Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/11/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur ersten Arbeitssitzung des Deutschen Bundestages nach der parlamentarischen Sommerpause. Heute gedenken nicht nur in Amerika viele Menschen der entsetzlichen Anschläge vom 11. September 2001 und der Tausenden von Opfern, die diese Terroranschläge gefordert haben. Unser Gedenken an die Opfer verbindet sich mit der Entschlossenheit, jeder Form von Terrorismus, mit welcher Begründung auch immer, entgegenzutreten und allen möglichen Bedrohungen der Freiheit und des Lebens der Menschen in diesem Lande entgegenzuwirken. ({0}) Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich einige Mitteilungen machen: Während der parlamentarischen Sommerpause haben eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen runde Geburtstage gefeiert. Der Kollege Otto Schily wurde am 20. Juli 75 Jahre alt, und der Kollege Detlef Parr wurde am 8. September 65 Jahre alt. Diesen beiden kann man schon einmal gesondert gratulieren. ({1}) Ihren 60. Geburtstag haben im gleichen Zeitraum die Kolleginnen und Kollegen Klaus Hofbauer, Günter Baumann, Waltraud Lehn, Dr. Marlies Volkmer, Annette Faße und Eduard Oswald begangen. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich nachträglich herzlich und wünsche alles Gute! ({2}) Die Kollegen Dr. Reinhard Göhner, Dr. Peter Paziorek und Dr. Reinhard Loske haben zwischenzeitlich auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger für Herrn Dr. Göhner begrüße ich herzlich den Kollegen Cajus Julius Caesar, ({3}) der den meisten noch in allerbester Erinnerung ist und der dem Parlament sicher nicht nur durch die Durchschlagskraft seines Namens behilflich sein wird. Als Nachfolger von Herrn Dr. Paziorek begrüße ich den Kollegen Dr. Stephan Eisel ({4}) und als Nachfolgerin von Herrn Dr. Loske die Kollegin Bettina Herlitzius. ({5}) Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit! Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes auf Drucksache 16/5845 zu erweitern. Dieser Gesetzentwurf soll ohne Aussprache an die Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der „United Nations Interim Force in Lebanon“ ({6}) auf Grundlage der Resolutionen 1701 ({7}) und 1773 ({8}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006 bzw. 24. August 2007 - Drucksache 16/6278 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({9}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Eine Aussprache dazu ist für heute nicht vorgesehen; aber wir müssen diesen Antrag zur Beratung an die Aus- Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert schüsse überweisen. Interfraktionell wird die Überwei- sung der Vorlage auf Drucksache 16/6278 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich nehme an, dass Sie damit einverstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 2 a und 2 b: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 ({10}) - Drucksache 16/6000 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 - Drucksache 16/6001 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aussprache im Anschluss an die einstündige Einbringung des Haushalts sechseinhalb Stunden, für Mittwoch siebendreiviertel Stunden, für Donnerstag sieben Stunden und für Freitag drei Stunden vorgesehen. Ich nehme an, dass es auch dazu keinen Widerspruch gibt - in weiser Vorahnung, dass es am Ende jeweils vermutlich etwas länger dauern wird. - Dann ist das so beschlossen. Ich erteile nun das Wort zur Einbringung des Haushaltes dem Bundesminister der Finanzen Peer Steinbrück. ({11})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Präsident hat daran erinnert: Heute auf den Tag genau vor sechs Jahren fanden die heimtückischen Terrorakte in New York und Washington statt. Seitdem ist nichts mehr so, wie es war, vor allem in den USA, wo bei diesen Anschlägen Tausende von Menschen umgekommen sind, derer wir nicht nur heute gedenken. Es ist auch nichts mehr so in der übrigen Welt, wohin sich die politischen, die wirtschaftlichen und auch die psychologischen Schockwellen, die für unsere inzwischen hochgradig vernetzte und globalisierte Welt charakteristisch sind, mit sehr großer Geschwindigkeit ausgebreitet haben. Unbestreitbar ruft diese globalisierte Welt bei vielen Menschen Unsicherheit, ja gelegentlich sogar ausgeprägte Angst hervor. Dennoch oder gerade deshalb erscheint es mir unverantwortlich, bei den Menschen den Eindruck zu vermitteln, man könne Globalisierung quasi zurückdrehen, man könne sich gegen Globalisierung und ihre unerwünschten Folgewirkungen - während man gleichzeitig die erwünschten Folgewirkungen gern in Kauf nimmt - abschotten, oder es würde reichen, an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland quasi das Rollo herunterzulassen. Wer so argumentiert, streut den Menschen Sand in die Augen. Deutschlands Wirtschaft, die über 40 Prozent ihrer Wertschöpfung über Ex- und Importe erzielt, ist eng mit der Weltwirtschaft verbunden. Das heißt, 40 Prozent unseres Wohlstandes gewinnen wir durch Globalisierung. Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte einer der großen Gewinner dieser Globalisierung. Wenn wir unsere Verknüpfungen mit der Weltwirtschaft schwächen oder beschädigen, wenn wir sie belasten, verlieren wir Arbeitsplätze, verlieren wir Wohlstand und Wachstum, und wahrscheinlich könnten wir unser soziales Sicherungssystem immer weniger auf dem Niveau finanzieren, wie wir es heute noch können. Stimmen, die zumindest unterschwellig mit dem Motto „Wohlstandssicherung durch Abschottung“ eine politische Rendite zu gewinnen versuchen - teilweise übrigens auch mit nationalistischen Untertönen -, handeln angesichts unserer faktischen Verflechtung in einem zusammenwachsenden Europa und weltweit, wie ich glaube, verantwortungslos. ({0}) Wir wissen, dass Globalisierung anstrengend ist. Unser Zeitalter ist von Beschleunigung, von raschen Veränderungen und zunehmender Komplexität gekennzeichnet. Damit müssen wir umgehen lernen. Dabei dürfen wir die Menschen nicht verschrecken, sondern müssen sie zur Teilnahme und Teilhabe befähigen. Das ist in meinen Augen die erforderliche politische Verantwortungsethik. Aktuelles Beispiel: Seit einigen Wochen haben wir es mit erheblichen Verunsicherungen und einer sehr großen Nervosität an den internationalen Finanzmärkten zu tun. Keine Frage: Was wir dort erleben, ist sehr ernst zu nehmen. Dennoch sollten wir die Lage jenseits jeder Verharmlosung, die nicht angebracht ist, nicht dramatisieren. Wir brauchen jetzt weder Verharmlosung noch Hysterie, sondern wir brauchen verantwortungsbewusstes Handeln und die Reifezeit, um Lerneffekte zu erzielen und Konsequenzen aus dieser Entwicklung zu ziehen. Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass ich sehr zufrieden bin mit der professionellen und sehr raschen Reaktion der Vertreter der Banken aller drei Säulen unseres deutschen Kreditwesens. Ich möchte ihnen an dieser Stelle namentlich danken: Herrn Müller für die privaten Geschäftsbanken, Herrn Haasis für die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute und Herrn Pleister für die Genossenschaftsbanken. Ich möchte dem Bundesbankpräsidenten, Herrn Weber, und dem Präsidenten der BaFin, Herrn Sanio, dafür danken, dass das Zusammenwirken dieser wichtigen Partner der deutschen Finanzwirtschaft in einer sehr zugespitzten, krisenhaften Situation funktioniert hat und dadurch nach Lage der Dinge Schlimmeres verhindert wurde. ({1}) Ich möchte auch den großen Zentralbanken einschließlich der Europäischen Zentralbank danken. Sie haben schnell und effektiv insbesondere auf dem Markt für Unternehmensanleihen eine Liquiditäts- und Kreditklemme und damit Schlimmeres verhindert. Dadurch wurde insbesondere die drohende Gefahr abgewendet, dass sich die Realwirtschaft an der Entwicklung auf den Finanzmärkten ansteckt, was zu Eintrübungen der wirtschaftlichen Entwicklung hätte führen können. Wir sind jetzt dabei, diese Krise sorgfältig aufzuarbeiten und dann - aber erst dann - Konsequenzen für die Bankenaufsicht und bezogen auf andere Problemfelder zu ziehen. Es sollte nichts überstürzt werden. Meine Damen und Herren, ohne dass es zynisch klingt, will ich hinzufügen: Man kann der jüngsten dramatischen Entwicklung auch etwas Gutes abgewinnen und sie als eine Art Normalisierung auf den Finanzmärkten nach einer Phase der absoluten Maßlosigkeit, der Überhitzung und der Übertreibungen bewerten. Die Chance dieser Krise liegt darin, dass sie endlich wieder zu einem angemesseneren Risikobewusstsein der Akteure führt, dass sich Kreditrisiken wieder deutlicher in der Höhe der Risikoprämien niederschlagen und sich das eine oder andere Bankenmanagement vielleicht nicht mehr mit hochkomplexen Produkten am Markt bewegt, von denen es weitaus weniger versteht als größere Kreditinstitute. Der deutsche Finanzmarkt hat genug Reserven, um die derzeitigen Spannungen zu überstehen. Ebenso wichtig ist, dass die realwirtschaftlichen Grunddaten in Deutschland nach Einschätzung vieler Verbandsvertreter, vieler renommierter Ökonomen und auch aus Sicht der wirtschaftswissenschaftlichen Expertise weiterhin positiv und stabil sind, sowohl in Deutschland als auch weltweit. Was die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland angeht, sehe ich wie die Mehrzahl der Experten keinerlei Anzeichen für eine ernsthafte Eintrübung. Um die deutsche Konjunktur steht es nach wie vor gut. Meine Damen und Herren, nicht nur der deutsche Konjunkturmotor läuft rund; auch der Standort Deutschland klettert in den internationalen Rankings nach oben. Was in Deutschland noch vor einigen Jahren in einem verbreiteten Lamento für sehr unwahrscheinlich gehalten wurde, ist heute Realität. Die deutsche Wirtschaft hat in den letzten Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Wir sind nicht mehr diejenigen, die die rote Konjunkturlaterne tragen. Inzwischen ist die Wirtschaft Deutschlands eine von mehreren Lokomotiven der europäischen Konjunktur. Angesichts der fast schon selbstzerstörerischen Selbstbespiegelung, die wir in den letzten Jahren teilweise erlebt haben, überraschen die Fakten inzwischen positiv und tragen endlich auch zu einer Veränderung der mentalen Einstellung der Menschen in unserem Land bei. Es ist vielleicht hinzuzufügen, dass die Lage in der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung unseres Landes in den letzten Jahren nie so schlecht gewesen sind, wie wir es uns selbst eingeredet haben. Die vollständige Botschaft lautet allerdings: Wir sind keineswegs bereits so gut aufgestellt, wie wir es zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen sein müssten. Dies könnte eine ausgewogene, ausbalancierte Beurteilung unserer Lage sein. ({2}) Um im Telegrammstil auf einige Fakten einzugehen, möchte ich darauf hinweisen, dass eine Befragung der renommierten Unternehmungsberatung Ernst & Young bestätigt: Für international tätige Unternehmen ist Deutschland inzwischen wieder der attraktivste Standort in Europa und der drittattraktivste Standort weltweit, und zwar nicht nur wegen der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und nicht nur wegen der Lohnstückkostenentwicklung, sondern auch wegen seiner nach wie vor sehr guten Infrastruktur, der Attraktivität und Größe des deutschen Marktes, unserer Wirtschaftsgeografie, auch vor dem Hintergrund der erweiterten Europäischen Union, der Qualität von Forschung und Entwicklung sowie der hohen Qualifikation und Motivation unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hinzu kommt die gesellschaftliche Stabilität, die es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor gibt. Das ist ein Wert, der sich kaum messen lässt, aber mit zu den positiven Standortfaktoren dieser Republik gehört. ({3}) Über die erfreulich gestiegene Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft habe ich schon gesprochen. Es bleibt zu ergänzen, dass einer der großen Pluspunkte nach wie vor ein sehr starker Mittelstand ist, der sich insbesondere im Vergleich zu europäischen Partnerländern als immer gewichtiger für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland herausstellt. ({4}) Als einziger G-7-Staat konnte Deutschland seinen Welthandelsanteil in den letzten zehn Jahren auf einem hohen Niveau ausbauen. Viermal in Folge Exportweltmeister, das ist schon ein sensationeller Erfolg. Eine weitere Tatsache: Die Arbeitslosigkeit ist innerhalb eines Jahres auf den niedrigsten Stand seit 1999 gesunken. Mit inzwischen 3,7 Millionen Arbeitslosen liegen wir um gut 670 000 unter dem Vorjahreswert und sind damit von der erschreckenden Rekordmarke von 5 Millionen Arbeitslosen im Jahre 2005 weit entfernt. Ich weiß, dass dies nicht reicht; aber der Trend ist wichtig und weist nach unten. Auch wenn es viele immer wieder überrascht, unsere Steuer- und Abgabenquote liegt unter dem Durchschnitt der 25 europäischen Mitgliedstaaten, wenn ich die neuen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien einmal außen vor lasse. Die Belastung über die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland ist im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich und nicht überdurchschnittlich. ({5}) Eine weitere wichtige Botschaft, die in ordnungspolitischen Debatten gelegentlich ignoriert wird, lautet, dass es inzwischen in Deutschland - wahrscheinlich in die11380 sem Jahr schon - weniger Staat gibt als zum Beispiel im Vereinigten Königreich, einem Land im angloamerikanischen Bereich, dem immer unterstellt wird, dass dort der Staat sehr viel weniger imperialistisch und krakenartig etwas von der Wirtschaftsleistung für sich in Anspruch nimmt. Bereits im letzten Jahr lag unsere Staatsquote mit 45,4 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Dies sollte endlich auch diejenigen beeindrucken - sie sollten es wenigstens zur Kenntnis nehmen -, die keine Gelegenheit auslassen, den Staat als fetten Moloch zu diskreditieren. Die Wahrheit ist: Dieser Staat wird schlanker und effizienter. Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass er über diese Entwicklung nicht handlungsunfähig wird, sondern weiterhin ein handlungsfähiger Staat bleibt, der den Menschen die Dienstleistungen zur Verfügung stellt, die sie brauchen, um die Stabilität dieser Gesellschaft zu erreichen, und ihre großen Lebensrisiken absichert. ({6}) Eine weitere Tatsache ist, dass wir das Maastrichter Verschuldungskriterium weit unterschreiten. Während unsere Verschuldung im Jahre 2005 - Sie erinnern sich noch 3,2 Prozent betrug, wird sie in diesem Jahr auf voraussichtlich ein halbes Prozent sinken. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass wir 2008 eine schwarze Null schreiben werden. Schließlich wird mit mehr als 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland mehr Geld für Forschung und Entwicklung investiert als in den meisten anderen europäischen Partnerländern. ({7}) Einige sind uns allerdings immer noch voraus, insbesondere die Skandinavier, deren Prozentanteil zum Teil bei 3,5 bis 4 liegt. Unser Ziel bleibt, die Dreiprozentmarke zu erreichen, die erforderlich ist, um Deutschland global weiterhin wettbewerbsfähig zu halten. ({8}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die wiedergewonnene Stärke der deutschen Volkswirtschaft wird auch dadurch eindrucksvoll bestätigt, wie sie die konjunkturell unzweifelhaft belastende Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung weggesteckt hat. Gut acht Monate nach ihrem Inkrafttreten sind alle Horrorszenarien, die in der Vergangenheit auch an die Wände dieses Hohen Hauses gemalt worden sind - Stichwort: Gift für die Konjunktur - zerplatzt. Ich bin noch einmal in die Reden insbesondere von Oppositionspolitikern der letzten Monate eingestiegen und finde dort folgende Zitate: „Die wirtschaftliche Belebung im Jahr 2007 wird kaputt gemacht“, „Die Neuverschuldung wird in den nächsten Jahren nicht abgebaut“, „Das Konsumklima wird eingetrübt“ oder „Hoffnung auf Wachstum wird sich mit dem rot-schwarzen Haushalt nicht erfüllen“, „Der Haushalt 2007 ist nicht solide“. Letzteres stammt von Herrn Koppelin. ({9}) Herr Solms prognostizierte: „Die Binnenkonjunktur wird 2007 einbrechen.“ Noch einmal Herr Solms: „Die Löcher in den öffentlichen Haushalten werden sich weiter öffnen.“ ({10}) Was ist aus diesen Einschätzungen geworden? Wenn Sie sich in Ihren vergangenen Haushaltsreden so geirrt haben, warum sollten wir Ihren im Rahmen dieser Haushaltsdebatte bevorstehenden Beiträgen Glauben schenken? ({11}) Nichts von dem, was Sie prophezeit haben, ist eingetreten: weder das mit Blick auf die Haushaltslücken noch das bezogen auf die Konjunktur, noch das bezogen auf die anderen Faktoren, die Sie angesprochen haben. Die finanzpolitische Strategie der Großen Koalition hat funktioniert. Es war richtig, 2006 alles zu unterlassen, was den konjunkturellen Himmel erkennbar in trübere Farben hätte bringen können, und erst 2007 mit einer nachhaltigen Konsolidierung zu beginnen. Ich bleibe dabei: Die Anhebung der Mehrwertsteuer war und ist der am wenigsten schädliche einnahmeseitige Beitrag zur strukturellen Konsolidierung der Staatsfinanzen, und den Zeitpunkt für diese Erhöhung hat die Große Koalition richtig gewählt. ({12}) - Ach! - Das, was meistens auch von Ihnen verdrängt wird, ist, dass es mit dem weitergereichten Mehrwertsteuerpunkt möglich gewesen ist, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 auf 4,2 Prozent deutlich zu senken. Wir werden diesen Weg weitergehen. Das hat allein im laufenden Jahr zu einer Entlastung von 17 Milliarden Euro, paritätisch für Arbeitgeber und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, geführt. Dadurch sind die Bruttoarbeitskosten in Deutschland tendenziell gesunken, und die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dabei um immerhin 8,5 Milliarden Euro gestiegen. ({13}) Dies ist in meinen Augen nicht die einzige dringend notwendige Maßnahme gewesen. Und ich bin mir ziemlich sicher: Wenn die FDP im November 2005 die Chance gehabt hätte, Partner in einer Koalition zu werden, ({14}) dann hätten Sie mit Blick auf die Mehrwertsteuer genau dieselbe Entscheidung getroffen wie die Große Koalition. ({15}) Diese Maßnahme ist nicht die einzige Maßnahme, um eine solidere Haushaltspolitik zu implementieren. Die Absenkung der Neuverschuldung erfolgt in dieser Legislatur zu 60 Prozent durch Ausgabenkürzungen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, auch mit Blick auf eine höhere Effizienz der Arbeitsmarktpolitik, auch in einzelnen Bereichen wie vornehmlich der Landwirtschaft, sowie durch die Streichung von Steuersubventionen. 40 Prozent des Konsolidierungsvolumens wird über Steuererhöhungen erbracht. Die Kritiker werden es selbstredend weiter verdrängen. Nicht verdrängt werden allerdings verständlicherweise die schmerzhaften Folgen dieser Kürzung von Steuersubventionen. Das führt ja in jüngster Zeit zu gewissen Beiträgen. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Begriff aufgreifen, der in dem lesenswerten Buch Nervöse Zone von Lutz Hachmeister erwähnt wird; ich glaube, unter Bezugnahme auf die Journalistin Tissy Bruns. Dieser Begriff lautet „strukturelle Doppelmoral“. Ich will Folgendes sagen: Während weite Teile der Wirtschaft, wichtige Stimmen der Politik und viele Kommentatoren immer wieder tiefgreifende Reformen, teilweise radikale Reformen anmahnen, werden die Folgen selbst der zaghaftesten Reform auf der politischen Bühne und in medialen Berichten mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik geschildert und problematisiert. ({16}) - Meist von denselben; dies ist eine gewisse Schizophrenie. ({17}) Ich will ein aktuelles Beispiel aufgreifen: Es gab und gibt einen abstrakten Konsens - auch vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung -, dass Steuersubventionen abgebaut werden sollen. ({18}) Die Große Koalition hat dazu im November 2005 ein Tableau vorgelegt, das wir übrigens weitgehend, wenn auch mit vielen Schmerzen, realisiert haben. Dazu gehörte nicht die Kürzung der Pendlerpauschale, sondern die Abschaffung der Pendlerpauschale; denn in Wirklichkeit haben wir sie abgeschafft. ({19}) Wir haben das sogenannte Werktorprinzip eingeführt, was bedeutet, dass der Arbeitstag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn Sie so wollen, nicht mehr beim Verlassen des Wohnortes anfängt, sondern beim Passieren des Werktors. ({20}) - Nein, nein, nein: Ich komme bei der Pendlerpauschale lieber auf Ihren Fraktionskollegen Solms zu sprechen. ({21}) - „Meine Sozis“ sind da völlig konform mit mir. ({22}) - Arbeiten Sie sich lieber an Ihren eigenen Widersprüchen ab! Das heißt, wir haben die Pendlerpauschale abgeschafft und dafür, wie in den Koalitionsverhandlungen abgesprochen, eine Härtefallregelung für Fernpendler eingeführt, übrigens aufgrund des maßgeblichen Einflusses von Unionspolitikern und SPD-Politikern, die Flächenländer repräsentieren. Diese Maßnahme ist damals getroffen worden. Schon der erste verfassungsrechtliche Zweifel - der, wie ich finde, heute zunehmend reflexhaft und inflationär gegen fast alles vorgebracht wird, und zwar meistens unter Verbrämung von Gruppeninteressen - führt unter Umständen dazu, dass sich der Konsens, der damals auch in Ihren Reihen bestand, verflüchtigt und die Lage unübersichtlich wird. Auf diese Art und Weise untergräbt man leistungsfähige Politik. ({23}) Ich füge in diesem Zusammenhang hinzu: Weder Finanzgerichtshöfe noch der Bundesfinanzhof entscheiden darüber, was in Deutschland verfassungskonform ist. Das geschieht allein durch das Bundesverfassungsgericht. ({24}) - Auch der Bundesfinanzminister nicht. Aber das entspricht der geltenden Rechtslage, die auch weiterhin gilt und die im Übrigen parlamentarisch legitimiert ist. ({25}) Unbenommen notwendiger Prüfungen auch im Hinblick darauf, wie wir unbürokratisch mit einem möglichen Einspruchsverhalten umgehen - das werden wir mit den Ländern sicherlich auch zur Zufriedenheit der Steuerbürger lösen -, reden hier einige leichthin davon, dass man für den Bund 1,15 Milliarden Euro aufgeben solle. Auf der einen Seite fordert mich Herr Fricke von der FDP-Fraktion auf, Steuersubventionen weiter abzubauen. ({26}) Ich soll übrigens auch die Sozialleistungen weiter kürzen und die Neuverschuldung noch schneller senken. ({27}) Auf der anderen Seite vertritt Herr Solms nur Positionen, die das derzeitige Transfersystem massiv zementieren. In einer sehr statischen Betrachtung listet er nur die Zumutungen im Einzelnen auf - auch bei der Pendlerpauschale - und, wenn ich es richtig sehe, insinuiert, wir dürften an der Pendlerpauschale keine Änderungen zulasten des Haushaltes vornehmen. Vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit Herrn Fricke darüber, wie ich mich angesichts dieses Abgrunds bewegen soll, in den hoffentlich nicht ich hineinfallen werde, sondern Sie. ({28}) Es entspricht der strukturellen Doppelmoral, dass mich der eine aus der Fraktion auffordert, Steuersubventionen abzubauen, und mir vorwirft, ich sei bei der Absenkung der Nettokreditaufnahme viel zu wenig ehrgeizig, während sich der andere das Empörungspotenzial der Menschen zu eigen macht, die verständlicherweise am liebsten die alte Regelung beibehalten hätten. Er zementiert aber damit genau das System staatlicher Transferzahlungen, gegen das Sie doch sonst immer ordnungspolitisch argumentiert haben, Herr Solms. Was denn nun? Das ist nicht konzise. Eine solche Position kann sich der Finanzminister in seinem Verantwortungsbereich nicht zu eigen machen. Mit den Reformen der Agenda 2010 hat die frühere Bundesregierung unter Gerhard Schröder begonnen, das Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft zu reformieren. ({29}) Ich will an dieser Stelle mit Absicht daran erinnern, dass die Agenda 2010 sehr viel mehr ist als Hartz IV. Sie fördert Investitionen über Steuersenkungen; sie hat dazu beigetragen, die Situation der Kommunen zu stabilisieren; sie hat den Mittelstand gefördert; sie setzt Schwerpunkte bei Forschung und Entwicklung, und sie hat auch einen ersten Impuls bei dem Ausbau der Kinderbetreuung gegeben. Das ist, wie ich finde, auch ein standortpolitisches Thema vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir in Deutschland durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu einer höheren Erwerbstätigenquote der Frauen kommen müssen. Darauf ist diese Republik angesichts der demografischen Entwicklung zwingend angewiesen. ({30}) Die Große Koalition hat auf diesen Reformen aufbauend gleich zu Beginn der Legislaturperiode unter anderem mit einem 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm - das die Länder übrigens mit einem weiteren 12,5-Milliarden-Euro-Programm unterstützt haben, sodass es um einen Impuls von immerhin 37,5 Milliarden Euro geht weitere Impulse gesetzt. Wir haben eine Unternehmensteuerreform verabschiedet. Wir bleiben dabei, dass wir die Vererbung betrieblicher Vermögen durch Nachfolgeregelungen im Mittelstand weiter fördern wollen. Wir haben eine Gesundheitsreform verabschiedet, von der ich den Eindruck habe, dass sich die Kritikpunkte zunehmend verflüchtigen, weil einige merken, dass das Vorhaben doch Hand und Fuß hat. Mit der Debatte um die Föderalismusreform II werden wir auch weitere Beiträge zur Reform des deutschen Föderalismus leisten. Wir fahren jetzt die Ernte dieser teilweise auch schmerzhaften Anstrengungen ein, ich gebe zu: mit einer für Strukturreformen üblichen Zeitverzögerung. Die Große Koalition hat den Anspruch, die Auswirkungen sich wandelnder Rahmenbedingungen nicht einfach nur zu erleiden und zu erdulden, sondern die Herausforderungen der Globalisierung einer zukunftsbelastenden Staatsverschuldung oder einer älter werdenden Gesellschaft anzunehmen. Wir sind kein Opfer sich wandelnder Zeiten; vielmehr wollen wir notwendige Veränderungen gestalten und dabei wirtschaftlich-technische Dynamik mit sozialer Teilhabe und Aufstiegsperspektiven für die Menschen in dieser Republik zusammenbringen. Einen Gestaltungsanspruch erhebt auch die von mir vertretene Haushalts- und Finanzpolitik. Das erstreckt sich nicht nur auf die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für Bereiche, die wichtig für die Zukunft dieses Landes sind. Dabei geht es vielmehr auch um die Fragen, wie wir mit eventuell unerwünschten Einflussnahmen staatlich gespeister großer Anlagefonds umgehen und wie wir feststellen können, ob dabei nationale Interessen in Mitleidenschaft gezogen werden. Oder nehmen Sie als hochaktuelles Beispiel die Möglichkeit von Staaten, verbindliche Regelungen zur Sicherung der internationalen Finanzstabilität zu verankern. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die Liberalisierung und die enorme Dynamik des globalen Finanzsystems prinzipiell zu einer Machtverschiebung führen. Die Möglichkeiten einzelner Staaten werden tendenziell geringer, Regeln zu setzen und zu überwachen, nach denen das globale Finanzsystem funktioniert. Gleichzeitig bekommen private Anlage- und Renditeinteressen mehr Durchsetzungsmacht. Diese Machtverschiebung an sich ist für mich kein Grund dafür, dass Staaten als Interessensachwalter des Gemeinwohls der jeweiligen Gesellschaften die Segel streichen und das Schicksal des globalen Finanzsystems allein der Logik einer weltweit agierenden Finanzindustrie überlassen. Notwendig ist vielmehr, dass die Staatengemeinschaft in den Stand versetzt wird, auf Augenhöhe mit der Finanzindustrie zu sein und internationale Regeln zu vereinbaren. Man kann sie Standardsetzungen, Guidelines oder Verhaltenskodex nennen, wie auch immer. Das geht aber nur in entsprechenden internationalen Gremien wie der Eurogruppe, im Ecofin-Rat oder im Rahmen der G 7 oder des Internationalen Währungsfonds. Es wird nicht durch Kraftmeierei auf den heimatlichen Marktplätzen gehen. ({31}) Die Chancen, hier voranzukommen - es ist diese Bundesregierung gewesen, die während ihres G-7-Vorsitzes und ihrer EU-Ratspräsidentschaft zum ersten Mal diesen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt hat -, stehen besser denn je. Das erhoffe und erwarte ich unter dem Eindruck der jüngsten Turbulenzen und krisenhaften Zuspitzungen. Auch im angloamerikanischen Raum wird zunehmend wahrgenommen, dass die potenziellen systemischen Risiken auf die Finanzmärkte zurückschlagen könnten und dass man im Sinne von Prävention und Prophylaxe Vereinbarungen mit der Finanzindustrie treffen muss. Wir haben in diesem Land einen guten Zwischenstand erreicht. Die guten Zahlen des Jahres 2007 dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Problemdruck im Kessel nach wie vor hoch ist. Die guten Nachrichten vom Arbeitsmarkt oder aus der Wirtschaft dürfen nicht wie Valium wirken, sondern müssen Adrenalin für weitere Anstrengungen sein. Dabei ist es leicht, aber für das breite Verständnis der Bevölkerung für Reformen eine sehr schädliche Haltung, anderen viel abzuverlangen, zum Beispiel den Gürtel enger zu schnallen, wenn man selber ziemlich beleibt ist. Die radikalsten Reformrufer - weg mit der Erbschaftsteuer; runter mit dem Einkommensteuerspitzensatz; weg mit dem Kündigungsschutz; Streichung von Sozialleistungen - sind in meinen Augen die größten Reformblockierer, weil ihnen der Sinn für gesellschaftlichen Ausgleich, der Sinn für gesellschaftliche Balance - man kann auch sagen: der Sinn für soziale Gerechtigkeit - verloren gegangen ist. ({32}) Das gilt umso mehr, als wir wissen, dass der Aufschwung in den letzten zwei Jahren noch immer in erster Linie jenen zugute kommt, die einen qualifizierten Arbeitsplatz haben, und dass er noch nicht ausreichend jenen zugute kommt, die seit über einem Jahr erwerbslos sind oder deren Niedriglöhne nicht ausreichen, ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützung zu bestreiten. Das Bundeskabinett hat bei seiner Klausur in Meseberg das Programm für die kommenden zwei Jahre unter das Motto „Aufschwung für alle“ gestellt. Das bedeutet für mich zuallererst deutlich weniger Arbeitslosigkeit und Chancengerechtigkeit vor allem für Kinder und Jugendliche bei der Bildung. ({33}) Dafür ist eine gestaltende Finanzpolitik nach meinem Verständnis bereit, Geld zur Verfügung zu stellen. Einen wichtigen Schritt haben wir bereits geschafft. Ein Aufschwung für viele - nicht für alle - ist in greifbarer Realität, zum Beispiel für die 800 000 Menschen, die seit Beginn dieser Legislaturperiode einen Arbeitsplatz gefunden haben, für die Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich heute erkennbar weniger Sorgen um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machen müssen, für alle, die mehr Lohn in der Lohntüte haben, weil es zum ersten Mal seit langem reale Lohnsteigerungen gibt, sowie für alle Kinder und junge Menschen, die von den Verbesserungen im Betreuungs- und Bildungsbereich profitieren. Das reicht von dem 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Tagesbetreuung in Grundschulen über die Förderung von Betreuungsplätzen der unter Dreijährigen bis hin zur Einrichtung zusätzlicher Studienplätze im Rahmen des Hochschulpaktes. Es gilt nicht zuletzt für die vielen Menschen in unserem Land, die durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit Gemeinsinn über Eigennutz stellen. ({34}) Deshalb haben wir mit unserem Programm „Hilfen für Helfer“ zumindest ein Zeichen der Anerkennung gesetzt, auch materiell unterlegt. Aufschwung für alle bedeutet auch, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass sich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als bisher in Deutschland an ihren Unternehmen beteiligen können. Beide Koalitionsfraktionen arbeiten an diesem Thema. Die für mich entscheidende Frage lautet: Gelingt es uns über die erreichten Zwischenerfolge hinaus dauerhaft, mehr Menschen an den positiven wirtschaftlichen Entwicklungen teilhaben zu lassen? Das ist nichts weniger als die Frage nach der Verbindung von Förderung der Wirtschaftsdynamik auf der einen Seite und der Förderung einer gerechten Gesellschaft auf der anderen Seite. Beides zusammenzubringen, ist die entscheidende politische Herausforderung. ({35}) Steuersenkungen auf Pump gehört nicht zu meiner Definition einer gerechten Gesellschaft. ({36}) Erstens ist die Staatsverschuldung generell die größte Umverteilung von unten nach oben, und zweitens sind Steuersenkungen auf Pump nicht generationengerecht. ({37}) Was wir jetzt brauchen, sind nicht Steuersenkungen auf Pump, sondern solide Haushaltspolitik verbunden mit mehr Zukunftsinvestitionen vor allem in Bildung, Forschung, Infrastruktur, Energieeffizienz und Klimaschutz. Unsere Verpflichtung gegenüber den ärmsten Ländern dieser Welt und gegenüber der Bundeswehr im Rahmen ihrer internationalen Mandate will ich bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen. Ich kann den Spannungsbogen nicht auflösen - ich habe den Eindruck, niemand kann ihn auflösen -, nämlich auf der einen Seite möglichst rasch keine neuen Schulden zu machen und parallel dazu in die wichtigsten Zukunftsfelder dieser Republik mehr zu investieren. Die in meinen Augen richtige, ausgewogene Balance macht den Erfolg aus. Diese verlieren wir, wenn wir die Steuern weiter senken, bevor wir keine neuen Schulden machen. Deshalb wird die Bundesregierung ihre bisherige erfolgreiche wirtschafts- und finanzpolitische Strategie - Sanieren, Investieren, Reformieren - fortsetzen. Dass dieser Kurs nicht zur Disposition steht, wurde auch bei der Kabinettsklausur in Meseberg durch zwei wichtige und klare Bestätigungen unterstrichen. Erstens erhält die Haushaltskonsolidierung eine überragende Bedeutung, und zweitens bilden der Haushaltsplan 2008 und die mittelfristige Finanzplanung bis 2011 den unverrückbaren Mindestrahmen für alle kostenwirksamen Vorschläge. In diesem Rahmen mag es aus Respekt gegenüber dem Souverän zu Veränderungen kommen. Finanzielle Spielräume für neue Maßnahmen ergeben sich nur dann, wenn es gegenüber den bisherigen Schätzungen zusätzliche Steuermehreinnahmen geben sollte. Von denen sollten wir allerdings, wie bisher erfolgreich in der Großen Koalition getan, den überwiegenden Teil zur beschleunigten Rückführung der Nettokreditauf11384 nahme verwenden, dann aber auch einen anderen Teil, dem Gestaltungsanspruch der Koalition folgend, zur Verfügung stellen. Das ist uns gemeinsam bisher recht gut gelungen. Darauf haben wir uns gemeinsam verständigt. Deswegen war ich auch wenig von manchen Stimmen in der Sommerpause begeistert. Einzelne fordern von mir noch mehr Tempo bei der Rückführung der Nettoneuverschuldung, während andere zur selben Zeit für Steuersenkungen oder für eine Aufstockung der Regelsätze beim ALG II - da gibt es eine völlig ungeklärte Aufstockungsproblematik - plädieren oder auch die Abschaffung des Soli fordern. Nur, um Ihnen einmal die Proportionen zu verdeutlichen: Der Soli steht ausschließlich dem Bundeshaushalt zu. Er dürfte nächstes Jahr 11 bis 12 Milliarden Euro betragen. Jemand, der für die Abschaffung des Soli plädiert, aus welcher momentanen Regung heraus auch immer, stellt so eben einmal 12 Milliarden Euro Einnahmen für den Bundeshaushalt infrage. ({38}) Derjenige, der den Soli um 1 oder 2 Prozentpunkte senken möchte, stellt 2 oder 4 Milliarden Euro zur Disposition. Wie soll ich bei solchen Vorschlägen mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung Kurs halten? ({39}) Eine solche Einstellung ist nicht gut. Auch folgende Arbeitsteilung in der Koalition ist nicht möglich: Die einen fordern fröhlich Unvereinbares, aber Populäres. Die andere Seite muss sich auf der mühsamen Ebene der Erklärungsarbeit bewegen und den Menschen sagen: Das geht nicht. ({40}) Das politische Muster darf nicht dem amerikanischer Gangsterfilme - „good cop and bad cop“ - entsprechen. Im Zweifelsfall soll dann nämlich der Bundesfinanzminister der „bad cop“ sein, und alle fragen mich, weshalb ich so unfreundlich aussehe. ({41}) Der Haushaltsentwurf 2008 und der Finanzplan bis 2011 sind Ausdruck unserer finanzpolitischen Strategie, den Haushalt einerseits zu sanieren und andererseits Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben. Damit leistet die Bundesregierung bis zum Jahre 2010 ihren Beitrag, zum Beispiel das Drei-Prozent-Ziel bei der Forschung und Entwicklung zu erreichen. Hierzu stellen wir pro Jahr zusätzlich 220 Millionen Euro zur Verfügung. Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir das Elterngeld eingeführt. Das Elterngeld ist übrigens deutlich höher als das Erziehungsgeld. Für das bisherige Erziehungsgeld waren, glaube ich, 2,6 Milliarden Euro veranschlagt, für das Elterngeld 4 Milliarden Euro. Die Menschen bekommen auf diese Weise also mehr Geld, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern. Aber wir wollen mehr. Unser Ziel ist, dass bis zum Jahre 2013 Betreuungsmöglichkeiten für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren bereitstehen. Damit bekommen gerade die Kinder aus sozial schwachen Familien die Chance auf eine frühkindliche Betreuung und damit auf bessere Bildungschancen und Lebensperspektiven. ({42}) Der Bund hat deshalb sehr früh angeboten, sich mit 4 Milliarden Euro an den Gesamtkosten des notwendigen Ausbaus dieser Betreuungsplätze für die Kinder unter drei Jahren zu beteiligen. Auch wenn die Verhandlungen mit den Ländern zäh gewesen sind, freue ich mich zusammen mit der Kollegin Frau von der Leyen, dass uns eine Lösung mit den Ländern gelungen ist. Sie kennen diese im Einzelnen, weshalb ich Sie nicht mit vielen Zahlen belästigen muss. Uns ist sehr daran gelegen, diese 4 Milliarden Euro auf Investitionsförderung und die notwendige Unterstützung bei der Finanzierung von Betriebskosten aufzuteilen und das Ganze an einen Rechtsanspruch ab 2013 zu koppeln. Ich freue mich für die vielen Kinder und Eltern, die davon profitieren werden. ({43}) Für die Einrichtung eines Sondervermögens wird die Bundesregierung selbstverständlich einen Nachtragshaushalt vorlegen. ({44}) - Das war immer so selbstverständlich. Sie, Herr Fricke, mussten das nur noch einmal fordern, damit Sie eine Nachricht in den Zeitungen darüber finden. ({45}) Dieser Nachtragshaushalt wird sich allerdings nach Auffassung der Bundesregierung auf der Ausgabenseite ausschließlich auf die Einrichtung dieses Sondervermögens konzentrieren. Ich werde ihn im Lichte der aktuellen Steuerentwicklung - die nächste Steuerschätzung wird Anfang November stattfinden - zum gegebenen Zeitpunkt über das Kabinett dem Bundestag vorlegen. Im zentralen Zukunftsbereich der Bildung werden wir die Bedingungen der Studierenden durch eine deutliche Anhebung der BAföG-Sätze verbessern. Der vorliegende Haushaltsentwurf sieht diesbezüglich gegenüber 2007 schon deutliche Mehrausgaben vor. Diese Erhöhung ist mir gerade vor dem Hintergrund der Einführung von Studiengebühren in vielen Ländern wichtig. Ich hoffe nämlich, dass wir damit verhindern können, dass immer mehr Jugendliche aus einkommensschwächeren Familien nicht in der Lage sind, zu studieren. Wir brauchen sie alle. ({46}) Die Akademikerquote in Deutschland ist nicht zu hoch, die Akademikerquote in Deutschland ist im internationalen Vergleich zu niedrig. ({47}) Die parlamentarischen Bestrebungen zu weiteren Erhöhungen sind mir sehr geläufig. Wenn der gesamte Rahmen des Haushalts dadurch nicht gesprengt wird, Herr Vorsitzender, nehme ich diese Bemühungen respektvoll zur Kenntnis. Die Bundesregierung stellt sich ferner mit dem Energie- und Klimapaket den Herausforderungen des Klimawandels. Hierfür werden wir die Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten verwenden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Einnahmen - ich suche jetzt den Kollegen Gabriel auf der Regierungsbank - höher sind. ({48}) - Er ist auf der Klimakonferenz. Wenn die Einnahmen aus dem Zertifikatehandel höher sein sollten, gibt es zusätzliche Spielräume, um das Energie- und Klimapaket zu finanzieren. ({49}) Die Bundesregierung legt einen Finanzplan vor, mit dem wir, die Bundesebene, realistischerweise spätestens im Jahre 2011 erstmals seit 40 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt erreichen werden. Jemand, der dies schon für das Jahr 2008 oder 2009 verspricht, der begeht den alten Fehler des Zweckoptimismus. Wenn es denn 2010 so sein sollte, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt haben, dann gebe ich einen aus: ({50}) für die beiden Koalitionsfraktionen zwei Flaschen Saint-Émilion - ({51}) - Okay, je. ({52}) Die Oppositionsfraktion bekommen je eine Flasche Kalterer See. ({53}) - Es kann auch Lambrusco sein. Er ist vornehmlich deutscher Wein, wie ich vermute, große Lage. Ich freue mich über die Tatsache, dass der gesamtstaatliche Haushalt, also der Haushalt von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen - es ist sehr schwer, dem Publikum den Unterschied zwischen Bundeshaushalt und gesamtstaatlichem Haushalt verständlich zu machen; die meisten setzen „gesamtstaatlicher Haushalt“ mit „Bundeshaushalt“ gleich -, wahrscheinlich schon im nächsten Jahr ausgeglichen sein wird. Dies wird jedenfalls früher als erwartet sein. Ich freue mich, dass nach Lage der Dinge 10 von 16 Ländern vor 2010 einen ausgeglichenen Haushalt haben können. Festzuhalten ist allerdings, dass die Struktur des Bundeshaushalts ganz anders als die Struktur der Länderhaushalte aussieht und dass unsere diesbezüglichen Anstrengungen zur Erreichung dieses Ziels, insbesondere vor dem Hintergrund, dass 55 Prozent des Bundeshaushalts Sozialausgaben sind, sehr viel schwieriger sind. Im Übrigen füge ich hinzu, dass die Haushaltslage von Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen sich deutlich günstiger als die Haushaltslage des Bundes entwickelt. Die Länder konnten bereits 2006 ihr Finanzierungsdefizit im Vergleich zu 2005 um - halten Sie sich fest! - 57 Prozent abbauen, während der Bund seines nur um 10 Prozent abbauen konnte. Auch die Kommunen haben 2006 einen Haushaltsüberschuss von nahezu 3 Milliarden Euro erzielt, und das nach einem Finanzierungsdefizit von 2,2 Milliarden Euro ein Jahr zuvor. Erstmals seit 1989 konnten die öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr 2007 in gesamtstaatlicher Betrachtung, also bezüglich der vier von mir genannten Komponenten, einen Überschuss erzielen, was mich für die anderen Gebietskörperschaften freut. Dazu ist der Bund aber nach wie vor nicht in der Lage. Deshalb füge ich an dieser Stelle sehr bewusst hinzu: Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen ist meine Bereitschaft, Kompromisse mit den Ländern immer häufiger dadurch zu erzielen, dass der Bund der Zahlmeister ist, zunehmend unterentwickelt. ({54}) Wenn ich Ihnen angesichts dessen spätestens für 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt in Aussicht stelle, dann weiß ich, wie die Reflexe aussehen - Frau Hajduk deutet das gerade an -: Der Steinbrück ist nicht ambitioniert genug; der müsste viel ehrgeiziger sein; der macht es sich leicht; das ginge alles noch viel schneller. ({55}) Frau Hajduk, Sie brauchen mir gar nicht Ihr Manuskript zu geben. Diese Rede kann ich auch halten, nachts um drei auf Knopfdruck. ({56}) Das ist im parlamentarischen Schlagabtausch nun einmal so üblich. Rituelle Elemente sind gelegentlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Jeder Finanzminister ist sehr gut beraten, den Mund nicht zu voll zu nehmen. Die Erfahrung vieler Finanzminister zeigt einem, dass die Bürger dies zu würdigen wissen, weil sie des Wortgeklingels in diesem Zusammenhang gelegentlich ziemlich müde sind. Ich bleibe dabei: Gerade die Finanzpolitik muss von realistischen, eher vorsichtigen Annahmen getragen sein, so wie wir das im Koalitionsvertrag verabredet haben und so wie wir das als Große Koalition bisher immer gehandhabt haben, und zwar mit einer wichtigen vertrauensbildenden Auswirkung: Wir haben uns am Ende der vergangenen Jahre zugunsten und nicht mehr zulasten der Bundesrepublik Deutschland verschätzt, und dies ist für die weiteren Debatten vertrauensbildend. ({57}) Haushaltsausgleich 2011 oder früher, fest steht: Mit dem vorliegenden Finanzplan haben wir - auch wenn es pathetisch klingt - eine historische Chance, nämlich die Chance, nach 40 Jahren Politik auf Pump aus dem Hamsterrad einer immer weiter steigenden Verschuldung mit einer entsprechenden Zinslast - wir zahlen nach wie vor über 40 Milliarden Euro Zinsen - herauszukommen. Diese Verschuldung drückt uns aktuell mit 1 500 Milliarden Euro. Das ist eine Zahl, die kein Mensch mehr verstehen kann. 1 500 Milliarden Euro Schulden, das bedeutet, dass jeder Bürger in Deutschland - 80 Millionen Einwohner, vom Baby bis zum Greis - Schulden in der Größenordnung des Wertes eines Mittelklassewagens von 18 000 bis 20 000 Euro hat. Das ist das, was auf uns gemeinsam lastet. Dafür fallen immer mehr Zinsen an. Die Zinsen sind inzwischen der zweitgrößte Ausgabenblock. Sie liegen uns wie eine Schlinge um den Hals. Wenn wir von diesem Zinsblock herunterkämen, hätten wir mehr Geld für Bildung, mehr Geld für Familie, mehr Geld für Infrastruktur, mehr Geld für die Zukunftsinvestitionen, von denen unser zukünftiger Wohlstand und unsere zukünftige Wohlfahrt abhängen. ({58}) Wir haben die historische Chance, damit aufzuhören, unseren Kindern und Enkelkindern immer mehr Wackersteine in den Rucksack für ihr Leben zu legen - will sagen: immer mehr Lasten aufzubürden -, übrigens zusätzlich zu den Lasten einer älter werdenden Gesellschaft. Eines ist klar: In dem Umfang, in dem wir das nach wie vor tun, führt das zu einer gigantischen Umverteilung von unten nach oben. Wir sind deshalb in meinen Augen an einer entscheidenden finanzpolitischen Wegmarke angelangt, die eine klare politische Entscheidung von uns verlangt. Zugespitzt - das gebe ich zu - lautet die Alternative für die Finanzpolitik: kurzfristiger Rausch oder langfristige Rendite. Wir können uns entscheiden: Geben wir weiter Geld mit vollen Händen aus, solange der Aufschwung trägt, und vergrößern wir den Schuldenberg immer noch, oder machen wir im Hinblick auf konjunkturell mal wieder schlechtere Zeiten - hoffentlich später als früher jetzt Ernst mit dem Einstieg in den Schuldenabbau und vergrößern damit Schritt für Schritt und langfristig unsere finanzpolitischen Gestaltungsspielräume? ({59}) Andere Länder haben das geschafft. Die Finnen haben es geschafft. Die Schweden haben es geschafft. Warum soll die Bundesrepublik Deutschland dies nicht schaffen? Mir ist sehr bewusst, dass es natürlich auch in diesem Hohen Haus einige gibt, die es sich leicht machen und den Menschen vormachen, sie bräuchten sich nicht für eine Alternative zu entscheiden und bräuchten sich nicht anzustrengen. Ich meine jene, die vielen alles versprechen - das kann ich auch -: den Rentnern, den Facharbeitern, den Arbeitslosen, den Familien - ganz wie in der Werbung: Ich will alles, und zwar gleich. Eine solche Rede zu halten, fällt nicht schwer. Allerdings: Ohne dabei auf die Rechnung zu schauen, die ja irgendjemand bezahlen muss, ist es eine nicht sehr aufrichtige politische Rede. ({60}) Ich danke der SPD-Bundestagsfraktion dafür, dass sie das einmal ausgerechnet hat. Allein die Forderungen von PDS oder Linken summieren sich auf eine stattliche Mehrausgabensumme von 155 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn wir alle diese Forderungen berücksichtigen würden, müsste der Bundeshaushalt um 54 Prozent steigen. Das würde die Belastbarkeit der Unternehmen, insbesondere der mittelständischen Unternehmen, und der Mittelschicht zerstören. Diese Gruppen brauchen wir aber dringend, weil sie die Solidarität gewähren und bezahlen müssen, die wir doch leisten wollen. Sie würden davon als Erste betroffen werden. Mit Ihren Rezepten - hohe Lohnzusatzkosten, höhere Steuern, Einschränkung des Wettbewerbs - würden Sie Arbeitsplätze und damit Wohlstand in Deutschland vernichten, weil Sie nicht nur die sogenannten Reichen, diese Schimäre, treffen, sondern ganz empfindlich den gesamten Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland. ({61}) Ich will nur zwei Beispiele für die wirtschaftlichen Widersprüche erwähnen, die sich dort auftun: Erstens. Ihr Vorschlag zur Änderung des Tarifverlaufs bei der Einkommensteuer. Diese Änderung des Tarifverlaufs hätte nicht nur Einnahmeverluste von 12 Milliarden Euro zur Folge - das wäre noch nicht einmal der entscheidende Punkt -; Sie würden damit auch die Mittelschichten massiv zur Kasse bitten; ({62}) denn nach Ihrem Tarif wäre die Grenzsteuerbelastung schon ab einem zu versteuernden Einkommen von 39 600 Euro deutlich ungünstiger als bei dem, was heute gilt. Sie würden damit die Facharbeiterebene treffen. ({63}) Zweitens. Ihr Vorschlag, die Rentenreformen von 2001 und 2004 sowie die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters rückgängig zu machen. Natürlich weiß ich, dass niemand gern länger arbeitet. Natürlich weiß ich, dass wir alle weniger Steuern zahlen wollen. Ihr alle zahlt aber ganz richtig und angemessen Steuern. ({64}) Ihr Vorschlag ist generationenungerecht. Die heutigen 40-Jährigen und die Jüngeren wissen ganz genau, dass sie länger arbeiten müssen, weil anders alles nicht zu bezahlen ist. Darüber ist natürlich niemand begeistert, aber es ist unverantwortlich, so zu tun, als ob man es ändern könnte. ({65}) Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie mit einer solchen Voodoo-Ökonomie nicht sehr weit kommen. Die Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, was Mogelpackungen sind, nicht nur in der Werbung, sondern auch in der Politik. Die Menschen wissen, dass es nichts umsonst gibt. Die Menschen wissen, dass man zwar heute über seine Verhältnisse leben kann, aber eines Tages dafür die Rechnung zu bezahlen hat. Meine Damen und Herren, eine robuste Konjunktur, gestützt von einer erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Großen Koalition, ein ausgeglichener Haushalt - jedenfalls in greifbarer Nähe -: Man könnte glauben, all das müsste den Finanzminister sehr zufriedenstellen. Aber es fehlt noch etwas. Auf dem Weg zu dauerhaft tragfähigen öffentlichen Finanzen kann das nur ein erster Schritt sein. Schon die erste Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich unter maßgeblicher Mitwirkung von Karl Schiller und Franz Josef Strauß an die Reform der Finanzverfassung gemacht. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vom Juni 1967 ist ziemlich genau 40 Jahre her. Zwei Jahre später fand diese Reform mit der übrigens heute noch gültigen Schuldenregel in Art. 115 Grundgesetz ihren Abschluss. Der Unterschied zwischen damals und heute beträgt 900 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um den Anstieg der Verschuldung allein des Bundes, nämlich von 24 Milliarden Euro 1967 auf 930 Milliarden Euro heute. An dieser Tatsache wird deutlich, dass wir als zweiten Schritt nach dem Erreichen eines strukturell ausgeglichenen Haushalts eine neue Schuldenregelung in unserer Verfassung brauchen. ({66}) Diese Schuldenregel muss verhindern, dass in dem Augenblick, wo das strukturelle Defizit endlich null beträgt, wir dieselben Fluchtbewegungen wie früher auch unternehmen und in die Spiralbewegung einer wieder zunehmenden Verschuldung hineingeraten. Sinn der neuen Schuldenregelung ist, das zu verhindern. Es ist heute vielleicht noch zu früh, ein bestimmtes Modell für diese Schuldenregel vorzustellen. Ich freue mich jedoch, dass es in den Debattenbeiträgen hierzu zunehmend Annäherung auch zwischen den beiden Koalitionsfraktionen gibt. Aus meiner Sicht muss eine Neuregelung des Art. 115, die in dieser Legislaturperiode mit den uns zur Verfügung stehenden Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag erreicht werden muss, folgenden Kriterien genügen: Erstens sollte sie mit den Bestimmungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Übereinstimmung zu bringen sein. Zweitens. Sie muss eine ökonomisch plausible Begrenzung der strukturellen Neuverschuldung sicherstellen. Drittens. Sie muss auch ein Atmen der öffentlichen Haushalte bei konjunkturellen Veränderungen oder bestimmten Notlagen, zum Beispiel nach einer Flutkatastrophe, ermöglichen. Viertens muss sie insbesondere gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern glaubwürdig in dem Sinne sein, dass ihre Einhaltung wirksam kontrolliert und sanktioniert wird. Die Ausrufung der Abwehr des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtes alleine darf nicht mehr ausreichend sein, um die Ausnahmemöglichkeiten des Art. 115 in Anspruch zu nehmen. Wie wir damit bisher umgegangen sind, war doch zu leichtfüßig. Wie Sie wissen, wird in der öffentlichen Diskussion das Thema Schuldenregel mit der Frage der Haushaltsnotlagenproblematik diskutiert. In der Tat, wenn es uns gelingt, die gesamtstaatliche Nettoneuverschuldung wirksam zu begrenzen und einzudämmen, werden wir damit natürlich auch automatisch Haushaltsnotlagen bei uns und in den Ländern verhindern können. Wir haben in der gegenwärtigen politischen Konstellation und mit dem günstigen konjunkturellen Rückenwind die, wie ich glaube, seltene, vielleicht sich über lange Jahre nicht wieder auftuende Chance, entscheidende Schritte in Richtung dauerhaft tragfähiger öffentlicher Finanzen zu gehen. ({67}) Wir dürfen diese in meinen Augen kostbare Chance für eine grundlegende Reform der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland nicht verpassen, sondern müssen sie entschieden und konsequent nutzen: Für unser Land und seine Menschen hängt davon sehr viel ab. Meine Damen und Herren, gute Handwerker wissen: Ein Dach deckt man am besten, solange die Sonne scheint. Wir haben jetzt während eines guten konjunkturellen Wetters die historische Chance, unsere Haushalte finanziell in Ordnung zu bringen. Ich stelle die Frage, wer nachfolgenden Generationen erklären möchte, warum wir heute nicht konsequent genug waren, einen nachhaltigen Weg zu beschreiten, obwohl wir mitten in einer erfreulichen Wachstumsphase sind. Wer will dies unseren Kindern und Enkelkindern erklären? Ich für meinen Teil möchte das nicht. Wenn wir beim nächsten konjunkturellen Abschwung nicht sofort wieder in die Schuldenfalle, in dieses Hamsterrad, hineingeraten wollen, müssen wir heute vorsorgen und den Weg einer soliden Haushaltspolitik gehen. Der Entwurf für den Haushalt 2008 und für die mittelfristige Finanzplanung geht diesen Weg. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Weg gemeinsam mit der Bundesregierung gehen würden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({68})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die FDP-Fraktion dem Kollegen Jürgen Koppelin. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesfinanzminister, ich will gar nicht so sehr auf Ihre Rede eingehen. Man hatte den Eindruck, Sie hatten drei Redenschreiber: einen aus dem Finanzministerium, einen aus dem Willy-Brandt-Haus und einen aus der Bundestagsfraktion der SPD; so war das anscheinend aufgeteilt. Dass Sie Ihrer SPD-Bundestagsfraktion die Weltwirtschaft erklären müssen, ist Ihre Sache; vielleicht haben die es nötig. ({0}) Ich will auf einen Punkt eingehen, weil Sie da die große Keule vor allem gegen die FDP und Kollegen meiner Fraktion herausgeholt haben. Wissen Sie, Herr Bundesfinanzminister: Sie sind der schlechteste Kronzeuge für Glaubwürdigkeit. Sie, Ihre Fraktion und Ihre Partei haben vor der Bundestagswahl erklärt, die MerkelSteuer, also eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, komme mit Ihnen auf keinen Fall infrage. Anschließend haben Sie die Mehrwertsteuer jedoch um drei Punkte angehoben. Wenn Sie das den Wählern vorher gesagt hätten, säßen in Ihren Reihen 40 Abgeordnete weniger. ({1}) Eigentlich sind es gute Zeiten für einen Finanzminister: Die Einnahmen des Bundes sprudeln, die Medien berichten sogar von Überschüssen. Außerdem haben wir - in dem Punkt hat der Bundesfinanzminister recht eine gute Konjunktur; das schafft Steuereinnahmen. Aber für diese gute Konjunktur - das ist mit keinem Wort erwähnt worden; wenn man aber als Bundesregierung selbstkritisch ist, hätte man das eigentlich tun müssen - haben Sie selber keinen Handschlag getan. Dafür ist die Wirtschaft verantwortlich. Ich will ausdrücklich auch die Gewerkschaften loben, die mit moderaten Abschlüssen bei den Gehältern dazu beigetragen haben. Was wäre, wenn diese Bundesregierung etwas getan hätte? Dann hätten wir ja noch mehr Steuereinnahmen. ({2}) In diesem Zusammenhang muss man die Aktivitäten des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung sehen: Sie haben die Mehrwertsteuer um drei Punkte angehoben. Da haben Sie ordentlich abkassiert; das gilt auch für Sie, Herr Kauder. Und weil der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung beim Abkassieren gerade in Übung waren, haben sie das auch bei der Bundesagentur für Arbeit getan. So wollen Sie Ihren Haushalt sanieren; so kommt es zu diesen Mehreinnahmen. Aber man fragt sich - darauf sind Sie mit keinem Wort eingegangen -: Wie kommt eine Bundesregierung dazu, jetzt weitere Ausgaben zu beschließen, vor allem im sozialen Bereich, die auch Folgekosten nach sich ziehen werden, und zwar fast in der Höhe, in der Sie jetzt Schulden aufnehmen? Insofern hat der Kollege Hermann Otto Solms recht: Sie machen immer wieder neue Haushaltslöcher auf. Sie sind nicht in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, obwohl der Haushalt 2008 nach unserer Auffassung ohne Neuverschuldung möglich gewesen wäre. ({3}) Nun kann man politisch zu Dingen stehen, die Sie als Koalition beschlossen haben. Wer wollte gegen Krippenplätze sein? Aber solche Vorhaben müssen solide finanziert sein und dürfen nicht durch neue Schulden gedeckt werden. Die Kollegin von der Leyen aus Ihrer Koalition hat natürlich etwas Gutes im Sinn gehabt; aber eines hat sie nicht bedacht, was aber für eine Familienministerin ganz wichtig wäre: Diejenigen, die eines Tages einen Krippenplatz bekommen und sich darüber wahrscheinlich freuen, werden, wenn sie arbeiten, diesen Krippenplatz selber bezahlen müssen, weil Sie dann so viel Schulden aufgenommen haben. Da haben Sie als Familienministerin eine große Verantwortung, auch gegenüber den jungen Generationen, die die Schulden bezahlen müssen, die Ihr Finanzminister und diese Koalition auftürmen. ({4}) Man könnte weitere Beispiele nennen. Der Bundesfinanzminister ist zum Beispiel überhaupt nicht darauf eingegangen, wie er zukünftig all das finanzieren will, was mit der Gesundheitsreform beschlossen wurde; ich erinnere an die erheblichen Steigerungen. Hier muss der Bund Milliarden in die Gesundheitskasse zahlen. Gleichzeitig wollen Sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Wie wollen Sie das bezahlen? Das ist auch heute noch nicht geklärt; dazu sagen Sie kein Wort. Sie gehen davon aus, dass die Konjunktur weiterhin so positiv verläuft, wie es heute der Fall ist. Über den heutigen Zustand freuen wir uns natürlich. Aber Sie erkennen nicht, dass am Horizont durchaus kritische Dinge zu beobachten sind. Wer sagt uns, dass die Konjunktur so bleibt, wie sie zurzeit ist? Es gibt Anmerkungen der Bundesbank und anderer Einrichtungen, die sehr kritisch darauf hinweisen, dass die Konjunktur nicht so weiterlaufen wird. Herr Minister, Sie selbst haben auf bestimmte Schwächen hingewiesen und die Probleme der IKB genannt. Man hätte auch noch auf die Probleme der Sachsen-LB hinweisen können. Das sind Anzeichen, die man ernst nehmen muss. Sie aber tun so, als hätten wir weiterhin eine gute Konjunkturentwicklung. Wir alle hoffen dies, da sind wir mit Ihnen. Man hat aber darauf zu achten, dass es für die Konjunktur auch Risiken geben kann. Zu den Schwächen der Konjunktur sage ich: Sie tun so, als hätte die Mehrwertsteuererhöhung überhaupt nichts Negatives gebracht. Dabei lassen Sie aber völlig außer Acht, dass das Konsumklima in Deutschland und damit auch die Binnenkonjunktur nachgelassen haben. Schauen Sie sich nur einmal an, was in der Bauwirtschaft los ist. Die Probleme dort kommen von der Mehrwertsteuererhöhung. Das können Sie nicht leugnen. ({5}) Herr Bundesfinanzminister, Sie sind nicht mit einem Wort auf die Ausgabenseite eingegangen. Warum haben Sie sich nicht die Ausgabenseite angeschaut? Wir Freien Demokraten haben Jahr für Jahr ein Sparbuch vorgelegt und Ihnen gesagt, wo man Einsparungen vornehmen könnte. Nach unserer Auffassung könnte man in diesem Haushalt mindestens 5 Milliarden Euro einsparen. Von Ihrer Seite gibt es hier keinerlei Anstrengungen. Stattdessen gibt es eine Ausgabensteigerung. Da Sie unsere Vorschläge immer so schnell wegwischen, nenne ich einige Punkte: Warum mussten die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung noch einmal gesteigert werden? Wieso muss es Entwicklungshilfe für China geben? Wieso bekommen Organisationen Geld, die sich für Fledermäuse einsetzen? Das sind nur kleine Beispiele. Wieso muss die Bundeswehr weiter Munitionskästen instand setzen, die sie überhaupt nicht braucht? Wieso müssen Deutsche beraten werden, die ins Ausland abwandern wollen? All das zahlen wir aus dem Bundeshaushalt. Ich könnte auch in die Richtung der Frau Entwicklungshilfeministerin schauen, die kürzlich in Syrien Entwicklungshilfe versprochen hat. Ich dachte, das sei ein Schurkenstaat. Sie tätigt noch andere Ausgaben, aber darüber werden wir uns im Rahmen der Haushaltsberatungen noch unterhalten. Herr Bundesfinanzminister, ich komme zu einem Punkt, der gerade uns Freien Demokraten wichtig ist. Ich sage dies, damit Sie sehen, wo Sie Geld sparen könnten. Ihre sozialdemokratische Fraktion äußert sich jetzt in der Öffentlichkeit zur Forderung nach Onlinedurchsuchungen durch Innenminister Schäuble. Die dort vertretene Ansicht ist auch unsere Meinung. Wir begrüßen das. Endlich unterstützen Sie uns hier. ({6}) Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Herrn Schäuble im Jahr 2007 und in diesem Bundeshaushalt das Geld für die Onlinedurchsuchung zu geben? Die Sozialdemokraten haben im Haushaltsausschuss und hier im Plenum des Deutschen Bundestages zugestimmt. Tun Sie doch nicht so, als seien Sie dagegen! Also: Kümmern Sie sich um die Ausgabenseite! Darauf haben Sie nicht einen Blick geworfen. (Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Diether Dehm ({7}) Man muss feststellen, dass die Ausgabenseite des Bundeshaushalts um 5 Prozent wächst. Das hätten Sie als Finanzminister nicht zulassen dürfen. Das ist doch unverantwortlich. Sie wären in der Lage gewesen, für 2008 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Das haben Sie nicht getan. Vielleicht hat ein Machtwort der Kanzlerin gefehlt, vielleicht konnten Sie sich auch nicht wehren. Sie sind nach der Methode verfahren: Wenn der schwarze Minister etwas bekommt, dann muss auch die rote Ministerin etwas haben; wenn die schwarze Ministerin etwas bekommt, dann muss auch der rote Minister etwas bekommen. Am Ende hatten wir eine Ausgabensteigerung von 5 Prozent. Man kann ganz offen sagen: Die Koalition war in allerbester Spendierlaune. Sie hat Geld ausgegeben, weil sie die Steuerschätzung gesehen hat. Sie hat Geld ausgegeben, das sie noch nicht in der Tasche hat. Ich wiederhole: Von der Kanzlerin gab es kein Wort dazu. Auch unter dem Stichwort Glaubwürdigkeit sage ich: Frau Bundeskanzlerin, hatten Sie nicht im Wahlprogramm der Union vor der Bundestagswahl auch versprochen, die Menschen in unserem Land zu entlasten und ihnen Geld zurückzugeben? Nichts davon ist geschehen. Sie haben die Menschen stärker belastet. Auch das ist ein Beispiel zum Thema Glaubwürdigkeit. ({8}) Für uns als Freie Demokraten ist es wichtig, dass wir es bei den Haushaltsberatungen schaffen, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen. Wir sind bereit, dazu unseren Beitrag zu leisten, auch wenn damit unangenehme Entscheidungen und Anträge verbunden sind, durch die es zu Streichungen kommt. Wir erwarten aber auch von der Koalition, dass sie Beiträge dazu leistet. Ich weiß, dass die Haushaltspolitiker der Koalition vielleicht dazu bereit wären. Ich achte dies. Wir wollen sehen, was Sie im Haushaltsausschuss machen. Herr Bundesfinanzminister - ({9}) - Hallo! ({10}) Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass die Koalition und die Regierung zu solchen Beiträgen nicht in der Lage waren. Hier setzen wir auch auf die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben Ihrer eigenen Partei kürzlich eine Heulsusenmentalität vorgeworfen. Ich kann nur sagen: Sie hätten mit gutem Beispiel vorangehen können. Sie hätten Ihrer Fraktion Mut machen können. Sie hätten sagen können: Ich, der Finanzminister, bin in der Politik hart. - Das wäre positiv gewesen. Vielleicht hätten Sie die Heulsusenmentalität in Ihrer Fraktion damit ein Stück weit abbauen können. ({11}) Die Ratschläge von Bundesbank und Finanzplanungsrat sind in den Wind geschlagen worden. Die Bürger werden das teuer bezahlen müssen, wenn man nicht Änderungen am Haushalt 2008 vornimmt. