Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zur ersten Arbeitssitzung des Deutschen Bundestages nach der parlamentarischen Sommerpause.
Heute gedenken nicht nur in Amerika viele Menschen
der entsetzlichen Anschläge vom 11. September 2001
und der Tausenden von Opfern, die diese Terroranschläge gefordert haben. Unser Gedenken an die Opfer
verbindet sich mit der Entschlossenheit, jeder Form von
Terrorismus, mit welcher Begründung auch immer, entgegenzutreten und allen möglichen Bedrohungen der
Freiheit und des Lebens der Menschen in diesem Lande
entgegenzuwirken.
({0})
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich einige
Mitteilungen machen:
Während der parlamentarischen Sommerpause haben
eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen runde Geburtstage gefeiert. Der Kollege Otto Schily wurde am
20. Juli 75 Jahre alt, und der Kollege Detlef Parr wurde
am 8. September 65 Jahre alt. Diesen beiden kann man
schon einmal gesondert gratulieren.
({1})
Ihren 60. Geburtstag haben im gleichen Zeitraum die
Kolleginnen und Kollegen Klaus Hofbauer, Günter
Baumann, Waltraud Lehn, Dr. Marlies Volkmer,
Annette Faße und Eduard Oswald begangen. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich nachträglich herzlich und wünsche alles Gute!
({2})
Die Kollegen Dr. Reinhard Göhner, Dr. Peter
Paziorek und Dr. Reinhard Loske haben zwischenzeitlich auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
verzichtet. Als Nachfolger für Herrn Dr. Göhner begrüße
ich herzlich den Kollegen Cajus Julius Caesar,
({3})
der den meisten noch in allerbester Erinnerung ist und
der dem Parlament sicher nicht nur durch die Durchschlagskraft seines Namens behilflich sein wird.
Als Nachfolger von Herrn Dr. Paziorek begrüße ich
den Kollegen Dr. Stephan Eisel
({4})
und als Nachfolgerin von Herrn Dr. Loske die Kollegin
Bettina Herlitzius.
({5})
Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes auf Drucksache 16/5845 zu
erweitern. Dieser Gesetzentwurf soll ohne Aussprache
an die Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der „United
Nations Interim Force in Lebanon“ ({6})
auf Grundlage der Resolutionen 1701 ({7})
und 1773 ({8}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006 bzw.
24. August 2007
- Drucksache 16/6278 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({9})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Eine Aussprache dazu ist für heute nicht vorgesehen;
aber wir müssen diesen Antrag zur Beratung an die Aus-
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
schüsse überweisen. Interfraktionell wird die Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 16/6278 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Ich nehme an, dass Sie damit einverstanden sind. - Das
ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 2 a und
2 b:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2008 ({10})
- Drucksache 16/6000 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011
- Drucksache 16/6001 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aussprache im Anschluss an die einstündige Einbringung
des Haushalts sechseinhalb Stunden, für Mittwoch siebendreiviertel Stunden, für Donnerstag sieben Stunden
und für Freitag drei Stunden vorgesehen. Ich nehme an,
dass es auch dazu keinen Widerspruch gibt - in weiser
Vorahnung, dass es am Ende jeweils vermutlich etwas
länger dauern wird. - Dann ist das so beschlossen.
Ich erteile nun das Wort zur Einbringung des Haushaltes dem Bundesminister der Finanzen Peer
Steinbrück.
({11})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der Präsident hat daran erinnert:
Heute auf den Tag genau vor sechs Jahren fanden die
heimtückischen Terrorakte in New York und Washington
statt. Seitdem ist nichts mehr so, wie es war, vor allem in
den USA, wo bei diesen Anschlägen Tausende von Menschen umgekommen sind, derer wir nicht nur heute gedenken. Es ist auch nichts mehr so in der übrigen Welt,
wohin sich die politischen, die wirtschaftlichen und auch
die psychologischen Schockwellen, die für unsere inzwischen hochgradig vernetzte und globalisierte Welt charakteristisch sind, mit sehr großer Geschwindigkeit ausgebreitet haben.
Unbestreitbar ruft diese globalisierte Welt bei vielen
Menschen Unsicherheit, ja gelegentlich sogar ausgeprägte Angst hervor. Dennoch oder gerade deshalb erscheint es mir unverantwortlich, bei den Menschen den
Eindruck zu vermitteln, man könne Globalisierung
quasi zurückdrehen, man könne sich gegen Globalisierung und ihre unerwünschten Folgewirkungen - während man gleichzeitig die erwünschten Folgewirkungen
gern in Kauf nimmt - abschotten, oder es würde reichen,
an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland quasi
das Rollo herunterzulassen. Wer so argumentiert, streut
den Menschen Sand in die Augen.
Deutschlands Wirtschaft, die über 40 Prozent ihrer
Wertschöpfung über Ex- und Importe erzielt, ist eng mit
der Weltwirtschaft verbunden. Das heißt, 40 Prozent unseres Wohlstandes gewinnen wir durch Globalisierung.
Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte einer der großen Gewinner
dieser Globalisierung.
Wenn wir unsere Verknüpfungen mit der Weltwirtschaft schwächen oder beschädigen, wenn wir sie belasten, verlieren wir Arbeitsplätze, verlieren wir Wohlstand
und Wachstum, und wahrscheinlich könnten wir unser
soziales Sicherungssystem immer weniger auf dem
Niveau finanzieren, wie wir es heute noch können. Stimmen, die zumindest unterschwellig mit dem Motto
„Wohlstandssicherung durch Abschottung“ eine politische Rendite zu gewinnen versuchen - teilweise übrigens auch mit nationalistischen Untertönen -, handeln
angesichts unserer faktischen Verflechtung in einem zusammenwachsenden Europa und weltweit, wie ich
glaube, verantwortungslos.
({0})
Wir wissen, dass Globalisierung anstrengend ist. Unser Zeitalter ist von Beschleunigung, von raschen Veränderungen und zunehmender Komplexität gekennzeichnet. Damit müssen wir umgehen lernen. Dabei dürfen
wir die Menschen nicht verschrecken, sondern müssen
sie zur Teilnahme und Teilhabe befähigen. Das ist in
meinen Augen die erforderliche politische Verantwortungsethik.
Aktuelles Beispiel: Seit einigen Wochen haben wir es
mit erheblichen Verunsicherungen und einer sehr großen
Nervosität an den internationalen Finanzmärkten zu
tun. Keine Frage: Was wir dort erleben, ist sehr ernst zu
nehmen. Dennoch sollten wir die Lage jenseits jeder
Verharmlosung, die nicht angebracht ist, nicht dramatisieren. Wir brauchen jetzt weder Verharmlosung noch
Hysterie, sondern wir brauchen verantwortungsbewusstes Handeln und die Reifezeit, um Lerneffekte zu erzielen und Konsequenzen aus dieser Entwicklung zu ziehen.
Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass ich
sehr zufrieden bin mit der professionellen und sehr raschen Reaktion der Vertreter der Banken aller drei Säulen unseres deutschen Kreditwesens. Ich möchte ihnen
an dieser Stelle namentlich danken: Herrn Müller für die
privaten Geschäftsbanken, Herrn Haasis für die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute und Herrn Pleister für die
Genossenschaftsbanken. Ich möchte dem Bundesbankpräsidenten, Herrn Weber, und dem Präsidenten der
BaFin, Herrn Sanio, dafür danken, dass das Zusammenwirken dieser wichtigen Partner der deutschen Finanzwirtschaft in einer sehr zugespitzten, krisenhaften Situation funktioniert hat und dadurch nach Lage der Dinge
Schlimmeres verhindert wurde.
({1})
Ich möchte auch den großen Zentralbanken einschließlich der Europäischen Zentralbank danken. Sie
haben schnell und effektiv insbesondere auf dem Markt
für Unternehmensanleihen eine Liquiditäts- und Kreditklemme und damit Schlimmeres verhindert. Dadurch
wurde insbesondere die drohende Gefahr abgewendet,
dass sich die Realwirtschaft an der Entwicklung auf den
Finanzmärkten ansteckt, was zu Eintrübungen der wirtschaftlichen Entwicklung hätte führen können. Wir sind
jetzt dabei, diese Krise sorgfältig aufzuarbeiten und dann
- aber erst dann - Konsequenzen für die Bankenaufsicht
und bezogen auf andere Problemfelder zu ziehen. Es
sollte nichts überstürzt werden.
Meine Damen und Herren, ohne dass es zynisch
klingt, will ich hinzufügen: Man kann der jüngsten dramatischen Entwicklung auch etwas Gutes abgewinnen
und sie als eine Art Normalisierung auf den Finanzmärkten nach einer Phase der absoluten Maßlosigkeit, der
Überhitzung und der Übertreibungen bewerten. Die
Chance dieser Krise liegt darin, dass sie endlich wieder
zu einem angemesseneren Risikobewusstsein der Akteure führt, dass sich Kreditrisiken wieder deutlicher in
der Höhe der Risikoprämien niederschlagen und sich das
eine oder andere Bankenmanagement vielleicht nicht
mehr mit hochkomplexen Produkten am Markt bewegt,
von denen es weitaus weniger versteht als größere Kreditinstitute.
Der deutsche Finanzmarkt hat genug Reserven, um
die derzeitigen Spannungen zu überstehen. Ebenso
wichtig ist, dass die realwirtschaftlichen Grunddaten in
Deutschland nach Einschätzung vieler Verbandsvertreter, vieler renommierter Ökonomen und auch aus Sicht
der wirtschaftswissenschaftlichen Expertise weiterhin
positiv und stabil sind, sowohl in Deutschland als auch
weltweit. Was die weitere wirtschaftliche Entwicklung
in Deutschland angeht, sehe ich wie die Mehrzahl der
Experten keinerlei Anzeichen für eine ernsthafte Eintrübung. Um die deutsche Konjunktur steht es nach wie
vor gut.
Meine Damen und Herren, nicht nur der deutsche
Konjunkturmotor läuft rund; auch der Standort Deutschland klettert in den internationalen Rankings nach oben.
Was in Deutschland noch vor einigen Jahren in einem
verbreiteten Lamento für sehr unwahrscheinlich gehalten wurde, ist heute Realität. Die deutsche Wirtschaft hat
in den letzten Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit
gewonnen. Wir sind nicht mehr diejenigen, die die rote
Konjunkturlaterne tragen. Inzwischen ist die Wirtschaft
Deutschlands eine von mehreren Lokomotiven der europäischen Konjunktur.
Angesichts der fast schon selbstzerstörerischen
Selbstbespiegelung, die wir in den letzten Jahren teilweise erlebt haben, überraschen die Fakten inzwischen
positiv und tragen endlich auch zu einer Veränderung der
mentalen Einstellung der Menschen in unserem Land
bei. Es ist vielleicht hinzuzufügen, dass die Lage in der
Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung unseres
Landes in den letzten Jahren nie so schlecht gewesen
sind, wie wir es uns selbst eingeredet haben. Die vollständige Botschaft lautet allerdings: Wir sind keineswegs bereits so gut aufgestellt, wie wir es zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen sein müssten.
Dies könnte eine ausgewogene, ausbalancierte Beurteilung unserer Lage sein.
({2})
Um im Telegrammstil auf einige Fakten einzugehen,
möchte ich darauf hinweisen, dass eine Befragung der
renommierten Unternehmungsberatung Ernst & Young
bestätigt: Für international tätige Unternehmen ist
Deutschland inzwischen wieder der attraktivste Standort
in Europa und der drittattraktivste Standort weltweit,
und zwar nicht nur wegen der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und nicht nur wegen der Lohnstückkostenentwicklung, sondern auch wegen seiner nach wie
vor sehr guten Infrastruktur, der Attraktivität und Größe
des deutschen Marktes, unserer Wirtschaftsgeografie,
auch vor dem Hintergrund der erweiterten Europäischen
Union, der Qualität von Forschung und Entwicklung sowie der hohen Qualifikation und Motivation unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hinzu kommt die
gesellschaftliche Stabilität, die es in Deutschland im
Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor gibt. Das ist
ein Wert, der sich kaum messen lässt, aber mit zu den
positiven Standortfaktoren dieser Republik gehört.
({3})
Über die erfreulich gestiegene Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Wirtschaft habe ich schon gesprochen. Es
bleibt zu ergänzen, dass einer der großen Pluspunkte
nach wie vor ein sehr starker Mittelstand ist, der sich insbesondere im Vergleich zu europäischen Partnerländern
als immer gewichtiger für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland herausstellt.
({4})
Als einziger G-7-Staat konnte Deutschland seinen
Welthandelsanteil in den letzten zehn Jahren auf einem
hohen Niveau ausbauen. Viermal in Folge Exportweltmeister, das ist schon ein sensationeller Erfolg.
Eine weitere Tatsache: Die Arbeitslosigkeit ist innerhalb eines Jahres auf den niedrigsten Stand seit 1999 gesunken. Mit inzwischen 3,7 Millionen Arbeitslosen liegen wir um gut 670 000 unter dem Vorjahreswert und
sind damit von der erschreckenden Rekordmarke von
5 Millionen Arbeitslosen im Jahre 2005 weit entfernt.
Ich weiß, dass dies nicht reicht; aber der Trend ist wichtig und weist nach unten.
Auch wenn es viele immer wieder überrascht, unsere
Steuer- und Abgabenquote liegt unter dem Durchschnitt der 25 europäischen Mitgliedstaaten, wenn ich
die neuen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien einmal außen vor lasse. Die Belastung über die Steuer- und
Abgabenquote in Deutschland ist im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich und nicht überdurchschnittlich.
({5})
Eine weitere wichtige Botschaft, die in ordnungspolitischen Debatten gelegentlich ignoriert wird, lautet, dass
es inzwischen in Deutschland - wahrscheinlich in die11380
sem Jahr schon - weniger Staat gibt als zum Beispiel im
Vereinigten Königreich, einem Land im angloamerikanischen Bereich, dem immer unterstellt wird, dass dort der
Staat sehr viel weniger imperialistisch und krakenartig
etwas von der Wirtschaftsleistung für sich in Anspruch
nimmt. Bereits im letzten Jahr lag unsere Staatsquote mit
45,4 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Dies sollte endlich auch diejenigen beeindrucken - sie sollten es wenigstens zur Kenntnis nehmen -, die keine Gelegenheit auslassen, den Staat als
fetten Moloch zu diskreditieren. Die Wahrheit ist: Dieser
Staat wird schlanker und effizienter. Ich werde mich
weiterhin dafür einsetzen, dass er über diese Entwicklung nicht handlungsunfähig wird, sondern weiterhin ein
handlungsfähiger Staat bleibt, der den Menschen die
Dienstleistungen zur Verfügung stellt, die sie brauchen,
um die Stabilität dieser Gesellschaft zu erreichen, und
ihre großen Lebensrisiken absichert.
({6})
Eine weitere Tatsache ist, dass wir das Maastrichter
Verschuldungskriterium weit unterschreiten. Während
unsere Verschuldung im Jahre 2005 - Sie erinnern sich noch 3,2 Prozent betrug, wird sie in diesem Jahr auf voraussichtlich ein halbes Prozent sinken. Die Chancen
stehen nicht schlecht, dass wir 2008 eine schwarze Null
schreiben werden.
Schließlich wird mit mehr als 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland mehr Geld für Forschung und Entwicklung investiert als in den meisten anderen europäischen Partnerländern.
({7})
Einige sind uns allerdings immer noch voraus, insbesondere die Skandinavier, deren Prozentanteil zum Teil bei
3,5 bis 4 liegt. Unser Ziel bleibt, die Dreiprozentmarke
zu erreichen, die erforderlich ist, um Deutschland global
weiterhin wettbewerbsfähig zu halten.
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die wiedergewonnene Stärke der deutschen Volkswirtschaft wird
auch dadurch eindrucksvoll bestätigt, wie sie die konjunkturell unzweifelhaft belastende Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung weggesteckt hat. Gut acht Monate
nach ihrem Inkrafttreten sind alle Horrorszenarien, die in
der Vergangenheit auch an die Wände dieses Hohen
Hauses gemalt worden sind - Stichwort: Gift für die
Konjunktur - zerplatzt.
Ich bin noch einmal in die Reden insbesondere von
Oppositionspolitikern der letzten Monate eingestiegen
und finde dort folgende Zitate: „Die wirtschaftliche
Belebung im Jahr 2007 wird kaputt gemacht“, „Die Neuverschuldung wird in den nächsten Jahren nicht abgebaut“, „Das Konsumklima wird eingetrübt“ oder „Hoffnung auf Wachstum wird sich mit dem rot-schwarzen
Haushalt nicht erfüllen“, „Der Haushalt 2007 ist nicht
solide“. Letzteres stammt von Herrn Koppelin.
({9})
Herr Solms prognostizierte: „Die Binnenkonjunktur
wird 2007 einbrechen.“ Noch einmal Herr Solms: „Die
Löcher in den öffentlichen Haushalten werden sich weiter öffnen.“
({10})
Was ist aus diesen Einschätzungen geworden? Wenn Sie
sich in Ihren vergangenen Haushaltsreden so geirrt haben, warum sollten wir Ihren im Rahmen dieser Haushaltsdebatte bevorstehenden Beiträgen Glauben schenken?
({11})
Nichts von dem, was Sie prophezeit haben, ist eingetreten: weder das mit Blick auf die Haushaltslücken noch
das bezogen auf die Konjunktur, noch das bezogen auf
die anderen Faktoren, die Sie angesprochen haben.
Die finanzpolitische Strategie der Großen Koalition
hat funktioniert. Es war richtig, 2006 alles zu unterlassen, was den konjunkturellen Himmel erkennbar in trübere Farben hätte bringen können, und erst 2007 mit einer nachhaltigen Konsolidierung zu beginnen. Ich bleibe
dabei: Die Anhebung der Mehrwertsteuer war und ist der
am wenigsten schädliche einnahmeseitige Beitrag zur
strukturellen Konsolidierung der Staatsfinanzen, und den
Zeitpunkt für diese Erhöhung hat die Große Koalition
richtig gewählt.
({12})
- Ach! - Das, was meistens auch von Ihnen verdrängt
wird, ist, dass es mit dem weitergereichten Mehrwertsteuerpunkt möglich gewesen ist, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 auf 4,2 Prozent deutlich zu senken. Wir werden diesen Weg weitergehen. Das hat allein
im laufenden Jahr zu einer Entlastung von 17 Milliarden
Euro, paritätisch für Arbeitgeber und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, geführt. Dadurch sind die
Bruttoarbeitskosten in Deutschland tendenziell gesunken, und die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dabei um immerhin
8,5 Milliarden Euro gestiegen.
({13})
Dies ist in meinen Augen nicht die einzige dringend
notwendige Maßnahme gewesen. Und ich bin mir ziemlich sicher: Wenn die FDP im November 2005 die
Chance gehabt hätte, Partner in einer Koalition zu werden,
({14})
dann hätten Sie mit Blick auf die Mehrwertsteuer genau
dieselbe Entscheidung getroffen wie die Große Koalition.
({15})
Diese Maßnahme ist nicht die einzige Maßnahme, um
eine solidere Haushaltspolitik zu implementieren. Die
Absenkung der Neuverschuldung erfolgt in dieser Legislatur zu 60 Prozent durch Ausgabenkürzungen, zum
Beispiel im öffentlichen Dienst, auch mit Blick auf eine
höhere Effizienz der Arbeitsmarktpolitik, auch in einzelnen Bereichen wie vornehmlich der Landwirtschaft, sowie durch die Streichung von Steuersubventionen.
40 Prozent des Konsolidierungsvolumens wird über
Steuererhöhungen erbracht. Die Kritiker werden es
selbstredend weiter verdrängen. Nicht verdrängt werden
allerdings verständlicherweise die schmerzhaften Folgen
dieser Kürzung von Steuersubventionen. Das führt ja in
jüngster Zeit zu gewissen Beiträgen. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Begriff aufgreifen, der in
dem lesenswerten Buch Nervöse Zone von Lutz
Hachmeister erwähnt wird; ich glaube, unter Bezugnahme auf die Journalistin Tissy Bruns. Dieser Begriff
lautet „strukturelle Doppelmoral“. Ich will Folgendes sagen: Während weite Teile der Wirtschaft, wichtige Stimmen der Politik und viele Kommentatoren immer wieder
tiefgreifende Reformen, teilweise radikale Reformen anmahnen, werden die Folgen selbst der zaghaftesten Reform auf der politischen Bühne und in medialen Berichten mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik
geschildert und problematisiert.
({16})
- Meist von denselben; dies ist eine gewisse Schizophrenie.
({17})
Ich will ein aktuelles Beispiel aufgreifen: Es gab und
gibt einen abstrakten Konsens - auch vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung -,
dass Steuersubventionen abgebaut werden sollen.
({18})
Die Große Koalition hat dazu im November 2005 ein
Tableau vorgelegt, das wir übrigens weitgehend, wenn
auch mit vielen Schmerzen, realisiert haben. Dazu gehörte nicht die Kürzung der Pendlerpauschale, sondern
die Abschaffung der Pendlerpauschale; denn in Wirklichkeit haben wir sie abgeschafft.
({19})
Wir haben das sogenannte Werktorprinzip eingeführt,
was bedeutet, dass der Arbeitstag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn Sie so wollen, nicht mehr
beim Verlassen des Wohnortes anfängt, sondern beim
Passieren des Werktors.
({20})
- Nein, nein, nein: Ich komme bei der Pendlerpauschale
lieber auf Ihren Fraktionskollegen Solms zu sprechen.
({21})
- „Meine Sozis“ sind da völlig konform mit mir.
({22})
- Arbeiten Sie sich lieber an Ihren eigenen Widersprüchen ab!
Das heißt, wir haben die Pendlerpauschale abgeschafft und dafür, wie in den Koalitionsverhandlungen
abgesprochen, eine Härtefallregelung für Fernpendler
eingeführt, übrigens aufgrund des maßgeblichen Einflusses von Unionspolitikern und SPD-Politikern, die
Flächenländer repräsentieren. Diese Maßnahme ist damals getroffen worden. Schon der erste verfassungsrechtliche Zweifel - der, wie ich finde, heute zunehmend
reflexhaft und inflationär gegen fast alles vorgebracht
wird, und zwar meistens unter Verbrämung von Gruppeninteressen - führt unter Umständen dazu, dass sich
der Konsens, der damals auch in Ihren Reihen bestand,
verflüchtigt und die Lage unübersichtlich wird. Auf
diese Art und Weise untergräbt man leistungsfähige
Politik.
({23})
Ich füge in diesem Zusammenhang hinzu: Weder
Finanzgerichtshöfe noch der Bundesfinanzhof entscheiden darüber, was in Deutschland verfassungskonform
ist. Das geschieht allein durch das Bundesverfassungsgericht.
({24})
- Auch der Bundesfinanzminister nicht. Aber das entspricht der geltenden Rechtslage, die auch weiterhin gilt
und die im Übrigen parlamentarisch legitimiert ist.
({25})
Unbenommen notwendiger Prüfungen auch im Hinblick darauf, wie wir unbürokratisch mit einem möglichen Einspruchsverhalten umgehen - das werden wir
mit den Ländern sicherlich auch zur Zufriedenheit der
Steuerbürger lösen -, reden hier einige leichthin davon,
dass man für den Bund 1,15 Milliarden Euro aufgeben
solle. Auf der einen Seite fordert mich Herr Fricke von
der FDP-Fraktion auf, Steuersubventionen weiter abzubauen.
({26})
Ich soll übrigens auch die Sozialleistungen weiter kürzen
und die Neuverschuldung noch schneller senken.
({27})
Auf der anderen Seite vertritt Herr Solms nur Positionen,
die das derzeitige Transfersystem massiv zementieren.
In einer sehr statischen Betrachtung listet er nur die Zumutungen im Einzelnen auf - auch bei der Pendlerpauschale - und, wenn ich es richtig sehe, insinuiert, wir
dürften an der Pendlerpauschale keine Änderungen zulasten des Haushaltes vornehmen. Vielleicht unterhalten
Sie sich einmal mit Herrn Fricke darüber, wie ich mich
angesichts dieses Abgrunds bewegen soll, in den hoffentlich nicht ich hineinfallen werde, sondern Sie.
({28})
Es entspricht der strukturellen Doppelmoral, dass
mich der eine aus der Fraktion auffordert, Steuersubventionen abzubauen, und mir vorwirft, ich sei bei der Absenkung der Nettokreditaufnahme viel zu wenig ehrgeizig, während sich der andere das Empörungspotenzial
der Menschen zu eigen macht, die verständlicherweise
am liebsten die alte Regelung beibehalten hätten. Er zementiert aber damit genau das System staatlicher Transferzahlungen, gegen das Sie doch sonst immer ordnungspolitisch argumentiert haben, Herr Solms. Was
denn nun? Das ist nicht konzise. Eine solche Position
kann sich der Finanzminister in seinem Verantwortungsbereich nicht zu eigen machen.
Mit den Reformen der Agenda 2010 hat die frühere
Bundesregierung unter Gerhard Schröder begonnen, das
Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft zu reformieren.
({29})
Ich will an dieser Stelle mit Absicht daran erinnern, dass
die Agenda 2010 sehr viel mehr ist als Hartz IV. Sie fördert Investitionen über Steuersenkungen; sie hat dazu
beigetragen, die Situation der Kommunen zu stabilisieren; sie hat den Mittelstand gefördert; sie setzt Schwerpunkte bei Forschung und Entwicklung, und sie hat auch
einen ersten Impuls bei dem Ausbau der Kinderbetreuung gegeben. Das ist, wie ich finde, auch ein standortpolitisches Thema vor dem Hintergrund der Tatsache,
dass wir in Deutschland durch eine bessere Vereinbarkeit
von Beruf und Familie zu einer höheren Erwerbstätigenquote der Frauen kommen müssen. Darauf ist diese Republik angesichts der demografischen Entwicklung
zwingend angewiesen.
({30})
Die Große Koalition hat auf diesen Reformen aufbauend gleich zu Beginn der Legislaturperiode unter anderem mit einem 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm
- das die Länder übrigens mit einem weiteren 12,5-Milliarden-Euro-Programm unterstützt haben, sodass es um
einen Impuls von immerhin 37,5 Milliarden Euro geht weitere Impulse gesetzt. Wir haben eine Unternehmensteuerreform verabschiedet. Wir bleiben dabei, dass wir
die Vererbung betrieblicher Vermögen durch Nachfolgeregelungen im Mittelstand weiter fördern wollen. Wir
haben eine Gesundheitsreform verabschiedet, von der
ich den Eindruck habe, dass sich die Kritikpunkte zunehmend verflüchtigen, weil einige merken, dass das Vorhaben doch Hand und Fuß hat. Mit der Debatte um die
Föderalismusreform II werden wir auch weitere Beiträge
zur Reform des deutschen Föderalismus leisten.
Wir fahren jetzt die Ernte dieser teilweise auch
schmerzhaften Anstrengungen ein, ich gebe zu: mit einer
für Strukturreformen üblichen Zeitverzögerung. Die
Große Koalition hat den Anspruch, die Auswirkungen
sich wandelnder Rahmenbedingungen nicht einfach nur
zu erleiden und zu erdulden, sondern die Herausforderungen der Globalisierung einer zukunftsbelastenden
Staatsverschuldung oder einer älter werdenden Gesellschaft anzunehmen. Wir sind kein Opfer sich wandelnder Zeiten; vielmehr wollen wir notwendige Veränderungen gestalten und dabei wirtschaftlich-technische
Dynamik mit sozialer Teilhabe und Aufstiegsperspektiven für die Menschen in dieser Republik zusammenbringen.
