalts wäre der Mindestlohn also eher
mit Mehrkosten als mit Einspareffekten verbunden.
Das beste Mittel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist
eine Senkung der Lohnnebenkosten. Dafür tut die Regierung aber zu wenig. Die von Ihnen auf den Weg gebrachte Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung ist längst überfällig. Eine Senkung auf
3,9 Prozent ist allerdings nur ein Trippelschritt. Eine
Senkung auf 3,5 Prozent wäre ohne Weiteres sofort
möglich.
({3})
Die Beitragsgelder müssen denen zurückgegeben werden, die sie gezahlt haben. Stattdessen planen Sie weiterhin eine Umleitung von Beitragsgeldern aus der Arbeitslosenversicherung in den Bundeshaushalt. So wie es der
Haushaltsentwurf jetzt vorsieht, bereichert sich der Arbeitsminister mit 5,5 Milliarden Euro aus den Taschen
der Beitragszahler.
({4})
Er verzichtet zwar endlich auf den jetzt auf 2 Milliarden
Euro geschrumpften verfassungswidrigen Aussteuerungsbetrag, will aber nun stattdessen von der Bundesagentur einen Eingliederungsbeitrag in Höhe von
5 Milliarden Euro kassieren.
({5})
Im Entwurf versteckt er dann noch eine weitere halbe
Milliarde Euro, um die er seinen Haushalt auf Kosten
der Bundesagentur entlasten will.
Unsere klare Forderung lautet: Beitragssenkung statt
Beitragsklau. Die Überschüsse der Bundesagentur gehören den Beitragszahlern. Lassen Sie endlich die Finger
davon, Herr Minister!
({6})
Eine weitere massive Schwäche Ihrer Arbeitsmarktpolitik ist der ungebremste Wildwuchs von Maßnahmen. Die Regierung ist nicht fähig, diesen Wildwuchs
zu begrenzen; im Gegenteil: Jobperspektive, Qualifizierungskombi, Erwerbstätigenzuschuss, Ausbildungsbonus, Einstiegsqualifizierung, Beschäftigungspakte und
was es nicht noch alles an Plänen und Beschlüssen gibt.
In Ihrer Koalitionsvereinbarung hatten Sie sich etwas
ganz anderes vorgenommen: Sie wollten die Instrumente
der Arbeitsförderung durchforsten und unwirksame
Maßnahmen abschaffen.
({7})
Nichts davon ist geschehen. Im Gegenteil: Immer neue
Programme werden aufgelegt. In Meseberg haben Sie
sich nun wieder vorgenommen, die Instrumente zu straffen. Wer soll Ihnen das jetzt eigentlich noch glauben?
Die von der Regierung selbst in Auftrag gegebene Überprüfung der Wirksamkeit hat für den größten Teil der Arbeitsmarktinstrumente verheerende Ergebnisse gebracht.
({8})
Es ist geradezu fahrlässig, dass Sie daraus bisher überhaupt keine Konsequenzen gezogen haben.
({9})
Vor kurzem berichtete die FAZ über eine neue Studie
der Universität St. Gallen über den Erfolg der aktiven
Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. Das traurige Ergebnis lautet - ich zitiere -: Es wurde
„keine Arbeitsmarktmaßnahme gefunden … die positive Effekte hatte, dafür aber eine Menge von
Maßnahmen, die Arbeitslosigkeit eher verfestigen.“
Herr Minister, eine schlechtere Bewertung Ihrer Maßnahmen ist wohl kaum möglich.
({10})
Zwei Jahre lang hat die Koalition hier nichts bewirkt.
Packen Sie diese Aufgabe endlich an!
Statt solide Arbeit zu leisten, betreiben Sie Volksverdummung. Ich meine damit die Debatte über die sogenannten Aufstocker. Diese Menschen bekommen Ihrer
Meinung nach nur deswegen ergänzend Arbeitslosengeld II, weil es in Deutschland keinen allgemeinen Mindestlohn gibt. Ich finde diese Debatte unglaublich.
({11})
Dies betrifft vor allem die Beliebigkeit, mit der Zahlen verdreht werden. Angeblich geht es um
1,3 Millionen Beschäftigte, die neben ihrem Einkommen
Hartz IV beziehen. Alle Minijobber sind da eingerechnet. Diese Zahl beweist also überhaupt nichts. Es gibt
auch eine Zahl der Bundesagentur für Arbeit. Sie spricht
in ihrem jüngsten Monatsbericht von 502 000 Aufstockern, also Arbeitslosengeld-II-Beziehern mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Aber sozialversicherungspflichtig ist auch eine Teilzeitarbeit mit
einem Verdienst von 401 Euro. Je nach Familiensituation bleibt da Bedarf nach ergänzender Unterstützung.
Auch diese Zahl kann Ihre Argumentation also nicht
stützen.
({12})
Stützen könnte sich diese Debatte - wenn überhaupt nur auf die Zahl der vollzeitbeschäftigten Alleinstehenden,
({13})
die von ihrem Lohn den Lebensunterhalt nicht bestreiten
können und deshalb zusätzlich Hartz IV beziehen. Wissen Sie was? Das sind 47 000 Menschen.
Ich finde es wichtig, hier einmal die Dimension klarzumachen, die Herrn Müntefering veranlasst, für einen
bundesweit einheitlichen Mindestlohn zu kämpfen.
({14})
Es geht in dieser Debatte über die Aufstocker nicht um
1,3 Millionen oder 502 000, es geht um 47 000 Arbeitnehmer. Hierbei handelt es sich vielfach um Menschen,
die mit besonderen Problemen zu kämpfen haben, weil
sie beispielsweise keine Berufsausbildung haben. Ihnen
ist mit einem Mindestlohn nicht geholfen, wenn sie als
Konsequenz ihren Arbeitsplatz verlieren.
({15})
Herr Minister, Ihre Argumentation, was die Aufstocker angeht, ist einfach falsch. Wenn Menschen, die bisher gar nicht gearbeitet haben, eine Teilzeitarbeit aufnehmen, dann erhöht sich selbstverständlich die Zahl
derer, die teilunterstützt werden, also die der Aufstocker.
Das bedeutet aber zugleich, dass mehr Menschen zumindest einen Teil ihres Lebensunterhalts selbst verdienen.
Diese Entwicklung würgen Sie mit Ihrem Mindestlohn
ab.
Der Entwurf des Haushalts des Arbeitsministeriums
für das Jahr 2008 enthält, wie üblich, erhebliche Risiken.
In der Debatte über den Haushalt 2007 haben Sie, Herr
Minister, hier gestanden und versprochen: Wir kommen
2007 mit dem Geld für Hartz IV aus. - Ihre Versprechungen waren falsch. Sie hätten es schon damals besser
wissen müssen.
({16})
Trotzdem setzen Sie diesen Posten im Haushalt für das
Jahr 2008 wieder unsolide an. Knapp 23 Milliarden Euro
werden in diesem Jahr voraussichtlich gebraucht; das
sind ungefähr 1,5 Milliarden Euro mehr als im
Haushalt 2007 vorgesehen. Im Haushaltsentwurf für
2008 sind trotz dieser Entwicklung nur 21 Milliarden Euro veranschlagt. Die Lücke ist wieder absehbar.
Meine Damen und Herren, im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses zum Haushalt hat der Finanzminister geklagt, er sei „umzingelt“ von Ausgabewünschen. Sie als
Arbeitsminister machen bei diesem gefährlichen Spiel in
vorderster Linie mit. Erwerbstätigenzuschuss, Kommunalkombi und Hartz-IV-Erhöhung:
({17})
Ideen zum Geldausgeben haben Sie reichlich. Das ist sozialdemokratische Verteilungspolitik. Solide Politik ist
es jedenfalls nicht.
Danke.
({18})
Das Wort hat die Kollegin Ilse Falk von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute den Einzelplan des Bundeshaushalts,
angesichts dessen Volumen jeder zusammenzuckt: Der
Betrag von 129,5 Milliarden Euro ist nicht nur eine gewaltige Summe - 45 Prozent des Gesamtetats -, sondern
er macht auch deutlich, dass sowohl unser Sozialsystem
als auch der Arbeitsmarkt nach wie vor großer Unterstützung bedürfen.
Wir alle sind natürlich über die deutlich gesunkenen
Arbeitslosenzahlen froh. Wir freuen uns über jeden der
fast 1 Million Menschen, die wieder oder überhaupt zum
ersten Mal eine Arbeit gefunden haben. Beschäftigung
bietet den Menschen nicht nur finanzielle Sicherheit,
sondern stärkt auch das Selbstwertgefühl und gibt dem
Leben einen Sinn.
({0})
Gut ist, dass allmählich Bewegung in die Bereiche
kommt, die uns besonders große Sorgen bereiten. So war
allein in den letzten zwölf Monaten ein Rückgang der
Zahl der Arbeitslosen um 666 000 Personen zu verzeichnen, unter denen 100 000 Jugendliche unter 25 Jahren
und 100 000 ältere Arbeitnehmer über 55 Jahren waren.
Das bedeutet, dass sich die Perspektiven für Jung und
Alt gleichermaßen verbessert haben. Hinzu kommt, dass
es 355 000 Langzeitarbeitslose weniger gibt als vor einem Jahr. Das heißt, der Aufschwung erreicht auch die
Sockelarbeitslosigkeit.
({1})
Außerdem ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zur Situation vor einem Jahr um 526 000 gestiegen. Es sind also
neue reguläre Beschäftigungsverhältnisse entstanden.
Dadurch fließt wieder mehr Geld in die Sozialkassen,
was zu deren Stabilisierung führt. Die Zahl der Erwerbstätigen erreicht mit 39,79 Millionen ein Rekordniveau.
So hoch war diese Zahl seit der Wiedervereinigung noch
nie.
Mit dem Dreiklang „Investieren, Sanieren, Reformieren“ haben wir frühzeitig massive Wachstumsimpulse gesetzt und zukunftsorientierte Investitionen in
Forschung, Entwicklung und Bildung getätigt. Das zahlt
sich jetzt aus.
Wir haben auch unpopuläre, angesichts der demografischen Entwicklung aber notwendige Reformen auf den
Weg gebracht, zum Beispiel die ab 2012 beginnende
schrittweise Anhebung der Rentenregelaltersgrenze um
zwei Jahre, die Rente mit 67. Angesichts eines Bundeszuschusses zur Rentenkasse in Höhe von 78,6 Milliarden Euro und immer längerer Rentenbezugszeiten wäre
es unverantwortlich gegenüber der jungen Generation
gewesen, hier nicht zu handeln.
Das allein reicht aber noch nicht aus, um Sicherheit
im Alter zu garantieren. Deshalb ist es unbedingt notwendig, weiterhin Anreize zur betrieblichen und privaten Altersvorsorge zu bieten bzw. weitere Anreize zu
schaffen. So wollen wir zum Beispiel die Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung beibehalten sowie Verbesserungen bei der Unverfallbarkeit von Anwartschaften
durch das Betriebsrenten-Förderungsgesetz erreichen.
({2})
Im Hinblick auf die private Altersvorsorge ist die vereinbarte Erhöhung der Kinderzulage bei der RiesterRente ab 1. Januar 2008 von 138 Euro auf 185 Euro
bzw. auf 300 Euro für nach dem 1. Januar 2008 geborene
Kinder ein wichtiger Baustein.
Insgesamt haben wir die Lebensbedingungen in
Deutschland mit einer Fülle von Maßnahmen verlässlich
und nachhaltig verbessert. Jetzt gilt es, dies weiter zu
verstetigen, neue Impulse für fortdauerndes Wachstum
zu geben und die spürbare Teilhabe möglichst aller Menschen daran zu ermöglichen.
Das Ziel muss bleiben, möglichst jeden Menschen in
Arbeit zu bringen. Auch 3,7 Millionen Arbeitslose sind
noch entschieden zu viele. Die Politik kann keine Arbeitsplätze schaffen - das ist eine Binsenweisheit -, aber
sie kann die Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Beschäftigung verbessern. Dazu gehört die weitere Senkung der Lohnnebenkosten. Dies ist im Rahmen unseres
Einzelplanes, des Einzelplanes 11, durch die Senkung
des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung
möglich. Es ist der Union ein dringendes Anliegen, den
Beitrag über das schon fest vereinbarte Ziel von
3,9 Prozent hinaus um weitere 0,4 Prozentpunkte auf
3,5 Prozent zu senken.
({3})
Angesichts der von der Bundesagentur für Arbeit vorgelegten Zahlen sollte dies machbar sein und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft weiter stärken.
Neue Beschäftigungsimpulse können außerdem von
steuerlichen Anreizen zur Stärkung der Rolle privater
Haushalte als Arbeitgeber ausgehen. Wer einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz schafft, sollte dies
zu den gleichen Bedingungen können, wie sie für jeden
Betrieb gelten. Davon profitieren die Arbeitnehmer, die
Arbeitgeber und nicht zuletzt der Staat, weil wir Licht in
das Dunkel der Schwarzarbeit im privaten Sektor bringen könnten.
Wir müssen den Aufschwung nutzen, um insbesondere sogenannte Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit
zu bringen. Angesichts von weit über 1 Million offenen
Stellen frage ich Sie: Wann, wenn nicht jetzt, soll dies
gelingen?
({4})
Wir haben deshalb beschlossen, die Förderung bestimmter Personengruppen zu verstärken. Dazu gehört der
Kombilohn zur Verbesserung der Beschäftigungschancen für Menschen unter 25 Jahren. Ferner gehört das auf
die Jugend abzielende Konzept Jugend, Ausbildung und
Arbeit der Bundesregierung dazu, das noch in diesem
Jahr vorgelegt werden soll.
Auch Langzeitarbeitslose mit multiplen, besonders
schweren Vermittlungshemmnissen sollen mit einer intensiven persönlichen Betreuung schrittweise wieder an
den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Dafür ist ebenfalls ein Kombilohn beschlossen worden.
Das alles kostet viel Geld, aber wir sind überzeugt,
dass es gute und wichtige Investitionen in Lebenschancen für junge und schwer vermittelbare Menschen sind.
Das rechnet sich letztlich auch für den Staat.
({5})
Ein wichtiges Thema, das uns beschäftigen muss, ist
die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt. Diesbezüglich gibt es noch erhebliche Barrieren,
({6})
nicht nur in Bezug auf die Bereitschaft zur Anstellung
dieser Menschen, sondern auch hinsichtlich der Gesetzeslage.
Des Weiteren muss es uns gelingen, die Potenziale älterer Menschen - insbesondere angesichts des eben angesprochenen Fachkräftebedarfs - stärker auszuschöpfen. Die Initiative 50 plus ist inzwischen auf Erfolgskurs
und gibt älteren Arbeitssuchenden neuen Lebensmut. In
diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass
es uns besonders wichtig ist, jegliche Frühverrentungsanreize vonseiten des Staates schnellstmöglich abzuschaffen. Wir können angesichts der demografischen
Entwicklung überhaupt nicht auf die Erfahrung bewährter Arbeitskräfte verzichten.
Auch die großen Potenziale von Frauen auf dem Arbeitsmarkt könnten noch stärker genutzt werden. Inzwischen erreichen Frauen vergleichbare oder bessere Bildungsabschlüsse als Männer und möchten in ihrem
Beruf arbeiten und gleichzeitig eine Familie haben. Mithilfe des Elterngeldes und des in Angriff genommenen
weiteren Ausbaus der Kinderbetreuungsmöglichkeiten
schafft die Bundesregierung erstmals echte Wahlfreiheit.
Dabei ist mir eines wichtig: Frauen und Männer, die Beruf und Familie vereinbaren möchten, sollen dies können, ohne dass diejenigen, die sich vorübergehend oder
dauerhaft ausschließlich ihrer Familie widmen möchten,
diskriminiert werden. Wir haben hohe Achtung vor ihrem Engagement und sind uns ihrer Leistung wohlbewusst. In dieser Diskussion wünsche ich uns allen deutlich mehr Gelassenheit.
({7})
Generell sind noch stärkere Bemühungen bei der Aktivierung und Integration der in den Bereich des SGB II
fallenden Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt nötig. Hier
geht es vor allem um eine Verbesserung der Betreuung in
den Jobcentern. Wir hören immer wieder Klagen über
mangelnde Leistungsfähigkeit der neuen Behörde, über
unfähige Mitarbeiter. Die mag es geben. Aber erstens
zeigen uns neueste Umfragen, dass sich die Bewertung
deutlich bessert, und zweitens darf man nicht vergessen,
welch gewaltigen Umstrukturierungsprozess die Arbeitsverwaltung hinter sich hat und was den Mitarbeitern
auf diesem Weg zum Teil zugemutet wurde. Deshalb
will ich an dieser Stelle ausdrücklich denjenigen danken,
die unter oft schwierigen, nicht unbedingt vergnügungsteuerpflichtigen Bedingungen hervorragende Arbeit leisten.
({8})
Wir könnten ihnen sicher helfen, wenn wir den Wildwuchs von Maßnahmen konsequent lichteten und ihnen
mehr Entscheidungskompetenz zutrauten. Die Union
fordert daher seit langem eine ehrliche Evaluation des
arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums im Hinblick
auf Wirksamkeit und Kosten. Wir brauchen hier mehr
Transparenz und eine Bündelung der erfolgreichen Instrumente für eine zielgenauere Handhabbarkeit. Maximal zehn Instrumente sollten eine ausreichende Grundlage sein. Das Ministerium und die Bundesagentur
arbeiten daran. Wir hoffen, bald zu guten Ergebnissen zu
kommen.
({9})
Neben dem Aspekt des Förderns, der wichtig ist, darf
das Fordern nicht in den Hintergrund geraten. Es muss
das Ziel bleiben, jedem Menschen zu ermöglichen, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu bestreiten.
Deshalb ist es wichtig, dass bei den Arbeitsvermittlern
vor Ort der Gleichklang von Fordern und Fördern - beides - konsequent umgesetzt wird, bei offensichtlicher
Arbeitsverweigerung notfalls auch mit Druck. In den
Fällen, in denen deutlich wird, dass angebotene Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden, muss gehandelt
werden. Der Kombination aus optimierter Arbeitszeit
und staatlichem Zuschuss bei gleichzeitiger maximaler
Freizeit für illegale Zusatztätigkeiten müssen wir ein
Ende bereiten. Wir brauchen deshalb Anreize für Vollzeittätigkeit, unter anderem durch veränderte Hinzuverdienstregelungen, wie von der Union bereits seit geraumer Zeit gefordert. Gleichzeitig müssen Schwarzarbeit
und illegale Beschäftigung durch Kontrollen konsequenter verhindert und bekämpft werden.
Eine angemessene Versorgung derer, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, muss selbstverständlich sein.
Oberste Priorität haben für uns aber die Verbesserung
der Beschäftigungschancen und Teilhabe für alle Menschen. Deshalb muss unser wichtigstes Ziel sein - sowohl aus der Sicht der Betroffenen als auch aus der Sicht
der Solidargemeinschaft -, möglichst viele Menschen aus
dem Bezug staatlicher Transfers und somit aus finanzieller und gedanklicher Abhängigkeit herauszuholen. Wir
können und wollen nicht zulassen, dass es regelrechte Sozialhilfekarrieren über mehrere Generationen gibt.
({10})
Auch das ist eine Frage der Menschenwürde. Dafür müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Wirtschaft und Politik ihre Kräfte bündeln zum Wohle unseres Landes und
der Menschen, die hier leben.
Für den Einzelnen bedeutet Beschäftigung Sicherheit
und Lebensperspektive. Für den Staat bedeutet Beschäftigung Wachstum und finanzielle Spielräume für diejenigen, die der Hilfe bedürfen. Immer aber sollten soziale
Leistungen als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden
und unbegrenzt nur denen vorbehalten bleiben, die sich
aus eigener Kraft nicht helfen können.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde schon gesagt: Der Arbeitsminister verfügt
über fast die Hälfte des Bundeshaushaltes. Selbst wenn
man die Zuschüsse zu den Rentenkassen abzieht, sind es
immer noch etwa 45 Milliarden Euro, die Herr
Müntefering nächstes Jahr verteilen kann. Die SPD verweist gerne auf diese riesige Summe, um zu zeigen, wie
sozial ihre Haushaltspolitik sei. Doch das ist sie nicht.
Im Gegenteil: Es ist wirklich erschreckend, wie wenig
Positives dieses viele Geld auf dem Arbeitsmarkt bewirkt.
Ich würde sogar weitergehen: Der Arbeitsminister
richtet mit den Steuergeldern mehr Schaden als Nutzen
an.
({0})
Das liegt an der falschen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
der alten und der jetzigen Bundesregierung. Die
Agenda 2010 macht den Arbeitsmarkt kaputt und hat
eine verheerende Spirale des Lohndumpings ausgelöst,
die zu menschenunwürdigen Bedingungen geführt hat.
({1})
Jeder von uns - auch die Kollegen auf der rechten Seite
des Hauses - kennt Unternehmen, die sozialversicheDr. Gesine Lötzsch
rungspflichtige Arbeitsplätze in Minijobs zerstückelt haben. Jeder von uns kennt Unternehmen, die Leiharbeiter
zu Hungerlöhnen beschäftigen und ihren Mitarbeitern so
wenig zahlen, dass sie ihren Lohn durch das Sozialamt
aufstocken lassen müssen.
({2})
Das ist nicht hinnehmbar.
({3})
Das Politikmagazin Fakt berichtete über folgenden
Vorfall: Ein Maurer, der 43 Jahre Berufserfahrung hat
und gerade zwei Monate arbeitslos war, wurde von der
Arbeitsagentur zu einer Trainingsmaßnahme zur Eignungsfeststellung bestellt. Der Maurer durfte dort - ohne
einen Cent verdient zu haben - 14 Tage schuften. Dann
wurde er gefeuert. Das ist eine unerträgliche Situation.
({4})
Die Politik der Agenda 2010 hat aus Arbeitnehmern
Freiwild für skrupellose Unternehmen gemacht. Diesen
Machenschaften muss endlich ein Riegel vorgeschoben
werden. Hier müssen Sie handeln, Herr Müntefering.
({5})
Mein persönlicher Wahlslogan 2005 lautete: „Von Arbeit muss man leben können“. Man wirft uns gerne vor,
wir seien populistisch.
({6})
Doch was ist an dieser Forderung populistisch? Eigentlich müsste jeder Politiker - dazu zählen wir alle in diesem Saal -, der für die sorgsame Verwendung von Steuergeldern Verantwortung trägt, mir zustimmen, dass
diese Forderung nicht nur human, sondern auch haushaltspolitisch zwingend ist.
({7})
Wenn es so weitergeht, dass Unternehmen ihre Lohnkosten senken und ihre Beschäftigten zum Sozialamt
schicken, dann geht dieser Staat irgendwann Bankrott.
({8})
Immer mehr Menschen müssen zum Sozialamt gehen
und Zuschüsse beantragen, weil ihr Lohn ihnen kein
menschenwürdiges Leben ermöglicht. Ihre Arbeitsmarktpolitik ruiniert die Menschen und die Staatsfinanzen.
({9})
Das beste Mittel, um die Selbstbedienungsmentalität
der Unternehmen zu stoppen, ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes, und zwar nicht nur für einzelne Branchen, sondern flächendeckend ohne Ausnahme, auch wenn es der rechten Seite des Hauses nicht
gefällt. Bei dieser Forderung geht es nicht nur darum, die
Armut zu bekämpfen, sondern der Mindestlohn verhindert auch, dass die Unternehmen von Mitnahmeeffekten
profitieren.
Es ist zynisch, wenn immer wieder behauptet wird,
dass Mindestlöhne den Arbeitsmarkt kaputt machen, wie
es von der rechten Seite des Hauses gerne getan wird.
({10})
Im Gegenteil: Der Arbeitsmarkt geht kaputt, weil viele
Unternehmen keine Mindestlöhne zahlen. Jeder, der gegen Mindestlöhne ist, sollte sich einmal in Europa umschauen - interessanterweise gab es bei den vorhergehenden Redebeiträgen entsprechende Zurufe aus den
Reihen der SPD -: In allen 20 Mitgliedstaaten der EU, in
denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, wurden
die Mindestlöhne in diesem Jahr sogar erhöht. Daran
sollten wir uns orientieren.
({11})
Ich habe bisher noch nicht gehört, dass die Länder, in denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, den Notstand ausgerufen hätten.
Ich habe nicht genügend Zeit, um alle Details des Arbeitshaushaltes zu behandeln. Das ist aber auch nicht nötig. Ich habe nur das Beispiel Mindestlohn herausgenommen, um zu zeigen, wo der Systemfehler in der
Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung liegt. Am Beispiel des Mindestlohnes, verehrter Kollege Steinbrück,
kann man auch Ihre Vorwürfe an uns Linke entkräften,
dass wir immer nur mehr Geld ausgeben wollten.
({12})
Denn der Mindestlohn kostet den Staat keinen Cent. Im
Gegenteil: Er bringt sogar Geld in die Kassen.
({13})
Ich denke, auch Sie können das nachrechnen.
({14})
Herr Kollege Müntefering, Sie haben öffentlich erklärt, dass die zweite Hälfte der Legislaturperiode sozialdemokratisch werden soll. Beweisen Sie es doch wenigstens in dieser Frage und setzen Sie den gesetzlichen
Mindestlohn durch, und zwar nicht nur für einzelne
Branchen, sondern für alle!
({15})
Dann tun Sie etwas Gutes, und dafür werden Sie unsere
Unterstützung bekommen, aber nur, wenn Sie entschlossen darangehen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Falk,
Sie haben die drei Kombilohnmodelle, die Sie mit den
letzten beiden Gesetzen eingeführt haben, sehr positiv
bewertet. Ein weiterer Kombilohn ist in Vorbereitung.
Das heißt, innerhalb kürzester Zeit haben Sie vier neue
Instrumente geschaffen. Gleichzeitig propagieren Sie,
dass der Instrumentenkasten auf maximal zehn Instrumente reduziert werden soll.
({0})
Ich glaube, Ihr Programm heißt: Mit Widersprüchen leben lernen. Arbeiten Sie daran, aber verschonen Sie die
Gesellschaft bitte mit diesen Widersprüchen!
({1})
Ich möchte gern auf die Klausur von Meseberg zurückkommen; denn dort hat die Regierung festgelegt,
was sie sich in den nächsten zwei Jahren vornehmen
will.
({2})
Die Überschrift lautet „Aufschwung, Teilhabe, Wohlstand“ für alle. Ich finde, das ist ein überaus ehrgeiziges
Ziel. Das ist ein großes Versprechen. Parallel zu diesem
großen Versprechen häufen sich die Meldungen über
Kinderarmut und die zunehmende Zahl an Suppenküchen. Herr Müntefering, ich kann im Haushalt nicht erkennen, wie und mit welchen Instrumenten Sie dieses
große Versprechen halten wollen.
Ich will an die Adresse der CDU/CSU-Fraktion sagen: Wer sagt, wir wollen uns für Wohlstand für alle einsetzen, sich dann aber noch nicht einmal für Mindestlöhne für alle einsetzt, der ist in dieser Frage nicht
wirklich glaubwürdig.
({3})
Ich jedenfalls habe den Verdacht, dass das Versprechen
„Wohlstand für alle“ ungefähr so wenig Substanz hat
wie der Spruch von Helmut Kohl von den blühenden
Landschaften. Beides ist Propaganda. Von beidem können sich die Menschen leider nicht viel kaufen.
({4})
Herr Müntefering, Sie haben heute auf den Erwerbstätigenzuschuss hingewiesen. Ich hätte mir gewünscht,
dass Sie ein bisschen genauer erklärt hätten, was Sie sich
vorstellen.
({5})
Nach welchen Kriterien soll der Erwerbstätigenzuschuss
gewährt werden? Unter dem Kinderzuschuss von Frau
von der Leyen kann ich mir noch etwas vorstellen. Aber
ein Erwerbstätigenzuschuss droht doch zu einem flächendeckenden Kombilohn zu werden. Wie Sie das abgrenzen wollen, müssen Sie uns einmal erklären.
({6})
Lassen Sie mich zu einem anderen Versprechen kommen: einen Ausbildungsplatz für jeden. In den Ausführungen von Meseberg lassen sich altbekannte Prüfaufträge und Planspiele finden. Das neue Ausbildungsjahr
steht vor der Tür. 160 000 junge Menschen suchen weiterhin einen Ausbildungsplatz. Hinzu kommen 300 000,
die sich in Warteschleifen befinden. Wenn Sie Ihr Versprechen wirklich einlösen wollten, müssten Sie sich intensiver für die jungen Menschen einsetzen. Das tun Sie
aber leider nicht.
Sie versprechen Aufstiegsmöglichkeiten für jeden.
Ich frage mich, wie diese für Geringqualifizierte und
Langzeitarbeitslose aussehen sollen. Sie wissen genauso
gut wie ich: Der Schlüssel zum Aufstieg ist in dieser Republik eine gute Qualifikation. Ihre vielbeschworene
Qualifizierungsoffensive besteht aber im Wesentlichen
aus Appellen an die Bundesländer. Das hat natürlich damit zu tun, dass Sie durch die Föderalismusreform fast
alle Kompetenzen - diese hätten Sie eigentlich behalten
bzw. ausbauen müssen - an die Bundesländer abgegeben
haben. Insofern sind das wohlfeile Versprechen.
Dort, wo Sie selber Verantwortung tragen, nämlich
bei der Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen, ist von
dieser Offensive aber auch nicht viel zu spüren.
({7})
Die Ressourcen der Bundesagentur für Arbeit für Qualifizierung und Weiterbildung sind in den letzten Jahren
drastisch zurückgefahren worden. Der Anteil der
Geringqualifizierten an der Gruppe, die an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen, liegt bei nur 27 Prozent.
Aber genau das ist die Gruppe, auf die wir uns im Wesentlichen konzentrieren müssen. Wir schlagen Ihnen
deswegen vor, eine doppelte 50-Prozent-Quote einzuführen, also die Hälfte der Weiterbildungsangebote für
Geringqualifizierte zur Verfügung zu stellen und die andere Hälfte mit Berufsabschlüssen zu verbinden. Ich
glaube, dann tun Sie wirklich etwas dafür, dass diese
Gruppe Aufstiegsmöglichkeiten hat. Sie täten aber noch
etwas Weiteres: Sie würden einen echten Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels leisten.
({8})
Mit Ihrer Strategie der doppelten Weigerung, nämlich
der Weigerung, echte Zuwanderung zuzulassen, und der
Weigerung, wirkliche Qualifizierung zu erreichen und
Weiterbildung zu verbessern, sind Sie auf dem besten
Weg, den Aufschwung abzuwürgen und damit das Problem für die Arbeitslosen zu vergrößern.
Solange Sie diese absurd hohe Hürde von
84 000 Euro Einkommen aufrechterhalten, so lange werden Sie in Sachen Zuwanderung nicht wirklich vorankommen und so lange werden die qualifizierten Fachkräfte ihre Fähigkeiten in anderen Ländern anbieten, in
denen die Bedingungen für sie weitaus besser sind.
({9})
Das jedenfalls ist kein Konzept, um den Wettbewerb um
die besten Köpfe zu gewinnen. Legen Sie verdammt
noch einmal die ideologischen Scheuklappen ab! Machen Sie eine vernünftige Zuwanderungspolitik möglich! Dann tun Sie wirklich etwas für die Arbeitslosen
hier im Lande, die dann auch von der Zuwanderung profitieren. Der Widerspruch, der immer behauptet wird,
existiert nämlich nicht.
Sie haben Wohlstand für alle versprochen. Zu Wohlstand und Aufschwung gehört auch ein auskömmlicher
Lohn. Für viele heißt es aber leider: Armut trotz Arbeit.
4 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiten für Niedriglöhne. Sie haben sich in der Koalition nach sehr zähen
Verhandlungen darauf verständigt - wir alle konnten das
in den Medien verfolgen -, einzelne Branchen in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, vorausgesetzt dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf
verständigen und dass 50 Prozent der Beschäftigten dieser Branche davon betroffen sind. Das sind genau die
Bedingungen, die die Postdienstleistungsbranche jetzt
erfüllt hat. Nun denkt der geneigte Leser bzw. die geneigte Leserin, dass damit alles in trockenen Tüchern
wäre. Weit gefehlt, der Streit geht weiter. Die Vereinbarung, die Sie miteinander getroffen haben, ist ganz offensichtlich das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht; denn sonst müssten Sie zu streiten aufhören.
Das tun Sie aber nicht.
({10})
Meine Redezeit ist leider weitgehend abgelaufen.
({11})
- Auch ich finde das schade. Ich sehe, dass Sie mir gerne
zuhören.
Herr Müntefering, Sie werden mit den Worten zitiert,
das Kabinett werde sich jetzt verstärkt für den Ausgleich
zwischen Wirtschaft und Sozialem einsetzen. Ich habe
allerdings das Gefühl, dass es der Großen Koalition im
Wesentlichen um den Ausgleich zwischen Union und
SPD geht. Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin,
dass das in Zukunft anders werden wird. Die Leidtragenden sind die Arbeitslosen in diesem Land, die in diesem
Gerangel zerrieben werden.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nein,
Tante Käthe gibt es heute nicht, heute gibt es Onkel Otto.
({0})
Eigentlich wollte ich gar nicht so einsteigen, aber Ihre
Ausführungen haben mich wirklich dazu veranlasst, Sie
mit Onkel Otto bekannt zu machen. Onkel Otto war kein
Mensch, Onkel Otto war unser Hausschwein.
({1})
Onkel Otto stand in einem Stall, und der Futtertrog befand sich in einem Stall daneben.
({2})
Wenn es Futter gab, klopfte meine Oma an den Futtertrog, und das Schwein schoss durch die Tür an diesen
Futtertrog heran.
({3})
Aus baulichen Gründen wurde diese Tür zugemacht, und
der Ausgang wurde an eine andere Stelle verlegt. Was
machte Onkel Otto? Onkel Otto raste ständig gegen die
Wand.
({4})
Genau das ist Ihr Problem: Sie stehen in einem Stall
mit fünf Ausgängen. Was machen Sie? Sie knallen ständig mit der Birne vor die Wand.
({5})
Meine Güte, das muss doch wehtun. Ich kann die FDP
nur dringend auffordern, einmal zur Kenntnis zu nehmen: Es gibt Türen.
({6})
Ich will auch etwas zur PDS sagen. Die PDS steht aus
meiner Sicht im gleichen Stall und ist dabei, jede vorhandene Öffnung zuzumauern.
({7})
Man kann geradezu sehen, dass alle Ausgänge irgendwann zu sind und das Schwein verhungert.
({8})
Frau Kollegin Lehn, ich unterbreche Sie ungern. Aber
der Kollege Meckelburg möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Wie ich sehe, erlauben Sie das.
Bitte, Herr Meckelburg.
Frau Kollegin Lehn, Sie haben in der letzten Haushaltsberatung die Geschichte Ihrer Tante Käthe erzählt.
Nun kommen Sie mit Onkel Otto. Ist Ihre Verwandtschaft sehr groß,
({0})
und dürfen wir die Aufarbeitung Ihrer Familiengeschichte auch in den nächsten Jahren erleben?
({1})
Herr Kollege, ich bin die Älteste von elf Kindern.
({0})
Wer wie die PDS allein in dem Bereich Arbeit und
Soziales zusätzlich pro Jahr 26,4 Milliarden Euro ausgeben will, wer den Rentenversicherungsbeitrag auf
28 Prozent erhöhen will, der zieht nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dieses Landes das
Geld aus der Tasche, sondern er erhöht auch fahrlässig
die jährliche Zinslast um mindestens 1 Milliarde Euro.
({1})
- Ich kann verstehen, dass Sie das irritiert.
({2})
Sie sind nicht nur Traumtänzer - würde man Sie so bezeichnen, wäre das wirklich geschmeichelt -, sondern
Sie sind in dem, was Sie machen, absolut fahrlässig.
({3})
In den letzten 18 Monaten ist die Zahl der arbeitslosen Menschen in Deutschland um 1,3 Millionen zurückgegangen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten ist im Vergleich zum Vorjahr um eine
halbe Million gestiegen. Diese Zahlen machen doch
Mut. Diese Zahlen sind doch der Lohn für Anstrengung
und Arbeitsleistung der Menschen in diesem Land.
Diese positive Entwicklung geht doch nicht nur auf die
Weltwirtschaft zurück.
({4})
Natürlich haben auch die weltwirtschaftliche Situation und die Reformleistungen dieser Bundesregierung
und die ihrer Vorgängerin dazu beigetragen.
({5})
Möglich gemacht haben das aber vor allen Dingen die
Menschen in diesem Land, die arbeiten, die sich aufmachen, die sich umorientieren, die Lohnverzicht geübt haben und die viel Negatives eingesteckt haben.
({6})
In dieser Situation dürfen wir uns nicht zurücklehnen
nach dem Motto: Auftrag erledigt. Die Menschen dürfen
zu Recht erwarten, dass wir weitere Anstrengungen unternehmen. Viel zu viele sind noch arbeitslos. Sie haben
recht: Viel zu viele warten vergeblich auf einen Ausbildungsplatz. Ich glaube, dass da wirklich noch eine ganze
Menge zu tun ist.
In letzter Zeit wird viel darüber gesprochen, dass man
den arbeitslosen Menschen mehr Geld zahlen muss. Ich
unterstütze die Initiative von Franz Müntefering, den
Regelsatz objektiv zu überprüfen. Noch viel besser, noch
wirkungsvoller ist es aber, die Menschen in Arbeit zu
bringen.
({7})
Hier sehe ich zwei Handlungsfelder: mehr und zielgenauere Förderung auf der einen Seite und eine erhöhte
Anpassungsfähigkeit des Sozialstaates auf der anderen
Seite.
Was heißt das nun? Ich sage: Die Maßnahmen müssen
zielgenauer sein. Ich verweise zum Beispiel auf das von
uns beschlossene Programm, das direkt auf Langzeitarbeitslose und Jugendliche zielt. Das ist der richtige Ansatz. Wir brauchen Instrumente, mit denen wir die Problemgruppen direkt ansprechen; denn besondere
Probleme erfordern spezielle Lösungen.
Deswegen ist es wichtig und richtig, dass vor Ort im
nächsten Jahr mehr Geld für Eingliederung, also für Förderung, zur Verfügung steht als jemals zuvor. Insgesamt
werden wir 6,4 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um
erwerbsfähige Empfänger und Empfängerinnen von
Arbeitslosengeld II wieder in Arbeit zu bringen. Der
Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales
macht mit 124 Milliarden Euro - das haben wir heute
schon mehrfach gehört - über 40 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes aus. Jeder zweite Euro, den wir
ausgeben, ist ein Euro für die Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Es ist aber nicht die Höhe dieser Ausgaben,
die darüber entscheidet, wie die Qualität des Sozialstaats
ist.
Das bringt mich zu einem weiteren Punkt, zu der
Anpassungsfähigkeit des Sozialstaats. Wirtschaftliche
und gesellschaftliche Veränderungen lassen soziale Probleme in den Hintergrund treten und neue entstehen. Ein
Sozialstaat ist umso besser, je mehr, aber vor allen Dingen auch je schneller er sich auf veränderte Bedürfnisse
einstellt. Insgesamt arbeiten derzeit mehr als 1 Million
Menschen, ohne dadurch ihren Bedarf decken zu können. Deswegen erhalten sie ergänzend Arbeitslosengeld II; sie sind - so der Fachbegriff - sogenannte Aufstocker.
Dieser Begriff verschleiert jedoch die Realität. Hieran
wird deutlich - das sage ich auch in Richtung unseres
Koalitionspartners -, dass eine schlechte Bezahlung
nicht nur den Beschäftigten, sondern auch dem Staat, das
heißt dem Steuerzahler, teuer zu stehen kommt.
({8})
Unternehmen profitieren hier nahezu verdeckt und unerkannt, klammheimlich bis sittenwidrig.
({9})
Der geplante Erwerbstätigenzuschuss ist für die Betroffenen ein richtiger Schritt.
({10})
Er soll verhindern, dass Menschen ergänzend
Arbeitslosengeld II erhalten müssen, wenn ihr Lohn das
Existenzminimum nicht sichert.
({11})
Aber das Problem selbst kann auch dieses Instrument
nicht lösen. Wo Sozialpartner keine existenzsichernden
Löhne vereinbaren, da sind wir als Gesetzgeber gefragt.
Wenn Unternehmen nicht bereit sind, die Beschäftigten trotz steigender Gewinne anständig zu bezahlen,
werden sie zu Schwarzfahrern unserer Gesellschaft. Sie
nutzen staatliche Maßnahmen - Steuersenkungen, Infrastrukturmaßnahmen, Bildungsstandards - aus, ohne sich
an den Kosten zu beteiligen.
({12})
Deswegen wollen wir den Mindestlohn, und wir werden
uns auch weiter dafür einsetzen.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluss etwas zu einem anderen
Thema sagen, das, glaube ich, viele von uns sehr beschäftigt. Mit großer Sorge haben wir in den letzten Wochen die Zahlen über Kinderarmut in Deutschland lesen müssen. Zunächst einmal möchte ich feststellen,
dass es in unserem Land Kinderarmut ausgeprägt schon
lange gibt, allerdings in sehr verdeckter Form.
({14})
Als es noch die Trennung zwischen Sozialhilfe und
Arbeitslosengeld II gab, wurde über diese Zahlen nicht
in dem Maße geredet, wie ich mir das manchmal gewünscht hätte; es ist eben verdeckt gewesen. Heute, auch
dank der Reformen, ist transparent, wer unter diesen Bedingungen lebt. Das ist deswegen gut, weil es uns
zwingt, weil es mehr Menschen zwingt, darüber nachzudenken, was man tun kann.
Wir von der SPD-Fraktion unterstützen ausdrücklich
die Überlegung der Bundesregierung, Unterstützungsleistungen für Kinder im System der Grundsicherung anzupassen. Es muss uns gelingen, hierfür schnell wirksame Lösungen zu finden. Wenn Kinder allgemein als
unsere Zukunft bezeichnet werden, dann müssen wir dafür sorgen, dass unsere Zukunft nicht arm ist.
({15})
Nun garantiert eine Erhöhung der Sätze allein aber
nicht, dass Kinder davon profitieren.
({16})
Wir müssen Hilfen entwickeln - der Minister hat bereits
darauf hingewiesen -, die den Kindern direkt zugute
kommen. Es ist eine direkte Hilfe, wenn arme Kinder
kostenfrei im Kindergarten betreut werden,
({17})
wenn sie alles erhalten, was sie zum Schulbesuch brauchen, also eine echte Lernmittelfreiheit,
({18})
wenn sie ein gesundes Frühstück bekommen, wenn Familienhelfer dazu beitragen, dass Kinder regelmäßig und
pünktlich zur Schule gehen, wenn Schulveranstaltungen
und Klassenfahrten kostenfrei sind oder wenn das Erlernen eines Instruments oder der Sport nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern.
({19})
Klar ist: Für viele dieser Fragen sind die Städte, die
Gemeinden, die Länder, aber auch die Gesellschaft
- zum Beispiel die Vereine - insgesamt zuständig. Deswegen müssen Lösungen auch gemeinsam vereinbart
werden. Wer Kinderarmut wirklich wirkungsvoll bekämpfen will, der muss vernetzt denken und handeln,
und Zuständigkeiten müssen geklärt werden.
({20})
Die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist gut für die
Menschen in unserem Land. Dennoch liegen Aufgaben
vor uns, die wir entschlossen anpacken müssen. Mit dem
vorliegenden Haushaltsentwurf schaffen wir diese Voraussetzungen. Ich bitte Sie alle um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der bisherige Aufschwung ist nicht der Aufschwung der Bundesregierung.
({0})
Bevor Sie sich aufregen, Frau Nahles: Dieser Satz
stammt nicht von mir, auch wenn ich ihn inhaltlich voll
teile, sondern von Jürgen Thumann, dem Präsidenten des
Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Thumann
sagt weiter:
... insgesamt jedoch hat die Bundesregierung aus
den verbesserten Wirtschaftsperspektiven zu wenig
Reformkapital geschlagen.
Dann kommt er zu dem Ergebnis:
Wesentliche Strukturreformen liegen noch vor uns.
Das Reformtempo muss nicht gedrosselt, sondern
erhöht werden, der Rückenwind der guten Konjunktur muss konsequent genutzt werden. Dass im
Zuge des konjunkturellen Aufschwungs auch die
Zuversicht und das Zukunftsvertrauen der Bürger
deutlich gestiegen sind, ist dabei die Chance der
Politik.
({1})
Das ist ein klar umrissenes Bild der Handlungsnotwendigkeiten zur Mitte der Legislaturperiode. Es gilt, in
die Hände zu spucken und nicht die Hände in den Schoß
zu legen.
({2})
Im krassen Gegensatz dazu stehen die Ankündigungen aus der Koalition, insbesondere der SPD, die nicht
eine Fortsetzung der Reformen, sondern das Ende der
Reformpolitik nahelegen. Kurt Beck, nicht der Onkel
Otto, sondern eher der Problembär der SPD, hat es so
formuliert: Die Zeit der großen Zumutungen muss erst
einmal vorbei sein.
({3})
Noch krasser geht Ottmar Schreiner mit den Ergebnissen
der Großen Koalition ins Gericht: Wir brauchen kein
Weiter so, sondern einen Bruch mit einer gescheiterten
Politik. Wen wundert es angesichts derart schwindenden
Mutes noch,
({4})
dass das Wort Reform in dem Abschlusspapier der Regierungsklausur von Meseberg mit ganz wenigen Ausnahmen keine Rolle mehr spielt?
({5})
Das haben Sie offensichtlich übersehen. Auch wenn
Sie eine Große Koalition der kleinen Schritte sein wollen, die Füße müssen Sie schon noch heben. Das habe
ich in Meseberg vermisst.
({6})
Um es auf den Punkt zu bringen: Die schwarz-rote
Bundesregierung, die sich von Koalitionsrunde zu
Koalitionsrunde und von faulem Kompromiss zu faulem
Kompromiss quält, will sich offensichtlich in den kommenden zwei Jahren auf die Verteilung der konjunkturellen Windfall-Profits beschränken, anstatt den Rückenwind der wirtschaftlichen Erholung für weitere
Reformen zu nutzen.
({7})
Das ist eindeutig zu wenig; denn auch dieser Aufschwung wird wie alle vorhergehenden einmal zu Ende
gehen. Die Aufgaben, die angepackt werden müssen, damit wir im nächsten Abschwung keine allzu harte Landung erleben, liegen offen auf dem Tisch.
Nehmen wir die Sozialversicherung: Ihre Halbzeitbilanz ist hier, Herr Müntefering, wirklich ein Trauerspiel: In allen Zweigen der Sozialversicherung mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung wurden unter der
Großen Koalition die Beiträge erhöht, oder es stehen Erhöhungen unmittelbar bevor. Selbst da, wo Sie Senkungen vorgenommen haben, wurden die Spielräume nicht
oder nur unzureichend genutzt.
Mit der Geschicklichkeit eines Hütchenspielers, Herr
Müntefering, verschieben Sie vor den Augen der Öffentlichkeit im Bundeshaushalt Einnahme- und Ausgabepositionen der Sozialversicherung, sodass einem schon
vom Zuschauen ganz schwindlig wird. Noch schwindliger wird aber den Bürgern unseres Landes, wenn sie am
Ende des ganzen Zaubers feststellen, was ihnen tatsächlich im Portemonnaie verbleibt. Eine vierköpfige Familie muss in diesem Jahr ganze 1 400 Euro Mehrbelastung
verkraften. Das sind keine Peanuts. Das ist viel Geld.
Deswegen fordere ich, Herr Müntefering, im Namen der
FDP-Bundestagsfraktion und auch der Menschen in diesem Lande: Münte, rück’ die Kohle raus!
({8})
Geben Sie den Menschen, wo immer möglich, ihr Geld
zurück! Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung kann
mindestens auf 3,5 Prozent, wahrscheinlich sogar auf
3,2 Prozent gesenkt werden. Worauf warten Sie eigentlich noch?
({9})
Herr Kollege Dr. Kolb, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Sehr gerne.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben ja gerade die
Spielräume für Beitragssenkungen bei der Arbeitslosenversicherung beschrieben. Ich würde mich freuen,
wenn Sie mir erklären könnten, ob ich das richtig in Erinnerung habe,
({0})
dass die CDU im Bundestagswahlkampf gesagt hat, sie
wolle die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte erhöhen
und das dadurch eingenommene Geld zu 100 Prozent in
die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
stecken.
({1})
Herr Müntefering sagte, die Merkel-Steuer würde teuer,
und wollte das verhindern. Er hat dann aber einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte zugestimmt,
wobei dann die Einnahmen in Höhe von 1 Prozentpunkt
zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
verwendet werden sollten.
({2})
Nun hat das Bundeskabinett ein Gesetz beschlossen
({3})
- die Frage habe ich am Anfang gestellt, Herr Fuchtel -,
durch das die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf
3,9 Prozent gesenkt wurden. Daraufhin wurde aber auch
beschlossen,
({4})
die der Arbeitslosenversicherung zugeflossenen Mehreinnahmen aus dem 1 Prozentpunkt bei der Mehrwertsteuer in den Haushalt von Herrn Steinbrück umzulenken.
({5})
Habe ich es also richtig verstanden, dass von den ursprünglich für die Arbeitslosenversicherung vorgesehenen Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung, die ja
zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
genutzt werden sollten, bei der Arbeitslosenversicherung
nichts mehr verblieben ist?
Das haben Sie nach meiner Kenntnis richtig verstanden, Herr Kollege Niebel. Das ist so.
({0})
Deswegen sagte ich ja, das, was hier zutage tritt, entspreche der Manier eines Hütchenspielers.
Was mich in diesem Zusammenhang auch sehr stört,
ist, dass sich die Koalition offensichtlich nicht mehr an
die eigenen Festlegungen im Koalitionsvertrag gebunden fühlt. Der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung
sollte dauerhaft auf unter 40 Prozent gesenkt werden.
({1})
Wir stehen heute bei 40,9 Prozent. Deswegen wäre genau jetzt der Zeitpunkt für eine größtmögliche Beitragssenkung auch in der Arbeitslosenversicherung.
({2})
Nehmen wir die Arbeitsmarktpolitik: Volker Kauder
hat gestern an dieser Stelle gesagt, jetzt gehe es darum,
zu handeln und das Land voranzubringen. Ich frage mich
nun, wie sich mit dieser Absichtserklärung die skurrile
Debatte um einen Mindestlohn, die jedenfalls aus Sicht
der SPD rein wahltaktisch begründet ist, vereinbaren
lässt. Schon ganz allgemein darf festgestellt werden,
dass Mindestlöhne unser Land nicht voranbringen, sondern vielen schaden, und zwar insbesondere den Menschen mit einer geringen Qualifikation,
({3})
die durch Mindestlöhne dauerhaft vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.
({4})
In den letzten Tagen, seit der Regierungsklausur von
Meseberg, treibt dieses Thema nun besondere Blüten. Es
soll jetzt nämlich in der Branche der Postdienstleistungen ein Tariflohn als Mindestlohn eingeführt werden,
den der Arbeitgeberverband Postdienste - das ist im Wesentlichen die Deutsche Post - und die Gewerkschaft
Verdi vereinbart haben. Es drängt sich der Verdacht auf,
dass die Einführung dieses Mindestlohns, die Sie, Herr
Müntefering, mit Macht betreiben, vor allem Wettbewerber der Post vom Markt fernhalten soll und damit zumindest indirekt die Liberalisierung verhindert werden soll.
({5})
Man kann es auch so formulieren: Die Einführung eines
von der Post bestimmten Mindestlohns bei gleichzeitiger
Fortführung der Mehrwertsteuerbefreiung der Deutschen
Post ist die Fortführung des Postmonopols mit anderen
Mitteln. Das schadet unserem Land.
({6})
Die Kunden, die eine solche Dienstleistung in Anspruch
nehmen wollen, werden am Ende die Zeche zu zahlen
haben. Herr Kauder, es geht Ihnen hier wie dem Zauberlehrling in Goethes gleichnamigem Gedicht: Die Geister,
die ich rief, die werd’ ich nicht mehr los!
Ich sage Ihnen voraus, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie werden von der SPD beim
Thema Mindestlohn Stück für Stück über den Tisch gezogen werden. Es war eine Schnapsidee, anzunehmen,
der ordnungspolitische Sündenfall, den Sie schon im
Koalitionsvertrag zugelassen haben, könne begrenzt und
eingedämmt werden.
Besonders pikant wird das Ganze - das richtet sich
jetzt an die Adresse der SPD -, wenn man weiß, dass bei
der Vergabe der Versendung der Berliner Behördenpost
die luxemburgische PIN Group, die deutlich unter der
Deutschen Post entlohnt, den Zuschlag des - wohlgemerkt: rot-roten - Berliner Senats für ein weiteres Jahr
erhalten hat. Dazu kann ich nur sagen: Das ist verlogen
und erinnert mich in fataler Weise daran, dass die SPDFraktion, obwohl sie längst Forderungen nach einem
Mindestlohn von 7,50 Euro erhoben hatte, eigene Mitarbeiter deutlich schlechter bezahlte. So geht das nicht.
({7})
Aber es geht noch weiter: In den letzten Tagen haben
sich die DGB-Gewerkschaften zunehmend auf die boomende Zeitarbeit eingeschossen. Anstatt sich zu freuen,
dass allein im letzten Jahr fast 180 000 Menschen, von
denen viele zuvor arbeitslos waren, über Zeitarbeit eine
neue Beschäftigung gefunden haben, werden nun Forderungen erhoben, den rechtlichen Rahmen für die Zeitarbeit wieder enger zu fassen und die Einstellung von
Leiharbeitern überhaupt von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig zu machen. Das ist absurd und verkennt eindeutig Ursache und Wirkung.
Ich sage Ihnen: Wer nicht bereit ist, beim Kündigungsschutz die Weichen neu zu stellen, darf sich am
Ende nicht wundern, wenn die Unternehmen in einem
erfreulichen, aber sicher auch endlichen Konjunkturhoch
in die Zeitarbeit ausweichen. Was ist denn die Alternative? Für mich gilt: Ein Arbeitsplatz in einem Zeitarbeitsunternehmen ist allemal besser als Arbeitslosigkeit.
Für mich steht außer Zweifel, dass alle Betroffenen, die
vor genau dieser Alternative stehen, das ebenso sehen.
({8})
Ein Letztes. Seit einiger Zeit wird eine Debatte über
sogenannte gute Arbeit geführt. Hier muss sich der
DGB fragen lassen, ob er nicht pharisäerhaft handelt. Es
ist nicht nachzuvollziehen, dass die Gewerkschaften, die
mit ihren Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei
vollem Lohnausgleich ganz maßgebend zu einem Anstieg des Arbeits- und Zeitdrucks in den Unternehmen
beigetragen haben, diesen Umstand scheinheilig beklagen. Ich meine, solange in Deutschland 3,7 Millionen
Menschen ohne jede Arbeit sind, sollten wir keine Diskussion über sogenannte gute Arbeit beginnen. Denn
was ist denn die Konsequenz, wenn jemand keine gute
Arbeit hat? Ist sie dann unzumutbar? Besteht für denjenigen, der unverschuldet keine gute Arbeit hat, Anspruch auf staatliche Unterstützung? Der Grundton dieser Diskussion erinnert mich an Pippi Langstrumpf: Ich
mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt. - Mit der Realität einer Volkswirtschaft in einer globalisierten Welt hat
diese Diskussion nichts, aber auch wirklich nichts zu
tun.
({9})
Fazit: Zur Mitte der Legislaturperiode präsentiert sich
die Große Koalition als Verein zur Verhinderung eines
dauerhaften Aufschwungs und zur nachhaltigen Reformverweigerung. Wichtige Reformbaustellen werden nicht
bearbeitet. Dort, wo es Bewegung gibt, geht sie in die
falsche Richtung. Aber mit Selbstgefälligkeit allein werden Sie und wird unser Land die Zukunft nicht gewinnen
können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Knapp 130 Milliarden Euro umfasst der Haushalt des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Wenn man
den gesamten Bereich der sozialen Sicherung, also auch
diejenigen Leistungen der sozialen Sicherung, die in anderen Haushalten enthalten sind, einbezieht, dann kann
man feststellen: 49,7 Prozent der Gesamtausgaben des
Bundes fließen in diesen Bereich. Dieses Land hat zwar
soziale Probleme; dieses Land hat aber vor allem auch
einen gut ausgebauten Sozialstaat. Wer etwas anderes
behauptet, täuscht die Menschen.
({0})
Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt wird die
Situation für die Opposition hier im Hause immer verzweifelter.
({1})
Diese Verzweiflung kommt auch in den Reden, die wir
hier gehört haben, zum Ausdruck. Herr Kollege Kolb, in
der Vergangenheit haben Sie noch behauptet, es seien
Jürgen Klinsmann und der milde Winter gewesen, die
die Lage auf dem Arbeitsmarkt herbeigeführt hätten.
Jetzt trauen Sie sich das nicht mehr zu sagen, sondern
verstecken sich hinter anderen und sagen, diese hätten
dies behauptet.
Frau Pothmer läuft mit Scheuklappen durch das Land.
Frau Pothmer, Sie sollten die blühenden Landschaften,
die es in diesem Land gibt, einmal wahrnehmen.
({2})
Der größte Fachkräftemangel besteht bei den Arbeitsmarktpolitikern Ihrer Fraktion; das muss man einmal
feststellen. Dort gibt es einen Fachkräftemangel.
({3})
Die Wahrheit ist doch: Politik ist, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeht, nicht allmächtig und
nicht ohnmächtig. Wenn die Politik keinen Einfluss
hätte, wäre es unsinnig, dass wir uns bei den Wählerinnen und Wählern um ein Mandat bewerben. Wahr ist
auch: Wir haben nie für uns in Anspruch genommen,
dass wir das, was geschafft worden ist, alleine geschafft
haben. Das ist eine große Gemeinschaftsleistung in diesem Land, an dem diese Bundesregierung und die Große
Koalition ihren Anteil haben.
Ich möchte die Zahlen noch einmal in Erinnerung rufen: 666 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr,
633 000 Erwerbstätige mehr, 526 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr. Ich möchte auch den
Zweijahresvergleich nennen: Verglichen mit der Zeit vor
zwei Jahren, als die Grünen noch in der Regierung waren, haben wir 1 023 000 Arbeitslose weniger und
702 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr,
etwa die Hälfte in Vollzeitstellen.
Dazu sage ich Ihnen, Herr Kollege Kolb: Wir, die
CDU/CSU, sind stolz auf diese Bilanz. Im Übrigen
freuen wir uns über jeden zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz, egal in welcher Branche.
({4})
Wir sind stolz auf die erreichte Entwicklung.
Wir haben über 1 Million offene Stellen in Deutschland; das sind 185 000 mehr als vor einem Jahr. Deswegen ist es richtig, dass wir die Politik des Förderns und
Forderns fortsetzen; denn 1 Million Stellen sind immer
noch zu wenig für 3,7 Millionen Arbeitslose. Es gibt
aber erhebliche Potenziale, die Menschen zu den offenen
Stellen zu bringen. Deswegen ist Fördern und Fordern
weiterhin das richtige Konzept.
({5})
In der Diskussion darüber, wie weit wir den Beitrag
zur Arbeitslosenversicherung senken, ist zu unseren Forderungen hier das Nötige gesagt worden. Wenn wir diese
Debatte führen, müssen wir immer sehen: Es ist eine absolute Luxusdiskussion, die wir hier führen können. Es
geht nämlich um die Frage: Wohin mit den Überschüssen?
Was hat denn über Jahre hier die Diskussion bestimmt? Da ging es doch um die Frage: Wie stopfen wir
neue Löcher, die sich ergeben haben? Unter dieser Bundesregierung wird solide kalkuliert, werden Erwartungen im positiven Sinne übertroffen.
({6})
Es gehört auch zur Wahrheit, dass wir die Lohnzusatzkosten schon jetzt unter 40 Prozent gesenkt haben.
Wenn wir es schaffen, einen Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 3,5 Prozent zu erreichen, dann führt das über
die Jahre der Großen Koalition zu einer Gesamtentlastung der Beitragszahler um über 20 Milliarden Euro.
({7})
Den größten Teil des Weges dorthin sind wir schon gegangen. Das ist genau die richtige Botschaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland.
({8})
Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?
Bitte schön, Herr Kolb.
Bitte schön.
Herr Kollege Brauksiepe, können Sie mir das einmal
vorrechnen? Ich komme für das Jahr 2007 auf einen Gesamtsozialversicherungsbeitrag - da lasse ich die Unfallversicherung sogar außen vor - von 40,9 Prozent. Für
das Jahr 2008, nach Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags und Anhebung des Pflegeversicherungsbeitrags - das ist ja der Sinn der Übung -, komme ich
auf einen Gesamtbeitrag von 40,85 Prozent, vorbehaltlich zu erwartender Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Können Sie mir sagen, wie
Sie behaupten können, die Lohnzusatzkosten lägen
schon heute unter 40 Prozent?
Herr Kollege Kolb, wir haben Ihnen das schon mehrfach vorgerechnet.
({0})
Wenn Sie die Beiträge zur Rentenversicherung, die
durchschnittlichen Beiträge zur Krankenversicherung,
den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und zur Pflegeversicherung zusammennehmen, dann kommen Sie,
insbesondere was den Arbeitgeberbeitrag angeht - darum geht es Ihnen ja insbesondere, dieser liegt Ihnen besonders am Herzen -, auf klar unter 20 Prozent. Wir
werden diesen Weg der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge weitergehen.
Diese Regierung senkt die Sozialversicherungsbeiträge. Sie können zwar immer sagen, das reiche Ihnen alles nicht; aber Sie sollten zumindest zur Kenntnis nehmen, dass dies unser Weg ist: Wir senken die
Abgabenbelastung; wir haben das schon getan und wir
werden das auch weiterhin tun.
({1})
Erlauben Sie eine Nachfrage des Kollegen Kolb?
Ja, wenn es nicht die gleiche Frage ist, dann bin ich
dazu bereit.
Es geht nicht um die gleiche Frage. Herr Kollege
Brauksiepe, Sie müssen schon davon ausgehen, dass wir
Ihren Koalitionsvertrag gelesen haben. Da ist die Rede
davon, dass der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung
dauerhaft unter 40 Prozent gesenkt werden soll; da ist
nicht die Rede davon, dass der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung dauerhaft unter 20 Prozent gesenkt
werden soll. Die Menschen, die in der Krankenversicherung mit einem Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent belastet
werden, müssen diesen sehr wohl zahlen. Wir reden hier
nicht über Luft, sondern über konkrete Belastungen der
Menschen. Insgesamt liegen die Sozialversicherungsbeiträge deutlich über 40 Prozent. Deswegen ist jetzt jeder
Spielraum für Beitragssenkungen auszunutzen. Stimmen
Sie mir zu?
Herr Kollege Kolb, ich stimme Ihnen nicht zu. Wir
sind hinsichtlich des Ziels, die Beiträge zu senken, auf
dem richtigen Weg; wir haben da auch schon etwas erreicht. Ich stimme Ihnen in einem Aspekt zu: Wir werden, soweit es Spielräume dafür gibt, das seriös zu finan11608
zieren, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter
senken. Ich bitte, das doch auch einmal zur Kenntnis zu
nehmen. Wir reden doch nicht über das Ob, also nicht
über die Frage, ob wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken, sondern wir reden nur noch über die
Frage, in welchem Ausmaß wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung über das hinaus senken, was im Koalitionsvertrag steht.
({0})
Dort stehen 4,5 Prozent. Wir sind bei 4,2 Prozent und
werden mindestens auf 3,9 Prozent heruntergehen. Wir
wollen ihn aber noch weiter senken.
({1})
Diesen Weg sollten Sie eigentlich anerkennen, Herr Kollege Kolb.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen natürlich, dass der Aufschwung die verschiedenen Gruppen
am Arbeitsmarkt bisher unterschiedlich erreicht hat.