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Dr. Michael Meister. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal fühle ich mich als Vertreter der Großen Koalition und der Unionsfraktion durch den Redebeitrag des Kollegen Koppelin bestärkt. Wir haben gesehen: Die Große Koalition legt ein geschlossenes Konzept vor, um das Wachstum zu stärken, den Haushalt zu konsolidieren und die Rahmenbedingungen zu verbessern. ({0}) Wir haben punktuelle Kritik, aber kein Alternativkonzept gehört. Daraus schließe ich, dass wir grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind und dass wir Kurs halten sollten. ({1}) Ich möchte ausdrücklich, auch für meine Fraktion, sagen, dass ich Dank und Anerkennung für die Akteure am Finanzmarkt teile. Wir haben in den vergangenen Tagen und Wochen einige Turbulenzen erlebt. Ich glaube, das besonnene und überlegte Verhalten der Akteure hat dazu geführt, dass der Schaden begrenzt werden konnte und wir in der Lage sind, mit Blick auf den Finanzplatz Deutschland gestärkt aus diesen Turbulenzen hervorzugehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang das, was Herr Steinbrück gesagt hat, im Namen meiner Fraktion ausdrücklich unterstreichen. Wir sind gut aufgestellt und befinden uns auf einem guten Weg. Wir sollten in Ruhe überlegen, welche Konsequenzen notwendig sind, um uns für die Zukunft weiter zu stärken. Ich will eine zweite Feststellung treffen. Zum einen ist der Finanzmarkt, der auch Arbeitgeber ist, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zum anderen gibt es indirekte Auswirkungen auf die Realwirtschaft bei der Finanzierung. Wir müssen sehr aufpassen und dafür sorgen, dass wir die angesprochenen Risiken weiter begrenzen. Wir dürfen aber nicht verhindern, dass sich Unternehmen weiterhin vernünftig - und zwar außerhalb der Fremdkapitalschiene - finanzieren können. Die Möglichkeit, sich Zugang zu neuem Eigenkapital zu verschaffen, dürfen wir nicht beschneiden, sondern diese müssen wir ausbauen. Darin liegt ein massiver Beitrag zu mehr Wachstum, zu mehr Arbeitsplätzen und zu mehr Chancen für unser Land. ({2}) Angesichts unserer Debatte über den Haushalt 2008 möchte ich Folgendes zitieren: In der Politik gibt es einen unstillbaren Drang, sich zu verschulden, weil die Kosten von den Nachkommenden getragen werden, der Nutzen aber in der Gegenwart anfällt. So der Staatsrechtler Hans Meyer, ehemaliger Präsident der Humboldt-Universität. Die Große Koalition tritt mit dem Haushaltsentwurf 2008 den Beweis des Gegenteils an. Wir wollen damit Schluss machen, dass der Nutzen von heute zulasten zukünftiger Generationen geht. Damit muss es ein Ende haben. Deshalb setzen wir uns für Haushaltsausgleich ein - nicht einmalig, sondern dauerhaft und nachhaltig. Das muss unser Ziel sein. ({3}) Wir werden den Staatshaushalt voraussichtlich im nächsten Jahr ausgleichen. Wir werden es aber - auch das haben wir schon gehört - für den Bundeshaushalt nicht schaffen. Ich möchte ob der Diskussion der letzten Tage eine Bemerkung dazu machen. Wenn Sie die Finanzplanung bis 2011 und den Haushalt 2008 mit dem vergleichen, was wir vor einem Jahr zum Bundeshalt 2007 diskutiert haben, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass in der jetzigen Vorlage eine Reduzierung der Schuldenaufnahme über den gesamten Finanzplanungszeitraum von 54 Milliarden Euro gegeben ist. Wer sagt, hier werde nichts Erhebliches geleistet in Richtung Konsolidierung, wer fordert, wir müssten kurzfristig noch mehr tun, der erkennt nicht an, welche riesige Leistung dahintersteht. Ich glaube, wir sollten im Sinne von Glaubwürdigkeit und Vertrauen darauf setzen, dass wir das, was wir ankündigen, auch einhalten können, und sollten nicht Versprechen machen, bei denen wir nicht die Gewähr dafür bieten können, dass sie eingehalten werden. Deswegen plädiere ich für einen weiterhin seriösen und vernünftigen Kurs. Er schafft Vertrauen und die Grundlage für neues Wachstum. Diesen Kurs wollen wir erfolgreich fortführen. ({4}) Wir müssen natürlich nicht nur das Delta bei der Finanzierung betrachten und es auf null zurückführen, sondern wir müssen auch die Belastungen der Menschen sehen. Hier wird gelegentlich suggeriert, als würde die Belastung ansteigen. Natürlich haben wir einige Zumutungen auf den Weg gebracht. Diese waren aber ob der Haushaltssituation, die wir vorgefunden haben, notwendig. Aber es ist auch richtig, dass die Belastung der Menschen in dem Haushalt, den wir jetzt beraten, auf den Stand zurückgeführt wird, wie wir ihn 1989, vor der deutschen Wiedervereinigung, hatten. Das, was Gerhard Stoltenberg damals erreicht hat, erreichen wir jetzt wieder. Dazu müssen wir den Menschen sagen: Auch damit werden Rahmenbedingungen geschaffen, die es wieder attraktiv machen, in Deutschland etwas zu leisten, etwas zu unternehmen, etwas zu tun. Betrachtet man die Gesamtbilanz, heißt das: Wir belasten die Menschen nicht, sondern entlasten sie. ({5}) Herr Koppelin, ich bin gerne bereit, darüber zu diskutieren, dass wir nicht allein für die Verbesserung der Situation verantwortlich sind; ich habe die Stichworte „Vertrauen“ und „Glaubwürdigkeit“ genannt. Ich will daran erinnern: In Genshagen wurde das Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung beschlossen. Es wurde übrigens von Ihnen nicht unterstützt. Es hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass gerade im Mittelstand in Deutschland die Konjunktur angesprungen ist, neue Bewegung hineinkam und Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Deshalb ist es aus meiner Sicht nicht redlich, einerseits zu sagen: „Die Koalition hat kein Verdienst am jetzigen Aufschwung“, und andererseits die Maßnahmen, die dazu beigetragen haben, zu kritisieren. Sie sollten sich einmal für eine Linie und für die Wahrheit entscheiden. Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass wir diesen Kurs weiterführen sollten. Dies bedeutet zusätzlich dazu, dass wir die Konjunktur angeschoben haben, den Klimaschutz anzugehen. In diesem Zusammenhang werden wir gerade im mittelständischen Bereich die Situation verbessern, indem wir die Förderprogramme zur CO2-Einsparung mit Maßnahmen zum Beispiel des Gebäudesanierungsprogramms so verbinden, dass dies auch wirtschaftlich eine positive Auswirkung hat. Das Ganze ist deshalb kein Widerspruch, sondern ergänzt sich und trägt sich gegenseitig. Wir sollten auch darüber reden, was das alles den Menschen bringt. Wenn wir die Ausbildungsplatzlage im Lande anschauen, dann ist festzustellen: Sie ist besser als vor einem Jahr. Sie ist nicht zufriedenstellend; aber sie ist besser. Das heißt, junge Menschen haben größere Chancen, eine Ausbildung zu finden und damit ihre Existenz zu sichern. Die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, ist besser als vor einem Jahr. Im Vergleich zu der Lage vor zwei Jahren sind 1 Million Menschen weniger arbeitslos. Das heißt, auch hier wurden die Chancen gesteigert. Mittlerweile kommt bei denjenigen, die eine Beschäftigung haben, auch etwas im Geldbeutel an. Wir haben den Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesenkt und wollen dafür sorgen, dass er weiter sinkt. Frau Bundeskanzlerin, hierzu sage ich: Mir geht der Beschluss von Meseberg nicht weit genug. Ich bin für einen niedrigeren Beitragssatz als den geplanten von 3,9 Prozent, nämlich für einen Beitragssatz von 3,5 Prozent. ({6}) Dieser Satz sollte nachhaltig und dauerhaft gesenkt werden, um den Menschen etwas zugutekommen zu lassen und die Arbeitsplätze zu sichern. Wir haben eine Unternehmensteuerreform zustande gebracht, die die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmensstandortes Deutschland und des Arbeitsplatzstandortes Deutschland wesentlich verbessert. Hierzu will ich sagen: Auch das muss im Haushalt finanziert und abgebildet werden. Darüber besteht mittlerweile keine Diskussion mehr. Wir haben das mit eingebaut. Ich will darauf hinweisen, dass wir jetzt natürlich überlegen müssen: Wo können überhaupt neue Arbeitsplätze entstehen? Da haben wir zum einen den Bereich Forschung und Entwicklung. Trotz der Tatsache, dass wir ein Staatsdefizit haben, trotz der Tatsache, dass wir sparen müssen, versuchen wir, die Haushaltspositionen im Bereich Forschung, Innovation und Entwicklung zu stärken und dort das 3-Prozent-Ziel von Lissabon zu erreichen. Wir, die Unionsfraktion, stehen ausdrücklich dahinter. Denn wir sind der Meinung: An dieser Stelle können wir im Hinblick auf Arbeitsplätze, Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts und Zukunftschancen nur gewinnen. Dies ist gut ausgegebenes Geld. Wir setzen es an dieser Stelle gerne ein. ({7}) Es gibt einen weiteren Bereich. Wir werden nicht nur versuchen können, an der Spitze Arbeitsplätze zu schaffen. Wir müssen auch versuchen, in anderen Bereichen, gerade bei den Dienstleistungen, mehr Arbeitsplätze zu generieren. Deshalb werben wir dafür - wir hoffen, dass wir auch in der Koalition hierbei zu einem Ergebnis kommen -, den Bereich der Privathaushalte als Arbeitgeber weiter zu stärken. Dies sollte einerseits im Sinne der Vereinfachung der Regelungen, die es dort gibt, geschehen und andererseits zur Erhöhung des Volumens, das dort besteht. Denn wir glauben, dass an dieser Stelle ein Beitrag dazu geleistet werden kann, Schwarzarbeit abzubauen. Darüber hinaus liegt dort noch ein riesiger Schatz zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. ({8}) Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir versuchen, die Balance im Haushalt zwischen dem, was wir konsumieren, und dem, was wir investieren, etwas zu verschieben. Es ist doch eine Verschiebung von Lasten in die Zukunft, wenn wir mehr als 90 Prozent unserer Mittel nicht investieren, sondern, was die Infrastruktur betrifft, von der Substanz leben. Deshalb müssen wir darauf hinwirken, dass die Investitionsquote im Haushalt deutlich steigt. Ich bin deshalb dankbar, dass im Entwurf der Bundesregierung an dieser Stelle eine entsprechende Akzentuierung gesetzt wird und die Investitionsmittel gestärkt werden. Wir sollten uns in den Haushaltsberatungen darum bemühen, dass diese Stärkung fortgeführt wird und wir eine weitere Verschiebung vom Konsum in Richtung Investitionen hinbekommen. Das ist nämlich hilfreich, wenn es um die Zukunftsvorsorge geht. Das ist aber auch kurzfristig hilfreich; ich sage das mit Blick auf die Lage am Arbeitsmarkt. ({9}) Ich will zum Abschluss auf einen Punkt zu sprechen kommen, der mir sehr wichtig ist. Ich habe vorhin von nachhaltiger Haushaltskonsolidierung gesprochen. Wir wollen hier nicht nur über kurzfristige Ziele diskutieren, wir wollen nicht nur über den Haushalt 2008 diskutieren, wir wollen nicht nur über die mittelfristige Finanzplanung diskutieren, sondern wir wollen auch darüber diskutieren, dass wir die aus meiner Sicht einmalige Chance haben, ein Regelwerk in die Verfassung aufzunehmen, das dafür sorgt, dass dauerhaft keine strukturellen Defizite mehr geschaffen werden können. Wenn wir diese Aufgabe nicht lösen, delegieren wir sie an die nächste Generation; das ist ein Zeitraum von 25 bis 30 Jahren. Wir stehen in der Verantwortung und müssen diese Chance nutzen. Ich möchte am Ende der Diskussion ein Regelwerk haben, das vorgibt, dass das strukturelle Defizit bei null liegen muss, und das, abgesehen von Ausnahmefällen wie Katastrophen und Ähnlichem, keine Ausnahmen vorsieht. ({10}) Wir müssen das vernünftig fassen. Ich bin kein Verfassungsjurist, sondern nur bescheidener Mathematiker; daher hoffe ich auf die Hilfe der Rechtsgelehrten. Ich hoffe, dass Bund und Länder eine Verantwortungsgemeinschaft bilden; denn diese Aufgabe kann nur gemeinschaftlich von Bund und Ländern gelöst werden. Wir müssen das, was wir Konjunktur nennen, vernünftig fassen. Ich glaube, dass wir von dem einen oder anderen Land in unserer Nachbarschaft lernen können, wie dort konjunkturelle Entwicklungen aufgefasst werden. Über den konjunkturellen Anteil an der Staatsverschuldung dürfen wir nicht nur dann diskutieren, wenn Schulden gemacht werden. Wir müssen auch dann darüber sprechen, wenn die Konjunktur positiv verläuft; denn dann muss Vorsorge für den nächsten Abschwung getroffen werden. In diesem Sinne müssen wir in Art. 115 des Grundgesetzes ein neues Regelwerk schaffen. Wenn uns das gelingt, dann werden wir gemeinschaftlich unserer Verantwortung gerecht. Ich möchte jeden einladen, mit Ideen und alternativen Vorschlägen dazu beizutragen. Ich warne aber davor, eine solch wichtige Diskussion durch kleingeistige und kleinkarierte Kritik zu zerreden. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Stellen Sie sich vor, Sie beobachten in einem Einkaufszentrum einen Taschendieb, der gerade einen Passanten dreist um eine beträchtliche Summe erleichtert. Doch dann rennt er nicht weg. Nein, er hält die Geldscheine in die Höhe und strahlt über das ganze Gesicht. Jeder würde doch denken: Dieser Mann ist verrückt. Nicht so in der Politik. Die Bundesregierung hat mit der umfangreichsten Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik den Bürgern kräftig in die Tasche gegriffen, und nun sehen wir den Finanzminister aus allen Zeitungen strahlen. Er freut sich über sein gelungenes Gesellenstück. Erstaunlich ist nur, dass keiner ruft: Haltet den Dieb! ({0}) Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat nicht nur die Mehrwertsteuer erhöht, sondern auch die Versicherungsteuer. Sie hat die Entfernungspauschale und den Sparerfreibetrag verringert, und auch der Beitragssatz für die Renten- und Krankenversicherungen stieg im Januar. Verwundert es da, dass sich keiner so richtig mit Herrn Steinbrück freuen kann? Wie wir heute in einer Zeitung lesen können, genießt er das gesammelte Misstrauen der SPD. Doch eine Ausnahme gibt es: Die Unternehmensteuerreform tritt im nächsten Jahr in Kraft und wird vor allem die großen Konzerne um mindestens 10 Milliarden Euro entlasten. In vielen Zeitungen kann man ausführliche Analysen lesen, warum die SPD in der Wählergunst so schlecht dasteht. Doch das kann man sich eigentlich sparen, wenn man nur zwei Sachverhalte zur Kenntnis nimmt: Erstens. Die Konzerne, die sich vor Profiten kaum retten können, werden weiter finanziell entlastet. Wahrhaft sozialdemokratische Politik, sage ich dazu nur. ({1}) Zweitens. Die Arbeitslosengeld-II-Empfänger sollen trotz der gestiegenen Lebensmittelpreise und der Explosion der Energiepreise keinen Cent mehr bekommen. „Kalt und streberhaft“ nennt der Politikwissenschaftler Franz Walter die Politik der SPD, und immer mehr SPD-Wähler teilen diese Ansicht. Die aktuelle Studie Die Ängste der Deutschen 2007 kommt zu dem Ergebnis, dass die Deutschen am meisten Angst davor haben, dass alles teurer wird. Das ist natürlich nicht im Sinne von CDU und CSU. Besonders Herr Schäuble hat sich zum Ziel gesetzt, dass spätestens im nächsten Jahr die Angst vor dem Terror an erster Stelle in den Umfragen stehen soll. Denn die Bundesregierung weiß, dass sich ein Land einfacher regieren lässt, wenn die Menschen Angst haben. Das ständige Schüren von Angst ist nötig, um die gigantischen Ausgaben im Kampf gegen den Terror zu rechtfertigen. Ich will Sie nur daran erinnern, dass das 132-Millionen-Euro-Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit, das der Innenminister in einer Nachtund-Nebel-Aktion durch den Bundestag geschleust hat, hier schon fast totgeschwiegen werden soll. Der weltweite Antiterrorkampf hat natürlich auch den Appetit des Verteidigungsministers angeregt. Für seinen Haushalt sind 29 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist mehr, als die Bundesregierung für zivile Investitionen ausgibt, und damit eine wirkliche Schieflage. ({2}) Der ehemaliger CDU-Generalsekretär Geißler antwortete auf die Frage eines Journalisten, was Konservatismus heute ausmacht, wie folgt - ich zitiere die Berliner Zeitung vom 6. September 2007 -: Es ist schon erstaunlich, welche Widersprüche sich da so auftun: ein starker Staat für die innere Sicherheit, ein schwacher Staat für die soziale Sicherheit merkwürdige Vorstellungen der sogenannten Neokonservativen. Ich fordere Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, nehmen Sie sich diese Worte Ihres ehemaligen Generalsekretärs zu Herzen, und denken Sie darüber nach! ({3}) Wir Linke haben gute Vorschläge, wie man die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger besser und vor allen Dingen gerechter ausgeben kann. Herr Struck hat den untauglichen Versuch unternommen, uns nachzuweisen, dass unsere Finanzierungsvorschläge unseriös seien. Zum Ausdruck und Beweis seiner eigenen Seriosität meinte Herr Steinbrück, unsere Vorschläge als Voodoo-Ökonomie bezeichnen zu müssen. Ich glaube, eine billigere Propaganda kann man sich gar nicht vorstellen. ({4}) In ihrer Rechnung hat die SPD-Führung nämlich völlig außer Acht gelassen, dass wir Gegenvorschläge und auch sehr viele schöne Kürzungsvorschläge - insbesondere hinsichtlich des aufgeblähten Verteidigungshaushaltes - haben. Aber auch hinsichtlich der Einnahmen haben wir viele Vorschläge für eine gerechtere Steuerpolitik. Unsere Vorschläge zur Abschaffung des Mittelstandsbauches haben Sie, Herr Steinbrück, genau umgekehrt dargestellt. Sie haben behauptet, wir wollten den Mittelstand belasten. Die Wirklichkeit ist anders: Der Mittelstand und die Facharbeiter würden durch unsere Vorschläge entlastet. ({5}) Ich fordere Sie hier noch einmal auf: Nehmen Sie die Unternehmensteuerreform zurück, werfen Sie den Unternehmen das Geld nicht hinterher! Wir werden unsere Vorschläge in den Haushaltsberatungen und in der Öffentlichkeit vortragen. Ich bin mir sicher: Auch wenn die Vorschläge hier in diesem Haus nicht die Mehrheit finden sollten, ihre Wirkung in der Öffentlichkeit werden sie nicht verfehlen. Das können Sie nicht zuletzt an unseren Umfragewerten ablesen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Lötzsch, zunächst ein Satz zu Ihnen. Sie haben den Vergleich mit dem Taschendieb angestellt. In der Tat: Sie bewegen sich wie eine Taschendiebin: unterhalb der Gürtellinie, und zwar moralisch wie gedanklich. ({0}) Was Sie hier sagen und die Bilder, die Sie hier bringen, sind eine Zumutung. ({1}) Ich sage Ihnen: Mit dieser Art von Politik, mit der Sie Arbeitnehmern, Rentnern und Arbeitslosen alles versprechen und in der Realität nichts halten können, täuschen Sie die Menschen. ({2}) Sie verlieren jeden ernsthaften Anspruch auf Gestaltung. Das wird noch deutlicher werden als in der Vergangenheit. ({3}) Ich will gar nicht auf einzelne Stichworte eingehen. Aber zur Unternehmensteuerreform möchte ich etwas sagen: Ja, wir beseitigen eine Gerechtigkeitslücke. Es kann doch nicht sein, dass 100 Milliarden Euro an Gewinnen in Deutschland erzielt und im Ausland versteuert werden. Das ändern wir; das ist richtig so. Wir beseitigen Gerechtigkeitslücken und schaffen keine neuen. ({4}) Deswegen: Die Auseinandersetzung mit Ihnen darf man nicht übertreiben. Aber wir werden Sie Zug um Zug entlarven. Die von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Zusammenstellung zu den finanziellen Auswirkungen Ihrer Anträge und Initiativen war ein erster Schritt dazu. ({5}) Wer vor eineinhalb Jahren vorhergesagt hätte, wie gut sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im Mittelstand, und die Situation der öffentlichen Haushalte, insbesondere in den Kommunen, entwickeln würden, der wäre doch als Fantast bezeichnet und verspottet worden. Jeder von uns, der vorhergesagt hätte, dass wir im September dieses Jahres auf der Grundlage der vorliegenden Zahlen würden beraten können, wäre verspottet worden. Deswegen sage ich Ihnen: Eine Rede wie die, die Bundesfinanzminister Peer Steinbrück heute gehalten hat, konnte seit fast 20 Jahren kein Finanzminister in Deutschland mehr halten. Eigentlich sollte von allen Seiten dieses Hauses begrüßt werden, dass es ihm möglich war, eine solche Rede zu halten. ({6}) Mit dem von Peer Steinbrück eingebrachten Haushaltsentwurf bleibt die Koalition sich selbst und ihrer Doppelstrategie treu, die erforderliche Haushaltskonsolidierung und die notwendige politische Gestaltung Hand in Hand zu betreiben. Das erfolgreiche 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm fortzusetzen, die Mittel für Forschung und Entwicklung zu erhöhen, die BAföG-Erhöhung und den Hochschulpakt zu finanzieren, die Mittel für Klimaschutzprogramme hochzufahren und das Programm zum Ausbau der Krippenplätze zu starten, all das bringt unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft Schritt für Schritt voran. Diese Maßnahmen werden sich auch in fiskalischer Hinsicht auszahlen; das gilt übrigens auch für die Unternehmensteuerreform. Konsolidieren und Gestalten, das ist die richtige Strategie, die auch in Zukunft verfolgt werden muss. Das heißt aber auch, dass die fiskalischen Spielräume, die sich ergeben, konsequent und glaubwürdig zur Rückführung der Verschuldung genutzt werden müssen. Wir müssen unsere Defizitziele im nächsten Jahr und in den folgenden Jahren erreichen. Wir haben die Chance, das gesamtstaatliche Defizit im nächsten Jahr auf null zu fahren. Ich finde, dass das Tempo des stattfindenden Defizitabbaus bemerkenswert ist. Die Haushaltspolitik muss ökonomische und gesellschaftliche Erfordernisse im Blick behalten; ansonsten ist sie letztlich zum Scheitern verurteilt. In diesem Sinne werden wir die anstehenden parlamentarischen Haushaltsberatungen führen. Die Haushaltspolitiker der Koalition haben sich das Ziel gesetzt, die von der Bundesregierung beschlossene und im Etatentwurf für 2008 aufgeführte maximale Höhe der Neuverschuldung des Bundes in Höhe von 12,9 Milliarden Euro zu verringern. Wir streben an, dieses Ziel zu erreichen. Allerdings ist bereits der Betrag von 12,9 Milliarden Euro die niedrigste jährliche Verschuldung des Bundes seit fast 20 Jahren. Wer uns in dieser Situation vorwirft, wir seien bei der Haushaltskonsolidierung nicht ehrgeizig genug, der muss schon sehr konkrete und umsetzbare Konsolidierungsvorschläge vorlegen. ({7}) Bisher konnte ich nicht erkennen, dass solche Vorschläge gemacht wurden, weder von der FDP noch - das kann Frau Hajduk gleich ändern - von den Grünen. Wenn wir hier streiten, dann sollten wir das bitte auf der Grundlage realitätstüchtiger Vorschläge und nicht im Wolkenkuckucksheim tun. ({8}) Wenn die derzeit günstige wirtschaftliche Entwicklung anhält - es gibt durchaus Anzeichen der Unsicherheit, über die heute schon gesprochen wurde -, dann werden wir voraussichtlich spätestens im Jahre 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen können. Wenn wir all diese Ziele - gute Entwicklung von Wirtschaft, Beschäftigung und Haushaltskonsolidierung erreichen wollen, ist es allerdings notwendig, dass über Jahre hinweg die richtigen Entscheidungen getroffen und die richtigen Weichenstellungen vorgenommen werden. Ich will zwei Beispiele nennen. Erstens. Bereits jetzt wird immer wieder gefordert bzw. sogar angekündigt, dass in der nächsten Legislaturperiode die Einkommensteuer oder andere Steuern gesenkt werden. Herr Kollege Kampeter, die Medien berichten, dass auch in Strategiezirkeln von CDU und CSU, und zwar weit über das Ministerium des Bundeswirtschaftsministers hinaus, Konzepte für massive Steuersenkungen erarbeitet werden. Offensichtlich wird hier gezielt versucht, sich eine populäre Ausgangsposition für die Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner in anstehenden Wahlkämpfen aufzubauen. Da wir heute eine haushaltspolitische Debatte führen, ist zu fragen: Wie ernst meinen es diejenigen, die schon heute für einen nicht sehr weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt Steuersenkungen in Aussicht stellen, eigentlich mit der Haushaltskonsolidierung, die in dieser Legislaturperiode noch nicht abgeschlossen werden kann? Wenn in einem Jahr keine neuen Schulden gemacht werden müssen, heißt das nicht, dass alle Probleme bereits gelöst sind. Meine Damen und Herren, müssten wir nicht angesichts der verbesserten Haushaltslage endlich auch in die Tilgung der Altschulden einsteigen? ({9}) Das scheint für diejenigen, die solche Steuersenkungsvorschläge machen, offenbar nicht im Vordergrund zu stehen. Erst wird die Verschuldung über Jahre hinweg als große Staatskrise dargestellt - wir haben das erlebt -, aber dann hat man es mit der Tilgung der Altschulden plötzlich nicht mehr so eilig. Das ist widersprüchlich. Ich habe an alle, die derartige Vorschläge in ihren Köpfen haben, die herzliche Bitte, darüber nachdenken, ob es nicht zu widersprüchlich ist, davon zu sprechen, dass die Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder der Erbschaftsteuer möglich wäre, wenn die politische Konstellation eine andere wäre. Nein, vor dem Hintergrund von gesamtstaatlichen Schulden in Höhe von immer noch 1,5 Billionen Euro geht dies nicht. Auch was die Reform der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern angeht, dürfen keine unbedachten Entscheidungen gefällt werden. Ich begrüße ausdrücklich die Kriterien, die Peer Steinbrück in diesem Zusammenhang genannt hat, will aber auch auf folgenden Punkt hinweisen: Meines Erachtens krankt die Diskussion bisher daran, dass grundlegende Fakten und Zusammenhänge nicht beachtet werden. Viele Teilnehmer der Diskussion sind davon überzeugt, dass die unbestreitbar zu hohe öffentliche Verschuldung eine Folge vor allem unzureichender Verfassungsregeln sei. Diese Auffassung übersieht, dass es für die öffentliche Kreditaufnahme und die Finanzpolitik sowohl des Bundes als auch der Länder beachtliche andere Gründe gab und gibt: vor allem die Bewältigung der deutschen Einheit, aber auch die Vermeidung prozyklischer Finanzpolitik. Auch ist bisher weitgehend unklar, was die einzelnen Vorschläge zur Modifikation des Art. 115 Grundgesetz konkret an Politik erfordern und konkret bewirken. Deshalb halte ich es für dringend erforderlich, dass fundierte Berechnungen vorgelegt werden, mit denen die Veränderungsabsichten gestützt werden müssen und die die ökonomischen Auswirkungen der einzelnen Vorschläge genau aufzeigen. Es darf nicht dazu kommen, dass mit einer Modifikation der Verfassung das gerade gefundene Gleichgewicht von wirtschaftlicher Impulsgebung, Zukunftsgestaltung und Haushaltskonsolidierung, das wir in den letzten beiden Jahren so erfolgreich erprobt haben, möglicherweise wieder infrage gestellt wird. Das heißt, neue Regeln, für die wir alle eintreten, müssen realitätstüchtig sein; sie müssen sich in der Realität unserer Ökonomie auch bewähren können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Steinbrück, Sie haben angenommen, schon zu wissen, was die Opposition heute zu sagen hat. Da Sie es wissen, weiß ich nicht, ob Sie schon wild entschlossen sind, sich unsere Ausführungen nicht ernsthaft anzuhören. Aber ich werbe doch noch einmal um Ihr Gehör. Worum geht es, wenn wir sagen, die gute Situation, die wir jetzt haben - die gute konjunkturelle Entwicklung, die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt -, sollte genutzt werden, um unsere Schulden abzubauen? Worum geht es, wenn wir darum werben, die historische Chance wahrzunehmen und vier gute Jahre zu nutzen, um 2009 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben? Was macht Sie so gewiss, dass Sie ein Abonnement auf eine positive Dauerkonjunktur bis 2011 haben? ({0}) Aus der Erfahrung, die Rot-Grün in den Jahren 1999 und 2000 gemacht hat, erinnere ich Sie an Folgendes: Damals haben wir vielleicht zu einem falschen Zeitpunkt im Boom Ausgabensteigerungen im Haushalt und Steuersenkungen beschlossen, die konjunkturell nicht die richtige Strategie darstellten. ({1}) Deswegen geht es mir jetzt nicht um ein bisschen schneller, ein bisschen höher und ein bisschen weiter, sondern um die Verantwortung, die auch Sie für sich in Anspruch nehmen: Packen wir doch der nächsten Generation nicht den Rucksack mit Wackersteinen von Schulden voll, sondern nutzen wir einen Konjunkturboom, der sage und schreibe vier Jahre lang ein reales Wachstum von im Schnitt knapp 2 Prozent verspricht! Angesichts der Steuermehreinnahmen in Höhe von 45 Milliarden Euro - das sind die Steuermehreinnahmen Ihrer Finanzplanung; ich habe den im Moment absehbaren Konjunkturbonus von zusätzlichen 8 bis 10 Milliarden Euro noch gar nicht aufgeschlagen, wahrscheinlich sind es in dieser Legislaturperiode also Steuermehreinnahmen von mehr als 50 Milliarden Euro - frage ich Sie, warum die Einnahmen nicht ausreichen sollen. Erklären Sie einmal der deutschen Bevölkerung, warum Ihnen 50 Milliarden Euro nicht ausreichen sollen, um ein Defizit von 30 Milliarden Euro auszugleichen! ({2}) Ich nenn Ihnen den Grund: Die Große Koalition hat erfolgreich am Steuerrad gedreht. In einigen Punkten unterstützen wir das auch; wir schlagen uns nicht in die Büsche, wenn es um Subventionsabbau geht, der die Bürgerinnen und Bürger auch einmal belastet. Sie haben sich aber auch verdammt viele Ausgabenwünsche genehmigt. ({3}) Die passen nicht in eine Zeit guter Konjunktur; so etwas muss man sich für schlechtere Zeiten reservieren. Ebendarin liegt die strategische Panne, die Schwäche Ihrer Politik, Herr Steinbrück; da können Sie sie noch so gehaltvoll und erhaben vortragen. Die Konsequenzen tragen die Bürgerinnen und Bürger. ({4}) Deswegen werben wir für eine Veränderung dieser Strategie. ({5}) - Sie müssen nicht aufgeregt rufen, Herr Poß. Ich komme noch zu den Vorschlägen. Im Übrigen haben wir das in den letzten Jahren immer so gehalten. Ich möchte beispielhaft auf das Jahr 2007 eingehen. Damit komme ich auch zu einem konkreten Vorschlag, Herr Poß. Für das Jahr 2007 ist geplant, 19 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen. Der Steuerschätzung nach werden wir 10 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass es bis zu 15 Milliarden Euro sein werden, und das ist noch nicht die Spitze der Prognosen. Dann muss man doch erwarten, dass Sie dieses Jahr statt 19 Milliarden Euro nur 6 Milliarden, 7 Milliarden oder 8 Milliarden Euro neue Schulden machen. Doch nein, es ist angekündigt: Wir brauchen einen Teil dieser Steuermehreinnahmen für den Fonds zum Ausbau der Kinderbetreuung. ({6}) - Nein! Jetzt wird es wieder billig bei Ihnen! - Wenn es um eine gute Sache und Ausgabe geht, nehmen Sie dafür die konjunkturellen Steuermehreinnahmen. ({7}) So hat Frau Merkel schon im letzten Jahr konjunkturelle Steuermehreinnahmen für die Gesundheitsversicherung verwendet. ({8}) Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben Ihnen ein sehr vernünftiges Konzept vorgelegt, wie man aus dem Ehegattensplitting ein Familiensplitting macht. ({9}) - Hören Sie einmal zu! - Dann kann man die Kinderbetreuung sehr gut finanzieren. Dann kann der Bund seinen Anteil an den Investitionen tragen. ({10}) Dann können die Länder statt dieser Fehlsubvention - ich sehe schon, Sie stimmen mir zu, Herr Kampeter; das erkenne ich an Ihrem Lachen ({11}) mit den Steuermehreinnahmen, die sie haben werden, die Betriebskosten finanzieren, und Herr Steinbrück müsste nichts zwischen Bund und Ländern aushandeln und den Bund bei den Mehrwertsteuereinnahmen nicht strukturell schlechter stellen, ihn zusätzlich belasten. Kurz gesagt: Wir haben ein Konzept für die Kinderbetreuung. Wir werben für den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, und zwar nicht erst ab irgendwann, sondern ab dem nächsten Jahr. Wir können das umsetzen, wir haben eine Gegenfinanzierung. Sie bedienen sich dagegen, wie immer, schlicht bei der guten Konjunktur; das ist langfristig nicht tragfähig. ({12}) Ich komme zu einem weiteren Punkt, der belegt, dass nicht so leicht gesagt werden kann: Es macht nichts, wenn man sich mit der Konsolidierung des Haushalts und dem Haushaltsausgleich bis 2011 Zeit lässt, statt ihn in dieser Legislaturperiode, für die Sie Verantwortung übernommen haben, zu erreichen. Ich nenne das, was Sie machen, eine künstliche Streckung des Haushaltsausgleichs. Man kann das an den Zinszahlungen sehen: Wir machen einen Sprung um 2,8 Milliarden Euro von knapp über 40 Milliarden Euro auf über 43 Milliarden Euro. Ich glaube, auch das ist Rekord. Das ist Folge Ihrer Politik, weil Sie bei der Verschuldung nicht die nötige Strenge walten lassen. Deswegen sage ich Ihnen: Ihre Strategie sieht im Lichte der gegenwärtig guten Konjunktur gut aus, aber sie ist nicht konsequent und auch nicht verantwortungsvoll. ({13}) Ich komme zu einem anderen Thema. Herr Steinbrück, ich bin froh - das sind auch die Kollegen, die zuvor gesprochen haben -, dass die Große Koalition wenigstens in einem Punkt bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, nämlich dass Sie die Zweidrittelmehrheit, die Sie im Bundesrat und im Bundestag organisieren können, nutzen wollen, um unsere gesetzlichen Regeln für die Schuldenaufnahme zu überarbeiten. Wir Grünen haben aus der Verschuldungsspirale, in der wir in den letzten Jahren gefangen waren, Konsequenzen gezogen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir nach dem Beispiel der Schweiz, aber an deutsche Verhältnisse angepasst, in Deutschland eine Schuldenbremse vorsehen, die uns vorschreibt, in guten Zeiten Überschüsse zu erwirtschaften, um für schlechte Zeiten vorzubeugen. Ich wiederhole mich, Herr Meister - man kann es nicht oft genug sagen -: Wir müssen uns in konjunkturell guten Zeiten darum bemühen, die Verschuldung zu begrenzen. Ich habe Sie gerade dazu eingeladen, das schon im Haushalt 2008 endlich wahrzumachen. Wir wollen, dass eine entsprechende Regelung ins Grundgesetz aufgenommen wird. Unser Regelwerk erfüllt folgende Anforderungen: Es ist Maastricht-konform - das halte ich für notwendig - und „atmet“ mit der Konjunktur. Es lässt auch Ausnahmen zu, wenn es im Katastrophenfall erforderlich ist. Dafür haben wir aber strikte verbindliche Regelungen vorgesehen, bei denen eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig wäre, um ausnahmsweise den Kreditrahmen zu erweitern. Ich bin froh, dass Sie Ihren Willen deutlich gemacht haben, in dieser Legislaturperiode zu neuen Schuldenregeln zu kommen, und halte das auch für notwendig. Ich nehme diesen Anspruch als Maßstab für die Vereinbarungen, zu denen wir in der Föderalismuskommission II kommen werden. Es kann nicht sein, dass es bei diesen Ankündigungen bleibt. Der Bund muss hier vorangehen. Insofern verstehe ich Ihren Beitrag an dieser Stelle als positive Aufforderung und hoffe, dass Sie auch dem von uns vorgelegten Vorschlag nähertreten können. Ich möchte noch zu zwei weiteren Punkten kommen, die mir wichtig sind. Herr Steinbrück, als Finanzminister erwarte ich von Ihnen, dass Sie sehr sorgfältig abwägen, wenn es um Privatisierungen geht. Was Sie zur Bahnprivatisierung vorgelegt und im Kabinett beschlossen haben, hält nicht dem stand, was ich von einem verantwortungsbewussten Finanzminister erwarte. ({14}) Dass Sie die Schienennetze 15 Jahre an die DB übertragen wollen, hat einen großen Haken. Wenn wir die Netze 15 Jahre übertragen und eine Mitgift in Höhe von 37,5 Milliarden Euro finanzieren, dann bedeutet das eine Teilprivatisierung, die eine Subventionsgarantie aus dem öffentlichen Haushalt für die privaten Betreiber vorsieht. Ich finde es nicht in Ordnung, dass man bei einer Teilprivatisierung solch einen risikolosen Profit auf Kosten des Bundes zulässt. Die Kritik Ihres Parteifreundes Thilo Sarrazin ist mehr als berechtigt. Wenn wir aus den Privatisierungserlösen heute vielleicht 6 Milliarden bis 8 Milliarden Euro erzielen und 3 Milliarden bis 4 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt gewinnen, dann aber 10 Milliarden Euro jährlich an die Bahn zurückfließen lassen und das Schienennetz nach 15 Jahren vielleicht zu einem doppelten oder dreifachen Preis zurückkaufen müssen, dann wäre das ein verantwortungsloser Umgang mit öffentlichem Vermögen. ({15}) Ich fordere Sie auf, an dieser Stelle neu zu überlegen. ({16}) Insbesondere fordere ich die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf, diesem Vorhaben aus ordnungspolitischen Gründen und vielleicht auch aus anderen grundsätzlichen Erwägungen, was Privatisierungen angeht, nicht zuzustimmen. Auch das gehört in eine Haushaltsdebatte des Bundestages. ({17}) Ich komme zu meinem letzten Punkt. Bei einem Thema hätte ich mir von Ihnen mehr Ehrlichkeit gewünscht, Frau Merkel. ({18}) Es ist mittlerweile klar geworden, dass die Bundesagentur für Arbeit wegen der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Geld im Überfluss hat. Es ist mehr als klar, dass die Bundesagentur die zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von über 6 Milliarden bzw. knapp 7 Milliarden Euro nicht benötigt hätte, um ihre Arbeit zu leisten und die Beiträge zu senken. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass Sie dem Vorschlag des Kollegen Steinbrück gefolgt wären, die Mehrwertsteuereinnahmen aus dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit herauszunehmen und den Haushalt der Bundesagentur und den Bundeshaushalt zu trennen. Aber nein: Um zu vertuschen, dass Sie die Mehrwertsteuereinnahmen nicht für die Beitragssenkung gebraucht haben - die Beitragssenkung um 2,3 Prozentpunkte ist durch die BA selber finanzierbar -, konstruieren Sie jetzt einen künstlichen und seltsamen Finanzierungskreislauf zwischen BA und Bundeshaushalt. Ich finde, das ist maßlos intransparent. Eigentlich hätten Sie sich einen Ruck geben müssen und das der Öffentlichkeit gegenüber zugeben können. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe leider etwas überzogen. - Letzter Satz. Haushaltspolitik ist eigentlich ganz einfach. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not! Oder: Wenn du eine Gehaltserhöhung von 8 Prozent bekommst, wie es bei den Steuereinnahmen der Fall ist, dann überziehe nicht weiter deinen Dispo, sondern löse ihn ab, statt einen neuen Leasingvertrag zu unterschreiben. Das versteht doch jeder Mensch. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das gerade zitierte schöne Sprichwort „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ ließe sich übrigens auch bei der Bewirtschaftung von Redezeiten sinnvoll zur Anwendung bringen. ({0}) Das war sozusagen eine generelle Empfehlung, weil wir uns noch eine ganze Woche mit diesem Thema werden auseinander setzen dürfen. Nun hat das Wort der Kollege Steffen Kampeter für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über den Haushaltsentwurf 2008 gibt die Möglichkeit, einmal auf das zurückzuschauen, was bisher erreicht wurde. Ich möchte mit einem Dank an die Menschen in Deutschland beginnen, die es in den letzten zwei, drei Jahren - gemeinsam mit der Politik durch ihre Arbeit, ihren Einsatz und ihr Engagement geschafft haben, dieses Land wirtschaftlich nach vorne zu bringen, ({0}) und erheblich dazu beigetragen haben, dass wir eine große finanzpolitische Erfolgsgeschichte bei der Sanierung der öffentlichen Staatsfinanzen vorweisen können. ({1}) Natürlich sind die Bundesregierung, insbesondere der Bundesfinanzminister, sowie die Koalition hier ebenfalls aktiv. Aber der Einsatz der Menschen wird nun damit belohnt, dass wir wieder ausschütten können, nachdem wir abverlangt haben. Wir können zwar nicht mehr ausgeben, wohl aber zurückgeben. ({2}) Ich will belegen, warum ich glaube, dass diese Sanierung mit Perspektive eine kluge Form der Bewirtschaftung öffentlicher Finanzen ist. Wir sind 2006 mit einem strukturellen Defizit gestartet, das ausweislich öffentlicher Erklärungen vor der Bundestagswahl bei 30 Milliarden Euro und nach der Bundestagswahl bei 55 Milliarden Euro lag. Der von uns aufgestellte Haushalt 2007 weist die niedrigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung auf. Wir haben in der Koalition und im Haushaltsausschuss für eine weitere massive Senkung gesorgt. Es ist kein Geheimnis, dass wir die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen müssen, weil die Entwicklung wahrscheinlich sowohl auf der Ausgabenseite als auch auf der Einnahmeseite besser ist. Wir haben den vom Bundesfinanzminister mit einer guten Rede vorgestellten und eingebrachten Haushaltsentwurf 2008 unter das Motto „Sanieren mit Perspektive“ gestellt. Dieser Haushalt weist wieder die niedrigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung auf. Carsten Schneider und ich haben gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Haushaltsgruppe der Koalition den Ehrgeiz, hier noch einmal nachzuarbeiten und noch weniger Schulden aufzunehmen. ({3}) Ich will in aller Klarheit sagen: Die erzielten Sanierungserfolge sind nicht selbstverständlich. Die Verwerfungen auf den Finanzmärkten haben deutlich gemacht, dass die Sanierung jede Woche und jeden Monat erneut erkämpft werden muss. Aber unsere Haushaltspolitik nutzt den Menschen in Deutschland, weil sie etwas davon haben. Ich will darauf hinweisen, dass kein Land, in dem es wirtschaftlich aufwärts geht, ruinierte Staatsfinanzen hat. Solide Staatsfinanzen, die Vertrauen bei Investoren und Konsumenten schaffen, flankieren unseren Aufschwung und schaffen Möglichkeiten, den Menschen wieder etwas zurückzugeben. Wir wollten den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ein Stück weit senken. Wir senken ihn nun noch weiter. Der Kollege Meister hat gesagt, dass die Zielgröße 3,5 Prozent sei. Das entspräche einer Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um insgesamt 3 Prozentpunkte, wenn ich richtig gerechnet habe. Das ist die größte Senkung in einem sozialen Sicherungssystem, die es jemals in so kurzer Zeit gegeben hat. Wo wir das Geld nicht benötigen, geben wir es den Menschen zurück. Auch das ist eine Dividende, ein Ergebnis dieser Sanierungsschritte. ({4}) Schulden von heute - diese Erkenntnis vermittelt jedes wirtschaftliche Seminar - sind die Steuererhöhungen von morgen. Wenn wir Schulden senken und die NullNeuverschuldung anstreben, dann verhindern wir nicht nur Steuererhöhungen, sondern schaffen auch Spielräume für Steuersenkungen. ({5}) Herr Kollege Poß, je früher wir die Null-Neuverschuldung haben, umso eher können wir uns Gedanken darüber machen, in welchem Maße wir Schulden abbauen und in welchem Maße wir den Menschen die gezahlten Steuern zurückgeben. Wir haben das Projekt Stoltenberg im Sinn, wonach den Menschen nicht das Geld aus der Tasche gezogen werden soll, um es ihnen in komplizierten Verfahren wieder zurückzugeben; wir wollen ihnen vielmehr das lassen, was sie für ihr Leben brauchen, und ihnen nur das wegnehmen, was wir ihnen gut begründet wegnehmen müssen, um wichtige Aufgaben zu finanzieren. Das ist legitim und vermittelbar. Unsere Perspektive für die nächste Legislaturperiode ist es, nach der NullNeuverschuldung auch über Steuersenkungen weiter nachzudenken. Das ist unser fester Wille. ({6}) Ich will noch eines sagen: In dem Umfeld von solideren Staatsfinanzen, das wir jetzt haben, fangen auch andere an, wieder Vertrauen zu gewinnen. Es ist kein Zufall, dass gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs und eines sinkenden Schuldenstands die Tarifvertragsparteien zum ersten Mal seit langem wieder Lohnsteigerungen in einer vernünftigen Größenordnung vereinbaren. Das kommt bei den Menschen an. Die Stabilität der Rahmenbedingungen schlägt sich auch in Mut und Zuversicht bei den Tarifvertragsparteien nieder. Das ist eine ganz konkrete Dividende, das ist ein ganz konkreter Erfolg von Stabilisierungs- und Konsolidierungspolitik. ({7}) An dieser Stelle will ich aus Anlass des bösen Begriffs des Kaputtsparens bzw. des Ins-Koma-Sparens festhalten: Ich halte es mit der Kollegin Hajduk, die gerade der Debatte nicht zuhört, sondern telefoniert: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not! - Ich finde, man muss etwas zurücklegen können. Der Grundgedanke der Schuldenregel, die der Kollege Meister, aber auch der Kollege Poß im Kopf haben, ist, dass wir demnächst für schlechte Zeiten Geld aus Haushaltsüberschüssen - das heißt technisch: Ausgleichskonto - zurücklegen. Da kommen wir zueinander. Trotzdem ist zu diesem Zeitpunkt nicht alles finanzierbar. So wünschenswert es für die Betroffenen sein mag, Regelleistungen in bestimmten Sozialversicherungssystemen, zum Beispiel Hartz IV, auszuweiten; ich halte das unter einem bestimmten Gesichtspunkt für nicht mehr sozial gerecht, ja für unsozial. Sozial ist das, was in diesem Land Beschäftigung schafft. Nelson Rockefeller hat einmal festgehalten: Wohltätigkeit ist nur dann unschädlich, wenn sie den Empfänger dazu anleitet, von ihr unabhängig zu werden. - Deswegen werden wir von der Union diesen Forderungen nicht nachgeben. Wir erkennen die schwierige Situation derjenigen an, die in diesem Regelkreis sind, aber wir konzentrieren uns nicht darauf, dass die Regelleistungen kontinuierlich ansteigen. Wir konzentrieren uns vielmehr durch eine Reform unserer Arbeitsmarktpolitik darauf, wieder Brücken in reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bauen. Darin müssen wir Geld investieren. Ich glaube, das ist soziale und beschäftigungsfreundliche Politik. ({8}) Ich warne in diesem Hause auch vor Populisten, die unterwegs sind. Die sind auf der linken Seite dieses Hauses unterwegs. Kollege Struck hat den Taschenrechner angeworfen und festgestellt, dass 174 Milliarden Euro jedes Jahr fehlen würden. ({9}) - 154, Entschuldigung. - Ich will aber auch auf die von mir aus gesehen rechte Seite des Hauses hinweisen: Morgens fordert der Kollege Fricke Subventionsabbau und Null-Neuverschuldung. ({10}) - Ich finde, das ist eine solide Forderung. ({11}) Dann kommt der Kollege Solms und beklagt, dass wir die Mehrwertsteuer erhöht haben, dass die Familienleistungen geändert wurden und das Erziehungsgeld eingeführt worden ist, und er erwähnt die Kürzung der Pendlerpauschale. Das sind Leistungen von zusammengenommen etwa 30 Milliarden Euro pro Jahr. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was das soll. Bisher dachte ich, Liberalismus sei das Eintreten für die Freiheit. Wenn man aber unter Liberalismus die Freiheit versteht, jeden finanzpolitischen Unsinn erzählen zu können, dann habe ich Liberalismus bisher falsch verstanden. Entweder man fordert wie der Kollege Fricke die Null-Neuverschuldung, oder man äußert Kritik wie der Kollege Solms, die, würde man die Kritik aufgreifen, zur Folge hätte, dass sich die Kreditaufnahme jedes Jahr um 30 Milliarden Euro erhöhen würde. Es ist unseriös, was Sie in diesem Bereich machen. Populismus auf der linken und auf der rechten Seite ist schädlich. Dem werden wir keinesfalls folgen können. ({12}) Die Perspektive bei der Sanierung besteht darin, dass wir, obwohl wir die Spendierhosen im Schrank lassen und die Sparstrümpfe heraushängen, in bestimmten Bereichen Schwerpunkte setzen. Ich will zwei erwähnen: Ein Schwerpunkt sind für uns die Familien, wobei es dabei nur vordergründig um Geld geht. Im Kern geht es uns um einen Wandel des gesellschaftlichen Klimas gegenüber den Menschen, die sich in diesem Land für eine Familie und Kinder entscheiden. Dieser Klimawandel drückt sich im Haushalt konkret aus - im Elterngeld und in der Betreuungsinfrastruktur -, vor allen Dingen aber in der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung der Familienpolitik, wie sie von dieser Großen Koalition, wie sie von Ursula von der Leyen betrieben wird. ({13}) Das ist ein großer perspektivischer Gewinn, der trotz Haushaltskonsolidierung möglich wird. Das setzt ein Zeichen und gibt eine Perspektive. ({14}) Das rohstoffarme Land Deutschland muss in die Köpfe seiner Menschen investieren. Deswegen ist unsere Investition in Bildung und Forschung als eine Partnerschaftsaufgabe zwischen öffentlicher und privater Hand schon auf einem guten Weg. 2,5 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts fließen in diesen Bereich. Michael Glos und Annette Schavan sind die beiden Minister, die dafür stehen. Dies ist eine Zukunftsinvestition, die auch während der Konsolidierung möglich ist. Man kann beides miteinander verbinden: sparsam sein und trotzdem an die Zukunft denken. Das ist der Kern der Haushaltspolitik der Großen Koalition. ({15}) Ich will eine letzte Perspektive dieser Haushaltspolitik ansprechen: die Null-Neuverschuldung. Es ist mehrfach schon gesagt worden, dass man sich diesbezüglich nicht festlegen soll. Aber sie ist greifbar und es wird keiner in diesem Hause ausgelacht, der behauptet, sie käme jetzt bald. Wir würden damit rund 40 Jahre Verschuldungspolitik in Deutschland erstmals - hoffentlich auch dauerhaft - beenden. Ich will mit einem Zitat schließen, das ungefähr so alt wie unsere Verschuldungspolitik ist. Dieses Zitat stammt von Ludwig Erhard, dem Bundeskanzler und langjährigen Wirtschaftsminister einer unionsgeführten Regierung: Die Menschen haben es zwar zuwege gebracht, das Atom zu spalten, aber nimmermehr wird es ihnen gelingen, jenes eherne wirtschaftliche Gesetz aufzusprengen, das uns mit unseren Mitteln haushalten heißt, d. h., das uns verbietet, mehr zu verbrauchen als wir erzeugen können … Das ist die eigentliche Verheißung. Dieses konservative, nachhaltige Prinzip der Haushaltspolitik, ({16}) das Ludwig Erhard formuliert hat, als wir angefangen haben, Schulden zu machen, ist die Mission der Haushaltspolitik der Großen Koalition. Das ist die Mission, die die Union kräftig unterstützen wird. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster spricht der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP freut sich über die begonnene Haushaltskonsolidierung und über den Abbau der Arbeitslosigkeit genauso wie die Regierungsfraktionen. Da gibt es keinen Zweifel. Wir haben nur den Verdacht - der durch die Reden heute bestätigt worden ist -, dass Sie sich hinter dieser entstandenen Konsolidierung, für die Sie überhaupt nichts können, verbergen und Ihre Hausaufgaben nicht machen. ({0}) Ihre Aufgabe wäre es, den Haushalt durch Einsparungen zu konsolidieren. Das wäre eine mutige Politik, die einer Großen Koalition würdig wäre. Aber Sie erweisen sich als schwache und kleinmütige Koalition. Das beweisen die Zahlen: 2006 beliefen sich die Ausgaben auf 261 Milliarden Euro, 2007 auf 270 Milliarden Euro und 2008 auf 283 Milliarden Euro. Sie legen jedes Jahr etwas darauf. Würden Sie das nicht tun, könnten wir im nächsten Jahr natürlich leicht einen ausgeglichenen Haushalt haben. ({1}) Wir wehren uns dagegen, dass Sie diese Konsolidierung - immer mit schönen Worten verbrämt - einseitig zu Lasten der Bürger in diesem Lande durchführen. ({2}) Die Bürger zahlen die Zeche, obwohl sie am Erfolg beteiligt werden müssten. Im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Finanzminister, gesagt haben, blüht die Konjunktur nicht. Die Exportkonjunktur läuft, aber die Binnenkonjunktur lahmt. Das ist kein Wunder, weil die Bürger in diesem Lande durch gewaltige Erhöhungen bei der Mehrwertsteuer, bei der Einkommensteuer, bei der Versicherungsteuer, bei Steuern auf biogene Kraftstoffe und durch den Abbau von Steuervergünstigungen insgesamt in Höhe von 40 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich belastet werden. Dann haben sie natürlich nicht mehr das Geld, um ihren Konsum, ihre Altersvorsorge oder sonstige Investitionen zu finanzieren. ({3}) Das ist eben so. Wenn Sie einen dauerhaften konjunkturellen Aufschwung möglich machen wollten, müssten Sie die Konsolidierung auf der Ausgabenseite fortführen und die Bürger von den zusätzlichen Belastungen nach und nach befreien. Das ist unsere Strategie. Herr Finanzminister, wir haben den Menschen vor der Bundestagswahl tatsächlich gesagt: Wir wollen die steuerlichen Vergünstigungen kategorisch abbauen, allerdings gegen Entlastungen im Tarif und nicht als reine Zusatzbelastung. ({4}) Eine so hohe Mehrbelastung können viele Bürger gar nicht verkraften. Wir haben einige Beispiele rechnerisch dargelegt. Diejenigen, die sich dafür interessieren, weise ich auf meine Homepage hin: Hermann minus Otto minus Solms.de. ({5}) Wenn man diese Beispiele nachvollzieht, kommt man zu dem Ergebnis, dass der normale Arbeitnehmerhaushalt in Deutschland durch die Maßnahmen dieser Regierung pro Jahr in einem Bereich zwischen 1 000 und 2 000 Euro mehr belastet ist; manche Haushalte sind noch höher betroffen. Das verfügbare Einkommen dieses Haushalts ist also entsprechend geringer. Das passt sehr gut zur gesamten Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Die Unternehmensteuerreform war eine absolute Katastrophe, und das wird sich noch auswirken. Mittlerweile haben die Unternehmen nämlich angefangen, zu rechnen. Mir liegen beispielsweise Rechnungen aus dem Handel vor, die zu dem Ergebnis kommen, dass die Einbeziehung der Mieten in die steuerliche Bemessungsgrundlage bei der Gewerbesteuer dazu führt, dass die Steuerbelastung von Handelsunternehmen, die in Mietobjekten ansässig sind, steigt - von heute etwas über 40 Prozent auf nahezu 70 Prozent -, und Sie haben ihnen Steuerentlastungen versprochen. Wenn die Gewinne dieser Unternehmen sinken, dann steigt die Steuerbelastung auf 80, 90 und sogar auf über 100 Prozent. Was ist denn das für eine Steuerpolitik?! Herr Meister, aus Ihrem Land - aus unserem gemeinsamen Land -, aus Hessen, kommen die dämlichsten Vorschläge: die Einführung der Zinsschranke, die Einbeziehung von Mieten und Pachten in die Gewerbesteuergrundlage, zur Funktionsverlagerung und zum Mantelkauf. All diese Vorschläge kommen von Herrn Koch und Herrn Weimar. Das ist steuerpolitisch völlig widersinnig, unsystematisch, kompliziert, und es macht den Standort schwächer und nicht stärker. ({6}) Das wussten Sie genauso gut wie ich. Sie hätten das in Ihrem Landesverband einmal sagen sollen, anstatt das alles hier zu vertreten. Erbschaftsteuer: bis heute keine Antwort. Seit zwei Jahren diskutieren Sie darüber. Die Menschen sind total verunsichert. Sie wissen nicht mehr, wie sie ihren Nachlass regeln sollen, weil Sie sich nicht einigen können. Jahressteuergesetz. Ich erinnere nur an das, was darin wieder geregelt ist: § 42 der Abgabenordnung soll so geändert werden, dass die Bürger einen Nachweis erbringen und sich ihre privaten Entscheidungen quasi vom Finanzamt genehmigen lassen müssen. Wenn ein Paar also im Dezember heiraten möchte, dann muss es zum Finanzamt gehen und fragen, ob es das darf, weil es das Ehegattensplitting für das Jahr der Eheschließung noch in Anspruch nehmen könnte. Negativ betroffen sind natürlich noch viel mehr die Investitionsprozesse von Unternehmen. ({7}) - Doch, das steht darin. Sie haben es nicht gelesen. Das kann ich mir gut vorstellen; schließlich liest man einen solchen Unsinn nicht gern. ({8}) Letzte Bemerkung. Mit der zentralen Lohnsteuerkartei, die eingerichtet werden soll, schafft man den gläsernen Bürger, und zwar von der Wiege bis 20 Jahre nach dem Tod. Öffentliche Stellen haben Zugriff auf diese Kartei. Es gibt keine Kontrolle und keine Information für den Bürger. Auch Private, wie Arbeitgeber, können darauf Zugriff nehmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

All das zeigt, dass die verfassungsrechtlich geschützte Privatheit von dieser Koalition ausgehöhlt wird. Das machen wir nicht mit. ({0}) - Es geht nicht um Steuerhinterziehung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ihnen geht es darum, den Bürger von der Wiege bis zur Bahre zu kontrollieren und zu überwachen. Das ist mit unserer Vorstellung von einem liberalen Rechtsstaat nicht in Einklang zu bringen, und das lehnen wir grundsätzlich ab. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt, den der Finanzminister heute eingebracht hat, und die mittelfristige Finanzplanung bis 2011 sind nicht nur der Marken-Kern der Großen Koalition, sondern sie bieten auch Anlass, eine Bilanz der vergangenen zwei Jahre - ich erinnere an die negativen Vorhersagen der FDP, die der Finanzminister heute zitiert hat - zu ziehen. Sie sind vor allen Dingen ein Ausblick auf das, was wir in den nächsten zwei Jahren in diesem Land noch zu tun gedenken. Carsten Schneider ({0}) Ich finde, dass der Haushalt 2008 insgesamt eine sehr gute Vorlage ist. Ich möchte dem Finanzminister dazu gratulieren, dass es ihm gelungen ist, gegen die widerstrebenden Einzelinteressen, die es im Kabinett natürlich und berechtigterweise gibt, durchzusetzen, dass wir spätestens 2011 im Bundeshaushalt bei der Neuverschuldung eine Null stehen haben, ({1}) eine Null, was zusätzliche Kredite betrifft. Den Zeitungen und manchen Reden hier zufolge müssten wir im Geld schwimmen. Im Unterschied dazu muss man das sehen, was real hereinkommt. Es ist richtig: Wir haben eine sehr gute Konjunktur, gestützt vor allen Dingen auf die Reformen der Jahre 2002 bis 2005, verstärkt durch die vergangenen zwei Jahre, insbesondere durch die Impulse, die wir gegeben haben, durch das Vertrauen, das die Bevölkerung in die Bundesregierung gesetzt hat, und durch eine Finanzpolitik, die sich nicht nur dadurch auszeichnet, Nein zu sagen. Das klassische Haushälter-Nein ist zu einem Gestaltungs-Ja geworden. Dieses Gestaltungs-Ja heißt, dass man nicht nur spart und kürzt, so wie das von den Kollegen der FDP gefordert wurde, sondern auch wichtige Zukunftsbereiche stärkt. Ich glaube, dass dem Kabinett damit insgesamt ein Entwurf gelungen ist, der sehr ausgewogen ist. Ich nenne Bereiche wie Forschung und Entwicklung, aber auch Infrastruktur. Ich denke an unsere internationalen Verpflichtungen im Rahmen der ODA-Quote. Diese Ausgaben sind maßvoll und tragen zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes bei. Wir planen im Jahr 2008 eine Nettokreditaufnahme von 12,9 Milliarden Euro. Unser Ziel als Haushälter ist es - der Kollege Kampeter hat schon darauf hingewiesen -, diese möglichst noch zu senken; denn jeder Euro Kredit, den wir in einem Jahr mehr aufnehmen, heißt mehr Zinsen im nächsten Jahr und weniger Spielraum. Wir wollen aber wieder Spielraum zurückgewinnen. Spielraum wurde uns ja auch genommen, nämlich durch Entscheidungen der vergangenen 30 Jahre, die von allen Fraktionen hier - da sind wir nicht schuldlos - mitgetragen wurden. Es ist richtig, dass wir mit der Finanzplanung und mit dem Kurs, den der Finanzminister vorgegeben hat, aus der Schuldenfalle herauskommen. „Raus aus der Schuldenfalle“ heißt nicht, dass wir dann, wenn wir einen ausgeglichenen Bundeshaushalt erreicht haben, stehenbleiben können. Wenn ich an das Grundsatzpapier von Wirtschaftsminister Glos denke, sehe ich da einen Dissens; den muss man klar benennen. Mein Ziel und das Ziel der SPD ist es, dass wir dazu kommen, Schulden zu tilgen, nachdem wir in guten Zeiten den Ausgleich erreicht haben werden, das heißt 2011, hoffentlich schon früher, mit den Mitteln, die wir einnehmen, auch auskommen. Jede Verschuldung von heute ist die Steuererhöhung von morgen. Ich möchte an dieser Stelle den Präsidenten des Bundesrechnungshofs zitieren, der heute in der Frankfurter Rundschau ein sehr bedenkenswertes Interview gegeben hat, was die Frage von Steuersenkungen angeht; Kollege Kampeter hat das schon angesprochen. Das ist ein bisschen irreal. Wir sind im Jahr 2008. Wir nehmen noch neue Schulden auf. Ich habe den Eindruck, dass sich die Union schon auf die Wahlauseinandersetzung vorbereitet. Das ist noch zwei Jahre hin, Kolleginnen und Kollegen. Wir haben noch tüchtig zu tun. ({2}) Im Interview heißt es: Immer lauter wird der Ruf nach Steuersenkungen. Selbst die Bundesbank spricht sich dafür aus. Sie auch? Ganz offen: Nein. Wir haben keine Luft, jetzt schon wieder die Steuern zu senken. Sollten wir wirklich irgendwann einen Bundeshaushalt mit Überschüssen bekommen, müssten wir doch endlich damit anfangen, unsere Schulden zurückzuzahlen. - Jeder Normalbürger würde dies auch tun. Warum ist es besser, das Defizit statt die Steuern zu senken? Erstens muss der Bund seine drückende Zinslast mindern. Zweitens … muss Schluss sein mit der Haltung: Wir machen den Gürtel weiter, aber bezahlen muss es die künftige Generation. Die Verschuldensregel hat im Laufe der Debatte heute schon eine Rolle gespielt. Ich stimme mit den Kriterien, die der Bundesfinanzminister hier genannt hat, eins zu eins überein. Ich bin mir auch sicher, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen, das es uns künftig ermöglicht, auch in schlechten Zeiten noch politisch tätig zu sein und in guten Zeiten mit dem Geld nicht nur auszukommen, sondern letztlich auch von der bedrückenden Schuldenund Zinslast herunterzukommen. Hier nur ganz kurz die Zahlen: Wir haben im Jahr 2007 Ausgaben für Zinsen in Höhe von knapp 40 Milliarden Euro und am Ende des Zeitraums der Finanzplanung in Höhe von fast 46 Milliarden Euro. Was könnte man mit diesem Geld alles anfangen, und wo könnte man nicht überall zusätzliche Investitionen vornehmen? Ich denke an den Ausbau der Kinderbetreuung oder die Erhöhung des BAföG-Satzes, was für uns als SPD-Fraktion ein wichtiger Punkt ist. Von daher finde ich, springt man zu kurz, wenn man, wie Herr Glos es vorgeschlagen hat, dabei stehen bleiben würde, statt in guten Zeiten Vorsorge zu treffen. Diese widersprüchliche Auffassung wird auch noch an einem anderen Punkt deutlich: Herr Kampeter und Herr Meister haben die Frage der Höhe des Arbeitslosenversicherungsbeitrages angesprochen und eine Senkung von 3,5 Prozent anheimgestellt. ({3}) Carsten Schneider ({4}) - „Auf“ 3,5 Prozent, ich korrigiere mich. - Nun sind wir in einer sehr guten konjunkturellen Situation. Der Überschuss bei der Bundesagentur hat maßgeblich auch mit den Reformen bei der Arbeitsverwaltung zu tun. Ich finde, gerade in guten Zeiten müssen wir Vorsorge für schlechte Zeiten treffen. So haben wir in den vergangenen zehn Jahren etwa 40 Milliarden Euro aus Steuermitteln an die Bundesagentur für Arbeit überwiesen. Wenn wir den Beitragssatz jetzt senken, müssten wir ihn in schlechten Zeiten sofort wieder erhöhen. Ist es nicht sinnvoller, logischer, plausibler und auch gerechter, in guten Zeiten Vorsorge für kommende schlechte Zeiten zu treffen? ({5}) Ich bin der Auffassung, das sollten wir tun. Im Übrigen muss die Bundesagentur ja auch ihre Arbeit machen können. Das ist wichtig gerade für strukturschwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit. So bin ich froh, dass im nächsten Jahr für aktive Arbeitsmarktpolitik 6,4 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Diese sollten wir auch möglichst gezielt zum Nutzen der Menschen einsetzen. Ich möchte zum Abschluss noch auf ein Missverhältnis zu sprechen kommen, das in diesen Tagen immer wieder unter dem Stichwort „gesamtstaatlicher Haushaltsausgleich“ debattiert wird. Ja, wir werden spätestens 2008 einen gesamtstaatlichen Haushaltsausgleich haben. Das heißt, alle staatlichen Ebenen und die Sozialversicherungen zusammengenommen werden genauso viel einnehmen wie sie ausgeben. Hier gibt es aber Unterschiede: Der Bund zum Beispiel wird noch weiterhin ein Defizit haben. Das ist manchmal schwer zu erklären, ist aber Folge der Verhandlungen im Bundesrat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, die im Hinblick auf die Aufgaben immer zulasten des Bundes ausgingen. So kommt es zustande, dass die Kommunen insbesondere aufgrund der Stärkung der Gewerbesteuer, die wir im Rahmen der Unternehmensteuerreform vorgenommen haben - das ist in Richtung der Linken gesagt -, einen Überschuss aufweisen und somit die Möglichkeit haben, vor Ort Sozial- und Wirtschaftspolitik zu betreiben, und ebenso auch die Länder in diesem Jahr einen Überschuss erzielen, wahrscheinlich in Höhe von etwa 7 Milliarden Euro, während der Bund ein Defizit aufweist. Ich will einmal fragen - heute ist kein Vertreter des Bundesrates anwesend; sie scheinen alles bekommen zu haben -, ob im Zusammenhang mit den Deckungsquoten jede staatliche Ebene auch den Ausgleich auf der Einnahmeseite bekommt, der ihr für ihre Ausgaben zusteht. Denn es steht uns als Bund ein Mehrwertsteuerpunkt in Höhe von 7 bis 8 Milliarden Euro zu. Auch möchte ich den Bundesfinanzminister nachhaltig in seiner Auffassung unterstützen, dass weitere Zusagen in Richtung der Länder oder der Kommunen seitens des Bundes nicht möglich sind, da wir insgesamt die schlechteste Finanzierungsstruktur und das höchste Defizit haben. Wer hätte denn gedacht, dass ein Land wie Berlin, das vor nicht allzu langer Zeit wegen Haushaltsnotlage gegen den Bund geklagt hat, aber vom Bundesverfassungsgericht nicht Recht bekommen hat, plant, im Jahre 2009 ohne neue Schulden auszukommen? Dies alles sollte uns nachdenklich stimmen. Wir als Haushälter werden uns bemühen, diesen guten Entwurf der Regierung noch ein bisschen besser zu machen, auch die Intentionen des Parlaments einzubringen ({6}) und möglichst das Defizit des Bundes zu senken. Ich denke, wir sind dabei auf einem guten Weg. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Dietmar Bartsch spricht jetzt für die Linke.