Einen Gestaltungsanspruch erhebt auch die von mir
vertretene Haushalts- und Finanzpolitik. Das erstreckt
sich nicht nur auf die Bereitstellung von finanziellen
Mitteln für Bereiche, die wichtig für die Zukunft dieses
Landes sind. Dabei geht es vielmehr auch um die Fragen, wie wir mit eventuell unerwünschten Einflussnahmen staatlich gespeister großer Anlagefonds umgehen
und wie wir feststellen können, ob dabei nationale Interessen in Mitleidenschaft gezogen werden. Oder nehmen
Sie als hochaktuelles Beispiel die Möglichkeit von Staaten, verbindliche Regelungen zur Sicherung der internationalen Finanzstabilität zu verankern. Wir dürfen nicht
die Augen davor verschließen, dass die Liberalisierung
und die enorme Dynamik des globalen Finanzsystems
prinzipiell zu einer Machtverschiebung führen. Die
Möglichkeiten einzelner Staaten werden tendenziell geringer, Regeln zu setzen und zu überwachen, nach denen
das globale Finanzsystem funktioniert. Gleichzeitig bekommen private Anlage- und Renditeinteressen mehr
Durchsetzungsmacht.
Diese Machtverschiebung an sich ist für mich kein
Grund dafür, dass Staaten als Interessensachwalter des
Gemeinwohls der jeweiligen Gesellschaften die Segel
streichen und das Schicksal des globalen Finanzsystems
allein der Logik einer weltweit agierenden Finanzindustrie überlassen. Notwendig ist vielmehr, dass die Staatengemeinschaft in den Stand versetzt wird, auf Augenhöhe mit der Finanzindustrie zu sein und internationale
Regeln zu vereinbaren. Man kann sie Standardsetzungen, Guidelines oder Verhaltenskodex nennen, wie auch
immer. Das geht aber nur in entsprechenden internationalen Gremien wie der Eurogruppe, im Ecofin-Rat oder
im Rahmen der G 7 oder des Internationalen Währungsfonds. Es wird nicht durch Kraftmeierei auf den heimatlichen Marktplätzen gehen.
({31})
Die Chancen, hier voranzukommen - es ist diese
Bundesregierung gewesen, die während ihres G-7-Vorsitzes und ihrer EU-Ratspräsidentschaft zum ersten Mal
diesen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt hat -, stehen
besser denn je. Das erhoffe und erwarte ich unter dem
Eindruck der jüngsten Turbulenzen und krisenhaften Zuspitzungen. Auch im angloamerikanischen Raum wird
zunehmend wahrgenommen, dass die potenziellen systemischen Risiken auf die Finanzmärkte zurückschlagen
könnten und dass man im Sinne von Prävention und Prophylaxe Vereinbarungen mit der Finanzindustrie treffen muss.
Wir haben in diesem Land einen guten Zwischenstand
erreicht. Die guten Zahlen des Jahres 2007 dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Problemdruck im Kessel nach wie vor hoch ist. Die guten Nachrichten vom Arbeitsmarkt oder aus der Wirtschaft dürfen
nicht wie Valium wirken, sondern müssen Adrenalin für
weitere Anstrengungen sein. Dabei ist es leicht, aber für
das breite Verständnis der Bevölkerung für Reformen
eine sehr schädliche Haltung, anderen viel abzuverlangen, zum Beispiel den Gürtel enger zu schnallen, wenn
man selber ziemlich beleibt ist. Die radikalsten Reformrufer - weg mit der Erbschaftsteuer; runter mit dem Einkommensteuerspitzensatz; weg mit dem Kündigungsschutz; Streichung von Sozialleistungen - sind in
meinen Augen die größten Reformblockierer, weil ihnen
der Sinn für gesellschaftlichen Ausgleich, der Sinn für
gesellschaftliche Balance - man kann auch sagen: der
Sinn für soziale Gerechtigkeit - verloren gegangen ist.
({32})
Das gilt umso mehr, als wir wissen, dass der Aufschwung in den letzten zwei Jahren noch immer in erster
Linie jenen zugute kommt, die einen qualifizierten Arbeitsplatz haben, und dass er noch nicht ausreichend jenen zugute kommt, die seit über einem Jahr erwerbslos
sind oder deren Niedriglöhne nicht ausreichen, ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützung zu bestreiten.
Das Bundeskabinett hat bei seiner Klausur in Meseberg das Programm für die kommenden zwei Jahre unter
das Motto „Aufschwung für alle“ gestellt. Das bedeutet
für mich zuallererst deutlich weniger Arbeitslosigkeit
und Chancengerechtigkeit vor allem für Kinder und Jugendliche bei der Bildung.
({33})
Dafür ist eine gestaltende Finanzpolitik nach meinem
Verständnis bereit, Geld zur Verfügung zu stellen. Einen
wichtigen Schritt haben wir bereits geschafft. Ein Aufschwung für viele - nicht für alle - ist in greifbarer Realität, zum Beispiel für die 800 000 Menschen, die seit
Beginn dieser Legislaturperiode einen Arbeitsplatz gefunden haben, für die Millionen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die sich heute erkennbar weniger Sorgen
um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machen müssen,
für alle, die mehr Lohn in der Lohntüte haben, weil es
zum ersten Mal seit langem reale Lohnsteigerungen gibt,
sowie für alle Kinder und junge Menschen, die von den
Verbesserungen im Betreuungs- und Bildungsbereich
profitieren. Das reicht von dem 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Tagesbetreuung in Grundschulen über die Förderung von Betreuungsplätzen der unter
Dreijährigen bis hin zur Einrichtung zusätzlicher Studienplätze im Rahmen des Hochschulpaktes. Es gilt
nicht zuletzt für die vielen Menschen in unserem Land,
die durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit Gemeinsinn über
Eigennutz stellen.
({34})
Deshalb haben wir mit unserem Programm „Hilfen für
Helfer“ zumindest ein Zeichen der Anerkennung gesetzt,
auch materiell unterlegt. Aufschwung für alle bedeutet
auch, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass sich
mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als bisher in Deutschland an
ihren Unternehmen beteiligen können. Beide Koalitionsfraktionen arbeiten an diesem Thema.
Die für mich entscheidende Frage lautet: Gelingt es
uns über die erreichten Zwischenerfolge hinaus dauerhaft, mehr Menschen an den positiven wirtschaftlichen
Entwicklungen teilhaben zu lassen? Das ist nichts weniger als die Frage nach der Verbindung von Förderung der
Wirtschaftsdynamik auf der einen Seite und der Förderung einer gerechten Gesellschaft auf der anderen Seite.
Beides zusammenzubringen, ist die entscheidende politische Herausforderung.
({35})
Steuersenkungen auf Pump gehört nicht zu meiner
Definition einer gerechten Gesellschaft.
({36})
Erstens ist die Staatsverschuldung generell die größte
Umverteilung von unten nach oben, und zweitens sind
Steuersenkungen auf Pump nicht generationengerecht.
({37})
Was wir jetzt brauchen, sind nicht Steuersenkungen auf
Pump, sondern solide Haushaltspolitik verbunden mit
mehr Zukunftsinvestitionen vor allem in Bildung, Forschung, Infrastruktur, Energieeffizienz und Klimaschutz.
Unsere Verpflichtung gegenüber den ärmsten Ländern
dieser Welt und gegenüber der Bundeswehr im Rahmen
ihrer internationalen Mandate will ich bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen.
Ich kann den Spannungsbogen nicht auflösen - ich
habe den Eindruck, niemand kann ihn auflösen -, nämlich auf der einen Seite möglichst rasch keine neuen
Schulden zu machen und parallel dazu in die wichtigsten
Zukunftsfelder dieser Republik mehr zu investieren. Die
in meinen Augen richtige, ausgewogene Balance macht
den Erfolg aus. Diese verlieren wir, wenn wir die Steuern weiter senken, bevor wir keine neuen Schulden machen. Deshalb wird die Bundesregierung ihre bisherige
erfolgreiche wirtschafts- und finanzpolitische Strategie
- Sanieren, Investieren, Reformieren - fortsetzen.
Dass dieser Kurs nicht zur Disposition steht, wurde
auch bei der Kabinettsklausur in Meseberg durch zwei
wichtige und klare Bestätigungen unterstrichen. Erstens
erhält die Haushaltskonsolidierung eine überragende Bedeutung, und zweitens bilden der Haushaltsplan 2008
und die mittelfristige Finanzplanung bis 2011 den unverrückbaren Mindestrahmen für alle kostenwirksamen
Vorschläge. In diesem Rahmen mag es aus Respekt gegenüber dem Souverän zu Veränderungen kommen.
Finanzielle Spielräume für neue Maßnahmen ergeben
sich nur dann, wenn es gegenüber den bisherigen Schätzungen zusätzliche Steuermehreinnahmen geben sollte.
Von denen sollten wir allerdings, wie bisher erfolgreich
in der Großen Koalition getan, den überwiegenden Teil
zur beschleunigten Rückführung der Nettokreditauf11384
nahme verwenden, dann aber auch einen anderen Teil,
dem Gestaltungsanspruch der Koalition folgend, zur
Verfügung stellen. Das ist uns gemeinsam bisher recht
gut gelungen. Darauf haben wir uns gemeinsam verständigt.
Deswegen war ich auch wenig von manchen Stimmen
in der Sommerpause begeistert. Einzelne fordern von
mir noch mehr Tempo bei der Rückführung der Nettoneuverschuldung, während andere zur selben Zeit für
Steuersenkungen oder für eine Aufstockung der Regelsätze beim ALG II - da gibt es eine völlig ungeklärte
Aufstockungsproblematik - plädieren oder auch die Abschaffung des Soli fordern. Nur, um Ihnen einmal die
Proportionen zu verdeutlichen: Der Soli steht ausschließlich dem Bundeshaushalt zu. Er dürfte nächstes
Jahr 11 bis 12 Milliarden Euro betragen. Jemand, der für
die Abschaffung des Soli plädiert, aus welcher momentanen Regung heraus auch immer, stellt so eben einmal
12 Milliarden Euro Einnahmen für den Bundeshaushalt
infrage.
({38})
Derjenige, der den Soli um 1 oder 2 Prozentpunkte senken möchte, stellt 2 oder 4 Milliarden Euro zur Disposition. Wie soll ich bei solchen Vorschlägen mit Blick auf
die Haushaltskonsolidierung Kurs halten?
({39})
Eine solche Einstellung ist nicht gut. Auch folgende Arbeitsteilung in der Koalition ist nicht möglich: Die einen
fordern fröhlich Unvereinbares, aber Populäres. Die andere Seite muss sich auf der mühsamen Ebene der Erklärungsarbeit bewegen und den Menschen sagen: Das geht
nicht.
({40})
Das politische Muster darf nicht dem amerikanischer
Gangsterfilme - „good cop and bad cop“ - entsprechen.
Im Zweifelsfall soll dann nämlich der Bundesfinanzminister der „bad cop“ sein, und alle fragen mich, weshalb ich so unfreundlich aussehe.
({41})
Der Haushaltsentwurf 2008 und der Finanzplan bis
2011 sind Ausdruck unserer finanzpolitischen Strategie,
den Haushalt einerseits zu sanieren und andererseits Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben. Damit
leistet die Bundesregierung bis zum Jahre 2010 ihren
Beitrag, zum Beispiel das Drei-Prozent-Ziel bei der Forschung und Entwicklung zu erreichen. Hierzu stellen wir
pro Jahr zusätzlich 220 Millionen Euro zur Verfügung.
Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir das Elterngeld
eingeführt. Das Elterngeld ist übrigens deutlich höher als
das Erziehungsgeld. Für das bisherige Erziehungsgeld
waren, glaube ich, 2,6 Milliarden Euro veranschlagt, für
das Elterngeld 4 Milliarden Euro. Die Menschen bekommen auf diese Weise also mehr Geld, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern.
Aber wir wollen mehr. Unser Ziel ist, dass bis zum
Jahre 2013 Betreuungsmöglichkeiten für 35 Prozent der
Kinder unter drei Jahren bereitstehen. Damit bekommen
gerade die Kinder aus sozial schwachen Familien die
Chance auf eine frühkindliche Betreuung und damit auf
bessere Bildungschancen und Lebensperspektiven.
({42})
Der Bund hat deshalb sehr früh angeboten, sich mit
4 Milliarden Euro an den Gesamtkosten des notwendigen Ausbaus dieser Betreuungsplätze für die Kinder unter drei Jahren zu beteiligen. Auch wenn die Verhandlungen mit den Ländern zäh gewesen sind, freue ich mich
zusammen mit der Kollegin Frau von der Leyen, dass
uns eine Lösung mit den Ländern gelungen ist. Sie kennen diese im Einzelnen, weshalb ich Sie nicht mit vielen
Zahlen belästigen muss. Uns ist sehr daran gelegen,
diese 4 Milliarden Euro auf Investitionsförderung und
die notwendige Unterstützung bei der Finanzierung von
Betriebskosten aufzuteilen und das Ganze an einen
Rechtsanspruch ab 2013 zu koppeln. Ich freue mich für
die vielen Kinder und Eltern, die davon profitieren werden.
({43})
Für die Einrichtung eines Sondervermögens wird
die Bundesregierung selbstverständlich einen Nachtragshaushalt vorlegen.
({44})
- Das war immer so selbstverständlich. Sie, Herr Fricke,
mussten das nur noch einmal fordern, damit Sie eine
Nachricht in den Zeitungen darüber finden.
({45})
Dieser Nachtragshaushalt wird sich allerdings nach
Auffassung der Bundesregierung auf der Ausgabenseite
ausschließlich auf die Einrichtung dieses Sondervermögens konzentrieren. Ich werde ihn im Lichte der aktuellen Steuerentwicklung - die nächste Steuerschätzung
wird Anfang November stattfinden - zum gegebenen
Zeitpunkt über das Kabinett dem Bundestag vorlegen.
Im zentralen Zukunftsbereich der Bildung werden wir
die Bedingungen der Studierenden durch eine deutliche
Anhebung der BAföG-Sätze verbessern. Der vorliegende Haushaltsentwurf sieht diesbezüglich gegenüber
2007 schon deutliche Mehrausgaben vor. Diese Erhöhung ist mir gerade vor dem Hintergrund der Einführung
von Studiengebühren in vielen Ländern wichtig. Ich
hoffe nämlich, dass wir damit verhindern können, dass
immer mehr Jugendliche aus einkommensschwächeren
Familien nicht in der Lage sind, zu studieren. Wir brauchen sie alle.
({46})
Die Akademikerquote in Deutschland ist nicht zu hoch,
die Akademikerquote in Deutschland ist im internationalen Vergleich zu niedrig.
({47})
Die parlamentarischen Bestrebungen zu weiteren Erhöhungen sind mir sehr geläufig. Wenn der gesamte Rahmen des Haushalts dadurch nicht gesprengt wird, Herr
Vorsitzender, nehme ich diese Bemühungen respektvoll
zur Kenntnis.
Die Bundesregierung stellt sich ferner mit dem
Energie- und Klimapaket den Herausforderungen des
Klimawandels. Hierfür werden wir die Einnahmen aus
der Versteigerung von Emissionszertifikaten verwenden.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Einnahmen
- ich suche jetzt den Kollegen Gabriel auf der Regierungsbank - höher sind.
({48})
- Er ist auf der Klimakonferenz. Wenn die Einnahmen
aus dem Zertifikatehandel höher sein sollten, gibt es zusätzliche Spielräume, um das Energie- und Klimapaket
zu finanzieren.
({49})
Die Bundesregierung legt einen Finanzplan vor, mit
dem wir, die Bundesebene, realistischerweise spätestens
im Jahre 2011 erstmals seit 40 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt erreichen werden. Jemand, der dies
schon für das Jahr 2008 oder 2009 verspricht, der begeht
den alten Fehler des Zweckoptimismus. Wenn es denn
2010 so sein sollte, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt haben, dann gebe ich einen aus:
({50})
für die beiden Koalitionsfraktionen zwei Flaschen
Saint-Émilion - ({51})
- Okay, je.
({52})
Die Oppositionsfraktion bekommen je eine Flasche Kalterer See.
({53})
- Es kann auch Lambrusco sein. Er ist vornehmlich
deutscher Wein, wie ich vermute, große Lage.
Ich freue mich über die Tatsache, dass der gesamtstaatliche Haushalt, also der Haushalt von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen - es ist sehr
schwer, dem Publikum den Unterschied zwischen Bundeshaushalt und gesamtstaatlichem Haushalt verständlich zu machen; die meisten setzen „gesamtstaatlicher
Haushalt“ mit „Bundeshaushalt“ gleich -, wahrscheinlich schon im nächsten Jahr ausgeglichen sein wird. Dies
wird jedenfalls früher als erwartet sein. Ich freue mich,
dass nach Lage der Dinge 10 von 16 Ländern vor 2010
einen ausgeglichenen Haushalt haben können.
Festzuhalten ist allerdings, dass die Struktur des Bundeshaushalts ganz anders als die Struktur der Länderhaushalte aussieht und dass unsere diesbezüglichen Anstrengungen zur Erreichung dieses Ziels, insbesondere
vor dem Hintergrund, dass 55 Prozent des Bundeshaushalts Sozialausgaben sind, sehr viel schwieriger sind.
Im Übrigen füge ich hinzu, dass die Haushaltslage
von Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen sich
deutlich günstiger als die Haushaltslage des Bundes entwickelt. Die Länder konnten bereits 2006 ihr Finanzierungsdefizit im Vergleich zu 2005 um - halten Sie sich
fest! - 57 Prozent abbauen, während der Bund seines nur
um 10 Prozent abbauen konnte.
Auch die Kommunen haben 2006 einen Haushaltsüberschuss von nahezu 3 Milliarden Euro erzielt, und
das nach einem Finanzierungsdefizit von 2,2 Milliarden Euro ein Jahr zuvor. Erstmals seit 1989 konnten die
öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr 2007 in gesamtstaatlicher Betrachtung, also bezüglich der vier von
mir genannten Komponenten, einen Überschuss erzielen, was mich für die anderen Gebietskörperschaften
freut. Dazu ist der Bund aber nach wie vor nicht in der
Lage. Deshalb füge ich an dieser Stelle sehr bewusst
hinzu: Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen ist meine Bereitschaft, Kompromisse mit den Ländern immer häufiger dadurch zu erzielen, dass der Bund der Zahlmeister
ist, zunehmend unterentwickelt.
({54})
Wenn ich Ihnen angesichts dessen spätestens für 2011
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt in Aussicht stelle,
dann weiß ich, wie die Reflexe aussehen - Frau Hajduk
deutet das gerade an -: Der Steinbrück ist nicht ambitioniert genug; der müsste viel ehrgeiziger sein; der macht
es sich leicht; das ginge alles noch viel schneller.
({55})
Frau Hajduk, Sie brauchen mir gar nicht Ihr Manuskript
zu geben. Diese Rede kann ich auch halten, nachts um
drei auf Knopfdruck.
({56})
Das ist im parlamentarischen Schlagabtausch nun einmal
so üblich. Rituelle Elemente sind gelegentlich nicht ganz
von der Hand zu weisen.
Jeder Finanzminister ist sehr gut beraten, den Mund
nicht zu voll zu nehmen. Die Erfahrung vieler Finanzminister zeigt einem, dass die Bürger dies zu würdigen
wissen, weil sie des Wortgeklingels in diesem Zusammenhang gelegentlich ziemlich müde sind.
Ich bleibe dabei: Gerade die Finanzpolitik muss von
realistischen, eher vorsichtigen Annahmen getragen
sein, so wie wir das im Koalitionsvertrag verabredet haben und so wie wir das als Große Koalition bisher immer
gehandhabt haben, und zwar mit einer wichtigen vertrauensbildenden Auswirkung: Wir haben uns am Ende
der vergangenen Jahre zugunsten und nicht mehr zulasten der Bundesrepublik Deutschland verschätzt, und dies
ist für die weiteren Debatten vertrauensbildend.
({57})
Haushaltsausgleich 2011 oder früher, fest steht: Mit
dem vorliegenden Finanzplan haben wir - auch wenn es
pathetisch klingt - eine historische Chance, nämlich die
Chance, nach 40 Jahren Politik auf Pump aus dem
Hamsterrad einer immer weiter steigenden Verschuldung mit einer entsprechenden Zinslast - wir zahlen
nach wie vor über 40 Milliarden Euro Zinsen - herauszukommen. Diese Verschuldung drückt uns aktuell mit
1 500 Milliarden Euro. Das ist eine Zahl, die kein
Mensch mehr verstehen kann. 1 500 Milliarden Euro
Schulden, das bedeutet, dass jeder Bürger in Deutschland - 80 Millionen Einwohner, vom Baby bis zum
Greis - Schulden in der Größenordnung des Wertes eines Mittelklassewagens von 18 000 bis 20 000 Euro hat.
Das ist das, was auf uns gemeinsam lastet.
Dafür fallen immer mehr Zinsen an. Die Zinsen sind
inzwischen der zweitgrößte Ausgabenblock. Sie liegen
uns wie eine Schlinge um den Hals. Wenn wir von diesem Zinsblock herunterkämen, hätten wir mehr Geld für
Bildung, mehr Geld für Familie, mehr Geld für Infrastruktur, mehr Geld für die Zukunftsinvestitionen, von
denen unser zukünftiger Wohlstand und unsere zukünftige Wohlfahrt abhängen.
({58})
Wir haben die historische Chance, damit aufzuhören,
unseren Kindern und Enkelkindern immer mehr Wackersteine in den Rucksack für ihr Leben zu legen - will sagen: immer mehr Lasten aufzubürden -, übrigens zusätzlich zu den Lasten einer älter werdenden Gesellschaft.
Eines ist klar: In dem Umfang, in dem wir das nach wie
vor tun, führt das zu einer gigantischen Umverteilung
von unten nach oben.
Wir sind deshalb in meinen Augen an einer entscheidenden finanzpolitischen Wegmarke angelangt, die
eine klare politische Entscheidung von uns verlangt. Zugespitzt - das gebe ich zu - lautet die Alternative für die
Finanzpolitik: kurzfristiger Rausch oder langfristige
Rendite. Wir können uns entscheiden: Geben wir weiter
Geld mit vollen Händen aus, solange der Aufschwung
trägt, und vergrößern wir den Schuldenberg immer noch,
oder machen wir im Hinblick auf konjunkturell mal wieder schlechtere Zeiten - hoffentlich später als früher jetzt Ernst mit dem Einstieg in den Schuldenabbau und
vergrößern damit Schritt für Schritt und langfristig unsere finanzpolitischen Gestaltungsspielräume?
({59})
Andere Länder haben das geschafft. Die Finnen haben es geschafft. Die Schweden haben es geschafft. Warum soll die Bundesrepublik Deutschland dies nicht
schaffen? Mir ist sehr bewusst, dass es natürlich auch in
diesem Hohen Haus einige gibt, die es sich leicht machen und den Menschen vormachen, sie bräuchten sich
nicht für eine Alternative zu entscheiden und bräuchten
sich nicht anzustrengen. Ich meine jene, die vielen alles
versprechen - das kann ich auch -: den Rentnern, den
Facharbeitern, den Arbeitslosen, den Familien - ganz
wie in der Werbung: Ich will alles, und zwar gleich. Eine solche Rede zu halten, fällt nicht schwer. Allerdings: Ohne dabei auf die Rechnung zu schauen, die ja
irgendjemand bezahlen muss, ist es eine nicht sehr aufrichtige politische Rede.
({60})
Ich danke der SPD-Bundestagsfraktion dafür, dass sie
das einmal ausgerechnet hat. Allein die Forderungen
von PDS oder Linken summieren sich auf eine stattliche Mehrausgabensumme von 155 Milliarden Euro pro
Jahr. Wenn wir alle diese Forderungen berücksichtigen
würden, müsste der Bundeshaushalt um 54 Prozent steigen. Das würde die Belastbarkeit der Unternehmen, insbesondere der mittelständischen Unternehmen, und der
Mittelschicht zerstören. Diese Gruppen brauchen wir
aber dringend, weil sie die Solidarität gewähren und bezahlen müssen, die wir doch leisten wollen. Sie würden
davon als Erste betroffen werden.
Mit Ihren Rezepten - hohe Lohnzusatzkosten, höhere
Steuern, Einschränkung des Wettbewerbs - würden Sie
Arbeitsplätze und damit Wohlstand in Deutschland vernichten, weil Sie nicht nur die sogenannten Reichen,
diese Schimäre, treffen, sondern ganz empfindlich den
gesamten Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland.
({61})
Ich will nur zwei Beispiele für die wirtschaftlichen
Widersprüche erwähnen, die sich dort auftun:
Erstens. Ihr Vorschlag zur Änderung des Tarifverlaufs
bei der Einkommensteuer. Diese Änderung des Tarifverlaufs hätte nicht nur Einnahmeverluste von 12 Milliarden Euro zur Folge - das wäre noch nicht einmal der
entscheidende Punkt -; Sie würden damit auch die Mittelschichten massiv zur Kasse bitten;
({62})
denn nach Ihrem Tarif wäre die Grenzsteuerbelastung
schon ab einem zu versteuernden Einkommen von
39 600 Euro deutlich ungünstiger als bei dem, was heute
gilt. Sie würden damit die Facharbeiterebene treffen.
({63})
Zweitens. Ihr Vorschlag, die Rentenreformen von
2001 und 2004 sowie die schrittweise Anhebung des
Renteneintrittsalters rückgängig zu machen. Natürlich
weiß ich, dass niemand gern länger arbeitet. Natürlich
weiß ich, dass wir alle weniger Steuern zahlen wollen.
Ihr alle zahlt aber ganz richtig und angemessen Steuern.
({64})
Ihr Vorschlag ist generationenungerecht. Die heutigen
40-Jährigen und die Jüngeren wissen ganz genau, dass
sie länger arbeiten müssen, weil anders alles nicht zu bezahlen ist. Darüber ist natürlich niemand begeistert, aber
es ist unverantwortlich, so zu tun, als ob man es ändern
könnte.
({65})
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie mit einer solchen
Voodoo-Ökonomie nicht sehr weit kommen. Die Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, was Mogelpackungen sind, nicht nur in der Werbung, sondern auch
in der Politik. Die Menschen wissen, dass es nichts umsonst gibt. Die Menschen wissen, dass man zwar heute
über seine Verhältnisse leben kann, aber eines Tages dafür die Rechnung zu bezahlen hat.
Meine Damen und Herren, eine robuste Konjunktur,
gestützt von einer erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik der Großen Koalition, ein ausgeglichener
Haushalt - jedenfalls in greifbarer Nähe -: Man könnte
glauben, all das müsste den Finanzminister sehr zufriedenstellen. Aber es fehlt noch etwas. Auf dem Weg zu
dauerhaft tragfähigen öffentlichen Finanzen kann das
nur ein erster Schritt sein. Schon die erste Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich unter
maßgeblicher Mitwirkung von Karl Schiller und Franz
Josef Strauß an die Reform der Finanzverfassung gemacht. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vom Juni
1967 ist ziemlich genau 40 Jahre her. Zwei Jahre später
fand diese Reform mit der übrigens heute noch gültigen
Schuldenregel in Art. 115 Grundgesetz ihren Abschluss.
Der Unterschied zwischen damals und heute beträgt
900 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um den Anstieg der Verschuldung allein des Bundes, nämlich von
24 Milliarden Euro 1967 auf 930 Milliarden Euro heute.
An dieser Tatsache wird deutlich, dass wir als zweiten
Schritt nach dem Erreichen eines strukturell ausgeglichenen Haushalts eine neue Schuldenregelung in unserer
Verfassung brauchen.
({66})
Diese Schuldenregel muss verhindern, dass in dem Augenblick, wo das strukturelle Defizit endlich null beträgt,
wir dieselben Fluchtbewegungen wie früher auch unternehmen und in die Spiralbewegung einer wieder zunehmenden Verschuldung hineingeraten. Sinn der neuen
Schuldenregelung ist, das zu verhindern.
Es ist heute vielleicht noch zu früh, ein bestimmtes
Modell für diese Schuldenregel vorzustellen. Ich freue
mich jedoch, dass es in den Debattenbeiträgen hierzu zunehmend Annäherung auch zwischen den beiden Koalitionsfraktionen gibt. Aus meiner Sicht muss eine Neuregelung des Art. 115, die in dieser Legislaturperiode mit
den uns zur Verfügung stehenden Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag erreicht werden muss, folgenden
Kriterien genügen:
Erstens sollte sie mit den Bestimmungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Übereinstimmung zu bringen sein.