Diejenigen, die gut qualifiziert und erst kurze Zeit arbeitslos sind, sind schneller wieder in Arbeit zu vermitteln, als Menschen, die langzeitarbeitslos sind. Deswegen sage ich hier auch ganz deutlich: Wir werden das
arbeitsmarktpolitische Instrumentarium weiter durchforsten. Wir werden es übersichtlicher gestalten und die
Zahl der Instrumente reduzieren; das ist richtig. Wir haben das beispielsweise bei der Förderung von Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit auch schon getan. Wir
haben Ihre Ich-AG abgeschafft und aus zweien eins gemacht. Wir werden den Weg weitergehen.
Wir bekennen uns aber auch dazu, dass wir für die
Gruppen, die besondere Probleme am Arbeitsmarkt haben und durch die Marktkräfte allein nicht in Beschäftigung gebracht werden können, etwas tun. Deswegen haben wir besonders für Jugendliche und für besonders
arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose neue, zusätzliche
Maßnahmen ergriffen, die in diesen Tagen, so denke ich,
auch Zustimmung im Bundesrat finden werden und dann
in Kraft treten. Das sind Programme für Menschen, die
weiterhin unsere Hilfe brauchen. Dafür schämen wir uns
nicht. Es ist richtig, dass wir als Große Koalition dies getan haben.
({3})
Wir werden die geschlossenen Vereinbarungen - auch
zu den tariflichen Mindestlöhnen - umsetzen.
({4})
Sie werden durch die Ausweitung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes und die Modernisierung des Gesetzes
über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen im
Gesetzgebungsverfahren konkretisiert. Ich sage Ihnen
voraus: Dies wird auch ein wichtiger Beitrag dafür sein,
dass dort, wo es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst wollen und vereinbaren, auf tarifliche Weise
verhindert wird, dass es Armutslöhne in Deutschland
gibt. Wir wollen, dass für jeden in Deutschland gilt, dass
derjenige, der eine anständige Arbeit macht, dafür auch
anständig bezahlt wird.
({5})
Das können die Tarifparteien besser als der Staat. Deswegen haben wir diese Vereinbarung getroffen.
({6})
Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?
Aber gerne, Frau Pothmer.
({0})
Bitte schön.
Herr Brauksiepe, habe ich Sie richtig verstanden, dass
Sie mit Ihrer Aussage den Arbeitsminister Müntefering
auffordern, dem Antrag, den die Postgewerkschaft und
die Postdienstleister gestellt haben, nämlich ihren Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, stattzugeben?
Frau Kollegin Pothmer, Sie haben mich dann richtig
verstanden, wenn Sie verstanden haben, dass das gilt,
was die Koalition vereinbart hat und was auch in Meseberg vereinbart worden ist.
({0})
Es wird zu prüfen sein, inwieweit die Voraussetzungen
erfüllt sind. Diese Prüfung nehmen wir vor.
({1})
Seien Sie sich ganz sicher: Das werden wir sorgfältig
und gleichzeitig zügig tun.
Auch die Frau Kollegin Pothmer würde gerne noch
eine Nachfrage stellen. Erlauben Sie das?
Ja.
Bitte schön.
Sind Sie der Auffassung, dass die Behauptung von
Herrn Kauder, dass diese Vereinbarung nicht dem entspricht, was in Meseberg besprochen worden ist, falsch
ist?
Frau Kollegin Pothmer, es ist unsere gemeinsame
Auffassung in der Großen Koalition, dass wir das tun,
was in Meseberg vereinbart worden ist. Dort wurde vereinbart, dass die Postdienstleistungen noch in diesem
Jahr ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen
werden, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist unsere gemeinsame Auffassung.
Sie sind natürlich wie immer ein bisschen schlauer.
Sie haben die Prüfung schon abgeschlossen; das ist klar.
Wir prüfen im Gegensatz zu Ihnen sorgfältig. Darum
wird es noch ein paar Wochen dauern. Dann werden wir
dieses Problem gelöst haben.
({0})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nach zweijähriger
Amtszeit der Großen Koalition möchte ich auch noch etwas zu den sozialen Sicherungssystemen - insbesondere
auch zur Rentenversicherung - sagen; denn wir haben
gerade in diesen zwei Jahren gemerkt: Die beste Sozialpolitik ist eine gute Arbeitsmarktpolitik und eine gute
Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftliche Dynamik, die in
diesem Land wieder entfaltet worden ist, hat positive
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme.
Erinnern wir uns an den Herbst des Jahres 2005, als
die Wählerinnen und Wähler die Grünen zur kleinsten
Fraktion in diesem Hause gemacht haben. Im November
2005 gab es ein Loch in der Rentenkasse in Höhe von
636 Millionen Euro. Erstmalig in ihrer Geschichte
brauchte die Rentenversicherung ein Darlehen des
Finanzministers.
({1})
Sie von den Grünen waren mit Ihrer Politik maßgeblich
daran beteiligt, dass es bei der Rente zu ständigen
Finanzkrisen, zu Nullrunden für die Rentner und gleichzeitig zu einem Abbau der Rentenrücklage kam.
({2})
Sie haben allein zwischen 2002 und 2005 die Rücklage
um 12 Milliarden Euro abgebaut. Das ist das Gegenteil
von nachhaltiger und generationengerechter Politik. Dafür können Sie sich heute noch schämen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Grünen.
({3})
Wir haben in der Großen Koalition den gegenteiligen
Weg beschritten. Die Rentnerinnen und Rentner nehmen
wieder am wirtschaftlichen Aufschwung teil.
({4})
Auch hier stellt man fest, dass die Bundesregierung eher
vorsichtiger kalkuliert, als sie es nach den vorliegenden
Zahlen eigentlich müsste. Wir konnten noch im Rentenbericht 2006 nicht davon ausgehen, dass vor dem Jahr
2009 Rentensteigerungen möglich sind. In diesem Jahr
ist die erste - wenn auch geringe - Rentensteigerung
wieder möglich gewesen. Heute lesen wir, dass das Kieler Institut für Weltwirtschaft für das nächste Jahr einen
deutlichen Rentenanstieg erwartet. Wir versprechen das
heute noch nicht, weil die endgültigen Zahlen noch nicht
vorliegen. Aber wir können klipp und klar feststellen: Es
geht auch für die Rentnerinnen und Rentner in diesem
Lande wieder aufwärts, wenn es insgesamt wirtschaftlich aufwärts geht.
Wir haben den Beitragssatz stabilisiert und haben mit
dem Aufbau einer Rentenrücklage begonnen. Wir sind
sehr zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren eine
Rücklage von 1,5 Monatsausgaben erreichen werden.
Wir haben mit der Rente mit 67, die wir gegen erhebliche Widerstände eingeführt haben, die gesetzliche Rente
letztlich langfristig zukunftssicher und generationengerecht ausgestaltet. An der Stelle sei auch gesagt - Ehre,
wem Ehre gebührt -, dass die Grünen die einzige Oppositionsfraktion waren, die hier anerkannt haben, dass es
bei einer längeren Lebenserwartung natürlich notwendig
ist, dass die, die es können, länger arbeiten.
Sie von der FDP drücken sich leider bis heute um
diese Frage herum. Sie sagen zwar, jeder solle mit 60 in
Rente gehen können. Um die Antwort auf die Frage, wo
eigentlich die Grenze liegt, von wo an Zuschläge gewährt und Abschläge fällig werden, drücken Sie sich
aber bis heute.
({5})
Wir machen uns da keinen schlanken Fuß. Wir haben
in dem Wissen, mit dieser Entscheidung keine Popularitätspreise gewinnen zu können, die Weichen mit der
Rente mit 67 richtig gestellt. Wir haben das in einer Situation geschafft - auch daran sei noch einmal erinnert -, in
der wir einen Rückgang der Arbeitslosigkeit insgesamt
von 15,2 Prozent haben, bei den über 50-Jährigen einen
Rückgang um 15,7 Prozent und bei den über 55-Jährigen einen Rückgang um 18,2 Prozent. Das heißt, unsere Rentenpolitik und unsere Politik für mehr Beschäftigung auch für Ältere haben sich ausgezahlt. Auch
darauf können wir stolz sein.
({6})
Herr Brauksiepe, Sie haben mit Ihren letzten Ausführungen beim Kollegen Kolb den Wunsch nach einer
Zwischenfrage ausgelöst. Sind Sie bereit, diese entgegenzunehmen?
Ja.
Bitte schön, Herr Kolb.
({0})
Ich bedanke mich für das forsche Ja.
Herr Kollege Brauksiepe, Sie haben die Rente mit 67
und dankenswerterweise auch das Konzept der FDP angesprochen. Ja, wir wollen einen flexiblen Übergang
vom Erwerbsleben in den Ruhestand, der ab 60 beginnen
soll, bei Wegfall der Zuverdienstgrenzen, die heute viele
Rentner davon abhalten, aus eigener Kraft sich ihren Lebensstandard zu sichern. Wir wollen Zuschläge für denjenigen, der länger arbeitet, und wir wollen keine, wie es
heute der Fall ist, Abschläge, die heute von einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren und künftig von 67 Jahren
ausgehend berechnet werden. Das ist der entscheidende
Punkt.
({0})
Wir haben in der Vergangenheit ältere Menschen aus
dem Erwerbsleben regelrecht herausgedrängt. Sie tragen
da eine maßgebliche Verantwortung.
({1})
Wir wollen, dass Menschen auf der Basis dessen, was sie
sich individuell für das Alter erarbeitet haben, bestimmen können, wie sie den Übergang gestalten.
Meine Frage lautet: Stimmen Sie mir zu, dass das
FDP-Konzept das viel intelligentere und modernere
Konzept ist als die starre Anhebung einer Regelaltersgrenze?
({2})
Herr Kollege Kolb, wir machen keine Politik, die
Frühverrentungsanreize setzt. Wir setzen klare Rahmenbedingungen in der Rentenpolitik. Ich will die Schwammigkeit Ihres Konzepts nur an dem von Ihnen angesprochenen Thema Hinzuverdienste deutlich machen. Jeder,
der im gesetzlichen Rentenalter ist, kann in Deutschland
zu der Rente so viel hinzuverdienen, wie er will.
Grenzen bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten bestehen
nur für diejenigen, die in Frührente sind. In Ihrem Konzept müssten Sie erst einmal definieren, wer Frührentner
ist. Ist der 60-Jährige nach Ihrer Definition gar kein
Frührentner mehr, weil man ja mit 60 in Rente gehen
kann? Ist in Zukunft der 65-Jährige noch Frührentner,
weil das Renteneintrittsalter bei 67 liegt, oder nicht? Sie
haben diese Frage überhaupt nicht beantwortet.
({0})
Herr Kolb, Sie haben sich auf mehreren Parteitagen
mit dieser Frage beschäftigt. Vermutlich brauchen Sie
noch ein paar Parteitage; denn bisher drücken Sie sich
um die Wahrheit herum.
({1})
Ich finde, wir können stolz auf das sein, was wir in der
Großen Koalition auf diesem Gebiet geleistet haben.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem
Sommer haben verschiedene Politiker für eine Erhöhung
der Hartz-IV-Regelsätze geworben, und zwar insbesondere aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise. Ich
finde es sehr erfreulich, dass auch in den Reihen von
CDU und SPD die Erkenntnis angekommen ist, dass
347 Euro im Monat einfach viel zu wenig sind, um an
dieser Gesellschaft teilhaben zu können.
({0})
Ärgerlich ist aber, dass die Bundesregierung mit dem
vorliegenden Haushaltsentwurf den bisherigen Kurs von
Hartz IV zementiert. Damit zementiert die Bundesregierung Verarmung, Verelendung und Entmündigung.
({1})
Frau Lehn, Sie haben uns Fahrlässigkeit vorgeworfen,
haben aber selbst kostenfreie Schulspeisungen, Klassenfahrten und Kitas gefordert. Ich würde mich freuen,
wenn wir tatsächlich gemeinsam für kostenfreie Schulspeisungen, Klassenfahrten und Kitas kämpfen könnten.
In dieser Debatte drängt sich einem aber der Verdacht
auf, dass das für Sie nur ein Ablenkungsmanöver ist;
denn erst haben Sie mit Ihrer Steuerpolitik für eine Verarmung der Kommunen gesorgt,
({2})
dann haben Sie im Rahmen der Föderalismusreform dafür gesorgt, dass sich der Bund an den laufenden Kosten
für Kindertagesstätten und Schulen überhaupt nicht
mehr beteiligen kann, und jetzt stellen Sie sich hier hin
und fordern lieber kostenfreie Kitas, anstatt die Regelsätze zu erhöhen. Leider können wir jetzt nicht frei darüber reden, was die Kommunen besser machen könnten.
({3})
- Liebe Frau Lehn, Sie stimmen mir doch sicherlich zu,
dass die Tagesordnung die Debatte über den Entwurf des
Bundeshaushaltes ausweist und wir hier nicht darüber
sprechen, was die Kommunen anders machen könnten.
Deswegen müssen wir jetzt über die Höhe der Regelsätze reden.
({4})
Verarmt, verunsichert, ausgegrenzt und ohne Perspektive - das ist das Fazit einer aktuellen Studie zu den Auswirkungen von Hartz IV. Im Auftrag der Evangelischen
Kirche in Hessen und Nassau hat die Sozialwissenschaftlerin Anne Ames die Auswirkungen von Hartz IV
untersucht. Das zentrale Ergebnis dieser Studie ist, dass
85 Prozent aller Befragten ihre sozialen Beziehungen als
belastet erleben. Für die Pflege von sozialen Kontakten
fehlt schlicht und ergreifend das Geld. Von Arbeitslosengeld II leben zu müssen, bedeutet leider für viele
ein Leben in Isolation und Einsamkeit.
Wenn wir uns ernsthaft mit der Höhe des Regelsatzes
beschäftigen, dann müssen wir Folgendes zur Kenntnis
nehmen: Der Regelsatz reicht noch nicht einmal für eine
gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen.
({5})
Wollen Sie wirklich, dass das so bleibt?
({6})
- Auch Ihre Zwischenrufe ändern nichts an dieser Erkenntnis.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung des Institutes für Kinderernährung der Universität Bonn verweisen - das Folgende hat sich nicht
meine Fraktion ausgedacht, sondern das ist die Erkenntnis der Universität Bonn -: Der gegenwärtige Regelsatz
weist für 14- bis 18-Jährige pro Tag nur 3,42 Euro für
Nahrung und Getränke aus. Für eine ausgewogene Ernährung eines Teenagers sind pro Tag jedoch mindestens
4,68 Euro notwendig, und das auch nur unter der Voraussetzung, dass man ausschließlich bei Billigdiscountern einkauft. Deswegen fordert die Linke, dass die Regelsätze von Hartz IV umgehend erhöht werden, und
zwar auf mindestens 435 Euro.
({7})
Das wäre im Übrigen auch finanzierbar. Sie müssten nur
auf einige Steuergeschenke an die Unternehmen im Rahmen der Unternehmensteuerreform verzichten.
({8})
Die Linke kritisiert aber nicht nur die Höhe des Regelsatzes, sondern fordert auch: Die Sanktionen und die
1-Euro-Jobs müssen weg. Wir können die Augen doch
nicht davor verschließen, dass 1-Euro-Jobs zunehmend
reguläre Arbeitsplätze verdrängen.
({9})
Neben den großen Posten im Haushaltsentwurf verdient auch eine kleinere Haushaltsstelle unsere Beachtung; denn sie ist bezeichnend. Für die „kommunikative
Begleitung der Implementierung der Grundsicherung für
Arbeitsuchende“ - hier zitiere ich aus dem Haushaltsentwurf - plant die Bundesregierung 1 Million Euro ein.
Das muss man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen lassen: Es geht um die kommunikative Begleitung
der Implementierung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zu Deutsch: Sie wollen die Werbetrommel für
Hartz IV rühren, für ein Gesetz, das so einen schlechten
Ruf hat, dass man in Talkshows kaum noch jemanden
findet, der dafür verantwortlich sein will.
({10})
Dieses Geld könnten wir wirklich sinnvoller einsetzen,
zum Beispiel für die Unterstützung von unabhängigen
Erwerbsloseninitiativen. Nehmen Sie doch zur Kenntnis:
Kein Werbefilm der Welt macht aus der Verelendungsgeschichte Hartz IV eine Erfolgsstory.
({11})
Hinter den vielen Zahlen, die wir im Zuge der Haushaltsberatungen beschließen werden, stehen ganz konkrete Schicksale, Schicksale von Männern, Frauen und
Kindern. Eine dieser Frauen möchte ich am Ende meiner
Rede zu Wort kommen lassen. Ich zitiere aus der erwähnten Studie:
[Mir ist wichtig,] dass die Öffentlichkeit endlich begreift, dass es jedem passieren kann. Ich habe zwei
prekäre Arbeitsverhältnisse und komme trotzdem
nicht aus der Hartz-IV-Geschichte heraus. Ich wünsche mir, dass wir nicht als Sozialschmarotzer hingestellt werden. Ich war selbst vor zwei Jahren
noch Leistungsträgerin der Gesellschaft, und ich
habe es mir nicht ausgesucht, arbeitslos zu werden.
Ich denke, dieses Zitat spricht für sich. Ziehen wir
also bei den weiteren Haushaltsberatungen die notwendigen Schlüsse! Ein „Weiter so“ in puncto Hartz IV darf
es auf keinen Fall geben.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von
der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Bundesminister Müntefering und
auch mein Kollege Ralf Brauksiepe haben bereits auf die
gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hingewiesen.
Deshalb muss ich die Daten nicht wiederholen. Aber ich
will ganz deutlich sagen, dass in gut zwei Jahren über
1 Million Arbeitsplätze entstanden sind, und das, ohne
die Arbeitnehmerrechte abzubauen.
({0})
Arbeit und Soziales gehören eng zusammen. Das Soziale, die Arbeitnehmerrechte haben einen eigenen
Wert. Das Soziale muss nicht geschleift oder gar geopfert werden, um zu mehr Arbeitsplätzen zu kommen.
Das ist die Erkenntnis des Prozesses der letzten zwei
Jahre. Darauf muss man in der heutigen Debatte ganz
deutlich hinweisen.
Die SPD steht. Sie ist ein Garant für fortschrittliche
Arbeitnehmerrechte. Wir haben nicht zugelassen, dass
der Kündigungsschutz geschleift wird; wir haben nicht
zugelassen, dass das Betriebsverfassungsgesetz ausgehöhlt wird, und wir haben auch nicht zugelassen, dass
die Tarifautonomie durch gesetzliche Maßnahmen unterlaufen wird.
({1})
Ich hoffe sehr, dass sich das diejenigen merken, die,
wenn es ein bisschen schlechter geht, behaupten, das
erste Rezept zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation
sei der Abbau von Arbeitnehmerrechten. Genau diesen
Irrweg machen wir nicht mit.
({2})
Interessant ist auch - das will ich an dieser Stelle sagen -, welche Bedeutung dem Flächentarifvertrag wieder zukommt. Viele, die noch gestern nach dem Ausstieg
gerufen und betriebliche Bündnisse als das Wunderwerk,
mit dem man Tarifverträge unterlaufen könne, proklamiert oder die Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden ohne tarifliche Bindung forciert haben, erkennen
zwischenzeitlich den Wert des Flächentarifvertrags angesichts stärkerer Bedeutung von Berufsverbänden wie
Cockpit, Ärztevereinigungen oder auch den Lokführerverbänden ganz neu. Selbst BDA-Präsident Hundt erwartet von uns, dass wir die Unternehmen vor der neuen
Gefahr schützen und sogar gesetzlich eingreifen, um genau das, wonach man vorher gerufen hat, möglichst
schnell zu verhindern. Für uns - das will ich hier deutlich sagen - hat der Flächentarifvertrag eine große Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung, für die Verlässlichkeit der Arbeitsbeziehungen und für den sozialen
Frieden in unserem Land.
({3})
Unsere Politik ist gut für die Menschen, für das
Wachstum und die Beschäftigung in unserem Land und
auch für die Sozialkassen. Die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge bei der Bundesagentur für Arbeit um
2,6 Prozentpunkte und die Vorziehung der Fälligkeit der
Zahlbeträge haben allein in diesem Jahr eine Entlastung
um 20 Milliarden Euro mit sich gebracht. Das ist ein wesentliches Konjunkturprogramm, durch das die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die
Investitionskraft der Unternehmen nachhaltig gestärkt
werden.
Nun zur Frage: Ist eine weitere Senkung möglich, und
hat sie Priorität? Ich sage ganz deutlich: Unsere oberste
Priorität besteht darin, dafür zu sorgen, dass wir genügend Mittel für Weiterbildung und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt zur Verfügung haben. Das muss
unser erstes Ziel sein, wenn es um die Höhe der Beitragssätze geht. Denn 300 000 Altbewerber, bei denen es
oft große Vermittlungshemmnisse gibt, brauchen auf
dem Arbeitsmarkt eine Chance. Auch Ältere brauchen
eine besondere Chance.
Ich sage ganz deutlich: Eine weitere Senkung der
Lohnnebenkosten bringt denen, die benachteiligt sind,
keine neuen Arbeitsplätze. Dieser Personenkreis braucht
besondere Hilfen. Die SPD steht dafür, diese Hilfen
rechtzeitig und umfassend zur Verfügung zu stellen.
({4})
Zu diesem Thema haben wir heute schon manches
Märchenstündchen gehört. Frau Dr. Winterstein, ich
fand es übrigens ein bisschen unverschämt, dass Sie dem
Bundesarbeitsminister im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge Bereicherung vorgeworfen haben. Hier
haben Sie sich aus meiner Sicht in Ihrem Ton und im Inhalt Ihrer Aussage vergriffen.
({5})
Ich finde, hier und heute muss der deutliche Akzent
gesetzt werden, dass wir nicht prinzipiell gegen Beitragssatzsenkungen sind.
({6})
Nein, wir werden jeden Spielraum für Beitragssatzsenkungen nutzen. Wichtig ist aber, dass zuerst die Inhalte
abgearbeitet werden.
({7})
Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir
ihnen den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben ermöglichen.
({8})
Meine Damen und Herren, unser Ziel ist nicht „Billiger“, sondern „Mehr Qualität“. Wir wollen keine BilligArbeitslosenversicherung. Wir wollen eine Arbeitslosenversicherung, die nachhaltig dabei hilft, die Beschäftigungssituation zu stärken. Das ist in erster Linie dadurch
zu erreichen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit durch
qualifizierte Mitarbeiter gesteigert wird.
({9})
Wir müssen besser statt billiger werden. Wir brauchen
bessere Produkte und besseren Service. Damit können
wir punkten, aber nicht, wenn wir der Mär Glauben
schenken, dass eine Senkung des Beitragssatzes um
1 Prozentpunkt 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze bringt.
Das würde nämlich auch den Schluss zulassen, dass wir,
wenn wir die Arbeitslosenversicherung auf null herunKlaus Brandner
terfahren würden, 400 000 Arbeitslose weniger hätten,
dann aber nichts mehr für die 3,3 Millionen Arbeitslosen
tun könnten, die es dann immer noch gäbe. Dadurch
würden wir gerade denen unsere Hilfe entziehen, die sie
brauchen. Deshalb sollten wir solchen Automatismusformeln nicht anhängen, sondern sehr gezielt prüfen,
wohin das Geld fließt und wofür es verwendet wird.
Die positive finanzielle Entwicklung bei der Bundesagentur für Arbeit ist eine große Chance für mehr
Qualität in der Beratung und Vermittlung und für mehr
Qualität in der Weiterbildung insbesondere derjenigen,
die eine besondere Chance brauchen. Dafür ist nun
Spielraum vorhanden, den wir jetzt offensiv nutzen sollten.
Wir wollen Chancen für alle, erst recht in einer Situation, in der die Konjunktur dies erleichtert. Wir wollen
uns nicht damit abfinden, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung an einem Teil der Menschen vorbeigeht. Deshalb hat Minister Müntefering im Haushalt des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für den Eingliederungstitel Mittel in Höhe von 6,4 Milliarden Euro
bereitgestellt, und das ohne Sperrvermerk.
Das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren:
Wir haben 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung, und
zwar ohne Sperrvermerk.
({10})
Es gibt also keine Unsicherheiten mehr. Insofern ist auch
für die Arbeit der Fallmanager vor Ort Planungssicherheit gewährleistet. Das ist das klare Signal, dass wir
mehr Weiterbildung fördern, indem wir für das Fördern
umfangreiche Mittel zur Verfügung stellen. Für uns war
immer klar: Druck auf die Arbeitslosen auszuüben, das
allein reicht nicht aus. Für uns gilt: An erster Stelle steht
das Fördern, und das Fördern ist die Legitimation für das
Fordern. Jetzt stehen für bestimmte Gruppen genug Mittel zur Verfügung.
Herr Kollege Brandner, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?
Bitte.
Bitte schön, Frau Pothmer.
Herr Brandner, ist Ihnen bekannt - das ist auch ein
Hinweis an Frau Lehn -, dass auch im Haushalt für 2007
für diesen Bereich Mittel in Höhe von 6,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden sind und dass,
als die Einbringungsreden gehalten wurden, damals von
einem Sperrvermerk weit und breit nichts zu hören war?
({0})
- Aber nicht bei der Einbringung des Haushalts.
Natürlich.
Sie versichern uns jetzt, dass das, was an dieser Stelle
beschlossen wird, tatsächlich für die Arbeitslosen zur
Verfügung gestellt wird. Habe ich Sie da richtig verstanden?
Frau Pothmer, nehmen Sie uns doch einfach beim
Wort! Ich habe gesagt, dass 6,4 Milliarden Euro im Wiedereingliederungstitel ohne Sperrvermerk zur Verfügung
stehen werden. Das ist es, was wir vertreten und was wir
auch in der zweiten Lesung vertreten werden. Sagen Sie
das den Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen
draußen im Land, damit sie sich auf diese Situation einstellen können!
({0})
- Sie können ruhig stehen bleiben, wenn ich Ihnen antworte. - Ganz besonders liegt mir das Steckenpferd der
SPD am Herzen - leider haben die Linken dem nicht zugestimmt; Sie haben das kritisch begleitet -, die „JobPerspektive“.
({1})
Die „JobPerspektive“ braucht diesen finanziellen
Spielraum. Die Leute vor Ort brauchen Planungssicherheit dergestalt, dass für Personen mit erheblichen Vermittlungshemmnissen - das sind diejenigen, die trotz guter arbeitsmarktpolitischer Fördermaßnahmen keine
Chance auf eine dauerhafte Integration in den ersten Arbeitsmarkt haben - künftig genügend finanzielle Mittel
zur Verfügung gestellt werden. Genau das sieht der
Haushalt vor. Insofern: Seien Sie mit die Botschafterin
dafür, dass vor Ort die Vorbereitungen für sinnvolle Beschäftigungsmaßnahmen getroffen werden! Damit haben
wir für einen besonderen Personenkreis etwas Gutes getan.
({2})
Wir brauchen insbesondere einen Mentalitätswechsel,
wenn es darum geht, Ältere wieder stärker in die Arbeitswelt einzugliedern. Als große Koalition haben wir
bessere Rahmenbedingungen dafür vorgesehen. Die
SPD-Initiative für altersgerechtes Arbeiten ist ein weiteres Stichwort, auf das ich verweisen möchte. Es geht
uns im Kern darum, die Bedingungen zum Erreichen der
Rente durch altersgerechtes Arbeiten zu verbessern. Wo
das nicht gleich möglich ist, wollen wir gleitende Übergänge organisieren, und zwar durch eine echte Altersteilzeit und nicht vorrangig durch verblockte Zeit, durch
eine bessere Teilrente. Darüber ist in den letzten Tagen
sehr viel geschrieben worden, und ich freue mich ausdrücklich, dass der ZDH, der DIHK und der DGB die
Pläne, die wir dazu diskutieren, ausdrücklich begrüßen
und für richtig befinden. Deshalb gilt es, die Teilrente zu
modernisieren,
({3})
bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten zu schaffen und
damit ein flexibles Element des Übergangs vom Arbeitsleben in den nächsten Lebensabschnitt zu organisieren.
({4})
Wir stellen damit keineswegs - das will ich klar sagen das notwendige Projekt der Anhebung der Lebensarbeitszeit - die Rente mit 67 - insgesamt infrage. Vielmehr müssen wir die Bedingungen verbessern, damit die
Menschen in Würde ein höheres Renteneintrittsalter erreichen können. Das ist unser Ziel; denn diese Veränderungen sind zwingend und notwendig.
({5})
Es ist wichtig, dass wir uns der Ausbildungssituation
stärker widmen. Der Ausbildungspakt zeigt allmählich
positive Wirkungen.
({6})
Wir haben ein deutliches Plus bei den gemeldeten Ausbildungsstellen. Ich will Ihnen aber klar sagen, dass der
Anstieg in erster Linie aufgrund öffentlich geförderter
Ausbildungsstellen zu verzeichnen ist. Es gibt nur
12 900 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze. Das
Klagen einiger Unternehmen über den Fachkräftemangel
muss in Schall und Rauch aufgehen, wenn sie nicht
selbst genug für die Ausbildung in den Betrieben tun,
wenn sie sich selbst nicht den Erfordernissen der Weiterbildung stellen.
Die Bundesagentur für Arbeit muss - solange die finanziellen Mittel in der gegenwärtigen Größenordnung
zur Verfügung stehen - zuerst dabei helfen, jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Wichtig und richtig ist
aber - das soll hier deutlich gesagt werden -: Die Verantwortung bleibt bei den Unternehmen. Wir dürfen ihnen
diese Verantwortung langfristig nicht abnehmen.
({7})
Bei der Weiterbildung gibt es in Deutschland große
Schwächen. Die Zahl der Unternehmen, die sich den Herausforderungen der betrieblichen Weiterbildung stellen,
ist weiter zurückgegangen. Dass die Unternehmen dieses
Thema in einer Situation so sträflich vernachlässigen, in
der unsere wichtigsten Ressourcen Qualifikation, Weiterbildung und die Fähigkeit, sich auf neue Herausforderungen einzustellen, sind, ist nicht zu verzeihen.
Es ist für uns als Bundesregierung, die Initiativen zum
Beispiel zur Förderung der Techniker- und Meisterausbildung gestartet hat, nicht verzeihlich, dass diese gut
ausgebildeten Kräfte in Betrieben sehr häufig an Arbeitsplätzen für Angelernte belassen werden, ihnen
keine Aufstiegsmöglichkeiten gegeben und sie damit
nicht adäquat eingesetzt werden. Diesen Unternehmen
müssen wir nahelegen, dass sie zuerst auf die vorhandenen Qualifikationen zurückgreifen sollen. Damit hätten
sie für viele Menschen in diesem Lande etwas Gutes getan.
({8})
Weiterbildung und Qualifizierung sind ein wichtiges
Thema. Das gilt aber auch für die Leiharbeit, die ich als
letztes Stichwort kurz ansprechen möchte. Die Leiharbeit ist ein wesentliches Sprungbrett, um in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu kommen. Doch was wir dabei
zwischenzeitlich erleben, können wir Sozialdemokraten
nicht bejubeln. Leiharbeit, Zeitarbeit ist ein Schritt auf
Zeit, aber nicht dazu gedacht, dauerhafte Leiharbeitsverhältnisse zu schaffen.
({9})
Es kann nicht angehen, dass die Zeitarbeit dazu benutzt
wird, um Stammarbeitsplätze abzubauen. Das ist kontraproduktiv. Ich kann das an dieser Stelle aus Zeitgründen
nicht weiter ausführen, will aber ganz deutlich sagen: Es
ist im Interesse der Zeitarbeitsbranche, dass sie selbst ein
Zeichen setzt, den Verleihzeitraum begrenzt und
Outsourcing-Prozesse, die zu nichts anderem als Lohndumping führen, nicht durchführt. Die Zeitarbeit ist
wichtig, um Auftragsspitzen abzufangen und Stammarbeitsplätze zu sichern, darf diese aber nicht ersetzen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Klaus Brandner, der Versuch, die Wirklichkeit und die
Beschreibung derselben in Übereinstimmung zu bringen,
muss nicht immer glücken. Es ist ja richtig, dass Sie im
Haushalt wieder 6,4 Milliarden Euro für die Förderung,
für die aktive Arbeitsmarktpolitik vorsehen. Aber eines
muss man schon zur Kenntnis nehmen: Wir sind jetzt im
dritten Jahr - am Anfang hat das noch Rot-Grün beschlossen -, in dem für die Förderung im Bereich Hartz IV bzw.
Sozialgesetzbuch II 6,4 Milliarden Euro zur Verfügung
stehen. Im dritten Jahr werden wir es nicht erreichen, die
zur Verfügung gestellten Mittel auszuschöpfen. Das muss
man auch einmal sagen, anstatt es schon für etwas Besonderes zu halten, dass die Leistungen jetzt ohne Sperrvermerk zur Verfügung gestellt werden. Dass Sie schon so
kleine Brötchen backen, ist bezeichnend.
({0})
Herr Brauksiepe, Sie haben der Opposition, insbesondere uns als Grünen, vorgeworfen, wir hätten Scheuklappen auf, seien verzweifelt. Verzweifelt bin ich eigentlich
nur, wenn Sie versuchen, vorzurechnen, wie man beim
Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf unter 40 Prozent
kommt, wenn er bei 41 Prozent liegt.
({1})
Das mit den Scheuklappen fällt also auf Sie zurück.
Wir leugnen gar nicht, dass der Aufschwung positive
Folgen hat. Ich halte es da mit unserem Vorsitzenden
Fritz Kuhn, der ja gestern ganz offen gesagt hat: Sie haben bestimmte günstige Rahmenbedingungen. - Das
wollen wir durchaus zur Kenntnis nehmen, und wir sehen auch die günstige Perspektive für die Politik in
Deutschland. Aber gerade wenn man günstige Rahmenbedingungen und einen guten konjunkturellen Hintergrund hat, muss man in den Bereichen etwas tun, bei denen man sich Sorgen machen muss, und dort die
Scheuklappen abnehmen. Wenn ich mir als sozialpolitischer Sprecher meiner Fraktion über etwas Sorgen mache, dann sind das die Kinder, die dauerhaft in Armut
leben und deren Zahl trotz des Aufschwungs weiter
wächst.
({2})
Ich muss Ihren Fraktionsvorsitzenden Kauder ernst nehmen können, wenn er sagt: Jeder soll beim Aufschwung
mitgenommen werden. Doch er geht mit keinem Wort
auf die Zahl der Kinder ein, die von Leistungen nach
SGB II, Arbeitslosengeld II, leben. Ihre Zahl hat im
April 2007 den Höchststand von 1,9 Millionen erreicht.
Nach den vorläufigen Zahlen für August 2007 sind es
weiterhin 1,8 Millionen Kinder. Wenn wir noch diejenigen berücksichtigen,
({3})
die sich verdeckt, ohne das Geld zu beantragen, auf ähnlichem materiellen Niveau befinden, sind wir bei über
2,5 Millionen Kindern. Wenn wir dann noch auf die
Großstädte fokussieren, insbesondere auf Berlin, das
Ruhrgebiet, die Ballungsräume, stellen wir fest, dass in
Berlin 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter
15 Jahren in Haushalten leben, die Arbeitslosengeld II
beziehen. Wenn von den 25 000 Kindern, die Ende August in Berlin eingeschult wurden, 40 Prozent in Haushalten leben, die Arbeitslosengeld II erhalten, dann heißt
das, es gibt Schulklassen, in denen über die Hälfte der
Kinder vom Arbeitslosengeld II lebt. Das müssen wir
einmal zur Kenntnis nehmen!
Vor diesem Hintergrund ist eine Regelsatzdebatte
mehr als überfällig und absolut gerechtfertigt.
({4})
Man muss diese Debatte nüchtern führen. Aus meiner
Sicht reichen vage Hinweise wie „Wir müssen schauen,
ob die Ecksätze stimmen“, wie der Minister in seiner
Auftaktrede festgestellt hat, nicht aus. Die Länderkollegen sind teilweise schon weiter. Ich denke zum Beispiel
an Herrn Laumann aus Nordrhein-Westfalen - wir haben
ihn noch aus der letzten Legislaturperiode in guter Erinnerung -, der vor einigen Monaten im Mai 2007 in einer
Debatte im Landtag von Nordrhein-Westfalen darauf
hingewiesen hat, dass es nicht zutreffen kann, dass ein
Kind von 14 Jahren nur 60 Prozent von dem verzehrt,
was ein Erwachsener zu sich nimmt; als Vater von drei
Kindern könne er das beurteilen.
({5})
Auch wenn ich vieles an Herrn Laumann kritisieren
kann, gefällt mir sein von der Lebenswelt geprägter Zugang zur Politik in diesem Zusammenhang durchaus.
({6})
Er hat auch Konsequenzen gezogen - dafür muss man
ihn loben -,
({7})
indem er eine unabhängige Kommission eingerichtet
hat, die die Legitimität der Regelsätze überprüfen soll.
Ich wünsche mir, dass wir das auch auf Bundesebene
machen und unabhängig von mathematischen Rechenmodellen überprüfen, ob mit dem Betrag von 208 Euro
für unter 14-Jährige ein vernünftiges Leben überhaupt
darstellbar ist.
({8})
Das alles, was dieser Landesminister oder auch Ministerpräsidenten wie Herr Althaus und Herr Stoiber machen - der als Abschiedsgruß festgestellt hat, dass der
Regelsatz für Kinder erhöht werden muss -, wird allerdings zur Heuchelei, wenn die Ministerpräsidenten der
Länder Wohltaten fordern, was Sie dann aber auf Bundesebene ignorieren. Auf diese Weise führen Sie die
Bürgerinnen und Bürger hinters Licht.
Sie sollten sich einmal mit den Folgen der Kinderarmut befassen. Erst gestern hat der Präsident der größten
Krankenkasse dargelegt, dass 22 Prozent der Kinder psychische Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die bei ärmeren
Kindern konzentriert auftreten. Die größte Krankenkasse
gibt jährlich 50 Millionen Euro für psychotherapeutische
Behandlungen aus. Weitere 25 Millionen Euro - auch
das konzentriert sich bei den Ärmeren - werden für logopädische Behandlungen erstattet. Diese Folgekosten
muss man in die Gesamtberechnung einbeziehen. Darauf
habe ich schon mehrfach hingewiesen. Das wird aber
nachhaltig ignoriert.
Stattdessen lassen Sie sich einen Kinderzuschlag einfallen, der nur die Erwerbstätigen erfasst und diejenigen
ausschließt, die dauerhaft arbeitslos sind.
({9})
Ich bitte um Nachsicht, aber ich folge dem Finale Ihrer Rede mit gespanntem Interesse.
Es hatte sich eine Zwischenfrage ergeben, die wahrscheinlich beim Präsidentenwechsel untergegangen ist.
Noch kann es keine Zwischenfrage gegeben haben.
Sie kann allenfalls angemeldet worden sein. Aber ich
verstehe Ihren dezenten Hinweis als das ausgeprägte Interesse, durch Zulassung dieser Zwischenfrage Ihre Redezeit zu verlängern. - Bitte schön, Frau Falk.
Herr Kollege Kurth, Sie glauben doch nicht im Ernst,
dass eine Anhebung des Regelsatzes für Kinder die geschilderten Probleme löst. Sie müssen doch einerseits
den Hintergrund sehen, warum Kinder in die Situation
kommen, Transferleistungen zu beziehen. Der Hintergrund besteht darin, dass Eltern aus Gründen, die ich
jetzt nicht zu bewerten habe, in Arbeitslosigkeit geraten
sind und selber von der Transferleistung abhängig sind.
Die Leistungen, die sie für ihre Kinder bekommen, sollten in aller Regel ausreichen. Wenn das nicht der Fall ist,
liegt die Ursache häufig darin, dass Eltern nicht in der
Lage sind, mit dem Geld umzugehen und ihren Kindern
zu Hause die richtigen Rahmenbedingungen zu bieten,
({0})
damit sie aufwachsen können, ohne psychisch belastet
zu werden und psychische Defizite zu entwickeln, wie es
vielfach der Fall ist.
Wir müssen in die Familien hineingehen und ihnen
helfen.
Sie hatten sich zu einer Zwischenfrage gemeldet, Frau
Kollegin.
({0})
Das hängt alles zusammen. Ich will nur deutlich machen, dass die Frage darauf abzielt, dass die finanzielle
Leistung alleine nicht ausschlaggebend sein kann, sondern dass viele andere Hilfen nötig sind. Sind Sie mit
mir dieser Meinung?
Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass es speziell für
Kinderarmut - wie auch für Armut im Allgemeinen viele Ursachen gibt und dass finanzielle Transferleistungen alleine nicht ausreichen, um die Armutssituation
dauerhaft zu überwinden. Aber ich lehne es ab, strukturelle Hilfen in den Bereichen Bildung und Erziehung sowie Familienhilfen gegen eine Erhöhung des Regelsatzes auszuspielen.
({0})
Grundlage ist die materielle Sicherheit, auf der andere
Hilfen und zusätzliche Unterstützung aufbauen können.
Ich möchte noch kurz auf Ihren Hinweis eingehen,
dass das nicht reiche. Das Ergebnis einer von Margot
Münnich für das Statistische Bundesamt erhobenen Studie über die Einkommensverhältnisse armer Familien
ist, dass Eltern in der Regel alles tun, um ihre Kinder vor
Armut zu bewahren, und zuerst bei ihren Ausgaben sparen, bevor sie bei den Kindern sparen.
({1})
Es wird behauptet, die Hilfen kämen oft nicht bei den
Kindern an, oder die Eltern seien daran schuld, dass die
Unterstützung nicht den Kindern zugute komme. Das
mag in bestimmten Fällen so sein. Aber das ist keineswegs empirisch belegt.
Ich komme zum Schluss. Von dem Kinderzuschlag,
den Sie vorschlagen, profitieren nur diejenigen, die bereits arbeiten. Aber wir müssen für die 2,2 Millionen, die
trotz aller Unterstützungsmaßnahmen leider mehr oder
minder dauerhaft Arbeitslosengeld II beziehen, Lösungen finden. Dazu gehören eine Erhöhung des Regelsatzes und natürlich auch ergänzende Hilfen für Essen und
Lernmittel, Frau Lehn. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen
haben in der Vergangenheit zwei Anträge gestellt mit der
Forderung, den Jobcentern im Rahmen einer Kannbestimmung zumindest die Möglichkeit zu eröffnen, Essen,
Lernmittel und Fahrtkosten zu bezuschussen.
({2})
Aber Sie haben das abgelehnt. Bevor Sie wohlfeile Forderungen an Länder und Kommunen stellen, sollten Sie
sich an die eigene Nase fassen und die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Wir können dies tun. Wir
sollten keine Sonntagsreden halten und Forderungen
stellen, die wir schon längst hätten erfüllen können.
Vielen Dank.
({3})
Hans-Joachim Fuchtel ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als langjähriger Haushälter verrate ich Ihnen:
({0})
Wenn es dem Einzelplan 11 gut geht, dann geht es dem
gesamten Bundeshaushalt gut.
({1})
Ich habe heute von niemandem gehört, dass sich die Situation nicht stabilisiert habe. Die Wahrheit ist, dass wir
erste Entlastungstendenzen verspüren. Dies ist insgesamt gut für dieses Land.
({2})
Verehrte Frau Kollegin Dr. Winterstein, Sie haben
vorhin manches gesagt, was ich mittragen kann. In einem Punkt muss ich Ihnen aber deutlich widersprechen.
Die Entlastung ist nicht nur das Ergebnis der guten Konjunktur. Sie kommt vielmehr auch durch die strukturellen Veränderungen, die durch die Gesetzgebung bewirkt
wurden.
({3})
Sonst führte die SPD beispielsweise nicht eine Diskussion über die Agenda 2010.
({4})
Es geht darum, wie wir die Gestaltungsräume nutzen.
Ich darf die Prioritäten kurz skizzieren: erstens weitere
Entlastung der Beitragszahler - ich bin mir ganz sicher,
dass wir hierüber noch ins Gespräch kommen -, zweitens Fortsetzung der Konsolidierung und drittens die
Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme. Dazu ist
heute sehr wenig gesagt worden. Aber wer eine nachhaltige Sozialpolitik gestalten möchte, muss auch Reserven für die Stabilisierung schaffen. Am Ende des
Jahres werden wir Reserven in Höhe von circa
16 Milliarden Euro in der Arbeitslosenversicherung und
der Rentenversicherung aufgebaut haben. Hier sollten
Sie von den Grünen einmal gut zuhören. Als Sie aus der
Regierung ausgeschieden sind, gab es null Reserven.
Das ist der Unterschied.
({5})
Schwarz-Rot erfüllt das, was Rot-Grün versprochen hat.
Der Aufbau der Reserven ist ein Beispiel dafür, dass die
Stabilisierung gelungen ist.
Das vierte wichtige Projekt, das wir in der jetzigen
guten Situation voranbringen müssen, damit Deutschland ein moderner Sozialstaat bleibt, ist der weitere
Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Es ist natürlich
ein sehr wichtiger Punkt, wenn 7,3 Millionen Menschen
von Hartz IV betroffen sind. Diese Zahl müssen wir reduzieren. Dem wird Priorität eingeräumt.
Die Union wird in den nächsten Monaten einige Impulse geben. Zunächst einmal wollen wir nicht mit dem
Kopf durch die Wand, aber wenn es die Herbstzahlen zulassen, dann reden wir - da sind wir mit dem Minister einig - über eine weitere Beitragssenkung in der Arbeitslosenversicherung. Wenn mir Herr Kollege Kolb
dazu Zwischenfragen stellen würde, würde ich ihm im
Einzelnen erläutern, warum das nicht so einfach geht.
({6})
Wenn sich der Trend bei den Herbstzahlen fortsetzt,
dann wird eine Senkung des Beitrags von 3,9 Prozent
auf 3,5 Prozent möglich werden. Das werden wir ernsthaft anstreben.
Ich mache in der Zwischenzeit vorsichtshalber darauf
aufmerksam, dass ich so offensichtlich bestellte Zwischenfragen nicht zulassen würde.
({0})
Diese Zwischenbemerkung wurde mir aber nicht auf
meine Redezeit angerechnet, Herr Präsident?
Ein anderes Thema ist die Schaffung weiterer Liquidität. Wir wollen, dass eine Entrümpelung der Arbeitsmarktinstrumente stattfindet. Statt 80 Einzelprogrammen wollen wir eine Neufassung mit weniger
Programmen. Das beseitigt Bürokratie und wird die Abläufe beschleunigen. Als nächsten Schritt werden wir als
Union auf eine bedingungslose Evaluierung jedes Arbeitsmarktprogramms hinarbeiten. Wir müssen - das
sage ich uns allen - stärker den Spruch beherzigen:
Wenn das Pferd tot ist, muss man auch absteigen.
({0})
Der nächste Punkt betrifft die Privathaushalte. Wir
müssen die Privathaushalte als Arbeitgeber entdecken. Herr Minister Müntefering, herzlichen Dank für
das Interview, das Sie der Welt am Sonntag vor zwei Wochen gegeben haben. Endlich entdecken auch die Kollegen in der Koalition, dass hier ein großes Potenzial besteht. Hier kann man noch Arbeitskräfte aktivieren, und
hier gibt es eine Nachfrage, wenn man die Rahmenbedingungen richtig gestaltet. Ich darf zusammenfassend
sagen: Herr Minister, die Union steht für einen großen
Wurf auf diesem Gebiet bereit.
({1})
Wir hoffen, dass wir nicht in ideologische Diskussionen
verfallen, sondern dass wir die Chancen nutzen. Ich persönlich denke, dass man auf eine Obergrenze von monatlich 2 500 Euro inklusive Sachbezüge kommen kann,
wenn man alle Instrumente zusammenführt. Dann werden wir eine große Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze schaffen, was den Arbeitsmarkt entlasten wird. Wir rechnen
zurzeit nach und werden konkrete Vorschläge machen.
Das möchte ich hier ankündigen.
Diese Zeit ist auch die Stunde einer verstärkten
Bekämpfung der Schwarzarbeit. Auch das ist heute
noch nicht angesprochen worden. Während die Politesse
heutzutage den Parksünder mit digitalen Geräten verfolgt und ihm Strafzettel ausstellt, kämpfen unsere tapfe11618
ren Beamten der Finanzverwaltung gegen die Schwarzarbeit in unserem Hightechland mit der Hand am Arm
an. Wir müssen auch hier digitale Instrumente einführen
und unsere Ressourcen nutzen. Das ist im Interesse der
Kultur der sozialen Marktwirtschaft, des regulären Arbeitsmarkts und der öffentlichen Kassen.
({2})
Das Thema der privaten und betrieblichen Altersvorsorge ist ganz kurz angesprochen worden. Für uns
intern war die Entscheidung über die Entgeltumwandlung sehr schwierig. Wir reden hier nicht von kleinen
Brötchen, sondern von richtig großen Broten. Wir schätzen, dass wir einen Beitragsausfall in Höhe von bis zu
2,4 Milliarden Euro haben werden, wenn wir die bisherige Form der Freistellung von der Sozialversicherungspflicht beibehalten. Das aber ist für die junge Generation
ein Angebot. Deswegen machen wir das.
({3})
Die Union wird am Investivlohn dranbleiben. Partnerschaft in der globalen Wirtschaft braucht eine stärkere Arbeitnehmerbindung an den Betrieb. Vermögensbildung muss konkret sein und darf nicht in anonymen
Fonds stattfinden. Mich als Haushälter hat am meisten
das Schuler-Modell überzeugt. Das kostet den Staat wenig und bringt dem Einzelnen viel. All diese Zukunftsprojekte stehen natürlich unter dem Signum äußerster
Sparsamkeit; denn die guten Arbeitslosenzahlen bieten
keinen Anlass zur Euphorie. Eines muss man nämlich
hervorheben: Allein der Bund gibt über 35 Milliarden
Euro für die Grundsicherung aus. Hinzu kommen
8 Milliarden Euro, die die Länder für den Wohnungsbereich zur Verfügung stellen. Insgesamt bringt der Staat
also 43 Milliarden Euro auf, und dann kommen Sie und
machen das schlecht. Sie sollten froh sein, dass der deutsche Steuerzahler die Kraft hat, so viel Geld für diese
Aufgabe einzusetzen.
({4})
Weder SPD noch Union brauchen Nachhilfeunterricht
über die Zusammensetzung des Kreises der Empfänger
von Mitteln nach dem Sozialgesetzbuch II. Bei allen Bemühungen um eine Vereinfachung der Instrumente ist
klar, dass wir die Situation mit konkreten Programmen
- sie sind bereits dargestellt worden - noch differenzierter angehen. Als Haushälter sage ich: Ideenreichtum ist
gefragt. Er darf allerdings nicht mehr als insgesamt
6,4 Milliarden Euro kosten.
Zur Rentenversicherung brauche ich nicht viel zu sagen. Hier ist eine Entlastung und Entspannung eingetreten. Der Koalition ist es nach so vielen turbulenten Jahren Gott sei Dank gelungen, auf diesem Gebiet für
Stabilität zu sorgen. Das ist ganz wichtig.
Zum Schluss möchte ich sagen: Die Arbeitsmarktund Sozialpolitik ist sicher nicht unbedingt die Hauptgemeinsamkeit dieser Koalition.
({5})
Wenn man aber sieht, dass es gelungen ist, dafür zu
sorgen, dass es über 1 Million zusätzliche Erwerbstätige
gibt, dann muss man feststellen, dass das ein ganz gutes
Ergebnis ist. Wir können darüber im Interesse der Menschen in diesem Land froh sein. Das sollte uns alle, auch
die Menschen draußen im Lande, ermutigen, daran zu
arbeiten, dass es noch besser wird.
({6})
Letzter Redner in der Aussprache zu diesem Einzelplan ist der Kollege Stefan Müller für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Dr. Kolb hat mich gerade aufgefordert, etwas über
meine Verwandtschaft zu erzählen. Mein Vater hat acht
Geschwister; ich habe das gerade schon eingeworfen.
Ich wüsste jetzt gar nicht, wo ich da anfangen soll; aber
ich behalte mir das einmal vor. Ich kann jedenfalls noch
viele Haushaltsberatungen mit Anmerkungen zu Onkeln
und Tanten bestreiten.
Wenn man diese Debatte verfolgt, zumindest die Reden der Opposition, dann hat man ein bisschen den Eindruck, als hätte man das alles schon einmal gehört.
({0})
Frau Lehn gehört zwar nicht der Opposition an, hat
aber immerhin etwas Neues gebracht: Sie hat von Onkel
Otto erzählt. Im letzten Jahr hat sie noch über Tante
Käthe berichtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus
den Oppositionsfraktionen, viel Neues kam von Ihnen
nicht.
Die FDP sagt: Das ist ja alles schön und gut; aber der
Aufschwung ist nicht der Aufschwung der Großen
Koalition. Die Grünen sagen: Das ist alles schön und
gut; aber es ist alles noch nicht ausreichend. Die Linke
sagt: Alles ist schlecht; Hartz IV muss im Übrigen sowieso weg.
Herr Kolb, Sie haben diverse Wünsche geäußert. Ich
will darauf gern eingehen. Ich möchte aus Ihrer Haushaltsrede vom vergangenen Jahr zitieren. Sie haben damals als Kronzeugen Ihrer Aussagen den Wirtschaftssachverständigen Gustav Horn angeführt. Sie haben ihn
zitiert: Der negative Impuls, der sich aus der saldierten
Wirkung von Mehrwertsteuererhöhung und Änderung
der Beitragssätze ergebe, führe zu einem Wachstumsverlust von über 1 Prozent.
({1})
Wie Sie vorgerechnet haben, müsste es im Jahr 2007 zu
einem Wachstum von 1,5 Prozent minus X kommen.
Stefan Müller ({2})
Herr Kolb, ich stelle fest, dass die Wirtschaftssachverständigen in diesem Jahr davon ausgehen, dass unser
Wirtschaftswachstum nicht bei 1,5 minus X, sondern
bei 2 Prozent plus X liegt; 2,3 Prozent sind prognostiziert worden.
({3})
Ich empfehle Ihnen, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der FDP, sehr, sich als Kronzeugen für das,
was Sie in Ihren Reden behaupten, bessere Sachverständige zu suchen.
({4})
Sie haben weiterhin darauf verwiesen, dass die positive Entwicklung, insbesondere bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, im
Verlauf des Jahres 2007 sich wieder umkehren werde
und dass wir unterm Strich weniger hätten. Die Zahlen
brauche ich hier nicht mehr vorzutragen. Wenn die letzten Arbeitsmarktdaten, die ich gesehen habe, richtig
sind, dann hatten wir zwischen August 2006 und
August 2007 einen Zuwachs von weit über 600 000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.
({5})
Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten wenigstens einmal
Ihrer Freude darüber Ausdruck verliehen, dass die Menschen, die letztes Jahr arbeitslos waren, in diesem Jahr
wieder eine Beschäftigung haben.
({6})
Der Kollege Kolb hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Kollege
Müller, wenn Sie mir aufmerksam zugehört haben,
konnten Sie unter anderem feststellen, dass ich mich
sehr darüber gefreut habe, dass 180 000 Menschen, die
zuvor arbeitslos waren, einen Arbeitsplatz in der Leiharbeit gefunden haben. Ich freue mich auch sonst über jeden, der einen sicheren und gut entlohnten Arbeitsplatz
gefunden hat.
Nun sagen Sie, die Opposition habe in der Vergangenheit die Dinge schlechtgeredet. Nein, wir mahnen - das
ist unsere Aufgabe -, und wir mahnen auch jetzt: In der
Zeit, in der wir eine wirklich gute konjunkturelle Entwicklung und hohe Beitragseinnahmen haben, ist es
wichtig, Vorsorge für den Fall zu betreiben, dass dieses
Konjunkturhoch wieder zu einem Ende kommt. Das
wird passieren. Ich will mich hier jetzt nicht als Kassandra betätigen, aber jeder Konjunkturzyklus hat irgendwann ein Ende. Die Frage ist, welches Niveau an
Sockelarbeitslosigkeit dann zurückbleibt.
Der Aufschwung könnte stärker sein, wenn Sie nicht
diesen negativen Impuls in die Volkswirtschaft gegeben
hätten. Deutschland liegt im EU-Vergleich deutlich unter
dem Schnitt. Das ist Fakt. Dazu haben Sie mit Ihrer Politik ganz deutlich beigetragen. Stimmen Sie dem zu?
Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu, Herr Kollege
Dr. Kolb.
({0})
Ich stelle fest, dass zu Beginn der Amtszeit der unionsgeführten Bundesregierung unsere Volkswirtschaft im
Vergleich der EU-Staaten ein ganzes Stück schlechter
abgeschnitten hat, als das heute der Fall ist.
({1})
Ich würde mir wünschen, dass Sie sich hier hinstellen
und das einfach einmal zugeben würden.
Der Herr Kollege Kurth hat uns immerhin zugebilligt,
dass es Verbesserungen gegeben hat. Ich billige Ihnen
wiederum zu, dass Sie sagen: Als Opposition muss man
auch mahnen. - Der Auffassung kann man durchaus
sein. Aber tun Sie doch nicht so, als wäre hier in den
letzten zwei Jahren nichts passiert, um die Rahmenbedingungen auch für Arbeitsplätze in Deutschland zu verbessern!
({2})
Sie müssen einfach zugeben, dass wir heute sehr viel
besser dastehen als noch vor einigen Jahren.
({3})
Die Frau Kollegin Pothmer hat das Thema Fachkräftemangel angesprochen. Ich will dazu gern etwas sagen,
weil ich mich über die Debatte, die in den letzten Wochen und Monaten geführt worden ist - das Thema hat
auch heute bereits eine Rolle gespielt -, schon etwas
wundere. Das Problem ist unbestritten: Wir haben einen
Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Die Bundesregierung hat bei ihrer Klausurtagung das eine oder andere
dazu auf den Weg gebracht bzw. sie will es noch auf den
Weg bringen. Sie können sagen, das alles sei nicht ausreichend.
Klar ist: Wir wollen Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland. Ich persönlich
kann mir, ehrlich gesagt, aber nicht vorstellen, dass wir
angesichts von 3,7 Millionen Arbeitslosen in Deutschland darauf angewiesen sind, Fachkräfte aus dem Ausland in einer hohen Anzahl nach Deutschland zu holen.
({4})
Bevor wir auf ausländische Fachkräfte zugreifen, muss
zunächst einmal - der Meinung bin ich - das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland ausgeschöpft werden.
({5})
Es geht darum, dass Geringqualifizierte qualifiziert werden müssen. Es geht darum, dass wir Ältere länger im
Erwerbsleben halten. Es geht darum, dass die jüngeren
Stefan Müller ({6})
Menschen in unserem Land eine Chance haben müssen,
ausgebildet zu werden.
({7})
Der beste Schutz vor Fachkräftemangel ist, den eigenen
Fachkräftenachwuchs heute selbst auszubilden.
({8})
Wer heute nicht ausbildet, darf sich morgen nicht darüber beklagen, dass es einen Fachkräftemangel gibt,
dass man keine qualifizierten Leute findet.
Nun will ich nicht bestreiten, dass wir auf dem
Arbeitsmarkt - das zeigen die Zahlen - eine zweigeteilte Entwicklung haben; das ist auch schon angesprochen worden. Wer heute neu arbeitslos wird, aber über
entsprechende Qualifikationen verfügt, hat in aller Regel
keine Probleme, auch wieder eine neue Beschäftigung
zu finden. Das hat etwas damit zu tun, dass in den vergangenen Jahren Einstellungshemmnisse abgebaut worden sind. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Vermittlungsarbeit der Bundesagentur für Arbeit besser
geworden ist. Das hat aber auch damit zu tun, dass die
Unternehmen in diesem Land in den letzten Jahren wieder dazu übergegangen sind, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und Investitionen zu tätigen. Der Standort ist nicht so schlecht, wie er in den vergangenen
Jahren dargestellt worden ist; er ist immer wieder
schlechtgeredet worden, insbesondere von der Opposition. Es hat auch etwas damit zu tun, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Lohnverzicht in den
vergangenen Jahren ihrerseits dazu beigetragen haben,
dass Arbeitsplätze wieder wettbewerbsfähig sind. Das
sollte man bei einer solchen Debatte auch einmal würdigen.
({9})
Unbestritten ist, dass wir ein Problem bei denen haben, die schon lange arbeitslos sind, die vielleicht über
zu geringe Qualifikationen verfügen. Aber auch dort gibt
es einen Rückgang. Es ist falsch, zu behaupten, dass es
dort keine Entwicklung, keinen Abbau gegeben hätte. Es
hat dort einen Abbau gegeben. Auch da tut sich etwas.
Wir haben die politische Aussage, dass wir uns gerade um diejenigen, die schon seit langem arbeitslos
sind, besonders kümmern wollen. Es ist nicht so, dass
wir in der Hinsicht nichts getan hätten. Ich erinnere an
all das, was wir in den letzten zwei Jahren für ältere
Langzeitarbeitslose zu einem Kombilohn für Schwervermittelbare, zu verschiedenen Sonderprogrammen der
Bundesagentur für Arbeit oder auch - was noch ansteht zu einem Kombilohn für Regionen mit einer besonders
hohen Arbeitslosigkeit beschlossen haben.
Im Übrigen ist eine solche zweigeteilte Entwicklung
keine Überraschung. Es ist völlig normal, dass in einem
solchen Konjunkturverlauf diejenigen als Erste davon
profitieren, die leichter in den Arbeitsmarkt vermittelbar
sind, und erst dann diejenigen, die über geringere Qualifikationen verfügen.
Herr Kollege Müller, möchten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth beantworten?
Bitte.
Sie haben gerade ein neues Kombilohnmodell angekündigt, das Sie noch auflegen wollen, und haben im
gleichen Satz die Vielzahl der Kombilohnmodelle und
Arbeitsmarktprogramme genannt, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben. Wie verträgt sich die Ankündigung neuer Modelle mit den eben von Herrn Fuchtel so
fuchtig beschriebenen Bestrebungen, die Zahl der Arbeitsmarktinstrumente zu verringern, ja gar zu entrümpeln, wenn ich ihn zitieren darf?
Herr Kollege, das eine schließt das andere ja nicht
aus.
({0})
Natürlich haben Sie recht: Wenn ich auf der einen
Seite Arbeitsmarktinstrumente zurückführen will oder
sinnvoll zusammenfassen möchte und auf der anderen
Seite neue einführe, dann müssen wir uns genau ansehen, was kommt. Ich kann Sie aber beruhigen: Es gibt
intensive Gespräche über das Thema, wie wir die Instrumente der Bundesagentur weiter verbessern können. Wir
werden die BA auf dem Weg unterstützen, die Instrumente genauer auszurichten.
Es ist im Übrigen schon einiges passiert. Das bitte ich
Sie zur Kenntnis zu nehmen. Der Kollege Brauksiepe
hat bereits den Gründungszuschuss erwähnt, der seit gut
einem Jahr in Kraft ist.
({1})
Dort haben wir zwei Instrumente zusammengeführt, wodurch wir heute mit weniger Geld Existenzgründungen
von Arbeitslosen noch besser fördern können. Das ist ein
Vorbild für das, was noch in diesem Herbst ansteht, nämlich dass wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente
noch besser ausrichten, indem wir bestehende Instrumente verbessern und auch - was der Kollege Fuchtel
angekündigt hat - indem wir wirkungslose Arbeitsmarktinstrumente abschaffen werden.
Insgesamt geht es darum, diese Arbeitsmarktinstrumente wirkungsvoller und effizienter auszugestalten. Es
geht um mehr Transparenz,
({2})
um Deregulierung und auch um eine bessere Vermittelbarkeit und Handhabbarkeit bei den Vermittlern vor Ort
sowie bei denjenigen, die diese Instrumente in Anspruch
nehmen sollen.
