Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich zum zweiten Tag der
Haushaltsberatungen.
Wir setzen die gestern eröffneten Haushaltsberatun-
gen - Tagesordnungspunkt 2 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2008 ({0})
- Drucksache 16/6000 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011
- Drucksache 16/6001 Ich darf daran erinnern, dass wir gestern für die heutige Aussprache eine Redezeit von insgesamt siebendreiviertel Stunden beschlossen haben. Ich möchte schon
jetzt alle Rednerinnen und Redner dringend bitten, die
möglichst präzise Einhaltung dieser Gesamtredezeit im
Auge zu behalten.
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.
Als erstem Kollegen erteile ich das Wort dem Kollegen Brüderle für die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
möchte ich im Namen der FDP-Bundestagsfraktion
Herrn Minister Gabriel recht herzlich zum Geburtstag
gratulieren. Alles Gute!
({0})
Wir alle freuen uns, dass die Weltkonjunktur noch immer recht stabil ist. Wir alle freuen uns, dass dadurch bedingt auch bei uns die Arbeitslosenzahlen zurückgehen.
Dafür kann zwar die Regierung wenig - es sind Windfall-Profits anderer -, aber wir freuen uns darüber. Es ist
höchste Zeit, diesen Schwung von außen für immer noch
nötige Strukturreformen zu nutzen. Aber die Regierung
ist in eine Partylaune verfallen. Seit Monaten macht sie
Politik à la Woodstock: Jeder darf einmal spielen, was er
will.
({1})
Alle wollen die Welt verbessern, und Geld spielt keine
Rolle. In Woodstock kam aber am Ende der große Regen.
Das wichtigste Projekt dieser Regierung scheint derzeit zu sein, den Bundesadler durch den Eisbären zu ersetzen. Klimaschutz am Nordpol ist ohne Zweifel wichtig, aber das Reformklima in Deutschland eben auch.
({2})
Der Aufschwung muss bei den Bürgern ankommen.
({3})
Das hat zwar auch der Bundeswirtschaftsminister erkannt, aber ein einzelner Zwischenruf im Kabinett reicht
nicht. Von der Teilhabe der Bürger am Aufschwung ist
weit und breit nichts zu sehen.
Groß war diese Regierungskoalition in den vergangenen zwei Jahren nur bei den Steuererhöhungen. Die Bürger können aber nur dann am Aufschwung teilhaben,
wenn sie bei Steuern und Abgaben entlastet werden.
({4})
Jetzt ist die Zeit für Steuersenkungen. Damit würde das
Wachstum gestärkt und der Aufschwung verstetigt. Der
Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Rürup,
sagt, dass die Binnennachfrage flach wie ein Brett ist.
Das hat mit der großen Mehrwertsteuererhöhung und mit
dem Zickzack dieser Regierungskoalition zu tun.
({5})
Redetext
Frau Bundeskanzlerin, wann setzen Sie die Steuersenkung um, die auch Ihr Wirtschaftsminister fordert?
({6})
Sie reden davon, den Aufschwung stärken zu wollen.
Wenn Sie entsprechend handeln wollen, dann sollte sich
die Bundesregierung die Vorschläge zur Steuersenkung
aus dem Wirtschaftsministerium zu Herzen nehmen und
umsetzen. In diesem Fall bedeutet von Glos zu lernen,
besser zu werden.
({7})
Trotz sprudelnder Steuerquellen behauptet der
Finanzminister, dass es keinen Spielraum für Steuersenkungen gibt. Dabei führen niedrigere Steuern zu mehr
Investitionen, mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätzen und
mehr Konsum. All dies bringt auch mehr Steuereinnahmen.
({8})
Für neue Ausgabenprogramme hat die Regierung
Geld. Die Ausgaben des Bundes sollen um 4,7 Prozent
gesteigert werden. Die Schminkkoffer der Regierung
werden prall gefüllt. Da müssen sich die Bürger doch
verschaukelt vorkommen. Das Geld für die Entlastung
der Bürger ist nicht da. Aber neue Ausgabenprogramme,
das Füllen der Schminkkoffer können Sie finanzieren.
Das ist die falsche Politik.
({9})
Die gute Konjunktur sorgt dafür, dass die Mängel der
Regierungspolitik nicht sofort auffallen. Das 50-PunkteProgramm der Grillparty von Meseberg verdeckt aber
nur notdürftig, dass die Regierung ihr Pulver verschossen hat. Ins Schwarze getroffen haben Sie mit Ihrer Politik bisher kaum.
Es ist ein historischer Fehler dieser Koalition, dass sie
ihre großen Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat
nicht konsequent nutzt. Dies ist ein Rückfall in die politischen Fehler früherer Zeiten. Sie machen wissentlich
große Fehler. Die Fehler werden beschönigt; dem Bürger
wird Sand in die Augen gestreut. Sie hätten die Chance,
notwendige Veränderungen in Deutschland vorzunehmen. Aus unterschiedlichen Motiven in den beiden Parteien spielen Sie mit kleiner Münze, statt Ihrer Aufgabe,
große Veränderungen zu schaffen, zu entsprechen. Es ist
Ihre historische Fehlleistung, dass Sie Chancen verpassen, statt sie zu ergreifen und umzusetzen. Das Land ist
gut, die Regierung schwach.
({10})
Wir reden unser Land nicht schlecht. Aber als größte
Oppositionspartei ist es unsere Aufgabe, die Schwächen
der Regierung aufzuzeigen.
({11})
Das ist unsere demokratische Pflicht; denn es geht um
unser Land. Der Dornröschenschlaf und das Herummogeln um wichtige Entscheidungen können so nicht weitergehen. Nehmen Sie sich das zu Herzen!
({12})
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau
Dr. Angela Merkel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie immer die Opposition es dreht und wendet: Deutschland
hat wieder allen Grund zur Zuversicht.
({0})
Wir sind dabei, eine lange Durststrecke zu überwinden.
Die Wirtschaft wächst so stark wie seit sechs Jahren
nicht mehr. Seit Regierungsantritt ist die Zahl der
Arbeitslosen um mehr als 1 Million gesunken. Das ist
der tiefste Stand seit 1995, das heißt seit nunmehr zwölf
Jahren.
({1})
Wir haben 1 Million mehr Erwerbstätige. Das ist der
höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Ebenfalls
erstmals seit der Wiedervereinigung sind wieder ausgeglichene Staatshaushalte ohne neue Schulden in Sicht.
({2})
Das sind die Fakten; darauf bauen wir auf. Das ist eine
großartige Entwicklung.
Es geht dabei im Übrigen um mehr als nur um ein
paar positive Wirtschaftsdaten. Es geht um etwas ganz
Grundsätzliches - ich spüre das wie viele andere auch
bei meinen Besuchen vor Ort -: Deutschland ist dabei,
aus eigener Kraft Schritt für Schritt die Lasten und auch
manches Versäumnis der letzten eineinhalb Jahrzehnte
aufzuarbeiten. Das ist die Botschaft der Zuversicht an
die Menschen.
Alle Industrieländer waren in den 90er-Jahren einem
massiv erhöhten Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung ausgesetzt. Doch Deutschland war zugleich in
einer historisch einmaligen Situation. Der Prozess der
deutschen Einheit gehörte und gehört ohne Zweifel zu
den glücklichsten Entwicklungen unserer Geschichte.
Allerdings band er auch Ressourcen, Kraft und Aufmerksamkeit, wie sie kein anderes Land zu bewältigen
hatte.
({3})
In seinem Kern erzählt der Aufschwung, den wir jetzt
erleben, eine großartige Erfolgsgeschichte: die Geschichte, wie Deutschland gleichzeitig Aufbauleistungen
für die neuen Bundesländer und die Globalisierung bewältigen konnte. Meine Damen und Herren, wer das geschafft hat, dem braucht auch vor den Veränderungen
des 21. Jahrhunderts nicht bange zu sein. Das ist der
Geist, in dem wir Politik machen.
({4})
Jetzt sind wir dabei, die Chancen der Zukunft zu beschreiben und sie zu nutzen. Die Financial Times aus
London schrieb von einem neuen Wirtschaftswunder.
Nein, das ist kein Wunder, sondern der Lohn
von harter Arbeit und Anstrengung, der Lohn der mit der
Agenda 2010 eingeleiteten Reformen
({0})
und der Lohn der Reformen dieser Bundesregierung.
({1})
Vor allem ist dieser Aufschwung der Lohn der Arbeit der
Menschen in Deutschland: der Lohn von wagemutigen
Unternehmern und gut ausgebildeten Arbeitnehmern,
von engagierten Erziehern, Lehrern und liebevollen Eltern, von international renommierten Wissenschaftlern
und kreativen Ingenieuren. Sie alle sind es, die diesen
Aufschwung möglich gemacht haben.
({2})
Die Aufgabe der Politik ist es dabei, die Weichen richtig
zu stellen
({3})
und dafür zu sorgen, dass das Land seine Kräfte bündelt.
Genau das macht die Bundesregierung.
({4})
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne haben wir
vor zwei Jahren den Kurs „Sanieren, Investieren,
Reformieren“ eingeschlagen und ihn gegen Kritik verteidigt. Diese Kritik war zum Teil vernichtend, und die
Aussichten waren trübsinnig. Aber wir haben uns nicht
beirren lassen. Die Daten von heute zeigen: Es war richtig, diesen Kurs einzuschlagen.
({5})
Jetzt wird sichtbar: Die Strategie wirkt. Ich sage ausdrücklich: Das ist kein Grund zu Übermut, wohl aber zu
Selbstvertrauen, und zwar zu einem Vertrauen darauf,
dass sich Anstrengung lohnt. Wir ruhen uns nicht auf unseren Lorbeeren aus. Deutschland ist noch nicht überall
so gut, wie wir es uns wünschen. Dass wir heute bei Investitionen und Bildung im internationalen Mittelfeld
liegen, ist gut, aber nicht ausreichend.
({6})
Vor allen Dingen: Da wir immer noch 3,7 Millionen Arbeitslose haben, heißt unsere Devise: 3,7 Millionen Arbeitslose sind 3,7 Millionen zu viel. Es muss unser Ziel
sein, hier voranzukommen.
({7})
Daraus leitet sich unsere Aufgabe für die kommenden
Jahre ab: nach innen die Grundlagen des Aufschwungs
stärken, Teilhabechancen verbessern und Quellen neuen
Wohlstands erschließen und nach außen für faire Regeln
und offene Märkte sorgen.
Auf der Kabinettsklausur in Meseberg haben wir
beschlossen, in fünf Zukunftsbereichen neue Impulse zu
setzen:
Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Aufschwungs stärken. Was heißt das? Der Aufschwung und
seine Fortsetzung beruhen vor allen Dingen auf Vertrauen. Vertrauen braucht Verlässlichkeit. Deshalb ist
eine solide Finanzpolitik das Fundament, auf dem wir
mit weiteren Maßnahmen aufbauen.
Es ist gestern in der allgemeinen Finanzdebatte gesagt
worden: Allein der Bund hat über 900 Milliarden Euro
Schulden, und die Zinszahlungen betragen 40 Milliarden
Euro pro Jahr. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Deshalb hat die Bundesregierung dem Finanzminister ihre
Unterstützung zugesagt, wenn es darum geht, spätestens
2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Dann können wir sagen: Endlich leben wir nicht
mehr über unsere Verhältnisse. Das muss dann auch in
den Ergebnissen der Föderalismuskommission II verankert werden, damit das dauerhaft so bleibt.
({8})
Deshalb beruht die Fortsetzung des Aufschwungs natürlich auch auf Entlastung dort, wo es möglich ist. Wir
haben zum Beispiel gesagt: Wenn es nachhaltig vertretbar ist, werden wir versuchen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf unter 3,9 Prozent zu senken. Vertrauenzerstörend wäre es aber, jetzt irgendetwas zu
versprechen, was man nicht einhalten kann. Der Erfolg
dieser Bundesregierung besteht darin, dass wir nichts
versprochen haben, was wir nicht halten konnten, und
die Dinge so gemacht haben, dass sie am Ende im Zweifel besser waren. Das ist der Erfolg dieser Regierung.
({9})
Wir werden alles daransetzen, den Menschen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt durch Hinzuverdienstregelungen und die Bündelung der Arbeitsmarktinstrumente möglich zu machen. Wo immer es Spielräume
gibt, werden wir sie nutzen.
Wir werden den Aufschwung natürlich auch dadurch
fortsetzen, dass wir wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen. Dazu gehört die
Unternehmensteuerreform, die wir bereits beschlossen
haben. Dazu gehört die Arbeit an der Erbschaftsteuerreform, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht einfacher geworden ist, bei der wir aber nicht
aus dem Auge verlieren, dass wir den mittelständischen
Unternehmen, den Familienunternehmen den Übergang
im Erbfall erleichtern wollen, um Arbeitsplätze hier in
Deutschland zu erhalten.
({10})
Dazu gehört die Arbeit des Normenkontrollrates, der
sich dem Bürokratieabbau verschrieben hat.
Zweitens. Wir wollen, dass alle Menschen am Aufschwung teilhaben können. Der Schlüssel zur Teilhabe
ist heute zum einen Arbeit, zum anderen der Zugang zu
Bildung. Deshalb haben wir eine nationale Qualifizierungsoffensive gestartet, die wir auch weiterführen werden. Wir wissen, dass wir - zum Teil aus dem Aufschwung
resultierend - bereits einen Mangel an Fachkräften haben.
Wir sagen: Zuerst müssen wir alles daransetzen, die
Möglichkeiten, die wir hier im Lande durch Qualifizierung haben, zu nutzen. Das gilt für alle Bereiche: für die
einfachen genauso wie für die qualifizierten Tätigkeiten.
({11})
Wir sagen dann aber auch: Wenn wir einen erkennbaren Mangel in bestimmten Bereichen haben, wenn zum
Beispiel in speziellen Ingenieurbereichen gar keine eigenen Arbeitskräfte vorhanden sind, dann ist es doch, ehe
die Betriebe ins Ausland abwandern, vernünftig, zum
Beispiel Menschen aus den mittel- und osteuropäischen
Staaten mit diesen speziellen Qualifizierungen das Arbeiten bei uns zu erlauben.
({12})
Wir haben dann festgelegt, dass wir ein mittel- und
langfristiges Konzept erarbeiten, das auf dem Gedanken
beruht, dass es keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme von Deutschland geben soll, sondern
dahin, wo die Besten der Welt gebraucht werden. Offenheit bei gleichzeitiger Qualifizierung aller Menschen in
unserem Land - das ist unsere nationale Bildungs- und
Qualifizierungsinitiative, und die ist wichtig.
({13})
Wir werden neue Wege der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Investivkapital gehen. Dazu werden wir in den nächsten Wochen Vorschläge unterbreiten. Für mich ist dies deshalb so
wichtig, weil die Bindung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer an den Kapitalzuwachs ihres eigenen Unternehmens ihnen die Möglichkeit gibt, neben der Lohnentwicklung auch am Wachstum teilzuhaben. Deshalb ist
das ein ganz wichtiger Bereich.
({14})
Es ist kein Geheimnis, dass wir in der Koalition
durchaus darüber diskutiert haben, in welcher Weise wir
einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, die Erhaltung
von Arbeitsplätzen und gleichzeitig faire Löhne umsetzen können. Sicherlich gibt es da Unzufriedenheit. Aber
ich will darauf hinweisen: Wir haben uns für den Herbst
Schritte vorgenommen, die genau diesem Ziel dienen
sollen. Es geht auf der einen Seite um die Erweiterung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und dort, wo Tarifpartner nicht mehr in der Lage sind, Löhne festzulegen,
um das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Auf der anderen Seite werden wir immer aufpassen, dass dann, wenn
Menschen Arbeit haben, diese Arbeitsplätze nicht verloren gehen. Das ist der Weg dieser Bundesregierung.
Drittens. Wir wollen die Quellen des Wohlstands von
morgen erschließen. Deshalb haben wir uns vorgenommen, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Wissenschaft und Forschung auszugeben. Die Bundesregierung leistet hierzu ihren Beitrag. Das wird in den
Haushaltszahlen deutlich. Denn es ist natürlich klar:
Wirtschaftswachstum führt dazu, dass auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen müssen. Das
findet seine Berücksichtigung im Bundeshaushalt. Derzeit liegt Deutschland hier bei knapp 2,7 Prozent. Der
Bund schafft jetzt seinerseits die Voraussetzungen für einen Anteil von 2,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt.
Wirtschaft und Länder müssen allerdings nachziehen;
auch darauf werden wir ganz konsequent achten.
({15})
Wir haben uns Leuchtturmprojekte vorgenommen.
Eines davon wird im Bereich der Gesundheitsforschung
liegen. Ich glaube, damit wir Menschen für Forschung
begeistern können, müssen wir ihnen sagen, was Forschung leisten kann. Deshalb möchte Deutschland das
Land sein, das gerade im Bereich der Gesundheitsforschung, zum Beispiel bei der Forschung an Maßnahmen
gegen die Krankheit Alzheimer, eine Spitzenstellung in
der Welt einnimmt. Wir wollen dort vorne sein. Das nehmen wir uns vor, und wenn wir es uns vornehmen, werden wir es auch schaffen können.
({16})
Wir richten unsere Energie- und Klimapolitik neu aus,
weil wir glauben, dass hier die Arbeitsplätze der Zukunft
liegen, dass wir hier unserer globalen Verantwortung gerecht werden und wir gleichzeitig die Voraussetzungen
im Lande schaffen, um unsere Energieversorgung mit
größtmöglicher Unabhängigkeit gewährleisten zu können. Dazu haben wir - der Wirtschafts- und der Umweltminister gemeinsam - ein Paket von Maßnahmen entwickelt, die wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen. Dazu
haben wir unsere Position in Europa eingebracht und
dazu werden wir uns auf der internationalen Bühne natürlich auch für ein Abkommen im Anschluss an das
Kioto-Protokoll einsetzen.
Dabei spüren wir schon: Unser Weg kann nicht sein,
den Ärmeren in dieser Welt Wohlstandsverzicht zu predigen und gleichzeitig in einer Art karitativer Veranstaltung als reichere Länder etwas beizutragen. Die Zukunft
wird vielmehr darin liegen, dass wir mit gutem Beispiel
vorangehen und damit die Standards für die Zukunft setzen, gleichzeitig technologische Führer sind und damit
dann auch Exportchancen für Deutschland eröffnen.
({17})
Damit bin ich bei meinem vierten Punkt. Wir wollen
der sozialen Marktwirtschaft einen internationalen
Ordnungsrahmen geben. Wir alle kennen die Diskussionen dieser Tage. Wir spüren, auf dieser Welt kann nahezu nichts mehr passieren, ohne dass es uns beeinflusst:
Wenn in China mehr Milch getrunken wird, hat das auch
auf unsere Milchpreise Auswirkungen. Wenn es eine Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten von Amerika
gibt, wirkt sich das auch auf unsere Märkte aus. Deshalb
sage ich ganz klar: Deutschland wird niemals protektionistisch sein. Wir sind Exportweltmeister. Wir wollen
dafür Sorge tragen, dass unsere Unternehmen überall auf
der Welt Chancen haben. Aber ich sage auch: Wir werden uns schützen - das gilt auch für die Europäische
Union -, wenn andere uns keine freien Investitionsbedingungen geben, und wir werden dafür Sorge tragen,
dass die Finanzmarktregeln international transparent
sind.
({18})
Denn wir werden den Menschen in unserem Land nicht
erklären können, dass immer wieder Finanzmarktprodukte entstehen, deren Herkunft man nicht kennt, die
man nicht durchschaut, die aber letztlich auf den Einzelnen in unserem Land und in vielen anderen Ländern zurückwirken. Die Demokratie kann nur erhalten werden,
wenn ein Höchstmaß an Transparenz gegeben ist; das
gilt heute nicht nur national, das gilt heute auch international. Dafür wird sich Deutschland einsetzen, der Bundesfinanzminister genauso wie ich als Bundeskanzlerin.
({19})
Wir wissen, dass wir auf dem Weg, den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen, eine Vielzahl
von eigenen Maßnahmen ergreifen müssen, bevor wir
uns dem internationalen Rahmen zuwenden können.
Deshalb haben wir die Lohnzusatzkosten gesenkt; deshalb haben wir Subventionen abgebaut. Deshalb haben
wir schon zwei Mittelstandsentlastungsgesetze beschlossen; deshalb haben wir uns damit beschäftigt, wie wir
das Auslaufen des deutschen Steinkohlenbergbaus vernünftig und sozialverträglich regeln können. Wir haben
mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt. Wir werden uns
mit der Bahnprivatisierung befassen.
({20})
Wir haben uns bei Airbus für eine marktkonforme Lösung eingesetzt.
Der wichtigste Indikator ist - daran kommt niemand
vorbei -: Die Staatsquote ist heute auf dem niedrigsten
Stand seit der Wiedervereinigung. 2005 lag sie bei
46,9 Prozent. 2007 sind es 44,5 Prozent. Wenn sich die
Dinge weiter vernünftig entwickeln, können wir 2009
42,5 Prozent schaffen. Das heißt, wir haben einen starken, aber auch effizienteren Staat. Das ist es, woran wir
arbeiten, um den Menschen möglichst viel Freiheit zu
geben, sich in der Globalisierung zu entfalten.
({21})
Fünftens. Wir wollen den Zusammenhalt und die Solidarität in Zeiten des Wandels stärken. Wir wissen:
Wirtschaftlicher Erfolg ist entscheidend für die Frage,
wie wir unseren Wohlstand in unserem Land erhalten
können. Aber wer Ludwig Erhard gelesen hat, weiß:
Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg sind kein Selbstzweck.
({22})
Es geht um ein lebenswertes Deutschland und eine freie
und gerechte Gesellschaft unter den Bedingungen des
demografischen Wandels. Aber nur dann - wir haben es
in den letzten zwei Jahren erlebt -, wenn die sozialen Sicherungssysteme besser dastehen, wenn mehr Menschen
Arbeit haben und in diese Systeme einzahlen, kann das
allen zugutekommen. Es wird oft so getan, als könne die
Teilhabe aller irgendwie vom Staat zentral geregelt werden. Nein, nur dadurch, dass wir unsere Institutionen
und sozialen Sicherungssysteme auf eine gute Basis stellen, können wir alle Menschen am Wohlstand teilhaben
lassen. Deshalb ist Arbeit für alle der Schlüssel für das
weitere soziale Zusammenleben.
({23})
Wenn wir über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft reden, dann hat die Familie natürlich eine Schlüsselbedeutung. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir auch angepackt haben. Wir haben gesagt:
Wir wollen die Wahlfreiheit für Eltern, Beruf und Familie so zu gestalten, wie sie es möchten. Dabei ist erkennbar, dass insbesondere bei der Betreuung von unter Dreijährigen heute keine Wahlfreiheit gegeben ist.
({24})
Deshalb haben wir gesagt: Hier machen wir einen großen Schritt. Wir wollen den Rechtsanspruch bis zum
Jahr 2013 umsetzen. Wenn wir das geschafft haben,
dann können wir uns auch wieder mit denen beschäftigen, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Das heißt, prioritär bis 2013 ist erst einmal die Betreuung der Kinder
unter drei; das ist die klare Verabredung. Danach machen wir einen weiteren Schritt und sagen: Auch diejenigen, die sich anders entscheiden, bekommen ein Betreuungsgeld.
({25})
Entscheidender Maßstab für die Menschlichkeit ist
auch der Umgang mit den Älteren und Schwächeren.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle Folgendes sagen: Es
gibt in diesen Tagen zwar viel Kritik an einzelnen Pflegeheimen und bestimmten Zuständen. Das müssen wir
aufnehmen; das macht die Bundesgesundheitsministerin.
Aber die überwältigende Mehrheit der Menschen, die
von Pflegekräften gepflegt werden, wird gut behandelt.
Diesen Pflegekräften gilt ein herzliches Dankeschön genauso wie denen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Das ist eine Leistung der Menschlichkeit für unsere
Gesellschaft.
({26})
Wir werden unseren Nationalen Integrationsplan
fortentwickeln. Er ist ein Beispiel für eine sehr gute gemeinsame Arbeit von Bund, Ländern und Kommunen.
Zum ersten Mal ist es gelungen, hier eine Systematik hineinzubringen und zu sagen: Diejenigen, die bei uns leben und einen ausländischen Hintergrund haben, sind
nicht irgendwelche Gäste auf kurze Zeit. Sie werden länger bei uns sein, und deshalb müssen wir sie integrieren.
Integration ist keine Einbahnstraße; sie erfordert von allen in der Gesellschaft etwas. Aber dass wir uns jetzt einig sind, dass das Beherrschen der Sprache die Voraussetzung für die Integration ist, ist ein großer Fortschritt
in Deutschland. Das wird sich in Maßnahmen auf allen
Ebenen wiederfinden, und das ist gut so.
({27})
Wir haben einen klaren Wertekanon für unser Zusammenleben in Deutschland. Das Bekenntnis zu unserer
nationalen Identität und Weltoffenheit sind überhaut
keine Gegensätze. Aber wir wissen: Wir leben in einer
Welt, in der es neue Bedrohungen gibt. Gestern war der
11. September, der sechste Jahrestag der Anschläge auf
das World Trade Center. Es waren damals am 11. September 2001 Anschläge von Menschen, die die Art, wie
wir leben wollen, und unseren Wertekanon, von dem ich
gesprochen habe, nicht akzeptieren und ihn vernichten
wollen, und zwar mit aller Konsequenz.
Wir wissen, dass in dieser Woche vielleicht ein
schrecklicher Anschlag in Deutschland hätte stattfinden
sollen. Glücklicherweise wurde er verhindert. Das ist ein
großer Erfolg der Sicherheitsbehörden. Ein herzliches
Dankeschön an alle, die daran mitgearbeitet haben.
({28})
Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass
in den letzten Jahren sieben Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund verhindert worden sind oder ihre
Ausführung gescheitert ist. Das heißt, wir leben in einer
gefährdeten Sicherheit. Unsere Demokratie hat bisher
bewiesen - das ist die gute Botschaft -, dass sie sehr
wohl handlungsfähig ist, wenn es um den Schutz der Sicherheit der Bürger geht. Entscheidend ist bei allen
Ängsten und Ungewissheiten, die der 11. September mit
sich gebracht hat, dass es uns stets gelungen ist - natürlich mit kontroverser Diskussion -, die Balance von
Schutzmaßnahmen und Freiheitsrechten zu erhalten. Wir
haben eben kein Klima der lähmenden Angst zugelassen, sondern wir haben Offenheit und Realitätssinn bewiesen. Die Befürchtungen oder die Vorwürfe, Deutschland werde zu einem Polizei- oder Sicherheitsstaat, sind
offensichtlich Unsinn.
({29})
Ich bin deshalb auch optimistisch, dass es uns gelingt,
das, was das Bundeskriminalamt an Terrorbekämpfung
leisten muss, in einem Gesetz zusammenzufassen. Ich
verhehle nicht, dass für mich auch die Onlinedurchsuchung dazugehört.
({30})
Ich empfehle uns, die Diskussion in einem Klima zu
führen, in dem wir nicht falsche Fronten aufmachen,
sondern in dem wir uns alle gemeinsam - das ist das Bekenntnis der großen Mehrheit dieses Parlaments - für
Freiheit und Sicherheit gleichermaßen entscheiden. Aber
wir sollten uns auch vergegenwärtigen, dass es keine
Räume in dieser Gesellschaft geben darf, wo die Sicherheitsbehörden keine Möglichkeit des Zugriffs haben, natürlich immer auf rechtsstaatlicher Basis.
({31})
Sicherheit ist nicht nur im Zusammenhang mit dem
Terrorismus wichtig, sondern Sicherheit gehört zu dem
Grundlebensgefühl, das wir brauchen, um überhaupt in
Freiheit leben zu können. Deswegen möchte ich heute
einmal die Gelegenheit nutzen, den Polizisten auf den
ganz normalen Polizeirevieren in den Dörfern und den
Städten für ihre tägliche Arbeit zu danken. Das Sicherheitsgefühl, das sie ermöglichen, bedeutet Lebensqualität für Millionen Deutsche, und zwar täglich rund um die
Uhr. Dafür ein herzliches Dankeschön.
({32})
Die rechtzeitigen Festnahmen in der vergangenen Woche haben des Weiteren gezeigt - das ist ganz wichtig -:
Bei uns haben die Sicherheitsbehörden gut gehandelt.
Aber wir haben auch erlebt, dass es eine hervorragende
Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden verschiedener Länder gibt. Damit kommen wir auf einen
Punkt, der in einer global vernetzten Welt von entscheidender Bedeutung ist: Wenn wir Hilfe bekommen, muss
man sich auf Deutschland verlassen können, dass es auch
Hilfe leistet. Wenn wir also die Lehren aus dem 11. September und den geplanten Anschlägen ernst nehmen,
dann ist der Weg nach Afghanistan nicht weit. Wir müssen alles tun, damit Afghanistan nie wieder in die Situation kommt, dass Taliban und al-Qaida von dort aus - sozusagen frei und ohne Struktur von staatlicher Stelle agieren können. Afghanistan zeigt uns deutlich, dass Sicherheit und Entwicklung untrennbar verbunden sind.
Das ist auch das Credo des Berichts der Bundesregierung über die nachhaltige Entwicklung in Afghanistan:
keine Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Sicherheit.
({33})
Der Deutsche Bundestag wird in den nächsten Wochen wieder eine intensive Diskussion über die Fortsetzung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan führen. Ich
will dieser Debatte an dieser Stelle nicht vorgreifen, aber
genauso wenig will ich heute Morgen mit meiner Meinung hinter dem Berg halten. Erinnern wir uns daran,
wie die Situation in Afghanistan vor dem Fall der Taliban war. 23 Jahre Bürgerkrieg und Krieg unter der Herrschaft der Taliban haben das Land an den Abgrund gebracht. Die Menschenrechte wurden mit Füßen getreten.
Al-Qaida fand in Afghanistan einen Ausbildungs- und
Rückzugsraum. Nur weil es quasi keine funktionierenden staatlichen Strukturen in Afghanistan gab, waren die
Anschläge vom 11. September mit Tausenden Menschen
als Opfer möglich.
({34})
Gemessen an dieser Ausgangssituation, haben wir Erhebliches erreicht.
({35})
Es gibt wieder staatliche Strukturen. Drei Viertel der
Menschen können heute auf eine medizinische Grundversorgung zurückgreifen. Die Zahl der Schüler hat sich
seit 2001 auf circa 6 Millionen mehr als verfünffacht.
Davon sind ein Drittel Mädchen. Die Infrastruktur hat
sich deutlich verbessert.
Aber ich will gar nicht herumreden: Das sind die guten Fakten. Dennoch bestreitet niemand, dass es trotz
dieser sichtbaren Erfolge in Afghanistan beträchtliche
Herausforderungen gibt. Die Sicherheitssituation lässt
mancherorts mehr als zu wünschen übrig. Die afghanischen Sicherheitskräfte - das ist der Punkt - sind noch
nicht so weit, ihre Aufgaben allein erfüllen zu können.
Der Aufbau der staatlichen Institutionen, insbesondere
in der weiten Fläche des Landes, stockt, und die Entwicklung der Drogenproduktion ist mehr als unbefriedigend.
({36})
Die Bundesregierung hat deshalb im Rahmen einer
hervorragenden Kooperation des Außenministers, des
Verteidigungsministers, der Entwicklungsministerin und
des Innenministers den Schluss gezogen, dass wir natürlich einen Schwerpunkt auf den zivilen Wiederaufbau
Afghanistans legen müssen. Deshalb werden wir darum
bitten, die Mittel für die Wiederaufbauhilfe für dieses
Land aufzustocken.
({37})
Eines der wichtigen politischen Projekte war die Initiative des Bundesaußenministers im Rahmen unserer G-8Präsidentschaft, Afghanistan und Pakistan an einen
Tisch zu bringen; denn nur wenn diese beiden Länder
vernünftig zusammenarbeiten, wird es gelingen, die
Quellen des Terrorismus zu bekämpfen. Deshalb gibt es
eine große Unterstützung für diese Initiative.
({38})
Wir wollen den Aufbau und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken. Das gilt sowohl für
den militärischen Bereich als auch für den Polizeiaufbau.
Wir haben wegen der Größe der Aufgabe EUPOL gebeten, diese wichtige Aufgabe auf mehr Schultern zu verteilen. Wie häufig in Europa, sind Anfangsschwierigkeiten
nicht völlig auszuschließen. Aber wir werden mit großem
politischen Nachdruck dafür sorgen, dass die Arbeit, die
von Deutschland geleistet wurde, jetzt in europäischer
Zusammenarbeit stattfindet. Ich muss ganz unumwunden
sagen: Solange die afghanischen Sicherheitskräfte nicht
selbst für ein sicheres Umfeld sorgen können, halte ich
die internationale Truppenpräsenz für weiterhin notwendig. So lange halte ich auch den Einsatz der Bundeswehr
in Afghanistan für notwendig.
Unser erfolgreicher zivil-militärischer Ansatz mit den
sogenannten Provincial Reconstruction Teams in Kunduz und Faizabad im Norden Afghanistans ist allgemein
anerkannt. Damit unterstützen wir eine Vielzahl von
Aufgaben und Projekten zusammen mit unseren Partnern. Ich möchte deshalb heute Morgen die Gelegenheit
nutzen, allen Angehörigen der Bundeswehr, Polizisten,
Diplomaten und Wiederaufbauhelfern aus Deutschland
für die Arbeit ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen.
({39})
Ich möchte die Gelegenheit ebenfalls nutzen, im Rahmen dieser Debatte an diejenigen zu erinnern, die ihr Leben bei der Aufbauarbeit verloren haben. Wir werden sie
nicht vergessen, und ihr Einsatz war nicht vergebens. Ich
möchte an die Adresse derjenigen, die glauben, durch
Geiselnahmen unsere Entschlossenheit beim Wiederaufbau in Zweifel ziehen, ganz unmissverständlich sagen:
Wir tun alles Menschenmögliche, um Geiseln zu retten,
aber erpressbar ist Deutschland nicht, und erpressbar
wird Deutschland nicht sein.
({40})
Unter den gegebenen Umständen halte ich deshalb
die anstehende Verlängerung der drei Bundeswehrmandate als Komponenten, die wir brauchen, für erforderlich. Als drittgrößter Truppensteller für ISAF haben wir
im Norden Afghanistans regionale Führungsverantwortung übernommen. Der in diesem Haus noch vor sechs
Monaten heiß diskutierte Tornado-Aufklärungseinsatz
hat sich als Erfolg erwiesen. Die NATO und die afghanische Regierung schätzen ihn. Er leistet einen wichtigen
Beitrag zum Gesamtauftrag. Die Bundeswehr wird auch
in Zukunft den Schwerpunkt ihres Einsatzes im Norden
haben und nur fallweise, wenn es nach Lage der Dinge
unabweisbar und notwendig ist, in anderen Regionen tätig werden. Allerdings warne ich vor der Vorstellung,
wir könnten uns im Norden vom Rest Afghanistans abkoppeln. Der Erfolg kann nur die Gesamtoperation ISAF
sein, und deshalb stehen wir in voller Solidarität zu dieser Gesamtoperation. Ich weiß, dass über die Antiterroroperation OEF in diesem Hause wie auch in der Bevölkerung unseres Landes die größten Sorgen bestehen.
Diese Sorgen nehme ich sehr ernst.
Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von OEF erfolgt, wie wir wissen, auf Grundlage von Art. 51 der
Charta der Vereinten Nationen und von Art. 5 des Nordatlantikvertrages. OEF - auch daran möchte ich erinnern wurde in mehreren UN-Sicherheitsratsresolutionen bestätigt und bekräftigt und wird auch von der afghanischen Regierung unterstützt.
Ich bin überzeugt: Solange die Gefahr eines Wiedererstarkens von al-Qaida oder der Taliban nicht gebannt
ist, muss die Stabilisierung des Landes durch ISAF weiterhin von OEF flankiert werden. Dass dabei eine Gefährdung der Zivilbevölkerung so weit wie möglich ausgeschlossen werden muss, will ich an dieser Stelle
ausdrücklich betonen. Ich will auch darauf hinweisen,
dass wir alles unternehmen, um genau das zu verbessern,
insbesondere die Kontakte zwischen ISAF und OEF.
In Afghanistan steht viel auf dem Spiel. Deutschland
hat 2001 auf dem Petersberg richtigerweise versprochen,
sich langfristig für den Wiederaufbau in Afghanistan zu
engagieren. Die Bundesregierung der Großen Koalition
fühlt sich an diese Verpflichtung gebunden. Es ist der
einzige Weg, zu zeigen, dass wir Terroristen bekämpfen,
({41})
und zwar entschlossen.
({42})
Entschlossenheit und multilaterale Einbindung, das
ist das, was unsere Außenpolitik insgesamt kennzeich11484
net, ob es um die Frage des Atomprogramms des Iran
geht, ob es um die Stabilisierung des Libanon geht, ob es
um die Weiterentwicklung der zarten Hoffnungsschimmer im Hinblick auf die Gespräche im Nahen Osten zwischen Premierminister Olmert und dem palästinensischen Präsidenten geht.
Ich werde in wenigen Tagen an der Generalversammlung der UNO in New York teilnehmen. Für uns ist die
Frage „Wie können wir die Herausforderungen bewältigen?“ immer verknüpft mit einer starken und handlungsfähigen UN und damit auch mit einem starken und handlungsfähigen UN-Sicherheitsrat. Nur gemeinsam können
wir das durchsetzen, was wir versprochen haben, zum
Beispiel die Erreichung der Millenniumsziele. Im Haushalt findet dies durch die Erhöhung der Entwicklungshilfeausgaben seinen Niederschlag. Wir gehen damit einen Schritt in die richtige Richtung. Wir haben
internationale Verpflichtungen, und wir sind internationale Verpflichtungen eingegangen. Es ist jetzt unsere
Aufgabe - es geht dabei um unsere Glaubwürdigkeit -,
die Erfüllung dieser Verpflichtungen auch wirklich
durchzusetzen.
({43})
Durch unsere G-8-Präsidentschaft weiß ich, dass die
Menschen auf der Welt genau hinschauen, ob die Versprechen der Industrieländer leere Versprechen sind oder
ob wir das, was wir versprochen haben, auch einhalten.
Dem gerecht zu werden, gehört zur Glaubwürdigkeit
und zu unserem Wertekanon.
({44})
Die Gewichte in der Welt verschieben sich. Wir spüren das, wenn wir das Wirtschaftswachstum von China
und Indien sehen, und wir spüren es, wenn wir uns die
Bevölkerungsentwicklung der Welt anschauen. Während
am Anfang des 20. Jahrhunderts jeder Vierte ein Europäer war, so wird es am Ende des 21. Jahrhunderts nur
jeder Vierzehnte sein.
Wenn wir unsere Art, zu leben, wenn wir unsere Vorstellung von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit in
der Welt durchsetzen wollen, dann müssen wir entschlossen dafür eintreten. Deshalb steht diese Bundesregierung für eine wertebewusste Politik und für einen
Kurs der Orientierung am einzelnen Menschen. Wir wollen mehr Chancen für alle. Wir betreiben eine zukunftsfähige Politik, indem wir weniger Schulden machen. Wir
schaffen Raum für Nähe und Geborgenheit in unserer
Gesellschaft durch eine Politik für Kinder, Kranke und
Pflegebedürftige. Wir stärken die soziale Marktwirtschaft, insbesondere in der internationalen Dimension,
und wir übernehmen internationale Verantwortung, indem wir für unsere Wirtschaft, unsere Umwelt und unsere Sicherheit die neue Verbindung zwischen Innenund Außenpolitik erkennen und gestalten.
Dieser Kurs bringt Deutschland voran, nach innen genauso wie nach außen. Damit schaffen wir die Fundamente unseres Wohlstands, und damit können wir die
Erfolgsgeschichte dieser Bundesrepublik Deutschland
fortsetzen. Wir tun dies im Interesse und zum Wohle der
Menschen in unserem Land.
Herzlichen Dank.
({45})
Ja, selbstverständlich.
({0})
- Herr Kollege Westerwelle, ich versichere Ihnen feierlich, dass ich auch Ihre Zeit stoppen werde,
({1})
falls Sie beabsichtigen, im Laufe des Tages das Wort zu
ergreifen.
({2})
Zunächst erhält nun aber das Wort der Vorsitzende der
Fraktion Die Linke, Oskar Lafontaine.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuversicht.“ Mit diesem Satz hat die Bundeskanzlerin ihre Erklärung zum Haushalt heute begonnen.
({0})
Frau Bundeskanzlerin, wir würden diesem Satz gern zustimmen, wir können ihm aber nicht zustimmen, weil
wir die Frage aufwerfen müssen: Wer ist „Deutschland“?
({1})
Verstehen Sie unter „Deutschland“ auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu „Deutschland“ auch die
Rentnerinnen und Rentner, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu „Deutschland“ auch die Empfänger sozialer Leistungen, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Und gehören zu „Deutschland“ auch die
2,5 Millionen Kinder, die in Armut leben? Haben die
Grund zur Zuversicht? Wen haben Sie denn gemeint,
verehrte Frau Bundeskanzlerin, als Sie hier vollmundig
von Zuversicht gesprochen haben?
({2})
Ich beginne mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und zitiere die Tageszeitung Die Welt, damit
nicht irgendjemand auf die Idee kommt, ich würde hier
oppositionelle Texte verbreiten, die böswillig verfasst
seien, um Ihre tolle Bilanz infrage zu stellen. Sie konnten darin vorgestern über die Entwicklung des Arbeitsmarkts in Deutschland lesen:
Als „prekäre Beschäftigung“ bezeichnen Soziologen unsichere, schlecht bezahlte ArbeitsverhältOskar Lafontaine
nisse. Nach Zahlen des DGB breitet sich die prekäre Beschäftigung immer weiter aus. So hat sich
die Zahl der Zeitarbeiter seit 2003 auf 650 000 verdoppelt; 18 Prozent der Erwerbstätigen sind Minijobber, weitere 600 000 Menschen arbeiten als EinEuro-Jobber, und 440 000 Vollzeitbeschäftigte verdienen so wenig, dass sie auf Hartz IV angewiesen
sind. Mit den Arbeitsmarktreformen sei ein „unerträgliches Maß“ an Deregulierung erreicht worden, kritisiert der DGB.
Sie haben sich hier hingestellt und die Arbeitsmarktreformen als Grundlage für die Zuversicht
Deutschlands dargestellt. Sie reden völlig über die
Köpfe der Menschen hier in Deutschland hinweg.
({3})
Millionen sind in prekären Arbeitsverhältnissen. Wir
haben keinen Grund zur Zuversicht. - Falls die Menschen Sie jetzt sehen könnten, Frau Bundeskanzlerin,
hätten sie kein Verständnis dafür, dass Sie an dieser
Stelle lächeln.
Ich möchte hier noch einmal sagen, was prekäre Arbeitsverhältnisse eigentlich bedeuten; ihre Zahl nimmt
weiter zu. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu
hat einmal gesagt: Prekäre Arbeitsverhältnisse rauben
den Menschen die Zukunftsplanung. - Das müsste jeder
nachvollziehen können, der sich einmal die Mühe macht,
das nachzuempfinden.
Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß,
ob man noch genug Geld hat, um Nahrungsmittel einzukaufen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht
weiß, ob man Geld hat, um die Miete zu bezahlen? Was
heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man
Geld hat, um die Stromrechnung zu bezahlen? Und wie
demütigend ist es für Eltern, wenn sie feststellen müssen, dass sie ihrem Kind den Schulausflug nicht bezahlen können? Das hat nichts mit Zuversicht zu tun.
({4})
Diese Menschen haben keine Zukunft. An dieser Stelle
müssen wir mit Reformen beginnen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ergänzend ist hier noch auszuführen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vom
Wohlstandszuwachs abgekoppelt sind. Seit zehn Jahren
gibt es in Deutschland keinen realen Lohnzuwachs, und
auch die relativ guten Tarifabschlüsse in diesem Jahr
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein anderer
Prozess weitergeht, nämlich der Prozess der permanenten Lohnsenkung. Deswegen wäre es eine wichtige Reform, einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland
durchzusetzen, wie in Frankreich 8,44 Euro. Was in
Frankreich geht, geht auch in Deutschland.
({5})
Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Ausbeutung, die
in Deutschland aufgrund Ihrer Zögerlichkeit und Ihrer
Handlungsunfähigkeit nach wie vor Wirklichkeit ist,
nicht zu beenden. Ein humanes Land, ein Land, in dem
Zuversicht herrschen soll, muss die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beenden, die für
unter 2 Euro beschäftigt werden. Wo leben wir eigentlich, meine sehr geehrten Damen und Herren?
({6})
Zum zweiten Punkt, den Rentnerinnen und Rentnern. Wenn sie Ihnen zugehört haben, werden sie nicht
unbedingt Ihre Auffassung geteilt haben, dass sie Grund
zur Zuversicht haben. Die Rentnerinnen und Rentner
mussten in den letzten Jahren Nullrunden verkraften. Sie
haben in diesem Jahr eine lächerliche Erhöhung bekommen, die noch nicht einmal die Preissteigerung ausgleicht. Wenn man mit Rentnerinnen und Rentnern
spricht, dann wird man nicht hören, dass sie dies als
Grund zur Zuversicht empfinden.
Aber an einer Stelle ist Ihre Bemerkung geradezu
obszön, nämlich dann, wenn es um die Zukunftserwartung derjenigen Menschen in Deutschland geht, die
niedrige Löhne haben. Die OECD hat festgestellt, dass
diese Menschen - die Zahl nimmt zu; es sind Millionen die schlechteste Rentenerwartung aller Industriestaaten
haben. Das ist doch kein Grund zur Zuversicht, sondern
der Nachweis, dass Ihre Rentenpolitik total gescheitert
ist.
({7})
Wenn alle seriösen Prognosen nachweisen, dass immer
mehr Rentnerinnen und Rentner in Zukunft Armutsrenten haben werden - das sind nicht 10 Prozent; das sind
nicht 20 Prozent; das sind mehr -, dann ist völlig unvorstellbar, wieso Sie sich hier hinstellen und sagen können:
Deutschland hat Grund zur Zuversicht.
Wir müssen die Rentenformel in Deutschland wiederherstellen. Die Dämpfungsfaktoren müssen wieder zurückgenommen werden. Der Rückschritt in das vorletzte
Jahrhundert war ein sozialer Kahlschlag ersten Ranges.
Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, haben
einen Anspruch auf armutsfeste Rente. Die Linke wird
nicht aufhören, dies hier immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
({8})
Nun komme ich zu den Menschen, die arbeitslos sind.
Es sind immer noch - hierin stimme ich Ihnen zu - viel
zu viele, die in Deutschland arbeitslos sind. Aber wir
können nicht darüber hinwegsehen, dass die Lebensbedingungen dieser Menschen durch Ihre verfehlte Politik,
die Sie hier auch noch ausdrücklich gelobt haben, erheblich beschädigt worden sind. Sie haben gelobt, dass man
beispielsweise die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes
erheblich gekürzt hat. Sie haben gelobt, dass man
Hartz IV durchsetzt und beispielsweise Menschen
zwingt, zu Bedingungen zu arbeiten, zu denen sie vorher
nicht arbeiten mussten. Sie haben gelobt, dass man Menschen ihr Vermögen nimmt, das sie fürs Alter gespart ha11486
ben. Das alles haben Sie hier gesagt. Glauben Sie tatsächlich, diese Menschen hätten Grund zur Zuversicht?
Wenn jemand Angst hat, arbeitslos zu werden, über
50 ist und dann gleich nach einem Jahr nach Hartz IV
zurückfällt, hat er keinen Grund zur Zuversicht; dann hat
er Angst. Deshalb muss Hartz IV weg, deshalb muss es
überwunden werden, und ein erster Schritt dazu wäre ein
längerer Bezug von Arbeitslosengeld, wie es im Übrigen
auch viele Kollegen aus den Koalitionsfraktionen öfter
gefordert haben.
({9})
Im Übrigen, um noch ein aktuelles Thema aufzugreifen: Sie haben die Zahlen hier ausgebreitet, aber zu den
prekären Arbeitsverhältnissen gehört eben auch die
Leiharbeit. Ich sage hier einmal, was Leiharbeit heißt.
Kürzlich hat mir der Betriebsratsvorsitzende eines Metallbetriebes in Saarbrücken gesagt, dass der niedrigste
Lohn in der Belegschaft 15 Euro pro Stunde ist, dass
aber die Leiharbeiter mit der Hälfte dessen entlohnt werden, nämlich 7,50 Euro pro Stunde. Dies betrifft nicht
nur einen einzelnen Betrieb. Diese Methode, Kosten zu
senken, breitet sich immer weiter aus. Stimmen Sie doch
dem Antrag der Linken zu, endlich durchzusetzen, dass
Leiharbeiter genauso wie die Stammbelegschaft bezahlt
werden müssen! Dann würden Sie hier einmal eine Reform durchführen, die diesen Namen verdient.
({10})
Nun komme ich zur Kinderarmut. Wie können Sie
bei 2,5 Millionen Kindern, die in Armut leben, sagen,
Deutschland habe Grund zur Zuversicht? Sind Millionen
Kinder nicht auch Deutschland? Wäre es nicht unsere
Aufgabe, eben für diese Kinder etwas zu tun? Warum
gab es in der Sommerpause Diskussionen aus den Koalitionsfraktionen, man solle den Kinderzuschlag erhöhen?
Wir haben diese Diskussion begrüßt. Aber warum ist
dem nichts gefolgt? Warum lehnen Sie den Antrag der
Linken ständig ab, den Kinderzuschlag zu erhöhen?
({11})
Das, was in diesem Antrag enthalten ist, wäre wirklich
einmal ein Fortschritt für Millionen Kinder, die in
Deutschland in Armut leben.
({12})
Nun haben Sie hier mit viel Stolz verkündet - oder
der Referent hat es Ihnen aufgeschrieben -,
({13})
dass wir eine niedrige Staatsquote haben. Ich habe hier
schon mehrfach an Sie die Frage gestellt, welche Steuerund Abgabenquote Sie eigentlich für Deutschland
anstreben. Das ist eine Kernfrage jeder Haushaltsberatung. Wenn man die nicht beantworten kann, sollte man
eigentlich nicht zum Haushalt sprechen.
({14})
Die Antwort auf diese Frage bestimmt ja letztendlich die
Möglichkeiten, was man in Deutschland tun kann, um
die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.
Eines ist auf jeden Fall klar: Wenn die Politik der Umverteilung von unten nach oben - Mehrwertsteuererhöhung plus Unternehmensteuersenkung - fortgesetzt
wird, dann verarmen immer mehr Menschen in Deutschland, sehen keine Zukunft mehr in Deutschland und haben keine Zuversicht.
({15})
Wir wollen natürlich auch an die Facharbeiter und die
Kleinbetriebe denken. Deshalb möchte ich hier noch einmal einen Vorschlag wiederholen, den ich schon in zwei
früheren Debatten vorgetragen habe: Wir wollen den sogenannten Bauch im Steuertarif beseitigen; wir wollen
einen linearen Steuertarif. Dieser lineare Steuertarif
würde Facharbeiter und Kleinbetriebe entlasten. Jedem,
der wie der Bundesfinanzminister sagt, das könnten wir
uns jetzt nicht erlauben, halte ich entgegen: Dann müssen wir eben den Spitzensteuersatz wieder anheben, um
so die Verluste auszugleichen.
({16})
Auf jeden Fall ist es nicht zulässig, Facharbeiter und
Kleinbetriebe überproportional zu belasten.
Dies wäre nun wirklich eine Struktur- bzw. Steuerreform, die ökonomische Wirkung entfalten und insbesondere diejenigen belohnen würde, die in Deutschland
etwas leisten. Leistung lohnt sich in Deutschland schon
lange nicht mehr. Sie lohnt sich nicht für diejenigen, die
trotz einer Vollzeitbeschäftigung auf Hartz IV angewiesen sind, und sie lohnt sich nicht für die Facharbeiter, die
überproportional zur Kasse gebeten werden. Leistung
soll sich wieder lohnen in Deutschland. Damit würden
wir die Kräfte freisetzen, die den wirtschaftlichen Aufschwung in Gang bringen können.
({17})
An ein Zweites möchte ich in diesem Zusammenhang
noch erinnern: Die Unternehmensteuer muss natürlich so
gestaltet werden, dass Investitionen begünstigt werden.
Ich fordere hier noch einmal für meine Fraktion, die degressive Abschreibung wieder einzuführen. Es ist unsinnig, mit der Gießkanne Steuergeschenke zu verteilen.
Sinnvoll wäre es, den investierenden Unternehmer zu
belohnen und beispielsweise den spekulierenden zu bestrafen und zur Kasse zu bitten.
({18})
Das wäre eine sinnvolle Steuerreform. Deshalb habe ich
dies hier noch einmal angesprochen.
Nächster Punkt: Obwohl da und dort etwas getan
wird, liegt die Quote der öffentlichen Investitionen in
Deutschland viel zu niedrig. Wir haben es immer wieder
angemahnt: Wer wirklich für die Zukunft vorsorgen will,
muss die Quote der öffentlichen Investitionen in
Deutschland anheben. Da gibt es ein Maß, an dem sich
jeder orientieren kann: Das ist das Maß der Europäischen Gemeinschaft. Deutschland als moderner
Industriestaat sollte doch den Ehrgeiz haben, bei den öffentlichen Investitionen in Infrastruktur zumindest den
Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Das ist doch nicht zu viel verlangt. An dieser Stelle
war das systematische Kürzen von Investitionen aus
Spargründen falsch. Mit öffentlichen Investitionen
sichert man auch die Zukunft. Wir fordern: Zieht mit
dem europäischen Durchschnitt gleich!
({19})
Nächster Punkt: Bei den Bildungsausgaben sollten
wir den Ehrgeiz haben, nicht den Durchschnitt der Ausgaben in den OECD-Staaten zu erreichen, sondern vielleicht noch etwas mehr.
({20})
Wir wurden einmal von einer französischen Schriftstellerin als Land der Dichter und Denker bezeichnet. Ich
weiß nicht, ob sie das heute noch so formulieren würde,
wenn sie denn noch leben würde. Auf jeden Fall können
wir eines nicht zulassen, nämlich dass die Bildungsausgaben ständig unter dem Durchschnitt der Ausgaben in
den OECD-Staaten liegen. Wir müssen an dieser Stelle
etwas tun. Hier ist das fröhliche Bekenntnis zu einer
niedrigen Staatsquote völlig fehl am Platz. Wir sollten
mit Blick auf diesen Bereich eine höhere Staatsquote anstreben und mehr Ausgaben für Bildung tätigen; dann
würden wir auch bei PISA nicht derartige Ergebnisse erzielen.
({21})
Können Sie sich vorstellen, dass irgendein Regierungschef eines nordischen Staates hier einen entsprechenden Vortrag halten würde? Was glauben Sie, warum
in Dänemark, Schweden und Finnland weitaus bessere
Bildungsergebnisse erreicht wurden? Etwa, weil die eine
niedrige Staatsquote haben und wenig Geld für Bildung
ausgeben? Auf eine solche Idee käme dort niemand. Ich
rate dazu, doch einmal die Schülerweisheit anzuwenden,
dass man, wenn man selbst nicht weiß, wie es gemacht
wird, beim Nachbarn, der es besser weiß, abschreiben
sollte. An dieser Stelle wäre das dringend geboten,
meine sehr geehrten Damen und Herren.
({22})
Nun haben Sie, verehrte Frau Bundeskanzlerin, gar
nichts dazu gesagt, dass man international nicht mehr
der Auffassung ist, dass die Konjunktur sehr gut läuft.
Vielleicht war das in der Presse heute Morgen noch nicht
deutlich genug. Denn international wird mittlerweile
darauf hingewiesen, dass die amerikanische Hypothekenkrise Auswirkungen auf die Weltkonjunktur hat. Mittlerweile beraten andere Staaten bereits Gegenmaßnahmen. Deshalb rate ich dazu, dass auch wir überlegen,
was wir tun können, um solche Krisenentwicklungen zu
vermeiden.
Nun haben Sie hier gesagt - das ist lobenswert; vor
Jahren wurde das von Ihrer Partei noch als völliger Unsinn verworfen -, wir bräuchten einen internationalen
Ordnungsrahmen. Ich kann dem nur zustimmen. Wir
brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen, der
der Weltwirtschaft Regeln auferlegt, nach denen sie
funktioniert. Solche Regeln fordern wir schon seit vielen
Jahren. Nur genügt es dann nicht, wenn man brav mehr
Transparenz fordert. Meinen Sie, irgendein Hedgefonds
interessiert sich für solche braven Forderungen? Meinen
Sie, irgendeine Private-Equity-Gesellschaft interessiert
sich dafür?
({23})
Nein, wir brauchen Regeln, nach denen die internationalen Finanztransaktionen abgewickelt werden; sonst werden wir niemals Ordnung in die Weltfinanzmärkte bekommen.
({24})
Wir hätten von Ihnen gern wenigstens eine Andeutung gehört, wie Sie sich das vorstellen. Ich frage Sie:
Sind Sie beispielsweise für die Stabilisierung der Wechselkurse, wie es die Bretton-Woods-Kommission, an der
Leute wie Lambsdorff, Pöhl und andere mitgewirkt haben, schon vor vielen Jahren vorgeschlagen hat? Wenn
ja, wie wollen Sie dies erreichen? Oder wollen Sie weiterhin der weltweiten Spekulation Tür und Tor öffnen?
Sind Sie bereit, wie es etwa James Tobin vorgeschlagen
hat und wie es auch viele Staatsmänner der Welt gefordert haben, die internationalen Finanztransaktionen
durch eine Steuer einzudämmen?
({25})
Sind Sie bereit, zur Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs andere Regeln vorzuschlagen? Wir hätten
gern irgendetwas dazu gehört. Lediglich mehr Transparenz zu fordern, ist angesichts der Zustände auf den internationalen Finanzmärkten schlicht naiv.
({26})
Das gilt im Übrigen auch für die Europäische
Gemeinschaft. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen,
dass die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten
Sarkozy besser sind als das, was von Ihrer Regierung geäußert wird. Wenn beispielsweise der französische
Staatspräsident und viele andere fordern, die Europäische Zentralbank nicht nur auf Preisstabilität zu verpflichten, sondern auch auf Wachstum und Beschäftigung, dann hat er recht. Wenn Sie den antiquierten
Standpunkt der Preisstabilität vertreten, dann haben Sie
unrecht. Europa hat in den letzten Jahren Wachstumseinbußen gehabt, weil die Europäische Zentralbank es nicht
der amerikanischen Notenbank gleichgetan hat. Es wäre
gut, wenn Sie Ihren Standpunkt an dieser Stelle revidieren und auf Frankreich zugehen.
({27})
Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise
fordert, eine europäische Wirtschaftsregierung einzusetzen, um die Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten
zu koordinieren, dann findet er unsere Unterstützung.
Bei immer enger verflochtenen europäischen Volkswirtschaften ist das nur logisch. Es wäre sinnvoll, die Investitionen und die Finanzpolitik aufeinander abzustimmen,
ebenso die Lohnpolitik, damit das Lohndumping nicht
fortgesetzt wird. Sinnvoll wäre auch, die Steuerpolitik
abzustimmen; dazu hätten wir ebenfalls gern etwas
gehört. Wir brauchen eine Steuerharmonisierung in
Europa, damit das Dumping an der Steuerfront nicht
fortgesetzt wird.
({28})
Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise
etwas zum Stabilitätspakt sagt, dann sollte man ihn nicht
so abbügeln, wie es laut Presse jetzt geschehen ist. Wir
hatten schon einmal eine Regierung, der man sagen
musste, dass eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich
vielleicht besser sei als das ständige Schüren von Konflikten; das liegt schon etwas zurück. Irgendwann hat
man das gelernt. An dieser Stelle rate ich dringend dazu,
einen engeren Schulterschluss mit Frankreich zu suchen.
Aus Zeitgründen nur noch ein paar Worte zur Außenpolitik. Wir, die Fraktion Die Linke, befürworten eine
andere Außenpolitik. Wir befürworten eine Außenpolitik, die das Völkerrecht zu ihrer Grundlage macht.
({29})
Es ist auf Dauer nicht hinnehmbar, dass Deutschland das
Völkerrecht nicht zur Grundlage der Außenpolitik
macht.
Ich beginne mit dem Irakkrieg. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass Sie am Irakkrieg mittelbar beteiligt sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass dies ein Bruch des
Völkerrechts ist. Sie tun so, als ginge Sie das alles nichts
an. Es ist etwas Neues in Deutschland, dass eine Regierung von einem höchsten Gericht bescheinigt bekommt,
das Völkerrecht zu brechen, und dass sie dafür nur ein
Achselzucken übrig hat. Das ist eine Fehlentwicklung,
die korrigiert werden muss.
({30})
Dasselbe gilt für Afghanistan. Es genügt nicht, auf
ISAF zu verweisen. Wir müssen auch „Enduring
Freedom“ und den Tornadoeinsatz in diesem Hause diskutieren. Daran darf man sich nicht vorbeimogeln. Es ist
ja richtig, dass das eine oder andere von den Soldaten in
Afghanistan positiv auf den Weg gebracht worden ist.
Wer wollte das bestreiten? Für meine Fraktion aber ist es
nicht hinnehmbar - ich sage dies hier noch einmal in aller Klarheit -, dass auf der Grundlage von Fotos, die
mithilfe deutscher Tornados aufgenommen werden, unschuldige Menschen umgebracht werden.
({31})
Wenn dies nicht der Fall ist, dann seien Sie Frau genug, sich hier hinzustellen und zu sagen: Das stimmt
nicht; die von diesen Tornados aus aufgenommenen Fotos werden nicht für die NATO-Bombardierungen verwandt. Solange Sie dies aber nicht sagen können, ist die
Vorgehensweise, die in den letzten Monaten an den Tag
gelegt worden ist, völlig unverantwortlich.
({32})
Wir reklamieren nach wie vor eine Außenpolitik, die
ein Kanzler im Deutschen Bundestag einmal mit dem
Wort „Gewaltverzicht“ begründet hat. Das Wort „Gewaltverzicht“ ist in den letzten Jahren aus der öffentlichen Diskussion in Deutschland verschwunden; das
muss Gründe haben. Für den Fall, dass jemand eine begrenzte Auslegung des Wortes „Gewaltverzicht“ vortragen möchte, sage ich: Dieser Kanzler hat das Wort nicht
nur auf den Ost-West-Konflikt bezogen. Nein, dieser
Kanzler hat das Wort „Gewaltverzicht“ für den Frieden
auf der ganzen Welt formuliert. Es gilt auch für die Lösung von Konflikten in Afghanistan, im Irak oder sonst
wo.
({33})
Gewaltverzicht sollte die Grundlage der deutschen
Außenpolitik sein. Wir sollten uns an einer Tradition
orientieren, die nach meiner Auffassung die gebündelte
Schlussfolgerung aus unserer Geschichte im letzten
Jahrhundert ist. Wenn es darum geht, den Frieden in der
Welt zu erreichen, dann sollte sich Deutschland auf den
Satz verpflichten: Von deutschem Boden darf niemals
wieder Krieg ausgehen.
({34})
Das Wort hat nun der Vorsitzende der SPD-Fraktion,
Dr. Peter Struck.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns zu seriöser Politik zurückkehren!
({0})
Ein persönliches Wort an meinen Vorredner: Wenn einer
nicht das Recht hat, sich auf Willy Brandt zu berufen,
dann sind Sie es, Herr Kollege.
({1})
Der Finanzminister hat einen guten Haushaltsentwurf
vorgelegt; dazu gratuliere ich der Regierung. Das heißt
aber nicht - ich spreche für meine Fraktion, aber wohl
auch für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU -, dass wir ihn unverändert beschließen werden.
Ich möchte nur zwei Punkte ansprechen, um gleich klarDr. Peter Struck
zumachen, wo wir dem Minister noch helfen wollen, wo
wir uns beim Finanzminister nicht durchsetzen konnten.
({2})
Erstens. Wir, jedenfalls die SPD-Fraktion, sind dafür,
das BAföG um 10 Prozent zu erhöhen, nicht nur, wie es
im Haushaltsentwurf steht, um 5 Prozent.
({3})
Das ist längst überfällig. Es hat lange keine BAföG-Erhöhung gegeben. Außerdem glaube ich, dass wir den
Studentinnen und Studenten helfen müssen, gerade im
Hinblick darauf, dass es leider einige Länder gibt, die
Studiengebühren eingeführt haben, was wir nicht wollten.
Das Zweite ist ein eher unwichtiger Punkt, der aber
für die Betroffenen von Bedeutung ist. Wir sind auch dafür, dass der Wehrsold der Wehrpflichtigen der Bundeswehr erhöht wird. Sie haben das für die Arbeit, die sie
zur Unterstützung der Bundeswehr zu Hause erbringen,
verdient.
({4})
Wir werden im Rahmen der Haushaltsplanberatungen
auch über andere Dinge zu reden haben. Manches steht
zur Debatte; manches ist in den Zeitungen zu lesen, zum
Beispiel, was die Finanzierung der Staatsoper in Berlin
angeht. Ich sehe der Entwicklung mit Interesse entgegen.
Es gibt noch weitere Projekte. Wir werden sehen, wie
wir den Haushalt nach der Bereinigungssitzung des
Haushaltsausschusses letztlich gestalten.
Ich möchte ein persönliches Wort an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien richten. Ich
weiß, dass in den vergangenen Jahren - ich glaube,
schon zu Helmut Kohls Zeiten beginnend - Abschläge
beim Personal gemacht worden sind, Stelleneinsparungen in deutlichem Umfang. Ich weiß aus vielen Ministerien, dass die Grenze der Zumutbarkeit erreicht ist. Jetzt
muss Schluss sein mit weiteren Stellenkürzungen. Die
Ministerien müssen in der Lage sein, ihre Arbeit ordentlich erledigen zu können. Wir stehen an der Seite der
vielen Personalräte, die sich an uns gewandt haben. Das
wollte ich nur zur Klarstellung sagen.
({5})
Diese Koalition hat eine Menge auf den Weg gebracht. Mit Interesse habe ich manche Kommentare von
Journalisten gelesen, die vor der Klausurtagung des Kabinetts in Meseberg geschrieben haben: Jetzt machen sie
einen neuen Koalitionsvertrag, jetzt kommt wieder etwas Neues. - Es ist kein neuer Koalitionsvertrag geschlossen worden. Das war auch gar nicht möglich, weil
es eine Kabinettssitzung war und die Koalitionsfraktionen gar nicht dabei waren. Wir haben eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die uns schwer gefallen sind. Es war
aber notwendig, diese Beschlüsse zu fassen; die Erfolge
zeigen sich jetzt. Ich will es noch einmal darstellen, ohne
dass ich wieder die alte Debatte beginnen möchte, wem
der Erfolg eigentlich zuzurechnen ist oder wer derjenige
ist, der den Aufschwung begründet hat: Dass durch die
Agenda 2010 von Gerhard Schröder die Grundsteine für
den Aufschwung gelegt worden sind, steht doch eigentlich völlig außer Frage. Das wird doch niemand bestreiten wollen.
({6})
Einen Teil hat die Union mitgetragen, auch über Vermittlungsverfahren und dergleichen. Was war denn die
Agenda 2010? Sie hat das Startsignal für den Ausbau der
Kinderbetreuung gegeben, hat dazu beigetragen, dass die
Jugendarbeitslosigkeit zurückgeführt werden konnte, die
Zahl der Existenzgründungen steigt, der Mittelstand gefördert und die Kommunen gestärkt wurden. Heute war
ein Interview mit dem Oberbürgermeister von Düsseldorf zu lesen, in dem er darauf verwiesen hat, wann der
Aufschwung für die Kommunen begonnen hat. Auch der
Hinweis darauf, dass die Unternehmensteuerreform die
Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen stabilisiert
hat, ist im Hinblick auf die Kommunalpolitik in
Deutschland sehr wichtig.
({7})
Die Agenda 2010, die auch in meiner Partei und in
meiner Fraktion durchaus umstritten war, hat die Grundlagen für die Senkung der Arbeitslosigkeit geschaffen;
das ist gar keine Frage. Natürlich haben auch viele Menschen dazu beigetragen, dass wir einen Aufschwung zu
verzeichnen haben. Mit der Agenda 2010 sind zugleich
die Grundlagen für die Stabilisierung unserer sozialen
Sicherungssysteme gelegt worden. Wenn wir nichts gemacht hätten, wäre die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme angesichts der demografischen Entwicklung gegen die Wand gefahren worden. Das kann doch
niemand bestreiten. Inzwischen bestreitet es auch niemand mehr aus den Reihen der Gewerkschaft.
Ich will auch ein Thema ansprechen, das uns im Augenblick beschäftigt: die Auswirkungen der Rente mit 67.
Dass diese Entscheidung richtig war, ist gar keine Frage.
({8})
Dass die Menschen länger arbeiten müssen, weiß jeder.
Angesichts der demografischen Entwicklung kann es
nicht sein, dass man so früh in Rente geht wie heute oder
gestern und die gleiche Rente bekommt wie bisher. Wir
müssen prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, Altersregelungen wie Teilrente bzw. Altersteilzeit auszugestalten. Das Ministerium hat Vorschläge dazu vorgelegt,
über die wir zu diskutieren haben werden. Ich will aber
klipp und klar sagen: Es war eine schwierige Entscheidung, die unser Verhältnis zu den Gewerkschaften nicht
gerade beflügelt hat. Trotzdem stehen wir zu dieser Entscheidung; da wird nichts rückgängig gemacht, sie war
richtig.
({9})
Der Haushaltsentwurf, über den jetzt im Haushaltsausschuss beraten wird, steht unter dem Dreiklang
„Investieren, Sanieren, Reformieren“. Bezüglich des
Themas Reformen will ich auf den Bereich der Familien- und Kinderpolitik zurückkommen. Diese Koali11490
tion hat das Elterngeld eingeführt. Die entsprechenden
Regelungen gelten seit dem 1. Januar dieses Jahres. Wir
alle machen leider den Fehler, dass wir zwar zur Kenntnis nehmen, wenn wir etwas erreicht haben, dass wir
aber nicht mehr darüber reden. Das Elterngeld ist ein
großer Erfolg der Familienpolitik in der Bundesrepublik
Deutschland; das ist gar keine Frage.
({10})
Wir haben jetzt über die Krippenplätze zu entscheiden. Die Bundesregierung wird einen Gesetzentwurf
vorlegen, über den wir zu beraten haben werden. Ich will
es ganz klar sagen: Für die SPD ist entscheidend, dass es
einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gibt.
({11})
Wir reden zwar auch über andere Vorstellungen, zum
Beispiel über ein Betreuungsgeld - ich lese durchaus,
was Kolleginnen und Kollegen dazu sagen -, aber es ist
klar, dass darüber nicht jetzt entschieden wird, sondern
im Jahre 2013. Jetzt wird über den Rechtsanspruch auf
einen Krippenplatz entschieden.
({12})
Ich füge an dieser Stelle als Mitvorsitzender der Föderalismuskommission II, die sich mit den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zu befassen hat,
ein: Dass sich der Bund bereit erklärt hat, Personalkosten und Betriebskosten von Krippen zu finanzieren, ist
eine Maßnahme, die im Grunde genommen über das hinausgeht, was der Bund machen müsste. Inhaltlich gesehen ist es aber absolut richtig. Wir schaffen mehr Krippenplätze, damit der Rechtsanspruch verwirklicht
werden kann.
({13})
Noch eine kurze Bemerkung zu einigen Themen aus
der Innenpolitik. Sie wissen - das ist allgemein bekannt -,
dass es zwischen den Koalitionsfraktionen und innerhalb
der Regierung eine Debatte über die Frage gibt, ob es in
Deutschland einen Mindestlohn geben muss. Meine
feste Überzeugung ist, dass es einen Mindestlohn geben
wird. Daran führt kein Weg vorbei. Wir werden dafür
kämpfen.
({14})
Ich weiß, mit dieser Koalition geht es nicht. Aber wir haben einige Punkte beschlossen, die vielleicht dahin führen. Dazu gehört das Entsendegesetz, das auch die Kanzlerin in ihrem Debattenbeitrag vorhin angesprochen hat.
Ich will klipp und klar sagen: Was im Bereich der Postzustellung zwischen der Post und Verdi vereinbart worden ist, ist ein sehr guter Weg. Wir werden in der nächsten Woche in der Bundestagsfraktion beschließen, dass
diese Regelung jetzt in das Entsendegesetz aufgenommen werden soll, Herr Arbeitsminister.
({15})
Ich denke, die Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU-Fraktion werden diesen Weg mitgehen. Es ist ein
großer Erfolg. Wenn wir das nicht machen würden, ergäben sich im Zuge der Liberalisierung, die ab dem
1. Januar des nächsten Jahres kommt, erhebliche soziale
Benachteiligungen für die Briefzusteller in Deutschland.
Das wollen wir nicht. Deshalb soll das Entsendegesetz
um den Bereich der Postzustellung erweitert werden.
Zum Thema „innere Sicherheit“. Dass Koalitionsfraktionen miteinander diskutieren, ist klar; das gab es in jeder
Regierung. Wir führen eine Debatte über das Recht zur
Onlinedurchsuchung durch das Bundeskriminalamt.
Kollege Kauder, Kollege Ramsauer, Kollege Schäuble
und Kollegin Zypries haben gestern darüber gesprochen.
Ich will klipp und klar festhalten: Wenn Onlinedurchsuchungen für die Bekämpfung der terroristischen Aktivitäten in Deutschland erforderlich sind, sind wir nicht dagegen. Ich möchte nur wissen, unter welchen rechtlichen
Bedingungen sie stattfinden sollen. Deshalb warte ich auf
ein Urteil aus Karlsruhe. Dann weiß ich ganz genau, was
wir in das Gesetz hineinschreiben müssen.
({16})
Es bleibt dabei, dass wir nicht generell dagegen sind. Die
Kanzlerin hat ihre Meinung dazu gesagt; ich habe meine
gesagt. Wir werden dieses Thema in aller Ruhe beraten
und dann im Frühjahr nächsten Jahres darüber entscheiden.
Was bei der Fahndung nach Terroristen in der letzten
Woche gelungen ist, ist ein großer Erfolg. Das zeigt aber
auch, dass die Instrumente, die wir haben, um terroristische Aktivitäten in Deutschland aufzuklären, ausreichend vorhanden sind. Das ist ein großer Erfolg der Polizei. Herzlichen Glückwunsch an die Polizeibeamten, die
die geplanten Verbrechen aufgedeckt haben!