Zweitens. Sie muss eine ökonomisch plausible Begrenzung der strukturellen Neuverschuldung sicherstellen.
Drittens. Sie muss auch ein Atmen der öffentlichen
Haushalte bei konjunkturellen Veränderungen oder bestimmten Notlagen, zum Beispiel nach einer Flutkatastrophe, ermöglichen.
Viertens muss sie insbesondere gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern glaubwürdig in dem Sinne sein, dass
ihre Einhaltung wirksam kontrolliert und sanktioniert
wird.
Die Ausrufung der Abwehr des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtes alleine darf nicht mehr ausreichend sein, um die Ausnahmemöglichkeiten des
Art. 115 in Anspruch zu nehmen. Wie wir damit bisher
umgegangen sind, war doch zu leichtfüßig.
Wie Sie wissen, wird in der öffentlichen Diskussion
das Thema Schuldenregel mit der Frage der Haushaltsnotlagenproblematik diskutiert. In der Tat, wenn es uns
gelingt, die gesamtstaatliche Nettoneuverschuldung
wirksam zu begrenzen und einzudämmen, werden wir
damit natürlich auch automatisch Haushaltsnotlagen bei
uns und in den Ländern verhindern können. Wir haben in
der gegenwärtigen politischen Konstellation und mit
dem günstigen konjunkturellen Rückenwind die, wie ich
glaube, seltene, vielleicht sich über lange Jahre nicht
wieder auftuende Chance, entscheidende Schritte in
Richtung dauerhaft tragfähiger öffentlicher Finanzen zu
gehen.
({67})
Wir dürfen diese in meinen Augen kostbare Chance für
eine grundlegende Reform der Finanzverfassung der
Bundesrepublik Deutschland nicht verpassen, sondern
müssen sie entschieden und konsequent nutzen: Für unser Land und seine Menschen hängt davon sehr viel ab.
Meine Damen und Herren, gute Handwerker wissen:
Ein Dach deckt man am besten, solange die Sonne
scheint. Wir haben jetzt während eines guten konjunkturellen Wetters die historische Chance, unsere Haushalte
finanziell in Ordnung zu bringen. Ich stelle die Frage,
wer nachfolgenden Generationen erklären möchte, warum wir heute nicht konsequent genug waren, einen
nachhaltigen Weg zu beschreiten, obwohl wir mitten in
einer erfreulichen Wachstumsphase sind. Wer will dies
unseren Kindern und Enkelkindern erklären? Ich für
meinen Teil möchte das nicht.
Wenn wir beim nächsten konjunkturellen Abschwung
nicht sofort wieder in die Schuldenfalle, in dieses Hamsterrad, hineingeraten wollen, müssen wir heute vorsorgen und den Weg einer soliden Haushaltspolitik gehen.
Der Entwurf für den Haushalt 2008 und für die mittelfristige Finanzplanung geht diesen Weg. Ich wäre Ihnen
dankbar, wenn Sie diesen Weg gemeinsam mit der Bundesregierung gehen würden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({68})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die FDP-Fraktion dem Kollegen Jürgen
Koppelin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesfinanzminister, ich will gar nicht so sehr auf
Ihre Rede eingehen. Man hatte den Eindruck, Sie hatten
drei Redenschreiber: einen aus dem Finanzministerium,
einen aus dem Willy-Brandt-Haus und einen aus der
Bundestagsfraktion der SPD; so war das anscheinend
aufgeteilt. Dass Sie Ihrer SPD-Bundestagsfraktion die
Weltwirtschaft erklären müssen, ist Ihre Sache; vielleicht
haben die es nötig.
({0})
Ich will auf einen Punkt eingehen, weil Sie da die
große Keule vor allem gegen die FDP und Kollegen meiner Fraktion herausgeholt haben. Wissen Sie, Herr Bundesfinanzminister: Sie sind der schlechteste Kronzeuge
für Glaubwürdigkeit. Sie, Ihre Fraktion und Ihre Partei
haben vor der Bundestagswahl erklärt, die MerkelSteuer, also eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, komme
mit Ihnen auf keinen Fall infrage. Anschließend haben
Sie die Mehrwertsteuer jedoch um drei Punkte angehoben. Wenn Sie das den Wählern vorher gesagt hätten, säßen in Ihren Reihen 40 Abgeordnete weniger.
({1})
Eigentlich sind es gute Zeiten für einen Finanzminister: Die Einnahmen des Bundes sprudeln, die Medien
berichten sogar von Überschüssen. Außerdem haben wir
- in dem Punkt hat der Bundesfinanzminister recht eine gute Konjunktur; das schafft Steuereinnahmen.
Aber für diese gute Konjunktur - das ist mit keinem
Wort erwähnt worden; wenn man aber als Bundesregierung selbstkritisch ist, hätte man das eigentlich tun müssen - haben Sie selber keinen Handschlag getan. Dafür
ist die Wirtschaft verantwortlich. Ich will ausdrücklich
auch die Gewerkschaften loben, die mit moderaten Abschlüssen bei den Gehältern dazu beigetragen haben.
Was wäre, wenn diese Bundesregierung etwas getan
hätte? Dann hätten wir ja noch mehr Steuereinnahmen.
({2})
In diesem Zusammenhang muss man die Aktivitäten
des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung sehen: Sie haben die Mehrwertsteuer um drei Punkte angehoben. Da haben Sie ordentlich abkassiert; das gilt
auch für Sie, Herr Kauder. Und weil der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung beim Abkassieren
gerade in Übung waren, haben sie das auch bei der Bundesagentur für Arbeit getan. So wollen Sie Ihren Haushalt sanieren; so kommt es zu diesen Mehreinnahmen.
Aber man fragt sich - darauf sind Sie mit keinem
Wort eingegangen -: Wie kommt eine Bundesregierung
dazu, jetzt weitere Ausgaben zu beschließen, vor allem
im sozialen Bereich, die auch Folgekosten nach sich ziehen werden, und zwar fast in der Höhe, in der Sie jetzt
Schulden aufnehmen? Insofern hat der Kollege Hermann
Otto Solms recht: Sie machen immer wieder neue Haushaltslöcher auf. Sie sind nicht in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, obwohl der Haushalt
2008 nach unserer Auffassung ohne Neuverschuldung
möglich gewesen wäre.
({3})
Nun kann man politisch zu Dingen stehen, die Sie als
Koalition beschlossen haben. Wer wollte gegen Krippenplätze sein? Aber solche Vorhaben müssen solide finanziert sein und dürfen nicht durch neue Schulden gedeckt
werden. Die Kollegin von der Leyen aus Ihrer Koalition
hat natürlich etwas Gutes im Sinn gehabt; aber eines hat
sie nicht bedacht, was aber für eine Familienministerin
ganz wichtig wäre: Diejenigen, die eines Tages einen
Krippenplatz bekommen und sich darüber wahrscheinlich freuen, werden, wenn sie arbeiten, diesen Krippenplatz selber bezahlen müssen, weil Sie dann so viel
Schulden aufgenommen haben. Da haben Sie als Familienministerin eine große Verantwortung, auch gegenüber den jungen Generationen, die die Schulden bezahlen müssen, die Ihr Finanzminister und diese Koalition
auftürmen.
({4})
Man könnte weitere Beispiele nennen. Der Bundesfinanzminister ist zum Beispiel überhaupt nicht darauf
eingegangen, wie er zukünftig all das finanzieren will,
was mit der Gesundheitsreform beschlossen wurde; ich
erinnere an die erheblichen Steigerungen. Hier muss der
Bund Milliarden in die Gesundheitskasse zahlen.
Gleichzeitig wollen Sie einen ausgeglichenen Haushalt
vorlegen. Wie wollen Sie das bezahlen? Das ist auch
heute noch nicht geklärt; dazu sagen Sie kein Wort. Sie
gehen davon aus, dass die Konjunktur weiterhin so
positiv verläuft, wie es heute der Fall ist. Über den heutigen Zustand freuen wir uns natürlich. Aber Sie erkennen
nicht, dass am Horizont durchaus kritische Dinge zu beobachten sind.
Wer sagt uns, dass die Konjunktur so bleibt, wie sie
zurzeit ist? Es gibt Anmerkungen der Bundesbank und
anderer Einrichtungen, die sehr kritisch darauf hinweisen, dass die Konjunktur nicht so weiterlaufen wird.
Herr Minister, Sie selbst haben auf bestimmte Schwächen hingewiesen und die Probleme der IKB genannt.
Man hätte auch noch auf die Probleme der Sachsen-LB
hinweisen können. Das sind Anzeichen, die man ernst
nehmen muss. Sie aber tun so, als hätten wir weiterhin
eine gute Konjunkturentwicklung. Wir alle hoffen dies,
da sind wir mit Ihnen. Man hat aber darauf zu achten,
dass es für die Konjunktur auch Risiken geben kann. Zu
den Schwächen der Konjunktur sage ich: Sie tun so, als
hätte die Mehrwertsteuererhöhung überhaupt nichts Negatives gebracht. Dabei lassen Sie aber völlig außer
Acht, dass das Konsumklima in Deutschland und damit
auch die Binnenkonjunktur nachgelassen haben.
Schauen Sie sich nur einmal an, was in der Bauwirtschaft los ist. Die Probleme dort kommen von der Mehrwertsteuererhöhung. Das können Sie nicht leugnen.
({5})
Herr Bundesfinanzminister, Sie sind nicht mit einem
Wort auf die Ausgabenseite eingegangen. Warum haben
Sie sich nicht die Ausgabenseite angeschaut? Wir Freien
Demokraten haben Jahr für Jahr ein Sparbuch vorgelegt
und Ihnen gesagt, wo man Einsparungen vornehmen
könnte. Nach unserer Auffassung könnte man in diesem
Haushalt mindestens 5 Milliarden Euro einsparen. Von
Ihrer Seite gibt es hier keinerlei Anstrengungen. Stattdessen gibt es eine Ausgabensteigerung.
Da Sie unsere Vorschläge immer so schnell wegwischen, nenne ich einige Punkte: Warum mussten die
Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung noch einmal gesteigert werden? Wieso muss es
Entwicklungshilfe für China geben? Wieso bekommen
Organisationen Geld, die sich für Fledermäuse einsetzen? Das sind nur kleine Beispiele. Wieso muss die Bundeswehr weiter Munitionskästen instand setzen, die sie
überhaupt nicht braucht? Wieso müssen Deutsche beraten werden, die ins Ausland abwandern wollen? All das
zahlen wir aus dem Bundeshaushalt. Ich könnte auch in
die Richtung der Frau Entwicklungshilfeministerin
schauen, die kürzlich in Syrien Entwicklungshilfe versprochen hat. Ich dachte, das sei ein Schurkenstaat. Sie
tätigt noch andere Ausgaben, aber darüber werden wir
uns im Rahmen der Haushaltsberatungen noch unterhalten.
Herr Bundesfinanzminister, ich komme zu einem
Punkt, der gerade uns Freien Demokraten wichtig ist. Ich
sage dies, damit Sie sehen, wo Sie Geld sparen könnten.
Ihre sozialdemokratische Fraktion äußert sich jetzt in der
Öffentlichkeit zur Forderung nach Onlinedurchsuchungen durch Innenminister Schäuble. Die dort vertretene
Ansicht ist auch unsere Meinung. Wir begrüßen das.
Endlich unterstützen Sie uns hier.
({6})
Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Herrn
Schäuble im Jahr 2007 und in diesem Bundeshaushalt
das Geld für die Onlinedurchsuchung zu geben? Die Sozialdemokraten haben im Haushaltsausschuss und hier
im Plenum des Deutschen Bundestages zugestimmt. Tun
Sie doch nicht so, als seien Sie dagegen!
Also: Kümmern Sie sich um die Ausgabenseite! Darauf haben Sie nicht einen Blick geworfen.
(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Diether
Dehm ({7})
Man muss feststellen, dass die Ausgabenseite des
Bundeshaushalts um 5 Prozent wächst. Das hätten Sie
als Finanzminister nicht zulassen dürfen. Das ist doch
unverantwortlich. Sie wären in der Lage gewesen, für
2008 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Das
haben Sie nicht getan. Vielleicht hat ein Machtwort der
Kanzlerin gefehlt, vielleicht konnten Sie sich auch nicht
wehren. Sie sind nach der Methode verfahren: Wenn der
schwarze Minister etwas bekommt, dann muss auch die
rote Ministerin etwas haben; wenn die schwarze Ministerin etwas bekommt, dann muss auch der rote Minister
etwas bekommen. Am Ende hatten wir eine Ausgabensteigerung von 5 Prozent. Man kann ganz offen sagen:
Die Koalition war in allerbester Spendierlaune. Sie hat
Geld ausgegeben, weil sie die Steuerschätzung gesehen
hat. Sie hat Geld ausgegeben, das sie noch nicht in der
Tasche hat. Ich wiederhole: Von der Kanzlerin gab es
kein Wort dazu. Auch unter dem Stichwort Glaubwürdigkeit sage ich: Frau Bundeskanzlerin, hatten Sie nicht
im Wahlprogramm der Union vor der Bundestagswahl
auch versprochen, die Menschen in unserem Land zu
entlasten und ihnen Geld zurückzugeben? Nichts davon
ist geschehen. Sie haben die Menschen stärker belastet.
Auch das ist ein Beispiel zum Thema Glaubwürdigkeit.
({8})
Für uns als Freie Demokraten ist es wichtig, dass wir
es bei den Haushaltsberatungen schaffen, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen. Wir sind bereit, dazu
unseren Beitrag zu leisten, auch wenn damit unangenehme Entscheidungen und Anträge verbunden sind,
durch die es zu Streichungen kommt. Wir erwarten aber
auch von der Koalition, dass sie Beiträge dazu leistet.
Ich weiß, dass die Haushaltspolitiker der Koalition vielleicht dazu bereit wären. Ich achte dies. Wir wollen sehen, was Sie im Haushaltsausschuss machen. Herr
Bundesfinanzminister - ({9})
- Hallo!
({10})
Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt,
dass die Koalition und die Regierung zu solchen Beiträgen nicht in der Lage waren. Hier setzen wir auch auf die
Abgeordneten der Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben Ihrer
eigenen Partei kürzlich eine Heulsusenmentalität vorgeworfen. Ich kann nur sagen: Sie hätten mit gutem Beispiel vorangehen können. Sie hätten Ihrer Fraktion Mut
machen können. Sie hätten sagen können: Ich, der
Finanzminister, bin in der Politik hart. - Das wäre positiv gewesen. Vielleicht hätten Sie die Heulsusenmentalität in Ihrer Fraktion damit ein Stück weit abbauen können.
({11})
Die Ratschläge von Bundesbank und Finanzplanungsrat sind in den Wind geschlagen worden. Die Bürger werden das teuer bezahlen müssen, wenn man nicht
Änderungen am Haushalt 2008 vornimmt.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({12})
Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der
Kollege Dr. Michael Meister.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal fühle ich mich als Vertreter der Großen Koalition
und der Unionsfraktion durch den Redebeitrag des Kollegen Koppelin bestärkt. Wir haben gesehen: Die Große
Koalition legt ein geschlossenes Konzept vor, um das
Wachstum zu stärken, den Haushalt zu konsolidieren
und die Rahmenbedingungen zu verbessern.
({0})
Wir haben punktuelle Kritik, aber kein Alternativkonzept gehört. Daraus schließe ich, dass wir grundsätzlich
auf dem richtigen Weg sind und dass wir Kurs halten
sollten.
({1})
Ich möchte ausdrücklich, auch für meine Fraktion, sagen, dass ich Dank und Anerkennung für die Akteure am
Finanzmarkt teile. Wir haben in den vergangenen Tagen und Wochen einige Turbulenzen erlebt. Ich glaube,
das besonnene und überlegte Verhalten der Akteure hat
dazu geführt, dass der Schaden begrenzt werden konnte
und wir in der Lage sind, mit Blick auf den Finanzplatz
Deutschland gestärkt aus diesen Turbulenzen hervorzugehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang das, was
Herr Steinbrück gesagt hat, im Namen meiner Fraktion
ausdrücklich unterstreichen. Wir sind gut aufgestellt und
befinden uns auf einem guten Weg. Wir sollten in Ruhe
überlegen, welche Konsequenzen notwendig sind, um
uns für die Zukunft weiter zu stärken.
Ich will eine zweite Feststellung treffen. Zum einen
ist der Finanzmarkt, der auch Arbeitgeber ist, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zum anderen gibt es indirekte
Auswirkungen auf die Realwirtschaft bei der Finanzierung. Wir müssen sehr aufpassen und dafür sorgen, dass
wir die angesprochenen Risiken weiter begrenzen. Wir
dürfen aber nicht verhindern, dass sich Unternehmen
weiterhin vernünftig - und zwar außerhalb der Fremdkapitalschiene - finanzieren können. Die Möglichkeit, sich
Zugang zu neuem Eigenkapital zu verschaffen, dürfen
wir nicht beschneiden, sondern diese müssen wir ausbauen. Darin liegt ein massiver Beitrag zu mehr Wachstum, zu mehr Arbeitsplätzen und zu mehr Chancen für
unser Land.
({2})
Angesichts unserer Debatte über den Haushalt 2008
möchte ich Folgendes zitieren:
In der Politik gibt es einen unstillbaren Drang, sich
zu verschulden, weil die Kosten von den Nachkommenden getragen werden, der Nutzen aber in der
Gegenwart anfällt.
So der Staatsrechtler Hans Meyer, ehemaliger Präsident
der Humboldt-Universität.
Die Große Koalition tritt mit dem Haushaltsentwurf
2008 den Beweis des Gegenteils an. Wir wollen damit
Schluss machen, dass der Nutzen von heute zulasten zukünftiger Generationen geht. Damit muss es ein Ende
haben. Deshalb setzen wir uns für Haushaltsausgleich
ein - nicht einmalig, sondern dauerhaft und nachhaltig.
Das muss unser Ziel sein.
({3})
Wir werden den Staatshaushalt voraussichtlich im
nächsten Jahr ausgleichen. Wir werden es aber - auch
das haben wir schon gehört - für den Bundeshaushalt
nicht schaffen. Ich möchte ob der Diskussion der letzten
Tage eine Bemerkung dazu machen. Wenn Sie die
Finanzplanung bis 2011 und den Haushalt 2008 mit dem
vergleichen, was wir vor einem Jahr zum Bundeshalt
2007 diskutiert haben, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass in der jetzigen Vorlage eine Reduzierung der
Schuldenaufnahme über den gesamten Finanzplanungszeitraum von 54 Milliarden Euro gegeben ist.
Wer sagt, hier werde nichts Erhebliches geleistet in
Richtung Konsolidierung, wer fordert, wir müssten kurzfristig noch mehr tun, der erkennt nicht an, welche riesige Leistung dahintersteht. Ich glaube, wir sollten im
Sinne von Glaubwürdigkeit und Vertrauen darauf setzen,
dass wir das, was wir ankündigen, auch einhalten können, und sollten nicht Versprechen machen, bei denen
wir nicht die Gewähr dafür bieten können, dass sie eingehalten werden. Deswegen plädiere ich für einen weiterhin seriösen und vernünftigen Kurs. Er schafft Vertrauen und die Grundlage für neues Wachstum. Diesen
Kurs wollen wir erfolgreich fortführen.
({4})
Wir müssen natürlich nicht nur das Delta bei der
Finanzierung betrachten und es auf null zurückführen,
sondern wir müssen auch die Belastungen der Menschen
sehen. Hier wird gelegentlich suggeriert, als würde die
Belastung ansteigen. Natürlich haben wir einige Zumutungen auf den Weg gebracht. Diese waren aber ob der
Haushaltssituation, die wir vorgefunden haben, notwendig. Aber es ist auch richtig, dass die Belastung der
Menschen in dem Haushalt, den wir jetzt beraten, auf
den Stand zurückgeführt wird, wie wir ihn 1989, vor der
deutschen Wiedervereinigung, hatten. Das, was Gerhard
Stoltenberg damals erreicht hat, erreichen wir jetzt wieder. Dazu müssen wir den Menschen sagen: Auch damit
werden Rahmenbedingungen geschaffen, die es wieder
attraktiv machen, in Deutschland etwas zu leisten, etwas
zu unternehmen, etwas zu tun. Betrachtet man die Gesamtbilanz, heißt das: Wir belasten die Menschen nicht,
sondern entlasten sie.
({5})
Herr Koppelin, ich bin gerne bereit, darüber zu diskutieren, dass wir nicht allein für die Verbesserung der Situation verantwortlich sind; ich habe die Stichworte
„Vertrauen“ und „Glaubwürdigkeit“ genannt. Ich will
daran erinnern: In Genshagen wurde das Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung beschlossen.
Es wurde übrigens von Ihnen nicht unterstützt. Es hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass gerade im
Mittelstand in Deutschland die Konjunktur angesprungen ist, neue Bewegung hineinkam und Arbeitsplätze
geschaffen worden sind. Deshalb ist es aus meiner Sicht
nicht redlich, einerseits zu sagen: „Die Koalition hat
kein Verdienst am jetzigen Aufschwung“, und andererseits die Maßnahmen, die dazu beigetragen haben, zu
kritisieren. Sie sollten sich einmal für eine Linie und für
die Wahrheit entscheiden.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass
wir diesen Kurs weiterführen sollten. Dies bedeutet zusätzlich dazu, dass wir die Konjunktur angeschoben haben, den Klimaschutz anzugehen. In diesem Zusammenhang werden wir gerade im mittelständischen Bereich
die Situation verbessern, indem wir die Förderprogramme zur CO2-Einsparung mit Maßnahmen zum Beispiel des Gebäudesanierungsprogramms so verbinden,
dass dies auch wirtschaftlich eine positive Auswirkung
hat. Das Ganze ist deshalb kein Widerspruch, sondern
ergänzt sich und trägt sich gegenseitig.
Wir sollten auch darüber reden, was das alles den
Menschen bringt. Wenn wir die Ausbildungsplatzlage im
Lande anschauen, dann ist festzustellen: Sie ist besser
als vor einem Jahr. Sie ist nicht zufriedenstellend; aber
sie ist besser. Das heißt, junge Menschen haben größere
Chancen, eine Ausbildung zu finden und damit ihre
Existenz zu sichern. Die Chance, einen Arbeitsplatz zu
finden, ist besser als vor einem Jahr. Im Vergleich zu der
Lage vor zwei Jahren sind 1 Million Menschen weniger
arbeitslos. Das heißt, auch hier wurden die Chancen gesteigert.
Mittlerweile kommt bei denjenigen, die eine Beschäftigung haben, auch etwas im Geldbeutel an. Wir haben
den Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesenkt und wollen dafür sorgen, dass er weiter sinkt. Frau Bundeskanzlerin, hierzu sage ich: Mir geht der Beschluss von Meseberg nicht weit genug. Ich bin für einen niedrigeren
Beitragssatz als den geplanten von 3,9 Prozent, nämlich
für einen Beitragssatz von 3,5 Prozent.
({6})
Dieser Satz sollte nachhaltig und dauerhaft gesenkt werden, um den Menschen etwas zugutekommen zu lassen
und die Arbeitsplätze zu sichern.
Wir haben eine Unternehmensteuerreform zustande
gebracht, die die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmensstandortes Deutschland und des Arbeitsplatzstandortes Deutschland wesentlich verbessert. Hierzu will ich
sagen: Auch das muss im Haushalt finanziert und abgebildet werden. Darüber besteht mittlerweile keine Diskussion mehr. Wir haben das mit eingebaut.
Ich will darauf hinweisen, dass wir jetzt natürlich
überlegen müssen: Wo können überhaupt neue Arbeitsplätze entstehen? Da haben wir zum einen den Bereich
Forschung und Entwicklung. Trotz der Tatsache, dass
wir ein Staatsdefizit haben, trotz der Tatsache, dass wir
sparen müssen, versuchen wir, die Haushaltspositionen
im Bereich Forschung, Innovation und Entwicklung zu
stärken und dort das 3-Prozent-Ziel von Lissabon zu erreichen. Wir, die Unionsfraktion, stehen ausdrücklich
dahinter. Denn wir sind der Meinung: An dieser Stelle
können wir im Hinblick auf Arbeitsplätze, Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts und Zukunftschancen nur gewinnen. Dies ist gut ausgegebenes Geld. Wir setzen es
an dieser Stelle gerne ein.
({7})
Es gibt einen weiteren Bereich. Wir werden nicht nur
versuchen können, an der Spitze Arbeitsplätze zu schaffen. Wir müssen auch versuchen, in anderen Bereichen,
gerade bei den Dienstleistungen, mehr Arbeitsplätze zu
generieren. Deshalb werben wir dafür - wir hoffen, dass
wir auch in der Koalition hierbei zu einem Ergebnis
kommen -, den Bereich der Privathaushalte als Arbeitgeber weiter zu stärken. Dies sollte einerseits im Sinne
der Vereinfachung der Regelungen, die es dort gibt, geschehen und andererseits zur Erhöhung des Volumens,
das dort besteht. Denn wir glauben, dass an dieser Stelle
ein Beitrag dazu geleistet werden kann, Schwarzarbeit
abzubauen. Darüber hinaus liegt dort noch ein riesiger
Schatz zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf dem ersten
Arbeitsmarkt.
({8})
Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir versuchen,
die Balance im Haushalt zwischen dem, was wir konsumieren, und dem, was wir investieren, etwas zu verschieben. Es ist doch eine Verschiebung von Lasten in
die Zukunft, wenn wir mehr als 90 Prozent unserer Mittel nicht investieren, sondern, was die Infrastruktur betrifft, von der Substanz leben. Deshalb müssen wir darauf hinwirken, dass die Investitionsquote im Haushalt
deutlich steigt.
Ich bin deshalb dankbar, dass im Entwurf der Bundesregierung an dieser Stelle eine entsprechende Akzentuierung gesetzt wird und die Investitionsmittel gestärkt
werden. Wir sollten uns in den Haushaltsberatungen darum bemühen, dass diese Stärkung fortgeführt wird und
wir eine weitere Verschiebung vom Konsum in Richtung
Investitionen hinbekommen. Das ist nämlich hilfreich,
wenn es um die Zukunftsvorsorge geht. Das ist aber
auch kurzfristig hilfreich; ich sage das mit Blick auf die
Lage am Arbeitsmarkt.
({9})
Ich will zum Abschluss auf einen Punkt zu sprechen
kommen, der mir sehr wichtig ist. Ich habe vorhin von
nachhaltiger Haushaltskonsolidierung gesprochen. Wir
wollen hier nicht nur über kurzfristige Ziele diskutieren,
wir wollen nicht nur über den Haushalt 2008 diskutieren,
wir wollen nicht nur über die mittelfristige Finanzplanung diskutieren, sondern wir wollen auch darüber diskutieren, dass wir die aus meiner Sicht einmalige
Chance haben, ein Regelwerk in die Verfassung aufzunehmen, das dafür sorgt, dass dauerhaft keine strukturellen Defizite mehr geschaffen werden können. Wenn wir
diese Aufgabe nicht lösen, delegieren wir sie an die
nächste Generation; das ist ein Zeitraum von 25 bis
30 Jahren. Wir stehen in der Verantwortung und müssen
diese Chance nutzen. Ich möchte am Ende der Diskussion ein Regelwerk haben, das vorgibt, dass das strukturelle Defizit bei null liegen muss, und das, abgesehen
von Ausnahmefällen wie Katastrophen und Ähnlichem,
keine Ausnahmen vorsieht.
({10})
Wir müssen das vernünftig fassen. Ich bin kein Verfassungsjurist, sondern nur bescheidener Mathematiker;
daher hoffe ich auf die Hilfe der Rechtsgelehrten. Ich
hoffe, dass Bund und Länder eine Verantwortungsgemeinschaft bilden; denn diese Aufgabe kann nur gemeinschaftlich von Bund und Ländern gelöst werden.