Ich sage bei der Gelegenheit ausdrücklich: Es geht
nicht - jedenfalls mir nicht - darum, dass wir in einem
Stefan Müller ({3})
hohen Ausmaß versuchen, Gelder einzusparen. Darum
geht es ausdrücklich nicht. Es geht nicht um eine massive Kosteneinsparung, sondern um eine bessere Handhabbarkeit. Seien Sie gespannt, was da noch auf Sie zukommt; wir werden das Richtige auf den Weg bringen.
({4})
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Haushalt der Bundesagentur für Arbeit sagen, weil das
heute auch eine Rolle gespielt hat: Wir haben in den letzten zwei Jahren die finanziellen Spielräume genutzt, um
den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf
4,2 Prozent zu senken; eine weitere Senkung auf
3,9 Prozent ist verabredet. Wir wünschen uns noch etwas
mehr, und es ist sehr wahrscheinlich, dass wir auf bis zu
3,5 Prozent hinunterkommen.
Das wird einen Impuls für weitere und mehr Beschäftigung in unserem Land setzen. Wir werden damit Einstellungshemmnisse abbauen. Das sorgt letztlich dafür,
dass bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
mehr übrig bleibt, dass der Aufschwung endlich bei den
Leuten, vor allem bei den Arbeitnehmern, ankommt.
Unser Problem ist doch heute, dass zwischen dem, was
oben auf dem Gehaltszettel steht, und dem, was unten
netto herauskommt, eine zu große Differenz besteht.
({5})
Das ist ein Problem, weswegen wir in Deutschland mit
Schwarzarbeit zu kämpfen haben.
Wir haben einige spannende Wochen an Haushaltsberatungen vor uns. Ich will nur abschließend daran erinnern, dass wir das alles nicht zum Selbstzweck machen,
sondern der Haushalt letztendlich das unterstützen soll,
was wir politisch auf den Weg bringen wollen. Wir haben uns für 2008 einiges vorgenommen. Wir wollen erreichen, dass die Arbeitslosigkeit weiter sinkt. Wir wollen, dass endlich auch die in Arbeit kommen, die heute
noch keine Arbeit haben und schon lange arbeitslos sind.
Wir wollen also, dass der Aufschwung bei allen ankommt. Ich würde mir wünschen, dass nicht nur die Koalitionsfraktionen mit der Regierung an diesem Ziel arbeiten, sondern uns auch die Opposition dabei nach
Kräften unterstützt.
Herzlichen Dank.
({6})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17.
Ich eröffne die Aussprache zu diesem Einzelplan und
erteile das Wort zunächst der Bundesministerin
Dr. Ursula von der Leyen.
Vielleicht warten wir noch einen Moment, Frau Ministerin, bis der Schichtwechsel eine ordnungsgemäße
gemeinsame Beratung ermöglicht. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben in Familie investiert, und wir wollen
weiter in Familie investieren. Der Einzelplan 17, den wir
jetzt beraten, macht das sehr deutlich. Er umfasst allein
für 2008 ein Ausgabevolumen von rund 6,2 Milliarden
Euro. Das sind rund 1 Milliarde Euro mehr als in diesem
Jahr.
Im Wesentlichen liegt das am Elterngeld. Allein
4 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt. Nach den ersten Auswertungen lässt sich durchaus sagen: Das Elterngeld erfüllt die darin gesetzten Erwartungen. Fast jede
Familie, die in diesem Jahr ein Kind bekommen hat, beantragt und erhält das Elterngeld. Im ersten Halbjahr
wurden allein über 200 000 Elterngeldanträge bewilligt.
Ich freue mich vor allem darüber, dass das Elterngeld Elternzeit für die Väter attraktiv gemacht hat. Bisher hatten
nur 3,5 Prozent der Väter Elternzeit genommen. Allein
in den ersten vier Monaten dieses Jahres hat sich die
Zahl mehr als verdoppelt, nämlich auf 8,5 Prozent. Diese
Zahl steht dabei nur für die ganz frühen Trendsetter,
nämlich diejenigen Väter, die mit der Geburt ihres Kindes sofort Elternzeit nehmen und nicht erst bis zum Ablauf von zwölf Elterngeldmonaten warten. Ich denke,
das ist ein Erfolg. Das ist ein positives Zeichen für das
Thema Erziehung in Deutschland.
({0})
Das Elterngeld ist ein wichtiger Baustein, um die Kinder- und Familienarmut zu bekämpfen. Von der höheren
Geringverdienerkomponente, die uns in den Beratungen
sehr wichtig gewesen ist, profitieren 20 Prozent der Familien. Damit erhalten sie in diesem Jahr echtes Einkommen. Gerade Familien mit kleinem Einkommen
werden damit in ihrer Erwerbsbereitschaft unterstützt.
Es handelt sich ja vielfach um Eltern, die bienenfleißig
das Einkommen für ihre Familie verdienen und so, wie
ich finde, ihren Kindern ein prägendes Vorbild sind. Die
müssen wir darin unterstützen.
Das ist auch der Grundgedanke des Kinderzuschlags.
Der Kinderzuschlag setzt einen wichtigen arbeitsmarktpolitischen Anreiz und gibt eine familiengerechte Antwort auf das drängende Problem der Kinderarmut; denn
der Kinderzuschlag hilft den Familien, in denen die Eltern aus eigener Kraft ihren eigenen Lebensunterhalt
verdienen können, aber in denen es für die oft vielen
Kinder nicht oder noch nicht reicht. Gerade bei Familien
mit sehr kleinem Einkommen und insbesondere bei kinderreichen Familien verhindert der Kinderzuschlag, dass
sie, nur weil sie Kinder haben, zu ALG-II-Empfängern
werden. Ich denke, gerade an dieser Stelle muss gelten:
Arbeit lohnt sich.
({1})
Wir wollen mit dem Kinderzuschlag etwa eine halbe
Million Kinder erreichen. Dazu muss das Antragsverfahren deutlich verbessert und entbürokratisiert werden,
und die entsprechenden Regelungen müssen flexibilisiert werden. Das zentrale Thema - das war schon in der
Debatte zuvor ein spannendes Thema -, den Menschen
unbürokratisch und flexibel mit dem richtigen Arbeitsanreiz zu helfen, damit sie wieder gewiss sein können,
dass sich Arbeit überhaupt und dass sich auch mehr Arbeit lohnt, betrifft den gesamten Niedriglohnsektor. Im
Einzelplan 17 sind die Mittel für den Kinderzuschlag auf
Basis der heutigen Rechtslage zwar noch mit 150 Millionen Euro veranschlagt. Ich bin aber mit dem Bundesarbeitsminister in sehr guten Gesprächen darüber, wie wir
einen verbesserten, flexibleren und entbürokratisierten
Kinderzuschlag im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für
den Niedriglohnsektor ermöglichen können. Ich denke,
es ist ein lohnendes Ziel, das in diesen Wochen dingfest
zu machen.
Kinderarmut ist eines der beschämendsten Probleme
in unserem Land.
({2})
Das Entscheidende ist, was man dagegen tut. Wir müssen vor allem auf drei Feldern tätig werden: Der erste
Baustein ist die bessere Teilhabe der Familien am Konjunkturaufschwung, das heißt am Arbeitsmarkt. Der
zweite wichtige Baustein sind bessere Chancen auf frühe
Bildung von Kindern, also die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur, damit der Teufelskreis der über
mehrere Generationen vererbten sogenannten Bildungsarmut durchbrochen wird.
Der dritte Baustein ist eine deutlich bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Väter und Mütter; das
hilft vor allen Dingen den Alleinerziehenden.
Dazu braucht es eine gute und flexible Kinderbetreuung. Die maßgeblichen Weichen sind jetzt gestellt.
Der Beitrag von 4 Milliarden Euro, den die Bundesregierung für den Ausbau der Betreuung von unter Dreijährigen bereitstellt, ist nicht im Einzelplan 17 etatisiert.
Dennoch gehört der Ausbau der Kinderbetreuung mit zu
den zukunftsentscheidenden Investitionen für Familien,
Kinder und Bildung. Das ist ein großer Schritt, den diese
Große Koalition gemeinsam geschafft hat.
({3})
Mein Dank geht deshalb vor allem an all diejenigen
hier im Raum, aber auch in den Ländern und Kommunen, die dies mit politischer Kraft und mit Leidenschaft
für die Realisierung unserer familienpolitischen Ziele
möglich gemacht haben. Von Herzen Dank für diesen
gemeinsamen Einsatz, in relativ kurzer Zeit so etwas auf
die Beine zu stellen! Wir werden damit endlich ein bedarfsgerechtes Angebot schaffen und bei der Betreuung
von Kindern unter drei Jahren zum europäischen Durchschnitt aufschließen.
Wir haben vereinbart, dass ab 2013 ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung besteht und ein Betreuungsgeld eingeführt wird. Es ist wichtig, dass sich Eltern darauf verlassen können, dass sie Beruf und
Kindererziehung miteinander vereinbaren können. Es ist
mir ebenso wichtig, dass wir die Erziehung von Kindern
zu Hause in hohem Maße wertschätzen.
({4})
Das Entscheidende ist: Wir dürfen die Eltern nicht spalten. Wir dürfen nicht die eine Wahl der Eltern gegen die
andere ausspielen, sondern müssen gemeinsam hinter
dem Bemühen der Eltern stehen, ihr Lebensmodell in
verschiedenen Phasen auch wirklich umsetzen zu können.
({5})
Ich denke, es ist wichtig, uns vor Augen zu führen:
Die allermeisten Eltern wollen ihre Kinder so gut wie irgend möglich ins Leben hinausbegleiten. Ob die Eltern
einen Monat, ein Jahr oder zehn Jahre zu Hause bleiben
oder ob sie nach einem Monat, nach einem Jahr oder
nach zehn Jahren wieder Beruf und Familie miteinander
vereinbaren wollen: Wir müssen ihnen dabei helfen. Wir
müssen ihren Einsatz noch sehr viel mehr wertschätzen,
als das bisher der Fall gewesen ist. Ich bin sicher: Auch
dies wird die Große Koalition schaffen.
({6})
Lassen Sie mich zum Einzelplan 17 für 2008 zurückkommen. Wir bündeln in der Titelgruppe Stärkung der
Zivilgesellschaft verschiedene Initiativen und Maßnahmen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements
und machen sie dadurch im Haushalt sichtbar. Wir wollen die Jugendfreiwilligendienste flexibler und attraktiver gestalten und die generationenübergreifenden Freiwilligendienste weiterentwickeln.
Wir bekämpfen nachhaltig und konsequent jede
Form von Extremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Das wird daran deutlich, dass es in
60 Kommunen lokale Aktionspläne gibt und dass wir
mit 30 Modellprojekten bereits jetzt dichte Netze gegen
Rechtsextremismus und Gewalt geflochten haben. Wir
bauen dieses Programm in den nächsten Monaten auf
90 lokale Aktionspläne und 90 Modellprojekte aus. Hier
liegt der Schwerpunkt vor allem auf den neuen Bundesländern, die seit Juli dieses Jahres über Beratungsnetzwerke und mobile Interventionsteams verfügen.
Ich möchte ganz deutlich sagen: Wir nehmen den
Kampf gegen den Rechtsextremismus sehr ernst. Wir
werden die Mittel für die neuen Programme dauerhaft finanzieren; wir haben sie in der Finanzplanung für die
kommenden Jahre fortgeschrieben. Damit setzen wir ein
deutliches Signal gegen den Rechtsextremismus und für
die Nachhaltigkeit unseres Einsatzes.
({7})
Mit dem Haushalt 2008 haben wir ein Zeichen für Familien gesetzt. Die Familienpolitik ist für die Zukunft
gut aufgestellt. Dazu haben alle hier im Saal mit ihrer
Arbeit beigetragen. Vielen Dank für diesen Einsatz.
({8})
Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke für die FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von
der Leyen, es ist Ihr Verdienst, dass bundesweit über Familienpolitik diskutiert wird. Auch in der CDU/CSU gehört es jetzt zum guten Ton, sich für eine außerhäusliche
Betreuung für Kinder unter drei Jahren einzusetzen.
({0})
Die FDP möchte, dass die 145 familienbezogenen
Leistungen analysiert werden, ehe eine weitere Sozialleistung versprochen wird. In Norwegen hat das Betreuungsgeld zu dem geführt, was die FDP befürchtet: In der
Betreuung ist der Anteil der Kinder nichtwestlicher Einwanderer, die sprachlich weitergebildet werden müssen,
konstant geblieben; die Bildungs- und Betreuungsangebote sind nicht vermehrt in Anspruch genommen worden, aber das Geld.
Die Ausgaben im Haushalt des Familienministeriums
haben sich durch die Einführung des Elterngeldes erhöht. Den Systemwechsel hin zu einer lohnbezogenen
Leistung trägt die FDP grundsätzlich mit. Aber bereits
im ersten Jahr des Elterngeldes zeigen sich Fehler im
Gesetz: Warum erhält eine Frau, die sich mit einem
Schreibbüro selbstständig macht und über 30 Stunden
arbeitet, kein Elterngeld, wohl aber die ALG-II-Empfängerin 300 Euro Elterngeld monatlich? Das Gesetz ist in
sich nicht schlüssig.
Auch Frauen in Steuerklasse V werden von der Koalition unfair behandelt. Erwerbstätige Ehefrauen in
Steuerklasse V mit einem Verdienst von 2 000 Euro
brutto müssen beim Elterngeld im Vergleich zur
Steuerklasse III Verluste in Höhe von 390 Euro monatlich hinnehmen. Es ist schon erstaunlich, dass es vonseiten der SPD dazu keinen Protest gibt.
Sie haben sich endlich auf eine Finanzierung der
Kleinkindbetreuung geeinigt. Bei den vorangegangenen Verhandlungen saßen die Kommunen nicht einmal
am Katzentisch, und das, obwohl sie schließlich für die
Umsetzung vor Ort verantwortlich sind. Bis 2013 wollen
Sie 4 Milliarden Euro für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren einsetzen. Das ist auch gut so; da stimmen
wir mit Ihnen überein.
({1})
Herr Singhammer, meine Frage an Sie: Wie viel von diesem Geld wird denn für das Jahr 2008 ausgeschüttet?
Lediglich 400 Millionen Euro für Investitionen.
({2})
Das ist eine lächerlich kleine Summe. Dabei sollte es
doch im nächsten Jahr so richtig losgehen.
Die FDP hat Ihnen einen besseren, unbürokratischen
und verfassungsgemäßen Vorschlag zur Finanzierung
über die Umsatzsteuer vorgelegt. Bei uns geht das Geld
direkt an die Kommunen.
({3})
Die Politiker der Großen Koalition - das stelle ich immer wieder fest - machen das ganze Jahr über Versprechungen, die sich mit keinem Cent im Haushalt wiederfinden: kostenfreie Kitaplätze, Familiensplitting oder,
wie von Herrn Pofalla gefordert, 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Pampers. Die Vorschläge sind gut. Aber wo
bleibt nach der Pressemitteilung der konkrete Vorschlag
hier im Bundestag?
({4})
Nun will die Bundesregierung die Ausweitung des
missglückten Kinderzuschlages. Die Ministerin hat vergessen, zu erwähnen, dass nur 12 Prozent der Antragsteller Geld aus dem Topf erhalten. Alle anderen Anträge werden abgewiesen. Der Verwaltungsaufwand
beläuft sich auf 18 Prozent der Gesamtkosten - das hat
die Ministerin ja gesagt ({5})
der Antrag auf Kinderzuschlag umfasst 27 Seiten. Kinderarmut wird durch den Kinderzuschlag nicht beseitigt.
Frau Ministerin nannte es einen Baustein. Das mag ja
sein. Aufgrund dieser Zahlen sollten Sie sich aber überlegen, ob Sie nicht nach einem neuen Konzept suchen
sollten.
({6})
Um den Familien zielgenauer helfen zu können, brauchen wir die Wirkungsanalyse des Kompetenzzentrums
hinsichtlich der 145 familienbezogenen Leistungen mit
185 Milliarden Euro an Ausgaben, die immer noch fehlt.
Die Opposition will endlich erste Ergebnisse sehen. Eines steht aber schon fest: Durch die größte Steuer- und
Abgabenerhöhung aller Zeiten sind die Familien erst
einmal auf der Verliererstraße.
Der Einzelplan 17 beinhaltet auch Ausgaben für
Zivildienst und Freiwilligendienste. Das Entwicklungshilfeministerium hat dafür eben mal 25 Millionen Euro und für das darauffolgende Jahr 70 Millionen Euro bereitgestellt. Sie schaffen es nicht einmal, die
Jugendfreiwilligendienste im Inland kontinuierlich auszubauen. Die überfraktionelle Einigung in der 14. Legislaturperiode haben Sie bisher noch nicht umgesetzt.
Die SPD bereitet sich mit dem Vorschlag der freiwilligen Wehrpflicht faktisch auf den Ausstieg aus dem
Wehrdienst und damit aus dem Zivildienst vor. Ich will
hier für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Die FDP
fordert die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie wollen in
dieser Legislaturperiode mehr Wehr- und Zivildienstgerechtigkeit. Gleichzeitig reduzieren Sie den Soldansatz
für den Zivildienst und verschärfen die Wehrungerechtigkeit damit noch einmal. Nur 17 Prozent aller tauglichen jungen Männer leisten den Wehrdienst ab, knapp
60 Prozent leisten weder Wehr- noch Zivildienst. Nur
die CDU/CSU klammert sich noch an den Pflichtdienst.
Ich komme zum Schluss. Mein Kollege Otto Fricke
wird sich zu weiteren Ungereimtheiten in diesem
Einzelplan 17 äußern. Die Gruppe der FDP-Abgeordneten im Familienausschuss wird die Arbeit der Regierung
mit Augenmaß und Sinn für Realität wie immer konstruktiv und kritisch begleiten.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicolette Kressl für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Lenke, ich weiß ja, dass in einer Haushaltsdebatte
immer Kritik geübt werden soll.
({0})
So ist Parlamentarismus angelegt. Angesichts der Situation, in der wir uns heute befinden, nämlich dass es eine,
wie ich finde, herausragende Einigung zwischen Bund
und Ländern zum Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen gibt, sollten aber eigentlich alle Herz zeigen
und sagen: Das ist ein richtig großer Schritt zur Verbesserung der gesellschaftlichen und der bildungspolitischen Situation in Deutschland. Das wäre eigentlich
auch Aufgabe der Opposition.
({1})
Was zwar nicht in diesem Haushalt vereinbart wurde,
aber seinen Niederschlag im Nachtragshaushalt finden
wird, ist, dass wir den Ausbau der Kinderbetreuung in
ein rundes und stimmiges Konzept fassen, wodurch sowohl den Eltern als auch den Kommunen und dem Bund
Sicherheit gegeben wird. Ich bin davon überzeugt, dass
wir dadurch im Verbund der europäischen Staaten, wo es
bildungspolitisch und hinsichtlich der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf noch Defizite gibt, einen Riesensprung nach vorne machen. Dieser Schritt wird uns ökonomisch helfen, bildungspolitisch weiterbringen und die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr stark verbessern.
({2})
Ich will deutlich machen: Es ist aus Sicht der Kinder ein
stimmiges Konzept. Uns ist ganz wichtig, dass es nicht
um die Sicht der Eltern, sondern um die Sicht der Kinder
geht.
({3})
Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung werden wir dafür sorgen, dass bereits Kleinkinder - insbesondere in
überforderten Familien, aber nicht nur in diesen Fällen bezüglich Integration und Vermittlung von sozialen Fähigkeiten auf Wunsch frühzeitig gefördert werden. Damit wecken wir die Potenziale der ganz Kleinen. Es
besteht von staatlicher Seite schon lange die Verantwortung, dafür die besten Rahmenbedingungen zu schaffen.
({4})
Manchmal wird ein Zerrbild gezeichnet, indem die
Behauptung aufgestellt wird, das Angebot einer frühen
Förderung und Betreuung richte sich gegen Kinder und
nutze nur den Eltern. Ich bin überzeugt, das Gegenteil ist
der Fall. Eltern müssen nicht mehr hetzen, um ihre Kinder bei der Tante, der Nachbarin oder der Tagesmutter
abzugeben. Stattdessen können sie entspannt die gemeinsame Zeit mit ihren Kindern verbringen und ihnen
ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben. Insofern ist es ganz wichtig, deutlich zu machen, dass es
nicht darum geht, Lebensmodelle gegeneinander auszuspielen. Mit diesem Schritt, den wir gehen werden, wollen wir die Chancen von Eltern und Kindern verbessern.
Das ist in Deutschland ein längst überfälliger Schritt.
({5})
Es ist auch ein stimmiges Konzept für Eltern. Ich
habe es vorhin schon angesprochen: Die Garantie eines
Betreuungsplatzes bewirkt, dass sich die Eltern in aller
Ruhe zusammensetzen und selber entscheiden können,
wer welche Aufgabe und welche Rolle in der Familie
übernimmt. Das wollen wir; das verstehe ich unter
Wahlfreiheit. Die Entscheidung der Eltern soll nicht
durch äußere Bedingungen beeinflusst werden. Wenn es
keinen Betreuungsplatz gibt, ist eine selbstbestimmte
Entscheidung der Eltern nicht möglich. Ich will noch
einmal ganz deutlich machen: Wir glauben nicht, dass
die Politik ein bestimmtes Lebensmodell vorschreiben
darf.
({6})
Im Gegenteil: Wir schaffen jetzt die Möglichkeit, dass
sich die Eltern gemeinsam für ein bestimmtes Lebensmodell entscheiden können.
Es ist für mich auch deshalb ein stimmiges Konzept
für Eltern, weil wir damit nicht allein an die Symptome
gehen, sondern das Armutsproblem auch an der Wurzel
packen. Wir wissen aus allen Armutsberichten, dass in
Deutschland die Alleinerziehenden am meisten von
Armut betroffen sind. Wer glaubt, dass man allein - ich
sage ausdrücklich: allein - durch höhere Transferleistungen Abhilfe schaffen könne, der täuscht sich. Eine bessere Kinderbetreuung ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Frauen eine angebotene Arbeit
annehmen können. Damit sorgen wir dafür, dass Armut
vermieden wird. - Man sieht, es gibt verschiedene
Aspekte, warum der von uns vereinbarte Ausbau der
Kinderbetreuung so wichtig und so entscheidend ist.
({7})
Das vereinbarte Konzept ist auch für Bund, Länder
und Kommunen stimmig. Der Bund - Frau Lenke, in
diesem Punkt täuschen Sie sich - stellt nicht nur
4 Milliarden Euro bis zum Jahre 2013 als AufbaufinanNicolette Kressl
zierung bereit. Es ist nämlich noch vereinbart, dass ab
2013 der Bund über einen Umsatzsteuervorwegabzug
dauerhaft 770 Millionen Euro pro Jahr über die Länder
an die Kommunen gibt. Wir sollten also nicht nur die
4 Milliarden Euro zur Aufbaufinanzierung im Kopf haben, sondern auch die Tatsache, dass der Bund die Länder und die Kommunen in diesem Bereich dauerhaft unterstützt.
({8})
Ich halte diese Maßnahme für gerechtfertigt: Wenn
der Bund will, dass es einheitliche Lebensverhältnisse
gibt, dann hat er sich an entsprechenden Maßnahmen
finanziell zu beteiligen. Ich betone noch einmal: Was wir
jetzt auf den Weg gebracht haben, ist ein rundes und
stimmiges Finanzierungskonzept, zu dem wir ausdrücklich stehen. Ich sage nicht ohne Stolz: Dieses Konzept kommt dem, was die sozialdemokratische Bundestagsfraktion frühzeitig vorgeschlagen hatte, sehr nahe.
Darüber freuen wir uns.
({9})
Das Konzept ist auch aus Sicht der Kommunen stimmig.
({10})
Wir haben immer auf die Kombination mit dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bestanden. Inzwischen ist
folgende Situation entstanden: Die Länder erhalten einen
Teil des Umsatzsteueraufkommens, und zwar in Form
eines Vorwegabzugs, aber das ist mit dem Rechtsanspruch gekoppelt. Dadurch ist geklärt, dass dieses Geld
zwar frei verwendet werden kann, aber in den Ausbau
der Kinderbetreuung gehen muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Länderverfassungen inzwischen
ein Konnexitätsprinzip enthalten. Das heißt, die Länder
müssen den Rechtsanspruch umsetzen und die Mittel an
die Kommunen weiterleiten. Ich gehe davon aus, dass in
allen Ländern so früh wie möglich zwischen den Landesregierungen, den Parlamenten und den Kommunen
Gespräche stattfinden werden.
({11})
Es handelt sich also um ein schlüssiges Prinzip.
({12})
- Sie haben offensichtlich noch nichts über das Konnexitätsprinzip in Verfassungen gelesen.
Das Konzept, das wir jetzt gemeinsam vereinbart haben, wird so zügig wie möglich umgesetzt, und zwar in
vier Schritten - Frau Lenke, weil Sie immer nach konkreten Schritten rufen, will ich das noch einmal deutlich
machen - : Der erste konkrete Schritt ist der Aufbau des
Sondervermögens, in das die 2,15 Milliarden Euro für
die Investitionskosten fließen werden; das ist bereits auf
dem Weg. Der zweite Schritt ist die Formulierung einer
Verwaltungsvereinbarung, die dafür sorgen wird, dass
dieses Geld abfließen kann. Im dritten konkreten Schritt
wird durch die Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes der Rechtsanspruch verankert, um sicherzustellen, wohin die Gelder gehen. Im vierten konkreten
Schritt wird durch eine Änderung des Finanzausgleichgesetzes dafür gesorgt, dass die Mittel über den Vorwegabzug bei der Umsatzsteuer auch tatsächlich bei den
Ländern ankommen.
Wir haben dafür Sorge getragen - das lag im Interesse
des Bundes -, dass nur das Gesamtpaket greift. Ich will
es noch einmal sagen: Es sind keine Einzelmaßnahmen,
sondern in diesem Gesamtpaket wurden alle föderalen
Ebenen berücksichtigt.
({13})
Diese Vereinbarung bringt uns im europäischen Vergleich endlich voran. Während der Haushaltsdebatte in
den letzten Tagen ist immer wieder darauf hingewiesen
worden, dass Deutschland sich auf ökonomischem Gebiet gut entwickelt hat. Ich finde, es zeugt von einem
wunderbaren Gleichschritt, dass wir jetzt auch im gesellschaftspolitischen Bereich einen großen Schritt nach
vorne machen. Es ist immer gut, wenn sich Ökonomie
und Gesellschaftspolitik im Gleichschritt bewegen. Es
ist auch gut, dass wir auf diese Art und Weise den Weg
für starke Eltern, für starke Kinder und damit für eine
starke Gesellschaft bahnen. Wir freuen uns, dass dies gelungen ist. Es wäre schön, wenn Sie sich mit uns freuen
würden.
Vielen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort der Kollegin Diana Golze, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundes soll laut Ihrer Aussage, Frau Ministerin, ein Zeichen für Familien
setzen. Schauen wir uns also an, welche Pläne Union
und SPD im Bereich Ihres Ministeriums haben und wie
sie auf die Situation im Land reagieren wollen.
Wie sieht sie aus, die Situation im Herbst 2007? Die
Kinderarmut in der Bundesrepublik steigt auf Rekordniveau. Mehr als 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche
unter 18 Jahren leben in Deutschland in Familien, die
auf das Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Im sächsischen Mügeln wurden im August indische Mitbürger
durch die Stadt gejagt und mit ausländerfeindlichen
Parolen bedroht. Der FDP-Bürgermeister durfte das
Verhalten auf diesem Fest in den Medien - bis hin zur
Jungen Freiheit - als normalen Stammtischjargon relativieren und verharmlosen. Gleichzeitig mehren sich die
Forderungen nach einer besseren Integration von Kindern mit Migrationshintergrund im Bildungswesen. All
das sind Bereiche, die im Einzelplan 17 des Bundeshaushaltes Widerhall finden müssten.
In dieser Situation und vor allem vor dem Hintergrund der medienwirksamen und vollmundigen Versprechungen der Familienministerin von der Leyen ist der
Einzelplan 17 entweder eine Umkehrung der Realität
oder er zeugt davon, welchen Stellenwert Kinder-, Jugend- und Familienpolitik in der Bundesrepublik wirklich haben.
({0})
Im Entwurf ist aus meiner Sicht keinerlei Widerspiegelung dessen zu finden, was jede Bürgerin und jeder
Bürger mit einem normalen Informationsstand aus
Presse und Fernsehen täglich sehen kann. Die Bundesregierung beweist vielmehr einmal mehr, dass sie keine
Antworten auf die Fragen hat, die die Bürgerinnen und
Bürger stellen. Stattdessen feiern Mann und Frau auf der
großen Regierungsklausur Dinge, die entweder schon
Gesetzgebung sind, wie der schon vor Jahren beschlossene Kindertagesstättenausbau, oder Dinge, die aus dem
eigenen Aufgabenkatalog - Koalitionsvertrag genannt stammen, nämlich die Evaluierung des Kinderzuschlages.
Beides findet sich jedoch im vorgelegten Haushaltsentwurf gar nicht wieder. Der Ausbau der Kita-Plätze für
Kinder unter drei Jahren soll über ein erst noch zu schaffendes Sondervermögen finanziert werden.
({1})
Zum Kinderzuschlag findet sich folgende Aussage im
Beipackzettel zum Einzelplan 17:
Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Weiterentwicklung konnte wegen fehlender Etatreife noch
nicht berücksichtigt werden.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank, das ist für mich eher eine politische Ohrfeige als
die Erfüllung Ihres Koalitionsvertrags.
({3})
Wie viele Studien, Erhebungen und Analysen braucht es
eigentlich noch, um Sie endlich aufzurütteln? Ich kann
Ihnen diese Lektüre nur empfehlen. Denn sie macht
deutlich, wie verfehlt Ihre Sozialpolitik in den vergangenen zwei Jahren gewesen ist. Geschönt durch die überfällige Angleichung des Ostregelsatzes beim ALG II waren Sie es, die die Situation der betroffenen Familien
weiter verschärft haben.
Die Kinderarmut in Deutschland ist hausgemacht.
Der Haushaltsansatz für das kommende Jahr bietet aber
wieder keine Lösungen. Die vagen Ankündigungen der
Ministerin von der Leyen zur eben genannten Evaluierung des Kinderzuschlags lassen mich zwar hoffen, aber
von diesen Ankündigungen sind in den vergangenen
Monaten leider zu viele im politischen Nirwana dieses
Hauses verlorengegangen.
({4})
Hoffen wir, dass diese Überarbeitung tatsächlich gemacht wird und zur Folge hat, dass mehr Familien diese
Leistungen bekommen können und dass man als beantragende Eltern nicht über Rechtsanwaltswissen verfügen muss, um den Antrag auszufüllen. Hoffen wir auch,
dass diesem Schritt schnell und vielleicht ausnahmsweise einmal ohne großen Streit in den Medien weitere
Schritte folgen. Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, brauchen wir eine Grundsicherung für Kinder, die
den Bedürfnissen eines Kindes entspricht und nicht einfach 60 Prozent des Regelsatzes eines alleinstehenden
50-jährigen Mannes abbildet.
({5})
Diesen Weg zu gehen, muss politisch gewollt sein. Mut
brauchen Sie dafür nicht viel, Frau von der Leyen; denn
Sie würden dafür zahlreiche Unterstützung hier im Parlament, aber vor allem in der Bevölkerung bekommen.
({6})
Die Kinder auf der Schattenseite des Lebens standen
zumindest am Anfang Ihrer Amtszeit auf Ihrem Programm. Fraglich ist inzwischen, ob es immer noch so ist.
Ihre bisherigen politischen Unternehmungen sprechen
leider eine andere Sprache. Mit der Einführung des
Elterngeldes in diesem Jahr, das einen beachtlichen Teil
des Aufwuchses im Einzelplan 17 hervorruft, hatten Sie
die Chance, endlich eine Balance zwischen den verschiedenen Elterngruppen zu schaffen. Ich befürworte
die Einführung des Elterngeldes als emanzipatorisch
wertvolle Initiative, weil sie Müttern und Vätern gleichermaßen die Möglichkeit gibt, sich in den ersten Lebensmonaten um ihr Kind zu kümmern. Dass Sie es
nicht vermocht haben, sich auch für die Eltern einzusetzen, die über wenig oder kein Einkommen verfügen, und
diese sogar noch schlechter gestellt haben als beim Erziehungsgeld, bleibt ein Makel an diesem Gesetz.
({7})
Vorschläge, diesen Makel abzubauen oder aufzuheben,
haben wir gemacht. Die Fraktion Die Linke wird diese
als Forderung nach einer sozial gerechten Form des Elterngeldes in die Haushaltsberatungen einbringen.
Auch ein anderes Prestigeobjekt Ihres Hauses richtet
sich ausschließlich an Eltern, die sich in Erwerbstätigkeit befinden. Sie begründen den notwendigen Ausbau
der Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren
stets mit der Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Was aber ist mit den Kindern, deren Eltern
keine Erwerbstätigkeit oder adäquate Beschäftigung
nachweisen können? Von einem Rechtsanspruch, wie
ihn inzwischen nicht nur wir, sondern auch die SPD gern
möchte, ist das weit entfernt.
({8})
Nichts von der nötigen Beschleunigung der Bemühungen ist im vorgelegten Bundeshaushalt zu finden.
Stattdessen haben Sie gemeinsam mit Herrn Steinbrück
in den vergangenen Wochen auf Ihren Pressekonferenzen so getan, als wäre Ihnen das Problem gerade erst vor
die Füße gefallen. Zu allem Übel erklären Ihnen nun
auch noch die Länder und Kommunen, dass sie nicht bereit sind, die Umsetzung dieses Gesetzes in diesem
Maße mitzufinanzieren. Der Kompromiss, den Sie in
den vergangenen Wochen in der Presse gefeiert haben,
wird aus unserer Sicht zu Recht als nicht ausreichend
kritisiert.
({9})
Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass Sie die
ostdeutschen Länder immer deshalb lobend erwähnen,
weil die Betreuungsquote dort zum Glück noch hoch ist,
ist zu befürchten, dass genau diese Länder mit den Aufgaben, die mit dem Erhalt der Kindertagesstätten verbunden sind, in Zukunft ziemlich allein dastehen könnten
({10})
oder dass diese Länder die Ausbildung der dringend benötigten qualifizierten Erzieherinnen und Erzieher schultern müssen, von einer angemessenen Bezahlung der
Fachkräfte - ob in den Kitas oder in der Tagespflege ganz zu schweigen.
({11})
Frau Kollegin Golze, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Natürlich.
Bitte schön.
Frau Kollegin, bevor sich hier Unwahrheiten festsetzen: Sie sollten eigentlich gelesen bzw. gerade von mir
gehört haben, dass wir es sehr bewusst nicht nur über die
Investitionskosten, sondern auch - das ist ganz besonders im Interesse der neuen Bundesländer - über den
Anteil an der Umsatzsteuer ermöglichen, dass die Qualifikation, die Erhaltung, die Sicherung und die Beteiligung an den laufenden Betriebskosten vom Bund mitfinanziert werden. Ich bitte Sie dringend, solche Aussagen
wie die, die Sie gerade gemacht haben, nicht zu verbreiten,
da wir es in einem durchaus schwierigen Prozess - auch im
Gespräch mit dem Finanzminister - erreicht haben, dass
diese Mittel frei verfügbar sind und dadurch insbesondere für die neuen Bundesländer Sicherheit gewährleistet ist.
({0})
Obwohl das keine Frage war, will ich gerne auf das,
was Sie gesagt haben, eingehen.
Erstens. Sie wissen sehr genau, dass die Förderung
erst 2009 beginnt. Das heißt, dass gerade die ostdeutschen Bundesländer, die jetzt mit der Situation zu
kämpfen haben, dass die Erzieherinnen und Erzieher im
Durchschnitt ein Alter von über 50 Jahren haben und daher sofort in die Qualifizierung von Erzieherinnen und
Erzieher investiert werden müsste, wenn überhaupt, erst
ab 2009 davon profitieren werden.
({0})
- Jetzt bin ich dran. Ich habe das Wort.
({1})
Zweitens hat die Bundesregierung in ihrer Antwort
auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion nicht einmal anerkannt, dass es hier Handlungsbedarf gibt, was zum
Beispiel den Fachkräftebedarf und die Bezahlung der in
diesem Bereich beschäftigten Personen betrifft. Das nehmen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis.
({2})
- Ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer nicht
gestellten Frage.
({3})
- Sie haben ja keine Frage gestellt. Was soll ich denn da
machen?
({4})
Entschuldigung, Herr Präsident. Ich bin immer noch
bei der Beantwortung dieser Anregung.
Nachdem Sie gerade erläutert haben, dass Sie bei der
Beantwortung einer nicht gestellten Frage sind, können
wir uns vielleicht gemeinsam darauf verständigen, dass
Sie schlicht mit Ihrer Rede fortfahren.
({0})
Dann möchte ich, dass geprüft wird, wie lange hier
nach der Geschäftsordnung Fragen beantwortet bzw.
Anregungen gegeben werden dürfen.
({0})
Ich möchte auf die Qualität der Ausbildung der Fachkräfte zurückkommen. Ich bin der festen Überzeugung,
dass das Gelingen des Ausbaus der Kindertagesbetreuung von der Qualität der Ausbildung abhängt. Die Linke
wird dem Ausbau der Kindertagesbetreuung nur dann
zustimmen, wenn unter anderem auch Tagesmütter und
Tagesväter endlich eine Absicherung durch eine zertifizierte Ausbildung erhalten, wenn dazu bundesweit geltende rechtliche Regelungen geschaffen werden und
wenn sie eine angemessene Entlohnung bekommen.
({1})
Einer Billigvariante des geplanten Ausbaus der Kinderbetreuung werden wir nicht zustimmen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin gespannt, ob
bzw. wie die Bundesregierung in den kommenden Monaten das wachsende Problem der Ausländerfeindlichkeit und des Rechtsextremismus auf die Tagesordnung
bringt. Es wird wohl nicht ausreichen, in die Schlagzeilen gekommene Kommunen und ihre Bürgermeister
letztlich doch in das entsprechende Bundesprogramm
aufzunehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Gemeinde
Mügeln dies allein helfen wird.
Die Politik der Bundesregierung sollte sich vielmehr
darauf konzentrieren, die Träger der freien Jugendhilfe,
die Vereine und Verbände zu stärken, sodass dort ein gutes Freizeit- und Bildungsangebot für junge Menschen
entsteht. Denn das ist die Grundvoraussetzung für das
Gelingen eines solchen Bundesprogramms.
Abschließend ein paar Worte zu einem Politikfeld,
das zumindest noch in der Bezeichnung des Ministeriums eine Rolle spielt. Beim Lesen des Haushaltsentwurfs fragt man sich allerdings, ob dieses Themengebiet
dort überhaupt noch beackert wird. Die Ministerin gibt
nämlich gern viel Geld für Öffentlichkeitsarbeit aus. Ein
gutes Beispiel ist die PR-Aktion zu den Mehrgenerationenhäusern. Was aber das Politikfeld Frauen betrifft,
gibt der Haushaltsentwurf sehr zu denken. In den nächsten vier Jahren möchte Frau Ministerin jährlich
392 000 Euro für Infobörsen für Frauen ausgeben. Das
ist für mich Selbstbeweihräucherung, die die Bundesrepublik gleichstellungspolitisch keinen Deut weiterbringt.
({2})
Warum finanzieren Sie mit dem Geld nicht ein Projekt
zur Förderung von Berufsrückkehrerinnen nach der Elternzeit?
({3})
Ein bisschen weniger Show und ein bisschen mehr Handeln würden nicht nur diesem Haushalt guttun.
Vielen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Ministerin, ich möchte einmal so
beginnen: Manchmal gilt selbst für die Opposition: Lob
und Ermutigung beschleunigen den Lernfortschritt.
({0})
Das erhoffe ich mir bei Ihnen in vielen familienpolitischen Fragen.
Ich fange mit dem an, was an Ihrem Etat zu begrüßen
ist. Uns als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker
kann es sicherlich freuen, dass der Etat von 5,2 Milliarden Euro auf 6,2 Milliarden Euro gestiegen ist.
({1})
Das ist gut so. Denn die vielen strukturellen Probleme
im Hinblick auf eine verlässliche Kinderbetreuung, die
Herausforderungen des demografischen Wandels, eine
zukunftsfähige Altenpolitik, eine konsequente Frauenpolitik, die mehr bedeuten muss als die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, und eine konzeptionell fundierte
Jugendpolitik brauchen ein solides Fundament. Da haben Sie reihenweise Nachholbedarf.
Aber, Frau Ministerin, Sie können von uns nicht erwarten, dass wir Sie allein dafür besonders loben, dass
Sie in der Familienpolitik richtige und notwendige
Schlussfolgerungen ziehen,
({2})
obwohl Sie von der familienpolitisch lernverzögerten
CDU kommen. Von der CSU rede ich erst gar nicht.
({3})
Wir nehmen uns die Freiheit, Ihre Politik schlicht und ergreifend anhand von Fakten zu beurteilen.
({4})
Ich sage an Sie persönlich gerichtet - nicht nur an die
programmatischen Grundlagen der CDU/CSU -,
({5})
dass längst nicht alles Gold ist, was glänzt und sich öffentlich wunderbar in Geschenktüten verpacken lässt.
({6})
Ich möchte nun die Zahlen bewerten: Die hohe Steigerung des Gesamtetats geht zu einem Großteil auf das
Konto des Elterngeldes; das haben Sie eingangs selbst
betont.
({7})
Ein Elterngeld macht familienpolitisch aus meiner Sicht
erst dann Sinn, wenn nach der Elternzeit auch wirklich
eine Anschlussbetreuung gewährleistet ist.
({8})
Frau Ministerin, selbst wenn wir noch so viel Geld in Ihren Etat pumpen, hilft das nichts, wenn Sie Ihre Familienpolitik nicht konzeptionell unterlegen,
({9})
sodass eine Maßnahme in die andere greift und im Ergebnis schlüssig ist. Es gilt die Erkenntnis: Geld allein
macht nicht glücklich. Wir brauchen nicht nur eine nominale Erhöhung des Etats des Familienressorts, wir
brauchen auch eine qualitative Steigerung Ihrer Politik
in den verschiedenen Ressorts; ich denke vor allen Dingen an die Jugendpolitik.
Von Ihren zahlreichen öffentlichen Erklärungen, dass
wir mehr Kinderbetreuungsplätze in unserem Land
brauchen, ist noch kein einziger Kinderbetreuungsplatz
für Kinder unter drei Jahren vor Ort eingerichtet worden.
Liebe Nicolette Kressl, Sie können so wütend sein, wie
Sie wollen, aber es ist schlicht ein Fakt, dass die Kommunen, nachdem sie sich diesen wunderbaren Kompromiss angesehen haben, merken, dass die Länder längst
nicht all das nachvollziehen, was auf Bundesebene vereinbart worden ist. Es gibt in den Kommunen jede
Menge Widerstand, weil man Angst hat, dass die Kosten
für die Umsetzung des Rechtsanspruchs bei ihnen hängen bleiben werden.
({10})
Es war nun zu hören, dass das Bundeskabinett sich
am 28. August mit den Ländern geeinigt hat. Die Zahlen
sind im Hinblick auf Investitionskosten und Betriebskostenzuschüsse klar. Ab 2014 sollen die laufenden Kosten
in Höhe von 770 Millionen Euro von Bundesseite mitfinanziert werden. Das ist gut so. Haushaltsrechtlich ist
aus meiner Sicht allerdings Kritik angebracht.
({11})
Nennen Sie mir doch einen sachlichen Grund dafür,
bereits jetzt für Ausgaben in den Jahren 2008 bis 2013
Geldabflüsse in ein Sondervermögen auf den Weg zu
bringen. Es sind ja genügend Haushälter da, die gleich
noch reden werden. Auf die Auflösung bin ich gespannt.
({12})
Eltern brauchen Sicherheit, sie müssen mit verlässlicher
Unterstützung rechnen können, und zwar schon bald; sie
wollen nicht bis 2013 auf die Realisierung warten. Was
wollen Sie denn denjenigen Familien sagen, die Sie jetzt
mit dem Elterngeld beglücken? „Seht her, ihr bekommt
das Elterngeld; einen Rechtsanspruch auf Betreuung gibt
es aber erst ab 2013“? „Eure Enkelkinder haben einen
Betreuungsplatz sicher“?
({13})
Wir reden über Geld, über viel Geld. Dieses Geld
muss gut angelegt sein. Beenden Sie deshalb endlich den
Unfug mit dem Betreuungsgeld! Eine Herdprämie
- auch wenn sich manche über diesen Begriff echauffieren - bleibt eine Zuhausebleibprämie.
({14})
Frau Kollegin Haßelmann, darf Ihnen der Kollege
Kampeter kurz vor Schluss noch eine Zwischenfrage
stellen?
Lassen Sie mich gerade zur Herdprämie zu Ende
sprechen; dann kann Herr Kampeter fragen.
Nein, das kann er eben nicht; denn dann ist Ihre Redezeit vorbei.
Herr Kampeter, bitte.
Frau Kollegin, Sie haben noch einmal die Finanzierung der Investitionskosten angesprochen und deutlich
gemacht, dass Sie das noch nicht verstanden haben. Deshalb bitte ich Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:
Mit der Einbringung dieses materiellen Teils ist verbunden, dass wir 2,15 Milliarden Euro möglichst nah an die
Gemeinden bringen wollen.
Sie haben in Nordrhein-Westfalen an der Umsetzung
des TAG politisch mitgewirkt. Als Sie aus der politischen Verantwortung ausgeschieden sind, war die Ausstattung für die Betreuung der unter Dreijährigen relativ
schlecht.
({0})
Im Zusammenhang mit dem jetzigen Gesetzgebungsverfahren geht es auch um die nahezu vor dem Abschluss
stehende Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und
Ländern, über die wir hier im Parlament im Oktober ringen werden. Anders als beim TAG soll es - dazu diese
Verwaltungsvereinbarung - Erfolgskontrollen und eine
Rückzahlungsoption geben für den Fall, dass die Länder
das Geld nicht in den Ausbau der Betreuung der unter
Dreijährigen stecken. Das ist ein qualitativer Unterschied gegenüber allen bisherigen Fördermaßnahmen.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei Peer Steinbrück, dass
er eine solch ambitionierte Verwaltungsvereinbarung mit
den Ländern ausgehandelt hat.
Meine Frage lautet: Wann sind Sie endlich bereit, dies
zur Kenntnis zu nehmen?
({1})
Herr Kampeter, um Ihre Frage zu beantworten: Ich
habe verstanden, dass wir mit unseren finanziellen Ressourcen sehr verantwortungsvoll umgehen müssen. Deshalb halte ich Ihre Idee des Betreuungsgeldes für besonders fahrlässig: Milliardengeschenke für die CSU, nur
um ihre ideologischen familienpolitischen Vorstellungen
durchzusetzen.
({0})
Ich frage die sozialdemokratischen Kolleginnen und
Kollegen: Warum sagen Sie da eigentlich nicht: „Das
läuft mit uns nicht!“? Nach meiner Information ist im
Begründungsteil des Gesetzentwurfs ein Sollbetrag für
das Betreuungsgeld vorgesehen. Sind Sie ernsthaft gewillt, so etwas mitzumachen, während Sie öffentlich
über das Betreuungsgeld reden?
Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Kampeter: Ich
habe sehr wohl verstanden, was Sie mit dem Sondervermögen vorhaben. Deshalb frage ich auch, wie Sie das
haushalterisch erläutern wollen.
({1})
Zuletzt zum Thema Kinderarmut. Beim Thema Kinderarmut machen Sie den Leuten etwas vor. Seit Wochen
und Monaten wird öffentlich darüber geredet, dass es
Kinderarmut in Deutschland gibt, dass 2,5 Millionen
Kinder davon betroffen sind. Ich bitte Sie: Im Rahmen
des Haushaltes - sowohl bei Arbeit und Sozialem als
auch bei Familie - können Sie unter Beweis stellen, dass
Sie das, was Kurt Beck, was Ihre Familienpolitikerinnen, was CDU-Politikerinnen und -Politiker sagen, ernst
meinen. Unterlegen Sie das mit einer finanziellen Ausstattung, anstatt es bei der Ankündigung, gegen Kinderarmut in diesem Land etwas zu tun, zu belassen!
Vielen Dank.
({2})
Nun erhält der Kollege Dr. Ole Schröder für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort,
({0})
bevor der Kollege Fricke nach zwei gescheiterten Versuchen, nach Ablauf der Redezeit des jeweiligen Redners
noch eine Zwischenfrage zu stellen, seine Ausführungen
nun in seiner eigenen knappen Redezeit unterbringen
muss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte zeigt ja langsam, dass Schwung in
die familienpolitische Diskussion gekommen ist.
({0})
Das haben wir Ihnen zu verdanken, Frau Ministerin von
der Leyen. Sie haben es geschafft, die Familienpolitik in
den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion zu
stellen und sie vor allen Dingen dort auch zu verankern.
Noch wichtiger: Sie haben die notwendigen Maßnahmen
auf den Weg gebracht.
Der Bedeutungszuwachs der Familienpolitik lässt
sich an diesem Haushalt sehr gut nachvollziehen.
Gegenüber dem Vorjahr ist für den Einzelplan 17 eine
Steigerung von 18 Prozent zu verzeichnen. Trotz der
notwendigen Haushaltskonsolidierung setzt die Große
Koalition hier einen wichtigen Akzent. Die Förderung
von Kindern und Familie ist eine wichtige Investition in
die Zukunft. Sie, Frau Ministerin, haben Ihr Ministerium, das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, zum Zukunftsministerium gemacht.
({1})
Das Elterngeld wird gut angenommen. Darauf ist bereits hingewiesen worden. Auch die gesellschaftliche
Akzeptanz der Vätermonate steigt. Das Bewusstsein,
dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht allein
Sache der Frauen ist, sondern eine Herausforderung, der
sich Männer und Frauen gleichermaßen stellen müssen,
wächst.
({2})
So hat sich schon in den ersten Monaten der Anteil der
Männer erheblich erhöht, die bereit sind, für die Kindererziehung für einen bestimmten Zeitraum auf eine berufliche Tätigkeit zu verzichten. Insgesamt schaffen wir mit
dem Elterngeld im ersten wichtigen Jahr nach der Geburt
Sicherheit für die Familien. Jungen Paaren wird es damit
leichter gemacht, sich für Kinder zu entscheiden.
({3})
Das gleiche Ziel verfolgen wir auch mit dem Ausbau
der Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Mit der
Einigung zur Finanzierung mit den Ländern und Kommunen ist nun der Weg frei, dass wir die Anzahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige auf 750 000 verdreifachen. Das Sondervermögen ist wichtig, damit wir den
Mittelabfluss direkt an die Kommunen zielgenau organisieren können, sodass das Geld nicht bei den Finanzministern, sondern bei den Kommunen vor Ort und den Familien landet.
({4})
Wir vergessen auch nicht die Eltern, die ihr Kind selbst
betreuen wollen und dafür auf ihre Berufstätigkeit verzichten. Die Familienpolitik hat die Aufgabe, auch diese
Eltern besser zu unterstützen.
Ein weiteres zentrales Ziel der Unionsfraktion ist die
bessere Bekämpfung der Kinderarmut. Es freut mich
daher, dass sich die Familienministerin dieser Aufgabe
stellt und das Instrument des Kinderzuschlags
({5})
endlich so ausgestaltet, dass mehr Familien davon profitieren. Besonders wichtig ist mir schon aus haushaltspolitischen Gründen, dass wir die unterschiedlichen
familienpolitischen Maßnahmen besser aufeinander abstimmen, damit das Geld bei den Eltern und Familien
ankommt, statt in der Förderbürokratie zu versickern.
({6})
Herr Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lührmann?
Bitte schön.
Herr Kollege, ich möchte Ihnen eine Frage zu dem
Sondervermögen stellen, das Sie eben als sehr gut bezeichnet haben.
({0})
Inwieweit können Sie das mit Ihrer Vorstellung von Generationengerechtigkeit verbinden? Nach meiner Auffassung hat das Sondervermögen vor allem den einen
Zweck, die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr möglichst hoch zu halten, um sie in den nächsten Jahren
langsam zu senken.
({1})
Ich führe dafür als Beleg ein Zitat aus dem Handelsblatt
aus der vergangenen Woche an:
Steinbrück will unter allen Umständen vermeiden,
dass die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr unter
die Planzahl von 12,9 Milliarden Euro für das
nächste Jahr rutscht. „Das wäre politisch problematisch. Die Neuverschuldung sollte besser Schritt für
Schritt abgebaut werden“, sagte Steinbrücks Sprecher.
Deshalb frage ich noch einmal: Ist das Sondervermögen nicht vielmehr ein Haushaltstrick, um die Nettokreditaufnahme möglichst hoch zu halten?
Überhaupt nicht. Wir sichern mit dem Sondervermögen, dass die Mittel dann zielgenau an die Kommunen
fließen können, wenn die Kommunen es benötigen, und
nicht abhängig von der Haushaltslage.
({0})
Wir werden damit Planungssicherheit für die Kommunen erzielen.
Möchten Sie vielleicht auch Frau Lenke noch mit einer Zwischenfrage zu Wort kommen lassen?
({0})
Bitte schön.
Herr Kollege, meinen Sie, dass das Konzept des Kinderzuschlags richtig ist, wenn Sie sehen - ich meine das
ernst; das hat mit Parteipolitik nichts zu tun -, dass es
notwendig ist, 27 Seiten auszufüllen, um den Zuschlag
zu erhalten, dass 18 Prozent der Mittel zur Deckung der
Gesamtkosten für Bürokratie draufgehen, dass nur
12 Prozent der Anträge genehmigt werden und dass über
80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, bei denen Sie
große Erwartungen erwecken, enttäuscht sein werden,
wenn sie den Kinderzuschlag, der bis zu 150 Euro betragen kann - das können in manchen Fällen auch nur
10 oder 20 Euro sein -, nicht erhalten? Meine Frage ist
folgende: Fällt Ihnen nichts Besseres ein als dieser missglückte Vorschlag, der auf dem alten Kinderzuschlag
aufbaut? Ich bitte Sie herzlich, andere Antworten zu finden. Wir von der Opposition werden das dann nicht ausschlachten.
Frau Lenke, Sie haben völlig recht: Die bisherige Regelung des Kinderzuschlags ist viel zu bürokratisch; das
ist ein bürokratisches Monstrum. Ich habe in den letzten
Haushaltsdebatten immer wieder angesprochen und angemahnt, dass wir diese Regelung unbedingt reformieren müssen.
({0})
Ich habe daher eben positiv erwähnt, dass wir das nun
machen. Wir sollten in den Beratungen gemeinsam darauf achten, dass wir den Kinderzuschlag nicht nur erhöhen und dafür sorgen, dass mehr Eltern davon profitieren, sondern dass wir ihn auch entbürokratisieren. Sie
haben völlig recht: Es ist unzumutbar, dass so viele Anträge - ich habe in Erinnerung: neun von zehn - abgelehnt werden. Wir brauchen dringend schlankere Organisationsformen, um den Eltern und Kindern tatsächlich zu
helfen.
({1})
Das Geld soll schließlich bei den Eltern und Kindern ankommen und nicht in der Förderbürokratie versickern.
({2})
Um sich der Veränderung der Altersstruktur umfassend zu stellen, sind bessere Rahmenbedingungen für
Kinder und Eltern nur eine Seite der Medaille. Genauso
wichtig ist es, die Alterung der Gesellschaft positiv aufzunehmen und die Politik auf einen höheren Anteil an
Senioren auszurichten. Genau dies geschieht mit Maßnahmen zum Thema „Wirtschaftsfaktor Alter“, der Initiative „Erfahrung ist Zukunft“ oder mit der Förderung
von Seniorenorganisationen, um nur wenige Beispiele
aus dem Haushalt zu nennen. Auch die im Einzelplan 17
geförderten Mehrgenerationenhäuser sind ein wichtiges
Projekt. Sie helfen die Bindungen zu stärken, die die Gesellschaft zusammenhalten. Ältere Menschen können
hier ihre Kompetenzen und Erfahrungen besser einbringen. Die Vielfalt an Umsetzungen, die wir vor Ort erleben, zeigt, dass wir hier auf einem richtigen Weg sind.
({3})
Darüber hinaus müssen wir aber auch an die älteren
Menschen denken, die nicht mehr so aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Es bleibt unsere
Aufgabe, für die steigende Zahl pflegebedürftiger
Menschen eine bessere Politik zu betreiben. Die von der
Bundesregierung geplante Pflegereform ist hierzu ein
erster Schritt. In vielen Einrichtungen herrschen nach
wie vor unbefriedigende Zustände. Hauptursache hierfür
ist vor allem in der Dementenbetreuung fehlendes Personal. Daher haben wir, die wir heute über den
Einzelplan 17 diskutieren, die Aufgabe, uns Gedanken
über die Zukunft des Zivildienstes machen. Zivildienstleistende übernehmen wichtige Betreuungsaufgaben. Sie
helfen älteren Menschen beim Essen. Sie gehen mit Demenzkranken spazieren. Sie übernehmen Fahrdienste.
Das sind sehr wertvolle Dienste, die bei der gegebenen
Finanzausstattung zurzeit nicht allein von regulär Beschäftigten übernommen werden können. Auch wenn
ich die Wehrpflicht nicht mit dem Zivildienst begründen
möchte, möchte ich anmerken, dass die CDU/CSU-Fraktion in diesem Haus die einzige politische Kraft ist, die
an der Wehrpflicht und damit auch am Zivildienst festhält.
({4})
Jeder, der diese Dienste abschaffen will, muss sich darüber Gedanken machen, wie er die dann entstehenden
Betreuungslücken schließen und das finanzieren will.
({5})
Bei allen wichtigen Investitionen in eine gute Familienpolitik dürfen wir ein zentrales Ziel nicht aus den
Augen lassen, das für die Handlungsfähigkeit der jungen
Generation von entscheidender Bedeutung ist: Das ist
die Haushaltssanierung. Wir müssen daher so schnell
wie möglich zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Der jetzige Finanzplan setzt ein positives Signal,
aber angesichts des enormen Schuldenbergs des Bundes
von über 900 Milliarden Euro dürfen wir diesen Pfad der
Sanierung auf gar keinen Fall verlassen.
({6})
Ich freue mich auf die gemeinsamen Ausschussberatungen, die hoffentlich sehr konstruktiv verlaufen, damit
wir auch im Jahr 2008 eine noch bessere Politik für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestalten können.
Vielen Dank.
({7})
Nun hat der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, ja - nein, nein, so könnte man diesen Haushalt,
jedenfalls was dieses Ministerium angeht, zusammenfassen. Wir haben an vielen Stellen richtige Entwicklungen.
Es war auch dringend Zeit. Ich muss immer wieder
sagen, dass die „Entwicklungshilfeministerin“ von der
Leyen bei der CDU/CSU sehr viel erreicht hat.
({0})
Aber es reicht nicht, das Elterngeld einzuführen, und es
reicht nicht, die Betreuung der unter Dreijährigen stärker
auszubauen.
({1})
Das sind richtige Dinge, aber man muss das alles auf
Dauer richtig machen. Da fällt mir eines auf: Wir wissen
jetzt seit mehreren Jahren, dass wir über 180 Milliarden
Euro - es gibt dazu unterschiedliche Angaben - für
Familienleistungen im weitesten Sinne ausgeben.
Irgendwann muss man doch sagen: Okay, wir brauchen
neue Leistungen. Wir hinken da hinterher, weil meine
Partei etwas länger gebraucht hat. - Man muss sich aber
auch fragen, welche der Leistungen falsch ist, wenn man
feststellt, wie hoch die Kinderarmut bei uns ist.
({2})
Frau Ministerin, ich erwarte von Ihnen spätestens noch
im Laufe dieses Jahres eine klare Identifizierung der
Leistungen, die Sie für falsch halten, weil sie nicht bei
den Betroffenen ankommen.
({3})
Dazu sind Sie - ich bleibe dabei - verpflichtet; denn Sie
sind es, die die Kinder davor schützen muss, dass diejenigen, die heute Leistungen bekommen, später für diese
Leistungen doppelt und dreifach bezahlen. Sie müssen
Ihren Kabinettskollegen sagen: Hört auf, mehr zu fordern! Das müssen sonst die Kinder, denen ich zu helfen
versuche, damit sie in der Zukunft weitere Chancen haben, bezahlen, wenn sie erwachsen sind. ({4})
Ich bleibe dabei, dass die Konstruktion des Elterngeldes
nicht zu Hartz IV passt. Da gibt es so viele Widersprüche, dass wir uns damit sicher noch einmal befassen
müssen.
Zum Sondervermögen. Der Kollege Kampeter hat
sehr geschickt zu vermeiden versucht, zu sagen, warum
man das 2007 macht. Das ist - die Kollegin Lührmann
hat recht - ein schlichter Trick. Man will lieber in diesem Jahr etwas mehr ausgeben, damit man im nächsten
Jahr und im folgenden Jahr behaupten kann, etwas weniger ausgegeben zu haben.
({5})
Es wird eine Geschichte fortgeschrieben, anstatt das
Ganze so schnell wie möglich abzuschreiben. Kollege
Schröder sagt, er wolle das schon jetzt machen. Vielleicht hat die Koalition Angst, dass ihr in den nächsten
Jahren das Geld nicht mehr zur Verfügung steht, und sichert es deswegen lieber in diesem Jahr ab. Notwendig
wäre das nicht gewesen. Es wäre besser gewesen, wenn
man den Kommunen das Geld direkt gegeben hätte.
({6})
- Erzählen Sie doch keine Geschichten, die nicht stimmen! - Das hätte man auch über das Finanzausgleichsgesetz machen können. Es sind den Kommunen doch
schon wiederholt Umsatzsteuerpunkte gegeben worden.
Sie haben die Finanzierung deswegen über die Länder
organisiert - das ist kein Vorwurf an die Koalitionsfraktionen -, weil die Länder ihre klebrigen Finger daran
halten wollen und weil die Länder die Kommunen kontrollieren wollen. Es ist doch nichts anderes.
({7})
Ich finde es dennoch gut, dass sich die Regierung dazu
entschlossen hat, das Ganze in einem Nachtragshaushalt
zu regeln. Ich bin gespannt, in welcher Weise wir dann
hier über den Nachtragshaushalt debattieren werden. Insofern ist wenigstens das Parlament als Haushaltsgesetzgeber geachtet worden.
Ich will zu der sogenannten Herdprämie nur eines
sagen.
({8})
- Sie wird so genannt, und man muss sich überlegen,
warum sich der Begriff hält. - Es wird viel darüber diskutiert. Die SPD bestreitet, dass sie kommt, die CSU behauptet, sie vereinbart zu haben.
({9})
Für die Bürger draußen: In einer Formulierungshilfe der
Bundesregierung steht in der Begründung, dass man so
etwas in Zukunft vorhabe. In der Begründung könnte
auch stehen, dass Angela Merkel im Jahre 2013 noch
Bundeskanzlerin ist. Der Effekt ist der gleiche: Es ist nur
beschriebenes Papier, nicht mehr. Deswegen sollte die
CDU/CSU einfach sagen, dass sie in dieser Beziehung
rechtlich noch gar nichts erreicht hat. Ein Gesetz müsste
es geben, wenn Sie dieses Geld auf Dauer für Familien
ausgeben wollen.
({10})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer
Kollegin Pieper?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Fricke, geben Sie mir recht, dass insbesondere die Liberalen bemüht sind, Bildung mit Kinderbetreuung und frühkindlicher Erziehung zu verbinden
und dass das mit der „Herdprämie“ nichts zu tun hat?
Können Sie mir einmal erklären, warum es gerade in den
neuen Bundesländern seit der deutschen Einheit einen
mit Bildung verknüpften Rechtsanspruch auf Krippenund Kindergartenplätze gibt, obwohl der Bund damals
keine größeren Zuschüsse gegeben hat? Nach der Wiedervereinigung, als der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahre eingeführt wurde,
haben die neuen Länder den Kommunen übrigens keinerlei Einnahmen aus der Umsatzsteuer weitergereicht.