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gerade jetzt geht die Bundeskanzlerin, wo jemand aus ihrem Bundesland spricht. ({0}) - Ja, wahrscheinlich hat sie Angst; das wird es sein. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag steht so schön: „Deutschland braucht einen Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren.“ Frau Merkel betont das immer wieder, und auch Herr Steinbrück hat das heute in seiner Rede angesprochen. Das klingt sehr schön und ist auch richtig. Aber das Stück, das Sie den Menschen seit 2005 vorspielen, ist nicht so harmonisch. Es ist für viele Menschen in diesem Land schlecht. Zunächst zwei Klarstellungen zu Ihrer Rede. Die erste: Nicht Sie, Herr Bundesfinanzminister, nicht die Bundesregierung, sondern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner, die HartzIV-Empfänger und diejenigen, die kein Hartz IV bekommen, obwohl sie arbeitslos sind, sowie der Mittelstand, das sind diejenigen, die zu den besseren Ergebnissen des Bundeshaushalts beigetragen haben. ({1}) Die zweite Klarstellung bezieht sich auf Ihre Reformen. Ich will nur auf eine in Kürze eingehen, die Gesundheitsreform, über die Sie gar nicht mehr reden. Ich finde, allein das sagt sehr viel. Die Gesundheitsreform macht Kranke und Pflegebedürftige nicht schneller gesund; aber sie führt dazu, dass die medizinische Versorgung für die Menschen teurer und die Zweiklassenmedizin weiter verfestigt wird. Die Finanzierung ist unklar, und die Krankenkassenbeiträge sind gestiegen. Das ist das einzige Ergebnis dieser Reform. Warum ist die Haushaltslage besser? Wir alle wissen, dass die Steuergesetze der Bundesregierung das Kernstück sind. Ich will auf das zurückkommen, was auch von der FDP schon erwähnt worden ist: Die Mehrwertsteuererhöhung entzieht den Konsumenten 20 Milliarden Euro. Wissen Sie, was Voodoo-Ökonomie ist, Herr Steinbrück? Wenn die SPD vor der Wahl von 0 Prozent Mehrwertsteuererhöhung spricht, die CDU von 2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung und das Ergebnis dann bei 3 Prozent liegt. Das ist Voodoo-Ökonomie, und nicht das, was Sie den Linken vorwerfen. ({2}) Bei der Entfernungspauschale, die die Betroffenen im Übrigen auch 2,5 Milliarden Euro kostet, ist es ähnlich. Nicht Sie oder ich oder das Haus entscheiden, ob das verfassungskonform ist; das wird das Verfassungsgericht feststellen. Mir ist nur wichtig, dass Sie das haushalterisch berücksichtigen. Das wäre sinnvoll und notwendig. Ich will noch auf zwei Punkte zu sprechen kommen. Wer musste beim Sparerfreibetrag die Kosten in Höhe von 750 Millionen Euro tragen? Diejenigen, die etwas für ihre Altersvorsorge getan haben, denn die trifft diese Reduzierung. Es geht also wieder gegen die sozial Schwächeren. Das gilt auch für die Kindergeldzahlungen. Den Eltern werden in diesem Jahr 700 Millionen Euro genommen. Wenn das jemanden wie mich trifft - zweimal im Übrigen -, dann ist das nicht so schlimm. Aber viele Kinder von sozial Schwächeren können deshalb nicht mehr studieren. Das ist das Problem Ihrer Politik. ({3}) Ich will ein weiteres Missverständnis, das man zur Halbzeit der Legislaturperiode auch in der Öffentlichkeit häufig hört, ausräumen. Die Große Koalition hat in den Jahren 2006 und 2007 neue Schulden in Höhe von über 40 Milliarden Euro aufgenommen. Mit dem Haushalt 2008 wollen Sie weitere 12,9 Milliarden Euro Schulden aufnehmen. Damit plant die Bundesregierung, die Zinszahlung von 37,5 Milliarden Euro auf 42,1 Milliarden Euro zu schrauben. Wir leben zulasten unserer Kinder und Enkel. Das ist keine Generationsgerechtigkeit. Da haben Sie ausnahmsweise recht. Das ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben, weil die Banken davon profitieren. ({4}) Es ist ein Riesenfehler, dass Sie nur so geringe Investitionen planen. Jährliche Steigerungsraten von 300 Millionen Euro sind viel zu wenig. Da hat Herr Kampeter ausnahmsweise recht. Wenn Sie die Investitionen bis 2011 sogar um 600 Millionen Euro senken wollen, dann ist das unverantwortlich. Die Linke fordert ein Zukunftsprogramm für Jugend und Innovation. Wir fordern Investitionssteigerungen, um Arbeitsplätze zu schaffen und weitere zu initiieren. Ihr politisches Credo ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Arme trotz Konjunktur ärmer werden, dass es die erschreckende Kinderarmut gibt und dass die Reichen immer zahlreicher in diesem Land werden. Die Bundesregierung strebt offensichtlich danach, beim Wachstum der Zahl der Superreichen Spitze zu sein. Das ist unsozial und unsolidarisch. Das muss nicht sein, es geht anders. Es ist falsch, wenn Sie behaupten, in Deutschland sei nicht mehr Geld für eine soziale Politik vorhanden. ({5}) Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. 2006 stieg die Zahl der Vermögensmillionäre in Deutschland um über 4 Prozent auf 798 000. Zur gleichen Zeit stieg das Bruttoinlandsprodukt nur um 2,3 Prozent. Das ist Ausdruck Ihrer Politik: mehr Vermögensmillionäre, deren Zahl immer deutlicher steigt. Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern viel schlimmer. Sie sagen immer, wir würden keine Vorschläge machen. Aus Zeitgründen will ich nur einen einzigen machen, und zwar, weil der auch in der Diskussion ist, die Erbschaftsteuer. Manche sagen, man müsse sie abschaffen. In den nächsten Jahren werden nach Berechnungen der Dresdner Bank in Deutschland 1,3 Billionen Euro vererbt. Es ist die Pflicht der Politik, die haushaltsund verteilungspolitische Funktion der Erbschaftsteuer für das Gemeinwesen zu nutzen. ({6}) Deswegen muss es darauf ankommen, hier Mehreinnahmen zu erzielen, bei hohen Freibeträgen und so, dass keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Das ist völlig richtig. Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal die Erbschaftsteuer in den USA anzuschauen. Hätten wir eine vergleichbare Regelung, dann würden wir in den nächsten Jahren 50 Milliarden Euro mehr in den Kassen haben. Das wäre eine richtige Politik. Wir brauchen eine sozial verantwortliche Reform der Erbschaftsteuer mit - dies betone ich ausdrücklich - angemessenen Freibeträgen. Herr Steinbrück, Sie sanieren zu wenig, Sie reformieren zulasten der Mehrheit, und Sie investieren zu wenig. Das bringt Ihr Haushalt zum Ausdruck. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Georg Fahrenschon das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Woche ist dadurch gekennzeichnet, dass wir den Bundeshaushalt 2008 einbringen. Das bedeutet, dass in den kommenden Wochen jeder Einzelplan durchgearbeitet wird und dass wir noch einmal versuchen, den Regierungsvorschlag in jedem einzelnen Punkt zu optimieren. Warum gehen wir guten Mutes daran? Wir tun dies, weil wir nach zwei Jahren zur Halbzeit der laufenden Periode durchaus erfolgreich und zufrieden auf die Zusammenarbeit der Großen Koalition zurückblicken können. ({0}) Lieber Kollege Bartsch, ich will versuchen, dies in vier Punkten unter der Überschrift „Was haben die Menschen im Land von der Politik der Großen Koalition?“ noch einmal darzustellen. Als Erstes ist hier die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahresschnitt zu nennen. Im Jahresdurchschnitt 2005 lag dieser Wert bei mageren 0,9 Prozent. Im Jahresdurchschnitt 2006 lag er bei 2,8 Prozent. Im laufenden Jahr schaffen wir vielleicht sogar einen Wert mit einer 3 vor dem Komma. Die Prognose ist weiterhin gut. Wir haben in diesem Land weiterhin Wachstum. Das heißt, wir haben einen Zuwachs an Arbeitsplätzen und an Beschäftigung. Wir geben den Menschen in diesem Land eine Zukunft. ({1}) Zweitens nenne ich die Arbeitslosenzahlen. Im Durchschnitt des Jahres 2005 gab es 4,86 Millionen Menschen, die ohne Lohn und Brot und damit ohne Perspektive waren und ohne Zukunft in unserem Land gelebt haben. Wir haben diese Zahlen auf nur noch 3,7 Millionen - das ist der Wert für August - reduzieren können. Die Prognose lautet, dass wir die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter senken. Wir geben den Menschen eine Perspektive. Wir geben den Menschen eine Zukunft. Das ist eine weitere gute Nachricht. ({2}) Drittens nenne ich das Defizit. Im Jahr 2005 erfolgte mit einem Defizit von über 3 Prozent der wiederholte Bruch des Europäischen Stabilitätspaktes. Der genaue Wert lag bei 3,2 Prozent. In diesem Jahr lautet die Prognose, dass dieser Wert bei 0,5 Prozent liegen wird. Gesamtstaatlich gesehen, könnten wir sogar schon in diesem Jahr einen Ausgleich schaffen. Das heißt, wir haben in diesem Jahr ein Defizit abgebaut. Endlich halten wir in Europa wieder Verträge ein. Wir kommen wieder unserer Vorbildfunktion nach. Das ist ein gutes Zeichen für die Menschen. Die Prognose lautet auch hier, dass wir auf dem besten Weg sind. ({3}) Viertens komme ich zur Nettokreditaufnahme. Noch im Jahr 2005 waren wir in einer Situation, in der wir gezwungen waren, neue Schulden in Höhe von 31,2 Milliarden Euro aufzunehmen. Die Große Koalition hat diesen Bedarf an Haushaltsunterdeckung in den letzten zwei Jahren halbieren können. Diesen Weg gehen wir weiter. Das erklärte Ziel der CDU/CSU-Fraktion ist es, noch in dieser Periode ohne die Aufnahme von neuen Schulden auszukommen. Dies erst 2011 zu erreichen, ist uns zu spät. Wir wollen das früher erreichen. Das ist in den nächsten Wochen das wesentliche Ziel unserer Haushaltsarbeit. ({4}) Dafür haben wir gute Gründe, denn wir sind der festen Überzeugung, dass wir uns in der jetzigen guten wirtschaftlichen Situation anstrengen müssen, um uns auf schlechtere Zeiten, die wieder drohen, vorzubereiten. Um dies zu erläutern, habe ich nach einem passenden Bild gesucht. Wir alle sind aus dem Sommerurlaub zurück; die einen waren am Meer, die anderen waren in den Bergen. Ich glaube, der Bergsport liefert ein gutes Bild. Warum ist die Eigernordwand so eine große bergsportliche Herausforderung? Warum gibt es viele Menschen, die versuchen, diesen Berg zu bezwingen? Natürlich ist ein Grund das Gefühl, es geschafft zu haben, auf dem Gipfel zu stehen, nach unten zu schauen und zu sagen: Ich habe eine Leistung vollbracht. Der wesentliche Punkt aber ist die Vorbereitung. Was macht die Eigernordwand so schwierig? Was macht sie einerseits so herausfordernd, andererseits aber auch so gefährlich? Es sind nicht nur einzelne Kletterpassagen, sondern es ist die Tatsache, dass man in der Eigernordwand mit plötzlichen Wetterumschwüngen rechnen muss. Außerdem muss man sich mit der Länge der Route auseinandersetzen. Deshalb passt das Bild von der Besteigung der Eigernordwand, einer der interessantesten Berge, die wir in Europa haben, auch zu den Arbeiten am Bundeshaushalt 2008. Ja, die Entwicklung der öffentlichen Finanzen ist positiv. Der Weg der Haushaltskonsolidierung einerseits und die gezielte Wachstumsförderung andererseits haben sich als richtige Instrumente erwiesen, das zu Beginn der Legislaturperiode stagnierende Wirtschaftswachstum wieder in Schwung zu bringen und vor allen Dingen auf hohem Niveau zu stabilisieren. Das hat auch der aktuelle Stresstest gezeigt, den wir gerade durchleben. Die Tatsache, dass die dramatische Krise am US-Subprime-Markt uns in Deutschland zwar in Mitleidenschaft zieht, aber es zu keinem Flächenbrand gekommen ist, zeigt, wie stark der Finanzplatz Deutschland ist. Von dieser Stelle aus gilt mein besonderer Dank nicht nur dem Bundesfinanzminister, sondern insbesondere auch dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, weil er im Rahmen des Krisenmanagements an zentraler Stelle dafür gesorgt hat, dass keine Bank zusammenbricht und dass der deutsche Finanzmarkt aus dieser wirklich schwierigen Situation gut herausgekommen ist. ({5}) Diese positive Stimmung darf uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterhin erheblicher Konsolidierungsbedarf besteht. Denn auch im kommenden Jahr besteht nach wie vor ein strukturelles Defizit in Höhe von immerhin 23,5 Milliarden Euro. Deshalb ist es gerade in konjunkturell guten Zeiten, also sozusagen bei einer guten Wetterlage, von großer Wichtigkeit, die weiterhin bestehenden Haushaltsungleichgewichte rasch zu beseitigen und, der Intention der europäischen Haushaltsregeln folgend, eine ausgeglichene Haushaltsposition zu erreichen und zu sichern. Die Grundregel gilt: Nur eine Überschussposition bei günstiger Konjunkturlage ermöglicht auch bei schlechtem Wirtschaftsklima, die nationalen und europäischen Vorgaben einzuhalten. In diesem Sinne, Herr Bundesfinanzminister, sagen wir: Wir brauchen eine Regel, die atmende Haushalte ermöglicht. Dazu gehört aber, dass wir in guten Zeiten Überschüsse erwirtschaften, dass wir in normalen Zeiten einen ausgeglichenen Haushalt haben und dass wir nur in speziellen Ausnahmefällen ins Defizit gehen. Ich komme zum Schluss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das wäre gut.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Solide Staatsfinanzen sind kein Selbstzweck. Sie sind die unumgängliche Voraussetzung zur Wiedergewinnung der haushaltspolitischen Spielräume, die wir zur Finanzierung von zentralen Zukunftsinvestitionen und zur weiteren Rückführung der Steuerbelastung brauchen. Nur mit Wachstum schaffen wir den Verschuldungsabbau. Wer glaubt, wir könnten uns die unendlich große Summe von 1 500 Milliarden Euro an gesamtstaatlicher Verschuldung aus den Haushalten schwitzen, der irrt. Wir müssen auf Wachstum setzen, weil wir nur durch Wachstumsimpulse in die Lage versetzt werden, die Verschuldung abzubauen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, das muss jetzt Ihr letzter Satz gewesen sein.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben meines Erachtens schon schwierige Passagen hinter uns gebracht und den richtigen Weg eingeschlagen. Zum Ausruhen ist es jedoch zu früh. Wir müssen jetzt bei gutem Wetter Vorkehrungen gegen kommende schwierige Passagen und auch gegen schlechtes Wetter treffen. Denn es liegt noch ein langes Stück Weg vor uns. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe jetzt dem Kollegen Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fahrenschon, das Bild von der Eigernordwand ist etwas heikel. Mir würde es im Zusammenhang mit dem Schuldenberg reichen, wenn wir uns in Richtung Brocken bewegen würden. Das wäre mir lieber; die Eigernordwand ist mir ein bisschen zu steil und zu massiv. Deutschland befindet sich in einem soliden wirtschaftlichen Aufschwung, wie wir ihn seit geraumer Zeit nicht mehr gehabt haben. Das reale Wirtschaftswachstum betrug im vorigen Jahr rund 2,8 Prozent. In diesem Jahr erwarten Bundesbank und die Wirtschaftsforschungsinstitute ähnlich wie für 2008 ein reales Wachstum in der Größenordnung von 2,5 Prozent. Herr Kollege Dr. Solms, erfreulicherweise hat sich auch bei den Komponenten des Wachstums, also bei der Nachfrage, ein Wandel ergeben. Wir haben nicht mehr ausschließlich eine starke Auslandsnachfrage. Hauptträger des Wachstums in diesem Jahr ist vielmehr die hocherfreuliche Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen der deutschen Wirtschaft. Alles spricht dafür, dass im zweiten Halbjahr 2007 und im Jahre 2008 die Belebung des privaten Verbrauches hinzukommt, sodass wir schon jetzt sagen können: Wir haben eine solide Basis des Wachstums, die sich nicht ausschließlich auf unsere erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und die starke Auslandsnachfrage stützt, sondern breit gestreut ist. Die Basis ist solide. Das ist meiner Ansicht nach ein großer Vorteil. Es besteht die Situation - das ist neu -, dass es bei einem Wachstum von gut 2 Prozent eine deutliche Belebung der Beschäftigung gibt. Wir haben heute rund 500 000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse als vor einem Jahr. Bei der Arbeitslosigkeit ist ein Rückgang von fast 700 000 im Vergleich zum August 2006 zu verzeichnen. Das darf man nicht beiseiteschieben. Ich behaupte ja nicht, dass es ausschließlich Verdienst der Politik gewesen ist, dass wir diese Entwicklung erreicht haben. Viele haben dazu beigetragen; einige Kolleginnen und Kollegen haben es vorhin schon angesprochen. Zur Wiedererlangung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit weltweit beispielsweise haben Arbeitnehmer und Unternehmen erheblich beigetragen. ({0}) Zur Verbesserung der Situation hat aber auch beigetragen, dass wir in der vorigen Wahlperiode den Mut gehabt haben, Reformen am Arbeitsmarkt durchzusetzen, die überhaupt nicht bequem waren und die uns viel Streit und Auseinandersetzungen eingebracht haben, die sich jetzt aber auszahlen und die greifen. Es ist eine Zunahme der Beschäftigung zu verzeichnen. Bei einer erhöhten Zahl von offenen Stellen ist es leichter geworden, einen neuen Job zu bekommen. Besonders erfreulich finde ich: Der Rückgang bei der Langzeitarbeitslosigkeit ist überproportional hoch. Dies hat zwei Gründe: Zum einen dauert es nicht mehr sehr lange, bis jemand aus der Arbeitslosigkeit heraus eine neue Anstellung findet. Zum anderen hat inzwischen - das ist aber noch steigerungsfähig - im Bereich des Arbeitslosengeldes II ein Rückgang von gut 11 Prozent stattgefunden. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Darauf können wir, so finde ich, stolz sein. Das sage ich als Sozialdemokrat mit besonderem Bewusstsein; dazu haben ja mehrere beigetragen. Es ist ein Erfolg der vorangegangenen Regierung, dass wir diese Entwicklung am Arbeitsmarkt haben. Angesichts der Situation beim Wachstum und der Zunahme der Beschäftigung ist es kein Wunder, dass die Steuerquellen relativ kräftig sprudeln. Es ist nicht in erster Linie der notwendigen Erhöhung der Mehrwertsteuer und dem Abbau von Steuervergünstigungen an verschiedenen Stellen zu verdanken, dass es heute eine kräftigere Zunahme der Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden gibt. Dies ist vielmehr ein Spiegelbild der besseren wirtschaftlichen Entwicklung. Ich schließe mich dem an, was Kollege Fahrenschon gesagt hat: Wirtschaftliches Wachstum ist eine Grundvoraussetzung für die Haushaltskonsolidierung. ({1}) Ich drehe das allerdings auch um: Ohne solide Staatsfinanzen wird es schwierig werden, auf Dauer ein nachhaltiges Wachstum in Deutschland zu erreichen. Zum Stichwort „Verschuldung“. Kollege Koppelin hat so getan - er ist leider nicht mehr anwesend -, als sei die FDP, die in Deutschland eine Weile mitregiert hat - es war nicht viel mehr als drei Viertel der Zeit, seit es diese Bundesrepublik gibt -, für die heutigen Schulden im Bundeshaushalt nicht verantwortlich. ({2}) - Herr Kollege Dr. Solms, von den heutigen Schulden des Bundes stammen 80 Prozent aus Zeiten, in denen die FDP im Bund mitregiert hat. ({3}) Ich werfe Ihnen das gar nicht vor. Der Ehrlichkeit halber sollte man aber nicht so tun, als hätte Herr Koppelin gar nichts damit zu tun, bloß weil er erst 1990 in den Bundestag gewählt wurde. Das stimmt nicht. ({4}) Noch eine kleine Erwiderung bzw. Korrektur: Sie, Herr Dr. Solms, haben gefragt, wann die Große Koalition endlich einen Entwurf zur Reform der Erbschaftsteuer vorlegt. Wir müssen ihn schon solide erarbeiten. ({5}) - Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Januar dieses Jahres seine Entscheidung vorgelegt. Sie müssen auch die Begründung lesen; es reicht nicht, nur die zwei Leitsätze zu lesen. Man muss sich die Entscheidung schon genau anschauen. Der Bund bzw. die Große Koalition und die Länder haben eine solide Vorarbeit geleistet. Daher werden wir eine vernünftige Regelung finden. ({6}) - Das haben wir schon vor geraumer Zeit getan. Wenn Sie darauf hoffen, dass die Erbschaftsteuer abgeschafft wird, muss ich Sie enttäuschen. Dazu wird es nicht kommen. ({7}) - Das ist schön. Dann haben wir ja Ihre Unterstützung. Das freut mich. Ich möchte das, was die Kollegen Schneider, Poß und der Bundesfinanzminister gesagt haben, unterstreichen: Wenn der Haushalt in einem Jahr ausgeglichen ist, haben wir die Schulden trotzdem noch lange nicht abgebaut. Es ist schon ein Problem, wenn man einen solchen Brocken vor sich hertragen muss. Die Verpflichtung, jedes Jahr Zinsen zu zahlen, engt natürlich den Handlungsspielraum der künftigen Generationen ein. Gleichwohl sage ich: Wir müssen auch die für das Wachstum entscheidenden Komponenten stärken; es ist richtig, dass wir für Forschung und Entwicklung sowie für Bildung mehr Geld ausgeben als in der Vergangenheit. Es ist notwendig, dass wir die Handlungsfähigkeit des Staates in den Bereichen innere und äußere Sicherheit gewährleisten; ich sage das bewusst am 11. September. Dass wir es geschafft haben, hinsichtlich der Bereitstellung von Betreuungsplätzen für Kinder zwischen einem und drei Jahren eine Verständigung zu erzielen - 35 Prozent eines jeden Jahrgangs sollen einen solchen Betreuungsplatz erhalten -, und dass ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz besteht, sind große Leistungen, die der Zukunftssicherung dienen. ({8}) Wenn ich mir den Einfluss der sozialdemokratischen Sozialpolitik auf die Reformen in den Bereichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in der vergangenen Wahlperiode und in diesem Jahr ansehe und wenn ich die von der Koalition insgesamt getragene Entwicklung hinsichtlich Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrachte, muss ich ganz freimütig sagen: Ich bin froh, dass so viel sozialdemokratische Handschrift in der Politik dieser Regierung zu erkennen ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Solms, möglicherweise hängt die Zukunft von den heutigen Friedensgesprächen zwischen FDP und Union ab. Es könnte ja sein, dass Herr Westerwelle der Kanzlerin morgen wieder vorwirft, sie bzw. ihre Politik sei zu sozialdemokratisch. Wir können damit leben. Unsere Handschrift lässt sich erkennen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10. Als Erster hat das Wort der Kollege Bundesminister Horst Seehofer für die Bundesregierung. ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe bei aufgehender Sonne zum Einzelplan 10 auch frohe Botschaften. Nach dem Weggang unseres bisherigen Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Paziorek, der ja bekanntlich Regierungspräsident geworden ist, haben wir jetzt bei uns im Hause, also im Agrar- und Verbraucherschutzministerium, eine neue Staatssekretärin: unsere Kollegin Ursula Heinen, der ich auch hier vor dem Parlament noch einmal gratulieren möchte. ({0}) Ich bitte um gute Zusammenarbeit. ({1}) Der Einzelplan, den ich zu verantworten habe, steht unter guten Vorzeichen. Wir haben jetzt knapp zur Halbzeit dieser Legislaturperiode alles, was diese Koalition vereinbart hat, entweder längst erledigt, verabschiedet oder es steht kurz vor der Verabschiedung. Das gilt zum Beispiel - das freut mich am meisten dafür, dass der Haushaltsplan 2008 nach über zehn Jahren Kürzungen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zum ersten Mal wieder einen Aufwuchs der Mittel für die Agrarstruktur vorsieht. Das bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass wir mit unserer politischen Aussage Ernst machen, nämlich dass wir die ländlichen Räume wieder stärker fördern und nicht nur gut über die ländlichen Räume sprechen. ({2}) Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Mittel werden in diesem Bereich von 615 auf 660 Millionen Euro aufwachsen. Das ist eine Komplementärfinanzierung mit den Bundesländern. Es ist nach Beginn der Kürzungen in diesem Bereich unter der Regierung Helmut Kohl und in Fortsetzung unter der Regierung Schröder zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder so, dass die Mittel nicht gekürzt werden oder stagnieren, sondern dass zusätzliches Geld verwandt wird. Wir werden diese Mittel sehr stark in einem Bereich konzentrieren - dort sind sie auch gebunden -, und zwar auf die Breitbandversorgung, auf den Anschluss von strukturschwachen Räumen an das Internet. Ich glaube, es ist für die Entwicklung des ländlichen Raumes einer der zentralen Punkte, dass wir ihn ans Internet anschließen. ({3}) Der andere Teil der Mittel wird verstärkt in der Energieversorgung eingesetzt werden. Wir diskutieren sehr viel über CO2. Ich persönlich bin ein großer Anhänger einer stärkeren dezentralen Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Mittelverwendung hätte zur Folge, dass wir nicht nur viel für den Klimaschutz tun und viele Zukunftsperspektiven für die Landwirte eröffnen, sondern dass wir auch dafür sorgen, die Wertschöpfung im ländlichen Raum zu verbessern. ({4}) Das ist der erste große Punkt, der mich freut. Der zweite Punkt, der mich freut, sind die nachwachsenden Rohstoffe. Das ist mittlerweile eine feste Größe in der deutschen Agrarkultur. Wir bebauen etwa 13 Prozent der Ackerflächen mit nachwachsenden Rohstoffen. Unsere Vorstellung ist, dass wir diesen Anteil verdoppeln. Auch hier haben wir einen Mehrfacheffekt, nämlich den Beitrag zum Umweltschutz, die Einkommensmöglichkeiten für die Bauern und wiederum eine Stärkung des ländlichen Raumes. Ich darf Sie unterrichten, dass wir vor wenigen Wochen gemeinsam mit dem Kollegen Tiefensee in Leipzig den Startschuss für das Deutsche Biomasse-Forschungszentrum gegeben haben. Das war ein wichtiger Punkt in unserer Koalitionsvereinbarung. Es hat etwas gedauert; aber ich bin immer dafür, dass man so etwas erst dann auf den Weg bringt, wenn Personal, Finanzierung und Organisation nicht nur für den Augenblick des Pressetermins, sondern auch nachhaltig für die nächsten Jahre gewährleistet sind. Das ist mittlerweile ein großes Gemeinschaftswerk: Der Bund, der Freistaat Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, die Wirtschaft und die Wissenschaft engagieren sich hier. Es ist schön, dass das Deutsche Biomasse-Forschungszentrum in Leipzig am 1. Januar des nächsten Jahres endgültig seinen Betrieb aufnehmen wird. ({5}) Wenn ich gleichzeitig sehe, dass im Bundeshaushalt 2008 erneut 50 Millionen Euro für den Bereich „Nachwachsende Rohstoffe“ bereitgestellt werden, dann glaube ich, ist das ein guter Beweis dafür, dass wir diesen Sektor ernst nehmen. Die Biomasse - das wissen viele nicht - deckt mittlerweile rund 70 Prozent der regenerativen Energien in Deutschland ab. Man hat ja immer nur die Windräder, die Sonnenkollektoren oder die Wasserkraft im Auge. Aber mittlerweile ist es die Biomasse, die rund 70 Prozent des Bedarfs deckt. Der dritte Punkt, der mir wichtig ist, ist die agrarsoziale Sicherung. Ich bitte unseren Koalitionspartner um Nachsicht, dass ich sage: Wir sind jetzt zum ersten Mal seit sehr vielen Jahren in der Lage, die Höhe der Zuschüsse des Bundes zur agrarsozialen Sicherung beizubehalten. Wir müssen sie also nicht kürzen. Das ist gegenüber den Bäuerinnen und Bauern gerechtfertigt. Sie haben nämlich einen sehr großen Strukturwandel erlebt, mit der Folge, dass es auf der einen Seite viele Leistungsempfänger aus der Vergangenheit gibt - die Fachleute nennen sie: die Altlasten - und dass auf der anderen Seite die Zahl der Beitragszahler aufgrund des Produktivitätsfortschritts immer geringer geworden ist. Insofern ist es für die bäuerlichen Familien sehr wichtig, dass der Bund seine Zusage einhält. Wir lassen die Höhe der Zuschüsse unverändert; darauf können sich die Bauern verlassen. Würden wir beispielsweise unseren Zuschuss zur Unfallversicherung streichen, würde das für die meisten bäuerlichen Familien bedeuten, dass ihre Beiträge zu dieser Sozialversicherung um 50 Prozent erhöht werden müssten; das sind bei Jahresbeiträgen von 4 000 bis 5 000 Euro keine zu vernachlässigenden Größen. Ich bin froh, dass der Staat seine Verlässlichkeit an dieser Stelle vorexerziert. Wir werden die Zuschüsse aufrechterhalten. Wir sind uns in der Koalition einig, dass auch die landwirtschaftliche Krankenversicherung teilhaben soll, wenn die allgemeine Krankenversiche11408 rung höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt bekommt. ({6}) Eine Behauptung, die immer wieder aufgestellt wird, möchte ich korrigieren: Es bleibt bei der beitragsfreien Versicherung der Kinder in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung; auch das ist pausenlos infrage gestellt worden. ({7}) Wir gehen jetzt eine Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung an; sie ist bereits vom Kabinett beschlossen worden. Nach allem, was ich höre, wird diese Reform im Parlament noch zu intensiven Diskussionen führen, insbesondere was den Verwaltungsaufwand und die Organisation der landwirtschaftlichen Unfallversicherung betrifft; auch dieses Thema haben wir auf den Weg gebracht. Drei Bereiche, die unmittelbar mit dem Haushalt bzw. mit Finanzen zusammenhängen - die GAK, also die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, die nachwachsenden Rohstoffe und die Verlässlichkeit in der agrarsozialen Sicherung -, wurden im vorliegenden Haushaltsentwurf für das Jahr 2008 sehr gut gelöst. Ich darf darauf hinweisen, dass wir außerdem eine umfassende Reform der Ressortforschung auf den Weg gebracht haben, mit dem Ziel, dass wir nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene Reputation erwerben, und zwar auf allen Feldern: von der Pflanzenzucht bis hin zur Tiergesundheit. Ich bin sehr froh, dass das in meinem Hause die Zustimmung des Personalrats gefunden hat, obwohl es mit personellen Veränderungen, mit Personalabbau und Ähnlichem verbunden ist. Bemerkenswert ist, dass mir der Personalrat, die Personalvertretung der Beschäftigten, immer wieder gesagt hat: Uns sind die Nachhaltigkeit und die Verlässlichkeit, dass es in den nächsten Jahren in die richtige Richtung geht und wir unser Tun stolz nach außen vertreten können, wichtiger als das Festhalten und Festklammern an einigen Planstellen. Ich halte eine solche Einstellung eines Personalrats in unserer Zeit für sehr bemerkenswert; denn gelegentlich wird das Gegenteil gesagt. ({8}) Den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Ressortforschung werden wir in den nächsten Wochen hier im Parlament beraten, allerdings - das habe ich beiden Koalitionsfraktionen zugesagt - mit einer Ausnahme, mit der wir uns noch beschäftigen müssen; dieses Thema lassen wir gerade vom Bundesrechnungshof überprüfen. Es geht um die Frage, ob die Bundesforschungsanstalt für Fischerei ihren Sitz in Hamburg oder Bremerhaven haben wird. Bis auf diese eine Ausnahme ist mittlerweile einvernehmlich mit den betroffenen Bundesländern über alle anderen Institute und Einrichtungen entschieden worden. Ich bin froh, dass das Verbraucherinformationsgesetz in der nächsten Woche im Bundesrat zur Abstimmung steht. Das war eine sechsjährige Odyssee. Wäre sie früher beendet worden, hätte uns das in den aktuellen Problemfällen, was die öffentliche Nennung von Namen betrifft, sehr gedient. Dann hätte auch diese sechsjährige Odyssee, zu der ich nur eineinhalb Jahre beitragen konnte, ({9}) ein Ende. Ich glaube, dass ein ohnehin verfassungsgemäßes Gesetz jetzt noch verfassungskonformer geworden ist, und hoffe, dass der Bundespräsident seine Unterschrift unter dieses Gesetz setzen wird. ({10}) Ich darf darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass wir auch das ungeheuer sensible Thema Gentechnik nach sehr langen Beratungen in der Koalition vor dem Auftakt der parlamentarischen Beratungen zu einem vorläufigen Abschluss gebracht haben. Ich glaube, wir können drei Dinge festhalten: Erstens. Im Haftungsrecht bleibt es bei der verschuldensunabhängigen Haftung. Zweitens. Wir haben in der Koalition vernünftige Regeln zum Abstand zwischen GVO-Anbau, Bioanbau und konventionellem Anbau festgelegt; der Abstand beträgt in dem einen Fall 150 Meter, in dem anderen Fall 300 Meter. Dadurch wird gewährleistet, dass die Koexistenz ihren Namen verdient. Koexistenz bedeutet nach dem Brockhaus nämlich das „gute Nebeneinander von zwei Dingen“; politisch könnte man auch sagen: das friedliche Nebeneinander von zwei Dingen. Da wir Abstandsregelungen getroffen haben, durch die gewährleistet wird, dass es im Regelfall nicht zur Auskreuzung kommt, glaube ich, dass wir hier im Sinne der Verlässlichkeit einen ganz gewaltigen Schritt vorangekommen sind. Ich sage ein Drittes: Wir wollen auch die Forschung in Deutschland voranbringen. Wir wären gut beraten, die sich in den Bereichen Entwicklung und Sicherheit stellenden Fragen durch Forschung in Deutschland zu beantworten, anstatt uns sozusagen künstlich unwissend zu halten. Letzteres wäre nicht in Ordnung. Da es meine Nachredner wahrscheinlich dazu verleiten wird, etwas zu Gammelfleisch und Vogelgrippe zu sagen, noch wenige Sätze dazu. Wir haben es bei der Vogelgrippe mit einer sehr ernsten Situation zu tun; dies verschweige ich nicht. Ich wünsche mir mehr Aufmerksamkeit für diese H5N1Problematik, da sie für die Gesundheit der Menschen von ungleich größerer Bedeutung - hier lasse ich niemanden in Zweifel - als manches ist, was sonst im Lebensmittelbereich diskutiert wird. Wir sind mit HochBundesminister Horst Seehofer druck dabei, zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen. Dieses gigantische Naturgeschehen hat mittlerweile große Nutzgeflügelbereiche in Bayern erreicht. Vom Impfstoff bis zur Ursachenforschung müssen wir alles tun, um die Gefahr für die Lebensmittelkette zu bannen. Ich erwähne dies nicht, weil wir hier etwa neue gesetzgeberische Maßnahmen brauchen, sondern weil ich den Blick darauf lenken will, dass die Herausforderung durch das H5N1-Virus um ein gewaltiges Stück größer ist als das, was wir gelegentlich unter dem Stichwort „Ekel-“ oder „Gammelfleisch“ diskutieren. Hier geht es wirklich um eine potenzielle Gesundheitsgefährdung auch von Menschen durch Nutztierhaltung. Meine Damen und Herren, zum Thema Gammelfleisch werden wir in der nächsten Woche im Ausschuss vorstellen, was wir von unseren 13 Punkten wie umgesetzt haben und was möglicherweise auf europäischer Ebene noch zu leisten ist. Aber eines mache ich bereits heute deutlich: Wir müssen mit der Übung aufräumen, dass bei jedem Vorkommnis - es gibt nicht an jedem Tag ein Vorkommnis; das ist eher selten - reflexartig nach neuen Paragrafen gerufen wird. Denken Sie bitte daran, dass jeder neue Paragraf die Anständigen in dieser Szene bestraft. ({11}) Es ist übrigens in allen Bereichen des Strafrechts selbstverständlich, dass man Rechtsumgehungen oft nur mithilfe der Bevölkerung aufklärt. Daher habe ich großen Respekt vor dem Lkw-Fahrer, der trotz einer gewissen arbeitsrechtlichen Gefährdung für sich selbst die Zivilcourage aufgebracht hat, zu erklären, er mache da nicht mehr mit. ({12}) - Ja, Herr Kollege, mein Staatssekretär ist beauftragt, zu schauen, für welche öffentliche Auszeichnung wir den Lkw-Fahrer vorschlagen können. Das hat er auch verdient. ({13}) Ein zweiter Grund, warum ich dagegen bin, dass man in diesem Bereich schon wieder reflexartig nach Paragrafen und Richtlinien ruft, ist, dass es in diesem Fall Hinweise der Nachbarschaft gegeben hat. Für solche Fälle einer komplexen Gesetzesumgehung haben die Bayern eine interdisziplinär besetzte Taskforce eingerichtet, die sich nicht darauf beschränkt, Fleisch optisch zu begutachten oder Laboruntersuchungen auszulösen, sondern die das tun kann, was hier notwendig gewesen wäre. Wenn 100 Tonnen und mehr Fleisch innerhalb Deutschlands verfrachtet werden, diese Verfrachtung aber in den Büchern nicht festgehalten wird, dann bedarf es einer sehr intelligenten, bei den Finanzämtern üblichen Durchforschung der Bücher. Wie kann es sein, dass 150 Tonnen, 180 Tonnen Fleisch verfrachtet werden, aber der Eingang und möglicherweise auch das Geld für dieses Fleisch in den Büchern nicht zu finden ist? Um so etwas nachzuvollziehen, muss man sich einige Tage hinsetzen. Dafür haben die Bayern die interdisziplinäre Gruppe. Nur, wenn die örtliche Behörde - das hat jetzt nichts mit der Bayerischen Staatsregierung zu tun diese Taskforce nicht anfordert, weil man glaubt, man könne das Feuer aus eigener Kraft löschen, obwohl man Hilfe von außen braucht, dann hilft der schönste Paragraf nichts. Das ist in diesem Fall der zentrale Punkt. ({14}) Deshalb bin ich froh, dass die Sonne, die aufgegangen ist, als ich an das Rednerpult getreten bin, bis zum Ende meiner Rede geschienen hat. Herzlichen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hans-Michael Goldmann spricht jetzt für die FDPFraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer! Liebe Kollegen Parlamentarische Staatssekretäre! Herzlichen Glückwunsch, Ulla Heinen! Ich habe dir sogar einen Brief geschrieben, weil ich diesen Glückwunsch fristgerecht zum Ausdruck bringen wollte. Denn wir werden sicherlich noch Diskussionen haben, bei denen wir in der Sache unterschiedlicher Auffassung sind. Herr Minister Seehofer, Sie haben eben zum Schluss so flapsig zwei, drei Sätze zu Gammelfleisch und Vogelgrippe gesagt. Wissen Sie, das ist der Kardinalunterschied zwischen meiner Arbeitshaltung und Ihrer: Ich beschäftige mich zunächst mit den wichtigen Dingen, die die Menschen beschäftigen, mit den Dingen, die Auswirkungen haben. ({0}) Der erneute Gammelfleischskandal - interessanterweise wieder in Bayern - hat Auswirkungen auf die gesamte Branche, hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in diesem Bereich. Das Problem der Vogelgrippe berührt eine große Anzahl von Menschen. Wenn ein paar Hunderttausend Tiere getötet werden müssen, geht das an den Menschen Gott sei Dank nicht spurlos vorüber. Deswegen ist es Ihre Kernaufgabe, sich in besonderer Weise diesen Aufgabenfeldern zu widmen. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang im Rahmen einer sogenannten Halbzeitbilanz einmal sagen, was bei Ihnen herumgekommen ist. Denn das ist erschreckend wenig, es ist enttäuschend. ({1}) Nehmen wir das Beispiel Gammelfleisch. Sie waren es doch, Herr Minister Seehofer, der das Aktionsprogramm erfunden und die Sofortzusammenkunft organisiert hat, und Sie sind es doch, der mit einem bescheidenen - um es vorsichtig zu formulieren - Verbraucherinformationsgesetz keine Schranke eingeschoben hat, die uns hilft, den - wenigen - kriminellen Elementen in diesem Bereich zu begegnen. Herr Minister Seehofer, Sie hätten doch die Möglichkeit gehabt, das Fleisch einfärben zu lassen. Es ist doch falsch, wenn Sie sagen, dass Sie das nicht hätten tun dürfen. Es ist schlicht falsch, wenn Sie erklären, dass es den kriminellen Elementen nicht entgegengestanden hätte, wenn Sie das Fleisch hätten einfärben lassen. Veterinäre haben dieses Fleisch wieder freigegeben. Wenn es eingefärbt gewesen wäre, hätte man es nicht freigeben können, und es wäre eben nicht dort gelandet, wo es den Menschen Schaden zufügt. Wenn Sie jetzt erklären: „Super, klasse, diese Taskforce vor Ort!“, dann sage ich Ihnen: Sie waren es doch, der die Bundestaskforce wollte. Ich habe Ihnen gesagt, dass das dummes Zeug ist, weil sich die Situation vor Ort durch Leute, die einreisen, nicht kontrollieren lässt. Sie muss vor Ort im Auge behalten werden. Beim Thema Gammelfleisch haben Sie also bis jetzt versagt. ({2}) Ich kann Sie nur dringend bitten, deutliche Verbesserungen herbeizuführen. Nehmen wir das nächste Thema, die Vogelgrippe. Ich habe Sie gestern Abend auf Phoenix gesehen. Es ist nicht so, wie Sie es darstellen: dass man sich gegen Impfungen sperren müsse. Wir müssen uns auf den Weg machen, zu impfen. Das hat man zur Bekämpfung der Schweinepest gemacht, das muss man zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche machen, und das muss man auch bei der Vogelgrippe machen. Es ist eben nicht mehr so, dass das Virus irgendwann vorbeikommt; das Virus ist permanent unter uns. Deswegen müssen wir die hochunternehmerischen Bereiche, aber auch die anders orientierten Bereiche - die Freilandhaltung zum Beispiel, die Vogelzüchtung, die Hobbyhaltung, die Zootierhaltung durch Impfen schützen. Da müssen wir einmal über den Tellerrand hinausschauen. Wir können doch nicht so tun, als ob die Niederländer mit ihrem Impfen ein bisschen blöd wären. Die Niederländer gehen intelligente Wege. Diesen intelligenten Wegen müssen wir gemeinsam den Weg ebnen und dafür sorgen, dass dies auf europäischer Ebene und international Anerkennung findet. Wir müssen verhindern, dass ein Land aus Eigeninteresse nicht geimpftes Material nicht mehr von uns abnehmen will - nicht aus Angst davor, dass die Vogelgrippe eingeschleppt wird, sondern um einen Marktvorteil missbräuchlich zu nutzen. Dafür müssen Sie sich auf europäischer Ebene einsetzen. Dann brauchen Sie auch nicht mehr die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung der ländlichen Räume einzusetzen. Der ländliche Raum kann sich dann nämlich aus eigener Kraft stärken. Unser politischer Ansatz sollte darin bestehen, unternehmerischen Landwirten Rückenwind zu geben und sie bei den anstehenden Herausforderungen zu unterstützen. ({3}) Ich will noch einen anderen Bereich ansprechen. Das ist, um ganz ehrlich zu sein, eine Geschichte wie aus dem Tollhaus. Dass Sie in einer Situation, in der ganz Deutschland über die Milchquote diskutiert, kein Wort zu Ihrer Position zur Milchquote sagen, ist ein Witz. ({4}) Wie soll denn ein deutscher Landwirt Vertrauen in Ihre Arbeit und in die Rentabilität seiner Investitionen bekommen, wenn Sie zu diesem Komplex nicht klipp und klar sagen, dass die Quote nichts gebracht hat und abgeschafft werden muss, damit unternehmerische Landwirte den Segen der globalen Entwicklung in diesem Bereich für sich in Anspruch nehmen können? ({5}) Wir haben es nicht mehr mit dem alten Problem der Überproduktion von Milch und Butter zu tun. Heute gibt es zu wenig Milch für gute Milchprodukte wie Butter. Wenn wir in unserem alten Quotensystem verharren, dann werden wir die Chance zur Weichenstellung für die Stärkung des ländlichen Raumes verspielen. Ich kann Sie aus meiner Sicht nur entschieden davor warnen, in dieser Frage Ihren Weg der Zögerlichkeit weiterzugehen. ({6}) Ich verstehe das auch nicht richtig. Dass Sie CSUVorsitzender in Bayern werden wollen, ist zwar Ihr gutes Recht, aber Sie können nicht Ihre fachliche Position an dieser persönlichen Interessenlage ausrichten. Sie können von mir aus der Meinung sein, der beste CSU-Vorsitzende zu sein. Aber Sie können nicht auf dem Deutschen Bauerntag in Bamberg den Ausstieg aus der Quote ankündigen und feststellen, dass Sie die Position des Deutschen Bauernverbandes in Begleitung dieses Ausstiegs akzeptieren, um dann kurze Zeit später Ihre eigene Position grundsätzlich infrage zu stellen und zu signalisieren, dass Sie noch nicht wissen, ob Sie am Ausstieg aus der Quote festhalten wollen. Das führt zu dem, was in der Landwirtschaft gegenwärtig festzustellen ist. Der Landwirtschaft geht es trotz Ihrer Politik zurzeit sehr gut, weil die globale Entwicklung hervorragend ist. ({7}) Ja, das ist so. Du kommst doch viel herum, Peter, und weißt selber, wie die Landwirte über die Politik von Herrn Seehofer denken. Das wissen wir alle. Wir brauchen uns doch nichts vorzumachen. Sie sind maßlos enttäuscht. ({8}) Das wird auch in den Fachkreisen transportiert. Sie sind deshalb enttäuscht, weil in Deutschland nicht konsequent die Weichen für gutes, praktisches Handeln mit der Chance zur Teilhabe an der globalen Expansion im Lebensmittelbereich im Hinblick auf Qualität und Sicherheit gestellt werden. ({9}) Diese Weichenstellung ist erforderlich. Die Weichen werden aber nicht über den Haushalt, sondern über eine gute, zukunftsorientierte Politik gestellt. Dabei sind Sie aber aus meiner Sicht und aus der Sicht der FDP fast alles schuldig geblieben. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte schon den Eindruck, wir diskutieren über den Agrarbericht. Aber soweit mir bekannt ist, beraten wir heute den Haushalt. Insofern danke ich Ihnen, Herr Minister Seehofer, dass Sie den Haushalt kurz umrissen haben, und möchte nach der Rede von Herrn Goldmann auch wieder auf den Haushalt zurückkommen. Wir haben einen Aufwuchs von 108 Millionen Euro. Das sichert - darauf hat Herr Minister auch hingewiesen auf jeden Fall die Beiträge für die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Damit bin ich schon beim ersten Punkt im Haushalt angelangt. Wir haben darin etwas unterschiedliche Auffassungen. Das haben Sie auch schon deutlich gemacht. Wir haben - das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt - eine große Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung vor uns. Das hatten wir uns in die Hand versprochen. Was wurde uns in diesem Sommer präsentiert? Wir haben eine Einigung bekommen, die mithilfe der Bundesländer möglich war. Das heißt, wir bekommen keine große, fortschrittliche Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Wir hatten schon in den vergangenen Legislaturperioden an dieser Stelle zu kämpfen. Mein Appell geht nicht an das Ministerium. Die Verantwortung dafür, dass der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nach 2009 Beitragssatzsteigerungen ins Haus stehen, haben vielmehr die Bundesländer. So geht es nicht weiter. Es kann nicht sein, dass der Bund ständig die Mittel in voller Höhe bereitstellt. Schließlich haben die Bundesländer die Hoheit über die Aufgabenverteilung. Aber sie tun nichts. Sie wollen sogar noch einen Lastenausgleich bei der Beitragsgestaltung. Nicht mit diesem Parlament! ({0}) Ich glaube, dass die Bundesländer hier in Zukunft noch etwas zu tun haben. Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Ökolandbau. Biologische Produkte erleben einen riesengroßen Boom in Deutschland. Sicherlich hätten die Bauern in den letzten Jahren hier viel stärker ins Feld ziehen können. Wir importieren nun viele Biolebensmittel. Das finde ich sehr schade. Dennoch ist es nicht der richtige Weg, hier die Mittel zu kürzen, sodass nur noch 10 Millionen Euro für den Ökolandbau vorgesehen sind. Wir haben im parlamentarischen Verfahren bis zur zweiten und dritten Lesung des Haushalts die Möglichkeit, Korrekturen vorzunehmen. ({1}) Ich hoffe, dass wir uns in den Fraktionen über einen zukunftsweisenden Weg im Ökolandbau verständigen. Damit komme ich zum nächsten Punkt, zu den nachwachsenden Rohstoffen. Wir alle wissen, dass es eine Konkurrenz zwischen Lebensmitteln und Tierfutter einerseits sowie nachwachsenden Rohstoffen für Biotreibstoffe und Biogasgewinnung andererseits gibt. Wir können dem entgegentreten, indem wir sagen: Orientiert euch doch an Bio; wir helfen euch seitens des Bundes zumindest auf gleichem Niveau weiter. Ich denke, das ist eine Möglichkeit, noch eine Marke zu setzen. ({2}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist ein breitbandiger Internetzugang. Das ist etwas ganz Neues. Die SPD hat schon seit Jahren gesagt: Ländliche Entwicklung ist mehr als Landwirtschaft. Genau aus diesem Grund bedanke ich mich sehr herzlich, Herr Seehofer, dass Sie hier einen neuen Weg über die GAK gehen. Ich hoffe, dass wir die Möglichkeit bekommen, Mittel aus dem Strukturfonds und dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums zu akquirieren und so die weißen Flecken in Deutschland beim Internetzugang zu beseitigen. Die jungen Leute, die auf der Zuschauertribüne sitzen und vielleicht irgendwo in der Pampa wohnen, - ({3}) - Okay, der Lacher ist auf Ihrer Seite. Aber nun habe ich Ihre volle Aufmerksamkeit. Auch ich komme aus dem ländlichen Raum. Ich revidiere mich. Wenn man sich mit Studenten unterhält, stellt man manchmal fest, dass viele in die nächstgrößere Stadt ziehen müssen, weil sie ohne Internetzugang keinen Arbeitsplatz zu Hause einrichten können. Das ist ein wichtiger Punkt. ({4}) Der letzte Punkt, den ich aus dem Haushaltsentwurf aufgreifen will, ist der Klausurtagung des Kabinetts geschuldet. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat für die Regierung die Klimaschutzziele ziemlich hoch gehängt. Ich glaube, dass wir der Landwirtschaft Antworten für die Zukunft geben können. Ich erwähne das Biomasseforschungszentrum. Wir haben den Weg für Forschung und Entwicklung frei gemacht. Ich glaube, dass es wichtig und richtig ist, hier ganz entschieden vorzugehen und auf der einen Seite Monokulturen in Deutschland zu verhindern - das ist eine Aufgabe -; auf der anderen Seite müssen wir aber darauf achten, den Raubbau in den ärmsten Ländern der Welt zu verhindern. Daher ist die Zertifizierung ein wichtiger Punkt. Wir müssen im Zusammenhang mit der künftigen EEG-Novelle über alle biologischen Restprodukte nachdenken, angefangen von Waltraud Wolff ({5}) Rübenhackschnitzeln über Getreideschlempe bis hin zu tierischen Fetten, und wir müssen sehen, was wir für die Treibstoffgewinnung und die Energiegewinnung festlegen können. Der Einzelplan 10 ist kein spektakulärer Haushaltstitel in diesem Jahr, aber wir können unsere Arbeit ganz solide fortsetzen. Deshalb lade ich Sie ein, bei den Beratungen mitzumachen und in der zweiten und dritten Beratung unserem Haushaltsplan zuzustimmen. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Roland Claus hat jetzt das Wort für die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, ich finde es völlig in Ordnung, dass wir die Haushaltsberatungen für das Jahr 2008 mit dem Etat für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz beginnen, hat doch schließlich schon Karl Marx festgestellt, dass sich der Mensch erst ernähren und kleiden muss, ehe er sich mit Politik, Religion und Philosophie beschäftigen kann. ({0}) Nun erklärt uns der Minister, der Aufschwung sei überall, auch auf dem Lande. Ich habe es täglich mit einer Uns-geht-es-gut-Berichterstattung zu tun. Wenn man sich heute einmal die Mühe macht, eine Tageszeitung von vor 18 Monaten zu lesen, dann hat man den Eindruck, man lebe in einer ganz anderen Republik. Die Menschen im ländlichen Raum allerdings - ich werde nicht über Einzelheiten reden; das werden auch Sie wissen - fragen sich: Wann kommt dieser Aufschwung zu uns, wann gelingt es uns, den Abwanderungstrend zu stoppen, wann kommt das, was die Regierung als Erfolg und Fortschritt verkündet, tatsächlich bei mir an? Sie erleben es nicht in dem Maße. ({1}) Man muss nach wie vor ausdrücklich darauf hinweisen, dass Beschäftigte in der Landwirtschaft benachteiligt sind. Wir haben es mit einem durchschnittlichen Monatsverdienst von 1 550 Euro zu tun. Das ist gerade einmal ein bisschen über dem, was meine Fraktion als Mindestlohn fordert. Der Verdienst liegt durchschnittlich 1 000 Euro unter den Verdiensten im verarbeitenden Gewerbe. Deshalb sage ich Ihnen: Ein Aufschwung - auch wenn sie ihn noch tausendmal predigen -, der bei den Leuten auf dem Lande nicht ankommt, hat diesen Namen nicht verdient. ({2}) Ich will deshalb eines der, wie ich finde, Grundprobleme dieser Regierungspolitik benennen. Ich glaube, dass bei Ihnen die Entwicklungslogik für die Metropolen mit der Entwicklungslogik für die ländlichen Räume nicht zusammenpasst. In der Äußerung des Ministers, dass man die ländlichen Räume jetzt wieder stärker beachten wolle, empfinde ich ein gewisses Verständnis für meine Kritik. Aber, Herr Minister, ich will auch so fair sein und Sie in Ihrem innerparteilichen Wahlkampf nicht mit meiner Zustimmung belasten. ({3}) Das, womit wir es zu tun haben und womit wir fertig werden müssen, sind ein Wettbewerbsdruck und ein Preiskrieg bei Nahrungsgütern und Futtermitteln, die zu einer Selbstausbeutung der Landwirte bei uns und zu erheblichen Naturzerstörungen in der sogenannten Dritten Welt führen. Deshalb muss immer wieder deutlich gesagt werden: Eine Globalisierung ohne soziale und ökologische Verantwortung gefährdet die Welt. Wir brauchen eine soziale Gestaltung der Globalisierung. Ein Beispiel: Biomasse als Energiequelle und nachwachsende Rohstoffe - 50 Millionen Euro Förderung; volle Unterstützung - sind aus dem belächelten Nischendasein zu einem dynamischen Wirtschaftsfaktor geworden. Wir sehen jetzt aber auch die Grenzen. Fast 20 Prozent der Ackerflächen werden bereits für die Erzeugung dieser nachwachsenden Rohstoffe genutzt, bei einem Anteil von 3 Prozent an der Gesamtenergieerzeugung. Selbst wenn man jeden Quadratmeter Acker dafür nutzte, käme man nur auf einen sehr überschaubaren Prozentsatz des Gesamtaufkommens. Deshalb ist in der Tat die einzige Stellschraube, die uns zur Verfügung steht, die Effizienzsteigerung beim Einsatz von Biomasse. Deshalb ist es völlig richtig, dieses Forschungszentrum zu installieren. Ich finde es gut, dass es zum Standort Leipzig gefunden hat, nicht nur wegen der schlichten geografischen Verortung und unserer Zuständigkeit für die neuen Bundesländer, sondern auch deshalb, weil inzwischen ein riesiges Erfahrungspotenzial im Umgang mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen im Osten vorliegt, aber nicht abgerufen wird. ({4}) Wir sind der Meinung, dass, wenn man sich einmal die Herausforderung und ihre Größenordnung anschaut, diese 5 Millionen Euro zu wenig sind. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen - das wird Sie nicht wundern -, dass