({17})
Dass wir in Deutschland bisher von solchen Anschlägen verschont geblieben sind, hat nichts mit dem Ansehen Deutschlands in der Welt zu tun. Das ist Glück. Die
Kofferbombenattentate in Köln und die jetzt geplanten
Attentate sind zum Glück aufgedeckt worden. Dass wir
im Visier von Terroristen sind, wissen wir. Das muss
man hier auch sagen. Unsinn ist die Behauptung des
Vorsitzenden der Fraktion der Linken, wir würden uns
durch unsere Aktivitäten in Afghanistan den Terrorismus
ins Land holen. Das ist absoluter Quatsch. Wir haben sowieso mit Terrorismus zu rechnen, Herr Kollege.
({18})
Wir werden uns in Deutschland damit beschäftigen
müssen, dass wir Gegenstand von terroristischen Aktivitäten sein werden.
({19})
Man kann nicht jeden Bürger der Bundesrepublik
Deutschland vor solchen Anschlägen schützen. Das geht
nicht. Das muss man wissen.
Wir können auch unsere Soldatinnen und Soldaten
nicht vor jedem Anschlag schützen. Ich bin öfter in
Afghanistan gewesen als in Amerika oder anderswo.
Auch dort ist man nicht gegen Selbstmordattentäter geschützt. Wie denn auch? Das heißt, jeder Soldat und jede
Soldatin, die den Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan wahrnehmen, wissen, dass dadurch ihr Leben gefährdet ist. Deshalb will ich an dieser Stelle allen, die bei
diesem Einsatz ihr Leben für ein gutes Ziel in Afghanistan riskieren, meinen Respekt und meinen herzlichen
Dank aussprechen.
({20})
Ich weiß, dass am Wochenende in Berlin eine Demonstration unter der Überschrift „Raus aus Afghanistan“ stattfindet.
({21})
Diejenigen, die zu dieser Demonstration gehen, sollten
Folgendes wissen: Seit 2001 - ich rede über die Zeit
nach den Taliban - sind 3 500 Schulen in Afghanistan
errichtet worden. Die Zahl der Schüler hat sich auf
6,5 Millionen verfünffacht. Es sind 30 000 Lehrer ausgebildet worden. Allein im Jahr 2005 wurden
500 000 Mädchen erstmals zum Schulbesuch angemeldet. Allein diese Zahlen zeigen, dass unser Engagement
in Afghanistan richtig ist. Die Menschen danken es uns.
({22})
Wie kann man so etwas ignorieren? Was würde es wohl
bedeuten, wenn wir aus Afghanistan herausgingen? Was,
glauben Sie, würde passieren? Glauben Sie, die Mädchen dürften in der Schule bleiben, wenn die Taliban
wieder an die Macht kommen? Glauben Sie, die Schulen
würden wieder geöffnet? In welcher Welt leben Sie eigentlich? Die Menschen haben ein Recht darauf, dass
wir ihnen helfen.
({23})
In der SPD-Fraktion hatten wir in der letzten Woche
die afghanische Frauenministerin zu Gast, Frau
Dr. Ghazanfar, die uns ihr Leben geschildert hat. Sie ist
Professorin für Literatur. Sie wurde von den Taliban eingesperrt und gezwungen, im Keller ihres Hauses zu bleiben. Sechs Jahre lang durfte sie das Haus und den Keller
nicht verlassen. Jetzt ist sie Frauenministerin. Allein
diese Tatsache, so sagt sie, ist ein Beweis dafür, dass die
internationale Hilfe dringend erforderlich ist.
({24})
Der Kollege Lafontaine hat in einer ARD-Talkshow
am 20. Mai 2007 gesagt:
Wir können aber niemals Terror durch Terror bekämpfen, also sollten wir dies jetzt einstellen, und
zwar unverzüglich.
Herr Kollege Lafontaine, wer Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr mit Terroristen gleichstellt, versündigt
sich gegenüber dem, was die Soldatinnen und Soldaten
in Afghanistan tun. Sie sollten sich schämen.
({25})
- Das greife ich gern auf. Wer so wie Sie auftritt, der
sollte sich fragen lassen, ob das, was manche Ihrer Leute
zum Schießbefehl gesagt haben, wirklich zu verantworten ist.
({26})
Kollege Bisky, Sie haben gesagt, dass es keinen Schießbefehl gab. Das ist doch wohl absurd. Dass geschossen
werden musste, das weiß doch wohl jeder. Das weiß sogar ich, und ich war nicht Mitglied der Nationalen
Volksarmee.
Ein Kollege der Linkspartei, Landesvorsitzender von
Hessen, Altkommunist Peter Metz, hat in der Debatte
über die Leugnung des SED-Schießbefehls gesagt, dass,
wer wirklich etwas gegen den Schießbefehl habe, seinen
Einfluss auf Minister Jung geltend machen müsse. Er hat
den SED-Tötungsbefehl an der Mauer mit dem Einsatz
der Bundeswehr in Afghanistan verglichen. Da sieht
man einmal, mit welchen Leuten Sie arbeiten wollen. Er
soll Ihr Spitzenkandidat in Hessen werden. Das ist unglaublich.
({27})
Ich will etwas zu einem Thema sagen, das im Bundestag und in der Bundesregierung sicherlich nicht ganz unumstritten ist - ich will meine Meinung dazu aber nicht
verschweigen -: dem NPD-Verbot. Das Verbotsverfahren ist auch deswegen gescheitert, weil die zuständigen
Behörden, die vielen Landesämter für Verfassungsschutz
und das Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht wussten, wie viele V-Leute der anderen Behörden wo tätig
waren. Der Senat war zu Recht verärgert darüber, dass
jeden Tag eine Meldung kam: Wir haben noch einen! Wer aber sagt, dass diese Partei verfassungswidrig ist,
der muss das in Karlsruhe klären lassen, der kann nicht
einfach sagen: „Die sind verfassungswidrig“, und das
war es. Ich möchte nicht, dass diese Partei weiterhin
1,5 Millionen Euro vom Staat kassiert und damit ihren
Kampf gegen den Staat finanziert.
({28})
Ich denke, dass manche öffentliche Äußerung schon ausreicht, um den Verbotsantrag zu begründen, sodass man
auf V-Leute nicht Bezug nehmen muss.
Natürlich werden sich die Innenminister der Länder
mit dem Thema zu beschäftigen haben; aber ich bitte die
Bundesregierung, den zuständigen Innenminister - viel11492
leicht auch die Justizministerin -: Herr Kollege
Schäuble, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie veranlassen
könnten, dass innerhalb einer Frist von einem halben
Jahr von den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz
und dem Bundesamt für Verfassungsschutz ein Bericht
über diesbezügliche Erkenntnisse an das zuständige Gremium des Bundestages, das Parlamentarische Kontrollgremium, übergeben werden könnte. Dann können wir
beraten, ob es Grundlagen für ein Verbotsverfahren gibt.
Aber es einfach hinzunehmen, dass die NPD so weitermachen kann, bin ich nicht bereit zu akzeptieren. Das
will ich klar festhalten.
({29})
Ich will auch auf das Thema Föderalismusreform,
das Kollege Steinbrück gestern ebenfalls angesprochen
hat, eingehen. Wir haben als Große Koalition und angesichts der großen Mehrheit im Bundesrat die enorme
Chance - die wird es so schnell nicht wieder geben -, die
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu
ordnen. Kollege Oettinger und ich sind uns als Vorsitzende darin einig. Am Donnerstag und Freitag beginnen
wir zu beraten. Auch die Obleute aller Fraktionen - das
schließt den Kollegen Ramelow ein - sind der Meinung,
dass wir eine Chance haben, etwas zu erreichen.
Worum geht es? Wir wollen die Debatte über die Begrenzung der Verschuldung zu einem Ergebnis führen.
Es muss klar sein, unter welchen Bedingungen die Verschuldungsgrenze erreicht ist, wie weit sich ein Staat
verschulden darf. Dass Art. 115 des Grundgesetzes, den
wir jetzt haben, nicht ganz geeignet ist, hat uns der Bundesrechnungshof bescheinigt; das ist auch durchgängig
politische Meinung. Die weite Auslegung des Investitionsbegriffs, wie von vielen Regierungen praktiziert,
geht so nicht weiter. Ich bin der Auffassung, dass wir
über eine Verschuldungsgrenze à la Schweiz und andere
Modelle reden müssen. Der Vorschlag vom Kollegen
Oettinger und mir wird sein, die Frage „Wie begrenzen
wir die Aufnahme von Schulden?“ zu klären, und zwar
so rechtzeitig, dass noch in dieser Legislaturperiode in
Bundestag und Bundesrat über Grundgesetzänderungen,
wenn sie erforderlich sein sollten, abgestimmt werden
kann.
In diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf,
ob das, was wir für den Bund regeln, auch für die Länder
gelten kann. Wir müssen also mit dem Bundesrat klären,
wie unsere Regelungen in die 16 Landesverfassungen
übernommen werden. Ich bin sehr dafür, dass für den
Bund und für die Länder die gleichen Regelungen gelten. Aber dies wird schwierig.
Ein zweites Thema - auch das hat Peer Steinbrück angesprochen - sind die Altschulden. Dass wir eine
Menge Altschulden haben, hat Peer Steinbrück gesagt.
Insgesamt beträgt die staatliche Gesamtverschuldung
1 500 Milliarden Euro. Aber was machen wir damit? Es
gibt Debatten darüber zu versuchen, alle Länder auf den
gleichen Stand zu bringen. Kollege Oettinger hat die
Einrichtung eines Fonds vorgeschlagen, in den die reichen Länder einzahlen und aus dem die armen Länder
Geld bekommen, wenn sie ihre Schulden abbauen: pro
abgebautem Euro Schulden 1 Euro aus dem Fonds. Peter
Harry Carstensen hat andere Vorschläge gemacht, auch
Thilo Sarrazin. Die Frage, wie wir mit den Altschulden
fertig werden, ist schwieriger. Aber wir müssen das
Thema angehen. Es ist völlig klar, dass die Schuldenlast
abgebaut werden muss; der Bund muss allein 42 Milliarden Euro an Zinsen zahlen.
Das dritte Thema, das uns beschäftigt, ist die Steuerautonomie der Länder. In der Föderalismuskommission vertreten manche Länder die Auffassung: Wir wollen eine eigene Steuerautonomie. Hier stellt sich die
Frage, ob Ländersteuern weiterhin vom Bund beschlossen werden müssen. Beispiel: die Erbschaftsteuer.
({30})
- Vorsicht! - Nehmen wir einmal an, die Länder hätten
das Recht, die Erbschaftsteuer selbst zu bestimmen.
Dann würde Bayern sagen: Bei uns gibt es keine Erbschaftsteuer; wir haben genug Geld.
({31})
Was sagt Bremen? - Wir brauchen Erbschaftsteuer. Mit
anderen Worten: Jeder, der in die Situation kommt, etwas zu vererben, geht nach Bayern. Das will ich nicht,
und das geht auch überhaupt nicht.
({32})
Wir müssten dann klären - das ist eine absurde Debatte -,
ob die 16 Bundesländer untereinander Doppelbesteuerungsabkommen schließen müssten. Dies zeigt schon,
dass das schwierig wird.
Ich bin dafür, dass wir die Erbschaftsteuer seitens des
Bundes für alle Länder gleich festlegen sollten, damit
keine Ungleichheiten, kein Wettlauf „Arm gegen Reich“
stattfindet.
({33})
- Die Experten klatschen; das ist auch richtig. Es gibt
eine gute Chance, dazu etwas zu schaffen.
Insgesamt muss ich sagen: Die Medien in Berlin berichten darüber, wer sich mit wem in welchem Haus
trifft und wer mit wem essen geht. Es ist lächerlich, was
für die Presse wichtig ist. Kollege Kauder und ich treffen
uns sehr oft. Wenn wir immer sagen würden, dass wir
uns irgendwo treffen, würde in der Zeitung stehen:
Kauder und Struck treffen sich.
({34})
Ich will klipp und klar sagen: Diese Koalition ist eine
große Chance für Deutschland. Die Große Koalition
muss große Aufgaben erledigen. Das hat sie teilweise
schon gemacht; das ist gar keine Frage. Wir haben die
sozialen Sicherungssysteme stabilisiert - das war
schwierig genug - und uns mit der Steuerpolitik beschäftigt. Aber wir haben in den nächsten zwei Jahren bis
2009 noch eine Menge zu tun.
({35})
Dennoch sagen alle, die beteiligt sind - Frau Kanzlerin, ich weiß nicht, ob auch Sie das sagen; ich glaube, Ihnen geht es momentan ganz gut -: 2009 soll diese Koalition zu Ende sein. Ich muss dazusagen: nicht aus
inhaltlichen Gründen. Ich jedenfalls sehe keine; denn
über alle Punkte, die strittig sind, können wir diskutieren, und wir werden Lösungen finden. Vielmehr ist es im
Interesse der parlamentarischen Demokratie, wenn einer
starken Regierung eine fast ebenso starke Opposition gegenübersteht. Große Koalitionen müssen in Deutschland
eine Ausnahme bleiben; dafür bin ich.
({36})
- Herr Westerwelle, dass Sie gerne in die Regierung
kommen würden, kann ich verstehen. Irgendwann wird
es auch für Sie einmal Zeit. Dass auch Sie gerne einmal
auf der Regierungsbank sitzen möchten, kann ich nachvollziehen.
({37})
Herr Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?
Nein, von Dehm nicht.
({0})
Ich will Ihnen sagen: Wir haben noch ein großes Kapitel zu erledigen, ein Kapitel, das auf einige Initiativen
der Bundeskanzlerin zurückzuführen ist. Es geht um das
Thema Klimaschutz. An dieser Stelle gratuliere ich
Sigmar Gabriel, der heute Geburtstag hat, herzlich.
({1})
- Ja. Kollege Gabriel, Sie müssen zuhören.
({2})
Das, was in Heiligendamm, dann in Brüssel und vor
kurzem in Meseberg beschlossen worden ist, ist für die
Bundesrepublik Deutschland ein sehr dicker Brocken.
Ich weiß schon jetzt, was passieren wird, wenn wir anfangen, die entsprechenden Gesetzentwürfe zu formulieren und die Maßnahmen umzusetzen. Ich begrüße, dass
die Automobilindustrie mit Matthias Wissmann an der
Spitze - das ist der gute Einfluss der Politik ({3})
offenbar bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Die Umsetzung der Klimaschutzziele der Bundesregierung ist allerdings eine sehr große Aufgabe. Wir werden unseren Teil
dazu beitragen, dass das gelingt. An der SPD-Fraktion
und an Gabriel wird das nicht scheitern.
({4})
Die Klausurtagung in Meseberg war ein Erfolg. Die
Bundesregierung kann sich auf die SPD-Fraktion verlassen. Wir werden diese Regierung stützen. Natürlich werden wir auch eigene Akzente setzen. Denn wir sind dafür, dass im Jahr 2009 das Gleiche passiert wie im
Jahr 1969. Damals ist im Anschluss an die große Koalition ein Sozialdemokrat Bundeskanzler geworden. Dass
das auch 2009 geschieht, dafür werbe ich.
({5})
Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege
Dr. Diether Dehm.
({0})
Werter Kollege Struck, ich kann damit leben, wie
schnodderig Sie mit Zwischenfragen umgehen.
({0})
Tun Sie aber bitte nicht so, als ob es in diesem Haus irgendjemanden gibt, der nicht mit Empörung auf den Befehl reagiert, auf unschuldige Menschen zu schießen:
nicht in meiner Fraktion und nicht in irgendeiner anderen Fraktion des Deutschen Bundestages. Außerdem
muss ich Ihnen sagen: Es gibt eine Grenze zwischen
Texas und Mexiko, an der viel mehr Menschen erschossen worden sind. Auch sie müssen erwähnt werden.
({1})
Es muss auch erwähnt werden, dass zum Befehl, auf
unschuldige Menschen zu schießen, in Afghanistan hinzukommt, dass, bevor Hochzeitsgesellschaften bombardiert wurden, Aufklärungsfotos aus den Tornados erstellt
worden sind. - Wenn es nicht so ist, dann widersprechen
Sie der Aussage des Kollegen Lafontaine. - Deswegen
nämlich treffen sich am Samstag um 12 Uhr die Demonstranten vor dem Roten Rathaus.
({2})
Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Kuhn.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man nach zwei Jahren - also zur Halbzeit der Legislaturperiode - den Bundeskanzlerin-Haushalt be11494
spricht, geht es im Kern um die Frage: Was ist richtig gelaufen, was muss anders laufen, und wie sieht die
politische Führung des Landes durch das Kanzleramt
aus? Dieser Frage will ich mich widmen, allen anderen
Fragen an anderer Stelle.
Wir verfallen nicht in das Schema, nur weil wir gerade in der Opposition sind, alles, was gegenwärtig stattfindet, schlecht zu finden und herunterzureden. Im Namen meiner Fraktion möchte ich insbesondere sagen,
dass Deutschland von der Kanzlerin und dem Außenminister in der Welt respektabel repräsentiert wird.
({0})
Ich sage nichts über einzelne Schritte der Außenpolitik,
aber viele Leute - darunter auch unsere Wählerinnen
und Wähler - denken so.
Zweitens - hören Sie genau zu! - finden wir es gut,
dass der Klimaschutz inzwischen bei den Regierungsfraktionen als Thema angekommen ist. Zu den einzelnen
Regelungen, die Sie umsetzen, werde ich nachher noch
etwas sagen. Drittens ist es natürlich positiv, dass der
Aufschwung da ist - eher vom Export als vom Binnenmarkt getragen -, denn dies erleichtert generell das politische Handeln.
Auf der Basis, dass es Positives gibt, erstaunt mich
schon, dass Sie, Frau Merkel, mit dem Satz: „Alle Menschen haben jetzt Grund zur Zuversicht“, alle schwierigen und kritischen Fragen sowie die strukturellen Probleme unseres Landes nach dem Motto verpackt haben:
„Keine Sorge, die Große Koalition wird es schon richten.“ Dies ist ein Fehler, weil die Voraussetzung guten
politischen Handelns ist, gerade während einer Verbesserung der Entwicklung darauf zu achten, was strukturell
eigentlich noch schlecht läuft.
({1})
Ich möchte einige Bemerkungen zu den wichtigsten
politischen Feldern machen.
Im Hinblick auf das Klima haben Sie erst einmal einiges beschlossen, was in die richtige Richtung geht. Aber
Ihre Klimaschutzpolitik wird die Ziele - auch das
40-Prozent-Ziel - systematisch nicht erreichen, weil die
gesetzliche Umsetzung sowie das, was Sie in Meseberg
beschlossen haben, ihnen nicht hinreichend Rechnung
tragen, sondern einem Slalomlauf zwischen Tabuzonen
ähneln. Wir reden zwar heute nicht nur über Klimaschutz, aber ich will zwei Bereiche erwähnen.
Bei der Energieeffizienz - vorgestern hat auch die
IEA dargestellt, dass der Stromverbrauch in Deutschland
massiv ansteigt - sind Sie in Meseberg eindeutig zu kurz
gesprungen. Für Nachtspeicheröfen gibt es kein Konzept. Auch für Elektrogeräte gibt es keinen Top-RunnerAnsatz. Die Kennzeichnung von Elektrogeräten soll nur
freiwillig erfolgen, und es gibt keine Einschränkungen
für den Stand-by-Betrieb. Sie vermeiden systematisch
die Ordnungspolitik und setzen weiterhin auf freiwillige
Vereinbarungen oder verschieben Entscheidungen, die
heute getroffen werden müssten, in die Zukunft.
({2})
Deswegen sind die 40 Millionen Tonnen CO2-Einsparung, die Sie im Hinblick auf die Effizienz von Elektrogeräten im Haushalt im Acht-Punkte-Programm noch
veranschlagt hatten, auf nur noch erreichbare 8 Millionen Tonnen zusammengeschrumpft. Dies wurde in dieser Woche im Umweltministerium auch so bilanziert. Sie
springen an dieser Stelle zu kurz. Das, was Sie sonntags
verbal an Klimaschutzzielen formulieren, schaffen Sie
werktags nicht, weil Sie sich den Lobbys - wie sie zum
Beispiel Herr Glos im Parlament und in der Regierung
vertritt - beugen.
Bei der Verkehrspolitik herrscht in der Regierung
immer noch absolute Funkstille. Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, morgen zur IAA gehen, müssen Sie dort
klarmachen, dass jetzt die Stunde der Ordnungspolitik
geschlagen hat und wir verbindliche Verbrauchsobergrenzen brauchen, und nicht, wie Herr Wiedeking jetzt
wieder gefordert hat, eine Verschiebung von 2012 auf
2015. Wenn Sie das zulassen, wird der Verkehrsbereich
keinen Beitrag zu den Klimaschutzbemühungen leisten
können, und wir werden die Ziele insgesamt nicht erreichen.
({3})
Auch in Deutschland - ich sage das mit Blick auf die
IAA - müssen alle Fahrzeughersteller neben den einzelnen ökologischen Pilotprojekten in der Breite - bei den
großen wie bei den kleinen Fahrzeugen - systematisch
von dem hohen CO2-Ausstoß wegkommen. Dazu brauchen wir Ordnungspolitik und nicht diesen Mist der freiwilligen Vereinbarungen, der offensichtlich gescheitert
ist.
({4})
Frau Merkel, was uns bei Ihrer Rede fast amüsiert hat,
war, wie Sie in einem Sätzchen mit dem Thema Bahn
umgegangen sind. Sie haben gesagt: Mit dem Börsengang der Bahn werden wir uns auch noch beschäftigen.
- Erst einmal - es ist ja ein Gesetzentwurf durch das Kabinett gegangen -: Ich hoffe schon, dass Sie sich auch
vorher damit beschäftigt haben. Doch der Satz in Ihrer
Rede war auf die Zukunft bezogen.
({5})
Was Sie bisher im Kabinett beschlossen haben, ist nach
unserer Überzeugung ordnungspolitischer Wahnsinn:
Sie verschleudern Volksvermögen. Insgesamt sind
130 Milliarden Euro in der Bahn, insbesondere im
Schienennetz und in den Bahnhöfen, investiert, Geld der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Sie haben eine Privatisierung vor, bei der Sie vielleicht 8 Milliarden Euro
erlösen werden. 4 Milliarden Euro gehen an den Bund,
der Rest geht an die Bahn. Sie verpflichten sich, 15 Jahre
lang 2,5 Milliarden Euro in das Schienennetz zu investieren, macht 37,5 Milliarden Euro. Nach dem heutigen
Stand müsste der Bund, wenn wir nach 18 Jahren wieder
wirtschaftlicher Eigentümer des Netzes sein wollten, immerhin 7,5 Milliarden Euro Wertausgleich zahlen. Da
fragt sich doch jeder, der nur ein bisschen rechnen kann:
Was soll das Ganze? Was ist eigentlich die Begründung
für diesen ordnungspolitischen Unsinn, mit dem Sie,
Frau Kanzlerin, sich erst in der Zukunft beschäftigen
wollen, obwohl Sie ihn schon beschlossen haben?
({6})
Es gibt nur ein Argument, warum wir die Schieneninfrastruktur aufgeben sollen: weil Herr Mehdorn Geld
braucht, um als internationaler Player eine internationale
Bahn AG aufzuziehen. Was wir dagegen in Deutschland
brauchen, ist eine bessere Bahn, schon aus Klimaschutzgründen. Was wir in Deutschland brauchen, ist mehr
Bahnbetrieb in der Fläche, auch mehr Güterverkehr auf
der Schiene, damit die Straßen entlastet werden und die
Leute vernünftig reisen können. Doch dann können wir
nicht die Infrastruktur verschleudern, wie Sie, Frau
Merkel, es offensichtlich vorhaben.
({7})
Welche Aufgabe - das ist die Führungsaufgabe einer
Kanzlerin; das können Sie nicht auf einen Tiefensee, der
mit diesem Thema überfordert ist, abschieben ({8})
soll der Staat denn haben, wenn nicht die, die Infrastruktur, die alle brauchen, in Schuss zu halten, über sie zu
verfügen? Sie darf nicht ohne Sinn und Verstand den Interessen des Kapitalmarktes preisgegeben werden.
({9})
Frau Merkel, da treffen wir den Kern Ihrer politischen
Überzeugung. Ich finde, dass konservativ sein heißt,
dass man bewahrt, was in der Vergangenheit geschaffen
worden ist, dass man es erneuert, aber eben nicht, dass
man es verschleudert. Deswegen ist es gut, dass Sie sich
mit diesem Thema noch einmal beschäftigen wollen.
Ich will zum Bereich Wirtschaft, Haushalt, Arbeitsmarkt kurz etwas sagen. Die Konjunktur ist gut. Sorgen
machen muss, dass sie zu sehr exportgeleitet ist und am
Binnenmarkt zu wenig zieht. Über die Mehrwertsteuer
will ich mich nicht streiten; darüber kann man insgesamt
lange reden. Sie haben gestern den Finanzminister eine
Haushaltskonsolidierung feiern lassen, die wir für
unambitioniert halten. Dazu haben Sie heute nichts Vernünftiges gesagt, Frau Kanzlerin. Wenn man jetzt, im
Jahr 2007, sagt: „2011 kommen wir auf die Nullverschuldung“, und man hat massiv Steuern erhöht - es ist
ja nicht nur die Mehrwertsteuer: da ist die Versicherungsteuer, und viele Abschreibungsmöglichkeiten wurden
abgebaut -, dann kann man sich nicht als Konsolidierungsregierung feiern. Der entscheidende Punkt ist, dass
Sie es nicht rechtzeitig schaffen, aus der Neuverschuldung herauszukommen, weil Sie nicht bereit sind, die
notwendigen Investitionen - es gibt notwendige Investitionen - durch Subventionsabbau zu finanzieren, sondern sie aus der Konjunktur heraus schöpfen. Solange
Sie dies tun, ist die ganze Nummer der Konsolidierungsregierung nicht viel wert.
({10})
Wiederholen Sie nicht - ich meine das ernst, nicht kokett - den Fehler von Rot-Grün, die wir 2000 und 2001
eher zu wenig gespart haben und dann, als es dicke kam,
versucht haben - das ist am Bundesrat immer gescheitert -,
in die abnehmende Konjunktur hinein zu sparen. Dies
kann nicht funktionieren. Deswegen sage ich: Politische
Führung heißt, dass Sie in der Finanzpolitik mehr Vorsorge treffen für die Zeit, wenn es mit der Konjunktur
wieder schlechter gehen sollte.
An Ihrer Beschönigung der Verhältnisse hat mich ein
Punkt gestört. Sie haben gesagt, der Aufschwung
komme bei allen an. Die Zahlen der Bundesagentur für
Arbeit zeigen aber, dass der Aufschwung bei den Dauerarbeitslosen noch nicht ankommt. Daran können wir in
diesem Hause nicht vorbeireden, nur weil es ein schwieriges Thema ist.
({11})
Inzwischen gibt es in Deutschland 1,3 Millionen Dauerarbeitslose. In keinem anderen Land Europas außer der
Slowakei hat sich die Dauerarbeitslosigkeit so verfestigt
wie bei uns. Jeder zweite Arbeitslose in Deutschland ist
länger als ein Jahr arbeitslos. Deswegen halte ich die
Ankündigung eines neuen Programms - sozusagen
Hartz Y mit einem neuen Kombilohnmodell für Zielgruppen - im Herbst für zu kurz gesprungen, wenn man
die Situation bilanzieren will.
({12})
Sie hätten sich auch der Frage der Qualität des Aufschwungs stellen müssen.
Ich finde, dass es an der Zeit ist, Hartz IV zu bilanzieren. Wir von den Grünen stehen zu den wesentlichen
Elementen, vor allem zu der Zusammenlegung von
Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe; denn sie hat vielen
Menschen - vor allem Alleinerziehenden mit Kindern viel genützt. Das vergisst die PDS/Linke gerne, aber an
dieser Stelle war die Reform richtig.
Aber das Arbeitslosengeld II ist noch nicht die
Grundsicherung, von der wir gesprochen haben. Die
Menschen im Land - daran können wir nicht vorbeigehen, Frau Merkel - haben nicht das Gefühl, dass sie im
Falle einer länger als ein Jahr dauernden Arbeitslosigkeit
durch eine solidarische Grundsicherung aufgefangen
werden und gute Brücken zurück in die Erwerbsarbeit
vorfinden. Der Kreis der ALG-II-Empfänger wächst,
weil es keinen Mindestlohn gibt. Das ist der Grund, der
die Menschen systematisch in die Angst treibt.
({13})
Ich finde, dass Sie mit diesen Debatten nach dem
Muster „Wir machen im Herbst noch etwas“ dem
Grundproblem, dass die Menschen Angst davor haben,
zu Arbeitslosengeld-II-Empfängern zu werden, weil das
Fördern nicht klappt und es keine Brücken zurück in die
Erwerbsarbeit gibt, nicht gerecht werden, Frau Merkel.
Ich hätte von Ihnen mehr erwartet als ein allgemeines
Statement zum Aufschwung.
Beim Fachkräftemangel haben Sie recht. An dieser
Stelle muss man etwas tun. Was in Meseberg beschlossen wurde, ist aber zu kurz gesprungen.
({14})
Wenn 100 000 Fachkräfte fehlen, dann müssen Sie das
Zuwanderungsrecht ändern. Dann brauchen wir die
Punkteregelung und müssen die Grenze beim Jahreseinkommen von Hochqualifizierten, die einwandern wollen, von 85 000 auf 40 000 Euro senken.
Beide Fraktionen der Großen Koalition fordere ich auf:
Geben Sie endlich die ideologischen Vorbehalte auf, die es
unmöglich machen, dass Hochqualifizierte nach Deutschland einwandern können! Denn die 100 000 Fachkräfte,
die uns fehlen, bedeuten auch viele hunderttausend Arbeitsplätze für Deutsche. Insofern darf man nicht auf der
ideologischen Bremse stehen.
({15})
Gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung zum Verbraucherschutz, Frau Merkel. Ich wünsche mir, dass
Sie im Kabinett besser aufpassen. Ich habe den Eindruck, dass Herr Seehofer auf alles Mögliche Bock hat,
nur nicht auf Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Es
gibt einen Gammelfleischskandal nach dem anderen
- alle im Wesentlichen in Bayern -, aber Sie kümmern
sich nicht um die Frage, ob der Zehn-Punkte-Plan vom
Herbst 2005 umgesetzt wird. Die Große Koalition funktioniert an dieser Stelle nicht, weil auch die Länder
bremsen und nicht die notwendigen Maßnahmen ergreifen wollen.
Eine einfache wirtschaftliche Frage aus der Landwirtschaft, um die sich Herr Seehofer nicht kümmert - vielleicht kümmern Sie sich als Kanzlerin darum -, betrifft
den Ökolandbau. Im Ökolandbau sind auf der Nachfrageseite Zuwächse von 20 Prozent zu verzeichnen. Der
Zuwachs der Fläche im Ökolandbau beträgt 2 Prozent.
Das heißt, der Nachfragezuwachs in den Läden wird
vom Ausland abgeschöpft, weil Sie seit Beginn der Großen Koalition die Umstellung auf die ökologische Landwirtschaft in den Ländern und beim Bund nicht richtig
fördern. Auch in diesem Bereich könnte man den einen
oder anderen Arbeitsplatz schaffen. Ich bitte Sie, sich
darum zu kümmern.
({16})
Ich möchte, da wir über über Strukturprobleme reden,
auf das Thema Gesundheit und Pflege zu sprechen kommen. Frau Merkel, ich biete Ihnen jede Wette darüber an
- über den Einsatz können wir noch sprechen -, dass Sie
den Gesundheitsfonds nicht zum 1. Januar 2009 einrichten werden. Darüber reden Sie schon gar nicht mehr,
weil Sie es nicht gerne hören, dass Sie da Murks gemacht haben. Es glaubt doch niemand, dass Sie im
Wahljahr noch einmal mit diesem Monster antreten wollen, das Sie in den ersten zwei Jahren in Ihrer Regierungszeit beschlossen haben.
({17})
Probleme der Gesundheitsreform spielen in Ihrem Denken offensichtlich keine Rolle. Ich finde, das muss sich
ändern.
Dass Sie in Ihrer Rede für die Pflegekräfte im Wesentlichen nur ein Dankeschön übrig hatten, während
offenkundig ist, dass in Deutschland massive Menschenrechtsverletzungen in der Pflege alter Menschen stattfinden, ist, wie ich finde, ein bisschen dürftig. Aber das hat
offensichtlich nicht in Ihr Schema gepasst.
({18})
Was wird die Regierung machen, nachdem über die
Skandale in der Pflege berichtet wurde? Sie hat gesagt,
es werde eine Sachverständigenkommission zur Qualitätssicherung in der Pflege geben, die erste Berichte bis
zum 31. Dezember 2008 liefern werde. Erste Ergebnisse
seien Mitte 2009 zu erwarten. Ich frage mich, wo die
Große Koalition bei der Lösung sozialer Probleme und
der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen geblieben ist, wenn sie erst 2009 mit einem Bericht zur
Qualitätssicherung aufwarten will.
({19})
Sie haben die Pflegereform quasi in einem billigen Konsens über eine Beitragserhöhung versteckt. Ansonsten
haben Sie sich gegenseitig blockiert, zum Beispiel bei
der Frage, welchen Beitrag die privaten Krankenkassen
leisten müssen. Frau Merkel, unter Ihrer Führung ist kein
Schritt zur Verbesserung der Situation Pflegebedürftiger
in Deutschland gelungen. Davon haben Sie nichts gesagt. Ein Dank an die Pflegekräfte ist für eine Bundeskanzlerin zu wenig, die sich diesem Thema stellen und
widmen will.
({20})
Ich will noch etwas zur Außenpolitik und zum Thema
Afghanistan sagen. Es ist unstrittig - hier gibt es einen
Unterschied nur zur Linkspartei -, dass man das afghanische Volk beim Aufbau, der in einer Kombination aus
Sicherheit und Entwicklung erfolgt, nicht im Stich lassen darf. Wer fordert: „Raus aus Afghanistan!“, aber
nicht sagt, was dort mit den Menschen passieren soll, der
handelt zynisch und hat nur einen billigen innenpolitischen Erfolg im Auge, handelt aber nicht verantwortlich
in Bezug auf die Menschen in diesem geschundenen
Land.
({21})
Dennoch ist die Frage relevant - sie wird zunehmend relevanter -, ob wir hier die richtige Strategie verfolgen.
Wir stehen als Fraktion zum ISAF-Mandat. Aber es
reicht nicht aus, dieses Mandat zu befürworten und
gleichzeitig zu sagen: OEF machen die Amerikaner. Wir
glauben - durch viele Besuche im Land und Berichte vor
Ort sind wir bestätigt -, dass die Art der Kriegführung,
der strategische Aufbau der Luftschläge, systematisch
die Glaubwürdigkeit der ISAF-Mission untergräbt.
({22})
Wir haben Verantwortung und müssen in der Diskussion
prüfen, ob das stimmt, was ich sage, oder ob Sie mit Ihrer Behauptung recht haben, dass das ein unverzichtbarer Baustein sei.
Frau Merkel, ich kritisiere Sie dafür, dass Sie an der
Stelle, wo es um die Strategie von OEF geht - das gilt
auch für Ihren Kabinettsbeschluss zu Afghanistan insgesamt -, nicht systematisch die kritische Auseinandersetzung mit denjenigen suchen, die OEF so weiterführen
wollen wie bisher. Auf dieser Ebene sind keine Veränderungen bekannt. Es gibt nur Veränderungen bei der
NATO, was ISAF angeht. Sie sagen weder hier noch im
Ausschuss, was Sie vorgetragen haben, was Sie erreicht
haben und welche Strategieänderungen vorgenommen
werden sollen.
Sie haben auf die Ausrufung des Verteidigungsfalls
nach dem 11. 9. hingewiesen. Das ist in völkerrechtlicher Hinsicht eine schwierige Frage; denn die damalige
Begründung lautete, dass der Angriff auf die Vereinigten
Staaten in Afghanistan aufgrund der dort befindlichen
Terrorlager, von den Taliban zugelassen und von alQaida betrieben, organisiert werde. Aber das geschieht
heutzutage nicht in Afghanistan, sondern in vielen
Regionen in der Welt, insbesondere in Pakistan. Diese
Begründung können Sie also nicht mehr anführen. ISAF
hat dagegen - darauf legen wir Wert - eine andere Begründung. Diese Mission dient dazu, die zivile Entwicklung und den Aufbau von Sicherheit miteinander zu verbinden. Das zeigt auch die Praxis.
({23})
Frau Merkel, wenn Sie sich hier - das haben Sie in einem Nebensatz getan - zur multilateralen Perspektive
der deutschen Außenpolitik bekennen, dann müssen Sie
auch da, wo unilateral entschieden wird - dies ist bei
OEF im Unterschied zu ISAF der Fall -, ganz deutlich
sagen, welche Wünsche diejenigen haben, die insgesamt
ein multilaterales Vorgehen gegen den Terrorismus für
richtig und gut halten und dieses begrüßen.
({24})
Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten hier
im Haus intensiv darüber diskutieren.
Ich komme zum Schluss, weil meine Redezeit abgelaufen ist. Ich will Folgendes sagen, Frau Merkel: Vielleicht muss man als Bundeskanzlerin in der Aufschwungphase die Lage irgendwie positiv darstellen.
Das ist logisch. Selbst wir sagen nicht, dass alles mies
ist. Aber Sie haben es versäumt - das ist ein Element
politischer Führung -, hart und klar auf die Strukturprobleme dieses Landes hinzuweisen und Vorschläge zu
machen, wie Sie sie beheben wollen, und Sie haben in
Ihrer smoothen Rede darüber hinweggesehen. Das war
zu wenig für die politische Führung, die wir von Ihnen
eigentlich verlangen.
Vielen Dank.
({25})
Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, Volker Kauder.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Deutschland hat - dies zeigt der Bundeshaushalt, der
jetzt eingebracht wird und der ein Zwischenbericht und
ein Ausblick auf die kommenden zwei Jahre dieser Großen Koalition ist - nach einer längeren schwierigen
Phase wirtschaftlich wieder Tritt gefasst. Dies ist eine
große Gemeinschaftsleistung, eine Leistung, die auf dem
beruht, was in der letzten Legislaturperiode unter RotGrün richtig gemacht worden ist und woran wir beteiligt
waren. Lieber Kollege Struck, wir als Union haben kein
Problem damit, die richtigen Punkte der Agenda 2010 zu
vertreten, aber Sie in der SPD müssen dafür sorgen, dass
man sich zu dem Richtigen bekennt. Dort liegt das Problem, nicht bei uns.
({0})
Wir erleben, dass in Deutschland wieder aus eigener
Kraft Wachstum geschaffen werden kann. Das durchschnittliche Wachstum in den Jahren 2006 bis 2008 wird
viermal höher sein als in den drei Jahren zuvor.
Dies beruht - das ist das Bemerkenswerte - nicht allein
auf dem Export, vielmehr ist der Beitrag der Binnenwirtschaft zum Wachstum im Jahr 2006 zum ersten Mal seit
längerem wieder größer gewesen als der Beitrag der Außenwirtschaft, und zwar vor allem wegen kräftiger privater Investitionen in unserem Land.
({1})
Diesen Kurs gilt es weiterzusteuern. Deshalb sagen wir
in der Regierung und in den Koalitionsfraktionen: Aufschwung stärken, jeder muss mitgenommen werden. Auf
diesem Weg sind wir ein gutes Stück vorangekommen.
Die Bundeskanzlerin hat uns gesagt, wie viele zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Ich kann nur denjenigen von ganz
links außen sagen: Jeder von diesen Hunderttausenden
bzw. von der 1 Million Menschen, die in der Regierungszeit der Großen Koalition einen Arbeitsplatz bekommen
haben, hat am Aufschwung teilgenommen, hat neue
Perspektiven und neue Chancen.
({2})
Herr Kollege Lafontaine, es lohnt sich eigentlich
nicht, sich mit Ihren Aussagen auseinanderzusetzen,
aber eines muss ich schon klar sagen: Ich habe Ihre Reden in den letzten zwei Jahren gehört und mitbekommen, wie Sie polemisiert und gegen alle Perspektiven,
die wir aufgezeigt haben, angeheult haben. Jetzt bringen
Sie es nicht einmal fertig - der Kollege Kuhn bringt es
fertig! -, zu akzeptieren, dass Ihre Prognosen zu hundert
Prozent danebengelegen haben, dass wir neue Perspektiven für die Menschen geschaffen haben. Ausschlaggebend dafür war nicht Ihr Gerede, sondern das Handeln
der Großen Koalition.
({3})
Wenn ich mir die PISA-Ergebnisse anschaue, bin ich
hundertprozentig sicher: Wenn wieder jemand durch
Deutschland fährt und sich dieses Land anschaut, wenn
er vor allem sieht, was wir in Technologie, Wissenschaft
und Forschung vorhaben, dann wird er wieder zu dem
Ergebnis kommen, dass Deutschland das Land der Dichter und Denker ist. Ich kann nur hoffen, Herr Kollege
Lafontaine, dass er nicht auf Sie trifft; denn dann könnte
das Urteil anders ausfallen.
({4})
Der auf Wachstum und Stärkung des Aufschwungs
ausgerichtete Kurs - der Aufschwung muss bei jedem
ankommen - ist in der nächsten Zeit das zentrale Thema
in der Großen Koalition. Ich bin sicher, dass diese Große
Koalition da noch eine ganze Menge leisten kann. Deswegen, lieber Kollege Struck, haben wir allen Grund, zu
sagen: Diese Große Koalition ist stark genug, die Aufgaben, die vor ihr liegen, zu erfüllen. Daher rate ich dazu,
jetzt nicht mit irgendwelchen Spekulationen über das,
was nach 2009 ist, zu kommen. Die Menschen sollen
nicht den Eindruck haben, dass wir entsprechend unseren Machtperspektiven diskutieren. Ich will den Menschen vielmehr zurufen: Uns geht es darum, Ihre
Lebenschancen zu verbessern. Wir schauen jetzt nicht
auf 2009, sondern wir schauen auf das, was wir im
Jahr 2008 für unser Land und für die Menschen in diesem Land bewegen können.
({5})
Was 2009 anbelangt, lieber Kollege Struck, haben wir
diametrale, also völlig entgegengesetzte Auffassungen
über die Kanzlerschaft. Ich bin mir sicher, dass wir gute
Voraussetzungen dafür schaffen können, dass die erfolgreiche Arbeit für unser Land unter einer erfolgreichen
Kanzlerin auch 2009 fortgeführt werden kann.
({6})
Worum geht es in der nächsten Zeit? Aufschwung
stärken; jeder muss davon profitieren. Ein großer Teil
hat schon davon profitiert. In unseren Veranstaltungen
spüren wir es doch. Noch vor einem Jahr war die Sorge
der Menschen groß, ihre Arbeit zu verlieren. Sie hatten
Angst, Verluste zu erleiden. Das hat sich geändert. In
vielen Branchen haben wir sogar schon einen Fachkräftemangel. Die Menschen spüren doch, dass ihre Arbeitsplätze sicherer geworden sind. Aber wir ruhen uns darauf nicht aus.
Eine der Voraussetzungen für das Anhalten dieser
Entwicklung ist natürlich, dass der Haushalt weiter konsolidiert wird. Deswegen müssen wir den Sparkurs klar
und deutlich fortsetzen. Dabei unterstützt die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion den Bundesfinanzminister. Wir
haben klar gesagt - das wird in dem Haushalt deutlich -:
Der größte Teil der Steuermehreinnahmen wird zur
Haushaltskonsolidierung verwandt. Da zu sagen: „Da
ist nichts erreicht worden“, ist blanker Unsinn. Noch im
Jahr 2005 gab es ein strukturelles Defizit von 60 Milliarden Euro. In diesem Haushalt ist eine Nettoneuverschuldung von 13 Milliarden Euro vorgesehen. Wir haben
also viel erreicht. Wir sind noch nicht über den Berg.
Wir müssen mit unseren Reformanstrengungen weitermachen. Aber wir können auch sagen: Wir haben konsolidiert, und damit sind wir auf dem Weg zu politischer
Stabilität in unserem Land.
({7})
In einigen weiteren Punkten werden wir Menschen
unterstützen - da stimme ich dem Kollegen Struck zu -,
beispielsweise durch eine BAföG-Erhöhung. Um dem
Finanzminister entgegenzukommen, soll die 10-prozentige BAföG-Erhöhung in zwei Stufen vonstatten gehen.
Dies ist in Ordnung. Eine solche BAföG-Erhöhung wäre
schon ein großer Erfolg.
({8})
Ich verweise auf die Aufgaben der Bundeswehr. Ich
werde den Vorschlag unserer Haushälter, den Wehrsold
um 2 Euro pro Tag zu erhöhen, unterstützen. Diese Erhöhung wäre eine schöne Anerkennung der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten.
({9})
Wir werden unseren erfolgreichen Kurs fortsetzen,
die Menschen entlasten und dabei helfen, Arbeitsplätze
aufzubauen. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung
gesagt hat: Wir wollen den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,9 Prozent senken. - Wir in der
Unionsfraktion sehen aber weiteren Spielraum. Wir
müssen alles tun, was möglich ist. Wir hoffen deshalb,
dass das Ziel, das wir haben, nämlich einen Beitragssatz
zur Arbeitslosenversicherung von 3,5 Prozent festzulegen, im Rahmen der Haushaltsplanberatungen noch erreichbar ist, und bitten die Bundesregierung dabei um
Unterstützung.
({10})
Wir wollen dafür sorgen, dass Menschen leichter,
noch leichter in Arbeit kommen, und wollen deshalb die
Vermittlungsarbeit stärken. Dazu gehört für uns, dass
wir die große Zahl von Instrumenten in der Arbeitsmarktpolitik - sie ist fast unübersichtlich - überprüfen
und reduzieren, um die Vermittlung einfacher zu machen, damit sie schneller funktioniert. Wir freuen uns
darüber, dass die Bundesregierung in Meseberg eine solche Überprüfung beschlossen hat. Aus über 80 Instrumenten sollen maximal 10 werden. Das wäre eine große
Vereinfachung und würde die Arbeit erleichtern.
({11})
Wir wollen Wirtschaft fördern, auch dort, wo im Augenblick ein kleiner Durchhänger vorhanden ist. Wir sehen, dass im privaten Wohnungs- und Einfamilienhausbau zurzeit eine Art Stillstand eingetreten ist. Wir
meinen, dass wir da etwas tun sollten.
({12})
- Wir meinen, dass wir da etwas tun sollten, nicht mit
solchem Gerede, sondern mit klaren Botschaften.
Was erwarten die meisten Menschen? Sie erwarten,
dass Wohnungseigentum eine sichere Grundlage auch
für die Altersvorsorge ist.
({13})
Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
müssen wir in der Großen Koalition das Thema „Wohnungseigentum in staatlich geförderter Altersvorsorge“
jetzt zu einem guten Abschluss bringen.
({14})
Die Hälfte der Menschen in Deutschland wohnt im
sogenannten ländlichen Raum. Im ländlichen Raum findet ein Großteil der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes statt. Im ländlichen Raum ist ein großer Teil
der neuen Arbeitsplätze aufgebaut worden, weil dort der
Mittelstand stark vertreten ist. Deswegen ist es richtig,
dass wir den Mittelstand fördern.
({15})
Aber Mittelstandsförderung findet nicht nur über den
Arbeitsmarkt, über die Unternehmensteuer und über die
Erbschaftsteuer - das sind alles wichtige Punkte - statt,
sondern Mittelstandsförderung findet natürlich auch
über Entwicklungsmöglichkeiten statt.
Wir sind für Umweltschutz. Wir sind für Naturschutz.
Wir haben deshalb natürlich die FFH-Richtlinie - die
Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie - umgesetzt. Aber wir
brauchen in unseren ländlichen Räumen auch Entwicklungschancen. Es darf nicht nur die Ballungsgebiete geben. Nicht nur diese dürfen immer fetter werden. Wir
brauchen die ländlichen Räume. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn der europäische Vertrag schon voll in Kraft
wäre, müssten wir eine Subsidiaritätskontrolle mit Subsidiaritätsklage hinsichtlich der sogenannten Bodenschutzrichtlinie erreichen. Mit der Bodenschutzrichtlinie, die Europa plant, geht Europa ganz klar über seine
Möglichkeiten hinaus. Deswegen bitten wir die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass dies nicht geschieht.
Das ist nicht die Aufgabe Europas. Das ist eine nationale
Aufgabe.
({16})
Wir haben das Ziel, die Wirtschaft zu stärken, um
Chancen für die Menschen zu schaffen. Daneben wollen
wir natürlich auch, dass der Zusammenhalt in unserer
Gesellschaft und der Zusammenhalt der Generationen
erhalten bleiben. Für die junge Generation haben wir
Möglichkeiten geschaffen, eine Altersvorsorge aufzubauen. Aber wir kümmern uns auch um die ältere Generation.
({17})
Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass es in der Pflegeversicherung neue Möglichkeiten gibt, beispielsweise für eine Gruppe von Menschen, die für die Familien eine große Herausforderung bedeuten, nämlich für
die Demenzkranken; auch sie erhalten Leistungen aus
der Pflegeversicherung. Wir haben die Leistungen für
diejenigen verbessert, die zu Hause ambulant betreuen
und pflegen. Aber selbst wenn die Ergebnisse, wie die
Studien zeigen, in der letzten Zeit besser geworden sind,
kann es uns nicht ruhen lassen, wenn auch heute noch jeder dritte oder vierte ältere Mensch in den Pflegeheimen
nicht sachgerecht gepflegt wird. Das dürfen wir nicht zulassen.
({18})
Deswegen, Frau Schmidt, bin ich Ihnen ausgesprochen
dankbar, wenn Sie sagen, dass wir auf diesem Gebiet zu
mehr Kontrollen kommen müssen.
Eines zeigt die Wirklichkeit aber auch: Allein mit Bürokratie, mit Überprüfungen, mit Pflichten zur Dokumentation sind wir nicht weitergekommen. Es reicht
nicht, Dokumentationen zu überprüfen; vielmehr müssen wir auf die Menschen schauen. Das muss das Ergebnis der Überprüfungen in der Pflege sein.
({19})
Bei einem wichtigen Thema, das sowohl unter dem
Gesichtspunkt der Förderung von Arbeit und Chancen
als auch unter dem des Zusammenhalts von Menschen,
von Generationen bedeutsam ist, haben wir miteinander
einen wichtigen Schritt getan, nämlich in der Familienpolitik. In diesem Bereich hat die Große Koalition einen
großen Schritt getan, indem sie gesagt hat: Wir wollen
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf maßgeblich fördern.
Natürlich sehen wir, dass bei der Ganztagsbetreuung
von Kindern unter drei Jahren ein erheblicher Bedarf besteht. Unabhängig davon, ob der Bund zuständig ist oder
nicht, war es eine Notwendigkeit und daher richtig, zu
sagen: Jawohl, wir machen da etwas. - Wir erwarten
jetzt von Ländern und Kommunen, dass sie ebenfalls
sehr schnell ihren Beitrag zusagen, damit der Aufbau
stattfinden kann.
({20})
Diese Betreuung ist wichtig. Wir stehen für Wahlfreiheit. Wir wollen nicht, dass der Staat Familien vorschreibt, wie sie zu leben haben. Weil wir Wahlfreiheit
wollen, wollen wir jetzt, dass die Ganztagsbetreuung
aufgebaut wird. Aber ich sage auch in aller Klarheit: Die
große Mehrzahl der Familien erzieht und betreut ihre
Kleinkinder zu Hause, und auch dies hat unseren ganzen
Respekt verdient.
({21})
Wenn wir über den Zusammenhalt der Gesellschaft
sprechen, lieber Kollege Struck, so gehört dazu auch,
dass wir nicht zulassen, dass Rechtsextremismus unsere
Gesellschaft durcheinandertreibt. So sehr ich dafür Verständnis habe, dass man über ein NPD-Verbot reden
kann, so kann ich nur empfehlen, weniger darüber zu reden, aber intern zu prüfen, wie groß die Erfolgschancen
sind. Ein zweites Debakel vor dem Bundesverfassungsgericht wäre eine Katastrophe. Deswegen sind vorschnelle Diskussionen, dass man dies betreiben müsse,
mit mir nicht zu machen. Erst muss man prüfen und sich
vergewissern, ob es geht, um es dann zu tun, aber man
darf nicht leichthin „man sollte“ sagen. Das ist in dieser
Situation einfach brandgefährlich.
({22})
Zum Thema Afghanistan ist von der Bundeskanzlerin eigentlich alles gesagt worden. Wir stehen zu den
drei Mandaten, weil wir wissen, dass sie notwendig sind,
weil wir in der Union gelernt haben, dass Menschenrechte nicht teilbar sind, Herr Lafontaine. Jeder weiß,
was passieren würde, wenn wir uns aus Afghanistan zurückzögen. Wir haben noch Bilder aus Vietnam in unseren Köpfen und davon, was dort alles passiert ist. Das
haben die Menschen nicht verdient. Was heute hier über
die Frauen und Mädchen in den Schulen gesagt worden
ist, stimmt alles. Deswegen werden wir als eine Partei,
die für Menschenrechte eintritt, in unserem Engagement
nicht nachlassen. Wenn es darum geht, Menschenrechte
zu verteidigen, dann darf uns Afghanistan nicht egal
sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({23})
Dazu gehört natürlich auch die Bekämpfung des
Terrors. Darin sind wir uns einig. Terrorbekämpfung
findet auch in Afghanistan statt. Der Terror ist aber mittlerweile bei uns in Deutschland angekommen. Wolfgang
Schäuble hat es immer wieder formuliert. Wir haben
deshalb aus gutem Grund neue Kompetenzen bei der
Terrorbekämpfung auf den Bund übertragen. Dazu muss
jetzt ein BKA-Gesetz gemacht werden. Das Bundeskriminalamt muss die zur Terrorbekämpfung notwendigen
Instrumente an die Hand bekommen. Dazu gehört nach
meiner Auffassung und der meiner Fraktion auch die
Onlinedurchsuchung in einem ganz klaren rechtlichen
Rahmen: Ohne Richter geht nichts, aber mit Richter
muss die Onlinedurchsuchung auch in eng begrenzten
Fällen möglich sein.
({24})
Herr Kollege Struck, wir haben uns gestern nicht einigen
können. Wir bleiben aber im Gespräch.
Die Große Koalition muss auf die wirklich dramatische Sicherheitslage die richtige Antwort finden, damit
die Menschen wissen: Sie können sich auf uns auch in
dieser schwierigen Situation verlassen. Deswegen rate
ich dringend dazu, dass wir als Gesetzgeber - auf uns
kommt es ja an - nicht ein schlecht gemachtes Gesetz in
einem Bundesland zur Benchmark unserer Entscheidungen machen und nicht sagen: Wir warten einmal darauf,
bis in Karlsruhe etwas geschieht. - Nicht Karlsruhe trägt
die Verantwortung für die innere Sicherheit, sondern der
Deutsche Bundestag und insbesondere diese Große
Koalition. Ich hoffe, dass wir hier sehr bald zu Ergebnissen kommen können.
({25})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, diese Große
Koalition hat ein schweres Stück Arbeit hinter sich, vor
allem, wenn man bedenkt, dass es in den Jahren 2005
und 2006 gar nicht so einfach war, zusammenzufinden.
Ich meine, dass wir eine wirklich gute Arbeit gemacht
haben. Die in den vergangenen zwei Jahren erzielten Ergebnisse sollten und müssen Grundlage für das, was jetzt
kommt, sein. Da haben wir noch einiges Schwere vor
uns. Es wird sich zeigen müssen, ob wir das miteinander
hinbekommen. Ich bin überzeugt, Peter Struck, dass wir
das miteinander hinbekommen, Opposition hin oder her.
Auf die Opposition kommt es bei der Lösung der Probleme jetzt nämlich nicht an, sondern auf uns kommt es
an: bei der Erbschaftsteuer und vielen anderen Fragen,
die anstehen.
Ich sage deshalb an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und an die Menschen in unserem Land draußen an
den Bildschirmen gerichtet: Diese Große Koalition
denkt in erster Linie daran, was wir tun können, um das
Land voranzubringen und den Menschen zu helfen, und
blickt nur aus einem ganz kleinen Augenwinkel auf das
Jahr 2009. Jetzt geht es darum, zu handeln und das Land
voranzubringen. Man kann sich darauf verlassen: Diese
Große Koalition unter der Führung von Angela Merkel
- den SPD-Teil der Regierung möchte ich natürlich nicht
verschweigen - hat Kraft genug, dieses Land weiter auf
Erfolgskurs zu führen - im Interesse der Menschen in
unserem Land.
Vielen Dank.
({26})
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So wie Herr Kollege Kauder Bilanz gezogen hat
über die ersten zwei Jahre dieser Regierung - wir werden sehen, wie viele denen noch folgen werden; jedenfalls ist klar, dass mindestens die Hälfte der größten anzunehmenden Amtszeit dieser Koalition herum ist -, so
wollen auch wir Bilanz ziehen. Ich möchte mit dem beginnen, was uns in diesem Hause verbindet.
Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Sie haben in diesen ersten zwei Jahren wirklich große außenpolitische Herausforderungen meistern müssen. Das
waren in diesem Jahr die EU-Ratspräsidentschaft und
die G-8-Präsidentschaft. Wir möchten ausdrücklich anerkennen, dass die Regierung Merkel/Steinmeier in der
Außen- und Europapolitik klug und überzeugend gearbeitet hat. Wir sind froh darüber, dass diese Regierung
auch Irrtümer der früheren rot-grünen Regierung korrigiert hat. Wir begrüßen, dass sie das transatlantische
Verhältnis wieder ins Lot gebracht hat. Wir finden es
richtig, dass diese Regierung, anders als die Regierung
Schröder/Fischer, beim Thema Menschenrechte, übrigens auch in Moskau, wieder den aufrechten Gang
pflegt. Wir erkennen das an.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden
uns darüber einig sein, dass damit die außenpolitischen
Aufgaben dieser Regierung und, sofern es um Sicherheitsfragen geht, des Deutschen Bundestages nicht abschließend behandelt sind. Wir haben noch außenpolitische Aufgaben vor uns. Ich will zwei Bemerkungen
machen und dann etwas Grundsätzlicheres sagen.
Wir wissen, dass in Deutschland immer noch, gewissermaßen als Überbleibsel des Kalten Krieges, amerikanische atomare Waffen stationiert sind. Wir fordern
auch von dieser Stelle aus die Regierung auf, in Gesprächen mit unseren Verbündeten auf den vollständigen Abzug dieser atomaren Waffen hinzuarbeiten.
({1})
Diese Atomwaffen könnten von ihrer Reichweite her nur
unsere unmittelbaren Nachbarn, die mit uns in einer
Europäischen Union verbunden sind, treffen. Es ist
höchste Zeit, dass diese Waffen abgezogen werden.
({2})
Schließlich ist es aus unserer Sicht nach wie vor erforderlich, dass Sie fortsetzen, was Sie begonnen haben:
Die Raketenstationierungspläne im Rahmen der sogenannten Raketenabwehr in Tschechien und Polen dürfen nicht nur als Angelegenheit der NATO, insbesondere
nicht nur als Angelegenheit von Prag, Warschau und
Washington, behandelt werden, sondern müssen als gesamteuropäisches Anliegen angegangen werden. Wir
Europäer haben kein Interesse daran, dass auf dem europäischen Kontinent, gewissermaßen vor der Haustür
Deutschlands, ein neuer Rüstungswettlauf beginnt.
({3})
Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu dem
Afghanistan-Einsatz sagen. Frau Bundeskanzlerin, Sie
haben sehr klare Worte gefunden. Man hat spüren können, dass diese Worte in Wahrheit nicht an die Opposition gerichtet waren; bei dieser Frage gibt es, jedenfalls
in weiten Teilen, eine große Übereinstimmung in diesem
Hause. Sie haben Ihr klares Bekenntnis zur Fortsetzung
des militärischen Engagements in Afghanistan in Wahrheit vor allen Dingen an die eigenen Reihen gerichtet, an
die Damen und Herren der Unions- und der SPD-Fraktion, insbesondere der SPD-Fraktion. Wir hatten ursprünglich vor, in der Frage der Afghanistan-Politik im
Oktober im Rahmen einer großen Debatte hier über alle
drei Mandate zu entscheiden. Es ist ein trauriges Ergebnis, dass, weil die SPD sich selbst nicht einig ist, bei
einer so fundamentalen Frage unserer nationalen Sicherheit jetzt ein zerstrittener SPD-Parteitag abgewartet werden muss, bevor dieses Hohe Haus entscheiden kann.
Führungskunst sieht anders aus.
({4})
- Sie rufen, das sei Demokratie. Aber dieser Deutsche
Bundestag hat kein imperatives Mandat. In Fragen unseres Friedens und unserer Sicherheit, in Fragen des Afghanistan-Einsatzes erfüllen Sie bitte nicht, quasi als
ausführendes Organ, das, was Parteitage beschließen!
Sie sind Ihrem Gewissen verpflichtet, wenn es in diesem
Hohen Hause um Krieg und Frieden geht, und nichts anderes steht hier zur Abstimmung.
({5})
Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass wir als FDP-Fraktion nahezu geschlossen - es wird immer abweichende Meinungen geben; das wirft ja auch niemand irgendjemandem
vor
({6})
- natürlich nicht; aber es ist notwendig, dass wir zu einer
Entscheidung kommen - unterstützen, dass das Engagement, auch Deutschlands, in Afghanistan fortgesetzt
wird.
Man liest gelegentlich, nichts sei gewonnen, nichts
sei gelungen, alles sei verloren. Herr Kollege Kauder, Ihr
Vergleich mit Vietnam, den Sie soeben gezogen haben,
ist in meinen Augen sehr unzutreffend. Denn im Falle
Vietnams ging es um eine Konfrontation von Blöcken.
Hier geht es darum, dass eine friedliche Völkergemeinschaft gemeinsam den Terrorismus besiegen will. Das ist
ein fundamentaler Unterschied; der historische Vergleich
passt in keiner Weise.
({7})
Umgekehrt muss denjenigen, die schreiben, es sei
nichts gewonnen, von dieser Stelle aus noch einmal gesagt werden: In Afghanistan werden keine Menschen
mehr aufgehängt, weil sie Fußball spielen. Frauen werden nicht mehr unterdrückt. Frauen, die vergewaltigt
worden sind, werden nicht mehr gesteinigt, nach dem
Motto: selber schuld. Die Menschen werden nicht mehr
an Kränen hochgezogen, möglichst langsam, damit der
Weg zum Tod besonders qualvoll ist.
Das sind in Wahrheit die Bilder und die Dinge, mit
denen man sich auseinandersetzen muss. Wer heute behauptet, in Afghanistan sei nichts gewonnen, alles sei
verloren, der vergisst, wie viele menschliche Schicksale
unter den Taliban grausam zu Ende gekommen sind.
({8})
Deswegen bleiben wir dabei: Das ist ein humanitärer
Auftrag der Menschlichkeit, der hier notwendig ist; er
muss militärisch geschützt werden. Kein Entwicklungshelfer könnte in Afghanistan wirken und arbeiten, wenn
es nicht den Schutz der Soldaten gäbe. Sie alle wären
längst umgebracht worden; das gilt gerade für die westlichen Entwicklungshelfer.
In diesem Zusammenhang sage ich aber eines ganz
klar - Herr Verteidigungsminister, ich halte es für notwendig, dass Sie das in Ihren Gesprächen ausdrücklich
zum Thema machen -: Wir verbitten uns die wiederhol11502
ten öffentlichen Belehrungen des NATO-Generalsekretärs. Der Deutsche Bundestag ist nicht ausführendes Organ des Generalsekretärs der NATO. Es ist ja wohl noch
so, dass er ein Angestellter der NATO ist und wir nicht
seine Befehlsempfänger sind.
({9})
Das muss klar zum Ausdruck gebracht werden.
Frau Bundeskanzlerin, so wie die Regierung in der
Außen- und Europapolitik eine überwiegend erfolgreiche Bilanz vorweisen kann, so ist es erstaunlich, dass Sie
sich in der Innenpolitik von dem, was Sie einmal in Ihrer ersten Regierungserklärung als Motto Ihrer Regierungsarbeit ausgegeben haben, vollständig verabschiedet
haben. Die erste Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in diesem Hohen Hause hatte die
Überschrift: Mehr Freiheit wagen. Zwei Jahre später stehen Sie zur Bilanz an diesem Pult, und das Motto „Mehr
Freiheit wagen“ kommt nicht einmal mehr als rhetorische Floskel bei Ihnen vor, geschweige denn, es würde
mit Inhalt gefüllt.
({10})
Das ist aus unserer Sicht ein Kardinalfehler dieser Regierung.
Beide Koalitionsfraktionen haben sich in Wahrheit
von dem verabschiedet, was ihnen mittlerweile peinlich
ist. Die SPD verabschiedet sich unter Schmerzen und
lautem Getöse von der Agenda 2010. Die Union verabschiedet sich von den Beschlüssen ihres Leipziger Reformparteitages, leise, aber leider auch konsequent. Beides sind historische Fehler.
Man kann noch verstehen, dass Sie sagen, der Aufschwung in Deutschland komme von Ihrer Politik; wenn
Sie das ernsthaft glauben, dann hat Deutschland wirklich
ein Problem.
({11})
Ihre ganzen guten Zahlen sind das Ergebnis einer fabelhaften weltwirtschaftlichen Entwicklung. Statt sich mit
fremden Federn zu schmücken, müsste sich Deutschland
die Frage stellen: Wie kann es eigentlich sein, dass die
Weltwirtschaft seit vier Jahren wächst und der Aufschwung erst jetzt in Deutschland ankommt?
({12})
Die Zeitverzögerung zeigt uns doch, dass wir strukturell
immer noch nicht richtig aufgestellt sind.
Sie haben hier die Erfolgsbilanz vorgetragen. Sie haben in Ihrer Rede ausdrücklich gesagt: Erst einmal war
es die Regierung, dann waren es die arbeitenden Menschen. Das ist eine interessante Reihenfolge. Die Art,
wie Sie das hier vortragen, zeugt von einem interessanten Selbstverständnis. Der entscheidende Punkt ist: Sie
sagen, das sei Ihr Aufschwung.
({13})
Ich persönlich habe da ein Déjà-vu: Bundeskanzler
Schröder 1999/2000. Das war genau dasselbe. Heute
streiten Sie sich darüber, ob es ein Schröder-Aufschwung oder ein Merkel-Aufschwung ist. Damals war
Herr Schröder frisch im Amt, und schon war es sein
Aufschwung. Das ist besonders gefährlich, gerade in einer heiklen weltwirtschaftlichen Situation; wenn das
nämlich Ihr Aufschwung ist, Frau Merkel, dann ist der
nächste Abschwung auch Ihr Abschwung. Der nächste
Abschwung kommt bestimmt. Es wäre besser, wir würden jetzt strukturelle Reformen durchsetzen, damit uns
der nächste Abschwung nicht doppelt hart trifft.
({14})
Wir sind immer noch nicht gut aufgestellt. Wir sind aus
der konjunkturellen Krise heraus; aus der strukturellen
Krise sind wir es noch lange nicht.
Sie haben nicht mehr Freiheit gewagt. Vielmehr haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Bundesregierung in Wahrheit mehr Unfreiheit über die Menschen gebracht, und zwar schon allein, was das persönliche
Verfügen der Bürgerinnen und Bürger über ihr Einkommen angeht. Sie verantworten die größte Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik. Noch keine
Regierung vorher hat eine so hohe Steuererhöhung beschlossen: Mehrwertsteuer, Versicherungsteuer, Pendlerpauschale, Sparerfreibetrag, Eigenheimzulage und vieles
mehr.
Durch Ihre Politik steigen die Rentenbeiträge, die
Beiträge zur Krankenversicherung und die Beiträge zur
Pflegeversicherung. Mit anderen Worten: Eine vierköpfige Familie in Deutschland wird in diesem Jahr im
Durchschnitt um 1 400 Euro mehr belastet als im Jahr
zuvor.
({15})
Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Deutschen das Gefühl hat, der Aufschwung gehe
an ihnen vorbei. Sie müssen endlich einmal diejenigen
entlasten, die dieses Land tragen, die den Karren ziehen.
Sie reden über Heuschrecken und über Unterschichten.
Aber denken Sie doch einmal an die Mitte dieses Landes, die als Leistungsträger überhaupt erst dafür sorgt,
dass dieser ganze Wohlstand einschließlich der sozialen
Gerechtigkeit erwirtschaftet werden kann. Auch diese
Menschen müssen einmal etwas vom Aufschwung haben.
({16})
Herr Kollege Lafontaine, intellektuell hat Ihre Rede
- das muss Ihnen jetzt nicht peinlich sein - mit den Reden der Damen und Herren der Regierungsfraktionen eines gemeinsam: Sie alle setzen soziale Gerechtigkeit mit
staatlicher Umverteilung gleich. Für Sie wächst die soziale Gerechtigkeit eines Landes, wenn die Umverteilung durch den Staat wächst.
({17})
Deswegen sieht der Haushalt auch so aus. Noch niemals
in der Geschichte hat es einen Haushalt mit derart hohen
Steuereinnahmen gegeben. Übrigens wird immer mehr
in den Sozialstaat hineingezahlt, obgleich die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Trotzdem kommt bei den tatsächlich
Bedürftigen weniger an. Dass die Kinderarmut wächst,
obwohl die Ausgaben für den Sozialstaat steigen, zeigt
doch eines: Soziale Gerechtigkeit hängt vor allen Dingen
von der Treffsicherheit der Maßnahmen und nicht von
dem Umverteilungsquotienten in dieser Republik ab.
({18})
Herr Kollege Lafontaine, ich kann verstehen, dass Sie
dem nicht zustimmen wollen. Es würde mich andererseits auch einigermaßen schockieren. Wenn Sie die
Frage stellen: „Wer ist Deutschland?“, so rufe ich Ihnen
zu: Auch Sie, Herr Lafontaine, sind Deutschland.
({19})
Das ist manchmal schwierig, aber auch Sie sind
Deutschland. - Übrigens nicht Kuba, Herr Lafontaine.
Kuba ist es nicht.
({20})
Meine Damen und Herren, Sie haben eben nicht mehr
Freiheit gewagt, wenn es um die Lebenslage unserer
Bürgerinnen und Bürger geht. Sie haben die Steuern erhöht, die Beiträge steigen, und das nennen Sie Reform.
Da ist es kein Wunder, dass das Wort Reform allmählich
zu einem Angstbegriff in der Bevölkerung wird.
Mehr Freiheit wagen bedeutet aber zu Beginn dieser
mutmaßlich zweiten Hälfte der Legislaturperiode leider
auch eine erhebliche Diskussion über den Abbau von
Bürgerrechten in Deutschland. Onlinedurchsuchungen
von privaten Computern, bis hin zu der Tatsache, dass
der Bundesinnenminister öffentlich über die Unschuldsvermutung diskutiert, das öffentliche Erörtern des Tötens auf Verdacht, all das hat in diesen Monaten stattgefunden. Von einem Verfassungsminister erwarten wir
etwas anderes.
Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen - denn auch
Sie haben den Protest in Ihren eigenen Reihen gehört -,
es gebe keine Denkverbote, so ist das in meinen Augen
ein seltsames Amtsverständnis. Sie tun so, als ob der Innenminister ein Philosoph wäre, der ein paar Steine ins
Wasser werfen könnte, und anschließend darf er sich an
den Wellen ergötzen. Von einem Innenminister erwarten
wir, dass er Freiheit und Sicherheit sieht. Man kann die
Freiheit der Bürger nicht schützen, indem man sie aufgibt, meine Damen und Herren. Das ist ein kardinales
Missverständnis, das bei Ihnen vorherrscht.
({21})
Wir haben einen dramatischen Abbau von Bürgerrechten zu verzeichnen. Mich wundert, dass das in dieser
Debatte überhaupt kein Thema mehr ist. Stichwort gläserner Bankkunde: Das Bankgeheimnis ist faktisch aufgehoben; man muss es so sagen. Wir erleben, dass der
gläserne Patient vorbereitet wird. Die Datenschützer haben sich eindeutig geäußert. Jetzt gibt es auch noch den
gläsernen Steuerbürger. Früher hieß es: Von der Wiege
bis zur Bahre Formulare, Formulare. Wenn das, was Sie
beschlossen haben, Realität wird, dass nämlich die Daten des Steuerzahlers auch noch 20 Jahre nach dem Tod
gespeichert werden sollen, dann heißt es: Von der Wiege
bis zur Bahre plus 20 Jahre Formulare, Formulare. Das
ist es, worüber wir reden. All das ist nicht „mehr Freiheit
wagen“. Das ist in Wahrheit mehr Unfreiheit. Unter Freiheit verstehen wir nicht die Freiheit von Politikern, hier
ihren Lieblingsprojekten nachgehen zu können. Unter
Freiheit verstehen wir die real existierende Freiheit der
Bürgerinnen und Bürger, und zwar einschließlich der sozialen Freiheit vor Not. Aus unserer Sicht ist das völlig
klar.
({22})
Mehr Freiheit wagen müsste heute bedeuten, Forschung und neue Technologien zu unterstützen. Darauf
gehen Sie aber gar nicht mehr ein. Das ist für eine Naturwissenschaftlerin erstaunlich. Ich weiß ja, dass Sie das
anders sehen. Aber so, wie Sie beim Thema Afghanistan
mit Ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten, könnten
Sie doch auch einmal beim Thema neue Technologien
die Meinungsführerschaft übernehmen. Gerade als Naturwissenschaftlerin könnten Sie etwas mehr den Verstand einschalten.
({23})
Die Bio- und Gentechnologie werden weiter abgewickelt. Das Gentechnikgesetz könnte genauso gut von
Frau Künast geschrieben worden sein. Es steht jetzt nur
Seehofer darunter.
({24})
Es hat sich substanziell nichts geändert.
({25})
Das wollte ich zu den neuen Technologien sagen. Ich
kann diesen Bereich leider nur streifen. Auch Sie kennen
das Problem mit der kurzen Redezeit.