Diese Regierungskoalition will den Rechtsanspruch auf
Krippenplätze erst 2013, also erst in der übernächsten
Legislaturperiode, verwirklichen. Für mich ist das eine
„Vergackeierung“ der Wähler.
Frau Kollegin Pieper, ein Grundproblem der gesamtdeutschen Gesellschaft ist, dass der westliche Teil gedacht hat, dass alles, was aus der DDR kommt, schlicht
falsch ist, und das wiederum war falsch. Über die Frage
„Ab wann setzt Bildung ein?“ hat die westliche Gesellschaft unseres Landes lange nachgedacht. Wenn man in
Diskussionen bei uns zu Hause vor zehn Jahren gesagt
hat: „Bildung fängt schon bei den unter Dreijährigen
an“, dann wurde man angeschaut, als wäre man von einem anderen Planeten. Insofern können die neuen Bundesländer stolz sein, dass sie im vereinigten Deutschland
eine Vorreiterrolle bezüglich der Frage der vorschulischen Bildung spielen.
Die neuen Bundesländer hätten sich - gerade weil die
Bundeskanzlerin aus den neuen Ländern kommt schneller durchsetzen können. Wenn ich mir den Kollegen Kampeter anschaue, dann bin ich sicher, dass er mit
der Bundeskanzlerin noch darüber reden wird, an welcher anderen Stelle man einsparen kann, um für so etwas
in Zukunft mehr und vor allen Dingen schneller Geld in
die Hände zu nehmen. Oder Kollege Kampeter?
Ich komme zum letzten Punkt, weil meine Redezeit
langsam zu Ende geht. In der Debatte über Kinder, aber
eben auch über Soziales hat der Kollege Kurth von den
Grünen gesagt, man müsse die Hartz-IV-Regelsätze erhöhen. Es geht immer wieder um Geld. Der Präsident
- er ist leider nicht mehr anwesend - hat gestern Abend
bei einer Veranstaltung mit jungen Christen gesagt: Der
christliche Wert der Nächstenliebe ist in der Politik sehr
wichtig. Er hat aber auch gesagt, dass wir Politiker viel
zu oft meinen, Nächstenliebe sei nur etwas, was wir
durch mehr soziale Leistungen zustande bringen können.
({0})
Ich warne ausdrücklich davor, diesem Gedanken zu
folgen. Es ist schön, wenn es durch finanzielle Leistungen zu einem gerüttelt Maß an zusätzlicher Freiheit und
zu mehr, was die Kinder erreicht, kommt. Wir dürfen
aber nicht glauben, dass wir dadurch, dass wir mehr
finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, auch mehr
Nächstenliebe geben.
({1})
Durch das, was Pastor Bernd Siggelkow - er arbeitet bei
der Arche - in dem Buch Deutschlands vergessene Kinder geschrieben hat, habe ich gelernt: Wir werden über
finanzielle Leistungen niemals dafür sorgen können,
dass wir bei dem Thema Kinderbetreuung in irgendeiner
Weise Ruhe bekommen, sodass wir sagen können: Wir
haben genug getan.
Wir müssen uns in der nächsten Zeit - Frau Ministerin, ich würde mich freuen, wenn Sie dabei einen
Schwerpunkt setzten - mit der Frage „Liebe, Zuneigung,
Nähe“ viel mehr beschäftigen, und wir dürfen uns nicht
nur mit abstrakten Fragen wie „finanzielle Mittel“ befassen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Ich gebe das Wort der Kollegin Christel Humme,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ein bisschen verwundert mich diese Debatte schon.
({0})
Vor einem Jahr habe ich hier gestanden und gefordert:
Wenn der bedarfsgerechte Ausbau von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige bis 2010 nicht kommt, dann
muss es einen Rechtsanspruch geben. Heute, nur ein Jahr
später, stehe ich hier und kann sagen: Dieser Rechtsanspruch kommt, und das nicht 2010, sondern wir regeln
ihn jetzt. Deshalb bitte ich Sie von der Opposition, sich
mit uns zu freuen. Erkennen Sie an, dass wir dank des
Engagements von Peer Steinbrück und Frau von der
Leyen neue Wege gehen.
({1})
Neue Wege sind: erstens Unterstützung durch den Bund
bei den Investitionskosten - wann hat es das bei der Betreuung unter Dreijähriger schon einmal gegeben? -,
zweitens Unterstützung bei den Betriebskosten, und
zwar so, dass das Geld tatsächlich bei den Kommunen
ankommt. Sie unterstellen da etwas. Durch den Rechtsanspruch ist gewährleistet, dass das Geld, 770 Millionen
Euro jährlich ab 2013, tatsächlich bei den Kommunen
ankommt. Darauf können wir mit Recht stolz sein.
({2})
Wir wollen damit natürlich den Ausbau etwas beschleunigen. Da gebe ich Ihnen von der Opposition
recht: Das Ganze geht in der Tat nur im Schneckentempo
voran. Wir brauchen das Betreuungsangebot aber
schnell. Am 1. Januar 2008 wird unser Elterngeld ein
Jahr alt. Alle, die nach einem Jahr Elternzeit wieder ihre
Berufstätigkeit aufnehmen wollen, müssen natürlich einen adäquaten Betreuungsplatz haben. Mit unseren
Maßnahmen helfen wir diesen Vätern und Müttern. Sie
brauchen mehr Wahlfreiheit, was Familie und Beruf angeht; Frau Kressl hat das vorhin schon gesagt. Wahlfreiheit haben sie - das ist entscheidend - heute nämlich
nicht. Diese Ungerechtigkeit müssen wir so schnell wie
möglich aus der Welt schaffen. Deshalb gebe ich der
Kanzlerin recht, die gesagt hat: Unsere erste Priorität ist,
bis 2013 mit einem finanziellen Kraftakt von
12 Milliarden Euro - das sage ich noch einmal ganz
deutlich - 750 000 Betreuungsplätze zu schaffen.
({3})
Auch in den ersten Tagen der Haushaltsdebatte hat
sich wieder gezeigt, dass wir keine Gelegenheit auslassen, zu sagen: Gute Deutschkenntnisse sind eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Darum müssen wir die richtigen Konsequenzen ziehen.
Allein Sprachtests, ohne vorher eine Förderung zu organisieren, machen wenig Sinn. Fehlende Bildungsintegration ist nicht nur ein Problem der Kinder mit Migrationshintergrund, sondern auch zunehmend ein Problem
deutscher Kinder. Allen Kindern müssen wir die größtmögliche Förderung zukommen lassen - und das von
Anfang an. Das ist unsere zentrale Aufgabe.
Das Projekt „Die 2. Chance“ des Familienministeriums zur Unterstützung Jugendlicher ohne Schulabschluss ist zurzeit notwendig und richtig und wird von
uns ausdrücklich begrüßt. Zusammen mit den in Meseberg verabschiedeten Einstiegsprogrammen für mehr
Ausbildung sind das heute die richtigen Ansätze, um
jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Für die Zukunft heißt das aber auch: Wir dürfen gar nicht erst zulassen, dass es Schulabbrecher gibt, wie das heute der
Fall ist.
({4})
Auch das ist nur mit einem qualitativ guten Bildungsund Betreuungsangebot von Anfang an zu erreichen. Das sind unsere Vorstellungen von Chancengleichheit.
Zu diesen Vorstellungen von Chancengleichheit gehört natürlich auch, dass Bildung von Anfang an kostenfrei gestellt werden muss - das ist unser langfristiges
Ziel -; denn nur so erreichen wir, dass alle Kinder die
gleichen Bildungschancen haben, ob arm oder reich,
Deutsche oder Ausländer.
({5})
Chancengleichheit, das schließt auch ein - wir haben
das heute an vielen verschiedenen Stellen gehört -, dass
wir unsere Anstrengungen zur Armutsprävention fortsetzen müssen. Wir haben gehört, dass es in der Tat Familien gibt, die ein so geringes Einkommen haben, dass
es nicht ausreicht, den Unterhalt der Kinder zu decken.
Ihnen helfen wir zurzeit mit dem von der SPD am
1. Januar 2005 eingeführten Kinderzuschlag. Ich gebe
allen recht, die gesagt haben: Das muss reformiert werden, weil es viel zu kompliziert und bürokratisch ist.
({6})
Ich gebe allen recht, die sagen: Das System muss vereinfacht werden. Genau deshalb ist in Meseberg beschlossen worden, ein Gesamtkonzept für Familien mit Kindern vorzulegen, um sie dann zu unterstützen, wenn ihr
Einkommen nicht ausreicht, für ihre Kinder zu sorgen.
Das wollen wir, weil wir im Vergleich zu heute mehr als
doppelt so viele Kinder aus der Armut holen wollen. Das
ist ein wichtiges Ziel, das wir verfolgen müssen.
({7})
Aber ich sage auch: Wer es mit der Bekämpfung von
Kinderarmut wirklich ernst meint, der muss sich der
Frage stellen, wie wir erreichen, dass existenzsichernde
Löhne gezahlt, dass gesetzliche Mindestlöhne auf den
Weg gebracht werden; denn gesetzliche Mindestlöhne
bekämpfen meiner Ansicht nach wirkungsvoll Kinderarmut.
({8})
Ich bleibe dabei: Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch mehr gute Betreuungsplätze und die
damit verbundene Erhöhung der Frauenerwerbsquote
sind die besten Instrumente, Familienarmut zu verhindern.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Frauenerwerbsquote zu erhöhen. Auch hier muss das Prinzip der fairen
Entlohnung gelten, nämlich: gleicher Lohn bei gleicher
Arbeit. Ich wünsche mir, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, im Familienministerium angesiedelt,
ihr Augenmerk auch darauf richtet. Wir haben für diese
Stelle gekämpft, damit endlich auch in Deutschland die
Akzeptanz von Vielfalt selbstverständlich wird.
Für diese wichtige Arbeit muss die Stelle voll arbeitsfähig sein. Dafür sind im Gleichbehandlungsgesetz
5,6 Millionen Euro vorgesehen, bisher sind im Haushalt
aber lediglich 2,8 Millionen Euro eingestellt. Darüber
müssen wir noch reden, da müssen wir noch nachjustieren.
Die Stelle hat einen ambitionierten Auftrag: Sie soll
unter anderem über Öffentlichkeitsarbeit ein Bewusstsein für Toleranz und gegen Ausgrenzung schaffen. Ausgrenzung findet bei uns leider täglich statt und zeigt ihr
hässliches Gesicht in Vorfällen wie in Mügeln als Spitze
des Eisbergs. Rechtsextreme Gewalt gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ist die schlimmste
Form von Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz. Der
Kampf gegen Rechtsextremismus ist eine Daueraufgabe
und braucht dauerhafte Strukturen.
({9})
- Ja, da darf ruhig applaudiert werden. Strohfeuermaßnahmen immer dann, wenn gerade etwas Furchtbares
passiert ist, helfen nicht.
Im letzten Jahr hat die SPD erkämpft, die Mittel für
Programme gegen Rechtsextremismus um 5 Millionen
Euro auf insgesamt 24 Millionen Euro aufzustocken.
({10})
- Ich kenne die Debatte sehr gut, Herr Kampeter. - Wir
wollten mit den zusätzlichen 5 Millionen Euro die Arbeit
von mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen
sichern.
Frau von der Leyen, wir müssen jetzt alles daransetzen, dass die Programme gegen rechts konsequent fortgeführt werden können; denn wir sind zutiefst davon
überzeugt, dass es mehr zivilgesellschaftlicher Initiativen bedarf, wenn Rechtsextremismus erfolgreich bekämpft werden soll.
({11})
Ich freue mich auf die Debatte über den Haushaltsplan 2008; denn er zeigt eindeutig, Frau Lührmann - ist
sie noch da? -, dass beides geht: auf der einen Seite die
niedrigste Nettoneuverschuldung und damit die Konsolidierung des Haushalts, auf der anderen Seite Investitionen in die Zukunft über Bildung. Beides machen wir im
Interesse der Familien, der Senioren, der Kinder und
auch der Enkelkinder.
Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Ich höre sofort auf. - Zum Abschluss möchte ich sagen: Der wichtige Bereich der Seniorenpolitik ist in meiner Rede, der Zeit geschuldet, zu kurz gekommen. Ich
lade Sie alle ein: In der nächsten Woche gibt es eine ausführliche Debatte zum Fünften Altenbericht. Dort werden wir das Ganze noch einmal aufrollen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/
Die Grünen. Bevor ich Ihnen aber das Wort gebe, Frau
Kollegin, gratuliere ich im Namen aller Kolleginnen und
Kollegen in diesem Hohen Hause zu Ihrem 40. Geburtstag.
({0})
Vielen Dank! - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Seit einigen Wochen kennt hier wahrscheinlich fast jeder - meine Vorrednerin ist auch schon
darauf eingegangen - die sächsische Kleinstadt Mügeln.
Mitte August ereignete sich ein Vorfall auf dem Stadtfest: Acht Inder flohen vor einer Gruppe von Deutschen
in eine zum Glück nahegelegene Pizzeria. Rufe wie
„Ausländer raus!“ begleiteten den Übergriff. Es gab Verletzungen, die Opfer waren traumatisiert. Die mediale
Empörung war groß - und kurz. Dies ist leider beispielhaft für den beschämenden Umgang mit rassistischen
Übergriffen in unserem Land.
({0})
Die immer wieder zu beobachtende Strategie heißt:
Leugnen und Beschwichtigen. Es sei gar kein rechtsextremer Übergriff gewesen, meinte sogar der Bürgermeister Deuse aus Mügeln. Er verstieg sich gar zu Aussagen wie: „Solche Parolen können jedem mal über die
Lippen kommen.“
({1})
- Doch! - Dazu kann ich nur sagen: Für solch eine Äußerung habe ich kein Verständnis.
({2})
Wer so etwas nie denkt, dem kommt es auch nicht über
die Lippen, egal ob nüchtern oder betrunken.
({3})
Dass der Mügelner Bürgermeister seine Relativierungen
ausgerechnet in einem Interview mit der rechtslastigen
Zeitung Junge Freiheit wiederholte, ist ein Beispiel für
den alltäglichen Rassismus in der Mitte der Gesellschaft.
Warum gehört das alles nun zur Debatte über den Familienhaushalt? Weil es dort die beiden Bundesprogramme Vielfalt tut gut und Förderung von Beratungsnetzwerken - ({4})
- Der ist von der FDP. Ich bin extra nicht darauf eingegangen. Also lassen Sie mich bitte fortfahren.
({5})
- Ja, jeder weiß es. Aber sind Sie darauf stolz? Ich hoffe,
nicht. Die sächsische FDP hat sich somit nicht mit Ruhm
bekleckert.
({6})
- Nein, das habe ich nicht behauptet. Ich bin darauf nicht
eingegangen. Deshalb können Sie sich beruhigen. Sie
haben schon gesprochen. Das ist doch okay.
({7})
- Herr Mücke, bitte!
An beiden Programmen gibt es Kritik von uns. Am
Beispiel Mügeln lässt sich das gut verdeutlichen. Etablierte Initiativen können sich um längerfristige Förderung nicht selbst bewerben. Nur noch Kommunen und
Landkreise dürfen Anträge stellen. Was aber, wie wieder
das Beispiel Mügeln zeigt, wenn die Bürgermeister
selbst Teil des Problems sind? Der Landkreis TorgauOschatz, in dem Mügeln liegt, beantragte Mittel für einen lokalen Aktionsplan, erhielt sie aber nicht, weil es in
Sachsen wie in anderen Ländern mehr Anträge gab, als
bewilligt werden konnten.
Nach den blutigen Auseinandersetzungen will Frau
Ministerin von der Leyen plötzlich doch noch Fördermittel freigeben. Makaber, dass erst Menschen verletzt
werden müssen, damit die Arbeit gegen Rassismus unterstützt wird.
({8})
Ich hoffe, der Landkreis bezieht nun die Initiativen vor
Ort mit ein. Einen offiziellen Anspruch darauf haben sie
nicht. Das muss sich ändern. Das Programm muss umstrukturiert werden, damit zivilgesellschaftliche Projekte
wieder selbst Gelder beantragen können.
({9})
Ich fordere die Große Koalition auf: Blockieren Sie die
demokratischen Projekte vor Ort nicht länger! Ändern
Sie jetzt in diesem Haushaltsverfahren die Förderrichtlinien. In diesem Jahr gab es genügend negative Beispiele.
In den Tagen nach dem Mügelner Vorfall gab es etliche Stimmen, auch vonseiten der SPD, die forderten, die
Mittel für die Bundesprogramme zu erhöhen. Denen
schließen wir uns an: Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, hier haben Sie uns auf Ihrer Seite. Lassen
Sie uns in den nächsten Wochen gemeinsam darum
kämpfen, dass der Haushaltsansatz erhöht wird, damit
Opfer, Aussteiger aus der Naziszene, überforderte Eltern
und ratlose Lehrer in Ost und West im nächsten Jahr
mehr Beratungsangebote bekommen.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Johannes
Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wer im Februar dieses Jahres 2007 behauptet
hätte, dass im September dieses Jahres 4 Milliarden Euro
in Berlin für den Ausbau der Kinderbetreuung abholbereit liegen, der wäre als Märchenerzähler verspottet worden. Heute liegt das Geld bereit. Diese Bundesregierung,
diese Ministerin, diese Große Koalition, diese Fraktion
der CDU/CSU haben es geschafft, was Millionen von
Menschen und insbesondere Eltern sehnsüchtig erwartet
haben: ein größeres Angebot an Kinderbetreuung mit einer gesicherten finanziellen Zukunft.
({0})
Wir haben die Sorge um die Zukunft der Familien
vom Gedöns hin zu einem politischen Spitzenthema befördert. Vom ersten Tag in der Großen Koalition an war
es unser fester Wille, mit Siebenmeilenstiefeln bessere
Bedingungen für Familien in Deutschland zu schaffen.
({1})
Denn nichts wird die Entwicklung unseres Landes nachhaltiger bestimmen, Frau Kollegin Kressl, als das Wohlergehen der Familien.
({2})
Deshalb haben wir als Allererstes das Elterngeld
durchgesetzt. Im Haushaltsjahr 2008 wird das Elterngeld
erstmals voll zum Tragen kommen. Mit gut 4 Milliarden
Euro jährlich unterstützen wir Eltern im ersten Lebensjahr ihres Kindes, und zwar alle Eltern, die das wünschen. Gegen zunächst erhebliche Widerstände haben
wir durchgesetzt, dass ein sogenanntes Mindestelterngeld, ein Sockelelterngeld, von 300 Euro pro Monat gezahlt wird. Siehe da, die ersten nachprüfbaren Zahlen
zeigen: Das Sockelelterngeld, das Mindestelterngeld, ist
der Renner des Jahres. 54 Prozent der Mütter und Väter
erhalten diese 300 Euro im Monat. Das sind nicht weniger als derzeit 108 000 Eltern. Die meisten hätten nach
einem früheren Entwurf keinen einzigen Cent gesehen.
Dieses Elterngeld fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; das ist unser Ziel. Es unterstützt aber auch
die Alleinverdienerfamilie, junge Studenten
({3})
und Erwerbslose, die nach der ursprünglichen Fassung
leer ausgegangen wären. Ich sage das deshalb, weil damit der rote Faden der Unionspolitik deutlich wird. Wir
wollen den Familien keine Vorschriften machen, wie sie
zu leben haben. Wir wollen alle Familien und damit die
Vielfalt der Lebensmodelle unterstützen und ihnen mehr
und nicht weniger Wahlfreiheit geben.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Sehr gerne.
({0})
Herr Kollege, ich glaube, ich habe Sie nicht ganz
richtig verstanden. Sie haben gesagt, es sei auch für Studenten gut, dass sie Elterngeld bekämen. Ich will Sie
einmal aufklären: Wenn Sie das entsprechende Gesetz
durchlesen, können Sie feststellen: Jetzt, nach dem System des Elterngelds, werden nur zwölf Monate lang
300 Euro an betroffene Studenten gezahlt, während nach
dem alten System des Erziehungsgeldes 24 Monate lang
300 Euro gezahlt worden sind. Wir haben den Vorschlag
eines Baby-BAföG gemacht, damit Studenten länger
Unterstützung erhalten. Darauf sind Sie nicht eingegangen. Für Studenten ist dieses Elterngeld also kein Fortschritt. Was sagen Sie dazu?
Frau Kollegin Lenke, Sie haben mich, glaube ich,
sehr gut verstanden. Ich habe ausgeführt, dass entgegen
den ursprünglichen Planungen, in denen kein Mindestelterngeld, kein Sockelbetrag, vorgesehen war, die von
Ihnen beschriebene Gruppe, also Studentinnen, ein Elterngeld von 300 Euro erhalten.
({0})
Jeder, der es beantragt, bekommt das Elterngeld. Das ist
ein Fortschritt im Vergleich zu früheren Planungen.
({1})
Echte Wahlfreiheit bedeutet - jetzt komme ich auf
den entscheidenden Punkt zu sprechen -, dass mehr Kinderbetreuungsplätze vorgehalten werden. Denn wer
keine Chance hat, eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung zu finden, kann auch keine Wahl treffen. Deshalb wollen wir, wie versprochen, die Verdreifachung
des Angebots an Kleinkinderbetreuung. Daher haben wir
eine entsprechende Finanzierung auf den Weg gebracht.
Wir sagen aber auch, dass parallel dazu ab dem Jahr
2013 ein Betreuungsgeld eingeführt werden soll.
Manchmal wird der Eindruck erweckt, Kinder zu
Hause zu erziehen, sei eine vergleichsweise bequeme
Angelegenheit, die man in der Hängematte erledigen
könne. Doch Familienmanagerin oder Familienmanager
zu sein, hat wenig mit Freizeit und Erholung zu tun, aber
viel mit täglichem Stress und täglicher Arbeit. Ich
möchte heute hier meinen Respekt, meine Hochachtung
und meine Dankbarkeit gegenüber denjenigen Müttern
und Vätern zum Ausdruck bringen, die diese schwierige,
aber sicher auch wunderschöne Arbeit tagtäglich bewältigen.
({2})
Respekt und Schulterklopfen genügt jedoch für die
meisten dieser Familien nicht; sie brauchen auch Bares,
finanzielle Unterstützung. Das Betreuungsgeld hat ein
Ziel: den Familien mehr Raum, mehr Entfaltungsmöglichkeiten und mehr Freiheit zu geben, ihr Familienmodell zu leben und zu gestalten.
In der Diskussion werden immer wieder Bedenken
vorgebracht, das Betreuungsgeld werde möglicherweise
nicht zum Wohl der Kinder eingesetzt. Dazu sage ich: Ja,
es stimmt, dass es bei Steuergeldern leider immer wieder
vorkommt, dass sie nicht bestimmungsgemäß eingesetzt
werden. Es stimmt, dass uns immer wieder Meldungen
von spektakulären Kindesvernachlässigungen oder gar
Kindesmisshandlungen erreichen. Es stimmt, dass es
Problemfamilien gibt. Es stimmt auch, dass es Einwandererfamilien guttut, wenn ihre Kinder in Kinderbetreuungseinrichtungen möglichst rasch Deutsch lernen.
Es wäre aber verhängnisvoll, wenn wir den Blick nur
auf Problemfamilien, auf Schwierigkeiten richten würden und die Millionen von Familien aus dem Blick nähmen, die sich darum bemühen, ihre Kinder sorgfältig
und mit Liebe zu erziehen, die oft viel mehr Geld einsetzen, als sie überhaupt aufbringen können, die sich jeden
Tag krumm machen, damit sie es finanziell einigermaßen packen. Für diese Millionen von Familien ist das
Betreuungsgeld eine echte Erleichterung.
({3})
Es ist nichts Unrechtes, wenn man Vertrauen in die Eltern setzt; denn sie wissen am besten, was ihre Kinder
brauchen.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Mir
ist nur gerade der Name der Kollegin nicht eingefallen.
Entschuldigung.
Kollegin Gruß. - Bitte sehr.
Schönen Gruß an dieser Stelle. - Sehr geehrter Herr
Kollege Singhammer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass jede Familie aufgrund anderer von der
Großen Koalition beschlossener Reformen bereits seit
einigen Monaten 136 Euro mehr im Monat zu zahlen
hat? Wären Sie also geneigt, darüber nachzudenken, wie
sich Reformen, die Sie in anderen Politikbereichen vollziehen, auf Familien auswirken, bevor Sie ein Betreuungsgeld planen, das letzten Endes wahrscheinlich nicht
bei den Kindern ankommt, obwohl dies wünschenswert
wäre?
Frau Kollegin Gruß, es freut mich, dass Sie die Erfolge der Bundesregierung loben und zu Recht konstatieren, dass hier vieles getan worden ist. Ich meine, dass
wir diesen Weg fortsetzen müssen.
Sie haben gerade wieder die Bedenken angesprochen,
die Eltern würden gerade das geplante Betreuungsgeld
möglicherweise missbräuchlich einsetzen. Deshalb
möchte ich noch einmal darauf eingehen.
({0})
- Gleich! - Wir diskutieren heute in dieser Debatte auch
über die Frage des Kinderzuschlags in Höhe von
140 Euro. Beim Betreuungsgeld ist ein Betrag von
150 Euro in der Diskussion. Jetzt bitte ich Sie, meinem
Gedankengang zu folgen: Die Argumentation, beim Kinderzuschlag sei das Risiko gering, dass ein Euro missbräuchlich - möglicherweise für Alkohol oder Flachbildschirme - verwendet und nicht zum Wohl der Kinder
eingesetzt werde, während dieses Risiko beim Betreuungsgeld ungeheuer groß sei, kann man nicht als seriös
betrachten. Das ist eine Unterstellung.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist jedenfalls richtig, dass wir die Kinderbetreuung in dem vorgeschriebenen Tempo ausbauen und dass das Betreuungsgeld zeitgleich mit dem Rechtsanspruch im Jahre 2013
fixiert wird. Darauf wartet auch die Mehrheit der Eltern.
Mit unserer Familienpolitik verfolgen wir zwei Ziele:
Wir wollen es den Familien in Deutschland leichter machen, mit ihren Kindern zu leben und sich für Kinder zu
entscheiden, und wir wollen in der Politik Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Vielfalt der Familien
und der unterschiedlichen Lebensentscheidungen von
Familien nicht eingeengt wird, sondern dass sie neuen
Freiraum gewinnen.
({2})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Petra Hinz, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor fast einem Jahr hat die Ministerin, Frau
von der Leyen, die erste Lesung des Haushalts damit begonnen: Geld ist zwar nicht alles, aber im Rahmen der
Haushaltsberatung redet man auch über Geld. - Genau
das werde ich jetzt tun.
Viele von Ihnen haben einzelne Positionen im Haushalt des Familienministeriums aufgeführt. Ich möchte
mich auf einige wenige beschränken. Wer sich im Wahlkreis umtut - ich gehe davon aus, dass wir alle uns in
den sitzungsfreien Wochen im Wahlkreis bewegen -,
wird sicherlich oft gefragt: Was habe ich eigentlich von
dem, was ihr in den Haushaltsberatungen beschließt? Ich finde es legitim, dass die Menschen, die uns in dieses
Parlament geschickt haben, uns das fragen.
Die Maßnahmen und Projekte, die im Haushalt des
Familienministeriums aufgeführt sind, erreichen die
Menschen unterschiedlicher Generationen sofort und unmittelbar, weil die Menschen die Förderung - sei es in
Bezug auf die Kindergartenplätze oder die Mehrgenerationenhäuser, um nur zwei Beispiele herauszugreifen Petra Hinz ({0})
in ihren Familien unmittelbar erleben. Das Ministerium
ist erlebbar, und die Menschen erfahren sofort Unterstützung oder Ablehnung.
Wir haben uns in der Großen Koalition als großes gesellschaftliches Ziel vorgenommen, mehr für Familienförderung und Chancengleichheit in Bildung und Entwicklung der Kinder, der jungen Erwachsenen, der
Männer und Frauen, der Migranten, kurz: der Familien,
zu investieren. Dies muss allerdings eine gemeinsame
Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen sein.
Ich widerspreche meiner Kollegin Nicolette Kressl eigentlich sehr ungern.
({1})
Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und habe bei der
jetzigen Landesregierung sehr wohl einen anderen Eindruck, nämlich dass der Ministerpräsident bei den Geldern, die an die Kommunen weitergeleitet werden sollen, in der Tat sehr klebrige Finger hat. Dort werden seit
2005 insbesondere im Bereich der Kinderbetreuung
- gerade im Sozialbereich; wir diskutieren jetzt über den
Bereich Kibiz - Kürzungen vorgenommen. Das meine
ich mit einer gemeinsamen Anstrengung. Ob Bund,
Land oder Kommune: Wir müssen ein Ziel verfolgen,
nämlich die Förderung der Familien und der Kinder.
({2})
Es ist schon viel darüber gesagt worden, welche Ansätze und Rahmenbedingungen wir in unserem Ministerium für den Haushalt 2008 vorfinden. Ich möchte als
Haushälterin auf eines aufmerksam machen - das ist unsere Aufgabe; so verstehe ich meine Aufgabe als Haushälterin -: Das, was die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker in den Gremien beschlossen und auf den Weg
gebracht haben, wird von der Regierungsbank insgesamt
- auch von unserer Ministerin - umgesetzt.
({3})
Ich greife ein Projekt heraus: das Mehrgenerationenhaus. Herr Schröder, Sie haben zu Recht darauf aufmerksam gemacht - deswegen will ich hier gar nicht ins
Detail gehen -, wie wichtig gerade dieses Projekt ist.
Durch Mehrgenerationenhäuser wird eine Verbindung,
eine Brücke zwischen Jung und Alt gebaut, zwischen
Menschen, die im Arbeitsprozess stehen, und anderen,
die diesen hinter sich haben, sich aber noch einbringen
können. Dieses Projekt wird in diesem Jahr wie auch im
Vorjahr, also unverändert, mit 20,5 Millionen Euro gefördert. Insgesamt stehen für dieses Projekt 98 Millionen Euro zur Verfügung. 200 Anträge liegen zur Bewilligung vor. 157 sind bereits bearbeitet worden.
Frau Ministerin, ich weiß nicht, ob Sie sich darüber
im Klaren sind, dass von den 98 Millionen Euro
10 Millionen Euro an externe Unternehmen gehen. Rund
10 Prozent des operativen Etats werden also von Ihrem
Haus für PR, Imagekampagnen und Öffentlichkeitsarbeit
ausgegeben.
({4})
Sind das vielleicht verdeckte Personalkosten? Wir können uns gerne im Rahmen der Haushaltsberatungen damit beschäftigen. Mit diesen 10 Millionen Euro könnten
wir 30 bis 50 weitere Projekte unterstützen.
Dieses Vorhaben soll ein Beispiel dafür sein, dass
Mittel, die für sinnvolle Förderprogramme bereitgestellt
werden, auch zu hundert Prozent sachbezogen ausgegeben werden sollten. Es darf im Rahmen der Haushaltsberatung kein Tabu geben. Ich sage es noch einmal: Die
Prioritäten, die das Parlament setzt und die im Fachausschuss beraten werden, müssen von dem Ministerium
beachtet werden.
Jung und Alt, Migranten, Frauen und Männer, Seniorinnen und Senioren müssen sich insgesamt wiederfinden. Sie müssen eine Antwort auf die Frage bekommen
- ich habe sie eingangs erwähnt -, was sie von den
Haushaltsberatungen haben. Dann werden die Menschen
draußen erkennen, was wir im Parlament für sie im Rahmen der Projektförderung auf den Weg bringen.
Ich freue mich auf die Haushaltsberatungen und auf
die Debatte.
Vielen Dank.
({5})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie
die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf:
4 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
- Drucksache 16/5725 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Strahlenschutzvorsorgegesetzes
- Drucksache 16/6232 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Innenausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({2}), Christoph Waitz,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Klare Rahmenbedingungen für den dualen
Rundfunk im multimedialen Zeitalter
- Drucksache 16/5959 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({3})
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
ZP 1 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politische
Häftlinge ({4})
- Drucksache 16/5845 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({6}), Christoph Waitz,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Klare Konzepte für den Bau des Berliner
Schlosses
- Drucksache 16/5961 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({7})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Werner Hoyer, Jürgen Koppelin, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Den Auswärtigen Dienst für die Aufgaben der
Diplomatie des 21. Jahrhunderts stärken
- Drucksachen 16/3018, 16/5543 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({9})
Es handelt sich um eine Beschlussfassung zu einer
Vorlage, zu der keine Aussprache vorgesehen ist.
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel Den
Auswärtigen Dienst für die Aufgaben der Diplomatie des
21. Jahrhundert stärken.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5543, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/3018 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort.
Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Das Wort hat die Gesundheitsministerin Ulla
Schmidt.
({10})
Vor allen Dingen lieb, hoffe ich. - Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie heute einen
im Ausland tätigen Arzt fragen, wo er im Falle einer
schweren Erkrankung behandelt werden möchte, dann
lautet die Antwort unisono: in Deutschland selbstverständlich. Das ist kein Zufall, sondern dafür gibt es einen
guten Grund.
Bei allen Problemen, die es sicherlich im Einzelfall
geben kann, können wir sagen, dass wir in Deutschland
ein gutes Gesundheitswesen haben, das einen umfassenden Gesundheitsschutz für seine Bürgerinnen und Bürger bereithält. Wir sorgen dafür, dass in Zukunft in diesem Land niemand ohne Versicherungsschutz ist. Unsere
Gesundheitsreform enthält für alle die Pflicht, sich krankenzuversichern. Ich glaube, dass dies ein wichtiger
Schritt im Rahmen der Reformpolitik der letzten Jahre
ist.
Eines ist klar: Wer unser Gesundheitswesen erhalten
will, der muss Reformen auf den Weg bringen. Ziel unserer Reformpolitik ist die Teilhabe aller am medizinischen Fortschritt. Dazu gehören auch der Bereich der
humanen Pflege und die Unterstützung für die betroffenen Familien. Dazu bedarf es aber einer Politik, die dafür sorgt, dass das alles bezahlbar bleibt. Es handelt sich
um zwei Seiten einer Medaille.
({0})
Unser Gesundheitswesen basiert auf dem Solidaritätsprinzip, auf der Solidarität des Einzelnen, der für
diejenigen zahlt, die Hilfe brauchen, wohl wissend, dass
auch er eines Tages auf die Solidarität der anderen angewiesen sein kann. Solidarität setzt aber voraus, dass jeder das Gefühl haben muss, dass jeder Euro zielgenau
dort eingesetzt wird, wo er gebraucht wird. Das entspricht unserer Reformpolitik. Diesen Weg müssen wir
gehen. Wir müssen immer wieder neu bestimmen, was
sich hinsichtlich Organisation und Zusammenarbeit verändern muss, damit diese Zielgenauigkeit erreicht wird.
Darum haben wir im Rahmen der Gesundheitsreform
konsequent mehr in den Bereich Prävention investiert,
das heißt, in Maßnahmen, die der Vermeidung von
Krankheiten dienen. Darum haben wir das Prinzip „Rehabilitation vor Pflege“ konsequent verfolgt. Darum haben wir den Akteuren im Gesundheitswesen die Instrumente an die Hand gegeben, die es ihnen ermöglichen,
Verträge zu schließen, die eine gute medizinische VerBundesministerin Ulla Schmidt
sorgung der kranken Menschen gewährleisten. Diese
Versorgung soll möglichst optimal, aber auch bezahlbar
sein.
In diesem Jahr werden die gesetzlichen Krankenkassen ihren Haushalt voraussichtlich zum vierten Mal mit
Überschuss abschließen. Spätestens im nächsten Jahr
kann die notwendige Entschuldung der Kassen erfolgreich abgeschlossen werden.
({1})
Ich würde das nicht unterschätzen. In den letzten Jahren
sind 8,3 Milliarden Euro Schulden abgetragen worden.
Wenn die Kassen mit einem ausgeglichenen Haushalt
ohne Zinslasten starten können, bedeutet das, dass die
Beiträge komplett für die Versorgung eingesetzt werden
können. Damit haben alle gesetzlichen Krankenkassen
eine gute Möglichkeit, ihre Aufgabe wahrnehmen zu
können.
Mit dem Start des Gesundheitsfonds im Jahr 2009
wird sichergestellt, dass alle Kassen zu gleichen und fairen Bedingungen Geld für die Versorgung der Versicherten erhalten. Auf dieser Grundlage wird sich ein fairer
Wettbewerb um die beste Qualität entwickeln können.
Die Kassen können all ihre Instrumente einsetzen, damit
jeder Euro da hingelenkt wird, wo er am nötigsten gebraucht wird.
Aus dem Bundeshaushalt erhalten die Kassen im
nächsten Jahr insgesamt 2,5 Milliarden Euro für die Abgeltung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben.
({2})
Dieser Zuschuss wird in den Folgejahren um jeweils
1,5 Milliarden Euro bis zu einer Gesamthöhe von
14 Milliarden Euro steigen.
({3})
Das hat einen Grund: Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt, anders als alle anderen Systeme, eine
Riesenaufgabe im Bereich familienpolitischer Leistungen. Ich nenne hier nur die beitragsfreie Mitversicherung
von Familienmitgliedern, Leistungen im Bereich der
Schwangerenfürsorge oder des Mutterschutzes. Es gibt
noch vieles andere mehr. Das sind aber keine Aufgaben
der gesetzlich Versicherten allein; das sind vielmehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Deshalb ist es richtig,
diese über Steuern zu finanzieren.
({4})
Selbstverständlich muss ein entsprechendes Steueraufkommen vorhanden sein, damit das umgesetzt werden
kann.
Das ist eine Entlastung des Faktors Arbeit. Ökonomisch macht es Sinn, die Lohnnebenkosten nicht weiter
zu erhöhen, sondern einen Teil der Kosten über Steuern
zu finanzieren. In Zukunft werden immerhin rund
10 Prozent der heutigen Ausgaben der gesetzlichen
Krankenversicherung über Steuern finanziert.
Mit der Reform werden wir den Bereich der Prävention konsequent stärken. Mit den Mitteln, die wir im
Haushalt für Prävention, Aufklärung und Forschung vorsehen - insgesamt sind es 66 Millionen Euro -, setzen
wir ein deutliches Signal.
Frau Ministerin, der Herr Kollege Bahr würde Ihnen
gern eine Zwischenfrage stellen. Ist das der richtige Zeitpunkt dafür?
Er kann zu jedem Zeitpunkt fragen, wenn Sie die Uhr
nicht weiterlaufen lassen. - Herr Kollege Bahr.
Bitte.
Frau Ministerin Schmidt, Sie haben eben ausgeführt,
dass die Familienmitversicherung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und deshalb die kostenlose Krankenversicherung der Kinder durch Steuergelder zu finanzieren sei. Jetzt frage ich mich: Warum hat die schwarzrote Koalition vorgesehen, die Steuermittel nur für die
gesetzliche Krankenversicherung zu verwenden? Denn
wenn die Krankenversicherung der Kinder eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wäre, dann müsste es doch
egal sein, ob es sich um ein Kind handelt, dessen Eltern
privat oder gesetzlich versichert sind. Sprich: Die Steuergelder müssten, wenn es eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe ist, auch für die Prämien von privatversicherten
Kindern verwendet werden.
({0})
Das Entscheidende ist, dass diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe heute nur diejenigen wahrnehmen, die in
der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.
({0})
Denn dort zahlen diejenigen, die keine Kinder haben, für
diejenigen mit, die Kinder haben.
({1})
Deshalb haben wir gesagt: Diese Aufgaben sollen über
Steuern finanziert werden.
({2})
Wenn wir eines Tages so weit wären - so weit sind wir
aber noch nicht; der Bereich umfasst bei den Krankenkassen 25 Milliarden Euro -,
({3})
dass man Beiträge für Kinder über Steuern in die gesetzliche Krankenversicherung zahlt, dann müsste man - da
haben Sie recht ({4})
auch die Beiträge für die Kinder zahlen, die in der privaten Krankenversicherung sind. Aber das machen wir hier
nicht. Das ist eine pauschale Abgeltung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Dazu gehört unter anderem die
beitragsfreie Mitversicherung. Darum geht es erst einmal. Die Menschen in der privaten Krankenversicherung, die keine Kinder haben, zahlen dafür keinen Cent;
die anderen, die Kinder haben, müssen ihre Beiträge
zahlen. Das ist der Unterschied.
({5})
Frau Ministerin, der Herr Kollege Schily würde gerne
noch eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte.
Frau Ministerin, habe ich richtig verstanden, dass Sie
gesagt haben, dass Privatversicherte in der Regel keine
Kinder haben?
Das habe ich nicht gesagt. Da haben Sie mich völlig
falsch verstanden. Ich habe gesagt: Nur in der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen die Kinderlosen die
Leistungen für diejenigen, die Kinder haben, mit.
({0})
In der privaten Krankenversicherung zahlt jeder für sich
und damit die Eltern für ihre eigenen Kinder. Das ist ein
ganz anderes System.
({1})
- So ist es. Für Kinder muss man einen Beitrag zahlen;
wenn man keine Kinder hat, muss man nicht zahlen. Das
ist der Unterschied.
({2})
Ich bin sehr froh, dass wir im kommenden Jahr für die
Bekämpfung von Aids erneut mehr Geld zur Verfügung
haben, insgesamt 15,8 Millionen Euro. Darin werden
1,5 Millionen Euro enthalten sein, die für die Zusammenarbeit mit Osteuropa eingesetzt werden. Das ist ein
ganz wichtiger Bereich. Das hat auch die HIV/AidsKonferenz in Bremen gezeigt, die neue Impulse gesetzt
hat.
Wir führen derzeit gute Gespräche, um die Vereinbarung mit der pharmazeutischen Industrie umzusetzen,
dass auch die Menschen in ärmeren Ländern, in ärmeren
Mitgliedstaaten Osteuropas Zugang zu innovativen Arzneimitteln zu bezahlbaren Preisen erhalten. Ich bin sehr
hoffnungsvoll, dass wir noch in diesem Jahr zu den ersten Verträgen kommen können und damit einen entscheidenden Schritt dahin machen, dass in den EU-Mitgliedstaaten alle Menschen, die infiziert sind, diesen Zugang
zu diesen Arzneimitteln haben und damit ein Beitrag zur
Überwindung von Diskriminierung, Stigmatisierung und
Tabuisierung dieses Themas geleistet wird.
({3})
Mit der vorgesehenen Stärkung des Robert-KochInstituts schaffen wir die heute notwendigen Bedingungen, um auf das mögliche Auftreten alter und neuer
Krankheiten und auf neue gesundheitliche Bedrohungen
schnell und kompetent reagieren zu können. Deshalb erhält das Robert-Koch-Institut im Rahmen eines umfassenden Gesamtkonzeptes bereits im ersten Schritt
49 neue Stellen und die entsprechenden Sachmittel. Ich
bedanke mich ganz herzlich bei all denjenigen, die dazu
beigetragen haben, dass wir diese neuen Aufgaben im
Haushalt berücksichtigen werden.
Mein Ministerium wird bis zum Jahresende, wie in
der Kabinettsklausur von Meseberg beschlossen, den
Entwurf eines Präventionsgesetzes vorlegen. Ziel ist,
den Flickenteppich, der heute aus vielen unzähligen Projekten besteht, zusammenzufassen und uns in die Lage
zu versetzen, eine solide, breite Struktur in Deutschland
aufzubauen, damit Prävention, Gesundheitsvorsorge und
die Übernahme von Verantwortung für die eigene Gesundheit wirklich eine nationale Aufgabe werden.
Dabei werden wir dorthin gehen müssen, wo diejenigen leben, die wir heute nicht erreichen. Denn die Menschen, die an individuellen Maßnahmen, auch an denen,
die von den Krankenkassen angeboten werden, teilnehmen, sind meist diejenigen, die ohnehin etwas für sich
tun, gesund leben und Verantwortung übernehmen wollen.
Wir brauchen Instrumente, die geeignet sind, um die
Menschen in ihren Lebenswelten zu erreichen: in Kindergärten, Schulen, Stadtteilen, Betrieben, Senioreneinrichtungen usw. Das wollen wir auf den Weg bringen.
Denn eines wissen wir schon heute: Diejenigen, die aus
sozial schwächeren Familien kommen - das gilt auch für
Kinder -, und Menschen mit Migrationshintergrund haben häufig schlechtere gesundheitliche Voraussetzungen.
Ich hoffe auf die Unterstützung des gesamten Hohen
Hauses, wenn wir diesen Weg gehen und dafür sorgen,
dass das Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird.
Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist
der Aktionsplan „Gesunde Ernährung und Bewegung“,
über den mein Ministerium derzeit gemeinsam mit dem
Verbraucherschutzministerium mit allen Ebenen - von
der Kommune bis zum Bund - diskutiert und für den im
Haushalt 5 Millionen Euro veranschlagt sind. Ich glaube,
wenn wir auf Bewegung, gesunde Ernährung und den
nun mehr und mehr verbesserten Nichtraucherschutz setzen, dann haben wir uns drei wichtiger Themen angeBundesministerin Ulla Schmidt
nommen, die unter dem Gesichtspunkt der Prävention
von entscheidender Bedeutung sind.
({4})
Ein weiterer Schwerpunkt, den die Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen setzen, ist die Pflegereform. Uns kommt es darauf an, eine Reform auf den
Weg zu bringen, durch die die Menschenwürde der älteren Generation, der Pflegebedürftigen in die Mitte der
Gesellschaft getragen wird. Dabei geht es zunächst darum, den Angehörigen altersverwirrter und pflegebedürftiger Menschen, die bei der Pflege Unendliches leisten, mehr Hilfen anzubieten. Deshalb besteht unser
Hauptziel darin, den Grundsatz „ambulant vor stationär“
zu stärken
({5})
und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die diese Arbeit
täglich leisten, wirklich die Unterstützung erhalten, die
ihnen der Staat im Rahmen der Pflegeversicherung geben kann.
({6})
Deswegen haben wir vor, die Leistungen im Bereich
der häuslichen Pflege zu verbessern. Dabei geht es zum
Beispiel um die Höhe des Pflegegeldes, aber auch um
den Umfang von Sachleistungen. Diese Leistungen werden erhöht und dynamisiert, mit dem Ziel, dass diejenigen, die professionell pflegen, besser entlohnt werden
können. Denn zu der Debatte über die Qualität gehört
auch die Frage, unter welchen Arbeitsbedingungen die
Pflege stattfinden muss. Wir hoffen, dass die Erhöhung
des Umfangs der Leistungen von den professionellen
Einrichtungen weitergegeben wird. Wir werden entbürokratisieren und neue Anreize für eine bessere Organisation der Pflege schaffen.
Ob in der Stadt oder auf dem Land: Alles soll unter
einem Dach stattfinden. Die Pflegestützpunkte sind
neue Anlaufstellen. Sie haben keine neue Bürokratie zur
Folge. Vielmehr werden in den Pflegestützpunkten Leistungen und Informationen angeboten, die sich die Menschen sonst, wenn ein Pflegefall eintritt, erst mühsam zusammensuchen müssen, was viel Zeit kostet.
Zu diesen Leistungen gehört unter anderem die
Betreuung von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz. Es werden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, neue Wohnformen zu fördern. Die Pflegebedürftigen können die Leistungen auch „poolen“
({7})
und zum Beispiel den Einsatz einer Pflegekraft gemeinsam organisieren. Dadurch kann dem Einzelnen mehr
Zeit und mehr Zuwendung gewidmet werden. Zu den
neuen Angeboten gehören viele weitere Punkte, zum
Beispiel auch die professionelle Pflegebegleitung.
Ich glaube, diese Angebote werden dazu beitragen,
dass wir eine gute Pflege gewährleisten können, eine
Pflege, in deren Rahmen man auf die Menschen zugeht
und mit deren Angeboten die Betroffenen, die in dieser
Situation oft überfordert sind, dabei unterstützt werden,
die Aufgaben in ihrer Familie erfüllen zu können.
({8})
Frau Ministerin, der Kollege Seifert würde gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Ja.
Frau Ministerin, niemand wird bestreiten, dass es
sinnvoll und notwendig ist, denjenigen, die auf Pflege
angewiesen sind, und ihren Angehörigen mehr Beratung
zukommen zu lassen.
Ihre hochgelobten Pflegestützpunkte, die Sie einrichten wollen, erinnern mich in fataler Weise an die sogenannten gemeinsamen Servicestellen nach dem SGB IX.
Wenn man diese schließen würde, würde das in
80 Prozent der Fälle überhaupt keiner merken, nicht einmal diejenigen, die dort arbeiten. Wie wollen Sie dafür
sorgen, dass dies bei Ihren Pflegestützpunkten nicht eintritt, abgesehen davon, dass die Finanzierung nicht geklärt ist?
Wir wollen das sicherstellen, Herr Kollege Seifert, indem die Pflegekassen verpflichtet werden, für jeweils
20 000 Einwohner und Einwohnerinnen einen Pflegestützpunkt vor Ort zu organisieren. Man muss dabei auf
bewährte Strukturen zurückgreifen. Die professionelle
Pflegebegleitung wird in diesen Pflegestützpunkten angesiedelt sein, und zwar mit dem Ziel, dass das, was Sie
zu Recht kritisieren, nicht passiert. Altenhilfe, Krankenhilfe, Pflegehilfe, Behindertenhilfe sowie die Vermittlung von Angeboten zur Betreuung oder zu anderen
Leistungen sollen für die Menschen im Stadtteil erreichbar sein. Die Menschen sollen wissen, wo sie hingehen
und Hilfe erhalten können und wo diese Dinge organisiert werden. Dies ist das Ziel. Ich rate Ihnen, sich einmal die Einrichtungen in den Niederlanden anzusehen,
die wohnortnah, auf dem Land wie in der Stadt, eine Betreuung für die Menschen organisieren und nicht schon
beim ersten Schritt eine Hürde darstellen.
Die Freistellung derjenigen, die pflegen - ich rede
nicht nur von der Freistellung von bis zu einem halben
Jahr, sondern auch von kurzfristigen Freistellungen -, ist
sehr wichtig.
({0})
Denn wenn ein Pflegefall auftritt, hat man dann Zeit, in
Ruhe zu organisieren und anhand der Veröffentlichungen der Qualitätsberichte zu entscheiden, wo man hingehen möchte. Diese Zeit ist notwendig, wenn wir auf
Dauer eine gute und qualitativ hochwertige Pflege organisieren möchten. Wir müssen den Menschen Zeit geben. So, wie die Eltern Zeit für ihre Kinder brauchen,
brauchen die Kinder auch Zeit für ihre Eltern, damit sie
das organisieren können, was in der Familie gebraucht
wird.
({1})
Wir werden darüber noch lange diskutieren.
({2})
Ich bitte Sie diesbezüglich um Ihre Unterstützung.
({3})
- Dies ist nicht wie bei der Gesundheitsreform, Herr
Bahr. Von Ihnen ist ja noch gar kein Vorschlag dazu gekommen, wie man die Pflege organisieren könnte.
({4})
Sie können sicher sein, dass die Koalition sich von einem Ziel leiten lassen wird: Wir wollen, dass die Menschen, die pflegebedürftig sind, die Hilfe erhalten, die
möglich ist.
({5})
Wir wollen diejenigen, die diese Arbeit verrichten - ob
in der Familie oder professionell -, unterstützen, soweit
es uns möglich ist, und damit die Würde älterer und pflegebedürftiger Menschen in den Mittelpunkt dieser Gesellschaft rücken und sie nicht am Rande stehen lassen.
Danke schön.
({6})
Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Claudia
Winterstein, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede
eben wieder einmal bewiesen, dass Sie eine große Meisterin im Schönreden sind.
({0})
Denn zum Beispiel die erste Bilanz der Gesundheitsreform ist mehr als enttäuschend. Die Beiträge zur Krankenversicherung sind mit durchschnittlich 14,8 Prozent
auf einem Rekordhoch,
({1})
von Wettbewerb zwischen den Kassen findet sich keine
Spur, und mit dem Gesundheitsfonds und dem Einheitsverband der Krankenkassen liegt das größte Übel erst
noch vor uns.
Das gleiche Spiel erleben wir in diesem Jahr mit der
Pflegeversicherung. Wir alle wissen, dass wir dringend
eine Reform brauchen. Außerdem wollen wir langfristig
ein menschenwürdiges Altern und ein angemessenes Niveau bei der Pflege garantieren. Doch wie vor einem
Jahr scheitert die Große Koalition auch diesbezüglich an
ihren grundsätzlich verschiedenen Vorstellungen in der
Sozialpolitik. Statt eine grundlegende Umstellung des
Pflegesystems vorzunehmen, erweitern Sie schlicht den
Leistungskatalog und erhöhen die Beiträge. Sie versprechen neue soziale Wohltaten, machen sich aber keine
Gedanken über eine solide Finanzierung.
Durch Ihre Pläne wird die Pflegeversicherung selbst
zum Pflegefall, insbesondere finanziell. Allein durch die
neuen Leistungen entstehen Kosten, die bis zum
Jahr 2012 auf jährlich 2,3 Milliarden Euro anwachsen
werden. Dabei wird der Finanzbedarf der Pflegeversicherung ohnehin massiv zunehmen. Bis zum Jahre 2030
werden wir etwa 3 Millionen Pflegebedürftige zu versorgen haben, ein Drittel mehr als heute. Der Beitragssatz
der Pflegeversicherung müsste dann bei über 4 Prozent
liegen, mehr als doppelt so hoch wie heute - unvorstellbar!
Es hilft nur ein grundlegender Wechsel der Finanzierung.
({2})
Die FDP schlägt vor, das System nach und nach von der
Umlagefinanzierung auf die Kapitaldeckung umzustellen. So schaffen wir eine nachhaltige Finanzierung der
Pflegeleistungen, ohne, wie jetzt, die Lasten einfach in
die Zukunft zu verschieben.
({3})
Aus der Sicht der Haushaltspolitiker sei noch darauf hingewiesen: Der Verzicht darauf, in den Sozialsystemen
Rücklagen zu bilden, treibt die verdeckte Staatsverschuldung weiter nach oben.
({4})
Die Regierung wird zum Jahresanfang den Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken - ein richtiger Schritt. Jedoch nützt er wenig, wenn an anderer Stelle weiter erhöht
wird. Dieser Verschiebebahnhof im Sozialsystem - Pflegebeiträge rauf, Arbeitslosenversicherungsbeitrag runter verdeutlicht auf traurige Weise die Kopf- und Planlosigkeit dieser Regierung.
({5})
Mehrwertsteuererhöhung, höhere Krankenkassenbeiträge, höhere Pflegeversicherungsbeiträge - der Bürger
wird weiter belastet, und es wird ihm Sand in die Augen
gestreut.
({6})
Nach jeder Ihrer sogenannten Reformen ist alles komplizierter und undurchsichtiger. Ein Paradebeispiel ist
das Hickhack um den Steuerzuschuss zur gesetzlichen
Krankenversicherung, der Jahr für Jahr um 1,5 MilDr. Claudia Winterstein
liarden Euro wachsen soll. Bis zum Jahr 2016 wird er
auf insgesamt 76,5 Milliarden Euro wachsen. Verraten
Sie endlich, woher dieses Geld kommen soll! Dazu haben Sie wieder nichts gesagt. Sie schüren weiter die Ansprüche der Bürger an den Sozialstaat, ohne die Leistungen, die Sie versprechen, solide zu finanzieren. Der
Bürger braucht Transparenz. Das Prinzip von Leistung
und Gegenleistung muss für jeden Steuer- und Beitragszahler wieder klar erkennbar werden.
({7})
Sie müssen den Bürgern reinen Wein einschenken. Soziale Leistungen lassen sich nicht dauerhaft allein mit öffentlichen Mitteln finanzieren - die Menschen müssen
stärker selbst vorsorgen. Hören Sie also auf, den Bürger
für dumm zu verkaufen, und trauen Sie den Menschen
endlich zu, für ihre Zukunft selbst Verantwortung zu
übernehmen!
({8})
Dass ihr Vertrauen in die Menschen nicht sonderlich
groß ist, beweist diese Regierung auch mit den unzähligen Kampagnen zur Erziehung der Bürger. Mal rauchen
wir zu viel, dann essen wir schlecht und sind bewegungsfaul, und zu dick sind wir auch.
({9})
In der Welt ist das in einem Kommentar zu Herrn
Seehofers Regierungserklärung vom 10. Mai zu gesunder Ernährung und Bewegung auf den Punkt gebracht
worden:
Statt uns endlich von einem offenkundig dysfunktionalen und kollektivistischen Gesundheitssystem
zu befreien, werden wir ständig mit millionenteuren
Kampagnen ermahnt, diesem nicht zu sehr zur Last
zu fallen.
In der Tat, die beiden Oberlehrer Horst Seehofer und
Ulla Schmidt haben zur gesundheitlichen Prävention
den Aktionsplan Gesunde Ernährung und Bewegung
ausgetüftelt. Hier soll das Geld nach dem Gießkannenprinzip auf alle möglichen Bereiche verteilt werden.
Eine konsequente Präventionsstrategie ist nicht zu erkennen. Allein im Haushalt des Gesundheitsministeriums
werden 5 Millionen Euro bereitgestellt. Dazu kommt die
Präventionskampagne mit 2,5 Millionen Euro, im Übrigen immer noch ohne Präventionsgesetz. Ferner steigen
die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit auf satte 6,3 Millionen Euro. Also viel Geld für Kampagnen, aber wenig
Effektivität.
({10})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lauterbach?
Nein, ich möchte jetzt zum Schluss kommen.
Sie sind angetreten, um die Bereiche Gesundheit und
Pflege grundlegend zu reformieren. An dieser Aufgabe
sind Sie, Frau Ministerin, grandios gescheitert.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Zöller,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Vor einem Jahr haben wir das Gesundheitsreformgesetz beraten. Ich habe schon damals festgestellt, dass dieses Gesetz viel besser ist, als von vielen
Kritikern behauptet wurde. Wenn wir heute in Gesprächen mit den Beteiligten feststellen, dass sie ihre Chancen erkennen, die in diesem Gesetz liegen, sind wir froh,
dass sich unsere Aussage bewahrheitet.
In diesem Zusammenhang sei mir eine Anmerkung
erlaubt. Die zum Teil negative Einstellung der Bürger zu
der Reform ist vielleicht auch darauf zurückzuführen,
dass man den Menschen immer wieder eingeredet hat,
Spitzenmedizin für alle sei zum Nulltarif zu erhalten.
Qualität hat aber ihren Preis.
({0})
Das Gesetz ist - darauf habe ich damals bereits hingewiesen - erstens gut für die Patienten. Die neuen
Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
wie die Palliativersorgung, Vater/Mutter-Kind-Kuren,
geriatrische Rehabilitation und Impfungen sind bereits
im ersten Halbjahr vermehrt von den Kassen gewährt
und von den Patienten in Anspruch genommen worden.
Des Weiteren konnte durch die wachsende Zahl zuzahlungsbefreiter Arzneimittel die Entlastung der Patienten erreicht werden. Inzwischen gibt es über 12 000 Arzneimittel ohne jegliche Zuzahlung. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Damals wurden wir in diesem Haus
für diese Maßnahme belächelt.
Zweitens ist das Gesetz gut für die Versicherten. Alle
Nichtversicherten haben einen Anspruch darauf, wieder
in die gesetzliche oder private Krankenversicherung aufgenommen zu werden. Damit muss niemand mehr ohne
Versicherungsschutz bleiben. Allerdings stimmen die
bisher bekannten Zahlen von etwa 43 000 Rückkehrern
in die gesetzliche und 3 000 in die private Krankenversicherung nachdenklich.
({1})
Wenn die von der Bundesregierung genannte Zahl von
bis zu 400 000 Nichtversicherten zutrifft, dann besteht
hier noch ein erheblicher Nachholbedarf. Ich wünsche
mir, dass die Krankenkassen und die privaten Krankenversicherungen stärker als bisher auf die Möglichkeit der
Wiederaufnahme hinweisen.
({2})
Darüber hinaus haben die Versicherten neben diesen
Rückkehrrechten eine Vielzahl neuer Wahlrechte erhalten. Hier beobachten wir noch einen etwas verhaltenen
Start. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass die Kassen erst neue Wahltarife entwickeln und diese den Versicherten noch ausreichend bekannt gemacht werden müssen. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren eine
sehr gute Ausweitung des Angebots erfahren können.
Eine kritische Anmerkung von unserer Seite bezieht
sich darauf, dass zum Beispiel eine gesetzliche Krankenkasse einen Wahltarif für stationäre Wahlleistungen anbietet. Hier stellt sich die Frage, ob die gesetzliche Krankenkasse bei Anbietung privater Leistungen ihren Status
als Körperschaft des öffentlichen Rechts verlieren
könnte und damit eine Vielzahl von Privilegien wie die
Steuerfreiheit zur Disposition stünde.
({3})
Dies sollten wir im Interesse der Krankenversicherten
nicht riskieren.
({4})
Drittens wird das Gesetz zu mehr Wettbewerb führen. Die Krankenkassen haben durch das Gesetz neue
Möglichkeiten erhalten, mit Arzneimittelherstellern zum
Beispiel Rabattverträge abzuschließen. Dieses Instrument ist erstaunlich schnell, vielleicht zum Teil auch
überstürzt umgesetzt worden. Etwa ein Viertel des Gesamtumsatzes der gesetzlichen Krankenversicherung für
Arzneimittel ist durch Rabattverträge abgedeckt.
Dies alles hat bereits zu deutlichen Marktverschiebungen hin zu Herstellern mit rabattierten Arzneimitteln
geführt. Hierin liegt ein Problem, das, wie ich meine,
von einigen Krankenkassen noch nicht zufriedenstellend
gelöst wurde. Denn einige der vertraglich gebundenen
Hersteller sind nicht in der Lage, die Arzneimittel in ausreichender Menge und angemessener Zeit zu liefern.
Diese Entwicklung sehe ich mit Sorge. Wenn es zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln kommt, kann es nicht
sein, dass das Problem auf die Apotheker und Patienten
abgewälzt wird. Die Krankenkassen müssen dieses Problem schnellstmöglich lösen oder zumindest dafür sorgen, dass die Apotheken bei Lieferengpässen auch in
den nächsten Monaten noch nicht rabattierte Arzneimittel an die Patienten abgeben können.
({5})
Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, für den ich persönlich vom Hausärzteverband in meiner bayerischen Heimat heftig kritisiert
wurde. Wir haben im Gesetz die Möglichkeit verbessert,
Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung zu gestalten.
({6})
Daneben gibt es die Möglichkeit, diese Verträge im Auftrag der Hausärzte durch die Kassenärztlichen Vereinigungen aushandeln zu lassen. Das heißt, entweder verhandeln die Hausärzte direkt mit den Krankenkassen,
oder sie lassen sich durch ihre KV vertreten. In beiden
Fällen haben immer die Hausärzte die Entscheidung
über das Vorgehen. Geschieht dies nicht, ist nach meiner
Auffassung die Bundes- oder die Landesaufsicht gefordert.
Inzwischen liegen erste Zahlen vor. Demnach sind
bisher 42 Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung
geschlossen worden, von denen rund 60 Prozent unter
Beteiligung der KVen zustande kamen. Ich kann den
Ärzten nur eines empfehlen - das war einmal ein Slogan
meiner Partei -: Miteinander hat Zukunft.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein sehr
ernstes Problem ansprechen, und zwar die flächendeckende Versorgung durch Haus- und Fachärzte. Wir sollten den Mut haben, zu sagen: Hier sind zusätzliche
finanzielle Mittel notwendig, um den Ärzten wieder eine
Zukunftsperspektive aufzuzeigen.
({7})
Zur Reform der Pflegeversicherung: Wir werden in
den nächsten Wochen und Monaten darüber diskutieren.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt dies. Die
dort formulierten Forderungen werden zu einer Verbesserung der Leistungen für Pflegebedürftige führen. Dies
ist angesichts der seit zwölf Jahren stagnierenden Leistungsbeträge überfällig. Hier gibt es auch keinen
Dissens. Allerdings gibt es auch Punkte, auf deren Ausgestaltung wir in den Beratungen aufpassen müssen, wie
Pflegebegleiter, Beratungsstellen, Pflegestützpunkte,
Versorgungsmanager und vieles mehr. Dies alles wollen
wir, glaube ich, gemeinsam so umsetzen, dass keine zusätzliche Bürokratie und kein Kompetenzwirrwarr entstehen.