Wir müssen das, was wir Konjunktur nennen, vernünftig
fassen. Ich glaube, dass wir von dem einen oder anderen
Land in unserer Nachbarschaft lernen können, wie dort
konjunkturelle Entwicklungen aufgefasst werden.
Über den konjunkturellen Anteil an der Staatsverschuldung dürfen wir nicht nur dann diskutieren, wenn
Schulden gemacht werden. Wir müssen auch dann darüber sprechen, wenn die Konjunktur positiv verläuft;
denn dann muss Vorsorge für den nächsten Abschwung
getroffen werden. In diesem Sinne müssen wir in
Art. 115 des Grundgesetzes ein neues Regelwerk schaffen. Wenn uns das gelingt, dann werden wir gemeinschaftlich unserer Verantwortung gerecht.
Ich möchte jeden einladen, mit Ideen und alternativen
Vorschlägen dazu beizutragen. Ich warne aber davor,
eine solch wichtige Diskussion durch kleingeistige und
kleinkarierte Kritik zu zerreden.
Vielen Dank.
({11})
Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Stellen Sie sich
vor, Sie beobachten in einem Einkaufszentrum einen Taschendieb, der gerade einen Passanten dreist um eine beträchtliche Summe erleichtert. Doch dann rennt er nicht
weg. Nein, er hält die Geldscheine in die Höhe und
strahlt über das ganze Gesicht. Jeder würde doch denken: Dieser Mann ist verrückt. Nicht so in der Politik.
Die Bundesregierung hat mit der umfangreichsten
Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik
den Bürgern kräftig in die Tasche gegriffen, und nun sehen wir den Finanzminister aus allen Zeitungen strahlen.
Er freut sich über sein gelungenes Gesellenstück. Erstaunlich ist nur, dass keiner ruft: Haltet den Dieb!
({0})
Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat nicht nur
die Mehrwertsteuer erhöht, sondern auch die Versicherungsteuer. Sie hat die Entfernungspauschale und den
Sparerfreibetrag verringert, und auch der Beitragssatz
für die Renten- und Krankenversicherungen stieg im Januar. Verwundert es da, dass sich keiner so richtig mit
Herrn Steinbrück freuen kann? Wie wir heute in einer
Zeitung lesen können, genießt er das gesammelte Misstrauen der SPD.
Doch eine Ausnahme gibt es: Die Unternehmensteuerreform tritt im nächsten Jahr in Kraft und wird vor allem die großen Konzerne um mindestens 10 Milliarden Euro entlasten.
In vielen Zeitungen kann man ausführliche Analysen
lesen, warum die SPD in der Wählergunst so schlecht
dasteht. Doch das kann man sich eigentlich sparen, wenn
man nur zwei Sachverhalte zur Kenntnis nimmt:
Erstens. Die Konzerne, die sich vor Profiten kaum
retten können, werden weiter finanziell entlastet. Wahrhaft sozialdemokratische Politik, sage ich dazu nur.
({1})
Zweitens. Die Arbeitslosengeld-II-Empfänger sollen
trotz der gestiegenen Lebensmittelpreise und der Explosion der Energiepreise keinen Cent mehr bekommen.
„Kalt und streberhaft“ nennt der Politikwissenschaftler Franz Walter die Politik der SPD, und immer mehr
SPD-Wähler teilen diese Ansicht. Die aktuelle Studie
Die Ängste der Deutschen 2007 kommt zu dem Ergebnis, dass die Deutschen am meisten Angst davor haben,
dass alles teurer wird. Das ist natürlich nicht im Sinne
von CDU und CSU. Besonders Herr Schäuble hat sich
zum Ziel gesetzt, dass spätestens im nächsten Jahr die
Angst vor dem Terror an erster Stelle in den Umfragen
stehen soll. Denn die Bundesregierung weiß, dass sich
ein Land einfacher regieren lässt, wenn die Menschen
Angst haben. Das ständige Schüren von Angst ist nötig,
um die gigantischen Ausgaben im Kampf gegen den Terror zu rechtfertigen. Ich will Sie nur daran erinnern, dass
das 132-Millionen-Euro-Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit, das der Innenminister in einer Nachtund-Nebel-Aktion durch den Bundestag geschleust hat,
hier schon fast totgeschwiegen werden soll.
Der weltweite Antiterrorkampf hat natürlich auch den
Appetit des Verteidigungsministers angeregt. Für seinen
Haushalt sind 29 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist
mehr, als die Bundesregierung für zivile Investitionen
ausgibt, und damit eine wirkliche Schieflage.
({2})
Der ehemaliger CDU-Generalsekretär Geißler antwortete auf die Frage eines Journalisten, was Konservatismus heute ausmacht, wie folgt - ich zitiere die Berliner Zeitung vom 6. September 2007 -:
Es ist schon erstaunlich, welche Widersprüche sich
da so auftun: ein starker Staat für die innere Sicherheit, ein schwacher Staat für die soziale Sicherheit merkwürdige Vorstellungen der sogenannten Neokonservativen.
Ich fordere Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, nehmen Sie sich diese Worte Ihres
ehemaligen Generalsekretärs zu Herzen, und denken Sie
darüber nach!
({3})
Wir Linke haben gute Vorschläge, wie man die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger besser und vor allen Dingen gerechter ausgeben kann. Herr Struck hat
den untauglichen Versuch unternommen, uns nachzuweisen, dass unsere Finanzierungsvorschläge unseriös
seien. Zum Ausdruck und Beweis seiner eigenen Seriosität meinte Herr Steinbrück, unsere Vorschläge als Voodoo-Ökonomie bezeichnen zu müssen. Ich glaube, eine
billigere Propaganda kann man sich gar nicht vorstellen.
({4})
In ihrer Rechnung hat die SPD-Führung nämlich völlig außer Acht gelassen, dass wir Gegenvorschläge und
auch sehr viele schöne Kürzungsvorschläge - insbesondere hinsichtlich des aufgeblähten Verteidigungshaushaltes - haben. Aber auch hinsichtlich der Einnahmen
haben wir viele Vorschläge für eine gerechtere Steuerpolitik. Unsere Vorschläge zur Abschaffung des Mittelstandsbauches haben Sie, Herr Steinbrück, genau umgekehrt dargestellt. Sie haben behauptet, wir wollten den
Mittelstand belasten. Die Wirklichkeit ist anders: Der
Mittelstand und die Facharbeiter würden durch unsere
Vorschläge entlastet.
({5})
Ich fordere Sie hier noch einmal auf: Nehmen Sie die
Unternehmensteuerreform zurück, werfen Sie den Unternehmen das Geld nicht hinterher! Wir werden unsere
Vorschläge in den Haushaltsberatungen und in der Öffentlichkeit vortragen. Ich bin mir sicher: Auch wenn die
Vorschläge hier in diesem Haus nicht die Mehrheit finden sollten, ihre Wirkung in der Öffentlichkeit werden
sie nicht verfehlen. Das können Sie nicht zuletzt an unseren Umfragewerten ablesen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Joachim Poß für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Lötzsch, zunächst ein Satz zu Ihnen. Sie haben den Vergleich mit dem Taschendieb angestellt. In der Tat: Sie
bewegen sich wie eine Taschendiebin: unterhalb der
Gürtellinie, und zwar moralisch wie gedanklich.
({0})
Was Sie hier sagen und die Bilder, die Sie hier bringen,
sind eine Zumutung.
({1})
Ich sage Ihnen: Mit dieser Art von Politik, mit der Sie
Arbeitnehmern, Rentnern und Arbeitslosen alles versprechen und in der Realität nichts halten können, täuschen Sie die Menschen.
({2})
Sie verlieren jeden ernsthaften Anspruch auf Gestaltung.
Das wird noch deutlicher werden als in der Vergangenheit.
({3})
Ich will gar nicht auf einzelne Stichworte eingehen.
Aber zur Unternehmensteuerreform möchte ich etwas sagen: Ja, wir beseitigen eine Gerechtigkeitslücke.
Es kann doch nicht sein, dass 100 Milliarden Euro an
Gewinnen in Deutschland erzielt und im Ausland versteuert werden. Das ändern wir; das ist richtig so. Wir
beseitigen Gerechtigkeitslücken und schaffen keine
neuen.
({4})
Deswegen: Die Auseinandersetzung mit Ihnen darf man
nicht übertreiben. Aber wir werden Sie Zug um Zug entlarven. Die von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte
Zusammenstellung zu den finanziellen Auswirkungen
Ihrer Anträge und Initiativen war ein erster Schritt dazu.
({5})
Wer vor eineinhalb Jahren vorhergesagt hätte, wie gut
sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im
Mittelstand, und die Situation der öffentlichen Haushalte, insbesondere in den Kommunen, entwickeln würden, der wäre doch als Fantast bezeichnet und verspottet
worden. Jeder von uns, der vorhergesagt hätte, dass wir
im September dieses Jahres auf der Grundlage der vorliegenden Zahlen würden beraten können, wäre verspottet worden. Deswegen sage ich Ihnen: Eine Rede wie
die, die Bundesfinanzminister Peer Steinbrück heute gehalten hat, konnte seit fast 20 Jahren kein Finanzminister
in Deutschland mehr halten. Eigentlich sollte von allen
Seiten dieses Hauses begrüßt werden, dass es ihm möglich war, eine solche Rede zu halten.
({6})
Mit dem von Peer Steinbrück eingebrachten Haushaltsentwurf bleibt die Koalition sich selbst und ihrer
Doppelstrategie treu, die erforderliche Haushaltskonsolidierung und die notwendige politische Gestaltung
Hand in Hand zu betreiben.
Das erfolgreiche 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm fortzusetzen, die Mittel für Forschung und Entwicklung zu erhöhen, die BAföG-Erhöhung und den
Hochschulpakt zu finanzieren, die Mittel für Klimaschutzprogramme hochzufahren und das Programm zum
Ausbau der Krippenplätze zu starten, all das bringt unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft Schritt für
Schritt voran. Diese Maßnahmen werden sich auch in
fiskalischer Hinsicht auszahlen; das gilt übrigens auch
für die Unternehmensteuerreform.
Konsolidieren und Gestalten, das ist die richtige Strategie, die auch in Zukunft verfolgt werden muss. Das
heißt aber auch, dass die fiskalischen Spielräume, die
sich ergeben, konsequent und glaubwürdig zur Rückführung der Verschuldung genutzt werden müssen. Wir
müssen unsere Defizitziele im nächsten Jahr und in den
folgenden Jahren erreichen. Wir haben die Chance, das
gesamtstaatliche Defizit im nächsten Jahr auf null zu
fahren. Ich finde, dass das Tempo des stattfindenden Defizitabbaus bemerkenswert ist.
Die Haushaltspolitik muss ökonomische und gesellschaftliche Erfordernisse im Blick behalten; ansonsten
ist sie letztlich zum Scheitern verurteilt. In diesem Sinne
werden wir die anstehenden parlamentarischen Haushaltsberatungen führen.
Die Haushaltspolitiker der Koalition haben sich das
Ziel gesetzt, die von der Bundesregierung beschlossene
und im Etatentwurf für 2008 aufgeführte maximale
Höhe der Neuverschuldung des Bundes in Höhe von
12,9 Milliarden Euro zu verringern. Wir streben an, dieses Ziel zu erreichen. Allerdings ist bereits der Betrag
von 12,9 Milliarden Euro die niedrigste jährliche Verschuldung des Bundes seit fast 20 Jahren. Wer uns in
dieser Situation vorwirft, wir seien bei der Haushaltskonsolidierung nicht ehrgeizig genug, der muss schon
sehr konkrete und umsetzbare Konsolidierungsvorschläge vorlegen.
({7})
Bisher konnte ich nicht erkennen, dass solche Vorschläge gemacht wurden, weder von der FDP noch - das
kann Frau Hajduk gleich ändern - von den Grünen.
Wenn wir hier streiten, dann sollten wir das bitte auf der
Grundlage realitätstüchtiger Vorschläge und nicht im
Wolkenkuckucksheim tun.
({8})
Wenn die derzeit günstige wirtschaftliche Entwicklung anhält - es gibt durchaus Anzeichen der Unsicherheit, über die heute schon gesprochen wurde -, dann
werden wir voraussichtlich spätestens im Jahre 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen können.
Wenn wir all diese Ziele - gute Entwicklung von
Wirtschaft, Beschäftigung und Haushaltskonsolidierung erreichen wollen, ist es allerdings notwendig, dass über
Jahre hinweg die richtigen Entscheidungen getroffen
und die richtigen Weichenstellungen vorgenommen werden. Ich will zwei Beispiele nennen.
Erstens. Bereits jetzt wird immer wieder gefordert
bzw. sogar angekündigt, dass in der nächsten Legislaturperiode die Einkommensteuer oder andere Steuern gesenkt werden. Herr Kollege Kampeter, die Medien berichten, dass auch in Strategiezirkeln von CDU und
CSU, und zwar weit über das Ministerium des Bundeswirtschaftsministers hinaus, Konzepte für massive
Steuersenkungen erarbeitet werden. Offensichtlich
wird hier gezielt versucht, sich eine populäre Ausgangsposition für die Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner in anstehenden Wahlkämpfen aufzubauen.
Da wir heute eine haushaltspolitische Debatte führen,
ist zu fragen: Wie ernst meinen es diejenigen, die schon
heute für einen nicht sehr weit in der Zukunft liegenden
Zeitpunkt Steuersenkungen in Aussicht stellen, eigentlich mit der Haushaltskonsolidierung, die in dieser Legislaturperiode noch nicht abgeschlossen werden kann?
Wenn in einem Jahr keine neuen Schulden gemacht werden müssen, heißt das nicht, dass alle Probleme bereits
gelöst sind. Meine Damen und Herren, müssten wir nicht
angesichts der verbesserten Haushaltslage endlich auch
in die Tilgung der Altschulden einsteigen?
({9})
Das scheint für diejenigen, die solche Steuersenkungsvorschläge machen, offenbar nicht im Vordergrund
zu stehen. Erst wird die Verschuldung über Jahre hinweg
als große Staatskrise dargestellt - wir haben das erlebt -,
aber dann hat man es mit der Tilgung der Altschulden
plötzlich nicht mehr so eilig. Das ist widersprüchlich.
Ich habe an alle, die derartige Vorschläge in ihren Köpfen haben, die herzliche Bitte, darüber nachdenken, ob
es nicht zu widersprüchlich ist, davon zu sprechen, dass
die Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder der Erbschaftsteuer möglich wäre, wenn die politische Konstellation eine andere wäre. Nein, vor dem Hintergrund von
gesamtstaatlichen Schulden in Höhe von immer noch
1,5 Billionen Euro geht dies nicht.
Auch was die Reform der Finanzbeziehungen von
Bund und Ländern angeht, dürfen keine unbedachten
Entscheidungen gefällt werden. Ich begrüße ausdrücklich die Kriterien, die Peer Steinbrück in diesem Zusammenhang genannt hat, will aber auch auf folgenden
Punkt hinweisen: Meines Erachtens krankt die Diskussion bisher daran, dass grundlegende Fakten und Zusammenhänge nicht beachtet werden. Viele Teilnehmer der
Diskussion sind davon überzeugt, dass die unbestreitbar
zu hohe öffentliche Verschuldung eine Folge vor allem
unzureichender Verfassungsregeln sei. Diese Auffassung
übersieht, dass es für die öffentliche Kreditaufnahme
und die Finanzpolitik sowohl des Bundes als auch der
Länder beachtliche andere Gründe gab und gibt: vor allem die Bewältigung der deutschen Einheit, aber auch
die Vermeidung prozyklischer Finanzpolitik.
Auch ist bisher weitgehend unklar, was die einzelnen
Vorschläge zur Modifikation des Art. 115 Grundgesetz
konkret an Politik erfordern und konkret bewirken. Deshalb halte ich es für dringend erforderlich, dass fundierte
Berechnungen vorgelegt werden, mit denen die Veränderungsabsichten gestützt werden müssen und die die ökonomischen Auswirkungen der einzelnen Vorschläge genau aufzeigen. Es darf nicht dazu kommen, dass mit
einer Modifikation der Verfassung das gerade gefundene
Gleichgewicht von wirtschaftlicher Impulsgebung, Zukunftsgestaltung und Haushaltskonsolidierung, das wir
in den letzten beiden Jahren so erfolgreich erprobt haben, möglicherweise wieder infrage gestellt wird. Das
heißt, neue Regeln, für die wir alle eintreten, müssen
realitätstüchtig sein; sie müssen sich in der Realität unserer Ökonomie auch bewähren können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun die Kollegin Anja Hajduk,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Steinbrück, Sie haben angenommen, schon zu wissen, was die Opposition heute zu sagen hat. Da Sie es wissen, weiß ich nicht, ob Sie schon
wild entschlossen sind, sich unsere Ausführungen nicht
ernsthaft anzuhören. Aber ich werbe doch noch einmal
um Ihr Gehör.
Worum geht es, wenn wir sagen, die gute Situation,
die wir jetzt haben - die gute konjunkturelle Entwicklung, die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt -, sollte
genutzt werden, um unsere Schulden abzubauen? Worum geht es, wenn wir darum werben, die historische
Chance wahrzunehmen und vier gute Jahre zu nutzen,
um 2009 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben?
Was macht Sie so gewiss, dass Sie ein Abonnement auf
eine positive Dauerkonjunktur bis 2011 haben?
({0})
Aus der Erfahrung, die Rot-Grün in den Jahren 1999
und 2000 gemacht hat, erinnere ich Sie an Folgendes:
Damals haben wir vielleicht zu einem falschen Zeitpunkt
im Boom Ausgabensteigerungen im Haushalt und Steuersenkungen beschlossen, die konjunkturell nicht die
richtige Strategie darstellten.
({1})
Deswegen geht es mir jetzt nicht um ein bisschen schneller, ein bisschen höher und ein bisschen weiter, sondern
um die Verantwortung, die auch Sie für sich in Anspruch
nehmen: Packen wir doch der nächsten Generation nicht
den Rucksack mit Wackersteinen von Schulden voll,
sondern nutzen wir einen Konjunkturboom, der sage und
schreibe vier Jahre lang ein reales Wachstum von im
Schnitt knapp 2 Prozent verspricht! Angesichts der Steuermehreinnahmen in Höhe von 45 Milliarden Euro - das
sind die Steuermehreinnahmen Ihrer Finanzplanung; ich
habe den im Moment absehbaren Konjunkturbonus von
zusätzlichen 8 bis 10 Milliarden Euro noch gar nicht aufgeschlagen, wahrscheinlich sind es in dieser Legislaturperiode also Steuermehreinnahmen von mehr als 50 Milliarden Euro - frage ich Sie, warum die Einnahmen nicht
ausreichen sollen. Erklären Sie einmal der deutschen Bevölkerung, warum Ihnen 50 Milliarden Euro nicht ausreichen sollen, um ein Defizit von 30 Milliarden Euro
auszugleichen!
({2})
Ich nenn Ihnen den Grund: Die Große Koalition hat
erfolgreich am Steuerrad gedreht. In einigen Punkten unterstützen wir das auch; wir schlagen uns nicht in die
Büsche, wenn es um Subventionsabbau geht, der die
Bürgerinnen und Bürger auch einmal belastet. Sie haben
sich aber auch verdammt viele Ausgabenwünsche genehmigt.
({3})
Die passen nicht in eine Zeit guter Konjunktur; so etwas
muss man sich für schlechtere Zeiten reservieren. Ebendarin liegt die strategische Panne, die Schwäche Ihrer
Politik, Herr Steinbrück; da können Sie sie noch so gehaltvoll und erhaben vortragen. Die Konsequenzen tragen die Bürgerinnen und Bürger.
({4})
Deswegen werben wir für eine Veränderung dieser Strategie.
({5})
- Sie müssen nicht aufgeregt rufen, Herr Poß. Ich
komme noch zu den Vorschlägen. Im Übrigen haben wir
das in den letzten Jahren immer so gehalten.
Ich möchte beispielhaft auf das Jahr 2007 eingehen.
Damit komme ich auch zu einem konkreten Vorschlag,
Herr Poß. Für das Jahr 2007 ist geplant, 19 Milliarden
Euro Schulden aufzunehmen. Der Steuerschätzung nach
werden wir 10 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen.
Mittlerweile zeichnet sich ab, dass es bis zu 15 Milliarden Euro sein werden, und das ist noch nicht die Spitze
der Prognosen. Dann muss man doch erwarten, dass Sie
dieses Jahr statt 19 Milliarden Euro nur 6 Milliarden,
7 Milliarden oder 8 Milliarden Euro neue Schulden machen. Doch nein, es ist angekündigt: Wir brauchen einen
Teil dieser Steuermehreinnahmen für den Fonds zum
Ausbau der Kinderbetreuung.
({6})
- Nein! Jetzt wird es wieder billig bei Ihnen! - Wenn es
um eine gute Sache und Ausgabe geht, nehmen Sie dafür
die konjunkturellen Steuermehreinnahmen.
({7})
So hat Frau Merkel schon im letzten Jahr konjunkturelle
Steuermehreinnahmen für die Gesundheitsversicherung
verwendet.
({8})
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben Ihnen ein sehr
vernünftiges Konzept vorgelegt, wie man aus dem Ehegattensplitting ein Familiensplitting macht.
({9})
- Hören Sie einmal zu! - Dann kann man die Kinderbetreuung sehr gut finanzieren. Dann kann der Bund seinen
Anteil an den Investitionen tragen.
({10})
Dann können die Länder statt dieser Fehlsubvention - ich
sehe schon, Sie stimmen mir zu, Herr Kampeter; das erkenne ich an Ihrem Lachen ({11})
mit den Steuermehreinnahmen, die sie haben werden,
die Betriebskosten finanzieren, und Herr Steinbrück
müsste nichts zwischen Bund und Ländern aushandeln
und den Bund bei den Mehrwertsteuereinnahmen nicht
strukturell schlechter stellen, ihn zusätzlich belasten.
Kurz gesagt: Wir haben ein Konzept für die Kinderbetreuung. Wir werben für den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, und zwar nicht erst ab irgendwann, sondern ab dem nächsten Jahr. Wir können das umsetzen,
wir haben eine Gegenfinanzierung. Sie bedienen sich dagegen, wie immer, schlicht bei der guten Konjunktur;
das ist langfristig nicht tragfähig.
({12})
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der belegt, dass
nicht so leicht gesagt werden kann: Es macht nichts,
wenn man sich mit der Konsolidierung des Haushalts
und dem Haushaltsausgleich bis 2011 Zeit lässt, statt ihn
in dieser Legislaturperiode, für die Sie Verantwortung
übernommen haben, zu erreichen. Ich nenne das, was
Sie machen, eine künstliche Streckung des Haushaltsausgleichs. Man kann das an den Zinszahlungen sehen:
Wir machen einen Sprung um 2,8 Milliarden Euro von
knapp über 40 Milliarden Euro auf über 43 Milliarden
Euro. Ich glaube, auch das ist Rekord. Das ist Folge Ihrer Politik, weil Sie bei der Verschuldung nicht die nötige Strenge walten lassen. Deswegen sage ich Ihnen:
Ihre Strategie sieht im Lichte der gegenwärtig guten
Konjunktur gut aus, aber sie ist nicht konsequent und
auch nicht verantwortungsvoll.
({13})
Ich komme zu einem anderen Thema. Herr
Steinbrück, ich bin froh - das sind auch die Kollegen,
die zuvor gesprochen haben -, dass die Große Koalition
wenigstens in einem Punkt bereit ist, Verantwortung zu
übernehmen, nämlich dass Sie die Zweidrittelmehrheit,
die Sie im Bundesrat und im Bundestag organisieren
können, nutzen wollen, um unsere gesetzlichen Regeln
für die Schuldenaufnahme zu überarbeiten.
Wir Grünen haben aus der Verschuldungsspirale, in
der wir in den letzten Jahren gefangen waren, Konsequenzen gezogen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir nach dem Beispiel der Schweiz, aber
an deutsche Verhältnisse angepasst, in Deutschland eine
Schuldenbremse vorsehen, die uns vorschreibt, in guten
Zeiten Überschüsse zu erwirtschaften, um für schlechte
Zeiten vorzubeugen. Ich wiederhole mich, Herr Meister
- man kann es nicht oft genug sagen -: Wir müssen uns
in konjunkturell guten Zeiten darum bemühen, die Verschuldung zu begrenzen. Ich habe Sie gerade dazu eingeladen, das schon im Haushalt 2008 endlich wahrzumachen. Wir wollen, dass eine entsprechende Regelung ins
Grundgesetz aufgenommen wird. Unser Regelwerk erfüllt folgende Anforderungen: Es ist Maastricht-konform
- das halte ich für notwendig - und „atmet“ mit der Konjunktur. Es lässt auch Ausnahmen zu, wenn es im Katastrophenfall erforderlich ist. Dafür haben wir aber strikte
verbindliche Regelungen vorgesehen, bei denen eine
Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig wäre, um
ausnahmsweise den Kreditrahmen zu erweitern.
Ich bin froh, dass Sie Ihren Willen deutlich gemacht
haben, in dieser Legislaturperiode zu neuen Schuldenregeln zu kommen, und halte das auch für notwendig. Ich
nehme diesen Anspruch als Maßstab für die Vereinbarungen, zu denen wir in der Föderalismuskommission II
kommen werden. Es kann nicht sein, dass es bei diesen
Ankündigungen bleibt. Der Bund muss hier vorangehen.
Insofern verstehe ich Ihren Beitrag an dieser Stelle als
positive Aufforderung und hoffe, dass Sie auch dem von
uns vorgelegten Vorschlag nähertreten können.
Ich möchte noch zu zwei weiteren Punkten kommen,
die mir wichtig sind. Herr Steinbrück, als Finanzminister
erwarte ich von Ihnen, dass Sie sehr sorgfältig abwägen,
wenn es um Privatisierungen geht. Was Sie zur Bahnprivatisierung vorgelegt und im Kabinett beschlossen
haben, hält nicht dem stand, was ich von einem verantwortungsbewussten Finanzminister erwarte.
({14})
Dass Sie die Schienennetze 15 Jahre an die DB übertragen wollen, hat einen großen Haken. Wenn wir die Netze
15 Jahre übertragen und eine Mitgift in Höhe von
37,5 Milliarden Euro finanzieren, dann bedeutet das eine
Teilprivatisierung, die eine Subventionsgarantie aus dem
öffentlichen Haushalt für die privaten Betreiber vorsieht.
Ich finde es nicht in Ordnung, dass man bei einer Teilprivatisierung solch einen risikolosen Profit auf Kosten des
Bundes zulässt. Die Kritik Ihres Parteifreundes Thilo
Sarrazin ist mehr als berechtigt. Wenn wir aus den Privatisierungserlösen heute vielleicht 6 Milliarden bis 8 Milliarden Euro erzielen und 3 Milliarden bis 4 Milliarden
Euro für den Bundeshaushalt gewinnen, dann aber
10 Milliarden Euro jährlich an die Bahn zurückfließen
lassen und das Schienennetz nach 15 Jahren vielleicht zu
einem doppelten oder dreifachen Preis zurückkaufen
müssen, dann wäre das ein verantwortungsloser Umgang
mit öffentlichem Vermögen.
({15})
Ich fordere Sie auf, an dieser Stelle neu zu überlegen.
({16})
Insbesondere fordere ich die Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf, diesem Vorhaben aus ordnungspolitischen Gründen und vielleicht auch aus anderen grundsätzlichen Erwägungen, was Privatisierungen angeht,
nicht zuzustimmen. Auch das gehört in eine Haushaltsdebatte des Bundestages.
({17})
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Bei einem
Thema hätte ich mir von Ihnen mehr Ehrlichkeit gewünscht, Frau Merkel.