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- die Agrargenossenschaften auch im Osten nicht benachteiligt, sondern weiter gefördert werden. Ich möchte, da nicht nur in meinem Wahlkreis die fünfte Jahreszeit, also die Weinlese, angebrochen ist, eine letzte Bitte an den Herrn Minister richten: ({0}) Lassen Sie uns gemeinsam noch einmal etwas dafür tun, dass die europäische Weinmarktordnung nicht so wird, wie es der Entwurf noch vorsieht. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Cornelia Behm für Bündnis 90/Die Grünen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir bitte, dass ich zuerst Frau Heinen ganz herzlich zu ihrem neuen Amt gratuliere. Jetzt komme ich aber zum Haushalt. Herr Minister, Sie versuchen auch bei Ihrem dritten Agrarhaushalt, durch Buchungstricks und Intransparenz von den Unzulänglichkeiten Ihrer Finanzpolitik abzulenken. ({0}) - Ich werde Ihnen dazu einiges erzählen. - Die vollmundig verkündete Aufstockung der Mittel für die Förderung des ländlichen Raumes um 45 Millionen Euro entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein ungedeckter Scheck. Denn der Haushaltsentwurf für das Jahr 2008 weist den gleichen Ausgabenposten aus wie der für das laufende Jahr, nämlich 615 Millionen Euro. Er wird lediglich durch die Bemerkung ergänzt, dass eine Erhöhung der Mittel um 45 Millionen Euro durch Vermögensverkäufe möglich ist. Versprechungen auf der Grundlage ungedeckter Schecks sind jedoch keine Aufstockung. ({1}) Es ist auch kein Ausdruck von Ehrlichkeit, wenn Sie sich mit dem Argument zu schmücken versuchen, dass das die erste Aufstockung der GAK seit vielen Jahren wäre. Herr Minister, ich darf Sie daran erinnern, dass seit Ihrer Regierungsübernahme für die zweite Säule jährlich 400 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen als zu rot-grünen Zeiten. Damit entziehen Sie vielen arbeitenden Menschen auf dem Lande ihre Lebensgrundlage. Herr Minister, mit einem Placebo ändern Sie überhaupt nichts. Aber gleichzeitig binden Sie Mittel der Gemeinschaftsaufgabe für neue Infrastrukturprogramme. Das fasse ich nicht. Auch uns Grünen liegt die flächendeckende Anbindung der ländlichen Räume in Deutschland an das Breitbandnetz am Herzen. ({2}) Das betrifft im Übrigen auch die von Ihnen erwähnte Energieversorgung, also die Versorgung durch Nahwärmenetze. Aber, Herr Minister, der ländliche Raum ist eine Querschnittsaufgabe. Da frage ich mich schon, warum Sie nicht Ihren Kollegen Tiefensee in die Verantwortung nehmen und stattdessen das Geld aus der GAK herausziehen. ({3}) Schon jetzt reichen die Mittel für das vorhandene Förderangebot nicht aus. Ich möchte nur kurz die stark gesunkenen Förderprämien für den Ökolandbau erwähnen. Dadurch haben unsere Landwirte wichtige Marktanteile in Deutschland verloren. Das Ergebnis Ihrer Politik ist Jahr für Jahr gleich: Die zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik wird konsequent abgewickelt. Ich komme zur Unfallversicherung der Landwirte. Da wenden Sie das Prinzip an, das Sie auch schon bei der GAK anwenden: Intransparenz und Verscherbelung von Vermögen. Sie wollen die Hälfte des Ansatzes, 100 Millionen Euro, durch Veräußerungserlöse finanzieren. Wer die Sozialversicherungssysteme über den erhofften Verkauf von Vermögenswerten des Bundes finanziert, handelt aber nicht seriös. Zumal Sie bis 2009 weitere 400 Millionen Euro für die Abfindung von Kleinrenten brauchen. Es ist wohl nicht ganz zufällig, dass Sie dieses Geld im Haushalt nicht ausweisen. Liebe Kollegen, schauen Sie in den Haushalt einmal hinein! Von Haushaltswahrheit und -klarheit halten Sie, Herr Minister, offensichtlich gar nichts. Wenn Sie Ihr Haus spätestens 2009 verlassen müssen, werden Sie sein Vermögen durchgebracht haben. Mit verantwortungsvoller Politik hat das nichts zu tun. ({4}) Man sollte sich in diesem Zusammenhang einmal den 21. Subventionsbericht der Bundesregierung anschauen. Die Bundesregierung verkündet stolz eine Senkung der Subventionen im Agrarbereich von 1,3 Milliarden Euro auf 0,9 Milliarden Euro zwischen 2005 und 2008. Das hat den Deutschen Bauernverband sofort veranlasst, darauf hinzuweisen, dass die Landwirtschaft überproportional zum Subventionsabbau beiträgt. Doch schaut man in die Haushaltsvermerke, dann stellt man fest, dass die - vermeintlich gestrichenen - Subventionen für die landwirtschaftliche Unfallversicherung nicht nur nicht korrekt bilanziert werden, sondern auch in einer Fußnote wieder auftauchen. Diese Verschleierungstaktik fruchtet. Zumindest den Verfassern des Subventionsberichts ist nicht aufgefallen, dass sie die Agrarsubventionen in Wirklichkeit gar nicht verringern. Kommen wir noch einmal zum ökologischen Landbau. Dieser scheint Ihnen außerhalb von Fototerminen wirklich ein Dorn im Auge zu sein. Nach den Kürzungen um 4 Millionen Euro im Bundesprogramm Ökologischer Landbau im letzten Jahr setzen Sie nun noch eins drauf und streichen weitere 6 Millionen Euro. Damit haben Sie die Mittel dieses Haushaltstitels innerhalb von zwei Jahren halbiert. Sie strafen damit Ihre eigenen Ankündigungen, alle Landwirtschaftsbereiche gleich zu behandeln, Lügen. Sie tun das Gegenteil dessen, was Sie angekündigt haben: Sie stellen weniger Geld für die Forschung im boomenden Ökolandbau und mehr Geld für die von der Bevölkerung abgelehnte Agrogentechnik zur Verfügung. Herr Minister, ich frage Sie: Ganz ehrlich, wessen Interessen vertreten Sie eigentlich? ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Georg Schirmbeck hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich war als Parlamentsabgeordneter schon einmal Mitglied einer Oppositionsfraktion. Daher kann ich mich in die Situation der Opposition ein bisschen hineindenken. Es gehört zum demokratischen Kräftespiel: Für eine Opposition ist nichts schlimmer, als dass der Regierung etwas gelingt. Wir haben einen Bundesminister, dem etwas gelingt. ({0}) Alles, was er anfasst, gelingt ihm. ({1}) Herr Goldmann, ich finde es toll, dass Sie in so einer Situation als Liberaler sagen: Es gibt da immer noch einen Kriminellen, der mit Gammelfleisch handelt. Wenn es doch noch solch einen Kriminellen gibt, will ein Liberaler dann jeden Tag ein neues Gesetz oder eine neue Verordnung erlassen? Ein Liberaler vertraut doch erst einmal den Menschen! Auch wenn man noch so spezielle Gesetze verabschiedet, wird man immer wieder feststellen, dass es einige gibt, die ausbüxen und das machen, was sie eigentlich nicht machen sollen. ({2}) Herr Claus, ich wollte eigentlich einen ganz anderen Schwerpunkt setzen; aber Sie haben mich dazu animiert, auf etwas anderes einzugehen. Sie haben gesagt - ich sage es mit meinen Worten -: Erst kommt das Fressen, und dann kommen Ethik, Moral und Religion. Darauf möchte ich Ihnen entgegnen: Da, wo ethisch, moralisch und religiös alles am Boden liegt, hilft auch das beste Fressen nicht mehr; da geht es in die Pampa, da geht es den Berg runter. ({3}) Ich bringe Ihnen einmal ein Beispiel. Ich habe einen Freund. Er heißt Albert Focke. Er ist Landrat in einem Landkreis in Norddeutschland, im Landkreis Vechta. Da sind die Kirchen voll. Da werden die meisten Kinder in Deutschland geboren. Da boomt die Landwirtschaft. Da boomt die Landtechnik. Da boomt alles, was wir bei diesem Einzelplan zu bereden haben. Ich sage Ihnen: Vielleicht hat das doch eine Verbindung, nämlich dass da, wo ethisch-moralisch-religiös die Dinge voreinander sind, auch gesellschaftlich alles voreinander ist. Ländlicher Raum ist nicht Pampa, sondern eigentlich der Bereich, wo neue Entwicklungen, neue Ideen entstehen, wo Zukunft gestaltet wird. ({4}) Lieber Michael Goldmann, ich war gestern beim Landesbauerntag. Ich kenne da viele Leute oder sogar die allermeisten. Da war beste Stimmung. ({5}) Es wird Geld verdient, unternehmerisch Geld verdient. Das ist eine tolle Sache. Die einzelnen Aspekte müssen wir unterstützen. Das heißt überhaupt nicht, dass überall heile Welt ist. Natürlich haben die Ferkelzüchter Probleme. ({6}) Da muss man sich im Detail anschauen, was man an der einen oder anderen Stelle tun kann. Es gibt in diesem Bereich aber auch Unternehmer, die sagen: Tut uns einen Gefallen: Fangt nicht an, irgendetwas zu reglementieren! Der unternehmerische Landwirt will in Ruhe gelassen werden, will sich seine Märkte suchen können, will etwas gestalten können. ({7}) Er will nicht jeden Tag irgendein neues Gesetz oder eine neue Verordnung von uns. ({8}) Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Ernährungswirtschaft boomen. Wir waren mit einer Delegation des Haushaltsausschusses in Kiew. ({9}) Wir haben uns auch in Russland angesehen, wie sich Landwirtschaft dort entwickelt. Wir können feststellen, dass die deutschen Berater, die wir über diesen Einzelplan finanzieren, da nicht nur gute Arbeit leisten, sondern sogar die beste Investitionsförderung betreiben, die überhaupt denkbar ist. Sie sorgen dafür, dass deutsche Landmaschinen, deutsche Forsttechnik, deutsches Saatgut, deutsche Pflanzen, deutsche Produktionsverfahren und -anlagen sowie deutsche Tiere dort begehrt sind und nach dorthin verkauft oder exportiert werden. Voraussetzung dafür, dass diese Geschäfte weiter boomen, sich weiterentwickeln, ist, dass wir eine liberale Handelspolitik betreiben. ({10}) Dazu gehört auch, dass wir uns einmal überlegen, ob die Visapolitik, ({11}) die wir in diesem Zusammenhang betreiben, so ist, wie sie für diese Unternehmen sein müsste. Wenn wir in Kiew und in Moskau neun Wochen brauchen, damit ein ukrainischer Unternehmer bei Claas in Harsewinkel einen Mähdrescher kaufen kann, dann ist irgendetwas falsch. Wenn unsere Botschaft in der Ukraine Claas in Harsewinkel quasi auf eine Liste setzt, sodass die keine Handelsbeziehungen mehr pflegen können, dann ist etwas falsch. Das haben uns beide Botschafter dort vorgetragen. Das sind Handelshemmnisse, die vom Auswärtigen Amt verursacht werden. Wenn ich nach einem Vierteljahr vom Auswärtigen Amt dazu noch keine zufriedenstellende Stellungnahme habe, dann ist das etwas, was ich auch als Vertreter der Regierungskoalition hier kritisieren muss. ({12}) Wir haben im Zusammenhang mit diesem Einzelplan zu reden über Projekte wie „Ernährung und Bewegung“, wirtschaftlichen Verbraucherschutz, Mittel für Küstenschutz und Schutz vor Binnenhochwasser, mittelfristige Finanzplanung für die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, Breitbandversorgung im ländlichen Raum, vor allen Dingen die Baumaßnahme des FriedrichLoeffler-Instituts auf der Insel Riems und die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Seien wir doch mal ehrlich! Man kann natürlich über alles polemisch reden. ({13}) Ich nehme aber einmal das Beispiel der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Wir alle wissen, dass wir gerade bei diesem Punkt auch regionale Probleme haben, weil es regional sehr unterschiedliche Strukturen gibt. Deshalb ist es schwierig, hier einen gerechten Ausgleich zu finden. Ich bin sicher, dass Ernst Bahr und ich, unterstützt durch die Fachleute, nach ausgiebigen Diskussionen einen guten Weg finden werden. Wir werden in der zweiten und dritten Beratung gute Vorschläge machen. Ich freue mich auf die Beratungen in den Fachausschüssen. Herzlichen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Edmund Geisen spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Würde ich meine Rede aus dem letzten Jahr hier halten niemand würde es merken. Immer noch stehen die gleichen ungelösten Probleme auf der Agenda: Gammelfleisch, Vogelgrippe, LUV, also landwirtschaftliche Unfallversicherung, Erntehelferregelung, Grüne Gentechnik usw. Aus dem frischen Reformwind, der mit Horst Seehofer in die Agrarpolitik Einzug halten sollte, ist eine echte Reformflaute geworden, ({0}) vielleicht auch deswegen, weil anscheinend hinter den Kulissen die schwarz-roten Auseinandersetzungen zum Teil orkanartige Ausmaße angenommen haben. ({1}) - Scherz beiseite. - Fakt ist, dass viele für die Landwirte existenziellen Themen entweder nur halbherzig angegangen wurden oder es sogar zu Verschlechterungen kommt, so bei der Gesundheitsreform, bei der Biodieselbesteuerung oder ganz aktuell bei den Plänen zur Erbschaftsteuer. Wirksame Reformen sehen anders aus, meine Damen und Herren! ({2}) Nun zum Dauerbrenner „landwirtschaftliche Unfallversicherung“: Es ist meines Erachtens ein Trauerspiel, mit ansehen zu müssen, wie diese schwarz-rote Koalition mit groß angekündigten Reformvorhaben umgeht. ({3}) Verehrter Herr Minister, Ihre Reformschwäche geht sowohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haushalts und damit zulasten aller Steuerzahler. Ihre Abfindungsaktion für Kleinrenten ist für mich reine Geldverschwendung. ({4}) Sie stecken in den nächsten beiden Jahren 800 Millionen Euro in ein längst nicht mehr finanzierbares System und werden sich wundern, wenn wir 2010 erneut vor leeren Kassen stehen werden. Die FDP setzt sich stattdessen mit ihrem Vorschlag zur Kapitaldeckung ({5}) für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit Steuermitteln ein. ({6}) Sehr verehrte Damen und Herren, wir stehen wieder vor der Obst- und Weinernte. Wieder müssen wir feststellen: Die Eckpunkteregelung ist ein Flop. ({7}) Davon konnte ich mich bei der Kirschernte im Rheinland selbst überzeugen. Sie hilft nicht den Arbeitslosen, nicht den Saisonarbeitskräften, nicht den Bauern. Nein, sie verdirbt wieder die Ernte. ({8}) Die FDP-Fraktion fordert erneut: erstens weg mit der Eckpunkteregelung, zweitens volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU und drittens bilaterale Vereinbarungen mit Ländern wie Serbien, Weißrussland und der Ukraine. ({9}) Haushalterisch gesprochen: Geben Sie den Landwirten endlich ihre unternehmerische Freiheit zurück, dann brauchen Sie sich auch nicht ständig für Ihre Subventionspolitik zu rechtfertigen. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich noch davor warnen, vor lauter Klimawandelstrategien die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland aufs Spiel zu setzen. ({10}) Die FDP-Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass - bei allen berechtigten Forderungen zum Klimaschutz - auch in Zukunft die Erzeugung gesunder Nahrungsmittel zu fairen Preisen möglich bleibt, faire Preise übrigens für beide Seiten: für die Landwirte ebenso wie für die Verbraucher. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mein letzter Satz: Die FDP hat im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz viele konkrete Lösungen vorgelegt. Auf Ihre Vorschläge, Herr Minister, warten wir noch, hoffentlich nur bis Ende September! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Heinen, auch von dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg in der neuen Aufgabe sowie uns eine gute Zusammenarbeit. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Welt jenseits von Gammelfleisch und Vogelgrippe. Ich möchte gerade im Zusammenhang mit diesem Haushalt die Aufmerksamkeit ein bisschen auf diese Welt lenken. Die Herausforderungen an eine aktive und gestaltende Verbraucherpolitik sind größer und wichtiger als je zuvor. Wir wissen, dass sich das Wirtschaftsleben auf globaler Ebene abspielt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen jetzt in vielen Bereichen zusätzlich Eigenverantwortung übernehmen, etwa im Bereich der Altersversorgung. Hierdurch ergeben sich neue Möglichkeiten und Chancen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch große Aufgabenfelder für die Verbraucherpolitik. Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat Minister Seehofer am 15. März die Charta Verbrauchersouveränität in der digitalen Welt vorgelegt. Damit hat er wichtige Standards für ein verbraucherfreundliches digitales Wirtschaftsleben benannt. Immer mehr wird das Internet zum Handelsplatz: Waren werden ersteigert, Onlinebankgeschäfte getätigt. Deshalb ist das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Informationstechnologie ein besonders wichtiger Aspekt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen darauf vertrauen können, dass die vertraulichen Daten geschützt werden. Verbraucherschutz und Datenschutz sind in der digitalen Welt inzwischen Zwillinge geworden. Wir brauchen faire Nutzungsmöglichkeiten für digitale Medien. Insoweit stehen wir vor einer Anpassung des Datenschutzes. Wir müssen die Verantwortlichkeiten von Diensteanbietern neu definieren und europaweite Vertragsstandards ermöglichen. Mit diesem Vorhaben hat die Bundesregierung insgesamt - denn hier sind verschiedene Ministerien beteiligt - deutlich gemacht, dass sie sich auf diesen Weg begeben will. Es ist - das wurde schon deutlich - sehr zu begrüßen, wenn im Haushalt 10 Millionen Euro eingestellt werden, um die Versorgung ländlicher Regionen mit Breitbandanschlüssen voranzutreiben. Viele Unternehmen sind auf diese Breitbandanschlüsse angewiesen. Es ist nicht hinnehmbar, wenn Regionen in Deutschland abgekoppelt sind. Das stellt für die Wirtschaft eine Wachstumsbremse dar. Strukturförderung und ländliche Entwicklung werden mit dieser Position im Haushalt in die richtige Richtung gedrängt. ({1}) Der Telekommunikationssektor ist ein weiterer für uns ganz wichtiger Bereich. Erst Anfang dieses Monats ist das neue Telekommunikationsgesetz in Kraft getreten, mit dem wir den Kundenschutz signifikant verbessert haben: Preisansageverpflichtung, Preistransparenz usw. Dennoch macht uns die Branche weiterhin Sorgen. Ich nenne nur drei Punkte: belästigende und verbotene Telefonwerbeanrufe, das Problem ewiger Warteschleifen bei Hotlines - der Minister hat es vor kurzem angesprochen - und Callcenter, die aggressive Verkaufsstrategien verfolgen. Günter Wallraff hat in seinem neuesten Buch die Praktiken und Arbeitsbedingungen der schwarzen Schafe in dieser Branche deutlich beschrieben. Ihnen muss das Handwerk gelegt werden. Deshalb wird diese Bundesregierung entschieden gegen die sogenannten Cold Calls vorgehen. Eine Rufnummerunterdrückung darf es in Zukunft nicht mehr geben. ({2}) Wer gegen das bereits jetzt geltende Verbot im UWG verstößt, muss mit Bußgeld belegt werden. Wir müssen alle Verträge, die telefonisch geschlossen werden, ausnahmslos einem Widerrufsvorbehalt unterziehen. Darüber hinaus lassen sich weitere zivil- und vertragsrechtliche Möglichkeiten denken. Aber auch die Wirtschaft muss stärker Verantwortung übernehmen. Werbestrategien einzelner Unternehmen müssen überdacht werden. Die Unternehmen müssen sich zu bestimmten Standards verpflichten. Es muss Zertifizierungen für Callcenter geben. Wir dürfen die Wirtschaft hier nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Das Gleiche gilt für die Warteschleifenproblematik; jeder kennt sie. Es ist unerträglich, wenn man, während der Gebührenzähler tickt, 95 Knöpfe drücken und zehn Minuten warten muss, bis man, wenn man Glück hat, endlich ein menschliches Wesen auf der anderen Seite am Apparat hat. Das kann auf Dauer so nicht funktionieren. ({3}) Verbraucherpolitik ist und bleibt Querschnittsaufgabe. Daher will ich nicht versäumen, der Bundesministerin Frau Zypries ausdrücklich dafür zu danken, dass sie mit ihrem Entwurf einer Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens und dem geplanten Pfändungsschutzkonto eine Verbesserung für viele überschuldete Menschen in unserem Land durchsetzen wird. Damit wird es in Zukunft auch sehr viel einfacher werden, das Recht auf ein Girokonto für jedermann gegenüber den Banken durchzusetzen. In der Energiepolitik sind wir mit einer Vielzahl von gesetzlichen Initiativen und Maßnahmen auf einem guten Weg zu einem funktionierenden Wettbewerb. Energiewirtschaftsgesetz, Unbundling, Missbrauchsaufsicht im GWB, Vorschriften zur Verbesserung im Bereich des Anbieterwechsels, zur Anreizregulierung und zur Kraftwerks-Netzanschlussverordnung seien hier genannt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verbraucherpolitik ist bei dieser Bundesregierung in guten Händen. Wir werden auch in Zukunft gemeinsam daran arbeiten, sie voranzubringen. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt gebe ich Karin Binder für Die Linke das Wort. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Unsere Debatte über den Haushalt des Verbraucherschutzministeriums wird auch in diesem Jahr von unerfreulichen Ereignissen überlagert. Mittlerweile liegen Meldungen über mehr als 220 Tonnen Gammelfleisch in Bayern, Berlin und Schleswig-Holstein vor. Widerlich! Hatten wir vor einem Jahr nicht die gleiche Situation? Auch damals war die Haushaltsdebatte von einem Ekelfleischskandal geprägt. Herr Minister Seehofer hat uns auch während der letzten Debatte erläutert, dass sein Maßnahmenpaket bereits weitgehend realisiert sei. Ich frage nun: Wenn das damalige 10-Punkte-Programm des Ministers doch schon weitgehend realisiert war oder ist, wie kommt es dann, dass auch heute noch Fleischabfälle in der Gastronomie landen? Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher wird es Zeit, dass Schlachtabfälle auch als solche gekennzeichnet und eingefärbt werden. ({0}) Nur so werden sie mit einiger Sicherheit nicht mehr in den Verkehr gelangen. Diese Forderung kommt auch aus der internationalen Tagung der Lebensmittelkontrolleure, die zurzeit in Berlin tagt. Lebensmittelkontrollen müssen personell und materiell besser ausgestattet werden. Schulungen müssen für den aktuellen Kenntnisstand sorgen. Nur so können wir die Lebensmittelsicherheit langfristig verbessern. Wir brauchen dafür aber bundeseinheitliche Qualitätsstandards und endlich verbindliche, länderübergreifende Qualitätssicherungssysteme. ({1}) Dazu müssen die Verbraucherminister am kommenden Donnerstag verpflichtet werden. Von Ihnen, Herr Minister Seehofer, erwarten wir, dass Sie Ihre verfassungsgemäßen Kompetenzen ausschöpfen und auf Umsetzung drängen. Die hier oft beschworene Eigenkontrolle und Selbstregulierung der Lebensmittelindustrie funktioniert eben nur dürftig. Dies war in diesem Fall erneut sichtbar. Nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, auch die ehrlichen Firmen mit guten Produkten und hohen Qualitätsansprüchen würden von einer verbesserten Lebensmittelkontrolle profitieren. Sie würden ebenso von einem endlich umgesetzten Verbraucherinformationsgesetz profitieren. Die Behörden dürften dann bei Bekanntwerden solcher Probleme endlich öffentlich die Betrüger nennen. Leider aber parkt die schwarz-rote Bonsai-Version des VIG noch im Bundesrat. Für mich stellt sich dabei die Frage: Hat das Ministerium deshalb noch keine Mittel im Haushalt eingestellt, um das Gesetz einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen? Meine Damen und Herren, nur wer seine Rechte kennt, der kann sie auch in Anspruch nehmen. Damit das Gesetz seinen Zweck erfüllen kann, Markttransparenz herzustellen und die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu stärken, muss es kommuniziert werden. Das ist die Aufgabe der Regierung, und dafür müssen Mittel eingeplant werden. ({2}) Im vorliegenden Haushalt setzt das Ministerium verbraucherpolitisch fast ausschließlich auf Maßnahmen im Ernährungsbereich. Verbraucherschutz in wirtschaftli11418 chen und finanziellen Belangen oder bei den ständig neuen Kommunikationstechniken spielt damit so gut wie keine Rolle. Angesichts der Unzahl geprellter Anlegerinnen und Kreditnehmer, betrogener Telekommunikationsnutzerinnen, zugemüllter Mail-Accounts und abgefischter Kontodaten ist das nicht nur unzeitgemäß, sondern in jedem Fall ungenügend. Auch deshalb möchte ich am Ende meiner Rede auf die Verbraucherberatung eingehen. Wir alle sind uns darin einig, wie wichtig und unverzichtbar eine unabhängige Verbraucherberatung ist. Deshalb ist es dringend notwendig, dass die bestehenden Strukturen finanziell abgesichert werden. Das ist zwar nur bedingt über den Bund möglich, aber nicht einmal das, was möglich wäre, wird gemacht. Die Stiftung Warentest soll künftig zum Beispiel mit einer halben Million Euro weniger auskommen, obwohl auch ihre Aufgaben eher wachsen. Den Verbraucherzentralen wiederum wurde noch vor Kurzem signalisiert, dass man sich um die Finanzierung ihrer Projekte zum wirtschaftlichen Verbraucherschutz bemühen würde. Davon ist im aktuellen Zahlenwerk aber nichts zu finden. De facto fehlen hier 2,5 Millionen Euro. Das heißt, Personal muss entlassen und Angebote müssen eingestellt werden. ({3}) Wenn wir jetzt noch zwei Jahre warten müssen, bis eine Studie zur Finanzierung der Verbraucherberatung erstellt wird, dann sind die Strukturen der Verbraucherzentralen bis dahin zerbröselt. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wichtige Expertinnen und Experten sind dann abgewandert. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, dieser Haushalt bleibt weit hinter den aktuellen Anforderungen eines gesundheitlichen, wirtschaftlichen und digitalen Verbraucherschutzes zurück. Mit diesem Haushalt stärken Sie die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Die Haushaltberatungen 2008 finden zur Halbzeit der Legislaturperiode statt. Nach zwei Jahren kann man Bilanz ziehen. Die Bilanz nach zwei Jahren Seehofer sieht so aus: große Ankündigungen und kleine Taten. Die entscheidende Frage ist nämlich: Was kommt für die Menschen dabei herum? ({0}) Ich fand interessant, was Minister Seehofer zum Gammelfleischskandal gesagt hat. Das Einzige, was ihm bei diesem Skandal einfiel - immerhin der dritte während seiner Amtszeit -, war, dem mutigen Lkw-Fahrer herzlich zu danken. ({1}) Es war zwar gut, dass er ihm gedankt hat. ({2}) Aber ist es nicht ein Armutszeugnis, dass man auf mutige Lkw-Fahrer und mutige Mitarbeiter angewiesen ist, weil die Kontrollen nicht funktionieren? ({3}) Mit der Frage, warum die Kontrollen nicht funktionieren, muss sich die Politik beschäftigen. Herr Seehofer hat vor anderthalb Jahren selber gesagt: Wenn wir feststellen, dass es zu wenig Kontrolleure gibt, müssen wir selbstverständlich aufstocken. - Vor einigen Monaten hat auf meine Frage, wie es denn jetzt nun mit dem Personal sei, sein Ministerium zugeben müssen, dass der Bundesregierung keine konkreten Informationen über die Aufstockung des Personals bei den für die Durchführung der Lebensmittelüberwachung zuständigen Ländern vorliegen. Wer den Mund so voll nimmt, muss damit rechnen, dass seine Taten an dem gemessen werden, was er vorher gesagt hat. Da sieht die Bilanz sehr mager aus. ({4}) Nächster Punkt: Fahrgastrechte. Minister Seehofer hat im Juli 2006 angekündigt, er wolle eine Verbesserung bei den Fahrgastrechten. Was lese ich jetzt? Die Kollegin Zypries hat letzte Woche versprochen, ein Gesetz vorzulegen. Ankündigung, Ankündigung, Ankündigung. Das nützt den Menschen in diesem Land nichts. Sie werden an Ihren Taten gemessen und nicht an Ihren Worten. ({5}) Nächster Punkt: Bioprodukte. Die Verbraucherinnen und Verbraucher fragen immer mehr Bioprodukte nach. Was passiert? Immer mehr Bioprodukte werden aus dem Ausland eingeführt. Auch das ist eine schlechte Tendenz. Wer Bioprodukte kauft, will, dass diese Produkte in der Nähe produziert werden und dass unsere Bauern eine Chance haben, sie anzubauen. Auch das haben Sie verschlafen. Das ist nicht in Ordnung. ({6}) Nächster Punkt: Tierseuchen. Wir haben in den letzten Wochen erlebt, dass über 350 000 Tiere getötet werden mussten - die größte Tötungsaktion in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist das Ergebnis eines fehlenden Tierseuchenkonzeptes. Immer nur auf Tötungen zu setzen, ist nicht die Lösung. Schauen Sie auf die Niederlande! Dieses Land hat die größte Erfahrung mit Tierseuchen in der EU. Dort wird es anders gemacht; denn dort wird geimpft. Es wäre angemessen, auch in Deutschland freiwillige Impfungen durchzuführen. ({7}) Am Ende werden Sie, Herr Minister Seehofer, in der Tat daran gemessen, wie Sie öffentlich dastehen. Sie werden aber nicht an selbstgefälligen Reden und Schönrederei gemessen. Schauen wir einmal, wie die Öffentlichkeit mittlerweile über Sie urteilt. Sie, Herr Seehofer, haben selber gesagt, es gebe zwei Sorten von Menschen: Handwerker und Mundwerker. ({8}) Was haben Sie nicht alles verkündet! In der Monatszeitschrift Capital wurden Sie kürzlich als „Untätigkeitsminister“ bezeichnet. Untätigkeitsminister heißt in der Tat: viel ankündigen und wenig tun. Sie haben bewiesen, dass Sie mit dem Mund gut sind. Dass Sie aber Ihr Handwerk beherrschen, müssen Sie noch beweisen. ({9}) Es wäre für die Menschen gut, wenn es Ihnen gelingen würde. Bis jetzt fällt Ihre Bilanz sehr mager aus. Das ist schade; denn es ist nicht gut für die Bevölkerung in Deutschland. Danke schön. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Peter Bleser für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Manchmal kommt man sich vor, als wenn man im falschen Saal wäre. Frau Höhn, was Sie gerade vorgetragen haben, hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun. ({0}) Ich nenne das Thema Seuchen gleich beim Namen: Keine Bundesregierung zuvor hat so viel in das Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems investiert, wie diese es getan hat und noch zu tun vorhat. ({1}) Dort wird wissenschaftlich an der Lösung des in diesem Zusammenhang bestehenden Problems gearbeitet. Wenn es zurzeit keinen Markerimpfstoff gibt, dann kann man einen solchen auch nicht herbeireden. Aber wir sind sehr hoffnungsvoll, dass es demnächst gelingt, einen solchen einsetzen zu können. ({2}) Es ist schon merkwürdig, Herr Goldmann: Haben nicht auch Sie die Stimmung aufgenommen, die sich in der Landwirtschaft und der Bevölkerung nicht nur in Bezug auf unser Fachthema, sondern insgesamt wegen der guten Konjunkturentwicklung, der Arbeitsmarktzahlen und der positiven Entwicklung des Haushaltes, über den wir heute diskutieren, breitmacht? Haben Sie diese Stimmung nicht wahrgenommen? ({3}) Ich kann Ihnen nur sagen: Das Agrarkonjunkturbarometer, das seit einigen Jahren erhoben wird, ist mittlerweile bei der Punktzahl 32 angekommen. Frau Höhn, zu Zeiten Ihrer Kollegin Künast lag es bei minus 18. Da haben sich in der Zwischenzeit Welten verändert. ({4}) Das zeigt am deutlichsten die Entwicklung, die in den letzten zwei Jahren stattgefunden hat. ({5}) Es ist nun einmal so: Neue Ideen, Verlässlichkeit und Kontinuität sind die Markenzeichen dieser Bundesregierung und unseres Ministers Seehofer. Das zeigt sich wieder bei der Vorlage dieses Haushaltes. Wir sind sehr stolz darauf und sehr zufrieden, dass dies auch draußen so gesehen wird. Ich will die Schwerpunkte zusammenfassen: Wir haben die Haushaltsansätze für die Durchsetzung der Verbraucherrechte und des Verbraucherschutzes erhöht. Wir haben zum Beispiel vorgesehen, dass die Verbraucherzentralen in den Ländern - dies sollte eigentlich in diesem Jahr auslaufen - auch im nächsten Jahr 2,5 Millionen Euro für projektbezogene Verbraucherberatung aufwenden dürfen. ({6}) Das ist ein echter Fortschritt. Das haben wir jetzt eingeplant. Herr Kollege Bahr, ich weiß, dass Sie dabei mitgeholfen haben. Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ erstmals wieder aufgestockt; der Minister hat darauf hingewiesen. In den nächsten drei Jahren dürfen bis zu 50 Millionen Euro für die Förderung von Breitbandanschlüssen in ländlichen Regionen, in unseren schönen Dörfern, liebe Waltraud Wolff, aufgewendet werden. Genau das wollen wir. Wir wollen die Chancengleichheit zwischen städtischen und ländlichen Regionen sicherstellen. Das wird damit am ehesten erreicht. Dies führt zu Investitionen im ländlichen Raum. ({7}) Ein weiterer Punkt - er ist genauso wichtig - ist die Agrarsozialpolitik. Hier hat es in den letzten Jahren immer wieder Einschnitte und Belastungen gegeben. Das ist, wenn der Haushalt so beschlossen wird, im dritten Jahr in Folge nicht mehr der Fall. Wir haben auch hier die Mittel aufgestockt; auch hier ist Planungssicherheit geschaffen worden. Ich sage an dieser Stelle aber auch - Frau Wolff, da bin ich mit Ihnen einig -: Dazu gehört eine Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die über mehrere Jahre Bestand hat. Da müssen unsere Länder noch etwas nachlegen. ({8}) Ich stimme mit Ihnen völlig überein: Man kann es nicht beim Status quo belassen. Das sehen wir genauso. Ich bin erfreut, dass wir in der Koalition darüber Einigkeit haben. Manchmal sind kleine Zeichen viel wichtiger für die Bewertung einer Lage als umfangreiche Statistiken. Für mich ist ein solches Zeichen die Tatsache, dass die Zahl der Auszubildenden in den 15 grünen Berufen - ich meine die richtigen grünen Berufe, Frau Höhn - auf 42 000, also um 1,3 Prozent, gestiegen ist. Das ist eine Trendwende. Das sind die wahren Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht, die wir in der Bevölkerung feststellen können. ({9}) Dazu gehört natürlich auch Verlässlichkeit. Ich will deswegen noch etwas ansprechen, was in den letzten Monaten in der öffentlichen Diskussion häufig eine Rolle gespielt hat: die Milchquote. Wir bleiben bei der Verlässlichkeit unserer Aussage: 2015 endet sie. Wir wollen aber vorher wissen, wie das Ausstiegsszenario aussieht, bevor wir das endgültige Go geben. ({10}) Das ist völlig in Ordnung. Das muss draußen auch so vertreten werden. Nun möchte ich noch etwas ansprechen, was mir auf dem Herzen liegt. In den letzten Wochen hat ein großes Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel - ich nenne den Namen: Aldi - in für mich vorbildlicher Weise agiert, indem es den Molkereien aus der Not geholfen hat, als die Kosten für die weiße Ware Frischmilch, Joghurt und ähnliche Produkte in Konkurrenz zu Magermilchpulver und Butter nicht mehr wettbewerbsfähig waren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Offen die Verbraucher zu informieren, dass man die erhöhten Rohstoffkosten weitergeben muss, und dann auch nur diese weiterzugeben, halte ich für vorbildlich. Damit ist eine Verbesserung der Einkommenslage der milchproduzierenden Landwirtschaftsbetriebe erreicht worden. Auch das ist ein positives Zeichen. Die Politik der Bundesregierung wirkte unterstützend. Da der Staatssekretär Gerd Müller hier sitzt, möchte ich zum Abschluss sagen: Die Stabsstelle Exportförderung, für die er rackert, hat tolle Erfolge hervorgebracht. Auch das dürfen wir uns auf die Fahne schreiben. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Bundeshaushaltes 2008 liegt uns vor. Da sich die Wirtschaft weiterhin gut entwickelt, wollen wir an den großen Zielen Konsolidierung und Wachstumsförderung festhalten. Wir wollen aber auch an dem Bemühen festhalten, die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken; denn eine gute wirtschaftliche Entwicklung und aufgeklärte, mündige Konsumenten gehören zusammen, vor allen Dingen, wenn diese Entwicklung nachhaltig sein soll. Verbraucherpolitik ist schließlich - das wissen wir alle - Wirtschaftspolitik von der Nachfrageseite. Deshalb ist es wichtig, dass im Verbraucherministerium auf der Ausgabenseite zukunftsorientierte Maßnahmen und Programme gestärkt werden und gleichzeitig im Verwaltungsbereich gespart wird. Aufklärung und Information der Verbraucher sind ein Schwerpunkt. Deshalb unterstütze ich den Ansatz, die Mittel für entsprechende Projekte nicht zu kürzen. Ich finde es richtig, dass Minister Seehofer an der Schlichtungsstelle Mobilität festhalten will, auch wenn Frau Bundesministerin Zypries inzwischen erfreulicherweise Eckpunkte für ein Gesetz zur Verbesserung der Fahrgastrechte von Bahnfahrerinnen und Bahnfahrern vorgestellt hat. Solange die Einhaltung der Rechte von Personen auf Flug-, Schiffs- und Busreisen nicht ausreichend gewährleistet ist, darf diese Projektförderung nicht eingestellt werden. Es muss aber auch ein Weg gefunden werden, die Projektförderung in den 16 Verbraucherzentralen der Länder für wenigstens zwei Jahre fortzuführen. Wir wissen, dass es leider einige Bundesländer gibt, die sich zunehmend aus der Verantwortung gestohlen haben. Nicht nur das belastete Spielzeug aus China sollte die Verantwortlichen in den Ländern aufhorchen lassen. Eine warenkundliche Verbraucheraufklärung wird in allen Bereichen zunehmend nachgefragt und tut not. Die Länder sind, so denke ich, dazu verpflichtet. Gift im Spielzeug unserer Jüngsten, bleibelastete Barbies aus China, Wachsmalstifte mit einem Schwermetallgehalt, der den zulässigen Höchstwert um das 17-Fache übersteigt, Spieltelefone, die Hörschäden verursachen - vor all diesen gefährlichen Produkten müssen wir unsere Kinder schützen und über sie müssen wir die Verbraucher entsprechend aufklären. Auch Kinder und Jugendliche sind Verbraucher. Ein beträchtlicher Teil des Taschengeldes wird in Handys, Klingeltöne, Kleidung und Fast Food gesteckt. Kinder und Jugendliche werden mit einer speziell auf sie ausgerichteten Werbung umworben. Die Wirtschaft hat sie längst als Zielgruppe entdeckt. Es ist an der Zeit, dass die Verbraucherpolitik das ebenfalls tut. Nicht nur unsere Sicherheits- und Gesundheitsstandards müssen sich an den Kleinsten und Schwächsten unserer Gesellschaft orientieren; auch die Verbraucheraufklärung muss stärker auf sie ausgerichtet werden, wenn sie zu kritischen, selbstbestimmten Marktteilnehmern heranwachsen sollen. Auch junge Verbraucherinnen und Verbraucher müssen besser über das Angebot auf dem Markt informiert werden, zum Beispiel über die Zusammensetzung der Produkte, über ihre Wirkung, aber auch über die Umstände, unter denen sie erzeugt werden, und zwar sowohl über die sozialen als auch über die umwelt- und gesundheitsrelevanten Aspekte. Das gilt für beinahe alle Bereiche; denn Verbraucherpolitik - wir haben es schon mehrfach gehört - ist ein Querschnittsthema. Das gilt für Ernährung, für Warenkunde, für Verträge, für Finanzdienstleistungen sowie für den Umgang mit Medien und Telekommunikation. Ein zukunftsfähiges Angebot auf dem Markt setzt eine nachhaltige Nachfrage voraus. Dafür müssen wir die Verbraucher von morgen fit machen. Wir müssen sie vor üblen Angeboten von heute schützen: vor Gift im Spielzeug, vor Gammelfleisch im Döner, vor Blei in der Kleidung, vor nicht zugelassenem Gentech-Reis und vor Pestiziden im Obst. Neben verstärkten und effektiveren Lebensmittel- und Produktkontrollen und harten Sanktionen bei Verstößen sind Aufklärung und Transparenz die wichtigsten Instrumente gegen solche Skandale. ({0}) Wo die freien Kräfte des Marktes wirken, muss die Seite der Nachfragenden durch Schutzrechte, durch Information und Aufklärung gestärkt werden. Wir sollten dabei verstärkt und zielgruppengerecht auch unsere jüngsten Verbraucher im Auge haben und dies bei der Gestaltung des Haushaltes berücksichtigen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPDFraktion.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Abschluss der Debatte zu diesem Einzelplan im Rahmen der Einbringung des Haushaltes möchte ich noch ein paar Anmerkungen zu zwei Themen machen. Erstes Thema: die sogenannte Grüne Gentechnik. Ich glaube, man muss in der Mitte einer Legislaturperiode und im Anschluss an einen Sommer, in dem Sie alle gehört haben, dass die Große Koalition eine Einigung über die Fortentwicklung des Gentechnikrechts erzielt hat, in der Tat ein paar Punkte dazu nennen. Es ist relativ normal, dass eine Opposition im Deutschen Bundestag Kritik äußert, wenn die Regierungsfraktionen zu einer Einigung gekommen sind. Manchmal kritisiert man Details, manchmal sagt man - das ist fast schon Usus -, dass die gesamte Regelung falsch sei. Aber hierbei sind wir auf eine übermäßig starke Kritik gestoßen. Deswegen möchte ich einen kurzen Augenblick dabei verweilen. Die FDP kritisierte - ich fasse dies kurz zusammen -, dies sei der Untergang der deutschen Forschungslandschaft ({0}) und Deutschland nutze seine Chancen auf den Äckern nicht. ({1}) Den zweiten Punkt sollten Sie in der FDP unbedingt beibehalten, weil ich es immer gut finde, wenn die FDP gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bevölkerung - in diesem Fall 80 Prozent - Politik betreibt; denn das macht es dann leichter für die anderen Parteien. Ich komme zur Forschungslandschaft zurück. Man muss einfach die FDP-Pressemitteilung neben die Einschätzung der Forschungsinstitute legen. Dann sieht man den Unterschied zwischen Parteiideologie und Realität in diesem Land. Denn die Forschungsinstitute haben gesagt, dass es gut war. Sie haben seltsamerweise in der letzten Woche feststellen müssen, dass es FDP-mitregierte Bundesländer waren, die manche der Erleichterungen für die Forschung im Agrarausschuss des Bundesrates ablehnen wollen. Da, wo wir Anzeigepflichten gefordert haben, sollen Genehmigungspflichten gelten. Das ist völlig unverständlich und passt nicht zu dem, was Sie behauptet haben. Die Kritik von Grünen und Linkspartei war in etwa gleichlautend. Auch da wurde behauptet, dies sei die völlige Öffnung gegenüber der Grünen Gentechnik, es gebe keinerlei Koexistenz mehr, die Verbraucherinnen und Verbraucher würden im Stich gelassen. Das waren die Stichworte. Auch das sollte man neben die Kritik von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden legen, deren erste Zusammenfassung - ich beziehe mich hier auf die des Kampagnenzusammenschlusses - lautete: „Der angekündigte Durchmarsch der Gentechnik findet nicht statt.“ Das war der erste und entscheidende Satz auf der Webseite von Campact. Das ist auch richtig. Denn - jetzt müssen meine Koalitionspartner die Ohren einmal kurz halb schließen ({2}) wir haben beim Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und bei der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber der unter SPD und Grünen erzielten Rechtslage noch etwas drauflegen können, insbesondere bei der Frage der Kennzeichnung. In Zukunft ist auch bei tierischen Produkten zu erkennen, ob sie von Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten Organismen gefüttert worden sind oder nicht. ({3}) Das ist ein deutlicher Fortschritt, der gerade von den Verbraucher- und den Umweltschutzverbänden einstimmig unterstützt wird. Wir haben im Bereich der Haftung für die gentechnikanwendende Landwirtschaft keine Veränderungen vorgenommen. Der einzige Punkt, der angesprochen wurde, waren die sogenannten privatrechtlichen Vereinbarungen. Sie werden am Ende in einem sehr geringen Umfang angewandt werden und auch nichts anderes, als man heute über Umgehungstatbestände schon tun könnte, und zwar aus einem einfachen Grund: Jeder Landwirt, der eine privatrechtliche Absprache trifft, muss sofort vollständig kennzeichnen, weil er nicht alles Vermeidbare in Bezug auf die Abstände getan hat. Es ist sehr leicht, mit dieser Kritik umzugehen. Denn diejenigen, die etwas von diesem Thema verstehen, die Expertinnen und Experten, sagen: Alles, was ihr mit eurem nationalem Recht zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und zur Erhaltung der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher tun konntet, habt ihr getan. ({4}) Weil das, was man mit nationalem Recht machen kann, Grenzen hat, wird die SPD nach der Verabschiedung des Haushalts weitere Vorschläge vorlegen, wie das europäische Recht weiterentwickelt werden kann, um das, womit wir auf nationaler Ebene begonnen haben, im Rahmen einer Veränderung des europäischen Rechts fortzusetzen. Der zweite Aspekt sind die gestiegenen Lebensmittelpreise; wenn Peter Bleser dieses Thema nicht angesprochen hätte, wäre es in dieser Debatte wahrscheinlich gar nicht erwähnt worden. Das wäre schade gewesen, weil diejenigen, die Landwirtschaftspolitik, Ernährungspolitik und Verbraucherschutz betreiben, hierzu Stellung nehmen müssen; denn dieses Thema steht mindestens einmal pro Woche auf der Tagesordnung. Wir müssen - nicht nur mit Blick auf die Situation der Landwirtinnen und Landwirte - sagen: Es war an der Zeit, dass die Erzeugerpreise ein faires Niveau erreicht haben, dass sie also etwas gestiegen sind. ({5}) Wenn man sich ansieht, wo die Erzeugerpreise gelegen haben, muss man feststellen: Auf diesem Niveau waren auf Dauer weder Qualität noch Lebensmittelsicherheit, noch eine gesunde Entwicklung des ländlichen Raums und der Kulturlandschaft möglich. Deswegen ist es gut, dass die Einnahmen aus den Preissteigerungen - zumindest ein Teil von ihnen - bei den Landwirten in den verschiedenen Regionen Deutschlands angekommen sind. Genau hinsehen muss man bei denjenigen, die so etwas zu nutzen versuchen, indem sie ihre Preise stärker anheben, als es aufgrund der Veränderung der Rohstoffpreise und der Erzeugerpreise eigentlich notwendig wäre. Um dem zu begegnen, gibt es im Kartellrecht und an anderen Stellen geeignete Mittel. Insbesondere die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen darauf achten, dass sie nicht in diese Falle gehen und überhöhte Preise zahlen. Vielmehr müssen sie den Wettbewerb nutzen, um die Preise auf ein angemessenes Niveau zu drücken. Damit würden sie auch dazu beitragen, dass die Einnahmen bei den Landwirten ankommen. Ich bitte diejenigen, die Landwirtschaftspolitik betreiben, eines nicht außer Acht zu lassen: Zu verzeichnen sind gestiegene Erzeugerpreise, aufgrund des EU-Kompromisses nach wie vor ungekürzte Direktzahlungen und deutliche Kürzungen der Mittel für die ländliche Entwicklung und die ökologische Landwirtschaft. Wer diese drei Aspekte miteinander verbindet, der stellt fest: Das schreit danach, dass über diesen Zusammenhang noch einmal diskutiert wird, allerdings aus dem Blickwinkel der deutschen Landwirtschaft, nicht aus europäischer Perspektive über Deutschland. Man darf nicht erst aufgrund des Drucks von außen etwas ändern. Wir sollten nicht zulassen, dass man sagt: Wir werden die Direktzahlungen - draußen werden sie übrigens Subventionen genannt - in beliebiger, vorher festgelegter Höhe beibehalten, obwohl sich die Einnahmesituation verbessert hat. - Wir müssen uns darüber unterhalten, wann wir Korrekturen vornehmen wollen, ob wirklich bis 2009 oder bis 2013, und wie wir es schaffen können, mehr Mittel für die Entwicklung der ländlichen Räume und insbesondere für eine Beschleunigung der Umstellung auf ökologischen Landbau bereitzustellen. Das ist eine gemeinsame Verantwortung. Man muss dazusagen: Der geringe Zuwachs im Jahr 2007 ist auf diejenigen zurückzuführen, die schon im Jahr 2004 mit der Umstellung begonnen haben. Es besteht schon seit mehreren Jahren die Situation, dass zu wenig umgestellt wird. Das ist eine geteilte Verantwortung. Geteilte Verantwortung heißt, dass wir gemeinsam die Aufgabe haben, diesen Prozess in den Ländern zu beschleunigen, die dringend wieder Umstellungshilfen zahlen müssen. Außerdem sollte der Bund das Förderprogramm in ungekürzter Höhe fortführen. Das verlanUlrich Kelber gen die Märkte. Wir verspielen im Augenblick einen Milliardenmarkt. Das darf nicht die Politik der Bundesrepublik Deutschland sein. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16. Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Umweltschutzausgaben im Entwurf der Bundesregierung für den Bundeshaushalt 2008 betragen insgesamt 4,7 Milliarden Euro, davon allein fast 1 Milliarde Euro im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - dies betrifft unsere Entwicklungszusammenarbeit mit vielen anderen Ländern im Bereich des Umweltschutzes -, über 300 Millionen Euro im Bereich des Bundesfinanzministeriums, vor allen Dingen für die Altlastensanierung in der ehemaligen DDR, und über 700 Millionen Euro im Forschungsministerium zum einen für umweltbezogene Grundlagenforschung und zum anderen fast zur Hälfte - über 330 Millionen Euro - für die Klimaforschung, ein, wie ich finde, außerordentlich wichtiger Beitrag im Rahmen der internationalen Klima- und Energiedebatte. Da im Haushalt des Bundesumweltministeriums von diesen 4,7 Milliarden Euro nur 845 Millionen Euro veranschlagt sind, darf man, wenn man sich die umweltpolitischen Leistungen des Bundeshaushalts anschauen will, nicht nur begrenzt auf das BMU schauen, sondern muss das BMZ, das BMWi, das Forschungsministerium, das BMF und das Verkehrsministerium hinzunehmen. Da es in den letzten Sitzungen immer wieder eine Rolle gespielt hat - wenn ich mich richtig erinnere, insbesondere aus der FDP heraus -, mache ich darauf aufmerksam, dass im Haushalt des BMU zum ersten Mal knapp 28 Millionen Euro für die Einrichtung von Schacht Konrad ausgewiesen werden. Ich sage das nur, damit Sie in diesem Punkt keine Zweifel mehr an unserem Willen hegen müssen, hier etwas zu tun. ({0}) Nun, da es rechtskräftig ist, gehen wir natürlich auch an die Umsetzung heran. Die 845 Millionen Euro im Haushalt des Bundesumweltministeriums sind ein bisschen untertrieben; denn durch den Beschluss der Koalitionsfraktionen zur Auktionierung von Emissionszertifikaten gibt es eine Einnahmeberechtigung in der Größenordnung von 400 Millionen Euro, die dem Bundesumweltministerium für seine Ausgaben zufließen. Insofern hat der Beschluss der Koalitionsfraktionen dazu beigetragen, dass im Jahre 2008 der Haushalt des Bundesumweltministeriums immerhin um knapp 50 Prozent steigen wird. Das ist eine gewaltige Steigerungsrate. Sinnvollerweise sollten diese Mittel dort eingesetzt werden, wo sie sozusagen abgeschöpft werden, nämlich für den Bereich Klimaschutz. Sicherlich werden wir in den Ausschussberatungen noch einige Arbeit leisten müssen, um präzise zu definieren, in welchen Bereichen das Parlament gemeinsam mit der Regierung Schwerpunkte bei den nationalen und internationalen Klimaschutzmaßnahmen setzen will. Als Bundesregierung schlagen wir bislang vor, von den 400 Millionen Euro, die an erwarteten Einnahmen im Haushalt des BMU veranschlagt sind, 120 Millionen Euro in den internationalen Klimaschutz zu geben. Das ist, glaube ich, ein starkes Signal für die Debatte über Adaptation, Anpassung an den Klimawandel. Ein Signal dieser Größenordnung werden Sie weltweit in keinem anderen Staat finden. ({1}) Jedenfalls wird dies auch von anderen Ländern so gesehen. Ein weiterer Vorschlag besagt, 180 Millionen Euro vor allen Dingen für den Ausbau der erneuerbaren Wärme zu verwenden. Bei der Formulierung eines Erneuerbare-Wärme-Gesetzes gibt es insbesondere vonseiten der CDU/CSU den Vorschlag, eine Mischung aus Ordnungsrecht und Förderung aus Haushaltsmitteln zu beschließen. Weitere 100 Millionen Euro sollen nach Vorschlag der Bundesregierung für den nationalen Klimaschutz eingesetzt werden. Hier werden wir sicherlich ein Stück Arbeit in den Ausschussberatungen vor uns haben; denn es macht ja wenig Sinn, diese Summen zu veranschlagen, ohne sicher sein zu können, dass sie auch im selben Haushaltsjahr verausgabt werden können. Von daher haben sowohl das Ministerium als auch die Politikerinnen und Politiker im Umweltausschuss großes Interesse daran, die genannten Maßnahmen zu konkretisieren. Hier geht es um eine neue Entwicklung, die wir bisher im Haushalt noch nicht hatten. Sie sollten wissen, dass der Bundesfinanzminister mit dem Bundesumweltministerium die Verabredung getroffen hat, dass das BMF seinen Haushaltsvorschlag für 2009 so gestalten wird, dass die realen Nettoeinnahmen der Auktionierung aus dem Jahre 2008 als Veranschlagung für den Haushalt 2009 aufgenommen werden. Da wir derzeit sehr vorsichtig von einem Preis am CO2Markt von 15 Euro pro Tonne ausgegangen sind und etwa 30 Prozent wegen geringerer Steuereinnahmen abgezogen haben, kommen wir netto auf die genannten 400 Millionen Euro im Haushaltsvoranschlag für 2008. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Betrag angesichts der Preise am CO2-Markt überschritten werden wird, ist relativ hoch. Diese Vereinbarung mit dem BMF bedeutet für das BMU eine ausgesprochen gute Ausgangslage für das Haushaltsjahr 2009. Wir werden sicherlich darüber zu beraten haben, wie steigende Einnahmen der Auktionierung dann sinnvoll für den Klimaschutz eingesetzt werden sollen. Ich sage hier offen: Das ist zwar derzeit im Haushalt des BMU veranschlagt. Aber es macht ja Sinn, Aufgaben, deren Umsetzung dringend notwendig ist - beispielsweise im Bereich kleiner, mittelständischer Unternehmen die Energieeffizienz zu fördern -, in kooperativer Weise auch über andere Haushalte zu fördern. Das ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Wir haben einen richtig großen neuen Posten im Haushalt, bei dem wir miteinander Erfahrungen sammeln müssen. Ich glaube, das ist eine gute Entwicklung. ({2}) Natürlich ist der Klimaschutz der Bereich im Haushalt des Umweltministeriums, der von der Debatte und davon, dass die Große Koalition hier einen Schwerpunkt gesetzt hat, am meisten profitiert. Im Jahre 2005 waren für den Klimaschutz im Gesamthaushalt ganze 875 Millionen Euro vorgesehen. Jetzt sind es 2,6 Milliarden Euro. Das bedeutet eine Steigerung der Klimaschutzausgaben um rund 200 Prozent. Ich glaube, auf diesen Beleg, dass Klimaschutz ein Schwerpunkt ihrer Politik ist, kann die Große Koalition tatsächlich stolz sein. ({3}) Überhaupt ist es ganz interessant, zu sehen, wie sich der Bereich des Umweltschutzes und insbesondere des Klimaschutzes unter der Großen Koalition entwickelt hat. Ich habe bereits gesagt: 875 Millionen Euro 2005 2,6 Milliarden Euro 2008, Tendenz steigend. 2005 waren es 45 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien, jetzt liegen wir bereits bei über 93 Millionen Euro. Wir sind dabei, diese Mittel mehr als zu verdoppeln: Wir werden die Mittel für das Marktanreizprogramm im Rahmen des geplanten Erneuerbare-Wärme-Gesetzes durch den Einsatz der bei der Auktionierung erzielten Erlöse gegenüber 2006 um immerhin 150 Millionen Euro erhöhen. Ich sage das deshalb, weil in einer vorangegangenen Debatte ein Oppositionskollege gesagt hat, wir würden die Mittel für das Marktanreizprogramm kürzen. Im Haushalt für 2008 mag das so aussehen, weil für das Marktanreizprogramm 44 Millionen Euro weniger als 2007 veranschlagt sind. Da wir aber beabsichtigen, dies aus den Mitteln für die nationalen Klimaschutzprogramme - dafür gibt es 400 Millionen Euro - um 150 Millionen Euro aufzustocken, reden wir in Wahrheit über eine Erhöhung der Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Wärme um mehr als 100 Millionen Euro. Ich glaube, auch das ist ein Beweis, dass Klimaschutzpolitik und erneuerbare Energien eindeutig zur Habenseite der Großen Koalition gehören. ({4}) Hinter diesen Zahlen - Haushaltspolitik ist ja sozusagen in Zahlen gegossene Politik - steht natürlich ein konkretes Programm zur Umsetzung der anspruchsvollen Klimaschutzziele. Wir haben hier nicht nur mit der Regierungserklärung vom April deutlich gemacht, wo die Messlatte hängt, sondern auch mit den Ergebnissen des Energiegipfels. Die Bundesregierung will die internationalen Klimaschutzverhandlungen auf Bali Ende des Jahres mit dem Ziel beginnen, dass die Industrienationen ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis zum Jahre 2020 um 30 Prozent reduzieren. Wir wissen - auch aus dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom Oktober 2006 und aus der Enquete-Kommission von Mitte der 90er-Jahre -, dass das für Deutschland bedeutet, dass wir unseren CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber dem Jahr 1990 um 40 Prozent senken müssen. Das ist die Position, die wir eingenommen haben - wohlwissend, dass es nicht einfach ist, 2007 die Punktlandung für das Jahr 2020 zu beschreiben. Selbstverständlich werden wir mindestens alle anderthalb bis zwei Jahre immer wieder überprüfen müssen, wie weit wir mit der Umsetzung gekommen sind. Aber man kann, glaube ich, ohne übertriebenes Pathos sagen: Die Bundesregierung hat in Meseberg das größte Klima- und Energiepaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. ({5}) Wir haben dort vereinbart, wie wir die Kraft-WärmeKopplung ausbauen und in welcher Weise das EEG beim Strom ausgebaut wird. Ich erinnere: Bislang hatten wir das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen. Jetzt sind wir sicher, dass wir uns auf 30 Prozent zubewegen. Wir haben angekündigt, wie wir mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz umgehen wollen, nämlich dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien am Wärmeverbrauch bis 2020 auf mindestens 14 Prozent erhöhen wollen. ({6}) - Es wäre gut, wenn Sie einmal vortragen würden, wie Sie das, was Sie öffentlich fordern, finanzieren wollen. Das wäre ein hilfreicher Beitrag der Linken zur Parlamentsdebatte. Bisher haben Sie sich das aber nicht getraut. Sie fordern uns zwar immer wieder auf, mehr zu tun, aber vor Ort verlangen Sie dann mehr Verschmutzungsrechte für die Braunkohle. Das ist doch die Politik der Linken zum Klimaschutz. ({7}) Des Weiteren wollen wir den Anteil der Biokraftstoffe auf immerhin 17 Prozent erhöhen. All das, was wir in Meseberg beschlossen haben - die Umstellung der Kfz-Steuer, die Verschärfung der energetischen Anforderungen in der Energieeinsparverordnung um 30 Prozent, die Weiterentwicklung des Gebäudesanierungsprogramms und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz - wird die Regierung im Herbst dieses Jahres als Gesetzespaket ins Kabinett einbringen. Das heißt, die Regierungsbeschlüsse sollen in die entsprechenden Rechtsverordnungen und Gesetzgebungsverfahren im Parlament münden, und zwar bevor wir uns zur internationalen Klimakonferenz nach Bali begeben. Das ist von großer Bedeutung, weil wir dort zeigen wollen, dass wir nicht nur von anderen fordern, sich auf den Weg zu machen, sondern dass wir auch bereit sind, das bei uns umzusetzen, um zu zeigen, dass wirtschaftlicher Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum, zusätzliche Arbeitsplätze und Klimaschutz selbstverständlich miteinander vereinbar und in Wahrheit zwei Seiten einer Medaille sind. Ich glaube, dass man auf dieses Paket der Bundesregierung mit Blick auf das, was andere bislang auf den Weg gebracht haben, sehr stolz sein kann. Wir wissen, dass wir von den 40 Prozent bis 2020 mit dem Klimapaket „nur“ 35 bis 36 Prozent abbilden können. Die übrigen 4 bis 5 Prozent werden wir in den Beratungen der kommenden Jahre über die Fragen, welche Förderprogramme wir zusätzlich auf den Weg bringen können, was im Gebäude- und Energiebereich weiter zu tun ist und wie wir mit der dritten Handelsperiode im europäischen Emissionshandel vorankommen, angehen müssen. Aber 90 Prozent unseres Ziels bilden wir mit dem Meseberger Klima- und Energiepaket ab. Es kommt jetzt darauf an, dieses Paket im Deutschen Bundestag zu beschließen. Die Finanzierung der 90 Prozent ist durch den Haushaltsplanentwurf gesichert. Das belegt, dass wir nicht nur darüber reden, was wir wollen, sondern auch mit dem Haushaltsplanentwurf entsprechende Finanzierungsvorschläge vorlegen. Sie werden feststellen - vielleicht kann das auch der eine oder andere Beobachter des Gleneagles-Dialogs, einer Tagung mit den 20 größten CO2-Emittenten, bestätigen, die soeben in Berlin zu Ende gegangen ist -, dass das international große Aufmerksamkeit verursacht hat. Es gibt weltweit kein anderes Land, das seine klimapolitischen Vorstellungen - selbst wenn sie ähnlich ambitioniert sind wie die deutschen - in einen konkreten Instrumenten-, Methoden- und Maßnahmenkatalog umgesetzt hat. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur im Hinblick auf ihre Zielsetzungen weltweit führend, sondern auch hinsichtlich ihrer Bereitschaft, diese mit finanziellen Mitteln und konkreten Maßnahmen zu unterlegen. ({8}) Dafür, dass daran alle mitgewirkt haben, möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Das gilt insbesondere für die Koalitionsfraktionen, ohne deren finanzielles Backing auch in der Debatte um die Auktionierung wir das nicht ermöglicht hätten. Ich richte den Dank aber auch ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen im Kabinett, die Klimaschutz nicht allein als Aufgabe des Umweltministers begriffen haben, sodass wir mit dem Kollegen Tiefensee, der Forschungsministerin und dem Kollegen Glos zusammengearbeitet haben, der mit mir um den richtigen Weg gerungen hat, weil er aus seiner Sicht nicht nur für Effizienz im Klimaschutz sorgen will, sondern auch - das ist völlig klar - für Effizienz in der Frage der Kosten. Ich schließe aber auch ausdrücklich den Finanzminister in den Dank ein, der an dieser Stelle ebenfalls gesehen hat, dass neben dem Konsolidierungskurs dieses neue Politikfeld mit finanziellen Mitteln unterlegt werden muss. Es war, glaube ich, eine gute Gesamtleistung des Kabinetts. Herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen dafür. Hoffentlich lästert der Staatssekretär nicht über das, was ich eben gesagt habe. Wenn ich euch schon lobe, dann sollt ihr euch auch darüber freuen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael Kauch das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Glos gegen Gabriel, das war das Schauspiel, das uns die Regierung in der Sommerpause geboten hat. Dann kam der Showdown in Meseberg, und der scheinbare Durchbruch erfolgte. Ein integriertes Klimaschutz- und Energieprogramm wurde uns versprochen und aufgetischt. Wenn man es sich aber genau anschaut, dann stellt man fest, dass es sich leider um einen faulen Kompromiss handelt. ({0}) Die Umweltverbände haben recht: Das Verfehlen der Klimaziele ist durch zahlreiche Hintertüren vorprogrammiert. In der Welt mahnend vor den Gletschern in die Kameras schauen, das ist das eine. Das andere ist, die Versprechen, die man den Bürgern gegeben hat, zu halten. Ich habe meine Zweifel, ob das mit dem vorgelegten Programm gelingen wird. ({1}) Noch etwas anderes ist kritikwürdig. Schwarz-Rot setzt bei diesem Programm vor allem auf Dirigismus und Subventionen und nicht auf marktwirtschaftliche Anreize. Minister Gabriel hat ein staatsorientiertes Programm vorgelegt. Das Ergebnis ist, dass der Klimaschutz unnötig teuer und bürokratisch gemacht wird. ({2}) An die Adresse der Union muss man die Frage stellen, was denn eigentlich der Wirtschaftsminister in diesem Prozess gemacht hat. Statt klare Gegenmodelle zu liefern, hat er schrittweise vor allem für neue Ausnahmeregelungen im Regierungsprogramm gesorgt in der Hoffnung, damit die Kosten zu senken. Das Ergebnis sind mehr Bürokratie und mehr Willkür. So endet ein Wirtschaftsminister der Union, dem ein klares ordnungspolitisches Konzept für den Klimaschutz völlig fehlt. ({3}) Nehmen wir als Beispiel die erneuerbare Wärme. Hausbesitzer werden zur Nutzung der erneuerbaren Wärme verpflichtet, egal wie hoch die Kosten für das einzelne Gebäude sind. Es ist aber ein Unterschied, ob man eine Solaranlage in Flensburg oder in Freiburg betreibt; der Output ist unterschiedlich hoch. Das müsste man berücksichtigen. Außerdem ist Ihr Programm an dieser Stelle erneut bürokratisch; denn wenn man eine Nutzungspflicht für jeden Standort in Deutschland festlegt, dann braucht man auch eine umfangreiche Kontrollbürokratie, letztlich in jedem Haushalt. Vielleicht kann der GEZ-Kontrolleur hier eine Vorbildfunktion haben. ({4}) Gleichzeitig wird das Konzept durch zahlreiche Härtefall- und Ausweichklauseln zerlöchert. Beamte werden einmal so oder einmal so entscheiden. Das ist ein Schlag gegen die Rechtssicherheit. Damit erweisen Sie der Markteinführung erneuerbarer Energien einen Bärendienst. ({5}) Dass die Bundesregierung selbst nicht an den Erfolg ihres Konzeptes glaubt, zeigt die Tatsache - der Minister hat es angekündigt -, dass erneut 350 Millionen Euro mehr für Subventionen eingestellt werden sollen. Ich erinnere daran, welches der Ausgangspunkt war, an das, was wir alle gemeinsam beim Thema erneuerbare Wärme erreichen wollten, nämlich ein Förderinstrument zu schaffen, unabhängig vom Bundeshaushalt. Das Gegenteil wird mit diesem Bundeshaushalt erreicht. ({6}) Ein anderer Punkt. Die vom Umweltminister befürwortete Nebenkostenkürzung im Mietrecht ist in der Tat ein gutes Programm für Anwälte und Prozesshanseln, die gerne zu den Gerichten laufen. Es ist aber kein Programm, das der Verbesserung der Energieeffizienz dient. Besser wäre es, Vermietern zu ermöglichen, Betriebskosteneinsparungen zu garantieren und im Gegenzug die Investitionen bis zur Höhe der Einsparungen auf die Miete umzulegen. Das nützte sowohl Vermietern als auch Mietern und wahrte den Rechtsfrieden in Deutschland. ({7}) Interessant ist, was in Meseberg nicht beschlossen wurde. Zum Beispiel wurde keine klare Linie festgelegt, die deutlich macht, wie die Bundesregierung im EUMinisterrat verhandeln will, wenn es um die Weiterentwicklung des Emissionshandels in der EU nach 2012 geht. Die EU-Kommission hat angekündigt, dass sie bald Vorschläge machen will. Die Bundesregierung sollte eigentlich sagen, wie sie dazu steht. Wir als FDP sagen ganz klar: Wir wollen eine Ausweitung des Emissionshandels auf die Bereiche Wärme und Verkehr, wir wollen eine weitgehende Versteigerung der Emissionszertifikate, und vor allen Dingen wollen wir ein Ende der Kleinstaaterei in diesem Politikfeld. Wir brauchen einheitliche Regelungen und einheitliche Allokationspläne auf europäischer Ebene. ({8}) Andere ökologische Probleme blendet der Umweltminister aus. Die Frage der nuklearen Endlagerung wird nur ansatzweise angegangen. Der Entwurf über Regelungen für die Feinstaubbelastung durch Holzheizungen liegt seit Monaten auf Eis. Bei der geplanten Biodiversitätsstrategie fehlen nachprüfbare Indikatoren. Zu der Lärmbelastung der Anwohner von Schienenstrecken fällt Ihnen erneut nichts anderes als ein Subventionsprogramm ein. Sie lehnen lärmabhängige Trassenpreise ab. Herr Gabriel, das sind die Stiefkinder des Umweltschutzes. Ich würde mich freuen, wenn wir auch hierzu etwas hören würden; denn auch hierfür beantragen Sie Geld im Bundeshaushalt 2008, das wir Ihnen genehmigen sollen. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Katherina Reiche das Wort. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gestern beraten in Berlin die Energie- und Umweltminister aus den 20 wichtigsten Energieverbrauchsländern über Strategien für einen nachhaltigen Umbau ihrer Energiesysteme. Im Mittelpunkt steht ganz klar die Verbesserung der Energieeffizienz. Es geht also darum, wie wir zukünftig Wachstum haben können und trotzdem weniger Energie verbrauchen. Bundeswirtschaftsminister Glos hat hierzu treffende Worte gefunden. Ich zitiere ihn: Klimaschutz, Energieversorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit können gleichzeitig erreicht werden. Der Schlüssel dazu sind insbesondere effiziente Energietechnologien, mit denen wir den besten Klimanutzen bei größtmöglicher Kosteneffizienz erreichen. Ich glaube, dass dieses Ministertreffen ein wichtiges Signal aussendet und eine wichtige Vorarbeit zu der schon vom Bundesumweltminister erwähnten UN-Klimakonferenz im Dezember in Bali leistet. Dort wird sich entscheiden, ob die Weltgemeinschaft die Kraft findet, an einem Strang zu ziehen, damit wir die Weichen für ein Kioto-Nachfolgeabkommen für die Zeit nach 2012 stellen. Das ist eine ganz große Herausforderung, weil die Interessen der Staaten divergieren. Ich möchte deshalb der Bundeskanzlerin ganz herzlich für ihr Klimaschutzengagement danken. ({0}) Ihr ist es wie keiner Politikerin vorher gelungen, den Klimaschutz ganz oben auf die internationale Agenda zu setzen. Sowohl während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und des Vorsitzes der G 8 als auch bei der letzten Asienreise der Bundeskanzlerin hat der Klimaschutz eine große Rolle gespielt. Die Menschen haben ihr zugehört, das Thema steht ganz oben auf der Agenda, und das hilft auch uns hier in Deutschland bei der Umsetzung dessen, was unter anderem in Meseberg vereinbart wurde. ({1}) Katherina Reiche ({2}) Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer müssen beim Klimaschutz an einem Strang ziehen. Nur dann werden wir erfolgreich sein. Bundespräsident Köhler hat diese Länder bei einer Rede in Schanghai im Mai dieses Jahres als „Schicksalsgemeinschaft“ bezeichnet. Ich glaube, er hat recht. Nehmen wir zum Beispiel China: China ist weltweit der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen und wird die USA weit überholen. Es ergibt sich aber ein differenziertes Bild, wenn man den ProKopf-Ausstoß betrachtet: 3,5 Tonnen CO2 pro Einwohner in China, 10 Tonnen in Europa und 20 Tonnen in den USA. Dass man über diese unterschiedlichen Emissionsniveaus nicht einfach hinweggehen kann, versteht sich eigentlich fast von selbst. Deshalb war es wichtig und richtig, dass Angela Merkel auf ihrer Asienreise dieses Thema auf die Agenda gesetzt und den Vorschlag gemacht hat, den Pro-Kopf-Ausstoß als Maßstab zu diskutieren. Das ist ein wichtiges Signal an die Schwellenländer, dass wir ihre Bedenken ernst nehmen. Dieser Ansatz lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen, aber wir sollten ihn weiter verfolgen. Die wichtigste Aufgabe der Europäer, auch von uns Deutschen, wird meines Erachtens sein, dass wir eine Vorbildfunktion und eine Vorreiterrolle zum Beispiel bei der Technologieentwicklung und bei dem Einsatz und Export erneuerbarer Energien einnehmen. Wir müssen zeigen, dass Energieversorgung und Klimaschutz sowie Wohlstand zwei Seiten einer Medaille sind. Man muss sich - wie im Sport - Ziele setzen. Damit wir vorankommen, brauchen wir ehrgeizige Ziele. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der G 8 ist es unter dem Vorsitz von Angela Merkel gelungen, wichtige Pflöcke einzuschlagen. Nun müssen die vereinbarten Ziele umgesetzt werden. Auf der Klausurtagung in Meseberg - das ist schon angesprochen worden - hat die Bundesregierung ein ehrgeiziges Energie- und Klimaprogramm beschlossen. Ich glaube, dass die Financial Times recht hat, wenn sie das als „Fitnessprogramm“ bezeichnet. Die Financial Times schrieb am 28. August 2007: So viel Umbau war nie. Werden die Maßnahmen verwirklicht, wird Deutschland im Jahr 2020 nur noch rund 730 Millionen Tonnen Treibhausgase ausstoßen, verglichen mit rund einer Milliarde Tonnen heute. Pro erwirtschaftetem Euro wird die deutsche Wirtschaft deutlich weniger, vielleicht sogar nur halb so viel Energie verbrauchen und bezahlen müssen. Wir als Unionsfraktion haben übrigens schon im April dieses Jahres ein sehr ehrgeiziges Papier verabschiedet. Viele Elemente, die wir im April aufgeschrieben haben, finden sich heute im Klimaprogramm der Bundesregierung; darüber sind wir natürlich sehr froh. Ich nenne als Beispiele die Fortführung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Aufstockung des Marktanreizprogramms und die Verbesserung der Energieeffizienzstandards. Diese Punkte unterstützen wir unter anderem deshalb, weil ihnen eines gemeinsam ist: die Marktnähe. Wir vertrauen darauf, dass Verbraucher und Wirtschaft durch staatliche Unterstützung einander näher kommen. Das ist gerade nicht die von Ihnen, Herr Kauch, angesprochene Subventionierung, sondern es sind marktwirtschaftliche Instrumente. Darauf sind wir stolz. ({3}) Für uns stehen folgende Leitlinien im Vordergrund: Kosten und Nutzen müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Aufwand und Ertrag müssen stimmen. Stellt sich heraus, dass eine Maßnahme keinen nennenswerten Fortschritt beim Klimaschutz erzielt, aber dazu führt, dass die Bürger übermäßig belastet sind, dann müssen Alternativen auf den Tisch. Auch darüber muss man reden. Aber eine Kosten-Nutzen-Analyse berücksichtigt eben auch Arbeitsplatzeffekte, Exportchancen sowie Technologie- und Entwicklungspotenziale. Klimaschutz - das muss klar sein - wird es nicht zum Nulltarif geben. Wir werden investieren müssen, und diese Investitionen werden sich auszahlen. Davon bin ich überzeugt. Denn wenn es gelingt, weniger Energie zu verbrauchen, sinken unsere Energiekosten und unsere Abhängigkeit von Energieimporten. Es stehen noch in diesem Halbjahr einige große Gesetzesvorhaben an. Ich nenne nur das ErneuerbareEnergien-Gesetz, mit dem wir die Weichen für einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien stellen, insbesondere bei der Stromerzeugung. Herr Gabriel hat erwähnt, dass wir uns einen Anteil von 30 Prozent bis zum Jahr 2020 vorgenommen haben, was sehr ehrgeizig ist. Wir müssen zudem die Kosten für die Verbraucher berücksichtigen. Die Grundstruktur des EEG wollen wir erhalten, aber es muss auch marktwirtschaftliche und wettbewerbsorientierte Elemente im EEG geben. Es gibt inzwischen überförderte Bereiche. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass einige Technologien sehr viel schneller wachsen, als wir alle das vermutet haben. Das ist gut und zeigt, dass das EEG gewirkt hat. Aber aus diesem Grund bedarf es Anpassungen, über die wir zu reden haben werden. ({4}) Es gilt der Grundsatz: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Dieser Grundsatz gilt für die gesamte Energiepolitik. Deshalb empfinde ich die jüngsten Diskussionen zur Kernenergie als unglücklich. Die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke steht nicht infrage. ({5}) Wenn dem tatsächlich so wäre, hätten die Behörden längst handeln und Anlagen endgültig vom Netz nehmen müssen. Alle Kernkraftwerke in Deutschland, egal wie alt sie sind, müssen dieselben Sicherheitsanforderungen erfüllen. Das Alter allein ist nicht der Sicherheitsmaßstab. ({6}) Ich gebe sofort zu, dass die Kommunikation der Betreiber im Sommer äußerst mangelhaft war. Aber wenn Katherina Reiche ({7}) die Antwort der Politik Populismus ist, dann erreichen wir auch keine zukunftsweisende Energiepolitik. Auch diesbezüglich brauchen wir wieder mehr Sachlichkeit. ({8}) Ich möchte noch einmal das Thema eines Endlagers ansprechen. Die Entscheidung für Schacht Konrad steht nun fest. Wir als Union werden bei den Haushaltsberatungen darauf achten, dass im Haushalt die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass dieses Endlager genutzt wird. Ich bin mir sicher, dass wir bei der Behandlung dieser Fragen einen gewaltigen Schritt nach vorn machen. Ein letztes Thema. In dieser Woche beginnt in Frankfurt die IAA. Sie steht in diesem Jahr unter dem Motto „Sehen, was morgen bewegt“. Die Automobilbranche ist in den letzten Wochen und Monaten oft hart kritisiert worden. Das Zeichen, das der neue Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, Matthias Wissmann, gesetzt hat, ist wichtig: Auch die Automobilindustrie in Deutschland will in der Klimadebatte in die Offensive gehen. Dieses Signal ist deshalb wichtig, weil unsere Automobilindustrie eine Schlüsselindustrie ist. Wenn sie jetzt ansetzt, beim Klimaschutz zu überholen, dann werden wir sie dabei unterstützen. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal möchte ich sagen, dass ich mich über das Klimaschutzprogramm sehr gefreut habe. ({0}) Durch den zweiten Blick wurde meine Freude allerdings etwas getrübt, und zwar nachhaltig. Mit dem Energieund Klimaschutzprogramm will die Bundesregierung im Vergleich zu 1990 den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent senken. ({1}) Sie räumt aber selbst ein, dass damit nur rund 35 Prozent zu schaffen sind. Auch das wäre schon revolutionär, (Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD] und es würde weit über das hinausgehen, was Rot-Grün damals geschafft und bewegt hat. Umweltverbände und Wissenschaftler sind allerdings weitaus skeptischer, was die Wirkung des aktuellen Pakets angeht; schließlich wurde an vielen wichtigen Stellschrauben nicht oder nur wenig gedreht. Wirtschaftsminister Glos hat eben wenige Ambitionen, sich mit Stromkonzernen, Hauseigentümern und Automobilherstellern wirklich ernsthaft anzulegen. ({2}) Das zeigen auch zahlreiche Ausnahmeregelungen und unklare Fristen, die das Ganze aufweichen. Herr Kauch, Sie haben das kritisiert: Das ist kein Bürokratismus, sondern das ist einfach eine Notwendigkeit. Zudem: Wer quasi sämtliche Maßnahmen ausdrücklich unter Finanzierungsvorbehalt stellt, muss sich nicht wundern, wenn das Ganze als reines Ankündigungsfeuerwerk wahrgenommen wird. Ob es am Ende als solches weitgehend verpufft oder ob das Programm tatsächlich eine Kurskorrektur in der Klimapolitik der Bundesregierung bedeutet, wird nicht zuletzt der nächste Bundesetat zeigen. Im vorliegenden, vor der Sommerpause erstellten Entwurf steht dazu noch nichts. Ich hoffe, da wird nachgebessert. Die neuen Zahlen werden auf den Tisch kommen, und wir wünschen uns diesbezüglich einiges, ganz klar. Weil wir diese Zahlen eben noch nicht detailliert diskutieren können, möchte ich noch einmal auf das Klimaschutzprogramm zu sprechen kommen. Ursprünglich war vorgesehen, einen Ersatz der stromfressenden Nachtspeicheröfen vorzuschreiben. Das sollte mit klar festgelegten Fristen und finanzieller Unterstützung geschehen. An dieser Stelle hätte ich gesagt: Bravo, sinnvoll, richtig. Doch das Glos-Ministerium hat später leider Befreiungs- und Härtefallregelungen hineinverhandelt und zudem die Fristen im Unklaren gelassen. ({3}) Vor allem aber soll nun erst einmal eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft geprüft werden, Nachtspeicheröfen gegen Wärmepumpen auszutauschen. Selbstverpflichtungen werden in der Regel - darüber haben wir schon des Öfteren diskutiert - nicht eingehalten, auch nicht von der vielgelobten Automobilindustrie, die hier gerade gepriesen wurde. Wir brauchen also klare Regelungen und klare Fristen. Die Haushalte derjenigen, die die Umstellungen durchführen wollen und eben nicht das notwendige Geld haben, müssen finanzielle Unterstützung bekommen. Wir wollen wissen, wie es mit dem Emissionshandel ab 2012 weitergehen soll, Stichwort „100-prozentige Versteigerung“. Wir wollen noch einmal über die Sondergewinne, über die Windfall-Profits, über CDM und über anrechenbare Klimaschutzprojekte in Dritte-Welt-Ländern diskutieren. Wir haben dazu eine Anhörung durchgeführt, und es waren eben keine „Linksradikalinskis“, sondern gestandene Marktwirtschaftler, die sich für diese Projekte eingesetzt haben. Ich bitte Sie, sich die entsprechenden Unterlagen anzuschauen; sie befinden sich in meinem Büro. ({4}) Minister Gabriel hat uns vorgeworfen, wir würden das Geld zweimal ausgeben, wir seien populistisch. Die Vorgaben wurden in der Sommerpause schriftlich an alle Sozialdemokraten gegeben. Ich kann hier nur sagen: Wir wissen schon, woher das Geld kommen könnte. Ich nenne die Windfall-Profits oder auch die Ökosteuerprivilegien, die 3,3 Milliarden Euro ausmachen. Da kann ich mir sehr vieles vorstellen. Wir wollen das Geld nicht zweimal ausgeben, sondern an der richtigen Stelle. Ganz zum Schluss noch: Holen Sie Soldaten aus Afghanistan heim! Auch das wäre Klimaschutz. Am Samstag ist die große Demo. Auch damit könnten wir Geld einsparen. ({5}) Wir machen Vorschläge. Wir sind nicht populistisch, auch wenn Sie es noch hundertmal sagen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier wurde heute schon sehr viel vom Klimaschutz geredet. Nur, was steckt wirklich dahinter? Was steht wirklich im Bundeshaushalt und nicht nur in den Redemanuskripten der Großen Koalition? ({0}) In Meseberg haben Sie stolz verkündet, jetzt ein Klimaschutzprogramm im Umfang von 2,6 Milliarden Euro auflegen zu wollen. Das war das Ergebnis - Sie erinnern sich vielleicht noch, meine Damen und Herren - eines lang inszenierten Streits zwischen Herrn Gabriel und Herrn Glos. Ich habe einmal in den Bundeshaushaltsentwurf vom Juni - das war deutlich vor Meseberg - geschaut. Darin standen auch 2,6 Milliarden Euro. Worüber haben sich die beiden Herren also gestritten? Ich würde sagen: Das Klimaschutzprogramm von Meseberg ist nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. ({1}) Außerdem muss man bei diesen 2,6 Milliarden Euro zwei Projekte eindeutig sozusagen in Klammern setzen. Das erste ist das Gebäudesanierungsprogramm. Wer sich die Summen, die die Regierung angibt, genau anschaut, stellt fest: Da werden Ausgaben, die in künftigen Haushaltsjahren für das Gebäudesanierungsprogramm getätigt werden, zusammengerechnet. Es wird so getan, als würde man das auf einmal ausgeben. Dabei geht es um 600 Millionen Euro. Das Zweite, was ich in Klammern setzen muss, sind die Einnahmen aus dem Emissionshandel. Da setzt die Regierung nur die Hälfte des Betrages an, von dem die Experten momentan, gemessen an den aktuellen FuturePreisen, ausgehen. ({2}) Wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man auf 1,6 Milliarden Euro Steuergelder, die im Haushaltsjahr 2008 von der Regierung ausgegeben werden sollen. Da gibt es aber noch drei Vorbehalte. Wenn Sie einmal genau hinschauen, stellen Sie das fest. Der größte Teil dieses Geldes wurde erstens schon in Programmen im letzten Haushaltsjahr ausgegeben - das ist eigentlich genau das Gleiche -, oder die Gelder stehen zweitens unter einem Finanzierungsvorbehalt von Steinbrück, oder es gibt drittens noch ein Kosten-Nutzen-Gutachten von Minister Glos. ({3}) Da können wir alle uns vorstellen, wie das am Ende aussieht. Ernst gemeinter Klimaschutz, meine Damen und Herren, sieht anders aus. Ihr Verständnis von Klimaschutz an der Stelle ist: viel heiße Luft statt konkreter Taten. Ich möchte Ihnen sagen: Die globale Erderwärmung wartet nicht auf den schwerfälligen Tanker der Großen Koalition, darauf, dass sich Glos und Gabriel mal einigen; wir müssen jetzt handeln. ({4}) Deswegen wollen wir grüne Haushälter der Regierung einmal konkret zeigen, wie substanzieller Klimaschutz aussehen soll. Wir werden einen Klimaschutzhaushalt aufstellen, in dem mit konkreten Haushaltsanträgen belegt wird, wie man die Ausgaben für Klimaschutz mehr als verdoppeln kann. ({5}) Wir wollen 2 Milliarden Euro zusätzlich für Klimaschutz ausgeben. Dabei geht es um Stichworte wie einen Stromsparfonds für energieeffiziente Geräte, Klimaforschung, Ökobeschaffung, Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge und andere Projekte, auf die wir in den Haushaltsberatungen ganz konkret eingehen werden. Das Beste an diesem Klimaschutzhaushalt ist aber - darauf bin ich als Haushaltspolitikerin besonders stolz -, dass die Ausgaben für Klimaschutz auch mehr als gegenfinanziert sind. Wir machen konkrete Vorschläge für den Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen in der Finanzplanperiode von insgesamt mehr als 21 Milliarden Euro. Es sind drei konkrete Punkte: der Abbau von Subventionen für die stark stromverbrauchende Industrie - das sind 1,2 Milliarden Euro allein im nächsten Haushaltsjahr -, die Streichung der Subventionen für Kerosin und für die Luftfahrtindustrie von 900 Millionen Euro allein im nächsten Haushaltsjahr sowie eine Reduzierung und ökologische Reform des Dienstwagenprivilegs; das heißt, dass dicke Chefdreckschleudern in Zukunft nicht mehr vom Steuerzahler subventioniert werden sollen. ({6}) Das sind drei konkrete Beispiele, mit denen wir klarmachen wollen, dass die Regierung viel vom Klimaschutz redet, aber ganz konkret immer noch Geld für Klimaverschmutzung ausgibt. Dieser Zustand muss endlich beendet werden. ({7}) - Für eine Große Koalition sollte das Organisieren einer Bundesratsmehrheit doch wirklich kein Problem sein, Kollege Kelber. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie haben jetzt die große Chance, zum Beispiel indem Sie eine Bundesratsmehrheit organisieren, zu zeigen, dass Sie es wirklich ernst meinen mit dem Klimaschutz und Ihre Reden hier im Plenum nicht nur heiße Luft sind, sondern ihnen auch konkrete Taten folgen. Wir werden Ihnen dafür in den Haushaltsberatungen ganz konkrete Anregungen geben. Wie immer gilt: Das Kopieren unserer Anträge ist ausdrücklich erwünscht. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPDFraktion. ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eigentlich beschämend für die Opposition: Seit einem halben Jahr reden wirklich alle, seien es Industrievertreter, Verbraucher, wir Parlamentarier, die Bundesregierung oder die Landesregierungen, vom Klimaschutz. Die Opposition hat jetzt in der ersten Lesung des Haushalts nichts anderes zu tun, als darüber zu sprechen, worüber man noch hätte reden können. ({0}) Wäre es nicht viel besser, Sie würden das anerkennen und das honorieren, was jetzt tatsächlich in diesem halben Jahr auf den Weg gebracht worden ist? ({1}) Zu Ihnen, Frau Lührmann: Ich finde es schon interessant, dass Sie als Haushälterin ein Klimaschutzprogramm in unsere Haushaltsberatung einbringen wollen. Ich frage mich da in der Tat, was Ihr Kollege oder Ihre Kollegin im Umweltausschuss macht. Warum findet er bzw. sie keine Möglichkeit, um sich dort konstruktiv einzubringen, wo doch da derzeit die Themen beraten werden? Das finde ich schon sehr verwunderlich. ({2}) Nach den bisherigen Beratungen zum Haushalt 2007 wundert es mich noch mehr, zumal der Minister sehr eindeutig, klar und präzise dargelegt hat, wie viele Milliarden wir über die Ministerien hinweg jetzt schon für den Bereich Klimaschutz, CO2-Minderung und alles, was damit zusammenhängt, ausgeben. Dass Sie das so penetrant ignorieren, finde ich schon bemerkenswert. Ich bin deshalb jetzt schon gespannt, wie Ihr Klimaschutzprogramm dann tatsächlich aussehen wird. Nun zu den Rahmendaten des uns hier jetzt vorliegenden Entwurfs zum Haushalt 2008: Wir beraten über ein Haushaltsvolumen von 845,6 Millionen Euro. Hier kann ich als Haushälterin sehr stolz sagen: Wieder einmal wurde - das steht in Kontinuität zu den früheren Jahren - genau bei dem Ressort draufgesattelt, in dessen Zuständigkeitsbereich tatsächlich Innovationen stattfinden und Arbeitsplätze geschaffen werden. Hierzu kann ich nur sagen: Wir haben in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich die richtigen Prioritäten gesetzt, und an diesen orientiert sich die Koalition auch weiterhin. ({3}) Man könnte zum Haushalt auch Folgendes sagen: keine Überraschungen, eher konsequentes Handeln. So war es auch im zurückliegenden Halbjahr: Wir haben viele Themen und viele Projekte seit den ersten Beratungen des Haushalts bis zur heutigen ersten Lesung des Haushalts eingebracht, und zwar Projekte in den Bereichen Umwelt, Energie und Naturschutz. Wir haben ganz neue Berufsfelder entwickelt bzw. zumindest dafür die Rahmenbedingungen geschaffen. Ich selber habe mich am Montag in der Arbeitsagentur meines Wahlkreises überzeugt. Dort hat man mir gesagt, dass es mit unseren Anreizprogrammen - es geht also nicht um Subventionsprogramme! - gelungen ist, ganz neue Felder zu erschließen. Die Industrie macht davon sehr intensiven Gebrauch. Wenn auch Sie, Frau Flach, das Gespräch mit der Agentur gesucht haben, dann wissen Sie, dass gerade in unserer Region Essen/Mülheim ({4}) in Form der Schaffung neuer Berufe zukunftsweisende Wege beschritten werden. Die EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Gipfel waren erfolgreich. Es ist nicht so, wie die Opposition es hier darzustellen versucht, dass es einfach nur viele Versprechungen gegeben hat und dass alles heiße Luft war. Nein, die Konferenzen haben Erfolge mit sich gebracht, die natürlich viele Mütter und Väter haben. Natürlich gibt es immer eine oder zwei Personen, die das nach vorne tragen. Aber ich möchte auch das herausstreichen, was unser Parlament im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft und des G-8-Gipfels auf den Weg gebracht hat. Denn nicht nur die Regierung hat ihren Beitrag geleistet, wenn im Rahmen dieser Konferenzen gepunktet werden kann, sondern auch wir, das Parlament. ({5}) Wir haben sowohl der Kanzlerin als auch dem Bundesumweltminister im Rahmen der Haushaltsberatungen 2007 einen ganz klaren Verhandlungsauftrag erteilt. Die Ergebnisse haben wir in Heiligendamm und auch im Rahmen der EU-Präsidentschaft deutlich gesehen. Petra Hinz ({6}) Einen Erfolg möchte ich besonders hervorheben, nämlich dass wir einen weiteren Verbündeten im Klimaschutz gewonnen haben, und zwar die USA, die den Prozess als das zentrale Instrument anerkennen, um Klimaschutzmaßnahmen zu verabreden. Präzise gesagt ist das nicht die USA insgesamt - es gibt dort sehr viele Staaten, die mit großem Know-how arbeiten und gerade in der Umwelttechnologie Fortschritte zu verzeichnen haben -, aber der Präsident hat sich in den zurückliegenden Jahren sehr zögerlich verhalten und in erster Linie seine eigenen Interessen vertreten. ({7}) Die Staats- und Regierungschefs haben die Grundlage für ein langfristiges Ziel geschaffen. Die Klimaerwärmung ist Realität; ich glaube, darüber brauchen wir in dieser Debatte nicht mehr zu streiten. Auch in der internationalen Klimaforschung besteht darüber keinerlei Zweifel. Selbst wenn wir sofort die Emissionen stoppen würden, würde der Meeresspiegel weiter ansteigen. Wir haben in der Sommerpause viel darüber hören und lesen können. Bei allen Herausforderungen sollte eines deutlich werden: dass wir in Deutschland Vorreiter in Sachen Klimapolitik sind. Beim Blick nach vorn sollte man, gerade in den Haushaltsberatungen, auch einmal zurückschauen, um zu erkennen, wie lange manche Prozesse dauern. Jeder von Ihnen kann sich innerhalb seiner Fraktion fragen, zu welchem Zeitpunkt er sich an welchem Ort hätte stärker einbringen können. Ich aus dem Ruhrgebiet ({8}) - wir aus dem Ruhrgebiet, Frau Flach - kann sagen: Bereits im April 1961, also vor 46 Jahren, hat Willy Brandt gemahnt, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau werden. Recht hat er gehabt! ({9}) - Wir haben es gemeinsam geschafft. Dabei denke ich, dass Willy Brandt - ohne seine Bemühungen hintanstellen zu wollen - die Tragweite des Ganzen gar nicht so bewusst war. Das galt natürlich für alle Ballungsräume weltweit, so zum Beispiel auch für London, in den 50er-Jahren der größte Smogverursacher. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine CO2-Debatte; damals war noch nicht klar, wie sehr Industrie- bzw. Wohlstandsemissionen zu unserem Treibhausklima beitragen. 1992 war die Rio-Konferenz, die eine weitere Phase im Klimaschutz eröffnete. ({10}) Die Kommission hatte eindringlich auf den Handlungsbedarf der internationalen Völkergemeinschaft hingewiesen. Dann folgten die Klimaschutzkonvention, die Artenschutzkonvention, die Walddeklaration und die Agenda 21; gerade dieses Programm wird in den Kommunen sehr intensiv beraten und umgesetzt. Seit Rio sprechen wir, fast inflationär, von Nachhaltigkeit. Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und Enkeln ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Zusammenspiel hinterlassen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung wurde im April 2001 von Gerhard Schröder berufen. Die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel hat die Strategie und die Arbeit des Rates fortgesetzt. Eine gute Entscheidung; ich kann sie dazu nur herzlich beglückwünschen. ({11}) Denn dieser Rat schreibt uns für unsere Arbeit Verschiedenes ins Stammbuch. Er verfolgt weiterhin die Standpunkte und Vereinbarungen von Rio und hat mit dazu beitragen, dass das Thema Klimaschutz hier in dieser Form diskutiert wird. Unsere Leitidee ist eine nachhaltige Entwicklung. Sie ist die Antwort auf die Herausforderung. Sie stellt nicht nur klare Reduktionsziele auf und konzentriert die technologischen Stärken und das Know-how auf den Klimaschutz, sondern eröffnet den Menschen auch die Perspektive von Sicherheit und Gerechtigkeit im Modernisierungsprozess der Industriegesellschaften. ({12}) Dies möchte ich ganz besonders betonen. Ohne Klimaschutz, ohne Rohstoffe und ohne gerechte Nahrungsmittelverteilung gibt es auch keinen Frieden. Moderne Umweltpolitik und erfolgreiche Wirtschaftspolitik sind keine Gegensätze. Viele Rednerinnen und Redner haben das vorhin schon deutlich gemacht. Ich sage es noch einmal: Gerade in der Umweltpolitik stecken Innovationen und neue Arbeitsplätze. Jeder Euro, den wir in den Bereich des Klimaschutzes investieren, ist keine Subvention, sondern eine Anschubfinanzierung. Diejenigen, die die Programme abrufen, investieren ein Vielfaches. Dies sollte man nicht schlecht- oder kleinreden. Vielmehr brauchen wir dies in dieser Form. ({13}) Kommen wir auf das 400-Millionen-Euro-Programm zu sprechen. Auch hier ist schon deutlich gemacht worden, in welchem Verhältnis die Mittel verausgabt werden sollen: 280 Millionen Euro für nationale Maßnahmen, 120 Millionen Euro für internationale Maßnahmen. Wir haben uns für die Koalition im Vorfeld darauf verständigt, dass wir dem so, wie es hier diskutiert wird, zustimmen wollen. Wir erwarten aber eine Berichtspflicht. Wir erwarten, dass wir nachvollziehen können, wo die Gelder investiert werden. Ich komme noch einmal auf die internationale Finanzierung zurück. Die globale Öffnung der Märkte hat in einer Vielzahl von Schwellenländern für einen fantastischen Aufschwung gesorgt. Wir wollen das; und wir haben mit dafür gesorgt. China wird im Moment immer wieder als Beispiel genannt, und auch ich möchte es nennen. Wenn sich deutsche Unternehmen aus der Wasserwirtschaft, aus der Autoindustrie oder egal welchem Petra Hinz ({14}) Industriezweig in China niederlassen und dort nicht den Stand der Technik umsetzen, sondern den Stand des nationalen Rechts, dann gibt das Anlass zu Fragen. Wir könnten beim Klimaschutz schon viel weiter sein. Ich erwarte, dass der Minister im Rahmen seiner Tätigkeiten und im Rahmen von internationalen Konferenzen seinen Einfluss entsprechend geltend macht. Es gibt darüber hinaus im Einzelplan noch andere Themen, etwa: die Bereiche Personal, Öffentlichkeitsarbeit, Endlager und Atomenergie, wobei die CDU nicht müde wird, dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, obwohl es hier ganz klare Beschlüsse gibt, an denen auch nicht gerüttelt wird. ({15}) Wir werden unabhängig davon weiter versuchen, kontinuierlich zu prüfen, zu optimieren und die Politiker in den Fachausschüssen inhaltlich zu begleiten. In diesem Sinne wünsche ich uns bis zur zweiten und dritten Lesung gute Haushaltsberatungen. Danke schön. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike Flach das Wort. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesumweltministers ist wie immer klein, aber fein. Irgendwie erinnert er mich doch an den Minister, der für diesen Haushalt zuständig ist. Er ist sozusagen ein verstecktes Schwergewicht, wartend auf den großen Sprung. ({0}) Herr Gabriel, Sie haben eben darauf hingewiesen: Ihr Haushalt ist nur scheinbar bescheiden. Er steigt um lediglich 1,6 Millionen Euro. Sie erwarten aber für den Haushalt aus der Versteigerung von Emissionsrechten 280 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm und weitere 120 Millionen Euro für das neue Projekt Klimaschutz und Biodiversität. Das heißt, auf den zweiten Blick ergibt sich ein Gesamtetat von 1,24 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung von 50 Prozent. Herr Gabriel, Sie haben es erneut geschafft, sich um die globale Minderausgabe herumzudrücken. Unter dem Strich ist dies also ein Haushalt, der sich sehen lassen kann. Wenn ich aber genauer hinschaue, dann erinnert er mich an vielen Stellen etwas an eine Blackbox; denn das, was Sie in Meseberg beschlossen haben, ist etwas, was über alle Ressorts verteilt ist, was vom Finanzminister allerdings zu Recht unter einen entsprechenden Finanzierungsvorbehalt gestellt worden und vom Wirtschaftsminister ebenfalls zu Recht mit einer Kosten-Nutzen-Analyse belegt worden ist. Frau Lührmann, wir sind auf 1,8 Milliarden Euro gekommen. Ich bin völlig Ihrer Meinung: Dieses Gutachten wird zeigen, was dabei herauskommt. Es wäre interessant gewesen, wenn Sie uns an dieser Stelle gesagt hätten, wann das Gutachten in Auftrag gegeben worden ist und wann wir mit einem Ergebnis rechnen können. Denn all dieses ergibt nur einen Sinn, wenn es zwischen den beiden Ministerien vernünftig abgestimmt worden ist und von der gesamten Regierung getragen wird. ({1}) Zu den Emissionsrechten. Herr Minister, Sie haben eben versucht, uns einen Marktpreis darzustellen. Jeder in diesem Haus weiß, wie volatil die Märkte sind. Wir wissen nicht, was dabei herauskommt. Das heißt, Sie hantieren hier im Zusammenhang mit einem Programm mit Zahlen, wobei wir alle, gerade wir Haushälter, an keiner Stelle wissen, mit welchen Risiken für den Haushalt wir es zu tun haben. Sie haben einen Leertitel eingestellt. Frau Hinz, Sie haben das mitgetragen. Aber Sie wissen nicht, was an anderer Stelle wirklich dabei herauskommt. ({2}) Für uns Liberale war es ganz interessant, in den Sommermonaten die Diskussion im Zusammenhang mit dem Kollegen Glos zu beobachten. Bis zum heutigen Tag stehen die 70 Milliarden Euro, die der Kollege Glos als Kosten für die deutsche Wirtschaft in der Folge des in Meseberg verabredeten Programms beziffert hat, im Raum. Sie selbst haben von 2,8 Milliarden Euro gesprochen. Die Regierung wird sich irgendwann einmal einigen müssen. Wir haben den Eindruck, Sie leben in zwei verschiedenen Welten. Wie verschieden diese Welten sind, haben wir bei der Rede von Frau Reiche wieder gesehen. Jedes Jahr um diese Zeit erleben wir regelmäßig, dass Sie sich bei den für ein Umweltministerium wichtigen Punkten - wie viel Geld gibt man aus? Wie geht man mit der Kernkraft um? - nach wie vor offensichtlich nicht einig sind. Angesichts der Tatsache, dass Sie in diesem Jahr für den Schacht Konrad 28 Millionen Euro bereitgestellt haben - das finden wir positiv -, fragen wir uns natürlich, Frau Reiche, wie Sie angesichts Ihres standhaften Eintretens für die Kernkraft damit umgehen, dass für Gorleben nichts im Haushalt eingestellt wurde. ({3}) Wie steht die CDU/CSU dazu, dass der Umweltminister nach wie vor nicht einmal im Traum daran denkt, die Kernkraft so zu behandeln, wie Sie es vorhaben? ({4}) - Das wäre sehr schön. Was den Haushalt insgesamt angeht, Herr Gabriel, muss ich sagen, dass Sie offensichtlich im Vertrauen auf zukünftige Einnahmen Ihren Personalbestand deutlich ausgeweitet haben. Frau Hinz, ich bin erstaunt, dass Sie dies alles so mitgetragen haben. Immerhin handelt es sich um 180 neue Stellen, und das in einer Zeit, in der wir eigentlich sparen wollen. Heute Morgen haben wir von Herrn Steinbrück zu Recht gehört, wie wichtig Sparen ist. Wenn ich an Herrn Kampeter denke, dann klingeln mir jetzt noch die Ohren. 180 neue Stellen, ein Nettoaufwuchs von 83 Stellen - das ist schon beeindruckend. Ich denke, wir haben noch viel zu tun. Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zum Thema Marktanreizprogramm sagen. Wenn Sie, Frau Hinz, als Gutmensch sagen - ich unterstelle einmal, dass Sie einer sind -, dies sei keine Subvention, dann mag das so sein. Aber Ihre eigene Regierung spricht im Subventionsbericht davon, dass es sich um eine Subvention handelt. Die FDP geht in diese Haushaltsberatung mit dem erklärten Willen, 20 Prozent bei den Subventionen einzusparen. ({5}) Sie müssen irgendwann einmal an die Substanz dieses Not leidenden Haushalts herangehen. Das werden Sie aber mit dieser Art von Begrifflichkeit - wenn es gut für die Umwelt ist, dann ist es keine Subvention - nicht erreichen. Herr Minister, ich habe mit dem Bild vom Schwergewicht angefangen und möchte mit einem anderen Bild aufhören. Für die FDP ist der Haushalt eine Art Eisberg, bei dem nur ein Teil über der Wasseroberfläche sichtbar ist; ein großer Teil ist unter der Wasseroberfläche. Wir wissen aus leidvoller Erfahrung mit dem Klimawandel, dass Eisberge abschmelzen. Ich kann Ihnen von der Großen Koalition versichern, dass die FDP-Haushälter alles tun werden, dass dieser Eisberg deutlich abschmilzt. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte das Wort. ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass die sachbezogene Zusammenarbeit der letzten Zeit auch in den vorbereitenden Beratungen fortgesetzt wurde. Ich möchte einen Punkt herausgreifen. Wir haben in der letzten Debatte gefordert, dass der VN-Campus in Bonn aus dem Einzelplan 16 herausgenommen und dem Haushalt des Außenministeriums zugeschlagen wird. Ich finde, das war ein sehr vernünftiger Vorschlag. ({0}) Das ist inzwischen geschehen. Ich bedanke mich dafür. Ich bedanke mich auch bei meinem Kollegen Berti Frankenhauser, der das unterstützt hat; wenn ich das an dieser Stelle einmal sagen darf. Gerade wurde der Schacht Konrad angesprochen; auch ich will das tun. Sie finden im vorliegenden Entwurf im Vergleich zum Haushalt 2007, in dem Mittel in Höhe von 25 Millionen Euro bereitgestellt wurden, einen Ansatz von 53 Millionen Euro. Ich möchte deutlich sagen: Damit kann endlich der Ausbau des Endlagers für schwach radioaktive Stoffe begonnen werden. Ich begrüße das. ({1}) Um es deutlich festzustellen: Unser haushaltspolitisches Ziel ist ein ausgeglichener Bundeshaushalt. Die Konsolidierung steht an erster Stelle. Ich meine, dass auch dieser Haushalt einen Beitrag dazu leistet. Der Umfang des Bundeshaushaltes steigt allgemein um 4,7 Prozent. Wenn man die Einnahmen, die sich aus dem Verkauf der Emissionsrechte ergeben, herausnimmt, so kommt man im Umweltbereich auf einen Zuwachs von 0,2 Prozent. Unser Ziel wird also auch in diesem Haushalt erreicht. ({2}) Es wurde gerade gesagt: Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Vier weitere Ministerien sind daran beteiligt: das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Man kann es vielleicht als eine konzertierte Aktion für den Klimaschutz bezeichnen, was diese Regierung hier vorhat. Das ist eine sehr gute Sache. ({3}) Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie, Frau Flach, vorhin angesprochen haben. Das Volumen des Haushaltes wird sich voraussichtlich durch den Verkauf von Emissionszertifikaten vergrößern. ({4}) - Das kann man ja ruhig einmal sagen. - Dabei handelt es sich voraussichtlich um einen Betrag von 400 Millionen Euro. Wenn man sieht, dass dieser Haushalt 845 Millionen Euro umfasst, dann erkennt man die Dimension dieser neuen Einnahmen. Als Parlamentarier möchte ich aber auch darauf hinweisen, dass diese 400 Millionen Euro nur in einem Haushaltsvermerk dargestellt werden. ({5}) Es wurde eine Leerstellenstruktur gewählt. Ich möchte deutlich fordern, dass das parlamentarische Budgetrecht gewährleistet wird. Diese Forderung sollten wir als Parlamentarier stellen. ({6}) Klimaschutz ist eine zentrale Aufgabe dieser Regierung. Wir unterstützen das. Es ist richtig, dass voraussichtlich zusätzlich 280 Millionen Euro im nationalen und 120 Millionen Euro im internationalen Bereich für den Klimaschutz eingesetzt werden. Es ist gut, dass die mediale Wirkung dieser Diskussion groß ist. Das fördert natürlich die Durchsetzung solcher Beschlüsse. Es ist richtig, dass derjenige, der den Klimaschutz für wichtig hält, etwas tun möchte, zum Beispiel sein Haus dämmen, und dafür Geld investiert, gefördert wird. Aber man darf bei all diesen Forderungen nicht vergessen, dass dies Geld kostet und sich dies auch langfristig für den Häuslebauer rechnen muss. Daher sind die entsprechenden Förderungen anzupassen. Ich finde es richtig, dass der Minister vor ein paar Wochen die Fördersätze im Marktanreizprogramm, das im Augenblick ein bisschen schwächelt, angepasst hat. Das war die richtige Maßnahme, um auf diese Entwicklung zu reagieren. ({7}) Wir müssen darauf achten, dass sich dieses Programm stetig weiterentwickelt, dass sich die Menschen darauf verlassen können und motiviert werden, in regenerative Energien zu investieren. Ein anderer Bereich, der vielleicht auch gefördert werden sollte, ist die Steigerung der Energieeffizienz. Ich spreche in diesem Zusammenhang nur energieeffiziente Haushaltsgeräte an. Auch hier ist in den letzten Jahren eine Entwicklung zu verzeichnen, die nicht sehr positiv ist, die aber durch Anreize vielleicht wieder umgekehrt werden kann. Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der am Rande angesprochen worden ist - Sie, Frau Flach, haben es erwähnt -: das Thema Personal. Sie haben es freundlicherweise korrigiert: Es sind nicht real 180 Stellen, sondern natürlich weniger. Wir sind uns zwar darin einig gewesen, dass pauschale Stellenkürzungen nicht sehr effektiv sind. Wir haben aber trotzdem gesagt, dass wir die Zahl der Stellen um 0,75 Prozent kürzen sollten. Im vorliegenden Entwurf sind jedoch neue Stellen vorgesehen; das ist ganz klar. Wir müssen klären, wie dies zu den pauschalen Stellenkürzungen, die wir vorhaben, und zu einem Bericht des Bundesministeriums der Finanzen von April dieses Jahres darüber, wie sich die Stellen entwickelt haben, passt. Wir müssen überprüfen, ob es da nicht Widersprüche gibt. ({8}) Denn dort steht, dass es einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Stellen gibt. Ich möchte noch einen Punkt im Personalbereich ansprechen: Für das Forschungsbergwerk Asse sind zwei Stellen vorgesehen. Dieses Forschungsbergwerk befindet sich im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wie passt das zusammen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schulte-Drüggelte, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Hinz, aber immer doch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke. - Mit Ihrer Erlaubnis komme ich noch einmal auf den Punkt Personal zurück. Personal ist in der Tat immer wieder ein großes Thema bei den Haushaltsberatungen. ({0}) - Meine Frage kommt. Man muss manchmal erst zuhören, um verstehen zu können. Im Entwurf ist jetzt von Mehrstellen die Rede. Ist es richtig, dass die eine oder andere Mehrstelle möglicherweise durch Gebühren refinanziert wird? Habe ich den Entwurf richtig interpretiert, oder habe ich das falsch verstanden?

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie immer haben Sie das richtig verstanden, Frau Hinz. In dem Entwurf steht auch, wie sich die Personalsituation in den letzten Jahren entwickelt hat. Einschließlich aller Behörden verfügt das Umweltministerium jetzt über 2 770 Stellen. Sie haben die Stellen erwähnt, die refinanziert werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang speziell das Bundesamt für Strahlenschutz ansprechen. 27,5 Stellen sind für den Schacht Konrad ausgewiesen. Es ist von Bedeutung, ob diese Stellen wirklich notwendig sind; denn nur, wenn nachgewiesen wird, dass diese Stellen notwendig sind, werden sie refinanziert. Das werden wir in den Beratungen überprüfen. ({0}) - So ist es doch. Wir müssen das überprüfen, und wenn es nötig ist, wird es refinanziert, und wenn nicht, müssen wir uns darüber noch einmal unterhalten. Ich möchte noch die Verstärkung im Personalbereich der Deutschen Emissionshandelsstelle ansprechen. Ich darf Ulli Petzold für seine Initiative danken, die zu mehr Planungssicherheit bei den Mitarbeitern geführt hat. ({1}) Ein anderes Thema, über das wir reden müssen, ist der Planfeststellungsbeschluss für das Endlager Morsleben. Der Planfeststellungsbeschluss wird immer weiter nach hinten verschoben. Vor einigen Jahren wurde gesagt, er würde im Jahr 2008 gefasst werden. Im letzten Jahr war die Rede von 2010, in diesem Jahr von 2011. Diesbezüglich muss eine Entscheidung getroffen werden; denn das kostet uns 60 Millionen Euro pro Jahr, und das wird nicht refinanziert. ({2}) Es gibt also reichlich Gesprächsstoff. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Herr Minister, Sie nennen meinen Fraktionsvorsitzenden Oskar Lafontaine einen Scheinriesen der deutschen Politik, der umso kleiner werde, je näher man ihm komme. ({0}) Herr Minister, wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, der muss damit rechnen, dass man sich genau anguckt, wer sich da so weit aus dem Fenster lehnt. Ich möchte jetzt nicht in der Vergangenheit wühlen; denn dann müsste ich feststellen, dass Oskar Lafontaine im Gegensatz zu Ihnen als Spitzenkandidat unter anderem Landtagswahlen gewonnen hat. Da stellt sich mir die Frage nach Ihrer Erfolgsbilanz. Bleiben wir bei Ihrer Arbeit als Umweltminister. An offensiver Rhetorik und flotten Ankündigungen mangelt es Ihnen nicht; das gebe ich zu. Was folgte aber daraus? Lassen Sie mich das an zwei Beispielen verdeutlichen: Die nationale Strategie zum Schutz der Artenvielfalt und die Eckpunkte für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm sehen auf den ersten Blick beeindruckend aus. Je genauer man hinschaut, desto mehr verblasst dieser Eindruck aber. Ich könnte auch sagen: Je näher man ihnen kommt, desto kleiner werden sie. Die Biodiversitätsstrategie liest sich zwar schön, fast wie ein Grimm’sches Märchen, sie wird aber weitgehend wirkungslos bleiben. Die tollen Ziele sind unverbindlich und nicht überprüfbar. ({1}) - Danke schön. - Diese Strategie wird zu keinem wirksamen Schutz der Arten führen. Sicher kann man diese Strategie auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention im Mai 2008 in Bonn gut präsentieren. Ich habe auch nichts dagegen, dass Sie für diese Konferenz über 8 Millionen Euro locker machen. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen: Wir sind reich genug, um uns Naturschutz zu leisten. - Aber ich habe sehr wohl etwas dagegen, dass Sie die Konferenz überwiegend mit Mitteln finanzieren wollen, die bislang dem praktischen Naturschutz zur Verfügung standen. ({2}) Wenn Sie auf Konferenzen schöne Reden schwingen und schöne Hochglanzbroschüren präsentieren, im Alltag aber den Naturschutz finanziell ausbluten lassen, dann sind Sie, Herr Minister, nicht glaubwürdig. Sie waren doch selbst in Naturschutzgebieten unterwegs, wenn ich es richtig gelesen habe. Sie wissen doch, dass dort in allererster Linie Geld fehlt. Wenn Sie ehrliche Politik machen wollen, dann muss sich das im Bundeshaushalt endlich widerspiegeln. Noch einmal zum schon erwähnten Eckpunktepapier. Der Umfang ist beachtlich. Im Verkehrsbereich finden wir allerdings nichts Spektakuläres und erst recht nichts Neues. Das einzig wirklich wirksame Instrument ist die EU-Kraftfahrzeugstrategie, die Sie nun unterstützen wollen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn vorher haben Sie sich so massiv für VW und Co. eingesetzt, dass die Ziele verwässert wurden. Die einfachste und billigste Maßnahme hat die Große Koalition versenkt: ein allgemeines Tempolimit. Da ist eindeutig Fehlanzeige. ({3}) Dienstwagen haben einen Anteil von über 50 Prozent an den verkauften Neuwagen. Hier wollen Sie mit der Regelung zur Besteuerung abwarten, bis auf EU-Ebene die CO2-Strategie beschlossen ist. „Abwarten und Tee trinken“ würde der Engländer sagen. Dort gibt es übrigens eine steuerliche Regelung, mit der die Dienstwagen deutlich sparsamer geworden sind. Während die Firmen in unserem Land geschont werden, darf es wieder einmal der kleine Mann berappen. Die Reform der Kfz-Steuer für Neuwagen wollen auch wir. Schade ist nur, dass das, was Sie machen wollen, fast nichts bringt. In einigen Fällen kann es sogar so weit kommen, dass Spritfresser nach Ihren Vorstellungen weniger und nicht mehr zahlen müssen. Das kann nicht sein. Ich sage Ihnen: Spritfresser müssen zukünftig ordentlich zur Kasse gebeten werden. ({4}) So viel zu Ihrer Arbeit in Sachen Naturschutz und Verkehr. Ich frage mich angesichts dieser Bilanz: Wer ist hier eigentlich der Scheinriese? Zum Abschluss noch zwei Sätze zur IAA, die sich den Klimaschutz groß auf die Fahnen geschrieben hat. Die deutsche Autoindustrie hat mit Ihnen, Herr Minister, gemein, dass sie sich in Ankündigungen übertrifft. Fest steht aber, dass die Autoindustrie die Selbstverpflichtung zur CO2-Reduzierung nicht eingehalten hat. Ich bin gespannt, wie die neuerliche Vereinbarung der europäischen Autoindustrie aussehen wird, die heute verabschiedet werden soll. Ich möchte noch etwas zu Frau Kollegin Reiche sagen. Ich empfehle Ihnen, eine Woche Bildungsurlaub in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel zu machen. Vielleicht haben Sie dort einen Erkenntnisgewinn darüber, welche Sorgen und Nöte die Menschen vor Ort haben, wenn ihnen so ein Meiler beinahe um die Ohren fliegt. ({5}) Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesamthaushalt hat einen deutlich höheren Umfang als in den vergangenen Jahren. Wir haben eine Bundeskanzlerin, die den Klimaschutz zur Chefinnensache macht und alles daransetzt, den Ruf der obersten Klimaschützerin zu erobern. Das sind beste Voraussetzungen für ambitionierte Umwelt- und Klimaschutzpolitik sollte man zumindest meinen. Man glaubt erst einmal, man sei im falschen Film, wenn man dann nachrechnet, dass der Umweltetat im Gegensatz zum Gesamthaushalt, der um 4,7 Prozent steigt, nicht einmal um 0,2 Prozent steigt. Aber, Herr Minister, wir haben natürlich noch das Klimaschutzpaket von Meseberg, das großenteils unter dem Finanzierungsvorbehalt des Finanzministers steht. Frau Merkel, Herr Gabriel, wie sollen wir das verstehen? Sind die Ziele doch nicht so ganz ernst gemeint, oder konnten Sie sich gegenüber Ihrem Finanzminister nicht durchsetzen? Denn bei Ihrer schönen Rechnung, Herr Minister Gabriel, bei der Sie auf die 400 Millionen Euro kommen, möchte ich daran erinnern, dass Emissionszertifikate auch schon einmal für 50 Cent an der Börse gehandelt wurden. ({0}) Bringt der Emissionshandel ordentlich etwas ein? Darf das für den Klimaschutz ausgegeben werden? Darauf bezogen sich übrigens die einzigen drei Sätze, die dem Finanzminister in seiner einstündigen Rede der Komplex Umwelt und Klima wert war. Dieser Steinbrück’sche Kuhhandel ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als Basargefeilsche. Wir brauchen aber zuverlässige Investitionspolitik, Herr Investitionsminister Gabriel, als der Sie selber sich so gerne sehen. Ich will Sie noch einmal an Ihren Sündenfall erinnern, ({1}) Ihren unseligen Hang zur Kohle. Bei Ihrem Basargefeilsche haben Sie akzeptiert, dass Ihre Geschenke an die Kohleindustrie im Rahmen des Emissionshandels direkt den erneuerbaren Energien und damit dem Klimaschutz ein zweites Mal im Wege stehen werden. Anna Lührmann hat Ihnen vorgerechnet, wie es gehen kann. Ein ambitionierter, konsequenter Klimaschutz ohne Halbherzigkeiten und in guter Haushältermanier führt unterm Strich auch in finanzieller Hinsicht zu einem besseren Ergebnis. ({2}) Umweltschutz ist nichts, was man sich leisten können muss. Umweltschutz rechnet sich, wenn man das Wort „Nachhaltigkeit“ richtig versteht und anwendet und wenn die Regierung eine Politik macht, die in sich schlüssig ist und sich nicht von Ressort zu Ressort widerspricht. Allerdings will ich gerne zugestehen: Mit Herrn Glos zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge zu kommen, ist sicherlich nicht ganz einfach. Für den Klimaschutz gilt weiterhin: große Worte, kleine Taten und unter Finanzierungsvorbehalt stehende Taten. Die Aufgaben der Umweltpolitik und des Umweltministers hören aber nicht beim Klimaschutz auf. Die Biodiversität hat derzeit gute Chancen, im Ranking der Rhetorik des Ministers bald Platz zwei nach dem Klimaschutz zu belegen. Das ist wohl nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Deutschland im Jahr 2008 Gastgeber der COP 9 ist. Das ist gut so. Aber was ist es für eine Absurdität, dass die Finanzierung der Durchführung dieser Vertragsstaatenkonferenz größtenteils zulasten des nationalen Natur- und Artenschutzes geht? ({3}) Das ist eine gelungene Demonstration des Stellenwerts, den das Thema der Konferenz in unserem Land tatsächlich hat. Reicht es uns, zu sagen: Gut, dass wir darüber geredet haben? Fazit: große Worte, keine Taten. Am Einzelplan für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit fällt auf, dass die Mittel für die internationale Zusammenarbeit bzw. die Mittel des Titels „Internationale Sicherheit“, zum Beispiel beim Strahlenschutz, und die Beiträge an internationale Organisationen gekürzt werden. Wie kann das sein? Führen Sie, Herr Minister, nicht zu Recht das Wort im Mund, dass Umweltprobleme keine Grenzen kennen? Haben Sie Forsmark schon vergessen? Wie wollen wir Problemen wie der Vermüllung der Meere, die nicht in nationale Zuständigkeiten fallen, beikommen? Wird darüber nicht einmal mehr geredet? Keine Worte, keine Taten? Ihr Ministerium lädt heute und morgen zu einem Kongress zum Thema Bioraffinerie ein. Das ist in meinen Augen im Hinblick auf den zukunftsfähigen Umgang mit Ressourcen ein unverzichtbares Projekt. Wo findet sich Entsprechendes im Haushaltsentwurf? Es werden insgesamt 33 Millionen Euro für Pilotprojekte im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe bereitgestellt, allerdings im Einzelplan des Ministerium Ihres Kollegen Seehofer. Wollten wir hier so viel tun wie die USA, müssten wir auf Basis einer Pro-Kopf-Berechnung rund 100 Millionen Euro in den Haushalt einstellen. Nein, Herr Minister, Ihr Umwelthaushalt ist angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel, angesichts der Ansprüche der Kanzlerin und Ihrer großen Worte keine Glanzleistung. Er ist bescheiden, er akzeptiert die Randrolle, die ihm der Finanzminister zugewiesen hat, und er macht sich klein, obwohl die Umweltproblematik im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und der zu lösenden Aufgaben steht. Der nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehende Investitionszuschuss für die Entwicklung von Erneuerbare-Energien-Technologien in Höhe von 40 Millionen Euro ist angesichts der Aufgaben lächerlich gering. Geothermie, Meereswellentechnologie und die bestehenden Möglichkeiten zur Speicherung von Windenergie müssen marktreif gemacht werden, um dem Mantra der Energiekonzerne von der Unverzichtbarkeit der Atomkraft den letzten Wind aus den Segeln zu nehmen. ({4}) Dass diese Segel aus Illusion und wissentlich falscher Argumentation zusammengeflickt sind, wissen auch die Segler, spätestens dann, wenn sie auf die Homepage des weltweit zweitgrößten Brennstofflieferanten NUKEM schauen, der unter dem Schlagwort „Vergesst die Renaissance der Atomkraft“ darlegt, dass uns der PeakUranium noch vor dem Peak-Oil erreicht. Umwelt- und Klimaschutz sind mit konsequenter Politik möglich. Umweltpolitik ist notwendig. Sie braucht das Wort, die Überzeugung, aber auch die Tat und das entschlossene Handeln. ({5}) Der Haushaltsplan für das Jahr 2008 lässt diese Entschlossenheit bisher nicht erkennen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Kotting-Uhl, Sie müssten bitte zum Schluss kommen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme gerne zum Schluss. - Es besteht die Chance, dass er sich nach den Ausschussberatungen anders darstellt. Vielleicht gelingt es uns im Umweltausschuss, den Klimaschutz im Haushalt auf einen reellen Boden zu stellen, anstatt ihn an die Börse zu schicken. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Josef Göppel das Wort. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich empfinde die Debatte heute als richtig erfreulich. Alle Rednerinnen und Redner sind für mehr Umweltund Klimaschutz, und die von der Opposition suchen nach Möglichkeiten, wie man es noch besser machen kann. ({0}) Zweifellos ist das Thema Umwelt wieder im Zentrum der politischen Debatte angelangt. Wenn man die Zeit etwa von 1970, als das erste europäische Naturschutzjahr ausgerufen wurde, bis heute überblickt, dann muss man sagen, dass die Probleme immer drängender geworden sind. Ich erinnere mich - etliche unter uns sicherlich auch - noch an das Jahr 1973, an die erste Ölkrise und die autofreien Sonntage, die Willy Brandt damals verordnet hat. Das war wie ein erstes Aufleuchten am Horizont. Danach haben wir uns wieder in Sicherheit gewiegt. Jetzt ist die Knappheit der Rohstoffe und der Energiequellen so eklatant geworden, dass die Preise stetig steigen. Nun, da die Menschen es am eigenen Geldbeutel spüren, ist dieses Thema Teil des allgemeinen Volksbewusstseins geworden. Angesichts dessen hat die Politik einerseits bessere Voraussetzungen, um eine gute Umweltpolitik umzusetzen, aber andererseits auch eine größere Verantwortung. Ich muss sagen: Wir Deutsche können froh sein - dies sage ich mit Freude und voller Überzeugung -, dass wir eine Kanzlerin haben, die in der Sache so sattelfest ist, dass sie auf den internationalen Konferenzen die anderen mitziehen kann, und die gleichzeitig ihre Umwelt- und Klimaschutzpolitik aus dem Zieldreieck der Nachhaltigkeit heraus betreibt: eine Politik, die mehr wirtschaftliche Chancen schafft und die Menschen auch sozial nicht überfordert. ({1}) Bei dieser Gelegenheit beziehe ich unseren gemeinsamen Umweltminister ein. Herr Kollege Gabriel, die Absprache mit Michael Glos war gute Arbeit; das kann man gar nicht anders sagen. ({2}) - Michel Glos ist natürlich ein harter Verhandlungspartner, der die Interessen seines Amtes sorgfältig wahrnimmt. Das gehört sich auch so. ({3}) Ich halte übrigens gar nichts davon, dass manche von SPD-Ministern und Unionsministern reden. Wir haben eine Bundesregierung, die, von uns gemeinsam getragen, bis 2009 einen Erfolg gegenüber den Wählern vorweisen will. ({4}) Das Programm von Meseberg wird noch eine gewaltige Schubkraft entfalten. Hier richte ich einen Appell an uns alle: Wir beobachten jetzt eine große Kaufzurückhaltung bei Anlagen für erneuerbare Energien und bei den Wärmedämmungen in den Häusern. Die Menschen warten darauf, was sich konkret in Gesetzen und Verordnungen niederschlagen wird. Sie sagen, wenn sie jetzt investierten, wüssten sie noch nicht, ob ihre Investitionen letztlich dem Standard entsprechen würden. Wir müssen diese Unsicherheit noch in diesem Jahr beenden und Nägel mit Köpfen machen. ({5}) Ich spreche das Marktanreizprogramm an, das eine tolle Geschichte ist. Nur dürfen wir dabei kein ständiges Herauf und Herunter zulassen. Wenn es einen Antragsüberhang gibt, dürfen nicht gleich die Sätze gesenkt werden, um sie sofort wieder heraufzusetzen, wenn niemand mehr das Programm abrufen will, weil es zu wenig Anreize bietet. Damit schaffen wir Unzufriedenheit bei denen, die gerade ein paar Tage vorher einen Antrag eingereicht haben. In dieses Programm muss also, Herr Kollege Gabriel, unbedingt eine Verstetigung hineingebracht werden. Ich hoffe, dass dies mit den Verkaufserlösen aus den Emissionszertifikaten auch gelingt. ({6}) Ich komme nun auf das mehrfach erwähnte Thema Automobilindustrie zu sprechen. Ich habe gelesen, dass VDA-Präsident Wissmann gesagt hat, die IAA werde keine Grüne Woche. Ich muss sagen: Wenn sich die Automobilindustrie gegen die Festlegungen unserer Kanzlerin und unserer Bundesregierung wehrt und dagegen angeht, dann werden wir von der Union das nicht unterstützen. ({7}) Wenn die Automobilindustrie will, dass die Europäische Kommission und die Bundesregierung nicht in die technische Entwicklung eingreifen, dann muss sie ihre Selbstverpflichtungen entschlossen umsetzen. Das ist der Weg. ({8}) Ein Letztes: die Biotreibstoffe. Es gibt jetzt die Diskussion, angefacht vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, dass Biotreibstoffe von der Energiebilanz her nicht so gut abschneiden wie Biogas oder der Einsatz von Biomasse zur Wärmegewinnung. Das ist prinzipiell richtig. Aber ich frage diejenigen, die gegen Biotreibstoffe sind, welche Alternativen sie anbieten können. Ich rate uns allen, die Festlegungen, die die Koalition getroffen hat, einzulösen und die entsprechenden Anteile, wie beschlossen, zu realisieren. Dazu ist es nötig, dass wir vor dem 1. Januar 2008 das Gesetz über die Besteuerung der Biokraftstoffe ändern. Denn es darf nicht sein, dass im Jahr 2008 die Biotreibstoffe an der Tankstelle teurer sind als der aus Erdölgewonnene Treibstoff. ({9}) Das würde den Markt abwürgen. Ich will bei dieser Gelegenheit sagen: Ich finde die Vorschläge, die jetzt aus verschiedenen Arbeitsgruppen unseres Koalitionspartners, der Sozialdemokraten, kommen, gut, nämlich auch eine Unterkompensation einzuführen und den öffentlichen Nahverkehr freizustellen. Ich denke, dass wir auf dieser Basis zu einem guten gemeinsamen Ergebnis kommen können. Ein letzter Punkt, der mir sehr am Herzen liegt -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Göppel, das müssen Sie dann bitte in Ihren Beratungen in der Koalition fortführen. Sie sind über die Redezeit.