({8})
Es darf nicht dazu kommen, dass es mehr qualifizierte
Personen gibt, die sich um Organisation und Aufsicht
kümmern als um die Pflege selber.
({9})
Gerade die Berichte über die Pflegequalität in den
letzten Wochen haben gezeigt, dass wir dringend motiviertes und qualifiziertes Personal für die Pflege vor Ort
brauchen.
({10})
Diese Menschen, die einen sehr anspruchsvollen und
schwierigen Dienst an den Pflegebedürftigen leisten,
sollen wissen, dass wir ihre Arbeit schätzen.
Pflegeheime, die qualitativ gute Arbeit leisten, werden sich nicht vor Prüfungen fürchten müssen. Prüfungen sind notwendig, um schlechte Pflege festzustellen
und Defizite zu beseitigen.
({11})
Wir dürfen aber die Pflegenden nicht alle in einen Topf
werfen und nicht mit überzogenen Prüfvorschriften und
bürokratischen Auflagen gängeln. Hier müssen wir den
richtigen Weg zu einer effizienten und dauerhaft wirksamen Qualitätskontrolle finden. Es geht also nicht um ein
Mehr an Vorschriften und Kontrollen, sondern um die
richtige Anwendung.
({12})
An dieser Stelle möchte ich im Namen meiner Fraktion einen ausdrücklichen Dank und Anerkennung den
Pflegenden, die aufopferungsvolle Arbeit leisten, ob zu
Hause oder in den Heimen, aussprechen.
({13})
Bei der Pflegeversicherung werden wir nicht lange
damit warten können, den Umstieg auf eine nachhaltige
und demografiefeste Finanzierung hinzubekommen.
Das ist bedauerlicherweise bei den Verhandlungen über
die Eckpunkte noch nicht gelungen. Gerade in der Pflegeversicherung wäre aber die möglichst rasche Einführung kapitalgedeckter Elemente sinnvoll und notwendig.
({14})
Eines der anstehenden Projekte ist das Präventionsgesetz.
({15})
Unser Gesundheitssystem ist in vielen Bereichen außerordentlich erfolgreich. Die Lebenserwartung von Männern und Frauen ist kontinuierlich gestiegen und wird
weiter steigen. Jedoch leidet ein zunehmend großer
Anteil der Bevölkerung an den sogenannten Volkskrankheiten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes
mellitus, Allergien, Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats und Übergewicht. Im letzten Jahr habe
ich noch gesagt, Sie brauchten sich an mir kein Beispiel
zu nehmen. Jetzt habe ich 15 Kilogramm weniger. Jetzt
können Sie sich ein Beispiel an mir nehmen.
({16})
Ein erheblicher Teil dieser Erkrankungen wäre vermeidbar. Wir kennen die Risikofaktoren, die für Entstehung und Verlauf dieser Krankheiten verantwortlich
sind. Sie beruhen zum Teil auf externen Einflüssen und
zum Teil auf individuellem Fehlverhalten. Damit sind
Staat und Gesellschaft, aber vor allem jeder Einzelne gefordert. Staatliches und gesellschaftliches Handeln kann
dabei aber nur unterstützend mitwirken, Präventionsmaßnahmen zu initiieren und im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Wir müssen Wege aufzeigen, wie
Prävention im Denken und Handeln der Menschen verankert und gefördert werden kann. Prävention und Gesundheitsförderung sind zur Vermeidung von Krankheiten und zur Erhaltung der Gesundheit eine lohnende
Investition in die Zukunft unseres Gesundheitswesens
und deshalb unabdingbar. Dazu brauchen wir keine
neuen Institutionen, keine zusätzliche Bürokratie, sondern effektive Maßnahmen, die bei den Bürgern ankommen.
({17})
Dann werden wir die Ziele erreichen, die wir mit dem
Präventionsgesetz verfolgen: für die Krankenkassen einen effizienteren Einsatz ihrer begrenzten Mittel und für
jeden Einzelnen ein Mehr an Lebensqualität und Gesundheit.
({18})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Frank Spieth, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Tolle
Bescherung! Wenn man sich das so anhört, hat man den
Eindruck, es wäre schon Weihnachten, insbesondere angesichts der Debattenbeiträge, die von der Koalition
kommen.
Ich muss zu der großartigen Erfolgsgeschichte, zu der
sich Frau Merkel gestern verstiegen hat, ehrlich sagen,
dass ich etwas anderes erlebe. In meinem Wahlkreis in
Thüringen sagen 90 Prozent der Befragten, dass der Aufschwung bei ihnen nicht angekommen ist. Mir erzählen
Selbstständige, Handwerker, Einzelhändler, Facharbeiter, Rentnerinnen und Rentner sowie Arbeitslose, dass
sie sogar weniger im Portemonnaie haben. Mich wundert das nicht. Mich wundert auch nicht, dass Sie, Frau
Ministerin, sich in den Reigen der Erfolgserzähler einreihen und sich selbst auf die Schulter klopfen.
307 Millionen Euro Überschuss bei den gesetzlichen
Krankenkassen im ersten Halbjahr 2007 ist eigentlich
wirklich klasse, möchte man meinen. Ja, die Zunahme
der Beschäftigung hat zusätzliche Gelder in die Töpfe
der Krankenkassen gespült. Aber die gute Einnahmeentwicklung ist im Wesentlichen auf eine drastische Beitragssatzsteigerung Anfang des Jahres 2007 zurückzuführen. Das ist doch die Tatsache.
({0})
Damit ist die Katze aus dem Sack. Mehr Beitragseinnahmen für die Krankenkassen heißt für den Einzelnen weniger Geld in der eigenen Tasche. Dies ist nur eine der
vielen neuen Belastungen, die die Regierung gerade den
Geringverdienern zumutet. Da wundert es auch nicht,
wenn die Zahl der armen Kinder laut Kinderschutzbund
innerhalb eines Jahres um über 100 000 zugenommen
hat. Das ist nach meiner Auffassung ein Skandal.
({1})
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge aus Köln
weist darauf hin, dass man Armut aber nicht nur an einem Mangel an Geld festmachen kann, sondern dass zu
ihren Begleiterscheinungen auch Nachteile und Diskriminierungen in unterschiedlichen Lebensbereichen gehören, unter anderem auch bei der Gesundheitsversorgung. Besonders seien dabei Kinder benachteiligt. Der
Armutsforscher weist darauf hin, dass es eine deutliche
Spaltung in Deutschland gibt, die sich in dreifacher Hinsicht ausdrückt: in einer Spaltung zwischen Arm und
Reich, in einer Spaltung zwischen Ost und West sowie in
der Schere zwischen Stadt und Land.
Es ist deshalb kein Wunder, dass die aktuelle Studie
Die Ängste der Deutschen 2007 belegt, dass die sozialen
Sorgen zunehmen und viele Menschen Angst haben,
schwer zu erkranken oder später pflegebedürftig zu werden. Fast jeder Zweite gibt uns, den Volksvertretern, deshalb die Note „mangelhaft“ oder „ungenügend“. Kein
Wunder: Die Eintrittsgebühr beim Arzt, die Zuzahlungen beim Kauf von Medikamenten, Hilfsmitteln und
Heilmitteln, die Abschaffung des Sterbegeldes und der
Erstattung von Kosten für Brillen und nicht verschreibungspflichtige Medikamente usw. haben dazu geführt,
dass sich zu viele in dieser Gesellschaft ihre medizinische Versorgung eingeschränkt oder gar nicht mehr leisten können.
Kurz: Die Note „mangelhaft“ ist die Quittung der
Versicherten für Belastungen und höhere Beiträge bei
gleichzeitiger Kürzung der Beiträge der Arbeitgeber zur
gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Linke fordert eine Trendwende in der Gesundheitspolitik.
({2})
Meine Fraktion wird mit ihrem Antrag Wiedereinführung der vollständigen Zuzahlungsbefreiungen für Versicherte mit geringem Einkommen im Wege der Härtefallregelung vorschlagen, dass durch eine entsprechende
Beschlussfassung in diesem Haus über 10 Millionen
Menschen in Deutschland mit einem Einkommen bis zu
980 Euro von Zuzahlungen befreit werden.
({3})
Wir reagieren damit auf den Skandal, dass Geringverdiener Gesundheitsleistungen wegen der Zuzahlungen nicht
mehr oder nur unvollständig in Anspruch nehmen können. Wir stellen damit im Grunde nur den Zustand wieder her, der bis zum 31. Dezember 2003 gesetzlich geregelt war.
Wir schlagen Ihnen außerdem vor, dass die in diesem
Jahr vorgenommene Kürzung des Bundeszuschusses an
die Krankenkassen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro zurückgenommen wird und dass 2008 erneut 4,2 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Dann würde der Mutterschutz wieder gesamtgesellschaftlich finanziert, Frau
Ministerin. Es ist also anders, als es hier dargestellt
wurde.
Die Linke fordert mit ihrem Zukunftsinvestitionsprogramm außerdem eine jährliche Finanzhilfe von 2,5 Milliarden Euro zur Überwindung unterlassener Modernisierungen der Krankenhäuser. Die Kosten für diese
Modernisierungen belaufen sich durch die Einsparungen
der öffentlichen Hand mittlerweile auf etwa 50 Milliarden Euro.
Wir fordern die schnelle Einführung eines Präventionsgesetzes und in diesem Zuge die Einrichtung eines
Fonds, der in den nächsten vier Jahren jeweils mit
1 Milliarde Euro gespeist werden sollte. Über diesen
Fonds sollten - mit besonderem Augenmerk auf die
schlechtere Gesundheitssituation finanziell und sozial
benachteiligter Gruppen - Vorbeugung und Vorsorge
finanziert werden.
({4})
Die Linke fordert, dass die Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung von der Bundesagentur für Arbeit dazu verwendet werden, endlich wieder die kostendeckenden Beiträge Arbeitsloser an die Krankenkassen
zu überweisen.
({5})
Wenn Sie wie wir gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit sind, wenn Sie wie wir gegen eine Zweiklassenmedizin eintreten, dann sollten Sie unseren Vorschlägen in den weiteren Haushaltsberatungen zustimmen.
Schönen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meinem
Vorredner möchte ich schon gern die Frage stellen, wo
zur Finanzierung der vielen Wohltaten, die Sie fordern,
eigentlich der Dukatenscheißer ist? Diese Frage stellt
sich einfach.
({0})
Im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums finden sich viele sinnvolle und notwendige Projekte. Diese
reichen von der Aidsaufklärung über Modellprojekte
zum Drogenausstieg und über das Leuchtturmprojekt
Demenz bis hin zur Ernährungs- und Bewegungsprävention. Trotzdem muss ich sagen: Das Ganze sieht ein bisschen wie schöne, bunt bepflanzte Blumenkästen vor den
Fenstern eines Hauses aus, dem ein solides Fundament
und tragfähige Wände fehlen. Wo ist das politische und
fiskalische Fundament einer stringenten Gesundheitspolitik dieser Koalition? Ich kann es nicht erkennen.
({1})
Drei Beispiele. Der Zuschuss zur gesetzlichen
Krankenversicherung - er beträgt in diesem Jahr
2,5 Milliarden Euro; Sie loben sich selbst dafür; ich will
gar nicht mehr darauf hinweisen, wie lange das umkämpft war - soll, so lautet Ihr Versprechen, einen Aufwuchs auf 14 Milliarden Euro erfahren. Was ist das,
wenn nicht eine Luftbuchung? Es findet sich nirgends
eine Gegenfinanzierung.
({2})
Zur Pflege: Gewiss liegt jetzt ein Referentenentwurf
vor. Ich will nicht groß darauf eingehen, dass Sie darüber
noch streiten. Was aber eine nachhaltige Finanzierung
angeht, schweigen Sie alle beide, und das besonders
nachhaltig.
Ein Präventionsgesetz existiert - das haben wir eben
wieder gehört - in Ankündigungen. Wie schön! Aber wo
ist denn in diesem Fall der Referentenentwurf, auf den
Sie sich verständigt haben?
Im Gesundheitsministerium gibt es einen großen und
steigenden Etat für die Öffentlichkeitsarbeit. Das ist
nicht per se etwas Obszönes. Ich sehe aber, dass das
Geld vor allem in die Finanzierung der Gesunden Zeitung geht, in der laut Spiegel nur Gutes über die Ministerin geschrieben wird.
({3})
Deshalb mache ich einen Vorschlag: Geben Sie doch
einmal Geld aus, damit die Leute verstehen, welche Verbesserung im Gesundheitswesen etwa die elektronische
Gesundheitskarte bewirken kann! Es gibt jede Menge
Resolutionen und Boykottaufrufe gegen die elektronische Gesundheitskarte. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass eine Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit vonseiten des Ministeriums dazu nicht existiert.
({4})
Wer tatsächlich will, dass Transparenz und Vernetzung zu einem besseren Gesundheitswesen beitragen
und wer dazu die elektronische Gesundheitskarte einsetzen will, muss als Ministerin auch etwas dafür tun, dass
die Patientinnen und Patienten, deren Zustimmung Voraussetzung für die Speicherung von Informationen ist,
nicht durch falsche Behauptungen verunsichert werden.
Da wäre Geld für die Öffentlichkeitsarbeit wahrlich gut
eingesetzt.
({5})
Ich komme zur Prävention; das Stichwort ist schon
gefallen. Ich sehe kein Gesetz; ich sehe einen Aktionsplan
zum Thema „Ernährung und Bewegung“. Das ist durchaus wichtig. Ich hoffe, dass es hierbei nicht nur um PR
geht. Deswegen sollten Sie beherzigen, Frau Ministerin,
was Ihnen der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen
neulich zum Thema Sinnhaftigkeit von Kampagnen ins
Stammbuch geschrieben hat. Eine PR-Kampagne wie die
zu den 3 000 Schritten macht keinen Sinn. Sinn macht
eine Kampagne dann, wenn sie gezielt und abgestimmt
ist, das heißt wenn sie die Betroffenen erreicht und diese
dort abgeholt werden, wo sie sind; in dem Fall könnte
man auch sagen: wo sie sitzen. Eine solche Kampagne
kann es geben, soll es geben. Sie muss auf die vielen guten Projekte Bezug nehmen, die es schon gibt, und zu ihrer Vernetzung beitragen. Wenn sie das tut, dann ist sie
richtig.
Trotzdem: Wir brauchen ein Präventionsgesetz als
großen Rahmen. Es ist eine verbindliche Zusammenarbeit von Bund und Ländern, von Kassen und Kommunen erforderlich, damit diese gemeinsam an einem
Strang ziehen.
Ich frage: Ist diese Große Koalition eigentlich politikfähig? Ist sie regierungsfähig?
({6})
Beim Thema Gesundheit ist sie es jedenfalls nicht. Ist sie
es bei der Prävention, oder werden beide Parteien wieder
darauf verweisen, dass es am Ende der Amtszeit der
Großen Koalition zu einer politischen Morgenröte
kommt und dann alle Reformen mit dem Originalabzeichen der eigenen Partei gemacht werden? Das werden
wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Wir brauchen einen klaren Rahmen und verbindliche
Strukturen für die Prävention. Wenn wir diese nicht haben, nur über Verbesserungen in der Versorgung von
Kranken reden - das ist auch notwendig -, aber immer
nur den Reparaturbetrieb befördern, dann rennen wir den
gesellschaftlichen Problemen im Gesundheitsbereich lediglich hinterher. Das können wir nicht machen. Deswegen verspreche ich als Grüne Ihnen: Wir werden beiden
Parteien der Koalition im Nacken sitzen, damit nicht nur
im Aktionsplan Bewegung stattfindet, sondern auch in
Ihrer Politik.
Danke schön.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Ewald Schurer, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Jede Haushaltsdebatte ist Anlass, die Bedeutung von Gesundheit für die Menschen ganz persönlich, aber auch für die Gesellschaft in den Mittelpunkt zu
stellen. Das hohe Gut Gesundheit ist für die Lebensqualität von uns allen unerlässlich. Das ist eine Erkenntnis,
über die Konsens bestehen müsste und der auch die Opposition nur schwer widersprechen kann.
Herr Spieth, was Sie an Ergebnissen zum Stichwort
Vertrauen vorgetragen haben, widerspricht meinen
sämtlichen Erkenntnissen aus der Sozialforschung. Es
gibt in Deutschland gegenüber den wichtigen Instanzen
und Akteuren des Gesundheitswesens trotz kritischer
Einlassungen nach wie vor insgesamt ein sehr hohes
Vertrauen. Das ist etwas, was auch die Sozialforschung
immer wieder ausweist. Die Frau Ministerin hat dargestellt, dass das selbst bei dem Berufsstand der Ärzte der
Fall ist. Das gilt für Krankenhäuser und Kliniken, Arztpraxen, Apotheken, Kassen und Pflegeeinrichtungen,
aber auch für Einrichtungen der Prävention und der
Reha. Das sollte eigentlich auch - darüber sind wir uns
sicherlich einig - für die politischen Prozesse Gültigkeit
haben.
Wir wissen, dass die gesellschaftlichen Veränderungen hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Dynamik im Gesundheitswesen von großer Bedeutung sind. Ich nenne
hier die Veränderungen in der Arbeitswelt - wie Menschen leben und arbeiten, hat eine enorm hohe Auswirkung auf deren gesundheitliche Konstitution -, die
veränderten Lebensgewohnheiten der Menschen - Ernährung ist schon genannt worden -, das Mobilitätsverhalten der Menschen, das in einer arbeitsteiligen Gesellschaft immer mehr gestiegen ist, aber auch die
Grundeinstellungen, Werte und Bewusstseinsstrukturen
der Menschen, wie sie mit sich selbst, soweit sie darüber
verfügen können, umgehen. Das sind wichtige Komponenten. Man darf auch nicht vergessen, dass sich unsere
gesundheitliche Versorgungslandschaft in den letzten 10,
20 Jahren so stark verändert hat, dass heute im technischen, diagnostischen und therapeutischen Bereich Angebote vorgehalten werden, die noch vor 10, 15 Jahren
nur erahnt werden konnten.
Das bringt mich zum nächsten Punkt, zur Gesundheitsökonomie: Die letzte Gesundheitsreform und auch
die vorherigen haben gezeigt, dass es eine gewaltige Herausforderung ist, mit diesen Anforderungen gesundheitsökonomisch wie medizinisch Schritt zu halten und
sie zu bewältigen, wenn wir solche Veränderungen in der
Gesellschaft, im Leistungsspektrum erleben.
Wiewohl wir in der internationalen Beurteilung unseres Gesundheitssystems - das war die Eingangsbemerkung der Frau Ministerin - gute Noten bekommen - das
darf man nicht negieren, Herr Spieth -, wiewohl auch
die Forschung sagt, dass die sogenannte Volksgesundheit bei uns im europäischen und internationalen Vergleich relativ gut und auch die Altersentwicklung als solche eine positive Errungenschaft der Gesellschaft ist
- das muss man einmal wertfrei betrachten -, haben wir
- das darf man nicht leugnen - teilweise dramatische
Entwicklungstendenzen in dieser Gesellschaft, mit der
sich der Haushalt in seinen Titeln und Kapiteln auseinanderzusetzen hat, da er Entsprechungen für solche
Entwicklungen vorhalten und darauf entsprechend reagieren muss.
Es ist Fakt, dass mittlerweile 6 Millionen Menschen
in Deutschland an Diabetes leiden; die Tendenz steigt.
Schätzungen zufolge leiden bereits fast 1 Million Menschen an Alzheimer oder Demenz; die Tendenz ist
steigend. Über die Jahre hat der Bedarf an Pflegeleistungen zugenommen, deutlich über 2 Millionen Menschen nehmen diese in Anspruch. Die Kollegin Frau
Dr. Winterstein hat darauf verwiesen, dass sich das entsprechend entwickeln wird.
Ich darf die Notwendigkeit für den Ausbau von
Prävention betonen. Die Rehaleistungen wurden bei der
jüngsten Reform in den GKV-Reformkatalog als Pflichtleistung der Kassen aufgenommen - eine wahrlich wichtige Komponente. Man darf auch nicht vergessen, dass
die Zahl der seelischen und psychischen Erkrankungen
in dieser Gesellschaft leider sehr stark zunimmt. Das
darf man nicht tabuisieren, sondern muss es aktiv im
Kontext der Gesundheitspolitik aufgreifen.
Vor diesem Hintergrund setzt der Haushalt 2008 an
manchen Stellen wichtige Impulse und Prioritäten. Es ist
schon gesagt worden: 66 Millionen Euro werden für gesundheitspolitisch relevante Maßnahmen ausgegeben.
Darin - das möchte ich nicht weiter ausführen, weil bereits zitiert - ist ein Schwerpunkt das Programm Ernährung und Bewegung mit 5 Millionen Euro.
Weil die Zahl der Aidsinfizierten leider weiterhin
hoch ist, ist der in 2007 aufgestockte Titel für die
Aidsaufklärung mit 12,2 Millionen Euro auf dem hohen
Niveau beibehalten worden.
Bei den Forschungstiteln - auch das ist bereits gesagt
worden - gibt es das Leuchtturmprojekt Demenz. Dort
werden 4,5 Millionen Euro neu eingestellt.
Es gibt begleitende Programmmaßnahmen im Haushalt, auch mit Titeln für die Pflegereform.
Ich möchte die Öffentlichkeitsarbeit erwähnen. Ich
tue das nicht nur, weil sie zu einem positiven Bild der
Ministerin beiträgt, sondern weil sie wichtig ist. Die
Bundesregierung und das Ministerium für Gesundheit
geben 6,5 Millionen Euro - sehr sachgerecht, wie ich
meine - für die Öffentlichkeitsarbeit aus und setzen damit wichtige Impulse, beispielsweise bei der Information
über die elektronische Gesundheitskarte. Das sind Gelder, die gemessen an den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben gut austariert, notwendig und ohne Alternative
sind.
({0})
Insgesamt umfasst der Haushalt - das ist kein
Geheimnis - im Einzelplan 15 2,879 Milliarden Euro;
2,5 Milliarden Euro davon sind der durchlaufende Posten. Das wünschen wir uns - das haben die Koalitionshaushälter, werte Kollegin Bender, schon beim letzten
Mal beschlossen; das kommt auch - vom BMF eine
nachhaltige Gegenfinanzierung dieses aufwachsenden
Postens. Ich bin überzeugt, dass wir dabei mit dem BMF
wie auch sonst einen soliden Partner haben.
Die 380 Millionen Euro für die eigentlichen Maßnahmen sind vor allen Dingen durch über 100 Millionen
Euro für Personalausgaben des BMG und seiner nachgelagerten Häuser, also im Regelfall Institute, geprägt.
Gegen den Trend - auch das wurde schon von der
Frau Ministerin erwähnt - werden im Rahmen des Konzeptes „RKI 2010“ im Haushalt des Robert-KochInstituts - das hat eine hohe Reputation und stellt sozusagen das deutsche Leitinstitut für die Gesundheitsvorsorge und -fürsorge dar - 49 neue Stellen ausgewiesen.
Das geschah in Abstimmung mit uns Haushältern, weil
wir davon überzeugt sind, dass das zum Beispiel wegen
steigender Infektionsgefahren, Pandemieszenarien oder
sich entwickelnder Antibiotikaresistenzen fachlich notwendig ist.
Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Danke schön. - Das RKI muss also besser ausgestattet werden; dazu gibt es keine Alternative.
Ganz zum Schluss möchte ich mit Ihrer Zustimmung
noch einen Gedanken in aller Kürze bringen.
Aber wirklich in aller Kürze, Herr Kollege.
Ja. - Mich beschäftigt noch die Errichtung der
DAMA. Wir hoffen, dass wir hier vorankommen. Wir
wissen, dass die Überführung des BfArM in die DAMA
insbesondere für die Evaluierung neuer Medikamente
wichtig ist.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bin eigentlich guten Mutes, dass wir in der Gesundheitspolitik
gut vorankommen. Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann, FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich möchte zunächst einmal dem Versuch der
Geschichtsklitterung entgegentreten, den die Gesundheitsministerin unternommen hat, als sie sagte, von der
FDP sei zur Pflege in den letzten Jahren nichts gekommen.
({0})
Wir werden Ihnen also alle unsere Anträge noch einmal
zusenden. Wir werden Sie auch insbesondere an unseren
Antrag zur Entbürokratisierung erinnern. Darin finden
Sie eine Menge Handlungsanweisungen, um die Sie sich
übrigens vor drei Jahren, als der damalige Prüfbericht
noch schlimmere Mängel als der jetzige aufwies, auch
schon hätten kümmern können. Wo waren Sie denn damals? Was haben Sie eigentlich damals gemacht?
({1})
Sie sind jetzt fünf Jahre im Amt. Auch mit Stimmen
Ihrer Fraktion wurden schon vor Jahren unsere Vorschläge zur Durchführung unangemeldeter Kontrollen
abgelehnt. Jetzt tun Sie so, als hätten Sie das Rad neu erfunden.
Erst nach fünf Jahren im Amt ist Ihnen nun endlich
einmal eingefallen, eine Kommission einzusetzen, die
den Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert. Das
schafft diese Kommission aber natürlich nicht vor November 2008. Das hat zur Folge, dass Sie jetzt im Gesetz
Leistungsverschiebungen vornehmen, ohne wirklich einen neuen Begriff an der Hand zu haben. Nachdem Ihre
Bilanz in der Pflegepolitik dermaßen traurig aussieht,
sollten Sie sich da lieber zurückhalten.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat gestern die Gesundheitspolitik in ihrer Rede völlig ausgespart. Das war sehr klug.
Wer reitet denn schon gerne freiwillig in den Sumpf? In
ihren Aussagen zur Pflege hat sie sich darauf beschränkt,
den Pflegekräften zu danken. Das tun wir alle in diesem
Hause, nicht nur für die eigene Fraktion, wie Herr Zöller.
Sie, Herr Kollege Zöller, wirkten mir übrigens früher irgendwie authentischer; aber das ist eine andere Frage.
({3})
Wir alle in diesem Hause danken also den Pflegekräften.
Selbstverständlich haben wir auch bemerkt, dass die
Bundeskanzlerin ein Eigenlob vorgenommen hat, das
ich aufgrund des Zusammenhangs mit der Pflegepolitik
hier zitieren möchte. Es lautete:
Der Erfolg dieser Bundesregierung besteht darin,
dass wir nichts versprochen haben, was wir nicht
halten konnten, und die Dinge so gemacht haben,
dass sie am Ende im Zweifel besser waren.
Da denkt man natürlich an den Koalitionsvertrag, in dem
steht:
Um angesichts der demografischen Entwicklung
sicherzustellen, dass die Pflegebedürftigen auch in
Zukunft die Pflegeleistungen erhalten, die sie für
eine ausreichende und angemessene Pflege zu einem bezahlbaren Preis brauchen, ist die Ergänzung
des Umlageverfahrens durch kapitalgedeckte Elemente als Demografiereserve notwendig.
({4})
Nichts davon findet sich in den Eckpunkten, nichts davon im Referentenentwurf, nichts davon in den Beschlüssen von Meseberg für die restliche Zeit der
Zwangsehe dieser Großen Koalition. Sie haben schlichtweg versagt.
Wenn Sie wissen wollen, wie es geht, empfehle ich
Ihnen, den Beschluss zu lesen, der vom Bundesparteitag
der FDP in Stuttgart im Juni dieses Jahres einstimmig
verabschiedet worden ist. Da steht sowohl zur Finanzierung als auch zu allen anderen Fragen der Pflege das
drin, was Sie umsetzen könnten, damit aus Ihnen doch
noch eine erfolgreiche Ministerin wird, liebe Frau
Schmidt.
({5})
An jedem einzelnen Tage, an dem das Umlagesystem
beibehalten wird, wird - hieran werden dessen massive
finanziellen Auswirkungen deutlich - eine Zukunftsschuld von fast 50 Cent pro Betroffenen und Tag aufgebaut; es wird dann alles umso teurer für die jüngeren Generationen.
({6})
Wenn Sie das einmal nachrechnen, kommen Sie bei einer mittleren Bevölkerungsentwicklung pro Tag auf einen Betrag von 29 Millionen Euro. Wenn Sie das mit
365 multiplizieren - Frau Ferner, Sie hatten es schon das
letzte Mal nicht verstanden -, dann kommen Sie auf
mehr als 10 Milliarden Euro im Jahr.
({7})
Wenn die Umstellung auf ein kapitalgedecktes und prämienfinanziertes System, wie wir es vorschlagen, statt
Anfang 2008 frühestens 2011 stattfindet, dann kommt
man auf eine Summe von 30 Milliarden Euro. Das sind
Schulden. Das ist die wahre Bilanz dieser Koalition und
der Gesundheitsministerin. Wenn ich „Schulden“ sage,
dann klingt das nicht nur wie Schuld. Die junge Generation wird dies auch so empfinden.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lauterbach?
Aber selbstverständlich.
({0})
- Natürlich auch dann, wenn er heute keine Fliege trägt.
Herr Lanfermann, glauben Sie, dass sich die wirtschaftlichen Probleme des Umlagesystems, die Sie hier
beklagen, leichter lösen lassen, wenn man Ihren Vorschlägen folgt, wenn, wie Sie es für richtig halten, keine
Steuermittel in dieses System fließen und sich die Einkommensstärksten an diesem System nicht beteiligen,
oder sind Sie mit mir der Meinung, dass Sie die Probleme, die Sie hier beklagen, selbst verursachen,
({0})
indem Sie sich dagegen sperren, dass Steuermittel in das
System fließen, und indem Sie dafür sorgen, dass sich
die 10 Prozent der Bevölkerung, die die höchsten Einkommen haben und über 30 Prozent des Gesamteinkommens und 50 Prozent des Gesamtvermögens verfügen,
an diesem Solidarsystem nicht beteiligen?
({1})
Sie sind es doch, die das Solidarsystem schwächen und
dann dessen Schwäche beklagen. Sie verurteilen die Opfer Ihrer eigenen Politik.
({2})
Herr Kollege, Sie müssen bitte stehen bleiben.
Lieber Kollege Lauterbach, erstens einmal sind Ihre
Zahlen völlig falsch, weil die Beamten, die überwiegend
gar nicht viel verdienen, in der Gruppe der Privatversicherten enthalten sind; das ignorieren Sie immer. Im Übrigen ist es so, dass die Pflegeversicherung selbst dann,
wenn alle Mitglied des Umlagesystems wären, letztlich
zu genau demselben Zeitpunkt zusammenbrechen
würde, wie das jetzt prognostiziert wird, und die Beiträge bis 2045 bzw. 2050 auf mindestens 4 bis 4,5 Prozent - wahrscheinlich eher auf mehr als 6 Prozent - steigen würden, um das zu verhindern.
({0})
Das ist kein wirtschaftliches Problem, wie Sie behauptet
haben. Das ist ein demografisches Problem und lässt
sich leicht ausrechnen.
Es geht hier um die grundsätzliche Frage, ob man ein
Umlagesystem will - auch eine Bürgerversicherung
wäre nur ein Umlagesystem - oder ob man ein kapitalgedecktes System einführt, bei dem das Geld mündelsicher angelegt wird - um auch diese Frage mitzubeantworten -, damit im Prinzip jeder Mensch auf Dauer für
seine eigenen Pflegekosten im Rahmen einer Versicherung aufkommen kann.
({1})
Dabei muss natürlich der Beitrag der sozial Schwächeren finanziert werden.
Es stimmt auch nicht, dass wir dagegen seien, Steuermittel in das System fließen zu lassen. Bei einer sinnvollen Umstellung auf ein kapitalgedecktes System, die wegen der Größe des Projekts nur über einen längeren
Zeitraum, also innerhalb von 20 bis 30 Jahren, erfolgen
kann - denn die Generationen müssen hineinwachsen -,
sind auch Steuermittel nötig; das wissen wir sehr wohl.
Welchen Umfang diese haben müssen, wird auch angesichts der Frage zu verhandeln sein, welche Beiträge
welchen Jahrgängen unter Beachtung der Rückstellungen und der Zukunftsvorsorge zuzumuten sind. Das ist
das Zukunftsweisende an diesem System. - Danke
schön.
({2})
Im Referentenentwurf ist völlig unklar, wie die Pflegestützpunkte gestaltet werden sollen. Das ist ein neues
Schlagwort; es wird verkauft wie das Paradies. Es
scheint manchmal aber eher wie eine Fata Morgana zu
sein. Die Finanzierung liegt völlig im Nebel. Wenn Sie
nicht aufpassen, dann ist das die Keimzelle einer neuen
überbordenden Bürokratie: Jeder berät jeden; jeder kontrolliert jeden. Aber wer kümmert sich am Ende um die
Pflegebedürftigen?
({3})
Ich habe den Verdacht: Das wird eher zum Bermudadreieck als zum Paradies. Sie haben hier einige Forderungen an die Pflegekassen und Krankenkassen, an die
Träger von Alten- und Sozialeinrichtungen sowie an die
Länder und Kommunen gestellt. Da steht dann, dass sie
angesprochen werden sollen, sich an der Finanzierung
zu beteiligen. In diesem Entwurf und in der Begründung
stehen völlig naive Sätze, als hätte es die FöderalismusHeinz Lanfermann
reform nicht gegeben und als lebten wir im französischen Zentralstaat. Sie können doch nicht einfach behaupten, die Länder und Kommunen würden sich dann
mit riesig hohen Millionenbeträgen - am Ende werden
es hunderte Millionen sein - beteiligen.
Ein Letztes. Eine Vorratsbeitragserhebung ist nicht im
Sinne eines Umlagesystems. Anderswo versuchen Sie,
die Beiträge zu drücken; hier nehmen Sie 0,25 Prozentpunkte mehr, als Sie brauchen, um in den nächsten zwei
bis drei Jahren praktisch auf Vorrat Geld anzuhäufen, damit die nächste Reform erst 2013 oder 2014 notwendig
sein wird; das kann ich mathematisch nachvollziehen. Es
ist aber nicht redlich und auch nicht im Sinne des Gesetzes. Wenn die Große Koalition damit das Ziel verfolgt,
auch durch die übernächste Wahl zu kommen, dann
macht die Aktion natürlich Sinn.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Es wurde schon mehrfach gesagt, aber ich möchte es
noch einmal betonen - Frau Ministerin, Sie haben vollkommen recht -: In Deutschland organisieren wir eines
der besten Gesundheitssysteme der Welt, vielleicht sogar
das beste.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle
allen herzlich zu danken, die daran beteiligt sind: den
Kassen, der Pharmaindustrie und allen Übrigen. Insbesondere möchte ich einmal den Leistungserbringern
Danke sagen: den viel geschmähten Ärzten, den Krankenschwestern, den Apothekern und den Physiotherapeuten. Sie leisten tagtäglich hervorragende Arbeit. Ihnen geht es nicht immer nur um den eigenen Geldbeutel,
sondern es wird mit viel Berufsethos gearbeitet. Dafür
herzlichen Dank.
({0})
Ich will aber auch erwähnen, dass viele Bürgerinnen
und Bürger bereits heute viel für die eigene Gesundheitsvorsorge tun, indem sie sich für eine gesunde Lebensweise entscheiden. Dazu gibt es ein wunderschönes
Zitat des bekannten Gesundheitspfarrers Sebastian
Kneipp, der einmal gesagt hat:
Wer nicht jeden Tag etwas Zeit für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für
die Krankheit opfern.
Mir gefällt dieses Zitat so gut, weil es sich wunderbar
auf unsere Beratung in dieser Woche in diesem Hohen
Hause übertragen lässt: Wer nicht jedes Jahr ernsthaft
um einen soliden Haushalt ringt, der muss eines Tages
sehr viel Geld für Zins und Tilgung aufbringen. Es ist die
Leitlinie von uns Haushaltspolitikern, dementsprechend
zu handeln. So gehen wir auch an diesen Etat heran.
Frau Ministerin, ich möchte Ihren Etatentwurf ausdrücklich loben. Der Einzelplan 15 ist ein Sparhaushalt;
denn rechnet man den Zuschuss an die GKV in Höhe
von 2,5 Milliarden Euro ab, verbleiben 380 Millionen
Euro; das sind 40 Millionen Euro weniger als im Vorjahr. Dies bedeutet eine Sparquote von immerhin
1,4 Prozent. Das ist respektabel.
({1})
Wir haben vorhin über die Familienförderung diskutiert. Wenn wir in einzelnen Bereichen Ausgabenzuwächse wollen, dann müssen wir in anderen Etats
sorgsam bemüht sein, unseren Konsolidierungskurs zu
halten; dies gilt auch für den Gesundheitsetat.
Ich habe bereits vom Zuschuss an die GKV gesprochen. Dieser Zuschuss in Höhe von 2,5 Milliarden Euro,
der in den kommenden Jahren Zug um Zug, Jahr für
Jahr, bis auf 14 Milliarden Euro anwachsen wird, bereitet uns Haushältern ein lachendes und ein weinendes
Auge:
({2})
ein lachendes Auge, weil es durchaus richtig ist, die
Ausgaben für gesamtgesellschaftliche Aufgaben zunehmend aus Steuermitteln zu bestreiten - das liegt ganz auf
der Linie unserer Fraktion -, ein weinendes Auge, weil
wir in den kommenden Jahren die Finanzierung dieses
immer größer werdenden Postens im Haushalt leisten
müssen.
Damit wächst der Anteil der Sozialausgaben an unserem Gesamthaushalt erheblich. Ich möchte mich an
die Linke wenden - ich habe die gestrige unsägliche
Rede des Herrn Lafontaine noch im Ohr - und kurz aufzeigen, wie sich diese Ausgaben entwickelt haben. 1989
lag die Sozialausgabenquote bei 33,7 Prozent; das war
etwa ein Drittel des Haushalts. 2007 geben wir von rund
270 Milliarden Euro etwa 140 Milliarden Euro allein für
Soziales aus; das ist mehr als die Hälfte. Es gab also bei
abnehmender Investitionsquote einen Aufwuchs von einem Drittel auf mehr als die Hälfte des Gesamthaushalts.
2008 wird sich dieser Trend weiter verfestigen. Wer angesichts dessen von sozialer Kälte, vom Abbau des Sozialstaats spricht, der verkennt die Wirklichkeit, der betreibt bewusst Desinformation. Das nenne ich schändlich.
({3})
Lassen Sie mich zum Einzelplan 15 zurückkommen.
Der größte Posten in diesem Haushalt ist der Personaletat mit 119 Millionen Euro. Wir Haushälter schauen
immer sorgsam auf die Personaletats. Ich muss an dieser
Stelle feststellen, dass wir in den vergangenen Jahren
hinsichtlich der Sparbemühungen auf diesem Feld Gro11654
ßes geleistet haben, inzwischen aber an die Grenze dessen gestoßen sind, was noch möglich ist. Wir Haushälter
tragen deshalb den Regierungskurs mit, dass die pauschale Kürzung auf 0,75 Prozent zurückgenommen werden soll.
Frau Ministerin, das Gesundheitsressort ist ein Paradebeispiel dafür, dass man hier nicht nur pauschal vorgehen darf, sondern dies gezielt und differenziert tun muss;
denn gerade im Gesundheitsbereich - im Gesundheitsministerium und in nachgeordneten Behörden ({4})
sind viele hochspezialisierte Fachleute beschäftigt. Einen Arzt, eine Ärztin, einen Apotheker, einen Chemiker
oder eine Labormitarbeiterin kann man nicht einfach
durch einen Juristen oder eine Verwaltungssachbearbeiterin ersetzen. Deshalb sind wir dort an Grenzen angelangt und tragen auch den beim RKI vorgesehenen Personalaufwuchs mit. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir
dieses Institut als das zentrale öffentliche Gesundheitsinstitut stärken wollen, daher müssen wir auch etwas dafür
tun und dafür an anderer Stelle Personal einsparen.
({5})
Lassen Sie mich noch einen weiteren Bereich ansprechen, den mein Kollege Ewald Schurer bereits genannt
hat - wir sind uns hinsichtlich des roten Fadens unserer
Gesundheitspolitik meistens weitestgehend einig -,
nämlich die Überführung des BfArM in die sogenannte
DAMA, die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur. Ich denke, auf dem Weg hin zu dieser
Agentur sind noch viele offene Fragen zu klären. Das
Gesetzesvorhaben muss an bestimmten Stellen noch abgestimmt werden.
Unsere Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker will ich
an dieser Stelle nochmals ermuntern, sich von zwei Leitlinien leiten zu lassen: Einerseits muss aus der Umformung mittelfristig ein Gewinn für den Haushalt resultieren - es muss also ein Einsparvolumen geben -,
({6})
andererseits muss die Leistung besser werden.
({7})
Wenn sich hinterher keine besseren Leistungen ergeben,
dann braucht man auch nichts umzubauen.
Deshalb unterstützen wir die Ministerin darin, dass
sie mit diesem Vorhaben versucht, Deutschland wieder
dahin zu bringen, wo es einmal war, nämlich sozusagen
die Apotheke der Welt zu sein. Das müssen wir wieder
erreichen, das müssen wir schaffen; denn das ist ein Bestandteil unseres guten Gesundheitswesens. Deshalb unterstützen wir sie darin. Ihre Kollegin Annette Schavan
macht mit ihrer Pharma-Forschungsinitiative ebenfalls
einen Schritt in die gleiche Richtung. Das passt gut zusammen.
Ein Letztes. Ich hoffe sehr, dass die elektronische
Gesundheitskarte demnächst eingeführt werden kann.
Ich hoffe, dass noch in diesem Jahr die entsprechenden
Tests ablaufen können, sodass wir diese Karte noch in
dieser Periode flächendeckend wirklich einführen können;
({8})
denn wir versprechen uns von der elektronischen Gesundheitskarte enorme Effizienzgewinne. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Bedenkenträger und Verhinderer,
die in diesem Lande unterwegs sind, dem guten Ganzen
eines Tages beugen und ihre Widerstände aufgeben.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
({9})
Ich gebe dem Kollege Ilja Seifert, Fraktion Die Linke,
das Wort.
({0})
Frau Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich mir die
Pflegesituation ansehe, dann komme ich mir vor wie in
einer schizophrenen Lage.
({0})
Einerseits ist die Not so groß, dass man sofort radikal
helfen muss. Wenn mehr als ein Drittel der pflegebedürftigen Menschen Hunger und Durst haben muss - amtlich
bestätigt - und noch mehr an Dekubitus, also an Druckgeschwüren, erkranken, wodurch nicht wenige von ihnen unter großen Schmerzen sterben, dann muss sofort
etwas getan werden. Andererseits weiß jeder, der sich
ein bisschen damit befasst, dass eigentlich eine ganz
langfristige und vernünftige Konzeption bzw. Strategie
erforderlich ist.
Was tut die Bundesregierung? - Flickschusterei.
({1})
- Ich würde gerne einmal wissen, wo da eine Strategie
sein soll. Wenn sie eine Strategie hätte und ich wüsste, in
welche Richtung es geht, dann könnte ich mich immer
noch darüber beklagen, dass die Schritte in die entsprechende Richtung zu kurz sind. Aber momentan machen
Sie irgendwelche Schritte in irgendeine Richtung, und
keiner weiß, wohin sie führen. Das ist das Problem, vor
dem wir stehen.
Sie sagen, wir machen ein wenig für Demenzkranke
und richten Pflegestützpunkte ein. Aber erst nächstes
Jahr wollen Sie sagen, was für Sie Pflege eigentlich ist.
Ich hätte gerne die Definition von Pflege und nicht die
Definition von Pflegebedürftigkeit. Ich will also nur wissen, was Sie unter Pflege verstehen.
({2})
Ich sage Ihnen: Pflege ist gar nicht so schwer zu definieren. Was wir brauchen, ist die Ermöglichung einer
assistierten Teilhabe. Es muss auch dann eine Teilhabe
möglich sein, wenn man inkontinent ist oder wenn man
ständig auf Begleitung und auf Assistenz angewiesen ist.
Das muss das Ziel einer vernünftigen Pflegepolitik sein.
Deswegen rede ich sehr gerne über Assistenz.
Wenn Sie diese Richtung nicht vorgeben, dann kann
natürlich niemand von Ihren Beamtinnen und Beamten
etwas Vernünftiges dazu aufschreiben; denn er bzw. sie
wissen ja nicht, in welche Richtung es gehen soll. Wir
brauchen deshalb eine vernünftige Konzeption. Ich habe
schon die Ermöglichung einer assistierten Teilhabe erwähnt. Danach müssen wir noch über die notwendigen
Schritte reden.
Sie haben nun die Pflegestützpunkte sowie die Funktion der Pflegebegleiterin und Pflegebegleiter erfunden.
Ein Lob möchte ich Ihnen gerne aussprechen: Es ist
schön, dass Sie wenigstens ein deutsches Wort gefunden
haben. Das ist immer noch besser als Fremdwörter wie
Case-Manager. Wenn ich aber höre, was diese alles machen sollen, dann kommen sie mir wie Vormünder vor.
Das möchte ich nun ganz und gar nicht. Ich möchte - das
ist ganz wichtig - die Ermöglichung einer selbstbestimmten assistierten Teilhabe. Das ist etwas anderes.
({3})
Lassen Sie uns darüber reden, wie wir die jetzt vorhandenen Strukturen viel besser nutzen können. Wir
müssen die Selbsthilfeorganisationen in die Lage versetzen, beispielsweise die Menschen beraten zu können,
deren Angehörige plötzlich auf Pflege und Assistenz angewiesen sind. Es gibt hervorragend arbeitende Selbsthilfeorganisationen mit viel Erfahrung, die das alles für
quasi nichts am Küchentisch machen. Drücken Sie denen ein paar Euro dreißig in die Hand, damit sie ihre Telefonkosten bezahlen können und die Möglichkeit haben, jemanden zu Hause aufzusuchen und zu beraten!
Unterstützen Sie diese Organisationen auf Dauer und erfinden Sie keine neuen Strukturen, die zwar unheimlich
gut klingen, aber nur eine neue Bürokratie werden! Sie
sind, wie bereits vorhin angedeutet, genauso überflüssig
wie die sogenannten gemeinsamen Servicestellen nach
SGB IX.
Es wird sich erweisen, dass pflegende Assistenz Teilhabe so ermöglicht, wie es der Würdebegriff des Grundgesetzes gebietet. Lassen Sie uns daran arbeiten! Wenn
dann eines Tages im Haushalt des Einzelplans, über den
wir jetzt reden, etwas zum Stichwort Pflege enthalten
sein sollte, dann würde ich das nicht schlecht finden.
Vielen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jella Teuchner,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich die Zahlen des Einzelplanes 15 anschaut,
kann man feststellen, dass es durchaus gelungen ist, einen Haushalt aufzustellen, der den vielfältigen Aufgaben
des Ministeriums gerecht wird.
Den größten Teil dieses Haushaltes macht die pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen
für gesamtgesellschaftliche Aufgaben in Höhe von
2,5 Milliarden Euro aus. Das sind die sogenannten versicherungsfremden Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich darf daran erinnern, dass diese
pauschale Abgeltung 2006 noch 4,2 Milliarden Euro betragen hat. Das weist darauf hin, dass wir mitten in einem Reformprozess auf der Finanzierungsseite sind, der
die Richtung zu mehr Transparenz und mehr Vertragsfreiheit weist. Die Regierungsfraktionen wollen mit dieser teilweisen Abkopplung der Sozialbeiträge von den
Arbeitnehmerentgelten und einer stärkeren Steuerfinanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung bessere
Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen schaffen.
Lassen Sie mich bitte aus der Vielzahl der gesundheitspolitisch relevanten Maßnahmen und Themen den
finanziellen Aufgabenschwerpunkt Prävention herausnehmen, dessen hohen Stellenwert ich hier ganz besonders betonen möchte.
Für die allgemeine gesundheitliche Aufklärung wird
im Vergleich zum letzten Haushalt im Haushalt 2008
eine um 0,7 Millionen Euro höhere Summe veranschlagt, nämlich 6,4 Millionen Euro. Dies macht deutlich, dass die Prävention ein fester und selbstverständlicher Teil unseres Lebens werden muss.
({0})
Es geht um jede vermiedene Krankheit; denn das bedeutet nicht nur mehr Lebensqualität für den Betroffenen,
sondern wirkt sich auch hinsichtlich der Finanzierbarkeit
des Gesundheitswesens vorteilhaft aus.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen
- erfreulicherweise - immer länger leben und - leider immer weniger junge Menschen nachkommen. Jedem
Einzelnen soll es besser gehen. Das Bemühen, Krankheiten zu vermeiden, liegt vor allen Dingen im Interesse der
Menschen, es wirkt sich aber auch auf unsere Finanzen
aus. Ein Mensch, der gesund ist, hat viel Kraft, und es
geht ihm insgesamt besser. Genau das sollten wir fördern.
Daher ist es so immanent wichtig, dass jede Bürgerin
und jeder Bürger so lange fit bleibt, wie es nur eben geht.
Investitionen in Prävention und Gesundheitsförderung
sind wichtige und notwendige Zukunftsinvestitionen.
Sie liegen nicht nur im Interesse der Gesundheit des Einzelnen, sondern auch im Interesse der Gesellschaft; denn
wir stehen im Wettbewerb mit Ländern, deren Gesellschaften im Schnitt jünger sind.
Für die Kampagne für das Präventionsgesetz stehen
2,5 Millionen Euro zur Verfügung. Erstmalig sind für
den Aktionsplan Gesundheitliche Prävention durch
Ernährung und Bewegung, der gemeinsam mit dem
BMELV betrieben wird, 5 Millionen Euro ausgewiesen.
Ich will an dieser Stelle auch noch auf die medizinische Rehabilitation hinweisen. Die Kurbeherbergungsbetriebe leisten einen enormen Beitrag, wenn es um die
Genesung von Kranken und die Stärkung der Gesundheit
geht. Das können Sie mir glauben. Das bayerische Bäderdreieck liegt direkt vor meiner Tür.
({1})
- Ja. Wir tauschen uns da aus. Auch in anderen Bundesländern gibt es schöne Kurbeherbergungsbetriebe. Damit
sollten jetzt alle genannt worden sein.
({2})
Ich bin sehr dafür, dass wir diesen Bereich ausbauen.
Wenn wir den Präventionsbereich nicht ausbauen, steht
zu befürchten, dass die gesundheitlichen, sozialen und
volkswirtschaftlichen Schäden ungleich schwerer werden als angenommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass
wir uns auf einem guten Weg befinden, dass Prävention,
Behandlung, Rehabilitation und Pflege künftig gleichrangig nebeneinander stehen können.
Neben der Prävention liegt mir die Aufklärungsarbeit am Herzen. Wie unverzichtbar diese Arbeit ist,
kann man an der Entwicklung von HIV/Aids sehen. Im
letzten Jahr sind hierzulande so viele neue Aidsinfektionen registriert worden wie noch nie seit 1993. Die Zahl
der HIV-Neudiagnosen stieg 2006 um 4 Prozent auf
2 611, so neue Zahlen des Robert-Koch-Instituts. Ich
meine, dass Aids für zu viele der nachwachsenden Generationen nur noch eine Krankheit der Dritten Welt ist,
weil sie die erfolgreichen Aufklärungskampagnen der
90er-Jahre nicht mitbekommen haben. Das macht mir
Sorgen. Wir müssen daher weiterhin in diesen Bereich
investieren. Prävention ist das einzige Mittel, das wirklich hilft. Bisher gibt es keine Heilung dieser tödlichen
Krankheit, sondern nur ein Überleben mit vielen Medikamenten. Für den Kampf gegen Aids stehen daher mehr
Mittel als im Vorjahr zur Verfügung. Dieses Problem
wird von uns nach wie vor ernst genommen.
({3})
Ähnliches gilt für den Drogen- und Suchtbereich.
Hier muss die erfolgreiche Politik fortgesetzt werden.
Zur Bekämpfung des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs werden Mittel auf dem hohen Vorjahresniveau
veranschlagt: Für Aufklärungsarbeit stehen 9,2 Millionen Euro zur Verfügung, und für Modellmaßnahmen im
Bereich Drogen- und Suchtmittelmissbrauch stehen
3,8 Millionen Euro zur Verfügung. Ein großer Teil davon entfällt auf die erfolgreichen Aufklärungsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung,
die sich vor allen Dingen an junge Menschen wenden,
um bei ihnen eine Verhaltensänderung zu erreichen.
Die Zahl derjenigen, die von den sogenannten legalen
Drogen, Tabak, Alkohol und Medikamenten, abhängig
sind, steigt. Auch das ist ein gesellschaftliches Problem,
das ernst genommen wird. Ich darf nur eine Zahl nennen: Allein bis zu 1,9 Millionen Menschen in Deutschland sind medikamentenabhängig, darunter viele Frauen
und ältere Menschen.
Die Besteuerung und Steuererhöhungen bei Tabak
und Alkohol haben eindeutig eine Lenkungsfunktion,
die von guter Aufklärungsarbeit begleitet werden muss.
Bei allen Einzelfragen, die wir in der nächsten Zeit regeln müssen, geht es um den Schutz vor Krankheiten,
um eine optimale Versorgung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit und vor allem darum, dass sich die Menschen in unserem Lande sicher fühlen. Ich glaube, diesem Anspruch wird unser Haushalt gerecht.
Danke schön.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth
Scharfenberg, Bündnis 90/Grünen.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit ein paar Tagen liegt ein Referentenentwurf zur Pflegereform vor. Sie werden es
nicht glauben, Frau Ministerin, ich finde in Ihrem Gesetzentwurf einige wirklich gute Ansätze.
({0})
Wir Grünen haben unsere Vorschläge zur Reform der
Pflegeversicherung schon im September 2006 vorgelegt.
Offensichtlich haben Sie unsere grünen Vorschläge sehr
gut und aufmerksam gelesen. Denn einiges finden wir in
Ihrem Entwurf wieder. Vielen Dank dafür.
({1})
Ich erkenne Ihre Bemühungen zur Verbesserung der
Pflegequalität ausdrücklich an. Ich verstehe nur nicht,
warum noch in monatelangen Verfahren und Kommissionen Standards und Qualitätskriterien entwickelt werden müssen. Das kann und muss schneller gehen. Wir
haben kein Erkenntnisproblem, Frau Ministerin, wir haben ein Umsetzungsproblem.
({2})
Lieber Kollege Zylajew und liebe Frau WidmannMauz, ich höre schon Ihre mahnenden Stimmen, das
hätte Rot-Grün in den sieben Regierungsjahren doch
umsetzen können.
({3})
Es stimmt - das muss ich hier sagen -: Es gab unter RotGrün keine Pflegereform. Trotzdem werden wir uns weiter an der Debatte beteiligen. Sie wissen: Es reicht nicht,
den Finger nur in rot-grüne Wunden zu legen. Jetzt haben wir die Halbzeit der Großen Koalition, und Sie sind
dran, nicht nur zu meckern, sondern zu zeigen, was Sie
draufhaben.
({4})
Apropos draufhaben, liebe Fachkolleginnen und
Fachkollegen im Bereich Pflege: Bitte bringen Sie Ihrem
jungen Gesundheitspolitiker Spahn das kleine Einmaleins der Pflegepolitik bei!
({5})
Dann müssen wir uns zukünftig nicht mehr die schnöseligen und unqualifizierten Kommentare von Herrn
Spahn
({6})
zu Leistungen, Finanzierung und Pflegeurlaub, wie wir
sie heute im Tagesspiegel lesen konnten, antun.
Frau Ministerin, zurück zu Ihrem Entwurf. Gute Reformansätze im Sinne der Pflegebedürftigen und ihrer
Angehörigen - darum geht es doch eigentlich bei der
Pflegereform, oder irre ich mich? Das Gemeckere der
Unionspolitiker in den letzten Tagen lässt mich allerdings etwas daran zweifeln. Von der Union höre ich nur:
Da ist zu viel Bürokratie, das ist zu teuer, und bloß die
Finger weg von der privaten Pflegeversicherung. Da fragen wir Grünen uns, und, ich glaube, auch einige von der
SPD hier im Haus sich,
({7})
wessen Interessen Sie denn eigentlich vertreten. Schauen
Sie sich lieber einmal Ihren Gesetzentwurf an und sorgen Sie dafür, dass einige der durchaus guten Ansätze im
Sinne der Betroffenen umgesetzt werden - und das bitte
schnell.
({8})
Ich will Ihnen am Beispiel der Pflegezeit deutlich
machen, was ich damit meine. Auch wir wollen eine gesetzliche Pflegezeit. Sie wollen damit die Übernahme
von Pflege durch nahe Angehörige erleichtern. Diese
Zielsetzung halten wir für grundsätzlich falsch. Wenn
wir die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf fördern wollen, müssen wir Angehörige dabei unterstützen, Pflege
zu organisieren, nicht, sie zu übernehmen.
({9})
Sonst besteht die Gefahr, dass die Angehörigen aus der
Pflegezeit dauerhaft in die Pflege hineinrutschen. Bei Ihnen wird die Pflegezeit zum Einstieg in den Berufsausstieg;
({10})
das gilt vor allem für die pflegenden Töchter und
Schwiegertöchter.
Der bezahlte Pflegeurlaub an sich ist als Ansatz nicht
übel.
({11})
Aber ein zehntägiger Pflegeurlaub ist einfach zu wenig,
um gute Pflege zu organisieren. Das reicht gerade für
eine erste Bestandsaufnahme der Situation. Eine unbezahlte Pflegezeit von sechs Monaten können sich nur
Besserverdienende leisten. Wer kann es sich schon ohne
Weiteres erlauben, bis zu sechs Monate auf sein Gehalt
zu verzichten und zu Hause zu bleiben?
({12})
Da frage ich mich wirklich: In welcher Realität leben
Sie?
Wir Grünen sagen: Drei Monate Pflegezeit reichen,
um eine gute Pflege zu organisieren. In dieser Zeit sollen
die Beschäftigten eine steuerfinanzierte Lohnersatzleistung von bis zu 1 000 Euro pro Monat erhalten.
({13})
Zu den geplanten Pflegestützpunkten und Pflegebegleitern. Ich finde den Grundgedanken wirklich gut. Die
Betroffenen brauchen die Möglichkeit der individuellen
Begleitung und Beratung. Das können nur unabhängige
und neutrale Personen leisten. Es geht hierbei um ein
Vertrauensverhältnis, das tief in die Privatsphäre hineinreicht.
Laut Ihrem Entwurf sollen die Pflegebegleiter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflegekassen sein. Ich
frage Sie: Wie sollen diese Mitarbeiter als Angestellte
der Kassen im Sinne der Betroffenen neutral und unabhängig handeln? Dieser Spagat kann nicht funktionieren.
Hier müssen Sie sich eine andere Lösung überlegen.
({14})
Sonst verkommt dieser gute und innovative Ansatz zu
einem reinen Kontroll- und Kostensparinstrument.
Zum Schluss noch ein Wort zu einem anderen Thema.
Dass Sie bei der Finanzreform komplett versagt haben,
wissen Sie selbst am besten. All Ihre Leistungsverbesserungen, ob sinnvoll oder nicht, sind und bleiben ungedeckte Schecks. Weder wird die angekündigte Demografiereserve eingeführt, noch wird der Finanzausgleich
zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung
umgesetzt - nicht einmal ansatzweise. Es geht hier um
eine Pflegereform, nicht um die Verschlimmbesserung
der jetzigen Situation.
Frau Kollegin, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr.
Ja. - Es gibt gute Ansätze. Setzen Sie also Ihre ideologischen Scheuklappen ab und handeln Sie jetzt im
Sinne der Betroffenen!
Vielen Dank.
({0})
Letzter Redner in der Debatte zu diesem Haushalt ist
der Kollege Jens Spahn, CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte auf das eine oder andere, was gesagt worden
ist, eingehen. Lieber Kollege Spieth, als ich Ihnen zugehört habe, habe ich mich gefragt: Ist denn schon Weihnachten? Sie haben gesagt, dass Sie einen zusätzlichen
Steuerzuschuss von 1,7 Milliarden Euro für die Krankenversicherung und 1 Milliarde Euro für die Prävention
wollen. Außerdem haben Sie uns aufgefordert, mehr in
die Krankenhäuser zu investieren und Zuzahlungen zu
streichen. Allerdings haben Sie nicht ein Wort darüber
verloren, wie Sie das bezahlen wollen.
({0})
Falls Ihr Fraktionsvorsitzender bei seinen Ausflügen
zu seinen kommunistischen Freunden auf Kuba einen
Schatz gefunden hat, mit dem Sie all das bezahlen können, lassen Sie uns das wissen. Aber allen alles zu
versprechen - nach dem Motto: Freibier für alle! -, ohne
zu sagen, wie das bezahlt werden soll, das ist ein bisschen billig.
({1})
Zu den einzelnen Positionen des Haushalts wurde
schon vieles gesagt. Mir ist wichtig, dass der Haushaltsansatz für die Bekämpfung von HIV/Aids im Bereich
der Prävention weiterhin auf dem hohen Niveau von
12 Millionen Euro verbleibt. Damit stellen wir uns den
Herausforderungen steigender Infektionsraten. Zugleich
aber - deswegen bin ich froh, dass Bundesministerin
Schavan schon hier ist - zeigt sich unser Schwerpunkt
hier daran, dass wir auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung zusätzliche Anstrengungen unternehmen. Wir
stärken also die Kompetenzen, die wir bei der Bekämpfung von HIV/Aids, aber auch in anderen Bereichen haben.
Insbesondere im Zusammenhang mit Demenz werden
wir uns mehr als bisher im Forschungsbereich engagieren; das ist unser Plan für die Zukunft. Dadurch kann es
gelingen, dass wir einen Großteil der prognostizierten
Kosten, die infolge demenzieller Erkrankungen auf unsere Gesellschaft zukommen werden, und - das ist noch
viel wichtiger - viele Schicksalsschläge für Familien
vermeiden.
Herr Kollege Spahn, der Herr Kollege Spieth würde
gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Bitte schön.
Herr Kollege Spahn, auf Kuba spielt nicht so sehr
Bier eine Rolle, sondern eher Rum; das gebe ich Ihnen
zunächst einmal zu bedenken.
({0})
Nun zu meiner Frage. Würden Sie mir recht geben,
dass Investitionen in die Krankenhäuser - in den letzten
15 Jahren haben sie nicht stattgefunden - getätigt werden müssen, wenn die Krankenhäuser in einem erträglichen Zustand erhalten werden sollen, und würden Sie
mir bitte sagen, von wem? Ich habe die Forderung aufgestellt, dass der Bund einen Teil dazu beitragen soll.
Geben Sie mir recht, dass die Arbeitgeber dadurch,
dass nur die Versicherten ihren Beitrag zahlen müssen,
entlastet worden sind
({1})
und dass alle anderen Forderungen, die ich erhoben
habe, locker bezahlt werden könnten, wenn die Arbeitgeber ihren Teil paritätisch in die Krankenversicherung
einzahlen würden?
({2})
Dass wir mit Blick auf die Krankenhäuser zusätzliche
Investitionen brauchen, ist völlig unbestritten.
({0})
Es werden zum Beispiel Diskussionen über die Änderung der Fallpauschalen geführt, übrigens auch mit den
Ländern. In dem einen oder anderen Land regiert Ihre
Partei mit, wenn mich nicht alles täuscht.
({1})
Auch dort sieht es, was Investitionen in die Krankenhäuser angeht, nicht sehr rosig aus.
({2})
Wir müssen gemeinsam überlegen, was zu tun ist, um
die notwendigen Mittel bereitstellen zu können. Herr
Spieth, ich habe gesagt: Indem Sie sich hier hingestellt
und allen alles versprochen und viele Milliarden Euro in
den Raum gestellt haben, haben Sie es sich etwas zu einfach gemacht. Ich weiß, dass es einfach ist, in der Opposition zu sein. Aber ab und zu muss man auch einmal sagen, wie das Ganze bezahlt werden soll.