({18})
Es ist mittlerweile klar geworden, dass die Bundesagentur
für Arbeit wegen der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Geld im Überfluss hat. Es ist mehr als klar,
dass die Bundesagentur die zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von über 6 Milliarden bzw. knapp
7 Milliarden Euro nicht benötigt hätte, um ihre Arbeit zu
leisten und die Beiträge zu senken. Deswegen hätte ich
mir gewünscht, dass Sie dem Vorschlag des Kollegen
Steinbrück gefolgt wären, die Mehrwertsteuereinnahmen
aus dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit herauszunehmen und den Haushalt der Bundesagentur und den
Bundeshaushalt zu trennen. Aber nein: Um zu vertuschen, dass Sie die Mehrwertsteuereinnahmen nicht für
die Beitragssenkung gebraucht haben - die Beitragssenkung um 2,3 Prozentpunkte ist durch die BA selber finanzierbar -, konstruieren Sie jetzt einen künstlichen
und seltsamen Finanzierungskreislauf zwischen BA und
Bundeshaushalt. Ich finde, das ist maßlos intransparent.
Eigentlich hätten Sie sich einen Ruck geben müssen und
das der Öffentlichkeit gegenüber zugeben können.
({19})
Frau Kollegin!
Ich habe leider etwas überzogen. - Letzter Satz.
Haushaltspolitik ist eigentlich ganz einfach. Spare in der
Zeit, dann hast du in der Not! Oder: Wenn du eine Gehaltserhöhung von 8 Prozent bekommst, wie es bei den
Steuereinnahmen der Fall ist, dann überziehe nicht weiter deinen Dispo, sondern löse ihn ab, statt einen neuen
Leasingvertrag zu unterschreiben. Das versteht doch jeder Mensch.
Danke schön.
({0})
Das gerade zitierte schöne Sprichwort „Spare in der
Zeit, dann hast du in der Not“ ließe sich übrigens auch
bei der Bewirtschaftung von Redezeiten sinnvoll zur Anwendung bringen.
({0})
Das war sozusagen eine generelle Empfehlung, weil wir
uns noch eine ganze Woche mit diesem Thema werden
auseinander setzen dürfen.
Nun hat das Wort der Kollege Steffen Kampeter für
die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte über den Haushaltsentwurf 2008
gibt die Möglichkeit, einmal auf das zurückzuschauen,
was bisher erreicht wurde. Ich möchte mit einem Dank
an die Menschen in Deutschland beginnen, die es in den
letzten zwei, drei Jahren - gemeinsam mit der Politik durch ihre Arbeit, ihren Einsatz und ihr Engagement geschafft haben, dieses Land wirtschaftlich nach vorne zu
bringen,
({0})
und erheblich dazu beigetragen haben, dass wir eine große
finanzpolitische Erfolgsgeschichte bei der Sanierung der
öffentlichen Staatsfinanzen vorweisen können.
({1})
Natürlich sind die Bundesregierung, insbesondere der
Bundesfinanzminister, sowie die Koalition hier ebenfalls
aktiv. Aber der Einsatz der Menschen wird nun damit
belohnt, dass wir wieder ausschütten können, nachdem
wir abverlangt haben. Wir können zwar nicht mehr ausgeben, wohl aber zurückgeben.
({2})
Ich will belegen, warum ich glaube, dass diese Sanierung mit Perspektive eine kluge Form der Bewirtschaftung öffentlicher Finanzen ist. Wir sind 2006 mit einem
strukturellen Defizit gestartet, das ausweislich öffentlicher Erklärungen vor der Bundestagswahl bei
30 Milliarden Euro und nach der Bundestagswahl bei
55 Milliarden Euro lag. Der von uns aufgestellte Haushalt 2007 weist die niedrigste Nettokreditaufnahme seit
der Wiedervereinigung auf. Wir haben in der Koalition
und im Haushaltsausschuss für eine weitere massive
Senkung gesorgt. Es ist kein Geheimnis, dass wir die
Nettokreditaufnahme in diesem Jahr nicht in vollem
Umfang in Anspruch nehmen müssen, weil die Entwicklung wahrscheinlich sowohl auf der Ausgabenseite als
auch auf der Einnahmeseite besser ist.
Wir haben den vom Bundesfinanzminister mit einer
guten Rede vorgestellten und eingebrachten Haushaltsentwurf 2008 unter das Motto „Sanieren mit Perspektive“ gestellt. Dieser Haushalt weist wieder die niedrigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung
auf. Carsten Schneider und ich haben gemeinsam mit
den Kolleginnen und Kollegen aus der Haushaltsgruppe
der Koalition den Ehrgeiz, hier noch einmal nachzuarbeiten und noch weniger Schulden aufzunehmen.
({3})
Ich will in aller Klarheit sagen: Die erzielten Sanierungserfolge sind nicht selbstverständlich. Die Verwerfungen auf den Finanzmärkten haben deutlich gemacht,
dass die Sanierung jede Woche und jeden Monat erneut
erkämpft werden muss. Aber unsere Haushaltspolitik
nutzt den Menschen in Deutschland, weil sie etwas davon haben. Ich will darauf hinweisen, dass kein Land, in
dem es wirtschaftlich aufwärts geht, ruinierte Staatsfinanzen hat. Solide Staatsfinanzen, die Vertrauen bei Investoren und Konsumenten schaffen, flankieren unseren
Aufschwung und schaffen Möglichkeiten, den Menschen wieder etwas zurückzugeben.
Wir wollten den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ein Stück weit senken. Wir senken ihn nun noch
weiter. Der Kollege Meister hat gesagt, dass die Zielgröße 3,5 Prozent sei. Das entspräche einer Senkung des
Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um insgesamt
3 Prozentpunkte, wenn ich richtig gerechnet habe. Das
ist die größte Senkung in einem sozialen Sicherungssystem, die es jemals in so kurzer Zeit gegeben hat. Wo wir
das Geld nicht benötigen, geben wir es den Menschen
zurück. Auch das ist eine Dividende, ein Ergebnis dieser
Sanierungsschritte.
({4})
Schulden von heute - diese Erkenntnis vermittelt jedes wirtschaftliche Seminar - sind die Steuererhöhungen
von morgen. Wenn wir Schulden senken und die NullNeuverschuldung anstreben, dann verhindern wir nicht
nur Steuererhöhungen, sondern schaffen auch Spielräume für Steuersenkungen.
({5})
Herr Kollege Poß, je früher wir die Null-Neuverschuldung haben, umso eher können wir uns Gedanken darüber machen, in welchem Maße wir Schulden abbauen
und in welchem Maße wir den Menschen die gezahlten
Steuern zurückgeben. Wir haben das Projekt Stoltenberg
im Sinn, wonach den Menschen nicht das Geld aus der
Tasche gezogen werden soll, um es ihnen in komplizierten Verfahren wieder zurückzugeben; wir wollen ihnen
vielmehr das lassen, was sie für ihr Leben brauchen, und
ihnen nur das wegnehmen, was wir ihnen gut begründet
wegnehmen müssen, um wichtige Aufgaben zu finanzieren. Das ist legitim und vermittelbar. Unsere Perspektive
für die nächste Legislaturperiode ist es, nach der NullNeuverschuldung auch über Steuersenkungen weiter
nachzudenken. Das ist unser fester Wille.
({6})
Ich will noch eines sagen: In dem Umfeld von solideren Staatsfinanzen, das wir jetzt haben, fangen auch andere an, wieder Vertrauen zu gewinnen. Es ist kein Zufall, dass gerade in Zeiten des wirtschaftlichen
Aufschwungs und eines sinkenden Schuldenstands die
Tarifvertragsparteien zum ersten Mal seit langem wieder Lohnsteigerungen in einer vernünftigen Größenordnung vereinbaren. Das kommt bei den Menschen an. Die
Stabilität der Rahmenbedingungen schlägt sich auch in
Mut und Zuversicht bei den Tarifvertragsparteien nieder.
Das ist eine ganz konkrete Dividende, das ist ein ganz
konkreter Erfolg von Stabilisierungs- und Konsolidierungspolitik.
({7})
An dieser Stelle will ich aus Anlass des bösen Begriffs des Kaputtsparens bzw. des Ins-Koma-Sparens
festhalten: Ich halte es mit der Kollegin Hajduk, die gerade der Debatte nicht zuhört, sondern telefoniert: Spare
in der Zeit, dann hast du in der Not! - Ich finde, man
muss etwas zurücklegen können. Der Grundgedanke der
Schuldenregel, die der Kollege Meister, aber auch der
Kollege Poß im Kopf haben, ist, dass wir demnächst für
schlechte Zeiten Geld aus Haushaltsüberschüssen - das
heißt technisch: Ausgleichskonto - zurücklegen. Da
kommen wir zueinander.
Trotzdem ist zu diesem Zeitpunkt nicht alles finanzierbar. So wünschenswert es für die Betroffenen sein
mag, Regelleistungen in bestimmten Sozialversicherungssystemen, zum Beispiel Hartz IV, auszuweiten;
ich halte das unter einem bestimmten Gesichtspunkt für
nicht mehr sozial gerecht, ja für unsozial. Sozial ist das,
was in diesem Land Beschäftigung schafft. Nelson
Rockefeller hat einmal festgehalten: Wohltätigkeit ist
nur dann unschädlich, wenn sie den Empfänger dazu anleitet, von ihr unabhängig zu werden. - Deswegen werden wir von der Union diesen Forderungen nicht nachgeben. Wir erkennen die schwierige Situation derjenigen
an, die in diesem Regelkreis sind, aber wir konzentrieren
uns nicht darauf, dass die Regelleistungen kontinuierlich
ansteigen. Wir konzentrieren uns vielmehr durch eine Reform unserer Arbeitsmarktpolitik darauf, wieder Brücken
in reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
zu bauen. Darin müssen wir Geld investieren. Ich glaube,
das ist soziale und beschäftigungsfreundliche Politik.
({8})
Ich warne in diesem Hause auch vor Populisten, die
unterwegs sind. Die sind auf der linken Seite dieses Hauses unterwegs. Kollege Struck hat den Taschenrechner
angeworfen und festgestellt, dass 174 Milliarden Euro
jedes Jahr fehlen würden.
({9})
- 154, Entschuldigung. - Ich will aber auch auf die von
mir aus gesehen rechte Seite des Hauses hinweisen:
Morgens fordert der Kollege Fricke Subventionsabbau
und Null-Neuverschuldung.
({10})
- Ich finde, das ist eine solide Forderung.
({11})
Dann kommt der Kollege Solms und beklagt, dass wir die
Mehrwertsteuer erhöht haben, dass die Familienleistungen geändert wurden und das Erziehungsgeld eingeführt
worden ist, und er erwähnt die Kürzung der Pendlerpauschale. Das sind Leistungen von zusammengenommen
etwa 30 Milliarden Euro pro Jahr. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was das soll. Bisher dachte ich, Liberalismus
sei das Eintreten für die Freiheit. Wenn man aber unter
Liberalismus die Freiheit versteht, jeden finanzpolitischen Unsinn erzählen zu können, dann habe ich Liberalismus bisher falsch verstanden. Entweder man fordert
wie der Kollege Fricke die Null-Neuverschuldung, oder
man äußert Kritik wie der Kollege Solms, die, würde
man die Kritik aufgreifen, zur Folge hätte, dass sich die
Kreditaufnahme jedes Jahr um 30 Milliarden Euro erhöhen würde. Es ist unseriös, was Sie in diesem Bereich
machen. Populismus auf der linken und auf der rechten
Seite ist schädlich. Dem werden wir keinesfalls folgen
können.
({12})
Die Perspektive bei der Sanierung besteht darin, dass
wir, obwohl wir die Spendierhosen im Schrank lassen
und die Sparstrümpfe heraushängen, in bestimmten Bereichen Schwerpunkte setzen.
Ich will zwei erwähnen: Ein Schwerpunkt sind für
uns die Familien, wobei es dabei nur vordergründig um
Geld geht. Im Kern geht es uns um einen Wandel des gesellschaftlichen Klimas gegenüber den Menschen, die
sich in diesem Land für eine Familie und Kinder entscheiden. Dieser Klimawandel drückt sich im Haushalt
konkret aus - im Elterngeld und in der Betreuungsinfrastruktur -, vor allen Dingen aber in der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung der Familienpolitik, wie
sie von dieser Großen Koalition, wie sie von Ursula von
der Leyen betrieben wird.
({13})
Das ist ein großer perspektivischer Gewinn, der trotz
Haushaltskonsolidierung möglich wird. Das setzt ein
Zeichen und gibt eine Perspektive.
({14})
Das rohstoffarme Land Deutschland muss in die
Köpfe seiner Menschen investieren. Deswegen ist unsere Investition in Bildung und Forschung als eine
Partnerschaftsaufgabe zwischen öffentlicher und privater Hand schon auf einem guten Weg. 2,5 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts fließen in diesen Bereich.
Michael Glos und Annette Schavan sind die beiden
Minister, die dafür stehen. Dies ist eine Zukunftsinvestition, die auch während der Konsolidierung möglich ist.
Man kann beides miteinander verbinden: sparsam sein
und trotzdem an die Zukunft denken. Das ist der Kern
der Haushaltspolitik der Großen Koalition.
({15})
Ich will eine letzte Perspektive dieser Haushaltspolitik ansprechen: die Null-Neuverschuldung. Es ist mehrfach schon gesagt worden, dass man sich diesbezüglich
nicht festlegen soll. Aber sie ist greifbar und es wird keiner in diesem Hause ausgelacht, der behauptet, sie käme
jetzt bald. Wir würden damit rund 40 Jahre Verschuldungspolitik in Deutschland erstmals - hoffentlich auch
dauerhaft - beenden. Ich will mit einem Zitat schließen,
das ungefähr so alt wie unsere Verschuldungspolitik ist.
Dieses Zitat stammt von Ludwig Erhard, dem Bundeskanzler und langjährigen Wirtschaftsminister einer
unionsgeführten Regierung:
Die Menschen haben es zwar zuwege gebracht, das
Atom zu spalten, aber nimmermehr wird es ihnen
gelingen, jenes eherne wirtschaftliche Gesetz aufzusprengen, das uns mit unseren Mitteln haushalten
heißt, d. h., das uns verbietet, mehr zu verbrauchen
als wir erzeugen können …
Das ist die eigentliche Verheißung. Dieses konservative,
nachhaltige Prinzip der Haushaltspolitik,
({16})
das Ludwig Erhard formuliert hat, als wir angefangen
haben, Schulden zu machen, ist die Mission der Haushaltspolitik der Großen Koalition. Das ist die Mission,
die die Union kräftig unterstützen wird.
({17})
Als Nächster spricht der Kollege Dr. Hermann Otto
Solms für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die FDP freut sich über die begonnene Haushaltskonsolidierung und über den Abbau der Arbeitslosigkeit genauso wie die Regierungsfraktionen. Da gibt es
keinen Zweifel. Wir haben nur den Verdacht - der durch
die Reden heute bestätigt worden ist -, dass Sie sich hinter dieser entstandenen Konsolidierung, für die Sie überhaupt nichts können, verbergen und Ihre Hausaufgaben
nicht machen.
({0})
Ihre Aufgabe wäre es, den Haushalt durch Einsparungen zu konsolidieren. Das wäre eine mutige Politik, die
einer Großen Koalition würdig wäre. Aber Sie erweisen
sich als schwache und kleinmütige Koalition. Das beweisen die Zahlen: 2006 beliefen sich die Ausgaben auf
261 Milliarden Euro, 2007 auf 270 Milliarden Euro und
2008 auf 283 Milliarden Euro. Sie legen jedes Jahr etwas
darauf. Würden Sie das nicht tun, könnten wir im nächsten Jahr natürlich leicht einen ausgeglichenen Haushalt
haben.
({1})
Wir wehren uns dagegen, dass Sie diese Konsolidierung - immer mit schönen Worten verbrämt - einseitig
zu Lasten der Bürger in diesem Lande durchführen.
({2})
Die Bürger zahlen die Zeche, obwohl sie am Erfolg beteiligt werden müssten.
Im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Finanzminister,
gesagt haben, blüht die Konjunktur nicht. Die Exportkonjunktur läuft, aber die Binnenkonjunktur lahmt.
Das ist kein Wunder, weil die Bürger in diesem Lande
durch gewaltige Erhöhungen bei der Mehrwertsteuer, bei
der Einkommensteuer, bei der Versicherungsteuer, bei
Steuern auf biogene Kraftstoffe und durch den Abbau
von Steuervergünstigungen insgesamt in Höhe von
40 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich belastet werden.
Dann haben sie natürlich nicht mehr das Geld, um ihren
Konsum, ihre Altersvorsorge oder sonstige Investitionen
zu finanzieren.
({3})
Das ist eben so. Wenn Sie einen dauerhaften konjunkturellen Aufschwung möglich machen wollten, müssten
Sie die Konsolidierung auf der Ausgabenseite fortführen
und die Bürger von den zusätzlichen Belastungen nach
und nach befreien. Das ist unsere Strategie. Herr Finanzminister, wir haben den Menschen vor der Bundestagswahl tatsächlich gesagt: Wir wollen die steuerlichen Vergünstigungen kategorisch abbauen, allerdings gegen
Entlastungen im Tarif und nicht als reine Zusatzbelastung.
({4})
Eine so hohe Mehrbelastung können viele Bürger gar
nicht verkraften.
Wir haben einige Beispiele rechnerisch dargelegt.
Diejenigen, die sich dafür interessieren, weise ich auf
meine Homepage hin: Hermann minus Otto minus
Solms.de.
({5})
Wenn man diese Beispiele nachvollzieht, kommt man zu
dem Ergebnis, dass der normale Arbeitnehmerhaushalt
in Deutschland durch die Maßnahmen dieser Regierung
pro Jahr in einem Bereich zwischen 1 000 und 2 000 Euro
mehr belastet ist; manche Haushalte sind noch höher betroffen. Das verfügbare Einkommen dieses Haushalts ist
also entsprechend geringer.
Das passt sehr gut zur gesamten Steuerpolitik dieser
Bundesregierung. Die Unternehmensteuerreform war
eine absolute Katastrophe, und das wird sich noch auswirken. Mittlerweile haben die Unternehmen nämlich
angefangen, zu rechnen. Mir liegen beispielsweise Rechnungen aus dem Handel vor, die zu dem Ergebnis kommen, dass die Einbeziehung der Mieten in die steuerliche
Bemessungsgrundlage bei der Gewerbesteuer dazu
führt, dass die Steuerbelastung von Handelsunternehmen, die in Mietobjekten ansässig sind, steigt - von
heute etwas über 40 Prozent auf nahezu 70 Prozent -,
und Sie haben ihnen Steuerentlastungen versprochen.
Wenn die Gewinne dieser Unternehmen sinken, dann
steigt die Steuerbelastung auf 80, 90 und sogar auf über
100 Prozent. Was ist denn das für eine Steuerpolitik?!
Herr Meister, aus Ihrem Land - aus unserem gemeinsamen Land -, aus Hessen, kommen die dämlichsten
Vorschläge: die Einführung der Zinsschranke, die Einbeziehung von Mieten und Pachten in die Gewerbesteuergrundlage, zur Funktionsverlagerung und zum Mantelkauf. All diese Vorschläge kommen von Herrn Koch und
Herrn Weimar. Das ist steuerpolitisch völlig widersinnig,
unsystematisch, kompliziert, und es macht den Standort
schwächer und nicht stärker.
({6})
Das wussten Sie genauso gut wie ich. Sie hätten das in
Ihrem Landesverband einmal sagen sollen, anstatt das
alles hier zu vertreten.
Erbschaftsteuer: bis heute keine Antwort. Seit zwei
Jahren diskutieren Sie darüber. Die Menschen sind total
verunsichert. Sie wissen nicht mehr, wie sie ihren Nachlass regeln sollen, weil Sie sich nicht einigen können.
Jahressteuergesetz. Ich erinnere nur an das, was darin
wieder geregelt ist: § 42 der Abgabenordnung soll so geändert werden, dass die Bürger einen Nachweis erbringen und sich ihre privaten Entscheidungen quasi vom
Finanzamt genehmigen lassen müssen. Wenn ein Paar
also im Dezember heiraten möchte, dann muss es zum
Finanzamt gehen und fragen, ob es das darf, weil es das
Ehegattensplitting für das Jahr der Eheschließung noch
in Anspruch nehmen könnte. Negativ betroffen sind natürlich noch viel mehr die Investitionsprozesse von Unternehmen.
({7})
- Doch, das steht darin. Sie haben es nicht gelesen. Das
kann ich mir gut vorstellen; schließlich liest man einen
solchen Unsinn nicht gern.
({8})
Letzte Bemerkung. Mit der zentralen Lohnsteuerkartei, die eingerichtet werden soll, schafft man den gläsernen Bürger, und zwar von der Wiege bis 20 Jahre nach
dem Tod. Öffentliche Stellen haben Zugriff auf diese
Kartei. Es gibt keine Kontrolle und keine Information
für den Bürger. Auch Private, wie Arbeitgeber, können
darauf Zugriff nehmen.
Herr Kollege!
All das zeigt, dass die verfassungsrechtlich geschützte
Privatheit von dieser Koalition ausgehöhlt wird. Das machen wir nicht mit.
({0})
- Es geht nicht um Steuerhinterziehung.
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
Ihnen geht es darum, den Bürger von der Wiege bis
zur Bahre zu kontrollieren und zu überwachen. Das ist
mit unserer Vorstellung von einem liberalen Rechtsstaat
nicht in Einklang zu bringen, und das lehnen wir grundsätzlich ab.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bundeshaushalt, den der Finanzminister heute eingebracht hat, und die mittelfristige Finanzplanung bis
2011 sind nicht nur der Marken-Kern der Großen Koalition, sondern sie bieten auch Anlass, eine Bilanz der vergangenen zwei Jahre - ich erinnere an die negativen Vorhersagen der FDP, die der Finanzminister heute zitiert
hat - zu ziehen. Sie sind vor allen Dingen ein Ausblick
auf das, was wir in den nächsten zwei Jahren in diesem
Land noch zu tun gedenken.
Carsten Schneider ({0})
Ich finde, dass der Haushalt 2008 insgesamt eine sehr
gute Vorlage ist. Ich möchte dem Finanzminister dazu
gratulieren, dass es ihm gelungen ist, gegen die widerstrebenden Einzelinteressen, die es im Kabinett natürlich
und berechtigterweise gibt, durchzusetzen, dass wir spätestens 2011 im Bundeshaushalt bei der Neuverschuldung eine Null stehen haben,
({1})
eine Null, was zusätzliche Kredite betrifft.
Den Zeitungen und manchen Reden hier zufolge
müssten wir im Geld schwimmen. Im Unterschied dazu
muss man das sehen, was real hereinkommt. Es ist richtig: Wir haben eine sehr gute Konjunktur, gestützt vor
allen Dingen auf die Reformen der Jahre 2002 bis 2005,
verstärkt durch die vergangenen zwei Jahre, insbesondere durch die Impulse, die wir gegeben haben, durch
das Vertrauen, das die Bevölkerung in die Bundesregierung gesetzt hat, und durch eine Finanzpolitik, die sich
nicht nur dadurch auszeichnet, Nein zu sagen. Das klassische Haushälter-Nein ist zu einem Gestaltungs-Ja geworden. Dieses Gestaltungs-Ja heißt, dass man nicht nur
spart und kürzt, so wie das von den Kollegen der FDP
gefordert wurde, sondern auch wichtige Zukunftsbereiche stärkt.
Ich glaube, dass dem Kabinett damit insgesamt ein
Entwurf gelungen ist, der sehr ausgewogen ist. Ich nenne
Bereiche wie Forschung und Entwicklung, aber auch Infrastruktur. Ich denke an unsere internationalen Verpflichtungen im Rahmen der ODA-Quote. Diese Ausgaben sind maßvoll und tragen zur Zukunftsfähigkeit
unseres Landes bei.
Wir planen im Jahr 2008 eine Nettokreditaufnahme
von 12,9 Milliarden Euro. Unser Ziel als Haushälter ist es
- der Kollege Kampeter hat schon darauf hingewiesen -,
diese möglichst noch zu senken; denn jeder Euro Kredit,
den wir in einem Jahr mehr aufnehmen, heißt mehr Zinsen im nächsten Jahr und weniger Spielraum. Wir wollen
aber wieder Spielraum zurückgewinnen. Spielraum
wurde uns ja auch genommen, nämlich durch Entscheidungen der vergangenen 30 Jahre, die von allen Fraktionen hier - da sind wir nicht schuldlos - mitgetragen wurden.
Es ist richtig, dass wir mit der Finanzplanung und mit
dem Kurs, den der Finanzminister vorgegeben hat, aus
der Schuldenfalle herauskommen. „Raus aus der Schuldenfalle“ heißt nicht, dass wir dann, wenn wir einen ausgeglichenen Bundeshaushalt erreicht haben, stehenbleiben können. Wenn ich an das Grundsatzpapier von
Wirtschaftsminister Glos denke, sehe ich da einen Dissens; den muss man klar benennen. Mein Ziel und das
Ziel der SPD ist es, dass wir dazu kommen, Schulden zu
tilgen, nachdem wir in guten Zeiten den Ausgleich erreicht haben werden, das heißt 2011, hoffentlich schon
früher, mit den Mitteln, die wir einnehmen, auch auskommen. Jede Verschuldung von heute ist die Steuererhöhung von morgen.
Ich möchte an dieser Stelle den Präsidenten des Bundesrechnungshofs zitieren, der heute in der Frankfurter
Rundschau ein sehr bedenkenswertes Interview gegeben
hat, was die Frage von Steuersenkungen angeht; Kollege
Kampeter hat das schon angesprochen. Das ist ein bisschen irreal. Wir sind im Jahr 2008. Wir nehmen noch
neue Schulden auf. Ich habe den Eindruck, dass sich die
Union schon auf die Wahlauseinandersetzung vorbereitet. Das ist noch zwei Jahre hin, Kolleginnen und Kollegen. Wir haben noch tüchtig zu tun.
({2})
Im Interview heißt es:
Immer lauter wird der Ruf nach Steuersenkungen.
Selbst die Bundesbank spricht sich dafür aus. Sie
auch?
Ganz offen:
Nein. Wir haben keine Luft, jetzt schon wieder die
Steuern zu senken. Sollten wir wirklich irgendwann
einen Bundeshaushalt mit Überschüssen bekommen, müssten wir doch endlich damit anfangen, unsere Schulden zurückzuzahlen.
- Jeder Normalbürger würde dies auch tun.
Warum ist es besser, das Defizit statt die Steuern zu
senken?
Erstens muss der Bund seine drückende Zinslast
mindern. Zweitens … muss Schluss sein mit der
Haltung: Wir machen den Gürtel weiter, aber bezahlen muss es die künftige Generation.
Die Verschuldensregel hat im Laufe der Debatte heute
schon eine Rolle gespielt. Ich stimme mit den Kriterien,
die der Bundesfinanzminister hier genannt hat, eins zu
eins überein. Ich bin mir auch sicher, dass wir zu einem
guten Ergebnis kommen, das es uns künftig ermöglicht,
auch in schlechten Zeiten noch politisch tätig zu sein und
in guten Zeiten mit dem Geld nicht nur auszukommen,
sondern letztlich auch von der bedrückenden Schuldenund Zinslast herunterzukommen.
Hier nur ganz kurz die Zahlen: Wir haben im Jahr
2007 Ausgaben für Zinsen in Höhe von knapp
40 Milliarden Euro und am Ende des Zeitraums der
Finanzplanung in Höhe von fast 46 Milliarden Euro.
Was könnte man mit diesem Geld alles anfangen, und
wo könnte man nicht überall zusätzliche Investitionen
vornehmen? Ich denke an den Ausbau der Kinderbetreuung oder die Erhöhung des BAföG-Satzes, was für uns
als SPD-Fraktion ein wichtiger Punkt ist. Von daher
finde ich, springt man zu kurz, wenn man, wie Herr Glos
es vorgeschlagen hat, dabei stehen bleiben würde, statt
in guten Zeiten Vorsorge zu treffen.