Wir bedauern, dass bei der Kernkraft in Wahrheit
Stellvertreterdiskussionen stattfinden. Ich möchte einmal
zitieren, was der alte Bundeswirtschaftsminister - so alt
ist er noch gar nicht; jedenfalls ist er sehr jung im
Kopf -, Wolfgang Clement, in diesem Monat geschrieben hat:
Dessen ungeachtet betreibt die Bundesregierung,
namentlich der Umweltminister, einen in Europa
einmaligen Kreuzzug gegen die heimischen Energieunternehmen und eine beispiellose Verteufelungskampagne gegen die Nutzung der Kernenergie.
Er fügte übrigens hinzu:
Die gelernte Physikerin im Kanzleramt jedenfalls
lässt die Dinge … treiben.
Präsident Putin hat in Australien Uranverträge abgeschlossen und kündigt an, er baut zu Hause 30 neue
Kernkraftwerke. China will bis zum Jahre 2020 jedes
Jahr ein Kernkraftwerk bauen. Frankreich fordert uns
auf, endlich von unserem Ausstiegskurs Abschied zu
nehmen, weil es dem Klimaschutz dient. Wenn man sich
diese Tatsachen vor Augen führt, dann ist es schlichtweg
Geisterfahrerei, dass Sie nur noch eines in der Energiepolitik im Schilde führen, nämlich diese Erfolgstechnologie in Deutschland abzuwickeln. Wir brauchen beides:
regenerative Energien - ja, dafür sind wir - und die
friedliche Nutzung der Kernenergie, auf die wir im Interesse des Umweltschutzes und der Wirtschaft nicht verzichten können.
({26})
Schließlich geht es um die Frage, ob wir in Deutschland denn wirklich die Kurve gekriegt haben oder ob wir
sie noch kriegen müssen. Sie sprechen von der Transparenz der Finanzmärkte; es ist vernünftig, dass Sie dieses Thema ansprechen. Sie sollten aber nicht so tun, als
sei es damit getan, ein paar Regeln vorzuschlagen, und
das Thema sei damit auf internationaler Ebene erledigt.
Das ist unsachlich. Wenn Sie zu Recht anmahnen, dass
die internationalen Finanzmärkte im Sinne von größerer
Transparenz kontrolliert werden müssen - es wird Sie
wundern, aber Sie hätten uns auf Ihrer Seite -, dann sage
ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie dort anfangen
müssen, wo Ihre eigene Regierung etwas zu sagen hat,
nämlich bei den Staatsbanken, die im Augenblick auf
den Finanzmärkten ein heilloses Durcheinander zulasten
des deutschen Mittelstandes anrichten.
({27})
KfW, IKB und Sachsen LB sind die Stichworte, die
Sie alle kennen. Wer über Finanztransparenz spricht,
sollte also erst einmal vor der eigenen Haustür kehren.
Da, wo Sie Macht haben, müssen Sie sie einsetzen. Das
tut der Finanzminister bedauerlicherweise nicht.
({28})
Man kann festhalten, dass Sie in diesem Bundeshaushalt im Grunde genommen eine weitere Umverteilungspolitik beschließen. Sie steigern die Einnahmen über höhere Steuern und machen trotzdem noch Schulden. Das
widerlegt übrigens auch Ihre These, es sei eine solide Finanzpolitik. Die junge Generation kann sich nur grausen,
wenn sie sieht, dass die Steuern steigen und trotzdem
noch mehr Schulden gemacht werden. Der Finanzminister sagt, er gibt uns einen aus, wenn es schon im Jahr
2010 einen ausgeglichenen Haushalt gibt. Er sagt das
nur, weil er weiß, dass er dann nicht mehr Finanzminister ist.
({29})
Wir wollen es umgekehrt machen: Herr Steinbrück,
wir geben Ihnen einen aus, wenn Sie es in dieser Legislaturperiode noch angehen, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Mit etwas mehr Ehrgeiz könnten Sie es
schaffen.
({30})
Sie schaffen es aber nicht, weil die Devise dieser Regierung lautet: Bekommt ein schwarzer Minister mehr
Geld, muss auch ein roter Minister mehr Geld bekommen. Das genau ist der Grund, warum es in Deutschland
falsch läuft. Die Zeche zahlen die Bürger, weil die Steuern steigen. Der Staat hat nicht zu wenig Geld, er hat genug Geld. Er verplempert es aber in Bereichen, aus denen er sich besser raushalten sollte. Das ist das
eigentliche Problem in diesem Lande.
({31})
Das haben wir alles schon einmal gehabt: Hans im
Glück! Peer im Glück! Wir wissen, wie es kam: Die
UMTS-Lizenzen wurden versteigert, und 100 Milliarden Mark kamen rein. Die Strukturen wurden aber nicht
verändert, und ein Jahr später hatten wir 5 Millionen Arbeitslose und die Staatsfinanzen waren völlig kaputt. Man müsste jetzt die gute Chance nutzen, jetzt die
gute Konjunktur nutzen, um die für Deutschland wichtigen Hausaufgaben zu erledigen, damit wir, wenn es
schlechter läuft, vorgesorgt haben, damit auch dann noch
die Staatsfinanzen stimmen, damit auch dann noch Arbeitsplätze geschaffen werden, damit auch dann noch investiert wird.
Deswegen ist Ihr Beitrag zur Diskussion über die
Erbschaftsteuer nur als rückwärtsgewandt zu bezeichnen. Österreich, Frankreich, alle zeigen uns, wie es geht.
Sie schaffen die Erbschaftsteuer faktisch ab, und wir haben nicht einmal den Mut, die Verantwortung für die
Erbschaftsteuer denen zu übertragen, die die Steuereinnahmen erhalten, nämlich den Ländern. Wo ist eigentlich Ihr föderales Bewusstsein, Männer und Frauen des
Deutschen Bundestages?
({32})
Sie sagen: 2011 ausgeglichener Haushalt. Es gibt eine
einfache Regel: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! Denn wer weiß, wie die Konjunktur im Jahr 2011 aussehen wird? Das ist zwar alles
wohlfeil, aus unserer Sicht ist die Richtung aber falsch.
Es ist schon verrückt, wofür diese Regierung Geld
hat. Wir geben China und Indien Entwicklungshilfe,
nennen es nur nicht mehr so. Syrien - ausgerechnet Syrien - werden auf der Reise der Entwicklungshilfeministerin mal eben 44 Millionen Euro zugesagt. Die Steinkohlesubventionen steigen, werden nicht etwa abgebaut.
Die Subventionen insgesamt steigen. Denken Sie an die
Wirtschaftszuwendungen! Auch sie werden nicht abgebaut. Der allergrößte Hammer ist, dass Sie sogar bei den
Investitionen Ihren Aufgaben nicht nachkommen. Ich
hätte mir nie vorstellen können, dass eine schwarz-rote
Regierung für Investitionen in den Straßenbau weniger
ausgibt als eine rot-grüne zum Schluss ihrer Amtszeit.
({33})
Herr Westerwelle, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sofort.
Dagegen geben Sie viel Geld für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aus. Das ist wohl wahr. Da steigern Sie
die Ausgaben. Allein im Auswärtigen Amt steigt die
Zahl der Mitarbeiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von 45 auf 113. Und da rätselt die Presse noch, wer
Kanzlerkandidat wird. Sie brauchen sich doch nur den
Haushalt anzusehen. Sie müssen nur schauen, wo Pressesprecher eingestellt werden, dann wissen Sie schon
Bescheid. Fragen Sie mich doch! Ich sage es Ihnen doch.
({0})
Auch der Kollege Struck hat gesagt, dass es darum
geht, ab 2009 einen sozialdemokratischen Kanzler zu
haben.
({1})
Ab sofort wartet Deutschland nur noch gespannt auf die
Antwort auf die Frage: Wer soll es denn werden?
({2})
Wir würden es an dieser Stelle gerne einmal hören. Dann
können wir weiterreden.
Herr Westerwelle!
Ein letzter Satz, bitte, Herr Präsident.
Es ist, wie es immer ist.
({0})
Das Erstaunliche aber ist, dass es bei Ihnen schon nach
zwei Jahren so ist. Die Große Koalition ist zwar eine
Zwangsehe, aber schon nach zwei Jahren geht es SPD
und Union in dieser Regierung wie einem alten Ehepaar:
Sie werden sich immer ähnlicher. Es ist ihnen Gott sei
Dank noch peinlich.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Es ist heute schon mehrfach über die Frage
gesprochen worden, wie wir mit rechtsextremistischen
Entwicklungen in diesem Lande umgehen und was wir
gegen das Wirken der NPD tun können, dagegen, dass
eine Partei mit öffentlichen Geldern rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten kann und die Organisationsstrukturen für rechtsextremistische Tätigkeiten liefert. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat heute gesagt,
was uns alle gemeinsam bewegt: Wir müssen eine gute
Untersuchung haben. Die Ämter für Verfassungsschutz
in den Ländern und das Bundesamt sollen in den nächsten sechs Monaten einen Bericht vorlegen, aus dem wir
ersehen können, was für verfassungswidrige und verfassungsfeindliche Aktivitäten die NPD betreibt, ohne dass
auf nachrichtendienstliche Quellen zurückgegriffen werden muss. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat
gesagt, das könne er sich gut vorstellen. Ich bin dafür,
dass wir schnell zu einer Vereinbarung über ein solches
Vorgehen der Innenminister in Bund und Ländern kommen.
({0})
Herr Westerwelle hat zum Thema Afghanistan angemerkt, dass hier ein gewisses Durcheinander herrsche.
Das kann ich nicht wahrnehmen. Allerdings sind ein
paar Informationen, die er als Ausgang seiner Bemerkungen genannt hat, falsch. Es handelt sich um die Information, dass wir alle hier uns verabredet hätten, im
Herbst alle drei Mandate auf einmal zu verlängern. Ich
war an einer solchen Verabredung nicht beteiligt. Ich
kenne auch niemanden, der solch eine Verabredung getroffen hat. Es ist vielmehr umgekehrt. Wir haben gesagt: Dann, wenn diese Mandate auslaufen und ihre Verlängerung ansteht, soll auch darüber entschieden
werden. Das ist genau der Weg, den man mit großer Besonnenheit für die Zukunft dieses Einsatzes gehen muss.
Wir müssen alles dann entscheiden, wenn es an der Zeit
ist, und nicht dann, wenn irgendjemand es auf den Terminplan setzt.
({1})
Große Debatten zu diesem Thema hat es übrigens
auch außerhalb dieses Hauses gegeben. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich sehr sorgfältig vorbereitet. Wir
haben vor der Sommerpause in mehreren langen Sitzungen darüber diskutiert. Viele unserer Abgeordneten - und
nicht nur diejenigen, die in den zuständigen Ausschüssen Mitglied sind - sind nach Afghanistan gefahren und
haben sich dort ein eigenes Bild verschafft. Wir haben
jetzt auch noch mit Vertretern der afghanischen Regierung diskutiert. Das war für uns alle sehr beeindruckend.
Deshalb sind wir auf die Anträge der Bundesregierung
gut vorbereitet. Wir sind auch sicher, dass es vernünftig
ist, diesen Anträgen zuzustimmen. Das ist jedenfalls die
Meinung der Führung der Fraktion der SPD und der
Bundesregierung. Ich glaube, dass es auch so kommen
wird, wenn die Entscheidungen jeweils anstehen.
({2})
Herr Westerwelle, es macht keinen Sinn, von Führungsunsicherheit zu sprechen, wenn man selber zum
Beispiel in der Frage UNIFIL ein großes Durcheinander
organisiert hat. Ich jedenfalls erinnere mich an eine Äußerung von Herrn Niebel, der gesagt hat, die FDP wolle
dem Mandat zustimmen.
({3})
Dann erinnere ich mich an Aufrufe aus China von Herrn
Hoyer, dass das alles so nicht gehen kann. Jetzt ist es
wieder so, dass Sie sich diesem Mandat nicht unterstützend zur Seite stellen können. Das ist ein bisschen symptomatisch.
({4})
Denn es ist so: Einerseits wollen Sie zeigen, dass Sie
eine vernünftige außenpolitische Linie haben. Anderer11506
seits suchen Sie kleine Punkte, bei denen Sie zeigen können, dass Sie auch anderer Meinung sind. Ich finde, das
ist nicht führungsstark, sondern ein Durcheinander. Sie
sollten das in Ordnung bringen.
({5})
Sanieren, Reformieren und Investieren und dabei die
Lasten gerecht auf die Schultern verteilen - das ist das
Motto des Koalitionsvertrages. Sanieren, Reformieren
und Investieren und dabei die Lasten gerecht auf alle
Schultern verteilen - das ist auch das Thema der Regierungstätigkeit der Sozialdemokraten seit 1998. Wenn im
nächsten Jahr die Sozialdemokratische Partei die Regierung dieses Landes seit zehn Jahren getragen haben
wird, wird man die große Konstanz der sozialdemokratischen Bemühungen feststellen. An der Stelle hat Herr
Westerwelle recht: Was die Kanzlerin heute gesagt hat,
hätte sie auf dem Leipziger Parteitag als CDU-Vorsitzende nicht gesagt; aber heute hat sie recht. Das finden
wir Sozialdemokraten in Ordnung.
({6})
Sanierend, reformierend und investierend
({7})
ist es uns gelungen, unser Land wieder zukunftsfähig zu
machen. Ich finde, dass man das feststellen darf und
muss, auch wenn man gleichzeitig erkennen kann, dass
ein großer Teil unserer Menschen von dieser besseren
Entwicklung noch nichts mitbekommen hat. Es ist absurd, eine Rede zu führen, die lautet: Alles ist gut. Aber
es ist genauso absurd, eine Rede zu führen, die lautet:
Alles ist schlecht. Keinem, der eine solche Rede hält,
kann man irgendetwas glauben. Kein Bürger und keine
Bürgerin kann auf einen Politiker, der so ein undifferenziertes Zeug erzählt, setzen. Die große Zahl der Bürger
wird das auch nicht tun.
({8})
Selbstverständlich ist es unsere gemeinsame Aufgabe,
unsere Erfolge zu beschreiben, weil sie der Ansporn für
die nächste Zeit sind, und gleichzeitig zu sagen, dass
noch etwas zu tun ist, damit alle Menschen in diesem
Lande am Aufschwung teilhaben können. Aufschwung
für alle, auch das ist eine sozialdemokratische Forderung, die viele andere jetzt übernommen haben.
({9})
Meine Damen und Herren, zu unserer Tätigkeit seit
1998 gehört, dass wir die Haushalte strukturell konsolidiert haben und damit die Grundlage dafür geschaffen
haben, dass der Staat seine Aufgaben im Interesse unseres Gemeinwesens auch in Zukunft erfüllen kann. Ich
glaube, wir sollten bei dieser Haltung bleiben. Deshalb
begrüße ich sehr, dass sich im Rahmen der Beratungen
der Föderalismuskommission unter dem Stichwort
Schuldenbremse offenbar ein Konsens abzeichnet.
({10})
Ich bin übrigens dafür, dass wir dieses Vorhaben noch
in dieser Legislaturperiode in Angriff nehmen. Wenn wir
einen geeigneten Weg finden, sollte der Beschluss, den
wir dann fassen, auch für die nächste Legislaturperiode
gelten. Denn das würde dazu führen, dass manche Pläne
im Hinblick auf den nächsten Bundestagswahlkampf,
über die schon jetzt berichtet wurde, gleich wieder in
den Schredder wandern könnten.
({11})
All die Versprechungen von Steuersenkungen, die
von dem einen oder anderen gemacht worden sind, passen nicht zur öffentlichen Debatte über die Einführung
einer Schuldenbremse. Ich glaube, dass in manch einer
Parteizentrale - das sage ich insbesondere mit Blick auf
unseren Koalitionspartner - neue Pläne erarbeitet werden müssten, wenn wir im Rahmen der Föderalismusreform beschließen, eine Schuldenbremse einzuführen.
({12})
Die Bürgerinnen und Bürger würden dann allerdings einen fairen Wahlkampf erleben. Denn jeder von uns
wüsste: Es erwischt ihn, wenn er den Mund zu voll
nimmt.
Meine Damen und Herren, wir haben die sozialen Sicherungssysteme saniert. Wir haben dafür gesorgt, dass
die Höhe der Einnahmen und die Höhe der Ausgaben
wieder zusammenpassen und dass die Beitragssätze, die
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Unternehmen gelten, zwar hoch sind - keine Frage -, aber
doch so erträglich, dass sie bereit sind, bei diesen Schritten mitzumachen, und dass die Leistungen, die davon finanziert werden, so vernünftig sind, dass man sich auf
den Sozialstaat in diesem Lande verlassen kann.
({13})
Wir haben - auch das gehört zu den Reformen - die
Arbeitsvermittlung reformiert. Recht haben all die, die
sagen: Deutschland hat vor allem deshalb ein Problem,
weil es so viele Menschen gibt, die lange Zeit arbeitslos
sind. Gerade deshalb ist es entscheidend, dass wir es als
unsere wichtigste Aufgabe ansehen, die Bundesagentur
für Arbeit zur am besten funktionierenden öffentlichen
Institution zu machen, die den Menschen zur Seite steht
und ihnen durch die Arbeitsvermittlung hilft, dem
Schicksal der Arbeitslosigkeit zu entrinnen.
Zur Politik, die seit 1998 gemacht wurde, gehört unter
der Überschrift „Sanieren, Reformieren, Investieren“
auch, dass wir die Betreuung der Kinder verbessert und
den Ländern und Gemeinden beim Aufbau des Systems
der Kinderbetreuung geholfen haben. Das ist die Grundlage für die Situation, in der wir uns heute befinden.
Mir ist wichtig, zu betonen, dass wir dabei so vorgegangen sind, wie es auch Unternehmen, die in einer wirtschaftlichen Krise sind, tun. Ein Unternehmen, das in einer wirtschaftlich schwierigen Situation ist, muss saniert
werden; es muss neu aufgestellt werden - auf unserem
Feld heißt das, dass es Reformen geben muss -, und es
muss in die Zukunft investieren, damit es auch dann gut
funktioniert. Genau das haben wir in Bezug auf unser
Land geschafft. Bei einem Unternehmen, das seine
Sanierung erfolgreich bewältigt hat, spricht man davon,
dass ein Turnaround stattgefunden hat. Ziel von Sanierungen, Neuaufstellungen und Investitionen ist die Umkehr ins Positive, von einer Situation des Abschwungs in
eine Situation des Aufschwungs. Das ist auch uns gelungen. Heute können wir berichten: Der Turnaround ist geschafft.
({14})
Am wichtigsten ist der Abbau der Arbeitslosigkeit.
Wir müssen dafür sorgen, dass noch mehr Menschen einen Arbeitsplatz finden. Es ist aber auch wichtig, dass
der Sozialstaat wieder eine Zukunft hat. Die Menschen
können sich auf die Rentenversicherung, die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung wieder verlassen.
Das hat übrigens auch politische Folgen - diesen politischen Turnaround vermag wahrscheinlich niemand so
recht zu ermessen -: Plötzlich will die FDP neosozial
sein.
({15})
Das wird schon irgendwie funktionieren. Unser Koalitionspartner möchte herausfinden, inwieweit „konservativ“ und „sozial“ zusammenpassen. Die Grünen bleiben
ungefähr bei dem, was sie mit uns gemeinsam begonnen
haben. Die sogenannte Linke sagt immer nur mehr,
mehr, mehr.
Wenn man das aber alles zusammenfasst, stellt man
fest: Es hat doch eine Änderung des Zeitgeistes gegeben.
Während die Meinungsführer der Republik vor wenigen
Jahren noch gesagt haben, der Sozialstaat habe keine
Perspektive und man solle ihn abbauen, ist diese Meinung heute nicht mehr vorherrschend. Das ist ein Erfolg
sozialdemokratischer Regierungspolitik.
({16})
Aber wir sind in einer schwierigen Phase. Politisch ist
nämlich das, was wohl für jedes Unternehmen gilt, nicht
so selbstverständlich. Während ein Manager, der für sein
Unternehmen einen Sanierungsplan entwickelt und
durchsetzt, vorher den Moment beschreiben muss, in
dem der Turnaround gelingen soll, und nachher stolz
über ihn berichten darf, ist ein Politiker, der einen Turnaround ankündigt oder als geschafft vermeldet, in der
politischen Gefahr, ins Abseits zu geraten. Denn Reformer zu sein verkommt doch - wenn man die politische
Szene beobachtet - bei dem einen oder anderen immer
mehr zu einem Ritual, bei dem man sich so gibt, als fordere man eine scharfe Reform. Aber tatsächlich ist das
doch völlig unvernünftig.
Wenn wir uns auf den Weg machen, auch mit schwierigen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass der Sozialstaat,
auch der Sozialversicherungsstaat, wieder funktioniert,
dann müssen und dürfen wir den Menschen auch sagen,
dass der Tournaround gelungen ist und es jetzt um den
Ausbau von Maßnahmen geht. Deshalb hat der Parteivorsitzende der SPD völlig recht, wenn er sagt, die Zeit
der Zumutungen sei vorbei. Das eine gehört zum anderen und bildet damit eine Einheit. Wir Sozialdemokraten
haben es zustande gebracht, dass wir jetzt wieder über
den Ausbau von Maßnahmen und Investitionen in die
Zukunft, die wir benötigen, diskutieren können.
({17})
Übrigens passt das Programm von Meseberg gut
dazu. Deshalb macht es auch Sinn, dass wir in dieser
Haushaltsdebatte noch ein paar Minuten darauf verwenden, das zu bedenken. Unserer Ansicht nach muss zum
Beispiel dafür gesorgt werden, dass Menschen, die hart
arbeiten und wenig verdienen, nicht auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Wir brauchen weitere
Branchen, die in das Entsendegesetz aufgenommen
werden. Nach der Bauwirtschaft und den Gebäudereinigern sollen das in diesem Herbst noch die Erbringer von
Postdienstleistungen sein sowie alle diejenigen, die sich
bis zum Frühjahr nächsten Jahres melden. Das wird Millionen Menschen, die es heute schwer haben, ein besseres Leben bescheren. Es ist eine vernünftige Politik, die
wir in diesem Zusammenhang entwickeln.
({18})
Das gilt auch für die Mindestarbeitsbedingungen und
den Erwerbstätigenzuschlag. Mit großer Freude habe ich
festgestellt, dass diese Idee, die wir vorangebracht haben, nicht nur in Meseberg eine Rolle gespielt hat, sondern jetzt auch von unserem Koalitionspartner auf seiner
Klausurtagung am Wochenende unter einem ähnlichen
Namen für gut befunden wurde. Es wird also gelingen,
weitere Fortschritte zu machen. Das ist nicht nur gut für
die Parteien, sondern vor allem für die Menschen, um
die es geht; sie haben es bitter nötig.
({19})
Wir investieren in die Zukunft, indem wir etwas für
die Bildung tun. Darum wollen wir, dass die Menschen
besser ausgebildet werden, sodass wir den Fachkräftemangel reduzieren können. Auch die Altbewerber wollen wir auf dem Berufsausbildungsmarkt besser unterstützen.
Ferner müssen wir etwas für die Kinder tun, indem
wir denjenigen Eltern helfen, die ihre Kinder in einer
Einrichtung unterbringen wollen, in der sie nicht einfach
abgestellt werden, sondern beste Betreuung bekommen.
Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab
2013 ist ein großer politischer Fortschritt, der die Kultur
des Zusammenlebens in unserem Lande wahrscheinlich
mehr bewegen wird, als mancher sich angesichts dieser
Formalie auszudenken vermag.
({20})
Es bedeutet, dass unser Land endlich zu den anderen
Ländern Europas aufschließt, in denen es selbstverständlich ist, dass das, was die Eltern sich für ihre Kinder
wünschen, zur Verfügung steht. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir das schaffen.
Wenn in dieser Großen Koalition vollendet werden
kann, was wir 1998 begonnen haben, wäre das ein großer Themen- und Paradigmenwechsel in dieser Republik, der nicht alle Tage gelingt. Davon kann man als Erfolg berichten.
Schönen Dank.
({21})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir, die Bundesregierung und natürlich die sie tragenden
Fraktionen, können heute Bilanz ziehen. Es ist schon
vielfältig angesprochen worden: Der Aufschwung in
Deutschland hat sich verstetigt, es geht aufwärts in
Deutschland. Damit werden die Zukunftschancen der
Menschen natürlich besonders befördert.
({0})
Dies wird mit der Einbringung des Bundeshaushalts
deutlich, mit dem wir unter dem Motto „Sanieren, Reformieren, Investieren“ in den verschiedensten Bereichen
die Grundlagen für ein zukunftsfähiges Deutschland legen.
({1})
Natürlich ist die Einbringung des Haushalts für die
Oppositionsparteien Anlass, in einzelnen Bereichen Kritik zu üben. Doch ich wende mich dagegen, dass den
Menschen Zerrbilder gezeichnet werden, wie es heute
wieder die linken Oppositionsfraktionen getan haben,
insbesondere die Fraktion Die Linke, vor allen Dingen
im Bereich der Sozialpolitik. Aber auch die FDP hat,
was die Wirtschaft angeht, ein Zerrbild gezeichnet: Der
Aufschwung in Deutschland rührt nicht von einem weltwirtschaftlichen Aufschwung her, sondern daher, dass
die Bundesregierung seit ihrem Antritt die Wachstumskräfte mit den verschiedensten Programmen gestärkt hat:
mit dem 25-Milliarden-Euro-Programm von Genshagen,
durch verbesserte Abschreibungsbedingungen der Betriebe - Stichwort „degressive Abschreibung“ -; durch
die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen und dergleichen mehr. Das hat zum Aufschwung in Deutschland
beigetragen und damit auch zu mehr Arbeitsplätzen in
unserem Land.
({2})
Die Linke hat das kleingeredet, hat behauptet, wir
hätten prekäre Arbeitsverhältnisse in Deutschland.
({3})
Sie hat kritisiert, dass wir 1-Euro-Jobs haben, dass wir
Minijobs haben. Doch gerade wir als Union sind stolz
darauf, dass wir die Möglichkeit der Minijobs geschaffen haben, weil diese für die Menschen in Deutschland
eine Chance sind, wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert zu werden.
({4})
Wenn Sie alle diese Arbeitsplätze nicht haben wollen,
dann berauben Sie die Menschen in Deutschland ihrer
Chancen.
({5})
Jetzt, zwei Jahre nach Regierungsantritt, haben wir in
einigen Bereichen einen Fachkräftemangel. Darüber
hinaus gibt es an mancher Stelle sogar einen Arbeitskräftemangel: Erst letzten Freitag hat mich ein Unternehmer
angerufen, er braucht für seinen Betrieb unbedingt Arbeitskräfte, und zwar für leichte Tätigkeiten wie das Einpacken von Osterhasen bzw. Nikoläusen. Er findet keine
Arbeitskräfte. Gut, ich komme aus einer Region, in der
die Arbeitslosigkeit bei 3,7 Prozent liegt - auch ein Erfolg dieser Bundesregierung. So ist die Lage sicherlich
nicht in allen Gegenden. Ich wünsche aber allen in unserem Land, dass sich die Aufschwungskräfte so durchsetzen. Doch wenn, wie der Unternehmer berichtet hat,
31 Personen angeschrieben werden und sich 27 bei ihm
überhaupt nicht melden, dann muss man darüber nachdenken, ob unsere Instrumentarien funktionieren.
({6})
Wir haben morgen Gelegenheit, uns darüber auszutauschen.
Ein Zweites: Wir werden in dieser Großen Koalition,
die sehr erfolgreich arbeitet, in der es bei einzelnen Themen natürlich unterschiedliche Ansichten gibt, intensiv
über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, über den Mindestlohn und über Gesetze, die die Arbeitsbedingungen
umfassen, diskutieren. Ich bitte aber, auch hier die
Scheuklappen abzunehmen und auf die Realität einzugehen. In Freyung in Niederbayern hatten wir im Winter
1984 eine Arbeitslosigkeit von 42 Prozent. Jetzt haben
wir eine Arbeitslosigkeit von 6 Prozent. Niederbayern
hätte - davon bin ich überzeugt -, wäre unter den damaligen Gegebenheiten der hohen Verdienste im Ruhrgebiet, in Westdeutschland ein gesetzlicher Mindestlohn
verordnet worden, den Aufstieg nicht so geschafft, wie
wir ihn in der Zusammenarbeit mit den Menschen hier in
Deutschland geschafft haben.
({7})
Auch dies muss uns zu denken geben. Bei allem, was
wir zukünftig an gesetzlichen Initiativen ergreifen, muss
gelten: Sie müssen den Menschen dienen und die Chancen der Menschen vermehren. Sicherlich werden wir die
Änderungswünsche, die die Fraktionen noch in einzelnen Bereichen haben werden, in diesem Bundeshaushalt
berücksichtigen.
Was die Familienpolitik angeht, wollen wir den Eltern in unserem Land Wahlfreiheit ermöglichen. Wir haben das Elterngeld eingeführt und sind auch für einen
Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz. Notwendig ist aber gleichermaßen ein Betreuungsgeld für diejenigen, die keine staatlichen Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen.
({8})
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Dieser
Bundeshaushalt bietet die Grundlage dafür, den starken
Aufschwungkräften in Deutschland zukünftig wieder
mehr Raum zu geben. Deshalb bitte ich alle in diesem
Hause: Lassen Sie uns intensiv zusammenarbeiten, um
die Zukunftsfähigkeit unseres schönen Landes zu stärken.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaas Hübner von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stimme meinem Vorredner ausdrücklich zu: Der
derzeitige wirtschaftliche Aufschwung hat auch etwas
damit zu tun, dass wir - übrigens schon unter Gerhard
Schröder - eine Reformpolitik eingeleitet haben, die erfolgreich war. Ich bin froh, dass wir auch in der Großen
Koalition das, was wir unter Rot-Grün begonnen und als
Agenda 2010 bezeichnet haben, konsequent fortsetzen.
({0})
Wahr ist auch, dass der Aufschwung nicht allein
durch die Politik bewirkt wurde. Wir wissen durchaus,
dass die Unternehmen und insbesondere die Arbeitnehmer einen starken Beitrag dazu geleistet haben. Die Unternehmen haben sich in der Zeit der Stagnation so gut
aufgestellt und so stark erneuert, dass sie die neuen
Exportmöglichkeiten sofort wahrnehmen konnten. Die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften haben in den letzten zehn Jahren durch eine
sehr moderate Lohnpolitik mit dazu beigetragen, dass
die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen
gestiegen ist. An der Stelle muss man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Gewerkschaften dafür danken, dass sie daran mitgewirkt haben, dass
Deutschland wirtschaftlich wieder an Stärke gewinnt.
Ich bin froh, dass wir das tun. Wir haben gemeinsam
vor, eine Form der Mitarbeiterbeteiligung zu finden,
um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Unternehmungen beteiligen zu
können. Wir haben das Vorhaben Deutschlandfonds genannt. Sie haben eine ähnliche Vorstellung. Ich bin sehr
froh, dass es sich die Bundesregierung und die Große
Koalition auf die Fahne geschrieben haben, die stärkere
Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
an den Unternehmenserfolgen umzusetzen und voranzutreiben.
({1})
Dass Politik durchaus wirtschaftliche Kräfte mobilisieren kann, zeigt sich auch, wenn wir Bilanz ziehen,
was seit der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern passiert ist. Dort ist eine sehr große gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Leistung vollbracht
worden. Wir haben in den neuen Bundesländern in kurzer Zeit die Infrastruktur neu geschaffen und die Wirtschaftskraft neu belebt. Dafür gibt es, wie ich glaube, in
der europäischen Geschichte kein Beispiel. Es ist eine
sehr starke Leistung, mit der die Politik bewiesen hat,
dass man mit Entschlossenheit etwas voranbringen kann.
Ich weiß, dass manche Kolleginnen und Kollegen aus
den alten Bundesländern manchmal etwas neidisch auf
die vielen neuen Häuser und Straßen im Osten sind. Ich
warne aber vor Neid. Im Gegenteil: Wir sollten stolz darauf sein. Es wäre doch ein Skandal gewesen, wenn das
ausgegebene Geld nicht so gut investiert worden wäre.
({2})
Lassen Sie uns gemeinsam stolz auf diese gesamtgesellschaftliche Leistung sein, die wir dort vollbracht haben.
Es ist auch richtig, dass wir angefangen haben, den
Osten besonders zu fördern, weil in einem Wettbewerb
der Regionen derjenige, der wie bei einem Wettlauf erst
nach den anderen starten kann, unausgleichbare Nachteile hat. Dafür mussten wir einen Ausgleich finden.
Deswegen mussten wir eine Sonderförderung für die
neuen Bundesländer einführen, damit sie die Chance haben, im Wettbewerb der Regionen zu bestehen.
Vor diesem Hintergrund ist es unabdingbar, dass wir
den von uns beschlossenen Solidarpakt unangetastet
lassen.
({3})
Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Solidarpakt
degressiv ausgestaltet ist. Das heißt, ab dem Jahre 2009
werden die Zahlungen aus dem Solidarpakt an die neuen
Bundesländer nicht wie im Moment ein wenig, sondern
massiv zurückgehen. 2019 enden sie. Verschiedentlich
wird schon jetzt eine Diskussion über fast alle Parteigrenzen hinweg darüber geführt, ob die Zahlungen
noch früher eingestellt werden sollten. Wenn das geschieht, tun Sie den Finanzministern in den neuen Bundesländern keinen Gefallen; denn es sind gerade die
neuen Bundesländer, die erkannt haben, wie schwierig
ihre Lage ist. Wir haben es dort mit Haushalten zu tun
- das kennen wir weder im Westen noch im Bund -, deren Umfang bis zum Jahre 2019 um 25 Prozent abnehmen wird. Ein Land wie Sachsen-Anhalt, das heute einen Etat von 10 Milliarden Euro hat, wird 2019 wegen
der ausbleibenden Zahlungen aus dem Solidarpakt wahrscheinlich nur noch über 7,5 Milliarden Euro verfügen.
Vor diesem Hintergrund sind alle neuen Bundesländer
dabei, ihre Haushalte zu konsolidieren, nicht nur für ausgeglichene Haushalte zu sorgen, sondern sogar Überschüsse zu erwirtschaften, um die Schulden abzubauen;
denn sie wissen genau, dass ihnen die gewaltigen Zinslasten, die sie momentan zu tragen haben, später jede
Möglichkeit aktiver politischer Gestaltung zunichte machen würden. Wir sollten daher keine Debatte über ein
vorzeitiges Ende des Solidarpaktes führen, sondern die
Finanzminister jeder Couleur in den neuen Bundesländern in ihren Bemühungen unterstützen. Die Zahlungen
2019 einzustellen, ist richtig. Sie dürfen aber nicht vorher enden.
({4})
Mir ist natürlich durchaus klar, dass viele Programme,
die sich in den neuen Bundesländern bewährt haben,
auch in den alten Bundesländern anzuwenden sind. Wir
haben begonnen, dort, wo es sinnvoll ist, Programme für
die alten Bundesländer zu öffnen. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an die Gemeinschaftsaufgabe Ost, in die
wir den Westen einbezogen haben. Das war richtig. Das
ist in meinen Augen die zielgenaueste Wirtschaftsförderung, die wir betreiben können; denn dort werden gezielt
Investitionen gefördert, wo Arbeitsplätze geschaffen
werden. Wir sollten alles daran setzen, diese Förderung
aufrechtzuerhalten.
({5})
Ich sage an die Adresse der Bundesregierung: Wir haben in den letzten Haushaltsberatungen GA-Mittel entgegen dem Regierungsentwurf um 50 Millionen Euro
angehoben. Herr Glos hat dies im nun vorliegenden Regierungsentwurf leider nicht fortgeschrieben. Ich hätte
mir gewünscht, dass dieses Niveau gehalten worden
wäre. Ich hoffe aber - ich habe Vertrauen in die Haushälter -, dass wir hier zumindest eine Korrektur im Rahmen
der weiteren Haushaltsberatungen vornehmen.
({6})
Das Gleiche gilt auch für den Stadtumbau Ost. Wir
hatten große Schwierigkeiten, weil die Städte Ostdeutschlands unter einer starken Entvölkerung zu leiden
hatten. Auch dieses Programm haben wir mittlerweile
für Städte in Westdeutschland geöffnet - Stichwort Stadtumbau West -, weil diese vor ähnlichen Problemen stehen. Uns ist vollkommen bewusst, dass wir nach 2019
nicht mehr über eine Ostförderung oder eine Westförderung reden werden, sondern dass wir über die Förderung
strukturschwacher Regionen reden müssen, damit solche
Regionen möglichst schnell Anschluss an strukturstarke
Regionen finden. Das gilt für Gesamtdeutschland.
({7})
Vor diesem Hintergrund sage ich an die Adresse der
Bildungsministerin: Es ist sehr lobenswert, was wir im
Bereich Forschung und Entwicklung machen, auch im
Hinblick auf die Exzellenzinitiative. Wir müssen aber
bei den Ausschreibungsbedingungen aufpassen, dass wir
nicht nur Geld dorthin fließen lassen, wo bereits gewaltige Stärken da sind. Vielmehr müssen wir diese Mittel
dazu nutzen, schwachen Regionen eine Chance und einen Impuls zu geben, aus eigener Kraft zu wachsen und
sich mit neuen Produkten auf neuen Märkten zu etablieren. Hier müssen wir auf Ausgeglichenheit achten.
({8})
Schwache Regionen haben in der Regel kaum eine
Chance, aus eigener Kraft neue Industrien anzusiedeln
und in Bereiche zu investieren, in denen schon gesättigte
Märkte bestehen. Ein Verdrängungswettbewerb wird
wahrscheinlich nicht funktionieren. Deshalb ist es entscheidend, dass gerade in den innovativen Bereichen etwas für strukturschwache Regionen - diese liegen momentan noch überwiegend in Ostdeutschland - getan
wird.
Wir haben aber auch Erfolgsgeschichten zu verzeichnen. Im Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarenergie, haben wir mittlerweile Cluster in
den neuen Bundesländern gebildet, die eine echte Vorreiterrolle einnehmen. Ein Beispiel: Zehn Jungunternehmer haben sich vor fünf Jahren in meinem Wahlkreis
aufgemacht und ein Solarzellenwerk gegründet. Sie haben mit zehn Beschäftigten begonnen. Heute sind es
1 500. Mittlerweile sind weitere Investoren aus Kanada
und den USA dorthin gezogen, sodass an diesem Standort 5 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wahrscheinlich werden es 10 000 bis zum Jahr 2010 sein. Es lohnt
sich also, solche Impulse durch staatliche Förderung zu
geben. Das macht für strukturschwache Regionen Sinn;
denn sie können dadurch an eigener Kraft deutlich gewinnen.
({9})
Insgesamt gesehen sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen - auch in den neuen Bundesländern - gar
nicht schlecht. Man soll auch nicht alles kaputt- und
schlechtreden. Durch den Beitritt der osteuropäischen
Staaten hat die Bevölkerung der Europäischen Union um
20 Prozent, die Wirtschaftskraft aber nur um 5 Prozent
zugenommen. Daran zeigt sich, welch enormes Expansionspotenzial in der Öffnung der osteuropäischen
Märkte liegt. Natürlich haben wir alle Möglichkeiten,
dieses Potenzial in den Nachbarländern auszuschöpfen.
Eine Studie der Hypo-Vereinsbank sagt, dass gerade die
neuen Bundesländer davon profitieren werden. Sie prognostiziert einen Anstieg des Exports von 20 Prozent.
Das ist etwas Gutes, und ich finde, auch das soll man sagen. Man muss den Menschen Mut machen und ihnen
sagen, welche Chancen in der Öffnung Osteuropas liegen. Man darf das nicht immer nur schlechtreden und
Angst machen.
({10})
Ich will in diesem Zusammenhang auf eine Schwachstelle in der ostdeutschen Gesellschaft eingehen: Das ist
die Anfälligkeit für rechtsradikale Handlungen und
deren teilweise Verharmlosung. Ich bin für eine deutliche Ansprache an dieser Stelle. Ich weiß und kann ein
bisschen verstehen, dass manche Landesväter dieses
Problem lieber schönreden, aber das bringt nichts. Wenn
Probleme da sind, müssen sie benannt werden. Die Benennung ist die Grundlage für die Bekämpfung eines
Problems. Wir gewinnen nichts, wenn wir irgendetwas
verharmlosen. Ich bin in den letzten drei Wochen vorwiegend in den neuen Bundesländern viel unterwegs gewesen und habe mit vielen Bürgermeistern und Landräten gesprochen. Alle sagen, dass in dieser Beziehung
Gefährdungen bestehen, gegen die etwas getan werden
muss. Wenn wir nichts tun, dann hat das übrigens auch
Einfluss auf die Attraktivität für ausländische Investoren. Darum sollten wir etwas tun.
Das NPD-Verbot ist sehr dezidiert diskutiert worden.
Ich weiß um die Schwierigkeit dieser Thematik, und ich
weiß auch, dass wir sehr vorsichtig vorgehen müssen.
Aber insgesamt ist der Wunsch von fast allen Politikern
auf allen Ebenen gewesen, dass wir ein NPD-Verbot
wirklich ernsthaft, wenn auch mit aller Vorsicht, angehen; denn es kann nicht sein, dass wir dieser Partei aus
Steuermitteln einen finanziellen Nährboden geben, sodass diese im Osten weiter ihr Unwesen treiben kann.
Dem müssen wir einen Riegel vorschieben.
({11})
Ich bin daher der festen Überzeugung, dass man auf die
Berichte, die man von den Landesverfassungsschutzämtern und vom Bundesverfassungsschutz bekommen
kann, zurückgreifen soll, also auf das, was frei erhältlich
ist, und dass man sich nicht der V-Leute bedienen sollte.
Dann kann man ernsthaft Fakten sammeln und schauen,
ob man ein Verbotsverfahren anstrengen kann. Es ist
übrigens - auch das will ich deutlich sagen - gerade in
der jungen Demokratie der neuen Bundesländer wichtig,
so etwas zu tun, weil eine solche Partei, wenn sie nicht
verboten ist, leider in manchen Köpfen eine Form von
Legalität hat. In meinen Augen hat sie diese nicht; denn
sie arbeitet gegen die Verfassung. Darum noch einmal
mein Wunsch an das gesamte Haus und an die Bundesregierung: Lassen Sie uns entschlossen und trotzdem
vorsichtig vorgehen.
({12})
In diesem Zusammenhang will ich Teilen der Linkspartei sagen: Man muss aufpassen, welchen Nährboden
man manchmal mit bestimmten Reden bereitet. Wenn
Ihr Fraktionsvorsitzender wie in Chemnitz, vielleicht im
rhetorischen Überschwang, mit Begriffen wie Fremdarbeiter und ähnlichen jongliert, dann ist das nicht produktiv. Da sollte man vorsichtig sein und aufpassen. Damit wird nicht die demokratische Stimmung gefördert,
die wir alle wollen.
({13})
Ich warne sehr davor, damit weiterzumachen.
({14})
Insgesamt gesehen, so glaube ich, ist die Koalition
auf einem guten Weg. Sie steht in der Kontinuität der
Reformpolitik, die wir Sozialdemokraten 2003 begonnen haben und die wir gemeinsam mit der Union fortsetzen. Der Dreiklang von Sanieren, Reformieren und
Investieren ist der richtige Dreiklang für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Ich bin sehr sicher,
dass wir bis 2009 gemeinsam eine gute Politik für das
Land machen können und machen werden. Ich bin guter
Hoffnung, dass wir Sozialdemokraten nach einem knackigen Wahlkampf gut dastehen werden. Zunächst geht
es aber darum, die nächsten zwei Jahre eine gute Arbeit
zu machen. Wir sind dazu bereit.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat jetzt der Staatsminister Bernd
Neumann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits
zum dritten Mal legt diese Bundesregierung einen Haushaltsentwurf im Bereich „Kultur und Medien“ vor, der
eine Steigerung der Ausgaben vorsieht.
({0})
Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Das erkennt man,
wenn man einen Blick auf Länder und Kommunen wirft.
Seit dem Regierungswechsel wurden die Ausgaben des
Bundes für die Kultur in Deutschland von 2005 bis 2008
um insgesamt 6,4 Prozent gesteigert. Ich denke, diese
Zahlen sagen mehr als schöne Worte etwas darüber aus,
welche Bedeutung die Bundesregierung der Kultur zumisst.
({1})
Ich habe es bereits mehrfach gesagt - es steht auch in
der Koalitionsvereinbarung -: Kulturförderung ist keine
Subvention, sondern Investition in die Zukunft. Dies ist
im ideellen wie im finanziellen Sinn gemeint. Das Beispiel unseres neuen Deutschen Filmförderfonds zeigt,
dass Kulturförderung auch eine handfeste wirtschaftliche Seite hat.
({2})
Dieser Filmförderfonds hat bereits erhebliches zusätzliches Kapital nach Deutschland gezogen und eine
beträchtliche Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze in den Studios geschaffen. Deutschland ist auch für internationale
Produktionen attraktiv geworden. Die deutschen Filmstudios erleben derzeit einen beispiellosen Boom. Wenn
dadurch beim deutschen Film Aufbruchstimmung
herrscht, ist das ein Erfolg, auf den man ruhig hinweisen
darf.
({3})
Die Deutsche Welle war unter der Vorgängerregierung - man muss es so sagen - eher die Sparbüchse des
Kulturetats. Das war ein Fehler. Gerade in Zeiten der
Globalisierung brauchen wir einen starken Auslandssender, eine unüberhörbare deutsche Stimme für Freiheit
und Demokratie.
({4})
Besonders wichtig ist das im arabischen Raum. Um die
Präsenz der Deutschen Welle dort auszubauen, wollen
wir dem Sender in 2008 4 Millionen Euro mehr zur Verfügung stellen. Dadurch kann die von uns allen gewünschte Kooperation von ARD und ZDF zur weiteren
Verbesserung des Programms beitragen.
({5})
Gedenken und Erinnern sind Aufgaben, die die gesamte Gesellschaft betreffen. Ich habe im Juli dieses
Jahres einen Entwurf vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie
die erfolgreiche Gedenkstättenarbeit des Bundes fortgesetzt werden soll. Für die Umsetzung dieses Konzepts
wollen wir allein im nächsten Jahr zusätzliche 10 Millionen Euro ausgeben. Das bedeutet nahezu eine Verdopplung der Mittel.
Dem Völkermord an den europäischen Juden, der
Singularität des Holocaust, kommt in unserer Erinnerungspolitik nach wie vor eine unvergleichbare Bedeutung zu. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur wollen wir
verstärken und verbessern. Es ist nach wie vor unsere
Aufgabe, an das Unrecht der SED-Diktatur zu erinnern
und so das Gedenken an die Opfer des Kommunismus in
Deutschland zu bewahren.
({6})
Die Verantwortung für unsere Vergangenheit betrifft
auch den Bereich der Rückgabe der von den Nationalsozialisten geraubten und beschlagnahmten Kulturgüter
aus dem ehemaligen jüdischen Besitz. Hier sehe ich es
als eine wichtige Aufgabe an, dies - unbeschadet der eigentlichen Kompetenz von Ländern und Kommunen für
die Mehrzahl der Museen - zu unterstützen. Wir haben
uns vorgenommen, im Rahmen eines Modells beträchtliche Hilfen für die notwendige Provenienzrecherche auszugeben. Das ist vonnöten, wenn man das einstmals beschlossene Washingtoner Abkommen ernst nimmt.
({7})
Unser nationales Kulturerbe zu bewahren, ist eine der
drängenden Aufgaben unserer Zeit. Wie wichtig diese
Aufgabe ist, hat der verheerende Brand in der AnnaAmalia-Bibliothek gezeigt. An die schrecklichen Bilder
vom September 2004 erinnern wir uns alle.
Ich freue mich sehr, dass diese Bibliothek am
24. Oktober wieder eröffnet werden kann. Der Bund hat
für die Sanierung insgesamt 8,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Klassik-Stiftung Weimar steht in der
ganzen Welt für unser nationales, also deutsches Kulturerbe. Deshalb steht hier nicht nur Thüringen, sondern
Deutschland als Kulturnation in der Mitverantwortung.
Daher beabsichtigen wir, ab dem Haushalt 2008 gemeinsam mit Thüringen - die Thüringer motivieren wir - die
Mittel deutlich zu erhöhen. Die institutionelle Förderung
steigt damit schrittweise um mehr als 20 Prozent. Das ist
ein Signal, natürlich auch für die neuen Bundesländer,
die wichtige kulturelle Schätze besitzen.
({8})
Herr Staatsminister Neumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert?
Mit der Zusatzbemerkung, dass mir das auf die Redezeit nicht angerechnet wird.
Die Beantwortung von Zwischenfragen wird nie auf
die Redezeit angerechnet.
Bitte schön, Herr Seifert.
Herr Staatsminister, Sie sprechen gerade von dem nationalen Kulturerbe, dessen Pflege eine gesamtstaatliche
Aufgabe ist. Das sehe ich genauso. Gleichzeitig verweisen Sie darauf, wie toll es ist, dass Ihr Etat erhöht werden soll. Wieso wird gerade bei der Stiftung für das
sorbische Volk gekürzt, und zwar nicht unbeträchtlich,
und gleich noch dazugesagt: „Wir werden aller Voraussicht nach eine Haushaltssperre verhängen“?
({0})
Es geht doch immerhin um eine in Deutschland lebende
nationale Minderheit. Die Mittel für die Stiftung für das
sorbische Volk müssten also eher aufgestockt werden.
Sehen Sie das nicht genauso, nämlich als nationale Aufgabe des Bundes?
Ja, das ist eine nationale Aufgabe des Bundes, der wir
auch mit beträchtlichen Mitteln gerecht werden. Wie bei
jeder Aufgabe des Bundes prüfen Bundesrechnungshof
und Bundesverwaltungsamt jeweils, ob sie vielleicht von
den Ländern oder ob der eine oder andere Teil, ein Projekt vielleicht, vom Bund zu erledigen ist. Hierzu gab es
kritische Fragen. Trotz der Bemerkungen von Bundesrechnungshof und Bundesverwaltungsamt wegen nicht
gegebener Totalzuständigkeit für alle diese Aufgaben
haben wir im neuen Haushaltsentwurf den Mittelansatz
bei 7 Millionen Euro belassen. Das ist etwas weniger als
vorher, aber deutlich mehr, als die uns begleitenden Institutionen gewollt haben.
({0})
Von daher stellen wir uns dieser Aufgabe.
Herr Staatsminister Neumann, erlauben Sie noch eine
Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Kampeter?
Sie wird sicherlich hilfreich sein, deswegen sage ich
Ja, obwohl man es bei ihm nie so genau weiß.
({0})
Bitte schön, Herr Kampeter.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass sich die beiden Berichterstatter der Koalition für den Kulturetat, die Kollegin Merkel und ich, mit
dem Thema der Sorben bereits intensiv und nicht nur
vordergründig auseinandergesetzt haben und sehr sorgfältig prüfen werden, ob eine Erhöhung der Finanzmittel
im Rahmen der Haushaltsplanberatung möglich, finanzierbar und rechtlich absicherbar ist? Ich möchte Sie fragen, ob Sie bestätigen können, dass der Bund im Rahmen seiner Verantwortung in den letzten Jahren weit
über das hinausgegangen ist, was im Finanzierungsabkommen tatsächlich Grundlage war - die zugesagten
Finanzierungsteile für die Stiftung des sorbischen Volkes -, und dass der Eindruck, als würde es sich hier insgesamt um eine Kürzungsstrategie handeln, nicht richtig
ist. Vielmehr ist es doch wahrscheinlich richtig - oder
würden Sie mir da widersprechen? -, dass wir eine jahrelange Überzahlung aufgrund von Hinweisen von Bundesrechnungshof und Bundesverwaltungsamt politisch
überprüfen.
({0})
Herr Kollege Kampeter, zur Kenntnis nehmen muss
ich ohnehin alles, was hier gefragt wird.
({0})
Ihnen hier offiziell zu widersprechen, wäre unklug; denn
ich brauche Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen
noch.
({1})
Unbeschadet davon bestätige ich alles, was Sie gesagt
haben. Ja, es ist richtig: Die Bundesregierung hat immer
mehr veranschlagt. Ich muss auch bestätigen, dass in den
Haushaltsberatungen die Haushälter das immer noch erhöht haben.
({2})
Ich glaube deshalb schon, Kollege Seifert, dass wir da
auf einem guten Weg sind.
({3})
Herr Präsident, ich gehe doch recht in der Annahme,
dass mir diese Zeit nicht angerechnet wurde, aber dass
meine Redezeit doch irgendwie endlich ist.
({4})
Herr Staatsminister, Ihre Redezeit war nahezu abgelaufen.
({0})
In der Zwischenzeit hatte ich die Uhr angehalten. Jetzt
habe ich sie wieder gestartet. Sie können gerne noch eine
Schlussbemerkung machen.
({1})
Meine Damen und Herren! Mit dem Haushalt 2008
setzen die Koalitionspartner erneut ein positives Signal
für Kultur und Medien in Deutschland. Ich danke vor allem den Berichterstattern im Haushaltsausschuss für ihre
stete Hilfe und ihr Verständnis. Allen Fraktionen im Kulturausschuss bin ich für ihre grundsätzliche Unterstützung und Solidarität besonders dankbar. Ich gehe davon
aus, dass wir die fruchtbare Zusammenarbeit fortsetzen.
Einer der wichtigsten Rohstoffe unseres Landes ist
die Kultur. Deutschland muss sie pflegen, weil in ihr die
Grundlagen unserer Gemeinschaft heute und morgen liegen. Ich schlage vor, auch in der Zukunft die Allparteienkoalition für die Kultur fortzusetzen. Die Kultur in
Deutschland wird davon den größten Nutzen haben und
es uns danken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia
Jochimsen von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatsminister, ich kann Ihnen ein Lob der sogenannten Linken nicht ersparen, auch wenn das auf mein
Redezeitkonto geht.
({0})
- Weil hier im Laufe des heutigen Morgens so sehr viel
von „sogenannt“ geredet worden ist.
Ja, Sie haben einen vergleichsweise guten Haushalt
für die Kultur eingebracht und haben die Bedeutung der
Kultur, seit Sie Staatsminister sind, tatsächlich ins Zen11514
trum der Bundespolitik gerückt. Dafür ist Ihnen Achtung
zu zollen.
Jetzt werde ich allerdings etwas grundsätzlich. Wir
reden nämlich heute über die Förderung und den Schutz
unserer Kultur in einer Zeit, da Unkultur, Gewalt, Rohheit, Jagd auf Minderheiten und die offene Verhöhnung
der Demokratie Konjunktur haben. Kaum eine Woche
vergeht, in der nicht neue Nazis wieder öffentlich durch
unsere Städte marschieren, Brandreden halten und Konzerte veranstalten, die rattenfängerisch junge Leute in ihren Bann ziehen sollen. Jedes Mal schwören wir dann,
dass wir uns mehr, kontinuierlicher und intensiver mit
den Initiatoren, Anhängern und vor allem den potenziellen Sympathisanten auseinandersetzen müssen. Wie, das
allerdings wissen wir nicht so recht, und ich gestehe,
dass auch ich hilflos bin und keine umfassende Strategie
kenne.
Eine Forderung allerdings stelle ich hier im Zusammenhang mit der Debatte über den Kulturhaushalt zur
Diskussion: Wir müssen die Gedenkstätten zur nationalsozialistischen Terrorherrschaft viel mehr und viel
nachhaltiger unterstützen als bisher.
({1})
10 Millionen Euro sind im Haushalt des Kulturstaatsministers für die Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts zusätzlich eingestellt, und die KZ-Gedenkstätten Dachau, Flossenbürg, Neuengamme und BergenBelsen sollen dauerhaft gefördert werden. Das ist zu begrüßen. Erstens aber ist nicht klar, ob die Gedenkstätten
durch diese institutionelle Förderung tatsächlich einen
Euro mehr erhalten, während feststeht, dass die Projektförderung zum Beispiel für Neuengamme stark zurückgegangen ist.
({2})
Zweitens muss hier einmal beschrieben werden, wie
der Status quo, wie die Alltagssituation dieser Gedenkorte aussieht: Dachau hat 800 000 Besucher jährlich,
aber nur eine einzige pädagogische Stelle für die historische Aufarbeitung. Neuengamme hatte im letzten Jahr
1 500 Führungen zu organisieren, Mittelbau-Dora rund
1 400, und dies mit jeweils einer museumspädagogischen Stelle. Ehrenamtliche, Honorarkräfte, selbst Zivildienstleistende, was eigentlich gar nicht erlaubt ist, machen dort die Arbeit. Ein Drittel - ich bitte Sie! - der
Anfragen nach Führung und Betreuung muss abgelehnt
werden. In Neuengamme kosten die Führungen jetzt für
Schülergruppen 20 Euro und für Erwachsene 40 Euro.
Das ist der Alltag, und das ist ein Skandal.
({3})
Dieser Skandal steht im krassen Widerspruch zur Überschrift der Gedenkstättenkonzeption des Kulturstaatsministers, die da lautet: „Verantwortung wahrnehmen,
Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“. Wenn
diese drei Aufgaben ernst genommen werden, setzten
wir in der Auseinandersetzung mit den neuen Nazis, den
Gewaltbereiten, den Fremdenhassern da an, wo unbedingt angesetzt werden muss,
({4})
nämlich bei dem Bestreben, bei jungen Menschen die
Grundlagen für humanitäre und demokratische Haltung zu legen. Es muss uns gelingen, die Haltung, die
Unverletzlichkeit der Person des anderen immer und
überall zu respektieren, auch dann, wenn es Zivilcourage, ja sogar Mut kosten kann, jetzt in der Jugend zu
verankern, und wenn es noch so viele Anstrengungen
kostet.
({5})
Natürlich kann die Arbeit in den Gedenkstätten die
Gesellschaft gegen Rechtsradikalität nicht immunisieren,
aber eine kontinuierliche, vertiefende, aufklärerische Arbeit mit der Geschichte an den authentischen Orten der
Geschichte heißt, jene Verantwortung wahrzunehmen,
die das Gedenkstättenkonzept postuliert.
Ja, auch die SED-Diktatur muss aufgearbeitet werden, sehr einverstanden!
({6})
Aber die Parallelität, von der hier immer die Rede ist,
das Parallelitätsverhältnis zur Aufarbeitung der Geschichte der Nazidiktatur, wie es im Konzept heißt, ist
geschichtlich falsch und heute ganz und gar nicht hinnehmbar.
({7})
Die DDR nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
kommt nicht zurück.
({8})
Aber die neuen Barbaren, modern verkleidet, vernetzt,
gut finanziert, sind auf dem Weg.
({9})
Dagegen müssen wir etwas tun. Ich bitte Sie, uns dabei
zu unterstützen.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2010 ist noch eine Weile hin, aber im
Ruhrgebiet wirft es schon Schatten voraus: Essen wird
nämlich 2010 europäische Kulturhauptstadt. Der
Bund begleitete diese Initiative bisher schon intensiv
und wird das auch weiter tun. Schon jetzt zeigen sich
trotz kleinen Inputs enorme Synergieeffekte: So ist die
Love-Parade von Berlin nach Essen gezogen. Das ist
zwar nicht gerade ein kulturelles Highlight, aber es zeigt,
dass so eine Initiative eine ganze Region umgestalten
und neues Leben hereinbringen kann. Wir müssen, wie
ich glaube, immer wieder deutlich machen, dass Bundeskulturpolitik, auch wenn für sie nur wenig Geld zur Verfügung steht, Impulse setzen kann. Das ist uns bei vielen
Dingen ganz wichtig.
Der Haushalt wächst um 1,3 Prozent. Das ist auf der
einen Seite ein ganz gutes Ergebnis; auf der anderen
Seite sind viele Punkte offen, die noch in Angriff genommen werden müssen. Vor der Sommerpause hat ja
Staatsminister Neumann die Fortentwicklung des Gedenkstättenkonzeptes vorgelegt. Wir haben dazu heute
schon in mehreren Reden etwas gehört. Meine Kollegen
Scholz und Hübner haben dabei sehr deutlich gemacht,
dass der Rechtsextremismus eine echte Bedrohung ist
und wir etwas tun müssen, und zwar, wie ich glaube, in
ganz Deutschland, nicht nur in Ostdeutschland. Mir begegnet da durchaus auch in meinem Wahlkreis manches.
({0})
Da ist das Gedenken an die Opfer ebenso wichtig wie
das an Opposition und Widerstand in den Diktaturen.
Das festigt das Bewusstsein für Freiheit, Recht und
Demokratie. Ich denke, dass es wichtig ist, dieses aufzuarbeiten und voranzubringen. So kann nämlich Schülerinnen und Schülern gezeigt werden, wie es früher war,
insbesondere auch während der nationalsozialistischen
Diktatur bei uns. Es darf in den Gedenkstätten nicht an
Möglichkeiten für den Besuch von Schülergruppen fehlen. Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer mit einer Klasse
dorthin will, muss er bzw. sie die Möglichkeit dazu haben. Hier müssen wir unterstützend tätig werden.
({1})
Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus
dürfen wir nicht zulassen. Deshalb müssen wir diesen
Erscheinungen auch mit aktiven Angeboten im Bereich
der kulturellen Arbeit und der politischen Bildung entgegentreten. Auch das ist ein Teil unserer Arbeit, der sich
in dem Konzept widerspiegeln muss. Gedenkstätten haben dabei als Gedenk- und vor allem Lernorte eine wichtige gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Wir brauchen
aufbereitete pädagogische Angebote. Daneben sind Berichte von Zeitzeugen wichtig, aber die wird es nicht
mehr lange geben. Jetzt können sie noch in Schulen gehen. Ich vermittle viele Zeitzeugen an Schulen. Das ist
immer ein bewegendes Erlebnis. Daneben brauchen wir
aber eben die Gedenkorte als Orte, die deren Erfahrungen bleibend pädagogisch vermitteln.
({2})
Ich möchte an dieser Stelle den vielen Ehrenamtlichen danken, die vor Ort ihre Arbeit tun. Ich möchte
auch den Lehrerinnen und Lehrern danken, die trotz der
begrenzten Mittel immer wieder versuchen, diese Orte
aufzusuchen und wirklich Arbeit in das Gedenken investieren.
Im neuen Programm sollen durch eine verbesserte
Darstellung die Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur und der damalige Alltag deutlich gemacht werden.
Auch das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Punkt. Die
unterbreiteten Vorschläge bilden dafür eine Grundlage.
Wir werden aber noch über das Konzept diskutieren
müssen, denn es ist finanziell unzureichend ausgestattet.
({3})
Ein Ort wie die Normannenstraße zum Beispiel ist im
Moment überhaupt nicht berücksichtigt. Er muss zum einen baulich instandgesetzt werden, und zum anderen
muss ein pädagogisches Konzept erstellt werden.
({4})
- Im Moment ist Geld für die Mauergedenkstätten vorgesehen, Herr Kampeter.
({5})
Das ist wichtig, richtig und auch gut; denn in zwei Jahren gibt es ja insoweit einen wichtigen Gedenktag. Aber
das andere brauchen wir auch.
Ein weiteres Feld sind die vom Verfall bedrohten Einrichtungen der Stiftung Preußische Schlösser und
Gärten. Schon jetzt sind viele der Gebäude so sehr vom
Einsturz bedroht, dass sie in Teilen für den Besucherverkehr geschlossen werden müssen. Hier gilt es, etwas zu
tun, bevor sich der Zustand vieler Gebäude noch weiter
verschlechtert und es zu spät ist.
({6})
Das gilt übrigens auch für zahlreiche historisch wertvolle Gebäude in der ganzen Republik. Ich denke da an
Kirchen, alte Landhäuser, Museen. Da sollten wir prüfen, inwieweit wir ein neues Programm für die Hilfe zur
Sanierung auflegen können, wie wir es früher schon einmal hatten mit „Dach und Fach“ für Ostdeutschland.
Auch in Westdeutschland gibt es genügend Fälle, in denen Handlungsbedarf besteht.
({7})
- Darüber werden wir in den parlamentarischen Beratungen diskutieren, Herr Kampeter.
Nicht nur bei der populären Musik, für die Sie sich
besonders einsetzen - Sie haben für die „Initiative Musik“, die jetzt ihre Arbeit auf der Popkomm aufnehmen
soll, 1 Million Euro zusätzlich erwirkt, worüber wir uns
freuen -, sind wir auf einem guten Weg. Wir haben in
unserem Antrag für den Bundestag klare Vorstellungen
formuliert, die wir nun in konkrete Projekte umsetzen
müssen. Ich denke da zum Beispiel auch an die stärkere
Einbindung von Jazz in die öffentliche Förderung
({8})
oder die praktische Unterstützung von Nachwuchsbands,
zum Beispiel durch Tourbusverleih.
({9})
- Die vielen zustimmenden Zuschriften, Herr Kampeter,
die ich in den letzten Wochen bekommen habe, zeigen
mir, dass wir hier das Richtige tun. Ich bin froh, dass wir
unsere Vorschläge da einbringen können.
({10})
- Sie hören ja auch auf meine; darüber freue ich mich.
Auch im Bereich der Computerspiele geht es voran.
Nachdem besonders gewalthaltige Computerspiele in
den letzten Monaten im Fokus der Öffentlichkeit standen, wächst nun die Erkenntnis, dass man mit einer Förderung von wertvollen Inhalten mehr erreichen kann als
mit Verboten, die in ihrer Wirkung äußerst umstritten
sind und bei denen man sich auch über die Instrumente
streitet.
({11})
Mit zwei neuen kulturpolitischen Initiativen wollen wir
die Förderung erreichen. Zum einen soll mit dem Projekt
„Netz für Kinder“ eine sichere Umgebung für Minderjährige angeboten werden, die zugleich ungefährliche und
wertvolle Spiele herausstellt. Zum anderen soll es eine
Stiftung geben, in der sich Spieleentwickler, Hersteller,
Einzelhandel und Politik gemeinsam für eine bessere Akzeptanz des Mediums, für mehr Medienkompetenz und
Jugendschutz sowie eine bessere Produktionsförderung
bei hochwertigen Spielen einsetzen.
Ich denke, es fehlt nur ein Baustein: Wir brauchen einen Spielepreis, so wie den Filmpreis, mit dem wir öffentlich deutlich machen können, welche Computerspiele eine Bereicherung der Medienkultur sind, welche
zu den besten ihrer Art gehören und so von Eltern ohne
Bedenken für ihre Kinder gekauft werden können. Das
gibt gleichzeitig einen wichtigen Impuls für die Branche,
noch mehr solcher öffentlich ausgezeichneten Spiele zu
produzieren.
({12})
Ein weiteres positive Element ist, dass wir dringend
einen Medien- und Kommunikationsbericht brauchen. Wir führen zwar aktuell keine Diskussion mehr
über Pressefusion und Medienkonzentration, aber das
Thema wird uns weiter verfolgen. Ich bin froh, dass der
Kulturstaatsminister zugesagt hat, möglichst bald einen
Medien- und Kommunikationsbericht vorzulegen. Daraus können wir dann auch weitere Tätigkeiten ableiten.
Ich freue mich, dass - der Staatsminister hat es deutlich gemacht - die Deutsche Welle einen Aufwuchs von
4 Millionen Euro erfährt. Es ist der Deutschen Welle
gelungen, Kooperationsverträge mit ARD und ZDF abzuschließen. Von dem Geld können zum Beispiel
Weltsenderechte gekauft und das arabische Programm
ausgeweitet werden. Das sind beides sehr sinnvolle Investitionen.
Damit komme ich zur auswärtigen Politik. Im vorliegenden Haushaltsentwurf zeigt sich, dass Kultur nicht
nur im Inland Bedeutung hat, sondern auch im Ausland.
Wir kommen zwar gleich noch zum Haushalt des Auswärtigen Amtes, aber es ist wert, auch in der Kulturdebatte erwähnt zu werden: Die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik erhält zusätzlich 82 Millionen Euro.
Das ist ein Aufwuchs von 15 Prozent gegenüber dem
letzten Jahr. Das ist ein Erfolg.
Drei wichtige Initiativen aus dem Programm: Das
Goethe-Institut wird in diesen Monaten mit einem
neuen Konzept zukunftsfähig gemacht. Wir haben es geschafft, endlich die Budgetierung ab 2008 durchzusetzen. Das war eine Arbeit von zehn Jahren, Lothar Mark.
Außerdem können wir die Programmmittel ab dem
nächsten Jahr um rund 10 Millionen Euro erhöhen. Das
bringt die deutsche Kultur ins Ausland, und der Austausch und Dialog, den wir auf der Welt dringend brauchen, kann damit verstärkt werden. Ich finde, das ist ein
großer Erfolg. Ich möchte mich beim Außenminister
herzlich dafür bedanken, dass er das so unterstützt und
vorangebracht hat.
({13})
- Dazu komme ich jetzt.
Zum zweiten Punkt. Mit über 40 Millionen Euro werden wir eine große Schulinitiative durchführen. Das eröffnet die Chance, dass endlich wieder mehr Schülerinnen und Schüler auf der Welt Deutsch als Fremdsprache
lernen und damit eine bessere Beziehung zu unserem
Land aufbauen. Ich durfte den Ausschuss beim 150-jährigen Jubiläum der Deutschen Schule in Montevideo
vertreten
({14})
und habe gesehen, welch wichtige Arbeit die Schule dort
seit 150 Jahren leistet, wie wichtig die Anbindung an
Deutschland über die deutsche Sprache und damit über
die Deutsche Schule ist.
Die dritte Initiative heißt „Aktion Afrika“. Hier werden wir den deutsch-afrikanischen Dialog mit
20 Millionen Euro durch Schüleraustausche, Medienarbeit, Stipendien, Künstleraustausche oder Kulturprojekte
verstärken. Damit soll eine stärkere Anbindung des Kontinents über Kulturaustausch erreicht werden, also eben
nicht nur über Entwicklungsarbeit. Wir sehen immer
wieder, wie wichtig es ist, nicht nur zu kommen und zu
sagen, man müsse jetzt einmal helfen, sondern auch den
Reichtum der Länder zu erkennen, sich mit ihnen zu verständigen und in einen Dialog einzutreten. Das ist etwas
anderes, als zu kommen, nur um zu helfen.
Ich bin froh, dass wir mit diesem Haushalt zeigen
können, dass die Themen der Kultur- und Medienpolitik
sowohl im Inland als auch im Ausland wichtige Themen
sind, Themen mit Zukunft, die wir als solche verstehen.
Ich freue mich, dass wir in den Ausschüssen mit allen
Fraktionen wirklich gut zusammengearbeitet haben. Dafür möchte ich mich bedanken.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich freuen auch wir uns über den Aufwuchs des
Haushalts im Kulturbereich; daran gibt es nichts zu deuteln. Als Thüringerin freue ich mich ganz besonders über
die Aufwüchse bei der Klassik-Stiftung Weimar. Es hat
sich gezeigt, dass es hier eine gesamtstaatliche Verantwortung gibt, und das ist gut so.
({0})
Weil eine kurze Redezeit für die Opposition natürlich
nicht dazu einlädt, zu langen Lobreden anzuheben, will
ich an dieser Stelle auf das Thema Gedenkstättenkonzept und Erinnerungskultur zu sprechen kommen;
Herr Neumann, Sie haben es in Ihrer Rede kurz erwähnt.
Der Entwurf nennt sich zwar „Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption“, weist aber doch einige sehr
markante Unterschiede zu dem auf, was die rot-grüne
Bundesregierung mit ihrer Gedenkstättenkonzeption auf
den Tisch gelegt hat.
({1})
Es geht um Unterschiede, die man leicht übersehen
kann, insbesondere wenn man weiß, dass es um
10 Millionen Euro mehr für die Gedenkstättenförderung
geht. Dennoch: Erstens ist genaues Hinsehen angesagt,
zweitens muss natürlich eine öffentliche Diskussion
stattfinden; denn es geht um politische Gewichtung. An
dieser Stelle möchte ich sagen: Ich bin sehr froh, dass
der Kulturstaatsminister nicht dem Gedenkstättenkonzept mit der Art von Erinnerungskultur folgt, das die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einiger Zeit vorgelegt hat und das eine deutliche Verschiebung der
Schwerpunkte vorgesehen hat.
Dennoch sind ein paar kritische Anmerkungen nötig.
Insbesondere möchte ich einiges zum Gedenken und zur
Aufarbeitung hinsichtlich des Nationalsozialismus sagen; Frau Jochimsen hat hier schon auf einiges hingewiesen. Natürlich ist es gut, wenn auch die westdeutschen KZ-Gedenkstätten in die institutionelle Förderung
aufgenommen werden. Es fällt aber auf, dass im vorliegenden Entwurf die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements für die Erinnerungskultur nicht
mehr ausdrücklich erwähnt und gewürdigt wird.
({2})
Das ist ein Problem, weil dann gerade die zivilgesellschaftlichen Projekte im Bereich der Erinnerung an den
Nationalsozialismus nicht mehr möglich sind. Damit
entsteht die Gefahr, eine Institutionalisierung der Erinnerungskultur in Gang zu setzen, nach dem Motto: Wir, die
öffentlichen Institutionen, erledigen das mit der Erinnerungsarbeit schon für euch.
Ich möchte gern daran erinnern, dass sowohl in der alten Bundesrepublik als auch in der Nachwende-DDR die
Aufarbeitung der Vergangenheit von der Zivilgesellschaft politisch erkämpft werden musste. Auch deswegen ist es dringend notwendig, dies zu würdigen.
({3})
Gerade die Projekte, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen - wir alle wissen das -, sind besonders
erfolgreich und tragen viel zur Erinnerungskultur bei.
Ich nenne nur das Beispiel des Projekts „Stolpersteine“
des Künstlers Gunter Demnig, an dem sich viele hier im
Hause auf unterschiedliche Art und Weise beteiligt haben. Es muss freie Töpfe für zivilgesellschaftliche Projekte geben, ohne die wir in der Erinnerungskultur in
Deutschland nicht auskommen, meine Damen und Herren.
({4})
Ich glaube übrigens, dass sich die paternalistische Art
nach dem Motto „Wir regeln das schon für euch“ auch
darin widerspiegelt, dass die inhaltliche Autonomie
und die politische Unabhängigkeit der KZ-Gedenkstätten im vorliegenden Entwurf eben nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden. Das klingt ein bisschen danach, als ob man politisch Einfluss nehmen will.