({3})
Jetzt möchte ich, da wir im Moment auch eine Art
Pflegedebatte führen, einiges zur Pflegereform sagen.
Grundsätzlich stellen die Eckpunkte der Regierung sowie der Gesetzentwurf für uns als Unions-Bundestagsfraktion eine gute Basis für die weitere Debatte dar. Sie
halten sich im Rahmen dessen, was momentan mit den
politischen Mehrheiten im Deutschen Bundestag möglich ist. Ich will nur die bessere finanzielle Ausstattung
der Betreuung an Demenz erkrankter Menschen nennen.
Außerdem werden wir den ambulanten Sektor stärken.
Wir werden jenseits der Kategorien Heim, ambulante
und stationäre Behandlung mehr Zwischenstufen möglich machen, Herr Seifert. Dazu gibt es Modellprojekte,
in denen Leistungen gepoolt werden können und bei denen es um die Kombination von Tages- und Nachtpflege
geht. Mit Blick auf diese Modelle müssen wir gemeinsam schauen, wie wir in einer älter werdenden Gesellschaft eigentlich leben werden. Meine Generation wird
diejenige sein, die 2050 70 Jahre und 2060 80 Jahre alt
sein wird. Wir müssen uns fragen, wie dann die Menschen über 60 Jahre, immerhin ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland - vielleicht noch zusammen mit Ihnen Herr Tauss -, leben werden.
({4})
Es geht um die Frage, wie diese ältere Gesellschaft leben
wird. Genau dieser Frage wollen wir mit diesen Modellprojekten nachgehen.
Außerdem ist das Thema Transparenz sehr wichtig;
das merkt man auch in Gesprächen in den Wahlkreisen.
Diese Debatte ist notwendig, richtig und wichtig und
wurde durch den jüngsten Bericht des Medizinischen
Dienstes neu angestoßen. Die Debatte über Transparenz
und Qualitätssicherung müssen wir im Übrigen auch im
Sinne der gut arbeitenden Einrichtungen führen. Nur
wenn wir transparent machen, wer gut und wer schlecht
arbeitet, können sich die gut arbeitenden Einrichtungen,
wo mit viel Engagement und viel Einsatz der Pflegekräfte viel Gutes getan wird, gegen pauschale Verunglimpfungen, wie wir sie aus manchen Zeitungen kennen, wehren.
Jetzt, Herr Kollege Spahn, würde der Kollege Seifert
gern eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Bitte schön.
Lieber Herr Kollege Spahn, da Sie sich nun öffentlich
als Pflegeexperte geoutet haben, werden Sie mir sicher
darin zustimmen können, dass seit vielen Jahren in allen
einschlägigen Gesetzen steht, dass ambulante Behandlung stationärer vorgeht. Seit vielen Jahren sind dennoch
immer alle Investitionen in den stationären Bereich gegangen. Wenn das, was Sie gesagt haben, wahr werden
soll, müssen Sie mir doch zustimmen, dass endlich auch
einmal Investitionen in den ambulanten Bereich stattfinden müssen. Das müssen Investitionen in Strukturen
sein, die nicht starr, sondern flexibel sind. Sie müssen,
wie Sie selbst sagen, ein sehr breites Spektrum verschiedener Varianten der assistierten Begleitung überhaupt
erst ermöglichen.
Herr Kollege Seifert, wenn Sie unseren Entwurf lesen, werden Sie sehen, dass wir genau das tun. Wir erhöhen die finanziellen Leistungen für den ambulanten Bereich, für alle drei Pflegestufen, erhöhen das Pflegegeld
und machen es möglich, Leistungen zu poolen, sodass
mehrere Pflegebedürftige sich Leistungen zusammen
einkaufen können.
({0})
Wir bringen wesentlich mehr Flexibilität in diesen Bereich hinein. Insofern könnten Sie auch einmal anerkennen, dass wir in diesen Bereichen viele wichtige Schritte
in die richtige Richtung tun.
Jetzt, Herr Kollege Spahn, würde die Kollegin
Scharfenberg gern noch eine Zwischenfrage stellen,
wenn Sie es genehmigen.
({0})
Die letzte für heute.
Herr Kollege Spahn, stimmen Sie mir darin zu, dass
es etwas verwirrend ist, wenn Sie sich sehr positiv über
die Eckpunkte des Referentenentwurfes zur Pflegereform äußern, dann aber heute Morgen im Tagesspiegel
folgende Äußerung von Ihnen zu lesen ist:
Wir sollten nicht neue Leistungen einführen, wenn
wir Probleme haben, die bestehenden zu bezahlen.
({0})
Stimmen Sie mir ferner zu, dass es etwas verwirrend ist,
dass gerade die Union eine breite Finanzierungsbasis
durch die Einbeziehung der privaten Pflegeversicherung
verhindert?
Zuerst, Frau Kollegin Scharfenberg, bin ich Ihnen
dankbar, dass Sie mir für das, was ich ohnehin sagen
wollte, noch mehr Zeit geben.
({0})
Nach den von mir gerade genannten Dingen, die uns
richtig und wichtig erscheinen, sind nämlich jetzt die
Punkte anzusprechen, bei denen es noch Beratungsbedarf gibt. Dazu gehören auch neue Leistungen, zum Beispiel für die Finanzierung der Freistellung von zehn Tagen. Ich stehe zu meiner Aussage, unabhängig davon, ob
Sie meinen, dass ich rechnen kann oder nicht.
({1})
Wenn nahe Angehörige im plötzlichen Pflegefall der eigenen Eltern zum Beispiel - wenn auch nicht jeder Pflegefall plötzlich eintritt - drei oder vier Tage ihres eigenen Urlaubs aufwenden müssen, um eine Unterkunft für
sie zu finden, finde ich das zumutbar. Ich finde, familiärer Zusammenhalt sollte beinhalten, dass so etwas ohne
gesetzliche Regelungen möglich ist.
({2})
Ein weiterer Punkt ist die Frage der Beratungsstrukturen, die aufgebaut werden sollen. Wir stimmen mit
dem Referentenentwurf und dem Vorschlag überein,
dass wir eine besser vernetzte Angebots- und Beratungsstruktur brauchen. Wogegen wir uns allerdings wehren
würden - deswegen müssen wir darüber noch diskutieren -, wäre, wenn dafür eine Beratungsbürokratie mit
4 000 Beratungsstellen quer über das Land und, Hochrechnungen zufolge, bis zu 13 000 neuen sogenannten
Fallmanagern aufgebaut werden sollte. Da müssen wir
genau schauen, Frau Ministerin, dass wir auf vorhandene
Strukturen aufsetzen und diese bündeln, anstatt neue
Strukturen zu schaffen - damit das Geld am Bett der
Pflegebedürftigen und nicht am Schreibtisch von irgendwelchen Beratern ankommt.
({3})
Deswegen ist das eine wichtige Stelle, über die noch zu
diskutieren ist.
Was wir im Rahmen dessen, was momentan eine parlamentarische Mehrheit findet, beschlossen haben, ist
eine gute Basis. Dennoch wird die Rücklage im nächsten
Jahrzehnt wieder in Anspruch genommen werden müssen. Deshalb muss ich sagen: Die Unionsfraktion bedauert es, dass es nicht gelungen ist, additiv eine Kapitaldeckung einzuführen. Ich würde mich freuen, wenn es
möglichst bald parlamentarische Mehrheiten dafür gäbe.
Abschließend ganz kurz zur Gesundheitsreform. Der
Kollege Zöller hat es schon gesagt: Die Gesundheitsreform ist wesentlich besser als ihr Ruf. Wir sehen, wie die
Akteure die Möglichkeiten, die wir ihnen gegeben haben
- Verträge schließen, Wettbewerb um Qualität und Preis -,
nutzen. Von daher, Frau Kollegin Bender: Es ist richtig,
wenn Sie von der Opposition uns im Nacken sitzen und
uns darauf hinweisen, wo wir besser werden können.
Aber es wäre auch angebracht, wenn Sie uns, wenn wir
etwas richtig machen, ab und zu auf die Schulter klopfen
würden.
({4})
Denn auch davon gibt es eine ganze Menge.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30.
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Annette
Schavan.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat gestern die Leitlinien der Politik der Bundesregierung
formuliert: Wir wollen Teilhabe verbreitern und neue
Quellen des Wohlstands erschließen. - Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung legen in besonderer Weise das Fundament dafür, Teilhabe für alle zu ermöglichen und die Quellen des künftigen Fortschritts zu
erschließen. Deutlich höhere Finanzinvestitionen, neue
Konzepte und strukturelle Weiterentwicklung kennzeichnen unsere Bildungs- und Forschungspolitik. Wir
stellen die Weichen in Deutschland so, dass jeder Jugendliche Chancen hat und unser Land zu einem der attraktivsten Forschungsstandorte wird. Die Investitionen
für Forschung und Entwicklung im Einzelplan 30 steigen um rund 580 Millionen Euro. Insgesamt wächst der
Plafond um 7,85 Prozent auf fast 9,2 Milliarden Euro;
das ist ein Plus von 670 Millionen Euro.
({0})
Das neue Konzept der Hightechstrategie wirkt außerordentlich positiv auf die Entwicklung der FuE-Ausgaben der Unternehmen. Das war ja die zentrale Frage
bei der Arbeit an der Hightechstrategie: Wird es gelingen, durch die Erhöhung der öffentlichen Mittel zu erreichen, dass auch die Unternehmen ihre Mittel für Forschung und Entwicklung steigern? Die Zahlen des
Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft belegen:
Allein im Zeitraum zwischen 2005 und 2007 sind die
Ausgaben der Unternehmen für Forschung und Entwicklung den Schätzungen zufolge um 8 Prozent gestiegen,
von 38 auf knapp 42 Milliarden Euro. Die Rechnung
geht auf. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Forschungsprämie, die Förderinitiative KMU-innovativ und
den Spitzenclusterwettbewerb. Die Mittel für die Projektförderung sind deutlich erhöht worden und belaufen
sich inzwischen auf 3 Milliarden Euro. Dies entspricht
einem Plus von 18 Prozent. Das alles sind Beispiele für
wirksame Signale, dass das Ziel der Lissabon-Strategie
erreicht wird.
({1})
Am Forschungsstandort Deutschland herrscht Aufbruchstimmung. Auch in den Unternehmen herrscht Aufbruchstimmung in dem Bewusstsein dafür, wo die Quellen künftigen Wohlstands liegen.
Über die Investitionen hinaus ist es wichtig, dass wir
Schwerpunkte setzen. Einige Schwerpunkte sind schon
im Laufe des Tages genannt worden. Frau Kollegin
Schmidt hat auf die Erhöhung der Mittel für die Gesundheitsforschung in ihrem Haus im Hinblick auf konkrete
Projekte hingewiesen. In Meseberg wurde hinsichtlich
der Gesundheitsforschung mit dem Vorhaben, ein nationales Forschungszentrum zur Bekämpfung von Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen zu
gründen, ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das ist nicht nur
hinsichtlich der Investitionen, sondern auch bezüglich
der Strukturen in der Gesundheitsforschung eine wichtige Initiative. Alles, was in diesen Bereich fällt, hat in
der Gesundheitsforschung der Zukunft höchste Priorität.
({2})
Ein weiterer Schwerpunkt liegt im gesamten Bereich
Klima und Energie, in dem ebenfalls eine Erhöhung
der Mittel um 16 Prozent zu verzeichnen ist. Im Oktober
wird die Hightechstrategie für den Klimaschutz vorgestellt. Auch hier gibt es eine gute Zusammenarbeit mit
dem Bundesumweltministerium als zuständigem Fachressort; denn bei all diesen Fragen ist es wichtig, dass die
Strategien gebündelt und abgestimmt und Schwerpunkte
gesetzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass beim Klimaschutz die Forschung im Hinblick auf mittel- und
langfristige Entwicklungen eine zentrale Rolle spielen
wird.
({3})
Des Weiteren modernisieren wir das Wissenschaftssystem. Die Exzellenzinitiative gehört genauso dazu wie
der Pakt für Forschung und Innovation. Dazu gehört aber
auch der zweite wichtige Punkt, der in Meseberg beschlossen worden, ein sogenanntes Wissenschaftsfreiheitsgesetz
zu erarbeiten, das wir im kommenden Jahr vorlegen werden und das unseren Forschungsorganisationen mehr
Spielraum, mehr Selbstständigkeit und mehr Möglichkeiten bietet, Spitzenwissenschaftler nach Deutschland zurückzuholen. Die neuen modernen Spielregeln werden
unsere international hoch angesehenen Forschungsinstitutionen im internationalen Wettbewerb stärken.
Was den Hochschulpakt angeht, sind uns nicht nur
die 90 000 zusätzlichen Studienplätze wichtig, sondern
auch die Stärkung der universitären Forschung durch die
Programmkostenpauschale. Das ist ebenfalls ein deutliches Zeichen auch an die junge Generation, dass es uns
wichtig ist, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel zu
erreichen, den Anteil derjenigen eines Jahrgangs, die ein
Hochschulstudium absolvieren, auf 40 Prozent zu erhöhen. In den vergangenen Jahren konnten keinerlei Fortschritte in diese Richtung erzielt werden.
Ferner haben wir eine BAföG-Erhöhung vorgesehen. Im Haushaltsjahr 2008 erfolgt eine Erhöhung der
Förderbeträge um 5 Prozent und der Freibeträge um
4 Prozent. Für das Jahr 2009 haben wir eine weitere Erhöhung um 5 Prozent bzw. 4 Prozent beantragt. Bislang
gibt es darüber in der Regierung noch keinen Konsens.
Meines Wissens wird das aber in der SPD-Fraktion anders gesehen als im Finanzministerium. Wir werden sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln.
({4})
- Mit Verlaub, das CDU-geführte Ministerium hat die
Erhöhung beantragt. Insofern ist das ziemlich klar.
({5})
- Herr Rossmann, Sie können die von uns angeblich gewollte Abschaffung des BAföGs so lange behaupten,
wie Sie wollen. Sie wissen aber, dass ich damals etwas
anderes gesagt habe. Ich habe gesagt: Wir brauchen in
Deutschland ein neues System der Bildungs- und Studienfinanzierung. Dazu gehören die dritte Säule der Stipendien und eine elternunabhängige Ausbildungsförderung.
({6})
Darüber wurde damals eine Diskussion geführt. Dass Sie
darauf noch zehn Jahre zurückgreifen, verstehe ich zwar,
aber es ändert nichts daran, dass die vom Ministerium
beantragte BAföG-Erhöhung nicht dem entspricht, was
uns bewilligt worden ist. Deshalb sehe ich der weiteren
Debatte mit Spannung entgegen.
({7})
Wir stärken die Internationalisierung; auch das ist Teil
des Koalitionsvertrages. Wir schaffen neue Instrumente
für die internationale Kooperation. Ich bin davon
überzeugt, dass in diesem Zusammenhang die Stärkung
der Rolle von Wissenschaft und Forschung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiger
Punkt sein wird. Hier können wir auf exzellente internationale Kooperationen zurückgreifen. Wenn es um die internationale Entwicklungszusammenarbeit der Zukunft
geht, dann gilt, dass die in Wissenschaft und Forschung
vorhandenen Möglichkeiten noch besser genutzt werden
müssen.
Zur Modernisierung des Wissenschaftssystems gehört
für mich auch, die Situation der Frauen in der Wissenschaft zu verbessern. Hier haben wir zusammen mit den
Bundesländern und den Forschungsorganisationen eine
Initiative ergriffen, die dazu dient, im Laufe des nächsten Jahres ein gemeinsames bundesweites Signal zu setzen.
Wir kümmern uns um die Zukunftschancen der jungen Generation: Bildung, Ausbildung, Qualifizierung.
2,6 Milliarden Euro im Haushalt werden in Qualifizierung und die Verbesserung der Leistungsfähigkeit des
Bildungssystems investiert. Es gibt zudem neue Programme für Jugendliche im Übergang von der Schule
zur Berufsausbildung und eine Pilotinitiative zur Nachqualifizierung, sodass 12 500 Altbewerbern - diese
Gruppe hat in der Diskussion schon eine große Rolle gespielt - in der ersten Phase mit einem Konzept der Ausbildungsbausteine die Chance auf einen Berufsabschluss
gegeben wird. Jeder Jugendliche braucht eine Chance
zur Qualifizierung. Das ist das Ziel der Nationalen Qualifizierungsinitiative, das wir bis zum Ende der Legislaturperiode erreichen wollen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pieper?
Bitte schön.
Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie meine Frage
zulassen. - Nach allen Ihren Lobgesängen zu den Budgetaufwüchsen bei Bildung und Forschung möchte ich
Ihnen an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass bei einem Gesamthaushalt mit einem Volumen von
283 Milliarden Euro der Haushalt für Bildung und Forschung ein Volumen von lediglich 9,2 Milliarden Euro
hat. Das sind 3,2 Prozent des Bundeshaushalts. Glauben
Sie wirklich, dass Sie damit Ihren Anspruch mit der
Wirklichkeit in Einklang bringen können? Ist das angesichts dessen, was China - die Kanzlerin war neulich
erst dort - und andere asiatische Staaten sowie unsere
europäischen Nachbarn und die Vereinigten Staaten in
Bildung und Forschung investieren, nicht eher eine
Mücke und kein Elefant, der mit Ihrem Haushalt geboren wird? So können wir den globalen Wettbewerb in
Bildung und Forschung aus meiner Sicht nicht gewinnen.
({0})
Das war weniger eine Frage als eine Feststellung Ihrerseits. Dazu haben Sie ohnehin noch die Chance, wenn
Frau Flach gleich reden wird und vermutlich Ähnliches
sagen wird. Ich gehe jetzt nicht auf Mücke und Elefant
ein. Das Tierreich lasse ich weg.
Ich kann Ihnen nur raten, sich die Entwicklung in den
letzten 20 Jahren anzuschauen. Dann wird es ziemlich
klar. Von 1987 bis 2000 sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung kontinuierlich gesunken.
({0})
- Nein, bis 2000. Das Statistische Bundesamt ist keine
CDU-Geschäftsstelle. Wir reden über die Investitionen
der öffentlichen Hand und der Unternehmen in Deutschland.
({1})
- Sie können ganz ruhig bleiben. Ich tue Ihnen nichts.
Ich beschimpfe auch nicht die Vorgängerregierung.
({2})
Es geht um die FuE-Quote von Bund, Ländern und
Unternehmen von 1987 bis 2000 sowie von 2000 bis
2005. Hier gibt es verschiedene Kurven. Die erste ging
nach unten. Die nächste zeigt, dass die Ausgaben auf
gleichem Niveau geblieben sind. Nach 2005 zeigt die
Kurve nach oben.
Eine Forschungsministerin wird nie so bescheuert
sein, zu sagen: Das reicht. - Das ist doch klar. Ich finde,
es ist eine erhebliche Anstrengung. Es gibt einen deutlichen Aufwärtstrend. Wir liegen unter den 27 Mitgliedern der Europäischen Union in der Spitzengruppe. Sie
können in vielen Bereichen den Vergleich mit China und
Japan anstellen, aber dieser Vergleich ist immer irgendwie schräg. Ich finde, Sie, Frau Pieper, sollten anerkennen, dass diese Regierung das einlöst, was sie sich vorgenommen hat und was im Koalitionsvertrag steht,
nämlich das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Bund, Länder
und die Unternehmen in Deutschland haben darüber einen Konsens, und die Aufbruchstimmung ist erreicht.
({3})
Ich komme zum Schluss. Wenn wir von der Nationalen Qualifizierungsinitiative sprechen, dann geht es
nicht nur um diese oder jene Phase im Bildungssystem,
sondern letztlich darum, dass wir auf allen Stufen der
Bildungsbiografie Verbesserungen brauchen. Der
Schlüssel liegt in der frühkindlichen Bildung, die Frau
Kollegin von der Leyen schon angesprochen hat. Der
zweite wichtige Akzent liegt auf dem Übergang von der
Schule zur Berufsausbildung. Wir werden die Zahl derer,
die ohne Schulabschluss die Schule verlassen, deutlich
reduzieren müssen. Wir müssen dahin kommen, dass jeder Jugendliche einen Abschluss erreicht und auch die
Chance bekommt, einen qualifizierten Beruf zu ergreifen. Wir wollen die Quote derer, die an Weiterbildung
teilnehmen, auf 50 Prozent erhöhen. Hier liegen wir unter dem europäischen Schnitt. Wir wissen, dass es angesichts der technologischen Entwicklung und angesichts
rasanter Veränderungen in der Arbeitswelt notwendig
ist, dass Weiterbildung Teil der Bildungsbiografie wird.
Weiterbildungssparen ist ein Einstieg. Die weitere Vertiefung, Konkretisierung und Ausweitung des Konzepts
„Lernende Regionen“ mit Kooperation aller Bildungsinstitutionen vor Ort ist ein anderer wichtiger Akzent. Weitere werden folgen.
In Meseberg wurde auch der Beschluss gefasst, dass
es ein Konzept für die dauerhafte Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte geben wird. Auch das ist für
unseren Bereich eine wichtige Entscheidung. Es ist eine
andere Art von Zuwanderungsdebatte als in der Vergangenheit.
({4})
Es geht darum, dass Deutschland für die Talente aus aller Welt attraktiv wird. Das betrifft die Wissenschaft
ebenso wie unsere Unternehmen. Aber klar ist auch: Es
gibt nicht die Alternative Bildung, Ausbildung, Qualifizierung einerseits, Zuwanderung andererseits. Wir müssen beides tun, und den Vorrang haben alle Bemühungen
im Bereich von Bildung und Ausbildung.
({5})
Letzter Satz: Ich danke den Regierungsfraktionen, ich
danke den Kolleginnen und Kollegen im Parlament für
ihre Unterstützung und dafür, dass dieser Haushalt so
möglich ist. Ich bin davon überzeugt, dass er nicht nur
den Konsens zeigt, sondern auch die Entschlossenheit
der Großen Koalition, die Zukunftschancen der jungen
Generation zu mehren und die Aufbruchstimmung am
Forschungsstandort Deutschland weiterzuentwickeln.
Vielen Dank.
({6})
Nun hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle
hier in diesem Raum wissen, dass für uns Liberale das
Thema Bildung und Forschung immer eines der Schwerpunktthemen unseres politischen Wirkens gewesen ist.
({0})
- Herr Tauss, wir haben das in unserer gemeinsamen
Zeit in all den letzten Jahren immer mit den entsprechenden Haushaltsanträgen begleitet.
({1})
Ich will an dieser Stelle deutlich und klar sagen: Wir
stehen nach wie vor - das ist eben durch die Frage von
Frau Pieper deutlich geworden - zu dem Ziel, 3 Prozent
des BIP für FuE auszugeben.
({2})
Wir stellen allerdings fest, dass Sie, liebe Frau Ministerin, sich diesem Ziel nicht in der nötigen Geschwindigkeit, die wir erhoffen, nähern. Sie sind auch in diesem
Jahr - die Kanzlerin sprach gestern von 2,8 Prozent nach wie vor ein ganzes Stück von diesem Ziel entfernt.
Es wäre besser gewesen, wenn dieses Ziel zügiger erreicht werden würde, vor allen Dingen da wir erkennen,
dass die Wirtschaft einen höheren Anteil an den Steigerungsraten hat als Sie.
({3})
Auch bei den Bildungsausgaben liegt Deutschland
nach wie vor unter dem OECD-Mittel. Interessant ist in
diesem Zusammenhang übrigens, liebe Kollegen von der
SPD, Ihr Vorschlag - er wurde in der gestrigen Debatte
auf den Tisch gelegt -, das BAföG um 10 Prozent anzuheben. Ich bin schon eine Weile Bundestagsabgeordnete
und erinnere mich noch sehr gut an den Vorschlag der
SPD - es war einer der ersten Vorschläge von Frau
Bulmahn -, das sogenannte Drei-Körbe-Modell einzuführen. Über das, was Sie jetzt einbringen, bin ich natürlich mehr als enttäuscht. Zum Ergebnis Ihrer Beratungen
kann ich nur sagen: Der Berg kreißte und gebar wirklich
nur ein kleines Mäuschen.
({4})
Greifen Sie doch einmal tief in die Taschen der Ministerin und veranschlagen Sie genau die Milliarden, die sie
eigentlich braucht, um das BAföG so zukunftssicher und
vor allem elternunabhängig auszugestalten, wie es die
FDP seit vielen Jahren fordert.
({5})
Frau Ministerin, hinzu kommt, dass der Einsatz Ihrer
Mittel nach wie vor sehr widersprüchlich ausfällt.
({6})
Sie reden zwar von Hightech; aber auch in diesem Haushalt sparen Sie bei den Hightechmitteln - das machen
Sie nicht anders als Frau Bulmahn -, und zwar an Stellen, über die man sich schon Gedanken machen muss.
Für die optischen Technologien sind 79 Millionen Euro
angesetzt. Das ist kein Aufwuchs, obwohl die Förderung
dieser Technologien angeblich ein sehr wichtiges Element Ihrer Hightechstrategie ist. Bei der Mikrosystemtechnik sehen Sie sogar eine Absenkung der Mittel um
3 Millionen Euro auf dann 54 Millionen Euro vor. Auch
die Mittel für neue Werkstoffe und Nanomaterialien sollen sinken, und zwar von 95 Millionen Euro auf 93 Millionen Euro.
Da, wo es um die Anwendung von Technologien geht
- dadurch muss dieses Land unserer Meinung nach so
richtig nach vorne gebracht werden -, haben Sie es in
den vergangenen zwei Jahren nicht geschafft, die Widersprüche Ihrer Großen Koalition aufzulösen.
({7})
Ich verweise auf das Dilemma mit dem Transrapid, mit
dem Sie es zurzeit wieder zu tun haben.
({8})
- Ja, eben. Ich sage das, gerade weil es alte Kamellen
sind, Herr Tauss.
({9})
Der Transrapid hätte sein Ziel längst erreicht haben müssen. Auch diese Koalition schafft es offensichtlich nicht,
über die Fundamentalkritiker in ihren eigenen Reihen
hinwegzuspringen.
({10})
Über das Thema Gentechnik möchte ich an dieser
Stelle wirklich nur noch ungern reden. Was das, was
Herr Seehofer uns da vorgelegt hat, angeht: Ich hätte mir
noch nicht einmal in den schlimmsten Träumen vorstellen können, dass ein Minister dieser Regierung, der der
CSU angehört, so etwas plant.
({11})
Ich erinnere mich noch sehr genau an das, was wir gemeinsam in diesem Hause in der letzten Legislaturperiode pro Grüne Gentechnik gesagt haben.
({12})
Schauen Sie sich an, wie Sie mit den Mitteln umgehen. Herr Hagemann, weitere Haushälter und ich haben
uns mit diesem Thema in den letzten Wochen intensiv
befasst. Frau Schavan, Sie haben einen an und für sich
bemerkenswerten Etat: 9,18 Milliarden Euro, das ist
schon etwas,
({13})
auch wenn diese Summe im Vergleich zu den entsprechenden Zahlen der Konkurrenzländer verschwindend
gering ist. Aber eine Aufgabe des Haushälters ist es nun
einmal, zu schauen, was bei einer Sache herauskommt.
Entscheidend ist, wie effizient und wie sinnvoll Sie die
eingesetzten Mittel verwenden.
Damit komme ich auf Ihren zweiten Schwachpunkt
zu sprechen. Die Ergebnisse der bisherigen Anstrengungen lassen sich nun einmal nicht quantifizieren, auch
nicht mithilfe dessen, was Sie eben gesagt haben. Natürlich sind Exzellenzinitiative, Hochschulpakt und auch
die Hightechstrategie im Grundsatz richtig, und sie werden auch von uns ausdrücklich anerkannt.
({14})
Ob diese Maßnahmen aber zur Folge haben, dass bei uns
schneller Produkte und Arbeitsplätze entstehen, ist empirisch nicht nachvollziehbar. Sie können Ihre in den
Raum gestellte Zahl von 1,5 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen nicht belegen. Das Schöne ist: Wir haben
das inzwischen auch schriftlich, und zwar aus Ihrem
Hause. Für die Opposition ist es immer gut, zu erkennen,
dass ein Minister schon zur Halbzeit seines Wirkens klar
sagen muss: Ich stecke zwar viel Geld hinein; aber ich
weiß nicht, was dabei im Endeffekt herauskommt. Das
heißt: Obwohl Sie sehr viel Geld bereitgestellt haben - Sie
haben zum Beispiel die Forschungsprämie eingeführt -,
stochern Sie nach wie vor im Nebel. Frau Ministerin, die
Zeit rennt Ihnen davon.
Wir leben nicht auf einer Insel.
({15})
Deutschland steht mit anderen Forschungsnationen im
Wettbewerb. Wo wir stehen und wie unsere Mittel effizient eingesetzt werden können, muss durch ein klares
System von Projekt- und Prozesskontrolle, durch Zielvereinbarungen und durch Benchmarking definiert werden.
Übrigens, unsere Konkurrenz tut das; der Kollege
Hagemann wird das gleich sicherlich bestätigen. Die
Amerikaner gehen sehr effizient, sehr zielsicher vor. Auf
diese Art und Weise werden sie mit dem zur Verfügung
stehenden Geld deutlich besser vorankommen, als wir es
tun werden, Frau Minister.
({16})
Der zweite Schwachpunkt - Sie haben es angesprochen - ist der inzwischen dramatische Mangel an Fachkräften.
({17})
Der Weg, den Sie gehen müssen, Frau Schavan - man
muss wirklich sagen: Sie müssen ihn gehen; denn eigentlich wollten Sie ihn viel weiter gehen, Sie wollten ihn in
unserem Sinne gehen -, ist nicht hilfreich. Ich habe
heute Morgen mit Interesse gehört, dass Herr
Müntefering angekündigt hat, für Elektro- und Maschinenbauingenieure einen erleichterten Zugang zu ermöglichen. Ehrlich gesagt: Das kann doch nur ein Tropfen
auf einen heißen Stein sein. Wie soll denn bei dieser
Kleinstlösung ein wirklich gutes, für uns alle tragbares
Ergebnis herauskommen?
Ich komme aus einem Bundesland, in dem der jetzige
Ministerpräsident einmal eine Wahl verloren hat, indem
er gesagt hat: Kinder statt Inder. - Was Sie jetzt betreiben, erinnert mich fatal an diesen Weg.
({18})
Ich will einmal vorlesen, was die taz - das ist eine
Zeitung, die ein Liberaler eigentlich sehr selten zitiert,
aber ab und zu sollte man es tun - dazu sagt:
Die Meseberger Beschlüsse lesen sich wie ein Aufruf an die Reservearmee des Arbeitsmarkts: Schulabbrecher sollen künftig eine zweite Chance erhalten,
ältere Arbeitnehmer sich fortbilden, Handwerksmeister und Nichtabiturienten studieren … Grundschulen und Kindergärten zu „Bildungshäusern“ zu
verbinden.
({19})
Keine Frage, das sind alles sinnvolle bildungspolitische Reformen - nur lässt sich mit ihnen die
schmerzliche Ingenieurslücke schwerlich schließen.
Die deutschen Global Player können nicht warten,
bis Vierjährige in „Bildungshäusern“ zu kleinen
Genies herangereift sind.
({20})
Recht hat die taz.
90 Prozent der Unternehmen in NRW zum Beispiel
beklagen sich über Fachkräftemangel.
({21})
Sie werden - das ist sozusagen mein entschiedener Appell an die rechte Seite des Hauses - um eine Punkteregelung für den Fachkräftezuzug nicht herumkommen.
({22})
Kommen Sie doch endlich einmal auf die SüssmuthKommission zurück! Setzen Sie doch endlich einmal
um, was Leute in Ihren eigenen Reihen gesagt haben!
Wir werden nur auf diese Art und Weise ein innovationstreibendes Land sein. Ich will auch an dieser Stelle wieder an unsere Gespräche mit Herrn Professor Störmer,
immerhin Nobelpreisträger, erinnern. Auf unsere Frage:
„Warum ist Amerika innovativ?“, hat er klar geantwortet: wegen der Einwanderer. - Das ist das treibende Element. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie
hier endlich einen Schritt nach vorn geht und uns hilft,
aus einer Falle herauszukommen, in der wir sonst gefangen bleiben.
({23})
Frau Schavan, man könnte vieles über die letzten Wochen sagen. Sie haben - das ist gerade für jemanden, der
schon eine Weile in diesem Haus tätig ist, erkennbar eine erstaunliche Wandlung vollzogen. Ich denke an Ihre
Reden zum Thema: Wie zentral soll eigentlich Schulpolitik werden? Ich habe mit Erstaunen gesehen, wie
schnell das von Ihren Länderkollegen wieder eingesammelt wurde. Aber auch Sie werden sich, genau wie Ihre
Vorgängerin, daran gewöhnen müssen, dass nach der Föderalismusreform von uns hier oben nichts mehr zu regeln ist.
Ich möchte Sie an dieser Stelle auch daran erinnern,
wem wir diese Regelung eigentlich zu verdanken haben.
Nicht zuletzt Ihnen, Frau Schavan!
({24})
Sie selbst haben die Weichen dafür gestellt, dass in diesem Haus nichts mehr für die Bildungspolitik in
Deutschland getan werden kann. Jetzt müssen Sie damit
leben.
({25})
Es wäre schön, wenn Sie das offen und ehrlich angingen.
Dann könnte man leichter damit umgehen.
({26})
Lassen Sie mich zum Abschluss Folgendes sagen:
Frau Schavan, Sie haben mehr Geld zur Verfügung
({27})
und einen deutlich stärkeren Rückenwind durch Ihre
Kanzlerin,
({28})
als Ihre Vorgängerin sie entsprechend hatte.
({29})
Aber Sie werden dadurch natürlich auch mit deutlich höheren Erwartungen konfrontiert als Frau Bulmahn.
({30})
Wir als Liberale wollen diese Erwartungen gern erfüllt
sehen. Wir wollen Erfolge, keine bunten Heftchen. Da
reicht auch nicht der Ritt auf der guten Konjunktur und
der Hinweis darauf, dass Deutschlands Unternehmen
aufgrund Ihrer guten Arbeit mehr in F und E investieren;
Sie haben das heute in der Rheinischen Post zu platzieren versucht. Dagegen steht allein schon die Aussage des
IW, dass überhaupt nur 8 Prozent der Mittelständler Fördergelder erhalten. Ihre neue Initiative KMU-innovativ,
die Sie nach zwei Jahren auf den Weg bringen, zeigt, wie
wenig erfolgreich Sie auf diesem Gebiet in den letzten
Jahren gewesen sind.
({31})
Frau Ministerin, die FDP wird den Bildungsminister
dieses Landes wie immer positiv kritisch begleiten.
({32})
Aber wir wollen natürlich sehen, dass dabei etwas herauskommt. Wir werden uns im Herbst darüber noch einmal unterhalten. Unsere Unterstützung dafür, bessere
Bildungs- und Forschungspolitik zu betreiben, haben
Sie. Ich hoffe, wir kommen gemeinsam voran.
({33})
Nächster Redner ist nun der Kollege Klaus
Hagemann, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Flach, an Ihren letzten Gedanken anschließend: Stimmen Sie doch dann, wenn wir im November die Schlussabstimmung haben, dem Einzelplan 30 zu. Die Voraussetzungen sind gut.
({0})
Das ist der richtige Weg, dem Sie folgen können; denn
noch nie, Frau Pieper, Frau Flach, wurde so viel Geld für
Bildung und Forschung ausgegeben wie jetzt.
({1})
Noch nie hat es so viele Studierende gegeben wie jetzt.
Wir erinnern uns an die 90er-Jahre, als Herr Rüttgers
hier noch die Verantwortung unter einer schwarz-gelben
Koalition getragen hat: Damals sind die Mittel nach unten gefahren worden, und die Studierendenzahlen waren so weit unten wie noch nie. Auch daran wollen wir
immer wieder erinnern.
({2})
Der Einzelplan 30, über den wir heute beraten, entspricht der Haushaltspolitik der Großen Koalition, denn
er passt sehr gut in den Dreiklang Sanieren, Reformieren
und Investieren.
({3})
Die Finanzspielräume werden voll für Zukunftsinvestitionen, für Bildung und Forschung genutzt. Es wurde
darauf hingewiesen, dass die Mittel und die Ausgaben
um 7,8 Prozent gesteigert wurden. Das trägt mit dazu
bei, die Konkurrenzfähigkeit unseres Landes zu steigern,
aber auch - ich komme nachher noch einmal auf das
BAföG zu sprechen - die Chancengerechtigkeit für viele
junge Menschen zu steigern und zu fördern.
({4})
Wir nutzen den Aufschwung und die Steuermehreinnahmen dazu, sie über Bildung und Forschung wieder mehr
Menschen zukommen zu lassen. Hier sind wir auf einem
sehr guten Weg.
Die Zahlen wurden genannt, aber ich will sie noch
einmal deutlich machen: Eine Steigerung um
670 Millionen Euro auf 9,2 Milliarden Euro, das ist viel
Geld. Wenn ich die 500 Millionen Euro Ganztagsschulprogramm, die in der Zeit unter Frau Bulmahn erkämpft
wurden, und die Forschungsmittel in anderen Einzelplänen zu unserem Einzelplan hinzurechne, dann kommen
wir immerhin auf eine Summe von rund 13,5 Milliarden
Euro für Forschung und Bildung. Das kann sich sehen
lassen.
Frau Flach hat es bereits mehrfach angesprochen: Wir
beide waren zusammen als Berichterstatter für den
Einzelplan 30 in Kanada und in den USA. Unsere Forschungspolitik hat in den Gesprächen dort Anerkennung
gefunden. Die Exzellenzinitiative wurde besonders herausgestellt - auch eine Sache, die unter Frau Bulmahn
und der rot-grünen Koalition eingeführt worden ist. Das
muss man sehr positiv herausstellen.
({5})
Das findet Anerkennung, und es ist gut, dass man das
feststellt. Das haben Sie leider nicht dazu gesagt, Frau
Flach.
({6})
Die 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die wir als
Ziel für Forschung und Entwicklung vorgesehen haben,
wurden bereits angesprochen. Auch hier sind wir auf einem guten Weg. Die Zahlen wurden genannt: 2,7 Prozent in diesem Jahr, 2,8 Prozent können im Jahre 2009
erwartet werden.
Jetzt müssen auch die Bundesländer beweisen, dass
sie ihren Anteil mit 0,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt
erbringen. Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Wirtschaft ihre 2 Prozent erreichen wird. Wir alle zusammen
müssen noch viel Druck machen, Frau Ministerin, damit
diese Mittel zur Verfügung gestellt werden.
({7})
Ich sprach von 13,5 Milliarden Euro, die in diesem
Jahr für Forschung zur Verfügung stehen. Wichtig ist,
dass das umgesetzt wird, dass die Gelder abgerufen werden und in Projekte und Förderungen einfließen werden.
Es bleibt die Frage: Woran liegt es, dass nicht alle Gelder ordentlich, nicht schnell genug abfließen? Ich
möchte das am Beispiel der Exzellenzinitiative aufgreifen: Wenn man die Haushaltsüberwachungsliste liest, ist
die Hälfte - nämlich 52,5 Prozent - abgeflossen. Es
stellt sich die Frage: Warum konnten bisher nicht - die
Frage müssen wir in den Haushaltsberatungen in den
nächsten Tagen und Wochen besprechen - mehr Mittel
verausgabt werden?
({8})
Es sind immerhin 142 Millionen Euro. Für nächstes Jahr
haben wir das Doppelte vorgesehen: 285 Millionen
Euro. Haben Bund, Länder und die Universitäten die
Vorbereitungen getroffen, damit alle Mittel abfließen
können?
Die Hightechinitiative wurde schon angesprochen.
In den nächsten Jahren stehen immerhin 6 Milliarden
Euro zur Verfügung. Wir freuen uns, wenn aus dem
zweiten Zwischenbericht, den Sie, Frau Ministerin, uns
Ende September vorlegen werden, hervorgehen wird,
dass die Mittel zügig abfließen und konkreten Projekten
zugute kommen. Wir hoffen, dass hier entsprechend gehandelt wird.
({9})
Was unternehmen die Wirtschaft und die Länder, damit sie ihr Prozentziel erreichen? Immerhin fließen nach
dem ersten Bericht noch 75 Prozent der Mittel des Bundes in die Wirtschaft. Wird dieses Geld nun bei der Wirtschaft mitgezählt oder beim Bund? Über diese Fragen
müssen wir sprechen.
Sie, Frau Ministerin, haben ein neues Modellprojekt
entwickelt, für das auch Mittel in den Haushalt eingestellt sind, nämlich den Cluster-Wettbewerb. Hierfür
stehen in den nächsten Jahren 600 Millionen Euro zur
Verfügung. Hier ist nun zu fragen: Wie sehen die Richtlinien für die Vergabe aus? Wie wird gewährleistet - das
ist eine sehr wichtige Frage -, dass nicht immer wieder
dieselben Cluster in denselben Regionen die Zuschüsse
bekommen?
({10})
Hier muss allen Regionen, allen Betrieben und allen
Universitäten eine faire Chance gegeben werden. Es
muss in den Richtlinien seinen Niederschlag finden und
gewährleistet werden, dass, wie man bei uns in Rheinhessen sagt, die Tauben nicht immer wieder dorthin fliegen, wo schon Tauben sind. Die sitzen nämlich meistens
in Süddeutschland. Hoffen wir, dass hier die entsprechenden Richtlinien geschaffen werden.
Im Sommer wurde viel über den Fachkräftemangel
diskutiert. Wir haben eben die Meinung von Frau Flach
dazu gehört. Ich hoffe, dass das nicht nur ein Sommerlochthema gewesen ist, sondern dass hier ein wichtiger
Schritt nach vorne getan wird. Jährlich sollen dadurch
Kosten von 20 Milliarden Euro entstehen, so konnte man
kürzlich in der Süddeutschen Zeitung lesen. Das Institut
der deutschen Wirtschaft hat festgestellt: Es fehlen TechKlaus Hagemann
niker und Meister. Da kann man nur rufen: Bitte, liebe
Wirtschaft, bildet doch aus!
({11})
Sorgt dafür, dass Ausbildungsplätze und andere Qualifizierungsmaßnahmen eingeleitet werden! - Es muss also
auch vonseiten der Betriebe dafür Sorge getragen werden, dass Möglichkeiten zur Weiterbildung und Qualifizierung bestehen. Hier sind die Betriebe gefordert, das
Notwendige zu leisten.
Unsere Kollegin Burchardt hat ja den Vorschlag gemacht, über einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung
nachzudenken. Auch darüber sollte man ernsthaft diskutieren.
({12})
Natürlich brauchen wir Zuwanderung; darin stimmen
wir mit Ihnen überein, Frau Flach. Wichtiger ist aber,
dass vonseiten der Betriebe, aber auch vom Staat entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, dass
mehr für Ausbildung und Qualifizierung für die bereits
hier Lebenden geleistet wird. Der Bund hat deshalb unter anderem gemeinsam mit den Ländern den Hochschulpakt ins Leben gerufen. Darin wurde schriftlich
festgelegt, dass entsprechende Maßnahmen zur Steigerung der Studierendenzahlen eingeleitet werden.
({13})
Es darf natürlich nicht dazu kommen, dass die Länder
die Leistungen, die sie erbringen müssten - es soll sich
ja um eine Fifty-fifty-Finanzierung handeln -, nach unten fahren. Im Sommer habe ich in der Presse gelesen,
dass gerade im Bereich der Ingenieurwissenschaften
Professorenstellen abgebaut worden sind. Es passt doch
nicht zusammen, dass einerseits im ingenieurwissenschaftlichen Bereich in den letzten zehn Jahren
356 Stellen abgebaut wurden, also 13,3 Prozent der Professorenstellen weggefallen sind, aber andererseits beklagt wird, dass Zehntausende von Ingenieuren fehlen.
Das ist der falsche Weg. Das muss hier noch einmal unterstrichen werden.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Bildungsbereich kommen. Sehr erfreulich waren die mit Zahlen untermauerten Ausführungen zum
Bundesausbildungsförderungsgesetz, das sich an
Schüler und Studenten richtet. Die Erhöhungen sind
ganz in unserem Sinne. Wir meinen aber, nach sieben
Jahren wäre es notwendig, einen deutlich größeren
Schritt nach vorne zu machen. Unser Fraktionsvorsitzender Peter Struck hat darauf hingewiesen, dass die Förderleistungen um 10 Prozent angehoben werden sollten
und die Freibeträge, damit mehr die Möglichkeit haben,
BAföG zu beantragen, um 8 Prozent hochgesetzt werden
sollten.
({15})
Das gilt natürlich genauso für die Strukturverbesserungen. Wir tragen diesen Vorschlag natürlich voll und ganz
mit. Hier besteht noch weiterer Handlungsbedarf.
Ich möchte zum Schluss noch auf einen Punkt zu
sprechen kommen: Wissenschaft und Forschung leben
von der Internationalität. Es wurde vorgeschlagen, einen
neuen Wissenschaftspreis zu kreieren. Das findet auch
unsere Unterstützung. Nur darf dies nicht auf Kosten anderer internationaler Aufgaben geschehen, indem beispielsweise die Mittel für den DAAD, für den Deutschen
Akademischen Austauschdienst, heruntergefahren werden.
({16})
Das geht nicht; denn gerade der DAAD hat in diesem
Bereich eine wichtige Aufgabe. Wir meinen, dass wir
die Mittelansätze, so wie es die Koalition bereits für das
laufende Jahr getan hat, Herr Kollege Willsch, gerade in
diesem Bereich wieder anheben sollten. Ich denke, dass
wir wieder in dieser Richtung handeln sollten.
({17})
Bewährt hat sich schon ein Wissenschaftspreis. Das ist
der Kovalevskaja-Preis, der sehr viel Positives ausgelöst
hat. Dies könnte ein richtiger Weg sein. Wie ich gehört
habe, soll der neue Preis der am höchsten dotierte Wissenschaftspreis der Welt sein. Hoffen wir, dass dann
auch die entsprechenden Reaktionen kommen.
Wir haben von der Regierung einen guten Haushaltsentwurf vorgelegt bekommen.
({18})
- Jawohl, das verdient Applaus. - Durch unsere Beratungen, die wir jetzt im Haushaltsausschuss führen werden, durch die Fragen, die wir stellen werden, und die
Anträge, die wir einbringen werden, wollen wir dazu
beitragen, diesen guten Entwurf noch ein bisschen besser zu machen, damit wir zum Schluss eine sehr gute
Vorlage haben, um vielleicht einen Gathering Storm, wie
die Amerikaner ihr Forschungsprogramm nennen, auslösen zu können. Dass wir dies erreichen, davon sind wir
überzeugt. Das sind die Ziele, die sich die SPD vorgenommen hat.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({19})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Petra Sitte für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden sich denken können, dass ich ein bisschen Wasser in
Ihre Freudenfeuer gießen muss.
({0})
Ich werde mich vor allem dem zweiten Teil des zur
Diskussion stehenden Ressorts widmen, nämlich der
Bildung. Für mich hat die ganze Bildungsdebatte etwas
beklemmend Entlarvendes. Schlagworte wie „Fachkräfte- und Akademikermangel als Innovations- und
Wachstumshemmnis“, „Rekrutierung ausländischer Experten“ und „Geringqualifizierte als Prellbock der Joblokomotive“ gehören jetzt zur Alltagssprache der Medien und der Politik.
({1})
Entlarvend daran ist für mich aus linker Sicht vor allem,
dass Bildung in einen rein funktionalen Zusammenhang
zur Wirtschaft gestellt wird. Das halte ich für sehr problematisch.
({2})
Dabei werden nämlich die eigentlichen Bildungsdefizite
und deren Ursachen nicht thematisiert. Man muss eben
einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass 50 Prozent
der Kinder und Jugendlichen keinen höheren Bildungsabschluss erlangen, geschweige denn, dass sie jemals in
den Höhen von Wissenschaft und Forschung ankommen.
Für mich ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet die
Bildungsministerin das Problem dieser Bildungsungerechtigkeit so wenig thematisiert.
({3})
Die Zahl armer Kinder - wir haben es bereits gestern
gehört - hat in der deutschen Geschichte eine Rekordhöhe von 2,6 Millionen erreicht. In meiner Heimatstadt,
in Halle an der Saale, leben 34,6 Prozent der Kinder auf
Sozialhilfeniveau. Genau diese Kinder sind es, die in unserem Bildungswesen ausgegrenzt bleiben. In keinem
anderen Land in Europa entscheidet der soziale Hintergrund von Kindern und Jugendlichen so maßgeblich
über ihre Bildungs- und natürlich damit auch über ihre
Lebenschancen.
({4})
Dabei ist kaum ein anderes Land reicher als Deutschland.
Wenn die Zahl armer Kinder sogar in Zeiten guter
Konjunktur zunimmt, dann muss man sich doch vor Augen halten, dass sich an dem Bildungsmangel nachwachsender Generationen nichts ändern wird, sondern dass
sich die Situation weiter verschärft. Das allein wäre
schon Skandal genug; aber er findet seine Fortsetzung in
der älteren Generation. Die Zahl langzeitarbeitsloser
Menschen verfestigt sich ebenso in dramatischer Höhe.
Dabei wären viele Langzeitarbeitslose verdammt froh,
ihr Wissen endlich über eine geeignete Weiterbildung zu
aktualisieren und damit natürlich auch bessere Beschäftigungschancen zu bekommen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
sich taub gestellt, als auf den Montagsdemonstrationen
tausendfach die Forderung nach dem Ende von Hartz IV
erhoben wurde. Sie hat sich taub gestellt, als Kinderschutzbund und Sozialverbände Maßnahmen gegen die
tausendfache Armut von Kindern und Jugendlichen gefordert haben. Sie hat sich ebenso taub gestellt, als Studierende auf den Straßen gegen Studiengebühren und
Bildungsprivatisierung protestiert haben. Erst den Wirtschaftsverbänden haben Sie Gehör geschenkt, und zwar
genau in dem Moment, als diese den Fachkräftemangel
zum negativen Standortfaktor erklärt haben. Erst dann
hat sich Geschäftigkeit entwickelt. Das, meine ich, ist
entlarvend für diese Debatte.
({5})
Ihnen geht es nicht etwa um die in den Verfassungen
verankerten Rechte auf Bildung, teilweise sogar auf
Ausbildung. Bildung wird nicht als „kulturelles Menschenrecht in allen Lebensphasen“ umgesetzt, wie es
die UN-Menschenrechtskonvention verlangt. Stattdessen
wird einem Drittel der Bevölkerung dauerhaft die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und an Bildung
verwehrt. Welch zivilisatorische Sprengkraft davon ausgehen kann, zeigt sich auch im Erstarken des Rechtsextremismus.
({6})
Bildung ist Demokratie von unten.
({7})
Wir, die Linke, sagen Ihnen: Diese Politik stellt die gesellschafts- und sozialpolitische Kompetenz dieser Regierung grundsätzlich infrage.
Die Regierung wird nicht müde - wir haben es
gehört -, die vielen Milliarden zu feiern, die in Exzellenzwettbewerben, im Pakt für Forschung und Innovation, in der Hightechstrategie und nun auch im Spitzencluster-Wettbewerb sowie in vielen anderen elitären
Projekten versenkt werden. Wirtschafts- und Interessenverbände reiben sich die Hände; sie fordern weitere Gelder, diesmal eben für Fachkräfte.
Schon als ich das erste Mal die Bezeichnung „nationale Qualifizierungsoffensive“ hörte, habe ich gestutzt:
Man verwendet das Wort „national“, obwohl es um
ausländische Fachkräfte geht. Das ist ein bisschen eigenartig. Alles andere, was man zurzeit von der Qualifizierungsoffensive sehen kann, sind Versatzstücke: Vorhaben, deren Umsetzung Sie noch mit den Ländern klären
müssen. Das heißt, all das hat noch rein appellativen
Charakter. Demzufolge wird sich an der Bildungsmisere
in absehbarer Zeit nicht wirklich etwas ändern.
({8})
Ich will das an zwei weiteren Beispielen belegen. Erstens: der Hochschulpakt. Er wurde zwischen Bund und
Ländern geschlossen. Bis 2010 sollen etwa 90 000 zuDr. Petra Sitte
sätzliche Studienplätze entstehen. Rechnerisch würden
für jeden neuen Studienplatz 22 000 Euro ausgegeben,
verteilt auf vier Jahre. Die Hälfte davon soll jeweils das
Bundesland aufbringen; das ist auch in Ordnung. In meinem Land, in Sachsen-Anhalt, will man nun 2 000 Studienplätze halten, die man ursprünglich abbauen wollte;
es werden also keine neuen Studienplätze geschaffen.
Wissen Sie, wie hoch der Anteil des Landes ist? Er beträgt 600 Euro. Das ist kein Einzelfall. Mit solchen Ansätzen löst man das Problem nicht. Was lernen wir aus
diesem konkreten Beispiel? Hochschulen bleiben dramatisch unterfinanziert. Auf einen Studienplatz kommen
bundesweit immer noch zwei Studierende.
Die geplante Anhebung des BAföG, die Sie hier gerade feiern, ist aus sozialer Sicht bei weitem unzureichend; denn sie ist überhaupt nicht bedarfsdeckend.
({9})
Dazu muss man sagen, dass die Erhöhung allein durch
die Studiengebühren, die heute schon in sieben Bundesländern eingeführt worden sind, aufgefressen wird. Aus
diesem Grund ist die 10-prozentige Erhöhung weniger
als ein Nachholen.
({10})
- Wir werden sehen, wer mehr Angst hat.
Mein zweites Beispiel: die Weiterbildung, zum einen
im Zuständigkeitsbereich der Bildungsministerin, zum
anderen im Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für
Arbeit. Auch hier entdecken wir höchst Widersprüchliches.
Derzeit kommen auf einen Arbeitnehmer bzw. eine
Arbeitnehmerin in Deutschland nur zehn Weiterbildungsstunden im Jahr. Im Jahre 2001 waren noch etwa
350 000 Menschen in Weiterbildung. 2006 waren es nur
noch 120 000, die Weiterbildungsmaßnahmen durchlaufen haben. Das ist im europäischen Vergleich eine ganz
miserable Bilanz. Aber was macht Frau Schavan? Sie
veranstaltet erst einmal eine Pressekonferenz. Dort verspricht sie die bereits erwähnte Qualifizierungsoffensive.
Haushaltsposten bekommen neue Namen. Unter der
neuen Überschrift „Stärkung des Lernens im Lebenslauf“ reduziert sie die Mittel für Weiterbildung von
40 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro. Wenn das
nicht absurd ist, was eigentlich dann?
({11})
Wie sieht es mit der Weiterbildung seitens der Bundesagentur für Arbeit aus? Da die Konjunktur brummt,
könnte man annehmen, dass Weiterbildung angesagt ist.
Die Leute werden auf dem Arbeitsmarkt gebraucht, also
kann man ihnen entsprechende Maßnahmen zur Verfügung stellen. Schaut man aber genauer hin, sieht man,
dass nichts dergleichen geschieht: weder im Haushalt
noch in den Jobcentern vor Ort. Im Gegenteil: In meinem Bundesland ist die Zahl der Weiterbildungsmaßnahmen im April weiter heruntergegangen, und zwar um
13 Prozent, in den anderen Ländern - wir haben das geprüft - ebenfalls. Wiederum sind vor allem junge Arbeitslose und ältere Langzeitarbeitslose betroffen. Ich
frage Sie: Wo, wenn nicht dafür, könnten die Milliardenüberschüsse der Bundesagentur für Arbeit wirklich sinnvoll eingesetzt werden?
({12})
Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, die Linke
fordert: Werfen Sie endlich Ihren bildungspolitischen
Flickenteppich in die Tonne! Bildung beginnt mit Kindertagesstätten und reicht über Schulen, Hochschulen
sowie Forschung und Entwicklung bis hin zur Weiterbildung. Wer die Bildungsmisere in diesem Land wirklich
bekämpfen will, der muss endlich damit anfangen, das
Bildungswesen als Ganzes zu verstehen und auszufinanzieren.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
Bundesregierung hat eine nationale Qualifizierungsoffensive beschlossen. Das ist eine große Ankündigung,
die aber leider weder durch reale Politik noch durch
Haushaltsmittel unterfüttert ist. Das ist ein Riesenproblem.
Die Ministerin hat jetzt endlich begriffen, dass es im
Schulbereich eine gesamtstaatliche Verantwortung geben muss. Dieser Reifeprozess kommt leider zu spät,
Frau Schavan. Sie können nicht einmal ein Programm
zur Migrantenförderung in die Wege leiten, um die Ergebnisse des Integrationsgipfels umzusetzen. Sie können
auch kein eigenes Projekt zur Halbierung der Schulabbrecherquote, welches Sie immer propagiert haben, in
den Haushalt aufnehmen; denn mit der Föderalismusreform haben Sie sich alle Chancen genommen. Frau
Schavan, damit bleiben Sie in diesem Bereich eine Ministerin der warmen Worte.
({0})
Gleiches gilt für den Bereich der Ausbildung.
Frau Sitte, Ausbildung ist für die individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Berufsleben
wichtig. Wir müssen aber durchaus auch den Fachkräftemangel im Blick haben. Ich finde es gar nicht ehrenrührig, darüber zu reden.
({1})
Die Ministerin könnte auf diesem Gebiet etwas tun.
Seit zwei Jahren kündigt sie das Projekt der zweiten
Chance an. Bis heute ist nichts passiert. Eine strukturelle
Reform ist trotz vieler Sitzungen ihres Innovationskreises bis heute nicht in Sicht.
Priska Hinz ({2})
Seit Beginn dieser Wahlperiode fordern wir, dass
Warteschleifen endlich in Ausbildungsbausteine umgewandelt werden; denn Warteschleifen dequalifizieren.
Die Zersplitterung der Berufe muss beendet werden. Vor
allen Dingen muss die Fähigkeit des Anschlusses an die
akademische Bildung und Weiterbildung hergestellt
werden. Wir vermissen bei Ihnen die Entschiedenheit,
diese Schritte tatsächlich zu gehen.
({3})
Bei der Weiterbildung fällt Ihnen nichts anderes ein
als Bildungssparen, und das im wörtlichen Sinne; Frau
Sitte hat darauf hingewiesen. Mit Ihrem Modell des Bildungssparens schieben Sie die Verantwortung für Weiterbildung einseitig auf die Beschäftigten. Zudem ist Ihr
Modellprojekt haushaltsneutral ausgestaltet. Das heißt,
Ihnen ist Weiterbildung im wahrsten Sinne des Wortes
nichts wert, nicht einmal einen Euro in Ihrem Haushalt.
({4})
Die von Ihnen als wichtig benannten Zielgruppen der
Geringqualifizierten, der Älteren und der Frauen werden
mit einem solchen Modell überhaupt nicht erreicht. Legen Sie doch bitte ein Konzept für die Weiterentwicklung des Meister-BAföGs vor, verändern Sie das Bildungssparen zielgruppengerecht und fördern Sie eine
unabhängige Bildungsberatung! Kurz gesagt: Nehmen
Sie die Vorschläge der Grünen an.
({5})
Dann bekommen wir ein tolles Konzept für die Weiterbildung, und dann schaffen wir international den Anschluss.
({6})
Durch die Forschungspolitik der Großen Koalition
soll das 3-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung
erreicht werden. Das wird von uns ausdrücklich unterstützt. Doch schauen wir uns einmal Ihren Haushalt daraufhin an. Es ist schon fraglich, ob dieses Ziel erreicht
werden kann, weil die Ausgaben nicht an die konjunkturelle Entwicklung angepasst werden. Wenn das Bruttoinlandsprodukt schneller steigt, muss mehr Geld aufgewandt werden, um die 3 Prozent zu erreichen.
({7})
Eine entsprechende Überlegung gibt es bei Ihnen aber
derzeit nicht.
({8})
Das ist ein Fall für die Nationale Qualifizierungsinitiative: Mathematik Sekundarstufe I.
({9})
Es reicht auch nicht, wenn das 6-Milliarden-Euro-Programm dreimal verkauft wird. Daraus werden keine
18 Milliarden Euro.
Frau Schavan, ich habe nichts gegen Leuchttürme.
Aber schauen wir doch einmal, was sich genau dahinter
verbirgt.
Beispiel Klimaschutz. Hier bleibt trotz aller Erkenntnis noch viel zu tun. Sie haben auf Ihrem Klimagipfel im
Mai mit großen Worten 255 Millionen Euro für das Aktionsprogramm Forschung für den Klimawandel angekündigt. Jetzt haben Sie im Haushalt 49 Millionen Euro
mehr für Klimaschutz eingestellt, wobei noch nicht einmal klar ist, wofür genau das Geld verwendet werden
soll. Wo sind die restlichen Tortenstücke geblieben? Das
möchten wir gerne von Ihnen wissen.
Ein richtig gutes Forschungsprogramm mit frischem
Geld für Bereiche wie Energie und Mobilität hätte unsere Unterstützung und wäre auch sinnvoller, als ein Programm mit einem Umfang von 100 Millionen Euro für
die Unterstützung der Pharmaindustrie aufzulegen, um
aus Deutschland die „Apotheke der Welt“ zu machen.
Stecken Sie das Geld in eine bessere Klimaforschung
und in eine bessere Gesundheitsforschung! Da wäre es
sinnvoller eingesetzt.
({10})
Mit der Schwerpunktsetzung haben Sie sowieso
Schwierigkeiten, Frau Schavan. Solange das Bildungsministerium im Rahmen der Hightechstrategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ein Unternehmen unterstützt, das gentechnisch veränderte,
kälteresistente Weihnachtssterne für die Vermarktung
entwickelt, hat dieses Ministerium nicht verstanden, was
eine sinnvolle Nationale Qualifizierungsinitiative ist.
Daran muss noch gearbeitet werden.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Wir werden entsprechende Anträge zum Haushalt
stellen und hoffen sehr, dass Sie diesen mit uns gemeinsam zustimmen.
Danke schön.
({0})
Nun hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Der Verlauf dieser Debatte zeigt: Die Erkenntnis, dass Bildung und Forschung eine Schlüsselressource für Deutschland sind, wenn wir unsere Position in
einer an Wettbewerbsintensität zunehmenden Welt halten oder sogar ausbauen wollen, ist inzwischen Allgemeingut geworden. Das ist gut so. Die Vertreter der Opposition tun mir ein wenig leid. Man kennt das ja aus
eigener Erfahrung: Man muss etwas Regierungskritisches sagen,
({0})
obwohl man in das Lob einstimmen möchte, das allenthalben von Vertretern der Großen Koalition vorgetragen
wird. Aber das sehen wir Ihnen nach, weil wir wissen,
dass Sie etwas Negatives finden müssen. Wenn zu viel
Geld vorhanden ist, dann fließt zu wenig ab, und wenn
zu wenig Geld vorhanden ist, muss umgeschichtet werden. Irgendeinen Kritikpunkt findet man immer, wenn
man lange genug im Haushalt sucht. Diesbezüglich geben Sie sich große Mühe. Ich weiß aber, dass Sie im
Grunde genommen bei uns sind und anerkennen, dass
wir es richtig machen.
({1})
Das ist auch verständlich, weil wir in der Zielbeschreibung immer übereinstimmen und mit den Indikatoren
und Zahlen nachgewiesen werden kann, dass wir auf
dem richtigen Weg sind.
({2})
Auf Ebene der EU gibt es das 7. Forschungsrahmenprogramm mit einem Volumen von 54,5 Milliarden
Euro - das ist ein Zuwachs von 60 Prozent - für die
Jahre 2007 bis 2013. Das gibt ebenso wichtige Impulse
für die Forschungslandschaft wie unsere Arbeit hier. Es
ist erfreulich, feststellen zu können, dass die deutsche
Wissenschaft intensiv an diesem Rahmenprogramm teilnimmt. Deutsche Forscher spielen hier eine wichtige
Rolle. 80 Prozent aller Projekte finden mit Beteiligung
deutscher Forscher statt. Das kann uns ein Stück weit
stolz machen.