Diese widersprüchliche Auffassung wird auch noch
an einem anderen Punkt deutlich: Herr Kampeter und
Herr Meister haben die Frage der Höhe des Arbeitslosenversicherungsbeitrages angesprochen und eine Senkung von 3,5 Prozent anheimgestellt.
({3})
Carsten Schneider ({4})
- „Auf“ 3,5 Prozent, ich korrigiere mich. - Nun sind wir
in einer sehr guten konjunkturellen Situation. Der Überschuss bei der Bundesagentur hat maßgeblich auch mit
den Reformen bei der Arbeitsverwaltung zu tun. Ich
finde, gerade in guten Zeiten müssen wir Vorsorge für
schlechte Zeiten treffen. So haben wir in den vergangenen zehn Jahren etwa 40 Milliarden Euro aus Steuermitteln an die Bundesagentur für Arbeit überwiesen. Wenn
wir den Beitragssatz jetzt senken, müssten wir ihn in
schlechten Zeiten sofort wieder erhöhen. Ist es nicht
sinnvoller, logischer, plausibler und auch gerechter, in
guten Zeiten Vorsorge für kommende schlechte Zeiten
zu treffen?
({5})
Ich bin der Auffassung, das sollten wir tun.
Im Übrigen muss die Bundesagentur ja auch ihre Arbeit machen können. Das ist wichtig gerade für strukturschwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit. So bin
ich froh, dass im nächsten Jahr für aktive Arbeitsmarktpolitik 6,4 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Diese
sollten wir auch möglichst gezielt zum Nutzen der Menschen einsetzen.
Ich möchte zum Abschluss noch auf ein Missverhältnis zu sprechen kommen, das in diesen Tagen immer
wieder unter dem Stichwort „gesamtstaatlicher Haushaltsausgleich“ debattiert wird. Ja, wir werden spätestens 2008 einen gesamtstaatlichen Haushaltsausgleich
haben. Das heißt, alle staatlichen Ebenen und die Sozialversicherungen zusammengenommen werden genauso
viel einnehmen wie sie ausgeben. Hier gibt es aber Unterschiede: Der Bund zum Beispiel wird noch weiterhin
ein Defizit haben. Das ist manchmal schwer zu erklären,
ist aber Folge der Verhandlungen im Bundesrat in den
vergangenen Jahren und Jahrzehnten, die im Hinblick
auf die Aufgaben immer zulasten des Bundes ausgingen.
So kommt es zustande, dass die Kommunen insbesondere aufgrund der Stärkung der Gewerbesteuer, die wir
im Rahmen der Unternehmensteuerreform vorgenommen haben - das ist in Richtung der Linken gesagt -, einen Überschuss aufweisen und somit die Möglichkeit
haben, vor Ort Sozial- und Wirtschaftspolitik zu betreiben, und ebenso auch die Länder in diesem Jahr einen
Überschuss erzielen, wahrscheinlich in Höhe von etwa
7 Milliarden Euro, während der Bund ein Defizit aufweist.
Ich will einmal fragen - heute ist kein Vertreter des
Bundesrates anwesend; sie scheinen alles bekommen zu
haben -, ob im Zusammenhang mit den Deckungsquoten
jede staatliche Ebene auch den Ausgleich auf der Einnahmeseite bekommt, der ihr für ihre Ausgaben zusteht.
Denn es steht uns als Bund ein Mehrwertsteuerpunkt in
Höhe von 7 bis 8 Milliarden Euro zu. Auch möchte ich
den Bundesfinanzminister nachhaltig in seiner Auffassung unterstützen, dass weitere Zusagen in Richtung der
Länder oder der Kommunen seitens des Bundes nicht
möglich sind, da wir insgesamt die schlechteste Finanzierungsstruktur und das höchste Defizit haben. Wer
hätte denn gedacht, dass ein Land wie Berlin, das vor
nicht allzu langer Zeit wegen Haushaltsnotlage gegen
den Bund geklagt hat, aber vom Bundesverfassungsgericht nicht Recht bekommen hat, plant, im Jahre 2009
ohne neue Schulden auszukommen? Dies alles sollte uns
nachdenklich stimmen.
Wir als Haushälter werden uns bemühen, diesen guten Entwurf der Regierung noch ein bisschen besser zu
machen, auch die Intentionen des Parlaments einzubringen
({6})
und möglichst das Defizit des Bundes zu senken. Ich
denke, wir sind dabei auf einem guten Weg.
({7})
Dr. Dietmar Bartsch spricht jetzt für die Linke.
Gerade jetzt geht die Bundeskanzlerin, wo jemand
aus ihrem Bundesland spricht.
({0})
- Ja, wahrscheinlich hat sie Angst; das wird es sein.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Koalitionsvertrag steht so schön: „Deutschland
braucht einen Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und
Investieren.“ Frau Merkel betont das immer wieder, und
auch Herr Steinbrück hat das heute in seiner Rede angesprochen. Das klingt sehr schön und ist auch richtig.
Aber das Stück, das Sie den Menschen seit 2005 vorspielen, ist nicht so harmonisch. Es ist für viele Menschen in diesem Land schlecht.
Zunächst zwei Klarstellungen zu Ihrer Rede. Die
erste: Nicht Sie, Herr Bundesfinanzminister, nicht die
Bundesregierung, sondern die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner, die HartzIV-Empfänger und diejenigen, die kein Hartz IV bekommen, obwohl sie arbeitslos sind, sowie der Mittelstand,
das sind diejenigen, die zu den besseren Ergebnissen des
Bundeshaushalts beigetragen haben.
({1})
Die zweite Klarstellung bezieht sich auf Ihre Reformen. Ich will nur auf eine in Kürze eingehen, die Gesundheitsreform, über die Sie gar nicht mehr reden. Ich
finde, allein das sagt sehr viel. Die Gesundheitsreform
macht Kranke und Pflegebedürftige nicht schneller gesund; aber sie führt dazu, dass die medizinische Versorgung für die Menschen teurer und die Zweiklassenmedizin weiter verfestigt wird. Die Finanzierung ist unklar,
und die Krankenkassenbeiträge sind gestiegen. Das ist
das einzige Ergebnis dieser Reform.
Warum ist die Haushaltslage besser? Wir alle wissen,
dass die Steuergesetze der Bundesregierung das Kernstück sind. Ich will auf das zurückkommen, was auch
von der FDP schon erwähnt worden ist: Die Mehrwertsteuererhöhung entzieht den Konsumenten 20 Milliarden Euro. Wissen Sie, was Voodoo-Ökonomie ist, Herr
Steinbrück? Wenn die SPD vor der Wahl von 0 Prozent
Mehrwertsteuererhöhung spricht, die CDU von 2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung und das Ergebnis dann bei
3 Prozent liegt. Das ist Voodoo-Ökonomie, und nicht
das, was Sie den Linken vorwerfen.
({2})
Bei der Entfernungspauschale, die die Betroffenen im
Übrigen auch 2,5 Milliarden Euro kostet, ist es ähnlich.
Nicht Sie oder ich oder das Haus entscheiden, ob das
verfassungskonform ist; das wird das Verfassungsgericht
feststellen. Mir ist nur wichtig, dass Sie das haushalterisch berücksichtigen. Das wäre sinnvoll und notwendig.
Ich will noch auf zwei Punkte zu sprechen kommen.
Wer musste beim Sparerfreibetrag die Kosten in Höhe
von 750 Millionen Euro tragen? Diejenigen, die etwas
für ihre Altersvorsorge getan haben, denn die trifft diese
Reduzierung. Es geht also wieder gegen die sozial
Schwächeren. Das gilt auch für die Kindergeldzahlungen. Den Eltern werden in diesem Jahr 700 Millionen Euro genommen. Wenn das jemanden wie mich
trifft - zweimal im Übrigen -, dann ist das nicht so
schlimm. Aber viele Kinder von sozial Schwächeren
können deshalb nicht mehr studieren. Das ist das Problem Ihrer Politik.
({3})
Ich will ein weiteres Missverständnis, das man zur
Halbzeit der Legislaturperiode auch in der Öffentlichkeit
häufig hört, ausräumen. Die Große Koalition hat in den
Jahren 2006 und 2007 neue Schulden in Höhe von über
40 Milliarden Euro aufgenommen. Mit dem Haushalt
2008 wollen Sie weitere 12,9 Milliarden Euro Schulden
aufnehmen. Damit plant die Bundesregierung, die Zinszahlung von 37,5 Milliarden Euro auf 42,1 Milliarden Euro
zu schrauben. Wir leben zulasten unserer Kinder und
Enkel. Das ist keine Generationsgerechtigkeit. Da haben Sie ausnahmsweise recht. Das ist eine gigantische
Umverteilung von unten nach oben, weil die Banken davon profitieren.
({4})
Es ist ein Riesenfehler, dass Sie nur so geringe Investitionen planen. Jährliche Steigerungsraten von
300 Millionen Euro sind viel zu wenig. Da hat Herr
Kampeter ausnahmsweise recht. Wenn Sie die Investitionen bis 2011 sogar um 600 Millionen Euro senken wollen, dann ist das unverantwortlich. Die Linke fordert ein
Zukunftsprogramm für Jugend und Innovation. Wir fordern Investitionssteigerungen, um Arbeitsplätze zu
schaffen und weitere zu initiieren. Ihr politisches Credo
ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Arme trotz
Konjunktur ärmer werden, dass es die erschreckende
Kinderarmut gibt und dass die Reichen immer zahlreicher in diesem Land werden. Die Bundesregierung strebt
offensichtlich danach, beim Wachstum der Zahl der Superreichen Spitze zu sein. Das ist unsozial und unsolidarisch. Das muss nicht sein, es geht anders.
Es ist falsch, wenn Sie behaupten, in Deutschland sei
nicht mehr Geld für eine soziale Politik vorhanden.
({5})
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt.
2006 stieg die Zahl der Vermögensmillionäre in
Deutschland um über 4 Prozent auf 798 000. Zur gleichen Zeit stieg das Bruttoinlandsprodukt nur um
2,3 Prozent. Das ist Ausdruck Ihrer Politik: mehr Vermögensmillionäre, deren Zahl immer deutlicher steigt.
Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern viel schlimmer.
Sie sagen immer, wir würden keine Vorschläge machen. Aus Zeitgründen will ich nur einen einzigen machen, und zwar, weil der auch in der Diskussion ist, die
Erbschaftsteuer. Manche sagen, man müsse sie abschaffen. In den nächsten Jahren werden nach Berechnungen der Dresdner Bank in Deutschland 1,3 Billionen
Euro vererbt. Es ist die Pflicht der Politik, die haushaltsund verteilungspolitische Funktion der Erbschaftsteuer
für das Gemeinwesen zu nutzen.
({6})
Deswegen muss es darauf ankommen, hier Mehreinnahmen zu erzielen, bei hohen Freibeträgen und so, dass
keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Das ist völlig
richtig.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal die Erbschaftsteuer in den USA anzuschauen. Hätten wir eine vergleichbare Regelung, dann würden wir in den nächsten
Jahren 50 Milliarden Euro mehr in den Kassen haben.
Das wäre eine richtige Politik. Wir brauchen eine sozial
verantwortliche Reform der Erbschaftsteuer mit - dies
betone ich ausdrücklich - angemessenen Freibeträgen.
Herr Steinbrück, Sie sanieren zu wenig, Sie reformieren
zulasten der Mehrheit, und Sie investieren zu wenig. Das
bringt Ihr Haushalt zum Ausdruck.
({7})
Jetzt hat der Kollege Georg Fahrenschon das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Diese Woche ist dadurch gekennzeichnet, dass
wir den Bundeshaushalt 2008 einbringen. Das bedeutet,
dass in den kommenden Wochen jeder Einzelplan durchgearbeitet wird und dass wir noch einmal versuchen, den
Regierungsvorschlag in jedem einzelnen Punkt zu optimieren. Warum gehen wir guten Mutes daran? Wir tun
dies, weil wir nach zwei Jahren zur Halbzeit der laufenden Periode durchaus erfolgreich und zufrieden auf die
Zusammenarbeit der Großen Koalition zurückblicken
können.
({0})
Lieber Kollege Bartsch, ich will versuchen, dies in
vier Punkten unter der Überschrift „Was haben die Menschen im Land von der Politik der Großen Koalition?“
noch einmal darzustellen. Als Erstes ist hier die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahresschnitt zu
nennen. Im Jahresdurchschnitt 2005 lag dieser Wert bei
mageren 0,9 Prozent. Im Jahresdurchschnitt 2006 lag er
bei 2,8 Prozent. Im laufenden Jahr schaffen wir vielleicht sogar einen Wert mit einer 3 vor dem Komma. Die
Prognose ist weiterhin gut. Wir haben in diesem Land
weiterhin Wachstum. Das heißt, wir haben einen Zuwachs an Arbeitsplätzen und an Beschäftigung. Wir geben den Menschen in diesem Land eine Zukunft.
({1})
Zweitens nenne ich die Arbeitslosenzahlen. Im
Durchschnitt des Jahres 2005 gab es 4,86 Millionen
Menschen, die ohne Lohn und Brot und damit ohne
Perspektive waren und ohne Zukunft in unserem Land
gelebt haben. Wir haben diese Zahlen auf nur noch
3,7 Millionen - das ist der Wert für August - reduzieren
können. Die Prognose lautet, dass wir die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter senken. Wir geben den Menschen eine Perspektive. Wir geben den Menschen eine
Zukunft. Das ist eine weitere gute Nachricht.
({2})
Drittens nenne ich das Defizit. Im Jahr 2005 erfolgte
mit einem Defizit von über 3 Prozent der wiederholte
Bruch des Europäischen Stabilitätspaktes. Der genaue
Wert lag bei 3,2 Prozent. In diesem Jahr lautet die Prognose, dass dieser Wert bei 0,5 Prozent liegen wird. Gesamtstaatlich gesehen, könnten wir sogar schon in diesem Jahr einen Ausgleich schaffen. Das heißt, wir haben
in diesem Jahr ein Defizit abgebaut. Endlich halten wir
in Europa wieder Verträge ein. Wir kommen wieder unserer Vorbildfunktion nach. Das ist ein gutes Zeichen für
die Menschen. Die Prognose lautet auch hier, dass wir
auf dem besten Weg sind.
({3})
Viertens komme ich zur Nettokreditaufnahme.
Noch im Jahr 2005 waren wir in einer Situation, in der
wir gezwungen waren, neue Schulden in Höhe von
31,2 Milliarden Euro aufzunehmen. Die Große Koalition
hat diesen Bedarf an Haushaltsunterdeckung in den letzten zwei Jahren halbieren können. Diesen Weg gehen
wir weiter. Das erklärte Ziel der CDU/CSU-Fraktion ist
es, noch in dieser Periode ohne die Aufnahme von neuen
Schulden auszukommen. Dies erst 2011 zu erreichen, ist
uns zu spät. Wir wollen das früher erreichen. Das ist in
den nächsten Wochen das wesentliche Ziel unserer
Haushaltsarbeit.
({4})
Dafür haben wir gute Gründe, denn wir sind der festen Überzeugung, dass wir uns in der jetzigen guten
wirtschaftlichen Situation anstrengen müssen, um uns
auf schlechtere Zeiten, die wieder drohen, vorzubereiten.
Um dies zu erläutern, habe ich nach einem passenden
Bild gesucht. Wir alle sind aus dem Sommerurlaub zurück; die einen waren am Meer, die anderen waren in
den Bergen. Ich glaube, der Bergsport liefert ein gutes
Bild. Warum ist die Eigernordwand so eine große bergsportliche Herausforderung? Warum gibt es viele Menschen, die versuchen, diesen Berg zu bezwingen? Natürlich ist ein Grund das Gefühl, es geschafft zu haben, auf
dem Gipfel zu stehen, nach unten zu schauen und zu sagen: Ich habe eine Leistung vollbracht. Der wesentliche
Punkt aber ist die Vorbereitung. Was macht die Eigernordwand so schwierig? Was macht sie einerseits so
herausfordernd, andererseits aber auch so gefährlich? Es
sind nicht nur einzelne Kletterpassagen, sondern es ist
die Tatsache, dass man in der Eigernordwand mit plötzlichen Wetterumschwüngen rechnen muss. Außerdem
muss man sich mit der Länge der Route auseinandersetzen. Deshalb passt das Bild von der Besteigung der Eigernordwand, einer der interessantesten Berge, die wir in
Europa haben, auch zu den Arbeiten am Bundeshaushalt
2008.
Ja, die Entwicklung der öffentlichen Finanzen ist
positiv. Der Weg der Haushaltskonsolidierung einerseits
und die gezielte Wachstumsförderung andererseits haben
sich als richtige Instrumente erwiesen, das zu Beginn der
Legislaturperiode stagnierende Wirtschaftswachstum
wieder in Schwung zu bringen und vor allen Dingen auf
hohem Niveau zu stabilisieren. Das hat auch der aktuelle
Stresstest gezeigt, den wir gerade durchleben. Die Tatsache, dass die dramatische Krise am US-Subprime-Markt
uns in Deutschland zwar in Mitleidenschaft zieht, aber
es zu keinem Flächenbrand gekommen ist, zeigt, wie
stark der Finanzplatz Deutschland ist.
Von dieser Stelle aus gilt mein besonderer Dank nicht
nur dem Bundesfinanzminister, sondern insbesondere
auch dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, weil
er im Rahmen des Krisenmanagements an zentraler
Stelle dafür gesorgt hat, dass keine Bank zusammenbricht und dass der deutsche Finanzmarkt aus dieser
wirklich schwierigen Situation gut herausgekommen ist.
({5})
Diese positive Stimmung darf uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterhin erheblicher Konsolidierungsbedarf besteht. Denn auch im kommenden
Jahr besteht nach wie vor ein strukturelles Defizit in
Höhe von immerhin 23,5 Milliarden Euro. Deshalb ist es
gerade in konjunkturell guten Zeiten, also sozusagen bei
einer guten Wetterlage, von großer Wichtigkeit, die weiterhin bestehenden Haushaltsungleichgewichte rasch zu
beseitigen und, der Intention der europäischen Haushaltsregeln folgend, eine ausgeglichene Haushaltsposition zu erreichen und zu sichern.
Die Grundregel gilt: Nur eine Überschussposition bei
günstiger Konjunkturlage ermöglicht auch bei schlechtem Wirtschaftsklima, die nationalen und europäischen
Vorgaben einzuhalten. In diesem Sinne, Herr Bundesfinanzminister, sagen wir: Wir brauchen eine Regel, die
atmende Haushalte ermöglicht. Dazu gehört aber, dass
wir in guten Zeiten Überschüsse erwirtschaften, dass wir
in normalen Zeiten einen ausgeglichenen Haushalt haben und dass wir nur in speziellen Ausnahmefällen ins
Defizit gehen.
Ich komme zum Schluss.
Das wäre gut.
Solide Staatsfinanzen sind kein Selbstzweck. Sie sind
die unumgängliche Voraussetzung zur Wiedergewinnung der haushaltspolitischen Spielräume, die wir zur
Finanzierung von zentralen Zukunftsinvestitionen und
zur weiteren Rückführung der Steuerbelastung brauchen.
Nur mit Wachstum schaffen wir den Verschuldungsabbau. Wer glaubt, wir könnten uns die unendlich große
Summe von 1 500 Milliarden Euro an gesamtstaatlicher
Verschuldung aus den Haushalten schwitzen, der irrt.
Wir müssen auf Wachstum setzen, weil wir nur durch
Wachstumsimpulse in die Lage versetzt werden, die Verschuldung abzubauen.
({0})
Herr Kollege, das muss jetzt Ihr letzter Satz gewesen
sein.
Wir haben meines Erachtens schon schwierige Passagen hinter uns gebracht und den richtigen Weg eingeschlagen. Zum Ausruhen ist es jedoch zu früh. Wir müssen jetzt bei gutem Wetter Vorkehrungen gegen
kommende schwierige Passagen und auch gegen
schlechtes Wetter treffen. Denn es liegt noch ein langes
Stück Weg vor uns.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich gebe jetzt dem Kollegen Jörg-Otto Spiller für die
SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Fahrenschon, das Bild von der Eigernordwand ist etwas heikel. Mir würde es im Zusammenhang mit dem Schuldenberg reichen, wenn wir uns
in Richtung Brocken bewegen würden. Das wäre mir lieber; die Eigernordwand ist mir ein bisschen zu steil und
zu massiv.
Deutschland befindet sich in einem soliden wirtschaftlichen Aufschwung, wie wir ihn seit geraumer Zeit
nicht mehr gehabt haben. Das reale Wirtschaftswachstum betrug im vorigen Jahr rund 2,8 Prozent. In diesem
Jahr erwarten Bundesbank und die Wirtschaftsforschungsinstitute ähnlich wie für 2008 ein reales Wachstum in der Größenordnung von 2,5 Prozent.
Herr Kollege Dr. Solms, erfreulicherweise hat sich
auch bei den Komponenten des Wachstums, also bei der
Nachfrage, ein Wandel ergeben. Wir haben nicht mehr
ausschließlich eine starke Auslandsnachfrage. Hauptträger des Wachstums in diesem Jahr ist vielmehr die hocherfreuliche Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen der
deutschen Wirtschaft.
Alles spricht dafür, dass im zweiten Halbjahr 2007
und im Jahre 2008 die Belebung des privaten Verbrauches hinzukommt, sodass wir schon jetzt sagen können:
Wir haben eine solide Basis des Wachstums, die sich
nicht ausschließlich auf unsere erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und die starke Auslandsnachfrage stützt, sondern
breit gestreut ist. Die Basis ist solide. Das ist meiner Ansicht nach ein großer Vorteil.
Es besteht die Situation - das ist neu -, dass es bei einem Wachstum von gut 2 Prozent eine deutliche Belebung der Beschäftigung gibt. Wir haben heute rund
500 000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse als vor einem Jahr. Bei der Arbeitslosigkeit ist ein Rückgang von fast 700 000 im Vergleich
zum August 2006 zu verzeichnen. Das darf man nicht
beiseiteschieben. Ich behaupte ja nicht, dass es ausschließlich Verdienst der Politik gewesen ist, dass wir
diese Entwicklung erreicht haben. Viele haben dazu beigetragen; einige Kolleginnen und Kollegen haben es
vorhin schon angesprochen. Zur Wiedererlangung der
preislichen Wettbewerbsfähigkeit weltweit beispielsweise haben Arbeitnehmer und Unternehmen erheblich
beigetragen.
({0})
Zur Verbesserung der Situation hat aber auch beigetragen, dass wir in der vorigen Wahlperiode den Mut gehabt haben, Reformen am Arbeitsmarkt durchzusetzen,
die überhaupt nicht bequem waren und die uns viel Streit
und Auseinandersetzungen eingebracht haben, die sich
jetzt aber auszahlen und die greifen. Es ist eine Zunahme
der Beschäftigung zu verzeichnen. Bei einer erhöhten
Zahl von offenen Stellen ist es leichter geworden, einen
neuen Job zu bekommen. Besonders erfreulich finde ich:
Der Rückgang bei der Langzeitarbeitslosigkeit ist überproportional hoch. Dies hat zwei Gründe: Zum einen
dauert es nicht mehr sehr lange, bis jemand aus der Arbeitslosigkeit heraus eine neue Anstellung findet. Zum
anderen hat inzwischen - das ist aber noch steigerungsfähig - im Bereich des Arbeitslosengeldes II ein Rückgang von gut 11 Prozent stattgefunden.
Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Darauf
können wir, so finde ich, stolz sein. Das sage ich als Sozialdemokrat mit besonderem Bewusstsein; dazu haben
ja mehrere beigetragen. Es ist ein Erfolg der vorangegangenen Regierung, dass wir diese Entwicklung am Arbeitsmarkt haben.
Angesichts der Situation beim Wachstum und der Zunahme der Beschäftigung ist es kein Wunder, dass die
Steuerquellen relativ kräftig sprudeln. Es ist nicht in erster Linie der notwendigen Erhöhung der Mehrwertsteuer
und dem Abbau von Steuervergünstigungen an verschiedenen Stellen zu verdanken, dass es heute eine kräftigere
Zunahme der Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und
Gemeinden gibt. Dies ist vielmehr ein Spiegelbild der
besseren wirtschaftlichen Entwicklung. Ich schließe
mich dem an, was Kollege Fahrenschon gesagt hat:
Wirtschaftliches Wachstum ist eine Grundvoraussetzung
für die Haushaltskonsolidierung.
({1})
Ich drehe das allerdings auch um: Ohne solide Staatsfinanzen wird es schwierig werden, auf Dauer ein nachhaltiges Wachstum in Deutschland zu erreichen.
Zum Stichwort „Verschuldung“. Kollege Koppelin
hat so getan - er ist leider nicht mehr anwesend -, als sei
die FDP, die in Deutschland eine Weile mitregiert hat
- es war nicht viel mehr als drei Viertel der Zeit, seit es
diese Bundesrepublik gibt -, für die heutigen Schulden
im Bundeshaushalt nicht verantwortlich.
({2})
- Herr Kollege Dr. Solms, von den heutigen Schulden
des Bundes stammen 80 Prozent aus Zeiten, in denen die
FDP im Bund mitregiert hat.
({3})
Ich werfe Ihnen das gar nicht vor. Der Ehrlichkeit halber
sollte man aber nicht so tun, als hätte Herr Koppelin gar
nichts damit zu tun, bloß weil er erst 1990 in den Bundestag gewählt wurde. Das stimmt nicht.
({4})
Noch eine kleine Erwiderung bzw. Korrektur: Sie,
Herr Dr. Solms, haben gefragt, wann die Große Koalition endlich einen Entwurf zur Reform der Erbschaftsteuer vorlegt. Wir müssen ihn schon solide erarbeiten.
({5})
- Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Januar
dieses Jahres seine Entscheidung vorgelegt. Sie müssen
auch die Begründung lesen; es reicht nicht, nur die zwei
Leitsätze zu lesen. Man muss sich die Entscheidung
schon genau anschauen. Der Bund bzw. die Große Koalition und die Länder haben eine solide Vorarbeit geleistet. Daher werden wir eine vernünftige Regelung finden.
({6})
- Das haben wir schon vor geraumer Zeit getan. Wenn
Sie darauf hoffen, dass die Erbschaftsteuer abgeschafft
wird, muss ich Sie enttäuschen. Dazu wird es nicht kommen.
({7})
- Das ist schön. Dann haben wir ja Ihre Unterstützung.
Das freut mich.
Ich möchte das, was die Kollegen Schneider, Poß und
der Bundesfinanzminister gesagt haben, unterstreichen:
Wenn der Haushalt in einem Jahr ausgeglichen ist, haben
wir die Schulden trotzdem noch lange nicht abgebaut.
Es ist schon ein Problem, wenn man einen solchen
Brocken vor sich hertragen muss. Die Verpflichtung, jedes Jahr Zinsen zu zahlen, engt natürlich den Handlungsspielraum der künftigen Generationen ein. Gleichwohl sage ich: Wir müssen auch die für das Wachstum
entscheidenden Komponenten stärken; es ist richtig,
dass wir für Forschung und Entwicklung sowie für Bildung mehr Geld ausgeben als in der Vergangenheit. Es
ist notwendig, dass wir die Handlungsfähigkeit des Staates in den Bereichen innere und äußere Sicherheit gewährleisten; ich sage das bewusst am 11. September.
Dass wir es geschafft haben, hinsichtlich der Bereitstellung von Betreuungsplätzen für Kinder zwischen einem
und drei Jahren eine Verständigung zu erzielen
- 35 Prozent eines jeden Jahrgangs sollen einen solchen
Betreuungsplatz erhalten -, und dass ein Rechtsanspruch
auf einen Kindergartenplatz besteht, sind große Leistungen, die der Zukunftssicherung dienen.