Damit komme ich zu den Kriterien bezüglich der
Förderungswürdigkeit. Natürlich ist es richtig, dass der
nationale und internationale Stellenwert des Ortes entscheidend ist. Dann wird aber gleich als Kriterium,
durch das dieser Stellenwert zum Ausdruck kommen
soll, die Besucherzahl genannt. Wenn man sich überlegt,
was es bedeutet, dass an der Besucherzahl gemessen
wird, ob eine Gedenkstätte förderungswürdig ist, dann
entsteht das Problem, dass aus den ehemaligen KZs und
den heutigen Gedenkstätten Museen gemacht werden.
Das ist aber nicht angemessen, weil es dort um die Auseinandersetzung mit den Orten unserer eigenen Erinnerung geht.
({5})
Das sind übrigens auch riesige Friedhöfe. Auch mit
Rücksicht auf die Opfer sollten wir nicht so tun, als ob
die Besucherzahl das einzig relevante oder auch nur das
erste Kriterium sein könnte.
Wir brauchen Evaluierung. Wir brauchen übrigens
auch eine öffentliche Diskussion. Ich würde mir sehr
wünschen, dass auch mit denjenigen, die in diesen Gedenkstätten arbeiten, über das Gedenkstättenkonzept diskutiert wird. Das ist bisher nicht geschehen.
({6})
Wichtig ist im diesem Zusammenhang übrigens auch,
dass wir die Rahmenbedingungen für eine qualitativ
hochstehende wissenschaftliche Arbeit und für eine gute
Bildungsarbeit dauerhaft sichern. Auch hierauf ist hingewiesen worden. Dies ist offensichtlich auch nötig, wie
wir an dem Beispiel der ehemaligen NDR-Journalistin
Eva Herman und übrigens auch an den Reaktionen auf
ihre Äußerungen gesehen haben.
Wir brauchen diese Arbeit auch, wenn wir die neonazistischen Umtriebe bekämpfen wollen. Beides gehört
zusammen: die Bildungsarbeit in den Gedenkstätten und
das, was wir heute tun.
Ein letzter Punkt. Ich möchte nicht, dass es zu einer
Verschiebung und zu einer Parallelisierung kommt, was
die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, die notwendig
ist, angeht. Eine solche Verschiebung beziehungsweise
Parallelisierung feiert hier und da fröhliche Urständ, wie
sich an den Äußerungen aus den Reihen insbesondere
der Linken zum Schießbefehl sehr deutlich zeigt.
({7})
Dennoch sind es zwei unterschiedliche Themen, die
wir unterschiedlich behandeln sollten. Wir sollten nicht
so tun, als ob wir das, was die Stasi-Unterlagenbehörde
heute macht, für verzichtbar erklären könnten. Ich
glaube, auch hierfür brauchen wir diesen Ort der Erinnerung. Wir brauchen die Fortsetzung dieser Arbeit.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten. Würden Sie trotzdem eine
Zwischenfrage des Kollegen Börnsen zulassen? Dann
könnte ich die Uhr stoppen.
Das kommt mir zugute, Herr Börnsen, in der Hoffnung, dass Sie die richtige Frage stellen.
({0})
- Herr Börnsen und ich sprechen eigentlich nicht miteinander. Diese Frage war also nicht abgesprochen.
({1})
Wir haben gerade erst gestern Abend miteinander gesprochen.
({0})
Sehr angenehm! Es war kein Geheimgespräch zwischen
Christdemokraten und Grünen - noch kein Geheimgespräch.
({1})
- Tja.
Frau Vizepräsidentin, ich finde, dass Sie sehr nachdenklich über das Konzept gesprochen haben, dass Sie
aber, wie es in einer Rede dann eben stattfindet, auch ein
wenig schwarz-weiß gemalt haben.
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass das Konzept,
das der Staatsminister vorgelegt hat, sehr wohl zwischen
den Diktaturen, die wir erlebt und erlitten haben, differenziert und auch sehr wohl deutlich macht, dass wir die
Erinnerungsüberlegungen hinsichtlich der NS-Herrschaft in ihrer ganzen Brutalität verstetigen und verstärken müssen und dass wir unabhängig davon auch einen
Aufholbedarf in der Frage der DDR-Geschichte haben?
Würden Sie Folgendes vielleicht noch einmal deutlich machen: In keiner Zeile ist erwähnt, dass es einen
politischen Einfluss geben kann. Im Gegenteil: Wir haben deutlich gemacht, dass es die Aufgabe der Zivilgesellschaft ist, dafür zu sorgen, dass es wie in der Vergangenheit eine gemeinsame Aufarbeitung der schlimmen
Erbschaften zweier Diktaturen gibt.
Dritter Punkt. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass man sich im Rahmen der Erinnerung an die Mauer
und der Erinnerung um das Brandenburger Tor herum
sehr wohl bemüht, ein Konzept vorzulegen, mit dem auf
die Symbolhaftigkeit der Erinnerung abgestellt wird?
Letzter Punkt. Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass die beiden Koalitionsfraktionen und auch Ihre
Fraktion bei den ersten Überlegungen des Staatsministers im Ausschuss für Kultur und Medien gesagt haben:
Wir benötigen ein großes Anhörungsverfahren mit allen
Betroffenen und Beteiligten, weil dieses Konzept es verdient, gemeinsam diskutiert und von allen getragen zu
werden.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, würden Sie Ihre Antwort bitte mit den noch ausstehenden Schlussbemerkungen verbinden.
({0})
Herr Kollege Börnsen, ich möchte bemerken, dass Sie
sich für eine Zwischenfrage gemeldet, aber vier gestellt
haben.
({1})
Er hat sozusagen vier Antworten bestellt.
Ich freue mich sehr, dass wir uns einig sind, was das
zivilgesellschaftliche Engagement angeht.
({0})
Es kann in der weiteren Diskussion des Konzeptes eine
Rolle spielen. Wenn es aufgenommen wird, kommen wir
an diesem Punkt sicherlich weiter. Ich würde mich darüber sehr freuen. Ich sage noch einmal, dass wir darauf
definitiv nicht verzichten können.
Ich will auch etwas zu dem Punkt Parallelisierung der
Aufarbeitung der NS-Diktatur und der Aufarbeitung der
DDR-Geschichte sagen. In dem Konzept wird in der Tat
zunächst auf die Unterschiede der beiden Systeme hingewiesen. Aber dann wird - auch was die Sprache angeht - doch eine Parallelisierung vorgenommen. Bei der
Diskussion müssen wir deutlich machen, dass wir diese
zwei sehr unterschiedlichen Weisen, mit der Geschichte
umzugehen, brauchen. Wir sollten nicht so tun, als ob
man einfach über zwei deutsche Diktaturen redet. Wenn
wir uns darüber einig sind, dann kommen wir zusammen.
Ich bin ganz sicher, dass wir eine öffentliche Diskussion brauchen. Deswegen ist die Anhörung wichtig. Wir
brauchen aber nicht nur eine Diskussion in Fachkreisen,
sondern wir müssen uns selbst darüber klar werden, wie
wir mit unserer eigenen Geschichte umgehen. Dafür
brauchen wir die Zivilgesellschaft. Aber auch die Debatte im Ausschuss und im Deutschen Bundestag sowie
die öffentliche Debatte sind wichtig. Dies gilt besonders
angesichts des braunen Mobs, der zurückkehrt. Das ist
übrigens nicht nur ein ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Problem, dem wir uns stellen müssen.
Wir dürfen die KZ-Gedenkstätten nicht zu Museen
machen, sondern wir müssen sie zu Orten lebendiger Erinnerung machen. Sie müssen unabhängig bleiben, weil
die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Bildungsarbeit so in einer freien Atmosphäre stattfinden können.
Das halte ich für einen ganz zentralen Punkt.
Ich glaube, wenn wir all diese Punkte in unserer Diskussion berücksichtigen, dann werden wir das, was wir
gesellschaftlich so dringend nötig haben, zusammen hinbekommen.
Vielen Dank.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Hans-Joachim Otto das Wort.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Teil der Debatte, der sich auf die Kultur bezog, beinhaltete sicherlich einen Strauß von Themen. Bemerkenswert ist allerdings, dass in einer Haushaltsdebatte zu der Position des
Haushalts, die mit Abstand den größten Anteil aufweist,
kein Wort gesagt wurde. Die Hauptstadtkulturförderung macht mehr als 50 Prozent des Etats von Staatsminister Neumann aus. Aber keiner der vier von mir geschätzten Vorredner hat hierzu ein Wort verloren.
({0})
- Nein, die Hauptstadtkulturförderung hat auch ohne die
Deutsche Welle einen Anteil von über 50 Prozent, Frau
Kollegin Griefahn.
Es bestünde durchaus ein aktueller Anlass, zur Hauptstadtkulturförderung mehr als nur ein Wort zu verlieren.
Denn nach Presseberichten, so jüngst im Spiegel, soll es
zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung
in Person von Herrn Neumann Verhandlungen darüber
geben, dass der Bund seinen Anteil zur Unterstützung
der Staatsoper Unter den Linden maßgeblich erhöht.
Nun weiß ich natürlich nicht, ob diese Presseberichte zutreffend sind. Aber es bestünde jedenfalls Anlass, einmal
darüber zu reden, zumal es sich um haushaltsaktive Positionen handelt. Der Spiegel schreibt, dass der Bund bereit sei, erheblich mehr Geld zu geben. Mich würde
schon interessieren, wie das haushaltstechnisch bewältigt werden soll.
Ein Weiteres. In Art. 22 des Grundgesetzes steht zur
Hauptstadtkulturförderung - daran darf ich erinnern -:
„Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Können wir es zulassen, dass der Deutsche Bundestag an der
Hauptstadtkulturförderung allenfalls marginal beteiligt
wird, dass dieser Bereich durch eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Berlin und dem Bund geregelt wird?
Können wir es uns nicht herausnehmen, zu sagen, dass
hier ein klarer Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin
und dem Bund abgeschlossen werden muss, damit auch
die Parlamentarier, und zwar sowohl im Abgeordnetenhaus von Berlin als auch im Bundestag, beteiligt werden?
Auch wenn viele schöne Themen besprochen worden
sind, muss ich bemängeln, dass dieses Thema in unserer
heutigen Haushaltsdebatte fehlte.
Es wird eine weitere Kurzintervention gewünscht,
und zwar vom Kollegen Kampeter.
({0})
Er bezieht sich auf den Redebeitrag der Kollegin
Göring-Eckardt.
Ich bitte Frau Kollegin Göring-Eckardt, ihm zuzuhören und ihre Aufmerksamkeit von Herrn Trittin abzuwenden, damit sie anschließend auf die Kurzintervention
reagieren kann. - Bitte schön, Herr Kampeter.
Auch ich will meine Enttäuschung darüber ausdrücken, dass die Kollegin Göring-Eckardt es versäumt hat,
zu diesen wichtigen Fragen der Hauptstadtkulturförderung Stellung zu nehmen. Ich will in diesem Zusammenhang gerne auf einige Aspekte hinweisen:
Erstens. Der Bund steht zu seiner Verantwortung für
Berlin als Hauptstadt und auch für deren kulturelle
Funktion.
Zweitens. Sowohl bezogen auf Fragen der Kultur als
auch bezogen auf Fragen der inneren Sicherheit gibt es
sehr intensive Verhandlungen mit dem Land Berlin.
Drittens. Wenn ich den Sachstand richtig interpretiere, hat der Regierende Bürgermeister das sehr großzügige Angebot einer Investitionsförderung zugunsten der
Berliner Staatsoper seitens der Regierung - sie hätte es
dem Parlament wahrscheinlich später vorgelegt - abgelehnt.
Viertens. Ich gehe davon aus, dass alle Prozesse, die
als Bundesleistung für Berlin zu verstehen sind, bei den
Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag eine
große Rolle spielen werden, sodass keinerlei Beschlussfassung am Parlament vorbei zu befürchten ist.
({0})
Frau Kollegin, wollen Sie reagieren? - Sie müssen
nicht, Sie dürfen.
Ich weiß, dass ich antworten darf. - Ich freue mich
natürlich sehr darüber, dass ausgerechnet ich dafür verantwortlich gemacht werde, dass die Hauptstadtkultur in
dieser Debatte keine Rolle gespielt hat.
({0})
Herr Kampeter, das finde ich sehr ehrenwert. Möglicherweise haben Sie immer noch das Gefühl, dass ich einer
Regierungsfraktion angehöre. Das wird auch bald wieder so sein, und dann wird man dieses Thema hier entsprechend behandeln können.
Vielen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05.
Das Wort hat Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Fast bin ich versucht zu sagen: So viel Außenpolitik war nie. Das liegt nicht daran, dass wir in diesem
Jahr zwei geeignete Bühnen, die G-8-Präsidentschaft
und die EU-Präsidentschaft, zur Verfügung hatten. Wir
haben diese Präsidentschaften - das haben Sie gesehen nicht nur ertragen oder sind dabei, sie zu überstehen. Wir
haben die kleinen und großen Gipfel in Berlin, Brüssel,
Heiligendamm, Bremen, Hamburg, Nürnberg, Potsdam
und wo immer sonst nicht nur protokollarisch bewältigt,
sondern auch versucht, das zu tun, was von uns gefordert
wurde: Wir haben die Präsidentschaften für eine kraftvolle politische Gestaltung genutzt.
({0})
Das hat, wie ich finde, geholfen. Das hat geholfen,
Europa wieder aus der Krise zu führen, und das hat dazu
beigetragen, dass Europas Stimme in der internationalen
Politik wieder wahrnehmbarer geworden ist. Dafür haben in erster Linie nicht wir uns, sondern andere uns gelobt. Auch deshalb stehen wir weiterhin in der Verantwortung, diese Politik auch unabhängig von einer
Präsidentschaft voranzutreiben.
({1})
Noch etwas ist uns gelungen - nicht in den letzten
sechs Monaten, aber in den letzten zwei Jahren -: Ohne
das deutsche Engagement bei den internationalen Konflikten auf dem Balkan, in Afghanistan, im Nahen Osten
und in Afrika, wo wir gebraucht wurden, zu vernachlässigen, haben wir für ein neues Verständnis von Außenpolitik geworben. Wir haben dafür geworben, dass mit
der Globalisierung neue Aufgaben auf die Außenpolitik
zukommen, auf die wir uns jetzt und nicht irgendwann
vorbereiten müssen.
Ich habe vor zwei Jahren auf der Münchener Sicherheitskonferenz - der eine oder andere von Ihnen war dabei, wie ich mich erinnere - ein Plädoyer für eine vorausschauende Außenpolitik gehalten: für eine Außenpolitik,
die sich bereits jetzt um die zu erwartenden Verteilungskonflikte um knappe Ressourcen wie Energie, Rohstoffe, Wasser und Nahrung kümmert, für eine vorausschauende Außenpolitik, die Instrumente dafür
entwickelt, dass sich aus solchen Interessensgegensätzen
keine Konflikte entwickeln, für eine Außenpolitik, die
die guten Erfahrungen der Entspannungspolitik vergangener Tage nutzt.
({2})
Ich erinnere mich auch, dass dieses Plädoyer vor zwei
Jahren von den alten NATO-Hasen auf der Münchener
Sicherheitskonferenz noch etwas belächelt wurde. Heute
lacht keiner mehr. Nur, die Rezepte, die jetzt vorgelegt
werden, sind noch nicht die richtigen. Ich bin fest davon
überzeugt, dass der Vorschlag für die Schaffung einer
„Energie-NATO“ nicht die richtige Antwort auf die Fragen ist, die sich uns stellen werden. Da müssen wir dickere Bretter bohren. Seien Sie sicher: Ich jedenfalls
habe keine Scheu davor.
({3})
Zu den weltweit knappen Gütern gehört - lassen Sie
mich das so offen sagen - leider manchmal auch die
Vernunft. Ich habe vor einigen Monaten hier im Deutschen Bundestag bei einer abrüstungspolitischen Debatte
schon einmal darauf hingewiesen, welche Sorgen hier
angezeigt sind. Ich bin froh - die Entwicklung der jüngsten Diskussionen zeigt dies -, dass ich mit dieser Auffassung nicht ganz allein bin.
Ich weiß nicht, ob der eine oder andere von Ihnen den
Weckruf dreier großer amerikanischer Außenpolitiker
gehört hat.
({4})
Kissinger, Shultz und Nunn haben darauf hingewiesen,
dass Abrüstung und Nonproliferation keine Themen von
gestern sind,
({5})
dass sie jetzt vielleicht fast noch brisanter sind als im
Kalten Krieg. Das ist der Grund dafür, warum ich mich
- ich bekenne das offen - trotz vieler Enttäuschungen
und trotz mancher Frustrationen weiter geduldig um eine
Lösung des Iran-Konflikts kümmern werde
({6})
und warum wir auch weiterhin - hoffentlich gemeinsam
mit den Amerikanern, Russen und Chinesen - versuchen
werden, den Iran von nuklearen Abenteuern abzuhalten,
ihn endlich auf den richtigen Weg zu bringen und zu ermutigen, eine konstruktive Rolle bei der Lösung der
Konflikte im Libanon, im Irak und auch in Afghanistan
zu übernehmen. Entschiedenheit ist eine Voraussetzung
dafür, und die haben wir.
Aber auch jenseits des iranischen Nuklearthemas gehören Abrüstung und Rüstungskontrolle aus meiner
Sicht wieder auf die internationale Agenda. Es geht dabei nicht nur um Missile Defense oder die Vakuumbombe. Wir haben - lassen Sie mich das etwas nachdrücklicher sagen - ein europäisches Interesse daran,
dass die über Jahrzehnte entwickelte Abrüstungsarchitektur nicht komplett rückabgewickelt wird. Solche Bedrohungen bestehen. Deshalb sage ich: Wir können diese
Dinge nicht einfach laufen lassen.
({7})
Ich fühle mich in der Pflicht, Vorschläge zu machen.
Die deutsche Bundesregierung hat dies in Abstimmung
mit den zuständigen Ministerien etwa bezüglich der Reform des Nichtverbreitungsvertrages gemacht, um den
nationalen Ehrgeiz verschiedener Länder zur Schließung
des Brennstoffkreislaufs zu begrenzen und daraus resultierende Gefahren abzuwenden. Dieses europäische Interesse ist für mich auch der Grund, weshalb wir es nicht
zulassen dürfen, dass Verträge, über die lange verhandelt
wurde, wie zum Beispiel das Abkommen über die Begrenzung der konventionellen Rüstung, einfach so in die
Tonne getreten werden. Wie viele andere ärgere auch ich
mich darüber, dass wir jetzt in einer Situation sind, in der
das Abkommen leichthin suspendiert wird. Natürlich
wäre es am einfachsten, darauf mit Verbalattacken und
mit dem Abbruch der Gespräche zu antworten. Würde
man das tun, wären einem am nächsten Tag zumindest
die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und die Schlagzeilen in den Zeitungen sicher.
Nur - das ist meine Herangehensweise -: Zu einer
Lösung trägt all dies nicht bei. Deshalb ist es vernünftig,
dass wir neue - sicher mühselige - Gespräche aufnehmen, um das ganz offenbar verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen. Ich habe für den nächsten
Monat zu einer KSE-Konferenz nach Berlin eingeladen,
um zu versuchen, das, was schon kaputtgegangen ist, einigermaßen zu reparieren.
({8})
Warum all das? Weil ich nicht einsehen kann, dass andere über europäische Interessen entscheiden. Wir haben
hier ein gewichtiges Wort mitzureden.
({9})
Meine Damen und Herren, die Ansätze der Vernunft
und der Nutzung der Dialogmöglichkeiten werden wir
auch im Rahmen der diversen Regionalkonflikte, über
die heute Morgen schon gesprochen worden ist, verfolgen. Diesen Ansätzen werden wir treu bleiben.
Im Nahen Osten haben wir die Europäische Union
- das konnten Sie in den ersten sechs Monaten dieses
Jahres beobachten - als ernstzunehmenden Akteur zurück an den Verhandlungstisch gebracht; damit haben
wir viel erreicht, wenn auch noch keine Lösung gefunden worden ist. Das war nur deshalb möglich, weil wir
dafür gesorgt haben, dass Europa seine Stellungnahmen
verantwortungsvoll und vor allen Dingen geschlossen
abgibt, damit im Nahen Osten nicht fünf, sechs unterschiedliche Meinungen aus Europa herumgeistern; denn
das würde keinem helfen.
Ich glaube, wir haben mit dazu beigetragen, dass das
Nahostquartett wieder aktiv geworden ist und in der arabischen Welt Partner gefunden hat. Niemand fragt uns
heute noch: Was wollt ihr Europäer bzw. ihr Deutschen
eigentlich im Nahen Osten? Vielmehr werden wir von
Israel und von den Palästinensern aufgefordert, unser
Engagement in dieser Region aufrechtzuerhalten bzw. es
womöglich noch zu steigern. Vertrauen haben wir jedenfalls auf beiden Seiten gewonnen. Vielleicht sind wir sogar diejenigen, die auch mit schwierigen, für eine Gesamtlösung aber unverzichtbaren Partnern wie zum
Beispiel Syrien reden können.
({10})
Ich glaube, dass das, was ich zum Nahostkonflikt gesagt habe, trotz aller Unwägbarkeiten auch für den Verlauf des Konflikts im Kosovo gilt. In den sechs Monaten
unserer Präsidentschaft haben wir es immerhin geschafft, im Hinblick auf den Kosovo-Konflikt eine gemeinsame europäische Haltung zu bewahren - wahrlich
nicht ohne Mühe, wahrlich nicht ohne Konflikte, am
Ende aber erfolgreich. Als die Verhandlungen im Sicherheitsrat stockten und vorläufig scheiterten, waren es vor
allem wir, die gesagt haben: Lasst uns jetzt dafür sorgen,
dass keine Krise ausbricht - das Risiko der Gewaltanwendung war nämlich vorhanden -, und lasst uns einen
Weg finden, einen neuen Verhandlungsprozess zu beginnen. Mittlerweile läuft dieser Prozess. Er dauert
120 Tage und findet unter dem Dach einer Troika bzw.
unter dem Dach der VN statt. Dadurch konnte der offene
Bruch, der zu befürchten war, vermieden werden. Ich
hoffe, dass es uns gelingt, auf beiden Seiten die Kräfte
zu mobilisieren, die für Mäßigung und für die Verfolgung gemeinsamer Interessen stehen.
({11})
Zu den zentralen Themen gehört unser Engagement
in Afghanistan - viele von Ihnen haben sich dazu heute
bereits geäußert -, über das wir in den nächsten Wochen
in diesem Hause noch vielfach miteinander diskutieren
werden. Deshalb möchte ich nur einige Sätze zu meinem
Grundverständnis sagen. Das, worüber wir in diesem
Zusammenhang diskutieren werden, ist für mich keine
pure Realpolitik. Unser Engagement in diesem Land ist
ein humanes und politisch-moralisches Projekt. Deshalb
ärgert es mich ganz gewaltig, dass wir die Diskussion,
die wir unter den politisch Verantwortlichen führen, immer auf den Streit um Mandatskürzel reduzieren.
({12})
Die Weltgemeinschaft hat Afghanistan im Jahr 2001
auf dem Bonner Petersberg und wiederholt auf anderen
internationalen Konferenzen versprochen, es aus der
Spirale von Willkür, Rechtlosigkeit und Gewalt zu befreien. Sie, Herr Westerwelle und Herr Struck, haben in
diesem Zusammenhang Beispiele angeführt, die ich
nicht wiederholen muss. Wir haben den Menschen in
Afghanistan versprochen, ihnen ein Leben in Freiheit
und Würde zu ermöglichen. Mit dieser in ziviler Hinsicht immer stärker und in militärischer vielleicht immer
schwächer werdenden Aufgabe sind wir noch nicht fertig. Das ist schlicht und einfach der Punkt.
Deshalb plädiere ich nicht für ein bloßes Weiter-so.
Das war weder in der Vergangenheit meine Position
noch ist sie es jetzt. Wir waren diejenigen, die das PRTKonzept entwickelt haben; das Stichwort ist heute Morgen schon gefallen. Wir waren es, die in den NATO-Gremien mit dafür gefochten haben, dass der zivile Wiederaufbau einen höheren Stellenwert erhält. Wir haben auch
in den NATO-Gremien dafür gefochten, dass die Einsatzregeln für ISAF angepasst werden, dass der Schutz
unschuldiger Zivilisten einen höheren Stellenwert bekommt. Man hat da auch auf uns gehört; das bitte ich
nicht kleinzureden. Wir wollen, dass unsere Botschaften
auch in Zukunft gehört werden.
Natürlich werden wir unser Engagement in Afghanistan immer wieder kritisch überprüfen und dort, wo es
notwendig ist, anpassen; das haben Sie, glaube ich, bei
den fortgeschriebenen Konzepten unseres AfghanistanEngagements gespürt. Ich will diese Gelegenheit nutzen,
um mich bei all denjenigen ausdrücklich zu bedanken,
die in den letzten Wochen an Vorschlägen gearbeitet haben, die wir Gott sei Dank in das Papier, das Sie mittlerweile kennen, einarbeiten konnten.
Deutlich geworden ist doch eines: Wir erfüllen unsere
Aufgabe in Afghanistan, wenn wir erfolgreich dafür sorgen, dass funktionierende staatliche Strukturen entstehen. Deshalb brauchen wir nicht nur ein Weiter-so, sondern mehr Elan bei der Ausbildung der afghanischen
Armee, der afghanischen Polizei sowie - das wird gerne
unterschlagen - der Richter und Staatsanwälte. Auch da
sind wir engagiert.
({13})
Wir brauchen ein wirkliches Engagement und nicht nur
Lippenbekenntnisse. Deshalb, lieber Fritz Kuhn - ich
schätze Dich; das weißt Du -, ist „halb rein und halb
raus“ keine Antwort auf die Anforderungen, die dort an
uns gestellt werden.
({14})
Ich komme zum Schluss, weil ich aufgrund meiner
Redezeit zum Schluss kommen muss. Ich hätte gerne
noch ein paar längere Ausführungen zur auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik gemacht. Ich will nur,
Monika Griefahn, ein kleines Beispiel nennen: Gerade
hat der frühere französische Außenminister Hubert
Védrine dem französischen Präsidenten, den wir erst
diese Woche zu Gast hatten, einen Bericht vorgelegt.
({15})
Was steht in diesem Bericht? Es finden sich viele kritische Bemerkungen über die französische Außenpolitik,
aber auch ein Plädoyer für die Ausweitung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik mit all den Argumenten,
die Sie von mir aus vergangenen Reden kennen. Das
sind Investitionen in unsere eigene Zukunft. Ich bin froh,
dass der Finanzminister das genauso sieht wie ich. Ich
bedanke mich dafür und hoffe auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({16})
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
letzten sechs Monate waren geprägt von Gipfeln, Glanz
und roten Teppichen. Jetzt sind die Mühen der Ebene in
der Außenpolitik wieder erreicht. Die Bundesregierung
hat - mein Fraktionsvorsitzender hat das heute Morgen
klargemacht - diese Aufgaben gut bewältigt. Wir gratulieren dazu. Wir schließen in unseren Dank insbesondere
Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die der anDr. Werner Hoyer
deren Häuser ein. Das war eine große Herausforderung,
die bewältigt werden musste, und das ist gut gelungen.
({0})
Ich hätte mich umso mehr gefreut, wenn Sie gerade
unter diesen Gesichtspunkten den Antrag zu Strukturverbesserungen im Auswärtigen Amt, den die FDP eingebracht hat, nicht abgeschmettert hätten, obwohl die Außenpolitiker der Koalition und auch der Minister selbst
sehr viele Sympathien dafür gezeigt haben. Wir kommen
darauf zurück: Mein Kollege Koppelin wird nachher mit
einigen ganz konkreten Vorschlägen für die Verbesserung der Situation des Auswärtigen Amtes aufwarten.
Wir - nicht nur wir Liberale, sondern, wie ich denke,
die große Mehrheit hier im Hause - hatten uns bei der
europäischen Verfassung ambitioniertere Ziele gesetzt,
als unter deutscher Präsidentschaft erreichbar waren.
Trotzdem ist es gut, dass der Prozess wieder in Gang gekommen ist. Die EU muss demokratischer, transparenter,
handlungsfähiger und bescheidener werden. Nicht alles,
was im Juni beschlossen worden ist, geht in die richtige
Richtung. Deshalb ist es umso wichtiger, jetzt keine weitere Verwässerung zuzulassen. Es erfüllt uns Liberale mit
großer Sorge, dass einige Partner schon wieder bohren
und Forderungen erheben, die mit den Ergebnissen vom
Juni nicht vereinbar sind, insbesondere was die Vereinbarung in Sachen Grundrechtecharta, aber auch was die
Abstimmungsprozeduren angeht. Diese Vereinbarungen
müssen gewahrt werden.
({1})
Darüber hinaus sage ich als Liberaler: Einem weiteren Kratzen an der Unabhängigkeit der Europäischen
Zentralbank und an der Verpflichtung auf unverfälschten, freien Wettbewerb werden wir Liberalen auf keinen
Fall zustimmen.
({2})
Es wäre im Übrigen fatal, wenn sich die Reform der
Europäischen Union weiter hinzöge und mit den Verhandlungen über die Zukunft der EU-Finanzen in Zusammenhang geriete. Herr Minister, ich habe die große
Befürchtung, das würde für den deutschen Steuerzahler
sehr teuer werden.
Ein Wort zur europäischen Außenpolitik. Es ist ja
nicht zu übersehen, dass es die immer stärker werdende
Tendenz gibt, nationale Interessen über das Gemeinschaftsinteresse zu stellen. Es kann nicht sein, dass es,
wie es im Falle der Verhandlungen Tschechiens und Polens mit den USA über die Stationierung eines Raketenabwehrsystems, wie es bei der Annäherung Spaniens an
das Regime Fidel Castros auf Kuba oder wie es beim
jüngsten französisch-libyschen Nuklearabkommen gewesen ist, keine Abstimmung im Kreise der 27 gibt. Für
uns sind das elementare Fragen, die in den Rat der Europäischen Union gehören.
({3})
Im Übrigen muss ich sagen: Die Verbindung der von
Ihnen sehr diskret vorverhandelten Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern in Libyen mit dem französisch-libyschen Nukleardeal desavouiert nachträglich
Ihre anerkennenswerten Bemühungen. Ich finde, das ist
inakzeptabel.
({4})
Das gilt erst recht, wenn hinterher in geradezu zynischer
Weise von einem Spitzenfunktionär der libyschen Seite
darauf hingewiesen wird, dass alle Vorwürfe, die die europäische Seite Libyen gemacht hatte, selbstverständlich
zutreffen.
Dass der deutsch-französische Motor ins Stottern
geraten ist, kann uns nicht fröhlich stimmen. Wenn in
Frankreich nun schon regierungsamtlich durchgestochen
wird, Angela Merkel gehe dem französischen Präsidenten auf die Nerven, dann verheißt das nichts Gutes für
die Zukunft. Ich finde es ja gut, dass die Marginalisierung der kleinen und mittleren Staaten in Europa vorbei
ist. Ich finde es gut, dass wir zurückkehren zu der Politik
von Genscher und Kohl, für die die Ebenbürtigkeit der
Staaten der Europäischen Union - unabhängig von
Größe, Wirtschaftskraft, Lage und Zeit der Zugehörigkeit zur Europäischen Union - immer entscheidend war.
Trotzdem gilt es immer noch, zu beachten: Ohne
deutsch-französischen Konsens läuft in der Europäischen Union nichts. Übrigens bleibt auch die zweite
Lehre gültig: Deutschland darf sich niemals in die Situation bringen, zwischen Washington und Paris wählen zu
müssen.
Der Prozess der Abnabelung von der Außenpolitik
der Regierung Schröder/Fischer ist erfolgreich vollzogen; das anerkennen wir. Ich fand im Übrigen den Auftritt der Bundeskanzlerin in Peking herzerfrischend. Das
war gewissermaßen der Schlusspunkt in einer Reihe von
Auftritten: in Moskau zum Thema Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, in Washington zum
Thema Guantanamo Bay und jetzt in China. Das zeigt,
dass man für die eigenen Werte und Überzeugungen, für
das, was die ethische Grundlage unseres politischen
Handelns ist, eintreten kann, ja dass man die Achtung
des politischen Gegenübers verliert, wenn man nicht für
das eintritt, was man für richtig hält.
({5})
Gerade in Menschenrechtsfragen ist der Kotau unangemessen, wirkt geradezu kontraproduktiv. Allerdings ist
es eher ein Zeichen von Hilflosigkeit und Naivität, zu
glauben, mit kräftigen Sprüchen und mit dem Androhen
von Druck könnte man so gewichtige Partner bewegen.
({6})
- Das gilt sehr allgemein, Kollege Mark, aber insbesondere im Umgang mit China.
Wir müssen kulturelle, religiöse und philosophische
Grundlagen, aufgrund derer unsere Partner Politik ma11524
chen, stärker ins Kalkül einbeziehen und uns darauf einstellen, wenn wir unsere eigenen Ziele definieren. Das
gilt auch für ein so komplexes Land wie Afghanistan.
Das ist ein Zeichen dafür, dass es hohe Zeit wird, mit
mehr Demut an diese Fragen heranzugehen. Das gilt
schon für die Definition von Zielen und erst recht für die
Definition von Strategien, mit denen wir diese Ziele erreichen wollen. Wir werden nicht in kurzer Zeit eine perfekte Westminster-Demokratie erreichen, aber wir können Probleme eindämmen und möglicherweise einen
Beitrag zur Problembewältigung über die Zeit leisten.
Das setzt voraus, dass wir realistisch werden und nie
vergessen, warum wir ein solches Engagement begonnen
haben; das haben sowohl die Bundeskanzlerin als auch
mein Fraktionsvorsitzender Guido Westerwelle heute
Morgen sehr deutlich herausgearbeitet. Wir dürfen das
nicht vergessen. Insofern ist Großes erreicht worden,
aber das muss auch nachhaltig werden.
In Afghanistan und Pakistan gibt es nach wie vor die
gefährlichste Basis für den Generalangriff auf unsere Lebensform und die fundamentalen Werte der aufgeklärten
rechtsstaatlichen Demokratien des Westens. Deswegen
ist dieses Engagement weiterhin erforderlich, auch wenn
wir nicht einfach von Siegen oder Niederlagen sprechen
können. Das heißt aber nicht, dass wir bei den Mandatsvorschlägen keinen Nachsteuerungsbedarf sähen, auch
wenn wir als Liberale ihnen zustimmen werden. Das gilt
für die Vernetzung unserer verschiedenen Politikbereiche und auch für die Vernetzung unserer Partner in der
NATO.
Ich halte die Reduzierung der NATO auf die rein militärische Dimension - wie sie der NATO-Generalsekretär im Spiegel erneut bekräftigt hat - für falsch. Das ist
nicht akzeptabel, weil wir im Ergebnis nur dann zum Erfolg kommen werden, wenn wir unsere militärischen
und zivilen Aktivitäten stärker bündeln, und zwar im
Gespräch mit den Partnern in der NATO.
({7})
Der Verweis auf die UNO geht hier völlig ins Leere.
Auch wenn der NATO-Generalsekretär nicht nur uns,
sondern auch der afghanischen Regierung mangelnde
Bereitschaft vorwirft, erinnert mich das an die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten gegenüber den Irakern nach dem Motto: „Wir haben zwar eine große Katastrophe angerichtet, aber für das, was jetzt zu bewältigen
ist, seid ihr selber verantwortlich.“ Das funktioniert
nicht. Auch in Afghanistan wird die UNO alleine es
nicht richten.
({8})
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung, Herr Präsident. Ich finde es gut, dass sich der Außenminister jetzt
dem Thema Abrüstung zuwendet. Seit zwei Jahren beende ich jede Rede zur Außenpolitik mit diesem Aspekt
der Politik. Ich wünsche mir nur, dass wir demnächst
entsprechende Zeichen sehen werden. Sie werden den
Vorsitz in der Nuclear Suppliers Group übernehmen und
uns wahrscheinlich erklären, dass Sie den amerikanischindischen Nukleardeal unterstützen werden. Sie werden
uns demnächst zu erklären haben, warum Sie den Antrag
der FDP-Fraktion auf Bemühungen der Bundesregierung
um den Abzug der taktischen amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland neulich abgelehnt haben und möglicherweise demnächst wieder ablehnen werden. Hier erwarten wir nicht nur Worte - die ich allerdings gerne
gehört habe -, sondern auch Taten.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Seit der letzten Haushaltsdebatte Ende des letzten Jahres
können wir auf ein erfolgreiches Dreivierteljahr deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zurückblicken. Ich
freue mich, dass dieses Urteil nicht nur von der Koalition
geteilt wird - das ist zunächst einmal keine Überraschung -, sondern dass auch die Opposition - mit Ausnahme der Linkspartei - lobende Worte für die Bundeskanzlerin und den Außenminister gefunden hat.
Man sollte sich einmal vor Augen führen, wie die
Ausgangslage vor der Übernahme der EU-Präsidentschaft in den Monaten November und Dezember des
letzten Jahres war: Damals wurde gesagt, dass von der
deutschen EU-Präsidentschaft aus unterschiedlichen
Gründen, der Schwierigkeiten des Verfassungsprozesses
und der Wahlen in Frankreich, nicht viel zu erwarten sei.
Nicht nur gemessen an diesem Maßstab, sondern objektiv daran, was erreicht worden ist - an dieser Stelle mein
ausdrückliches Kompliment an die Kanzlerin und den
Außenminister -, haben wir viel geschafft, und zwar
mehr als das, was man im November oder Dezember
letzten Jahres hat erhoffen können.
({0})
Das gilt insbesondere für drei Felder. Der Klimaschutz ist ein Markenzeichen dieser Großen Koalition.
Es ist uns gelungen, in der Europäischen Union zu verbindlichen Vorgaben zu kommen, um den CO2-Ausstoß
zu reduzieren, statt nur die Herausforderung des Klimawandels international zu beklagen. Das ist ein Ergebnis
des von der Bundesregierung vorbereiteten und geführten EU-Gipfels. Das hat der damalige britische Premierminister Tony Blair zu Recht als historisch bezeichnet.
Der von vielen für tot erklärte Verfassungsprozess ist
durch die deutsche Präsidentschaft so reanimiert worden, dass es nun eine Regierungskonferenz gibt, die
- damit können wir rechnen - zum Erfolg führen wird.
Auch das ist ein Ergebnis, mit dem man vor einigen Monaten noch nicht gerechnet hat. Die Bundesregierung hat
zudem auf europäischer Ebene eine Initiative ergriffen,
die dazu dient, uns auf die Herausforderungen vorzubereiten, die mit dem Aufstieg Asiens verbunden sind. Wir
müssen uns darauf einstellen, dass in den nächsten JahrEckart von Klaeden
zehnten die Weltwirtschaft vor allem vom asiatischen
Wachstum, vom asiatisch-pazifischen Raum bestimmt
wird.
Wir müssen auf zwei Herausforderungen reagieren.
Zum einen müssen wir uns die Frage stellen, welche Fähigkeiten und welche komparativen Vorteile wir uns aneignen und weiterentwickeln sollen, um auch in Zukunft
wettbewerbsfähig zu sein und das Maß an Wohlstand
und sozialer Sicherheit zu garantieren, an das wir uns in
Europa und insbesondere in Deutschland gewöhnt haben. Das ist vor allem, aber nicht nur eine Aufgabe der
Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Zum anderen
müssen wir uns die Frage stellen, welche Strukturen wir
schaffen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Initiative zur
Schaffung eines gemeinsamen transatlantischen Marktplatzes, die auf dem europäisch-amerikanischen Gipfel
im April dieses Jahres vereinbart wurde. Globalisierung
bedeutet, dass weltweite Entwicklungen unmittelbar
Konsequenzen für die Art und Weise haben, wie wir in
unserem Land leben und leben können. Das gilt für die
wirtschaftlichen und die klimatischen Herausforderungen, aber auch und ganz besonders für die sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Damit kommt man automatisch zu Afghanistan. Ich
will deutlich sagen: Wer nach den glücklicherweise gescheiterten Attentatsversuchen in den letzten Tagen, Wochen und Monaten nicht begreift, dass der Einsatz der
Bundeswehr in Afghanistan zusammen mit unseren Verbündeten im Rahmen der NATO zuallererst unseren elementaren Sicherheitsinteressen dient, dem ist wirklich
nicht mehr zu helfen.
({1})
Dieser Einsatz besteht im Wesentlichen aus zwei Elementen. Es geht um den Aufbau ziviler Strukturen. Es
wurde schon zu Recht darauf hingewiesen, dass hier sehr
viel erreicht wurde. Aber dort muss wesentlich mehr geschehen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der Drogenwirtschaft. Wenn es uns nicht
gelingt, für die Bauern in Afghanistan alternative Einnahmemöglichkeiten zu schaffen,
({2})
dann besteht die Gefahr, dass das, was wir bisher erreicht haben, erneut gefährdet wird. Das heißt, wir würden nicht nur auf dem Status quo verharren, sondern wir
würden Gefahr laufen, auf den Status quo ante zurückzufallen. Deswegen brauchen wir dort ein stärkeres Engagement. Die Erhöhung der Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan um 20 Millionen Euro im Haushalt
der Bundesentwicklungsministerin ist zwar ein Schritt in
die richtige Richtung, aber das ist - präziser beschrieben nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen uns
darauf einstellen, dass wir gerade für den zivilen Aufbau
- die Infrastruktur, den Straßenbau, die Wasser- und die
Energieversorgung - deutlich mehr tun müssen, wenn
wir die bisherigen Erfolge nicht gefährden wollen.
({3})
Eine Schlüsselrolle bei der Verbindung von zivilem
Aufbau und militärischer Sicherheit nach dem Konzept
der vernetzten Sicherheit kommt dem Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte zu. Das, was Deutschland vorschlägt, ist konzeptionell beispielgebend, aber die Mittel, die wir einsetzen, fallen hinter dem von uns selbst
formulierten Anspruch und vor allem hinter dem, was in
Afghanistan tatsächlich erforderlich ist, nach wie vor
weit zurück. Wenn wir nicht auch beim Aufbau von Armee und Polizei unsere Bemühungen erheblich verstärken, gilt auch für diesen Bereich das, was ich zum zivilen Aufbau gesagt habe: Wir gefährden das, was wir
bisher erreicht haben. Dass dieser Aufbau gar nicht mit
so viel mehr finanziellen Mitteln verbunden sein muss,
wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass ein
NATO-Soldat durchschnittlich 4 000 Euro am Tag kostet. Das sind Kosten von 120 000 Euro oder 150 000
Dollar im Monat. Ich weiß, dass sich die Kosten nicht
eins zu eins übertragen lassen, aber mit 150 000 Dollar
im Monat könnte man 1 000 afghanische Soldaten oder
Polizisten mit einem Sold von 150 Dollar pro Monat einstellen und ausbilden. Dieser Sold würde weit über dem
liegen, der heutzutage gezahlt wird.
({4})
Wenn wir uns jetzt einmal vor Augen führen, welchen
Herausforderungen wir in Bezug auf die Sicherheitslage
gegenüberstehen, so kann ich bei aller Wertschätzung für
das Lob, das Sie, Herr Kollege Kuhn, der Bundesregierung gezollt haben, die Position der Grünen, aus OEF
auszusteigen, nicht nachvollziehen.
({5})
Der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner
Amtszeit zweimal die Vertrauensfrage gestellt, beide
Male mit überzeugenden Argumenten, einmal, um sie zu
gewinnen, und einmal, um sie zu verlieren. Als er sie
noch gewinnen wollte,
({6})
am 16. November 2001, und sie gewonnen hat, hat er
das mit der deutschen Beteiligung an der Operation
„Enduring Freedom“ verbunden. Es ist nicht allein
Gerhard Schröder, der dafür geworben hatte, sondern es
sind, wenn ich mich recht erinnere, auch Sie persönlich
gewesen.
({7})
Jetzt stellt sich die Frage, warum heute der Ausstieg
aus OEF gerechtfertigt sein könnte. Dafür können drei
Gründe ausschlaggebend sein. Der erste Grund wäre
eine so deutliche Verbesserung der Sicherheitslage, dass
man auf die Terrorbekämpfung unter OEF verzichten
kann. Das wird hier niemand ernsthaft behaupten wollen. Das zweite Argument, das immer wieder angeführt
wird, ist, dass die deutsche Beteiligung an OEF nicht angefordert worden sei. Auch dieses Argument ist wenig
überzeugend, wenn man sich vor Augen führt, dass deut11526
sche Truppen seit 2005 nicht mehr unter OEF in Afghanistan sind. Es ist also nicht so, dass die Truppen abgezogen wurden, weil sie nicht mehr angefordert wurden,
sondern eher umgekehrt: Sie wurden nicht mehr angefordert, weil sie nicht mehr vor Ort waren. Das hat mit
den begrenzten Kapazitäten unserer KSK-Truppen zu
tun. Also, auch das Argument, dass eine Beteiligung unter OEF nicht mehr erforderlich sei, weil es an der entsprechenden Anforderung fehle, stimmt nicht. Schließlich kommen wir zu dem dritten, am meisten
vorgetragenen Argument, nämlich zu der sich angeblich
von dem ISAF-Mandat so sehr unterscheidenden Operationsführung unter OEF. Auch dieses Argument ist
falsch. Dieses Argument ist in erster Linie innenpolitisch
motiviert. Es hat nichts mit den Verhältnissen und der
Realität in Afghanistan zu tun;
({8})
denn zu dem, was man euphemistisch „Kollateralschäden“ nennt, zu zivilen Opfern, ist es bedauerlicherweise
sowohl unter ISAF als auch unter OEF gekommen.
Nicht umsonst hat es entsprechende Äußerungen des
NATO-Generalsekretärs gegeben.
OEF ist heute vor allem eine Ausbildungsmission.
Die milliardenschwere Investition, die insbesondere von
den Amerikanern in Afghanistan für den Aufbau der Polizei und für den Aufbau der Armee geleistet wird, wird
über OEF geleistet. Wer also für den Ausstieg aus OEF
plädiert und gegen die Mandatsverlängerung stimmt, der
stimmt auch gegen diese Ausbildungsmission
({9})
und müsste dann erklären, wie er diese Aufgabe übernehmen zu können glaubt. Das heißt, es ist in erster
Linie innenpolitische Augenwischerei, wenn man sagt,
man könne die beiden aufeinander angewiesenen
Missionen in Afghanistan voneinander trennen.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: ISAF und das damit verbundene Mandat, die afghanische Regierung zu
unterstützen, sind auf den Erfolg von OEF angewiesen.
Auch OEF wird in Afghanistan nur erfolgreich sein,
wenn ISAF seinen Auftrag erfüllen kann. Beide militärischen Operationen werden ihr Ziel, für mehr Sicherheit
zu sorgen, wiederum nur erreichen können, wenn wir
beim zivilen Aufbau wesentlich mehr tun und deutlich
erfolgreicher sind, als es bisher der Fall gewesen ist.
Herr von Klaeden, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Nachtwei?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege von Klaeden, wir, die Obleute im Verteidigungsausschuss und im Auswärtigen Ausschuss, haben bis dato die Erfahrung gemacht, nie darüber unterrichtet worden zu sein, was OEF in Afghanistan konkret
bedeutet. Über den Auftrag sind wir seit sechs Jahren informiert; er ist klar. Können Sie der Erfahrung, die ich
seit inzwischen einigen Jahren mache, etwas entgegensetzen?
Herr Kollege Nachtwei, ich kann Ihrer Erfahrung
nichts entgegensetzen. Informationen durch das deutsche Verteidigungsministerium für die Mitglieder des
Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses konnten vor allem zu der Zeit gegeben werden,
als deutsche Soldaten im Rahmen von OEF in Afghanistan eingesetzt waren. Dieser Einsatz ist, wie ich gerade
ausgeführt habe, im Oktober 2005, also in der Schlussphase Ihrer Regierungszeit, zu Ende gegangen. Deswegen hat es danach keine Informationen mehr gegeben.
Ich gebe Ihnen aber recht - ich nehme an, Sie wollen
darauf hinaus -, dass der Informationsaustausch zwischen ISAF und OEF in Afghanistan deutlich verbessert
werden muss; das ist für mich überhaupt keine Frage.
Ich halte es bloß für etwas widersinnig, dass gerade diejenigen, die Wert darauf legen, dass die Weitergabe von
Informationen von OEF an ISAF, zum Beispiel durch
die Tornado-Flüge, besonders restriktiv gehandhabt, also
eingeschränkt wird, sich hinterher darüber beklagen,
dass es Mängel bei der Weitergabe von Informationen
durch ISAF an OEF gibt.
Ich finde, wir müssen uns darauf einstellen, dass eine
künstliche Trennung in Bezug auf die Kooperation beider Operationen in Afghanistan nur ins Verderben führen
kann. Wir brauchen Kooperation, Abstimmung und insbesondere Informationsaustausch in beide Richtungen.
Das ist die Konsequenz dessen, was ich gerade gesagt
habe: dass beide Operationen aufeinander angewiesen
sind.
Ich darf insbesondere an diejenigen appellieren, die in
der letzten Legislaturperiode Regierungsverantwortung
getragen und - das will ich deutlich sagen - mit überzeugenden Argumenten die Auffassung vertreten haben,
dass für den Erfolg in Afghanistan, für die Unterstützung
des zivilen Aufbaus beide militärischen Operationen erforderlich sind: Sie sollten sich heute nicht mit fadenscheinigen Ausreden, insbesondere mit der Rücksichtnahme auf die eigene Wählerklientel, auf die
innerparteiliche Situation oder auf Umfrageergebnisse
aus dieser Verantwortung zu stehlen versuchen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun Kollegin Monika Knoche, Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin!
Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr von
Klaeden, in einem stimme ich Ihnen zu: Es ist richtig,
die heutige Oppositionsfraktion der Grünen auf ihre Verantwortung hinzuweisen, die sie mit dem Stellen der
Vertrauensfrage und dem Erzwingen der Zustimmung
der Fraktion zum Afghanistan-Krieg hat. Ich möchte ergänzen: Das KSK ist während der Regierungszeit von
Rot-Grün eingesetzt worden; erst als die CDU an die Regierung kam, kam es nicht mehr zum Einsatz. Die diesbezüglichen Daten sind verschwunden.
({0})
Wir sind also gar nicht in der Lage, zu verifizieren, was
unter der rot-grünen Regierung in Afghanistan im Rahmen von OEF eigentlich gemacht worden ist. Machen
Sie von den Grünen hier bitte keine Schönfärberei!
({1})
Herr von Klaeden, aus Ihrer Rede habe ich deutlich
herausgehört, dass Sie jetzt für eine Zusammenlegung
von ISAF und OEF werben.
({2})
Ich nehme an, ich habe Sie da nicht missverstanden.
({3})
- Okay; dann ist es gut. Uns liegt nämlich ein Verfassungsgerichtsurteil vor, in dem größter Wert darauf gelegt wird, dass die Trennung dieser Mandate beibehalten
wird. Eines in der Debatte hat mich doch verwundert,
Herr Hoyer, nämlich dass Sie davon sprechen, Afghanistan greife unsere Lebensform und unsere Lebensweise
an. Das kann ich nicht teilen.
({4})
Oft ist vom Clash of Civilisations die Rede. Es ist gut,
sich von unserer Seite aus daran zu erinnern, dass er etwas mit dem Ressourcenzugriff in der islamischen Welt
zu tun hat, dass es nicht nur um die aufgeklärte westliche
Lebensweise, die der christlichen Kultur entstammende
Lebensweise geht. Es hat eben auch etwas damit zu tun,
wie die Zugriffe auf die Welt zur Sicherung der Ressourcen erfolgen.
Man muss sich einmal anschauen: Wie sieht das
Weißbuch der Bundeswehr aus, was diesen Teil angeht?
Die Position von Herrn Steinmeier, die er heute hier bezogen auf die Frage des Klimaschutzes und der Energieaußenpolitik dargelegt hat, bleibt in einem klaren Widerspruch zu der Position, die in der Großen Koalition
seitens des Verteidigungsministeriums vertreten wird.
Man muss einmal deutlich machen, dass das alles nicht
zusammengeht.
({5})
Ich bin der Auffassung, dass es ganz wesentlich ist, in
unseren außenpolitischen Debatten und Beratungen endlich das Thema „Klimawandel und Frieden“ in den Mittelpunkt zu stellen; denn ich bin zutiefst davon überzeugt: Nur bei Emanzipation von der Abhängigkeit von
fossilen Energieträgern werden wir eine Friedensdividende bekommen. Das ist die eigentliche friedenspolitische Aufgabe, die man bis hinauf in die UN-Ebene
durchdeklinieren muss, wozu von der Regierung leider
noch gar keine Vorschläge gemacht worden sind.
Wir stehen jetzt parlamentarisch vor einer ganz wesentlichen Entscheidung der deutschen Außenpolitik.
Die Frau Kanzlerin hat in ihrer außenpolitischen Betrachtung großen Wert darauf gelegt, eine Einschätzung
zu Afghanistan abzugeben. Am Samstag, dem
15. September, werden hier in Berlin Tausende Menschen gegen den deutschen Militäreinsatz demonstrieren. Sie stehen für einen Großteil der Bevölkerung, die
der Auffassung ist, dass Deutschland seinen Friedensauftrag in Afghanistan verfehlt.
({6})
Nach sechs Jahren Krieg gegen Terror muss diesem
eine Absage erteilt werden, weil es an der Zeit ist, einzugestehen, dass es nicht funktioniert, militärische oder zivil-militärische Operationen in Afghanistan zu führen.
Das Scheitern dieser Strategie ist offenkundig. Wir sehen
Bilder. Wir haben Informationen. Wir wissen es. Obwohl
den ganzen Sommer über Werbefeldzüge für die ISAFMission geführt wurden, ist die Bevölkerung nicht zu
überzeugen. Das zeugt von der Aufgeklärtheit der Menschen. Die Menschen verlangen eine andere außenpolitische Strategie, nämlich eine, die auf Militärpräsenz verzichtet und die Präsenz von Militär nicht zum Ausweis
für die politische Unterstützung in einem Krisen- oder
Kriegsgebiet macht. Das ist die Haltung, die in der Bevölkerung vertreten wird. Für alles, was zu weiteren Opfern in der Zivilbevölkerung Afghanistans und unter den
Soldaten führt, wird die Linke die Hand nicht reichen.
({7})
Es ist auch nicht möglich, ISAF zu einem Friedensengel zu erklären. Ich will nur anmerken: Ärzte ohne Grenzen hat nach 24 Jahren Afghanistan verlassen. Malteser
International sagt: Nur ohne Soldaten ist Hilfe möglich. De facto wissen alle, die dort waren: ISAF schützt nur
sich selber. Die Zivilbevölkerung hat nahezu nichts davon.
Jetzt müssen die Grünen und die SPD Debatten in den
eigenen Reihen führen.
({8})
Dabei ist mir einiges aufgefallen. Sie veranstalten einen
Sonderparteitag. Das wurde hier im Haus bereits richtig
kommentiert. Man wolle OEF auslaufen lassen, wird gesagt, um ISAF samt Tornado-Einsatz zu stärken. Ich
finde das höchst verwunderlich; denn Deutschland hat
überhaupt keinen Einfluss auf OEF. OEF machen die
Amerikaner. Da ist Deutschland nicht gefragt. Da fragen
uns die USA doch nicht, auch dann nicht, wenn wir über
KSK Kombattanten bei OEF sind. Das muss man der
Bevölkerung klar sagen.
Ich weiß gar nicht, welche Debatten Sie auf Ihrem
Parteitag führen wollen. Hier wird doch offenkundig
eine Schimäre, eine Mär verbreitet. Es geht nicht darum,
es entweder zu lassen oder mehr zu tun; es geht darum,
ganz rational und humanitär an diese Probleme Afghanistans heranzugehen. Da ist vollkommen klar: Man bekommt keine Perspektive für Frieden und Befriedung in
diesem Land, solange das Militär präsent ist. Sie müssen
es einsehen: Diese Strategie ist gescheitert.
({9})
Sie wollen doch eine qualitative Aufwertung der
ISAF-Mission vornehmen - diese Diskussionen werden
ja heute schon geführt - und in das ISAF-Mandat OEFAnteile überführen. Was ist das denn anderes, als in den
operativen Krieg gegen den Terror einzusteigen? Es
muss doch klar gesagt werden, dass hier Irreführung betrieben wird, wenn öffentlich erklärt wird, mit ISAF nur
noch rein zivil arbeiten zu wollen, aber insgeheim gemeint wird, den operativen Teil der kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Terror vor Ort in Afghanistan
führen zu wollen. Dann wird man zum Beteiligten in
diesem Konflikt, und das wollen wir auf gar keinen Fall.
Eines ist mir vollkommen klar: Im Hinblick auf den
Drogenanbau und den zivilen Aufbau wird man nicht
umhinkommen, die bekannten Korruptionslinien in der
Regierung Karzai zum Thema zu machen. Man kann
Korruptionsbekämpfung in Abmachungen hineinschreiben, aber solange der jetzige Drogenanbau nicht in die
Form eines lizenzierten, kontrollierten Drogenanbaus für
medizinische Zwecke überführt wird, wird man den
Drogensumpf nicht austrocknen können. Schon gar nicht
wird es gelingen, in Afghanistan neben dem Krieg gegen
den Terror nun auch noch den Krieg gegen Drogen zu
führen. Dieses Konzept geht nicht auf. Man muss sich
vielmehr mit den Anrainerstaaten um eine Lösung vor
Ort bemühen; denn der westliche Zugriff auf Afghanistan und das Herbeizwingen von Lösungen haben nicht
funktioniert und werden nicht funktionieren. Deshalb
muss Deutschland dort als ziviler Friedensdienstleistender aktiv werden und sich so seine Unterstützung in der
Bevölkerung verdienen.
Danke.
({10})
Das Wort hat nun Kollegin Kerstin Müller, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu Afghanistan komme - auch ich werde natürlich darüber sprechen -, beginne ich mit dem Ausgangspunkt für unser Engagement dort: dem schrecklichen
Terroranschlag auf das World Trade Center am
11. September 2001. Wir haben erst gestern wieder der
vielen Toten gedacht, und es gab auch viele Berichte
dazu.
Man muss ganz klar festhalten: Außenpolitisch war
der 11. September eine Zäsur, in vielerlei Hinsicht. Die
Vereinten Nationen gestanden den USA zu Recht ein
Recht auf Selbstverteidigung gegen diesen schrecklichen
Terroranschlag zu; die NATO rief auf dieser Grundlage
erstmals den Bündnisfall aus, und die internationale Gemeinschaft intervenierte in Afghanistan. Die USA begannen in einer „Koalition der Willigen“ ihren Kampf sie sprechen heute vom „Krieg“ - gegen den Terror.
Wenn man dies sechs Jahre nach der Intervention in
Afghanistan und vier Jahre nach dem Einmarsch im Irak
bilanziert, dann muss man eines leider ganz klar feststellen - und das hat viele Gründe -: Die Welt ist nicht sicherer geworden. Der internationale Terrorismus ist
heute stärker als je zuvor.
Herr Kollege von Klaeden, Sie haben recht: Der Gott
sei Dank am letzten Dienstag vereitelte Terroranschlag
hat noch einmal deutlich gezeigt, dass auch wir im Visier
des Terrorismus sind. Kein Land der westlichen Welt ist
davor geschützt; aber auch auf Teile der arabischen Welt
trifft dies zu, wie der Anschlag in Algerien zeigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, da
hilft es gar nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und
zynisch zu behaupten: Wären wir nicht an den internationalen Einsätzen gegen den Terrorismus beteiligt,
dann gäbe es keine Anschlagsgefahr in Deutschland. Das ist ein unverantwortliches Gerede, denn es ist klar:
Wir waren von Anfang an im Visier der Terroristen,
({0})
weil der von al-Qaida und anderen erklärte Dschihad
eben ein Kulturkampf gegen unsere westlichen Werte ist,
gegen unsere Lebensweise, gegen unsere offenen Gesellschaften insgesamt. Mit dieser Vogel-Strauß-Politik verunsichern Sie nur die Bevölkerung in Deutschland noch
weiter. Das halte ich für unverantwortlich, denn wir
müssen ja gerade deutlich machen, warum es richtig ist,
dass wir an den multilateralen Einsätzen, etwa in Afghanistan, beteiligt sind.
({1})
Wenn wir hier heute auch über den 11. September und
seine Folgen für die Welt diskutieren, dann kommen wir
gerade angesichts der aktuellen Irak-Diskussion in den
USA nicht umhin, klar festzustellen - das ist jedenfalls
meine Bilanz als jemand, Herr von Klaeden, der diese
Kerstin Müller ({2})
Diskussionen von Anfang an hier mitgeführt hat -, dass
der War on Terror der USA gescheitert ist; ich sage das
bewusst so.
({3})
Er ist nämlich leider mitverantwortlich dafür, dass heute
der internationale Terrorismus nicht schwächer, sondern
stärker geworden ist. Das war eine Befürchtung, die der
frühere Außenminister Joschka Fischer immer hatte. Er
hat mit dieser These leider, leider recht behalten.
({4})
Nach Afghanistan hat der Terrorismus neue Rückzugsgebiete in Pakistan und vor allem im Irak gefunden. Er
breitet sich vor allen Dingen in fragilen Staaten aus. Beispiele seien genannt: die Flüchtlingslager im Libanon,
neue Netzwerke in Gaza, Angriffe im Jemen, die Anschlagserie im Maghreb und Strukturen in Somalia über
Bangladesch bis Indonesien.
Mitverantwortlich für die Stärkung ist das Irak-Desaster. Vertreter der Demokraten in den USA wie etwa der
Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses sprachen,
bevor General Petraeus überhaupt mit seinem Bericht
begann, von einem Fiasko. Die Mehrheit der Amerikaner will nur noch den Abzug. Leider bietet die amerikanische Regierung nur Durchhalteparolen. Damit kommt
man, wie ich meine, im Irak nicht mehr weiter. Die dort
angewandte Logik „Mehr Soldaten gleich mehr Sicherheit“ ist, übrigens wie in Afghanistan, nicht aufgegangen. Die Zahl der zivilen Opfer liegt leider auf demselben tragisch hohen Niveau wie im Januar. Man fragt
sich, warum etwa so zentrale Empfehlungen wie die des
Baker/Hamilton-Reports vom Dezember 2006 einfach in
den Wind geschlagen wurden und man nicht ein Stück
weit das umgesetzt hat, was dort gefordert wurde. Dort
hieß es, dass ein politischer Prozess zur innerirakischen
Versöhnung wichtig ist, dass die Nachbarn des Irak aktiv
eingebunden werden müssen, dass eine konfrontative
Politik gegenüber Syrien und Iran nicht mehr weiterführt.
Fest steht jedenfalls das Dilemma, in dem wir stecken: Deutschland war nicht am Krieg gegen den Irak
beteiligt, aber wir werden jetzt mit den Folgen konfrontiert. Solange der Irak nicht befriedet ist, stellt er ein Sicherheitsrisiko für Europa und damit auch für uns dar.
Wir müssen uns dringend Gedanken darüber machen,
wie wir eine Stabilisierung im Irak unterstützen können.
Keiner hat dafür den Stein der Weisen. Aber ich will ein
Beispiel nennen: Es war eine Delegation von uns im kurdischen Norden. Ich verstehe nicht - das ist ein ganz
kleiner Baustein -, warum Deutschland dort abstinent ist
und wir nicht wenigstens mithelfen, diese Region zu stabilisieren.
({5})
Jetzt komme ich zur OEF, Herr Kollege von Klaeden.
Der War on Terror ist eben nicht nur im Irak, sondern
meines Erachtens auch in Afghanistan gescheitert. Es ist
vor allen Dingen die Operationsführung - Sie haben sie
angesprochen -, die hohe zivile Opfer zur Folge hat. Hier
gelten eben nicht die NATO-Rules, gemäß denen - das
wurde auch jetzt noch einmal ganz deutlich gesagt - zivile Opfer möglichst vermieden werden sollen. Das hat
Hass und Gewalt vor allen Dingen im Süden und Osten
des Landes, wo mehrheitlich paschtunische Bevölkerung
lebt, geschürt und sie gegen die internationale Gemeinschaft aufgebracht. Ich sage es nochmals - das ist auch
ganz klar das Fazit von Abgeordneten meiner Fraktion
nach der Reise nach Afghanistan -: Das Vorgehen dort
ist unabgestimmt und unsensibel. Es ist derart unsensibel, dass es inzwischen kontraproduktiv für den Erfolg
der ISAF-Mission ist. Das ist unser Hauptargument.
({6})
Der Kollege Trittin hat in einer anderen Debatte den
Vorfall von Shindand geschildert, wo OEF ISAF zu
Hilfe rufen musste und die Italiener, die für die Region
verantwortlich waren, erst in dem Moment von der OEFOperation erfahren hatten. Diese „Hilfe“ führte zu so
vielen Opfern, dass es darüber eine riesige Debatte in
Afghanistan gegeben hat und das Oberhaus des afghanischen Parlaments, der Senat, beschlossen hat, doch bitte
schön diese Mission zu beenden und solche Aktionen
künftig zu unterbinden bzw. mit den afghanischen Sicherheitskräften abzustimmen. Ich sage noch einmal:
Wenn uns das nicht gelingt, wenn wir darüber nicht eine
Debatte mit unseren amerikanischen Partnern führen - das
ist unser Hauptargument -, dann gefährden wir die gesamte ISAF-Mission, auch die zivilen Aufbauprojekte,
die wir dort durchführen. Deshalb meinen wir: OEF
muss beendet werden.
({7})
Wir haben immer wieder eine Unterrichtung über die
Gesamtoperation OEF gefordert. Herr von Klaeden, wir
haben neulich noch darüber gesprochen. Bisher haben
wir sie nicht bekommen. Dass sie seit zwei Jahren nicht
mehr abgerufen worden ist, heißt nicht, dass wir keine
Informationen darüber bekommen müssten. Die Amerikaner führen diese Aktion so, wie sie wollen, und lassen
sich nicht in die Karten schauen. Das kann nicht sein.
Wir müssen aufpassen, dass nicht eine falsch verstandene Bündnistreue dazu führt, dass Afghanistan am
Ende zum Irak der NATO wird. Das kann keiner von uns
wollen. Das wollen auch wir Grünen nicht. Wir wollen,
dass sowohl die UNO, die im Irak die Federführung hat,
als auch die NATO mit der Mission der ISAF erfolgreich
sind. Die ISAF-Mission ist inzwischen auf Gesamtafghanistan ausgedehnt. Auch das ist ein Argument, warum es Zeit wird, die OEF in Afghanistan zu beenden.
({8})
Frau Kollegin, Sie müssen Ihre Rede beenden. Sie haben die Zeit bereits deutlich überschritten.
Ein letzter Satz: Natürlich muss der zivile Aufbau ins
Zentrum gestellt werden. Wir müssen vor allen Dingen
dafür sorgen, dass auch die Menschen im Süden und im
Osten die Friedensdividende zu spüren bekommen, damit sie erkennen, dass wir dort nicht als Besatzer sind,
sondern Hilfe leisten wollen, damit der Aufbau, das
große Projekt des Nation-Building in Afghanistan, ein
Erfolg wird.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Eckart von Klaeden.
Frau Kollegin Müller, Sie haben mich mehrfach auf
meine Ausführungen zur OEF angesprochen. Deswegen
will ich Folgendes noch einmal klarstellen: Ich teile Ihren Wunsch nach einer besseren Information - und zwar
nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern auch der
ISAF-Mission - über die Aktivitäten der OEF. Das setzt
aber voraus, dass wir den Informationsaustausch von
ISAF in Richtung OEF nicht beschränken. Deswegen
mein Hinweis auf die Beschränkung im Bundestagsmandat, die restriktive Informationsweitergabe, die gerade
auf Wunsch derjenigen aufgenommen worden ist, die
kritische Anfragen an OEF stellen.
Der zweite Punkt, den Sie genannt haben, die unterschiedlichen Einsatzregeln für OEF und ISAF in Afghanistan, ist schlicht falsch. Beide Operationen verfügen
über dieselben Einsatzgrundsätze.
Der dritte und, wie ich finde, entscheidende politische
Punkt ist die Analyse, es gebe in Afghanistan zwei Probleme, nämlich zum einen die Taliban und zum anderen
die Operationsführung der Amerikaner. Diese Analyse
ist nicht nur falsch,
({0})
sondern führt auch dazu, dass unserem ISAF-Einsatz in
Afghanistan die moralische Grundlage entzogen wird.
Das heißt, Sie begeben sich mit dieser Argumentation
auf eine Rutschbahn, die nur darin enden kann, dass man
sich ganz aus Afghanistan zurückzieht, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die Aufgabe noch nicht erfüllt
ist.
Das ist der eigentlich problematische Teil Ihrer Argumentation. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihrer
Argumentation deutlich machten, dass der Grund für die
schrecklich hohe Zahl der zivilen Opfer nicht in erster
Linie in der Operationsführung der Amerikaner liegt
- auch vonseiten der NATO ist gesagt worden, dass das,
was zu verbessern ist, verbessert werden soll -, sondern
zuallererst in der Kriegsführung der Taliban, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Der
zweite Grund - auch das gehört dazu - ist der Mangel an
Bodentruppen; denn wenn wir, unter beiden Mandaten,
mehr Bodentruppen hätten, würden diese nicht so
schnell in Bedrängnis geraten - Sie haben ja gerade ein
solches Beispiel geschildert - und müssten keine Luftunterstützung anfordern. Wenn Ihre Argumentation
schlüssig sein soll, müssten Sie sich für einen stärkeren
militärischen Einsatz unter ISAF, aber eben auch unter
OEF aussprechen. Das tun Sie aber nicht.
Der letzte Punkt. ISAF selber hat in Afghanistan ungefähr 800 Spezialkräfte im Einsatz, die nichts anderes
tun als die Spezialkräfte, die unter OEF eingesetzt werden. Sie werden erhebliche Schwierigkeiten bekommen,
sofern Sie Ihre Linie beibehalten wollen, wenn die
Glaubwürdigkeit Ihrer Argumentation mit den tatsächlichen Verhältnissen in Afghanistan verglichen wird.
({1})
Frau Kollegin, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Herr Kollege von Klaeden, ich kann jetzt nicht auf
alle Punkte eingehen, die Sie genannt haben. Ich bin aber
froh, dass wir diese Diskussion führen; Sie führen diese
Diskussion ja nicht nur mit uns, sondern - das muss man
der Ehrlichkeit halber ergänzen - auch in der Koalition.
Es ist gut, dass diese Diskussion durch unsere Beiträge
auch hier einmal thematisiert wird.
Ich möchte auf zwei Argumente eingehen. Erstens zur
Operationsführung. Ich halte dies in der Tat für entscheidend. Wir können gerne unsere Quellen austauschen.
Wir verfügen über viele Quellen. Es gibt viele wichtige
Leute - sei es der EU-Beauftragte Vendrell in Afghanistan, seien es hohe ISAF-Offiziere, Briten, die dort unten
sind -, die hier eine sehr deutliche Sprache sprechen. Die
zuständigen Militärs sagen selbst, dass die OEF-Mission
inzwischen kontraproduktiv ist. Ich bin zwar kein Militär, aber die zuständigen Militärs haben das berichtet,
und zwar nicht nur unserer Delegation.
Ich möchte auch auf die Reaktion der Afghanen hinweisen. Inzwischen hat dort ein Prozess stattgefunden
- wir sind eben nicht Besatzer; das wollen wir auch
nicht -: Es gibt einen gewählten Senat, ein gewähltes
Parlament, eine gewählte Regierung. Dort häufen sich
Klagen und entsprechende Beschlussfassungen im Senat
- ihre Zahl nimmt zu -, die sich auch gegen die Operationsführung richten. Es wird immer deutlich dazugesagt: Wir wollen nicht, dass die internationale Gemeinschaft abzieht. Wir wollen, dass ihr bleibt. Wir wollen
mit euch gemeinsam den Prozess der Schaffung einer
selbsttragenden Sicherheit, des Aufbaus des Landes fortführen. Aber das, was da zum Teil passiert, ist so kontraproduktiv, dass es der eigenen Bevölkerung nicht mehr
vermittelt werden kann.
Wenn wir uns dort einsetzen, handelt es sich immer
um eine heikle und schwierige Gratwanderung. Wir
müssen die Äußerungen ernst nehmen. Sie haben unter
anderem zu unserem Schluss geführt, dass die Frage der
Operationsführung entscheidend ist. Es gibt andere
Kerstin Müller ({0})
Experten - Sie haben das sicherlich auch gelesen -, etwa
von der SWP, die ganz klar sagen: Nach der Gesamtausdehnung der ISAF, die erst 2006 abgeschlossen worden
ist, gibt es noch weniger Argumente, zwei parallel laufende Missionen in Afghanistan durchzuführen.
Natürlich ist die Kriegsführung der Taliban eine der
Ursachen für die Eskalation im Süden und Osten. Hinzu
kommt, dass sich Taliban- und Al-Qaida-Kräfte in den
Ausbildungslagern reorganisiert haben; sie führen - da
gebe ich Ihnen recht - einen systematischen Kampf.
Aber was ist die Antwort darauf?
Klar ist jedenfalls - das habe ich auch dem Kabinettsbeschluss entnommen -: Wir müssen schauen, dass die
militärische Präsenz im Süden und Osten den zivilen
Aufbau absichert, dass dieser Aspekt wieder in den Mittelpunkt gelangt. Wir müssen auch von deutscher Seite
die Mittel dafür mindestens verdoppeln, damit auch die
Menschen im Süden und Osten eine Friedensdividende
erhalten. Das scheint mir der allerwichtigste Punkt zu
sein. Wenn uns das nicht gelingt, dann werden Kräfte
wie Taliban und andere hier einen fruchtbaren Nährboden finden und dann sind wir auch mit Militär auf verlorenem Posten.
({1})
Das Wort hat nun Kollege Walter Kolbow, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
freut mich, dass der Außenminister auch von der verantwortungsbewussten Opposition breites Lob für das bekommen hat, was er in seiner Amtszeit zusammen mit
der Großen Koalition außenpolitisch auf den Weg gebracht hat, nie reaktiv, immer aktiv, nie aufdringlich, an
den Hotspots dieser Welt, von denen es leider zu viele
gibt, präsent, mit seinen Lösungsvorschlägen immer auf
der Höhe der Zeit. Das gilt, wie Sie, Herr Außenminister, dargetan haben, für die schwierige Situation im
Kosovo, aber auch für die nicht minder komplizierte
Lage im Nahen Osten.
({0})
Das ist auch Ihrem Team zu verdanken, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hause, in Deutschland, aber auch in der Welt, denen wir von dieser Stelle
aus unseren Dank für ihre Arbeit aussprechen.