Es ist mir ein ganz wichtiges Anliegen, die internationale Zusammenarbeit weiter auszubauen. Ich freue mich
in diesem Zusammenhang, dass wir eine Delegation unter Führung des kroatischen Staatssekretärs für Wirtschaft, Herrn Špančić, zu Besuch haben. Wir waren
heute Morgen zusammen im Fraunhofer-Institut und haben Wissenschaftsprojekte im Bereich der Sicherheitsforschung besprochen. Herzlich Willkommen! Auf eine
gute Zusammenarbeit!
({3})
Wir haben den Ländern durch Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes die Möglichkeit gegeben, die
Hochschulen aus der staatlichen Detailsteuerung zu entlassen. Mit dem Hochschulpakt haben wir die Voraussetzung dafür geschaffen - es ist wichtig, das zu erwähnen, wenn wir darüber sprechen, wie man Potenziale
ausschöpfen kann -, 90 000 zusätzliche Studienplätze
einzurichten.
Es ist schon mehrfach angesprochen worden - auch
die Bundeskanzlerin hat das im Rahmen der Generaldebatte angesprochen -, dass wir auf einem guten Weg
sind, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. 3 Prozent des
Bruttoinlandproduktes sollen für Bildung und Forschung
ausgegeben werden. Das ist in einer schrumpfenden Gesellschaft wie der unseren dringend notwendig.
Im Parlamentskreis Mittelstand haben wir gestern mit
Herrn Keese von der Welt am Sonntag zusammengesessen. Er hat mich auf einen Zusammenhang aufmerksam
gemacht, den man sich wirklich einmal bewusst machen
sollte. In dieser Woche haben wir alle gelesen, dass es im
letzten Jahr in Deutschland einen negativen Rekord bei
den Geburtenzahlen gab; es waren 673 000. Im Jahr
1964 - diesem Jahrgang gehört Herr Keese an - gab es
1 357 000 Geburten; das ist mehr als doppelt so viel.
Wenn man die Sterbetafel zur Hand nimmt, stellt man
fest, dass im Jahr 2050 immer noch mehr Menschen dem
Jahrgang 1964 angehören werden als dem Jahrgang
2006. Wenn man zwei Jahrgangskohorten so nebeneinanderstellt, verdeutlicht das die dramatische Alterung
der Gesellschaft. Das zeigt, was sich in diesem Land verändern wird.
Umso wichtiger ist es, dass wir im Bereich der Begabtenförderung mehr tun. Wir dürfen keine Talente
verlieren;
({4})
wir müssen sie fördern. Nur wenn man in der Spitze fördert, wird es auch in der Breite einen entsprechenden
Aufwuchs geben. Deshalb ist es wichtig, dies zu tun. Der
Kurs, den die Bundesregierung, insbesondere die Bildungs- und Forschungsministerin, einschlägt, ist richtig.
Wir haben eben festgestellt, dass wir uns beim
BAföG einig sind. Wir wollen das BAföG erhöhen und
die Bemessungsgrenze anheben. Wir denken, dass es
klug ist, es so zu machen, wie es der Finanzminister vorgeschlagen hat, und zwar in zwei Schritten, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Über die Details werden
wir in den Berichterstattergesprächen reden.
({5})
Ich glaube in der Tat, dass wir es rechtfertigen können,
hier von unserer Grundregel, nicht verstärkt in den konsumtiven Bereich zu investieren, abzuweichen, weil an
dieser Front sehr lange, seit 2001, nichts getan worden
ist.
({6})
Wir müssen ein bisschen weiter denken und dürfen
nicht glauben, das sei alles eine Frage des Geldes. Wenn
ich es in den sogenannten Wahlkreiswochen irgendwie
einrichten kann, bringe ich meine Anna und meine Klara
morgens selber in den Kindergarten. Bei der Gelegenheit
merke ich oft, dass Bildung nicht unbedingt etwas mit
Geld zu tun haben muss. Bei der Gelegenheit bekommt
man ja einen flüchtigen Eindruck von den anderen Kindern. Man stellt fest, dass einige viel reden und einen
großen Wortschatz haben, und man merkt, dass andere,
die zu Hause weniger Ansprache erfahren, schlechtere
Chancen haben.
Wir haben die Durchlässigkeit des Systems ja schon
erheblich verbessert. In den 80er-Jahren war es sechsmal wahrscheinlicher, als Beamtensohn oder Beamten11672
tochter ein Studium zu beginnen, denn als Arbeitersohn
oder -tochter. Heute ist es nur noch 3,6-mal wahrscheinlicher. Insofern ist hier in unserer Gesellschaft schon einiges in Bewegung gekommen.
Ich glaube aber, wir müssen weiter ausholen. Der Bildungs- und Erziehungsplan in Hessen fand viel Beachtung. Wir sehen die Phase zwischen der Geburt und dem
zehnten Lebensjahr als Einheit an, weil das die intensivste Prägephase ist. Dadurch können die Kinder zum
Beispiel variabel eingeschult werden.Das können wir
auf der Bundesebene nicht leisten. Dieser Aufgabe müssen sich die Länder stellen.
Ich habe mich jetzt in den Bildungsfragen so verloren,
dass ich für den Forschungsbereich voll auf Ilse Aigner
setzen muss. Liebe Ilse, du wirst das sicher in deiner Redezeit ansprechen und entsprechend würdigen. Ich
glaube, wir setzen mit der Hightechstrategie die richtigen Impulse. Wir gehen mit neuen Instrumenten zu
Werk, zum Beispiel mit der Forschungsprämie. Klaus
Hagemann, wir haben die Frage, wie viel abfließt und
wie viel umgesetzt wird, auch an alle anderen gerichtet.
Wir sollten da mitarbeiten. Die Pferde müssen auch saufen wollen. Dabei können wir helfen. Wir müssen in unseren Wahlkreisen in die Firmen und in die Forschungseinrichtungen gehen und ihnen sagen: Bitte, wir haben
neue Möglichkeiten geschaffen, setzt sie um und nutzt
sie. Dann kann das ganze Werk gelingen.
Ich will zum Schluss kommen - hier blinkt es schon
bedrohlich - und noch einen Satz aufnehmen, der diese
Woche - ich glaube, es war vorgestern - gefallen ist.
Dem Finanzminister wurden für den Fall, dass er schon
vor 2010 einen ausgeglichenen Haushalt zustande
bringt, mehrere Flaschen Saint-Émilion angeboten. Das
ist sicherlich ein guter Wein. Zu meinem Wahlkreis gehört das obere Mittelrheinthal; es ist eine Stätte des
Weltkulturerbes.
({7})
Wir haben heute Abend eine schöne Feier dazu. Ich lege
eine Kiste Rheingauer Riesling und einen schönen Rüdesheimer oder Assmannshäuser Spätburgunder dazu,
wenn wir das Ziel früher erreichen. Das können wir dann
gemeinsam - das ist ein Ansporn für die Haushälter - in
der Haushälterrunde miteinander trinken, wenn die Arbeit getan ist. Das wird uns sicher gut bekommen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({8})
Nächster Redner ist nun der Kollege Kai Gehring für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sonntagsreden der Großkoalitionäre können mich
nicht überzeugen.
({0})
Ihr Haushalt offenbart die ganze werktägliche Wahrheit
Ihrer Bildungspolitik. Schöne Worte gibt es bei Ihnen
genug; schöne Zahlen leider kaum.
({1})
Nehmen wir das Beispiel nationale Qualifizierungsoffensive. Wer eine Offensive braucht, ist offensichtlich in
die Defensive geraten. Denn Sie haben zwei Jahre lang
beim Fachkräftemangel geschlafen.
({2})
Was Sie in Meseberg veranstaltet haben, kommt schon
fast einer nationalen Täuschungsoffensive gleich. Denn
die Zahl der Studienanfänger ist unter Bundesbildungsministerin Schavan Semester für Semester gesunken
anstatt gestiegen. Die Zugangshürden vor den Hörsaaltüren werden immer höher aufgetürmt anstatt abgesenkt.
Die Arbeitsmarktzugänge und Aufenthaltsbestimmungen ausländischer Spitzenkräfte, Studierender und Akademiker wurden noch vor der Sommerpause durch die
Große Koalition verschlechtert statt verbessert.
({3})
Frau Schavan, ich finde, es ist auch ein starkes Stück,
dass Sie als Waffe zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ein freiwilliges technisches Jahr einführen. Was soll
denn das bitte schön sein? In Wirklichkeit ist es doch
nichts anderes als ein staatlich gefördertes Langzeitpraktikum und damit für die Jugendlichen eine weitere Warteschleife zwischen Schule und Ausbildung. Das ist ineffektiv, demotivierend und letztlich dequalifizierend. Das
ist ein schöner Begriff, aber ein falsches Konzept.
({4})
Uns ist klar: Mit Ausbildungsmisere und Studienplatzmangel ist die Fachkräftelücke nicht zu schließen.
Gegen das Fachkräftetief wirkt auf Dauer nur ein Studierendenhoch. Aber was machen Sie? 2007 wollen Sie im
Hochschulpakt nur 35 Millionen Euro für die Schaffung
von mehr Studienplätzen ausgeben. Das sind gerade einmal 4 Promille des Bildungshaushaltes. Angesichts
Zehntausender junger Menschen, die zusätzlich an die
Hochschulen strömen könnten, fordern wir für diesen
Haushaltstitel, für den Hochschulpakt, eine Quantifizierungsoffensive. Denn für einen wirksamen Hochschulpakt müssten Sie laut Prognosen allein im kommenden
Jahr 300 Millionen Euro für zusätzliche Studienplätze
drauflegen. Im Übrigen müssen Sie auch die Planungssicherheit für die Zeit nach 2010 schaffen.
({5})
Nur dann schaffen Sie qualitativ hochwertige Studienplätze in ausreichender Zahl und können den Fachkräftemangel bekämpfen.
Mehr Studienplätze allein bringen jedoch wenig,
wenn sich junge Menschen ein Studium nicht mehr leisten können. Wir Grüne wollen - anders als zum Beispiel
die FDP in NRW und die Union in vielen Bundesländern Kai Gehring
kein Studieren auf Pump. Wir wollen kein Bezahlstudium an den Universitäten. Wir wollen eine Studienfinanzierung, die gerade hochschulfernen Schichten
den Weg an die Unis öffnet.
({6})
Deshalb muss das BAföG erhöht werden, und zwar sofort und um mindestens 10 Prozent.
Ich muss Ihnen sagen: Ihr monatelanger BAföGZickzackkurs müsste Ihnen eigentlich selbst peinlich
sein.
({7})
Noch im Frühjahr dieses Jahres wollten Union und SPD
gemeinsam eisern an einer BAföG-Nullrunde festhalten.
({8})
- Das haben Sie zusammen im Januar sogar noch in Ihrem Koalitionsantrag zum BAföG festgeschrieben.
({9})
- Ja. Ich freue mich, dass wir heute hier im Parlament
nicht mehr über das Ob einer BAföG-Erhöhung streiten,
sondern darüber, wie hoch sie ausfallen soll;
({10})
das ist etwas anderes. Das ist in erster Linie der vernichtenden Kritik der Opposition,
({11})
der Wissenschaftsorganisationen, der Experten, die sich
in der Anhörung geäußert haben, und der Studierenden
zu verdanken, nicht etwa allein der Großen Koalition.
({12})
Es ist öffentlich Druck gemacht worden, um eine ordentliche BAföG-Erhöhung zu erreichen. Die Studierenden
in diesem Land würden von Ihnen gerne schon heute das
Signal bekommen, welchen Umfang die BAföG-Erhöhung haben wird.
({13})
Die Große Koalition musste zum Jagen getragen werden, anstatt von Anfang an ein starker Anwalt der Studierenden zu sein. Ich finde, gerade in Zeiten des Aufschwungs sollte man bei der BAföG-Erhöhung klotzen
und nicht kleckern. Das ist ein wichtiger Punkt. Die Koalition sollte über die goldenen Brücken gehen, die ihr
der Finanzminister am Dienstag dieser Woche hier im
Plenum gebaut hat, als er sagte, dass er die Bemühungen
des Parlaments beim Thema BAföG respektvoll zur
Kenntnis nehmen werde. Nehmen Sie diesen Ball auf
und erhöhen Sie das BAföG jetzt und um 10 Prozent!
({14})
Damit würden Sie den Empfehlungen des BAföG-Beirates gerecht werden.
Wenn Sie wollen, dass wir Ihre Sonntagsreden vom
Aufbruch in die Wissensgesellschaft und vom Kampf
gegen den Fachkräftemangel ernst nehmen, dann müssen Sie diese Bemühungen auch im Haushalt in ausreichendem Maße finanziell unterlegen. Eine wichtige
Rolle spielt dabei der Ausbau der Zahl der ausfinanzierten Studienplätze, die Durchführung einer BAföG-Erhöhung um mindestens 10 Prozent und die Einleitung einer
Qualifizierungsoffensive, die diesen Namen verdient.
Ich wünsche Ihnen gute Haushaltsberatungen und hoffe,
dass Ihre Nacharbeiten noch zu einigen guten Ergebnissen führen werden.
Vielen Dank.
({15})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ernst Dieter
Rossmann für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Gehring, wie ist das mit der politischen
Souveränität? Dazu gehört auch, dass man anerkennen
können sollte, wenn etwas wirklich besser geworden ist.
({0})
Sie und ich wissen, dass SPD und Grüne gemeinsam
stolz darauf sein können - ich sage ausdrücklich: stolz
sein können -, was in unserer Regierungszeit in Sachen
Ganztagsschule, Förderung der frühkindlichen Bildung,
Hochschulpakt und Ausbildungspakt erreicht wurde.
Da ich nicht nur Sie, Kollege Gehring, in den Blick
nehmen möchte, sage ich: Souveränität kann auch von
höchster Stelle, nämlich von der Regierung, geübt werden. Frau Ministerin Schavan, ich glaube, manchmal
würde es zur Entspannung beitragen, wenn wir auch einmal von Ihnen hören würden, dass der Aufschwung im
Bereich von Bildung und Forschung nicht erst im
Jahre 2005 begonnen hat, sondern dass in dieser Hinsicht ein kontinuierliches Bemühen stattgefunden hat,
das jetzt unter glücklichen Umständen eine Beschleunigung erfährt.
({1})
Das würde vieles leichter machen, wäre kooperativer
und letztlich auch produktiver. Für diese Souveränität
werben wir, und zwar in die eine wie in die andere Richtung.
({2})
Denn nur dann, wenn man diese Souveränität an den Tag
legt, kann man Menschen und auch Institutionen mitnehmen.
Frau Sitte, es wird Sie nicht wundern, dass ich vieles,
was Sie gesagt haben, nicht positiv bewerte. Aber eines
finde ich richtig: Es muss das Bewusstsein wachsen,
dass es um eine Bildungs- und Wissensgesellschaft für
die Zukunft geht, nicht vorrangig um ökonomische Verwertbarkeit. In der Bildungs- und Wissensgesellschaft
steht das Menschenrecht auf Bildung - von Anfang an
und ein Leben lang - im Mittelpunkt, ebenso der kluge
Gedanke, dass eine wissensbasierte Ökonomie aufgebaut werden sollte, weil sie gesünder und fortschrittlicher ist und auch den Ländern, die sich in ökonomischer
Hinsicht bisher nicht so weit entwickeln konnten, neue
Chancen eröffnet. So weit zum Allgemeinen.
Nun knüpfe ich an die Erfolge an, die wir gemeinsam
erzielt haben. Unter anderem haben wir das Thema „lebenslanges Lernen“ im ersten nationalen Bildungsbericht in sehr positiver Weise in den Blick genommen. Ich
will nicht nur Kritik äußern, sondern auch souverän zugeben, dass wir es sehr gut finden, wie diese Regierung
sich insbesondere im nationalen Bildungsbericht um die
Integration gekümmert hat.
({3})
Sie haben zum Beispiel in Bezug auf die Alphabetisierung Initiativen ergriffen, die wir vorher noch nicht ergriffen haben und ergreifen konnten. Auch das möchte
ich ausdrücklich anerkennen.
({4})
In diesem Sinne aber müssen von den diese Regierung tragenden Fraktionen und der Regierung selbst bitte
auch an anderen Stellen Signale ausgehen, dass wir die
Prioritäten richtig setzen. Im Sommer hätte es darum gehen können und müssen, nicht nur eine nationale Hightechstrategie, sondern auch eine nationale Bildungsstrategie aufzubauen. Dennoch war die unschöne und
ablenkende Debatte um die Einführung eines Zentralabiturs in ganz Deutschland fast das bestimmende Thema.
Aus dem, was wir erarbeitet haben und weiter erarbeiten
wollen, geht stattdessen doch vielmehr hervor, dass wir
eine nationale Grundbildungsstrategie sowie eine nationale Qualifizierungsstrategie brauchen und wollen.
Die Punkte in Bezug auf Altbewerber und den beruflichen Bereich müssen abgearbeitet werden. Alle diese
Menschen müssen eine Chance bekommen. Wir müssen
ferner eine nationale akademische Bildungsstrategie entwerfen. Das müssen die Botschaften sein. Wir müssen
uns dafür einsetzen, dass Bund und Länder an diesen
Stellen entschieden mitarbeiten. Ich werbe darum, die
Akzente richtig zu setzen.
Wir müssen dies auch auf dem Feld tun, das uns
durch die Föderalismusreform neu zuwächst. Es ist anerkannt, dass diese Regierung bei der Bildungsforschung
sehr viel mehr macht und machen kann. Die zentralen
Forschungsfragen müssen hier erkannt und umgesetzt
werden. Konkret: Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ist ein großer Schritt nach vorn bei der frühkindlichen Betreuung. Wir als SPD wünschen uns aber
auch, dass die frühkindliche Bildungsqualität durch Forschung erhöht wird. Wir wünschen uns, dass das gemeinsame Lernen durch Bildungsforschung noch stärker
untermauert wird. Ferner wünschen wir uns, dass die
zweite Chance - es gibt nun einmal Biografien mit Brüchen - durch Bildungsforschung besser aufgearbeitet
wird. Wir setzen darauf, dass Sie dies mit uns zusammen
durchsetzen wollen, damit wir ein gutes Bildungsforschungsprogramm haben.
Der zweite Teil dessen, was uns besonders wichtig ist,
knüpft noch einmal an den gemeinsam erstrittenen
Hochschulpakt an, der Teil einer Föderalismusreform
ist, die letztlich doch nicht ganz so harsch ausgefallen
ist, was die Kooperationsmöglichkeiten zwischen den
staatlichen Ebenen angeht. Wenn wir bisher über Quantität diskutiert haben, möchte ich jetzt mit der Qualität anfangen. Wir nehmen das, was wir von den Gewerkschaften über die Qualität beruflicher Bildung hören, sehr
ernst. Möglicherweise ist es nicht der Weisheit letzter
Schluss, wieder auf die Ausbilder-Eignungsverordnung
zurückzukommen. Wir als Sozialdemokraten möchten
aber auch für Anstrengungen stehen, die berufliche
betriebliche Ausbildung und auch Weiterbildung auf
didaktischer und personeller Ebene zu verbessern. Genauso ist uns die Qualität der Lehre an den Hochschulen
- sozusagen das „Hochschul-PISA“ - ein ausgesprochen
wichtiges Anliegen. Wir wollen sowohl Qualität als auch
Quantität.
Zum BAföG ist schon vieles gesagt worden. Polemisierend könnte man - um einmal die Schlachtordnung
klarzumachen - das letzte bemerkenswerte Zitat von
Herrn Kampeter zu diesem Thema im Sommer aufgreifen. Damals hat Peter Struck verdeutlicht, was wir als
SPD diesbezüglich wollen. Herr Kampeter aber sprach
von einer „populistischen Sommeroffensive der SPD“.
({5})
Wir, SPD und CDU/CSU, können jetzt zusammen belegen, dass es keine populistische Sommeroffensive der
SPD war, sondern dass wir es zusammen hinbekommen
haben.
({6})
Aber dann muss es auch einen Blumenstrauß für Peter
Struck geben, und zwar nicht nur von den Studierenden,
sondern vielleicht auch von Ihnen.
Schließlich stoße ich mich noch daran, dass Sie, Frau
Schavan, gesagt haben, Sie wollten eine elternunabhängige Förderung und wollten das BAföG nicht abschaffen. Rhetorik ist das eine. Wenn das aber bedeuten soll,
dass es für alle nur noch Kredite gibt - ich frage ja nur -,
dann wäre das die Abschaffung des BAföG. Denn Ziel
des BAföG ist es, denjenigen teilweise eine Darlehensund Schuldenlast zu ersparen, die es sozial nötig haben,
weil sie keinen großzügigen finanziellen Hintergrund zu
Hause besitzen. Dies geschieht durch Zuschüsse, die
dank der großen BAföG-Reform, die wir in einer der
vergangenen Legislaturperioden gemeinsam machen
konnten, gestiegen sind, und es geschieht durch Darlehen, die wir deckeln konnten, damit die Schulden nicht
zu hoch werden. Wir wollen daran festhalten. Ich sage
das auch an diejenigen gerichtet, die jetzt wieder den elternunabhängigen Teil betonen, Frau Flach.
Uns ist im Zweifelsfall soziale Partizipation wichtiger
als individuelle Emanzipation.
({7})
Wir müssen verhindern, dass ganze gesellschaftliche
Gruppen von akademischer Bildung ferngehalten werden. Wenn wir diese Proportion wahren, will ich für die
Sozialdemokratie gerne hinzufügen: Der große Bruder
BAföG hat immer eine kleine Schwester gehabt: das
Meister-BAföG. Wenn wir diese beiden zusammenhalten wollen, müssen wir uns auch für das Meister-BAföG
etwas überlegen. Denn das gehört in eine nationale Strategie zur Qualifizierung von Fachkräften hinein.
({8})
Wir werden daran arbeiten, und wir werden Initiativen
ergreifen, damit dieses nicht erst in einer nächsten Legislaturperiode kommt. Im Übrigen hat sich damit dann die
kleine Schwester vom großen Bruder emanzipiert.
Frau Schavan, es hat uns gefreut, dass Sie nicht nur
das Ziel der 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ansprachen, sondern auch die Bildungsfinanzierung. Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten, dass
wir 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung
und 7 Prozent des BIP für Bildung aufwenden. Jeder
zehnte Wert, der in Deutschland geschaffen wird, für die
Zukunft in Form von Bildung und Forschung - das wäre
ein gutes gemeinsames Ziel.
Danke schön.
({9})
Nun hat das Wort die Kollegin Ilse Aigner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Über den Etat des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung zu reden, müsste eigentlich für
jeden und jede hier im Haus eine wahre Freude sein. Leider habe ich das in der letzten Stunde nicht von allen gehört, stattdessen manchmal nur hilflosen Neid. Sehr bedauerlich!
({0})
Allein von 2006 auf 2008 wird der Etat dieses Bundesministeriums um 1,2 Milliarden Euro erhöht. Das
sind 15 Prozent mehr für Bildung und Forschung, das
sind 15 Prozent mehr für unsere Zukunft.
({1})
Nie zuvor wurde im Bundeshaushalt so viel für Bildung
und Forschung eingestellt. Bis 2011 legen wir gegenüber
2006 fast 7 Milliarden Euro drauf. Das ist praktisch ein
ganzer Jahresetat zusätzlich. Wenn das keine Spitzenleistung ist, weiß ich auch nicht, was wir noch machen
sollen.
({2})
Mehr Geld ist allerdings nicht alles. Entscheidend ist
es, Neues anzustoßen. Wir hätten es uns relativ einfach
machen können, indem wir die bisherigen Titel aufstocken. Doch wir haben uns dafür entschieden, zusätzliche
Instrumente einzuführen. Der Grundgedanke ist: Nicht
alles vorgeben, sondern Kreativität nutzen und Leistung
belohnen. Ein Teil der Mittel dient deshalb dem Einstieg
in die Vollkostenfinanzierung, besser bekannt als Overhead für Forschungsmittel. Dafür haben wir jahrelang
gekämpft. Zwei Beispiele, was das in der Praxis bedeutet: Im Land Berlin haben die Forscher 2005 und 2006
jährlich Mittel in der Höhe von 125 Millionen Euro eingeworben. Wenn sie auch 2008 so fleißig sind, bekommen sie 25 Millionen Euro obendrauf. Die Forscher in
Nordrhein-Westfalen bekämen sogar 56 Millionen Euro
zusätzlich. Damit wird Spitzenforschung auch wirklich
spitze belohnt.
({3})
Die Stärkung der Grundlagenforschung ist aber nur
ein Element auf dem Weg zu einem besseren Innovationssystem. Mindestens ebenso kräftig muss in die anwendungsnahe Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft investiert werden, aber auch mit der Wirtschaft.
Entscheidend ist der Pakt für Forschung und Innovation, den wir mit unseren fünf weltweit anerkannten Forschungseinrichtungen verabredet haben. Wir haben ihnen die verlässliche Zusage gegeben, dass sie jedes Jahr
3 Prozent mehr Mittel bekommen. Das sichert Planung
und eröffnet neue Gestaltungsspielräume.
({4})
Im Gegenzug unterstützen die Forschungseinrichtungen
unsere Ziele: verstärkte Nachwuchsförderung, verstärkte
Förderung von Wissenschaftlerinnen, verstärkte Vernetzung mit der Wirtschaft in Forschungsverbünden. Auch
hierzu ein Beispiel: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat sieben Innovationscluster gegründet.
Sie hat gezielt das Wissen und Können aller kompetenten Partner - Wirtschaft, Hochschulen und die Fraunhofer-Institute selbst - in einer Region gebündelt. Der
Innovationscluster Optische Technologien in Jena ist ein
Paradebeispiel dafür: Zwei Fraunhofer-Institute, zwei
Universitäten, eine Fachhochschule und zwei weitere
Forschungsinstitute arbeiten mit über einem Dutzend
Unternehmen zusammen. Sie bündeln ihre Kompetenzen zur Entwicklung mikrooptischer Systeme und setzen
die Forschungsergebnisse zügig in marktfähige Produkte
um. Beispielsweise wurde ein Verfahren zur Entspiegelung von Plastikoberflächen entwickelt. Dabei werden
sogenannte Mottenaugenstrukturen erzeugt. Es könnte
sein, dass Sie ein Produkt dieser Entwicklung in der Tasche haben, weil es bei den neuen Handykameras schon
eingesetzt werden kann.
So werden öffentliche Mittel nicht nur nachhaltig eingesetzt, sondern sie aktivieren zusätzlich private Mittel
für die Forschung. Auf diese Weise ist eins plus eins
dann mehr als zwei. Das ist innovative Mathematik.
({5})
Diese positive Erfahrung mit Forschungsclustern begrüßen wir sehr. Deshalb werden 2008 erhebliche Mittel
für einen Wettbewerb von Spitzenclustern bereitgestellt. Mir ist übrigens immer noch kein passendes deutsches Wort für „Cluster“ eingefallen. Der treffendste Begriff ist wohl immer noch „Verbund“. Ihnen ist ja auch
nichts wesentlich Besseres eingefallen. Vielleicht sollten
wir auch dazu einen Wettbewerb ausschreiben.
({6})
- Das ist sehr innovativ.
Der Spitzencluster-Wettbewerb hat vor zwei Wochen
begonnen; er ist ganz aktuell. Nach dem Grundsatz
„Stärken stärken!“ sollen bereits vorhandene Cluster auf
dem Weg in eine internationale Spitzengruppe unterstützt werden. Diese Spitzencluster werden die gesamte
Innovationskette von der Idee bis zum Produkt abdecken.
({7})
Ich freue mich besonders, dass bei diesem Wettbewerb
keine thematischen Eingrenzungen stattfinden. Jeder
Technologiebereich hat eine Chance. Ausgewählt werden die Kandidaten mit den besten Konzepten für die
Märkte der Zukunft.
({8})
Unsere Grundüberzeugung ist: Unsere Wissenschaftler sind nicht auf unsere Ideen angewiesen. Anders herum wird ein Schuh daraus: Wir brauchen die guten
Ideen und die Kreativität unserer Wissenschaftler.
({9})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Etat
hat ein neues Gesicht. Ich begrüße ausdrücklich die neue
Struktur. Sie verdeutlicht unsere drei strategischen
Leitlinien:
Erstens: Leistungsfähigkeit des Bildungswesen und
der Nachwuchsförderung. Das ist das Fundament für
eine innovative Gesellschaft und Volkswirtschaft. Das
ist Zukunft pur.
Zweitens: Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsund Innovationssystems durch die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit unserer Hochschulen, die Exzellenzinitiative, den Hochschulpakt mit der neuen Gemeinkostenfinanzierung - dem Overhead - und die Stärkung der
Grundlagenforschung mit der DFG, der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft. So wird unser
Wissenschaftssystem weltweit Spitze.
Drittens: Forschung und Innovation. Darin sind alle
Maßnahmen der Hightechstrategie konzentriert, auch die
anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen wie
die Fraunhofer-Institute und die Helmholtz-Zentren.
Mit all den zusätzlichen Mitteln und neuen Ideen starten wir in die zweite Halbzeit der Legislaturperiode. So
gestalten wir die Zukunft Deutschlands.
({10})
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist nun
der Kollege Jörg Tauss für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Sitte, Sie haben einen sehr wichtigen
Punkt angesprochen: den Zusammenhang zwischen
Armut und Bildungschancen von Kindern. Darin
stimme ich Ihnen zu; darüber muss eine politische Diskussion geführt werden. Es ist aber keine neue Erkenntnis, sondern das Ergebnis der PISA-Studie, dass es weltweit kein vergleichbares Industrieland gibt, in dem der
Bildungserfolg und die Bildungschancen von Kindern
stärker von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Status abhängen als bei uns. Deshalb hilft es uns, glaube ich, auch
nicht weiter, wenn wir das Problem nur über Armut definieren würden. Wenn wir beispielsweise die Regelsätze
erhöhen, dann würde die Zahl der armen Kinder zunehmen. Das würde keinen Sinn machen. Die Lösung besteht vielmehr darin, dass wir niemanden verloren geben. Kollege Willsch, das ist vielleicht das, was uns bei
aller Freundschaft in der Koalition unterscheidet. Sie haben an dieser Stelle verstärkt diejenigen mit Spitzenbegabung angesprochen. Diese müssen wir in Deutschland
selbstverständlich fördern. Aber wir müssen auch diejenigen fördern, die weniger Chancen haben. Kein Talent
darf verloren gehen. Das gilt sowohl für oben als auch
für unten. Ich glaube, hier haben wir keinen Dissens.
({0})
Bildung und Betreuung im frühkindlichen Bereich
sind genau aus diesem Grund so unglaublich wichtig.
Das ist auch einer der Gründe, warum wir in der letzten
Regierung das Tagesbetreuungsausbaugesetz auf den
Weg gebracht haben und nun weitere Initiativen in diesem Bereich ergreifen. Rheinland-Pfalz will die Kindergartengebühren abschaffen und nimmt damit eine Vorreiterrolle für viele andere Bundesländer ein. Dabei ist
Rheinland-Pfalz nicht das reichste Bundesland. Kurt
Beck kokettiert immer damit und sagt: Unter den Armen
sind wir die Reichsten. - Das ist okay. Aber dieses Bundesland macht reicheren Bundesländern vor, wie man
mit Kindergartengebühren zu verfahren hat. Das eröffnet
allen Kindern Chancen.
({1})
Wir brauchen nicht darum herumzureden: Wir brauchen
in diesem Bereich eine verbesserte Förderung.
Es gibt tolle Projekte. Kürzlich haben wir beim Helmholtz-Frühstück über kleine Forscherinnen und Forscher
in Kindergärten diskutiert. Dieses Projekt wird nicht mit
Mitteln aus einem staatlichen Programm, sondern mit
Mitteln der Forschungsorganisationen finanziert. Das
halte ich für den besseren Weg, liebe Frau Kollegin
Flach, als den amerikanischen, den Sie gehen wollen.
Natürlich habe ich auf meinen Reisen in Amerika viel
Beeindruckendes kennengelernt. Sie sagen, kümmert
euch nicht um Vierjährige - ich wundere mich nun nicht
mehr darüber, warum es auf eurem Parteitag einen so
großen Krach um die Kindergartengebühren gegeben
hat -, sondern um die Zuwanderung. Aber genau dann
wäre der amerikanische Weg falsch. Wir müssen vielmehr beides tun. Wir brauchen ein Punktesystem, um
dort, wo es notwendig ist, qualifizierte Zuwanderer zu
bekommen. Gleichzeitig dürfen wir die Bildung von
denjenigen, die unten sind, bis hin zu den Studierenden
nicht vernachlässigen. Aber das haben die Amerikaner
in den letzten Jahren versäumt. Das wird sie einholen.
({2})
Das amerikanische Bildungssystem ist in der Substanz
verrottet. Schon breite Mittelstandsschichten haben dort
keine guten Bildungschancen, sodass die Probleme über
Zuwanderung gelöst werden müssen.
({3})
- Wenn Sie mir nun bestätigen, dass das nicht das FDPKonzept ist, bin ich einigermaßen erleichtert. Aber Ihre
Worte haben etwas anderes vermuten lassen.
Sie haben behauptet, wir hätten nicht genügend Mittel
für die angesprochenen Qualifizierungsinitiativen im
Herbst eingestellt. Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Kritik kommen. Ich bin jedenfalls dankbar, dass Frau
Schavan und Franz Müntefering diese Initiativen gemeinsam voranbringen. Wir sind Franz Müntefering außerordentlich dankbar, dass er einen Ausbildungsbonus
zum Thema gemacht hat.
({4})
Natürlich müssen wir hier Geld in die Hand nehmen und
das auch mit Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit gegenfinanzieren. Ich halte es für wichtiger, mit den
Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit sinnvolle
Maßnahmen zu fördern, als sie für Beitragssenkungen zu
verwenden; das wäre plump. Für uns ist das völlig klar.
Allerdings besteht hier noch Diskussionsbedarf.
({5})
Liebe Frau Flach, Ihre tränenreichen Ausführungen
über die armen Studierenden nehme ich Ihnen nicht ab.
Wo Sie regieren, ob in Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen - das gilt auch für Bayern -,
werden die Studierenden über Studiengebühren abgezockt. Lassen Sie also das Klagen über die armen Studierenden!
({6})
Lassen Sie uns den Unfug mit den Studiengebühren beenden!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flach?
Dafür wäre ich sehr dankbar, weil mir die Zeit
davonrennt. - Liebe Frau Kollegin Flach, vielen Dank.
Stellen Sie eine Frage, bei deren Beantwortung ich noch
möglichst viel ansprechen kann.
Frau Kollegin Flach, bitte sehr.
Lieber Kollege Tauss, das Land Nordrhein-Westfalen
stellt sehr viele neue Professoren ein, weil es nicht nur
Gelder aus dem Hochschulpakt hat, sondern auch
300 Millionen Euro aus dem Studiengebührentopf. Vertreter der Universität Bochum werden mit den schönen
Worten zitiert, sie hätten Angst, dass die SPD wieder an
die Macht komme; denn die Gelder aus diesem Topf fielen dann weg. Wie stehen Sie denn dazu?
({0})
Ich bin Mitglied des Kuratoriums eines sehr wichtigen Instituts an der Universität Bochum. Insofern bin ich
dort sehr oft. Aber einen solchen Unfug hat mir dort niemand erzählt.
({0})
Frau Kollegin Flach, Sie sprechen ein ernstes Problem an. Der entscheidende Punkt ist in der Tat: Hochschulen sind unterfinanziert. Die Gesamtgesellschaft
kommt ihrem Auftrag, Bildung und Forschung so zu fördern, wie es notwendig wäre, nicht nach, und dann
kommt es zur Individualisierung. Ihr Minister hat von einem Freiheitsgesetz gesprochen - das ist die Freiheit,
unter Brücken zu schlafen -, aber er hat die Hochschulen
erpresst, indem er sagte, sie müssten diesen Kampf individuell austragen. Es gibt noch mutige Hochschulen in
Nordrhein-Westfalen, die dies zugunsten ihrer Studierenden nicht gemacht haben. Vielleicht können wir uns
darauf einigen, Frau Kollegin Flach, dass wir angesichts
des Rückgangs der Studierendenzahlen in NordrheinWestfalen
({1})
- das wollen wir einmal festhalten -, der problematisch
ist, gemeinsam über den Unfug der Studiengebühren
nachdenken und den Ländern einen Weg weisen. Das
wäre hilfreich. Ich bin stolz darauf: Wo Sozialdemokraten regieren, gibt es keine Studiengebühren. Das ist ein
Punkt, den wir an dieser Stelle festhalten wollen.
({2})
Wir haben heute schon eine Reihe von Themen angesprochen. Ich will gerne noch auf einige Details eingehen, die im Zusammenhang mit einer Haushaltsberatung
wichtig sind. Neue Instrumente in der Forschungspolitik
- die Ministerin und andere haben es angesprochen sind auf den Weg gebracht worden. Ich nenne das Stichwort „Forschungsprämie“. Ein wichtiger Erfolg ist auf
europäischer Ebene dadurch erreicht worden, dass die
gemeinnützigen Forschungseinrichtungen in den Kreis
derer, die eine Forschungsprämie erhalten können, aufgenommen wurden. Ich kann jetzt nur an die Universitäten appellieren - Frau Flach, dazu können auch Sie einen
Beitrag leisten, wenn Sie in Nordrhein-Westfalen durch
die Gegend touren -, dass sie dieses Instrument noch
stärker in Anspruch nehmen und die Mittel abrufen. Hier
geht es um die Kooperation mit dem Mittelstand, um
kleine und mittlere Unternehmen stärker zu fördern. Wir
sollten gemeinsam dafür werben, dass sie dies tun.
Ich sage den Haushältern, lieber Kollege Hagemann
- den Kollegen Willsch sehe ich gerade nicht -, ausdrücklich: Uns geht es nicht nur darum, Geld einzunehmen. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, gemeinsam mit
dem ganzen Haus zu schauen, ob die Instrumente, die
neu eingeführt worden sind, eine entsprechende Wirkung entfalten oder ob wir möglicherweise in dem einen
oder anderen Bereich, wenn sie nicht funktionieren, ein
anderes Instrument brauchen.
Kollegin Flach hat natürlich recht, wenn sie sagt, dass
wir immer noch ein Problem haben. Das Ganze ist nicht
ein Problem der Bundesregierung, sondern ein Problem
der deutschen Wirtschaft, der es gelegentlich an Innovationskraft und Ideen mangelt. Ich nenne als Stichworte
Fax, Mikrowelle, MP3-Player usw. In diesen Fällen hat
die Wirtschaft eben nicht Erkenntnisse der Grundlagenforschung in Produkte umgesetzt, obwohl sie vorhanden
waren. Wir müssen über diese Transferlücke diskutieren,
zumal wir wissen, dass in der Grundlagenforschung das
Risiko für Ausgründungen und potenzielle Kapitalgeber
in der Frühphase noch relativ groß ist. Wir sollten überlegen, ob es hier eines ergänzenden Instruments bedarf.
Es gibt dazu Vorschläge. Ich nenne das Stichwort „Innovationsforen“. Darüber sollten wir unvoreingenommen
diskutieren.
Was Frau Hinz - ich sehe die Kollegin im Moment
nicht; berichten Sie es ihr bitte - zum Bruttoinlandsprodukt gesagt hat, war schlicht falsch. Selbstverständlich
ist es so, dass wir aufgrund der erfreulichen Tatsache,
dass das Bruttoinlandsprodukt wächst, unsere Mittel aufstocken, wenn wir das Ziel haben, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der
Klausurtagung. Wir werden im nächsten Jahr mit 2,7 Prozent einen Schritt nach vorne machen und im Jahr 2009
2,8 Prozent erreichen.
Ich habe jetzt noch ungefähr acht DIN-A4-Seiten vorzutragen.
({3})
Dafür wird die Zeit nicht mehr reichen.
Ich weiß nicht, wie wir das hinbekommen sollen. Aus
diesem Grund ein klares Bekenntnis: Im Bereich der Bildung müssen wir uns um die bildungsfernen Schichten
kümmern. Im Bereich der Forschung müssen wir uns um
die kümmern, die Spitzenforschung betreiben, aber nicht
um diese allein. Wir müssen die Forschung in Deutschland in der Breite aufrechterhalten. Die berufliche Bildung ist ganz wichtig; ich sage das ausdrücklich. Es geht
unter anderem um die Qualifizierungsbausteine, ferner
darum, was wir mit den Jugendlichen machen und wie
wir die Mittel einsetzen, die von der Bundesagentur für
Arbeit zur Verfügung gestellt werden. Das sind unsere
Herausforderungen.
Mit diesem Haushaltsentwurf sind wir in all diesen
Punkten auf einem richtigen Weg. Das halte ich für das
wichtige Signal dieser Haushaltsberatungen. Wir haben
Geld für Zukunftsinvestitionen in Deutschland. Auf den
Gebieten Bildung, Wissenschaft und Forschung setzt
diese Regierung - lieber Kollege Rossmann, Sie haben
es angemahnt - den erfolgreichen Weg, den Vorgängerregierungen eingeschlagen haben, kontinuierlich fort.
Sie schauen so entsetzt, Kollegin Aigner.
Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber zum Schluss
kommen.
Das war praktisch der Schluss, Frau Präsidentin. Die Kollegin Aigner schaut immer so entsetzt, wenn ich
von Kontinuität spreche. Ich wollte das jetzt gar nicht
vertiefen.
Das können Sie anschließend gern vertiefen, Herr
Kollege.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
({0})
Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem
Einzelplan.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12.
Als erstem Redner erteile ich das Wort Herrn Bundesminister Wolfgang Tiefensee.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Der
Einzelplan 12 in nüchternen Zahlen ist wiederum der
größte Investitionshaushalt des Bundes. Es ist nicht nur
der größte Investitionshaushalt, sondern, verglichen mit
den Etats aller anderen Ministerien, auch der viertgrößte
Einzelhaushalt.
Wir schlagen vor, in diesem Jahr 13 Milliarden Euro
für Investitionen auszugeben. Damit stärken wir das
Rückgrat der Wirtschaft und ermöglichen, dass die Wirtschaft in den Bereichen Verkehr, Bau und Stadtentwicklung floriert. Das kommt bei den Menschen an. Das
brauchen wir, damit der Aufschwung, den wir in diesem
Jahr konstatieren, sich in der nächsten Zeit kräftig fortsetzt.
({0})
13 Milliarden Euro Investitionen, das bedeutet, dass
wir im Einzelplan 12 im investiven Bereich aufstocken,
während wir im konsumtiven Bereich zurückfahren.
Sollte im Redemanuskript eines Oppositionspolitikers
stehen, dass der Haushalt insgesamt um 1,8 Prozent
sinkt, dann streichen Sie das gleich. Wir arbeiten nämlich vorbildlich: Wir schnallen den Gürtel enger hinsichtlich der konsumtiven Ausgaben - minus 450 Millionen Euro -, während wir andernorts um über
300 Millionen Euro aufstocken, weil wir glauben, dass
wir stärker investieren müssen, wenn wir Deutschland
voranbringen wollen.
({1})
Diese Zahlen allein genügen aber nicht. Was verlangt
werden kann, ist eine strategische Ausrichtung. Wo wollen wir mit diesen Geldern eigentlich Akzente setzen?
Wir kümmern uns um einen sogenannten Masterplan
Güterverkehr und Logistik, der die strategische Ausrichtung im Verkehr in Bezug auf die Gütermassen, die wir
bewältigen müssen, aufzeigt und gleichermaßen den Klimaschutz im Blick behält. Darüber hinaus werden wir
dafür Sorge tragen, dass Menschen, egal wie viel sie im
Portemonnaie haben, auf den Transport, auf die Mobilität zurückgreifen können.
Das Gleiche gilt für den Städtebau und das Bauen allgemein. Auch hier setzen wir strategische Akzente, die
über das Jahr 2008 hinausweisen und Deutschland im
Klimaschutz, aber auch bei der Entlastung der Mieterinnen und Mieter voranbringen sollen. Das ist eine kluge
Politik, eine strategische Linie, die auch beim Bürger ankommt. So wollen wir das auch im Jahre 2008 halten.
({2})
Lassen Sie mich jetzt ganz kurz einige Stichworte aus
den Einzeletats aufgreifen.
Zum Verkehrsbereich. Wir verstetigen und lassen
aufwachsen die Investitionen für die drei Verkehrsträger:
die Straße, die Schiene und die Binnenwasserstraße. Wir
investieren stabil in die Straße: 4,6 bzw. 4,7 Milliarden Euro. Wir investieren in die Schiene. Auch auf
diesem Gebiet kommt es zu einem Aufwuchs. Unsere
Mittel hierfür liegen mittlerweile bei 3,6 Milliarden Euro. 2,5 Milliarden Euro fließen in den Erhalt der
Schiene, und eine reichliche Milliarde wird in Aus- und
Neubauten investiert. Wir investieren mehr in die Binnenwasserstraße, weil wir wissen, dass dort Defizite
sind.
Bei der Straße steuern wir Schritt für Schritt um vom
Neubauschwerpunkt hin zum Erhalt, weil wir wissen,
dass wir die Defizite der letzten Jahre beseitigen müssen.
Es kann nicht sein, dass wir allein deshalb im Stau stehen, weil der Zustand der Straßen immer schlechter
wird. Aus diesem Grund dort ein starkes Investment!
Wir fördern den Lärmschutz. Immer mehr erwächst
aus der Lärmbelastung auf der Schiene eine Belastung
für den Bürger. Aus diesem Grund eine Aufstockung
dieser Mittel! 100 Millionen Euro geben wir für aktiven
und passiven Lärmschutz aus. Wir werden auch nicht
nachlassen, an den neuralgischen Punkten, dort, wo die
Schiene mitten durch die Stadt geht, Maßnahmen zu
treffen, damit die Bürger entlastet werden. Auch hier gilt
wieder: Mobilität und Logistik dürfen nicht zulasten des
Bürgers gehen; soweit Geld vorhanden ist, werden wir
es in diesem Bereich investieren.
({3})
Wir brauchen private Partner, Public-Private Partnership. Die Maßnahme A 8 ist in Gang gesetzt. Die Maßnahme A 4 ist unmittelbar in der Vorbereitung. Wir wollen nicht nur die Verbreiterung von Autobahnen, sondern
sogar auch den Neubau von Autobahnen mit diesem
neuen Finanzierungsinstrument realisieren.
Wir investieren in die Revitalisierung, in den Ausbau
von Gleisanschlüssen zu den Unternehmen. Wir investieren in den kombinierten Verkehr - 10 Millionen obendrauf -, weil wir wissen, dass wir die Schiene nur dann
attraktiv machen, wenn sie als Punkt-zu-Punkt-Verbindung genutzt werden kann.
Wir investieren in solche Systeme wie GMES - Umweltbeobachtung -, Galileo - dort leisten wir unseren
ersten Beitrag -, vor allen Dingen aber auch in den Klimaschutz, nämlich mit unserem Wasserstoff- und Brennstoffzellenprogramm.
Auch die Verkehrssicherheit kommt nicht zu kurz.
Hier werden wir nennenswerte Millionenbeträge investieren, um aufzuklären und für Sicherheit zu sorgen.
Wir setzen Akzente im Städtebau. Es gibt ein neues
Programm im Jahr 2008. 40 Millionen Euro stecken wir
in ein Programm Aktive Stadt- und Ortsteilzentren. Wir
wollen im Wettbewerb zwischen der grünen Wiese und
dem Innern der Stadt Akzente setzen. Wir verstetigen
das Programm Soziale Stadt. Wir verstetigen das Programm zum Stadtumbau Ost. Wir werden bei der Einbringung des Berichts zur deutschen Einheit sicherlich
ausführlicher über den Osten sprechen können. An dieser Stelle sei schon einmal gesagt: Die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen und auch die Investitionen in den
Stadtumbau Ost kommen den neuen Bundesländern zu11680
gute und führen dazu, dass der Aufschwung verstetigt
und dynamisiert wird.
({4})
Wir stecken Geld in den städtebaulichen Denkmalschutz und wollen im Jahr 2009 aus dem Ostprogramm
ein Programm für Ost und West machen, weil wir wissen, dass auch im Westen investiert werden muss.
Im Städtebau also nicht nur Verstetigung, sondern
auch Aufwuchs, sowohl in den Investitionen als auch in
den Pilotprojekten. Wir sind stolz darauf, dass wir einer
negativen Tendenz der Stadtentwicklung, einem Auseinanderdriften von Stadtteilen und Städten entgegenwirken
können.
Natürlich bewegt in diesen Tagen ein besonderes
Thema die Medien, die Bevölkerung und nicht zuletzt
auch den Bundestag mit seinen Fraktionen: die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG. Wenn wir über
Klimaschutz reden und darüber, wie wir die gigantischen
Herausforderungen bei der Bewältigung der Güterverkehre in der Zukunft gewährleisten wollen, kommen wir
um eine Neuausrichtung und eine Stärkung unserer DB
AG nicht herum.
({5})
Deshalb bin ich froh, dass die Koalitionsfraktionen in
einer Entschließung im November noch einmal bekräftigt haben, welche Ziele wir verfolgen. Wir wollen mehr
Verkehr von der Straße auf die Schiene bringen. Wir wollen dieses effiziente und klimaschonende Verkehrsmittel
weiter ausbauen. Wir wollen uns in Europa stark aufstellen, wollen aber natürlich auch in Deutschland unseren
Verpflichtungen als Dienstleister gerecht werden. Die
Taktfrequenzen in der Fläche sollen genauso stabil
bleiben - vielleicht sogar noch verbessert werden - wie
die Investitionen in die Fernverkehre. Wir wollen den
Güterverkehr in Deutschland genauso im Blick behalten
wie die Herausforderungen in Europa.
({6})
Darüber hinaus wollen wir die Investitionen, die der
Bund tätigen kann und tätigen muss, begrenzen. Wir haben nicht genug Steuergelder. Wir haben nicht genug öffentliches Geld, um diesen Auftrag mit der DB AG erfüllen zu können. Aus diesem Grund werden wir uns mit
Privaten verbinden, um Geld frei zu machen, die Deutsche Bahn AG zu einem Dienstleister im Inland und im
Ausland voranzubringen.
Ich bin den Kollegen Fischer und Beckmeyer dankbar, dass wir in der Vergangenheit sehr konstruktiv an
diesem Thema gearbeitet haben, das wie kein zweites in
der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Lassen Sie uns
alle Möglichkeiten nutzen, deutlich zu machen, dass wir
einen starken, integrierten Konzern haben wollen, der
dem Wettbewerb standhält, dass das Eigentum an den Infrastrukturunternehmen, an Netz und Stationen beim
Volk, beim Bund bleibt, die Arbeitsplätze sicher sind
und die DB AG trotz des geöffneten Markts in Europa
außerhalb Deutschlands Fuß fassen kann. Darüber werden wir in den nächsten Tagen und in der Zukunft diskutieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen werden.
({7})
Der Einzelplan 12 ist der Investitionshaushalt. Ich
will zum Schluss nicht verhehlen, dass, sollte irgendwo
noch ein Euro zu finden sein, er bei der Infrastruktur immer wieder gut angelegt ist. Ich freue mich auf intensive,
erfolgreiche und gute Verhandlungen über den Einzelplan 12.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Claudia
Winterstein für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Große Ereignisse
werfen ihre Schatten voraus - so in etwa könnte man die
derzeitige Lage im Verkehrsministerium beschreiben.
Die Privatisierung der Bahn AG steht an und soll zum
Höhepunkt Ihrer Amtszeit werden, Herr Minister. Da
auch Ihnen die Auflösungserscheinungen in der
schwarz-roten Koalition nicht entgangen sein können,
({0})
wollen Sie die Bahn lieber heute als morgen zu Geld machen. Für uns Haushälter und für den Steuerzahler stellt
sich die Situation allerdings deutlich anders dar: Ihre
Pläne zur Privatisierung der Bahn bedeuten vor allem ein
riskantes und teures Spiel auf Kosten der Bahnversorgung und der Steuerzahler.
({1})
Rund 5 Milliarden Euro soll der Verkauf von Bahnanteilen einbringen.
({2})
Mindestens 8 Milliarden Euro würde der Bund aber für
den Rückkauf in 15 Jahren bezahlen müssen ({3})
ein völlig absurder Plan.
({4})
Sie wollen öffentliches Eigentum zum Spottpreis verschleudern, das später teuer zurückgekauft werden muss,
falls sich in 15 Jahren überhaupt ein Finanzminister auf
dieses Spiel einlässt. Ansonsten würde sich der Bund
endgültig vom Schienennetz verabschieden.
({5})
Doch nicht nur haushaltspolitisch, sondern auch ordnungspolitisch führt Ihre geplante Privatisierung an den
Erfordernissen einer leistungsfähigen Bahn vorbei. Subventioniert durch Steuergelder stärken Sie die Bahn AG
als Monopolisten auf der Schiene,
({6})
der über Trassenpreise und Nutzungsbedingungen seiner
Konkurrenten bestimmen darf. Das ist so, als würde man
die Verantwortung über die Autobahnen an VW übergeben, und VW verlangt dann Gebühren von den Fahrern
anderer Automarken, damit sie überhaupt auf der Autobahn fahren dürfen.
({7})
Die FDP ist grundsätzlich für eine Privatisierung der
Bahn; das wissen Sie. Nur, das Netz muss vollständig
beim Bund bleiben, sonst schaffen Sie Milliardenrisiken
für den Bundeshaushalt, gefährden die Versorgung und
verhindern den Wettbewerb.
({8})
Wettbewerb ist nur möglich, wenn das Netz vollständig
in der Verantwortung des Bundes bleibt.
({9})
Nur dann ist ein fairer Zugang für alle Eisenbahnunternehmen zur Schiene möglich, nur dann wird Bahnfahren
günstig, nur dann ist eine flächendeckende Versorgung
durch die Schiene gewährleistet.
Bei all den Argumenten gegen Ihr Privatisierungskonzept ist es kein Wunder, dass Sie außer Ihrem ehrgeizigen Mitstreiter Hartmut Mehdorn kaum Freunde für Ihr
Projekt gewinnen können. Dass sich fast alle Länderregierungen, große Teile Ihres Koalitionspartners und sogar große Teile Ihrer eigenen Fraktion im Deutschen
Bundestag hartnäckig gegen das Gesetz wehren, sollte
Ihnen ernsthaft zu denken geben, Herr Minister.
({10})
Während Sie in Sachen Bahnprivatisierung dabei
sind, Milliardenbeträge zu verschleudern, fehlen die
Gelder an anderer Stelle: Das Straßennetz behandeln
Sie wie ein ungeliebtes Stiefkind. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs und steigender Mobilität stellen Sie
wieder weniger Geld für die Straße zur Verfügung - weniger und nicht mehr, Herr Tiefensee!
({11})
Sie haben eben dargelegt, dass die Ausgaben für die Verkehrsinvestitionen im Haushaltsentwurf 2008 gegenüber
dem Haushalt des Jahres 2007 steigen. Das ist richtig,
auch wenn nur minimale 216 Millionen Euro dabei herauskommen. Gemäß der Finanzplanung bis 2011 aber
wollen Sie weniger investieren, und darunter leidet allein die Straße. Was sollen also die Märchen, die Sie uns
eben erzählt haben?
({12})
Bereits in der Planung für 2008 senken Sie die Straßeninvestitionen auf 4,7 Milliarden Euro ab, bis 2011 sogar auf nur noch 4,5 Milliarden. Das sind die Zahlen.
Zur Erinnerung: 2004 waren es noch deutlich über
5 Milliarden Euro.
Dabei wissen wir alle: Die Anforderungen an die
Straße werden in den nächsten Jahren deutlich wachsen.
Deutschland stellt eine zentrale Drehscheibe in Europa
dar. Sowohl der Güter- als auch der Personenverkehr
werden stark zunehmen. Viele Autobahnabschnitte und
Bundesstraßen sind in einem miserablen Zustand und
müssen dringend modernisiert werden. 15 Prozent der
Brücken befinden sich in einem kritischen Zustand.
Wichtige Neubau- und Ausbauprojekte liegen auf Eis.
Deutschland ist Stauland, und das verursacht Milliardenschäden für unsere Volkswirtschaft.
({13})
Sie lassen das Straßennetz verkommen. Das ist Ihre
verantwortungslose Politik, Herr Tiefensee. Und das, obwohl die Lkw-Maut dieses Jahr Rekordsummen in die
Kasse spülen wird: 3,4 Milliarden Euro planen Sie für
2008 im Haushalt ein. An dieser Stelle will ich daran erinnern: Die Mauteinnahmen waren ursprünglich als zusätzliche Mittel für die Infrastruktur vorgesehen. Daran
haben Sie sich nicht gehalten. Im Ergebnis liegen die gesamten Investitionen für Schiene, Straße und Wasserstraße jetzt 0,5 Milliarden Euro unter dem Betrag von
2004, als es die Maut noch gar nicht gab.
({14})
Hätten Sie die Mautmittel tatsächlich zusätzlich verwendet, so könnten wir jetzt statt 9,1 Milliarden ganze
12,5 Milliarden Euro investieren. Das wären fast
40 Prozent mehr.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
- Ja. - Dieser Mautbetrug ist ein weiteres Ergebnis
schwarz-roter Verkehrsbehinderungspolitik.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Winterstein, ich
muss Sie leider enttäuschen: Die schwarz-roten Auflösungserscheinungen, die Sie feststellten, gibt es nicht.
({0})
Diese Koalition steht fest und eng zusammen.
({1})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({2})
Wenn Sie sich Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung
machen, muss ich Sie leider bis 2009 vertrösten. Seien
Sie sicher, wir werden auch in der Frage der Bahnreform eine gute, den Interessen der Menschen, der Steuerzahler, der Wirtschafts-, Ordnungs- und Verkehrspolitiker angemessene Lösung finden.
({3})
Ich kann Sie da beruhigen. Ab nächster Woche beginnt
darüber die Diskussion hier im Hohen Haus.
Wenn Experten gefragt werden, was denn die Grundlagen des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind, dann nennen sie im
Wesentlichen zwei entscheidende:
Eine Grundlage bilden - darüber wurde schon in der
vorigen Debatte gesprochen - gut ausgebildete, motivierte und fleißige Menschen. Dass wir die brauchen, ist
inzwischen in den Köpfen der Menschen angekommen.
Als zweite Grundlage für die derzeitige und zukünftige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland werden
die gute Infrastruktur, die Versorgung mit Energie und
die Kommunikationsnetze genannt. All dies ermöglicht
Mobilität und logistische Höchstleistungen. Das scheint
allerdings bei vielen noch nicht so richtig angekommen
zu sein.
({4})
Deswegen ist es, wie ich glaube, Aufgabe auch der
Politik, deutlich zu machen, wie wichtig Investitionen in
den Infrastrukturbereich sind. Erst wenn Streiks am Horizont erscheinen, wie beispielsweise vor einigen Wochen der Streik der GDL, entsteht große Aufregung. Erst
dann erkennt man, wie wichtig Logistik und Mobilität
für die wirtschaftliche Entwicklung sind. Sie stellen sozusagen den Lebenssaft der Wirtschaft dar.
Meine Damen und Herren, die Zunahme des Güterverkehrs in Deutschland - sie ist auch im Jahr 2007 dramatisch; es ist die stärkste Zunahme seit der
Wiedervereinigung - ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass wir in Deutschland und Europa einen wirtschaftlichen Aufschwung haben, sondern auch darauf,
dass es zu einer verstärkten Einbindung Deutschlands
und Europas in die globalisierte, immer feingliedriger
werdende Arbeitsteilung kommt. Darin liegt eine
Herausforderung - denn als Transitland müssen wir entsprechende Korridore schaffen -, darin liegt aber auch
eine Chance, die große Chance, dass in Deutschland im
Logistik- und Mobilitätsbereich, der schon heute nicht
unterschätzt werden darf, durch Wertschöpfung Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Lassen Sie uns, wie die Bundeskanzlerin gestern in
ihrer Rede gesagt hat, diese Chancen nicht nur erkennen,
sondern auch ergreifen. Wir werden Sie, Herr Minister,
in den nächsten Wochen bei Ihren Bemühungen unterstützen, die Mittel im Verkehrsbereich zu verstärken. Sie
haben uns, die Verkehrspolitiker, in dieser Frage an Ihrer
Seite.
Da ich gerade vom Ergreifen von Chancen gesprochen habe, möchte ich Ihnen, Herr Minister, ganz herzlich danken und zu dem Ergebnis gratulieren, das Sie in
der letzten Woche erzielt haben: Ich meine den Durchbruch beim Transrapid. Viele haben nicht mehr daran
geglaubt. Ich danke Ihnen, dass Sie ein Machtwort gegenüber all denen gesprochen haben, die Zweifel hatten.
Ich danke Ihnen, dass Sie sich offensichtlich beim Finanzminister, der Bedenken geäußert hat, durchsetzen
konnten und gesagt haben: 925 Millionen Euro kommen
auf den Tisch des Hauses.
({5})
Ich bin überzeugt: Mein Kollege und Namensvetter
Horst Friedrich von der FDP würde Ihnen, wenn das
Transrapidprojekt gescheitert wäre, vorwerfen, das sei
eine persönliche Niederlage. Mit dem gleichen Recht
sage ich: Es ist Ihr persönlicher Erfolg, dass dieses Projekt durchgesetzt wird.
({6})
Deutschland beweist in dieser Frage seine Innovationsfähigkeit.
({7})
Es gibt zwar eine kleine Finanzierungslücke; aber Sie
kennen den Spruch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Auch wenn es zusätzliche Risiken geben mag, bin ich sicher, dass wir ein partnerschaftliches Miteinander zwischen Bund und Freistaat Bayern erleben werden.
Herr Minister, Sie haben das Thema Masterplan
Logistik angesprochen. Auch dazu gibt es erste Zwischenergebnisse. Interessante Teilaspekte wurden bereits
genannt. Ich nenne die Entmischung der Güterverkehre
auf Schiene und Straße. Dies ist ein interessanter Bereich, über den wir verstärkt diskutieren sollten. Es muss
nicht immer alles so bleiben, wie es in den letzten Jahrzehnten war. Die Bestanderhaltung unserer Fernstraßen
und Schienen ist ein wichtiger Aspekt, der immer mehr
in das Blickfeld gerät, vor allem dann, wenn man sich
anschaut, welche Mittel notwendig sind, um das Streckennetz zu erhalten. Ein weiterer wichtiger Teilaspekt
ist die Parkplatzsituation der Lkws an den Bundesautobahnen.
Wir sollten uns aber davor hüten, ein Sammelsurium
an Teilaspekten aufzuhäufen und nach dem Motto „Gut,
dass wir darüber gesprochen haben“ abzuheften. Wir
brauchen ein Gesamtkonzept; jetzt wird dafür die Vorarbeit geleistet. Bestimmte Dinge müssen vor die Klammer gezogen werden: beispielsweise die wichtig
bleibende Frage der Beschleunigung von Planungsverfahren. Die Wettbewerbsfähigkeit der Logistik hängt von
der Geschwindigkeit ab. Deswegen ist es gerade in diesem Bereich notwendig, Logistikeinrichtungen jeder Art
möglichst schnell, möglichst beschleunigt realisieren zu
können. Ich halte das für ganz wichtig.
Ich nenne den Bereich des Lärmschutzes; dies
wurde schon angesprochen. Mobilität und Verkehr benöDr. Hans-Peter Friedrich ({8})
tigen die Akzeptanz der Bevölkerung. Deswegen müssen wir nicht nur bei den Lärmschutzeinrichtungen an
Schienen und Straßen, sondern auch beim Lärmschutz
durch technische Neuerungen an den Fahrzeugen etwas
tun, und zwar nicht nur einseitig zulasten der deutschen
Unternehmen, etwa der deutschen Eisenbahnunternehmen. Vielmehr müssen auch diejenigen Europäer, die
durch Deutschland fahren wollen, in die Pflicht genommen werden.