({8})
Wenn ich mir den Einfluss der sozialdemokratischen
Sozialpolitik auf die Reformen in den Bereichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in der vergangenen
Wahlperiode und in diesem Jahr ansehe und wenn ich
die von der Koalition insgesamt getragene Entwicklung
hinsichtlich Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrachte, muss ich ganz freimütig sagen: Ich bin froh, dass
so viel sozialdemokratische Handschrift in der Politik
dieser Regierung zu erkennen ist.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Herr Kollege Dr. Solms, möglicherweise hängt die
Zukunft von den heutigen Friedensgesprächen zwischen
FDP und Union ab. Es könnte ja sein, dass Herr
Westerwelle der Kanzlerin morgen wieder vorwirft, sie
bzw. ihre Politik sei zu sozialdemokratisch. Wir können
damit leben. Unsere Handschrift lässt sich erkennen.
({0})
Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Als Erster hat das Wort der Kollege Bundesminister
Horst Seehofer für die Bundesregierung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
bei aufgehender Sonne zum Einzelplan 10 auch frohe
Botschaften. Nach dem Weggang unseres bisherigen
Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Paziorek, der ja
bekanntlich Regierungspräsident geworden ist, haben
wir jetzt bei uns im Hause, also im Agrar- und Verbraucherschutzministerium, eine neue Staatssekretärin: unsere Kollegin Ursula Heinen, der ich auch hier vor dem
Parlament noch einmal gratulieren möchte.
({0})
Ich bitte um gute Zusammenarbeit.
({1})
Der Einzelplan, den ich zu verantworten habe, steht
unter guten Vorzeichen. Wir haben jetzt knapp zur Halbzeit dieser Legislaturperiode alles, was diese Koalition
vereinbart hat, entweder längst erledigt, verabschiedet
oder es steht kurz vor der Verabschiedung.
Das gilt zum Beispiel - das freut mich am meisten dafür, dass der Haushaltsplan 2008 nach über zehn Jahren Kürzungen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zum ersten Mal wieder einen Aufwuchs der
Mittel für die Agrarstruktur vorsieht. Das bedeutet im
Grunde nichts anderes, als dass wir mit unserer politischen Aussage Ernst machen, nämlich dass wir die ländlichen Räume wieder stärker fördern und nicht nur gut
über die ländlichen Räume sprechen.
({2})
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Mittel werden in
diesem Bereich von 615 auf 660 Millionen Euro aufwachsen. Das ist eine Komplementärfinanzierung mit
den Bundesländern. Es ist nach Beginn der Kürzungen
in diesem Bereich unter der Regierung Helmut Kohl und
in Fortsetzung unter der Regierung Schröder zum ersten
Mal seit über zehn Jahren wieder so, dass die Mittel
nicht gekürzt werden oder stagnieren, sondern dass zusätzliches Geld verwandt wird.
Wir werden diese Mittel sehr stark in einem Bereich
konzentrieren - dort sind sie auch gebunden -, und zwar
auf die Breitbandversorgung, auf den Anschluss von
strukturschwachen Räumen an das Internet. Ich glaube,
es ist für die Entwicklung des ländlichen Raumes einer
der zentralen Punkte, dass wir ihn ans Internet anschließen.
({3})
Der andere Teil der Mittel wird verstärkt in der Energieversorgung eingesetzt werden. Wir diskutieren sehr
viel über CO2. Ich persönlich bin ein großer Anhänger
einer stärkeren dezentralen Energieversorgung in der
Bundesrepublik Deutschland. Diese Mittelverwendung
hätte zur Folge, dass wir nicht nur viel für den Klimaschutz tun und viele Zukunftsperspektiven für die Landwirte eröffnen, sondern dass wir auch dafür sorgen, die
Wertschöpfung im ländlichen Raum zu verbessern.
({4})
Das ist der erste große Punkt, der mich freut.
Der zweite Punkt, der mich freut, sind die nachwachsenden Rohstoffe. Das ist mittlerweile eine feste Größe
in der deutschen Agrarkultur. Wir bebauen etwa 13 Prozent der Ackerflächen mit nachwachsenden Rohstoffen.
Unsere Vorstellung ist, dass wir diesen Anteil verdoppeln. Auch hier haben wir einen Mehrfacheffekt, nämlich den Beitrag zum Umweltschutz, die Einkommensmöglichkeiten für die Bauern und wiederum eine
Stärkung des ländlichen Raumes.
Ich darf Sie unterrichten, dass wir vor wenigen Wochen gemeinsam mit dem Kollegen Tiefensee in Leipzig
den Startschuss für das Deutsche Biomasse-Forschungszentrum gegeben haben. Das war ein wichtiger Punkt in
unserer Koalitionsvereinbarung. Es hat etwas gedauert;
aber ich bin immer dafür, dass man so etwas erst dann
auf den Weg bringt, wenn Personal, Finanzierung und
Organisation nicht nur für den Augenblick des Pressetermins, sondern auch nachhaltig für die nächsten Jahre gewährleistet sind. Das ist mittlerweile ein großes Gemeinschaftswerk: Der Bund, der Freistaat Sachsen,
Thüringen, Sachsen-Anhalt, die Wirtschaft und die Wissenschaft engagieren sich hier. Es ist schön, dass das
Deutsche Biomasse-Forschungszentrum in Leipzig am
1. Januar des nächsten Jahres endgültig seinen Betrieb
aufnehmen wird.
({5})
Wenn ich gleichzeitig sehe, dass im Bundeshaushalt
2008 erneut 50 Millionen Euro für den Bereich „Nachwachsende Rohstoffe“ bereitgestellt werden, dann
glaube ich, ist das ein guter Beweis dafür, dass wir diesen Sektor ernst nehmen. Die Biomasse - das wissen
viele nicht - deckt mittlerweile rund 70 Prozent der regenerativen Energien in Deutschland ab. Man hat ja immer
nur die Windräder, die Sonnenkollektoren oder die Wasserkraft im Auge. Aber mittlerweile ist es die Biomasse,
die rund 70 Prozent des Bedarfs deckt.
Der dritte Punkt, der mir wichtig ist, ist die agrarsoziale
Sicherung. Ich bitte unseren Koalitionspartner um
Nachsicht, dass ich sage: Wir sind jetzt zum ersten Mal
seit sehr vielen Jahren in der Lage, die Höhe der Zuschüsse des Bundes zur agrarsozialen Sicherung beizubehalten. Wir müssen sie also nicht kürzen.
Das ist gegenüber den Bäuerinnen und Bauern gerechtfertigt. Sie haben nämlich einen sehr großen Strukturwandel erlebt, mit der Folge, dass es auf der einen
Seite viele Leistungsempfänger aus der Vergangenheit
gibt - die Fachleute nennen sie: die Altlasten - und dass
auf der anderen Seite die Zahl der Beitragszahler aufgrund des Produktivitätsfortschritts immer geringer geworden ist. Insofern ist es für die bäuerlichen Familien
sehr wichtig, dass der Bund seine Zusage einhält. Wir
lassen die Höhe der Zuschüsse unverändert; darauf können sich die Bauern verlassen.
Würden wir beispielsweise unseren Zuschuss zur Unfallversicherung streichen, würde das für die meisten bäuerlichen Familien bedeuten, dass ihre Beiträge zu dieser
Sozialversicherung um 50 Prozent erhöht werden müssten; das sind bei Jahresbeiträgen von 4 000 bis 5 000 Euro
keine zu vernachlässigenden Größen.
Ich bin froh, dass der Staat seine Verlässlichkeit an
dieser Stelle vorexerziert. Wir werden die Zuschüsse
aufrechterhalten. Wir sind uns in der Koalition einig,
dass auch die landwirtschaftliche Krankenversicherung
teilhaben soll, wenn die allgemeine Krankenversiche11408
rung höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt bekommt.
({6})
Eine Behauptung, die immer wieder aufgestellt wird,
möchte ich korrigieren: Es bleibt bei der beitragsfreien
Versicherung der Kinder in der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung; auch das ist pausenlos infrage gestellt worden.
({7})
Wir gehen jetzt eine Reform der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung an; sie ist bereits vom Kabinett beschlossen worden. Nach allem, was ich höre, wird diese
Reform im Parlament noch zu intensiven Diskussionen
führen, insbesondere was den Verwaltungsaufwand und
die Organisation der landwirtschaftlichen Unfallversicherung betrifft; auch dieses Thema haben wir auf den
Weg gebracht.
Drei Bereiche, die unmittelbar mit dem Haushalt bzw.
mit Finanzen zusammenhängen - die GAK, also die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“, die nachwachsenden Rohstoffe und die Verlässlichkeit in der agrarsozialen Sicherung -, wurden im vorliegenden Haushaltsentwurf für
das Jahr 2008 sehr gut gelöst.
Ich darf darauf hinweisen, dass wir außerdem eine
umfassende Reform der Ressortforschung auf den Weg
gebracht haben, mit dem Ziel, dass wir nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene Reputation erwerben, und zwar auf allen Feldern: von der
Pflanzenzucht bis hin zur Tiergesundheit.
Ich bin sehr froh, dass das in meinem Hause die Zustimmung des Personalrats gefunden hat, obwohl es mit
personellen Veränderungen, mit Personalabbau und
Ähnlichem verbunden ist. Bemerkenswert ist, dass mir
der Personalrat, die Personalvertretung der Beschäftigten, immer wieder gesagt hat: Uns sind die Nachhaltigkeit und die Verlässlichkeit, dass es in den nächsten Jahren in die richtige Richtung geht und wir unser Tun stolz
nach außen vertreten können, wichtiger als das Festhalten und Festklammern an einigen Planstellen. Ich halte
eine solche Einstellung eines Personalrats in unserer Zeit
für sehr bemerkenswert; denn gelegentlich wird das Gegenteil gesagt.
({8})
Den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Ressortforschung werden wir in den nächsten Wochen hier
im Parlament beraten, allerdings - das habe ich beiden
Koalitionsfraktionen zugesagt - mit einer Ausnahme,
mit der wir uns noch beschäftigen müssen; dieses Thema
lassen wir gerade vom Bundesrechnungshof überprüfen.
Es geht um die Frage, ob die Bundesforschungsanstalt
für Fischerei ihren Sitz in Hamburg oder Bremerhaven
haben wird. Bis auf diese eine Ausnahme ist mittlerweile
einvernehmlich mit den betroffenen Bundesländern über
alle anderen Institute und Einrichtungen entschieden
worden.
Ich bin froh, dass das Verbraucherinformationsgesetz
in der nächsten Woche im Bundesrat zur Abstimmung
steht. Das war eine sechsjährige Odyssee. Wäre sie früher beendet worden, hätte uns das in den aktuellen Problemfällen, was die öffentliche Nennung von Namen betrifft, sehr gedient. Dann hätte auch diese sechsjährige
Odyssee, zu der ich nur eineinhalb Jahre beitragen
konnte,
({9})
ein Ende. Ich glaube, dass ein ohnehin verfassungsgemäßes Gesetz jetzt noch verfassungskonformer geworden
ist, und hoffe, dass der Bundespräsident seine Unterschrift unter dieses Gesetz setzen wird.
({10})
Ich darf darauf hinweisen, meine Damen und Herren,
dass wir auch das ungeheuer sensible Thema Gentechnik
nach sehr langen Beratungen in der Koalition vor dem
Auftakt der parlamentarischen Beratungen zu einem vorläufigen Abschluss gebracht haben.
Ich glaube, wir können drei Dinge festhalten:
Erstens. Im Haftungsrecht bleibt es bei der verschuldensunabhängigen Haftung.
Zweitens. Wir haben in der Koalition vernünftige Regeln zum Abstand zwischen GVO-Anbau, Bioanbau und
konventionellem Anbau festgelegt; der Abstand beträgt
in dem einen Fall 150 Meter, in dem anderen Fall
300 Meter. Dadurch wird gewährleistet, dass die Koexistenz ihren Namen verdient. Koexistenz bedeutet nach
dem Brockhaus nämlich das „gute Nebeneinander von
zwei Dingen“; politisch könnte man auch sagen: das
friedliche Nebeneinander von zwei Dingen. Da wir Abstandsregelungen getroffen haben, durch die gewährleistet wird, dass es im Regelfall nicht zur Auskreuzung
kommt, glaube ich, dass wir hier im Sinne der Verlässlichkeit einen ganz gewaltigen Schritt vorangekommen
sind.
Ich sage ein Drittes: Wir wollen auch die Forschung
in Deutschland voranbringen. Wir wären gut beraten, die
sich in den Bereichen Entwicklung und Sicherheit stellenden Fragen durch Forschung in Deutschland zu beantworten, anstatt uns sozusagen künstlich unwissend zu
halten. Letzteres wäre nicht in Ordnung.
Da es meine Nachredner wahrscheinlich dazu verleiten wird, etwas zu Gammelfleisch und Vogelgrippe zu
sagen, noch wenige Sätze dazu.
Wir haben es bei der Vogelgrippe mit einer sehr ernsten Situation zu tun; dies verschweige ich nicht. Ich
wünsche mir mehr Aufmerksamkeit für diese H5N1Problematik, da sie für die Gesundheit der Menschen
von ungleich größerer Bedeutung - hier lasse ich niemanden in Zweifel - als manches ist, was sonst im Lebensmittelbereich diskutiert wird. Wir sind mit HochBundesminister Horst Seehofer
druck dabei, zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen.
Dieses gigantische Naturgeschehen hat mittlerweile
große Nutzgeflügelbereiche in Bayern erreicht. Vom
Impfstoff bis zur Ursachenforschung müssen wir alles
tun, um die Gefahr für die Lebensmittelkette zu bannen.
Ich erwähne dies nicht, weil wir hier etwa neue gesetzgeberische Maßnahmen brauchen, sondern weil ich den
Blick darauf lenken will, dass die Herausforderung
durch das H5N1-Virus um ein gewaltiges Stück größer
ist als das, was wir gelegentlich unter dem Stichwort
„Ekel-“ oder „Gammelfleisch“ diskutieren. Hier geht es
wirklich um eine potenzielle Gesundheitsgefährdung
auch von Menschen durch Nutztierhaltung.
Meine Damen und Herren, zum Thema Gammelfleisch werden wir in der nächsten Woche im Ausschuss
vorstellen, was wir von unseren 13 Punkten wie umgesetzt haben und was möglicherweise auf europäischer
Ebene noch zu leisten ist. Aber eines mache ich bereits
heute deutlich: Wir müssen mit der Übung aufräumen,
dass bei jedem Vorkommnis - es gibt nicht an jedem Tag
ein Vorkommnis; das ist eher selten - reflexartig nach
neuen Paragrafen gerufen wird. Denken Sie bitte daran,
dass jeder neue Paragraf die Anständigen in dieser Szene
bestraft.
({11})
Es ist übrigens in allen Bereichen des Strafrechts
selbstverständlich, dass man Rechtsumgehungen oft nur
mithilfe der Bevölkerung aufklärt. Daher habe ich großen Respekt vor dem Lkw-Fahrer, der trotz einer gewissen arbeitsrechtlichen Gefährdung für sich selbst die Zivilcourage aufgebracht hat, zu erklären, er mache da
nicht mehr mit.
({12})
- Ja, Herr Kollege, mein Staatssekretär ist beauftragt, zu
schauen, für welche öffentliche Auszeichnung wir den
Lkw-Fahrer vorschlagen können. Das hat er auch verdient.
({13})
Ein zweiter Grund, warum ich dagegen bin, dass man
in diesem Bereich schon wieder reflexartig nach Paragrafen und Richtlinien ruft, ist, dass es in diesem Fall
Hinweise der Nachbarschaft gegeben hat. Für solche
Fälle einer komplexen Gesetzesumgehung haben die
Bayern eine interdisziplinär besetzte Taskforce eingerichtet, die sich nicht darauf beschränkt, Fleisch optisch
zu begutachten oder Laboruntersuchungen auszulösen,
sondern die das tun kann, was hier notwendig gewesen
wäre. Wenn 100 Tonnen und mehr Fleisch innerhalb
Deutschlands verfrachtet werden, diese Verfrachtung
aber in den Büchern nicht festgehalten wird, dann bedarf
es einer sehr intelligenten, bei den Finanzämtern üblichen Durchforschung der Bücher. Wie kann es sein, dass
150 Tonnen, 180 Tonnen Fleisch verfrachtet werden,
aber der Eingang und möglicherweise auch das Geld für
dieses Fleisch in den Büchern nicht zu finden ist? Um so
etwas nachzuvollziehen, muss man sich einige Tage hinsetzen. Dafür haben die Bayern die interdisziplinäre
Gruppe. Nur, wenn die örtliche Behörde - das hat jetzt
nichts mit der Bayerischen Staatsregierung zu tun diese Taskforce nicht anfordert, weil man glaubt, man
könne das Feuer aus eigener Kraft löschen, obwohl man
Hilfe von außen braucht, dann hilft der schönste Paragraf nichts. Das ist in diesem Fall der zentrale Punkt.
({14})
Deshalb bin ich froh, dass die Sonne, die aufgegangen
ist, als ich an das Rednerpult getreten bin, bis zum Ende
meiner Rede geschienen hat.
Herzlichen Dank.
({15})
Hans-Michael Goldmann spricht jetzt für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer! Liebe Kollegen Parlamentarische
Staatssekretäre! Herzlichen Glückwunsch, Ulla Heinen!
Ich habe dir sogar einen Brief geschrieben, weil ich diesen Glückwunsch fristgerecht zum Ausdruck bringen
wollte. Denn wir werden sicherlich noch Diskussionen
haben, bei denen wir in der Sache unterschiedlicher Auffassung sind.
Herr Minister Seehofer, Sie haben eben zum Schluss
so flapsig zwei, drei Sätze zu Gammelfleisch und Vogelgrippe gesagt. Wissen Sie, das ist der Kardinalunterschied zwischen meiner Arbeitshaltung und Ihrer: Ich
beschäftige mich zunächst mit den wichtigen Dingen,
die die Menschen beschäftigen, mit den Dingen, die
Auswirkungen haben.
({0})
Der erneute Gammelfleischskandal - interessanterweise
wieder in Bayern - hat Auswirkungen auf die gesamte
Branche, hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in diesem Bereich. Das Problem der Vogelgrippe berührt eine
große Anzahl von Menschen. Wenn ein paar Hunderttausend Tiere getötet werden müssen, geht das an den Menschen Gott sei Dank nicht spurlos vorüber. Deswegen ist
es Ihre Kernaufgabe, sich in besonderer Weise diesen
Aufgabenfeldern zu widmen. Ich will Ihnen in diesem
Zusammenhang im Rahmen einer sogenannten Halbzeitbilanz einmal sagen, was bei Ihnen herumgekommen ist.
Denn das ist erschreckend wenig, es ist enttäuschend.
({1})
Nehmen wir das Beispiel Gammelfleisch. Sie waren
es doch, Herr Minister Seehofer, der das Aktionsprogramm
erfunden und die Sofortzusammenkunft organisiert hat, und
Sie sind es doch, der mit einem bescheidenen - um es vorsichtig zu formulieren - Verbraucherinformationsgesetz
keine Schranke eingeschoben hat, die uns hilft, den - wenigen - kriminellen Elementen in diesem Bereich zu begegnen. Herr Minister Seehofer, Sie hätten doch die Möglichkeit gehabt, das Fleisch einfärben zu lassen. Es ist doch
falsch, wenn Sie sagen, dass Sie das nicht hätten tun dürfen. Es ist schlicht falsch, wenn Sie erklären, dass es den
kriminellen Elementen nicht entgegengestanden hätte,
wenn Sie das Fleisch hätten einfärben lassen. Veterinäre
haben dieses Fleisch wieder freigegeben. Wenn es eingefärbt gewesen wäre, hätte man es nicht freigeben können, und es wäre eben nicht dort gelandet, wo es den
Menschen Schaden zufügt. Wenn Sie jetzt erklären: „Super, klasse, diese Taskforce vor Ort!“, dann sage ich Ihnen: Sie waren es doch, der die Bundestaskforce wollte.
Ich habe Ihnen gesagt, dass das dummes Zeug ist, weil
sich die Situation vor Ort durch Leute, die einreisen,
nicht kontrollieren lässt. Sie muss vor Ort im Auge behalten werden.
Beim Thema Gammelfleisch haben Sie also bis jetzt
versagt.
({2})
Ich kann Sie nur dringend bitten, deutliche Verbesserungen herbeizuführen.
Nehmen wir das nächste Thema, die Vogelgrippe. Ich
habe Sie gestern Abend auf Phoenix gesehen. Es ist
nicht so, wie Sie es darstellen: dass man sich gegen Impfungen sperren müsse. Wir müssen uns auf den Weg machen, zu impfen. Das hat man zur Bekämpfung der
Schweinepest gemacht, das muss man zur Bekämpfung
der Maul- und Klauenseuche machen, und das muss man
auch bei der Vogelgrippe machen. Es ist eben nicht mehr
so, dass das Virus irgendwann vorbeikommt; das Virus
ist permanent unter uns. Deswegen müssen wir die hochunternehmerischen Bereiche, aber auch die anders orientierten Bereiche - die Freilandhaltung zum Beispiel, die
Vogelzüchtung, die Hobbyhaltung, die Zootierhaltung durch Impfen schützen. Da müssen wir einmal über den
Tellerrand hinausschauen. Wir können doch nicht so tun,
als ob die Niederländer mit ihrem Impfen ein bisschen
blöd wären.
Die Niederländer gehen intelligente Wege. Diesen intelligenten Wegen müssen wir gemeinsam den Weg ebnen und dafür sorgen, dass dies auf europäischer Ebene
und international Anerkennung findet. Wir müssen verhindern, dass ein Land aus Eigeninteresse nicht geimpftes Material nicht mehr von uns abnehmen will - nicht
aus Angst davor, dass die Vogelgrippe eingeschleppt
wird, sondern um einen Marktvorteil missbräuchlich zu
nutzen. Dafür müssen Sie sich auf europäischer Ebene
einsetzen. Dann brauchen Sie auch nicht mehr die Mittel
für die Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung der ländlichen Räume einzusetzen. Der ländliche Raum kann
sich dann nämlich aus eigener Kraft stärken. Unser politischer Ansatz sollte darin bestehen, unternehmerischen
Landwirten Rückenwind zu geben und sie bei den anstehenden Herausforderungen zu unterstützen.
({3})
Ich will noch einen anderen Bereich ansprechen. Das
ist, um ganz ehrlich zu sein, eine Geschichte wie aus
dem Tollhaus. Dass Sie in einer Situation, in der ganz
Deutschland über die Milchquote diskutiert, kein Wort
zu Ihrer Position zur Milchquote sagen, ist ein Witz.
({4})
Wie soll denn ein deutscher Landwirt Vertrauen in Ihre
Arbeit und in die Rentabilität seiner Investitionen bekommen, wenn Sie zu diesem Komplex nicht klipp und
klar sagen, dass die Quote nichts gebracht hat und abgeschafft werden muss, damit unternehmerische Landwirte
den Segen der globalen Entwicklung in diesem Bereich
für sich in Anspruch nehmen können?
({5})
Wir haben es nicht mehr mit dem alten Problem der
Überproduktion von Milch und Butter zu tun. Heute gibt
es zu wenig Milch für gute Milchprodukte wie Butter.
Wenn wir in unserem alten Quotensystem verharren,
dann werden wir die Chance zur Weichenstellung für die
Stärkung des ländlichen Raumes verspielen. Ich kann
Sie aus meiner Sicht nur entschieden davor warnen, in
dieser Frage Ihren Weg der Zögerlichkeit weiterzugehen.
({6})
Ich verstehe das auch nicht richtig. Dass Sie CSUVorsitzender in Bayern werden wollen, ist zwar Ihr gutes
Recht, aber Sie können nicht Ihre fachliche Position an
dieser persönlichen Interessenlage ausrichten. Sie können von mir aus der Meinung sein, der beste CSU-Vorsitzende zu sein. Aber Sie können nicht auf dem Deutschen Bauerntag in Bamberg den Ausstieg aus der Quote
ankündigen und feststellen, dass Sie die Position des
Deutschen Bauernverbandes in Begleitung dieses Ausstiegs akzeptieren, um dann kurze Zeit später Ihre eigene
Position grundsätzlich infrage zu stellen und zu signalisieren, dass Sie noch nicht wissen, ob Sie am Ausstieg
aus der Quote festhalten wollen. Das führt zu dem, was
in der Landwirtschaft gegenwärtig festzustellen ist. Der
Landwirtschaft geht es trotz Ihrer Politik zurzeit sehr
gut, weil die globale Entwicklung hervorragend ist.
({7})
Ja, das ist so. Du kommst doch viel herum, Peter, und
weißt selber, wie die Landwirte über die Politik von
Herrn Seehofer denken. Das wissen wir alle. Wir brauchen uns doch nichts vorzumachen. Sie sind maßlos enttäuscht.
({8})
Das wird auch in den Fachkreisen transportiert.
Sie sind deshalb enttäuscht, weil in Deutschland nicht
konsequent die Weichen für gutes, praktisches Handeln
mit der Chance zur Teilhabe an der globalen Expansion
im Lebensmittelbereich im Hinblick auf Qualität und Sicherheit gestellt werden.
({9})
Diese Weichenstellung ist erforderlich. Die Weichen
werden aber nicht über den Haushalt, sondern über eine
gute, zukunftsorientierte Politik gestellt. Dabei sind Sie
aber aus meiner Sicht und aus der Sicht der FDP fast alles schuldig geblieben.
({10})
Jetzt spricht die Kollegin Waltraud Wolff für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich hatte schon den Eindruck, wir diskutieren
über den Agrarbericht. Aber soweit mir bekannt ist, beraten wir heute den Haushalt. Insofern danke ich Ihnen,
Herr Minister Seehofer, dass Sie den Haushalt kurz umrissen haben, und möchte nach der Rede von Herrn
Goldmann auch wieder auf den Haushalt zurückkommen.
Wir haben einen Aufwuchs von 108 Millionen Euro.
Das sichert - darauf hat Herr Minister auch hingewiesen auf jeden Fall die Beiträge für die landwirtschaftliche
Unfallversicherung. Damit bin ich schon beim ersten
Punkt im Haushalt angelangt. Wir haben darin etwas unterschiedliche Auffassungen. Das haben Sie auch schon
deutlich gemacht.
Wir haben - das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt - eine große Reform der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung vor uns. Das hatten wir uns in die
Hand versprochen. Was wurde uns in diesem Sommer
präsentiert? Wir haben eine Einigung bekommen, die
mithilfe der Bundesländer möglich war. Das heißt, wir
bekommen keine große, fortschrittliche Reform der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Wir hatten
schon in den vergangenen Legislaturperioden an dieser
Stelle zu kämpfen. Mein Appell geht nicht an das Ministerium. Die Verantwortung dafür, dass der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nach 2009 Beitragssatzsteigerungen ins Haus stehen, haben vielmehr die
Bundesländer. So geht es nicht weiter. Es kann nicht
sein, dass der Bund ständig die Mittel in voller Höhe bereitstellt. Schließlich haben die Bundesländer die Hoheit
über die Aufgabenverteilung. Aber sie tun nichts. Sie
wollen sogar noch einen Lastenausgleich bei der Beitragsgestaltung. Nicht mit diesem Parlament!
({0})
Ich glaube, dass die Bundesländer hier in Zukunft noch
etwas zu tun haben.
Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der
Ökolandbau. Biologische Produkte erleben einen riesengroßen Boom in Deutschland. Sicherlich hätten die
Bauern in den letzten Jahren hier viel stärker ins Feld
ziehen können. Wir importieren nun viele Biolebensmittel. Das finde ich sehr schade. Dennoch ist es nicht der
richtige Weg, hier die Mittel zu kürzen, sodass nur noch
10 Millionen Euro für den Ökolandbau vorgesehen sind.
Wir haben im parlamentarischen Verfahren bis zur zweiten und dritten Lesung des Haushalts die Möglichkeit,
Korrekturen vorzunehmen.
({1})
Ich hoffe, dass wir uns in den Fraktionen über einen zukunftsweisenden Weg im Ökolandbau verständigen.