({1})
Dabei möchte ich insbesondere auf den Krisenstab in Ihrem Hause abstellen, der mit uns allen, mit Ihnen in Ihrer
Verantwortung als Außenminister und auch mit der Frau
Bundeskanzlerin, immer noch um das Leben der im Augenblick in Afghanistan gekidnappten Geisel ringt. Wir
hoffen, dass wir sie gut zurückbekommen. Wir wissen
um die Verantwortung, die bei diesen Fragen, bei denen
es um Menschen geht, vorherrscht, sowie um die Verstrickungsprobleme, die bei der 30-jährigen Wiederkehr des
deutschen RAF-Herbstes gerade auch durch die Äußerungen von Helmut Schmidt sehr authentisch in den Vordergrund gerückt sind. Wir wünschen eine glückliche,
eine menschliche, eine erfolgreiche Hand.
({2})
Sie haben zusammen mit dem Umweltminister und
mit Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul die
Vorbereitungen für den G-8-Gipfel getroffen, sodass er
von unserer Bundeskanzlerin erfolgreich durchgeführt
werden konnte. Wir freuen uns, dass die Klimapolitik als
wichtige Säule der Innenpolitik und die Problematik der
Energiesicherheit nicht mehr von der Tagesordnung
wegzudenken sind.
Es ist wichtig, in großen, aber auch in kleinen Ländern die Menschenrechte einzufordern. Es ist richtig,
die Menschenrechte in China, in Russland, aber auch in
den Vereinigten Staaten einzufordern, Erklärungen dazu
abzugeben und sich mit den Partnern, die das möglicherweise anders sehen und andere Entwicklungen zulassen,
auseinanderzusetzen. Aber ich meine, wir sollten und
dürfen nicht die Einzelfälle aus dem Blick lassen. Ich
weise an dieser Stelle darauf hin, dass drei sozialdemokratische Bundeskanzler während ihrer jeweiligen Amtszeit Menschenrechte immer aktiv eingefordert und Einzelfälle auch erfolgreich gelöst haben.
({3})
Es ist zu einfach, zu sagen: Jetzt ist es so, früher war es
anders. - Das hat die rot-grüne Regierungskoalition
nicht verdient.
({4})
Im Übrigen würde ich mich freuen, wenn bei Regierungsreisen ins Ausland auch die Parlamentsinitiativen
einbezogen würden, zum Beispiel der vom Deutschen
Bundestag gefasste Laogai-Beschluss. Dies tun wir bei
jeder unserer Reisen. Sie haben es auch getan, als Sie
mit Herrn Westerwelle unterwegs waren, ebenso wie die
Kollegen der CDU/CSU oder auch wir im Juni in China.
Ich denke, dass Menschenrechtspolitik in einem
engen Zusammenhang mit Rüstungs- und Abrüstungspolitik, mit Rüstungskontrollpolitik und mit Nonproliferation steht. Dabei stehen nicht nur die Themen der
Nuklearwaffen und der Waffensysteme im Mittelpunkt.
Weil es heute die sogenannten kleinen Waffen sind, die
den Menschen in Kriegs- und Krisengebieten Tod und
Verderben bringen, stehen auch die Bemühungen im
Mittelpunkt, die Verbreitung von Kleinwaffen einzuschränken. Wir müssen die Überprüfungskonferenz der
Vereinten Nationen, bei der wir im letzten Jahr einen
entsprechenden Antrag gestellt haben, dafür gewinnen,
ein globales Waffenhandelsübereinkommen zu erzielen.
Dies ist gegenwärtig in der Diskussion, muss aber beschlossen werden, um die unglückseligen Wirkungen zu
beseitigen.
({5})
Der Vollständigkeit halber darf ich unterstreichen,
dass Ihre Initiative und auch unsere aus der Großen
Koalition gespeisten Anstrengungen bezüglich der
Streumunition erfolgreich waren. Aber auch dort gilt es
weiterzuarbeiten.
Die Nuklearproblematik im Hinblick auf den Iran
treibt uns alle um. Sie haben es erwähnt: Unser politisches Ziel bleibt, den Zusammenhalt der SechserGruppe zu bewahren und mit einer geschlossenen Haltung gegenüber dem Iran aufzutreten. Der Konflikt mit
dem Iran muss politisch gelöst werden. Dass sich militärische Lösungen verbieten und diese Einsicht in die
Überlegungen in den Hauptstädten dieser Welt Eingang
gefunden hat, ist auch Ihnen und Ihren Aktivitäten auf
den internationalen Konferenzen und hinter den Kulissen zu verdanken, Herr Außenminister.
({6})
Ich glaube, dass die mittlerweile in greifbare Nähe gerückte politische Lösung der nordkoreanischen Atomkrise dazu beitragen kann, die Weiterverbreitung von
Atomwaffen einzudämmen und eine Ursache für das regionale Wettrüsten in Südostasien zu beseitigen. Ein Erfolg in Nordkorea könnte auch Impulse für die festgefahrenen Gespräche im Zusammenhang mit der iranischen
Atomkrise bieten. Davon würden auch die Gespräche
der EU-Drei im Rahmen der Drei-plus-Drei-Initiative
profitieren. Es gibt Signale, dass unsere diesbezüglichen
Forderungen erfüllt werden.
Ich will darauf hinweisen - auch Sie, Herr Kollege
Hoyer, haben das getan; ich kann das nachvollziehen -,
dass wir natürlich aus abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischer Sicht die Entwicklung um das indisch-amerikanische Nuklearabkommen sehr aufmerksam betrachten. Wir werden weder Indien noch Pakistan dazu
bringen können, auf den gerade erlangten Status einer
Atommacht zu verzichten. Unser Augenmerk muss jedoch darauf gerichtet sein, Herr Außenminister, unser
Verhalten in der Nuclear Suppliers Group mit rüstungskontrollpolitischen Überlegungen zu vereinbaren.
({7})
Es wäre hier sehr hilfreich, wenn sich Indien zu bestimmten rüstungskontrollpolitischen Zusagen und Verhaltensweisen entschließen könnte. Aber auch wir könnten mit unseren Möglichkeiten zu einer Lösung auf den
Konferenzen beitragen, die unseren Anstrengungen, was
den rüstungskontrollpolitischen Ansatz angeht, nicht
hinderlich sein würde.
({8})
Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass wir nicht nur
wegen der rüstungskontrollpolitischen Aspekte das
Thema „strategische Raketenabwehr“ nach wie vor
auf unserem politischen Schirm haben. Für uns stand
immer die Frage im Mittelpunkt, ob Verteidigungsanstrengungen im Zusammenhang mit dem Raketenabwehrsystem vertragliche Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime tangieren, ob sie erhalten werden
können und ob sie ausgebaut werden müssen. Dies hat
immer auch eine wirksame und verifizierbare Verhinderung der Proliferation eingeschlossen.
Wir plädieren hier für einen kooperativen Ansatz, der
sowohl Russland als auch - bei globaler Betrachtung andere Länder wie zum Beispiel China einbeziehen
muss. Unsere Position ist klar: Wir wollen eine neue
Rüstungsspirale verhindern. Wie notwendig das ist, zeigen die Pläne der russischen Seite, eine Vakuumbombe
zu entwickeln und die Entwicklung im Bereich der Mittel- und Langstreckensysteme voranzutreiben.
({9})
Vor wenigen Minuten ist die russische Regierung zurückgetreten. Es kann sein, dass Herr Iwanow neuer
Ministerpräsident wird. Wir vertreten unsere Position
natürlich auch gegenüber dem neuen Ministerpräsidenten, der möglicherweise an diese Position gesetzt wird,
um die Putin-Nachfolge anzutreten. Umso wichtiger ist
es, unsere Positionen auch an ihn zu adressieren.
({10})
Die Debatte hat gezeigt, dass uns alle die Afghanistan-Problematik umtreibt. Ich habe Respekt vor den
Argumenten, die von den Kollegen der Grünen vorgetragen worden sind, Frau Kollegin Müller. Wir müssen uns
nicht nur mit diesen Argumenten, sondern auch mit der
Haltung unserer Bürgerinnen und Bürger in dieser Frage
auseinandersetzen. Wir müssen eine Bestandsaufnahme
machen und eine klare Analyse durchführen.
Der Anspruch der SPD-Bundestagsfraktion, sich eine
verantwortungsbewusste Position zu den drei Mandaten
zu erarbeiten, wird sich am Ende auszahlen. Wir debattieren intensiv nicht nur mit ausländischen Gästen, sondern auch unter uns und beziehen die nachteiligen Wirkungen der Mandate in unsere Überlegungen mit ein.
Wir wollen alles in einen Gesamtzusammenhang stellen,
der Afghanistan nützt und der dem zivilen Wiederaufbau
Rechnung trägt. Wir wissen, dass das ohne militärische
Absicherung nicht geht. Wir müssen aber eine Situation
schaffen, in der die Afghanen uns mehr und mehr zutrauen, mit ihnen ihr Staatsgründungsproblem zu lösen.
({11})
Human Rights Watch empfiehlt, den ISAF-Einsatz
fortzuführen, weil er gut ist. Das Gleiche wird im Afghanistan-Bericht der Bundesregierung empfohlen, in dem
dankenswerterweise - wir haben das aber auch erwartet - zahlreiche Fragen, die die Taskforce der SPD-Bundestagsfraktion erarbeitet und an die Bundesregierung
gestellt hat, beantwortet worden sind. Der ISAF-Einsatz
ist, glaube ich, unstrittig. Auf Reisen von Abgeordneten
unserer Fraktion hat sich gezeigt, dass die Integration
des Tornado-Einsatzes in dieses Mandat kein unüberwindbares Hindernis ist, und zwar aufgrund der Aufklärungs- und Schutzfunktion.
Wir wissen aber, dass es bei OEF Probleme gibt. Es
gibt nicht nur ein Wirkungs- und ein Akzeptanzproblem,
sondern auch Probleme, die daraus resultieren, dass OEF
sich verändert hat. Da 6 000 der 8 000 Soldaten im Bereich der Ausbildung eingesetzt werden - darauf ist von
Herrn von Klaeden hingewiesen worden -, ist OEF quasi
ein Ausbildungsprojekt geworden. In Kabul findet die
Grundausbildung der Soldaten der afghanischen National Force, also der Armee, statt. Die anderen Soldaten,
die im Übrigen aus 14 Nationen stammen, sind im Antiterrorkampf tätig. Redlicherweise muss man die Frage
stellen, wie wir die wenigen Soldaten für die Antiterrorbekämpfung substituieren können.
Ich weiß, dass diese Frage schwer zu beantworten ist
- das erfahren wir, wenn wir in unseren Wahlkreisen
sind -; denn die Frage, ob Soldatinnen und Soldaten in
größerer Zahl nach Afghanistan geschickt werden sollen, ist nicht nur emotional, sondern auch rational umstritten. Das gilt im Übrigen auch für andere westliche
Demokratien; diesbezüglich sind die Niederlande nicht
anders als Kanada. Das ist auch eine Frage der internationalen Solidarität; denn es geht um einen Wert. Deshalb sprechen wir mit unseren amerikanischen Freunden
und weisen sie darauf hin, dass die veränderten Einsatzrichtlinien mit der entsprechenden Wirkung nicht nur bei
ISAF, sondern auch bei OEF zum Tragen kommen müssen.
Frau Kollegin Müller, Sie haben gesagt - das ist jetzt
kein Vorhalt -, dass der Antrag auf Fortsetzung der OEF
abgelehnt werden müsste, weil die neuen ISAF-Einsatzregeln nicht für OEF gelten. Im Umkehrschluss würde
das aber bedeuten, dass eine Zustimmung möglich wäre,
wenn die Einsatzregeln übertragen würden. Die Übertragung halte ich im Übrigen für geboten und auch für erreichbar.
An dieser Stelle möchte ich resümieren - Herr Präsident, ich komme zum Schluss - und sagen, dass sich an
der Wirkung unserer Auslandseinsätze deutlich macht,
ob wir - ich schließe an die Ausführungen von Frau
Müller an - im Kampf gegen den Terrorismus auch in
Auslandseinsätzen bestehen können. Wenn es uns nicht
gelingt, die Zustimmung zu unseren Auslandseinsätzen
in eine Zustimmung der Bevölkerung zu ihrer eigenen
Regierung umzumünzen, dann sind die Auslandseinsätze von großen Mängeln hinsichtlich des politischen
Erfolges geprägt. Dann steht insgesamt der Erfolg des
Einsatzes, in diesem Fall: der Wiederaufbau in Afghanistan, infrage.
Wir sollten keine Barrieren aufrichten, indem wir
schon vor der abschließenden Abstimmung ein absolutes
Nein kundtun. Es kommt nämlich sehr darauf an, welche
Schlussfolgerungen die Bundesregierung in ihrem Antrag an das Parlament aus unserer Debatte zieht. Ich
hoffe, dass wir in diesem Sinne heute einen guten Beitrag dazu geleistet haben.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Koppelin, FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Trotz meiner kurzen Redezeit ist es mir ein Bedürfnis
- ich denke, das ist auch in Ihrem Interesse, da ich
Hauptberichterstatter für den Einzelplan 05 bin -, den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes unseren Dank auszusprechen. Ich danke insbesondere denjenigen, die in den Botschaften, Auslandsschulen und Goethe-Instituten ihren Dienst leisten. Wir alle
haben unsere Erfahrungen gemacht und wissen, dass wir
vor allen Dingen in unseren Botschaften ausgesprochen
gute, teilweise sogar sehr gute Leute haben. Ich denke,
zu dieser Debatte gehört auch, ihnen unseren Dank auszusprechen.
({0})
Herr Bundesaußenminister, als Haushälter achtet man
natürlich sehr darauf, dass gespart wird. Da dieser Haushalt aber - das kann man auch aus der Opposition heraus
ganz offen eingestehen - immer auf Kante genäht war,
ist die Steigerung, die Sie jetzt erreicht haben, durchaus
notwendig. Auf uns kommen viele Aufgaben zu, die zu
erfüllen sind.
Ich bleibe beim Thema Personal. Wir alle loben die
gute Konjunktur, die wir im Augenblick haben. Ich
glaube, dass sich das Auswärtige Amt anstrengen muss,
bei guter Konjunktur nach wie vor gute Leute einstellen
zu können. Viele gehen in die Wirtschaft, vor allen Dingen angesichts der Belastungen, die es im Auswärtigen
Dienst gibt. Insofern muss dieser Dienst attraktiver gemacht werden.
Ich will hier einen Punkt aufgreifen. Wir werden uns
im Haushaltsausschuss, ebenso wie Sie im Auswärtigen
Ausschuss und im Ministerium selber, überlegen müssen, wie wir zukünftig mit den Ehepartnern von Mitarbeitern, die in die Botschaften gehen, verfahren. Wir
stellen fest, dass der Anteil der Frauen in den Botschaften überdurchschnittlich hoch ist. Das ist zu begrüßen.
Aber wir haben das Problem, dass mitziehende Männer
im Ausland keinen Job finden. Frauen sind - das haben
wir eigentlich immer gewusst - etwas flexibler, wenn sie
mit ihrem Ehepartner ins Ausland ziehen.
({1})
- Entschuldigung. Männer sind leider etwas sturer; das
ist nun einmal so. - Wir müssen uns etwas einfallen lassen, damit der Wechsel ins Ausland attraktiver wird. So
sehr wir jetzt auch schmunzeln: Wenn die Ehefrau in
acht Jahren an zwei Botschaften war und der Mann in
dieser Zeit keinen Job hatte, dann wird es für ihn sehr
schwierig, in Deutschland wieder einen Job zu finden.
Für diese Fälle müssen wir uns Programme überlegen.
Ich darf, weil wir immer dafür sind, dass Stellen im
öffentlichen Dienst abgebaut werden, den einen oder anderen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass seit 1994
700 Auslandsstellen und im Ministerium selber 200 Stellen gestrichen wurden. Das sollte man einfach einmal
zur Kenntnis nehmen. Dabei sind die Belastungen des
auswärtigen Dienstes, sowohl im Ministerium als auch
in den Botschaften, größer geworden; die Aufgaben sind
schwieriger geworden. Das ist so nicht mehr hinzubekommen. Insofern müssen wir uns bezüglich des Personals etwas überlegen.
({2})
Es kommt noch ein Bereich hinzu, der dem einen oder
anderen vielleicht nicht so bewusst ist. Wenn man eine
Auslandsreise macht und an der Botschaft ist, sieht man
es. Viele unserer Botschaften sind in den 50er-Jahren
gebaut worden. Der Bauzustand ist teilweise katastrophal, das gilt bis hin zu den Gardinen und Teppichen.
Hier besteht mit einem Schlag großer Nachholbedarf.
Hinzu kommt - das will ich nicht vergessen -, dass viele
Botschaften vor Terrorismus geschützt werden müssen.
Ich habe eine große Bitte, die ich bei anderer Gelegenheit schon einmal geäußert habe - dieser Punkt ist mir
als Haushälter sehr wichtig -: Ich bitte unsere Bundesbaugesellschaft aufs Dringendste, kein Spitzenreiter in
Sachen Bürokratie zu sein, sondern flexibel zu sein und
gemeinsam mit den Botschaften nach kostengünstigen
Lösungen zu suchen, die auch schnell durchzuführen
sind.
({3})
Es kann nicht sein, dass immer nur blockiert wird. Wir
als Politiker wollen, dass gehandelt wird, aber sie tut
nichts. Sie hat anscheinend nur eine Aufgabe: dorthin zu
reisen, um sich den Zustand anzusehen, und das Vorhaben anschließend abzulehnen oder zu verzögern. Das
kann nicht sein.
({4})
Ich muss gleich zum Schluss kommen, möchte aber
noch eine andere Bitte aussprechen. Ich glaube, dass die
Zusammenarbeit zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen Amt dringend einer Verbesserung bedarf. Ich habe
nicht den Eindruck, dass BMZ und Auswärtiges Amt
sehr harmonisch zusammenarbeiten; das muss nicht am
Minister liegen. Die Außenpolitik und die Entwicklungshilfepolitik gehören zusammen und müssen abgestimmt werden. Es ist meine dringende Bitte, Herr
Minister, dass dies geschieht. Ich begrüße es, dass Sie einen Teil des Geldes, das dem BMZ zusteht, zur Verwaltung ins Auswärtige Amt bekommen. Bei Ihnen ist es
anscheinend besser aufgehoben.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Herbert Frankenhauser,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich
kenne die Befindlichkeiten und Schwierigkeiten, wenn
Haushälter plötzlich in eine Etatdebatte eingreifen.
({0})
Um dem Rechnung zu tragen, haben sich mein hochgeschätzter Mitberichterstatter, Kollege Lothar Mark, und
ich darauf verständigt, dass ich heute sozusagen in Personalunion für uns beide rede. Wir wollen das Hohe
Haus nicht zu sehr mit haushälterischen Gesichtspunkten
aufhalten.
({1})
Im Übrigen ist es, wenn einer für jemanden aus der anderen Fraktion spricht, natürlich ein untrügerisches Zeichen für die durch nichts zu überbietende Harmonie in
dieser Koalition.
({2})
Ich befinde mich auf gewisse Weise in einer schwierigen Situation. Denn Haushälter müssen sich quasi berufsmäßig und naturgemäß - wenn vielleicht auch nicht
angeboren - gegen jede Etaterhöhung wenden. Nach intensiver Prüfung bin ich zu dem Ergebnis gekommen,
dass eine Etaterhöhung, wenn überhaupt, im Einzelplan
des Auswärtigen Amtes angemessen ist.
({3})
Ich bin des Weiteren zu der Erkenntnis gelangt, dass
wir im Haushaltsverfahren, angelehnt an die ODAQuote, eigentlich so etwas wie eine AA-Quote einführen
müssten,
({4})
um endlich beurteilen zu können, was eine angemessene
finanzielle Ausstattung ist.
Meine herzliche Gratulation, Herr Außenminister,
dass es Ihnen als erstem Amtsinhaber seit - ich weiß
nicht, wie vielen - Jahren gelungen ist,
({5})
den Bundesfinanzminister davon zu überzeugen - einer
Ihrer Vorgänger hat einmal gesagt: „Ohne Moos nix los.“ -,
dass mehr Aufgaben mit weniger Geld auf die Dauer
nicht zu bewältigen sind. An dieser Stelle sage ich auch
dem Bundesfinanzminister für seine Einsicht vielen
Dank.
Einsparmöglichkeiten gäbe es zum Beispiel dann,
wenn wir, zumindest was den Bau von Botschaften betrifft - Kollege Koppelin hat das angesprochen -, die ohnehin überforderte Bundesbaugesellschaft entlasten
({6})
und eine Gesellschaft gründen würden, die für diese
Bauten zuständig ist. Ich hoffe, dass wir nach der entsprechenden Beratung in den zuständigen Gremien für
dieses Vorhaben auch Ihre Unterstützung bekommen
werden.
Das Gesamtvolumen des Haushalts des Auswärtigen
Amtes für das Jahr 2008 beträgt 2,816 Milliarden Euro.
Der Haushalt dieses Ministeriums erreicht damit einen
Anteil von 0,994 Prozent am Gesamthaushalt. Kollege
Mark will immer die 1-Prozent-Marke erreichen, aber
ich weiß nicht, ob uns das im Beratungsverfahren gelingen wird; wir wollen es zumindest versuchen.
({7})
Das heißt, jeder Bundesbürger, ob groß, ob klein,
wird für die Tätigkeit des Auswärtigen Amtes mit einem
Betrag von 34 Euro belastet. Wenn man dem gegenüberstellt, dass jeder Bundesbürger für die Bundesschuld
527 Euro aufbringen muss, so denke ich, dass diese
34 Euro wirklich gut angelegt sind, nicht zuletzt deshalb,
weil die große Koalition und somit auch Herr Außenminister Steinmeier inhaltlich neue Akzente gesetzt haben.
Der Stabilitätspakt für Afghanistan und der Stabilitätspakt für Südosteuropa sind wieder dort etatisiert, wo sie
hingehören.
({8})
Es ist begrüßenswert, dass mit diesen Mitteln schnell,
gezielt und sichtbar
({9})
- das betrifft das, was Sie, Herr Kolbow, angesprochen
haben - auf akute Probleme und Bedürfnisse reagiert
werden kann, damit auch die Bevölkerung erkennt, was
wir unternehmen.
({10})
Völlig neu im Einzelplan 05 ist eine Dotierung in
Höhe von 30 Millionen Euro für die Afrika-Initiative
im Rahmen der deutschen G-8-Präsidentschaft. Im Übrigen, Herr Außenminister, werden 10 Millionen Euro für
die African-Standby-Forces bereitgestellt. Wir haben
uns überzeugen können, welch exzellente Arbeit im
„Kofi Annan International Peacekeeping Training
Centre“ geleistet wird.
Völlig neu ist auch der Nachbarschaftsinvestitionsfonds, NIF, der mit 12 Millionen Euro gespeist wurde.
Ich bin der festen Überzeugung, dieser Fonds musste
dringend erfunden werden. Bei meiner heutigen Lektüre
habe ich darüber hinaus festgestellt, dass die Bundesregierung unbedingt noch einen Beauftragten für die Erforschung der Fonds ernennen sollte, die es bei all diesen
Institutionen gibt, damit wir endlich einmal erfahren, wo
unser Geld überall verwendet wird.
({11})
Die Mittel für humanitäre Hilfe haben wir fast verdoppelt. Besonders möchte ich auf die Schulinitiative
unter dem Stichwort „Partner der Zukunft“ hinweisen,
die der Außenminister ins Leben gerufen hat und für die
41,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Ich
denke, dass insbesondere die deutschen Auslandsschulen und die Angebote, die deutsche Sprache zu erlernen,
für die deutsche Außenpolitik von ganz herausragender
Bedeutung sind.
Auch ist es gelungen, das Goethe-Institut, das in den
letzten Jahren große Not gelitten hat, wieder auf die richtige Spur zu bringen. Von hier aus gratuliere ich dem neu
gewählten Präsidenten, Herrn Professor Lehmann, ganz
herzlich zu seiner Wahl.
({12})
Wir sind oft gescholten worden, wir würden das GoetheInstitut arm sparen. Der Haushaltsausschuss hat nie ein
Institut geschlossen und wollte auch nie eines schließen.
Wenn wir jetzt noch einmal über 27 Millionen Euro darauflegen und insgesamt 185 Millionen Euro für das
Goethe-Institut aufwenden, dann haben wir das Mögliche für eine ordentliche finanzielle Ausstattung und eine
dauerhafte Konsolidierung des Goethe-Instituts getan.
Ich möchte aber schon darauf hinweisen, dass Qualität
weder allein eine Frage des Geldes noch der Masse ist.
Das gilt auch mit Blick auf die Absurdität mancher Programme, die leider Gottes angeboten werden.
Es gibt einen ganz kleinen Posten, den ich aber für
sehr wichtig halte und deswegen einmal erwähnen
möchte: Im Etat ist die Erhaltung deutscher Kriegsgräber im Ausland und damit die Arbeit des Volksbundes
Deutsche Kriegsgräberfürsorge finanziell abgesichert.
Es handelt sich um eine relativ kleine Position, die aber
eine sehr hohe Bedeutung für viele unserer Mitbürger
und Mitbürgerinnen sowie die Wirkung nach außen hat.
Am vergangenen Wochenende haben deutsche und russische Soldaten zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam auf einem Soldatenfriedhof in Russland an deutschen und russischen Gräbern gearbeitet.
Das mag zwar eine kleine Aktion gewesen sein, aber es
ist ein sehr ermutigendes Zeichen dafür, dass es sich
lohnt, geduldig und beharrlich für Verständigung, Versöhnung und Frieden zu arbeiten. Deswegen danke ich
den vielen ehrenamtlichen Helfern, den Soldaten, die
diese Arbeit verrichten.
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Leutert
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn jemand den Eindruck haben sollte, dass sich
meine Argumente aus der letzten Haushaltsberatung
wiederholen, dann stimmt dieser Eindruck. Das hängt
damit zusammen,
({0})
dass die Politik der Großen Koalition heute immer noch
so schlecht ist wie im letzten Jahr. Das möchte ich jetzt
gern begründen.
Eigentlich freut sich das Herz des Haushälters, wenn
12,7 Milliarden Euro mehr zu verteilen sind. Das
Auswärtige Amt bekommt davon 300 Millionen Euro
ab. Das Problem ist bloß: Diese Mehreinnahmen kommen nicht durch eine kluge und gerechte Einnahmenpolitik zustande, sondern es handelt sich dabei letztendlich um das Geld, das wir den kleinen Leuten aus der
Tasche gezogen haben; ich nenne nur das Stichwort
Mehrwertsteuererhöhung. Das trübt natürlich den Blick
auf den Haushalt und macht es schwer, sich an dieser
Debatte zu beteiligen.
Wenn man sich dann noch anschaut, wie das Geld
verteilt wird, ist das einfach traurig. Der Haushalt des
Auswärtigen Amtes umfasst 2,8 Milliarden Euro, das ist
nicht einmal 1 Prozent des Gesamthaushaltes. Im Gegensatz dazu umfasst der Etat des Verteidigungsministers - zweitgrößter Etat - über 29 Milliarden Euro. Auf
diesen Etat ist einfach 1 Milliarde Euro daraufgepackt
worden; das ist zehnmal so viel wie beim Auswärtigen
Amt.
Das muss man sich aber noch genauer anschauen.
Dem Auswärtigen Amt stehen 2,8 Milliarden Euro zur
Verfügung. Davon müssen 700 Millionen Euro für Beiträge an internationale Organisationen einschließlich der
VN-Beiträge für Militäreinsätze abgezogen werden. Es
bleiben also 2,1 Milliarden Euro für alle Aufgaben, die
im Ausland entstehen, übrig. Das sind die Goethe-Institute, die angesprochene Afrika-Initiative, humanitäre
Hilfe, Demokratisierungshilfe und natürlich die 220 Vertretungen im Ausland mit ungefähr 9 000 Bediensteten.
Im Übrigen haben wir mittlerweile mehr Soldaten im
Ausland stehen als Diplomaten. Der Verteidigungsminister hat also Ihnen, Herr Außenminister, mittlerweile den Rang abgelaufen. Er hat mehr Truppen im
Ausland stehen.
({1})
Schon das zeigt, wie die Prioritäten in der deutschen
Außenpolitik gesetzt sind. Es geht in der Außenpolitik
nicht in erster Linie um zivile Instrumente, sondern es
geht letztendlich um militärische Instrumente in der Außenpolitik.
({2})
Das kann man an dem derzeitigen Projekt der deutschen Außenpolitik, Afghanistan, durchexerzieren: In
jedem Bereich muss abgerechnet werden, was welches
Instrument gebracht hat, wie effektiv es gewesen ist. Bei
Militärmissionen hingegen gibt es eine solche Abrechnung nicht.
Wir haben über OEF gesprochen: Bisher gibt es keine
Auskunft darüber, wie der Auftrag, feindliche Kämpfer
gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen, ausgeführt worden ist. Der OEF-Einsatz hat bisher über
800 Millionen Euro gekostet.
Wir haben auch keine vorzeigbaren Ergebnisse bei
ISAF. Obwohl dieser Einsatz bisher 2,2 Milliarden Euro
gekostet hat, hat sich die Lage in Afghanistan nicht stabilisiert: Jeden Tag sind massive Anschläge zu verzeichnen, und die Menschenrechtssituation ist immer noch
bedrohlich.
({3})
- Nein, es geht mir um das Verhältnis der zivilen und der
militärischen Instrumente der Außenpolitik: Wenn
50 Millionen Euro im Rahmen des Stabilitätspaktes zur
Verfügung gestellt werden, dem aber ISAF-Gesamtkosten von 2,2 Milliarden Euro gegenüberstehen, muss ich
sagen: Ich halte das für einen schwerwiegenden Fehler.
({4})
Das zeigen uns auch die Ergebnisse, die wir derzeit in
Afghanistan zu verzeichnen haben.
Die Folgerung, die die Regierung zieht - das kann
man an den Haushaltszahlen sehen -, ist: Nichts passiert,
es wird weitergemacht. Die Mehreinnahmen werden
nicht dafür verwendet, den zivilen Sektor aufzustocken.
Ich habe es vorhin schon erwähnt: Um 1 Milliarde Euro
wird der Verteidigungshaushalt erhöht; übrigens wird
auch dieses Jahr weit über 1 Milliarde Euro für Rüstungsforschung und wehrtechnische Erprobung eingestellt. Immer wieder betonen die Vertreter von Regierung und Koalition, dass sie den zivilen Aufbau stärken
wollten, dass sie die Demokratie, die Menschenrechte
und den Frieden in der Welt sichern wollten. Das wird
damit nicht erreicht, sondern konterkariert.
({5})
Mittlerweile, nach Afghanistan, müsste doch jeder kapiert haben, dass man Demokratie und Menschenrechte
nicht mit militärischen Mitteln erzwingen kann.
Danke.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Rainder Steenblock,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
deutsche Außenpolitik bewegt sich immer stärker in dem
Spannungsfeld zwischen einer eigenständigen, bilateral
orientierten deutschen Außenpolitik und der Einbindung
in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der
Europäischen Union. Wenn wir unsere Ziele, unsere Interessen, unsere Werte in den außenpolitischen Konflikten durchsetzen wollen, dann brauchen wir - davon bin
ich überzeugt - eine stärkere Einbindung unserer
Außenpolitik in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Der Außenminister unseres Landes ist aktiv dabei, das voranzutreiben.
Wenn man sich die Ergebnisse der europäischen Außenpolitik anschaut, muss man sagen: Es gibt Erfolge, es
gibt eine gute Kooperation, zum Beispiel was den Nahostkonflikt angeht; aber auch Iran ist sicherlich ein Beispiel für eine gute Kooperation. Es gibt aber auch viele
Schwachstellen in der europäischen Außenpolitik: Ich
nenne nur Kosovo als Beispiel. Auch in der Energieaußenpolitik haben wir große Probleme, die wir lösen
müssen. Wenn EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn und Bulgarien dabei sind, das Fundament der Ressourcensicherung, die ein Teil der Energieaußenpolitik ist - für uns
Grüne gehört viel mehr dazu -, zu zerstören, indem sie
mit immer neuen Pipelines versuchen, die Gasvorkommen Russlands in ihr Land zu leiten, dann ist das ein
Beispiel dafür, wie die EU-Mitgliedstaaten ihre außenpolitischen Interessen durch Vielstimmigkeit kaputtmachen.
({0})
Deshalb ist es wichtig, dass wir bei den zentralen Themen zusammenzukommen versuchen.
Ein großes Problem, das wir im nächsten Jahr lösen
müssen, ist, glaube ich, das Verhältnis der Europäischen Union zu Russland. Es ist ein Kernpunkt vieler
Konfliktfelder, die wir haben. Der Europäischen Union
muss es gelingen - nicht nur wegen der Konflikte, die
wir jetzt mit Polen hatten -, einen eigenen strategischen
Ansatz, eine eigene Russlandpolitik zu entwickeln. Wir
haben eine Zentralasienstrategie entwickelt. Wir haben
den Außenminister in dieser Frage sehr unterstützt. Aber
diese Zentralasienstrategie wird so lange zahnlos bleiben, solange sie nicht durch eine Russlandstrategie komplementiert ist. Deshalb ist es wichtig, dass in unseren
Strategien die Ressourcenpolitik immer mit der Frage
nach Demokratie und Menschenrechten verbunden wird.
Das gilt gerade auch für Russland.
({1})
Wenn wir schon über eine europäische Energiepolitik
sprechen, dann muss ich feststellen, dass mich das letzte
Treffen unserer Bundeskanzlerin mit Herrn Sarkozy
nicht besonders erfreut hat. Zentrales Thema war sozusagen der Versuch, eine konservative Politik zu gestalten, um die europäischen Lobbyinteressen im Atombereich zu stabilisieren und zu stärken. Das ist hinsichtlich
einer nachhaltigen Energiepolitik im europäischen Rahmen kontraproduktiv.
({2})
Gestatten Sie mir noch eine weitere Bemerkung.
Auch der sogenannte Rat der Weisen geht dramatisch in
die falsche Richtung. Wenn man anfängt, wieder über
Vertrauensbildung bei den Menschen in Europa nachzudenken, dann braucht man keine Gremien hinter verschlossenen Türen, sondern demokratisch legitimierte
Strukturen, zum Beispiel einen Konvent, um die Europäische Union weiterzuentwickeln. Wir brauchen keine
zusätzlichen Expertengremien, sondern eine offene,
transparente und demokratische Debatte
({3})
um die Zukunft Europas.
({4})
Ich komme zum letzten Punkt. Eines der zentralen
Projekte des Reformvertrages war die Grundrechtecharta, in der viele soziale Grundrechte der Menschen in Europa verankert sind. Wenn ich jetzt in den
Debatten höre, dass die Grundrechtecharta neu gewichtet und in ihrer Bedeutung abgewertet werden soll, dann
gehen bei mir alle Warnlampen an.
({5})
Die Menschen in Europa brauchen die Grundrechtecharta als verlässliches Element zur Bildung der
europäischen Identität. Wir alle sollten ein gemeinsames
Interesse daran haben, dieser Grundrechtecharta einen
hohen Rang in der europäischen Verfassung oder im Reformvertrag einzuräumen. Das dient unserer demokratischen Legitimation, aber auch dem Vertrauen in den
europäischen Weg zur Lösung von Problemen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fast zum Schluss der Debatte über den Haushalt des
Auswärtigen Amtes reden wir über Europapolitik. Das
ist wichtig und richtig, weil es ein zentraler Teil Ihrer
Arbeit ist, Herr Bundesaußenminister.
Zwei Punkte sind in diesem Jahr entscheidend. Zum
einen brauchen wir in der EU den Zusammenhalt nach
außen, auch um anderen Halt geben zu können. Was mit
der Bremer Erklärung in der Ratspräsidentschaft gelungen ist, was vor allen Dingen die Menschen erwarten
- das sage ich nach vielen Reisen auf den westlichen
Balkan, vor allem auch im Kosovo, auf denen ich eine
Reihe von Gesprächen geführt habe -, ist in der Europäischen Union insgesamt, aber auch hinsichtlich unserer
deutschen Rolle nicht hoch genug einzuschätzen. Deswegen wird es wichtig sein, lieber Frank-Walter
Steinmeier, dass es weiterhin gelingt, dass wir diese
Europäische Union zusammenhalten - selbst wenn die
Probleme im Kosovo größer werden -, weil wir im Falle
einer Spaltung in Europa nicht in der Lage wären, für die
Menschen und die gemeinsame Sache Erfolge zu erzielen.
({0})
Zum anderen brauchen wir den Zusammenhalt nach
innen. Was zurzeit bei der Regierungskonferenz bewerkstelligt werden soll - das sollten wir ohne Übertrei11538
Axel Schäfer ({1})
bung in aller Ruhe deutlich benennen -, ist das wichtigste Reformprojekt im institutionellen Bereich seit
15 Jahren und die grundlegendste Veränderung in
50 Jahren europäischer Verträge.
({2})
Wenn wir es schaffen, Europa auch zukünftig handlungsfähig zu machen, dann brauchen wir Veränderungen im Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Akteuren, auch zwischen Europäischem Parlament, der
Kommission und dem Rat. Notwendig für die Stärkung
ist auch, dass wir die Handlungsmöglichkeiten verbessern - Stichwort „dritter Pfeiler“ - und die Pfeilerstruktur überwinden und integrieren.
Wir brauchen dabei auch mehr direkte Demokratie.
Was Europa ausmacht, ist eben nicht nur eine Kopfgeburt, sondern es ist ein Projekt, das den Menschen zugewandt ist. Dafür ist es notwendig, dass wir die Elemente
mit in den Verfassungsvertrag aufnehmen und entsprechend mit Leben erfüllen.
({3})
Ich weise deshalb so eindringlich darauf hin, weil wir
in einer schwierigen Situation sind. Das muss man trotz
der vielen guten Botschaften über die Vorbereitung zum
Abschluss der Regierungskonferenz, die wir zurzeit aus
Brüssel von den Rechtskundigen bekommen, offen bekennen. Es ist noch nicht geschafft. Wir sind mit der Regierungskonferenz schon ein Stückchen zurückgegangen, gemessen an dem von Rainder Steenblock zu Recht
erwähnten Konvent im Jahr 2003. Trotz der Ratifizierung des Verfassungsvertrages in 18 Ländern haben wir
einen Bruch erlebt. Mit den vertraglichen Grundlagen,
die wir nun schaffen wollen, bewegen wir uns auf einem
Niveau, das wieder ein Stückchen niedriger ist. Dennoch
sind diese neuen vertraglichen Grundlagen das Wichtigste, was wir gemeinsam zustande bringen müssen.
Wenn aber nun einzelne Länder versuchen, noch mehr
infrage zu stellen und Änderungen hin zu weniger Gemeinschaft zu bewirken, dann müssen wir alle in diesem
Hohen Hause dazu Nein sagen und Ja zu dem, was wir
gemeinsam erreicht und auf dem EU-Gipfel in Brüssel
beschlossen haben. Das muss unser gemeinsames Anliegen sein.
({4})
Ich sage das ganz offen als jemand, der bekennender
Anhänger der direkten Demokratie ist: Wenn es Länder
gibt, in denen nun ein Plebiszit ansteht, nicht nur verpflichtend in Irland und wahrscheinlich auch in Dänemark, oder in denen man nach einem Volksentscheid
ruft, um gegen Europa votieren zu können, dann müssen
wir uns auf gute Erfahrungen in Europa besinnen, die
deutlich machen, wie wir mit solchen Konflikten umgehen können. Harold Wilson stand 1975 als LabourPremier vor einem ähnlichen Problem. Er musste ein
Stück neu verhandeln, um seiner eigenen Partei sowie
den Wählerinnen und Wählern zu entsprechen, und
musste gleichzeitig dazu beitragen, dass Großbritannien
in der Europäischen Union bleiben konnte. Harold
Wilson hat keine Volksabstimmung ausgerufen, um einmal zu testen, was die Bürgerinnen und Bürger meinen.
Er hat gesagt: Diese Neuverhandlungen haben ein gutes
Ergebnis gezeitigt. Sie haben unserem Land etwas gebracht. Ich werbe um Zustimmung. Aber ich sage auch
klar: Wir haben die Alternativen, Ja in der EG oder Nein
in der Volksabstimmung zu sagen und dann auszutreten.
Ich appelliere an alle, die wollen, dass wir dieses
Europa zusammenhalten, die zweite Chance mit der nun
anstehenden Regierungskonferenz und der Ratifizierung
zu nutzen. Denn in Europa ist es anders als im Sport: Wir
haben keine drei Versuche, also keine zwei Fehlversuche, um dann das Gewicht im dritten Versuch zu stemmen. Wir müssen es jetzt schaffen. Ich denke, wir werden es schaffen. Der Deutsche Bundestag wird dazu
einen wichtigen Beitrag leisten. Der Außenminister wird
eine hervorragende Rolle spielen.
Glück auf!
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Erika Steinbach, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute über den Einzelplan 05 des Auswärtigen
Amtes sprechen, können wir das durchaus unter erfreulichen Vorzeichen tun; denn der Gesamtetat des Auswärtigen Amtes wurde nach vielen Jahren erstmals wieder angehoben, und das war dringend nötig. Davon profitieren
nicht zuletzt auch die Menschenrechtsanliegen dieses
Hauses. So ist zum Beispiel vorgesehen, den Mittelansatz im Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe, Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“
um rund 3 Millionen Euro zu erhöhen. Diese Erhöhung
spiegelt das gewachsene Engagement wider, das
Deutschland in den letzten Jahren bei der Sicherung des
Friedens und der Wahrung der Menschenrechte gezeigt
hat.
Die Herausforderungen, denen sich Deutschland auch
im Menschenrechtsbereich gegenübersieht, sind in den
letzten Jahren nicht geringer geworden. In vielen Bereichen prallen heute religiöse, ethnische oder ideologische
Vorstellungen verstärkter und aggressiver aufeinander
als in den Jahrzehnten zuvor. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die Menschenrechtsverletzungen von heute
nicht selten die kriegerischen oder die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen von morgen sind. Beides hat
immer mehr oder weniger Auswirkungen auf unser
Land, direkt oder indirekt. Deshalb ist Menschenrechtspolitik neben dem humanitären Anliegen auch immer
Interessenpolitik unseres eigenen Landes.
({0})
Diese Bundesregierung tut in Fragen der Menschenrechte mehr - Herr Kollege Kolbow, das sehe ich ein
wenig anders als Sie - als alle Bundesregierungen zuvor.
Das gilt nicht nur für die rot-grüne Bundesregierung,
sondern auch für die, die davor waren. Das begrüße ich
ausdrücklich. Förderprogramme zur Durchsetzung von
Demokratie und von Menschenrechten sind wichtig. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Sie helfen den Menschen, und sie stabilisieren das globale politische Gesamtgefüge. Sie können aber nur dann ihre Wirkung
wirklich entfalten, wenn das Bekenntnis zu den Menschenrechten von oberster Ebene mitgetragen und immer
wieder eingefordert wird. Geld alleine reicht nicht, und
Geld alleine hilft nicht nachhaltig. Menschenrechtspolitik braucht Politiker, die Missstände im Ausland mutig
und ohne Schnörkel ansprechen. Das tun sowohl die
Bundeskanzlerin als auch der Herr Außenminister. Herzlichen Dank dafür. Von ihnen werden Menschenrechtsdefizite nicht ausgeklammert, sondern angesprochen. In
der Vergangenheit war auch das nicht immer selbstverständlich.
Wenn ich anfangs sagte, dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes den höheren Stellenwert von Menschenrechten widerspiegelt, so trifft dies vor allem auf ein
Land zu, das heute in der Debatte schon eine große Rolle
gespielt hat, auf Afghanistan. Nirgendwo sonst hat sich
Deutschland in den letzten Jahren auch unter menschenrechtlichen Aspekten so sehr verpflichtet wie in dieser
Region. Es gibt heute Erfolge, aber nach wie vor auch
Herausforderungen. Das Beispiel Afghanistan wähle ich
deshalb, weil ich und wir alle sehr wohl wissen, dass es
vielen Menschen hier im Land am liebsten wäre, wenn
Deutschland sein Engagement dort baldmöglichst einstellen würde. Aber das wäre nicht nur aus der Menschenrechtsperspektive, sondern auch aus Gründen der
innenpolitischen Sicherheit ein ganz kardinaler Fehler.
Ohne Zweifel ist Afghanistan noch sehr weit von Zuständen entfernt, die wir mit unseren eigenen Maßstäben
als rechtsstaatlich oder menschenrechtlich akzeptabel
empfinden. Dennoch müssen wir uns immer wieder vor
Augen halten, wie verheerend die Menschenrechtsbilanz
zu Beginn des multinationalen Engagements in Afghanistan ausgesehen hat. Frauen und Mädchen wurden
massiv unterdrückt und sowohl aus dem politischen Prozess als auch von Bildung, sogar von Schulbildung, ausgeschlossen. Es gab kein funktionierendes Justizwesen.
Genauso wenig wurden die allgemeinen Menschenrechte beachtet. All das war in diesem Lande nicht vorhanden. Die Talibanherrschaft hatte die Menschen dort
im Griff. Ihre Herrschaft konnte inzwischen durch den
internationalen Einsatz beendet werden. Die weitverzweigten terroristischen Nester, die es heute noch gibt,
dürfen uns gleichwohl nicht gleichgültig sein. Von dort
aus werden die zivilisierte Welt und auch die afghanische Regierung nach wie vor bedroht.
Zum befriedenden Prozess in Afghanistan hat
Deutschland intensiv beigetragen. Erste Erfolge sind
zweifellos sichtbar. 2004 wurden in der afghanischen
Verfassung die Menschen- und Bürgerrechte fest verankert. Im Zuge des Verfassungsprozesses hat sich insbesondere die Situation von Frauen durch ihre rechtliche
Gleichstellung gebessert. Zwangsehen und Ehrenmorde
sind heute verboten. Wichtig ist jetzt eine konsequente
Durchsetzung der vorhandenen Rechte. Dafür braucht
die dortige Regierung Unterstützung. Das allgemeine
Ziel, Sicherheit und Menschenrechte in Afghanistan zu
stabilisieren, kann erreicht werden, wenn wir in unseren
Bemühungen jetzt nicht nachlassen. Wie sehr sich aber
die Situation seit Beginn des internationalen Hilfseinsatzes verbessert hat, lässt sich unter anderem daran messen, wie viele Exilafghanen inzwischen heimgekehrt
sind. Seit 2002 sind es fast 5 Millionen Vertriebene und
Flüchtlinge, die zurückkehren konnten, davon weit mehr
als tausend aus Deutschland. Das ist ein Zeichen des
Vertrauens in die Gegenwart und in die Zukunft dieses
Landes.
({1})
Deutschland hat in diesem Bereich seinen Beitrag geleistet. Auch beim Minenräumen hat Deutschland engagiert
eingegriffen.
Aber Afghanistan ist nur einer von vielen internationalen Brennpunkten, durch die menschenrechtliche Fragen berührt sind. Zahlreiche andere Länder und ihre
Menschenrechtsdefizite beschäftigen uns tagtäglich. Ich
nenne stellvertretend Darfur, Simbabwe, Iran, China,
Belarus, Kuba, Zentralasien, Russland und nicht zuletzt
den Nahen Osten. Überall dort leistet die Bundesregierung in ganz unterschiedlicher Art und Weise ihren Beitrag zur Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde.
All diejenigen, denen das Schicksal anderer Menschen auf diesem Erdball herzlich egal ist, die auch
nichts von christlicher Nächstenliebe halten, all diejenigen, die glauben, deutsche Politik sollte sich aus allem,
was es an Schrecklichem in dieser Welt gibt, heraushalten und sich selbstgenügsam zurückhalten, müssen sich
vor Augen führen, dass sie damit ihren zum Teil sehr
egoistischen Interessen selber mehr schaden als nutzen.
Die Weltprobleme enden eben nicht am deutschen Tellerrand. Gewalt, Terror und Unterdrückung bleiben in
unserer globalisierten Welt nicht in den Regionen, in denen sie entstanden sind. Sie schwappen über bis hin zu
uns, ob in Wanderungsströmen oder durch Terrorakte.
Auch deshalb ist es zwingend erforderlich, Demokratien
zu stabilisieren und menschenwürdiges Leben in anderen Teilen der Erde zu ermöglichen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Bevor wir zum nächsten Geschäftsbereich kommen,
will ich die Parlamentarische Bundesheer-Beschwerdekommission des österreichischen Nationalrats - das
ist eine Institution, die dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages vergleichbar ist - begrüßen. Seien
Sie herzlich willkommen!
({0})
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.
Ich erteile dem Bundesminister Franz Josef Jung das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gestrige
Tag hat der deutschen Öffentlichkeit wieder deutlich gemacht, dass sich die Bedrohungslage aufgrund der Anschläge in New York und in Washington auch für uns
sehr konkret verändert hat. Wir haben den Kalten Krieg
zum Glück überwunden. Durch den internationalen Terrorismus, durch Massenvernichtungswaffen, durch Krisensituationen und durch Staatsverfall haben wir es
heute mit einer besonderen Bedrohungslage zu tun. In
dieser Hinsicht nimmt die Bundeswehr ihre Aufgaben
wahr. Ich verweise konkret auf Afghanistan: Die Anschläge sind von Afghanistan ausgegangen. Deshalb ist
es im Interesse von Stabilität, von friedlicher Entwicklung und von Menschenrechten, aber auch im Interesse
der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands
richtig und wichtig, dass wir diesen Auftrag auch in Zukunft wahrnehmen.
({0})
Wir stellen in Afghanistan das drittstärkste Kontingent. Wir stellen das stärkste Kontingent in BosnienHerzegowina. Außerdem stellen wir das stärkste Kontingent im Kosovo. Wir werden im Kosovo auch weiterhin
Präsenz zeigen.
({1})
Ich kann nur hoffen und wünschen, dass wir die Statusverhandlungen im Hinblick auf Stabilität und Frieden zu
einem guten Ergebnis führen.
({2})
Ich glaube, dass das nicht nur die Voraussetzung dafür
ist, dass in dieser Region eine europäische Perspektive
entwickelt wird, sondern auch dafür, dass in Zukunft
Stabilität und Frieden vorherrschen.
Wir sind im Rahmen von UNIFIL vor der Küste des
Libanon im Einsatz; wir debattieren gleich darüber. Wir
sind im Rahmen des Mandats OEF auf dem Gebiet der
Terrorismusbekämpfung aktiv. Außerdem ist die Bundeswehr am Horn von Afrika, Stichwort „Dschibuti“, im
Einsatz. Hinzu kommt die Operation „Active Endeavour“ im Mittelmeer. Wir sind auch im Sudan. Wir haben Militärbeobachter in Äthiopien und in Eritrea. In
Georgien sind wir im Bereich des Sanitätswesens vertreten.
Ich zeige dies nur auf, um deutlich zu machen, in welcher Art und Weise die Bundeswehr heute einen Auftrag
zur Stabilität und friedlichen Entwicklung, damit aber
auch zur Sicherung der Situation in Deutschland erfüllt.
Es ist notwendig, dass eine finanzielle Grundlage geschaffen wird, damit dieser Auftrag auch in Zukunft gut
erfüllt werden kann.
({3})
Wenn solche Aufträge wahrgenommen werden, dann
- das ist ein wichtiger Punkt - müssen unsere Soldatinnen und Soldaten dafür gut ausgebildet und gut ausgerüstet sein. Wir haben die Verpflichtung, ihnen den
Schutz mitzugeben, den wir ihnen bei dieser schwierigen Aufgabe mitgeben können; denn gerade die Auslandseinsätze sind oft mit unmittelbarem Risiko für Leib
und Leben verbunden. Wir haben die Verpflichtung, alles zu tun, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen und die
Soldatinnen und Soldaten so vor Angriffen zu schützen.
Deshalb bin ich froh darüber, dass wir entschieden haben, nur noch mit geschützten Fahrzeugen zu fahren.
Deshalb haben wir die Aufklärung verstärkt.
Wir brauchen die finanziellen Grundlagen, um diese
Maßnahmen zu ermöglichen - im Interesse des Schutzes
unserer Soldatinnen und Soldaten bei diesen wichtigen
Einsätzen.
({4})
Daher bin ich froh darüber, dass wir in diesem Etat eine
Steigerung um 918 Millionen Euro zu verzeichnen haben, was aber auch notwendig ist, um den Modernisierungsprozess und den Anpassungsprozess - das ist das,
was wir „Transformationsprozess“ nennen - voranzutreiben.
Als diese Bundesregierung ins Amt kam, hat noch
niemand daran gedacht, dass wir einen Einsatz im
Kongo zu leisten haben würden, wie das im letzten Jahr
der Fall war. Wir haben ihn erfolgreich durchgeführt.
UNIFIL vor der Küste des Libanon, die Tornados in Afghanistan, all das hat auch etwas mit finanziellen Fragen
zu tun. Wir sind noch weit davon entfernt, die Forderung
der NATO - 2-Prozent-Anteil am Bruttoinlandsprodukt zu erfüllen.
({5})
Mit diesem Haushalt legen wir die Grundlage dafür,
dass wir den Modernisierungsprozess bzw. den Transformationsprozess auch in Zukunft positiv gestalten können. Deshalb sind wir auf dem richtigen Weg, auch was
die finanzielle Ausstattung für die Bundeswehr angeht.
({6})
Unser Ziel ist weiter, die Ausgaben für Investitionen
zu steigern und die Betriebsausgaben zurückzufahren.
Wir haben mittlerweile eine Situation erreicht, in der gerade im investiven Bereich Erhebliches geleistet wird.
Ich denke etwa an die Situation unserer wehrtechnischen
Industrie und an die Arbeitsplatzsituation. Wer sich vor
Ort begibt und sich einmal anschaut, wie sich die Industrie dort entwickelt, stellt fest: Die Planung im Hinblick
auf die Zukunft der Bundeswehr, die wir vollzogen haben - im Weißbuch gemeinsam beschlossen -, ist auch
eine Grundlage für die Fortentwicklung von Forschung,
Entwicklung und wehrtechnischer Industrie. Das gewährleistet auch Arbeitsplätze in Deutschland.
Die Auslandseinsätze sind mit erheblichen Ansprüchen an unser Material verbunden. Es ist notwendig, die
entsprechenden Mittel bereitzustellen.
Ich füge allerdings hinzu: Natürlich müssen wir auch
im Hinblick auf den notwendigen Übungsbetrieb in
Deutschland bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Ich
habe von der Verpflichtung gesprochen, die wir im
Weißbuch beschrieben haben. Wir haben in diesem Jahr
beschlossen, die zivil-militärische Zusammenarbeit zum
Schutz Deutschlands auf eine neue Grundlage zu stellen,
die die föderalen Strukturen abbildet. Damit schaffen wir
Verbindungskommandos, um beispielsweise im Bereich
des Katastrophenschutzes noch effektiver zu helfen.
Auch in dieser Hinsicht erfüllt die Bundeswehr in Zukunft ihre Aufgabe, was den Schutz Deutschlands anbetrifft.
Wer hohe Einsatzbereitschaft und Leistungsbereitschaft von den Soldatinnen und Soldaten verlangt, der
muss auch dafür sorgen, dass die sozialen Rahmenbedingungen stimmen. Wir berücksichtigen diesen Punkt
im vorliegenden Haushalt dadurch, dass wir den teilweise schlechten Zustand der Kasernen in den alten
Bundesländern beseitigen wollen. Wir haben vor, ein
Prioritätenprogramm für die Modernisierung der Kasernen aufzulegen; denn ich halte es für teilweise nicht
mehr akzeptabel, dass Soldaten in der Art und Weise gefordert werden, wie sie gefordert sind, sie sich aber dann
in einem sozialen Umfeld befinden, das wirklich nicht
mehr angemessen ist. Deshalb bin ich dankbar, dass wir
mit diesem Haushalt das eben genannte Prioritätenprogramm einleiten können.
({7})
Ich füge einen Punkt hinzu: Wir haben bereits im
Bundeskabinett beschlossen, Rahmenbedingungen zu
verändern, die sich aus der konkreten Situation des Auslandseinsatzes ergeben haben. Ich spreche konkret das
Thema Weiterverwendungsgesetz an. Meines Erachtens hat ein Staat, der von seinen Soldatinnen und Soldaten verlangt, derartig riskante und auch lebensbedrohliche Einsätze durchzuführen, auch die Verpflichtung,
dafür Sorge zu tragen, dass die Betreffenden dann, wenn
sie sich beispielsweise eine erhebliche Verletzung zugezogen haben, sie jedoch später gesundheitlich so wiederhergestellt sind, dass sie einer Beschäftigung nachgehen
können, einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung haben
und nicht nur als Versorgungsfälle abgeschoben werden.
Auch dies wollen wir entsprechend umsetzen.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
im Weißbuch beschlossen, dass wir die Bundeswehr
auch weiterhin als Wehrpflichtarmee entwickeln. Deshalb bin ich dankbar, dass die Regierungsfraktionen beschlossen haben, den Wehrsold um 2 Euro zu erhöhen.
Aber auch unserer Verpflichtung unter dem Aspekt
der Wehrgerechtigkeit sind wir ein Stück näher gekommen. Das Folgende sage ich ganz bewusst, weil ich teilweise zu viele Zahlen in der Öffentlichkeit sehe, die mit
der Wahrheit nicht mehr viel zu tun haben. Tatsache ist,
dass von über 400 000 Jugendlichen etwa 80 Prozent als
tauglich gemustert werden, davon rund 31 Prozent den
Wehrdienst verweigern und dann den Zivildienst ableisten und darüber hinaus nicht einzuberufende Wehrpflichtige zu berücksichtigen sind, beispielsweise bei der
Feuerwehr Aktive, dritte Söhne und Verheiratete. Von
den rund 150 000 Jugendlichen, die dann noch zur Verfügung stehen, sind 126 000 eingezogen worden, also
80 Prozent, sodass wir damit meines Erachtens dem
Grundsatz der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung tragen.
Es ist wahr, dass die Zahlen in den letzten Jahres etwas zurückgegangen sind. Deshalb haben wir entschieden, jährlich 6 500 Wehrpflichtige mehr einzuziehen,
um dem Gebot der Wehrgerechtigkeit nachzukommen.
Denn ich bin der Auffassung, wir brauchen diese Wehrpflichtigen in den Auslandseinsätzen, aber wir brauchen
sie auch im Hinblick auf die Erledigung unseres Auftrages, beispielsweise zum Schutz Deutschlands, und in der
Katastrophenhilfe. Die Bundeswehr hat sich als Wehrpflichtarmee gut entwickelt. Deshalb ist es notwendig,
dass die Einberufungsgerechtigkeit auch in Zukunft eine
Rolle spielt, um die Wehrpflicht in vollem Umfang in
dieser Legislaturperiode beizubehalten.
({9})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend sagen: In den unterschiedlichen Einsätzen - sei es
für den Frieden in verschiedensten Ländern, sei es zum
Schutz Deutschlands, den sie unmittelbar ausüben, sei es
auch in anderem Zusammenhang - zeigen unsere Soldatinnen und Soldaten eine hohe Einsatz- und Leistungsbereitschaft. Sie werden, wie wir gerade wieder bei den
Auslandseinsätzen feststellen konnten, im Ausland
durch die Art und Weise, in der sie auftreten, den Grundsätzen der inneren Führung gerecht, die ein Merkmal der
Bundeswehr darstellt: Dadurch, dass sie unsere Werte im
Ausland vermitteln, tragen sie zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland bei. Sie haben meines Erachtens sowohl unseren Dank als auch die finanzielle
Grundlage durch diesen von uns zu beschließenden
Haushalt verdient, damit sie auch in Zukunft ihre Aufgabe erfüllen können - im Interesse von Frieden und
Freiheit und im Interesse der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.
Besten Dank.
({10})
Die nächste Rednerin ist Elke Hoff für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister, Sie haben sehr eindrucksvoll
das zahlreiche Engagement der deutschen Soldatinnen
und Soldaten im Ausland dargestellt. Es lässt sich inzwischen aber nicht mehr leugnen: Die materielle und finanzielle Ausstattung der Bundeswehr beeinträchtigt zunehmend die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. In wichtigen
Bereichen - ich denke hier insbesondere an den Bereich
des Lufttransportes - ist die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland durch die
nicht mehr zu leugnenden Ausrüstungsdefizite immer
weiter eingeschränkt. Der Fahrplan der Transformation
ist aus dem Ruder gelaufen. Die Unzufriedenheit in der
Bundeswehr nimmt dramatisch zu.
Trotz einer Erhöhung des Verteidigungsetats um
920 Millionen Euro haben Sie, Herr Minister, keinen
Euro für die dringend notwendige Sanierung der Kasernen und für wichtige Ausrüstung übrig, obwohl diese im
Einsatz über Leben und Gesundheit unserer Soldaten
entscheiden kann. Um Ihren entschiedenen Widerspruch
gleich vorwegzunehmen: Ja, wir haben registriert - Sie
haben es eben auch ausgeführt -, dass Sie 116 Millionen
Euro für das Programm „Sanierung der Kasernen West“
in den Haushaltsentwurf eingestellt haben. Aber Ihr Ministerium hat erst vor wenigen Wochen eingestanden,
dass alleine im Jahr 2007 rund 1,4 Milliarden Euro für
Instandsetzung und Investitionen in Liegenschaften der
Bundeswehr fehlen. Daher ist Ihr Programm mit dem
Volumen, das Sie eben vorgetragen haben, nicht einmal
ein Tropfen auf den heißen Stein.
({0})
Alleine 300 Millionen Euro aus dem Verteidigungshaushalt kommen durch die erhöhte Mehrwertsteuer
Ihrem Kabinettskollegen Steinbrück zugute. Ihre Prognose, dass die Kosten für die Auslandseinsätze sinken
werden, ist ebenso an den Haaren herbeigezogen wie die
Annahme, dass man weniger Mittel für weitere Beschaffung über den einsatzbedingten Sofortbedarf hinaus
benötigen werde. Die Bundesregierung ist doch längst
dazu übergegangen, wichtige Beschaffungsvorhaben zunächst in Minimalstückzahlen zu realisieren, um später
den tatsächlichen Bedarf über das Instrument des kurzfristigen und einsatzbedingten Sofortbedarfs zu decken.
Insofern stellen Ihre Prognosen eine Milchmädchenrechnung dar. Außerdem fressen die notwendigen Maßnahmen zum Materialerhalt mögliche Spielräume auf, die in
der Vergangenheit nahezu ausschließlich durch Personalabbau erzielt werden konnten. In diesem Bereich sind
die Einsparpotenziale aber weitgehend ausgeschöpft.
Herr Minister, es reicht auch nicht aus, wenn Sie immer wieder vortragen, dass Sie die Kosten für den Betrieb weiter reduzieren und die Ausgaben für Investitionen steigern werden. Das erreichen Sie möglicherweise
auf dem Papier, weil die Haushaltsabteilung Ihres Hauses die Ausgabenbereiche Materialerhalt, Betrieb und
Betreiberverträge voll umfänglich dem Bereich „Militärische Beschaffungen“ zuschlägt. Damit schaffen Sie
sich zwar ein Rüstungsplus von 600 Millionen Euro,
aber mit Haushaltsklarheit und mit Haushaltswahrheit
hat dies nichts mehr zu tun. Statt sich mit solchen Haushaltstricks über Wasser zu halten, fordern wir Sie daher
auf, das im Verteidigungshaushalt vorhandene Geld intelligenter als bisher auszugeben. Spielräume können in
der Zukunft nur aus einer nachhaltigen Stückzahlanpassung bei Großprojekten wie dem Eurofighter und dem
A400M bzw. durch den Verzicht auf Projekte wie
MEADS erzielt werden. Die FDP fordert dies zu Recht
seit vielen Jahren.
({1})
Unsere britischen Partner machen uns beim Eurofighter inzwischen vor, wie man intelligent auf neue Bedürfnisse reagiert. Man entscheidet sich in Kooperation mit
der Industrie für geringere Stückzahlen, rüstet diese
dann aber mit Fähigkeiten aus, die tatsächlich für den
Einsatz benötigt werden. Dies führt in der Beschaffung
zwar nicht unmittelbar zu Einsparungen, aber im Betrieb
werden die Belastungen deutlich geringer. Das hat zur
Folge, dass es in Großbritannien bald realistische Einsatzszenarien für den Eurofighter auch außerhalb von
Rüstungsmessen geben wird. Spannend ist auch, dass
sich neben den Briten andere Partner wie etwa Italien
konditionierte Berechnungen für die dritte Tranche des
Eurofighters vorlegen lassen, das heißt für die volle bzw.
die halbe Stückzahl oder für einen kompletten Verzicht.
Die Bundesregierung scheut sich aber vor Veränderungen bei den Stückzahlen, weil damit auch eine Reduzierung der fliegenden Verbände und Standortschließungen verbunden wären. Die Bundeswehr muss aber für
die Notwendigkeiten des Einsatzes und nicht unter strukturpolitischen Gesichtspunkten ausgerüstet werden.
({2})
Die Bundesregierung darf sich weiterhin nicht hinter
vertraglichen Bindungen und drohenden Schadensersatzansprüchen verstecken. Die Erfahrungen unserer
Partner in der NATO und der EU zeigen doch, dass gerade die Industrie ein Interesse an einem Verteidigungshaushalt mit finanziellen Spielräumen hat, um auch technologische Innovationen finanzieren zu können.
Dazu ist diese Bundesregierung jedoch weiterhin nicht
bereit. Sie passt die Ausrüstungsplanung in keiner Weise
an die Einsatzrealität an, führt sinnlose Großprojekte fort,
streicht dafür aber eine Vielzahl von Kleinprojekten, die
für die Überlebensfähigkeit und den Schutz unserer Soldaten im Einsatz oberste Priorität haben sollten. Ich
denke dabei etwa an Geräte zur Freund-Feind-Erkennung, CSAR- und Aufklärungsfähigkeiten, geschützte
Transportfahrzeuge oder die Triebwerksanpassung für
den CH-53.
Herr Minister, die von Ihnen gefeierten zusätzlichen
Mittel werden den allein seit 2004 entstandenen Substanzverlust in Höhe von 4,5 Milliarden Euro in keiner
Weise kompensieren können. Der finanzielle Zugewinn
entspricht der Finanzlinie des Bundeswehrplanes 2008,
in dem sich der Generalinspekteur von der Durchführbarkeit eines transformatorischen Ansatzes verabschiedet, weil er keinerlei finanzielle Spielräume mehr für
Veränderungen im Rahmen der Entwicklung und Beschaffung sieht. Der Bundeswehrplan 2008 ist das politiElke Hoff
sche und militärische Eingeständnis, dass die Bundesregierung die Zielmarken der Transformation völlig aus
den Augen verloren hat. In der Fachpresse wird er sogar
als Insolvenzerklärung bezeichnet.
Seit Jahren können der NATO zugesagte Fähigkeiten
nicht zertifiziert werden. Ich will nur einige wenige Beispiele der Bundeswehrmängelliste nennen:
Bei den Rüstungsinvestitionen reicht das verfügbare
Finanzvolumen nicht aus, um den Ausrüstungsbedarf
der Bundeswehr kurz- oder mittelfristig zu decken. Im
Zeitraum zwischen 2008 und 2015 kann ein Volumen
von 14,9 Milliarden Euro planerisch nicht abgedeckt
werden.
Die Beschaffung eines Selbstschutzsystems für den
A400M wird erst 2014 eingeleitet. Damit wird der
A400M vier Jahre nach Beginn seiner Einführung für
Auslandseinsätze nicht einsatzfähig sein.
Die Beschaffung von Feldlagerschutzsystemen für
Einsatzkontingente wurde gestreckt und verzögert. Erst
ab 2008, 2012 und 2014 wird hier Abhilfe geschaffen.
Bis dahin muss auf Behelfslösungen zurückgegriffen
werden. Die Infrastrukturinvestitionen berücksichtigen
rund ein Drittel der Maßnahmen nicht, die zur zeitgerechten Sicherstellung der Kernfähigkeiten der Streitkräfte erforderlich sind. Eine querschnittliche Verbesserung der Attraktivität der Liegenschaften ist somit
mittelfristig nicht zu erreichen.
Darüber hinaus fehlt es an einer Anpassung der Rüstungsplanung an die Einsatzrealitäten. Den Anforderungen von ISAF, des über Jahre hinweg umfassendsten
Auslandseinsatzes der Bundeswehr, wird in keiner
Weise Rechnung getragen. Jeder, der in der Bundeswehr
mit Ausrüstungs- und Einsatzplanung beschäftigt ist,
weiß, dass die Bundeswehr in Afghanistan neben einer
effektiven Schutzausrüstung vor allem moderne Aufklärungs- und Lufttransportfähigkeiten benötigt.
({3})
Aber auch so kleine Vorhaben wie der Lastengleitfallschirm werden nicht realisiert, obwohl dessen Beschaffung dringend notwendig wäre. Denn wenn deutsche
Soldaten in Afghanistan aufgrund von widrigen Witterungsbedingungen oder Angriffen von der Außenwelt
abgeschnitten wären, könnte man sie damit punktgenau
aus der Luft versorgen. Von mehr geschützten Transportfahrzeugen oder der Beschaffung von unbemannten
Luftfahrzeugen ganz zu schweigen. Die Spielräume für
eine einsatzorientierte Ausrüstung wird die Bundesregierung aber nicht mit einer Beibehaltung des Status quo erzielen.
Ähnlich uneinsichtig wie bei der Ausrüstungsplanung
zeigen sich die Bundesregierung und die sie tragenden
Regierungsfraktionen bei Strukturentscheidungen, von
denen die wichtigste ohne Frage die Wehrpflicht ist.
({4})
Mit dem halbgaren Antrag, den die SPD auf ihrem Parteitag beschließen wird, eine sogenannte freiwillige
Dienstpflicht einzuführen, gäbe es im Deutschen Bundestag erstmals eine parlamentarische Mehrheit gegen
einen Vollzug der Wehrpflicht.
({5})
Die FDP-Bundestagsfraktion beantragt seit dem Jahr
2000 alljährlich im Deutschen Bundestag, die Wehrpflicht auszusetzen,
({6})
da sie sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen ist.
Hier im Hause hat nur noch die CDU/CSU-Fraktion etwas gegen die Aussetzung der Wehrpflicht, für die jedoch nur ein einfacher Mehrheitsbeschluss im Parlament
benötigt wird.
({7})
- Sie sagen, wir hätten es nicht verstanden. Es ist auch
wirklich sehr kompliziert, das nachzuvollziehen. Deswegen hoffe ich, dass nach Ihrem Parteitag Aufklärung erfolgt.
({8})
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, endlich
den Weg für eine zukunftsfähige Bundeswehr freizumachen. Diese muss dann aber so attraktiv sein, dass
sich diejenigen qualifizierten jungen Menschen für einen
Dienst in der Bundeswehr gewinnen lassen, die für die
immer schwieriger werdenden Aufgaben tatsächlich
benötigt werden. Stehen Sie weder einer neuen Laufbahnregelung, die die bestehenden Beförderungs- und
Verwendungsstaus ausschließt, noch einem eigenen Besoldungsrecht, das die Besonderheiten des Soldatenberufs berücksichtigt, länger im Wege!
Herr Minister, ich finde es gut, dass Sie hier die Erhöhung des Wehrsolds als besonderes Verdienst der Bundesregierung hervorgehoben haben. Die Erhöhung ist
eine alte FDP-Forderung, die wir seit vielen Jahren postulieren.
({9})
Endlich haben wir es geschafft,
({10})
durch eine Erhöhung um 2 Euro pro Tag ein gewisses
Mindestmaß an Attraktivität zu erzielen.
Auch das Weiterverwendungsgesetz haben wir von
der FDP immer unterstützt.
({11})
Es war eine lange und schwierige Geburt; aber wir sind
trotzdem froh, dass dieses wichtige Gesetz jetzt auf dem
Weg ist.
Herr Minister, Ihre Politik verliert in der Bundeswehr
immer mehr an Rückhalt. Die Stimmung, mit der ich bei
Truppenbesuchen konfrontiert werde, ist ernüchternd.
Beleg dafür sind auch die Ergebnisse der Umfrage des
Deutschen Bundeswehrverbandes zur Berufszufriedenheit in der Bundeswehr. Die Angehörigen der Bundeswehr fühlen sich oft nicht mehr mitgenommen, wenn es
um die Veränderungsprozesse in der Bundeswehr geht.
Auf großen Unmut stößt zu Recht auch, dass der zuständige Minister die Augen vor den offensichtlichen
Missständen verschließt. Ich denke hier insbesondere an
den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Immer noch zu leugnen, dass der Sanitätsdienst hinsichtlich seiner Ausrüstung sowie der Personalausstattung nur bedingt einsatzfähig ist, löst bei den Betroffenen nur noch Kopfschütteln
aus. Sie handeln getreu dem Motto: Weil nicht sein kann,
was nicht sein darf.
Der Begriff der Transformation ist in weiten Teilen
der Bundeswehr inzwischen zum Reizwort geworden
oder ruft allenfalls ein müdes Lächeln hervor. Sie formulieren zwar immer wieder konkrete Ziele der Transformation; aber wenn Sie Gewissheit haben, dass diese
nicht zu erreichen sind, passen Sie Ihre Ziele an den erreichten Stand an und schieben die Begründung hinterher, dass die Transformation doch ein dynamischer Prozess sei. Das ist in meinen Augen nichts anderes als
Beliebigkeit.
({12})
Herr Minister, den unseligen Dreiklang „unzufrieden,
unmotiviert und schlecht ausgerüstet“ können Sie nicht
mit Schönheitsreparaturen wie jenen, die Sie gerade in
Ihrer Rede angeführt haben, beseitigen. Sie benötigen
endlich einen deutlichen Kurswechsel in Ihrer Politik.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Ulrike
Merten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Debatte ist schon mehrfach auf die Einsatzrealität unserer Bundeswehr hingewiesen worden. Wir blicken inzwischen auf 15 Jahre Einsatzerfahrung unserer
Streitkräfte zurück. Das heißt, seit eineinhalb Jahrzehnten gibt es ein Bemühen und ein Ringen darum, die Einsatzrealität nicht immer wieder nur zu beschreiben, sondern sie auch im Haushalt wirklich abzubilden.
Seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten dauert der nicht
zuletzt durch die deutsche Einheit bedingte Reformprozess an; er ist noch lange nicht zu Ende. Der Reformprozess erfordert von den zivilen Mitarbeitern und den
Soldatinnen und Soldaten ständige Veränderungsbereitschaft. Dieser Umgestaltungsprozess ist für alle Beschäftigten der Bundeswehr mit großen Belastungen verbunden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ihnen zu
danken und sie unserer breiten parlamentarischen Unterstützung ihrer Arbeit, nicht zuletzt in den Einsätzen, zu
versichern.
({0})
Wenn wir den vorgelegten Einzelplan 14 mit den Einzelplänen der vergangenen Jahre vergleichen, sehen wir,
dass zwar der Anteil der Investitionen am Plafond
steigt, aber nur in sehr geringem Maße. Das bleibt unbefriedigend; das ist überhaupt keine Frage. Hinzu kommt,
dass der Großteil der Investitionen sehr langfristig angelegt ist, wodurch der Spielraum für kurzfristige planerische Vorhaben oder für Reaktionen auf veränderte Bedarfe praktisch gegen null geht. Parallel dazu sinkt der
Ansatz für die einsatzbezogenen Zusatzaufgaben von
642 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro in 2008.
Sicherlich kommt bei der Verringerung zum Tragen,
dass sich der Verteidigungshaushalt parallel zum Transformationsstand der Bundeswehr doch zunehmend zu einem „Einsatzhaushalt“ entwickelt hat, in dem die für die
Einsätze erforderlichen Mittel für die personelle und materielle Befähigung zunehmend aus den originären Titeln
finanziert werden. Doch ich hoffe, dass sich diese beiden
Momente nicht gegenseitig verstärken, wenn drängende
Beschaffungen größeren Umfangs anstehen. Dabei setze
ich vor allem auf die sehr weit gehende Deckungsfähigkeit im Titel der einsatzbedingten Sofortbeschaffungen.
Es ist oft, nicht zuletzt vom Generalinspekteur, darauf
hingewiesen worden, dass es einer noch konsequenteren
Ausrichtung auf die Einsätze bedarf, wenn es um
Beschaffungen geht. Hierbei muss der Schutz der Soldaten und Soldatinnen ganz oben auf der Prioritätenliste
stehen. Es ist gut, dass der GTK Boxer im Zulauf ist und
dass die Produktion einer größeren Anzahl von Dingo 2
bewilligt ist. Ich rege aber an, darüber nachzudenken,
wie die Versorgung mit geschützten Fahrzeugen noch
stärker optimiert werden kann. Nach meinem Kenntnisstand wird nicht nur der Dingo in Boxbauweise produziert. Das bedeutet relativ wenige Stückzahlen pro Jahr
dieser bewährten Fahrzeuge. Durch höhere Abnahmen
könnte eine Umstellung auf die Produktion am Fließband erfolgen. Auf diese Weise würden die Zulaufzeiten
deutlich verkürzt. Im Übrigen hätte das auch Auswirkungen auf die Preisgestaltung.
Zum anderen hat sich angesichts der infrastrukturellen und geografischen Gegebenheiten und für die Erfüllung verschiedener Aufgaben der mit unseren zurzeit
vorhandenen Transportkapazitäten sehr gut verlegbare
und weniger schwere Typ Wolf bewährt. Diese Fahrzeuge besitzen ein eher geringes Schutzniveau, wurden
und werden jedoch bereits in verschiedenen Stufen nachgerüstet. Ich begrüße die Anstrengungen des BWB,
diese Umrüstungen zu vollziehen und noch schneller voranzutreiben. Sollte der Bedarf dennoch nicht gedeckt
werden können, wären weitere Überlegungen anzustellen, wie der Zulauf intensiviert werden könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zum
Schutz und Ausbau von Feldlagern. Besonders natürlich in Afghanistan ist es nötig, sowohl den passiven
Schutz als auch den aktiven Schutz über Aufklärung und
Abwehr schnell und wirkungsvoll weiter zu verbessern.
Der für den Frühling 2008 angekündigte Zulauf des
Flugabwehrsystems Skyshield wird dringend erwartet
und darf sich als ein wichtiges Element des aktiven Lagerschutzes nicht verzögern.
In diesem Zusammenhang möchte ich das Thema Unterbringung nicht vergessen. Mein Kollege Kahrs wird
darauf noch näher eingehen, aber ich erinnere in diesem
Zusammenhang daran, dass es der Wehrbeauftragte gewesen ist, der auf den enormen Bedarf an Reparatur hingewiesen hat, nicht zuletzt auch im Hinblick auf eine attraktiv bleibende Bundeswehr. Mir geht es an dieser
Stelle jedoch eher um die Unterbringung im Einsatz in
unseren Feldlagern, wo ich Nachbesserungs- und auch
Erweiterungsbedarf sehe.
Sehr erfahren sind wir inzwischen mit länger dauernden Missionen. Das Camp Marmal in Mazar-e-Sharif
oder das Camp Warehouse in Kabul sind Beispiele für
zweckmäßige und sichere Unterbringung. Mit der EUFOR-Mission Kongo haben wir erstmals auch Erfahrungen mit dem Bedarf an Unterkünften in Kurzzeiteinsätzen gesammelt. Erstmals wurde das Feldlagersystem
öffentlich und europaweit ausgeschrieben. Das heißt, mit
der Unterbringung, mit der Verpflegung und mit den
Serviceleistungen für alle im Kongo und in Gabun eingesetzten EUFOR-Truppen war ein ziviles Dienstleistungsunternehmen betraut. Dabei ist es - auch das hat
der Wehrbeauftragte von einer Reise als Information
mitgebracht - vor allem in den Anfangswochen zu vielen Reibungsverlusten gekommen, weil das Unternehmen noch über keine Erfahrungen verfügte und weil die
Versorgungslage vor Ort anders eingeschätzt wurde. Der
Vollständigkeit halber weise ich aber auch darauf hin,
dass es in Afghanistan ebenfalls Anfangsschwierigkeiten
gegeben hat. Das ist keine Besonderheit des Einsatzes
im Kongo.
Warum führe ich den Punkt Feldlager aus? Auch hier
kommen wir an der Definition „Armee im Einsatz“ nicht
vorbei. Wir sollten uns möglichst kurzfristig umfassende
Konzepte für unsere Soldaten - Unterbringung, baulicher und militärischer Schutz, Lagebild, Selbstverteidigung, Versorgung, Klima usw. - in kurz und länger dauernden Einsätzen ohne regionale Begrenzung überlegen
und abrufbare Vorsorge treffen. Ich hege große Sympathie für ein eigenes Bausteinfeldlagersystem. Ich weiß
aber auch, dass wir aus personellen Erwägungen heraus
mittelfristig auf die Unterstützung erfahrener ziviler
Dienstleister nicht verzichten können. Ich meine, dass
unsere Erfahrungen im Kongo uns nicht dazu bringen
dürfen, einseitige Annahmen für die Zukunft zu implizieren.
Manchmal sind es aber auch taugliche Kleinigkeiten,
die die Stimmung und damit die Motivation verbessern
und so große Wirkung entfalten können. Dazu gehören
zum Beispiel im Einsatz die standardmäßige Ausstattung
mit Pistolenhalftern, eine neue Generation von Schutzwesten, die es erlaubt, sich bei Patrouillengängen
deutlich besser bewegen zu können, eine stärkere Einbeziehung von mit Sicherheitssoftware ausgestatteten und
inzwischen vor Ort schon gängigen Handys für die
Kommunikation.
Die Einsätze im erweiterten Aufgabenspektrum erfordern auch eine Veränderung des Charakters militärischen
Dienens und des soldatischen Selbstverständnisses. Im
Rahmen der Konfliktverhinderung oder Krisenbeherrschung werden Fähigkeiten verlangt werden, die bislang
nicht gefordert waren. Das Eignungsprofil unserer Soldatinnen und Soldaten wird künftig gekennzeichnet sein
durch Beherrschung handwerklicher militärischer Fähigkeiten, moralisch-ethische Integrität, geistige Flexibilität
und lebenslanges Lernen. Sprachenkenntnis, interkulturelle Kompetenz, Innovationsfähigkeit, technisches Verständnis, soziale Kompetenz, Leistungs- und Einsatzbereitschaft, Kostenbewusstsein sowie psychische und
physische Belastbarkeit sind dabei wichtige Forderungen an den Soldaten.
Ich will an dieser Stelle besonders hervorheben, dass
sich der seit Anfang der 90er-Jahre vollziehende Geburtenrückgang ab 2008 deutlich auf das Bewerberaufkommen für einen Dienst in den Streitkräften niederschlagen
wird. Im Ergebnis wird der demografische Wandel fast
unvermeidlich zu einer Umkehrung der Wettbewerbsposition führen. Qualifizierte Arbeitskräfte werden
schon in wenigen Jahren ein knappes Gut sein. Deshalb
sind schon heute erhebliche Anstrengungen und neue
Konzepte erforderlich, um in Zukunft ausreichend qualifizierten Nachwuchs für den Dienst in den Streitkräften
zu gewinnen.
({1})
Dafür bleibt die Wehrpflicht eine der Möglichkeiten,
die Auswahlkriterien in der Breite zu erhalten und die
Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr zu gewinnen, die wir in den Einsätzen brauchen. Wir brauchen
nämlich nicht diejenigen, die aufgrund fehlender Lebensperspektiven keine andere Chance sehen, sondern
wir brauchen diejenigen, die in der Lage sind, die von
mir eben beschriebenen komplizierten Aufgaben und
Anforderungen zu erfüllen.
({2})
Ich habe darauf hingewiesen, dass auch dieser Haushalt ein Ringen um das Setzen der richtigen Prioritäten
bleibt.
Bitte kommen Sie zum Schluss.
Ja, ich komme zum Schluss. - Ich will noch erwähnen, dass es uns gelungen ist, den Haushaltsansatz erheblich zu erhöhen. Wir konnten gegenüber dem Bundesfinanzminister deutlich machen, dass wir größere
Spielräume brauchen, um die Intensität der Einsätze aufrechtzuerhalten. Dass dies gelungen ist, ist nicht nur für
die Soldatinnen und Soldaten gut, sondern es zeigt auch,
welche Schwerpunkte wir setzen.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Paul Schäfer spricht jetzt für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier im Oktober vergangenen Jahres eine spannende
Debatte geführt. Der Bundesaußenminister hat mir damals beigepflichtet, als ich sagte, dass Abrüstung wie ein
Stichwort aus längst vergangener Zeit klingt. Er hat
heute noch einmal bekräftigt, hier müsse etwas geschehen und Deutschland müsse eine aktive Abrüstungspolitik verfolgen. Das hat mir zwar gut gefallen, aber ich
frage mich: Waren wir damals in der Abteilung „wohlfeile Deklaration“, und sind wir jetzt im richtigen Leben
gelandet?
({0})
Der Rüstungsetat wird um circa 920 Millionen Euro
erhöht, das heißt, es wird kräftig draufgesattelt. Es passt
doch nicht zusammen, wenn man draußen für Abrüstung
wirbt und hier drinnen bei den Finanzmitteln kräftig
draufsattelt.
({1})
920 Millionen Euro mehr bei gleichzeitig um 670 Millionen Euro sinkenden Personal- und Betriebsausgaben;
das heißt, es wird kräftig investiert. Wir kriegen jetzt
schöne, neue Flugzeuge, den A400M und den Eurofighter. Das ist aber noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. Es folgen die schönen, neuen Kriegsschiffe. Deshalb ist es konsequent, noch viel mehr zu fordern. Eine
entsprechende Steigerung ist im Haushalt eingeplant.
Für mich ist interessant, dass Sie die öffentlichen Investitionen zwar insgesamt gesehen auf einen historischen
Tiefstand gefahren haben, aber just in diesem Bereich investieren. Das kann doch nicht wahr sein.
({2})
Ein weiterer Punkt muss an dieser Stelle genannt werden. Die vertraglichen Verpflichtungen belaufen sich
derzeit auf 51 Milliarden Euro. Durch diese gewaltige
Summe, durch diese Verpflichtungsermächtigungen ist
der Verteidigungshaushalt im Grunde auf Jahre hinaus
verpfändet und die parlamentarisch-demokratischen Gestaltungsspielräume gehen gegen null. Ich finde, das ist
nicht akzeptabel.
({3})
Man könnte es so formulieren - auch wenn das sehr
zugespitzt klingt -: Die Streitkräfte sind auf Expansionskurs, und zwar sowohl bezogen auf die Ausgaben
als auch bezogen auf die Aufgaben. Die Expansion hat
mit der Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs angefangen. Die Verteidigung beginnt nicht mehr in Hindelang,
sondern am Hindukusch. Die Entgrenzung geht jetzt
aber noch viel weiter. Man kann von einer Entgrenzung
der sicherheitspolitischen Philosophie sprechen. Das
stellt man beim Lesen von NATO-Dokumenten fest, das
kann man aber auch im Weißbuch nachlesen. Die NATO
will sich auf die Fahne schreiben, als globaler Akteur
aufzutreten und global militärische Macht zu entfalten.
Je mehr man betont, dass man aber trotzdem kein Weltpolizist sein wolle, umso mehr hat man das Gefühl, dass
es genau darum geht.
({4})
Schauen wir uns die Aufgaben an: globaler Krieg gegen den Terror, weltumspannende Sicherung unserer
Rohstoffe und Ressourcen - in Klammern: die Formulierung „unsere Rohstoffe und Ressourcen“ ist verräterisch und bringt die ganze westliche Arroganz zum
Ausdruck -,
({5})
sogenannte gescheiterte Staaten auf den rechten Weg
bringen - Afghanistan und andere Länder -, die Grenzen
der Wohlstandsfestungen gegen Armutsflüchtlinge
sicher machen; auch das ist heute im Katalog der Streitkräfte enthalten. Das ist der abgesteckte Rahmen, und
dem dient die Transformation der Bundeswehr.
Es ist natürlich nicht zu bestreiten, dass diese extra
breite Auftragsdefinition an die Analyse weltpolitischer
Risiken anknüpft und dass auf die offenen Fragen Antworten gefunden werden müssen. Ihre Antworten sind
aber grundfalsch. Ich will nur drei Beispiele herausgreifen.
Gegen die dramatische Verknappung der Energieressourcen bei stark steigender Nachfrage - wir reden
über Öl und Gas - helfen keine militärischen Planspiele
zur Sicherung der weltweiten Transportwege, zum Beispiel zur Überwachung von Pipelines. Hier helfen erneuerbare Energien, verbesserte Energieeffizienz und
Energiesparen. Wir brauchen die Energiewende.
({6})
Außerdem brauchen wir eine kooperative Außenpolitik,
um die Ressourcen gerecht verteilen zu können. Es passt
nicht zusammen, wenn der Außenminister einerseits für
eine Energie-KSZE, also für einen kooperativen Ansatz
wirbt, und der Verteidigungsminister andererseits - siehe
Weißbuch - die deutsche Marine um den Globus schicken will, um die Transportwege militärisch zu sichern.
({7})
Gegen die Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen helfen keine Raketenabwehrsysteme, sondern nur die Verschrottung der vorhandenen
Atomwaffen und eine Politik, die die aufstrebenden Regionalmächte ernst nimmt. Das bedeutet: Auch bei uns
müssen Atomwaffen abgezogen und muss die nukleare
Teilhabe beendet werden.
({8})
Paul Schäfer ({9})
Gegen die Gefahren des Terrorismus hilft kein Einsatz militärischer Gewalt. Man muss vielmehr die Verhältnisse ändern, aus denen Terroristen immer wieder
ihre scheinbare Legitimation ziehen und die ihnen immer wieder neue Anhänger zutreiben. Das hat nicht zuletzt der Militäreinsatz in Afghanistan gezeigt. Deshalb
sind wir dafür, das militärische Engagement dort zu
beenden. Wir wollen, dass der Truppenabzug eingeleitet
und die zivilorientierte Aufbauhilfe deutlich verstärkt
wird.
({10})
Es ist gut, wenn viele Menschen das am Samstag auf der
Straße kundtun.
Wir bleiben dabei: Der Wehretat ist entschieden überdimensioniert.
({11})
Das Geld wird an der falschen Stelle ausgegeben.
({12})
Es geht in die überambitionierten Beschaffungsprojekte
statt an die Soldatinnen und Soldaten, die in den letzten
Jahren zum Teil erhebliche Einbußen hinnehmen mussten. Das schrecklich späte Programm „Sanierung Kasernen West“ wird hinten und vorne nicht ausreichen. Davon bin ich überzeugt.
Das Geld wird für falsche Zwecke verwandt. Statt
sich auf Verteidigung und die Stärkung der UNO zu konzentrieren, orientiert sich die Regierung auf überlebte
und zudem gefährliche globale Machtpolitik. Wir dagegen wollen Mittel einsparen - bei Militärinterventionen,
bei den Großprojekten - und diese Summen in mehr
Entwicklungszusammenarbeit und in die längerfristige
Umstellung vom Militärischen zum Zivilen stecken.
({13})
Aktive Abrüstungspolitik ist richtig. Das wäre zukunftsorientiert. Ihr Haushalt ist es nicht.
({14})
Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt das Wort
dem Kollegen Alex Bonde.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss zu Beginn kurz auf Afghanistan zu sprechen
kommen. Denn, Kollege Schäfer, Ihren Ansatz für die
Lösung der Situation in Afghanistan konnte ich nicht
nachvollziehen. Es klingt so, als wollten Sie Ihre hessische Lösung vorschlagen: So lange wählen, bis das
Ergebnis passt. Aber Außen- und Sicherheitspolitik
funktioniert anders als die Schauspiele, die Sie innerparteilich veranstalten.
({0})
Natürlich teilen wir an vielen Stellen Ihre skeptischen
Bemerkungen. Aber am Ende muss man in einer verantwortlichen Außen- und Sicherheitspolitik eine Linie finden, die tatsächlich Lösungen für die Probleme, die sich
stellen, bietet. An dieser Stelle - wir sprechen hier ja zur
Halbzeitbilanz des Verteidigungsministers nach zwei
Jahren - ist einiges in die Richtung der Regierung zu sagen.
Wir erleben den Verteidigungsminister seit zwei Jahren als eine Art menschgewordene Durchhalteparole.
Wir haben hier einen Einzelplan, der in Zahlen gegossen
einen Stillstand in vielen Bereichen dokumentiert. Wir
haben in den Haushaltsverhandlungen erlebt, dass mehr
Geld nicht immer bedeutet, dass der Reformeifer zunimmt, und dass für diese Koalition zwischen der Bereitschaft, bestehende Probleme zielführend zu analysieren,
und der Bereitschaft, im Sinne der Effizienz tatsächlich
Veränderungen herbeizuführen, in sich kein logischer
Zusammenhang besteht. Das erleben wir auch bei diesem Einzelplan. Wir erleben, dass 918 Millionen Euro
mehr in den Einzelplan 14 des Verteidigungsministers
gesteckt werden. Aber an den entscheidenden Punkten
ergeben sich keine Veränderungen.
Der Stillstand beginnt bei der Frage der politischen
Linie. Damit bin ich wieder bei Afghanistan, wo der
Minister mit großem Beharrungsvermögen Probleme
aussitzt, die es aufgrund der dramatischen Veränderungen der Situation in Afghanistan gibt, wo die Bundesregierung nicht bereit ist, zu erkennen, dass das Mandat
„Enduring Freedom“ inzwischen kontraproduktiv wirkt
und dass nach der Ausdehnung von ISAF auf Gesamtafghanistan die nicht in den Wiederaufbauprozess eingebundene Antiterrormission mehr Widerstand schürt als
bekämpft.
({1})
Die politische Schwäche der Bundesregierung wird
auch bei der Frage, wie wir einen Strategiewechsel bei
den Partnern einfordern, deutlich, wenn ich mir ansehe,
wie die Führungsstruktur von ISAF aussieht. Die herausgehobene Funktion Deutschlands im Stab von ISAF gehört bald der Vergangenheit an. Der Minister hat einen
glorreichen Coup gelandet, indem Deutschland zukünftig den Pressesprecher von ISAF stellt. Jetzt mag der
Minister es für richtig halten - so hat er es bisher bei der
Bundeswehr getan -, lieber die Presse zu bedienen als
die Bundeswehr zu führen, aber in Afghanistan wird
Pressearbeit nicht ausreichen, um dem Land eine sinnvolle Perspektive zu geben.
({2})
Ähnliche Betonköpfigkeit zeigen Sie aktuell in der
Frage des Bombenabwurfplatzes in Wittstock. Sie haben sich vor Gericht eine blutige Nase geholt. Sie haben
bisher eine halbe Million Euro in Gerichtsverfahren investiert. Anstatt der Bevölkerung jetzt die notwendigen
Signale für eine wirtschaftliche Perspektive, zum Bei11548
spiel für Tourismus in der Region, zu geben, haben Sie
schon angekündigt, dass auch hier gilt: Durchhalten,
koste es, was es wolle. Die nächste juristische Instanz ist
zuständig, Sie in Ihrem Drängen aufzuhalten.
({3})
Was die Bundeswehrstruktur angeht, kommt nichts
voran. Interessant war, dass in diesem Sommer auch aus
der SPD sehr harsche Kritik an der Struktur der Verwaltung der Bundeswehr und am Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung geäußert wurde. Daran wurde deutlich, dass Sie die Reformen Ihres Vorgängers in diesen
Bereichen, wenn überhaupt, nur mit gequälter Miene
durchführen. Etwas Neues gibt es bei Ihnen nicht. Alles
wird so betrieben wie bisher. Insofern haben die
918 Millionen Euro, um die dieser Etat aufgestockt wird,
einen faden Beigeschmack. Um es Ihnen als Winzersohn
noch deutlicher zu sagen: Ihr Wein korkt ordentlich,
Herr Minister.
({4})
Die Bundeswehr ist aufgrund ihrer Struktur für die
Erfüllung der Aufgabe, die sie hat, nicht fit. Ihre Aufgabe, eine Armee im Einsatz zu sein, wird in der Realität nicht in der Struktur der Bundeswehr abgebildet. Insgesamt gibt es knapp 250 000 Soldatinnen und Soldaten.
Sie haben auf unsere Anfrage geantwortet, dass ungefähr
23 Prozent von ihnen bisher tatsächlich in Auslandseinsätzen waren; davon gehören gerade einmal 2 Prozent
zum Zivilpersonal.
Auch wenn eine Bundeswehr im Einsatz viele Menschen braucht, die in der Heimat arbeiten und sie von
dort aus unterstützen, ist klar, dass die Bürgerinnen und
Bürger die Frage stellen: Wenn die Kernaufgabe der
Bundeswehr von heute die Stabilisierung im Auftrag der
UN ist, was machen dann die 77 Prozent der Soldatinnen
und Soldaten, die mit dieser Aufgabe offensichtlich
nichts zu tun haben, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber einen Großteil der Mittel dieses Einzelplanes
kosten?
({5})
Damit sind wir bei der Wehrpflicht. In diese Debatte
ist ein wenig Wind gekommen, als die SPD versucht hat,
die beiden unvereinbaren Pole der „freiwilligen Wehrpflicht“ zusammenzuführen. Insofern besteht dieser
Wind eher in einem windigen Konzept.
({6})
Nichtsdestotrotz nehmen wir diesen Debattenanstoß
dankbar an. Das strukturelle Problem lösen Sie mit Ihrem Konzept allerdings nicht. Es besteht darin, dass
durch die Wehrpflicht in erheblichem Umfang Ressourcen gebunden werden, Großteile der Infrastruktur und
des Materials darauf ausgerichtet werden müssen und in
der Ausbildung massiv Personal gebunden wird.
Genau das sind die Punkte, über die wir eigentlich
sprechen müssten, wenn wir den Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern erklären wollen, welche Struktur der Bundeswehr wir in der heutigen sicherheitspolitischen Situation brauchen und welche Elemente wir uns - mit Verlaub - schenken können, weil sie alte militärische Zöpfe
sind, die unter Traditionsgesichtspunkten kostenpflichtig
am Leben erhalten werden.
({7})
Was die Rüstungsbeschaffung angeht, ist die Situation noch schlimmer; die Kollegin Hoff hat das sehr
deutlich angesprochen. Von Bundeswehrsoldaten, die in
Einsätzen sind, bekommt man auf die Frage, wie die
Situation im Hinblick auf ihre Ausrüstung ist, die Antwort: Ganz ehrlich, die Abteilung Rüstung/Nutzung und
das BWB machen doch nur Industriepolitik. Daran wird
deutlich, in welcher Situation wir inzwischen sind. Sie
beschaffen nach dem Produktkatalog der Rüstungsindustrie, Sie gehen dabei nach dem Gießkannenprinzip vor,
und Sie beschaffen manchmal zum denkbar höchsten
Preis.
Kurz vor dem Sommer dieses Jahres haben Sie noch
die Fregatte 125 durchgewinkt. Sehen wir uns die Situation an: kein Wettbewerb, Abnahmegarantie gegenüber
den Werften und letztlich ein Preis, der dreimal so hoch ist
wie der, den unsere Verbündeten für vergleichbare Schiffe
zahlen. Angesichts eines Stückpreises von 656 Millionen
Euro muss man sich wirklich fragen: Geht es Ihnen eigentlich noch um die Ausrüstung der Bundeswehr zur
Erledigung der Aufträge, die sich heute in sicherheitspolitischer Hinsicht stellen, oder sind Sie der stellvertretende Wirtschaftsminister der Bundesregierung?
({8})
Dieser Eindruck wird dadurch erhärtet, dass Ihre bisherigen Reisen oft genug Handlungsreisen im Interesse
der Rüstungsindustrie waren. Die Exportrate im Rüstungsbereich hat sich verdoppelt. Sie hatten, was kritische Länder angeht, eine geringe Hemmschwelle. Sie
wollen Eurofighter nach Indien und U-Boote ins instabile Pakistan liefern.
({9})
Herr Jung, das Bild, das wir von Ihnen bekommen,
wird immer deutlicher. Aber es passt nicht zur Ankündigung von Außenminister Steinmeier, dass das Thema
Abrüstung wieder ins Zentrum der Politik der Bundesregierung rückt. Es passt nicht zusammen, dass der
Außenminister herumreist, um sich für die Abrüstung
einzusetzen, und dass Sie herumreisen, um dafür zu sorgen, dass genau das geliefert wird, was man abrüsten
könnte.
({10})
Hier muss sich die Regierung irgendwann einmal entscheiden.
({11})
Zurück zur Beschaffung. Beim Einsatzgruppenversorger droht angesichts der monopolartigen Werftenkonsortien, die Sie hier ins Spiel bringen, ein ähnliches
Preisdesaster. Beim Thema Eurofighter fehlt Ihnen der
Mut, endlich Verhandlungen über die dritte Tranche aufzunehmen. Deutschland ist wieder einmal die einzige
Nation, die sich von der EADS willfährig über den Tisch
ziehen lässt.
Wirklich eng wird es in Bezug auf geschützten
Transportraum. Wann haben Sie schon einmal die Situation, dass es im Haushaltsausschuss relativ breit, über
alle fast Fraktionen hinweg eine Initiative gibt, bei der
gefragt wird, ob wir nicht mehr für den Schutz unserer
Soldatinnen und Soldaten in gefährlichen Einsätzen
- wie bei der Stabilisierung in Afghanistan - tun können. Die Antwort Ihres Hauses ist: Das haben wir alles,
und das, was wir nicht haben, wird schon kommen,
macht euch keine Sorgen, alles ist da. Die Realität in den
Einsatzländern ist eine andere. Wenn Sie mit den Soldatinnen und Soldaten sprechen, wenn einmal keine Presseoffiziere danebenstehen, dann werden Sie hören, dass
das nicht der Fall ist. Sie müssen endlich anfangen, Prioritäten bei der Ausgabe des Geldes zu setzen, und Sie
müssen akzeptieren, dass die Einsätze heute andere sind,
als es früher der Fall war.
Im Transportbereich gibt es eine andere Fähigkeitslücke. Der A400M entwickelt sich immer mehr zu einer
lahmen Ente, die nicht vom Boden wegkommt. Wenn
Sie uns heute erzählen, dass es Ihrer Ansicht nach keine
Verzögerungen in der Auslieferung geben werde, dann
kann ich Ihnen nach oben hin offene Wetten darauf anbieten, dass das natürlich der Fall sein wird.
Was die Nachfolgedebatte über den Transporthubschrauber CH-53 angeht - den Lastesel in allen humanitären Missionen, zum Beispiel bei der Erdbebenhilfe in
Pakistan, aber auch bei Einsätzen der Bundeswehr wie in
Afghanistan -, möchte ich nicht wissen, was dabei am
Ende wieder herauskommt. Auch da sind Sie wieder im
Begriff, etwas in den Sand zu setzen.
Zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren muss
man sich auch noch einmal kurz die Bilanz Ihres Hauses
in Erinnerung rufen. Wir haben beim G-8-Gipfel erlebt,
dass die mecklenburgische Polizei vorübergehend die
Befehlsgewalt der Luftwaffe übernommen hat. Per
Handy hat die Polizei vor Ort Einsätze dirigiert, und der
Bundesverteidigungsminister wusste nicht, was die eigene Luftwaffe macht, denn er war in Indien und Pakistan im Zusammenhang mit besagten Rüstungsdeals unterwegs. Aber es wird immer offenkundiger, was in
entscheidenden Fragen - im genannten Beispiel handelte
es sich um eine Frage, die Sie selbst zu einer entscheidenden erklärt haben - geschehen ist. Sie haben die
halbe Luftwaffe wegen potenzieller Terrorgefahr beim
G-8-Gipfel in Mobilität versetzt. Aber Sie wussten offensichtlich nicht, was passiert, weil Sie im Ausland waren. Da frage ich mich schon: Haben Sie den Laden eigentlich im Griff?
Abschließend möchte ich sagen, dass Sie viele Baustellen haben, mit denen Ihr Haus fertig werden muss
und bei denen Sie aufhören müssen zu glauben, man
könne alles so weiterführen wie immer. Sie müssen anfangen, in den großen Linien umzudenken. Sie müssen
sich klar werden, was das, was Sie selbst immer „comprehensive approach“ nennen, für die Bundeswehr bedeutet, was es für ihre Orientierung und Ausrüstung bedeutet. Sie müssen diese Fragen im Umgang mit
Entscheidungen ernst nehmen.
Ich fürchte, dass die 918 Millionen Euro, die der
Finanzminister Ihnen jetzt vom Aufschwung abgegeben
hat, die letzten Reste von Reformbereitschaft bei Ihnen
ersticken werden. Ich fände das dramatisch, weil wir am
Ende alle einen außen- und sicherheitspolitischen Preis
werden zahlen müssen, wenn Sie nicht auf die Reformschiene kommen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zahlen schon heute einen hohen Preis dafür, dass Sie
die zentralen Reformen im sicherheitspolitischen Bereich aussitzen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich hoffe, dass Sie die zweite Halbzeit nutzen werden,
um aus dem sicherheitspolitischen Schläfchen aufzuwachen. Es gibt viel zu tun. Wir warten darauf, von Ihnen
auch einmal Antworten zu hören.
({0})
Ich gebe jetzt das Wort Susanne Jaffke für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Gott, Alex, wenn ich Sie nicht kennen würde, hätte
ich das wirklich alles nicht geglaubt. Wer hat Ihnen diese
Rede aufgeschrieben?
({0})
In diesen Tagen wird aus aktuellem Anlass vielfältig
an die Geschehnisse des 11. September 2001 erinnert.
Männer und Frauen - nicht nur US-Staatsbürger, sicher
Menschen aller Glaubensrichtungen - fanden dabei den
Tod, auch Deutsche. Mehrfach haben sich ähnliche Ereignisse in Europa wiederholt. Erinnert sei an die Anschläge von Madrid und London. Vor wenigen Tagen
konnten unsere Sicherheitsbehörden geplante Anschläge
in Deutschland erfolgreich verhindern. Über Ursachen
und Hintergründe solchen für uns unzivilisatorischen
Handelns gibt es viele Analysen und Interpretationen.
Ich will das nicht vertiefen. Aber eines ist wichtig: Diese
Einsätze bestimmen seither wesentlich unser verteidigungspolitisches Handeln. Nicht erst seit dem Fall des
Eisernen Vorhangs und nicht erst seit dem Ausbruch der
ethnischen Konflikte auf dem Balkan, sondern seit ebendieser letztgenannten Zeit haben sich die Anforderungen
an unsere Streitkräfte verändert.
Gestatten Sie mir deshalb, dass ich mich ganz herzlich bei all den Soldatinnen und Soldaten bedanke, die
auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika
oder vor der Küste Libanons ihren Dienst versehen. Sie
wissen, dass sie in diesen Regionen der Welt unsere gemeinsamen Werte - unsere freiheitliche parlamentarische Demokratie, basierend auf dem christlichen Menschenbild - nicht nur verteidigen, sondern dass sie
zugleich als Botschafter für diese demokratischen Werte,
für Toleranz und Anerkennung des Lebens miteinander
im Einsatz sind.
({1})
Dafür stehen unsere Soldatinnen und Soldaten ein, dafür
üben sie in der Heimat, dafür bringen ihre Familien Verständnis auf. Es lohnt sich, das hier im Parlament immer
wieder zu erwähnen. Im Alltagsgeschehen ist das schon
ein Stück Routine geworden. So werden meine Fernmelder in Neubrandenburg gerade mit einem Appell zu ihrem Einsatz auf dem Balkan verabschiedet. Ich bin hier,
kann nicht da sein; ich nehme diese Aufgabe an.
Auf diese neuen Herausforderungen werden die Bundeswehrplanungen ausgerichtet. Auf diese Herausforderungen sollen die Strukturanpassungen, genannt
„Transformation“, zielen, und dem soll auch die auszuplanende und umzusetzende Zielstruktur der zivilen Verwaltung dienen. Die Beschäftigten brauchen diese Strukturen, damit sie endlich wissen, wo ihre zukünftige
Tätigkeit sein wird.
Der Einzelplan 14, den wir hier in erster Lesung beraten, soll dem Anspruch gerecht werden, die Investitionen
in Sicherheit im Einsatz - verbunden mit optimalen
Übungsmöglichkeiten in der Heimat einerseits und andererseits natürlich mit der Landesverteidigung - zu gewährleisten. Dass dazu in den letzten Jahren eine Reihe
von Beschaffungsvorgängen vorbereitet und auf den
Weg gebracht wurden, ist bekannt. Dass der Haushalt
eng ist, wissen die Insider. Dass es noch einiger Projekte
dringend bedarf - zum Beispiel des geschützten Transportfahrzeugs Puma und des dritten Einsatzgruppenversorgers -, ist ebenso bekannt und erklärtes strategisches
Ziel.
In der mittelfristigen Finanzplanung des Wehretats ist
ein Etataufwuchs vorgesehen. Das ist erfreulich, dennoch nicht üppig. Investiven Nachholbedarf gibt es
ebenso bei der Kasernensanierung West. Die Koalition
wird darauf bei den Etatberatungen besonderes Augenmerk legen. Geplante Ausgabenaufwüchse ergeben sich
in dem zu beratenden Etat bei der Modernisierung der
IT-Ausstattung - Projekt „Herkules“ - und im Bereich
von Materialerhaltung und -instandsetzung. Sowohl
beim Investitionsvorhaben „Herkules“ als auch bei der
Erhaltung und Instandsetzung von wehrtechnischem
Material sollen Auftragsausgestaltung und -vergabe in
enger Partnerschaft mit mittelständischen Betrieben organisiert werden. Auch darauf wird die Koalition besonderes Augenmerk legen.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung zur Wehrgerechtigkeit. Ich stehe zur Wehrpflicht. Sie steht im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode, sollte aber auch
darüber hinaus gelten. Verbunden mit der Wehrpflicht
sind in unserem Land nämlich vielfältige andere soziale
Dienstleistungen. Selbstverständlich kann ein junger
Einzuberufender in den vielen Einrichtungen der Sozialdienste auch Zivildienst leisten, der mit Sicherheit eine
körperliche und mentale Herausforderung darstellt. Aber
auch Ehrenamtorganisationen wie Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst, Johanniter und
andere profitieren von dem bewährten System der Wehrpflicht. All diese gesellschaftlichen Leistungen durch
Hauptamtliche erbringen zu lassen, würde unsere öffentlichen Haushalte überfordern. So sollten wir uns auch
hier zur allgemeinen Wehrpflicht bekennen. Die Koalition wird nach Wegen der Finanzierung der Wehrsoldanpassung, die überfällig ist, suchen und sie ermöglichen.
({2})
Allen in diesem Hause, die sich mit der Organisationsstruktur des Einzelplans 14 auskennen, wissen, dass
dieses Zahlenwerk dringend einer organisatorischen
Umgestaltung bedarf. Alle Berichterstatter sind in diesem Zusammenhang aktiv geworden und haben der Verwaltung aufgegeben, das Zahlenwerk übersichtlicher, in
Kapitel und Titel, zu strukturieren, die Zahl der Deckungsvermerke einzuschränken und damit die Transparenz zu erhöhen. Dennoch bleibt dieser Etat in gewisser
Weise unparlamentarisch, weil der Verwaltung durch
Deckungsverbünde große Flexibilität bei Ausgabenanforderungen gegeben wird.
Die Koalition wird auch weiterhin ihr Augenmerk
darauf richten, dass die parlamentarisch gebilligten Mittel dort eingesetzt werden, wo die Politik die Schwerpunktsetzung vorgenommen hat. Dies dient nicht nur der
erwähnten Transparenz, sondern sichert den effizienten
Einsatz der Mittel.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Haushaltsausschuss zu den Einzelplanberatungen und danke für
Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Jetzt spricht Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Der vorliegende Verteidigungshaushalt
umfasst 29,3 Milliarden Euro. Das sind 918,5 Millionen Euro mehr als 2007 und entspricht einer Steigerung
von 3,2 Prozent. Trotzdem sinkt der Anteil des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt. Ein genauer Blick in den
Haushalt zeigt, dass der Anteil der Personalausgaben gegenüber dem letzten Haushalt deutlich sinkt, dass der
Abbau der Zahl der Zivilbeschäftigten planmäßig vorangeht und die Betriebsausgaben gesenkt werden. Die
Ausgaben für Materialerhalt steigen. Dies ist kritisch,
weil teilweise auch neues Gerät mit höheren Betriebsausgaben verbunden ist als altes. Das betrifft insbesondere den Materialhaushalt.
Wir alle wissen, dass der gesamte Bereich der Betreiberverträge anwächst. Frau Hoff hat es bereits erwähnt.
Das liegt insbesondere daran, dass das IT-Projekt „Herkules“ zum ersten Mal in vollem Umfang im Haushalt
dotiert ist.
Wir kennen die Zahlen. Der Minister ist vielfach kritisiert worden. Wir alle kennen das Problem: Der Etat ist,
wie er ist. Die Bundeswehr hat Probleme. Diese Koalition versucht aber, Schwerpunkte zu setzen, um diese
Probleme zu beheben. Das wird man nicht sofort hinbekommen, aber wir verfolgen eine gute Linie. Der Verteidigungsetat wächst, wie gesagt, um 3 Prozent. Im Großen und Ganzen wird die Linie von Peter Struck
fortgesetzt. An dieser Stelle möchte ich Peer Steinbrück
danken, der es ermöglicht hat, diesen Aufwuchs umzusetzen.
({0})
Wenn man sich mit diesem Haushalt beschäftigt, dann
erinnert man sich an mancher Stelle an ein altes Gedicht
aus dem Dreißigjährigen Krieg, das folgendermaßen lautet:
Gott und den Soldaten ehrt man
in Zeiten der Not - und nur dann!
Denn ist die Not vorüber und die Zeiten gewandelt,
wird Gott schnell vergessen und der Soldat
schlecht behandelt.
Das gilt in Teilen leider auch für die Bundeswehr. Daran
können das Ministerium und die Koalitionen - wie auch
immer sie aussehen - arbeiten, aber das Problem wird
weiter fortbestehen. Das ergibt sich schon aus der Größe
der Bundeswehr, der planwirtschaftlichen Struktur, die
wir uns selber auferlegt haben, aus den Verwaltungsstrukturen und den Gesetzen und Vorschriften, die wir
selber beschlossen haben und die es uns manchmal unmöglich machen, das zu erreichen, was wir selber wollen.
Für die Bundeswehr sind drei Bereiche besonders
wichtig, um zukunftsfähig zu sein und das Personal anzuwerben, das wir brauchen. Dazu gehören erstens die
Besoldung der Soldaten, zweitens ihre Unterbringung das hat etwas mit der Infrastruktur zu tun - und drittens
die Ausrüstung. Das alles führt im besten Fall zu einer
gewissen Berufszufriedenheit, die wiederum zur Folge
hat, dass sich Menschen dafür entscheiden, den Beruf
des Soldaten zu ergreifen.
Die Koalition bemüht sich, in diesen Bereichen etwas
zu tun. Die Anhebung des Wehrsoldes um 2 Euro ist
nicht weltbewegend, aber ein Schritt in die richtige
Richtung. Gleichzeitig wollen wir uns langfristig bei der
Besoldung der Soldaten konzeptionell eher an der Bundespolizei orientieren als an der gegenwärtigen Situation
in der Bundeswehr. Otto Schily hat die Bundespolizei
hervorragend ausgestattet. Angesichts der Gehaltsstrukturen kann man nur wünschen, dass sie irgendwann auch
auf die Bundeswehr übertragen werden.
Strukturveränderungen bei den Beamtenbesoldungen
- wie sie zum Beispiel derzeit im Bundesinnenministerium geplant werden - dürfen nicht zu Belastungen der
Mannschaftsdienstgrade - der Feldwebel mit und ohne
Portepee - bei der Bundeswehr führen. Das ist für uns in
dieser Koalition im Verteidigungsbereich nicht akzeptabel.
({1})
Beim Thema Infrastruktur hat man manchmal das
Gefühl, dass der Soldat schlecht behandelt wird. Es gibt
insbesondere im Westen Bundeswehrstandorte, in denen
in den letzten Jahren nichts passiert ist. Darüber kann
man lange diskutieren. Ich habe mir in den letzten Wochen und Monaten unzählige Standorte angesehen. Zum
Beispiel der Standort Schwarzenborn in Hessen und
viele andere mehr stehen dafür. Ich glaube, wir alle werden etwas tun müssen, um hier für Verbesserungen zu
sorgen.
Frau Hoff hat gesagt, dass die 123 Millionen Euro,
die die Koalition zusätzlich einstellt, nur ein Tropfen auf
den heißen Stein seien. Wir könnten noch viel mehr
drauflegen. Aber das änderte im Kern nichts. Das Problem, das wir mit den veralteten, teilweise maroden Kasernen aus den 60er- und 70er-Jahren haben, besteht darin, dass die Strukturen nicht funktionieren. In einer
Kaserne ist üblicherweise der S 3 für entsprechende Anforderungen zuständig. Wenn er nicht gerade im Ausland
ist, wenn er nicht gerade anderweitig überlastet ist und
wenn er nicht gerade einer Battle-Group oder anderen
zur Verfügung stehen muss, passiert das irgendwann
auch. Danach kümmert sich der Infrastrukturstab darum.
Darauf folgt die Wehrverwaltung mit ihren neu geschaffenen Servicecentern in der einen oder anderen Variante,
mit der einen oder anderen Stufe. Darauf folgt die Landesbauverwaltung. Hier gibt es unterschiedliche Qualitäten. Das sollten wir uns einmal vor Augen führen: Wir
finanzieren Landesbauverwaltungen, die die Bundesländer selber nicht mehr nutzen und die uns teilweise nur
mäßig dienen. Ich könnte auch Positives anmerken. Aber
in letzter Zeit habe ich eher Negatives feststellen müssen.
Im Ergebnis wird dann ausgeschrieben. Wer die Ausschreibung gewinnt, kümmert sich um die Infrastruktur.
Die Landesbauverwaltung kontrolliert das. Die Soldaten
selber haben nicht einmal Zugang zu der Baustelle in ihrer eigenen Kaserne. Man darf nicht vergessen, dass
auch das Bundesfinanzministerium eine Rolle spielt. Es
muss jeden Quadratmeter absegnen. Das sind Strukturen, die es eigentlich unmöglich machen zu bauen. Wir
sollten uns also in nächster Zeit um die Strukturen kümmern; denn dort versickert das Geld. Hierdurch werden
Soldaten frustriert und entstehen Zustände wie beispielsweise in Schwarzenborn und Fritzlar. Das darf nicht
sein. Hier muss sich etwas ändern.
({2})
Schauen wir uns einmal den dritten Bereich an, die
Ausrüstung. Die Bundeswehr, die Verwaltung und der
Minister bemühen sich, die Soldaten bestmöglich auszustatten. Wir haben zu diesem Zweck einmal den Einsatzbedingten Sofortbedarf geschaffen, ein hervorragendes
Instrument, von der Verwaltung aber nicht geliebt, weil
es in großem Maße verwaltungsfrei ist. Die Mittel zur
Deckung des Einsatzbedingten Sofortbedarfs wurden
aber in den letzten Jahren zunehmend zurückgefahren
oder teilweise nicht ausgeschöpft. Das liegt unter anderem daran, dass die Verwaltung die Vorschriften für den
Einsatzbedingten Sofortbedarf verschärft hat mit der Begründung, dass man das auch über die normalen Versorgungswege schaffen könne. Wer im Einsatz war, weiß,
dass das nicht geht. Man wird also darüber nachdenken
müssen, ob es nicht sinnvoll ist, den Mittelansatz zur
Deckung des Einsatzbedingten Sofortbedarfs wieder auf
das ursprüngliche Niveau anzuheben und dafür zu sorgen, dass es in diesem Bereich keine Deckungsfähigkeiten gibt und die Mittel einzig und allein dafür ausgegeben werden. Man sollte das Ganze relativ einfach
gestalten, damit die Kollegen aus den Ausschüssen,
wenn sie im Einsatzgebiet sind, reagieren können, wenn
es notwendig ist. Unsere eigene Verwaltungsstruktur
darf uns nicht behindern.
Wir haben uns jahrzehntelang - wer die Bundeswehr
kennt, weiß das - auf den großen vaterländischen Krieg
vorbereitet. Er ist nicht gekommen. Nun stimmen die
Strukturen nicht. Wir arbeiten an der von der Kollegin
Jaffke vorbereiteten Transformation. Das ist ausgesprochen schwierig. Das hängt damit zusammen, dass wir
Beschaffungsstrukturen haben, die durch ein Nebeneinander von zivilem und militärischem Bereich gekennzeichnet sind. Man möge sich in diesem Zusammenhang
einmal das Grundgesetz anschauen. Art. 87 b ist in großen Teilen verzichtbar. Ich würde mich freuen, wenn der
Minister das aufgreifen würde. Die SPD hat das schon
einmal gefordert. Im Ergebnis ist es nicht einsichtig, warum das Nebeneinander von zivilem und militärischem
Strang fortbestehen sollte. So wird oft etwas doppelt
produziert. Man sollte die beiden Stränge zusammenführen. Es ist derzeit so, dass in der Rüstungsabteilung
Zivilisten und Soldaten gut zusammenarbeiten. Diese
Doppelstruktur wird gerade verändert; denn das ist schizophren. Nutzer und diejenigen, die die Geräte beschaffen, gehören zusammen, nicht auseinander.
({3})
Die weiteren Probleme möchte ich hier nur kurz anreißen. Zum Beispiel haben wir selber beschlossen, die
Zahl der Transporthubschrauber vom Typ CH-53 von
über 100 auf 90 bzw. demnächst auf 80 zu reduzieren.
Wer heute in die Einsatzgebiete geht, weiß, dass wir den
CH-53 brauchen. Dieser wird international immer wieder angefordert; denn Hubschraubertransportkapazitäten
sind knapp. Wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht
sinnvoll ist, den Beschluss, die Zahl auf 80 zu reduzieren,
zurückzunehmen und den Bestand bei 90 Stück zu halten. Wenn es drei oder vier mehr sind, ist das auch nicht
schlimm; denn das sind wertvolle Maschinen, und neue
schwere Transporthubschrauber wird es lange nicht
mehr geben. Wir alle wissen, dass wir von einer großen
europäischen Firma Hubschrauber erwarten, die seit Jahren nicht kommen bzw. zu spät angeliefert werden.
({4})
Unsere alten Hubschrauber werden schneller ausgephast, als neue in Dienst gestellt werden. Wenn die
neuen nicht kommen, dann muss man die Ausphasung
verschieben.
Ich komme zum Ende und habe noch eine kurze Anmerkung. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist das
Letzte, was die Bundeswehr braucht. Die SPD steht zur
Wehrpflicht und zur Wehrpflicht plus, nämlich zur Freiwilligkeit. Menschen müssen dazu animiert werden, zur
Bundeswehr zu gehen. Das muss man ihnen leicht machen. Das wollen wir auch in dieser Koalition.
Glück auf!
({5})
Für die Linke hat das Wort die Kollegin Inge Höger.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Politik der Bundesregierung führt unser Land hochgerüstet in die militärische Sackgasse. Wir müssen uns
klarmachen, worüber wir hier gerade reden. Der Einzelplan 14 ist kein Verteidigungshaushalt mehr. Nein, es
geht hier in weiten Teilen um einen Rüstungshaushalt.
({0})
Die Bundeswehr wird für Kriege und Besatzung überall auf diesem Globus fit gemacht.
({1})
Aus einer Armee, deren größter Erfolg darin bestand,
nicht eingesetzt zu werden, aus einer Armee, für die
Frieden der Ernstfall war, haben deutsche machtpolitische Ambitionen eine Armee im Einsatz gemacht. Von
einem „Einsatzhaushalt“ war schon die Rede.
Krieg und Besatzung gibt es nicht zum Nulltarif.
Viele bezahlen, wenige profitieren. Faktisch sind viele
Projekte nichts anderes als Subventionen für die Rüstungsindustrie. Allein die Praxis der Preisfortschreibung
sichert den Unternehmen regelmäßig Extragewinne in
Millionenhöhe. Die Zeche für diese haushaltspolitisch
und inhaltlich verfehlte Politik zahlen unter anderem die
Menschen in den Einsatzgebieten, nicht zuletzt dadurch,
dass zwar Geld für den Militäreinsatz zur Verfügung
steht, jedoch nicht in ausreichendem Maße für zivile
Entwicklung.
({2})
Die Zeche zahlen die Anwohnerinnen und Anwohner
von militärisch genutzten Flughäfen und Übungsplätzen
wie dem Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide bei Magdeburg. Lärm und Umweltzerstörung
sollen zukünftig durch einen weiteren Ausbau des
Übungsgeländes noch zunehmen. Die dafür veranschlagten 34 Millionen Euro für das Jahr 2008 wären
sinnvoller in die Renaturierung des Geländes investiert.
({3})
Die Zeche zahlen aber auch die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler, und das, obwohl die Mehrheit der
Menschen in diesem Lande eindeutig gegen die militärische Außenpolitik ist. Eine Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr stellt fest: 68 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik bejahen den
Satz - hören Sie jetzt gut zu -: Konflikte innerhalb eines
Staates oder zwischen Staaten lassen sich immer mit
friedlichen Mitteln lösen. Die größte Bedrohung sehen
die Befragten in der Kürzung der Sozialleistungen.
({4})
Die Erwartungen der Bevölkerungen werden von der
Regierung bewusst ignoriert. Stattdessen wird in gefährliche und teure Rüstungsprojekte investiert, von denen
ich hier drei Projekte beispielhaft anführen möchte.
Für 2,6 Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren
vier Fregatten vom Typ F 125 gebaut werden. Die
Fregatte F 125 ist ein Kriegsschiff im gefährlichsten
Sinne. Die Fregatte wird zukünftig auch als Aktionsplattform für Einsätze von Spezialkräften dienen. Die
F 125 ist in der Lage, Angriffe und Überfälle auf feindliches fremdes Territorium durchzuführen, zu unterstützen
und aufrechtzuerhalten. Die Anschaffung der Fregatte
wird unter Berücksichtigung von Preissteigerungen, zusätzlicher Bewaffnung und Infrastruktur schnell weit
über 3 Milliarden Euro verschlingen. Die Linke lehnt
dieses und weitere Marinerüstungsprojekte ab. Wir wollen keine deutsche Kriegsflotte.
({5})
Auch das unsägliche Eurofighterprojekt für insgesamt mehr als 20 Milliarden Euro sei hier noch einmal
genannt. Die gigantische Geldverschwendung und das
Sponsoring der Rüstungsindustrie durch dieses Projekt
kritisiert die Linke schon seit Jahren. Nun wird durch die
Aufrüstung des Eurofighters für die sogenannte Mehrrollenfähigkeit der ursprüngliche Abfangjäger zur Angriffswaffe mit Befähigung zu Flächenbombardements.
Dies ist eine Kriegsmethode, die zwangsläufig zu
Opfern unter der Zivilbevölkerung führen muss und jeden Konflikt nur anheizen kann. Wir brauchen den Eurofighter nicht.
({6})
Mit dem Airbus A400M sollen deutsche Soldaten zukünftig in Auslandseinsätze verfrachtet werden. Wer die
Bundeswehr nur zur Verteidigung einsetzt, der braucht
nicht über 9 Milliarden Euro für strategische Verlegbarkeit der Soldatinnen und Soldaten ausgeben. Solchen
gigantischen Ausgaben für Projekte, die aggressive und
gefährliche Out-of-area-Einsätze ermöglichen, kann und
wird die Fraktion Die Linke nicht zustimmen.
({7})
Die effektivste Sicherheitspolitik nach innen und nach
außen ist Armutsbekämpfung. Stoppen Sie den Rüstungswahnsinn! Stoppen Sie die Auslandseinsätze und
investieren Sie in zivile Alternativen!
({8})
Jetzt spricht Thomas Silberhorn für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zur geänderten Bedrohungslage, in der wir
uns befinden, hat vor wenigen Tagen Walter Laqueur,
der als Vater der internationalen Terrorismusforschung
gilt, einen bemerkenswerten Beitrag in der Welt geleistet. Er schreibt:
Der Terrorismus ist in unserer Zeit … die mehr oder
weniger normale Form von Gewalt zwischen und
innerhalb von Staaten.
Dazu stellt er fest, dass es im 19. Jahrhundert noch so etwas wie einen terroristischen Ehrenkodex gegeben habe.
Dieser Kodex von Anarchisten habe festgelegt, dass Attentate nur auf verhasste führende Persönlichkeiten ausgeübt würden und dass man zu vermeiden versuche, dass
Unschuldige Opfer werden. Heute herrsche dagegen
wahlloses Morden, das den Fortbestand unserer Zivilisation infrage stellt.
Damit ist sehr deutlich umschrieben, dass die Verwundbarkeit offener Gesellschaften durch einige wenige nationalistisch oder religiös motivierte Fanatiker
deutlich gestiegen ist. Die neuen Bedrohungen verlangen auch neue Antworten, und eine dieser Antworten
lautet: Wir müssen neue Bedrohungen dort bekämpfen,
wo sie entstehen. Das ist der Grund dafür, dass wir deutsche Soldatinnen und Soldaten in Krisengebiete schicken.
({0})
In Afghanistan, an einem unserer wichtigsten Einsatzorte, wird die Sicherheitspräsenz der internationalen
Gemeinschaft sowohl im zivilen als auch im militärischen Sektor weiterhin erforderlich sein, solange Afghanistan nicht selbst in der Lage ist, eigenverantwortlich
und ausreichend wirksam gegen Terroristen vorzugehen.
Deshalb befürwortet die CSU-Landesgruppe die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an OEF wie an der
ISAF-Mission.
Die afghanische Bevölkerung kennt die Differenzierung, die in der Diskussion in Deutschland gemacht
wird, übrigens nicht. Sie nimmt den Einsatz der internationalen Gemeinschaft als Ganzes wahr, also ohne zwischen OEF und ISAF zu unterscheiden. Ich meine, wir
sollten keine Zweifel an der Solidarität Deutschlands mit
seinen NATO-Partnern durch eine Diskussion über einen
einseitigen Rückzug aus OEF wecken.
Die Perspektive muss vielmehr sein, die Frage zu beantworten: Was braucht dieses Land, Afghanistan? Ich
glaube, wir müssen als unser Ziel definieren, die afgha11554
nische Regierung in die Lage zu versetzen, sobald wie
möglich aus eigener Kraft gegen Aufständische und Terroristen in ihrem Land vorzugehen. Dazu ist es notwendig, dass wir die afghanischen Sicherheitskräfte stärken
und dass wir mehr für die Ausbildung und Ausstattung
der afghanischen Armee und der Polizei tun. Herr Bundesverteidigungsminister, ich freue mich, dass es gelungen ist, diese Aspekte im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung zu verankern.
Wir müssen allerdings auch dafür sorgen, dass die
deutschen Soldatinnen und Soldaten, die wir in Auslandseinsätze schicken, optimal ausgebildet und bestmöglich
ausgestattet sind, im Übrigen nicht nur im Einsatz, sondern auch bei der Vorbereitung auf Einsätze. Dazu sind
ausreichende Finanzmittel notwendig. Die Höhe dieser
Finanzmittel müssen wir nach den Erfordernissen der
Einsätze bemessen. Wenn der Bundestag Auslandseinsätze beschließt, dann ist es auch unsere Verpflichtung,
dafür zu sorgen, ausreichende Finanzmittel für ebendiese
Einsätze zur Verfügung zu stellen.
Insoweit begrüße ich ausdrücklich, dass es gelungen
ist, den Verteidigungshaushalt zu erhöhen, um 3,2 Prozent auf 29,3 Milliarden Euro. Das setzt ein wichtiges
Signal: Der Deutsche Bundestag unterstützt die Streitkräfte, damit sie ihren Auftrag erfüllen können.
Der Aufwuchs des Verteidigungsetats wird es ermöglichen, die Umsetzung des Vorhabens, geschützte
Fahrzeuge zu beschaffen, zu erleichtern und die Modernisierung der Kasernen anzugehen. Das ist im Übrigen
nicht nur ein Problem der letzten zwei Jahre; vielmehr
werden diese Kasernen seit vielen Jahren vernachlässigt.
Jetzt endlich gelingt es, hier vorwärtszukommen.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir vonseiten des
Bundestags die Initiative ergriffen haben, den Wehrsold
zu erhöhen, der seit 1999 nicht mehr verändert worden
ist. Das ist ein positives Signal an die Bundeswehr und
aus meiner Sicht ein Einstieg in eine verbesserte Finanzlinie für den Verteidigungshaushalt.
({1})
Lassen Sie mich kurz auf das Thema Einsatz-Weiterverwendungsgesetz eingehen; der Bundesverteidigungsminister hat es vorhin angesprochen. Ich möchte
es ausdrücklich erwähnen, weil ich denke, dass die bisherige Situation - wir haben Lücken in der Versorgung
von Soldaten, die in einem Einsatz versehrt worden
sind - untragbar ist. Es ist eine zwingende Folge des
Wandels der Bundeswehr hin zur Armee im Einsatz,
dass wir diese Versorgungslücken schließen. Deswegen
ist es gerechtfertigt, dass wir einen Anspruch auf unbefristete Weiterbeschäftigung nicht nur für Soldaten einführen, die im Einsatz dauerhaft geschädigt wurden, sondern ebenso für Zivilpersonal der Bundeswehr und
anderer Bundesressorts sowie auch für die Mitglieder
des Technischen Hilfswerkes. Dies alles ist ein erheblicher Fortschritt, den wir in diesem Haus unterstützen
sollten.
({2})
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Zukunft
der Wehrpflicht machen. Ich meine, dass die Wehrpflicht im 50. Jahr ihres Bestehens von zentraler Bedeutung für unsere Sicherheitsvorsorge bleibt. Sie ist weiterhin die Basis für die Rekrutierung von qualifiziertem
Nachwuchs. Gerade dieses Argument sollte man nicht
gering schätzen; ich verweise auf die Probleme unserer
NATO-Partner bei der Rekrutierung von Nachwuchs für
ihre Berufsarmeen.
Die Wehrpflicht gewährleistet außerdem, dass die
Bundeswehr weiterhin in der Gesellschaft verankert
bleibt. Es ist ebendiese Bundeswehr, die mit Wehrpflicht
organisiert ist, die sich bei ihren Einsätzen im Ausland
höchste Anerkennung erworben hat.
Ich bin schon der Ansicht, dass die Wehrpflicht auch
dazu beiträgt, die Verantwortung der Bevölkerung für
die Wahrung unserer Sicherheit aufrechtzuerhalten. Deswegen lehnt die CSU Pläne ab, die de facto auf eine Abschaffung der Wehrpflicht hinauslaufen.
Ich bin allerdings auch der Ansicht, dass wir das
Thema Wehrgerechtigkeit sehr ernst nehmen müssen. Es
handelt sich nach meinem Dafürhalten nicht nur um eine
verfassungsrechtliche Frage. Es gibt auch im Rahmen
des verfassungsrechtlich noch Zulässigen so etwas wie
eine gefühlte Wehrungerechtigkeit, deren wir uns annehmen.
Allerdings ist nach meiner Einschätzung der Bedarf
an Diensten für unsere Sicherheit gewachsen und nicht
kleiner geworden. Deswegen rege ich an, darüber nachzudenken, die Wehrpflicht eher zu einer sicherheitspolitisch begründeten Dienstpflicht weiterzuentwickeln,
wenn nur so die Wehrgerechtigkeit aufrechterhalten werden kann.
Es ist nicht nur der Wehrdienst, der unserer Sicherheit
dient; es sind auch Dienste im Zivilschutz und - wenn
die Bundesländer mitmachen - im Katastrophenschutz;
aber auch die Entwicklungshilfe kann man dazuzählen,
wenn man einen weiten Sicherheitsbegriff wie den der
präventiven Sicherheit zugrunde legt.
Wenn dazukommt, dass wir Freiwilligendienste großzügiger auf eine solche Dienstpflicht anrechnen - das ist
das, was heute im Bereich des Zivildienstes schon möglich ist -, dann würde ein solches Modell einer sicherheitspolitisch motivierten Dienstpflicht mehr Wehrgerechtigkeit schaffen, und sie wäre ohne eine
Verfassungsänderung umsetzbar.
Im Ergebnis möchte ich feststellen: Sicherheitsvorsorge lässt sich jedenfalls nicht outsourcen und nicht privatisieren; sie geht uns weiterhin alle an.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Gert
Winkelmeier.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrter Herr Minister Jung, was macht ein Minister, wenn er das Parlament davon überzeugen will, dass
sein Ressort unterfinanziert ist? Er appelliert an das Mitleid der Abgeordneten.
In den 1970er-Jahren nahm dies schon einmal ausgesprochen skurrile Züge an. Da wurde allen Ernstes eine
Blattobergrenze für Toilettenpapier pro Soldat und Tag
erwogen; man musste ja sparen. Sie sehen, Kolleginnen
und Kollegen: Das Jammern des BMVg nach mehr Steuergeldern ist überhaupt nichts Neues. Deswegen müssen
wir genau hinsehen, wofür die öffentlichen Gelder im
Verteidigungshaushalt verwandt werden.
Der Verteidigungsetat ist mit 29 Milliarden Euro der
drittgrößte Haushaltsposten. Man kann es gar nicht oft
genug wiederholen: Er umfasst 29 Milliarden Euro, und
es gibt nicht eine einzige reale oder sich abzeichnende
Bedrohung für unser Land, die mit militärischen Mitteln
abgewendet werden könnte. Dies gilt für den Terrorismus ebenso wie für das organisierte Verbrechen. Dass
die Vorgängerregierung der NATO-Strategie zugestimmt
hat, die Flüchtlinge als Bedrohung einzustufen, kann
wohl auch kein Mensch mit klarem Verstand verstehen.
({0})
Schlussendlich ist auch die Landesverteidigung auf
der Prioritätenliste Ihres Weißbuchs ganz nach unten gerutscht, denn wir sind nur noch von Freunden umzingelt,
wie dies schon einer Ihrer Amtsvorgänger sagte. Dieses
Bonmot gefällt mir übrigens wesentlich besser als das
eines anderen Amtsvorgängers, das sich auf die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch bezog.
Nun werden Sie einwenden: Aber wir müssen doch in
Krisenregionen den Frieden wieder herstellen und für
den Wiederaufbau zerfallener Staaten sorgen. - Nehmen
wir einmal an, dass es Ihnen tatsächlich darum geht, so
kann ich Ihnen nur erwidern: Damit sind Sie schon im
Kosovo und auch in Afghanistan hereingefallen. Wie
viele Versuche und Irrtümer brauchen Sie denn noch?
({1})
Die Bevölkerung ist da in ihrem friedenspolitischen
Denken bereits wesentlich weiter als die Bundesregierung. Sie hat offenbar keine Lust auf die vom stellvertretenden Chefredakteur der Zeit, Herrn Ulrich, in der
Nummer 35 empfohlenen „Experimente, auch mit Menschenleben“.
Nun zum Positiven dieses Haushaltentwurfs: Herr
Minister, Sie erhalten in den nächsten vier Jahren rund
2 Milliarden Euro zusätzlich. Ich begrüße ausdrücklich,
dass Sie dies zum Anlass nehmen, endlich die teils
katastrophalen Zustände in den Kasernen zu beseitigen,
die Sie ja nicht zu verantworten hatten, auch wenn mit
den dafür in den kommenden vier Jahren jeweils vorgesehenen 175 Millionen Euro der Investitionsstau von
2 Milliarden Euro bei der Infrastruktur nicht vollständig
aufgelöst werden kann. Auch die Wehrsolderhöhung um
2 Euro pro Tag, was circa 46 Millionen Euro pro Jahr
ausmacht, war seit Jahren überfällig.
Das war es aber auch schon mit dem Positiven.
Schließlich sind diese rund 221 Millionen Euro pro Jahr
für Soziales in den nächsten vier Jahren nun wirklich
Peanuts beim Vergleich mit denjenigen Summen, die Sie
in den kommenden Jahren für neue Rüstungsvorhaben
ausgeben wollen.
({2})
Das, was Sie damit vorhaben, passt überhaupt nicht zu
den ständigen Beteuerungen, es gehe der Bundesregierung ausschließlich darum, anderen Ländern unter die
Arme zu greifen, ihnen Demokratie, Stabilität und Frieden zu bringen.
Braucht man dazu 180 Eurofighter, dieses Überbleibsel aus dem Kalten Krieg, für 16 Milliarden Euro plus
Entwicklungskosten? Braucht man dazu Fregatten F 125
mit der Möglichkeit, zwei Jahre lang ununterbrochen
Seekrieg führen zu können, wofür der Steuerzahler
2,6 Milliarden Euro ausgeben muss? Braucht man dazu
U-Boote für 2,8 Milliarden Euro? Braucht man für die
Demokratie in anderen Ländern ein paar Korvetten für
1 Milliarde Euro? Braucht man dazu Panzerhaubitzen
für 1 Milliarde Euro, die gegen die Armeen des Warschauer Vertrages entwickelt wurden, den es seit 1991
überhaupt nicht mehr gibt? Diese Waffen braucht man
für Demokratie und Frieden nicht.
Ein Blick in Ihr Weißbuch zeigt, worum es Ihnen in
Wirklichkeit geht. Nach dem Vorbild der US-Marines
- Stichwort Marines Expeditionary Force - soll die Marine eine Expeditionsmarine werden; ergänzt um strategischen Lufttransport und Einsatzgruppenversorger,
wollen Sie dann weltweite Machtprojektionen im klassischen Sinn machen. Das offiziöse Marineforum
schwärmt geradezu von der Hochseekriegsführung mit
einem Expeditionskorps - früher auf der falschen, heute
vermeintlich auf der richtigen Seite -, um politisch
Druck zu machen und die Rohstoffversorgung der Wirtschaft notfalls militärisch sicherzustellen, im Schulterschluss und technisch kompatibel mit der NATO.
Was die Führungsmacht aus der NATO machen will,
hat die US-Botschafterin bei der NATO, Frau Nuland,
eine führende Neokonservative, der Financial Times im
Januar 2006 verraten: Die USA wollen ein völlig
anderes - wörtlich sagte sie: animal, also Tier -, also
eine völlig andere NATO, und zwar unter Einschluss Japans, Neuseelands und Australiens.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Ende. - Dieser Kurs bringt eine Defacto-Marginalisierung der UNO mit sich, und die Einkreisung vermeintlicher Rivalen verstößt gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zum Schluss dieser Debatte einige
grundsätzliche Bemerkungen machen. Die Bundeswehr steht unter dreifachem Druck:
Erstens. Sie ist im Auslandseinsatz täglich gefordert
und muss über Jahre durchhaltefähig sein. Das ist heute
der Ernstfall.
Zweitens. Die Bundeswehr wird von Grund auf modernisiert. Wir nennen das Transformation. Aber auch
mit solch einem modernen Etikett geschieht das nicht
von selbst. Da ist Tag für Tag viel Arbeit und Antiarbeit
zu leisten. Für die, die den Begriff „Antiarbeit“ nicht
kennen: Damit wird die Arbeit bezeichnet, die geleistet
werden muss, um die Folgen der Arbeit anderer Leute zu
beseitigen.
({0})
Drittens. Es ginge vieles leichter, wenn mehr Geld da
wäre. Ist es aber nicht. Wir sind heute froh, dass der
Finanzminister über die alte Linie hinaus 500 Millionen
Euro zusätzlich zur Verfügung stellt. Das ist mehr als ein
Tropfen auf den heißen Stein, aber für die Bundeswehr
natürlich zu wenig, um wirklich attraktiv dastehen und
ausreichend Ausrüstung beschaffen zu können. Ich will
einen Maßstab nennen, welcher Betrag aus meiner Sicht
ausreichend wäre: Zu Zeiten des Kalten Krieges, als die
Bundeswehr noch 500 000 Mann stark war, hatte der
Verteidigungsetat einen Anteil von 20 Prozent am Gesamthaushalt des Bundes. Heute sind unsere Streitkräfte
genau halb so groß, nämlich 250 000 Soldaten, und der
Anteil des Verteidigungshaushaltes liegt bei 9 Prozent.
Der Bundeswehretat ist also schneller geschrumpft als
die Bundeswehr selbst. Ich meine, 10 Prozent des Bundeshaushaltes für die Bundeswehr, also genau die Hälfte
von früher, stellten eine Größenordnung dar, die okay
wäre. Der vorliegende Haushalt ist ein Schritt in diese
Richtung. Herr Minister, Sie kommen voran. Dazu beglückwünsche ich Sie. Das war nicht selbstverständlich.
Das musste verhandelt werden.
Noch eine grundsätzliche Bemerkung. Wir hören oft
Klagen darüber, auch aus der Generalität, die Bundeswehr sei mit den laufenden Auslandseinsätzen strukturell überfordert. Die Einsätze störten den ordnungsgemäßen Grundbetrieb, sie störten die anspruchsvolle
Ausbildung, und sie störten die Transformation. Dazu
muss man sagen: Entschuldigung, das war von der Politik anders gemeint. Der Grundbetrieb, die Ausbildung
und die Transformation sollten eigentlich dazu dienen,
die Auslandseinsätze zu ermöglichen, statt sie zu behindern. Stimmt da vielleicht irgendetwas nicht? Streitkräfte, die so sehr mit sich selbst beschäftigt wären, dass
sie keine Aufträge entgegennehmen könnten, wären
falsch organisiert. Das ist ja auch bei der Bundeswehr
nicht so. Man sollte also auch aufhören, so zu tun, als ob
der Ausbildungsbetrieb einer ganzen Brigade in
Deutschland lahmgelegt würde, wenn 30 zusätzliche
Ausbilder nach Afghanistan gingen. Wenn so etwas tatsächlich eintritt, dann stellt das sicherlich ein Problem
dar, aber eines der militärischen Organisation; und das
lässt sich abstellen.
Ein letztes Wort zum Bereich des Grundsätzlichen:
Das Stichwort heißt „Redundanz“. Wir alle gemeinsam
betreiben manchmal einen Kult der Betriebswirtschaft.
Wir verabsolutieren das ökonomische Denken und vergessen manchmal, dass es auch andere und ganz eigene
Kriterien militärischer Rationalität gibt. Redundanz
ist eines davon, das heißt, mehr von dem Gleichen bzw.
Ersatzvorhaltungen. Betriebswirtschaftlich wäre es gewiss am kostengünstigsten, alle Transportflugzeuge und
Hubschrauber der Luftwaffe an einem Ort zu konzentrieren, quasi die deutsche Drehscheibe für Lufttransport zu
schaffen. Das wäre ideal, solange nichts passiert. Aber
die Bundeswehr ist dazu da zu funktionieren, auch wenn
etwas passiert. Sie muss auch dann, wenn einzelne Kapazitäten ausfallen, ihren Auftrag erfüllen. Deshalb gibt
es ein paar Flugzeuge mehr, ein paar Dienstposten mehr
und ein paar Stützpunkte mehr, als es betriebswirtschaftlich ideal wäre. Daran sollten wir festhalten. Die
Strukturen sollten und müssen robust sein und Durchhaltefähigkeit ermöglichen. Das ist der Sinn der Transformation. Wo das in manchen Teilstreitkräften oder Organisationsbereichen noch nicht erreicht wird, muss
nachgesteuert werden.
Es ist gut, dass das Nachsteuern gegebenenfalls durch
die gleiche Hand erfolgen kann wie das Planen und
Durchsetzen. Es ist gut, dass Generalinspekteur
Schneiderhan bleibt und sein Hauptwerk zu Ende bringen kann. Dabei weiter viel Erfolg!
Ich will einiges zu den Themen Materialerhaltung
und -beschaffungen sagen. Wir wundern uns manchmal
bei unseren Besuchen, sei es in Masar-i-Scharif, in
Limassol oder in Dschibuti, mit wie viel Geschick, Einfallsreichtum, Energie und kluger Voraussicht manche
Einsatzkontingente ihr Material verfügbar halten. Die
Klarstände der Transall, der CH-53, der Seakings und
der Tornados in den verschiedenen Friedensmissionen
sind hart erkämpft und vorbildlich. Aber es ist oft Gerät,
für das die Nachfolgemuster schon bestellt sind; nur
werden sie nicht fertig. Der Hubschrauber NH-90 hat
fünf Jahre Verzug, und ob aus der maritimen Variante
MH-90 für die Bundeswehr überhaupt noch etwas wird,
ist inzwischen nicht mehr sicher. Der Kampfhubschrauber Tiger hat vier Jahre Verspätung. Über die Verzögerungen beim Eurofighter, der früher Jäger 90 hieß, weil
er in den 90er-Jahren zulaufen sollte, ist hier schon gelegentlich diskutiert worden. Jetzt verfolgen wir gebannt
die Wasserstandsmeldungen für den Transall-Nachfolger
A400M. Das erste Jahr Zeitverzug ist inzwischen angemeldet. Schauen wir mal.