Wer wie in allen Bereichen mit knappen Mitteln umgeht, muss Prioritäten setzen. Wir haben das nach der
deutschen Wiedervereinigung getan. Damals ging es darum, möglichst rasch die neuen Länder mit Verkehrsleistungen zu versorgen, mit Autobahnen und Fernstraßen.
Wenn ich heute von hier in meinen Wahlkreis fahre, über
Leipzig bis nach Hof, dann freue ich mich immer über
den guten Zustand der Autobahnen in den neuen Ländern. Die Freude wird aber getrübt, wenn ich über die
Autobahnen in den alten Bundesländern fahre und auf
fehlende Lückenschlüsse, schlechte Fahrbahnbeläge und
Brückenbauwerke treffe, denen man schon ansieht, dass
sie eigentlich zu alt sind und dringend erneuert werden
müssten.
Ich halte es für notwendig, dass wir jetzt einmal überlegen, wie wir mit diesem Zustand umgehen. Wenn ich
- auch in den neuen Ländern - mit den Menschen rede,
stelle ich fest: Sie verstehen, dass man die Qualität der
Bundes- und Fernstraßen sowie der Autobahnen in den
alten Ländern an den hohen Standard, den wir in den
neuen Ländern erreicht haben, angleichen muss. Deswegen unterstütze ich ausdrücklich die Forderung des
bayerischen Innenministers Beckstein, ein Angleichungsprogramm sozusagen vor die Klammer zu ziehen, wie wir es bei den Verkehrsprojekten Deutsche
Einheit gemacht haben, oder die VIFG mit Kreditfähigkeit auszustatten, jedenfalls ein mehrjähriges Programm
zur Ertüchtigung und zur Erneuerung der Fernstraßen in
den alten Ländern aufzulegen.
({9})
Lassen Sie mich einige Worte zum Thema Umwelt
sagen, das, meine Herren Minister,
({10})
bei Ihrer Klausur in Meseberg eine wesentliche Rolle
spielte. Fast zwei Drittel des Energieverbrauchs fallen
in den Bereichen des Verkehrs und der Gebäude an. Deswegen ist es richtig, dass wir da etwas tun. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist eine Erfolgsgeschichte.
Wenn die mir vorliegenden Zahlen richtig sind, wurden
allein im Jahr 2006 die Sanierungen von 265 000 Wohnungen mit diesem Programm unterstützt. Dieses Programm ist heute viermal so hoch wie im Jahr 2005
- dem Zeitpunkt des Eintritts der CDU/CSU in die Regierung - ausgestattet. Man erkennt also die klare Handschrift unserer Partei im Bereich der Ökologie.
({11})
Ich denke, die Vervierfachung der Investitionen im Gebäudebereich kann sich sehen lassen.
Jetzt muss es darum gehen, Stück für Stück die Sanierung des Gebäudebestandes nach dem Stand der Technik
vorzunehmen. Ich warne aber dringend vor Verunsicherung. Wir brauchen bei diesem Unternehmen die Partnerschaft der Bürger. Wir wollen zusammen mit den
Bürgern, den Vermietern und den Hauseigentümern einen neuen, hohen Standard erreichen. Da macht es relativ wenig Sinn, wenn der Bundesumweltminister mit
starken Sprüchen Mieter und Vermieter polarisiert.
({12})
Wir haben die große Chance, eine Gewinnersituation
für die Eigentümer, die Mieter und die Umwelt zu erzeugen. Wir dürfen diese Chance nicht verspielen, indem
Einzelne versuchen, sich links zu profilieren. Vielmehr
sollten wir alle uns dem Ziel verschreiben und der Sache
dienen. Zwangsmaßnahmen sind dabei nicht notwendig.
Lieber Herr Tiefensee, nachdem Sie beim Transrapid
erfolgreich ein Machtwort gesprochen haben, bitte ich
Sie, auch in einer anderen Frage ein Machtwort zu sprechen, nämlich bei der Einbeziehung des Wohneigentums in die staatliche Förderung. Aus ideologischen
Gründen wird hier leider immer noch blockiert. Wir
brauchen eine solche Förderung aber dringend: In diesem Jahr gab es allein in den ersten sechs Monaten einen
Rückgang des Wohnungsbaus um 38 Prozent. Das kann
so nicht weitergehen. Es muss ein Signal für den Wohnungsbau gesetzt werden, auch in der Frage der staatlichen Förderung des Wohnungsbaus, und zwar ohne Antasten der Wohnungsbauprämie.
Im Übrigen denke ich, dass wir auf einem guten Weg
sind. Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Minister, und den
Kollegen, die im Haushaltsausschuss an der Front stehen, alles Gute bei den weiteren Beratungen in den
nächsten Wochen.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat nun der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bundesminister! Wir reden hier in der Tat
über den bedeutendsten Investitionshaushalt des Bundes.
Darin steht sehr viel Vernünftiges, das die Unterstützung
meiner Fraktion erfahren wird. Das sagt aber natürlich
noch nichts über die Arbeit Ihres Ministeriums.
({0})
Schließlich reden wir hier über Steuergelder, und die haben Sie ja nicht mit dem Cello eingespielt, Herr Bundesminister - bei allem Respekt. Solange Sie über die
größte Gießkanne dieser Republik verfügen, müssen Sie
sich von uns und der Öffentlichkeit natürlich über das
Wachstum der Pflanzen befragen lassen. Das ist alles andere als Majestätsbeleidigung.
Deutschland, sagte die Bundeskanzlerin gestern, habe
Grund zur Zuversicht. Ihr Ostbeauftragter bestätigte das
hier. Ich will Ihnen zunächst sagen: Für sehr viele
Menschen - gerade in den neuen Bundesländern, aber
nicht nur dort - ist die Lebenswirklichkeit eine andere.
Solange es im Osten eine verstetigt doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie im Westen gibt, sich die Abwanderung
- vor allem junger qualifizierter Frauen - fortsetzt und
Löhne, Gehälter und Renten zum Teil unter dem Existenzminimum gezahlt werden, ist dort kein sozialer Frieden in Sicht.
Minister Tiefensee meint nun - das ist gewissermaßen sein erklärtes Erfolgsrezept -, dem Osten zu nutzen,
indem er den Wessis die Sorgen, die sie mit den Ostdeutschen haben, weglächelt. „Don’t worry, be happy“ von
Festvortrag zu Festvortrag. Manche meinen, Tiefensee
macht dabei eine gute Figur. Die Ostdeutschen fragen
sich allerdings, warum er nicht lieber etwas für sie tut.
({1})
Deshalb komme ich jetzt zu einigen Haushaltsposten
im Einzelnen. Ein entscheidendes Kapitel in diesem Etat
heißt - ich hoffe, das wird noch eine Weile so bleiben -:
„Eisenbahnen des Bundes“. Wir geben hier viele Steuergelder für die Bahn aus. Durch das Kapitel „Eisenbahnen des Bundes“ wird aber die Frage aufgeworfen, wer
hier der Bund ist. Inzwischen redet eine Volkspartei,
nämlich die SPD, von Volksaktien bei der Bahn. Nebenher gesagt: Diese Volkspartei wird in der Heimat von
Wolfgang Tiefensee inzwischen bei 8 Prozent gehandelt.
Herr Minister, Sie meinen immer noch, das als eine
kluge Politik verkaufen zu können, die bei den Leuten
ankommt. Ich habe hier doch meine Zweifel.
Wenn jetzt also über Volksaktien nachgedacht wird,
dann muss doch die Frage gestattet sein, warum das Volk
Aktien für Sachen kaufen soll, die ihm ohnehin gehören.
Warum sollte das einen Sinn machen?
({2})
Statt über Volksaktien zu debattieren, sollten wir die
Bahn lieber beim Volk, also beim Bund, belassen und
uns um mehr Qualität kümmern, also beispielsweise
auch den Zustand der Bahnhöfe verbessern.
({3})
Im nächsten Jahr sollen die Würfel in Sachen Bahnprivatisierung fallen. Die Börse soll es richten. Wenn
Ihnen die Ereignisse um die IKB und die Sächsische
Landesbank noch nicht die Augen geöffnet haben, dann
muss man es wohl noch einmal sagen: Wer die Bahn
heute den Hedgefonds aussetzt, der treibt sie in ein solches Fahrwasser wie das, in dem auch die Landesbank in
Sachsen untergegangen ist.
({4})
- Seitdem Ihnen Herr Müntefering hilfreicherweise den
Spruch mit den Heuschrecken zugedacht hat, denken Sie
wohl, dass Sie aus dem Problem herauskommen. Natürlich wird eine solche Privatisierung, wie Sie sie angedacht haben, all die Probleme mit sich bringen. Davor
warnen wir ausdrücklich.
({5})
Dabei gibt es im Hause Tiefensee doch auch blitzgescheite Erkenntnisse. Er hat es gegenwärtig mit einem
sehr peinlichen Vorgang zu tun: Der Neubau seines
Ministeriums muss saniert werden. Der oberste Bauherr
des Landes sitzt in einem schon wieder sanierungsbedürftigen Haus.
({6})
Sie haben seinerzeit die Bauaufsicht aus der Hand gegeben, und die Versicherung zahlt nur einen Teil.
Nun lese ich im Bericht des Ministeriums über diesen
Vorgang wörtlich:
Dieses Modell einer sehr weitgehenden Verlagerung der Bauherrenaufgaben von der staatlichen
Bauverwaltung auf private Büros hat sich nicht bewährt.
Herr Bundesminister, wenn sich ein solches Vorgehen,
eine solche Privatisierung, nicht bewährt hat, könnten
Sie nun die richtige Lehre ziehen und diese Logik auch
bei der Bahn anwenden. Stattdessen haben Sie einen
Verkauf unter Wert vor. Mit Aurelius haben Sie das jetzt
schon vollzogen. Die Risiken sollen beim Staat bleiben,
die Gewinne werden privatisiert.
Jetzt ist vielleicht - ich weiß, dass nicht nur in meiner
Fraktion so gedacht wird - die letzte Chance, den Zug
dieser Zwangsprivatisierung der DB AG noch anzuhalten. Nutzen wir diese Chance!
({7})
Stichwort Transrapid. Als Ingenieur bin ich immer
den Verlockungen der neuen Technik ausgesetzt. Wenn
aber heute - wir leben nicht im 19. Jahrhundert - eine
Technologie 30 Jahre lang im Angebot ist und keine
Nachfrage erfährt, dann stimmt damit etwas nicht.
({8})
Dann haben wir es mit einer Sackgasse zu tun, aus der
wir herauskommen sollten, bevor wir 1 Milliarde Euro
verpulvern.
({9})
Ich würde mir natürlich wünschen, dass das noch in der
Amtszeit von Edmund Stoiber geschieht, weil er das
wahrscheinlich wieder in unnachahmlicher Weise kommentieren würde.
({10})
Stichwort Maut. Es ist schon vergessen, dass dem
Bund bei der Einführung etliche Milliarden Euro entgangen sind. Wir reden jetzt über Schiedsverfahren. Im
Haushalt 2008 ist aber noch immer kein Geld eingestellt,
das als Ergebnis aus diesen Schiedsverfahren erwartet
wird.
({11})
Das Mindeste an dieser Stelle wäre, dass der Bund die
Konsequenzen zieht und diejenigen Unternehmen, die
am Schiedsverfahren beteiligt sind, von Zuwendungen
des Bundes im Jahre 2008 ausnimmt. Das könnten wir
sehr wohl tun.
Stichwort Galileo. Dieses Projekt wird hier vom
Minister gefeiert. Ich sehe aber wirklich keinen Grund
dafür. Wie staatsnahe Monopolisten mit Regierung und
Parlament umgehen, hat - nebenbei gesagt - mit Marktwirtschaft nichts zu tun.
({12})
Es ist schon reichlich obskur, dass Ihnen ein Sozialist
das dauernd erklären muss.
Stichwort Gebäudesanierungsprogramm. Hier stehen wir mit vielen Kolleginnen und Kollegen nicht auf
der Bremse, sondern auf dem Gaspedal. Seit 2006 fordern wir eine Erhöhung der Mittel für dieses Programm.
Sie haben unsere Anträge im Parlament immer abgelehnt.
({13})
Aber hinterher haben Sie sie doch umgesetzt, indem Sie
die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm erhöht
haben. Wenn es den kleinen und mittelständischen Unternehmen und der Umwelt nützt, können wir mit diesem Verfahren gerne so weitermachen.
Noch einige Worte zur Lage in den neuen Bundesländern. Es naht wieder der 3. Oktober, und es nahen die
Festreden. Fakt ist: Die Prognos AG - das ist nun wirklich keine linke Filiale - hat einen Zukunftsatlas 2007
erstellt; das ist ein Ranking aller Landkreise und kreisfreien Städte der gesamten Republik. Unter den
138 Städten und Kreisen, die beste bis gute Zukunftschancen haben, kommen nur vier aus dem Osten.
({14})
Auf der anderen Seite befinden sich unter den 49 Städten
und Kreisen, für die ein hohes Risiko festgestellt wird,
48 aus dem Osten.
Zu diesem Punkt hat damals im Auftrag der Bundesregierung die Dohnanyi-Kommission Vorschläge gemacht. Diese Vorschläge finden offenbar beim für den
Aufbau Ost zuständigen Minister kein Interesse mehr.
Sie liegen quasi brach.
Ein letzter Punkt, Herr Minister. Ich glaube, wir werden hier noch gemeinsam die Situation erleben, dass wir
uns endlich entschließen, die Bundesregierung komplett
in Berlin tätig werden zu lassen. Auch Ihre Beschäftigten, Herr Bundesminister, sind nach wie vor zu
56 Prozent am Standort Bonn vertreten. Seien Sie sich
hier Ihrer Vorreiterrolle bewusst und verändern Sie die
Situation!
Meine Damen und Herren, der bedeutendste Investitionshaushalt des Bundes ist selbstverständlich eine Einladung an die Opposition im Deutschen Bundestag,
nämlich eine Einladung zu Veränderungen. An diesen
Veränderungen wollen wir gerne mitwirken.
Vielen Dank.
({15})
Nächster Redner ist nun der Kollege Winfried
Hermann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich werde der Versuchung widerstehen, etwas
zur Bahnprivatisierung zu sagen;
({0})
denn ich habe in den nächsten zwei Monaten noch reichlich Gelegenheit dazu. Aber meine Kollegin wird dazu
noch ein paar Anmerkungen machen.
Ich will mich auf den Anspruch des Ministers konzentrieren. Herr Tiefensee, Sie haben Ihre Rede mit der
Bemerkung begonnen, dass es das Ministerium für Investitionen sei. Das ist richtig. Sie haben ferner gesagt,
dass es darauf ankomme, einen strategischen Politikansatz zu wählen und strategisch etwas für den Klimaschutz zu tun. Daran will ich Sie messen. Ich bin der
Meinung, dass Sie, gerade weil Sie so viele Möglichkeiten haben, in besonderer Weise gefordert sind, einen zukunftsfähigen und klimaschutzorientierten Haushalt vorzulegen. Wir haben erhebliche Zweifel daran, dass Sie
mit dem, was Sie hier vorgestellt haben, tatsächlich einen solchen Schwerpunkt setzen.
({1})
Die Regierung hat beschlossen, den Ausstoß an
Treibhausgasen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren;
in den Bereichen Verkehr und Wohnen sollen es 30 oder
35 Prozent sein. Wenn man strategisch ansetzt, müssten
Sie sagen, mit welchen Maßnahmen Sie das erreichen
wollen. Genau dazu erfährt man in Ihrem Haushalt aber
nichts. Auch in Ihrer Rede haben Sie es nicht klarmachen können.
Sie tun zwar etwas; ich bin aber der Meinung, dass
das zu wenig und zu wenig strategisch ist. Ich will Ihnen
das an einigen Beispielen deutlich machen:
Erstes Beispiel: Autopolitik. Es ist doch offenkundig
ein Problem, dass es zu viele Autos gibt, die zu viel Sprit
schlucken. Es wird höchste Zeit, dass der Automobilindustrie und den Kundinnen und Kunden über eine neue
CO2-orientierte Kfz-Steuer signalisiert wird, dass derjenige, der ein spritfressendes Auto fährt, in Zukunft mehr
bezahlen muss als derjenige, der ein klimafreundliches
Auto fährt. Jetzt müsste endlich einmal ein Konzept vorgelegt werden. Sie geben zwar Interviews, legen aber
kein Konzept vor. Legen Sie es endlich vor!
({2})
Zweiter Punkt: Grenzwerte. Die Automobilindustrie
kämpft auf europäischer Ebene gegen die neuen, hohen
Grenzwerte. Sie will, dass sie nicht ab 2012, sondern erst
ab 2015 gelten. Ein durchschnittlicher Ausstoß von
120 Gramm CO2 pro Kilometer ist ihnen außerdem zu
niedrig. Sie sollten einmal auf die IAA gehen; ich
komme heute von der Messe. Sie werden verblüfft sein,
wie viele Autos schon heute die Grenzwerte von übermorgen einhalten können und wie viele Autos angekündigt werden, die bereits im nächsten oder übernächsten
Jahr all diese Grenzwerte einhalten können.
({3})
Fazit: Die Automobilindustrie macht eine „grüne Woche“ in Frankfurt, in Brüssel bremst sie bei grün. Hier
muss die Politik eingreifen und sagen: Wir stehen dazu.
Wir wollen, dass der neue Grenzwert ab 2012 gültig ist.
Wir haben ambitionierte Ziele.
({4})
Wir sind der Meinung, dass ein Förderprogramm notwendig ist, mit dem neue Antriebstechnologien, die sogenannten Nullemissionstechnologien - beispielsweise
Hybridfahrzeuge und Elektrofahrzeuge - stärker unterstützt werden können. Analog zu anderen Bereichen,
zum Beispiel der Energiewirtschaft, muss im Bereich
Verkehr mehr getan werden.
Dritter Punkt: Güterverkehr. Sie haben ihn angesprochen. Die Schienenverkehrsanschlüsse für Betriebe
sind ein schönes Beispiel und eine gute Sache. Sie haben
gesagt, dass im Bereich „kombinierter Verkehr“ schon
jetzt 110 Millionen Euro investiert werden. Es ist erstaunlich, dass Ihnen nicht aufgefallen ist, dass das ein
bisschen lächerlich ist. Allein die Kosten für eine durchschnittliche Umgehungsstraße belaufen sich nämlich
schon auf 110 Millionen Euro. Es ist ein Zehntel dessen,
was Sie in den Transrapid investieren wollen, wohlgemerkt: für eine Nahverkehrsstrecke, deren praktischer
Wert darin liegt, dass Sie, nachdem Sie lange gebraucht
haben, um zum Hauptbahnhof zu fahren, dann in einem
schnellen Zug zum Flughafen rausfahren können. Nichts
gewonnen, aber 2 Milliarden Euro ausgegeben. Das ist
keine strategische Politik. Das nützt der Verlagerung des
Güterverkehrs auf die Schiene nicht. Das nützt übrigens
nicht einmal der Verlagerung des Personenverkehrs auf
die Schiene. Sie sollten das einmal kritischer beurteilen
und sich nicht immer dem Technikwahn anschließen.
({5})
Viertens möchte ich kurz ansprechen, dass es richtig
ist, dass dank der Ökopartei CSU endlich ein Altbausanierungsprogramm auf den Weg gebracht wurde. Sie haben den Mittelansatz deutlich erhöht. Da sind Sie besser
als die Grünen einst unter Rot-Grün; das haben wir amüsiert zur Kenntnis genommen. Interessant ist aber, dass
dieses Programm zu einer energetischen Sanierungsquote von weniger als 1 Prozent pro Jahr geführt hat.
Was heißt das? Faktisch brauchen wir weit mehr als hundert Jahre, um die Gebäude unter energetischen Gesichtspunkten so zu sanieren, dass sie klimafreundlich
sind.
Wenn die Politik das erkannt hat, muss sie es doch als
ihre Aufgabe ansehen, zu überlegen, was sie tun kann,
außer Geld zu geben. Neben dem Geldgeben muss man
gute Ordnungs-, Finanz- und Steuerpolitik machen. Ich
habe mit Schmunzeln lesen müssen, dass im „Regierungsprogramm“ von Meseberg steht, dass die EnEV,
die Energieeinsparverordnung für Alt- und Neubauten,
nicht mehr zeitgemäß ist, dass man sie deutlich verbessern müsste. Wir erwarten, dass Sie das tun. Das kostet
nichts, würde aber richtig viel Klimaschutz bringen.
({6})
- Nein. Die Novellierung, die zwei Monate alt ist, ist
nach Aussage der Regierung selbst im Grunde schon
wieder überholt. Hier muss man also ran.
Ich kann Ihnen in meiner kurzen Redezeit nur sagen:
Der strategische Ansatz Klimaschutz ist richtig erkannt,
aber nicht wirklich strategisch ausgeführt. Sie stehen in
der Pflicht, weil Sie das zentrale Ministerium für Klimaschutz und zukunftsorientierte Investitionen sind.
Vielen Dank.
({7})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Uwe
Beckmeyer.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Nun sind wir
wieder in der Haushaltsdebatte und bei einem wichtigen
Bereich, in dem sich abbildet, was in dieser Republik in
den letzten Jahren stattgefunden hat. Es gab eine wirtschaftliche Erholung. Die Bedeutung des Verkehrshaushaltes für das, was wir in dieser Republik ökonomisch
erlebt haben, ist nicht zu unterschätzen. Das ist, denke
ich, nachgewiesen.
Wir haben hier eben einige Beiträge zur klimapolitischen Bedeutung des Verkehrs, der Stadtentwicklung
und des Städtebaus gehört. Ich denke, wir sind gar nicht
weit auseinander, wenn wir sagen, dass eine nachhaltige
Mobilitätspolitik für Deutschland und eine zeitgemäße
CO2-Minderungspolitik für unsere Gebäude genau das
ist, was wir brauchen. Das gehört zusammen. Es hat sich
in Deutschland herumgesprochen, dass das von dieser
Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen mit
großem Nachdruck vorangetrieben wird.
Dass dabei auch konjunkturpolitisch etwas bewirkt
wird und sich das in den letzten Jahren ganz hervorragend mit diesem Programm verknüpft hat, ist wichtig
festgehalten zu werden. Allein an dem Darlehensvolumen in Höhe von über 5 Milliarden Euro, das über das
CO2-Minderungsprogramm in der Bundesrepublik durch
Privatpersonen abgerufen worden ist, erkennt man die
ökonomische Entwicklung und den konjunkturpolitischen Effekt. Ich glaube, inzwischen sind weit über
310 000 Wohnungen in Deutschland auf diese Art und
Weise im Sinne der Energiepolitik saniert worden. Ich
denke, das ist ein großer Erfolg, den man deutlich aussprechen muss.
({0})
Hier ist vorhin das Wort Akzeptanzerhöhung gefallen.
Ich glaube, das ist wichtig. Wir müssen feststellen:
Durch Verkehr - gerade da, wo er ausgebaut wird, wo
für mehr Mobilität gesorgt werden soll - fühlen sich
viele Menschen belästigt, besonders durch Lärm und
durch den Ausbau insgesamt. Die Politik, wir alle hier
müssen dazu beitragen, dass die Akzeptanz für Verkehrsprojekte, für Mobilität in Deutschland erhöht wird. Ich
denke, das ist ein wichtiger Teil der Verkehrshaushaltsdebatte. Wir sorgen für mehr Akzeptanz, wenn wir über
Lärmsanierung, zum Beispiel an Schienenwegen, sprechen und diese fördern, wenn wir für die Lärmminderung an Straßen, Bundesstraßen und Autobahnen Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Das ist der richtige
Weg.
Aber wir müssen dafür sorgen, dass auch die Investoren, die Schienenfahrzeuge bestellen, herangezogen werden. Sie müssen zum Beispiel dazu beitragen, dass in
Deutschland zukünftig nur noch Waggons mit K-Sohle
angeschafft werden. Wir selbst müssen dann unseren
Beitrag dazu leisten, indem wir solche K-Sohlen, also
Kunststoffbremsen, zukünftig im Rahmen eines Lärmminderungsprogramms fördern. Da müssen wir zusammen mit den Investoren etwas tun. Ich glaube, das ist unser beider Anliegen.
({1})
So weit, so gut. Verkehr, der nicht fließt, der im Stau
steht, und Güter, die nicht transportiert werden, sind Gift
für unser Klima. Wir wissen, dass es in einigen Bereichen zu Emissionskonzentrationen kommt und dass wir
auch an volkswirtschaftlichem Wert viel verlieren, wenn
Güter und Personen nicht zügig transportiert werden. Ich
glaube, das alles zeigt, dass wir, wenn wir das Ganze
nicht beschleunigen, Probleme bei der Konjunktur, beim
Wirtschaftswachstum und damit auch auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Das bedeutet: Jeder investierte Euro
in eine Beschleunigung und Verbesserung des Verkehrsflusses ist eine ökonomisch und volkswirtschaftlich
sinnvolle Investition. Wir müssen Wert darauf legen,
dass uns in Zukunft für solche Investitionen in Deutschland ein möglichst hoher Betrag zur Verfügung steht.
Wie wir wissen, gibt es in diesem Bereich einen nicht
unbedingt gut dotierten Finanzplan. Wir Verkehrspolitiker machen uns gerade mit gewisser Befriedigung, aber
noch nicht mit sehr großem Enthusiasmus Gedanken
darüber, wie wir mit dem aktuellen Entwurf des Verkehrshaushaltes umgehen sollten. An dieser Stelle sage
ich Ihnen: Wir haben noch Wünsche. Diese Wünsche
werden wir formulieren. Wir hoffen, dass wir sie im Prozess der parlamentarischen Beratung noch unterbringen
können.
Ich will auf einige dieser Wünsche eingehen. Es gibt
manche Gebiete, auf denen wir noch besser werden können. Wenn wir zum Beispiel das Fahrpersonalgesetz
verschärfen, weil wir der Meinung sind, dass Kraftfahrer, die bei Speditionen beschäftigt sind, unter humanen
Arbeitsbedingungen arbeiten müssen und nicht ununterbrochen auf dem Bock sitzen dürfen, dann müssen wir
ihnen auch die Möglichkeit geben, an einer Autobahn
auf eine Raststätte zu fahren, ihren Lkw abzustellen und
eine oder zwei Stunden zu schlafen. Das Problem ist,
dass wir dann in größerem Umfang Lkw-Abstellflächen
an Autobahnen errichten müssen. Das ist unsere Aufgabe. Hier müssen wir, was unsere Investitionspolitik
angeht, noch besser werden.
({2})
Ein zweites Beispiel sind die A- und F-Modelle. Ich
glaube, wir sollten im Hinblick auf Investitionen in FModelle dafür sorgen, dass die Industrie, die sich privat
engagiert, interessiert bleibt. Hier müssen wir aufpassen.
Denn wir haben festgestellt, dass sich die interessierte
Bauindustrie bei Investitionen in F-Modelle in zwei Fällen vergaloppiert hat.
({3})
Darum müssen wir uns bemühen, dass das Interesse der
Industrie aufrechterhalten bleibt; denn wir brauchen
diese Projekte. Die Querspange in Hamburg zum Beispiel ist verkehrspolitisch unabdingbar.
({4})
Wenn es sie nicht gäbe, würde eine gesamte Großstadt
im Stau stehen. Das ist ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen.
Meine Fraktion ist der Meinung - ich hoffe, dass wir
auch unseren Koalitionspartner dafür gewinnen können -,
dass wir versuchen sollten, durch eine Erhöhung der Anschubfinanzierung ein größeres Interesse bei Privatinvestoren zu wecken. Zu diesem Zweck sollten wir überlegen, die Anschubfinanzierung von derzeit 20 Prozent
in Richtung 30 oder sogar 33 Prozent zu steigern.
In der heutigen ersten Lesung dieses Haushalts mache
ich ganz bewusst solche Vorschläge. Denn die Bevölkerung soll zur Kenntnis nehmen, dass die Haushaltsberatungen gerade erst beginnen und wir noch ganz am Anfang dieser Debatte stehen. Es ist wichtig, das zu sagen.
Jetzt noch ein Wort zur strategischen Politik. Herr
Hermann, ich glaube, Verkehrspolitik und Städtebaupolitik haben eine strategische Bedeutung. Wir wollen alles
tun, um die Belastung von Mensch und Natur zu verringern. Ein paar Beispiele: Als es um die Klimapolitik
ging, haben wir über das Ziel der Verringerung des CO2Ausstoßes gesprochen. Wir sind dabei, die Höhe der
Schadstoffemissionen zu reduzieren. Zur Senkung des
Mineralölverbrauchs unterstützen wir die Entwicklung
moderner Antriebsalternativen. Außerdem sind wir beim
Thema Lärm auf dem richtigen Weg.
Ich denke, wir müssen umweltfreundliche Verkehrsträger unterstützen. Damit bin ich beim Thema
Bahn. Die Bahn wickelt in ganz Europa Transporte ab,
und zwar mehr als in der Vergangenheit. Sie ist unter
ökonomischen Gesichtspunkten sogar in der Lage, noch
mehr zu tun und auch neue Logistikkonzepte zu realisieren. Sie könnte nicht nur die Durchführung von Transporten von A nach B bewerkstelligen, sondern auch Logistikketten anbieten. Das ist unser Thema. Denn in
diesem Fall benötigen wir privates Geld, das auch bei Infrastrukturinvestitionen gebraucht wird.
Herr Claus, Sie haben vorhin erneut gesagt, wir wollten Volksvermögen verscherbeln. Das ist falsch.
({5})
Die Bahn bleibt im Besitz des deutschen Volkes bzw. der
Bundesrepublik Deutschland, und zwar zu 100 Prozent.
({6})
Kein Investor wird daran beteiligt. Sie müssen sich endlich einmal mit unserem Gesetzentwurf auseinandersetzen.
({7})
Dann werden auch Sie feststellen, dass Sie ein Argument
anführen, das nichts taugt. Dieses Thema ist bereits besetzt. Die klare politische Aussage unseres Gesetzentwurfes ist eine andere. Bitte nehmen auch Sie das zur
Kenntnis.
({8})
Herr Kollege!
Ich komme zum Schluss. - Einen Punkt möchte ich
noch ansprechen.
Achten Sie aber bitte auf Ihre Redezeit. Sie ist schon
abgelaufen.
Ja. - All die Investitionen, die angesprochen worden
sind, müssen auch getätigt werden. Das ist eine Frage
des Personals. Wir müssen das Personal bei den verschiedenen Behörden des Bundes im Auge behalten. Wir
brauchen gute Ingenieure bei der WSD und beim Luftfahrt-Bundesamt. Wir brauchen Menschen, die uns helfen, diese Politik umzusetzen.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Jan Mücke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zunächst eine Vorbemerkung in die Richtung
von Herrn Claus machen, der vorhin über das Thema
Bonn/Berlin gesprochen hat. Eine grundsätzliche Bemerkung dazu scheint mir notwendig zu sein. An den
Satz pacta sunt servanda - Verträge sind einzuhalten sollten wir Ostdeutsche uns gewiss halten. So wie wir als
Vertreter der ostdeutschen Länder ganz selbstverständlich erwarten, dass beispielsweise der Solidarpakt bis
zum Jahr 2019 von allen mitfinanziert wird und die ostdeutschen Länder bis zu diesem Zeitpunkt unterstützt
werden, so muss man sich auch auf das von diesem Haus
beschlossene Berlin/Bonn-Gesetz verlassen können.
Dieses legt einen Ausgleich für Bonn fest und bestimmt,
dass Berlin Bundeshauptstadt ist und viele Ministerien
nach Berlin umziehen mussten. Es ist gut für die innere
Einheit dieses Landes, wenn wir an diesem Berlin/BonnGesetz längerfristig festhalten.
Herr Minister, bei Ihrer Rede hatte ich ein Déjà-vuErlebnis. Denn es war fast wortwörtlich - mit nur wenigen Nuancen - dieselbe Rede, die Sie im letzten Jahr gehalten haben. Auch in diesem Jahr haben Sie wieder viel
davon gesprochen, dass Sie Ausgaben verstetigen wollen.
({0})
Der Begriff Verstetigung kommt in Ihrer Rede insgesamt viermal vor. Das war auch beim letzten Mal der
Fall. Bedauerlicherweise hat der Begriff Verstetigung bei
Ihnen offensichtlich eine andere Bedeutung als bei uns.
Wir haben uns den Haushalt sehr genau angesehen.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass nominal kein
Rückgang der Investitionen beispielsweise in die Bundesfernstraßen im Haushalt vorgesehen ist - wir reden
über 4,7 Milliarden Euro -, so muss doch jedem bewusst
sein, dass es in diesem Jahr eine Mehrwertsteuererhöhung gab, womit jede Baumaßnahme erheblich teurer
geworden ist. Ferner muss jedem bewusst sein, dass es
einen Anstieg der Baukosten sowie der Tariflöhne im
Baugewerbe gibt. Damit sollte für jeden offenkundig
sein, dass wir für dasselbe Geld in diesem Jahr und in
den kommenden Haushaltsjahren sehr viel weniger
bauen können, als es in den Vorjahren der Fall war.
({1})
Deshalb ist es absolut nicht ausreichend, die Mittel zu
verstetigen. Wir brauchen eine sehr schnelle und messbare Erhöhung dieser Mittel. Ich rede dabei nicht von
wenigen hunderttausend Euro.
Ich habe die Befürchtung, dass Ihren Masterplan Güterverkehr und Logistik ein ähnliches Schicksal ereilen
wird. Denn im Papier Ihres Ministeriums, das den Mitgliedern des Verkehrsausschusses zu diesem Thema ausgeteilt wurde, heißt es:
Wir wollen mit den vorhandenen Mitteln das bestmögliche Ergebnis erzielen.
Da sehe ich schwarz. Denn wenn wir versuchen, mit
gleichbleibenden Mitteln den Anstieg im Güterverkehr
in den nächsten Jahren zu bewältigen, dann werden wir
grandios scheitern. Davon ist mit Sicherheit auszugehen.
({2})
Es reicht eben nicht, wenn wir das Augenmerk nur
darauf legen, den Bestand zu sichern. Das wird auf keinen Fall reichen. Wir wissen schon heute - das entspricht den Aussagen aus Ihrem eigenen Haus -, dass
wir den Transportbedarf, der im Bundesverkehrswegeplan für das Jahr 2015 angesetzt ist, schon im Jahr 2009
erreichen werden. Einige Initiativen, wie zum Beispiel
Pro Mobilität e. V., gehen davon aus, dass wir diese Belastungen unserer Infrastruktur schon in diesem Jahr erreicht haben. Wir werden bis zum Jahr 2050 einen Anstieg der Güterverkehrsleistung von 600 Milliarden
Tonnenkilometer auf das Doppelte, auf 1 200 Milliarden
Tonnenkilometer, verzeichnen. Schon die Gesetze der
Logik verbieten, dass wir bei gleichbleibenden Investitionshaushalten mehr Infrastrukturvorhaben verwirklichen können. Wir müssen in diesem Bereich mehr investieren.
({3})
Auch aus ökologischen Gründen werden wir darum
nicht herumkommen; denn wir müssen ja unseren CO2Ausstoß reduzieren. Selbstverständlich sind auch wir
dafür. Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine Anfrage gestellt, wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden ist, der
jedes Jahr dadurch entsteht, dass es Stau in Deutschland
gibt. Nach einer Schätzung der EU-Kommission beläuft
sich der Schaden, der durch Stau entsteht, auf gigantische 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das heißt,
dass wir bezogen auf Deutschland über einen Betrag
zwischen 10 und 12 Milliarden Euro im Jahr reden.
Wenn wir es aber ernst meinen mit der CO2-Reduzierung, dann müssen wir doch auch sehen, dass der Stau,
der tagtäglich auf deutschen Fernstraßen herrscht, einen
gigantischen CO2-Ausstoß verursacht, der vermeidbar
wäre, wenn wir eine ordentliche Verkehrsinfrastruktur
hätten.
Deshalb halten wir es für dringend erforderlich, dass
diese Investitionen verstetigt werden und langfristig aufwachsen. Dafür gibt es auch einen objektiven Maßstab:
Die Pellmann-Kommission hat festgestellt, dass wir allein im Bereich der Straße jährlich mindestens
6 Milliarden Euro investieren müssen. Die Straße ist nun
einmal nach wie vor der Hauptträger unserer Logistik.
Mir ist völlig klar, dass Sie das nicht von einem Tag auf
den anderen erreichen können; das verlangt die Opposition auch nicht. Aber wir müssen es erreichen, dass wir
in einem überschaubaren Zeitraum auf dieses Mindestmaß an Investitionen kommen.
({4})
Ein letzter Gedanke.
Herr Kollege, Sie müssen bitte auf die Zeit achten.
Ich komme dann auch schon zum Schluss. - Es geht
mir noch einmal um die Privatisierung der Bahn.
Aber kein neues, umfassendes Thema!
Im Primon-Gutachten ist festgestellt worden, mit welcher Form der Privatisierung Sie mehr Güterverkehr auf
die Schiene bringen können. Das Modell, das Sie gewählt haben, ist dafür genau das falsche. Mit dem Modell, für das die FDP eintritt - die Trennung von Netz
und Betrieb -, bekäme man mehr Wettbewerb auf der
Schiene. Dann hätte man auch mehr Güterverkehr auf
der Schiene; das wäre für uns alle wünschenswert.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Norbert Königshofen
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Einnahmen aus Privatisierung sind ein wichtiger Posten des Bundeshaushalts.
Darunter fallen auch die Einnahmen aus der beabsichtigten Teilkapitalprivatisierung der DB AG. Ich will zu
Beginn sagen, dass die Union diese Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Bahn, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, will. Aber ich will auch sagen, dass wir mit
dem Gesetzentwurf so, wie er vorliegt, Probleme haben,
dass sich für uns Fragen auftun.
({0})
Ich darf darauf hinweisen, dass wir die Hälfte der
Bahn verkaufen für einen Erlös von schätzungsweise
6 bis 8 Milliarden Euro.
({1})
Die Hälfte davon soll die DB AG für Investitionen bekommen, die andere Hälfte, also maximal 4 Milliarden Euro, sollen in den Bundeshaushalt fließen. Wir verkaufen die Hälfte der DB AG einschließlich der
397 Tochtergesellschaften. - Sie gucken, Herr Mücke?
Das ist wie bei Karl V.: In Mehdorns Reich geht die
Sonne nicht unter.
({2})
Die sind zusammen 20 Milliarden Euro wert: Stinnes/
Schenker rund 6 Milliarden Euro; Aurelis wird jetzt, wie
Sie gelesen haben, für 1,64 Milliarden Euro an Hochtief
verkauft.
({3})
Die Infrastruktur wird rechtlich Eigentum des Bundes bleiben, aber wirtschaftlich der Bahn überlassen.
({4})
Der Wert der Infrastruktur beträgt übrigens 126 Milliarden Euro.
({5})
- Nur das Netz. Die Schätzungen gehen etwas auseinander; sie liegen zwischen 100 Milliarden und 200 Milliarden Euro, wenn man alles einbezieht. Die Zahl
126 Milliarden haben wir vom Ministerium übernommen.
({6})
Wir werden 15 plus 3 Jahre lang der Bahn jährlich
2,5 Milliarden Euro für die Unterhaltung des Netzes
zahlen. Hinzu kommen - der Herr Minister hat darauf
hingewiesen; dieses Jahr werden es 1,2 Milliarden Euro
sein - Baukostenzuschüsse für den Neu- und Ausbau in
Höhe von 1 Milliarde bis 1,5 Milliarden Euro jährlich.
4 Milliarden Euro mal 18 sind 72 Milliarden Euro.
Hinzu kommen - das wird leicht übersehen - noch die
Regionalisierungsmittel. Davon fallen ungefähr 4,5 Milliarden Euro an die DB Regio.
({7})
- Richtig, Herr Hermann: pro Jahr.
({8})
Außerdem haben wir eine Rückholoption. Dabei müssen wir einen Wertausgleich zahlen, der zurzeit bei
7,5 Milliarden Euro liegt.
({9})
Das bedeutet im Klartext: Wir verkaufen die Hälfte
von allem für 8 Milliarden Euro, von denen 4 Milliarden Euro dem Haushalt zufließen, und investieren in den
nächsten 18 Jahren über 70 Milliarden Euro. Wenn wir
das Netz zurückholen müssen - beispielsweise weil das
auf europäischer Ebene verlangt wird -, zahlen wir mindestens 7,5 Milliarden Euro.
({10})
Das ist schwer zu vermitteln.
({11})
Man fragt sich, warum wir das tun. Sie müssen sich
nicht genieren, wenn Sie sich diese Frage stellen. Denn
fast alle - auch die Journalisten bzw. die Fachleute - fragen sich, warum wir das tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Claus?
Aber gerne.
({0})
- Alle, die ins Parlament gewählt werden, haben die
gleichen Rechte, auch Herr Claus.
Herr Kollege Königshofen, gibt es auch Teile des Privatisierungsgesetzentwurfes, die Ihre Zustimmung finden könnten, und womit wollen Sie letztendlich der geneigten Öffentlichkeit die irgendwann zu erwartende
Zustimmung erklären?
Herr Claus, das ist ganz einfach. Ich vertraue auf das
Struck’sche Gesetz. Das Struck’sche Gesetz - also ein
SPD-Gesetz ({0})
lautet: Es kommt nichts so aus dem Bundestag heraus,
wie es hineinkommt. Ich hoffe, dass es zu so vielen Änderungen kommt, dass auch die Union dem Gesetzentwurf zustimmen kann.
({1})
- Wir wollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.
Rechtsprofessoren haben große Zweifel an der Verfassungskonformität des Gesetzentwurfs.
({2})
Nun fragen wir, wie gesagt: Warum tun wir das? Zudem ist noch nicht klar, wer dann die 49 Prozent kauft.
Es gibt einen interessanten Vorschlag, Volksaktien anzubieten. In der Presse wurde berichtet, dass sich die russische Staatsbahn dafür interessiert. Nur zur Information:
Wir können uns als Ausländer nicht an der russischen
Staatsbahn beteiligen.
Die Bahn braucht Geld. Vielleicht wird sie 4 Milliarden Euro bekommen. Was machen wir, wenn die
4 Milliarden Euro verbraucht sind?
({3})
Die nächste - viel wichtigere - Frage ist, wofür die Bahn
Geld braucht. Braucht sie Geld für das Netz? Darauf
könnte man kommen. Wenn man den Artikel Brüchige
Gleise im Spiegel liest, gewinnt man sofort den Eindruck, dass die Bahn dafür Geld braucht. Aber die UnNorbert Königshofen
terhaltung wird vom Bund und aus Trassenerlösen finanziert.
Zu befürchten ist, dass die Bahn Geld für weltweite
Logistikunternehmen braucht.
({4})
- Für den Zukauf. Dann werden aus 397 vielleicht
500 Tochtergesellschaften.
Vor kurzem war der Presse ein Hinweis zu entnehmen, worum es geht: Stichwort Slowenien. Wir lesen,
dass sich die Deutsche Bahn AG an der slowenischen
Staatsbahn und an den Häfen in Slowenien beteiligen
will. Sie soll dafür im Gegenzug bis zum Jahr 2020
9 Milliarden Euro in das slowenische Netz investieren,
das im Übrigen Eigentum des Staates bleibt. Ich will
deutlich sagen: Wir sind dafür, dass sich deutsche Unternehmen international aufstellen und sich dort engagieren; je mehr, desto besser. Aber es stellt sich die Frage
- das müssen wir prüfen -, ob das Staatsunternehmen
sein müssen.
({5})
Muss das ein Unternehmen sein, das dem Steuerzahler
gehört und das der Steuerzahler finanziert?
({6})
Das ist die entscheidende Frage: Brauchen wir eine
Deutsche Bahn AG, die uns zu 51 Prozent gehört und die
Geld braucht, um in der Welt weiter zuzukaufen?
({7})
Darüber werden wir diskutieren müssen.
Ich freue mich auf die Diskussionen in den nächsten
Wochen und vor allen Dingen auf dem SPD-Parteitag.
({8})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Anna
Lührmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Alle Welt redet vom Klimawandel. Nur die
Bundesregierung ist dabei, das klimafreundliche Verkehrsmittel Nummer eins, die Bahn, kaputtzumachen.
Denn eines ist klar: Wenn der Börsengang in der geplanten Form kommt, bedeutet das nicht mehr Verkehr auf
der Schiene, sondern viel Profit für Wenige.
({0})
Ich könnte jetzt sehr lange darüber reden, warum Ihr
Börsengang falsch für das Klima und die Mobilität in
Deutschland ist. Aber in der Haushaltsdebatte will ich
mich auf die finanziellen Aspekte konzentrieren. 130,
37,5 und 4, das sind die Zahlen, auf die es in dieser Debatte ankommt. 130 Milliarden Euro hat der Bund seit
der Bahnreform in das System Schiene gesteckt.
37,5 Milliarden Euro muss der Bund nach dem Börsengang der Bahn allein in den nächsten 15 Jahren zahlen.
Hinzu kommen, wie vom Kollegen Königshofen ausgeführt, Infrastrukturinvestitionen und Regionalisierungsmittel. 4 Milliarden Euro von diesem krummen Deal
werden erst einmal für den Bundeshaushalt übrig bleiben, wenn sich überhaupt ein Käufer findet.
({1})
Zusammengefasst: 130 Milliarden Euro gezahlt, mindestens 37,5 Milliarden Euro Ausgaben in der Zukunft,
4 Milliarden Euro bleiben übrig.
({2})
Das hat doch mit solider Haushaltsführung nichts, aber
auch gar nichts zu tun.
({3})
Langfristig bleibt es noch nicht einmal bei diesen
4 Milliarden Euro Einnahmen. Vielmehr muss der Bund
langfristig noch etwas drauflegen. Das liegt an Ihrem
komplizierten Eigentumssicherungsmodell. Wie immer, wenn sich die Große Koalition nicht auf ein transparentes und einfaches Modell einigen kann, kommt ein
fauler Kompromiss heraus.
({4})
Denn der Bund kann nach 15 bis 18 Jahren das Netz von
der DB wieder zurücknehmen; das will die CDU/CSU.
Aber dafür müssen wir mindestens 7,5 Milliarden Euro
als Wertausgleich auf den Tisch legen. Das steht in der
Beantwortung der Bundesregierung der Kleinen Anfrage
fast wörtlich.
Ich will das einmal mit einem Beispiel, das vor kurzem im Stern zu lesen war, illustrieren. Herr Tiefensee,
damit verhält es sich genauso, als ob Sie mir Ihr Haus
liehen, ich dann wirtschaftlicher Eigentümer Ihres Hauses wäre, Ihnen keine Miete zahlte, sondern Sie zahlten
mir jeden Monat eine gehörige Summe für Reparatur
und Instandhaltung.
({5})
Wenn Sie wieder in Ihr Haus zurückwollten, müssten Sie
mir noch Geld dafür zahlen. Dabei wüssten Sie vorher
noch nicht einmal, wie viel Geld Sie mir dafür zahlen
müssten. Als Privatmann würden Sie einen solch krummen Deal nie im Leben machen.
({6})
Um das auf Börsendeutsch zu wiederholen: Wie viel
der Bund am Ende zahlt, hängt von der Höhe des bilanziellen Eigenkapitals - des Netzes - ab. Die DB AG
bzw. die Heuschrecke - um die SPD-Sprache zu benutzen -, die sich dann dort eingekauft hat, will natürlich
das Eigenkapital so viel wie möglich erhöhen, damit sie
am Ende für das Netz vom Bund so viel Geld wie möglich bekommt.
({7})
- Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie, Herr Beckmeyer,
sehr aufgeregt sind, weil ich hier das wiederhole, was die
allermeisten Ihrer Genossinnen und Genossen in Ihrer
Partei denken. Die werden auf Ihrem Parteitag wahrscheinlich die gleiche Rede halten, die ich jetzt gerade
halte. Ich kann das alles mit sehr seriösen Zahlen belegen, die die Regierung selber zur Verfügung gestellt hat.
({8})
Denken Sie lieber darüber nach, ob Sie nicht zu einer
sinnvolleren Lösung kommen können.
Zurück zu der Frage, was passieren wird und wie die
Investoren das Eigenkapital erhöhen können, damit sie
zum Schluss mehr Geld vom Bund erhalten. Eigenkapital erhöht man, indem man erstens mit weniger Leuten
das gleiche Ergebnis erzielt, also Leute rausschmeißt,
zweitens, indem man stille Reserven hebt, also Immobilien verscherbelt, drittens, indem man Strecken stilllegt,
die nicht rentabel sind.
({9})
Das sind die Wege, wie man Eigenkapital erhöhen kann.
({10})
- Wir reden jetzt über das Netz. Wir reden gar nicht über
die Holding.
Mit dem Börsengang, den Sie beschließen - deswegen regen Sie sich so auf -, beschließen Sie unkalkulierbare Risiken für den Bundeshaushalt. In Ihrem Entschließungsantrag, den Sie im letzten Herbst hier
beschlossen haben, haben Sie festgestellt, es gebe für
den Haushalt keine unkalkulierbaren Risiken. Diese gibt
es jetzt aber. Sie setzen Anreize für Streckenstilllegungen, was falsch ist, und dazu darf es nicht kommen.
({11})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Großen Koalition, schließe ich mich dem Appell von
Herrn Königshofen an: Schauen Sie bei den Haushaltsberatungen nicht nur auf die Projekte im Einzelplan 12,
sondern verhindern Sie diese milliardenschwere Fehlentscheidung. Künftige Generationen werden es Ihnen danken.
({12})
Nun hat die Kollegin Petra Weis für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter
Herr Minister! Wenn ich gewusst hätte, dass wir heute
im Vorgriff auf spätere Debatten eine Debatte über die
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG führen, dann
hätte ich mich ganz anders vorbereitet. Alle, die zweifeln, können sicher sein, dass der SPD-Parteitag wie bislang auch schon das Thema mit großem Sachverstand
diskutieren wird
({0})
und eine hohe politische Verantwortung für die Zukunft
der Deutschen Bahn AG und die Mobilität in unserem
Land zeigen wird. So viel will ich an dieser Stelle doch
gesagt haben.
({1})
- Da haben Sie noch einmal Glück gehabt, Kollege
Hermann, das denke auch ich.
Ich will mich von der Versuchung nicht verleiten lassen,
({2})
sondern in den kommenden Minuten einige Takte zum
Thema Stadtentwicklung sagen, und zwar in der Annahme, dass wir über dieses Thema mit viel Enthusiasmus, aber mit weniger negativen Emotionen diskutieren
können.
Angesichts der erfreulich stabilen Konjunktur und der
guten Vorzeichen in diesem Jahr geht man doch viel
leichteren Herzens in die Haushaltsberatungen 2008.
Das sage ich jetzt nicht im Widerspruch zum Finanzminister und seinem legitimen Interesse an Haushaltsdisziplin und Haushaltskonsolidierung; ich möchte vielmehr
darauf hinweisen, dass es der Bereich Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ist, der maßgeblich am Zustandekommen dieser guten Zahlen beteiligt ist. Ich freue mich,
dass wir nicht nur wiederholt über den größten Investitionshaushalt des Bundes diskutieren - der Minister hat
schon darauf hingewiesen -, sondern dass wir diese
Investitionen 2008 auch um beinahe 300 Millionen Euro
steigern können. Das ist ein gutes Signal an die Bauwirtschaft.
({3})
Die guten Zahlen sind aber kein Grund, sich nun zurückzulehnen und sich nicht weiter zu bemühen, die Programme im Bau- und Stadtentwicklungsbereich weiter
zu optimieren und einer Qualitätskontrolle zu unterziehen. Wir haben selbstverständlich auch den Anspruch,
sie finanziell entsprechend abzusichern. Moderne Stadtentwicklungspolitik verlangt nach integrativen Ansätzen, die den jeweiligen lokalen Bedingungen angepasst
werden müssen. Wir haben bereits in den vergangenen
Jahren die Weichen gestellt, weil wir wissen, dass Stadtentwicklungspolitik über die Zukunftsfähigkeit des Landes in entscheidendem Maß mitbestimmt. Das sage ich
auch angesichts der Tatsache, dass wir bei den vorherigen Beratungen über den Bereich Bildung und Forschung Vergleichbares gehört haben.
Wir müssen stärker über Fachgrenzen hinwegdenken,
und wir müssen die Zukunftsaufgabe Stadtentwicklungspolitik im öffentlichen Bewusstsein stärker positionieren. Dazu dient auch der nationale Strategieplan für eine
integrierte Stadtentwicklungspolitik. Es ist nur folgerichtig, dass wir in diesem Haushalt einen Verpflichtungsrahmen in einer Höhe von 5 Millionen Euro veranschlagt haben.
Ich werde natürlich einige wenige Worte zu unserem
Programm Soziale Stadt sagen. Ich bin sehr froh, dass
sich auch in diesem Entwurf unsere Absicht widerspiegelt, die Investitionen stärker mit sozialen Maßnahmen
in den betroffenen Quartieren zu verzahnen. Ich halte es
für ausgesprochen klug und folgerichtig, dass wir
20 Millionen Euro für Modellvorhaben mit erweiterten
Fördermöglichkeiten insbesondere im Bereich der Jugend- und Bildungspolitik sowie auf dem Gebiet der lokalen Ökonomie vorsehen.
({4})
Für uns hat das Thema Stadtumbau natürlich weiterhin Priorität. Der Stadtumbau Ost hat in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle gespielt. Die Zwischenbilanz nach fünf Jahren Stadtumbau Ost macht deutlich,
dass die Umsetzung der definierten Ziele sicherlich mehr
Zeit braucht als bis zum Jahr 2009. Wie wir wissen, war
es nur eine Frage der Zeit, bis auch westdeutsche Städte
mit derartigen Herausforderungen - wenn auch in abgeschwächter Form - konfrontiert sein werden. Der Stadtumbau West war insoweit eine logische Konsequenz.
Wir müssen ihm in den kommenden Jahren sicherlich
verstärkt unsere Aufmerksamkeit widmen, nicht zuletzt
deshalb, weil wir hier die Chance haben, eine vorausschauende Politik zu betreiben. Diese Chance sollten wir
meines Erachtens nicht vergeben.
Auch das neue Programm zur Innenentwicklung der
Städte und Gemeinden mit einem Verpflichtungsrahmen
von 40 Millionen Euro ist eine logische Konsequenz unserer bisherigen Politik. Dazu zähle ich auch das Thema
städtebaulicher Denkmalschutz West.
Hinzu kommt der Klimaschutz, den ich in meiner
Rede eigentlich gar nicht ansprechen wollte. Aber der
Kollege Friedrich hat mich dazu animiert, zu sagen: Ich
freue mich ein bisschen über Ihre Fähigkeit zur Selbstironie. Ich finde es gut, dass wir dieses Programm - es
wurde, wie gesagt, von der Vorgängerregierung aufgelegt - konsequent fortsetzen. Ich bin mir absolut sicher,
dass wir auch durch die kritische Begleitung der Energieeinsparverordnung dazu beitragen werden, dieses zukunftsfähige Programm weiterzuentwickeln und damit
sozusagen mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
({5})
Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir den Kommunen über den Kommunalkredit die Möglichkeit geben, ihre Gebäude zu sanieren. Wir sollten auch an diejenigen Kommunen denken,
die sich in sogenannten Haushaltsnotlagen befinden, und
wir sollten ihnen über Zuschüsse die Möglichkeit geben,
an diesen Programmen zu partizipieren.
Über die Finanzierung des Humboldt-Forums werden
wir an anderer Stelle sicherlich noch ausführlicher diskutieren können. Ich würde mich freuen, wenn uns da
ein großer Wurf gelänge.
Lieber Kollege Friedrich, auch ich hätte mich gefreut,
wenn wir bei der Einbeziehung des Wohneigentums in
die private Altersvorsorge weitergekommen wären. Ich
habe gerade ein bisschen geschmunzelt, als Sie in unsere
Richtung den Ideologieverdacht geäußert haben. Ich
weise diesen Verdacht natürlich in aller Form und mit
großer Überzeugung zurück. Vielleicht haben wir in den
kommenden zwei Jahren die Chance, uns diesbezüglich
zu verständigen.
Ich freue mich auch auf die Beratungen in den kommenden Wochen.
({6})
Ich denke, sie werden konstruktiv verlaufen. Ich hoffe,
dass wir sie gemeinsam in der Überzeugung führen,
auch mit diesem Haushalt effektive Bedingungen für
eine nachhaltige Stadtentwicklung zu schaffen. Unser
Ziel sollte sein, die Städte so zu fördern, dass sie in der
Lage sind, auch für die Region und für die ländlichen
Räume um sie herum Verantwortung zu übernehmen,
Wachstum und Innovation ebenso zu verkörpern wie
gute Wohn- und Lebensqualität sowie sozialen Zusammenhalt und nicht zuletzt aufseiten ihrer Bewohnerschaft aktive und engagierte Partnerinnen und Partner zu
finden.
Es ist beinahe schon ein geflügeltes Wort - ich weiß
im Augenblick gar nicht, von wem es stammt -: Wenn es
den Städten gut geht, dann geht es auch den Menschen
gut. Diesem Anspruch fühlt sich zumindest meine Fraktion verpflichtet, auch und gerade was den Entwurf dieses Einzelplans angeht.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Georg Brunnhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich könnte natürlich etwas zur Bahn sagen; schließlich sind wir alle Eigentümer, und alle Eigentümer haben
eine gewisse Verpflichtung, ihr Unternehmen nicht
schlechtzureden. Das möchte ich hier einmal deutlich
machen.
({0})
Aber darüber reden wir ja intensiv in den nächsten Wochen. Deshalb möchte ich darauf heute nicht weiter eingehen. Vielleicht noch ein Satz. Alle, die über die Bahn
und die Zukunft der Bahn reden, sollten sich mindestens eines gelegentlich auch hier im Hohen Hause vor
Augen führen: Dort sind 240 000 Menschen,
({1})
die 24 Stunden, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr dafür
sorgen, dass der Zug fährt.
({2})
Ihnen sollte man einmal ein Dankeschön sagen; man
sollte sie nicht ständig nur kritisieren.
({3})
Bei den Reden aus der Opposition ist mir etwas in den
Sinn gekommen. Wir haben von allen Rednern der Opposition in diesen Tagen gehört: Ihr müsst mehr sparen,
ihr müsst schneller zur Nullverschuldung kommen, am
besten schon im nächsten Jahr Rücklagen bilden und
Schulden tilgen. - Aber bei jedem Einzelplan - ich habe
das verfolgt - haben alle noch eine Idee, wo man noch
mehr Geld ausgeben müsste; man fordert und fordert
und fordert. Das geht so nicht.
Ich sage hier in aller Offenheit: Wer vor zwei Jahren
die Erwartung geäußert hätte, dass wir in 2008 einen
solch enormen Investitionsrahmenplan für unseren
Verkehrsbereich vorlegen können,
({4})
der hätte mit Sicherheit Gelächter ausgelöst. Heute ist
das eine Tatsache. Das ist einmalig. Da kann man sich
doch wirklich nur dafür bedanken, dass wir als Große
Koalition es fertiggebracht haben, die Investitionen auf
einem so hohen Niveau zu halten. Herzlichen Dank also
allen Beteiligten!
({5})
Natürlich - da braucht man die CDU/CSU nicht katholisch zu machen - könnten wir jeden Euro, den wir
noch zusätzlich bekommen können, unterbringen. Auch
mir geht es gelegentlich so, dass ich an bestimmten
Punkten sage: Man müsste, man sollte; auch da ist noch
eine Investitionsnotwendigkeit. - Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, man muss auch sehen, was
machbar ist. Wenn ich alles addiere, die GVFG-Mittel
und auch die Mittel für verschiedene Forschungsprogramme dazunehme, dann stelle ich fest: Uns stehen für
die nächsten drei, vier Jahre in jedem Jahr konstant fast
11 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Zahl sollte man
sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das hat es
noch nie gegeben.
({6})
Das ist etwas, was wir herausstellen müssen. Ich finde
das großartig. Wir als Koalitionsfraktionen sollten uns
nicht auch noch dafür entschuldigen, dass wir so viel
Geld für die Verkehrsinfrastruktur ausgeben.
({7})
Dass wir in der Unionsfraktion Überlegungen mit
dem Ziel anstellen, mehr privates Kapital für die Verkehrsinfrastruktur, insbesondere im Straßenbau, zu nutzen, ist kein Geheimnis. Wir haben dies in der Koalitionsvereinbarung Gott sei Dank festgeschrieben. Wir
sind uns einig.
Wir werden in diesen Haushaltsberatungen sicherlich
überlegen, wie wir mehr A-Modelle, mehr Projekte organisieren können, ob nun über die VIFG oder anders.
Auf jeden Fall ist es so, dass wir mit mehr privatem Kapital auch beim Bundesverkehrswegeplan schneller nach
vorn kommen. Das Ministerium hat hierfür Bereitschaft
gezeigt und bereitet auch einiges vor. Wenn sich die
Haushälter und Finanzpolitiker - einige sind ja auch
hier - einen Ruck geben könnten, das zu unterstützen,
({8})
dann - daraus will ich keinen Hehl machen - würden wir
noch schneller vorwärtskommen. Wir werden alles unterstützen, was das Ministerium hierzu vorlegt, weil wir
in die gleiche Richtung marschieren. Es wäre für die Infrastruktur auf jeden Fall von Vorteil.
Ich möchte noch einen Punkt zum Thema Logistik
und Logistikstandort nennen. Die Bundesrepublik
Deutschland und viele Unternehmen der Wirtschaft haben erkannt: Wir sind ein idealer Standort für Logistik.
Die Logistikbranche boomt. Sie wird nicht nur ein Jahr
boomen, sie wird auch danach wachsen. Von daher ist es
sehr intelligent, dass die Bahn AG in diesen Markt investiert, weil dort Arbeitsplätze geschaffen werden und
Geld verdient wird.
Wenn wir Logistikstandort sein wollen, ist vor allen
Dingen ein Projekt - Herr Minister, darauf möchte ich
Sie persönlich ansprechen - von entscheidender Bedeutung. Wir konnten während unserer Präsidentschaft der
letzten sechs Monate durchsetzen, dass das Projekt zur
satellitengestützten Navigation, Galileo, nicht hinten
runter gefallen ist,
({9})
Sie haben dafür gesorgt, dass dieses Projekt bei allen
Ländern weiter im Rennen ist und wir unter der jetzigen
Präsidentschaft vielleicht einen Schritt weiterkommen.
Ich sage es in aller Offenheit - das ist nicht mit meiner Fraktion und Arbeitsgruppe abgestimmt -: Dieses
Projekt ist für den Standort Deutschland so wichtig, dass
wir es im Zweifelsfall, wenn wir es nicht allein schaffen
können, mit einer kleineren Gruppe von Ländern schultern müssen. In diesem Sektor werden jetzt jährlich
25 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Alle Wissenschaftler erklären: In zehn Jahren sind es bereits 400 Milliarden Euro.
Wenn wir mit dabei sind und
({10})
dieses System installiert ist, dann hat nicht nur die Logistikwirtschaft, sondern die Gesamtwirtschaft den größten Vorteil. Hier sagen wir als Unionsfraktion: Herr
Minister, da haben Sie klasse verhandelt. Wenn das so
weitergeht, werden wir Arbeitsplätze schaffen und die
Technologieführerschaft für Deutschland erreichen.
Diese haben wir in vielen Bereichen und dann auch im
Verkehr. Wir machen eine ordentliche Politik. Die Koalitionsfraktionen machen eine Verkehrspolitik, wie wir sie
vorher selten hatten.
In die Zukunft geblickt: Wenn wir zusammenhalten,
werden wir bis 2009 noch einiges zustande bringen, von
dem die Opposition noch nicht einmal gedacht hat, dass
man es machen könnte.
Herzlichen Dank.
({11})
Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan mehr vor. Damit sind wir am Ende unserer
heutigen Sitzung.
Wir werden die Beratungen zum Haushaltsplan morgen, am Freitag, den 14. September 2007, um 9 Uhr fortsetzen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe
die Sitzung.