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hier steht: noch 45 Sekunden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ein Minus steht davor. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wünsche einen schönen Nachmittag und gemeinsame Anstrengungen für die Umwelt. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind, wie Sie richtig festgestellt haben, noch nicht am Ende der Beratungen. Wir werden sicherlich alles austauschen können. Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen uns nicht vor. Damit kommen wir nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Jahrestag des 11. September ist es wichtig, in aller Klarheit zu sagen, dass wir mit der Geißel der terroristischen Bedrohung auf absehbare Zeit werden leben müssen. Wir wissen das seit Jahren. Wir haben in den letzten Jahren zunehmend gesehen, dass wir auch in Europa bedroht sind, dass wir alle Teil dieses weltweiten Gefahrenraums sind. Wir haben in der vergangenen Woche die Gefährlichkeit der Planungen, die mitten in unserem Land betrieben werden, auch von Menschen, die hier geboren sind, immer hier gelebt haben, gesehen. Wir haben zugleich gesehen, dass unsere Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern gut aufgestellt sind. Deswegen ist es wichtig, mit großer Klarheit zu sagen: Die Bedrohung dauert an; sie ist durch die Verhaftung nicht abgeschlossen. Deswegen warne ich davor, zu erleichtert zu sein. Zugleich sage ich aber: Wir können darauf vertrauen, dass der Sicherheitsverbund von Bund und Ländern gut funktioniert. Wir werden alles daransetzen auch hinsichtlich der technologischen Entwicklung, um bei der Nutzung moderner Technologien - auch in der Informations- und Kommunikationstechnologie - den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit zu verschaffen, auf eindeutiger rechtlicher Grundlage mit klarer verfassungsrechtlicher Begrenzung in diesem Wettlauf, den es in der Kriminalund Polizeigeschichte der Menschheit immer gegeben hat, Schritt zu halten. Das sind keine einfachen Fragen; wir führen intensive Beratungen darüber. Es geht nicht darum - das ist in der Debatte der letzten Monate etwas schiefgelaufen -, dass irgendjemand in diesem Lande plant, die Freiheitsrechte abzuschaffen oder auch nur einzuschränken. ({0}) Es geht vielmehr darum, in der Verbürgung unserer freiheitlichen Verfassung das notwendige Maß an Schutz, das ein Rechtsstaat gewährleisten muss, zu gewährleisten. ({1}) Das bedeutet im Einzelfall schwierige Abwägungen, aber es wird möglich und auch notwendig sein, aber nicht flächendeckend - das ist völlig verzerrt dargestellt worden; es ist eine völlig falsche Wahrnehmung -, sondern in eng begrenzten Ausnahmefällen als Ultima Ratio, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes gesagt hat, in die Strukturen moderner und sich weiter entwickelnder Kommunikation einzudringen. Wie gesagt, die technischen wie die rechtlichen Fragen sind nicht einfach. Wir arbeiten intensiv daran und haben auch unterschiedliche Meinungen. Auch das ist wahr. Warum sollte man nicht darüber reden? ({2}) - Sie haben sich bisher nicht durch ein Übermaß an Entschlossenheit, diese Regelung einzuführen, hervorgetan. Lassen wir das so stehen. Ich finde, es tut der freiheitlichen Demokratie keinen Abbruch, wenn man über schwierige Fragen notfalls auch streitig debattiert und dann zu einem Ende kommt. Wichtig ist nach den Erfahrungen der vergangenen Woche nicht nur, dass wir der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden vertrauen können, sondern, dass wir auch auf sie hören müssen, wenn sie unter bestimmten Umständen etwas als Ultima Ratio für nötig halten. Dafür werbe ich. ({3}) Im Übrigen sind wir in den letzten Jahren auch im Sicherheitsverbund von Bund und Ländern gut vorangekommen. Wir haben nach jahrelangen Auseinandersetzungen die Antiterrordatei zustande gebracht. Sie funktioniert gut. Wir haben das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum aller Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern eingerichtet. Die Zusammenarbeit im GTAZ auch in diesen langen Monaten - sie war von Anfang an schwierig, und viele unserer ausländischen Partner haben besorgt gefragt, ob wir das in unseren föderalen Strukturen leisten könnten; die Antwort lautet: wir können es - trägt dazu bei, auch im Alltag mehr Vertrauen zueinander zu finden. ({4}) - Auch die gemeinsame Antiterrordatei. Darauf habe ich schon hingewiesen. Wir kommen auch mit der Einführung des Digitalfunks für die Behörden für öffentliche Sicherheit voran. Das war ebenfalls mit jahrelangen Auseinandersetzungen verbunden, die wir jetzt zu einer Lösung gebracht haben. Wir führen den Digitalfunk jetzt schrittweise ein. Das heißt: Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Ich glaube, dass wir diesen Weg weiter beschreiten können und auch mit aller Entschiedenheit weiter beschreiten müssen. Gestatten Sie mir eine weitere Bemerkung zu den großen Entwicklungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe dafür, dass wir alle auch dabei unserer Verantwortung gerecht werden. Manche meinen, dass die Freiheit immer weiter eingeschränkt wird. Ich finde, die tatsächliche Entwicklung geht dahin, dass wir immer mehr Freiheit haben. Das drückt sich in vielem aus. Die europäische Entwicklung - die Tatsache, dass es keine Grenzkontrollen mehr gibt und dass wir zum Ende dieses Jahres die Kontrollen an allen unseren Landgrenzen abschaffen werden - ist ein großer Fortschritt und auch ein großer Freiheitsgewinn. Ich sage Ihnen voraus: Je näher das Datum der Erweiterung des Schengen-Raumes kommt, desto mehr wird es in der Bevölkerung, insbesondere in der betroffenen Region, Ängste vor einem Sicherheitsverlust geben. Deswegen wird es wichtig sein, dass wir klarmachen, dass die Abschaffung der Grenzkontrollen keinen Verlust an Sicherheit für die Menschen bedeutet. Das gilt auch für die Grenzregionen. Wir werden durch verstärkte nachbarschaftliche Zusammenarbeit mit den polnischen und tschechischen Behörden, so wie wir es mit den französischen, belgischen und niederländischen Behörden seit vielen Jahren halten, nicht zu weniger, sondern zu mehr Sicherheit kommen. Die Öffnung der Grenzen in Europa bedeutet keinen Verlust an Sicherheit, sondern einen Gewinn an Freiheit und Sicherheit zugleich. Die europäische Entwicklung ist alternativlos. ({5}) Wir haben zu diesem Zweck eine schwierige - und für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur einfache - Reform der Bundespolizei auf den Weg gebracht. Die muss sein. Die Bundespolizei muss auf die neuen Aufgabenschwerpunkte vorbereitet sein. Deswegen ist die Reform der Bundespolizei notwendig. Sie hat im Übrigen auch das Ziel, dass wir bei gleichem Stellenbestand bei der Bundespolizei mehr Beamte für den polizeilichen Vollzug gewinnen, indem wir die Führungsstrukturen schlanker und effizienter gestalten. Auch dafür bitte ich um entsprechende Unterstützung. Wir werden das im Haushalt 2008 im Rahmen der bestehenden Ansätze leisten. Ich füge vorsichtig hinzu: 2009 und 2010 wird wahrscheinlich eine gewisse Erhöhung nicht zu vermeiden sein, wenn die Bundespolizei diese Reform bewältigen soll. Ich will noch ein Wort - weil es mir wichtig erscheint zum Themenbereich Katastrophenschutz sagen. Wir haben an der schrecklichen Erfahrung unseres europäischen Partnerlandes Griechenland mit der Waldbrandkatastrophe gesehen, wie dankbar wir für die breiten Strukturen in unserem Katastrophen- und Bevölkerungsschutz mit der Kombination von Hauptamt und Ehrenamt, mit unserem hochleistungsfähigen Technischen Hilfswerk, aber auch mit unseren hervorragenden Berufs- und Freiwilligenfeuerwehren überall im Land sein können. ({6}) Auch hier bewähren sich föderale Grundstrukturen, bewährt sich das Subsidiaritätsprinzip, auch mit dem Vorrang ehrenamtlicher Organisationen. Wir haben das Programm für den ergänzenden Katastrophenschutz. Das hat keine ganz einfache Geschichte, auch nicht im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Begründung. Es ist aber in mühevollen Verhandlungen mit den Innenministern der Bundesländer gelungen, die Vereinbarung zu erzielen, dass dann, wenn der Bund seine Mittel für dieses Programm nur in begrenztem Umfang zurückführt, die Bundesländer ihre Mittel entsprechend aufstocken, sodass wir den Gesamtbestand an ehrenamtlichen Helfern in den Freiwilligen Feuerwehren erhalten können. Wir erwiesen unserem Land einen schlechten Dienst, wenn wir das ehrenamtliche Engagement in unserem Land schwächten. Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir dieses Programm unterstützen. ({7}) - Wir kürzen nicht. Im Gegenteil: Im Vergleich zur mittelfristigen Finanzplanung stocken wir erheblich auf. Herr Kollege, schauen Sie es sich an! Unterstützen Sie es! Dann machen wir gemeinsam einen wichtigen Schritt und tun etwas Gutes für die Sicherheit in unserem Lande. Wir haben vielfältige Debatten darüber geführt, was wir tun können, um die Tendenzen zu Extremismus, insbesondere zu Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Gewalt bis hin zu Neonazismus zu bekämpfen. Wir haben viele Programme; diese müssen wir fortführen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir den jungen Männern in den Regionen Angebote machen, in denen es gelegentlich heißt, die Rechtsextremen hätten die attraktivsten Freizeitangebote. Das kann nicht wahr sein. Zum Beispiel hat das Technische Hilfswerk in diesem Sommer Ferienlager durchgeführt. Ich glaube, dass diese praktische Arbeit - zusammen mit den Sportverbänden mit der richtige Weg ist, diese Tendenzen zu bekämpfen. Deswegen bitte ich um Unterstützung. ({8}) Wir haben in aller Kürze die Konsequenzen aus der Evaluierung der Integrationskurse gezogen. Es geht um die Verbesserung der Integration. Mit unserem neuen Zuwanderungsrecht, das nun dabei ist, sich in der Praxis zu bewähren - all der Streit in vergangenen Monaten ist längst vergessen -, sind wir auf dem richtigen Weg und fördern und fordern Integration. Wir ziehen auch in diesem Haushalt die Konsequenzen aus der Evaluierung der Integrationskurse, um entsprechende Verbesserungen durchzusetzen. Da das Innenministerium eine große Fülle von Zuständigkeiten hat, möchte ich nur noch ein paar Stichworte nennen. Stichwort Sport: Wir stehen vor der doppelten Herausforderung, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Sportler, die in einem härter werdenden internationalen Wettbewerb stehen - ich habe die Weltmeisterschaften der Kanuten und Ruderer sowie der Turner in den letzten Wochen gesehen; es war wirklich wunderschön; Stuttgart ist auch eine tolle Sportstadt, das ist wahr -, ({9}) zu erhalten und ihnen faire Wettbewerbschancen zu geben und zugleich den Kampf gegen den Missbrauch leistungsfördernder Mittel weiter zu verstärken. Deswegen erhöhen wir die Mittel für die Dopingbekämpfung. Ich füge allerdings hinzu: Wir werden weiterhin darauf angewiesen sein, dass die Sportorganisationen ihre Verantwortung wahrnehmen. Wir haben zwar einiges gesetzgeberisch auf den Weg gebracht. Aber wir müssen von den Verantwortlichen - selbst im Radsport - die notwendige Entschiedenheit und Klarheit einfordern. Ich sehe, dass noch nicht überall die Überzeugung vorherrscht, dass ein wirklicher Neuanfang notwendig ist. ({10}) Letzte Bemerkung. Im Grunde geht es bei allem, was in meinem Geschäftsbereich liegt, darum, im Alltag unter Beweis zu stellen, dass unser föderales System und das Subsidiaritätsprinzip eine Freiheitsordnung garantieren, die besser als jede andere den Menschen nicht nur Freiheit, sondern auch Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten kann. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrtes Präsidium! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es eigentlich heute, am 6. Jahrestag von 9/11, beim Thema „innere Sicherheit“? Worum geht es dabei genau? Nach der öffentlichen Meinung geht es offensichtlich darum, wer am meisten Sicherheit verspricht. Das war in der Vergangenheit der ehemalige Innenminister, Herr Schily; das ist jetzt der amtierende Innenminister, Herr Schäuble. Herr Schäuble, zu den Zwischentönen, die Sie heute hier haben anklingen lassen, und dazu, dass Sie zurückgerudert sind und das zurückgenommen haben, was Sie in dem einen oder anderen Interview angesprochen haben, kann ich nur sagen: Die Worte hör ich wohl, allein mein Glaube beschränkt sich auf die Annahme, dass das heute ein Zugeständnis an die SPD war, nicht aber an unseren Staat und unsere Freiheit. Wir sind sehr gespannt, wie Sie damit weiter umgehen. ({0}) Im Versprechen von Sicherheit sind Sie groß, aber - das muss man ganz klar sagen - absolute Sicherheit wird es niemals geben. Das ist eine bittere, aber wahre Erkenntnis, zu der man stehen muss. Absolute Sicherheit gibt es mit keinem neuen Gesetz, mit keiner neuen Vorschrift, mit keiner neuen Technik und mit keinem neuen Programm. Apropos Programm, Herr Minister: Im letzten Herbst, etwa vor einem Jahr, haben Sie in letzter Minute im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Haushaltes das Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit vorgelegt, das von der Großen Koalition verabschiedet wurde. Mit diesem Programm nahm das Schicksal der Onlinedurchsuchung seinen Lauf. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir als FDP das ausgegraben haben. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es gab niemanden von Ihnen, der das verurteilt hätte, ({1}) im Innenausschuss nicht und im Haushaltsausschuss nicht. ({2}) Sie haben das toleriert, Sie waren dafür. Ob es eine Rechtsgrundlage dafür gibt oder nicht, war Ihnen genauso wie damals dem Innenminister völlig egal. ({3}) Heimliche Durchsuchung - das ist eine Methode im deutschen Rechtsstaat, die wir bisher nicht kennen, und zwar in keinem einzigen Fall. Das in einem Handstreich und möglichst auch noch heimlich einführen zu wollen, ist aus der Sicht der FDP eines Verfassungsministers nicht würdig. ({4}) Zurück zum Programm. Der Bericht des Bundesrechnungshofes, der es untersucht hat, spricht eine sehr deutliche Sprache. Er ist eigentlich eine schallende Ohrfeige für die Umsetzung des Programms. Kein Wunder, dass Sie lieber über heimliche Onlinedurchsuchungen als über das Programm sprechen; denn das ist schon durchgefallen. Der Bundesrechnungshof führt aus - wenn ich kurz zitieren darf -: Bei der Mehrzahl der untersuchten Maßnahmenpakete ist nicht erkennbar, dass die Bundespolizei ihre Ziele in absehbarer Zeit erreichen kann. Es sind Beschaffungen vorgesehen, die den parlamentarisch bewilligten Umfang deutlich übersteigen. Folgekosten bleiben unberücksichtigt, und Konzeptionen für spätere Evaluierungen gibt es erst gar nicht. - Nicht, dass uns das mit den Evaluierungen wundern würde, der Rest aber schon. Sie versprechen mit Ihren Maßnahmen Sicherheit und halten Ihre Versprechungen nicht einmal mit dem, was der Bundestag Ihnen zur Verfügung gestellt hat. Wie wollen Sie dann den Bürgern eigentlich noch klarmachen, wie Sie für Sicherheit sorgen wollen? ({5}) Es geht noch weiter: Seit dem 11. September 2001 sind in Deutschland 10 000 Polizistenstellen und dazu noch einmal 7 000 Tarifbeschäftigte bei den Polizeien eingespart worden. ({6}) Das ist wirklich ein Wort in Sachen Sicherheit. Computer, die heute im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität, Kinderpornografie oder auch islamistischem Terrorismus beschlagnahmt werden, liegen teilweise zwei Jahre in den Kellern der Behörden, weil dort kein Personal ist. Macht das dieses Land sicherer? DNA-Spuren warten teilweise Jahre auf die Auswertung, und das alles, weil es an Ressourcen und Personal fehlt. Wo bleiben da bitte schön Ihre warnenden Worte, Herr Minister? ({7}) - Ich wusste, dass Sie sich das leicht machen. Wenn Sie sich jetzt auf die fehlenden Zuständigkeiten berufen, dann frage ich Sie: Ist eine IMK wie die am Freitag dann eigentlich nur noch eine Show-Veranstaltung? Es ist ja schön, wenn Sie sich mit den Landesinnenministern auf einen Straftatbestand für den Besuch von Terrorcamps einigen. Diesbezüglich möchte ich Sie aber auf zwei Sachen hinweisen: Erstens sind die Landesinnenminister dafür gar nicht zuständig. Einzig und allein der Bundestag kann das beschließen, nicht die IMK; das muss ganz klar sein. Sie können vieles beschließen, was der Bundestag dann umsetzen soll. Ich habe aber noch kein warnendes Wort von Ihnen an die Landesinnenminister gehört, dass diese bei der Polizei und den entsprechenden Ressourcen dringend aufstocken müssten. Wenn eine IMK Sinn ergeben soll, ist auch das ein Thema, das auf die Tagesordnung gesetzt werden muss. Da habe ich Ihre Stimme wirklich vermisst. ({8}) Es ist uns klar, dass mehr Polizei und bessere Ausstattung viel Geld kosten. Aber innere Sicherheit darf aus unserer Sicht nicht am Geld scheitern. Das ist eine ganz klare Haltung meiner Fraktion, und wir würden uns freuen, wenn die anderen das so umsetzen würden. In Nordrhein-Westfalen, wo ein liberaler Innenminister die Verantwortung übernommen hat, werden mehr Polizisten eingestellt als in jedem anderen Bundesland. ({9}) Ich frage mich, ob Ihre sogenannte Große Koalition da funktioniert. Zum Schluss noch eine Aufforderung an das ganze Parlament: Der Wettlauf um die besten Vorschläge nach einem vereitelten Anschlag hat aus meiner Sicht wirklich nichts mit seriöser Politik zu tun. ({10}) Das ist eine Missachtung derjenigen - im Fall der letzten Woche waren es 300 Beamtinnen und Beamten -, die Tag und Nacht gearbeitet und einen Erfolg vorzuweisen haben. Das erste, was Sie machen, sind neue Vorschläge, statt diesen Menschen ausführlich zu danken und in Ruhe neue Vorschläge zu überdenken. Das hat aus meiner Sicht mit ruhiger Politik nichts zu tun. ({11}) Zweitens frage ich mich, warum Sie diese Vorschläge, wenn sie denn so toll sind, nicht schon längst gemacht haben. ({12}) Das ist keine seriöse Politik. ({13}) Uns geht es nicht darum, absolute Sicherheit zu versprechen, uns geht es darum, größtmögliche Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu erreichen. Das ist die bessere Alternative. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Fritz Rudolf Körper von der SPD-Fraktion.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich - gerade in diesen Tagen - eine Bemerkung machen, die mir sehr wichtig ist: Deutschland kann stolz sein, dass es im internationalen Vergleich eines der sichersten Länder der Welt ist. ({0}) Ich bitte dies bei allen Debatten, die wir über die Sicherheitslage führen, nicht zu vergessen. Wir müssen alles daransetzen, dass Objektivität und Subjektivität - die objektive Ausgangsposition und das subjektive Empfinden der Bürgerinnen und Bürger - zusammengeführt werden. ({1}) - Das kann man hinzufügen, Herr Kollege Tauss: statt Hysterie. - Ich finde es ganz wichtig, dass wir mit der Sicherheitslage sorgfältig und objektiv umgehen und dass keine falschen Schlussfolgerungen gezogen werden. Die jüngsten Tage haben deutlich gemacht, wie erfolgreich unsere Sicherheitsbehörden mit dem vorhandenen Instrumentarium arbeiten können. Dafür sei ihnen herzlich gedankt! ({2}) Diese Aktionen machen auch deutlich, wie wichtig unsere Fähigkeiten im Vollzug sind. Denn es kommt nicht nur auf die Gesetze an, sondern darauf, wie gut wir im polizeilichen Vollzug sind. Liebe Frau Kollegin Piltz, Sie haben zu Recht festgestellt, dass die Länder bei der Polizei ihre Personalkontingente reduziert haben. Aus meiner Sicht wäre es aber ein Gebot der Fairness gewesen, hinzuzufügen, dass der Bund dies eben nicht getan hat, sondern seine Polizei in den zurückliegenden Jahren personell und materiell besser ausgestattet hat. ({3}) Frau Kollegin Piltz, es ist immer ein bisschen schwierig, mit Steinen zu werfen, wie Sie es getan haben. In Bezug auf das, was Sie zum Thema Onlinedurchsuchungen gesagt haben, bedarf es folgenden Hinweises: Warum liegt diese Sachfrage in Karlsruhe vor? Weil es ein Landesverfassungsschutzgesetz gibt, das diese Regelung enthält. Dieses Gesetz wurde in Nordrhein-Westfalen beschlossen, und zwar mit Zustimmung der FDP und des dortigen FDP-Innenministers. Sie sollten daher ganz vorsichtig sein, über diese Durchsuchungen zu richten. ({4}) - Meine Bemerkung hat offensichtlich gesessen. - Wir, die rot-grüne Bundesregierung, haben dieses Instrument übrigens nicht angewendet. Ich halte es für einen beachtlichen Vorgang - auch das will ich deutlich machen -, dass in der Öffentlichkeit keine Bemerkung gemacht worden ist, die die Ermittlungen gefährdet hätte, obwohl Hunderte von Beamten an den Maßnahmen beteiligt waren, die zu den Verhaftungen geführt haben. Es ist festzustellen, dass sich das Terrorabwehrzentrum - wir haben dafür gesorgt, dass sich die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern an einen Tisch setzen - bewährt hat: Es war entscheidend, um den Vollzug zu effektivieren und um zu diesen Ergebnissen zu kommen. Darauf können wir stolz sein. ({5}) Es ist wichtig, dass wir nicht immer wieder nach neuen Instrumenten rufen. Manch ein Ruf überlebt keine 24 Stunden. Wir sollten vielmehr mit den bewährten Instrumenten sehr sorgfältig umgehen, und wir sollten klären, was wir darüber hinaus noch tun müssen. Ich finde es ganz richtig und wichtig, dass wir das Bundeskriminalamt zukünftig mit einer sogenannten Präventivkompetenz im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ausstatten. Das ist nämlich die richtige Antwort auf die Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus. ({6}) Was die Frage der Onlinedurchsuchungen anbelangt: Das ist nach meinem Dafürhalten zwar eine wichtige, letztlich aber nur eine Detailfrage, die wir nicht überhöhen sollten. ({7}) Ich finde es richtig und wichtig, dass wir an der Beantwortung dieser Frage sorgfältig arbeiten. Ich halte es auch für notwendig, die Karlsruher Entscheidung einzubeziehen. Ich denke, das ist die richtige Vorgehensweise. ({8}) Unser ausdrückliches Angebot ist, über das BKA-Gesetz möglichst zügig zu beraten und zu entscheiden. ({9}) Herr Kollege Schäuble, ich verstehe allerdings nicht, dass dem Bundeskriminalamt nach der Haushaltsvorlage 8 Millionen Euro genommen werden, um sie der Bundespolizei zukommen zu lassen. Ich habe die Neuorganisationsmaßnahmen im Bereich der Bundespolizei immer so verstanden, dass es nicht zu einer Vermehrung von Personalkosten kommen soll. Angesichts der Herausforderungen im Bereich des internationalen Terrorismus sind diese 8 Millionen Euro beim Bundeskriminalamt besser eingesetzt als bei der Bundespolizei. ({10}) Wir müssen noch einmal darüber reden, Kollege Uhl, wie wir das Thema der Neuorganisation der Bundespolizei grundsätzlich angehen. Mir stellt sich die Frage: Welche Synergieeffekte kann man bei Bundeskriminalamt und Bundespolizei nutzen? Ich nenne beispielsweise den kriminaltechnischen Bereich oder den IT-Bereich. Es geht darum, wie wir das bei einer Neuorganisation forcieren können. Doppelstrukturen bei BKA und Bundespolizei halte ich nicht für sonderlich sinnvoll. ({11}) Wir möchten noch einmal grundsätzlich über die Neuorganisation der Bundespolizei reden - das sage ich ganz deutlich -; denn die Auswirkungen, wie sie sich darstellen können, sind unserer Auffassung nach nicht geeignet, polizeiliche Arbeit zu effektivieren und zu forcieren. Deswegen ausdrücklich noch einmal dieses Gesprächsangebot. Es ist notwendig, das Bundespolizeigesetz zu ändern. ({12}) Das bedarf der Zustimmung dieses Hauses. Das Interesse an einer Effektivität der Neuorganisation ist selbstverständlich. Herr Kollege Schäuble, Sie haben das Technische Hilfswerk und den Katastrophenschutz angesprochen. Auf das Technische Hilfswerk und die Arbeit, die von den Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen dort geleistet wird, können wir stolz sein. ({13}) Wenn es eine solche Einrichtung nicht gäbe, müsste sie eigentlich erfunden werden. Das Technische Hilfswerk zeichnet sich dadurch aus, dass es eine besondere Kombination von Ehrenamtlichkeit auf der einen Seite und Hauptamtlichkeit auf der anderen Seite gibt. Es ist dann gut, wenn es zwischen den Ehrenamtlichen und den Hauptamtlichen gut funktioniert. Die Planungen des Bundesinnenministeriums, von 800 Hauptamtlichen 100 Hauptamtliche einzusparen, halte ich schlichtweg für falsch. ({14}) Es kommt hinzu, dass das Technische Hilfswerk eine globale Minderausgabe in Höhe von 7 Millionen Euro erwirtschaften soll. Ich bitte insbesondere die Haushälter, da noch einmal genau hinzuschauen; denn das können wir dem Technischen Hilfswerk weder materiell noch personell zumuten. Meine herzliche Bitte wäre, eine verbesserte finanzielle Situation für das Technische Hilfswerk zu erreichen. ({15}) Ob wir im Bereich des Katastrophenschutzes gegenüber den Ländern ohne rechtliche Grundlage so großzügig sein sollten, will ich zumindest mit einem Fragezeichen versehen. Der Innenhaushalt ist sehr facettenreich. Ich will eine kurze Bemerkung zum Thema Sport machen. Sie haben das Rudern angesprochen. Wir müssen feststellen: Im Rudern sind wir im Moment nicht so erfolgreich, wie wir waren. ({16}) Warum sind wir im Rudern der Männer nicht so erfolgreich? Weil wir ein Problem haben, was den beruflichen Übergang der Athleten anbelangt. Sie haben gesagt: Wir können uns das quasi beruflich nicht leisten. - Da wäre es ganz wichtig, noch einmal den Hinweis an den Bundesverteidigungsminister zu geben, die Mittel, die er für den Leistungssport und die Sportlerinnen und Sportler zur Verfügung stellt, nicht unbedingt zu reduzieren. Das wäre ein guter Beitrag für den Sport in Deutschland. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder Haushaltsentwurf gibt die Grundrichtung an, in die eine Regierung gehen will. Wir sagen an dieser Stelle ganz klar: Die Grundrichtung, die hier vorgegeben wird, Herr Innenminister, ist grundfalsch. ({0}) Falsch ist der Galoppritt zum Überwachungsstaat. Falsch ist die Weigerung, Einwanderern und Flüchtlingen endlich ernsthafte Integrationsangebote zu machen. Wir haben vor wenigen Wochen anlässlich des G-8Gipfels einen erschreckenden Anschauungsunterricht darin erhalten, wie der Staat aussieht, den sich diese Regierung wünscht. ({1}) Um den legitimen Protest gegen den Gipfel zu verhindern, sind der Protest und der Widerstand über Monate hinweg diffamiert worden, Sitzblockaden wurden als Gewalttaten verunglimpft. Rund um den Gipfel herrschte ein pauschales Demonstrationsverbot, und wir alle haben die Käfige gesehen. Die Bundeswehr hat sich mit Spähpanzern und Tornados an der Überwachung und Einschüchterung von Demonstrantinnen und Demonstranten beteiligt. Die G-8-Szenen zeigen aber auch, dass es Protest und Widerstand gegen diese Entwicklung gibt, und das ist gut so. Zehntausende von Demonstrantinnen und Demonstranten haben trotz willkürlicher Verbote ihre Grundrechte wahrgenommen und demonstriert. ({2}) Dieser Protest wird von unserer Fraktion ausdrücklich unterstützt. Meine Damen und Herren, zwei Drittel des gesamten Etats für die Innenpolitik, insgesamt 3,3 Milliarden Euro, fließen in den Bereich Sicherheit. ({3}) 2008 sollen es noch einmal 270 Millionen Euro mehr werden. Schauen wir uns einmal genauer an, was hier eigentlich finanziert wird: Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten ist mit der Einrichtung des Antiterrorzentrums und der sogenannten Anti-Terror-Datei weitgehend aufgehoben worden. Passfotos werden schon gespeichert und ab 1. November auch die Fingerabdrücke von allen, die Reisepässe haben wollen. Die nächsten Überwachungsmaßnahmen sind schon vorbereitet. Das Bundeskriminalamt wird zur Geheimpolizei mit weitreichenden Befugnissen ({4}) zur Telefonüberwachung, zur Verwanzung von Wohnungen und zur heimlichen Onlinedurchsuchung, die ja schon Gegenstand dieser Debatte war. Wer an die Beschwichtigung des Innenministers glaubt, es gehe ja bloß um zehn Computer im Jahr, der ist selbst schuld und meines Erachtens naiv. ({5}) Wenn erst die rechtliche Grundlage da ist, werden die technischen Mittel ausgebaut. Dann drohen immer mehr Computerschnüffeleien. Genauso war es im Übrigen beim Großen Lauschangriff auf Wohnungen, ({6}) der ja, bevor er vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde, weidlich ausgeweitet wurde. An dieser Stelle möchte ich gerne Heribert Prantl zitieren, der vor wenigen Tagen im NZZ Folio die Logik des Überwachungsstaats folgendermaßen beschrieben hat: Jeder Einzelne gilt als potentiell verdächtig - so lange, bis sich durch die Kontroll- und Überwachungsmassnahmen seine Entlastung ergibt. ({7}) Mit dem Rechtsstaatgedanken, an dem die Linksfraktion nach wie vor festhält, hat das nichts mehr zu tun. Daran muss man gerade auch heute, am 11. September, erinnern. Meine Damen und Herren, wie falsch die Gelder angelegt wurden - die Kollegin Piltz ist schon darauf eingegangen -, die angeblich der Sicherheit dienen sollen, hat der Bundesrechnungshof gerade gerügt. Von 17 Millionen Euro, die voriges Jahr für den Ausbau von Videoüberwachung bewilligt worden waren, sind erst 600 000 Euro ausgegeben worden, ({8}) und zwar nicht, weil die Regierung so sparsam ist, sondern weil sie niemals Vorstellungen für konkrete Projekte entwickelt hatte. Erst wird mit Angstmache Alarm geschlagen, dann wird dringender Handlungsbedarf behauptet, Gelder werden eingefordert, und am Ende stellt sich heraus, dass die Bundesregierung völlig konzeptionslos agiert, so zum Beispiel beim Feldversuch am Hauptbahnhof in Mainz, wo mit Videokameras eine automatische Gesichtserkennung erprobt wurde, die sich als großer Flop erwiesen hat und damit eine riesige Geldverschwendung darstellt. Die Linke hat andere Vorstellungen davon, wo Gelder eingesetzt werden müssten. Letztes Jahr hat die Bundesregierung hier mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ein spontanes Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit mit einem Volumen von 130 Millionen Euro beschlossen. Die Linke fordert jetzt ein ähnliches Sofortprogramm, und zwar zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. ({9}) Herr Schäuble, meine Damen und Herren, niemand kann ernsthaft bestreiten, dass die größte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zurzeit von den Neofaschisten und Rechtsextremisten ausgeht. ({10}) Das hat vor einigen Tagen besonders die rassistische Hetzjagd in Mügeln gezeigt. Das Beispiel Mügeln hat auch gezeigt, dass es falsch war, die Verantwortung für die Projekte gegen Rechts an die Kommunen zu delegieren. Die örtlichen Amtsträger wollen das Problem des Rechtsextremismus oftmals nicht sehen. Basisinitiativen und Beratungsteams gegen Rechtsextremismus müssen ständig um ihre weitere Finanzierung bangen. Etliche Projekte wurden schon eingestellt, weil sie nicht mehr finanziert werden. Da läuft doch wirklich etwas falsch. Während Linke stets mit dem § 129 a StGB bedroht sind und damit rechnen müssen, als terroristische Vereinigung zu gelten, verüben Rechtsextremisten Tausende von rechtsextremistischen Straftaten, ohne dass die Bundesregierung ernsthafte Gegenmaßnahmen anzubieten hätte. Die Linke fordert deswegen: Wenn schon 270 Millionen Euro zusätzlich für sogenannte Sicherheitsausgaben bereitstehen sollen, dann muss dieses Geld voll und ganz in den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus fließen. ({11}) Die schon vor Jahren vom Bundestag beschlossene unabhängige Beobachtungsstelle gegen Rechts muss endlich geschaffen werden. Das könnte dazu beitragen, dass auch Dunkelziffern rechter Gewalt offengelegt würden und tatsächlich mehr Sicherheit zu erreichen wäre, insbesondere was den Schutz der potenziellen Opfer angeht. Noch ein paar Worte zur Integrationspolitik. Die Sprachkurse für Neuzuwanderer und Flüchtlinge sind eindeutig unterfinanziert. Notwendig wären eine höhere Stundenzahl, kleinere Kurse und eine bessere Entlohnung des Lehrpersonals. Wir wollen, dass auch sogenannte Geduldete und Asylsuchende diese Kurse besuchen dürfen. Selbst das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Rambøll-Gutachten geht von einem Mehrbedarf von fast 60 Millionen Euro aus. Veranschlagt sind aber nur 14 Millionen Euro. Wir sagen hier ganz klar: Wer Integration zur nationalen Aufgabe erklärt, wie das vor allen Dingen die CDU/CSU tut, muss auch entsprechende Mittel bereitstellen, damit diese Integrationskurse optimal ausgestaltet werden können. ({12}) Während die Regierung weiterhin bei der Integration spart, wird die sogenannte EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter aufgerüstet. Deren Schiffe und Hubschrauber sollen Flüchtlinge abschrecken, was in der Praxis bedeutet, dass noch mehr Menschen gefährdete Fluchtrouten benutzen müssen. Die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ hat am Tag des Flüchtlings erklärt: Wer das Sterben vor den Toren Europas wirklich verhindern möchte, muss sich Gedanken darüber machen, wie Flüchtlinge und Migranten gefahrenfrei und legal auf dem Territorium der EU ankommen können. Das wäre meiner Meinung nach wirklich ein humanitärer Akt. Im vorliegenden Haushaltsentwurf ist von all diesen Dingen nichts zu finden. Die Linksfraktion fordert vor allem, die Zusammenlegung von Polizei und Geheimdiensten ebenso wie die Inlandseinsätze der Bundeswehr sofort zu stoppen. Streichen Sie die Millionen für Hightechüberwachungsanlagen, stoppen Sie den Aufbau des Schnüffelstaates, und investieren Sie Gelder in den Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine humanitäre Flüchtlingspolitik! Zuletzt weise ich darauf hin, dass am 22. September hier in Berlin eine Demonstration unter dem Motto „Stoppt den Überwachungswahn“ gegen Vorratsdatenspeicherung und den Abbau von Bürgerrechten stattfindet. Wir als Linke werden uns auf jeden Fall an diesen Protesten beteiligen. Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Silke Stokar, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Zunächst gratulieren natürlich auch wir den Frauen der Fußballnationalmannschaft, die gestern mit 11 zu 0 hervorragend gegen Argentinien gewonnen haben. Das ist eine hervorragende Leistung, die ganz ohne Doping erreicht wurde und die hier im Hause auch gewürdigt sein soll. ({0}) Meine zweite Bemerkung richtet sich an die parlamentarische Verantwortung in diesem Haus. Ich vertrete nicht die Auffassung, dass der BKA-Präsident Ziercke dem Parlament über öffentliche Interviews sagen sollte, was die Polizei braucht. Ich glaube, es ist im demokratischen Rechtsstaat gute Tradition, dass das Parlament der Polizei auch Grenzen setzt und dass wir bestimmen, wo das Ende der Wunschliste der Polizei ist. ({1}) Das sollten wir hier nicht durch einige laxe Bemerkungen des Innenministers in das Gegenteil umkehren lassen. ({2}) Lassen Sie mich auch sagen: Gleiches gilt für die IMK. Selbstverständlich haben die Innenminister der Länder das Recht, sich zu versammeln. Selbstverständlich haben sie auch das Recht, den Herrn Bundesinnenminister als Gast dazu einzuladen. ({3}) Gesetzgeber zur Bundesinnenpolitik ist jedoch der Deutsche Bundestag; Gesetzgeber ist das Parlament und sonst niemand. Dieses Selbstverständnis sollten zumindest wir hier unten in den Reihen alle miteinander teilen. ({4}) Weiterhin möchte ich eine Frage an Sie, Minister Schäuble, richten. Wir sind in den Haushaltsberatungen. Ich frage Sie: Was machen Sie eigentlich mit dem Geld, das Ihnen das Parlament zur Verfügung stellt? Es ist vonseiten der Opposition von einigen Rednern angesprochen worden: Zum Haushalt 2007 haben Sie ein zusätzliches Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit gefordert und es nach den zum Glück vereitelten Kofferbombenanschlägen von der Mehrheit des Hauses auch erhalten. Von diesen 26 Millionen Euro haben Sie nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs lediglich 3,4 Prozent für die Terrorismusbekämpfung ausgegeben. Für mich ist dieser Vorgang ein Skandal. Für mich ist dieser Vorgang eine Missachtung des Haushaltsrechts des Parlaments. So geht das nicht! Der Begriff Terrorismusbekämpfung wird für Sie zum Sesam-öffne-dich der Steuerkasse. Anschließend verschwindet das Geld in den schwarzen Kassen des BMI, und Sie sagen uns nicht, was Sie mit diesem Geld konkret gemacht haben. ({5}) Vor diesem Hintergrund wundert es mich überhaupt nicht, dass mein Antrag auf Akteneinsicht zur Sicherheitszentrale der Bahn seit zwei Monaten im Übrigen rechtswidrig vom BMI nicht beantwortet wird. Wir wollen wissen, wie es um die Videoüberwachung der Bahnhöfe steht. Wir wollen es nicht länger zulassen, dass der Bundesinnenminister öffentlich überall mehr Videoüberwachung fordert. Wir sind nicht der Auffassung, dass dies der richtige Weg ist, wenn der Minister dann in seinem Zuständigkeitsbereich der Bahnsicherheit das zur Verfügung gestellte Geld nicht ausgibt, wofür er eine Rechtsgrundlage hat. Dort, wo er Verantwortung trägt, handelt er nicht. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir haben die Schnauze voll von Denkanstößen. ({6}) Wir haben keine Lust mehr auf Ankündigungen im Bereich der Innenpolitik. Wir haben auch keine Lust mehr auf das innenpolitische Theater, das wir seit zwei Jahren hier verfolgen können. ({7}) Wir sagen: Sechs Jahre nach den verheerenden Anschlägen des 11. Septembers ist die Lage viel zu ernst, als dass wir es uns hier in Deutschland leisten könnten, dass der Bundesinnenminister im Wochentakt - man könnte fast sagen: im Stundentakt - eine Forderung in den Raum stellt. Die Justizministerin sagt dann: Nein, das mache ich nicht. Herr Uhl oder Herr Edathy spielen das ganze Spiel ab und zu noch öffentlich mit. Ihre Bilanz nach zwei Jahren als Innenminister sieht so aus - ich verstehe das ein Stück weit; denn Sie wollten diesen Job nie haben -: Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben Sie zwei Gesetze, die noch von Rot-Grün auf den Weg gebracht wurden, zu Ende geführt. Seitdem gibt es nichts: keinen Gesetzentwurf, kein Konzept, keine Pläne und keine Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen. Das Einzige, was es gibt, sind Hardlinersprüche in der Presse und ein Riesengezänk in der Großen Koalition. ({8}) Lassen Sie mich zu zwei der umstrittenen Projekte etwas sagen. Wir wollen keine Onlinedurchsuchungen. Herr Kollege Uhl, der Unsinn, den Sie dazu gesagt haben, ist eigentlich nur Ausdruck Ihrer Desinformation. Was ist denn schon heute alles möglich? Selbstverständlich kann das BKA im Internet nach Bombenbauanleitungen fahnden; selbstverständlich kann der BND die E-Mail-Kontakte zwischen Deutschland und Pakistan überwachen; selbstverständlich hat das BKA auch schon heute bei Terrorismusverdacht die Möglichkeit, versandte E-Mails zu überwachen. All dies sagen Sie der Bevölkerung nicht. ({9}) Herr Schäuble will das Eindringen in private Computer mit einer staatlich entwickelten Spionagesoftware ermöglichen. Ich lehne diese Maßnahme nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen ab. Ich möchte, dass Bundeskanzlerin Merkel auf dem nächsten IT-Kongress einmal der IT-Wirtschaft erklärt, wie Internetsicherheit in Deutschland hergestellt werden soll. Ich möchte, dass die Bundeskanzlerin erläutert, zu welchem ökonomischen Schaden die Umsetzung von Schäubles Plänen - nach meiner Auffassung führen sie zu Internetgefahr made in Germany - führen kann. ({10}) Wenn Sie mir an diesem Punkt nicht glauben, kann ich Ihnen nur sagen: Chip, eine der besten deutschen Computerzeitschriften, forderte auf ihrer Titelseite den „Schäuble-Blocker“. Die Computerzeitschrift Chip beschreibt sehr genau die ökonomischen Schäden, die entstehen, wenn der Staat Spionagesoftware entwickelt. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass diese Spionagesoftware auch in kriminellen Händen ist und dass damit zum Beispiel Onlinebankkonten leergeräumt werden. Das ganze Vorhaben ist Unsinn und kein Beitrag zu mehr Sicherheit. Meine Damen und Herren - ich wende mich insbesondere an die SPD - ich kann Ihre Begeisterung für die Novelle des BKA-Gesetzes wahrlich nicht nachvollziehen. Die Novelle führt zu einer grundlegenden ÄndeSilke Stokar von Neuforn rung der Sicherheitsstruktur in Deutschland, hin zu mehr Zentralismus. Das BKA wird zukünftig, ohne in Kooperation und Kommunikation mit den Landeskriminalämtern treten zu müssen, in eigenem polizeilichen Ermessen, befreit von der Kontrolle durch die Bundesanwaltschaft, ermitteln können. Damit werden Wünsche erfüllt, die das BKA schon in den 70er-Jahren hatte. Um im ganzen Land agieren zu können, bedarf es nur der Zauberformel „Terrorismusverdacht“. Vor dem G-8-Gipfel haben wir gesehen, wie in Deutschland nach wie vor mit dem Begriff „Terrorismusverdacht“ umgegangen wird. Wir wollen nicht, dass das BKA sozusagen alleine, ohne Richterbeschluss, auch nachts, Häuser in Deutschland durchsuchen kann. Irgendwer wird mir vielleicht einmal erläutern, was man mit einem Platzverweis für Terrorverdächtige erreichen will. Ich habe erst überlegt, ob ich darüber lachen soll; aber offensichtlich meinen Sie das ernst. ({11}) - Nein. Zu den Themen Integration und Rechtsextremismus ist hier einiges gesagt worden, auch von der Bundesregierung. Es gab ein großes öffentliches Tamtam, großes Theater. Es wurde ein nationaler Integrationsgipfel ins Leben gerufen. Die Ergebnisse der Evaluation der Integrationskurse - Sie haben die Evaluation selbst in Auftrag gegeben - werden nicht ernst genommen. Sie setzen nicht die erforderlichen Mittel ein, um Ihre eigene Forderung - Zuwanderer sollen Deutsch lernen - in die Tat umzusetzen. Zum Deutschlernen braucht man Kurse. Dazu benötigt man ausreichend bezahltes und qualifiziertes Lehrpersonal und eine Kinderbetreuung. Was machen Sie? Erst kürzen Sie die Haushaltsmittel erheblich; dann legen Sie wieder etwas drauf. Aber Sie wissen ganz genau, dass diese Haushaltsmittel nicht ausreichend sind, ({12}) um vernünftige Integrationskurse, die wir in Deutschland dringend brauchen, zu finanzieren. ({13}) Ein weiterer Bereich; das Stichwort „Mügeln“ ist schon gefallen. Sie haben es innerhalb von kürzester Zeit geschafft, die guten Programme gegen Rechtsextremismus, mit denen eine Struktur der Gegenwehr gerade in den neuen Bundesländern aufgebaut worden ist, kaputtzumachen. Sie leiten die Gelder in die falschen Hände. ({14}) Sie haben den Begriff „Rechtsextremismus“ aus der Überschrift dieser Programme gestrichen. Sie unterscheiden sich nicht sehr von dem Bürgermeister in Mügeln; denn in der Realität meinen Sie es gar nicht ernst mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich möchte zum Schluss eine Bitte an alle Fraktionen richten. Wir haben erneut einen Brief von der liberal-jüdischen Gemeinde bekommen mit der Bitte, uns im Bundestag dafür einzusetzen, dass das Abraham-GeigerKolleg - es bildet Rabbiner nach der liberal-jüdischen Tradition aus - endlich ausreichend aus Bundesmitteln finanziert wird. Ich bin der Meinung, dass wir fraktionsübergreifend mit einem Antrag zugunsten dieses Projektes in die Haushaltsberatungen eingreifen sollten und dafür sorgen sollten, dass dieses Rabbiner-Kolleg mit Bundesmitteln anständig finanziert wird. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Michael Luther, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um die Einbringung des Haushaltes des Bundesinnenministers; als Mitglied des Haushaltsauschusses will ich ein paar Dinge dazu sagen. Der Haushalt hat ein Volumen von 4,85 Milliarden Euro. Das sind 360 Millionen Euro oder 8 Prozent mehr als 2007. An dieser Stelle stelle ich fest: Unser Minister Schäuble hat gegenüber dem Finanzminister einen guten Job gemacht. Ich habe nicht den Eindruck, dass er seine Arbeit nicht gerne macht. Der Haushalt - das ist ein wichtiges Signal - weist keine globale Minderausgabe mehr aus. Es ist für uns als Mitglieder des Haushaltsausschusses ausgesprochen wichtig gewesen, dies zu erreichen. Denn das Damoklesschwert, das im Laufe des Jahres immer über den einzelnen Kapiteln hing - das THW wurde angesprochen -, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Der überdurchschnittliche Zuwachs ist durch die innere Sicherheit begründet. Es werden 230 Millionen Euro mehr ausgegeben. Es ist nun einmal so: Das Innenministerium ist das Sicherheitsministerium unseres Landes. ({0}) Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass dafür das meiste Geld ausgegeben wird. Ich denke, gerade in Zeiten der Haushaltskonsolidierung bleibt eine Aufgabe ganz wichtig: dass das Ministerium seine Verantwortung für die Sicherheit der Menschen wahrnimmt. ({1}) Dass das notwendig ist, hat gerade die letzte Woche gezeigt, in der drei militante Islamisten festgenommen worden sind, die, wenn man das nicht gemacht hätte, einen Anschlag mit ungeahnten Folgen für die Bürger unseres Landes hätten ausführen können. Heute ist ein denkwürdiger Tag: der sechste Jahrestag des sogenannten 9/11. Damals wurde der Welt gezeigt, wie Terrorismus funktioniert. Daher ist heute der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden. Ich will es ganz klar sagen: Dass es bei uns bislang keine Anschläge wie in Madrid oder London gegeben hat, kann man vielleicht unter dem Stichwort „Glück gehabt“ abhaken. ({2}) Aber das liegt ganz wesentlich auch an unseren Sicherheitsbehörden in Deutschland, ({3}) die eine gute Arbeit leisten und bislang an der einen oder anderen Stelle Schlimmeres verhindern konnten. ({4}) Wenn man Sicherheit als wichtiges Thema erkennt, dann weiß man, dass es der haushaltsmäßigen Untersetzung bedarf. Ich bin Haushälter, und jeder weiß, dass ich grundsätzlich eher für weniger bin. An dieser Stelle aber bin ich für die Zurverfügungstellung von Mitteln in ausreichender Höhe, gegebenenfalls von mehr. Der Deutsche Bundestag sollte nicht Gefahr laufen, sich eines Tages vorwerfen lassen zu müssen, wir hätten zu wenig für die Sicherheit der Menschen getan und einen Anschlag, den man hätte verhindern können, aus finanziellen Gründen nicht verhindert. An dieser Stelle will ich klar sagen: Man darf technologisch nicht stehen bleiben. Die Erfolge, die heute mit den vorhandenen Mitteln erreicht werden können, können morgen nur dann erreicht werden, wenn den Sicherheitsbehörden auch die Mittel von morgen zur Verfügung stehen. Wir dürfen technologisch nicht stehen bleiben. ({5}) Ich will noch ein anderes Thema ansprechen. Das Bundesministerium des Inneren wird seine Immobilien bis Ende dieses Jahres an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergeben. Damit wird das Bundesinnenministerium das erste Ministerium sein, das das geschafft hat. Die Auswirkungen - das will ich an dieser Stelle klar sagen - sind im Einzelplan noch nicht vollständig etatisiert; das werden wir im Laufe der Haushaltsberatungen tun. Mit der Umstrukturierung wurde ein wichtiges Signal gesetzt: Zukünftig wird das Ministerium sehr darauf achten, dass nur die Objekte angemietet bzw. genutzt werden, die tatsächlich benötigt werden. Man wird darauf achten, nur so viel Miete zu zahlen wie nötig; schließlich sollen alle Aufgaben des Ministeriums erfüllt werden können. Als Haushälter muss ich noch einen Satz zum BOSDigitalfunk sagen. Es ist ein großer Erfolg des Bundesinnenministers, dass es ihm letztendlich gelungen ist, die Fäden zusammenzuführen und das Projekt auf den Weg zu bringen. ({6}) Im Haushaltsausschuss und im Plenum des Bundestages haben wir schon oft darüber geredet. Allerdings kann erst jetzt gesagt werden - das muss man bedauerlicherweise feststellen -, welche finanziellen Mittel für die Erfüllung dieser Aufgabe notwendig sind. Die mittelfristige Finanzplanung sieht für die nächsten Jahre momentan 1,1 Milliarden Euro vor. Das ist zu wenig. Bis 2021 brauchen wir mehr Geld. In den Haushaltsberatungen werden wir auch darüber reden müssen. Der Katastrophenschutz ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Auch ich will etwas dazu sagen. Der Bund hat die erforderlichen Einsatzfahrzeuge für die Feuerwehren vor Ort jahrelang finanziert. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde klar geregelt, welche Aufgaben Bund und Länder wahrzunehmen haben. Die Länder haben diesbezüglich jetzt eine größere Verantwortung. Der Bund hat in diesem Zusammenhang aber - das sage ich ganz klar, und diesbezüglich bin ich mit meiner Fraktion einer Meinung - eine Koordinierungsfunktion wahrzunehmen, damit die Einheitlichkeit des Katastrophenschutzes gewährleistet werden kann. Das Ergebnis der Verhandlungen über ein angepasstes Katastrophenschutzkonzept von Bund und Ländern ist meiner Ansicht nach interessant. Der Bund zahlt nunmehr zwei Drittel und die Länder ein Drittel. Mit Verlaub: Ich hätte mir das auch andersherum vorstellen können. Ich halte das aber für einen Erfolg; denn die Länder beteiligen sich jetzt immerhin zu einem Drittel an dieser Aufgabe. Auch das ist ein Erfolg der Verhandlungen von Herrn Schäuble. An dieser Stelle möchte ich ihm meinen herzlichen Dank dafür aussprechen. ({7}) In den letzten Haushaltsberatungen haben wir oft über das Thema Integration geredet. ({8}) Wir haben gesagt, dass wir die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen müssen. Es gab den Integrationsgipfel, der auch im Haushalt 2008 eingeplant ist. Gleichwohl muss ich sagen, dass mich das Ergebnis überrascht hat. Es gibt zwar ein Mehr, aber nur ein Mehr von 10 Prozent. Auf der anderen Seite zeigt das aber, dass wir die benötigten Mittel zur Verfügung gestellt haben. ({9}) Gleichwohl sage ich, dass ich mich mit diesem Thema noch nicht ausreichend beschäftigt habe. Wir werden das im Rahmen der Haushaltsberatungen noch tun. Wir müssen dieses Thema noch einmal anpacken; denn die Sprachförderung bleibt für die Union ein wichtiges Thema. ({10}) Lassen Sie mich einen letzten Satz zur Sportförderung sagen: 17,3 Millionen Euro mehr sind ein gutes Signal an den Spitzensport. Gerade im Bereich der Sommersportarten müssen wir mehr Mittel zur Verfügung stellen. Ich denke, der Haushalt 2008 ist ein gutes Signal für unsere Athleten, die Deutschland im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in Peking vertreten werden. Wir haben in den Haushaltsberatungen viel vor uns. Packen wir es an! Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einen Gedanken von Minister Schäuble aufgreifen. Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir können auf die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden vertrauen. Der Meinung sind wir als FDP auch. ({0}) Der Fahndungserfolg der letzten Woche war ein Beleg für die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden. ({1}) Aber die Sicherheitsbehörden brauchen dafür auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Durch die Politik der letzten Monate mit einem unangebrachten Stakkato von unausgegorenen Verschärfungsvorschlägen wurde gerade dieses Vertrauen gestört. ({2}) Ich will versuchen, Ihnen an einem Beispiel deutlich zu machen, welche Fehlentwicklung die Innenpolitik hier nimmt. Sie sagten heute in Ihrer Rede hier und auch zuvor im Morgenmagazin, die umstrittene Onlinedurchsuchung sei eine Maßnahme, die in nur ganz wenigen Fällen im Jahr in Betracht komme. Das glaubt nach den Erfahrungen, die die Bürgerinnen und Bürger mit der Innenpolitik machen mussten, niemand. Ich nenne folgende Beispiele: Dieser Bundestag hat einmütig beschlossen, dass wir keine Speicherung der Telekommunikationsdaten, der Daten von Millionen unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger, auf Vorrat haben wollen. Die Bundesregierung beschließt auf EU-Ebene genau das Gegenteil mit. ({3}) Erinnern wir uns an den Onlinezugriff auf Bankdaten. Dieser Onlinezugriff war ursprünglich zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geplant. Er kann heute jede Bürgerin und jeden Bürger treffen. ({4}) Das ist die Entwicklung. Herr Minister Schäuble, Sie persönlich waren es, der bei dem Thema Mautdaten in gleicher Weise agierte. Dieser Bundestag hat bei Einführung der Lkw-Maut einstimmig beschlossen, dass die dabei erhobenen Daten nur für Abrechnungszwecke verwendet werden sollen. Die CDU/CSU hat übrigens besonderen Wert auf diesen Passus im Gesetz gelegt. Als ein schlimmes Verbrechen an einer Autobahnraststätte geschah, haben Sie, Herr Minister Schäuble, als einer der Ersten verlangt, dass die Daten selbstverständlich auch für polizeiliche Zwecke zur Verfügung stehen. ({5}) Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob es richtig oder falsch ist. Mir geht es darum, dass hier von der Bundesregierung, aber auch von der Mehrheit im Parlament immer wieder versprochen wird, dass eine bestimmte Maßnahme die Ausnahme bleibt. Am Ende wird diese Ausnahme dann immer weiter ausgeweitet, und ganz am Schluss ist es eine Standardmaßnahme. Das ist die Realität, auf die wir uns einstellen müssen. ({6}) Wem das noch nicht genügt, der möge einen Blick in § 100 a Strafprozessordnung werfen, der die Telefonüberwachung regelt. Damit hat man im Jahr 1968 begonnen; bezüglich vier schwerer Delikte war Telefonüberwachung zulässig. Ich habe jetzt einmal in diesem ellenlangen Paragrafen die möglichen Delikte gezählt. Bei 90 Delikten habe ich aufgehört, zu zählen. So ist das ausgeweitet worden. ({7}) Herr Minister Schäuble, daher besteht unser Misstrauen. Sie sagen: Regt euch nicht auf, ein Eingriff in die Privatsphäre ja, aber für wenige Fälle im Jahr. Später werden immer mehr Fälle dazukommen; es wird immer mehr ausgeweitet. Der hessische Datenschutzbeauftragte, ein angesehener Professor für öffentliches Recht, Michael Ronellenfitsch - installiert von der Regierung Koch -, hat davor gewarnt, indem er in einer Fachzeitschrift schrieb: Sind Zugriffsmöglichkeiten einmal geschaffen, verselbständigen sie sich leicht gegenüber ihrem ursprünglichen Zweck. Dagegen müssen wir als Opposition angehen. Herr Minister, Sie haben heute - das sei zugestanden - eine relativ moderate Rede gehalten. ({8}) Aber es ist noch nicht sehr lange her - deswegen muss man hier im Hohen Haus nach der Sommerpause daran erinnern -, dass Sie Interviews gegeben haben, wie etwa im Spiegel, die - ich sage das einmal vorsichtig - grenzwertig waren: mit der Relativierung der Unschuldsvermutung, mit dem Aufwerfen der Frage der gezielten Tötung von Terrorverdächtigen und anderem. ({9}) Minister Schäuble hat sich darauf berufen, er habe Fragen aufgeworfen und das dürfe man doch wohl noch. Wir sagen: Das reicht uns nicht. Von einem Verfassungsminister erwarten wir Antworten, ({10}) und zwar Antworten, die Freiheit und Sicherheit miteinander verknüpfen. Diese Antworten von Ihnen vermissen wir. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gabriele Fograscher, SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der 11. September; das ist schon mehrfach erwähnt worden. Ich denke, dieses Datum hat in der heutigen innenpolitischen Debatte eine besondere Bedeutung. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat nach dem 11. September 2001 reagiert. Sie hat umfassende Sicherheitspakete beschlossen, die den Sicherheitsbehörden ein effektives Instrumentarium an die Hand gegeben haben. Dass die geplanten Anschläge in der letzten Woche vereitelt werden konnten, hat gezeigt: Die Sicherheitspakete haben sich bewährt. Herr Minister Schäuble, Sie haben zu Recht hervorgehoben, dass die gute Zusammenarbeit zwischen den Länder- und Bundesbehörden für den Fahndungserfolg ausschlaggebend war. Das kam nicht von selbst, sondern es mussten zuerst Strukturen geschaffen werden. Dieser Erfolg ist das Ergebnis des Zusammenführens dieser Behörden im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum. Maßstab war und ist für uns, dass es auch in Zukunft eine Balance zwischen den Sicherheitsanforderungen und den individuellen Bürgerrechten, die unsere Demokratie ausmachen, geben muss. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn neue Instrumente geschaffen werden sollen. Hinter dem Schlagwort „Onlinedurchsuchung“ verbergen sich ganz erhebliche rechtliche und technische Probleme, für deren Klärung wir uns die nötige Zeit nehmen müssen; wir werden sie uns auch nehmen. Ganz sicher kein Beitrag zur Stärkung der inneren Sicherheit war der Vorschlag, das Alter für den Erwerb großkalibriger Waffen von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen. Es ist gut, dass dieser Vorschlag schnell zurückgezogen wurde. Zum Haushalt. Das Volumen dieses Haushalts nimmt im kommenden Haushaltsjahr um gut 8,2 Prozent zu. Umso unverständlicher ist, warum es in einigen für uns wichtigen Bereichen zu Kürzungen oder Umschichtungen kommt; der Kollege Fritz Rudolf Körper hat dies im Hinblick auf BKA und Bundespolizei bereits angesprochen, der Kollege Sebastian Edathy wird beim Thema Integration darauf eingehen. Ich will noch etwas zum Katastrophenschutz sagen. Im Haushaltsentwurf sind dafür ohne gesetzliche und konzeptionelle Grundlage weitere 30 Millionen Euro eingeplant. Allerdings wird das THW, das in originärer Zuständigkeit des Bundes ist, bei der Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe überproportional, nämlich in einem Umfang von 7,3 Millionen Euro, herangezogen. Ich darf daran erinnern, dass es die Länder in den Beratungen der Föderalismuskommission bislang abgelehnt haben, dem Bund mehr Kompetenzen bei der Bewältigung überregionaler Katastrophen zu übertragen. Warum also kommt es in diesem Bereich zu einer Aufstockung, beim THW dagegen zu einer Kürzung? Ich unterstreiche ganz ausdrücklich das, was Sie, Herr Minister, zum THW sowie zu seiner Struktur des Ehrenamtes und des Hauptamtes gesagt haben. Hervorheben möchte ich die Jugendarbeit, die vom THW geleistet wird. Die Sommercamps sind schon angesprochen worden. Das THW ist für Jugendliche aufgrund der Kombination von Engagement und Umgang mit Technik attraktiv. Es bietet sinnvolle Freizeitbeschäftigungen an. Dort entwickeln sich Freundschaften, es wird gesellschaftliches Engagement betrieben, und die Zivilcourage wird gestärkt. Damit leistet das THW einen Beitrag gegen Extremismus, insbesondere gegen Rechtsextremismus. Deshalb ist die Kürzung in diesem Bereich wirklich unverständlich. ({0}) Ebenfalls einen Beitrag zur Bekämpfung von Extremismus bzw. Rechtsextremismus leistet das im Jahr 2000 gegründete „Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt“. Mehr als 1 000 Organisationen und Initiativen haben sich unter dem Dach dieses Bündnisses zusammengeschlossen. Damit engagieren sie sich für Demokratie und Toleranz. Mitglieder aller Bundestagsfraktionen sind in seinem Beirat vertreten. Im letzten Jahr konnten wir auch auf Drängen der SPD-Haushälter erreichen, dass der Haushalt für das Bündnis auf 1 Million Euro aufgestockt worden ist. Im Entwurf des Haushalts 2008 sind die Mittel für das Bündnis wieder auf 700 000 Euro gekürzt worden; dies entspricht einer Kürzung um 30 Prozent, was für uns ebenfalls unverständlich ist. Für mich und meine Fraktion steht außer Frage, dass das Bündnis gute und notwendige Arbeit leistet und personell und finanziell gestärkt werden muss. Wir dürfen in unserer BeratungsGabriele Fograscher und Aufklärungsarbeit nicht nachlassen. Im Gegenteil: Wir müssen unsere Arbeit verstärken. Hinsichtlich der Kritik an den Programmen, die im Familienministerium angesiedelt sind, kann ich Ihre Auffassung in Teilen sicherlich bestätigen. Wir haben immer davor gewarnt, allein den Kommunen das Antragsrecht zu überlassen. Aber die Programme jetzt in Bausch und Bogen zu verdammen, Frau Stokar, wird ihnen nicht gerecht. Wir haben erreicht, dass die Mittel für die mobile Krisenintervention um 5 Millionen Euro heraufgesetzt wurden, und müssen diesen Teil des Programms zum Laufen bringen. Dann wird es auch Wirkung zeigen. ({1}) - Wir schauen durchaus auf die Umsetzung. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung steht wieder vor Mittelkürzungen. Laut Entwurf soll sie 133 000 Euro weniger erhalten. Auch dies werden wir nicht hinnehmen. ({2}) Wenn wir Jugendliche und junge Menschen nicht in die Fänge von Rechtsextremisten geraten lassen wollen, müssen wir die Werte unserer Demokratie besser vermitteln. Für diese Aufgabe ist die Bundeszentrale ganz sicher eine wichtige Institution. Allerdings sind politische Bildung und die Bekämpfung von Extremismus - vor allem des Rechtsextremismus - nicht alleinige Aufgabe des Bundes. Hier brauchen wir auch mehr Engagement von Ländern und Kommunen; diesbezüglich vermisse ich eine deutliche Aufforderung des Bundesinnenministers. Zum Sport ist heute schon einiges gesagt worden. Wir unterstützen die Mittelaufstockung für den Sport. Wir müssen wettbewerbs- und konkurrenzfähig sein, um bei den Olympischen Spielen und bei der LeichtathletikWM, die 2009 in Berlin stattfinden wird, mithalten zu können. Ein besonderes Anliegen ist uns die Unterstützung des Behindertensports. Leider führen wir zum Thema Spitzensport und Doping erneut eine Diskussion. Die Aufgabe der Nationalen Anti-Doping-Agentur ist es, Doping im Sport zu unterbinden. Der Bund kommt hier seinen Verpflichtungen nach; aber die zugesagten Mittel der Sponsoren, des organisierten Sports und der Länder sind noch nicht in der Weise eingetroffen, wie wir es uns wünschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Haushaltsrecht ist ein Parlamentsrecht. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir einige Schieflagen, die im Entwurf des Haushalts enthalten sind, in den anstehenden Beratungen noch korrigieren können. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Hans-Peter Uhl, CDU/CSUFraktion, das Wort. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als vor sechs Jahren die schrecklichen Anschläge in New York stattfanden, war das noch weit weg. Seit letzter Woche wissen wir, dass die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus in Deutschland ganz konkret ist. ({0}) Der Unterschied zwischen den Kofferbomben-Attentätern und den Tätern, die jetzt festgenommen worden sind, ist der, dass Letztere hochprofessionell und hochkonspirativ tätig waren. Wir wissen, dass sie in Pakistan ausgebildet wurden und dass sie ihre Befehle aus Pakistan erhielten. Sie haben ihre Anleitungen zum Bombenbau aus dem Internet bezogen und sich daran lehrbuchmäßig gehalten. Sie wurden angewiesen, zum heutigen Jahrestag ihr schreckliches Handwerk in Deutschland auszuüben. Aber wir wissen auch, dass nur drei festgenommen wurden und es eine ganze Reihe von Gefährdern gibt, die in Deutschland noch unter uns sind und die natürlich den Auftrag haben, in allernächster Zeit den verhinderten Anschlag in Deutschland nachzuholen. Wir werden uns im Innenausschuss noch in dieser Woche von den Fachleuten, Frau Stokar, genau erklären lassen müssen, was technisch benötigt wird, um diese Gefahren zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Wir werden - das ist unsere Aufgabe - die rechtlichen und die finanziellen Möglichkeiten schaffen, damit wir gewappnet sind. Es wird ein Wettlauf mit diesen hoch konspirativen, technisch versierten Leuten, Herr Stadler. Wir dürfen nicht den Kürzeren ziehen. Das heißt, die FDP wird sich entscheiden müssen: Wird Ihre Sorge davor, dass der Staat die Onlinedurchsuchung oder andere Fahndungsmaßnahmen missbräuchlich anwendet, größer sein? Werden Sie dafür sein, dass das Internet für Terroristen ein rechtsfreier Raum zur Vorbereitung ihrer Aktivitäten bleibt? Sie müssen sich entscheiden. ({1}) Was ist Ihnen wichtiger? Wollen Sie Angst schüren vor übereifrigen Beamten und damit den Terroristen das Handwerk erleichtern? ({2}) - Rufen Sie nicht so laut dazwischen, Frau Stokar! ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auf den komme ich gerade zu sprechen; dann soll er die Zwischenfrage stellen. Frau Kollegin Stokar, fragen Sie bitte einmal Herrn Ströbele, ob er, als er in dem zuständigen Gremium mit dem Gedanken und der politischen Absicht konfrontiert wurde, ({0}) die Onlinedurchsuchung in Kraft treten zu lassen, dazu etwas gesagt hat oder ob er geschwiegen hat. ({1}) Sollte er antworten: „Ich habe geschwiegen“, dann fragen Sie sofort weiter: War dir, Kollege Ströbele, bewusst, dass du durch Schweigen der Onlinedurchsuchung zustimmst? ({2}) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in der rot-grünen Regierungszeit die Grünen durch Schweigen der Onlinedurchsuchung zugestimmt haben? ({3}) Jetzt kann Herr Ströbele seine Frage stellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Ströbele, bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Uhl, kann es sein, dass Sie von PC- und Internetnutzung noch weniger verstehen als ich ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß nicht, was Sie davon verstehen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und dass Sie deshalb vorhin nicht verstanden haben, was die Kollegin Stokar auch Ihnen mitzuteilen versucht hat: dass es selbstverständlich schon heute, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, möglich ist, die Internetverbindungen, die Sie eingehen - vielleicht, wenn Ihnen jemand hilft - oder die ich eingehe, mitzubekommen? ({0}) Haben Sie das nicht verstanden, oder wollen Sie das nicht verstehen? Oder warum behaupten Sie, dass der Internetverkehr für den Staat nicht tabu sein darf? ({1})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ströbele, schon in dem einschlägigen Gremium, aus dem ich vorhin nicht berichtet habe, ({0}) aber auf das ich zu sprechen kam, habe ich verstanden, dass wir beide von der Technik der IT-Kommunikation ziemlich wenig verstehen. ({1}) Aber wir beide haben so viel verstanden, dass es dabei zweierlei Dinge zu trennen gilt: Es geht zum einen um Kommunikation per Internet und zum anderen um den Zugriff auf, wenn Sie so wollen, geronnene, auf der Festplatte fixierte, stattgefunden habende Kommunikation oder nicht einmal dies. Das habe ich verstanden und Sie, glaube ich, auch. ({2}) Jetzt geht es darum, dass Sie damals möglicherweise deswegen geschwiegen haben - ich weiß es ja nicht -, weil Sie nicht verstanden haben, dass man den Zugriff auf die Festplatte rechtlich möglich machen wollte, ({3}) und somit zugestimmt haben. ({4}) - Die Grünen haben zugestimmt, Frau Stokar. Ist das die ausreichende Antwort auf das Thema? ({5}) - Herr Präsident, läuft die Zeit weiter?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie können weiterreden.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei mir läuft die Zeit weiter und Herr Ströbele sitzt, gut.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nicht Herr Ströbele befindet über Ihre Redezeit.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich wieder ernst werden. Es ist schwer zu ertragen, wenn hier von einer Hopplahopp-Gesetzgebung, neuen Erkenntnissen und neuen technischen und rechtlichen Fragen die Rede ist. Ich möchte daran erinnern, dass vor dreieinhalb Jahren die Anschläge auf die Vorortzüge in Madrid stattgefunden haben. Unmittelbar danach hat der damalige Bundesinnenminister Schily - übrigens zu Recht - gefordert, dass die Internetkommunikation und alles, was damit zusammenhängt - bis hin zur Festplatte, Herr Ströbele - durchsucht werden können. ({0}) Daraufhin wurden alle rechtlichen und technischen Fragen in diesem Zusammenhang von Grund auf geprüft. In einem langen Gutachten wurde abschließend festgestellt, dass die Durchsuchung technisch möglich und rechtlich zulässig ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Stokar?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es sein muss, Frau Stokar.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Uhl, Sie sind auch Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Über den anderen Ausschuss dürfen wir hier nicht reden - das wissen Sie sehr genau -; denn er ist zur Geheimhaltung verpflichtet. Über den Innenausschuss des Bundestages dürfen wir aber sicherlich reden. Ich frage Sie: Können Sie sich daran erinnern, dass wir und auch andere Mitglieder der Opposition vor der Sommerpause dreimal schriftlich beantragt haben, dass der damals zuständige Staatssekretär, Herr Diwell, im Innenausschuss erläutern möge, was es mit seinem ominösen Erlass bzw. seiner Richtlinie auf sich hat, die bis heute keiner - wahrscheinlich auch Herr Staatssekretär Diwell selber nicht - versteht. Auf jeden Fall gibt es widersprüchliche Aussagen des Staatssekretärs und zum Beispiel der Geheimdienste. Sie haben als Abgeordneter und mit der Mehrheit der Großen Koalition dreimal hintereinander verhindert, dass Herr Diwell die Fragen der Opposition beantwortet. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zur Frage kommen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich frage Sie, ob Sie sich daran erinnern und das bestätigen können. Stattdessen stellen Sie in der Öffentlichkeit erneut die falsche Behauptung auf, die Grünen hätten einer Onlinedurchsuchung zugestimmt. Stimmen Sie mir zu, dass das Propaganda ist ({0}) - billige Propaganda

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, die Frage ist gestellt.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und dass Ihr Verhalten im Innenausschuss bzw. die Verhinderung, der Wahrheit näher zu kommen, ein schlechter politischer Stil ist? Danke.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie gleich noch eine zweite Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn? Dann können Sie zusammenhängend antworten. Das verlängert Ihre Redezeit ohnehin. - Bitte.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Uhl, Sie haben es eingangs so dargestellt, als sei es vor allen Dingen Aufgabe der politischen Parteien und der Fraktionen, beim Thema Onlinedurchsuchung in die Puschen zu kommen. Geben Sie mir recht, dass in Wahrheit die Onlinedurchsuchungen und die notwendigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung schon Bestandteile des Sicherheitspaketes für den Haushalt 2007 gewesen sind, über den hier schon mehrfach gesprochen worden ist? Geben Sie mir recht, dass bei den Beratungen über dieses Sicherheitspaket die Verfassungskonformität dieser Haushaltsansätze kritisch diskutiert und hinterfragt worden ist, ({0}) dass das Innenministerium Unterlagen dazu vorgelegt hat und wir als Koalitionsfraktion auf diese Angaben vertraut haben und dass die Tatsache, dass Gelder bisher nicht ausgegeben worden sind, nur mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Februar zu tun hat? Es hat nichts mit den Parlamentariern und den Fraktionen zu tun. Geben Sie mir auch recht, dass die Behebung nur möglich ist, wenn ein mehrheitsfähiger Gesetzentwurf vorgelegt wird, was Sache des Ministers ist? Stimmen Sie mir darin zu?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hagedorn, Frau Kollegin Stokar, ich gebe Ihnen nur sehr begrenzt recht bei dem, was Sie gefragt haben. Zunächst komme ich zu Herrn Lutz Diwell, der mehrfach erwähnt wurde. Es ist richtig, dass Sie sich darum bemüht haben, dass er im Innenausschuss erläutern möge, was er damals gesagt und getan hat. Das ist ein legitimes Ansinnen. Auch ich habe mir diese Frage bis heute schon öfter gestellt. ({0}) Frau Kollegin Stokar, es ist richtig, dass ich im Innenausschuss in der Tat dreimal mitgestimmt habe, als es darum ging, dass Herr Kollege Lutz Diwell nicht kommen wollte, und zwar mit wechselnden Begründungen. Aber es gibt in der Koalition eine Art kollektive Solidarität mit Menschen, die in Bedrängnis geraten sind. ({1}) Allein dieses samariterhafte Verhalten hat mein Handeln geprägt. Ich bleibe dabei, dass Sie den Antrag stellen sollten, dass sich der Kollege äußern möge. Ich weiß nicht, wie das Ganze enden wird. Aber irgendwann wird er sicherlich sagen, was er damals gedacht und getan hat und warum er heute möglicherweise andere Briefe schreibt. Ich weiß es jedenfalls nicht. Ich kann Ihnen nicht helfen. ({2}) Frau Kollegin Hagedorn, Sie haben die finanziellen Mittel für Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit der Internetüberwachung und -kontrolle angesprochen. Das ist nicht Kern des Themas. Was Sie gesagt haben, ist zwar alles richtig. Aber es geht um die bis zum Überdruss gestellten Fragen, ob es technisch möglich ist, ob es rechtlich zulässig ist und was wir überhaupt machen sollen. Diese Fragen hat Herr Bundesinnenminister Schily vor dreieinhalb Jahren gestellt. Sie wurden durch sein Haus mit Ja beantwortet. Es ist technisch möglich und rechtlich zulässig. Man schritt daraufhin zur Tat ({3}) und hat die Onlinedurchsuchung eingeführt. Auf welche Weise, in welchem Gremium und mit welcher Begründung, dazu habe ich aus gutem Grund nichts gesagt. Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Ich möchte noch gerne auf andere Themen zu sprechen kommen, obwohl es sehr wichtig war, dass einmal gesagt wurde, wie mit dem Thema Onlinedurchsuchung in den letzten dreieinhalb Jahren während der rot-grünen Regierungszeit umgegangen wurde.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie provozieren viele Zwischenfragen. Jetzt will der Kollege Fritz Rudolf Körper Sie etwas fragen. Gestatten Sie diese Zwischenfrage?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Uhl, Sie machen es einem schwer, weil

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eben nicht.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- aus dem Sie in dieser Form und Konkretion nicht berichten dürften, insbesondere was den Kollegen Ströbele anbelangt. ({0}) Ich stelle Ihnen die Frage, ob Sie diese Verfahrensweise für kollegial und korrekt halten. Ich halte sie jedenfalls für nicht kollegial und korrekt. Ich will Ihnen noch eine andere Frage stellen. Ist es richtig, dass der von Ihnen erwähnte Erlass, basierend auf § 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, nur eine einzige Anwendung gefunden hat, und zwar im Jahre 2006? Soviel ich weiß, hat die SPD damals nicht den Innenminister gestellt. ({1})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Körper, Sie müssen schon stehen bleiben. Sonst läuft meine Uhr weiter. Zu Ihrer ersten Frage: Ich habe nicht aus dem Gremium berichtet, sondern Frau Stokar geraten, einmal Herrn Ströbele zu fragen, ob er in einem einschlägigen Gremium geschwiegen habe. ({0}) Ich habe ihr einen Rat gegeben, wen sie befragen soll. ({1}) - Regen Sie sich doch nicht so auf! Ich habe des Weiteren gesagt: Wenn er sagt, er habe geschwiegen, solle sie ihn fragen, ob er sich bewusst gewesen sei, dass er der Onlinedurchsuchung zugestimmt habe. Das war meine Rede. Ich weiß, was ich sage. ({2}) Nun zu Ihrer zweiten Frage: Sie haben etwas gesagt, was ich weder bestätigen noch verneinen kann, nämlich dass von dem damals eingeführten Instrument der Onlinedurchsuchung einmal Gebrauch gemacht worden sei. Das haben Sie gesagt, nicht ich. Dies sei in einem Zusammenhang geschehen, als Herr Schily - das sagen Sie -, der die Onlinedurchsuchung eingeführt hat - das sage ich -, nicht mehr im Amt gewesen sei. Das stimmt doch? ({3}) Das konnte aber doch nur geschehen, nachdem Herr Schily die Onlinedurchsuchung mit Ihrer Unterstützung, Herr Kollege Körper, eingeführt hat. Habe ich recht? Danke. ({4}) Quod erat demonstrandum, was zu beweisen war, Herr Körper. Darum ging es mir in meiner Rede. ({5}) Jetzt komme ich noch auf etwas anderes zu sprechen: home-grown terrorism. Der Umstand, dass der Terror für jeden erkennbar bei uns angekommen ist, zeigt auch, dass es höchste Zeit war, das zu tun, was Innenminister Schäuble mit großer Energie und großem Erfolg begonnen hat, nämlich die Islamkonferenz einzuberufen. Die Islamkonferenz ist der Beginn eines dringend nötigen Dialogs mit dem Islam, um zu klären, welche Werte in unserer Gesellschaft gelten und welche Position der Islam auch in Bezug auf Terror und Sicherheitsgefährdungen einnehmen muss. Diese Islamkonferenz hat mehrfach stattgefunden und muss fortgeführt werden. Das ist ein Erfolg dieser Koalition. Die Gewaltbereitschaft und die Radikalisierungstendenzen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund nehmen zu. Das wissen wir seit vielen Jahren. Wir müssen heute zugeben - ich glaube, darin sind wir uns einig -, dass das auch das Ergebnis einer jahrzehntelang versäumten konsequenten Integrationspolitik ist. ({6}) Jetzt haben wir mit den Zuwanderungsgesetzen und mit der Integrationspolitik ernst gemacht. Wir haben gesagt: Integration heißt nicht nur Fördern, sondern auch Fordern. Wer der Forderung nicht nachkommt, kann Sanktionen zu spüren bekommen. Ich halte das für sehr wichtig. Das wird uns weiterbringen. Nur, wir lernen dabei: Ernst genommene Integration - das ist vielleicht auch der Grund, warum jahrzehntelang nichts gemacht wurde - ist mit all den Sprachkursen und Staatsbürgerkursen ein sündhaft teures Geschäft für den Staat. Dennoch müssen wir es machen. Hunderte von Millionen Euro werden wir ausgeben müssen, weil alles andere uns noch mehr Probleme schafft. Der Visamissbrauch ist allen noch in Erinnerung. Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, dass zusätzliche Berater der Bundespolizei für Sicherheitsfragen im Visumverfahren zur Verfügung stehen sollen. Das zuständige Innenministerium und das Auswärtige Amt haben lange verhandelt, wer das bezahlen soll. Die Verhandlungen sind übrigens noch nicht abgeschlossen. Frau Hagedorn, ich bitte Sie, Ihr Augenmerk darauf zu richten, dass nicht ein Buchhalterstreit zwischen zwei Ministerien fortgesetzt wird. Wir wollen gemeinsam die zusätzlichen Kontrolleure in den Visastellen haben. Das darf nicht daran scheitern, dass sich zwei Häuser bekriegen und ein Haus dem anderen die Kosten aufbürden will. Ich bitte, das Thema im Auge zu behalten. Wir bestehen darauf, dass die Haushaltsmittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Ich möchte zum Schluss noch ein wichtiges Projekt der Bundesregierung ansprechen, nämlich den Aktionsplan Deutschland Online und E-Government. ({7}) Ziel der Bundesregierung ist die elektronische Kommunikation sowohl zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen als auch mit den Bürgern. Die muss verbessert werden. ({8}) - Das wird gemacht. - Frau Stokar, ein wichtiger Bestandteil dieses Programms ist, dass wir die IT-Systeme harmonisieren und verbessern. ({9}) Das ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig. Zum E-Government gehört auch die bereits beschlossene Einführung des elektronischen Reisepasses mit biometrischen Merkmalen. Weiter wird die Einführung der elektronischen Personalausweise mit digitaler Signatur dazugehören. Dies alles ist ein Sicherheitsgewinn und ein Effizienzgewinn, worauf wir großen Wert legen. Dies werden wir in der nächsten Zeit einführen. Wir sollten bei der Gelegenheit nicht versäumen, uns für all das zu bedanken, was die Sicherheitsbehörden und das Innenministerium im Verbund mit uns im Innen11456 ausschuss für die Sicherheit Deutschlands getan haben. Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Sebastian Edathy von der SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eine besondere Herausforderung, nach dem sehr geschätzten Kollegen Dr. Uhl sprechen zu dürfen. Ich komme nicht ganz umhin, noch ein Wort zur Onlinedurchsuchung zu sagen. Es ist eine Frage der politischen Klugheit und des seriösen Umgangs mit einer tatsächlich vorhandenen terroristischen Bedrohung, nicht überstürzt Gesetze zu machen, wenn zugleich noch technische und vor allen Dingen verfassungsrechtliche Fragen völlig offen sind. Es ist ein Gebot der Klugheit, gerade in schwierigen Zeiten Gesetze mit Besonnenheit zu machen. Gerade in Zeiten, in denen die Öffentlichkeit sehr bewegt ist von dieser Thematik, dürfen wir uns diese Hektik und Erregtheit nicht zu eigen machen, sondern müssen mit Klugheit entscheiden. ({0}) Die Gleichung, dass mehr Gesetze zwangsläufig mehr Sicherheit schaffen, stimmt nicht; und wir wissen nicht erst seit Friedrich Dürrenmatts Buch Die Physiker, dass wir in einer demokratischen Gesellschaft nicht alles machen dürfen, nur weil es technisch möglich ist. Das technisch Mögliche sollten wir dann tun, wenn es verhältnismäßig und zielführend ist und sich in unsere Rechtsordnung einfügen lässt, zu der es gehört, immer die Balance zwischen der Wahrnehmung von Sicherheitsbelangen und der Verteidigung von Bürgerrechten im Auge zu behalten. Wir müssen sehr großen Wert darauf legen, dass diese Balance nicht verloren geht in diesem Land. ({1}) Wir haben noch viele Möglichkeiten, im Rahmen der bestehenden Rechtslage Sicherheitslücken zu schließen. Wir werden noch einmal, wie Herr Körper das angedeutet hat, darüber reden müssen, ob es gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung vertretbar ist, für das Bundeskriminalamt im nächsten Haushaltsjahr 8 Millionen Euro weniger zu verausgaben als im laufenden Haushalt. Da klafft zwischen der öffentlichen Darstellung und dem Haushaltsentwurf eine Lücke, die man schließen sollte. ({2}) Ich finde es sehr gut, dass wir im nächsten Jahr für die Verbesserung und Finanzierung der Gepäck- und Personenkontrollen an den deutschen Flughäfen 17 Millionen Euro mehr ausgeben werden. Das muss aber mit einer deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Menschen, die dort arbeiten, einhergehen. Es war der hessische Innenminister, der mit Blick auf den Flughafen Frankfurt gesagt hat, dass es aus seiner Sicht zu viele Kontrolllücken gebe, weil die Leute im privaten Sicherheitsgewerbe schlecht bezahlt würden, man deshalb nicht besonders gut qualifizierte Leute finde, weil sie nicht motiviert seien und viele Überstunden machten. Wir brauchen gerade an den Kontrollstellen der Flughäfen höchstmögliche Sicherheit. Um das zu gewährleisten, müssen wir im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung noch verschiedene Gespräche führen. ({3}) Ich will in meinem Beitrag zwei Punkte vertieft ansprechen. Innenpolitik heißt auch, die Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhaltes zu verfolgen. Zusammenhalt zu gewährleisten heißt, dass Teilhabe garantiert werden muss. Teilhabe für die Menschen, die als neue Mitbürger zu uns gekommen sind, bedeutet, dass wir natürlich - wie Herr Uhl gesagt hat - darauf achten müssen, dass sie integrationswillig sind, dass wir ihnen aber auch Angebote machen müssen, damit sie Integrationsleistungen erbringen können. Einen Punkt finde ich korrekturbedürftig. Der Vorteil eines Haushaltsentwurfs ist ja, dass er das Parlament in der Regel nicht in der Form verlässt, in der er in dasselbe eingebracht wurde. Ich finde es ein wenig merkwürdig, dass es in diesem Jahr eine große Debatte über den Integrationsgipfel gibt, wobei sich alle einig zu sein scheinen, dass man für die Integration mehr machen muss, insbesondere bei den Integrations- und Sprachkursen aufstocken und stärker differenzieren muss und Angebote für Frauen mit Kindern braucht, zum Beispiel durch Kinderbetreuung während dieser Kurse. Es gibt ein Gutachten aus dem Bundesinnenministerium, das besagt, dass 50 Prozent der Besucher der Sprach- und Integrationskurse besonders förderbedürftig seien. Wir müssten für diese 50 Prozent eigentlich das Stundenkontingent von bisher 630 Stunden auf 930 Stunden aufstocken. ({4}) Dem trägt der Haushaltsentwurf nicht Rechnung. Dort ist lediglich die Aufstockung von 140 Millionen Euro um 14 Millionen Euro auf 154 Millionen Euro vorgesehen. Wir brauchen im nächsten Jahr eher 40 Millionen Euro als 14 Millionen Euro mehr, um dieser großen Aufgabe Rechnung tragen zu können. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel?

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Edathy, wenn man solche Aussagen macht, wäre es schon ganz schön, sich über die Sachverhalte kundig zu machen. Ist Ihnen bekannt, dass bis zum Ende des Monats Juni 2007 von den 140 Millionen Euro, die wir im Bundeshaushalt 2007 für Integrationskurse vorgesehen haben - aus bestimmten Gründen wollte ich diese Zahl eigentlich nicht nennen -, tatsächlich nur 52 Millionen Euro abgeflossen sind? Das hängt damit zusammen, dass wir folgendes Problem bekommen werden: Die Anzahl derjenigen, die die Integrationskurse freiwillig besuchen, wird immer geringer - es ist schlicht und ergreifend so, dass sie mit dem Absolvieren dieser Kurse langsam fertig sind -, ohne dass wir gleichzeitig in ausreichendem Maße diejenigen, die es besonders nötig hätten, an Integrationskursen teilzunehmen, zur Teilnahme verpflichten. Wir wissen, dass in den Urlaubsmonaten Juli und August fast gar keine Integrationskurse stattfinden. Stimmen Sie mir vor diesem Hintergrund zu, dass für diese Kurse am Jahresende hochgerechnet etwa 100 Millionen Euro abgeflossen sein werden? Das sollten wir den Haushaltspolitikern übrigens nicht durch solche - ich muss das einmal so nennen - fahrlässigen Bemerkungen, wie Sie sie gemacht haben, noch auf die Nase binden. Es werden genau die 50 bis 60 Millionen Euro übrig bleiben, die Sie hier eingefordert haben. Wenn man wirklich die Fakten kennt, weiß man, dass das, was wir im Haushalt 2008 vorsehen, ausreichend sein wird. Den gewaltigen Sprung, den wir trotz zurückgehender Inanspruchnahme der Kursmittel machen werden, reden Sie hier schlecht, anstatt zu sagen, dass wir bei den Integrationskursen wirklich einen gewaltigen Qualitätssprung nach vorne machen können. Ich verstehe das nicht. ({0})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Grindel, ich weise zunächst die Unterstellung der Fahrlässigkeit oder des Äußerns der Unwahrheit ausdrücklich zurück. ({0}) - Auch den Vorwurf des Schlechtredens weise ich zurück. Ich rede das nicht schlecht, sondern, ganz im Gegenteil, ich begrüße es ausdrücklich, dass wir - auch im Innenausschuss - parteiübergreifend große Einigkeit erzielt haben, im Bereich der Integrationskurse etwas voranzubringen. Der Bedarf, den Sie prognostizieren, muss sich allerdings an den Parametern messen lassen, die wir bei der qualitativen Verbesserung der Kurse zugrunde legen. ({1}) Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang einmal einige Punkte nennen. Das Bundesinnenministerium geht bezüglich dieses Haushaltsansatzes davon aus, dass wir den Stundensatz der Lehrkräfte marginal anheben. Ich finde, man kann sich sehr wohl darüber unterhalten, ob 2,35 Euro pro Stunde und Teilnehmer ausreichen, um motiviertes und qualifiziertes Personal zu bekommen. Wenn man da einen höheren Wert veranschlagt, wächst automatisch der Bedarf. Herr Kollege Grindel, dem Eckpunktepapier des Bundesinnenministeriums ist zu entnehmen, dass die Aufstockung der Stundenzahl von 630 auf 930 lediglich für die Alphabetisierungs- und Jugendkurse vorgesehen sei. ({2}) Ich bin der festen Überzeugung, dass der Bedarf weit größer ist. Wir, die Mitglieder des Innenausschusses - er ist mitberatend -, haben noch die Gelegenheit, uns dieser Frage vertieft zu widmen. Ich bezweifle jedenfalls, dass diese marginale Aufstockung um 10 Prozent ausreichen wird, um den einen von uns allen gewollten qualitativen Sprung nach vorne zu machen. ({3}) Abschließend möchte ich einen Punkt ansprechen, der mir besonders am Herzen liegt. Wir können seit Jahren beobachten, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder erstarkt. Vor wenigen Wochen hat die größte deutsche Synagoge - sie befindet sich hier in Berlin, in der Rykestraße - wieder eröffnet. Im letzten Jahr haben erstmals Rabbiner eine Ausbildung an einer Bildungseinrichtung des liberalen Judentums abgeschlossen. Dafür können wir dankbar sein. Ich finde es ganz hervorragend, dass im Entwurf des Haushalts des Bundesinnenministeriums vorgesehen ist, die Mittel für die sehr gute Arbeit des Zentralrats der Juden von 3 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro zu erhöhen. Durch den Bundeshaushalt wird diese Arbeit also unterstützt. Ich freue mich auch, dass es gelungen ist, das von mir eben angesprochene Abraham-Geiger-Kolleg, in dem die Rabbinerausbildung betrieben wird, verstetigt finanziell zu fördern und zudem zu gewährleisten, dass die dort jüngst begonnene Kantorenausbildung ebenfalls Unterstützung bekommt. Wir können über diese Entwicklung froh und dankbar sein. Wenn es zu der fälligen Neuverhandlung zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat der Juden über die Frage „Wer wird von den erhöhten Mittelansätzen begünstigt?“ kommt, sollten wir aber auch sicherstellen, dass jüdisches Leben in Deutschland gleich behandelt und gleich gefördert wird, unabhängig von seiner Ausprägung. Vielleicht ist es auch ganz gut, bei einer solchen Debatte, bei der es die eine oder andere Kontroverse gegeben hat, noch einmal festzuhalten: Antisemitismus und Rechtsextremismus, das sind Themen, die sich nicht für die parteipolitische Instrumentalisierung eignen; es sind Themen, bei denen wir als Demokratinnen und Demokraten in der gemeinsamen Verantwortung stehen, etwas sicherzustellen: Das Grundversprechen dieses Staates ist, dass jeder in diesem Land ohne Angst sicher leben können muss. Dazu gehört, dass organisierte Menschenfeindlichkeit hier und da vielleicht Realität ist; sie ist aber nichts, was wir als Demokraten jemals als Normalität betrachten werden. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Edathy, damit das nicht - meines Erachtens nicht ganz korrekt - stehen bleibt, will ich zwei Punkte ansprechen. Es ist nicht so, dass das Eckpunktepapier 930 Stunden nur für Jugend- und Alphabetisierungskurse vorsieht. Bei den Alphabetisierungskursen kann man sogar auf 1 200 Stunden kommen. Es ist vielmehr so, dass jeder, der den Kurs nach 630 Stunden verlässt und nicht das Sprachniveau B 1 erreicht hat, weitere 300 Stunden bekommen soll. Das ist die Regelung. Wenn jemand nach 600 Stunden das Niveau B 1 geschafft hat, ist das Ziel erreicht. Wenn jemand es da nicht geschafft hat, soll er es nach 900 Stunden bzw. 930 Stunden erreichen. Das heißt, dass man bei den Alphabetisierten sogar auf 1 200 Stunden kommen wird. Was Sie da erwähnt haben, ist insofern also nicht in Ordnung. Das ist die Zielsetzung, die wir verfolgen. Zweiter Punkt. Die 2,35 Euro sind nach den Ergebnissen der Ramboll-Untersuchung ausreichend. Sie müssen zugestehen, dass wir eine noch bessere Bezahlung bei den Kinder-, Jugend- und Frauenkursen, gerade wenn es um Betreuung von Kindern geht, vorsehen. Wir können im Übrigen - insofern sind die Papiere, die Ihnen jetzt dazu vorliegen, auch von relativer Bedeutung - doch eines miteinander festhalten: Die Integrationskursverordnung ist noch nicht geändert. Wir können dabei über alles reden. Ich hoffe, dass der Bundesinnenminister uns als Abgeordnete an diesen Diskussionen beteiligt. Die Frage der Bezahlung der Lehrkräfte zum Beispiel entscheidet sich nicht danach, wie viel wir für den Kurs ausgeben, sondern unter anderem danach, ob wir so etwas wie Mindesthonorare vorsehen, wofür ich wäre. Daher sollten wir der Öffentlichkeit durchaus sagen: Die Integrationskursverordnung ist noch nicht geändert. Das ist offen. Wir können vernünftige Lösungen für alle Beteiligten finden. Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen, weil Sie die Frage der Rabbinerausbildung angesprochen haben. Sie haben nach Mügeln ein Stakkato von Interviews gegeben. Das ist in Ordnung. Das, was dort vorgefallen ist, war ein schlimmes Verbrechen. Ich hätte mir aber eigentlich gewünscht, dass Sie nach dem Messerattentat auf den Rabbiner in Frankfurt öffentlich auch einmal ein Wort dazu gesagt hätten. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Edathy, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum ersten Punkt, den Sprachkursen, brauche ich nicht viel zu sagen. Ich bin recht sicher, dass bei uns in der Koalition auch nach dem Integrationsgipfel gilt, dass wir nicht nur die Lippen spitzen, sondern auch zu pfeifen bereit sind. Wir müssen über die Frage der Honorarzahlung für die Lehrkräfte und darüber sprechen, ob der Sprung von 2,05 Euro auf 2,35 Euro hinreichend groß ist, um zu einer wirklichen Verbesserung der Situation der Beschäftigten zu kommen. Im Gutachten wird von bis zu 3 Euro gesprochen. Darüber können wir einmal in Ruhe mit den Haushältern, aber auch im Innenausschuss sprechen. Dann will ich etwas zu dem zweiten Punkt sagen, den Sie angesprochen haben. Sie haben dargelegt, ich hätte mich zu den Ereignissen von Mügeln geäußert, wo sich Menschen in einem Haus verbarrikadieren mussten, um nicht noch schwerere Schadenseinwirkungen erdulden zu müssen; ich hätte mich nicht zu dem Attentat auf einen Rabbiner in Frankfurt geäußert. Das trifft mich schon. Ich will Ihnen dazu zwei Punkte sagen. Der erste ist: Was Sie mir unterstellen, nämlich ich würde mich nur äußern, wenn bestimmte Gruppen zu Opfern würden, weise ich zurück. Das ist falsch. Sie wissen, wie es in der Medienlandschaft ist. In der Regel macht man nicht eine Pressemitteilung, sondern in der Regel wird man von Journalisten gefragt. Da stellt sich die Frage vielleicht eher in eine andere Richtung. Das Zweite, was ich Ihnen dazu sehr deutlich sagen will, weil das Relativieren ein bisschen mitschwang: Hans Magnus Enzensberger hat einmal sehr zutreffend formuliert, dass man Unrecht nicht gegeneinander aufrechnen darf, sondern dass sich Unrecht summiert. Ich hoffe, dass dieser Konsens hier in diesem Hause von niemandem infrage gestellt wird. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Damit kommen wir schließlich zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07. Das Wort hat Bundesministerin Brigitte Zypries. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch bitte Platz oder setzen Sie Ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fort. Wir wollen doch die Beratungen fortsetzen. So, ich glaube, jetzt ist es so weit. - Bitte, Frau Zypries.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir reden jetzt über den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und damit über den Haushalt, von dem jeder Finanzminister träumt. Es ist ein Haushalt mit geringen Ausgaben, aber hohen Einnahmen. Wer hätte das nicht gerne in seinem Bereich? Der Einzelplan 07 ist einerseits der kleinste Haushalt unter den Ministerien. Sie wissen wahrscheinlich, dass der Anteil schwankt. Bei diesem Haushalt beträgt unser Anteil 0,16 Prozent. ({0}) - Das ist wahr. - Andererseits haben wir die höchste Deckungsquote. Ohne die Versorgungsausgaben können wir 96 Prozent der Ausgaben durch eigene Einnahmen decken. Das ist eine Bilanz, die wir schon seit mehreren Jahren hier immer wieder gerne verkünden. Jetzt gibt es im nächsten Jahr einen Ausgabenzuwachs um 2,2 Prozent. Dem steht allerdings auch ein Einnahmenzuwachs gegenüber - wie sollte es auch anders sein? - um voraussichtlich, so prognostizieren wir wenigstens, 4,3 Prozent. Wir brauchen diese zusätzlichen Mittel - das sind ja schon wenig genug - für den Justizhaushalt aus drei Gründen: Der eine ist, wir müssen unseren Anteil zu den Versorgungslasten erbringen. Der zweite ist, wir müssen uns weiter um das Deutsche Patent- und Markenamt kümmern; das ist ein wichtiges Thema. Der dritte ist, wir bekommen im Bereich des Gesellschaftsrechts neue Aufgaben, die durch zusätzliches Personal abgedeckt werden müssen. Zu den Versorgungsausgaben: Sie wissen, dass es künftig bei den einzelnen Ministerien jeweils einen sogenannten Versorgungsfonds geben wird. Für einen Haushalt wie den Justizhaushalt, der besonders durch Personalausgaben geprägt ist, stellt das natürlich eine hohe Zusatzbelastung dar. Deswegen haben wir für die Sicherung der späteren Versorgung von Menschen, die wir jetzt neu im Ministerium einstellen, 5,5 Millionen Euro veranschlagt. Der zweite Bereich, für den wir mehr Geld brauchen, betrifft das Deutsche Patent- und Markenamt. Diesen Punkt sprechen wir in jeder Haushaltsrede an. Er soll auch dieses Mal nicht fehlen. Das Deutsche Patent- und Markenamt ist eine Behörde, die uns besonders am Herzen liegt, nicht nur, weil sie eine der wenigen nachgeordneten Behörden im Geschäftsbereich ist - da gibt es im Justizbereich ja auch so gut wie keine -, sondern auch, weil dieses Amt in einem Bereich tätig ist, der ganz besonders wichtig ist. Es kümmert sich nämlich um den Schutz des geistigen Eigentums in Deutschland, indem es Patente erteilt und Markenrechte verleiht. Dabei ist die Zuständigkeit auf zwei Standorte aufgespalten: Patente in München, Markenrechte in Jena. Der Umgang mit geistigem Eigentum ist ja ein Thema, das die Bundesregierung in diesem Jahr schon bei vielen Gelegenheiten angesprochen hat und um das sie sich auch immer weiter kümmert. Dies war Gegenstand beim G-8-Treffen, auf europäischer Ebene haben wir es während unserer Präsidentschaft zum Gegenstand gemacht, aber auch auf nationaler Ebene ist es immer wieder Thema: So befindet sich das Gesetz zur Umsetzung der sogenannten Enforcement-Richtlinie, bei der es auch um den Schutz des geistigen Eigentums geht, derzeit im Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages. Ein anderes Gesetz zum Schutz des geistigen Eigentums, das die Novellierung des Urheberrechts zum Thema hatte, hatten wir noch kurz vor der Sommerpause verabschieden können. Das gehört damit quasi zu den schon erbrachten Leistungen in diesem Jahr. Für die Zukunft soll der Schutz des geistigen Eigentums eine wichtige Aufgabe bleiben, auch das Thematisieren dieser Problematik gegenüber anderen Ländern, von denen wir wissen, dass die Gewährleistung dieses Schutzes dort nicht so stark verfolgt wird wie in Deutschland. Das ist in der Regel keine Frage der Gesetzgebung in den anderen Ländern, denn wenigstens die Staaten, die der Welthandelsorganisation beigetreten sind, haben das schärfere Recht übernommen; in vielen Fällen ist es eine Frage der Umsetzung. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass mein chinesischer Kollege in Bezug auf den diesjährigen Rechtsstaatsdialog zwischen Deutschland und China gleich eingewilligt hat, als wir das Thema „Schutz des geistigen Eigentums“ vorgeschlagen haben. Wir werden uns in 14 Tagen in München, der deutschen Hauptstadt des geistigen Eigentums, treffen und dort drei Tage miteinander diskutieren. Ich freue mich, dass auch einige Abgeordnete des Deutschen Bundestages dabei sein werden. Dies alles ist ein Grund, weshalb das Deutsche Patent- und Markenamt vernünftig ausgestattet sein muss. Sie wissen, dass die Behörden des nachgeordneten Bereichs mindestens ebenso sehr, wenn nicht noch mehr, unter der linearen Stelleneinsparung leiden, die wir in den letzten Jahren ständig durchzuführen hatten. Ich möchte mich deshalb beim Finanzministerium bedanken, dass allzu große Defizite vermieden werden konnten. Die Tatsache, dass beim Deutschen Patent- und Markenamt noch ungefähr 180 Stellen fehlen, die man bräuchte, um richtig gute Arbeit leisten zu können, möchte ich gern nutzen, um kurz zu thematisieren, dass die Modernisierung im Bereich des Haushaltsrechts, die in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, immer noch nicht ausreicht. Das Silvesterfieber - oder wie immer man das nannte - besteht zum Glück nicht mehr; jetzt können Ausgabenreste übertragen werden. Auch andere Verbesserungen haben wir erzielt. Dass wir jedoch immer noch nicht in der Lage sind, eine vernünftige volkswirtschaftliche Berechnung zu einzelnen Ressorts durchzuführen, finde ich schade. In den Jahren 2001 bis 2006 haben wir den sogenannten Stauabbau durchgeführt, also das Konzept, das wir für das Deutsche Patent- und Markenamt entwickelt hatten, um die enorme Menge der aufgelaufenen Arbeiten abzubauen. In diesen fünf Jahren haben wir 64 Millionen Euro Mehrausgaben für Personal im Zuge des Stellenausbaus gehabt. Die Einnahmen für die Erteilung von Patenten, an der diese Leute gearbeitet haben, lagen in diesem Zeitraum bei 187 Millionen Euro. Das ist deutlich mehr als das Doppelte der Ausgaben. Deswegen habe ich die herzliche Bitte, dass wir dafür sorgen - ich weiß nicht genau, wer sich darum wie kümmern müsste -, dass solche gesamtwirtschaftlichen Betrachtungen endlich Eingang in die Betrachtung der Einzelhaushalte finden. ({1}) Ich glaube, das würde uns allen hier im Hause sehr nützen und könnte auch in anderen Bereichen zum Tragen kommen. Es würde uns allen erleichtern, die anfallende Arbeit vernünftig zu leisten. Denn wir arbeiten ja nicht für das Bundesministerium der Justiz, ein anderes Ministerium oder irgendein Amt, sondern für eine funktionierende rechtsstaatliche Verwaltung in dieser Gesellschaft. Sie machen die Vorgaben, aber wir müssen die Verwaltung übernehmen. Dafür brauchen wir die entsprechenden Mittel. Der dritte Grund, warum wir mehr Geld brauchen, sind die Mehraufgaben im Gesellschaftsrecht, die uns zugewachsen sind. Das hängt damit zusammen, dass wir die Unternehmen in Deutschland verpflichtet haben, künftig ihre Bilanzen offenzulegen. Das gilt künftig nicht nur für die großen DAX-Unternehmen, die ohnehin schon dazu verpflichtet sind, sondern auch für die kleinen Aktiengesellschaften und die kleinen GmbHs. Das ist eine Verabredung auf europäischer Ebene, und dafür gibt es ein elektronisches Register, das in Bonn geführt wird. Es geht um ungefähr 1 Million Firmen, die davon betroffen sind. Deswegen an dieser Stelle die herzliche Bitte an Sie als Abgeordnete: Wenn Sie in Ihren Wahlkreisen mit diesen Firmen reden, werben Sie bitte dafür, dass sie dieser gesetzlichen Verpflichtung nachkommen. Denn je mehr Firmen in Deutschland dieser gesetzlichen Verpflichtung nachkommen, desto weniger Personal brauchen wir, um sie dazu anzuhalten. Wir reden hier über Mittel im Haushalt für das Personal, das erforderlich ist, um diese Aufgabe zu erfüllen: säumigen Offenlegern zu sagen, dass sie offenlegen müssen. Wir werden im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit dafür etwas tun. Wir können eine öffentliche Kampagne leider nicht so gestalten, wie wir es gerne machen würden, weil wir in unserem Etat so gut wie kein Geld für Öffentlichkeitsarbeit haben. Wir können nicht - andere können das - große Anzeigen schalten. Wir werden aber natürlich auf unserer Ebene mithilfe von Presseartikeln usw. dafür werben. Meine herzliche Bitte ist: Unterstützen Sie uns dabei! Verstehen Sie bitte, dass es hierbei um die Umsetzung eines aufwendigen Verfahrens, eines Ordnungsgeldverfahrens, geht, das wir nach Beschluss des Deutschen Bundestages eingeführt haben. Dieses Verfahren ist aufwendiger als das von uns vorgeschlagene Bußgeldverfahren und verursacht deshalb mehr Kosten. Ich möchte sehr darum bitten, keine Debatte anzufangen, in der behauptet wird, wir führten bewusst eine Kampagne gegen den Osten; damit hat das überhaupt nichts zu tun. Die Aufgabe ist uns zugewachsen. Als das Bundesamt geplant wurde, wussten wir noch nichts von dieser Aufgabe, die auf Bundesebene, aber nicht notwendigerweise auf ministerieller Ebene wahrgenommen werden muss. Wahrscheinlich hätten wir jetzt das Bundeszentralregister damit beauftragt, diese Aufgabe wahrzunehmen, wenn wir nicht das Bundesamt für Justiz eingerichtet hätten. Es geht hierbei um Stellen, die wieder abgebaut werden. Ich habe es eben schon einmal gesagt: Es geht darum, in den Köpfen der Geschäftsführer den Gedanken zu implementieren, dass die Bilanzen offenzulegen sind. Sobald diese Aufgabe erfüllt ist, braucht man nicht mehr das Personal. Das heißt, dass schon jetzt Stellen mit einem kw-Vermerk versehen werden, um dem beschriebenen Dilemma Rechnung zu tragen. Ich denke, wir haben insofern eine vernünftige Regelung gefunden. Es gibt einen anderen Themenbereich, für den bisher kein Geld in den Haushalt eingestellt ist. Ich würde aber gerne dafür werben, dass wir - besser gesagt: Sie, der Haushaltsgesetzgeber - dafür in den kommenden drei Jahren noch jeweils 250 000 Euro in den Haushalt einstellen. Es geht um ein Projekt der Charité, das mit den Worten beworben wurde: „Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?“ ({2}) Es geht um ein großes Projekt, das an der Charité durchgeführt wird und bei dem man versucht, mit möglichen Tätern vorbeugend zu arbeiten, um Kindesmissbrauch zu verhindern. Ich meine, um Kindesmissbrauch zu verhindern, sollten uns dreimal 250 000 Euro nicht zu viel sein. ({3}) Das Projekt hat schon jetzt zu einem guten Erfolg geführt. Es hat eine Anschubfinanzierung von der Volkswagen-Stiftung erhalten; die Stiftung finanziert das Projekt jetzt nicht weiter. Damit hängt das Projekt in der Luft. Ich habe die herzliche Bitte: Verankern Sie das Projekt in unserem Haushalt! Sie können sicher sein, dass wir das Geld weiterleiten, dass wir das Projekt entsprechend begleiten. Bringen Sie das Projekt nicht in einem anderen Haushalt unter, in dem es sehr viele freie Mittel gibt, sodass man nicht so richtig weiß, ob die Mittel vielleicht doch einmal den Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Ich muss jetzt noch ein paar Worte zu dem Thema sagen, das vorhin schon im Bereich der Innenpolitik recht kontrovers besprochen wurde: die Frage, wie wir die innere Sicherheit schützen, wie wir in diesem Bereich weiter vorgehen. Sie erwarten sicherlich, dass ich zu diesem Thema etwas sage. Sie erwarten aber sicherlich auch, dass wir eine andere Tonlage verwenden, wenn wir im Bereich der Rechtspolitik darüber sprechen. ({4}) Die Tonlage ist im Bereich der Rechtspolitik generell etwas anders: Wir sprechen sachlich miteinander, nicht nur innerhalb der Regierung, sondern auch - so ist es Tradition - mit der Opposition. Traditionell werden die Gesetze im Bereich der Rechtspolitik mit einer großen Mehrheit des Hauses verabschiedet. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen recht herzlich dafür bedanken, dass diese sachlichen Diskussionen möglich sind, dass es immer sachliche Auseinandersetzungen gibt. Im Bereich der Sicherheit nehmen wir Änderungen vor. Wir haben eine Neufassung der Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung vorgelegt, mit denen wir - so meine ich zumindest - deutlich gemacht haben, dass man Sicherheit auf rechtsstaatlich hohem Niveau gewähren kann. Wir verbessern nämlich die Rechte der Betroffenen. Wir verbessern die Rechte derjenigen, die besondere Berufsgruppen aufsuchen. Wir verbessern die Verfahrensregelungen, indem wir eine Zuständigkeit für die Anordnung beim Ermittlungsrichter am Sitz der Staatsanwaltschaft schaffen. Wir schreiben zum Beispiel ausdrücklich einen absoluten Schutz für den Kontakt zwischen Verteidigern und Beschuldigten fest. Damit haben wir einen Weg gefunden, mit dem wir die Voraussetzungen für die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen rechtsstaatlich schaffen können. Wir setzen mit diesem Gesetz auch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung um, und zwar in dem Mindestmaß, wie es die europäische Richtlinie erfordert. Ich meine, dass es bei dem, was jetzt übrig bleibt, nicht angezeigt ist, allzu emotionale und aufgeregte Diskussionen zu führen. Denn es geht im Grunde nur darum, dass man Daten, die heute freiwillig für drei Monate gespeichert werden, künftig sechs Monate speichert, also um eine Einschränkung, von der ich meine, dass wir damit leben können. Dieses eher unaufgeregte Sachliche sollten wir auch beibehalten, wenn es um die Frage geht, welche Konsequenzen aus den gerade verhinderten Anschlägen zu ziehen sind. Zunächst einmal auch von meiner Seite der Dank an die Ermittlungsbehörden, vor allen Dingen auch für die erfolgreiche Präventionsarbeit. ({5}) Denn es ist ein bisschen untergegangen, dass die Fahnder schon lange vorher die mit Wasserstoffperoxid gefüllten Fässer ausgetauscht hatten und eine reale Gefahrenlage für die Menschen deshalb schon lange nicht mehr bestand. Das sollte man einmal honorieren und sagen: Da hat jemand wirklich mit Weitsicht gehandelt. Genauso unaufgeregt sollten wir die Dinge für die Zukunft prüfen. Das gilt beispielsweise für die Onlinedurchsuchung, über die wir schon längere Zeit diskutieren. Das ist aber auch richtig, wie ich meine; denn es handelt sich hierbei sowohl technisch als auch rechtlich um ein sehr komplexes Thema und um völliges Neuland. Die Frage, welche Grundrechte davon betroffen sein könnten, ist verfassungsrechtlich völlig ungeklärt. Deswegen ist es erforderlich, über dieses Thema unaufgeregt zu diskutieren. Es ist auch erforderlich, dass man sich Gedanken über ganz praktische Veränderungen macht. Deshalb habe ich vorgeschlagen: Lassen Sie uns einmal schauen, ob wir nicht in der Frage, an wen solche Chemikalien verkauft werden können, Regelungen treffen. ({6}) Denn es macht doch wohl keinen Sinn, dass jeder, der möchte, hochgefährliche Chemikalien kaufen kann und sich aus dem Internet die Bauanleitung für Sprengstoff herunterlädt, aber gleichzeitig jeder Fluggast am Flughafen auf sein Eau de Toilette im Handgepäck untersucht wird. ({7}) Das ist doch völlig widersinnig. Lassen Sie uns deswegen ganz praktisch an dieser Stelle anfangen und überlegen: Nützt eine Regelung hier etwas? Ich habe darüber mit Sigmar Gabriel gesprochen, der für die Chemikalienverordnung zuständig ist. Unsere Mitarbeiter haben heute zusammengesessen und werden hoffentlich bald einen Vorschlag machen. Ich sage: Nach dem, was ich heute in den Tickern von den Fachleuten in diesem Bereich gelesen habe, gab es nur zustimmende Meinungen. ({8}) Deswegen hoffe ich, dass wir hier etwas erreichen können. Wenn sich herausstellen sollte, dass das aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert, dann muss man es lassen. Aber es muss zumindest möglich sein, solche Vorschläge einmal unaufgeregt zu prüfen. ({9}) Ich würde zwar gerne noch viele Dinge im Hinblick auf das Ministerium ansprechen, habe meine Redezeit aber schon zwei Minuten überzogen. Wenn ich jetzt nicht aufhöre, wird Herr Stünker böse. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Mechthild Dyckmans, FDP-Fraktion. ({0})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Rechtsausschuss hat in den vergangenen beiden Jahren einiges an Arbeit geleistet. Ich möchte daher die heutige Rede auch zum Anlass nehmen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats sehr herzlich für ihre Arbeit zu danken. ({0}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich im Rechtsausschuss stets konstruktiv beteiligt. Einige Initiativen aus Ihrem Haus, Frau Ministerin, konnten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wesentlich verbessert werden, sodass die FDP-Fraktion am Ende zustimmen konnte. Ich nenne hier nur das Gesetz zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes, das Gesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität sowie das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft. Es gab aber auch eine Reihe von Initiativen, die große Kritik herausgefordert haben. Ein besonders gutes Beispiel für eine handwerklich misslungene Gesetzgebungsarbeit war das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. ({1}) Die FDP bleibt dabei: Dieses Gesetz ist handwerklich mangelhaft, in sich widersprüchlich und mit vielfältigen bürokratischen und finanziellen Belastungen für die Unternehmen verbunden. ({2}) Bereits Ende letzten Jahres hat die FDP eine Große Anfrage zum AGG vorgelegt. Wir haben gerade in den letzten Tagen die Antwort der Bundesregierung darauf bekommen. Lassen Sie mich nur eine Antwort zitieren, nämlich die auf die Frage nach den finanziellen Auswirkungen des Gesetzes für die Wirtschaft. Ich zitiere: … zeitaufwändige Erhebungen mussten unterbleiben, weil das Gesetzgebungsverfahren zur Vermeidung erheblicher Strafzahlungen an die Europäische Union wegen verspäteter Richtlinienumsetzung spätestens bis August 2006 abzuschließen war. Ich halte dies für einen beispiellosen Vorgang. Dieser verantwortungslose Umgang mit den legitimen Interessen der Wirtschaft ist ein Skandal. ({3}) Auch an anderer Stelle hat die Bundesregierung unserer Meinung nach in der Rechtspolitik versagt. Insbesondere beim Zollfahndungsdienstleistungsgesetz werden wichtige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ignoriert. Im Vorwort zum Entwurf des Bundeshaushaltes 2008 zum Einzelplan 07 heißt es: Das Bundesministerium der Justiz ist außerdem „Verfassungsressort“. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern hat es zu gewährleisten, dass gesetzliche Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Frau Ministerin, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie Ihre Funktion als Verfassungsministerin wieder ernst! Die Reform der Telekommunikationsüberwachung, über die wir in den kommenden Monaten intensiv beraten werden, wird ein erneuter Test für die Bundesregierung sein, der zeigen wird, inwieweit sie bereit ist, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und die Prinzipien des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Wir glauben, dass da noch einige Änderungen notwendig sind. ({4}) Lassen Sie mich noch kurz auf die Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft im Bereich der Justiz eingehen. Sie, Frau Ministerin, sind mit großen Plänen in diese EU-Ratspräsidentschaft gestartet. Sie wissen, dass die FDP Sie dabei unterstützt hat. Es ist für uns daher enttäuschend, dass die Bilanz so mager ausgefallen ist. Die Ergebnisse in den Bereichen Zivil- und Wirtschaftsrecht sind eher zufällig in den Zeitraum Ihrer Präsidentschaft gefallen. Die Vorarbeiten hatten schon vor Jahren begonnen. Bei den von Ihnen selbst angestoßenen und für Sie sehr wichtigen Initiativen, wie beispielsweise der Initiative zur Herstellung von europaweit einheitlichen Mindeststandards in Strafverfahren, sind Sie leider gescheitert. Im Namen der FDP erkenne ich an, dass es Ihnen ein großes Anliegen war, diesbezüglich zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen. Wenn man aber nur mit einer Minimalforderung in die Verhandlungen geht, darf man sich meines Erachtens nicht darüber wundern, dass man keinen Verhandlungsspielraum hat und letztlich scheitert. ({5}) Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den Sie erwähnt haben, nämlich die heimlichen Onlinedurchsuchungen. Auf die zahlreichen verfassungsrechtlichen Probleme in diesem Zusammenhang möchte ich jetzt gar nicht eingehen. Ich möchte den Bezug zur Internetsicherheit ansprechen. Frau Ministerin, Sie haben sich immer, auch in Ihren früheren Funktionen, für eine Stärkung und den Ausbau von E-Government eingesetzt. E-Government ist eine gute Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger stärker an den staatlichen Entscheidungen partizipieren zu lassen. Voraussetzung dafür ist jedoch ein sicheres Internet. Wenn Sie Onlinedurchsuchungen zulassen, müssen die Schutzprogramme Sicherheitslücken lassen. Die FDP-Fraktion fordert Sie auf, alles zu tun, um die Internetsicherheit zu verbessern. Tun Sie alles, um Computerkriminalität zu bekämpfen. Dabei haben Sie unsere Unterstützung. ({6}) Mit Freude habe ich gelesen, dass Sie, Frau Ministerin, unseren Vorschlag aufgreifen, die Musterwiderrufsbelehrung für Internetgeschäfte gerichtsfest zu machen. Das bestätigt mich in der Hoffnung, dass die Bundesregierung wieder zu einer vernunft- und sachorientierten Rechtspolitik zurückkehrt. In den kommenden zwei Jahren können Sie das unter Beweis stellen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Jürgen Gehb, CDU/CSUFraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den diesjährigen Haushaltsberatungen läuten wir nicht nur die zweite Jahreshälfte ein, sondern auch die zweite Halbzeit der Legislaturperiode. In der ersten Hälfte haben wir jedenfalls auf dem Gebiet der Rechtspolitik große Vorhaben angepackt und zu Ende geführt. Das werden wir auch in der zweiten Hälfte mit Kraft und Willen tun. ({0}) Liebe Mechthild Dyckmans, bevor du gleich Kritik anmeldest: Es handelt sich übrigens um das Zollfahndungsdienstgesetz und das Rechtsdienstleistungsgesetz. Du hattest dich ein bisschen verlesen und warst wohl schon beim nächsten Absatz. Das nur einmal zur Richtigstellung, damit klar ist, worüber wir hier reden. Ich will daran erinnern, dass wir vor der Sommerpause Änderungen des Urheberrechts und des Versicherungsvertragsrechts verabschiedet haben. Das sind wahrlich keine Petitessen, sondern große Kaliber in der Rechtspolitik. Auch damit werden wir fortfahren. Ich sage: Wir stehen nicht nur im Wettbewerb bei der Erbringung von Dienstleistungen und Erzeugung von Waren, sondern wir stehen auch im Wettbewerb mit den Rechtsordnungen anderer Länder. Es ist eine große Herausforderung für den nationalen Gesetzgeber und insbesondere für uns Rechtspolitiker, im Konzert der Rechtsordnungen mithalten zu können. Es wird internationaler, zumindest europäischer. Wir waren vor einem Jahr in Frankfurt bei einer Veranstaltung der IHK mit dem schmissigen Titel European and German Law goes Hollywood. Dieser Titel hatte schon seinen Sinn. Wir merken zum Beispiel, wie wir durch europäische Vorgaben immer mehr präjudiziert werden. Ich will die Antidiskriminierungsrichtlinien und unser AGG ansprechen. Ich habe immer gesagt - dazu stehe ich auch -: Diese Antidiskriminierungsrichtlinien aus Europa kommen mir vor wie ein stinkender Handkäse. ({1}) Man kann ihn entweder elegant in einen Parfümflakon stecken oder in Zeitungspapier einwickeln. Das olfaktorische Grundunbehagen bleibt auf jeden Fall gleich. ({2}) So haben wir auch andere europäische Vorgaben. Ich nenne einmal die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie, die uns in Deutschland an den Rande der Wettbewerbsfähigkeit bringen. Wenn ich mir überlege, dass ich in Kassel an der A 44 im 20. Jahr nach der Wiedervereinigung immer noch darum kämpfen muss, drei Kilometer Straße zu bauen, dann muss ich Ihnen eines sagen: Wir lösen uns immer mehr von unserem anthropozentrischen Grundverständnis, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, wenn die Lastwagen bei uns auf der B 7 entlangfahren und mit ihren Rückspiegeln die Hecken touchieren, sodass die Tassen daheim im Schrank umfallen, nur damit der Kammmolch und irgendein Hirschkäfer unbeschadet durch einen Tunnel kriechen können. So kann es nicht weitergehen. ({3}) Deswegen sage ich: Wir müssen aufpassen, dass wir bei der Umsetzung europäischen Rechts nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich will auch ganz kurz erwähnen, ohne wie ein Lohnbuchhalter alles stakkatohaft abzuarbeiten, dass während der Sommerpause im Kabinett mehrere Vorhaben auf den Weg gebracht worden sind. Drei möchte ich herausheben. Wir begrüßen es als Union ganz besonders, Frau Ministerin, dass jetzt die Vaterschaftsfeststellung so auf die Füße gestellt wird, dass nicht nur ein Ehemann, der nach zwölf Monaten Abwesenheit auf einer Bohrinsel von seiner Frau mit einem farbigen Kind abgeholt wird, endlich einen Anspruch hat, die Abstammung des Kindes zu klären. Die Hürden waren extrem hoch. Jetzt haben wir eine doppelgleisige Möglichkeit, nämlich einmal die Möglichkeit, festzustellen, wer wirklich der Vater ist, und die spätere Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten. Das ist eine Vorgabe vom Bundesverfassungsgericht. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich diesen Vorschlag schon einmal im Februar 2005 im Spiegel gemacht. Ich finde, das ist eine vernünftige Regelung und wird den Kindern, den Müttern, den tatsächlichen und auch den präsumtiven Vätern endlich gerecht. ({4}) Ebenso unterstützen wir, dass Sie jetzt sozusagen unsere Idee aufgenommen haben, auch bei nach Jugendstrafrecht verurteilten Straftätern die nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängen zu können. Die Diskussion wird ja ganz quer geführt. Hier geht es nicht darum, dass ein Jugendlicher im Alter von 16 Jahren gleichzeitig mit der Verurteilung zur Sicherungsverwahrung geschickt wird, sondern hier geht es darum, ob jemand, der zum Beispiel mit 16 Jahren jemanden ermordet hat und dafür zehn Jahre Freiheitsstrafe bekommen hat, mit 26 Jahren - dann ist er ein erwachsener Mann daraufhin überprüft werden kann, ob er immer noch eine tickende Zeitbombe ist oder nicht. Darin unterscheidet er sich überhaupt nicht von demjenigen Täter, der erwachsen ist. Ich finde es toll, dass die Bundesregierung das aufgenommen hat, wenngleich ich mir gewünscht hätte, dass eine Anlasstat ab einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und nicht erst von sieben Jahren gereicht hätte. Aber das ist eher eine Kritik im Einzelnen. Ich freue mich auch, dass vernachlässigten und verhaltensauffälligen Kindern in Zukunft früher die Hilfe durch die Familiengerichte angedeiht werden lassen kann, als es bisher der Fall war. So denke ich, dass das Kabinett in der Sommerpause durchaus die eine oder andere Gesetzesvorlage auf den Weg gebracht hat, die wir demnächst parlamentarisch beraten werden. Es gibt aber nicht nur Themen, bei denen wir gerade erst mit der Diskussion begonnen haben, oder Themen, mit denen wir uns demnächst befassen, sondern es gibt auch Gesetzesvorhaben, die kurz vor der Reife stehen, in das Bundesgesetzblatt aufgenommen zu werden. Ich erinnere nur an das Rechtsdienstleistungsgesetz. Ich denke, dass wir auch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts irgendwann in das Bundesgesetzblatt aufnehmen können. ({5}) Dafür muss es erstens verfassungsfest sein, und zweitens müssen auch all diejenigen zufrieden sein, die ein bisschen Sorge haben, dass die Ehefrauen dabei schlechter wegkommen. Dieses Vorhaben ist schwierig; das gebe ich gerne zu. Auch innerhalb meiner Fraktion gibt es hierzu unterschiedliche Auffassungen. So ist das nun einmal: Die einen haben eine hohe Streitkultur, und die anderen streiten sich nicht. Ich finde, dass man im Diskurs die besten Lösungen findet. Wir werden sie finden. ({6}) Meine Damen und Herren, ich will einen Schwenk machen. Heute ist kein ganz gewöhnlicher Tag, sondern der Jahrestag von 9/11. Vor sechs Jahren sind nicht nur die Twin-Towers angegriffen worden - das haben Sie alle noch in Erinnerung -, sondern man konnte endgültig die Hoffnung aufgeben, dass mit dem Ende des Kalten Krieges, in dem sich Kombattanten gegenüberstanden, ein Zustand des Friedens auf der Welt erreicht worden ist. Das ist nicht der Fall. An dieser Stelle sage ich Ihnen, Frau Ministerin, im Namen meiner Fraktion, zumindest aber im Namen der Arbeitsgruppe Recht, großen Dank: sowohl dafür, dass Sie uns während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gut vertreten haben, als auch dafür, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen und Ihrem Hause hervorragend funktioniert und menschlich in einer Superatmosphäre verläuft. Frau Dyckmans, zu Ihrem Dank an die Mitarbeiter möchte ich sagen: Diese machen das nicht unentgeltlich, denn sie sind nicht ehrenamtlich tätig. ({7}) Trotzdem kann man ihnen natürlich danken; dafür ist die Zeit immer günstig. Das tue auch ich. Einen kleinen Wermutstropfen muss ich Ihnen trotzdem mit auf den Weg geben. Es gibt in der Rechtspolitik eigentlich nur einen großen Streitpunkt, nämlich das kleine Scharnier Rechtspolitik/Innenpolitik. ({8}) Zum Thema Onlinedurchsuchung ist in der Debatte zum vorherigen Einzelplan in den letzten 75 Minuten eigentlich alles Wichtige gesagt worden. Es gibt aber noch ein anderes Feld: die Strafbewehrung des Besuchs der sogenannten Terrorausbildungslager. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen wollen. Mittlerweile sind knapp zwei Jahre vergangen. Ich selbst habe vor wenigen Tagen in der Welt gesagt, dass es schwierig ist, einen Straftatbestand zu zimmern, der den Erfordernissen des Bestimmtheitsgebots genügt. ({9}) An dieser Stelle möchte ich den Besserwisser Heribert Prantl erwähnen. In der Süddeutschen Zeitung schreibt er - das hat mich heute geärgert -, ein Blick ins Gesetz erleichtere die Rechtsfindung und übrigens auch die Gesetzgebung. ({10}) Ich kann Heribert Prantl nur mit auf den Weg geben: Ein Blick in einen Strafrechtskommentar und die Lektüre der einschlägigen Entscheidungen würden verhindern, dass man auf so überhebliche Art und Weise falsche Informationen an die Bevölkerung weitergibt. ({11}) Wenn er im Jahre 1959 - damals könnte er gerade seinen großen Schein im Strafrecht gemacht haben - im zwölften Band der Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes gelesen hätte, wäre ihm aufgefallen, dass es für die Verabredung zu einer Straftat einer gewissen Konkretisierung bedarf. Es würde nicht ausreichen, wenn wir beide, Herr Danckert, vereinbaren würden, gemeinsam eine Bank zu knacken. Wir müssten genau sagen, dass wir uns am Donnerstag um 17 Uhr vor der Berliner Sparkasse treffen, ({12}) und müssten verabreden, wer das Brecheisen mitbringt. Wenn diese Konkretisierung fehlt, handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht bestraft werden kann. So viel dazu, wenn Besserwisser meinen, sie müssten den Leuten einen einschenken. Ich sehe mit Schrecken, dass ich nur noch 35 Sekunden Redezeit habe. Frau Präsidentin, können Sie nicht meine Redezeit verlängern? - Also nicht. ({13}) Noch ganz kurz: Wir Rechtspolitiker sollten uns überlegen, ob wir nur an der Vielzahl der Gesetzentwürfe, die wir verabschieden, gemessen werden wollen, oder ob es nicht manchmal besser ist, etwas nicht zu regeln. Ich habe das schon in meiner letzten Rede zum Haushalt vor einem Jahr gesagt, damals in Bezug auf die, wie ich meine, hypertrophe Neigung, immer mehr Staatsziele in das Grundgesetz aufnehmen zu wollen. ({14}) Noch eine Bemerkung zum Nichtraucherschutz. Ich möchte die Diskussion über die Raucher nicht schon wieder führen. Aber eines möchte ich sagen: Sofern dieses Gesetz dem Schutz der Nichtraucher dient, findet es meine volle Unterstützung. Wenn damit aber, zumindest als Konnotation, auch beabsichtigt ist, den Raucher zu seinem Glück zu zwingen - wenn es also eine Art Beglückungsgesetz sein soll -, ({15}) dann fehlt nicht mehr viel, bis wir irgendwann auch noch regeln, was die Menschen essen sollten. Neulich hat jemand verlangt - ich habe erst gedacht, das sei Spaß -, dass es in Diskotheken leiser sein müsse. Es gibt einen alten römischen Rechtsgrundsatz: „volenti non fit iniuria“, dem Freiwilligen geschieht kein Unrecht. Wer also in eine laute Diskothek geht, der muss damit rechnen, dass es laut ist. Wer selber raucht, wird vielleicht irgendwann krank sein. Wir müssen dem Rauchen den Kampf ansagen, aber nicht als Gesetzgeber, sondern mit Aufklärungsbroschüren. Deswegen ist auch in der Rechtspolitik weniger manchmal mehr. Wie hat es schon Montesquieu gesagt? Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es nötig, keines zu erlassen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren, und einen schönen Abend. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Nešković für die Fraktion Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 30. März des vergangenen Jahres nannte ich Frau Justizministerin Zypries die Chefin des Rechtsstaatsministeriums. Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Wahrung rechtsstaatlicher Errungenschaften und die Abwehr von Angriffen auf diese Errungenschaften auch im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums liegen. Nachdem die Justizministerin dieser Aufgabe zunächst, wie ich meine, zaghaft und verhalten nachging, ist sie insbesondere während der Sommerpause dann doch noch in Fahrt gekommen. Man gewinnt den Eindruck, Herr Schäuble und Frau Zypries proben in diesen Tagen die kabinettsinterne Variante eines neuen Jobsharing-Konzepts. Es agieren Rechtsstaatsministerin und vermeintlicher Verfassungsminister als „job sharing good girl and bad boy“, wenn es um die Werte unseres Grundgesetzes geht. ({0}) Seit über einem halben Jahr reihen der Innenminister und seine Hilfstruppen, rechtsstaatlich gesehen, eine ungeheuerliche Überlegung an die nächste. Als Herrn Schäuble im Sommer wegen der öffentlichen Erwägung von gezielten Tötungen eine Welle der Kritik und Empörung über den Kopf schlug, gab er weinerlich zum Besten, man habe ihn furchtbar missverstanden; ({1}) es gehe doch nur darum, die rechtlichen Grundlagen für neue Handlungsinstrumente zu diskutieren und zu schaffen, und er sei ein glühender Anhänger des Rechtsstaats. Ich weiß nicht, wofür unser Innenminister glüht; aber der Rechtsstaat ist es gewiss nicht. Verfassungsbruch und rechtsstaatliche Unerträglichkeiten lassen sich nicht in rechtliche Grundlagen fassen. ({2}) Wer das Unerträgliche will, wird selbst untragbar. Die wichtigste Sicherheitsfrage unserer Tage ist doch die Frage, wie sicher der Innenminister im Umgang mit der Verfassung ist oder - noch zutreffender - wie sicher die Verfassung vor unserem Innenminister ist. ({3}) Der Kollege Struck drückte diese Kritik in seinem Sommerbrief an seine Fraktionskollegen etwas freundlicher aus, als ich es tue. Er schrieb sinngemäß, die Vorschläge des Innenministers seien Angriffe auf den Rechtsstaat, dessen Schutz aber die eigentliche Aufgabe des Verfassungsministers sei. Man habe den Eindruck, die Freiheit solle durch einen Überwachungsstaat abgeschafft werden. - Das hat die SPD gesagt. Wir hoffen, dass es sich bei dieser SPD-Kritik nicht nur um ein bloßes Taktieren handelt. ({4}) Auch ist es uns nicht entgangen, dass die SPD den gewünschten Onlinedurchsuchungen nicht etwa ein entschiedenes Nein entgegensetzt, sondern lediglich Skepsis formuliert und auf die Hilfe des Verfassungsgerichts hofft. ({5}) Wir werden deshalb genau beobachten, ob der Widerstand der SPD und der Justizministerin anhält, ob sie - nicht zuletzt angesichts der Ereignisse der vergangenen Woche - standhaft bleiben oder am Ende doch wieder einknicken. Ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin, die Standfestigkeit einer Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die ihren Widerstand gegen den sogenannten großen Lauschangriff so weit betrieb, dass sie bereit war, dafür ihr Amt aufzugeben, was sie schließlich getan hat. Diese Standfestigkeit wünsche ich Ihnen. ({6}) - Ja, gekommen ist er trotzdem, aber mit deutlichen Einschränkungen. ({7}) Von Frau Zypries konnte man in der Onlineausgabe der Frankfurter Rundschau vom 28. Juli die folgende wichtige Feststellung lesen: Nicht die Verteidigung der Bürgerrechte bedarf der Rechtfertigung, sondern deren Einschränkung. Frau Zypries, dem schließen wir uns ausdrücklich an. ({8}) Denn es ist dieser kleine Satz, der die aktuelle Debatte in unserem Land vom Kopf zurück auf die Füße stellt. Der Rechtfertigungsbedarf liegt nicht bei den Kritikern unseres Innenministers, sondern bei ihm und seinen Anhängern. Es gilt: Nicht die Befürworter lang gewachsener rechtsstaatlicher Grundsätze sind in Erklärungsnot, sondern diejenigen, die diese Grundsätze aufweichen und beseitigen wollen. Soweit diese Begründungen liefern, ist ihnen gemeinsam, dass immer nur der Zweck der angestrebten Maßnahme ins Auge gefasst wird. Sie gründen sich allesamt auf die kreuzgefährliche Behauptung, im Grunde genommen könne man kaum zu viel tun, wenn es um den Schutz unseres Staatswesens geht. Jedem dieser Vorschläge liegt die Behauptung zugrunde, es gebe eine neue, nie dagewesene Bedrohung für unser Gemeinwesen, auf die man folglich mit neuen, nie dagewesenen Mitteln zu reagieren habe. Zur Frage der verbindlichen Grenze für solches Vorgehen erklärte der Bundesinnenminister im Spiegel-Interview vom 9. Juli, eine rote Linie gebe es: die Verfassung - und die könne man ändern. Zum Glück irrt Herr Schäuble, was seine Möglichkeiten und was die Möglichkeiten dieses Parlaments angeht. ({9}) Frau Ministerin Zypries, ich darf Sie bitten, Herrn Schäuble einmal die Bedeutung des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes zu erläutern. Dann müsste ihm aufgehen, dass der dort gegen Veränderung geschützte Art. 1 eine verbindliche Demarkationslinie für seine Angriffe auf die Verfassung darstellt. ({10}) Der nicht veränderbare Art. 1 ist es, der verhindert, dass jemals zivile Luftfahrzeuge vom Himmel abgeschossen werden können. Der nicht veränderbare Art. 1 ist es, der den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verlässlich gegen jedwede Überwachungsmaßnahme schützt. Technische Schwierigkeiten bei Überwachungsmaßnahmen rechtfertigen es nicht, diesen Schutz außer Acht zu lassen. Insofern ist die eben zitierte These der Justizministerin dringend ergänzungsbedürftig. Denn wesentlich ist nicht nur die Frage, wer sich zu rechtfertigen hat, sondern auch, welchen Inhalt diese Rechtfertigung aufweist. Das gilt im Übrigen auch für den Teil der Verfassung, der tatsächlich geändert werden kann. Denn bei der Rechtfertigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen genügt es keinesfalls, sich vom Zweck einer Maßnahme leiten zu lassen - ansonsten würde der Zweck die Mittel heiligen. Vielmehr ist der Zweck der Maßnahme in Abwägung zu bringen zu dem Verlust der Freiheit, der mit der Durchführung der beabsichtigten Maßnahme einhergeht. Das übersieht Herr Schäuble - wie Herr Schäuble insgesamt die Funktion der Grundrechte im Verhältnis zum Staat übersieht und verkennt. Die Grundrechte stellen - als Abwehrrechte - institutionalisiertes Misstrauen gegen den Staat dar; das ist ihre Kernfunktion. Herr Schäuble hingegen geht von einem grundsätzlichen Misstrauen des Staates gegenüber seinen Bürgern aus. Hier liegt der Kerndissens zwischen ihm und uns und, noch entscheidender, zwischen ihm und der Verfassung. ({11}) Es ist daher Ihre Aufgabe, Frau Zypries, Herrn Schäuble dabei zu helfen, diese Trübung seiner verfassungsrechtlichen Sichtweise zu beheben, ({12}) und dabei gleichzeitig deutlich zu machen, welche inhaltliche Position die SPD hierbei konkret einnimmt. Abschließend ist festzustellen: Die von Herrn Schäuble erklärte Strategie, einer Bedrohung des Rechtsstaats mit dem Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien zu begegnen, ist widersinnig. Der Rechtsstaat wird nicht dadurch geschützt, dass man ihn abschafft. Ebenso gut könnte einer sein eigenes Haus abbrennen, um seine Habe vor Einbrechern zu schützen. ({13}) Vor Diebstahl wäre der ehemalige Hausherr nunmehr effizient geschützt. ({14}) Allerdings entzieht er seine Habe nicht nur dem Dieb, sondern auch sich selbst. Er verliert, was er doch beschützen wollte, und erweist sich als schlechter Beschützer. ({15}) Frau Zypries, ich darf Sie bitten: Stellen Sie diesem Unsinn Ihre Vernunft entgegen und bleiben Sie dabei standhaft! Ich danke Ihnen. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesjustizministeriums ist in der Tat ein Haushalt, um den Sie jedes Ministerium beneiden kann, Frau Zypries. Sie haben erneut einen Deckungsgrad von etwa 70 Prozent bei einer Ausgabensteigerung von 2 Prozent und einer Einnahmensteigerung von 3 Prozent. Über die Zahlen Ihres Hauses lässt sich auch vonseiten der Opposition nicht meckern. Das will ich auch nicht tun. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir uns in den Haushaltsberatungen intensiv mit der erheblichen Erhöhung der Zahl der Stellen im Bundesamt für Justiz auseinandersetzen werden müssen. Sie haben dazu Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass diese Erhöhung mit neuen Aufgaben korrespondiert. Ich habe aber in Erinnerung, dass wir vor einem Jahr darüber gesprochen haben, dass das Bundesamt für Justiz durch Übertragung von Stellen aus anderen Bundesbehörden, auch aus Ihrem Haus, langfristig stellenneutral gehalten werden kann. Dies ist so nicht eingetroffen, und wir werden uns intensiv über die Gründe unterhalten müssen. Trotzdem muss man im Zusammenhang mit der Justiz und dem Rechtsstaat auch immer über Geld reden. Der Rechtsstaat kostet die Bürgerinnen und Bürger wahrlich nicht viel Geld, aber er ist nicht billig zu haben. Als ich vor einem Jahr davon gesprochen habe, dass für die Ausstattung der Gerichte die Länder zuständig sind, dass aber - wenn man den Rechtsstaat nicht nur proklamiert, sondern auch faktisch durchsetzen und stärken will - die Bundesjustizministerin in der Aufgabe steht, auf die Länderebene einzuwirken, damit dort endlich mehr Geld, mehr Personal und eine bessere Ausstattung für die Justiz bereitgestellt werden, hat der Kollege Stünker gerufen - den Zwischenruf kann man im Protokoll nachlesen -: „Doch! Doch!“ Tatsächlich ist aber nichts geschehen. Das größte Amtsgerichts der Bundesrepublik Deutschland - das Amtsgericht München, meiner Heimatstadt - hätte vor einigen Monaten eigentlich Konkurs anmelden müssen. Die Situation, dass die Justiz mit den zur Verfügung gestellten Mitteln keine qualitativ angemessene rechtsstaatliche Arbeit leisten kann, ist auch in der Fläche hoch dramatisch. Deswegen glaube ich, dass wir auch an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen müssen, dass die Landesfinanzminister endlich die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen müssen, um den Rechtsstaat auch auf Landesebene mit Leben zu erfüllen. ({0}) Bundesjustizministerin Zypries hat den Koalitionsvertrag seinerzeit mit den Worten kommentiert, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz seien der strikte Maßstab, an dem sich die Große Koalition messen lassen müsse. ({1}) Man muss sich einmal zu Gemüte führen, wie wunderbar dieser Satz ist. Aber nun zu den Fakten: Wenn sich Herr Minister Schäuble in Interviews zu Wort meldet, lässt er in rechtsstaatlicher Hinsicht alle Hüllen fallen. Sie, Frau Zypries, bemühen sich dann, mehr schlecht als recht die dadurch entstandenen Blößen zu bedecken, und werden dabei auch noch von Kollegen aus der Koalition bzw. der Union übel angegangen. Kollege Bosbach - er ist leider nicht mehr anwesend -, den ich sonst als galanter eingeschätzt habe, hat über Sie gesagt, Frau Zypries, Sie würden sich in diesen Fragen mit der Geschwindigkeit einer Wanderdüne bewegen. Der Kollege Uhl, der für das Gröbere zuständig ist - er ist ebenfalls nicht mehr im Saal -, hat hinsichtlich Ihrer Person und des Koalitionspartners gesagt, Sie würden sich schuldig machen. Gemeint hat er - dieser Eindruck sollte in der Öffentlichkeit erweckt werden -, dass Sie sich schuldig machen würden, sollte es doch zu einem Terroranschlag kommen und Opfer geben und sollte sich die SPD und die Justizministerin nicht genügend bewegt haben. In dieser Situation wäre es richtig, wenn Sie sich, Frau Zypries, gar nicht bewegten und wenn Sie Ihre Standpunkte zum Schutze der Rechtsstaatlichkeit und Ihre Aufgabe als Verfassungsschutzministerin tatsächlich ernst nähmen. ({2}) - Nein, das tut sie nur sehr verhalten, sehr eingeschränkt. Aus der Fülle der Fälle, über die diskutiert werden muss, will ich an dieser Stelle einige wenige aufgreifen. Frau Zypries, Sie haben einen Vorschlag zur Neuauflage der Kronzeugenregelung gemacht. Erstaunlicherweise hat der Bundesrat dazu in der Sommerpause in einer Stellungnahme festgestellt, dass die von Ihnen vorgeschlagene Kronzeugenregelung dazu führen wird, dass es - erster Vorwurf - keine schuldangemessenen Strafen mehr geben wird, dass es - zweiter Vorwurf - in Zukunft einen Handel mit der Gerechtigkeit geben wird und dass die Gefahr des Missbrauchs dieser Vorschrift - dritter Vorwurf - sehr groß ist. Diese Argumente könnten aus einem Papier der grünen Bundestagsfraktion abgeschrieben sein. Insbesondere die Schlussfolgerung des Bundesrates sollte man sich zu Gemüte führen. Ich darf zitieren: … dass der Gesetzentwurf dem rechtsstaatsfeindlichen Denunziantentum Vorschub leisten wird, weshalb die Aussagekraft und der Beweiswert derartig einseitig motivierter Offenbarungen besonders kritisch zu hinterfragen und auch in Gänze in Zweifel zu ziehen sein dürften. Der Deutsche Richterbund hat sich ähnlich kritisch geäußert. Wenn die Liste der sachlichen Kritiker von den Grünen über den Deutschen Richterbund bis hin zum Bundesrat reicht, ist das ein Grund, zu sagen: Eine solche Kronzeugenregelung machen wir nicht. Stattdessen schlagen Sie sie dem Bundestag vor. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Montag, bedeutete das nicht, dass man in konsequenter Fortführung Ihrer Auffassung § 31 BtMG, mit dem wir gute Erfahrungen gemacht haben, ersatzlos streichen müsste?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kauder, ich weiß nicht, wen Sie mit „wir“ meinen, wenn Sie von guten Erfahrungen mit § 31 BtMG sprechen. Die Erfahrungen, die ich, der ich genauso ein Praktiker des Strafrechts bin wie Sie, kenne, gehen in die völlig entgegengesetzte Richtung. Wir brauchen weder eine Kronzeugenregelung bei der Bekämpfung der Geldwäsche noch eine Kronzeugenregelung beim Antiterrorkampf noch eine Kronzeugenregelung beim Betäubungsmittelrecht. Dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland wäre gedient, wenn wir die gesamte Kronzeugenregelung auslaufen ließen und sie aus dem Strafgesetzbuch streichen würden. Diese Forderung erhebe ich für die Grünen an dieser Stelle ausdrücklich. Wir würden dadurch bei der Rechtssicherheit nichts einbüßen. Denjenigen Täterinnen und Tätern, die aus Reue über ihre Tat oder aus welchen Gründen auch immer einen Beitrag zur Aufklärung von anderen Straftaten leisten, kann man schon jetzt nach geltendem Recht bei der Strafzumessung entgegenkommen. Dafür brauchen wir die rechtsstaatlich höchst problematische und höchst kontrovers diskutierte Kronzeugenregelung nicht. ({0}) Angesichts der fortgeschrittenen Zeit will ich von den vielen Punkten, zu denen ich etwas sagen wollte, nur noch einen Punkt herausgreifen. Frau Zypries, es wird darüber diskutiert, ob § 129 a StGB durch weitere Regelungen angereichert werden soll. Vonseiten der Konservativen kommt der törichte Vorschlag, Einzeltäter als terroristische Vereinigungen zu behandeln. Was das außer Meinungs- oder Gesinnungsterror oder Hate-Crime nach amerikanischem Muster bringen soll, weiß ich nicht. Aber es wird auch diskutiert - da haben Sie eben nicht klar Nein gesagt, sondern lediglich die Prüfung in Ihrem Hause zugesagt -, den sogenannten Besuch von Terrorcamps unter Strafe zu stellen. Herr Gehb, Sie sind darauf auf Ihre Art und Weise eingegangen. Ich will Ihnen sagen: Der belgische Kesselschmied Duchesne ist im 19. Jahrhundert nicht nach Afghanistan gefahren - da gab es keine Terrorcamps -, sondern nach Paris zum katholischen Bischof und wollte Geld haben, um Bismarck zu töten. Er hat das Geld nicht bekommen. Aber dieser Vorfall war der Grund dafür, dass 1876 der § 30 - Versuch der Beteiligung - ins deutsche Strafgesetzbuch eingeführt worden ist. Wir sagen Ihnen von dieser Stelle: Das ist das, was rechtsstaatlich richtig und hinnehmbar ist, wohingegen der Besuch von irgendwelchen Terrorcamps in Afghanistan, der von niemandem gewollt ist und unterstützt wird, nicht als Straftat ausgestaltet werden kann, wenn Sie überhaupt noch einen Rest an Rechtsstaatlichkeit, an Bestimmtheit der Normen im deutschen Strafrecht haben wollen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie jetzt an Ihre Redezeit erinnern.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da meine Redezeit zu Ende ist, will ich an dieser Stelle zum Schluss Folgendes sagen: Ich erkenne sehr wohl - da bin ich weniger positiv gestimmt als mein Vorredner Herr Kollege Nešković -, dass Sie, Frau Zypries, gegen die rechtsstaatswidrigen Anfeindungen Ihres Kollegen aus dem Innenministerium ankämpfen, aber ich erkenne auch sehr wohl, dass es in der Koalition mit der Union mit einer rechtsstaatlichen Rechtspolitik nicht sehr weit her ist. ({0}) Deswegen wünsche ich mir und Ihnen, dass Sie von diesem Koalitionspartner bald befreit werden können. Danke. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir leid, seit einer guten halben Stunde habe ich das Gefühl, dass in diesem Hohen Hause eine Phantomdiskussion geführt und zum Einzelplan 7 nicht mehr gesprochen wird. ({0}) Ich darf den Damen und Herren von den drei Oppositionsparteien eines versichern: Die Sozialdemokraten in diesem Hause sind jetzt im zehnten Jahr für die Rechtspolitik in diesem Land verantwortlich, und wir führen bzw. führten mit zwei Ministerinnen das Bundesministerium der Justiz. Wir brauchen uns von niemandem vorwerfen zu lassen, dass wir in diesen neun Jahren bei einer einzigen Sachfrage, die zu entscheiden war, auch nur ein einziges Mal die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land aufs Spiel gesetzt hätten, auch nicht in schwierigen Zeiten. ({1}) Sechs Jahre ist es seit 9/11 her. Auch damals sind wir in der Lage gewesen, in der Rechts- und in der Innenpolitik genau die Waage zu halten, die zwischen Sicherheit und Freiheit zu halten ist. Wir haben die Sicherheit nicht über die Freiheit gesetzt, was Sie uns in Ihren Reden jedes Mal vorzuwerfen versuchen. Beenden Sie die hypothetischen Debatten, die hier geführt werden, und lassen Sie uns doch in der Mitte der Legislaturperiode ganz nüchtern anschauen, was wir in der Rechtspolitik in diesen zwei Jahren geleistet haben! Lassen Sie uns anschauen, wie es mit den Freiheitsrechten des Einzelnen aussieht. Ich sage Ihnen: Diese Koalition hat mit ihrer Rechtspolitik immer einen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und ihrem Recht auf Freiheit geschaffen. Ich füge hinzu: Auch in Zukunft werden wir den rechtlichen Rahmen garantieren, um Kriminalität in allen Erscheinungsformen wirksam zu bekämpfen. Gleichzeitig muss aber der Charakter unserer Rechtsordnung als Fundament unserer freiheitlichen Demokratie gewahrt bleiben. Dazu gehören für uns unabdingbar die Freiheitsrechte des Einzelnen, und die werden wir in dieser Koalition weiter wahren. Da bin ich absolut sicher. ({2}) Lassen Sie mich einige Beispiele dafür nennen, was wir in den zwei Jahren dieser Koalition geleistet haben, damit Sie, Herr Nešković, und Sie, Herr Montag, die Sie sich so ereifert haben, wieder auf den Boden der Tatsachen kommen. Wir haben mit der Novellierung des Zollfahndungsdienstgesetzes den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bei der Überwachung von Post und Telekommunikation wirksam geschützt. Darin waren wir uns alle gemeinsam weitgehend in diesem Hause einig. Wir haben mit dem Gesetz über die Regelung der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vor allem eine nachhaltige Stärkung des Opferschutzes in die Strafprozessordnung implementiert. Wir haben im Wege des Straftatbestandes des sogenannten Stalking erstmals die fortgesetzte Verfolgung oder Belästigung einer anderen Person und damit auch den Opferschutz wirksam in das Strafgesetzbuch implementiert. Das bedeutet mehr Freiheit für viele belästigte Opfer. ({3}) Auch die Novellierung der Führungsaufsicht bewirkt verbesserten Schutz vieler Menschen vor allen Dingen vor rückfälligen Sexualstraftätern. Das Gleiche gilt für die Reform des Rechts der Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern und Entziehungsanstalten. Das alles sind Reformen, die wir in den vergangenen zwei Jahren in diesem Hause umgesetzt haben. Auch wenn es einigen wehtun wird, das zu hören, bewirken wir mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz den Schutz vieler Menschen vor Diskriminierungen jeder Art in unserer Gesellschaft. ({4}) Eine entsprechende Gleichbehandlungsstelle steht zur Information und Unterstützung der Betroffenen bereit. ({5}) Mit der Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes haben wir die Eigentumsrechte der einzelnen Wohnungseigentümer nachhaltig gestärkt und Schutz vor Querulanten und Rechtsmissbrauch geschaffen. ({6}) Wir haben mit dem Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung vor allem die Altersvorsorge wirksamer abgesichert, als es bisher der Fall gewesen ist. Mit dem zweiten Korb zur Reform des Urheberrechts haben wir das Recht des geistigen Eigentums erneut an die Bedingungen des digitalen Zeitalters angepasst. Hierdurch werden insbesondere die berechtigten Ansprüche der Urheber im Medienzeitalter verbessert. Schlussendlich - es ist schon darauf hingewiesen worden - haben wir mit dem neuen Versicherungsvertragsgesetz das 100 Jahre alte Versicherungsvertragsrecht nachhaltig und insbesondere verbraucherfreundlich in das 21. Jahrhundert befördert. Es hat den Schutz von Millionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor dem übermächtigen Vertragspartner auf der anderen Seite gestärkt. Das sind praktische Beispiele für Rechtspolitik in zwei Jahren Großer Koalition. Ich glaube, Sie alle geben mir darin recht, dass wir den Rechtsstaat dabei in jedem Einzelfall gewahrt und die Rechte des Einzelnen in dieser Gesellschaft gestärkt haben. ({7}) Das ist eine überzeugende Halbzeitbilanz der Großen Koalition. Ich bedanke mich bei der Ministerin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz. Es ist eine Bilanz, die anschaulich zeigt und beweist, dass der individuelle Rechtsschutz des einzelnen Mitbürgers im Mittelpunkt unserer Politik stand und nicht das Gegenteil. Auch weiterhin werden wir dafür einstehen. Diese Bilanz zeigt, dass die von der Opposition auch heute wieder wortgewaltig vorgetragenen Kassandrarufe reiner Populismus und Stimmungsmache sind. Mit der rechtspolitischen Wirklichkeit haben sie hingegen wenig zu tun. Dieser Linie werden wir auch in den vor uns liegenden zwei Jahren treu bleiben. Da können Sie, die Skeptiker, ganz sicher sein. Wir werden in den vor uns liegenden Entscheidungen, die teilweise sicherlich schwierig sind, rechtsstaatliche Grundsätze nicht infrage stellen. Lassen Sie mich beispielhaft nennen, was wir federführend zu erledigen haben: die Reform der Telefonüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung, die FGG-Reform und die Reform des familiengerichtlichen Verfahrens sowie die Kronzeugenregelung, die wir, Herr Kollege Montag, mit Sicherheit rechtsstaatskonform gestalten werden, übrigens auf der Grundlage eines Entwurfs, der vor einigen Jahren unter Rot-Grün erarbeitet worden ist. ({8}) - Das ist doch gar nicht wahr, Herr Montag. Dazu kommen wir später noch. Das ist damals nur am Kollegen Ströbele gescheitert, der noch mehr wollte, sodass wir nicht mehr mitmachen konnten. Das andere war schon alles in trockenen Tüchern mit ihm. Das Vaterschaftsfeststellungsverfahren werden wir regeln, ebenso die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Jugendliche, die Verständigung im Strafverfahren, die Reform des Kontopfändungsschutzes und die Entschuldung mittelloser Personen durch Änderung des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Wir werden eine wirtschafts- und verbraucherfreundliche GmbH-Reform machen und die Beratungen zum Entwurf eines Rechtsberatungsgesetzes in den nächsten Tagen abschließen. Das ist eine riesige Menge an Reformen, die wir zur Hälfte schon hinter uns, zur Hälfte aber auch noch vor uns haben. Wir haben also viel Arbeit und ein anspruchsvolles Programm für die nächsten zwei Jahre vor uns. Ich bin sicher: Am Ende dieser Legislaturperiode werden wir die Freiheits- und Bürgerrechte der Menschen in unserem Land weiter gestärkt, ausgebaut und nicht eingeschränkt haben. ({9}) Gleichzeitig werden wir das Notwendige für die innere Sicherheit tun. Bei diesem leidigen Thema, das hier seit bald zwei Stunden eine Rolle spielt, werden wir - das garantiere ich Ihnen - zu rechtsstaatskonformen Lösungen kommen. Meine Überzeugung ist - nachdem einige hier ihre Redezeit überschritten haben, möchte ich von meiner Redezeit etwas abgeben -, dass es keine individuelle Freiheit ohne Sicherheit vor äußerer fremder Gewalt gibt. ({10}) Es gibt keine Freiheit ohne wirksamen staatlichen Schutz vor Straftaten. Dabei müssen wir immer die Balance wahren, also auch die individuellen Freiheitsrechte im Blick behalten. Das werden wir mit Augenmaß tun. Von diesem Weg werden wir auch im zehnten Jahr, in dem Sozialdemokraten die Rechtspolitik in diesem Land bestimmen, nicht abweichen. Schönen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stünker, Sie haben die SPD-Rechtspolitik hier hoch gelobt. ({0}) Sie haben gesagt, die Opposition mache hier Kassandrarufe. Nachdem Herr Körper Ihnen gerade wahrscheinlich erklärt hat, dass Kassandra nachher recht bekommen hat, hoffe ich nur, dass es der SPD-Rechtspolitik nicht so geht wie Troja. Das wäre jedenfalls ganz gut. ({1}) Außerdem haben Sie hier erzählt, wie fantastisch die SPD die Bürgerrechte in den vergangenen Jahren geschützt hat. ({2}) Wie viele Verfassungsgerichtsentscheidungen musste die SPD in den letzten Jahren eigentlich einstecken? ({3}) - Ich bestreite nicht, dass das zu unserer Regierungszeit auch einmal so war; aber Sie sind seit zehn Jahren an der Regierung, Herr Stünker. Sie hätten all die verfassungswidrigen Gesetze ändern können. Sie hatten dazu Zeit, als Sie mit den Grünen eine Koalition bildeten, und Sie haben jetzt, da Sie mit der CDU/CSU eine Koalition bilden, dazu Zeit. Insofern würde ich bei der Beantwortung der Frage, wer hier der Hüter und Schützer ist, ganz vorsichtig sein. Es gibt an dieser Stelle keinen, der nicht Fehler macht. - Sich selber herauszustellen und zu sagen: „Wir sind diejenigen …“, halte ich angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den vergangenen zehn Jahren für vollkommen unangebracht. ({4}) Frau Ministerin, wenn man als Oppositionspolitiker über den Haushalt redet, dann liegt es erst einmal nahe, auf Angriff zu setzen. Aber angesichts dessen, was Sie an der Rechtsstaatsfront im Moment auszuhalten haben - meistens von der linken Seite dieses Hauses -, möchte ich Ihnen ein wenig Schonung gewähren. Es ist schade, dass der Kollege Schäuble nicht da ist. Sie haben zugehört, als der Haushalt seines Ministeriums beraten wurde. Er kann nun leider nicht anwesend sein. Für den Haushalt des Justizministeriums gilt natürlich, dass er die Rechtspolitik selber nicht allzu sehr abbildet. Was Kosten angeht, findet diese Abbildung - Sie haben es gesagt - an vielen Stellen in den Ländern statt. Herr Montag, ich will ausdrücklich sagen: Ich hoffe, dass mit Ihren berechtigten Forderungen bezüglich der Ausstattung der Justiz in den Ländern nicht dasselbe passiert, was mit dem passiert ist, was Frau von der Leyen durchzusetzen versucht hat: Der Bund soll einiges bezahlen, was außerhalb seiner Zuständigkeit liegt. Das ist nicht gut; denn wann immer der Bund etwas bezahlt, was außerhalb seiner Zuständigkeit liegt, hat er für andere Dinge kein Geld. Ich denke, das ist nicht Ihr Impetus gewesen. Das Deutsche Patent- und Markenamt ist weiterhin der Teil unseres Justizwesens, der einen hohen Deckungsgrad gewährleistet. Hier ist über Jahre gesagt worden, dass zu Zeiten der schwarz-gelben Regierung große Fehler gemacht worden sind, dass eine Bugwelle entstanden sei und dass man sie nun beseitige. Dem ist nicht so. Wir stellen fest: Es gibt weiterhin eine hohe Bugwelle. Wir stellen fest, Herr Stünker: Entscheidend ist nicht, ob das Justizministerium in Händen der SPD oder der FDP ist; vielmehr handelt es sich um ein systematisches Problem. Die Unterdeckung von 200 Stellen, mit der wir es hier zu tun haben, bereitet wirkliche Sorgen. Frau Ministerin, Sie haben gefragt, wie man dieses Problem lösen kann. Ich glaube, dass man es nur lösen kann, indem man ganz klar sagt, dass wir mit Einsparungen von Stellen in einer Behörde mit einem hohen Einnahmeanteil - diese Behörde „finanziert sich selbst“ - anders umgehen müssen. Ich bin der Meinung: Wenn wir einen klaren betriebswirtschaftlichen Plan haben, dann müssen wir diesen Behörden mehr Möglichkeiten geben, ihre Stellen so zu besetzen, wie sie es selbst für angemessen halten. Diesbezüglich müssen Sie mit Herrn Diller einmal ein bisschen reden; er ist dazu durchaus bereit. Die Unterstützung des Haushaltsausschussvorsitzenden an dieser Stelle haben Sie. Das Bundesamt für Justiz ist zu Recht angesprochen worden. Wie wir gehört haben, soll es eigentlich beim Status quo bleiben. Wir müssen ehrlich sein: Wir haben eine neue Aufgabe bekommen, und man muss sich fragen, warum die Europäische Union ein weiteres bürokratisches Verfahren durchführt. Fest steht: Zu diesem Verfahren wird es kommen. Ob die Anzahl der Stellen richtig ist, das weiß ich noch nicht. 98 Stellen kommen hinzu. Nur ein Teil dieser Stellen ist mit einem Wegfallvermerk versehen. Ich möchte ausdrücklich kritisieren, dass diese Stellen am Standort Bonn angesiedelt sind. Auch das ist richtig. Es ist ebenfalls richtig, dass sie beim Bundesamt für Justiz sind, weil es keine originäre Aufgabe ist, die man in Berlin erfüllen muss. Nur, wo ist der Ausgleich? Wir bringen 98 neue Stellen nach Bonn. Bekommen wir dafür auch einen Effizienzgewinn an anderer Stelle, in Berlin? Wir haben immer gesagt: Bonn hat Probleme. Nur, wenn wir jetzt hier neue Stellen aufbauen, dann bitte ich doch darum, effizientere Arbeit möglich zu machen. Ich weiß, dass gegenwärtig noch über 30 Leute des BMJ in Bonn sind. Man könnte auch daran denken, diese nach Berlin zu versetzen. Im Übrigen empfehle ich, bei den 98 Stellen durchaus zu schauen, ob wir wirklich alle brauchen und ob wir hierbei nicht mit einer qualifizierten Sperre arbeiten sollten nach dem Motto: Lasst uns einmal sehen, wie die Entwicklung verläuft. - Der Haushaltsausschuss könnte dann nach einer entsprechenden Vorlage sagen: Den Rest bekommt ihr, je nachdem, wie die Entwicklung verläuft und wie die Unternehmen reagieren. Wir haben beim letzten Mal die Vereinfachung der Rechtssprache thematisiert; Kollege Schröder hat das angesprochen. Ich habe bisher noch keinen Bericht gesehen. Ich bin mir sicher, es gibt einen Zwischenbericht. Ich würde mich freuen, wenn die Haushälter diesen Zwischenbericht bekommen würden. 160 000 Euro, das mag eine kleine Summe im Verhältnis zur Größe des Haushalts sein, aber sie ist nicht unwichtig. Ich bitte darum, dass uns das, was vorliegt, zugeht. Zum Abschluss doch noch einmal ein kurzes liberales Mantra. Es fällt mir sehr stark auf, dass wir immer wieder darüber im Wettbewerb stehen, wer am meisten Sicherheit gibt, oder in umgekehrter Weise darüber, wer schuld ist, wenn die Sicherheit nicht absolut garantiert werden konnte. Die Frage, wer absolute Sicherheit garantieren kann, können wir nicht beantworten. Wir als Parlament hätten eigentlich die Verpflichtung, zu sagen: Wir alle bemühen uns, entsprechend unserer politischen Überzeugung ein vernünftiges Maß an Sicherheit zu erreichen. Jeder, der mit seinen Maßnahmen absolute Sicherheit verspricht, hat den Bürger in dem Moment eigentlich schon belogen. Letzter Punkt, Frau Ministerin. Wenn es jetzt zu weiteren Haushaltsverhandlungen kommt, dann möchte ich Sie bitten, anders als im letzten Jahr auf etwas zu achten. Wenn seitens des Innenministeriums wieder neue Haushaltswünsche kommen, darf es nicht wieder heißen: Wir haben im Haushaltsausschuss nicht so genau gewusst, dass das Geld für Maßnahmen ist, die wir rechtsstaatlich eigentlich nicht wollten. - Hier sind Sie als Wächterin über den Rechtsstaat noch weit mehr gefragt als in den letzten Jahren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ole Schröder für CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beiden Einzelpläne, die wir jetzt beraten, haben sich im Vergleich zum Vorjahr, was die Größe und die Struktur angeht, nicht wesentlich verändert. Nach wie vor dominieren natürlich die Personalausgaben. Trotz des geringen Haushaltsvolumens verdienen diese Einzelpläne bei den Haushaltsberatungen besondere Beachtung. Zum einen bilden die Institutionen, die aus diesen beiden Einzelplänen finanziert werden, Grundpfeiler unseres Rechtsstaats - ich denke hierbei natürlich an den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht -; zum anderen sind Behörden wie das Deutsche Patent- und Markenamt ganz entscheidend für den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland. Das Deutsche Patent- und Markenamt ist in den Haushaltsdebatten der letzten Jahre schon Thema im Plenum gewesen. Wir haben es jetzt geschafft, mit zusätzlichen Prüfern den Anmeldestau bei den Patenten zu beseitigen. Das ist wichtig für den Technologiestandort Deutschland. Den Haushälter freut es natürlich, dass wir die Ausgaben im Einzelplan des Bundesministeriums der Justiz zu einem so großen Teil, zu fast 75 Prozent, aus eigenen Einnahmen decken können. Wir sind gerade dabei, das Haushaltsrecht so zu reformieren, dass wir künftig auch abbilden können, was die einzelnen Einrichtungen kosten und was sie erbringen, damit wir eine wirtschaftliche Rechnung aufstellen können, um hier noch besser steuern zu können. Viel wichtiger für den Technologiestandort Deutschland als die Einnahmen ist aber, dass die Anmeldung von Patenten schnell und rechtssicher funktioniert. Wenn ein Unternehmen eine wertvolle Erfindung gemacht hat oder eine wertvolle Marke entwickelt hat und sie gegen nicht unerhebliche Gebühren schützen lässt, dann muss dies zügig geschehen; ansonsten ist die Marke oder das Patent nicht viel wert. Im Bereich der Patente funktioniert das hervorragend. Die Zahl der Patentanmeldungen beim DPMA war in den vergangenen Jahren mit 60 000 Anmeldungen weitgehend stabil geblieben. Wir bewegen uns damit auf höchstem Niveau. Wir haben die höchsten Anmeldezahlen, die ein nationales Patentamt in Europa hat. Im Bereich der Marken müssen wir dagegen aufpassen, dass wir unseren Standard halten. In diesem Bereich sind die Anmeldungen nach einem Tiefstand im Jahr 2002 mit 57 400 Anmeldungen auf mittlerweile über 72 000 Anmeldungen gestiegen. Deshalb werden wir uns in den Beratungen über einen erhöhten Personalbedarf unterhalten müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass ein solcher Personalbedarf - dass es den gibt, erkennen wir ja an auch schon im Kabinettsentwurf abgebildet worden wäre und das nicht erst in den Haushaltsberatungen nachgeholt würde. Sehr geehrte Damen und Herren, im Zuge der Beratungen für den Haushalt 2007 hat uns ja das Bundesamt für Justiz beschäftigt. Die Gründung dieses Amtes hat sich positiv ausgewirkt: Das Ministerium kann sich jetzt auf seine Kernaufgaben konzentrieren, während Aufgaben des nachgelagerten Bereichs im Bundesamt für Justiz gebündelt werden können. Im Rahmen der Einführung der Offenlegungspflichten von Unternehmen im Elektronischen Handelsregister aufgrund von EU-Recht zeigt sich, dass wir eine solche zentrale Stelle brauchen. Nur so können wir nämlich den international gestiegenen Anforderungen gerecht werden. Es war richtig, dass wir uns entschieden haben, Unternehmer nicht gleich zu kriminalisieren, wenn sie ihren Offenlegungspflichten nicht nachgekommen sind. Deshalb haben wir uns ja für ein Ordnungsgeldverfahren entschieden. Es kommt nun darauf an, dass wir in einem ersten Schritt die Unternehmen aufklären und über die Regelungen informieren sowie für deren Umsetzung werben. In einem zweiten Schritt müssen wir aber auch dafür sorgen, dass mögliche Ordnungsgeldverfahren auch zügig durchgeführt werden. Gemäß den früheren Strukturen wäre diese Aufgabe beim Bundeszentralregister angesiedelt worden. Das wäre, wie ich denke, nicht optimal gewesen. Jetzt haben wir eine Organisationseinheit, die das leisten kann. Wir werden uns sicherlich in den Beratungen noch darüber unterhalten müssen, wie viele Stellen wir für die Wahrnehmung dieser Aufgabe letztendlich brauchen. Es ist natürlich auch sehr schwierig, abzuschätzen, inwieweit die angekündigte Informationskampagne bei den Unternehmen auch wirklich Erfolge zeigen wird. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu einer Institution kommen, die bisher bei uns hier in den Plenarberatungen, wenn überhaupt, relativ wenig Beachtung gefunden hat, die aber für die Rechtspflege in Deutschland von immer größerer Bedeutung sein wird. Ich meine die Europäische Rechtsakademie in Trier. Die Europäische Rechtsakademie bildet Richter, Anwälte und Justizbedienstete der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des europäischen Rechts aus. Der Bedarf an solchen Fortbildungsangeboten steigt aufgrund der Erweiterung der EU und der immer umfangreicher und komplexer werdenden EU-Gesetzgebung immens. Es sollte unser gemeinsames Ziel sein, diese Akademie in Deutschland zu halten und zu stärken. Wir können nicht zuletzt damit auch für eine Verbesserung der europäischen Rechtsanwendung sorgen. ({0}) Im Rahmen der Haushaltsberatungen sollten wir nach Wegen suchen, um mit der Beteiligung des Landes Rheinland-Pfalz der Rechtsakademie eine Erweiterung zu ermöglichen, ohne den sowieso sehr engen Haushalt des Bundesministeriums der Justiz übermäßig zu belasten. Es freut mich, dass das Modellprojekt für eine verständliche Sprache in Gesetzen jetzt anläuft, wie ich höre, sehr erfolgversprechend. Zusammen mit der Gesellschaft für deutsche Sprache werden im BMJ Gesetze auf verständliche Sprache überprüft und wird mit dem Fachministerium im Gesetzgebungsverfahren an verständlicher Sprache gearbeitet. Wir sollten dieses Modellprojekt im nächsten Jahr zum Abschluss bringen, damit die Fachpolitiker die entsprechenden Ergebnisse evaluieren können und wir gemeinsam die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen können. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam an einer besseren Rechtsetzung und an einer guten Rechtspflege arbeiten. Ich freue mich auf die gemeinsamen Haushaltsberatungen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion.

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der Kollege Gehb und der Kollege Stünker haben sehr eindrucksvoll dargelegt, dass die Rechtspolitik allen Unkenrufen zum Trotz in der Großen Koalition erstaunlich gut aufgehoben ist. ({0}) - Ich gehe gern darauf ein, warum ich das für erstaunlich halte. Ich gestehe, ich hatte am Anfang etwas Bedenken, aber inzwischen macht es mir sehr großen Spaß, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, Sie verstehen das richtig. - Ich finde, dass wir in vielen großen Gesetzesvorhaben ausgesprochen gut vorankommen. Das Versicherungsvertragsgesetz ist schon erwähnt worden. Dabei handelt es sich um einen großen Bereich, der für uns schwer zu regeln war, weil auch die Finanzmaterie sehr stark davon betroffen ist. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass es sicherlich auf die Union zurückgeht, dass wir hier einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Verbraucherschutz einerseits, der dem BMJ bei dieser Angelegenheit über die Maßen wichtig war, und der Funktionstüchtigkeit des Versicherungsstandortes Deutschland andererseits gefunden haben. Wir haben - die Ministerin hat es angesprochen - in sehr sachorientierten, vernünftigen und im Ton anständigen Verhandlungen mit allen Beteiligten einen sehr guten Kompromiss gefunden. Das ist nur ein Beispiel für die wirklich erfolgreiche Arbeit der letzten zwei Jahre. Aber es gibt natürlich noch immer nicht ganz erfüllte Wünsche, die durchaus ein Mehr an Bewegung erfordern würden. Der Kollege Gehb hat es schon angesprochen. Am 18. Juli wurde der Kabinettsentwurf bezüglich der nachträglichen Sicherungsverwahrung für durch Jugendstrafrecht verurteilte Straftäter gebilligt. Wir haben als Union sehr lange gefordert, diese ganz klare Gesetzeslücke zu schließen. Ich weiß, dass es vielen aus der Fraktion des Koalitionspartners nicht leicht gefallen ist, sich auf dieses Thema einzulassen. Eine bayrische Initiative gibt es seit mittlerweile über einem Jahr im Bundesrat, und es gab sie auch in den vergangenen Legislaturperioden. Ich denke, wir haben hier die Pflicht, vorwärtszukommen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist in weiten Teilen zustimmungsfähig. Ich kann mich aber nur dem Kollegen Gehb anschließen: Wir hätten uns bei der Anlasstat, die sozusagen Voraussetzung für die Überprüfung der Anordnung einer Sicherungsverwahrung ist, ein bisschen mehr Konsequenz und ein bisschen mehr Mut gewünscht. Sieben Jahre Jugendstrafe ist eine sehr hohe Strafe, die vermutlich in nicht sehr vielen Fällen ausgesprochen wird. Wir hätten uns da durchaus fünf Jahre vorstellen können. Denn auch die anderen Voraussetzungen für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung bei im Ursprung jugendlichen Straftätern sind sehr hoch. Von daher wären die fünf Jahre sicherlich vertretbar gewesen. Aber - ich sage das noch einmal ganz ausdrücklich - wir erkennen an, dass es hier eine deutliche Bewegung gegeben hat, und wir unterstützen und begrüßen diese Bewegung. Ich will jetzt nicht zum wiederholten Male das Thema Onlinedurchsuchung oder Terrorcamps ansprechen. Mich verwundert allerdings ein bisschen, dass der Aufenthalt in einem Terrorcamp von Teilen dieses Parlaments ganz offensichtlich bagatellisiert werden soll. Das verstehe ich nicht ganz. Herr Montag, Sie meinen, dass dieser Aufenthalt durch die Verabredung zu einer Straftat abgedeckt sei. Ich teile Ihre Auffassung nicht. Ich glaube schon, dass wir mit solchen Dingen sehr vorsichtig umgehen müssen; wir haben es erst in den letzten Wochen wieder vor Augen geführt bekommen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die intensiven Diskussionen in den Jahren 2002 und 2003 über den § 129 a StGB und die Frage, ob es strafbar sein muss, für eine Terrorvereinigung zu werben oder zum Dschihad aufzurufen. Wir haben als Union damals, leider als einzige Fraktion in diesem Parlament, die Meinung vertreten, dass diese Strafbarkeit im Gesetz verankert bleiben muss. Sie ist zwingend erforderlich. In Bezug auf solche Straftatbestände darf es keine Bagatellisierung im deutschen Strafrecht geben. Rot-Grün hat das anders gesehen und sehr bewusst die Werbung für solche terroristischen Vereinigungen als Straftatbestand aus dem Gesetz herausgenommen. Die Konsequenz kennen Sie: Der BGH hat im Mai dieses Jahres über die Fortsetzung einer Untersuchungshaft eines Beschuldigten zu befinden gehabt, der im Internet Werbung für al-Qaida gemacht hat, und zwar mehrfach und in deutlicher Art und Weise. Der BGH hat in seinem Urteil deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Beschuldigte Gott sei Dank auch noch versucht hat, Mitglieder zu werben; denn wenn die Fortsetzung der U-Haft nur darauf hätte gestützt werden müssen, dass er zum Heiligen Krieg aufgerufen hat, hätte er freigelassen werden müssen. Ich meine, daraus sollten wir Konsequenzen ziehen. Wir sollten die Werbung für terroristische Vereinigungen und den Aufruf zu terroristischen Anschlägen wieder ganz bewusst unter Strafe stellen. Das wäre eine konsequente Reaktion auf das BGH-Urteil vom Mai dieses Jahres und auf das, was wir jetzt direkt vor unserer Haustür erleben. Ich möchte dringend darum bitten, dass wir uns sehr genau damit beschäftigen. ({1}) Ich weiß, dass das schwierig ist. Ich habe mit großem Interesse verfolgt, was insbesondere der Kollege Nešković hier von sich gegeben hat. Die Unterstellungen insbesondere gegenüber dem Bundesinnenminister halte ich für politisch und menschlich grob unanständig. ({2}) - Es kommt bei Ihnen immer im juristischen Deckmantel daher, wenn Sie unanständig werden; dadurch klingt es ein bisschen besser, aber es wird nicht besser. - Sie reden immer von Schutzpflichten des Staates; ich würde mir - das sage ich Ihnen auch ganz klar - eine Schutzpflicht vor solchen Reden wünschen. ({3}) Die Regelungen müssen natürlich immer auf rechtsstaatlicher Grundlage getroffen werden. Auf der Regierungsbank sitzen zwei Minister - Ministerin Zypries und Minister Schäuble -, bei denen wir in sehr guten Händen sind. Die Überprüfung dessen, was wir ins Strafgesetzbuch aufnehmen wollen - sei es ein Verbot des Besuchs von Terrorcamps oder ein Verbot von Werbung für terroristische Vereinigungen -, muss sorgfältig und mit Augenmaß durchgeführt werden; sie muss sich aber auch an dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen orientieren. Kollege Stünker hat so treffend aus dem CDU/CSU-Programm zitiert: Keine innere Sicherheit ohne äußere Sicherheit. - Diesem Grundsatz fühlen wir uns verpflichtet. Wir haben noch viel vor. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 12. September, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Ich schließe die Sitzung.