Das alles kann passieren. Internationalität ist ja nicht
gerade ein Beschleunigungsmittel. Auch unsere nationalen Bedarfsträger und Beschaffer haben manchmal Zusatzforderungen, die Zeit kosten. Aber es ist eben oft
auch die Industrie, die wohlfeile Versprechungen macht,
die sie nicht halten kann. Und nicht selten ist es dieselbe
Industrie, die die Nutzungsdauer unseres alten Geräts für
teures Geld verlängert, das Produkt verbessert oder
schlicht die immer teureren Wartungsarbeiten durchführt. Ich kann die Fachleute im Ministerium nur ermuntern, diesen Zusammenhang von Verzögerungen auf der
einen Seite und lukrativem Zusatzgeschäft auf der anderen Seite in den entsprechenden Industrieverhandlungen
zu thematisieren. Jedenfalls fällt auch im Parlament
durchaus auf, dass die Materialerhaltungstitel, insbesondere für fliegendes Gerät, immer weiter steigen, obwohl
die Stückzahlen drastisch reduziert werden. Das ist die
falsche Richtung.
({1})
Zum Schluss ein Wort zur Wehrpflicht. Eine freiwillige Pflicht gibt es nicht; das ist wie ein schwarzer
Schimmel ein Widerspruch in sich. Darüber haben sich
schon viele weise Beobachter lustig gemacht - herzlichen Glückwunsch! Was es aber gibt, ist ein Vorschlag
des SPD-Parteivorstandes, der besagt: Wenn wir in Zukunft weniger Wehrpflichtige aus einem Jahrgang brauchen, dann nehmen wir erst einmal die, die das auch
wollen. Freiwilligkeit so weit wie möglich, Pflicht so
weit wie nötig. Jeder wird erfasst, jeder wird gemustert,
und dann wird nach der Motivation gefragt. Wenn genügend Wehrpflichtige wollen, dann muss niemand gegen
seinen Willen eingezogen werden. Dafür können und
sollten wir zusätzlich den einen oder anderen Anreiz und
Bonus schaffen. Geht die Rechnung nicht auf, müssen
wir nichts neu erfinden; die Wehrpflicht gilt. Dann wird
eingezogen nach Tauglichkeit und Bedarf, wie heute.
({2})
Herr Kollege, der Kollege Eckart von Klaeden hat
den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Würden Sie sie
zulassen?
Gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Bartels, was mich an Ihrem Modell der
jetzt doch nicht so freiwilligen Wehrpflicht - vielleicht
finden Sie ja noch einen eingängigeren Namen dafür besonders interessiert: Führt der von Ihnen geschilderte
Fall, dass sich nicht genügend Freiwillige melden, sodass dann aus dem Kreis der Gemusterten gezogen werden muss, nicht zu einer wesentlich größeren Wehrungerechtigkeit als die, die Sie durch Ihr Modell
beseitigen wollen?
In dem Fall hätten wir den Zustand, den wir heute haben. Sie werden ja nicht unterstellen wollen, Herr Kollege Klaeden, dass alle, die über die Wehrpflicht in die
Bundeswehr kommen, total dagegen sind, das nie gewollt haben und nur durch Zwang dazu bewegt werden
können, der Einberufung Folge zu leisten.
({0})
Auch heute gibt es viele, die das richtig und gut finden
und auf der Grundlage der Wehrpflicht freiwillig kommen.
({1})
- Ich will die Möglichkeiten, die dadurch entstehen, dass
wir in Zukunft eine geringere Zahl von Wehrpflichtigen
brauchen, nutzen. Aber ich erkläre es Ihnen gern ein
bisschen genauer; dazu gibt es noch zwei, drei Aspekte.
In den Koalitionsrunden!
Warum ist es heute möglich, die Wehrpflicht zu reformieren, sie weiterzuentwickeln? Weil wir nicht mehr wie
zu Zeiten des Kalten Krieges jedes Jahr 250 000 junge
Männer neu in die Bundeswehr holen müssen - Herr von
Klaeden, das richtet sich immer noch auch an Sie, aber
Sie können gern sitzen bleiben -, auch nicht mehr
120 000 wie noch 2003, sondern künftig nur noch gut
70 000 Grundwehrdienstleistende, freiwillig länger
Wehrdienstleistende und Zeitsoldaten benötigen; darunter werden übrigens immer auch einige Tausend Frauen
sein.
Unser Modell ist intelligenter als das klassische
Downsizen der Zahlen durch die Tauglichkeitskriterien.
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2007 wurden
46 Prozent der gemusterten Wehrpflichtigen aussortiert.
Das ist absurd; so krank ist unsere Gesellschaft nicht.
Der Vorschlag des Ministers, 6 700 Soldaten außerhalb
von Dienstposten zusätzlich einzuberufen, ist gewiss ein
Hinweis auf das zu lösende Problem, aber doch wohl
keine Dauerlösung.
Gut ist hingegen, dass wir in der Koalition verabredet
haben, den Wehrsold nach Jahren der Stagnation endlich wieder anzuheben. Dabei geht es gar nicht um gewaltige Summen, sondern eher um ein Signal. Das
Signal lautet: Die Wehrpflicht bleibt das Fundament unserer Bundeswehr.
Vielen Dank.
({0})
Hier liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der „United
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Nations Interim Force in Lebanon“ ({1})
auf Grundlage der Resolutionen 1701 ({2})
und 1773 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006 bzw.
24. August 2007
- Drucksachen 16/6278, 16/6330 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({4})
Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6341 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Michael Leutert
Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, zu diesem
Punkt eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Das ist also so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Dr. FrankWalter Steinmeier.
Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Den meisten von Ihnen wird es am Beginn
dieser Debatte nicht anders gehen als mir: Erinnerungen
sind wieder präsent, Erinnerungen an eine Debatte hier
in diesem Haus im Herbst des vergangenen Jahres, an
deren Ende wir entschieden haben, zum ersten Mal die
Bundeswehr im Libanon zum Einsatz zu bringen. Es
handelte sich, wie ich mich erinnere, um keinen gewöhnlichen Tag und um keine gewöhnliche Debatte; jeder hat
das gespürt.
Zum ersten Mal - das war das Ergebnis - erhielten
deutsche Soldaten einen Befehl zum Einsatz im Nahen
Osten, um dort Seit’ an Seit’ mit europäischen Kameraden unter dem Dach der UNIFIL den Frieden zu sichern.
Ich weiß: Gerade diese Entscheidung ist niemandem in
diesem Hause leichtgefallen. Alle haben gewusst, dass
wir politisches Neuland betreten. Ich glaube, am Ende
hat sich die breite Mehrheit dieses Hauses im vollen Bewusstsein unserer deutschen und unserer europäischen
Verantwortung für Frieden im Nahen Osten für diesen
Einsatz entschieden. Wir haben sie in dem Bewusstsein
getroffen, dass die Umsetzung der Resolution 1701 ohne
unser Engagement beim Waffenstillstand nicht möglich
gewesen wäre. Wir haben die Entscheidung in der sicheren Erwartung getroffen, dass nur auf diese Weise die
äußeren Voraussetzungen für mehr Stabilität im Libanon
überhaupt geschaffen werden konnten.
({0})
Ein Jahr später dürfen wir einen kleinen Rückblick
wagen, der mich zu dem Ergebnis bringt - ich habe keinen Zweifel -: Die damalige Entscheidung war richtig.
Seit einem Jahr führt die Bundeswehr die Marinekomponente der UNIFIL. Die deutschen Soldaten - ich habe
mich bei Besuchen im Libanon mehrfach davon überzeugen können - genießen große Anerkennung; dafür
verdienen die Soldaten unseren Dank. Das ist wohl auch
der Grund dafür, dass uns die Vereinten Nationen im
Verlauf dieses Jahres gebeten haben, die Führung der
maritimen Taskforce auch weiterhin zu übernehmen.
({1})
Unser Auftrag verfolgte von Anfang an zwei Ziele. Es
ging nicht nur darum, im Zusammenwirken mit der libanesischen Marine Waffenschmuggel so weit wie möglich seeseitig zu verhindern, sondern es ging auch immer
darum, den libanesischen Partner von Anfang an und
schrittweise zu befähigen, die Aufgabe, die Seegrenze
am Ende in eigener Verantwortung zu sichern, selbst zu
übernehmen. Deshalb haben wir nach den Diskussionen
im Kabinett gemeinsam entschieden, dass wir den
Einsatz von Anfang an durch bilaterale Ausbildungsmaßnahmen, durch Zurverfügungstellung von Patrouillenbooten, durch die Wiederinstandsetzung des libanesischen Küstenradars sowie durch weitere Maßnahmen
ergänzen. Das lässt schon jetzt deutliche Fortschritte erkennen, die notwendig sind. Sie sind jedenfalls dann notwendig, wenn wir in der Perspektive unser jetzt noch erforderliches Engagement irgendwann einmal reduzieren
und es Schritt für Schritt in libanesische Hände übergeben wollen.
Meine Damen und Herren, wichtig ist auch, dass dieser Teil des Engagements nur Teil unseres Gesamtengagements im Libanon ist. Wir beteiligen uns - das
wissen Sie; wir haben es hier diskutiert - aktiv im internationalen Konzert, wenn ich das so ausdrücken darf, am
Wiederaufbau im Libanon. Wir unterstützen den Libanon bei der Sicherung nicht nur der Seegrenze, sondern
auch der Luft- und Landgrenzen. Wir haben Scanner und
Dokumentenprüfgeräte für den Flughafen in Beirut zur
Verfügung gestellt, leisten Beratungs- und Ausstattungshilfe zur Sicherung der Landgrenze zu Syrien jedenfalls
in einem Nordabschnitt, der sich zu einem Modellprojekt entwickeln könnte. Wenn die Ergebnisse positiv
sind, werden wir andere europäische Staaten einladen,
mitzumachen und weitere Grenzabschnitte auf diese
Weise zu übernehmen.
({2})
Meine Damen und Herren, das alles ist Ziel unseres
Bemühens, es dem Libanon zu ermöglichen, selbst die
Grundlagen für innenpolitische Stabilität zu schaffen.
Wir wissen, wie ich heute Morgen in meiner Rede angedeutet habe, dass das langfristig nur möglich sein wird,
wenn wir auch die regionalen Partner einbeziehen. Wir
versuchen, dies so weit wie möglich zu tun. Dazu ist der
ständige Kontakt zu den Verantwortlichen im Libanon
erforderlich. Sie haben gerade in der vergangenen Woche gesehen, dass der Ministerpräsident des Landes,
Ministerpräsident Siniora, erneut zu politischen Gesprächen mit der Bundeskanzlerin und allen Ministern, die
mit dem Libanon zu tun haben, nach Berlin gekommen
ist.
Der Sicherheitsrat hat am 24. August das Mandat von
UNIFIL unverändert für ein weiteres Jahr verlängert.
Wir bleiben auf Sicht für die Erfüllung der Umsetzung
der Resolution 1701 unentbehrlich. Dies ist die Auffassung der Vereinten Nationen. Sie sind mit der Bitte um
unseren Einsatz bei der Leitung der maritimen Taskforce
auf uns zugekommen. Ich glaube, ich muss in diesem
Hause nicht erläutern, warum wir in dieser Region in einer gesteigerten Verantwortung stehen. Die Menschen
im Libanon und im Nahen Osten erwarten, dass wir dieser gesteigerten Verantwortung entsprechen.
Ich darf Sie deshalb nicht nur einfach um Zustimmung bitten - das tue ich hiermit -, sondern ich drücke
auch meine Hoffnung aus, dass die Zustimmung noch
breiter wird, als sie bei den bisherigen UNIFIL-Abstimmungen war.
Herzlichen Dank.
({3})
Jetzt ist Birgit Homburger für die FDP-Fraktion an
der Reihe.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Europa hat ein vitales Interesse an Stabilität im Nahen
und Mittleren Osten. Seit einem Jahr ist die deutsche
Marine im Rahmen der Maritime Taskforce an der Küste
des Libanon im Einsatz. Als die große Mehrheit der
FDP-Bundestagsfraktion vor einem Jahr entschieden
hat, gegen eine militärische deutsche Beteiligung zu
stimmen, haben wir auch sehr deutlich gemacht, dass die
zugrunde liegende UN-Resolution 1701 unsere Unterstützung findet. So gilt auch heute, dass die Folgeresolution 1773 der UN von uns begrüßt wird.
Die Frage ist also nicht: UNIFIL, ja oder nein? Die
Frage lautet, ob es richtig und klug ist, den deutschen
Beitrag vor allem militärisch zu erbringen. Der Einsatz
von Militär ist nur das letzte Mittel von Politik, er darf
aber Politik nie ersetzen.
({0})
Ich möchte noch ein Zweites direkt zu Beginn deutlich machen. Die deutsche Marine hat einen Auftrag erhalten, dessen Wirksamkeit aufgrund mangelhafter Rahmenbedingungen von Beginn an zweifelhaft war. Wir
sagen aber ebenso klar, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr immer unsere Unterstützung genossen haben und ihren Auftrag im Rahmen der ihnen gegebenen Möglichkeiten gut und professionell erfüllt haben.
Die Art und Weise ihres Auftretens findet Respekt und
Anerkennung. Dafür verdienen die Soldatinnen und Soldaten unser aller Dank.
({1})
Die große Mehrheit der FDP-Bundestagsfraktion
wird auch heute dem Mandat nicht zustimmen. Dafür
gibt es vier zentrale Gründe.
Erstens. Die Bundesregierung muss die Priorität endlich wieder auf politische Bemühungen legen. Wir erkennen an, dass im Laufe des letzten Jahres das Nahostquartett wiederbelebt wurde, Herr Minister Steinmeier.
Aber es ist festzustellen, dass die Initiativen hinter den
Erwartungen zurückblieben. Ziel muss ein politischer
Friedensprozess für den Nahen Osten sein, der der mehrdimensionalen Konfliktstruktur gerecht wird. Aber wir
sind von einer Idee eines Prozesses analog dem KSZEProzess, den wir aus der Vergangenheit kennen, jetzt
weiter entfernt als vor einem Jahr.
({2})
Wie hat sich die Lage in der Region entwickelt? Für
den Frieden in der Region spielen die Palästinenser eine
Schlüsselrolle. Hier hat sich die Situation eher verschlechtert. Wir beobachten eine Spaltung in Westjordanland und Gaza-Streifen. Es ist festzustellen, dass dies
auch das Ergebnis einer falschen Politik im letzten Jahr
ist.
Die Anzahl der Anschläge im Libanon hat wieder zugenommen, und die politische Lage vor der Präsidentschaftswahl ist schwieriger geworden. Es gibt immer
noch keine Fortschritte bei der Lösung der Grenzkonflikte. Über eine Entwaffnung der Hisbollah wird gar
nicht mehr gesprochen. Wir müssen im Gegenteil feststellen, dass in den vergangenen zwölf Monaten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine umfangreiche Ergänzung
oder sogar Aufstockung des Waffenarsenals der Hisbollah stattgefunden hat. Das ist nicht hinnehmbar.
({3})
Hat dieser militärische Beitrag zu mehr politischem
Gewicht geführt? Ich möchte an zwei Beispielen deutlich machen, dass das nicht der Fall ist. Schauen Sie sich
zum einen das Verhalten Israels an. Die Israelis führen
permanent Überflüge über den Libanon durch, obwohl
sie wissen, dass das die Regierung Siniora auf jeden Fall
nicht stärkt. Sie lassen sich nicht davon abbringen, obwohl ihr Vorgehen gegen die UN-Resolution verstößt.
Nehmen Sie zum anderen die Situation im Libanon.
Ohne Zweifel arbeiten wir hervorragend mit der Regierung Siniora zusammen. Dennoch wird man bei den entscheidenden innerlibanesischen Konfliktpunkten nicht
weiterkommen, wenn man nicht auch die Hisbollah, die
einen Gutteil der libanesischen Bevölkerung repräsentiert, dazu bringt, den politischen Prozess konstruktiv zu
begleiten. Hier herrscht nicht Fortschritt, sondern Blockade.
({4})
Zweitens. Wir sehen nicht, dass ein Aufeinandertreffen zwischen israelischen und deutschen Soldaten ausgeschlossen werden kann. Unsere Befürchtungen wurden
vor einem Jahr in diesem Parlament harsch zurückgewiesen. Kurz nach Beginn des Einsatzes gab es die ersten Zwischenfälle. Obwohl es einen sogenannten kurzen
Draht mit der israelischen Regierung gibt, hat es weitere
Zwischenfälle in diesem Jahr gegeben. Dieser kurze
Draht funktioniert nicht. Auch das bestätigt unsere
Zweifel.
Drittens. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen
hat am 26. Juni einen Bericht einer unabhängigen Expertenkommission vorgestellt, die zu der Einschätzung
kommt, „dass der gegenwärtige Stand der Grenzsicherheit nicht ausreicht, um Schmuggel, insbesondere Waffenschmuggel, auch nur ansatzweise zu verhindern“.
Warum sollte also jemand den Versuch machen, auf dem
Seewege Waffen zu schmuggeln, wenn die Landseite offen ist wie ein Scheunentor?
({5})
Viertens. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie
die Zahl der Fregatten und Schnellboote zwar reduzieren, die Aufgabe aber mit diesem modifizierten Kräfteeinsatz erfüllen will. Die Einschätzung der Marine vor
Ort ist eindeutig - das wurde bei einem Besuch klar -:
Damit kann die bisherige Qualität der Sicherung der
Seeseite nicht mehr gewährleistet werden. Zum Scheunentor auf der Landseite kommen also Lücken auf der
Seeseite hinzu. Das ist vollkommen kontraproduktiv.
({6})
Wer von uns im Libanon unterwegs ist, erfährt vor allem Dank für die bilaterale nichtmilitärische Hilfe; der
Aufbau einer eigenständigen Grenzsicherung im Libanon wurde bereits angesprochen. Acht Grenzbeamte und
Polizisten sind zurzeit entsandt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte.
Frau Kollegin Homburger, teilen Sie, abgesehen von
der Kritik und den Bedenken, die Sie richtigerweise geäußert haben, unsere Erkenntnis, dass die UNIFIL-Marine die entscheidende Voraussetzung dafür war, dass die
israelische Seeblockade vor der libanesischen Küste aufgehoben werden konnte? Teilen Sie unsere Erfahrung,
dass die UNIFIL-Marine, speziell die Bundeswehr, seeseitig ganz wesentlich zur Stärkung der libanesischen
Souveränität beiträgt? Teilen Sie die Einschätzung, dass
ein Abzug der Bundeswehr aus der UNIFIL-Marine die
seeseitige Absicherung dieser UN-Mission zum Einsturz
bringen und damit gleichzeitig die für den Waffenstillstand entscheidende UN-Friedensmission gefährdet
würde?
({0})
Herr Kollege Nachtwei, die ursprüngliche Entscheidung liegt jetzt ein Jahr zurück. Ich möchte eines sehr
deutlich zum Ausdruck bringen: Dieser Einsatz hat in
der Tat dazu beigetragen, dass die Seeblockade vor der
Küste des Libanon beendet worden ist. Wir müssen uns
doch aber fragen, welchen Fortschritt es gibt. Wenn man
militärische Mittel einsetzt, dann muss es immer auch
auf politischer Ebene intensive Bemühungen geben;
denn nur mithilfe intensiver politischer Bemühungen
können in diesem Friedensprozess Fortschritte erreicht
werden. Diesbezüglich haben wir im Laufe des vergangenen Jahres Defizite festgestellt.
Herr Kollege Nachtwei, Sie haben gefragt, ob ich der
Meinung bin, dass ein Rückzug der Bundeswehr zum
Zusammenbruch der Mission führen würde. Ich teile
diese Einschätzung nicht. Vor einem Jahr war eine ganze
Reihe von europäischen Partnern bereit, die Sicherung
der Seeseite zu übernehmen. Sie kennen die Gründe
ganz genau, die dazu geführt haben, dass die deutsche
Seite diese Aufgabe übernommen hat. Das Mandat war
ursprünglich auf zwölf Monate begrenzt, soll jetzt aber
fortgesetzt werden. Ich glaube, wir sollten mit unseren
Partnern intensive Gespräche darüber führen und fragen,
wer bereit wäre, einen solchen Beitrag zu leisten. Es gibt
Partner, die dazu bereit wären. Die Bundesregierung
muss natürlich einen entsprechenden Versuch unternehmen.
({0})
Wir wollen den Aufbau einer eigenständigen Grenzsicherung im Libanon. Die libanesische Regierung soll
in die Lage versetzt werden, selbst für Sicherheit und
Ordnung zu sorgen und die Grenzen zu sichern. Hierzu
können wir einen ganz hervorragenden Beitrag leisten.
Wir wollen, dass unser diesbezüglicher Beitrag aufgestockt bzw. ausgebaut wird. So können wir dazu beitragen, dass eine dauerhafte Friedenslösung gefunden wird.
({1})
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Ohne
ausreichende politische Flankierung wird die UNIFILMission zu einem Endloseinsatz ohne Perspektive. Deshalb muss die Bundesregierung die politischen Anstrengungen forcieren. Das würde auch unserem gemeinsamen Ziel dienen, die Existenz Israels in sicheren
Grenzen zu gewährleisten.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 20. September des letzten Jahres hat der Deutsche Bundestag
dem Einsatz der Bundeswehr vor der Küste des Libanon
im Rahmen des UNIFIL-Mandates zugestimmt. Dem
sind kritische Diskussionen vorausgegangen. Dies war
- ich denke, das hat jeder ein Stück so empfunden - eine
historische Entscheidung. Wenn man nach einem Jahr
Bilanz zieht, kann man sagen, dass dies eine richtige
Entscheidung war. Der Einsatz, den die Bundeswehr vor
der Küste des Libanon zur Gewährleistung und Durchsetzung des Waffenstillstands geleistet hat, war erfolgreich. Deshalb ist es sinnvoll, heute der Verlängerung
des Mandats zuzustimmen.
({0})
Es wurde das Verhältnis zu Israel angesprochen. Ich
will daran erinnern, dass der Staat Israel diesen Einsatz
sehr begrüßt. Im Übrigen empfinde ich es als sehr positiv - auch aus historischer Perspektive -, dass 73 Prozent
der Bevölkerung Israels den Einsatz der Bundeswehr
dort gewünscht haben. Das zeigt meines Erachtens, welches Vertrauen die Bundeswehr sich dort zwischenzeitlich erobert hat.
Ich habe vor allem an die FDP-Fraktion, die ihre Argumente gerade vorgetragen hat, die herzliche Bitte, ihre
Position noch einmal zu überdenken. Denn eines ist
wahr - dabei ist es zutreffend, dass die Streitkräfte nicht
diejenigen sind, die eine politische Lösung herbeiführen -: Wenn die Waffen nicht schweigen, gibt es keine
Chance, eine politische Lösung herbeizuführen. Deshalb
ist es im Hinblick auf die Gewährleistung des Waffenstillstandes, im Hinblick auf die Souveränität des Libanon und im Hinblick auf die Möglichkeit einer politischen Lösung sinnvoll, dass der UNIFIL-Einsatz
fortgesetzt wird, um Seesicherheit herzustellen und einen Waffenstillstand auch in Zukunft zu gewährleisten.
({1})
Unsere Erfolge sind erstens die nachhaltige Absicherung der Waffenruhe, zweitens die Aufhebung der israelischen Seeblockade, drittens die Unterbindung von
Waffenschmuggel über See und damit viertens die Herstellung von Seesicherheit. Wir haben 9 200 Schiffe abgefragt. Durch die libanesischen Kräfte sind 36 Schiffe
untersucht worden. Die Zusammenarbeit mit dem Libanon ist hervorragend. Ich kann mich noch erinnern, welche Bedenken damals vorgetragen worden sind. Die Zusammenarbeit auch und gerade mit den libanesischen
Kräften funktioniert, wie ich finde, in einer hervorragenden Art und Weise. Auch die Ausbildung, die von unserer Seite gewährleistet wird, ist auf einem sehr guten
Weg, sodass man von einer Stabilisierung der Region
und damit einer Stärkung der Souveränität des Libanon
sprechen kann.
Wir leisten mit unserem Einsatz auch einen aktiven
Beitrag für den politischen Friedensprozess. Denn letztlich muss dieser Prozess, der durch die Frage nach der
Qualität und anderem eingeleitet worden ist, abgesichert
werden, damit auch in Zukunft die Waffen schweigen.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Ende
August beschlossen, das Mandat um ein Jahr zu verlängern. Wir haben ebenfalls vor, es um ein Jahr zu verlängern. Es ist zutreffend: Wir haben die Führung der
Maritime Task Force, die hier sehr erfolgreich operiert.
Es waren die Vereinten Nationen, die an uns die Bitte gerichtet haben, die Führung der Maritime Task Force bis
zum 29. Februar des nächsten Jahres zu übernehmen.
Wir haben eindeutig signalisiert, dass wir diesen Beitrag
leisten wollen.
Wir wollen aber auch unsere Unterstützung bei der
Ausbildung und Ausrüstung der libanesischen Kräfte
fortsetzen. Sie wissen, wir haben hier geholfen, indem
wir zwei Polizeiboote, Küstenradar und zur Grenzsicherung beispielsweise Durchleuchtungstechnik bereitgestellt haben. Im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau
ist eine Unterstützung in Höhe von 105 Millionen Euro
geleistet worden.
Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland hat in verschiedenster Art und Weise zur Stärkung der Souveränität des Libanon beigetragen. Davon konnte sich das Parlament letzte Woche überzeugen, als Ministerpräsident
Siniora deutlich seinen Dank für die Unterstützung, die
geleistet wird, aber auch seine Bitte zum Ausdruck gebracht hat, in Zukunft entsprechende Unterstützung, zum
Beispiel bei der Ausbildung, zu gewähren.
({2})
Meine Damen und Herren, an der Maritime Task
Force sind vier Nationen beteiligt: Deutschland, Griechenland, die Niederlande und die Türkei. Wir haben
signalisiert, dass wir den Umfang unseres Beitrags aus
unserer Sicht reduzieren könnten. Darüber wird die
Truppenstellerkonferenz entscheiden; denn das ist Aufgabe der Vereinten Nationen.
Frau Homburger, ich kann Sie beruhigen: Auch in Zukunft wird eine solche Einsatztruppe dort sein, die die
Sicherheit voll und ganz gewährleistet und keine Lücken
zulässt; denn sonst hätten wir unseren Auftrag nicht erfüllt. Das wird in Abstimmung mit den Vereinten Nationen geschehen. Wir können die Obergrenze des im
Rahmen des Gesamtmandats bereitgestellten Personals,
die auf 2 400 Soldatinnen und Soldaten ausgerichtet war,
auf 1 400 Soldatinnen und Soldaten reduzieren. Auch
dann können wir unseren Auftrag weiterhin erfüllen.
Ich bitte das Parlament um Zustimmung zur Fortsetzung dieses Mandats. Denn damit leisten wir einen Beitrag zur Stabilität und friedlichen Entwicklung im Nahen
Osten. Ich denke, dass unsere Soldatinnen und Soldaten
für den Beitrag, den sie zur Sicherung von Stabilität und
Frieden im Nahen Osten leisten, erstens unseren Dank
und zweitens unsere politische Unterstützung verdient
haben.
Besten Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Norman Paech für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für die Abgeordneten der Regierungsfraktionen ist der deutsche Beitrag zum UNIFIL-Mandat, also
zum Militäreinsatz, offenbar ein Erfolg. Das kann man
so sehen, wenn man sich darauf beschränkt, festzustellen, dass es offensichtlich keinen Waffenschmuggel von
der See aus gegeben hat und dass bisher zum Glück auch
keine Toten zu beklagen sind.
({0})
Doch wenn man genauer hinsieht, kommt man zu dem
Ergebnis, dass die Sache etwas anders aussieht.
Wir haben dieses Mandat vor einem Jahr aus zwei
Gründen abgelehnt:
Erstens. Unsere furchtbare Geschichte und unsere
daraus erwachsende Verantwortung verpflichten uns
zwar, die Existenz Israels zu garantieren und zu sichern.
Gleichzeitig verbieten sie es uns aber, in dieser Region
militärisch aufzutreten.
({1})
Dieser Ansicht sind wir heute noch.
Zweitens. Wir haben die mangelnde Neutralität des
Mandats kritisiert: Es wird zwar versucht, die Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden, aber gleichzeitig werden die ungehemmten Waffenlieferungen an
Israel ignoriert. Das kritisieren wir heute noch.
({2})
Nun kommt ein dritter Punkt hinzu, den wir schon damals vorhergesagt haben: Der Marineeinsatz ist vollkommen überflüssig und nutzlos. Er ist schlichtweg fehl
am Platz; so lautet, wie Sie wissen, auch das Urteil der
Stiftung Wissenschaft und Politik. Dieser Einsatz ist
reine Symbolpolitik.
Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir
im östlichen Mittelmeer militärisch präsent. Wofür eigentlich? Die Waffenlieferungen - das haben Sie selbst
eingeräumt - kommen über das Land und nicht über die
See. Sie haben inzwischen ein solches Ausmaß angenommen, dass sich die Führung der Hisbollah heute rühmen kann, die gleiche militärische Qualität und Schlagkraft erreicht zu haben wie vor dem Krieg.
Werten Sie es ruhig als Erfolg, dass bisher nichts passiert ist. Sollte es aber einmal zu einer Konfrontation mit
israelischen Soldaten kommen - Frau Homburger hat
darauf angespielt -, so sind unsere jungen Soldaten völlig damit überfordert, diese schwierige Situation, die
auch bei uns sehr viele Zweifel und Unsicherheiten hervorgerufen hat, zu meistern. Wir haben nicht das Recht,
sie in eine solche Situation zu bringen.
({3})
Derzeit herrscht an der Nordgrenze Israels eine trügerische Ruhe, die jederzeit in eine neue militärische Konfrontation umschlagen kann. Ich erinnere nur an die Probleme im Hinblick auf die Scheba-Farmen.
Kollege Paech, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Müller?
Gerne.
Herr Kollege Paech, da eines Ihrer Gegenargumente
darin begründet ist, dass Sie angeblich israelische Interessen vertreten wollen - Sie sagten, dass sich dieses
Mandat nicht mit unserem Verhältnis zu Israel verträgt -,
frage ich Sie: Wie verträgt sich dieses Argument damit,
dass eine große Mehrheit der israelischen Bevölkerung
und vor allen Dingen führende Politiker Israels begrüßen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland - und
zwar gerade die Bundesrepublik Deutschland - in Anbetracht ihrer Geschichte und ihrer Verantwortung für diesen Konflikt am UNIFIL-Einsatz beteiligt? Ist Ihnen das
überhaupt bekannt?
Frau Müller, das ist mir durchaus bekannt. Aber kann
das nicht genau an dem liegen, was wir kritisieren? Kann
es nicht daran liegen, dass das Engagement der Bundesrepublik sehr einseitig, nur zugunsten Israels, ist? Es gibt
zum Beispiel keine Stationierung von Truppen in Israel
so wie im Libanon, was sich letztlich auf die libanesische Grenze auswirkt. Kann es sein, dass man diese
Einseitigkeit durchaus begrüßt und es ablehnt, dass ein
neutrales Mandat wahrgenommen wird? Das ist offensichtlich der Hintergrund.
({0})
Ich komme noch einmal auf die Grenzen im Norden
zurück. Die Probleme mit den Scheba-Farmen und den
Golanhöhen sind überhaupt nicht gelöst.
Kollege Paech, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
({0})
Bitte sehr.
Kollege Paech, ich habe soeben mit großem Interesse
Ihre Einschätzung gehört, dass das Mandat ausschließlich Israel dient und sehr einseitig ist. Wie vereinbaren
Sie mit dieser Position die Haltung der libanesischen Regierung sowie Aussagen aus dem gesamten politischen
Spektrum des Libanon - bis hin zur Hisbollah -, die den
Einsatz der Bundeswehr, also den maritimen Teil von
UNIFIL, ausdrücklich unterstützen, weil er eine positive
Auswirkung auf die Stabilisierung des Einsatzgebiets
hat? Wie passt das mit Ihrer Bewertung eines einseitig
auf Israel ausgerichteten Einsatzes der Bundeswehr zusammen?
({0})
Mit solchen Einschätzungen, die uns von der Presse
übermittelt werden, ist das so eine Sache.
({0})
Wer sagt uns eigentlich, dass es stimmt, dass die Hisbollah damit zufrieden ist? Zweitens könnten auch die absolute Nutzlosigkeit, Harmlosigkeit und Sinnlosigkeit des
Einsatzes der dort kreuzenden und dahindümpelnden
Fregatten zu der Aussage geführt haben, dass sie nicht
schaden und deshalb bleiben können. Vielleicht ist das
der Hintergrund.
({1})
Ich komme zum Kernproblem zurück, das schon angesprochen worden ist. Dieses betrifft nicht nur die
Nordgrenzen Israels, also die Golanhöhen bzw. Syrien,
sondern vor allem den Palästinakonflikt, bei dem es um
die Errichtung eines separaten und lebensfähigen palästinensischen Staates geht. Sie werden jetzt einwenden,
dass es Gespräche zwischen Abbas und Olmert geben
wird
({2})
und dass dazu demnächst eine internationale Konferenz
in Washington stattfinden wird. Eine solche Konferenz
haben auch wir immer gefordert. Doch was sind Gespräche wert, bei denen kaum die Hälfte des palästinensischen Volkes repräsentiert wird? Was ist von einer Konferenz zu erwarten, von der Staaten wie Syrien und der
Iran und natürlich die Hamas ausgeschlossen werden
sollen?
Historisch gesehen sind jede Verhandlung und jede
Konferenz, auf der das palästinensische Volk nicht in
seiner Gesamtheit und durch seine gewählten Vertreter
repräsentiert worden ist, gescheitert. Das wird auch diesmal nicht anders sein. Meines Erachtens verbauen Sie
mit dieser Politik nicht nur den Weg zu einem palästinensischen Staat, sondern provozieren geradezu eine
humanitäre Katastrophe im Gazastreifen, die nichts anderes als immer mehr Gewalt und Terror hervorrufen
kann.
Ich darf Sie daran erinnern, dass im jüngsten Bericht
der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung die
Boykottpolitik des Nahostquartetts ausdrücklich dafür
verantwortlich gemacht worden ist, dass Armut und
Elend in einem ungeheuren Ausmaß in Gaza und unter
den Flüchtlingen grassieren. Dafür sind auch Sie verantwortlich.
Deshalb fordern wir zum Schluss: Holen Sie diese
überflüssigen Schiffe zurück und werden Sie endlich politisch aktiv für den Frieden im Nahen Osten!
({3})
Konkret heißt das: Beenden Sie den Boykott und die
Blockade einer gewählten Regierung und verhindern Sie
die Eskalation von Armut, Elend und Gewalt in Gaza!
({4})
Sorgen Sie dafür, dass alle Kräfte und alle Staaten dieser
Region an den kommenden Gesprächen und Verhandlungen beteiligt werden!
Nur eine solche Politik wird die Chance für Frieden
im Nahen Osten eröffnen. Dann werden wir Sie unterstützen - aber bei Anträgen wie den vorliegenden nicht.
Danke sehr.
({5})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines
kann man nicht machen: Man kann sich nicht zur UNgeleiteten multilateralen Außenpolitik bekennen und
dann in jedem praktischen Fall sagen: War nicht so gemeint - das ist einseitig.
({0})
Man kann auch nicht so tun, als wenn ein UN-Mandat
wie das UNIFIL-Mandat aufgeteilt werden könnte nach
dem Motto: „Uns interessiert nur der Seeeinsatz, und
den kritisieren wir“, und nicht merken, dass man dabei
den UNIFIL-Einsatz als solchen infrage stellt.
Ich sage an dieser Stelle: Dieser Einsatz war ein Erfolg.
({1})
Er war ein Erfolg, weil er den Krieg beendet hat. Wenn
ich an diesem Einsatz etwas zu kritisieren habe, dann,
dass dieses Mandat nicht nach drei Tagen Krieg, sondern
erst nach drei Wochen Krieg in Kraft getreten ist; aber
das ist zurzeit mein einziger Kritikpunkt an diesem Einsatz. Alles andere ist erst einmal gelungen: Der Krieg ist
beendet. Die Seeblockade ist aufgehoben. Zum ersten
Mal seit über 20 Jahren führen nicht mehr Milizen vom
Süden des Libanon aus Krieg gegen Israel, zum ersten
Mal seit 20 Jahren steht dort eine reguläre libanesische
Armee.
Deswegen sage ich: Dieser Einsatz ist ein Erfolg. Ist
es kein Erfolg, wenn wir heute erfahren, dass der Großteil der dort verschossenen Streumunition viel schneller
als ursprünglich geplant geräumt wird? All dies ist
UNIFIL. Bei allen Problemen - die Geiselnahme ist
nicht beendet, der Gefangenenaustausch nicht geklärt;
ich erinnere an die von Frau Homburger zu Recht angesprochenen Überflüge, zu denen sich die Bundesregierung, wie ich finde, viel zu leise verhält - muss man unter dem Strich festhalten: Gemessen an dem Mandat, das
der Sicherheitsrat erteilt hat, ist UNIFIL ein Erfolg.
({2})
Das sollte doch zu denken geben!
Natürlich stimmt es, dass die Milizen wieder aufgerüstet haben - übrigens nicht nur die Hisbollah. Aber ist
das ein Argument, die seeseitige Absicherung aufzugeben? Ist das nicht vielmehr ein Argument, die Bundesregierung dafür zu kritisieren, dass die Durchführung
dieses hochgelobten Grenzprojektes, Herr Bundesaußenminister, leider monatelange Verspätung hat, weil Sie
sich innerhalb der Regierung - zwischen dem Innen- und
dem Finanzministerium - nicht einigen konnten? Ist das
nicht eher Anlass dafür, an dieser Stelle Druck auf die
Bundesregierung auszuüben, anstatt sich vor der Zustimmung zur seeseitigen Absicherung zu drücken, wie Sie
von der FDP es tun?
({3})
Herr Westerwelle, Sie haben in der letzten Debatte
über diesen Einsatz die Befürchtung geäußert, dass insbesondere die Gefahr einer Konfrontation zwischen
deutschen Soldaten und Israelis bestehe. Jetzt, ein Jahr
später, hätten Sie eigentlich die Traute, die Kraft haben
müssen, einzuräumen, dass Ihre Befürchtungen nicht
eingetreten sind,
({4})
dass Sie sich damals geirrt haben, und Ihr Verhalten zu
ändern. Das wäre politische Führung und Politikfähigkeit gewesen.
({5})
Am kommenden Samstag demonstriert die Linke unter dem Motto - das sie als links versteht -: „Bundeswehr raus aus Afghanistan“,
({6})
einer sehr falschen Parole. Aber sind Sie von der FDP
denn besser mit Ihrer Forderung, dem UNIFIL-Mandat
nicht zuzustimmen und die Bundeswehr von der libanesischen Küste abzuziehen? Ich finde, nicht.
({7})
An dieser Stelle sind Sie und die Linke genauso wenig
politikfähig.
Ich sage das auch, weil ich von der Bundesregierung
eines nach wie vor erwarte: Diese förmlich katatonische
Lähmung, die die Bundesregierung nach der Verabschiedung des UNIFIL-Mandats überkommen hat, muss überwunden werden. Es kann doch nicht sein, dass Sie alle
Aktivitäten, die Sie bisher unternommen haben - zum
Beispiel in der Auseinandersetzung um die Gebietsansprüche und in der Frage, wie die innerlibanesische Verfassungskrise überwunden werden kann -, einfach an
das Nahostquartett delegieren.
Die libanesische Regierung ist eine gewählte Regierung. Herr Siniora genießt unser aller Respekt auch für
seinen persönlichen Mut. Wir müssen aber an dieser
Stelle auch die Kraft haben, klarzumachen, dass der Verfassungskonsens des Libanon darauf beruht, dass alle
Volksgruppen an der Gestaltung des Landes zu beteiligen sind. Dabei erwarte ich von Ihnen - das hätte ich
auch von der EU-Präsidentschaft erwartet - energische
Initiativen, um die bestehende Verfassungsblockade zu
durchbrechen. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass
das Ziel der Entwaffnung aller Milizen im Libanon und
die Herstellung des politischen Gewaltmonopols tatsächlich durchgesetzt werden können. Stattdessen haben Sie
sich auf eine mehr oder weniger einseitige Parteinahme
konzentriert.
Kollege Trittin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Das Militär kann dieses Problem nicht lösen. Wenn
Sie sich von UNIFIL verabschieden, dann werden Sie
keine Sicherheitskonferenz wie die KSZE und keine
politische Lösung zustande bringen; vielmehr riskieren
Sie einen Rückfall in ein erhebliches SicherheitsproJürgen Trittin
blem. Umgekehrt gilt, dass UNIFIL nur dann ein Erfolg
werden wird, wenn die Bundesregierung ihre Zurückhaltung in der Frage, das Ganze in einem politischen Prozess zu begleiten, endlich überwindet.
Vielen Dank.
({0})
Bevor ich dem Kollegen Niels Annen für die SPDFraktion das Wort gebe, bitte ich Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dafür zu sorgen, dass wir auch die letzten
beiden Beiträge in dieser Debatte hören und abwägen
können, und Gespräche, die dringend geführt werden
müssen, vielleicht nach draußen zu verlegen.
Der Kollege Niels Annen hat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich denke, es lohnt sich, sich noch einmal
die Bilder vor Augen zu führen, die zur Zeit der Entscheidung über das UNIFIL-Mandat die Öffentlichkeit
bewegt haben. Der Krieg zwischen Israel und der
Hisbollah-Miliz hat ungefähr 2 000 Tote gefordert. Wer
wie ich vor Ort war und sich dort umgesehen hat, erinnert sich nicht nur an die geradezu menschenleeren
Städte im Norden Israels, sondern auch an die zerschossenen Vorstädte in Beirut und das unendliche Leid, das
den Menschen damit zugefügt worden ist. Ich sage ganz
offen: Angesichts einer solchen historischen Entscheidung - der Minister hat das richtig gesagt - waren die
Bedenken, kritischen Fragen und auch die streitigen Diskussionen in diesem Hause absolut berechtigt.
({0})
Aus meiner Sicht ist es auch in Ordnung - auch wenn
ich diese Position nicht teile -, festzustellen, dass sich
die Erwartungen, die mit unserem Engagement verbunden gewesen sind, vielleicht nicht hundertprozentig erfüllt haben. Das mag sein, aber zu dem Privileg einer
Parlamentsarmee, das es sonst innerhalb Europas nur
noch in den Niederlanden gibt, gehört auch, dass es mit
Leben erfüllt wird. Wenn sich ein Parlament das zur
Aufgabe macht, dann gehört dazu auch, eine ehrliche Bilanz zu ziehen.
In den internationalen Nachrichten finden wir heute
keine Bilder mehr von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon.
({1})
Wir sehen keine Flüchtlingstrecks, zerstörten Vorstädte
und Menschen mehr, die sich im Norden Israels in die
Bunker flüchten. Das hat auch etwas mit unserem Engagement zu tun. Ich finde, dass es der Opposition gut zu
Gesicht stehen würde, das in aller Klarheit und Konsequenz einzugestehen.
Ich habe die Anträge gelesen. Für meine sozialdemokratische Fraktion ist es ein Grundprinzip der Außenpolitik, militärische Mittel nur als allerletzte Möglichkeit
einzusetzen.
({2})
Das ist eine Selbstverständlichkeit. Der Außenminister
steht dafür. Er hat sich in den vergangenen Monaten intensiv dafür eingesetzt, dass diese militärischen Mittel
immer in ein politisches Gesamtkonzept eingebunden
werden.
({3})
Zu dem vorliegenden Entschließungsantrag der FDP
kann ich nur sagen - ich habe für meine Partei häufiger
in Antragskommissionen zur Vorbereitung von Bundesparteitagen gesessen -: Wir haben auf solche Anträge
immer nur draufgeschrieben: erledigt durch Regierungshandeln. Ich glaube, das trifft es auch hier ganz gut.
({4})
Die große Mehrheit in der libanesischen und der
israelischen Öffentlichkeit ist der Meinung, dass der
Einsatz im Rahmen von UNIFIL - auch der maritime ein Erfolg ist. Gerade weil wir uns als Parlament mit kritischen Fragen auseinandersetzen müssen, was den Einsatz von Bundeswehr und deutschen Soldaten insgesamt
angeht, müssen wir für unsere Entscheidungen werben.
Wir tragen auch Verantwortung dafür. In diesem konkreten Fall können wir darauf hinweisen, dass nicht nur die
Regierungen, sondern auch die oppositionellen Kräfte in
beiden Ländern der Meinung sind, dass es richtig war,
sich für diesen Waffenstillstand einzusetzen, und dass
man dafür auch etwas tun muss.
({5})
Deutschland hat einen erheblichen Beitrag geleistet; das
wurde bereits gesagt. Der Waffenschmuggel über den
Seeweg konnte effektiv verhindert werden. Über
9 000 Schiffe wurden kontrolliert und erfasst. Ich
glaube, das ist eine Erwähnung wert.
({6})
Es ist aber auch richtig, dass wir einen langen Atem
brauchen, gerade wenn es darum geht, in dieser schwierigen Konfliktsituation stabilisierend zu wirken. Ich
finde, Herr Kollege Paech, es ist ein wenig an den Haaren herbeigezogen, wenn Sie im direkten Zusammenhang mit dem UNIFIL-Einsatz der deutschen Marine
darauf hinweisen, unsere Politik führe dazu, dass ein lebensfähiger palästinensischer Staat nicht durchgesetzt
werden könne. Sie sollten die Kirche im Dorf lassen. Die
Hisbollah-Miliz und die Hisbollah-Bewegung, die Parlamentarier in das libanesische Parlament entsandt hat, haben sich nicht gegen diesen Einsatz gewehrt, sondern
akzeptiert, dass es im Interesse der libanesischen Bevölkerung liegt, zu einer Stabilisierung zu kommen. Ich
finde, Sie sollten das zur Kenntnis nehmen.
Das Stichwort „Hisbollah“ ist genannt worden. Die
innenpolitische Situation im Libanon ist extrem instabil. Das Land steht kurz vor Präsidentschaftswahlen. Jeder, der sich mit der dortigen Lage auseinandergesetzt
hat, weiß, dass das innenpolitische Machtgefüge extrem
kompliziert ist. Ich glaube, dass es richtig ist, wenn die
Europäische Union und Deutschland als ein Land, das
nun Verantwortung übernommen hat, offen aussprechen,
dass wir nicht zu einer dauerhaften Stabilisierung kommen werden, wenn wir nicht einen Prozess unterstützen,
der dafür sorgt, dass die schiitische Bevölkerungsgruppe
im Libanon eine akzeptable Repräsentanz in diesem
Staatswesen erhält, und dass man darüber auch mit den
gewählten Vertreterinnen und Vertretern wird reden
müssen, also auch mit der Hisbollah, selbst wenn es
nicht leichtfällt.
({7})
Wir müssen alle Akteure einbeziehen. Ich sage das
auch deswegen, weil in diesem Hause Kritik daran geübt
wurde, dass es in den letzten Monaten Kontakte zur syrischen Regierung gegeben hat. Ich unterstütze mit Nachdruck den jüngsten Syrien-Besuch der Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
({8})
Wir müssen den in der Tat viel zu schwachen Reformkräften in der syrischen Gesellschaft eine Alternative
bieten und einen Weg aufzeigen. Eine Ausgrenzung
treibt Syrien - das zeigt sich in vielen unterschiedlichen
Bereichen - lediglich in eine zunehmend engere Allianz
mit dem Iran. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.
({9})
Es gibt in der Tat wenig Grund, daran zu zweifeln,
dass eine Wiederbewaffnung der Hisbollah und der anderen Milizen über den Landweg - der Kollege Trittin
hat das bereits erwähnt - zumindest mit Duldung
Syriens geschieht. Das ist ein inakzeptabler Verstoß gegen die UN-Resolution 1701. Deswegen glaube ich, dass
wir den Druck auf die Hisbollah und die anderen Milizen
aufrechterhalten müssen. Wir müssen die Forderung
nach Entwaffnung in den Mittelpunkt rücken und sowohl die politischen als auch die praktischen Bemühungen um eine Absicherung der dortigen Grenze politisch
unterstützen. Aber es sagt sich so leicht: Diese Grenze
muss abgesichert werden. - Denn, wie wir alle wissen,
gibt es noch nicht einmal eine Markierung dieser internationalen Grenze. Deswegen unterstütze ich die politischen Bemühungen des Bundesaußenministers, mit den
regionalen Akteuren ins Gespräch zu kommen; denn wir
wissen, dass es ohne sie nicht gehen wird.
({10})
Unter dem Strich ist zu unserem Engagement zu sagen: Die seeseitige Absicherung hat maßgeblich dazu
beigetragen, dass die israelische Seeblockade aufgehoben worden ist. Die seeseitige Absicherung durch die
deutsche Marine hat damit maßgeblich dazu beigetragen, dass ein stabiler, bis heute wirksamer Waffenstillstand durchgesetzt worden ist und damit das Töten und
der Krieg zumindest bis heute beendet werden konnten.
({11})
Das ist ein Argument, das für sich selbst sprechen sollte.
Deswegen wird meine Fraktion den Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung dieses Mandates unterstützen, und auch ich bitte um Ihre Zustimmung.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Meine Fraktion wird für die Verlängerung des Mandates für UNIFIL stimmen. Die wesentlichen Argumente
sind hier schon genannt worden, sodass ich sie nicht
wiederholen muss. Ich will aber darauf hinweisen, dass
meiner Ansicht nach die Argumentation der FDP zu einem Zirkelschluss führt; denn selbstverständlich ist es
möglich, die Gründe, die einen militärischen Einsatz erforderlich machen, aufzuführen und sie gleichzeitig gegen den Einsatz zu wenden.
({0})
Die Analyse, die von Ihnen, Frau Kollegin Homburger,
vorgetragen worden ist, ist im Wesentlichen richtig: Die
Lage ist fragil. Es sind eine ganze Reihe von politischen
Fragen, die Libanon und Syrien bzw. Libanon und Israel
betreffen, bisher ungeklärt. Aber das ist gerade kein
Grund, sich zurückzuziehen, sondern das ist ein Grund,
dort zu bleiben, um in dieser fragilen Situation weiter ein
Mindestmaß an Stabilität aufrechtzuerhalten, damit
überhaupt eine politische Lösung möglich werden kann.
({1})
Wenn die Verhältnisse so stabil wären, dass man nach
Ihren Kriterien die Bundeswehr hinschicken könnte,
dann können die Schiffe auch gleich in den Häfen bleiben. Dann ist nämlich der Einsatz der Bundeswehr gerade nicht notwendig.
Natürlich kann es sein, dass eine Lage so schwierig
ist, so gefährlich ist und so wenig lösbar erscheint, dass
es unverantwortlich wäre, Soldaten hinzuschicken. Aber
von einer solchen Situation kann doch vor der Küste des
Libanon jetzt nicht ernsthaft die Rede sein. Wenn man
sich tatsächlich die Frage stellt, welche Abwägung vorzunehmen ist, dann, so meine ich, gibt es zwei Aspekte,
die zu berücksichtigen sind, gerade wenn es um die Verlängerung eines Mandats geht. Erste Frage: Ist das, was
mit dem Mandat beabsichtigt war, jedenfalls zunächst
erfüllt? Das ist hier eindeutig der Fall. Es ist nicht weiter
zu bewaffneten Einsätzen gekommen, und die Wahrscheinlichkeit des Aufflammens von Auseinandersetzungen zwischen Hisbollah und Israel hat sich reduziert.
Die zweite Frage, die man sich stellen muss, ist: Was geschieht, wenn sich die anderen so verhalten, wie wir es
empfehlen? Für eine Ablehnung einzutreten, weil die
weitere Beteiligung anderer gesichert ist, ist doch keine
verantwortungsvolle Position.
({2})
Deswegen müssen wir als ein Land, das sich der Durchsetzung des Völkerrechts verpflichtet hat, auch bereit
sein, unseren Beitrag zu leisten, wenn wir dazu in der
Lage sind. Denn das Dilemma des Völkerrechts, der internationalen Gemeinschaft ist nun einmal, dass es kein
Gewaltmonopol gibt, sondern dass sich immer wieder
die Länder, die bereit sind, das Völkerrecht zu akzeptieren, zusammenfinden müssen, um es gegebenenfalls gegen diejenigen durchzusetzen, die nicht bereit sind, ihm
zu folgen.
Die Argumentation der PDS oder der Linkspartei
- oder wie immer sie sich gerade nennt - schlägt dem
Fass wirklich den Boden aus. Zunächst einmal, Herr
Kollege Paech, ist es wirklich nicht der erste Einsatz der
Marine im Mittelmeer. Wenn Sie sich erinnern mögen:
Die erste verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung
drehte sich um einen Einsatz der Marine im Mittelmeer,
als nämlich die Küste des ehemaligen Jugoslawien von
einer Fregatte beobachtet werden sollte. Auch die Operation „Active Endeavour“ findet seit vielen Jahren im
Mittelmeer statt. Diese Argumentation ist wirklich hanebüchen und zeigt, wie sehr Ihre Maßstäbe verrückt sind.
Dass Sie Waffenlieferungen an den paramilitärischen
Arm der Hisbollah, den man mit guten Gründen als terroristisch bezeichnen kann, auf eine Stufe mit Waffenlieferungen an ein Land wie Israel stellen, das ist geradezu
verrückt.
({3})
Es zeigt sich wieder, dass die PDS hier eine im
Grunde völkerrechtsfeindliche Fraktion stellt.
({4})
Immer wenn es um die Durchsetzung des Völkerrechts
geht, sind Sie nicht dabei. Sie behaupten jedes Mal,
wenn die völkerrechtliche Grundlage eindeutig ist, dass
sie nicht vorliegt. Das gilt für den Afghanistan-Einsatz,
das gilt für das OEF-Mandat, und das gilt für das ISAFMandat. Selbst wenn Ihnen hier nichts einfällt, suchen
Sie nach hanebüchenen Begründungen, um sich nicht zu
beteiligen.
Ich warte auf den Fall, dass Sie einmal - wenigstens
theoretisch - bereit sind, zu skizzieren, wann Sie in der
Lage sind, die internationalen Bestimmungen, die Vereinbarungen, die im Rahmen der Vereinten Nationen getroffen wurden, zu unterstützen. Solange das nicht der
Fall ist und solange Sie sich immer wieder gegen klare
völkerrechtliche Regeln wenden, werden wir darauf hinweisen, dass mit Ihnen hier kein Staat zu machen ist.
Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zu.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 16/6330 zu dem Antrag der Bundesregie-
rung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte im Rahmen der „United Nations Inte-
rim Force in Lebanon“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 16/6278 anzunehmen. Es ist na-
mentliche Abstimmung verlangt. Aus diesem Grund
bitte ich Sie, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimm-
karten, die Sie verwenden, tatsächlich Ihren Namen tra-
gen. Ich bitte außerdem die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. -
Dies ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte?
Ich wiederhole meine Frage: Gibt es noch Mitglieder
des Hauses, die ihre Stimme nicht abgeben konnten? -
Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Damit wir die Abstimmung durch-
führen und das Ergebnis zweifelsfrei feststellen können,
bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die an den wei-
teren Beratungen teilnehmen wollen, ihre Plätze einzu-
nehmen, und die anderen Kolleginnen und Kollegen, die
unaufschiebbare Dinge zu erledigen haben, dies außer-
halb des Plenarsaals zu tun.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6331. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegen-
probe! - Die Enthaltungen! - Der Entschließungsantrag
ist gegen die Stimmen der Antragsteller bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/6332. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? -
Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungs-
antrag gegen die Stimmen der Antragsteller mit den
Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt.
1) siehe Seite 11570 C
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen
nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Einzelplan 23.
Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
({0})
- Frau Ministerin, einen kleinen Moment bitte. Ich
möchte die Kolleginnen und Kollegen, die unaufschiebbare Dinge zu erledigen haben, bitten, das außerhalb des
Saales zu tun und uns die Möglichkeit zu geben, den Beratungen wieder zu folgen. - Das ist geschehen.
Sie haben das Wort, Frau Ministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Heute hat die indonesische Insel Sumatra
wieder Erschütterungen und Erdbeben erleben müssen,
die hohe Werte auf der Richterskala erreicht haben. Wir
wissen noch nichts über die einzelnen Schäden, aber wir
wissen, dass viele Gebäude geräumt werden mussten.
Unser Mitgefühl gilt den betroffenen Menschen in dieser
Region, die beim Tsunami schon so viel erleiden mussten. Diese Menschen sollen wissen, dass sie sich auf unsere Solidarität in der Not verlassen können.
({0})
Das wollte ich zu Beginn gerne sagen.
Wir haben die heutigen Debatten zum Haushalt immer unter dem Gesichtspunkt geführt, welche globalen
Umbrüche unsere Welt erlebt. Wir sehen das am Beispiel
des Klimawandels. Wir sehen es an den tektonischen
Veränderungen in der Weltwirtschaft; Stichwort: Indien
und China. Wir sehen, dass es wirklich eine multipolare
Welt mit entsprechenden Auswirkungen geben wird. Wir
sehen es an der Globalisierung der Finanzmärkte und deren Auswirkungen, und wir sehen es auch an den neuen
Entwicklungen in Afrika.
Demgemäß hat sich die Entwicklungszusammenarbeit auf veränderte Verhältnisse einzustellen, und dies
hat sie auch getan. Entwicklungszusammenarbeit bedeutet heute nicht nur Nothilfe und Armutsbekämpfung,
sondern Unterstützung von sozialen Reformprozessen
und Technologietransfer zur Rettung des Klimas. Entwicklungszusammenarbeit steht für den Beitrag zu einer
gerechteren globalen Rahmenordnung in der Weltwirtschaft, den die Kanzlerin heute angemahnt hat. Sie steht
für verantwortliche Regierungsführung, Krisenprävention sowie Förderung von Demokratie und Menschenrechten.
Deshalb ist die Entwicklungszusammenarbeit mit
völlig neuen Herausforderungen konfrontiert, und deshalb hat sie zu Recht in diesem Haushalt auch mehr zusätzliche Mittel erhalten. Entsprechend steigt der Umfang des Einzelplans 23 um fast 700 Millionen Euro.
Das ist in der Geschichte unseres Ministeriums dessen
höchster Zuwachs.
({1})
Er ist natürlich für unsere Entwicklungszusammenarbeit
wichtig; aber vor allen Dingen ist dies ein Beitrag zur
Glaubwürdigkeit und Verantwortung unseres Landes;
denn das, was auf diesem Gebiet investiert wird, sind Investitionen in eine friedliche, in eine gerechte und ökologisch verantwortungsvolle Welt.
({2})
Mit diesem Haushalt übernehmen wir Globalverantwortung. Wir leisten einen Beitrag zur Umsetzung der
Millenniumsentwicklungsziele, damit endlich die weltweite Armut bekämpft wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in unserem Lande umgedacht. Aber in globaler Hinsicht weist
uns zum Beispiel das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI darauf hin, dass nur 20 US-Dollar pro
Kopf der Bevölkerung weltweit heute ausreichten, um
alle Millenniumsentwicklungsziele zu verwirklichen,
dass aber weltweit heute schon wieder 187 US-Dollar
pro Kopf der Bevölkerung für Rüstung ausgegeben werden. Das macht deutlich: Wir müssen weltweit - so, wie
wir es auch mit unserem Etat tun - Schwerpunkte setzen,
um der Agitationsbasis für Terrorismus und der Armut
den Boden zu entziehen. Das machen wir mit unserem
Haushalt sehr deutlich.
({3})
Wir haben in dieser veränderten Welt auch die Verantwortung, die Menschen und insbesondere junge Menschen auf Umbrüche vorzubereiten. Deshalb freue ich
mich, dass es uns gelungen ist, unseren entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in diesem Haushalt zu
verankern und damit die Chance zu bieten, dass junge
Menschen unabhängig von finanziellen Mitteln und dem
Geldbeutel ihrer Eltern die Chance haben, bis zu zwei
Jahre lang einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Entwicklungsländern zu leisten.
({4})
Das ist eine wunderbare Aufgabe für diese Jugendlichen,
die sehr große Zustimmung findet. Die Nachfrage ist
überwältigend. Wir wollen diesen Dienst so ausweiten,
dass er mittelfristig mit einem Finanzvolumen von
70 Millionen Euro bis zu 10 000 Einsatzplätze pro Jahr
möglich macht. Im Rahmen des Freiwilligenprogramms
„Weltwärts“ ist eine Gemeinschaftsinitiative mit über
200 Nichtregierungsorganisationen, aber auch mit Kommunen und privaten Trägern vorgesehen. Wir gestalten
keinen staatlichen Dienst, sondern eine Gemeinschaftsinitiative. Ich danke allen, die sich auf diese Art und
Weise in sie einbringen und eingebracht haben.
({5})
Wer sich als Jugendlicher an einem solchen Dienst
beteiligt, der wird niemals zum Rassisten. Auch deshalb
ist es so wichtig, dass wir diese Arbeit engagiert unterstützen. Ich bedanke mich bei allen, die dies in den jetzigen Haushaltsberatungen tun.
({6})
Wir haben aber auch andere Schlussfolgerungen gezogen, nämlich bei G 8 in Richtung auf den Heiligendamm-Prozess, wobei zum Beispiel Länder wie Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika in die globale
Verantwortung einbezogen worden sind, um deutlich zu
machen: Die G 8 sind sich nicht selbst genug.
Ich will an der Stelle ausdrücklich noch einmal auf
unsere Entwicklungszusammenarbeit mit China eingehen. Heute Morgen hat ja auch Herr Westerwelle diese
wieder einmal angesprochen. Nicht ohne Grund hat der
Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie,
Jürgen Thumann, der, wie ich glaube, nicht prinzipiell
mit der Sozialdemokratie in Verbindung gebracht werden kann, unsere Entwicklungszusammenarbeit mit
China im Handelsblatt mit großem Lob versehen. Ich
zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit leistet
dabei einen wichtigen Beitrag. Erstens wird China
beim Umwelt- und Klimaschutz unterstützt durch
Umweltpolitikberatung, Verbesserung der Energieeffizienz oder der nachhaltigen Forstwirtschaft.
Zweitens leistet die Entwicklungszusammenarbeit
einen wichtigen Beitrag bei der Stärkung marktwirtschaftlicher Elemente in China, etwa beim Ausbau des Rechtssystems und beim Schutz geistigen
Eigentums. Drittens trägt der entwicklungspolitische Dialog dazu bei, China stärker in die globale
Verantwortung einzubinden, auch im Hinblick auf
das Engagement Chinas auf den Rohstoffmärkten
Afrikas.
Ich freue mich über diese mit Lob verbundene Einschätzung des BDI-Präsidenten und würde mir ein ähnlich unparteiisches Lob auch von anderen in diesem Hause, die
stattdessen versuchen, parteipolitische Taktik zu machen, wünschen.
({7})
Der zweite Punkt in Verbindung mit der Verantwortung der G 8 betrifft Afrika. Wir haben bei den G-8Treffen einen besonderen Schwerpunkt gesetzt, der sich
auch in den Beschlüssen niederschlägt:
So stehen wir, wie es auch heute Morgen die Kanzlerin gesagt hat, zu den Verpflichtungen des Gipfels von
Gleneagles, der in Heiligendamm bestätigt worden ist,
nämlich dazu beizutragen, dass bis zum Jahr 2010 die
Mittel für Afrika vonseiten der G 8 verdoppelt werden.
Entsprechende Schritte in diese Richtung können wir mit
dem vorliegenden Haushalt auch umsetzen.
Wir tragen auch mit dazu bei, dass der ODA-Stufenplan Jahr für Jahr entschlossen umgesetzt wird.
Gleichzeitig wollen wir Investitionen in Afrika stärken. Neben den finanziellen Mitteln, um die es aber
nicht allein gehen darf, sind dazu notwendig Transparenz und Rechenschaftspflichten im öffentlichen Finanzwesen sowie Transparenz der Rohstoffmärkte gemäß der
EITI-Initiative.
Darüber hinaus unterstützen wir die Verbesserung der
regionalen Kooperation Afrikas und fördern den Zugang
Afrikas zu erneuerbaren Energien sowie die effizientere
Nutzung von Energie.
Ich fand es wichtig und gut, dass wir beim G-8-Gipfel
die Chancen, die sich in Afrika bieten, deutlich gemacht
haben. Ich will heute aber auch einen Punkt ansprechen,
von dem ich weiß, dass er viele bei uns im Hause so wie
mich bedrückt. So sage ich an dieser Stelle ausdrücklich:
Wir müssen gemeinsam - die Europäische Union und
auch die UN - Druck auf den kongolesischen Präsidenten Kabila ausüben,
({8})
damit er endlich dazu beiträgt, die Gewalt und das Leid,
das Frauen im Osten des Kongo durch Vergewaltigungen zugefügt wird, zu beenden. In der letzten Zeit ist es
immer wieder deutlich geworden - man konnte es heute
wieder lesen -, dass dort von allen beteiligten Militärgruppen Vergewaltigungen als ein Mittel im Krieg
eingesetzt werden. Dabei handelt es sich nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Art. 7 und 8,
um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Ich fordere daher die kongolesische Regierung auf, diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
sowie anderen Kriegsverbrechen ein Ende zu machen
und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
({9})
Wenn dies nicht endlich geschieht, so ist gemäß seinem
Statut der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag
verpflichtet, gegen die Verantwortlichen in den beteiligten Militärgruppen vorzugehen, so wie er es auch aufgrund der Geschehnisse in Darfur in den letzten Wochen
und Monaten getan hat. Wir dürfen dabei nicht länger
zusehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Wir halten unsere Versprechen und Zusagen. Bei dem
G-8-Treffen haben die G 8 zugesagt, für die Aidsbekämpfung, insbesondere in Afrika, 60 Milliarden USDollar bis zum Jahr 2015 - die USA wollen das sogar
schon früher erreichen - zur Verfügung zu stellen. Die
Bundesregierung hat zugesagt, bis zum Jahr 2015, wenn
die Millenniumsziele erreicht sein sollen, 4 Milliarden Euro für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria
und Tuberkulose einzusetzen. Das soll auf zwei Wegen
geschehen: Wir werden den hier in zwei Wochen tagenden Globalen Fonds finanziell unterstützen und die ent11570
sprechenden Mittel aufstocken. Dabei hoffe ich auf die
Unterstützung des Haushaltsausschusses. Außerdem
wollen wir die bilateralen Mittel in diesem Bereich ausweiten; denn auch das ist eine Frage unserer eigenen
Glaubwürdigkeit. Die Tagung des Globalen Fonds ist
der erste Test für die G 8, ob sie zu ihren Versprechen
stehen. Dass wir das tun, können wir mit diesem Haushalt belegen. Dort sind die größten Einzelsteigerungen
bei den Mitteln für die Aidsbekämpfung und für die Zusammenarbeit mit Afrika vorgesehen. Dafür bin ich besonders dankbar; denn das sind wichtige Aufgaben für
uns.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklungspolitik hat durch die globalen Aufgaben ganz neue Zuständigkeiten bekommen. Das zeigt sich auch in diesem
Haushalt. Damit bringen wir unsere europäische Verantwortung zum Ausdruck. Ich finde, angesichts der
tektonischen Ereignisse, die ich zu Anfang angesprochen habe, ist der Beitrag Europas wichtig. Er verbindet
wirtschaftlichen Erfolg mit den Werten, für die wir stehen, und mit einer gerechteren Gestaltung der Globalisierung. In diesem Sinne haben wir viele Aufgaben. Ich
bin überzeugt, dass die Kraft des Dialogs und der guten
Beispiele auch in Regionen wirkt, die heute noch nicht
zu den Demokratien zählen oder erst auf dem Weg dahin
sind.
Ich hoffe auf Ihre Unterstützung und bedanke mich
für diese. Lassen Sie uns gemeinsam diese Werte zum
Ausdruck bringen und sie umsetzen!
Vielen Dank.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem Kollegen Dr. Addicks das Wort gebe, komme ich zurück
zum Tagesordnungspunkt 3 und gebe Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes
bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der United Nations Interim Force in Lebanon bekannt - es handelte sich um die Drucksachen 16/6278 und 16/6330 -:
Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben 441 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 126 gestimmt, und es gab 4 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 441
nein: 126
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Vizepräsidentin Petra Pau
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller ({33})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({34})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Michael Roth ({36})
Marlene Rupprecht
({37})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({38})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({39})
Silvia Schmidt ({40})
Renate Schmidt ({41})
Heinz Schmitt ({42})
Carsten Schneider ({43})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({44})
Swen Schulz ({45})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({46})
Dr. Rainer Wend
Vizepräsidentin Petra Pau
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Hans-Michael Goldmann
Gudrun Kopp
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
({47})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({48})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({49})
Ute Koczy
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({50})
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({51})
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({52})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({53})
Nein
CDU/CSU
Renate Blank
SPD
Gregor Amann
Klaus Barthel
Lothar Binding ({54})
Willi Brase
Dr. Peter Danckert
Renate Gradistanac
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({55})
Ernst Kranz
Dirk Manzewski
Hilde Mattheis
Detlef Müller ({56})
Maik Reichel
Sönke Rix
Ortwin Runde
Dr. Frank Schmidt
Rüdiger Veit
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({57})
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({58})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({59})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({60})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link ({61})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({62})
Martin Zeil
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({63})
Volker Schneider
({64})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
Fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Enthalten
CDU/CSU
Norbert Schindler
SPD
Ewald Schurer
FDP
Marina Schuster
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Dr. Harald Terpe
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion.
({65})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Für den Etat des BMZ im Haushalt 2008 sind in der Tat
700 Millionen Euro mehr vorgesehen. Das bedeutet eine
Steigerung auf insgesamt 5,1 Milliarden Euro. Deutschland ist damit auf dem Weg, seine internationalen Zusagen einzuhalten. Das müssen wir begrüßen; das ist gut
so.
Frau Ministerin, Sie haben auf dem G-8-Gipfel versprochen, Gesundheit und Wirtschaft in Afrika beDr. Karl Addicks
sonders zu fördern. Zum Thema Gesundheit möchte ich
nur sagen, dass der Unterausschuss, den wir geplant hatten einzuführen und der sich insbesondere mit Gesundheit in Entwicklungsländern beschäftigen sollte, leider
abgelehnt wurde. Ihre Unterstützung habe ich da vermisst.
Für die Wirtschaftsförderung in Afrika sind in Ihrem
Entwurf ganze 2 Millionen Euro mehr vorgesehen. Das
halten wir für ein Armutszeugnis. Man fragt sich, warum
das BMZ in seinem Namen das Attribut „wirtschaftlich“
führt; wir könnten es eigentlich streichen.
({0})
Sie haben offenbar noch immer nicht verstanden, dass
Entwicklung zuallererst wirtschaftliche Entwicklung ist.
Armutsbekämpfung ist gut, aber Armutsursachenbekämpfung ist besser.
({1})
Die Ursache der Armut liegt nun einmal in der Unterentwicklung vor allem der Privatwirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Diesen Wirtschaftsbereich müssen
wir voranbringen. Da gibt es gute Ansätze. Ich erwähne
nur die Mikrofinanzierung. In diesem Bereich sollten
wir viel mehr tun. Das ist sinnvoll eingesetztes Geld; da
wird die Wirtschaft von unten nach oben entwickelt.
Kleine Unternehmen können zur Entwicklung beitragen
- wir haben das auf unseren Reisen gesehen -: hier eine
Müllerei, dort eine Schreinerei, dort ein kleiner Marktstand. Mithilfe von Mikrofinanzmitteln fangen sie an,
sich zu etablieren. Das sind die Leute, die die Wirtschaft
auf dem afrikanischen Kontinent voranbringen, die die
Basis für eine positive Entwicklung schaffen.
({2})
Ganz anders verhält es sich leider mit der Budgethilfe. Hier wird das Geld in den Haushalt eines Landes
gekippt, ohne Kontrollen und mit fragwürdiger Effizienz.
({3})
Wir haben schon öfter gesagt, dass wir Budgethilfe
nicht prinzipiell ablehnen. Sie kann ein wirksames Instrument der Entwicklungszusammenarbeit sein, allerdings nur, wenn sie gezielt und vernünftig angewendet
wird, und genau das vermissen wir leider.
Budgethilfe kann man nur mit handverlesenen, vertrauenswürdigen Partnern vereinbaren. Wir müssen immer wieder im Nachhinein feststellen, dass das Vertrauen, das wir in unsere Partnerregierungen gesetzt
haben, nicht gerechtfertigt war. Nur ist das Geld dann
leider weg. Wenn wir schon Budgethilfe leisten, müssen
wir mehr als bisher darauf achten, dass das Geld korrekt
verwendet wird; wir müssen das auch kontrollieren. Ich
halte es da mit Herrn Lenin - gerade wenn es um Geld
geht -: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
({4})
- Das ist ein Tribut an Sie. - Wir haben leider viel zu
viele schlechte Erfahrungen gemacht.
Gerade heute erreichen uns Mitteilungen aus Kamerun, dass der Gesundheitsminister und der Finanzminister zurückgetreten sind. Wo liegen unsere Schwerpunkte
in der Entwicklungszusammenarbeit mit Kamerun? In
den Bereichen Gesundheit und Finanzen. Wann werden
wir endlich lernen, dass wir mit solchen Regierungen
keine Budgetzusammenarbeit aufnehmen können?
({5})
Ich nenne auch das Beispiel Mosambik. Die
FRELIMO-Regierung hat offenbar noch nicht so ganz
begriffen, was Demokratie ist; das haben sie noch nicht
gelernt. Okay, nach Bürgerkrieg und langer Diktatur
braucht das ein bisschen Zeit. Aber mit einer solchen
Regierung die Budgetzusammenarbeit auszudehnen, ist
nicht das richtige Zeichen; denn die Regierung missbraucht die Budgetmittel - das haben wir feststellen können -, um die eigene Partei voranzubringen. Wir haben
den Herren in Mosambik sehr deutlich gesagt, dass uns
der Umgang mit der dortigen Opposition überhaupt nicht
gefällt. Wir können diesen Umgang nicht auch noch mit
Budgethilfe honorieren. Ich frage Sie: Hat die Bundesregierung eigentlich jemals einem Land die Budgethilfe
entzogen? Möglichkeiten dazu gäbe es; Frau Ministerin
hat gerade selbst den Kongo angesprochen. Zumindest
im Falle von Mosambik ist die Ausweitung das falsche
Signal.
Frau Ministerin, Sie haben gerade die Good Governance angesprochen. Leider verkommt dieser Begriff
immer mehr zu einem Schlagwort. Wir müssen Good
Governance einfordern und überprüfen. Aber dort, wo es
keine Good Governance gibt, ist die Budgethilfe fehl am
Platz.
({6})
Ich habe hier die Bundesregierung gefragt, ob sie irgendwelche Fälle kenne, in denen Geld versickert ist.
Darauf wurde mir geantwortet, davon sei der Bundesregierung nichts bekannt. Aber überall pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Ich frage Sie: Wie trotzig muss
man eigentlich sein, wenn man das nicht zur Kenntnis
nehmen will? Wie unbelehrbar muss man sein, wenn
man daraus keine Konsequenz ziehen will?
Schauen Sie einmal, was in Südafrika bei der Aidsbekämpfung passiert - Frau Ministerin, Sie haben dieses
Beispiel erwähnt -: Die unsägliche Gesundheitsministerin ist dort immer noch im Amt, und wir trauen uns
nicht, dazu ein deutliches Wort zu sagen.
Diese Frau, die im Nachbarland Botswana rechtskräftig verurteilt wurde, weil sie Patienteneigentum und
Krankenhauseigentum gestohlen hat, verfügt mit über
Entwicklungszusammenarbeitsgelder in Millionenhöhe.
Es tut mir leid, aber das ist für mich keine EZ auf Augenhöhe, wie wir sie so oft einfordern.
({7})
Zu einer EZ auf Augenhöhe gehört, dass wir dem
Partner die Meinung richtig ins Gesicht sagen können.
Warum machen Sie das eigentlich nicht, Frau Ministerin? Das wären ganz neue Töne, die einige aufschrecken
dürften. Stattdessen höre ich auf den Fluren des BMZ,
die Entwicklungsländer müssten lernen, mit Geld umzugehen. Dazu bräuchten sie wie Kinder, die lernen müssen, mit dem Taschengeld umzugehen, eine Budgethilfe.
Dafür haben wir überhaupt kein Verständnis; denn dafür
ist das Geld von unseren Steuerzahlern doch etwas zu
hart erarbeitet worden.
({8})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss
meiner Rede. Wenn Minister angeklagt werden, schauen
wir ganz betroffen. Wenn sie entlassen werden, wegen
Korruption gehen müssen, sagen wir uns: Da ist ja wohl
etwas nicht in Ordnung. - Ich erinnere nur an die
Tschad-Kamerun-Pipeline, zu der Frau Kollegin Koczy
von den Grünen festgestellt hat, dass dort sehr viel versickert. Das alles sind Dinge, die wir nicht länger hinnehmen können. Dort muss unsere Blauäugigkeit aufhören.
Bitte lassen Sie uns auch da in ganz klaren Tönen sprechen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser sehr engagierten, aber für meine Begriffe etwas undifferenzierten Rede von Ihnen, Herr
Addicks, möchte ich zunächst festhalten, dass das
Jahr 2007 ein für die deutsche Entwicklungspolitik
wichtiges und, wie sich abzeichnet, gutes Jahr werden
wird. Die deutsche G-8- und EU-Präsidentschaft hat die
strategische Bedeutung der Entwicklungspolitik für die
friedliche und nachhaltige Entwicklung unserer Erde unterstrichen. Ich glaube, dass noch nie ein deutscher Bundeskanzler globale und entwicklungspolitische Themen
so ins Zentrum eines G-8-Gipfels gerückt hat, wie es
Frau Merkel getan hat, und dass entwicklungspolitische
Themen überhaupt noch nie so in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt wurden wie in Heiligendamm.
({0})
Ich glaube aber auch, dass noch nie so große entwicklungspolitische Herausforderungen im Kampf um die
Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, im Kampf
gegen Hunger, Elend und Perspektivlosigkeit, im Kampf
auch gegen eine zunehmend gefährliche Ungleichgewichtung in der Welt und im Kampf für mehr Sicherheit
und gegen Terrorismus zu bewältigen waren.
Mit dem Haushaltsentwurf 2008 wird die schwarzrote Koalition den Entwicklungshaushalt nun zum dritten Mal in Folge signifikant anheben, und zwar um
15 Prozent gegenüber dem Entwurf vom letzten Jahr.
Bei einem Gesamtwachstum des Haushalts von
4,7 Prozent ist das ein Erfolg für die Entwicklungspolitik. Nach Jahren der Stagnation ist der Haushaltsansatz
seit 2005 nun insgesamt um ein Drittel angehoben worden. Das ist ein Erfolg für uns. Das ist auch ein Erfolg,
zu dem ich Ihnen, Frau Bundesministerin, Ihrem Hause
und Ihrer Führungscrew gratuliere.
({1})
Damit demonstriert die Große Koalition Entschlossenheit, einem Bekenntnis zum verantwortlichen Handeln
in einer globalen Welt auch Taten folgen zu lassen. Ich
möchte an die beeindruckenden Worte der Bundeskanzlerin von heute Vormittag erinnern, die sich noch einmal
ganz klar und deutlich zu dieser Verantwortung bekannt
hat und in diesem Zusammenhang auch das Stichwort
Glaubwürdigkeit genannt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
international zugesagt, dass wir mehr für unseren Nachbarkontinent Afrika tun wollen. Darauf wird mein Kollege Hartwig Fischer noch eingehen. Wir haben zugesagt, dass wir mehr für die Bekämpfung von HIV/Aids,
für den Klimaschutz und für die Erhaltung der Schöpfung tun wollen.
Die Entwicklungsländer sind gerade in Bezug auf den
Klimawandel Opfer und Täter. Es muss hier gelingen,
mit klugem Transfer von Know-how, aber auch mit kluger Reformberatung gerade in aufstrebenden Entwicklungsländern das Wirtschaftswachstum vom Ansteigen
des Energiebedarfs zu entkoppeln.
In China - das wurde schon angesprochen - ist der
Klimaschutz besonders wichtig. Dort ist es beispielsweise gelungen - das wird die meisten in diesem Hause
freuen -, über eine Einspeiseverordnung, die sich an
dem orientiert, was wir in Deutschland machen, einen
großen Schritt bei der Beratung voranzukommen. Was
die Technologie betrifft, ist es natürlich entscheidend,
dass wir mit unserer Kohlekraftwerkstechnologie in
China Fuß fassen können.
Wichtig ist auch - die Bali-Konferenz zum Klimaschutz steht vor der Tür -, dass der Schutz des Waldes,
der als CO2-Senke und als Schatzkammer für die Artenvielfalt auf unserer Erde dient, in der Entwicklungspolitik mehr Beachtung findet. Auch hier hat der vorliegende Haushaltsentwurf wichtige Impulse für die
Weltkonferenz zum Schutz der Artenvielfalt im nächsten
Jahr in Deutschland gesetzt.
Zum erklärten Ziel der Koalition gehört auch, dass
wir die Bereiche Bildung und Ausbildung einerseits und
ländliche Entwicklung andererseits stärken. Das eine ist
ein zentrales Element für die Hilfe zur Selbsthilfe, und
das andere ist die Grundlage der Armutsbekämpfung.
Armut spielt sich noch immer vorwiegend auf dem Land
ab. Aber auch die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und eine wirksamere Drogenbekämpfung
können zur Verringerung der Armut beitragen.
Herr Addicks, auch eine vernünftige wirtschaftliche
Entwicklung ist im Kampf gegen die Armut entscheiDr. Christian Ruck
dend. Auch wir sind der Meinung - da gebe ich Ihnen
vollkommen recht; damit rennen Sie bei uns offene Türen ein -, dass der Bereich der Mikrofinanzierung in allen Bereichen, also auch im Bereich der ländlichen Entwicklung, sozusagen als Querschnittsaufgabe gestärkt
werden muss. Das ist ein wichtiger Faktor, um die Lage
der Armen erfolgreich zu verbessern. Ihn gilt es weiterzuentwickeln.
({2})
- Da haben Sie mich auf Ihrer Seite.
Ein vielfach entscheidendes entwicklungspolitisches
Ziel - auch das wurde zu Recht angesprochen - ist die
Überwindung entwicklungshemmender politischer Strukturen und Entscheidungsmechanismen in Entwicklungsländern. Herr Addicks, wir halten Good Governance für
den zentralen Begriff in unserem Instrumentarium und in
unserer Zielsetzung. Wir müssen aber alles das, was zur
Demokratie, zur Gewaltenteilung und auch zum Entstehen handlungsfähiger politischer Parteien mit einem entsprechenden Parteiprogramm führt, stärker als bisher unterstützen. Dazu gehört auch der Aufbau einer
Zivilgesellschaft, die auf allen Ebenen kontrollierend
einwirken kann.
Wir möchten auch heute wieder das Bekenntnis abgeben, dass es zu unseren Aufgaben und zu unserer Politik
gehört, so wichtige Einrichtungen wie unsere politischen
Stiftungen, aber auch NGOs und vor allem die Kirchen
weiterhin konsequent und beharrlich zu unterstützen.
Auch das wollen wir in diesem Haushalt als Signal verwirklicht sehen.
Herr Kollege Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Addicks?
Ja.
Herr Kollege Ruck, ich gebe Ihnen gerne die Möglichkeit, Ihre Redezeit zu verlängern. Sie sprachen gerade die politischen Stiftungen an. Haben Sie zur
Kenntnis genommen, dass im Haushalt des AA und des
BMZ gegenläufige Maßnahmen zur Förderung von politischen Stiftungen getätigt werden, was per saldo darauf
hinausläuft, dass die politischen Stiftungen insgesamt
7 Millionen Euro weniger bekommen?
Ich sage es noch einmal: Für uns ist es wichtig, dass
die Stiftungen insgesamt, was ihre Arbeit betrifft, gestärkt werden. Sie haben vollkommen recht, dass es per
saldo keine Verbesserung ist, wenn die eine Hand
nimmt, was die andere Hand gibt.
({0})
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meinen
Schlusssatz, den ich jetzt natürlich noch nicht sagen
möchte, weil er erst, wie gesagt, zum Schluss kommt.
({1})
Unsere größte und gefährlichste entwicklungspolitische Baustelle ist Afghanistan. Auch hier gibt es
eindrucksvolle Erfolge; diese sollten wir immer wieder
nennen. Aber es gibt natürlich auch große Herausforderungen. Das kam in einigen Debatten vorher schon zum
Ausdruck. In der nächsten Woche haben wir Gelegenheit,
über diese Herausforderungen im Paket zu sprechen. Nirgendwo ist die Notwendigkeit einer gemeinsamen Antwort von Sicherheits-, Außen- und Entwicklungspolitik
größer als hier.
Uns Entwicklungspolitikern ist klar geworden, dass
wir unsere Anliegen nicht verfolgen können und dass
wir mit unseren Instrumenten nicht weiterkommen,
wenn es keine Sicherheit gibt. Uns ist klar geworden,
dass es keine Drogenbekämpfung, dass es keine Alternative zum Drogenanbau auf dem Land gibt, wenn dort
keine Sicherheit vorherrscht. Deswegen ist gerade aus
Sicht von uns Entwicklungspolitikern ein erfolgreicher
Aufbau der Polizei unabdingbar. Das Gleiche gilt für ein
funktionierendes Justizwesen. In diesen Bereichen gibt
es noch immer große Defizite. Weitere Defizite sind,
dass zu viel Geld in Kabul hängen bleibt und zu wenig in
die Provinzen geht und nicht alle, die Beiträge zugesagt
haben, diese auch erbracht haben.
Ich begrüße ausdrücklich, dass ein stärkeres entwicklungspolitisches Engagement im Süden von Afghanistan
vorgesehen ist. Wir müssen die internationale Arbeit in
Afghanistan insbesondere im entwicklungspolitischen
Bereich noch besser koordinieren.
Kollege Ruck, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Trittin?
Ja, nachdem ich das Kapitel Afghanistan mit folgendem Satz beendet habe: Aus den genannten Gründen bin
ich hocherfreut, dass im Haushaltsentwurf mehr Geld für
die Entwicklungshilfe in Afghanistan vorgesehen ist.
Das ist vielleicht immer noch zu wenig, aber in unseren
Augen ist es ein weiterer wichtiger Schritt.
Herr Trittin, bitte.
Herr Kollege Ruck, Sie haben - ich glaube, diesbezüglich stimmen wir überein - die Notwendigkeit eines
verstärkten, schnelleren und besseren entwicklungspolitischen Engagements in Afghanistan unterstrichen. Wie
erklären Sie es sich, dass die Umsetzung eines GTZ-Projekts im Süden von Afghanistan, im PRT der Niederländer, trotz der Bereitschaft der GTZ, dort hinzugehen, von
März bis heute auf sich warten ließ? Jetzt liegt die Zusage des BMZ vor, sodass die Entwicklungshelfer, die
darauf drängen, dort hingehen zu können, nun endlich
gehen können.
Herr Trittin, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass
ich zu diesem Einzelfall aus dem Stand heraus nichts sagen kann.
({0})
Ich gehe der Sache natürlich nach. Lassen Sie mich aber
klarstellen, dass ich schon vor einem Vierteljahr angeregt habe, uns im Süden entwicklungspolitisch stärker zu
engagieren. Daran halte ich fest. Alle Einzelprojekte in
Afghanistan habe ich leider nicht im Kopf. Ich glaube
aber, es gibt jemanden, der Ihnen Ihre Frage sofort beantworten kann.
Wenn die Frage des Kollegen Trittin damit beantwortet ist, stellt sich die Frage, ob die Kollegin Bundesministerin Ihnen gleich eine weitere Zwischenfrage stellen
darf.
({0})
Bitte.
Herr Kollege Ruck, stimmen Sie mit mir in der Auffassung überein, dass das Ministerium bis August gewartet hat, weil es die Bestätigung der niederländischen
Regierung abwarten wollte, dass das PRT aufrechterhalten wird, damit die Sicherheit der Mitarbeiter von GTZ
International Services gewährleistet ist, und dass das unserer Fürsorgepflicht entspricht? Alles andere wäre vom
Kollegen Trittin sicherlich kritisiert worden.
Einen kleinen Moment, bitte. - Wir müssen erst einmal einen kleinen Fehler von mir korrigieren. Ich hätte
die Ministerin auffordern müssen, die Regierungsbank
zu verlassen. Von der Regierungsbank aus kann sie keine
Zwischenfragen stellen.
({0})
Ich bin für Entbürokratisierung.
({0})
Herr Trittin, ich bin mit der Ministerin einig. Es ist so,
wie sie es beschrieben hat.
Nun zum Ernst der Lage. Die Entwicklung in Afghanistan hängt natürlich damit zusammen, was in den
Nachbarländern passiert. Pakistan ist inzwischen allgemein als entscheidender Schlüsselfaktor für die Entwicklung in Afghanistan anerkannt.
Damit komme ich zur Diskussion über die Zahl und
Art der Länder, mit denen wir in Zukunft eine volle bilaterale Kooperation eingehen wollen. Wir haben im
Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir die Anzahl dieser Länder reduzieren wollen, um dem Gießkannenprinzip entgegenzuwirken. Wir befinden uns in einer sehr
fruchtbaren Diskussion darüber. Bei der Auswahl der
Länder legen wir Wert darauf, dass es nicht nur um die
Bedürftigkeit der Länder geht, sondern auch um die strategische Bedeutung, die diese Länder für uns haben, um
die Fragen, welchen politischen Spielraum wir in diesen
Ländern haben und wie stark die Tradition ist, die uns
mit diesen Ländern verbindet, zum Beispiel mit Lateinamerika und der arabischen Welt. All das spielt in unserer Diskussion über die Länderauswahl, die wir in den
nächsten Monaten zu einem konstruktiven Abschluss
führen wollen, eine Rolle.
Über die Bedeutung der Schwellenländer in der
Entwicklungszusammenarbeit ist schon gesprochen worden. Auch das ist sicherlich eine viel diskutierte Angelegenheit. Es würde hier zu weit führen, das ganze Für und
Wider zu beleuchten. Für uns war in der Debatte über die
Zusammenarbeit mit den Schwellenländern ein Argument, das uns auch die Kirchen immer wieder ans Herz
gelegt haben, ganz wichtig. Sie sagen, dass wir die Zusammenarbeit mit Ländern wie Brasilien, Indien, aber
auch Mexiko und China, mit Schwellenländern, die sehr
erfolgreich sind, nicht aufgeben dürfen, weil wir sonst
die andere Hälfte der Menschen in diesen Ländern, die
zum Teil bitterarmen, aus dem Blick verlieren. Das ist
ein Argument, das uns sehr stark beeinflusst und das ich
in diesem Zusammenhang zu bedenken geben möchte.
({1})
Ein Punkt, den ich noch anschneiden möchte, ist ein
Dauerbrenner, nämlich die internationale Arbeitsteilung. Hier agiert die EU als 27. Geber. Das ist nach wie
vor unsinnig. Man weiß gar nicht, ob man es begrüßen
soll, dass der Mittelabfluss in der EU plötzlich viel
schneller vonstatten geht als früher. Aber ich glaube,
Frau Ministerin, dass im Rahmen der deutschen EURatspräsidentschaft Pflöcke eingerammt, Positionen bezogen wurden, auf denen man aufbauen kann. Jetzt muss
es darum gehen, dass die EPAs entwicklungsorientiert
ausgebaut werden. Da gibt es, glaube ich, noch viele
Widerstände zu überwinden. Im Zusammenhang mit der
Diskussion über diesen Reformvertrag muss die Arbeitsteilung in der Entwicklungszusammenarbeit geregelt
werden. Dabei geht es um viel Geld. Wir alle müssen ein
Interesse daran haben, dass deutsche Steuergelder an
dieser Stelle nicht verschwendet werden.
({2})
Das Spannungsverhältnis zwischen bilateraler Hilfe
und multilateraler Hilfe ist ebenfalls ein Dauerbrenner.
Darüber gibt es eine Diskussion unter uns Koalitionären.
Hier geht es darum, die richtige Balance zu finden. Die
richtige Balance muss sich an zwei Dingen ausrichten,
nämlich an der Effizienz der internationalen Organisationen und an der Sichtbarkeit unseres Beitrags dort.
Deswegen sagen wir: Wir wollen im internationalen Geschehen mehr Einfluss. Wir wollen - dazu gibt es in der
nächsten Sitzungswoche einen Antrag von uns Koalitionären - aus deutscher Sicht mehr Personal, vor allem
qualifiziertes Personal, in internationalen Organisationen.
({3})
Wir wollen auch, dass das BMZ für die Aufgaben der
Zukunft besser aufgestellt ist, indem die unsinnige Personalspirale nach unten aufgehoben wird. Der jetzige
Personalbestand im BMZ entspricht dem von 1975, jedoch gibt es jetzt ganz andere Aufgaben und Herausforderungen. Deswegen muss die Frage, wie das BMZ in
Zukunft ausgestaltet wird, auf die Tagesordnung. Hierbei bitte ich um Unterstützung des ganzen Hauses.
Kollege Ruck, es ist jetzt Zeit für den angekündigten
Schlusssatz.
Ich bin gleich fertig.
Mein Schlusssatz: Entwicklungspolitik ist nicht nur
ein humanitärer Auftrag, sondern dient auch der Sicherheit unserer eigenen Bevölkerung. Dieser Etat ist ein zutiefst investiver Haushalt, mit dem über 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden.
({0})
Ich zitiere noch meinen Freund und Fußballkollegen
Carsten Schneider, der diese Woche gesagt hat: Der
Haushaltsentwurf des BMZ ist gut. Wir wollen dafür
sorgen, dass er noch besser wird.
Danke.
({1})
Das war ein ganzes Schlusskapitel. - Das Wort hat
der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch die Linke begrüßt und unterstützt, dass von den im
Gesamtetat neu zu verteilenden 12,7 Milliarden Euro
660 Millionen Euro in den Haushalt des BMZ fließen.
Wir sind froh, dass nicht auch diese 660 Millionen Euro
im Etat des Verteidigungsministers gelandet sind.
Weil ein Argument, das ich in der Debatte über den
Haushalt des Auswärtigen Amtes angeführt habe, sehr
gut angekommen ist, möchte ich es gerne wiederholen:
Die Freude auf unserer Seite wird sehr stark dadurch getrübt, dass die Mehreinnahmen, die wir verteilen, nicht
dadurch zustandegekommen sind, dass eine kluge und
gerechte Einnahmepolitik betrieben wurde, sondern dadurch, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern dieses
Geld durch die Mehrwertsteuererhöhung abgenommen
haben. Es gehört zur Haushaltswahrheit und -klarheit,
auch das zu sagen, und ich vermute, dem stimmt auch
die FDP zu. Wir haben schließlich nicht aus populistischen Gründen gegen die Mehrwertsteuererhöhung gekämpft, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass sie
falsch ist.
({0})
- Man muss das im Gesamtzusammenhang betrachten.
Es geht nicht immer um einzelne Politikbereiche, sondern manchmal auch um größere Zusammenhänge.
Jetzt stehen uns 5,2 Milliarden Euro zur Verfügung.
Es geht nun darum, nach welchen Prioritäten dieses Geld
angelegt wird. Der Kollege Westerwelle hat in der Debatte am heutigen Vormittag mit Bezug auf China gesagt, wir würden im Bereich der Entwicklungshilfe Geld
verplempern.
Dazu möchte ich ganz klar und deutlich sagen: Ich
glaube, fraktionsübergreifend sind wir hier anderer Meinung. Die Runde der Berichterstatter des Haushaltsausschusses war in diesem Sommer in China - die FDP war
dort nicht vertreten -, um sich dort verschiedene Projekte in den Bereichen Klimaschutz, Aufforstung und
Gesundheit, unter anderem zu präventiven Maßnahmen
gegen Epidemien, Krankheiten usw., anzusehen.
Wir sind der Auffassung, dass eine Unterstützung solcher Projekte eine sinnvolle Investition in eine sichere
Zukunft ist. Denn in einem Wachstumsmarkt wie
China mit 1,3 Milliarden Menschen werden wir in Zukunft nur dann Sicherheit und eine stetige Entwicklung
gewährleisten können, wenn dort auch eine soziale und
ökologisch nachhaltige Entwicklung stattfindet.
({1})
Kollege Leutert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Mittlerweile stellt sich nicht mehr die Frage, ob China
uns in Zukunft braucht, sondern die Frage, ob wir in Zukunft China brauchen. Daher müssen wir in sinnvolle
Projekte investieren.
({0})
Wenn es darum geht, in welchem Bereich Geld verplempert wird, dann sollten wir über das Thema reden,
über das wir gerade namentlich abgestimmt haben. Ich
meine die 95 Millionen Euro, die für den UNIFIL-Einsatz bereitgestellt werden. In der Begründung des Antrags der Bundesregierung steht, dass der Waffenschmuggel auf dem Seeweg effektiv unterbunden wurde.
({1})
Als ich heute im Haushalts- und im Menschenrechtsausschuss gefragt habe, wie viele Boote aufgebracht und
wie viele Waffen sichergestellt worden sind, lautete die
Antwort: 9 008 Schiffe wurden registriert, 36 wurden an
die libanesischen Streitkräfte gemeldet, und die Zahl der
gefundenen Waffen ist 0.
Niemand fragt nach, wofür diese 95 Millionen Euro
verwendet werden. Dieses Geld wird einfach rausgeschmissen. In China investieren wir im Rahmen von TZ
und FZ in jedem Jahr insgesamt 167 Millionen Euro.
Auch hier frage ich nach dem Verhältnis zwischen zivilen und militärischen außenpolitischen Instrumenten. Ich
glaube, es liegt auf der Hand, welches Instrument besser
geeignet ist.
({2})
- Das sind keine abenteuerlichen Zusammenhänge. Es
geht darum, wie man die verschiedenen Instrumente der
Außenpolitik einsetzt.
Kollege Leutert, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage, und nehmen Sie damit das Angebot aus der FDPFraktion an, Ihre Redezeit noch ein wenig zu verlängern?
Bitte.
Herr Kollege, es gibt gute Projekte, die auch die FDP
kennt. Auch wir wollen diese Projekte nicht einstellen.
Niemand hat jemals gesagt, wir sollten dort keine technische oder sonstige Unterstützung leisten. Vor diesem
Hintergrund frage ich Sie: Stimmen Sie mit mir überein,
dass wir von Ländern, die über eine Wirtschafts- und
Finanzkraft wie China verfügen, die Kosten solcher Projekte also selbst tragen können, einen ordentlichen
Eigenbeitrag verlangen sollten, anstatt sie obendrein dadurch zu erniedrigen, dass wir so tun und sogar öffentlich erklären, wir könnten diese Länder quasi kaufen, indem wir ihnen ein paar Millionen Euro an die Hand
geben und damit Einfluss auf ihre Politik nehmen?
Herr Kollege, ich bin mit Ihnen dieser Meinung. Aber
erstens geschieht das meiner Kenntnis nach im Fall
China. Zweitens ist Entwicklungshilfe natürlich immer
auch eine Hilfe für das Geberland. Mindestens 2 Euro
fließen für 1 Euro, der in Wirtschaftshilfe investiert
wird, zurück.
({0})
- Ich kann Ihnen die Studien gern zusenden. Drittens
habe ich davon gesprochen, dass es für uns aus sicherheitspolitischen Gründen relevant ist, wie wir in der Außenpolitik mit China in diesen Bereichen umgehen.
China ist - zumindest meiner Erfahrung aus Begegnungen nach - sehr offen gegenüber Problemen und sehr an
Know-how- und Technologietransfer interessiert.
({1})
- Wir arbeiten da gut zusammen.
({2})
- Das ist eine Strukturfrage, die wir in den nächsten Beratungen klären können.
Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit gehören nach Auffassung meiner Fraktion zu den
wichtigsten außenpolitischen Instrumenten im zivilen
Sektor. Es tut mir leid, wenn ich den Vergleich noch einmal anstellen muss, aber das wird durch die Haushaltsstruktur provoziert: Unserer Meinung nach wäre die
1 Milliarde Euro, die auf den zweitgrößten Etat - den
des Verteidigungsministeriums - daraufgelegt wird, wesentlich sinnvoller im BMZ angelegt.
Vielen Dank.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Thilo Hoppe das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Herausforderung bleibt riesengroß. Trotz aller Erfolge, die es ohne Zweifel gibt, kommen wir an der Tatsache nicht vorbei, dass wir von der Erreichung der
Millenniumsentwicklungsziele noch sehr weit entfernt
sind. Es wurde vor kurzem Zwischenbilanz gezogen. Es
gibt Teilerfolge in einigen Bereichen, aber nach wie vor
eine erschreckend hohe Zahl von Hungernden, eine
Zahl, die sogar noch steigt. 854 Millionen Menschen
sind bedrohlich chronisch unterernährt. Der Kampf gegen den Hunger wird durch die vom Menschen verursachte Klimaveränderung enorm erschwert. Gelingt es
uns nicht, die Erderwärmung auf zusätzliche 2 Grad
Celsius zu begrenzen, so drohen in Afrika je nach Szenario Ernteausfälle von 25 Prozent bis 40 Prozent.
Da die Herausforderung riesengroß ist, müssen wir
angemessen darauf antworten. Um die Millenniumsentwicklungsziele doch noch zu erreichen sowie die Erderwärmung auf zusätzliche 2 Grad Celsius zu begrenzen,
sind allergrößte Anstrengungen erforderlich. Da reicht
nicht der Schritt in die richtige Richtung, den die Kanzlerin heute angekündigt hat. Es ist ein ganzes Bündel an
Maßnahmen, die gleichzeitig ergriffen werden müssen,
notwendig. Dazu gehören verschärfte Reformanstrengungen in den Entwicklungsländern selbst, der Abbau
von ungerechten, klima- und entwicklungsschädlichen
Subventionspraktiken in den Industrienationen, bessere
Rahmenbedingungen für einen gerechten und fairen
Welthandel, neue Finanzierungsinstrumente, besonders
für den Klima- und Tropenwaldschutz, und nicht zuletzt
mehr und bessere Entwicklungszusammenarbeit.
So grundsätzlich formuliert werden das wohl alle
Kolleginnen und Kollegen hier unterschreiben können.
Die Unterschiede werden deutlicher, wenn wir ins Detail
gehen. Ich möchte sowohl Qualität als auch Quantität
unserer Entwicklungszusammenarbeit kritisch beleuchten. Ich fange aber mit einem Kompliment an: Auch wir
begrüßen ausdrücklich, dass im Bundeshaushalt rund
750 Millionen Euro mehr als im Vorjahr auf verschiedene Ressorts verteilt für Entwicklungszusammenarbeit
zur Verfügung gestellt werden. Um Ihrem Zwischenruf
zuvorzukommen, gebe ich zu, dass wir uns das unter
Rot-Grün auch gewünscht hätten. Aber weder an den
Grünen noch am BMZ sind vergleichbare Zuwächse gescheitert, sondern am Finanzminister und an gewissen
Kabinettsentscheidungen.
Wie gesagt, verdient der Zuwachs um 750 Millionen
Euro Lob. Es muss aber der Hinweis erlaubt sein, dass
noch etwas fehlt, und zwar mindestens 250 Millionen
Euro. Damit man all das, was auf den roten Teppichen
der Gipfelkonferenzen versprochen wurde, ernst nehmen
kann, hätte es - da gibt es sehr konkrete Berechnungen ein Aufwuchs um 1 Milliarde Euro sein müssen. Außerdem hätte es einen deutlicheren Anstieg bei den Verpflichtungsermächtigungen, die ja die weiteren Stufen
andeuten, geben müssen. Mit der Einführung einer Flugticket-Tax wäre dies auch finanzierbar gewesen, zumindest der für den Haushalt 2008 notwendige Schritt.
Wir legen für den Haushalt 2008 ein ressortübergreifendes Konzept vor, das die Versprechen ernst nimmt,
gegenfinanziert ist und einen Aufwuchs um weitere
250 Millionen Euro vorsieht. Inhaltlich gibt es für uns
drei Schwerpunkte:
Erstens: der zivile Aufbau in Afghanistan. Für diesen
ist zwar eine Erhöhung um 25 Millionen Euro eingeplant; aber diese stehen zum militärischen Engagement,
zu den Kosten für den umstrittenen Tornadoeinsatz,
doch in einem krassen Missverhältnis. Wir fordern, die
Ausgaben für den zivilen Aufbau um 100 Millionen
Euro zu erhöhen, also zu verdoppeln.
Zweitens: die konsequente Verbindung von Armutsbekämpfung und Klimaschutz. Wir Grünen werben und
streiten für einen Klimaschutzhaushalt. Deshalb werden
wir insbesondere für den Tropenwaldschutz, aber auch
für die Verbreitung der Nutzung erneuerbarer Energien
und für den Erhalt der biologischen Vielfalt zusätzliche
Gelder beantragen. Wir hoffen auf Unterstützung aus
den anderen Fraktionen. Wir wollen auch mehr Geld für
eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft als Beitrag
zur Wüstenbekämpfung und als Beitrag zur Förderung
der ländlichen Entwicklung.
({0})
Drittens. Wir brauchen mehr Geld für den Ausbau der
Gesundheitssysteme der Entwicklungsländer, damit die
Mittel des Global Funds sinnvoll eingesetzt werden können.
Uns geht es aber nicht allein um mehr Geld, sondern
auch um die Reformen, die notwendig sind. Uns wurde
eine große Reform der Institutionen angekündigt. Wir
Grünen sind die einzige Fraktion, die ohne Wenn und
Aber für eine umfangreiche Reform der Institutionen
eintritt, für die Zusammenführung von finanzieller und
technischer Zusammenarbeit.
({1})
Da wurde eine Menge angekündigt. Jetzt zeichnet sich
nur ein ganz kleines Reförmchen ab, das vielleicht nur
der Gesichtswahrung dient. Da muss noch nachgebessert
werden. Wir brauchen eine bessere Entwicklungszusammenarbeit und natürlich auch mehr Geld.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! An den letzten Satz kann man wohl anknüpfen: Wir brauchen für die Entwicklungszusammenarbeit mehr Geld, wie immer. Ich freue mich, dass der
Haushalt, den wir vorgelegt haben, hier einen deutlichen
Aufwuchs aufweist. Es ist von allen Fraktionen anerkannt worden, dass der Haushalt in diesem Bereich um
knapp 670 Millionen Euro wächst. Besonders freut
mich, dass man - auch an den Verpflichtungsermächtigungen, Herr Kollege Hoppe - sehr wohl einen Trend
für die Zukunft ablesen kann, insbesondere an der Zusage, in diesem Jahr und in den nächsten drei Jahren
750 Millionen Euro zur Armutsbekämpfung einzusetzen.
Da sind wir mit unseren Gemeinsamkeiten in vielen
Bereichen schon am Ende. Kollege Addicks, Sie haben
sich zum Thema Budgethilfe geäußert. Wissen Sie, ich
habe manchmal den Eindruck, Sie unterstellen den Fraktionen bzw. den Parlamentariern, die daran interessiert
sind, mit dem Instrumentarium der Budgethilfe vernünftige Arbeit zu leisten, sie hätten Spaß daran, Steuern zu
verschwenden; das kommt bei Ihnen immer so herüber.
({0})
Ich kann Ihnen eine Studie der SWP empfehlen,
({1})
eine sehr differenzierte Ausarbeitung zum Thema „Konditionalität in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit“, in der die Budgethilfe eingehend behandelt wird.
Doch mit Ihrem Beitrag in der Märkischen Allgemeinen
wollen Sie und der Kollege Königshaus das Thema Budgethilfe in der Öffentlichkeit diskreditieren. Sie arbeiten
mit völlig falschen Zahlen.
Sie behaupten, wir verschleudern im Zusammenhang
mit internationalen Gremien und direkter Budgethilfe
Steuergelder. Sie führen als Beispiel an, Syrien würden
44 Millionen Euro zur Betreuung der irakischen Flüchtlinge bereitgestellt. Ich würde Sie bitten, die Zahlen genau zu lesen. Was Syrien angeht - das Engagement der
Frau Ministerin möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich
unterstützen -, sind 4 Millionen Euro zusätzlich für einen bestimmten Bereich, nämlich den Schulbau für
Flüchtlingskinder aus dem Irak, zugesagt worden. Syrien
nimmt bekanntermaßen einen Großteil der Flüchtlinge
aus dem Irak auf. Die Kinder dieser Flüchtlinge müssen
in Schulen betreut werden. Es geht nicht an, dass in diesen Schulen ein Zweischichtenbetrieb gefahren werden
muss und Kinder von dem wichtigen Zugang zu Bildung
ferngehalten werden, weil hierfür nicht genügend Mittel
zur Verfügung stehen. Ich finde die Zusage hervorragend, für diesen Bereich mehr Mittel einzusetzen.
({2})
Zum nächsten Beispiel, das Sie angeführt haben, Herr
Addicks, habe ich extra recherchiert, weil kein Mensch
daraus schlau wird. Sie haben von 30 Millionen Euro für
Moskitonetze in Kamerun gesprochen, die nicht ausgezahlt werden.
({3})
- Sie geben zu, da hat die Presse offenbar etwas nicht
richtig verstanden. Es ist immer einfach, etwas so hinzustellen. Aber es gibt eine Stringenz in Ihrer Argumentation, mit solchen Beispielen zu versuchen, Instrumentarien zu diskreditieren. Aber dass ich das mit Ihrer
Zustimmung als Zeitungsente bezeichnen kann, ist
schön.
({4})
Ich halte das Instrumentarium der Budgethilfe durchaus für überprüfbar, und es wird auch überprüft. Wir
werden uns im Ausschuss damit auseinandersetzen und
die einzelnen Kriterien in diesem Bereich diskutieren.
Selbstverständlich haben wir ein Interesse an der Überprüfbarkeit und Effizienz von Projekten. Tun Sie doch
nicht so, als wäre das nicht auch Ihr Anliegen!
({5})
- Genau das ist wieder der Punkt: Sie greifen eine
Summe aus dem Etat heraus und tun so, als wäre das alles, was wir in diesem Bereich machen. Das ist mitnichten der Fall.
Ich möchte aber noch auf einige andere Punkte eingehen, die im Vorfeld angesprochen worden sind und die
uns als SPD-Fraktion inhaltlich wichtig sind. Es geht darum, wie wir die Haushaltsmittel und den Aufwuchs für
die Zukunft sinnvoll einsetzen wollen, sollen und können.
Erlauben Sie mir einige Sätze noch zum Thema
China. Es kommt in jeder Debatte wieder zur Sprache.
Insbesondere nach unserer Chinareise habe ich geglaubt,
Sie hätten etwas dazugelernt, Herr Königshaus. Armutsbekämpfung und Entwicklungspolitik gehen Hand in
Hand. Entwicklungspolitik ist aber mehr als nur die Bekämpfung von rein physischer Not; dazu gehört auch die
Begleitung von Transformationsprozessen. Daran beteiligen wir uns, insbesondere im Bereich des Klimaschutzes, in China. Ich kann nicht verstehen, dass Sie zum
Beispiel die Tatsache ignorieren, dass in Zukunft weltweit jedes zweite Haus in China gebaut werden wird und
man sich Gedanken darüber machen muss, wie man zum
Thema Gebäudeenergieeffizienz Aussagen trifft und mit
den chinesischen Partnern ins Gespräch kommen kann.
({6})
Im Übrigen finde ich manches auch amüsant. Kollege
Westerwelle war in China, und ich habe gehört, dass
auch die Naumann-Stiftung gerne wieder in China tätig
sein möchte.
({7})
Ich begrüße das. Stiftungen leisten ordentliche Arbeit.
Ich begrüße es, wenn auch die Naumann-Stiftung wieder
in China tätig wird. Aber aus welchen Mitteln wird das
denn finanziert?
({8})
Auch diese Stiftungen werden selbstverständlich über
den Einzelplan 23 finanziert.
({9})
Also leistet auch die FDP über den Einzelplan 23 Entwicklungshilfe in China.
({10})
- Jetzt möchte ich aber zu anderen Punkten kommen.
Stellen Sie eine ordentliche Zwischenfrage, oder lassen
Sie mich weiterreden!
Ihr Wunsch wird sofort erfüllt, Kollegin Kofler. Lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Koppelin zu?
Aber ja.
Frau Kollegin, ich bin etwas erstaunt über Ihre Unkenntnis. Sie wissen doch, dass es bei der Arbeit der
Naumann-Stiftung in China nicht um die finanziellen
Mittel geht, sondern dass sie nicht mehr in China tätig
sein kann, weil sie den Dalai Lama unterstützt hat. Das
war der Grund.
Herr Koppelin, ich weiß das sehr wohl. Aber die Stiftungen generell werden aus dem Einzelplan 23 finanziert.
({0})
- Gut, zum Teil. - Aber wenn die Naumann-Stiftung
wieder in China tätig sein möchte, dann muss sie dafür
auch Mittel aus dem Einzelplan 23 nutzen.
({1})
Jenseits der Aufregung der FDP möchte ich die verbleibende Redezeit nutzen, einen entscheidenden Punkt
in die Diskussion einzubringen, der uns, der SPD-Arbeitsgruppe, ganz besonders wichtig ist. Das eine ist der
Mittelaufwuchs. Das andere ist die Verwendung der Mittel. Ein Thema wurde heute noch gar nicht angesprochen, obwohl es von eminenter Bedeutung für die Zukunft ist, nämlich die sozialen Sicherungssysteme in
der Entwicklungszusammenarbeit. Wir werden das zu
einem wesentlichen Thema in unserer Arbeitsgruppe
machen. Wir möchten dies als thematische Zielgröße in
der Entwicklungszusammenarbeit bewertet und unter
verschiedenen Punkten zusammengeführt wissen. Es
muss deutlich gemacht werden, in welchen Bereichen
wir hier tätig sein können. Aus welchem Grund uns dieses Thema wichtig ist, belegt eine Zahl: Wenn
100 Millionen Menschen in Armut gestürzt werden, weil
sie nicht genügend finanzielle Mittel haben, um Medikamente zu kaufen und sich behandeln zu lassen, dann ist
dies das beste Argument dafür, dass wir uns dem Thema
soziale Sicherungssysteme verstärkt zuwenden.
({2})
Uns ist sehr wohl klar, dass dieses Thema komplex ist
und dass die Voraussetzungen in den Ländern sehr unterschiedlich sind. Es ist ein Unterschied, ob man mit Vertretern eines Landes wie China diskutiert, wo Menschen
nicht nur im informellen Bereich, sondern auch in regulären Beschäftigungsverhältnissen tätig sind, aber nur
die entsprechende soziale Absicherung fehlt, oder ob
man - wie wir es in einer Anhörung zum Thema soziale
Sicherungssysteme getan haben - mit einer Vertreterin
von SEWA, einer indischen Frauenorganisation, spricht,
die vor allem Menschen vertritt, die im informellen Sektor tätig sind und die in die sozialen Sicherungssysteme
einbezogen werden müssen. Das sind natürlich unterschiedliche Ansätze und Probleme, vor denen wir stehen. Aber gerade deshalb ist es wichtig, mit den betreffenden Ländern nicht nur auf Regierungsebene, sondern
auch auf allen anderen Ebenen darüber zu diskutieren,
wie man im Gesundheitswesen, in der Gesundheitsvorsorge und bei der Altersvorsorge weiterkommen und
vernünftige Systeme aufbauen kann.
In Indonesien zum Beispiel ist die GTZ in diesem Bereich tätig. Sie berät im Bereich nationale Gesundheitsversicherung und stößt Reformen an, die dazu dienen,
Menschen sozial abzusichern. Im Osten Afrikas werden
sogenannte Prepaid Vouchers verteilt, die gerade den
Ärmsten der Armen einen Zugang zur Gesundheitsvorsorge ermöglichen sollen, insbesondere schwangeren
Frauen in Slumgegenden, die sonst nie eine ordentliche
medizinische Versorgung gehabt hätten.
Das sind nur kleine Beispiele. Nun geht es darum,
mithilfe dieser Beispiele ein umfassendes Konzept zu
entwickeln und es zum zentralen Aspekt von Regierungshandeln zu machen.
({3})
Deshalb ist uns dieser Bereich ein besonderes Anliegen.
Ich könnte noch über viele andere Bereiche sprechen.
({4})
Wichtig ist zweifellos das Thema Bildung. Der Klimaschutz wurde bereits angesprochen, leider viel zu wenig.
Wir müssen diesem Thema noch wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen. Ich begrüße es ganz besonders,
dass die Mittel für den Aktionsplan in diesem Bereich
von 520 Millionen Euro auf 710 Millionen Euro deutlich
aufgestockt werden. Hier geht es um erneuerbare Energien, Energieeffizienz, den Tropenwaldschutz, die Biodiversität und insbesondere um erneuerbare Energien für
Afrika, um diesen Kontinent voranzubringen, genauso
wie um neue Fazilitäten für eine umweltfreundliche Gestaltung der Stadtinfrastruktur; das ist ein ganz besonders wichtiges Thema.
Liebe Kollegin Kofler, das müssen wir alles verschieben. Bitte kommen Sie zum Schluss.
Leider.
Daran sieht man - damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt -: Es gibt noch viel zu tun. Wir haben noch
viele Aufgaben in der Entwicklungszusammenarbeit vor
uns. Ich freue mich darauf, einen Teil in den weiteren
Haushaltsberatungen zu erledigen.
Danke.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer die Rede der Ministerin gehört hat, der hat keine
klare Linie in unserer Entwicklungspolitik erkennen
können, sondern hat sich eher an einen Lyrikkongress erinnert gefühlt. So kam es jedenfalls mir vor. Die Rede
war wie eine große Vorlesung, aber inhaltlich war wenig
vorhanden. Frau Ministerin, Sie haben in der Vergangenheit bestimmte Aktivitäten entfaltet, zu denen Sie heute
überhaupt nichts mehr gesagt haben. Im Koalitionsvertrag steht zum Beispiel, dass die Entwicklungshilfe konzentriert werden soll. Das werden wir unterstützen; denn
wir finden in vielen Ministerien Aktivitäten, nicht nur in
Ihrem Hause. Die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik
Deutschland wird nicht nur von Ihrem Hause geleistet.
Die Aktivitäten kann man durchaus konzentrieren.
Aber welche Idee haben Sie gehabt? Sie wollten die
GTZ, einen wichtigen Träger der Entwicklungshilfe, zerschlagen und der KfW zuordnen. Dazu haben Sie ein
teures Gutachten in Auftrag gegeben. Der Rechnungshof
hat Ihnen dank eines Beschlusses des Haushaltsausschusses, den wir einstimmig gefasst haben, alles auseinandergepflückt. Jetzt ist bei Ihnen plötzlich Schweigen
im Walde. Es kommt nichts mehr zum Thema Konzentration. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen, wie dringend
notwendig diese ist.
Ich engagiere mich, wie andere Abgeordnete auch,
zum Teil in Vietnam. Die vietnamesische Regierung
möchte gern die Berufsschulausbildung verstärken. Man
versucht, das mit der GTZ und Ihrem Hause zu machen.
Das klappt nicht, weil in Ihrem Hause alles blockiert
wird. Dann stellt man aber fest, andere Häuser der Bundesregierung können das. Der Wirtschaftsminister ist sofort dazu in der Lage. Dort läuft das unbürokratisch.
Auch das Familienministerium unterstützt das Projekt.
Nur das Ministerium, das dafür zuständig ist, ist nicht in
der Lage zu handeln. Ich habe den Eindruck, dass bei der
GTZ unglaublich gute Leute arbeiten, die wirklich etwas
machen wollen, aber in Ihrem Hause die Blockierer sitzen, die jedes Projekt blockieren und eine Riesenbürokratie aufbauen. Darum sollten Sie sich kümmern, damit
unsere Entwicklungshilfe effektiver wird.
({0})
Ich nenne ein anderes Beispiel. Sie haben sich plötzlich ein freiwilliges Jahr für Jugendliche mit einem Volumen von 25 Millionen Euro einfallen lassen. Ich frage
erst einmal: Wo ist die gesetzliche Grundlage? Dann:
Haben Sie je mit dem Parlament darüber gesprochen?
({1})
Es wäre doch gut, das Parlament zu beteiligen. Es ist übrigens eine Ihrer größten Schwächen, dass Sie nie in der
Lage sind, das Parlament einzubinden, selbst wenn Sie
gute Ideen haben. Sie machen in Ihren kleinen Zirkeln
im Ministerium alles alleine. Die Konzentration der Entwicklungshilfe steht im Koalitionsvertrag. Wir haben
das freiwillige ökologische Jahr, das man auch im Ausland ableisten kann. Dafür ist das Familienministerium
zuständig. Dann haben wir den zivilen Friedensdienst
- das war eine Idee auch von mir - in Ihrem Hause angesiedelt. Was geschieht jetzt mit diesen Projekten? Keine
Antwort.
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ihr Haus heißt Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Hier - auch eben in dem Beitrag - wird nur von
Entwicklungszusammenarbeit gesprochen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit - Herr Kollege Addicks
hat darauf hingewiesen - kommt bei Ihnen überhaupt
nicht mehr vor. Ich ahne natürlich, warum. Sie haben die
Auffassung vertreten, Entwicklungspolitik sollte Folgendes sein - ich habe es mir aufgeschrieben -: friedlich,
gerecht, ökologisch, verantwortlich. Ich frage Sie, ob
nicht ein Eisenbahnbau in Saigon wunderbar dazu passt.
Damit tun Sie doch etwas für die Menschen. Sie wehren
sich mit Händen und Füßen dagegen, sodass wir vom
Haushaltsausschuss vielleicht den Wirtschaftsminister
bitten müssen, dieses Projekt zu übernehmen. Warum
wehren Sie sich gegen solche Projekte? Weil Sie einfach
nicht wollen und das einfach nicht in Ihren Kopf passt,
obwohl das die Aufgabe Ihres Hause wäre.
({2})
- Herr Kollege Raabe, ich will Ihnen einmal etwas sagen: Nicht ohne Grund lässt man Sie heute nicht reden.
Ich begrüße ausdrücklich, dass ein Teil der Mittel, die
Sie zusätzlich bekommen haben, nicht in Ihrem Hause
bleibt, sondern in das Außenministerium wandern wird.
Dort erfolgt eine bessere Planung. Das stellen wir immer
wieder fest. Auch dieses ist sozialdemokratisch regiert.
Insofern brauchen Sie sich nicht aufzuregen. Dort wird
eindeutig eine bessere Politik mit diesen Mitteln betrieben. Die Verzahnung zwischen dem Auswärtigen Amt
und Ihrem Haus funktioniert nicht. Da kracht es an allen
Ecken. Ständig wird von Ihnen Sand ins Getriebe gestreut. Sorgen Sie dafür, dass Sie mit Ihrem Außenminister, der dasselbe Parteibuch wie Sie hat, besser zusammenarbeiten! Ich glaube, das täte der Entwicklungshilfe
gut.
({3})
Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan hat im
letzten Jahr gesagt: Ob es Afrika gelingt, dem Ziel der
Halbierung der extremen Armut näher zu kommen, wird
in hohem Maße von der Führungsrolle Deutschlands im
Jahr 2007 abhängig sein. - Ich glaube wirklich, dass
man von hier aus der Bundeskanzlerin, dem Finanzminister und der Entwicklungsministerin dafür Dank sagen kann, dass sie gemeinsam mit dem Parlament und
insbesondere den Fachausschüssen engagiert das Treffen
in Heiligendamm vorbereitet und dieses umgesetzt haben, wobei die Umsetzung nicht nur mit der EU und den
G-8-Partnern erfolgt ist, sondern auch mit Schwellenländern wie Brasilien, Indien, China, Mexiko und Südafrika
Hartwig Fischer ({0})
und im Dialog mit den Afrikanern. So etwas hat es vorher noch nicht gegeben. Es ist ein deutliches Signal der
Einbeziehung gewesen, ein Signal dafür, dass die Entwicklung im globalen Bereich eine gemeinsame Aufgabe ist.
({1})
Frau Wieczorek-Zeul hat direkt nach dem Gipfel noch
einmal eine Bewertung vorgenommen. Ich will nur einige wenige Punkte vortragen.
Grundbildung wird eines der zentralen Themen in den
nächsten Wochen sein, auch bei der Auffüllung des
Fonds; denn 500 Millionen Dollar haben gefehlt. Die
G 8 hat sich darauf verständigt, die Mittel für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose auf
44 Milliarden Euro aufzustocken. Das heißt, dass wir,
Deutschland, dafür in den kommenden acht Jahren zusätzlich 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Für die
Armutsbekämpfung werden wir in den nächsten vier
Jahren, also bis 2011, 750 Millionen Euro zur Verfügung
stellen.
Wer im Herbst letzten Jahres hier im Parlament über
solche Summen, solche Zielsetzungen und deren Umsetzung gesprochen hätte, der wäre verlacht worden. Das
hätte keiner dieser Koalition zugetraut. Ich sage ganz offen: Ich ärgere mich darüber, dass jetzt plötzlich Organisationen, zum Beispiel VENRO, das, was stattfindet, kritisieren. Man muss in bestimmten Situationen deutlich
machen, was erreichbar ist. Was hier erreicht worden ist,
ist mehr, als viele - damit meine ich auch Organisationen wie diese - vor einem Jahr erwartet haben.
({2})
Zusätzlich sind aber auch neue Schwerpunkte und
Kriterien für die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern beschlossen worden. So werden gute Regierungsführung und der Ausbau der institutionellen Kapazitäten
in den verschiedenen Ländern weiter gestärkt. Es gibt
aber auch eine Förderung von Investitionen in ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas
zum kommenden Lissabon-Gipfel sagen. Ich möchte auf
die Frage der Teilnahme Mugabes eingehen. Die Teilnahme Mugabes wird für den Ablauf dieses Gipfels entscheidend sein. Ich möchte hier auf das verweisen, was
einige von uns vor kurzem in Afrika bei Gesprächen mit
Parlamentariern, aber auch bei Gesprächen mit Parlamentarierdelegationen, die hierher gekommen sind, erlebt haben. Diese afrikanischen Parlamentarier haben
gesagt: Schert euch nicht drum; wenn er kommt, dann
kommt er und dann konfrontiert ihr ihn - auch vor den
anderen afrikanischen Regierungschefs - mit dem, was
er in seinem Land angerichtet hat; dann erfährt die Weltöffentlichkeit mehr über das, was dort in Afrika passiert;
sonst wird die Situation in Afrika immer verschwiegen.
Ich hoffe, dass der britische Premierminister Brown
seine Teilnahme nicht vom Kommen Mugabes abhängig
macht. Ich glaube, wir können es aushalten, uns mit diesem Mann auseinanderzusetzen.
({3})
Afrika weiter voranzubringen, wird uns nur gelingen,
wenn Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen
Kontinent mitgestaltet werden. Zu viele Krisen mit Tausenden von Toten und Vertriebenen erschüttern derzeit
noch den afrikanischen Kontinent. Ich erinnere an dieser
Stelle nur an Somalia und an Darfur.
Frau Ministerin, ich unterstütze Sie ausdrücklich in
der Frage Nord-Kivu. Die Weltgemeinschaft hat erhebliche Mittel investiert - Stichwort „MONUC“ -, jedes
Jahr über 1 Milliarde Euro. Wir waren daran mit einem
jährlichen Beitrag von etwa 90 Millionen Euro beteiligt.
Wir haben im Kongo unglaubliche Entwicklungsleistungen erbracht. Wir haben den Aufbau mitgestaltet, und
wir haben die Verfassungsreform unterstützt. Die Bundeswehr hat geholfen, die Wahlen abzusichern.
Zwischen Ihnen und mir gibt es nur eine Differenz.
Wir sollten wirklich immer „Nord-Kivu“ sagen; denn es
handelt sich nicht mehr um den gesamten Ostkongo.
Ituri entwickelt sich wirtschaftlich positiv. In Ituri gibt es
keine Flüchtlingslager mehr. Durch Aufbauhilfe ist dort
eine Menge geleistet worden: Dörfer sind wieder aufgebaut worden, die Kinder dort werden beschult, und es
gibt dort keine Kindersoldaten mehr. Mit der Ausgabe
von 100 Euro für ein Construction-Kit kann eine ganze
Familie ihr Haus wieder aufbauen und sich mit 25 Kilo
Saatgut versorgen, und das in mehreren Vegetationsperioden. Das ist der richtige entwicklungspolitische Ansatz. Er wird von Deutschland entscheidend mitgestaltet.
Für den Kivu ist jetzt die Regierung im Kongo verantwortlich. Die MONUC ist mitverantwortlich. Dort muss
durchgegriffen werden. Sie haben recht: Wenn man
Lauren Nkunda und andere zu fassen bekommt, dann
müssen sie natürlich vor den Internationalen Gerichtshof
gebracht werden. Jetzt geht es aber auch darum, dass Kabila sich gemeinsam mit MONUC auf die Entwaffnung
dort konzentriert. Man kann in dieser Region auch stärkere Truppen zusammenziehen.
({4})
Wir sehen im Augenblick einen kleinen Hoffnungsschimmer für Darfur. Diesen Punkt müssen wir nach
meiner Überzeugung in den nächsten Wochen auch in
den Haushaltsberatungen diskutieren.
Ich habe nach den Diskussionen den Eindruck, dass
Deutschland sich nicht an einem Kampfeinsatz beteiligen wird. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass
Deutschland sich in verschiedenen anderen Bereichen
im Rahmen eines solchen Mandats und beim zivilen
Wiederaufbau sehr stark engagieren wird.
({5})
Das bedeutet, dass wir Mittel zur Verfügung stellen müssen.
Hartwig Fischer ({6})
Die Kosten des Einsatzes der UN-Truppen dort werden derzeit auf 2,7 Milliarden Euro geschätzt. Ich meine,
wir alle in diesem Parlament stehen gemeinsam in der
Verantwortung dafür, dass diese Mittel nicht an irgendeiner Stelle aus dem normalen Entwicklungshaushalt und
aus den anderen Haushalten genommen werden. Wir
müssen beraten, wie wir zur Absicherung entsprechende
Summen zur Verfügung stellen, und zwar nicht erst in einem Nachtrag. Denn die Truppenstellerkonferenz und
andere Konsultationen werden im Herbst stattfinden. Es
ist schon viel zu lange so, dass dem Leiden dort kein
Ende bereitet wird.
({7})
Im Einzelplan 23 des Haushaltsentwurfs 2008 - zu
den Zahlen wird Jochen Borchert nach den Beratungen
in der zweiten und dritten Lesung entsprechend Stellung
nehmen - ist die Fortsetzung einer stetigen Aufstockung
durch die Koalition gelungen. Diejenigen, die sich damit
befasst haben, wissen, dass in den sieben Jahren, in denen wir nicht in der Regierung waren, das Volumen des
Einzelplans gesunken ist. In diesem Jahr steigt es noch
einmal um 14,6 Prozent. Damit schaffen wir die Grundlagen, um die Ziele der Millenniumserklärung sowie die
Development-Goals zu einem großen Teil zu erreichen.
Dass wir das nicht bis zum letzten Punkt schaffen
werden, der Überzeugung bin ich auch. Deshalb glaube
ich, dass in einer der nächsten Legislaturperioden über
alternative Finanzierungsinstrumente nachzudenken sein
wird, die man nach meiner Überzeugung den Bürgerinnen und Bürgern dann aber vor den Wahlen nennen
muss, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, was auf
sie zukommt.
Bei der Umsetzung der G-8-Beschlüsse in Bezug auf
Klimaschutz und Gesundheit kommt der Förderung regionaler Kooperationsansätze zwischen Entwicklungsländern sowie der Unterstützung von Regionalorganisationen in den verschiedenen Kontinenten, insbesondere
in Afrika, besondere Bedeutung zu. Auf Afrika entfällt
mit einem Fördervolumen von 774 Millionen Euro
40 Prozent des Gesamtvolumens. In der thematischen
Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit kommt vor allen Dingen den Bereichen Grundbildung, Gesundheit, erneuerbare Energien und Energieeffizienz, Tropenwald, Wasser und Mikrofinanzen eine
besondere Bedeutung zu.
Frau Ministerin, ich bin der Auffassung, dass es richtig ist, im Bereich Grundbildung Schwerpunkte zu setzen. Aber ich sage auch: Wir müssen in den nächsten
Wochen über einen ganz besonderen Punkt diskutieren.
Ich habe bei meinen Besuchen in den letzten zwei, drei
Jahren festgestellt, dass es durch den Kalten Krieg eine
Auseinandersetzung zwischen West und Ost über die
Fragen gab: „Wer bildet in welchem Land Studenten
aus?“, „Wer holt Studenten in die Bundesrepublik
Deutschland oder in die DDR und unterstützt Ausbildung?“, und wir heute in diesen Ländern auf die Eliten
treffen, die in der Bundesrepublik Deutschland ausgebildet worden sind,
({8})
die eine besondere Affinität zu Deutschland haben und
die mit uns zusammenarbeiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine Aufgabe von Entwicklungspolitik
ist, unter Umständen auch mit einem runden Tisch gemeinsam mit den Wissenschaftsministern der Länder
Regelungen zu finden, die dazu führen, dass wir wieder
mehr Studenten aus Entwicklungsländern hier Bildungschancen geben, die dann in ihren Ländern die Elite
bilden.
({9})
Ich glaube, dass DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stiftung und andere hierbei eine hervorragende Arbeit leisten.
({10})
Deshalb glaube ich, dass wir da einen Konsens finden
können.
Ich will wegen der beschränkten Redezeit nur noch
auf einen Punkt eingehen, weil er von einigen Kollegen
kritisch angesprochen wurde: die erneuerbaren Energien. Was in diesem Bereich von unseren Durchführungsorganisationen inzwischen geleistet wird, ist unglaublich. Das bedeutet natürlich, dass wir damit auch
einen Beitrag zur Erreichung der gemeinsamen Klimaziele leisten.
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass am 7. Juni
2007 die größte netzgekoppelte Solaranlage Afrikas in
Ruanda eingeweiht worden ist und die Stadtwerke
Mainz vom Partnerland 1 Million Euro zur Verfügung
gestellt haben. Mithilfe der GTZ bilden die ruandischen
Stadtwerke nun ruandische Solartechniker aus. Das ist
ein hervorragender Ansatz, um Entwicklungspolitik
dann auch in wirtschaftliche Entwicklung in dem jeweiligen Land umzusetzen. Deshalb kann ich nur sagen:
Prima Programm!
Lassen Sie mich am Schluss noch kurz das Thema
Budgethilfe ansprechen. Ich bin der Überzeugung, dass
es richtig ist, Budgethilfe auf den Prüfstand zu stellen.
Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf man
nicht so undifferenziert tun.
({11})
Wir müssen uns die Zeit nehmen, uns jedes einzelne
Land vorzunehmen, für das es Budgethilfe gibt, und jedes einzelne Land zu überprüfen.
({12})
Ich bin der Überzeugung, dass es bestimmte Grundprinzipien geben muss, und diese Grundprinzipien heißen: Erstens. Es muss eine deutliche Entwicklung zu guter Regierungsführung vorhanden sein. Zweitens. Das
Parlament in dem Land muss beteiligt werden. Man darf
dadurch nicht eine Richtung stabilisieren.
({13})
Hartwig Fischer ({14})
Das können wir sicherlich gemeinsam schaffen.
({15})
Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Ministerin sich
einem solchen Thema entzogen hat. Ich habe mit der
Staatssekretärin, Frau Kortmann, dazu hervorragende
Gespräche geführt. Ich habe nicht erlebt, dass die Ministerin anderer Auffassung war. Ich glaube, diesen Dialog
sollten wir führen.
Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich und hoffe,
dass wir in Zukunft die Themen im Ausschuss ernsthaft
diskutieren, nicht aber in diesen Debatten Kritiken zu
einzelnen Punkten vortragen, weil wir damit die Vorurteile gegenüber Entwicklungspolitik nur verstärken.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Fast am Schluss werde auch ich jetzt noch einiges zur
Entwicklungszusammenarbeit ergänzen. - Selbstverständlich begrüßt die Linksfraktion, dass es mehr Geld
für Entwicklungszusammenarbeit gibt. Wir können aber
auch die Kritik nachvollziehen, Herr Fischer, die einige
Organisationen geübt haben, weil im Vorfeld des G-8Gipfels höhere Erwartungen geweckt wurden. Beispielsweise war das Aktionsbündnis „Deine Stimme gegen
Armut“ sehr enttäuscht; sie haben nach dem G-8-Gipfel
eine große Anzeige in mehreren Zeitungen geschaltet,
aus der ich zwei, drei Sätze zitiere:
Liebe Angela Merkel, für Sie war der G-8-Gipfel
von Heiligendamm ein Erfolg. Für Menschen in
Armut war er ein Trauerspiel. Zur öffentlichen Entwicklungshilfe haben Sie nur Versprechungen von
Gleneagles wiederholt, aber keinen verbindlichen
Umsetzungsplan verabschiedet.
Ich halte diese Kritik für absolut legitim.
Der zweite Aspekt der Entwicklungshilfe sind neben
ihrer Höhe die Rahmenbedingungen, die für sie gesetzt
werden, um nachhaltig Entwicklung zu fördern. Wir setzen uns ganz klar für andere Weichenstellungen innerhalb der Welthandelsordnung ein. In unseren Augen
reicht es nicht aus, mehr Geld in den Global Funds zu
investieren, wenn sich Angela Merkel parallel dazu auf
dem G-8-Gipfel für den Patentschutz stark macht, der
mit dazu führt, dass der Zugang zu billigen Medikamenten für Menschen in Entwicklungsländern erschwert
wird.
Es reicht auch nicht aus, mehr Geld in den europäischen Entwicklungsfonds zu investieren, wenn gleichzeitig die Europäische Union ein Freihandelsabkommen
mit 78 Ländern der AKP-Staaten abschließen will,
({0})
das natürlich schwerwiegende Folgen haben und vielen
Menschen die Existenzgrundlage rauben wird, unter anderem den von Ihnen, Herr Addicks, angesprochenen
Kleinunternehmern, zum Beispiel Kleinbauern, Landarbeiterinnen und Fischern. Sie werden von den Folgen
solcher Abkommen betroffen sein, weil sie mit den subventionierten Produkten der EU nicht konkurrieren können.
({1})
Kollegin Hänsel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt nicht. Ich will den Aspekt der EPAs noch
abschließen; das ist nämlich entscheidend.
({0})
Wir sind der Auffassung, dass der Entwicklungsfonds
in diesem Zusammenhang als Marktöffnungsinstrument
missbraucht wird. Dementsprechend wehren sich zunehmend mehr Menschen in afrikanischen Ländern gerade
gegen diese Abkommen. Es wird am 27. September einen weltweiten Aktionstag dagegen geben, an dem die
Menschen weltweit auf die Straße gehen werden. Wir
werden uns an ihm übrigens beteiligen.
({1})
Frau Merkel hat heute Morgen im Zusammenhang
mit einem anderen wichtigen Thema, das mit Entwicklung zusammenhängt, die Aussage getroffen: Entwicklung braucht Sicherheit, Sicherheit braucht Entwicklung.
Ich frage Sie: Welche Sicherheit meint sie eigentlich?
Meint sie soziale Sicherheit für die Bevölkerung, oder
meint sie militärische Sicherheit in Kriegsregionen, wie
zum Beispiel in Afghanistan? Dort erleben wir nämlich,
dass Entwicklungszusammenarbeit zunehmend auch
strategisch eingesetzt wird, um eine Akzeptanz von Besatzung, um Sicherheit für Soldaten zu organisieren. Das
sehen wir als Missbrauch von Entwicklungshilfe an. Das
ist eine gefährliche Entwicklung, die wir strikt ablehnen.
({2})
Für uns ist ganz klar, dass Entwicklungspolitik Teil
einer Friedenspolitik sein muss, nicht aber Teil einer Sicherheitspolitik und vor allem nicht Teil von Kriegspolitik.
In diesem Zusammenhang möchte ich an Sie, Frau
Wieczorek-Zeul, eine Frage richten, weil ausgerechnet
Sie als Entwicklungsministerin sich für dieses OEFMandat stark gemacht haben mit der Begründung, wir
könnten nur so unseren Einfluss bei diesem OEF-Mandat weiterhin geltend machen.
({3})
Dieses Mandat ist ja ein reiner Kampfeinsatz, der nichts
mit Entwicklung zu tun hat. Da frage ich mich, wie es
kommt, dass Sie, wo doch diese Politik eindeutig in eine
Sackgasse führt, mit in diese Sackgasse gehen, anstatt einen anderen Weg aufzuzeigen. Das kann ich überhaupt
nicht nachvollziehen. Seit sechs Jahren ist die Bundeswehr an diesem OEF-Mandat beteiligt. Wir sehen doch,
wie viele Zivilisten im Rahmen dieses Kampfeinsatzes
bereits getötet wurden.
({4})
- Hat der Kampfeinsatz für Schulbesuche gesorgt? Während des Kampfeinsatzes wurden Zivilisten getötet, und
die daran beteiligten KSK-Soldaten stehen unter anderem im Verdacht, Murat Kurnaz misshandelt zu haben.
Diese Palette könnte ich erweitern. Insofern handelt es
sich um eine absolute Sackgasse, in die wir da gehen.
Ich kann es nicht nachvollziehen, dass sich die Entwicklungsministerin dafür einsetzt.
({5})
Herr Steinmeier hat von einem politisch-moralischen
Projekt bezüglich Afghanistans gesprochen. Dagegen
möchte ich zum Abschluss eine authentische Stimme aus
Afghanistan setzen. Es handelt sich um eine engagierte
Frauenrechtlerin und Parlamentarierin, Malalai Joya, die
wir übrigens für nächste Woche eingeladen haben. Sie
sagt unter anderem - ich zitiere -:
Mittlerweile hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass
der Westen nur für seine eigenen strategischen und
politischen Interessen in Afghanistan eintritt und
das Leid der Menschen die internationale Gemeinschaft nicht wirklich tangiert.
Ich finde, zu dieser Einschätzung muss die Bundesregierung Position beziehen. Vor allem aber muss sie sich
dem Protest der Mehrheit der Bevölkerung in diesem
Lande stellen. Viele davon werden jetzt am Samstag
nämlich auf die Straße gehen und dagegen demonstrieren.
Danke.
({6})
Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Debatte über einen Haushalt, der eine erfreuliche
Entwicklung nimmt, hat auf eine Schwierigkeit aufmerksam gemacht. Herr Fischer, Sie haben gerade für
die CDU die Fragen zu neuen Finanzierungsmechanismen bis 2009 en passant abgehandelt. Wenn man sich
einmal klarmacht, was das bedeutet, dann fragt man sich
schon, wie die Bundesregierung eigentlich das hier proklamierte Millenniumsziel erreichen will.
({0})
Der Aufwuchs der Barmittel allein reicht natürlich nicht
aus. Aus den derzeit üblichen Verschiebungen von Monat zu Monat sollen jetzt, so hören wir, Verschiebungen
über Jahre werden. Das, was Sie hier in einer Randnote
verkündet haben, ist eine schlechte Nachricht für die
Entwicklungszusammenarbeit.
({1})
Frau Ministerin, am Beginn Ihrer Rede haben Sie von
neuen Herausforderungen und am Schluss von neuen
Zuständigkeiten für die Entwicklungszusammenarbeit
gesprochen. Wir sehen dabei die Schwierigkeit, dass Sie
versuchen, neuen Herausforderungen mit alten Strukturen und auf der Basis bestehender Abläufe gerecht zu
werden. Es stellt sich also die Frage, wie Ihr Haus mit
den Aufwüchsen, die in diesem Haushalt vorgesehen
sind - wir begrüßen diese und unterstützen Sie dabei,
wenn Sie Ihr Herzblut da hingeben -, umgeht. Wenn wir
einmal hinter die entwicklungsbewegten Reden schauen,
dann stellen wir fest - das haben wir alle erlebt -, dass in
diesem Bereich schon seit Jahren eine mangelnde Koordination zwischen den verschiedenen Bundesministerien
zu beklagen ist. Es spricht Bände, dass sich während dieser Debatte die Vertreter des Auswärtigen Amtes diplomatisch verdrückt haben, die Vertreter des Verteidigungsministeriums schon lange den Rückzug eingeläutet
haben und nur ein Vertreter des Finanzministeriums da
ist und aufpasst, dass nicht zu viel Geld ausgegeben
wird. Sonst sind nur Vertreter Ihres Ministeriums noch
auf der Regierungsbank zu sehen. Auch das weist auf
das von mir angesprochene Problem hin.
Nachdem Afghanistan hier schon eine wichtige
Rolle gespielt hat, sollten wir einmal darüber reden, ob
wir mit den Strukturen, mit denen wir bisher arbeiten,
bei den wirklich dringenden Fällen nicht manchmal zu
träge reagieren.
({2})
Auch ich weiß, dass Entwicklungszusammenarbeit an
manchen Orten seine Zeit braucht. Ich verstehe, dass Regierungsverhandlungen bestimmten Prozessen unterworfen sind, und ich verstehe die Frage von Afghan Ownership und anderem. Aber ich frage mich, warum andere
Partner es hinbekommen, aus diesem schon fast ritualisierten Prozess der Regierungsverhandlungen bei eiligen
Projekten auch einmal auszubrechen, während wir als
Einzige starr am Terminkalender bleiben. Wie gesagt,
ich kann das in der Sache nachvollziehen; aber wenn ich
mir anschaue, wie Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer, Polizistinnen und Polizisten sowie Angehörige der Bundeswehr in Afghanistan im Sinne der
zivilen Entwicklung, die wir als das Wichtigste ansehen,
ihren Kopf hinhalten, dann frage ich mich schon, ob
nicht doch manches schneller ginge und ob wir nicht den
einen oder anderen Ablauf optimieren könnten, um der
Dringlichkeit gerecht zu werden.
({3})
Das Gleiche erleben wir bei dem vorhin vom Kollegen Trittin angesprochenen Einsatz der Abteilung „International Services“ der GTZ auf Anfrage der Holländer.
Ich finde Ihre Position natürlich plausibel, dass Sie erst
die Garantie der Holländer wollen, um sicher operieren
zu können. Aber nichtsdestotrotz ist dann wieder ein halbes Jahr ins Land gegangen, bevor in der Kombination
von holländischem Geld und deutschem Know-how mit
der Hilfe auch nur begonnen wurde. Ich finde, wir müssen genau überlegen, ob wir nicht an bestimmten Stellen
die Handbremse lösen sollten. Es macht mir große
Sorge, dass unser wichtigstes Instrument immer am
längsten Zeit benötigt.
({4})
Ebenfalls macht mir Sorge, dass Sie in der Großen
Koalition in der Frage, wie wir die Entwicklungsinstitutionen verbessern können, den gesamten Prozess an die
Wand gefahren haben. Als wir das letzte Mal hier über
den Haushalt Ihres Hauses diskutiert haben, hatten wir
als Haushaltsausschuss gerade die Notbremse ziehen
müssen, weil Sie ein Projekt auf den Weg gebracht haben, bei dem Sie zentrale vergaberechtliche Fragen nicht
geklärt hatten, bankenrechtliche Fragen sowie Fragen
der Besoldungsstruktur nicht im Griff hatten und noch
nicht einmal realisiert hatten, dass wir als Parlament bei
einer so zentralen Frage wie der Übertragung von Bundesvermögen das letzte Wort haben müssten. Dieses Projekt haben Sie handwerklich ziemlich in den Sand gesetzt. Wir haben dann eigentlich erwartet, dass der
Prozess im Februar mithilfe des Rechnungshofes vorangeht; aber wir warten bis heute auf eine Richtungsentscheidung.
Wir unterstützen Sie mit Herzblut in der Sache. Wir
freuen uns, dass Ihr Bereich in der Regierung wichtiger
genommen wird. Machen Sie da weiter. Aber wir fordern mehr Präzision und Konzentration, wenn es um die
Kärrnerarbeit bei den Verwaltungsaufgaben geht. Ich
glaube, da sind in Ihrem Hause noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Wenn Sie dann noch die Koordination
mit anderen Ministerien hinbekommen und wir nicht
dasselbe Gezerre erleben wie bei den Mitteln für Afghanistan, dann können Sie unserer Zustimmung noch sicherer sein. Aber da ist noch einiges an Arbeit zu bewältigen, bis wir als Opposition zufrieden sind.
Herzlichen Dank.
({5})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. September
2007, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen erfolgreichen Abend.