Damit komme ich zum nächsten Punkt, zu den nachwachsenden Rohstoffen. Wir alle wissen, dass es eine
Konkurrenz zwischen Lebensmitteln und Tierfutter einerseits sowie nachwachsenden Rohstoffen für Biotreibstoffe und Biogasgewinnung andererseits gibt. Wir können dem entgegentreten, indem wir sagen: Orientiert
euch doch an Bio; wir helfen euch seitens des Bundes
zumindest auf gleichem Niveau weiter. Ich denke, das ist
eine Möglichkeit, noch eine Marke zu setzen.
({2})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist ein breitbandiger
Internetzugang. Das ist etwas ganz Neues. Die SPD hat
schon seit Jahren gesagt: Ländliche Entwicklung ist
mehr als Landwirtschaft. Genau aus diesem Grund bedanke ich mich sehr herzlich, Herr Seehofer, dass Sie
hier einen neuen Weg über die GAK gehen. Ich hoffe,
dass wir die Möglichkeit bekommen, Mittel aus dem
Strukturfonds und dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums zu akquirieren und so die weißen Flecken in
Deutschland beim Internetzugang zu beseitigen. Die jungen Leute, die auf der Zuschauertribüne sitzen und vielleicht irgendwo in der Pampa wohnen, - ({3})
- Okay, der Lacher ist auf Ihrer Seite. Aber nun habe ich
Ihre volle Aufmerksamkeit. Auch ich komme aus dem
ländlichen Raum. Ich revidiere mich.
Wenn man sich mit Studenten unterhält, stellt man
manchmal fest, dass viele in die nächstgrößere Stadt ziehen müssen, weil sie ohne Internetzugang keinen Arbeitsplatz zu Hause einrichten können. Das ist ein wichtiger Punkt.
({4})
Der letzte Punkt, den ich aus dem Haushaltsentwurf
aufgreifen will, ist der Klausurtagung des Kabinetts geschuldet. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat für die Regierung die Klimaschutzziele ziemlich hoch gehängt. Ich
glaube, dass wir der Landwirtschaft Antworten für die
Zukunft geben können. Ich erwähne das Biomasseforschungszentrum. Wir haben den Weg für Forschung und
Entwicklung frei gemacht. Ich glaube, dass es wichtig
und richtig ist, hier ganz entschieden vorzugehen und
auf der einen Seite Monokulturen in Deutschland zu verhindern - das ist eine Aufgabe -; auf der anderen Seite
müssen wir aber darauf achten, den Raubbau in den
ärmsten Ländern der Welt zu verhindern. Daher ist die
Zertifizierung ein wichtiger Punkt. Wir müssen im Zusammenhang mit der künftigen EEG-Novelle über alle
biologischen Restprodukte nachdenken, angefangen von
Waltraud Wolff ({5})
Rübenhackschnitzeln über Getreideschlempe bis hin zu
tierischen Fetten, und wir müssen sehen, was wir für die
Treibstoffgewinnung und die Energiegewinnung festlegen können.
Der Einzelplan 10 ist kein spektakulärer Haushaltstitel in diesem Jahr, aber wir können unsere Arbeit ganz
solide fortsetzen. Deshalb lade ich Sie ein, bei den Beratungen mitzumachen und in der zweiten und dritten Beratung unserem Haushaltsplan zuzustimmen.
Vielen Dank.
({6})
Der Kollege Roland Claus hat jetzt das Wort für die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bundesminister, ich finde es völlig in Ordnung, dass wir die Haushaltsberatungen für das
Jahr 2008 mit dem Etat für Landwirtschaft, Ernährung
und Verbraucherschutz beginnen, hat doch schließlich
schon Karl Marx festgestellt, dass sich der Mensch erst
ernähren und kleiden muss, ehe er sich mit Politik, Religion und Philosophie beschäftigen kann.
({0})
Nun erklärt uns der Minister, der Aufschwung sei
überall, auch auf dem Lande. Ich habe es täglich mit einer Uns-geht-es-gut-Berichterstattung zu tun. Wenn man
sich heute einmal die Mühe macht, eine Tageszeitung
von vor 18 Monaten zu lesen, dann hat man den Eindruck, man lebe in einer ganz anderen Republik. Die
Menschen im ländlichen Raum allerdings - ich werde
nicht über Einzelheiten reden; das werden auch Sie wissen - fragen sich: Wann kommt dieser Aufschwung zu
uns, wann gelingt es uns, den Abwanderungstrend zu
stoppen, wann kommt das, was die Regierung als Erfolg
und Fortschritt verkündet, tatsächlich bei mir an? Sie erleben es nicht in dem Maße.
({1})
Man muss nach wie vor ausdrücklich darauf hinweisen, dass Beschäftigte in der Landwirtschaft benachteiligt sind. Wir haben es mit einem durchschnittlichen Monatsverdienst von 1 550 Euro zu tun. Das ist gerade
einmal ein bisschen über dem, was meine Fraktion als
Mindestlohn fordert. Der Verdienst liegt durchschnittlich
1 000 Euro unter den Verdiensten im verarbeitenden Gewerbe. Deshalb sage ich Ihnen: Ein Aufschwung - auch
wenn sie ihn noch tausendmal predigen -, der bei den
Leuten auf dem Lande nicht ankommt, hat diesen Namen nicht verdient.
({2})
Ich will deshalb eines der, wie ich finde, Grundprobleme dieser Regierungspolitik benennen. Ich
glaube, dass bei Ihnen die Entwicklungslogik für die
Metropolen mit der Entwicklungslogik für die ländlichen Räume nicht zusammenpasst. In der Äußerung des
Ministers, dass man die ländlichen Räume jetzt wieder
stärker beachten wolle, empfinde ich ein gewisses Verständnis für meine Kritik. Aber, Herr Minister, ich will
auch so fair sein und Sie in Ihrem innerparteilichen
Wahlkampf nicht mit meiner Zustimmung belasten.
({3})
Das, womit wir es zu tun haben und womit wir fertig
werden müssen, sind ein Wettbewerbsdruck und ein
Preiskrieg bei Nahrungsgütern und Futtermitteln, die zu
einer Selbstausbeutung der Landwirte bei uns und zu erheblichen Naturzerstörungen in der sogenannten Dritten
Welt führen. Deshalb muss immer wieder deutlich gesagt werden: Eine Globalisierung ohne soziale und ökologische Verantwortung gefährdet die Welt. Wir brauchen eine soziale Gestaltung der Globalisierung.
Ein Beispiel: Biomasse als Energiequelle und nachwachsende Rohstoffe - 50 Millionen Euro Förderung;
volle Unterstützung - sind aus dem belächelten Nischendasein zu einem dynamischen Wirtschaftsfaktor geworden.
Wir sehen jetzt aber auch die Grenzen. Fast 20 Prozent der Ackerflächen werden bereits für die Erzeugung
dieser nachwachsenden Rohstoffe genutzt, bei einem
Anteil von 3 Prozent an der Gesamtenergieerzeugung.
Selbst wenn man jeden Quadratmeter Acker dafür
nutzte, käme man nur auf einen sehr überschaubaren
Prozentsatz des Gesamtaufkommens. Deshalb ist in der
Tat die einzige Stellschraube, die uns zur Verfügung
steht, die Effizienzsteigerung beim Einsatz von Biomasse.
Deshalb ist es völlig richtig, dieses Forschungszentrum zu installieren. Ich finde es gut, dass es zum
Standort Leipzig gefunden hat, nicht nur wegen der
schlichten geografischen Verortung und unserer Zuständigkeit für die neuen Bundesländer, sondern auch deshalb, weil inzwischen ein riesiges Erfahrungspotenzial
im Umgang mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen im Osten vorliegt, aber nicht abgerufen wird.
({4})
Wir sind der Meinung, dass, wenn man sich einmal
die Herausforderung und ihre Größenordnung anschaut,
diese 5 Millionen Euro zu wenig sind. Wir werden uns
weiterhin dafür einsetzen - das wird Sie nicht wundern -,
dass
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
- die Agrargenossenschaften auch im Osten nicht benachteiligt, sondern weiter gefördert werden.
Ich möchte, da nicht nur in meinem Wahlkreis die
fünfte Jahreszeit, also die Weinlese, angebrochen ist,
eine letzte Bitte an den Herrn Minister richten:
({0})
Lassen Sie uns gemeinsam noch einmal etwas dafür tun,
dass die europäische Weinmarktordnung nicht so wird,
wie es der Entwurf noch vorsieht.
Vielen Dank.
({1})
Jetzt spricht Cornelia Behm für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie
mir bitte, dass ich zuerst Frau Heinen ganz herzlich zu
ihrem neuen Amt gratuliere.
Jetzt komme ich aber zum Haushalt. Herr Minister,
Sie versuchen auch bei Ihrem dritten Agrarhaushalt,
durch Buchungstricks und Intransparenz von den Unzulänglichkeiten Ihrer Finanzpolitik abzulenken.
({0})
- Ich werde Ihnen dazu einiges erzählen. - Die vollmundig verkündete Aufstockung der Mittel für die Förderung des ländlichen Raumes um 45 Millionen Euro
entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein ungedeckter
Scheck. Denn der Haushaltsentwurf für das Jahr 2008
weist den gleichen Ausgabenposten aus wie der für das
laufende Jahr, nämlich 615 Millionen Euro. Er wird
lediglich durch die Bemerkung ergänzt, dass eine Erhöhung der Mittel um 45 Millionen Euro durch Vermögensverkäufe möglich ist. Versprechungen auf der
Grundlage ungedeckter Schecks sind jedoch keine Aufstockung.
({1})
Es ist auch kein Ausdruck von Ehrlichkeit, wenn Sie
sich mit dem Argument zu schmücken versuchen, dass
das die erste Aufstockung der GAK seit vielen Jahren
wäre.
Herr Minister, ich darf Sie daran erinnern, dass seit
Ihrer Regierungsübernahme für die zweite Säule jährlich 400 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen
als zu rot-grünen Zeiten. Damit entziehen Sie vielen
arbeitenden Menschen auf dem Lande ihre Lebensgrundlage. Herr Minister, mit einem Placebo ändern Sie
überhaupt nichts. Aber gleichzeitig binden Sie Mittel der
Gemeinschaftsaufgabe für neue Infrastrukturprogramme.
Das fasse ich nicht. Auch uns Grünen liegt die flächendeckende Anbindung der ländlichen Räume in Deutschland an das Breitbandnetz am Herzen.
({2})
Das betrifft im Übrigen auch die von Ihnen erwähnte
Energieversorgung, also die Versorgung durch Nahwärmenetze. Aber, Herr Minister, der ländliche Raum ist
eine Querschnittsaufgabe. Da frage ich mich schon, warum Sie nicht Ihren Kollegen Tiefensee in die Verantwortung nehmen und stattdessen das Geld aus der GAK
herausziehen.
({3})
Schon jetzt reichen die Mittel für das vorhandene Förderangebot nicht aus. Ich möchte nur kurz die stark gesunkenen Förderprämien für den Ökolandbau erwähnen.
Dadurch haben unsere Landwirte wichtige Marktanteile
in Deutschland verloren. Das Ergebnis Ihrer Politik ist
Jahr für Jahr gleich: Die zweite Säule der Gemeinsamen
Agrarpolitik wird konsequent abgewickelt.
Ich komme zur Unfallversicherung der Landwirte.
Da wenden Sie das Prinzip an, das Sie auch schon bei
der GAK anwenden: Intransparenz und Verscherbelung
von Vermögen. Sie wollen die Hälfte des Ansatzes,
100 Millionen Euro, durch Veräußerungserlöse finanzieren. Wer die Sozialversicherungssysteme über den erhofften Verkauf von Vermögenswerten des Bundes
finanziert, handelt aber nicht seriös. Zumal Sie bis 2009
weitere 400 Millionen Euro für die Abfindung von
Kleinrenten brauchen. Es ist wohl nicht ganz zufällig,
dass Sie dieses Geld im Haushalt nicht ausweisen. Liebe
Kollegen, schauen Sie in den Haushalt einmal hinein!
Von Haushaltswahrheit und -klarheit halten Sie, Herr
Minister, offensichtlich gar nichts. Wenn Sie Ihr Haus
spätestens 2009 verlassen müssen, werden Sie sein Vermögen durchgebracht haben. Mit verantwortungsvoller
Politik hat das nichts zu tun.
({4})
Man sollte sich in diesem Zusammenhang einmal den
21. Subventionsbericht der Bundesregierung anschauen.
Die Bundesregierung verkündet stolz eine Senkung der
Subventionen im Agrarbereich von 1,3 Milliarden Euro
auf 0,9 Milliarden Euro zwischen 2005 und 2008. Das
hat den Deutschen Bauernverband sofort veranlasst, darauf hinzuweisen, dass die Landwirtschaft überproportional zum Subventionsabbau beiträgt. Doch schaut
man in die Haushaltsvermerke, dann stellt man fest, dass
die - vermeintlich gestrichenen - Subventionen für die
landwirtschaftliche Unfallversicherung nicht nur nicht
korrekt bilanziert werden, sondern auch in einer Fußnote
wieder auftauchen. Diese Verschleierungstaktik fruchtet.
Zumindest den Verfassern des Subventionsberichts ist
nicht aufgefallen, dass sie die Agrarsubventionen in
Wirklichkeit gar nicht verringern.
Kommen wir noch einmal zum ökologischen Landbau. Dieser scheint Ihnen außerhalb von Fototerminen
wirklich ein Dorn im Auge zu sein. Nach den Kürzungen
um 4 Millionen Euro im Bundesprogramm Ökologischer
Landbau im letzten Jahr setzen Sie nun noch eins drauf
und streichen weitere 6 Millionen Euro. Damit haben Sie
die Mittel dieses Haushaltstitels innerhalb von zwei Jahren halbiert. Sie strafen damit Ihre eigenen Ankündigungen, alle Landwirtschaftsbereiche gleich zu behandeln,
Lügen. Sie tun das Gegenteil dessen, was Sie angekündigt haben: Sie stellen weniger Geld für die Forschung
im boomenden Ökolandbau und mehr Geld für die von
der Bevölkerung abgelehnte Agrogentechnik zur Verfügung. Herr Minister, ich frage Sie: Ganz ehrlich, wessen
Interessen vertreten Sie eigentlich?
({5})
Georg Schirmbeck hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch ich war als Parlamentsabgeordneter schon
einmal Mitglied einer Oppositionsfraktion. Daher kann
ich mich in die Situation der Opposition ein bisschen
hineindenken. Es gehört zum demokratischen Kräftespiel: Für eine Opposition ist nichts schlimmer, als dass
der Regierung etwas gelingt. Wir haben einen Bundesminister, dem etwas gelingt.
({0})
Alles, was er anfasst, gelingt ihm.
({1})
Herr Goldmann, ich finde es toll, dass Sie in so einer
Situation als Liberaler sagen: Es gibt da immer noch einen Kriminellen, der mit Gammelfleisch handelt. Wenn
es doch noch solch einen Kriminellen gibt, will ein Liberaler dann jeden Tag ein neues Gesetz oder eine neue
Verordnung erlassen? Ein Liberaler vertraut doch erst
einmal den Menschen! Auch wenn man noch so spezielle Gesetze verabschiedet, wird man immer wieder
feststellen, dass es einige gibt, die ausbüxen und das machen, was sie eigentlich nicht machen sollen.
({2})
Herr Claus, ich wollte eigentlich einen ganz anderen
Schwerpunkt setzen; aber Sie haben mich dazu animiert,
auf etwas anderes einzugehen. Sie haben gesagt - ich
sage es mit meinen Worten -: Erst kommt das Fressen,
und dann kommen Ethik, Moral und Religion. Darauf
möchte ich Ihnen entgegnen: Da, wo ethisch, moralisch
und religiös alles am Boden liegt, hilft auch das beste
Fressen nicht mehr; da geht es in die Pampa, da geht es
den Berg runter.
({3})
Ich bringe Ihnen einmal ein Beispiel. Ich habe einen
Freund. Er heißt Albert Focke. Er ist Landrat in einem
Landkreis in Norddeutschland, im Landkreis Vechta. Da
sind die Kirchen voll. Da werden die meisten Kinder in
Deutschland geboren. Da boomt die Landwirtschaft. Da
boomt die Landtechnik. Da boomt alles, was wir bei diesem Einzelplan zu bereden haben. Ich sage Ihnen: Vielleicht hat das doch eine Verbindung, nämlich dass da, wo
ethisch-moralisch-religiös die Dinge voreinander sind,
auch gesellschaftlich alles voreinander ist. Ländlicher
Raum ist nicht Pampa, sondern eigentlich der Bereich,
wo neue Entwicklungen, neue Ideen entstehen, wo Zukunft gestaltet wird.
({4})
Lieber Michael Goldmann, ich war gestern beim Landesbauerntag. Ich kenne da viele Leute oder sogar die allermeisten. Da war beste Stimmung.
({5})
Es wird Geld verdient, unternehmerisch Geld verdient.
Das ist eine tolle Sache. Die einzelnen Aspekte müssen
wir unterstützen. Das heißt überhaupt nicht, dass überall
heile Welt ist. Natürlich haben die Ferkelzüchter Probleme.
({6})
Da muss man sich im Detail anschauen, was man an der
einen oder anderen Stelle tun kann. Es gibt in diesem
Bereich aber auch Unternehmer, die sagen: Tut uns einen Gefallen: Fangt nicht an, irgendetwas zu reglementieren! Der unternehmerische Landwirt will in Ruhe gelassen werden, will sich seine Märkte suchen können,
will etwas gestalten können.
({7})
Er will nicht jeden Tag irgendein neues Gesetz oder eine
neue Verordnung von uns.
({8})
Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Ernährungswirtschaft boomen. Wir waren mit einer Delegation des
Haushaltsausschusses in Kiew.
({9})
Wir haben uns auch in Russland angesehen, wie sich
Landwirtschaft dort entwickelt. Wir können feststellen,
dass die deutschen Berater, die wir über diesen Einzelplan finanzieren, da nicht nur gute Arbeit leisten, sondern sogar die beste Investitionsförderung betreiben, die
überhaupt denkbar ist. Sie sorgen dafür, dass deutsche
Landmaschinen, deutsche Forsttechnik, deutsches Saatgut, deutsche Pflanzen, deutsche Produktionsverfahren
und -anlagen sowie deutsche Tiere dort begehrt sind und
nach dorthin verkauft oder exportiert werden.
Voraussetzung dafür, dass diese Geschäfte weiter boomen, sich weiterentwickeln, ist, dass wir eine liberale
Handelspolitik betreiben.
({10})
Dazu gehört auch, dass wir uns einmal überlegen, ob die
Visapolitik,
({11})
die wir in diesem Zusammenhang betreiben, so ist, wie
sie für diese Unternehmen sein müsste. Wenn wir in
Kiew und in Moskau neun Wochen brauchen, damit ein
ukrainischer Unternehmer bei Claas in Harsewinkel einen Mähdrescher kaufen kann, dann ist irgendetwas
falsch. Wenn unsere Botschaft in der Ukraine Claas in
Harsewinkel quasi auf eine Liste setzt, sodass die keine
Handelsbeziehungen mehr pflegen können, dann ist etwas falsch. Das haben uns beide Botschafter dort vorgetragen. Das sind Handelshemmnisse, die vom Auswärtigen Amt verursacht werden. Wenn ich nach einem
Vierteljahr vom Auswärtigen Amt dazu noch keine zufriedenstellende Stellungnahme habe, dann ist das etwas,
was ich auch als Vertreter der Regierungskoalition hier
kritisieren muss.
({12})
Wir haben im Zusammenhang mit diesem Einzelplan
zu reden über Projekte wie „Ernährung und Bewegung“,
wirtschaftlichen Verbraucherschutz, Mittel für Küstenschutz und Schutz vor Binnenhochwasser, mittelfristige
Finanzplanung für die Fachagentur Nachwachsende
Rohstoffe, Breitbandversorgung im ländlichen Raum,
vor allen Dingen die Baumaßnahme des FriedrichLoeffler-Instituts auf der Insel Riems und die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Seien wir doch mal ehrlich! Man kann natürlich über alles polemisch reden.
({13})
Ich nehme aber einmal das Beispiel der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Wir alle wissen, dass wir
gerade bei diesem Punkt auch regionale Probleme haben, weil es regional sehr unterschiedliche Strukturen
gibt. Deshalb ist es schwierig, hier einen gerechten Ausgleich zu finden. Ich bin sicher, dass Ernst Bahr und ich,
unterstützt durch die Fachleute, nach ausgiebigen Diskussionen einen guten Weg finden werden. Wir werden
in der zweiten und dritten Beratung gute Vorschläge machen. Ich freue mich auf die Beratungen in den Fachausschüssen.
Herzlichen Dank.
({14})
Der Kollege Dr. Edmund Geisen spricht jetzt für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Würde ich meine Rede aus dem letzten Jahr hier halten niemand würde es merken. Immer noch stehen die gleichen ungelösten Probleme auf der Agenda: Gammelfleisch, Vogelgrippe, LUV, also landwirtschaftliche Unfallversicherung, Erntehelferregelung, Grüne Gentechnik
usw.
Aus dem frischen Reformwind, der mit Horst
Seehofer in die Agrarpolitik Einzug halten sollte, ist eine
echte Reformflaute geworden,
({0})
vielleicht auch deswegen, weil anscheinend hinter den
Kulissen die schwarz-roten Auseinandersetzungen zum
Teil orkanartige Ausmaße angenommen haben.
({1})
- Scherz beiseite. - Fakt ist, dass viele für die Landwirte
existenziellen Themen entweder nur halbherzig angegangen wurden oder es sogar zu Verschlechterungen
kommt, so bei der Gesundheitsreform, bei der Biodieselbesteuerung oder ganz aktuell bei den Plänen zur Erbschaftsteuer. Wirksame Reformen sehen anders aus,
meine Damen und Herren!
({2})
Nun zum Dauerbrenner „landwirtschaftliche Unfallversicherung“: Es ist meines Erachtens ein Trauerspiel, mit ansehen zu müssen, wie diese schwarz-rote
Koalition mit groß angekündigten Reformvorhaben umgeht.
({3})
Verehrter Herr Minister, Ihre Reformschwäche geht sowohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haushalts und damit zulasten aller Steuerzahler. Ihre Abfindungsaktion für Kleinrenten ist für mich reine
Geldverschwendung.
({4})
Sie stecken in den nächsten beiden Jahren 800 Millionen
Euro in ein längst nicht mehr finanzierbares System und
werden sich wundern, wenn wir 2010 erneut vor leeren
Kassen stehen werden. Die FDP setzt sich stattdessen
mit ihrem Vorschlag zur Kapitaldeckung
({5})
für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit
Steuermitteln ein.
({6})
Sehr verehrte Damen und Herren, wir stehen wieder
vor der Obst- und Weinernte. Wieder müssen wir feststellen: Die Eckpunkteregelung ist ein Flop.
({7})
Davon konnte ich mich bei der Kirschernte im Rheinland selbst überzeugen. Sie hilft nicht den Arbeitslosen,
nicht den Saisonarbeitskräften, nicht den Bauern. Nein,
sie verdirbt wieder die Ernte.
({8})
Die FDP-Fraktion fordert erneut: erstens weg mit der
Eckpunkteregelung, zweitens volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU und drittens bilaterale Vereinbarungen
mit Ländern wie Serbien, Weißrussland und der Ukraine.
({9})
Haushalterisch gesprochen: Geben Sie den Landwirten
endlich ihre unternehmerische Freiheit zurück, dann
brauchen Sie sich auch nicht ständig für Ihre Subventionspolitik zu rechtfertigen.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
noch davor warnen, vor lauter Klimawandelstrategien
die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland aufs
Spiel zu setzen.
({10})
Die FDP-Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass - bei
allen berechtigten Forderungen zum Klimaschutz - auch
in Zukunft die Erzeugung gesunder Nahrungsmittel zu
fairen Preisen möglich bleibt, faire Preise übrigens für
beide Seiten: für die Landwirte ebenso wie für die Verbraucher.
({11})
Sie müssen zum Ende kommen.
Mein letzter Satz: Die FDP hat im Bereich Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz viele konkrete
Lösungen vorgelegt. Auf Ihre Vorschläge, Herr Minister,
warten wir noch, hoffentlich nur bis Ende September!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Jetzt spricht Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Heinen, auch
von dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg in der
neuen Aufgabe sowie uns eine gute Zusammenarbeit.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Welt
jenseits von Gammelfleisch und Vogelgrippe. Ich
möchte gerade im Zusammenhang mit diesem Haushalt
die Aufmerksamkeit ein bisschen auf diese Welt lenken.
Die Herausforderungen an eine aktive und gestaltende
Verbraucherpolitik sind größer und wichtiger als je zuvor. Wir wissen, dass sich das Wirtschaftsleben auf globaler Ebene abspielt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen jetzt in vielen Bereichen zusätzlich
Eigenverantwortung übernehmen, etwa im Bereich der
Altersversorgung. Hierdurch ergeben sich neue Möglichkeiten und Chancen für die Verbraucherinnen und
Verbraucher, aber auch große Aufgabenfelder für die
Verbraucherpolitik.
Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat
Minister Seehofer am 15. März die Charta Verbrauchersouveränität in der digitalen Welt vorgelegt. Damit
hat er wichtige Standards für ein verbraucherfreundliches digitales Wirtschaftsleben benannt. Immer mehr
wird das Internet zum Handelsplatz: Waren werden ersteigert, Onlinebankgeschäfte getätigt. Deshalb ist das
Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der
Informationstechnologie ein besonders wichtiger Aspekt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen darauf vertrauen können, dass die vertraulichen Daten geschützt werden. Verbraucherschutz und Datenschutz sind
in der digitalen Welt inzwischen Zwillinge geworden.
Wir brauchen faire Nutzungsmöglichkeiten für digitale Medien. Insoweit stehen wir vor einer Anpassung
des Datenschutzes. Wir müssen die Verantwortlichkeiten von Diensteanbietern neu definieren und europaweite Vertragsstandards ermöglichen. Mit diesem Vorhaben hat die Bundesregierung insgesamt - denn hier sind
verschiedene Ministerien beteiligt - deutlich gemacht,
dass sie sich auf diesen Weg begeben will.
Es ist - das wurde schon deutlich - sehr zu begrüßen,
wenn im Haushalt 10 Millionen Euro eingestellt werden,
um die Versorgung ländlicher Regionen mit Breitbandanschlüssen voranzutreiben. Viele Unternehmen
sind auf diese Breitbandanschlüsse angewiesen. Es ist
nicht hinnehmbar, wenn Regionen in Deutschland abgekoppelt sind. Das stellt für die Wirtschaft eine Wachstumsbremse dar. Strukturförderung und ländliche Entwicklung werden mit dieser Position im Haushalt in die
richtige Richtung gedrängt.
({1})
Der Telekommunikationssektor ist ein weiterer für
uns ganz wichtiger Bereich. Erst Anfang dieses Monats
ist das neue Telekommunikationsgesetz in Kraft getreten, mit dem wir den Kundenschutz signifikant verbessert haben: Preisansageverpflichtung, Preistransparenz
usw. Dennoch macht uns die Branche weiterhin Sorgen.
Ich nenne nur drei Punkte: belästigende und verbotene
Telefonwerbeanrufe, das Problem ewiger Warteschleifen
bei Hotlines - der Minister hat es vor kurzem angesprochen - und Callcenter, die aggressive Verkaufsstrategien
verfolgen. Günter Wallraff hat in seinem neuesten Buch
die Praktiken und Arbeitsbedingungen der schwarzen
Schafe in dieser Branche deutlich beschrieben. Ihnen
muss das Handwerk gelegt werden.
Deshalb wird diese Bundesregierung entschieden gegen die sogenannten Cold Calls vorgehen. Eine Rufnummerunterdrückung darf es in Zukunft nicht mehr geben.
({2})
Wer gegen das bereits jetzt geltende Verbot im UWG
verstößt, muss mit Bußgeld belegt werden. Wir müssen
alle Verträge, die telefonisch geschlossen werden, ausnahmslos einem Widerrufsvorbehalt unterziehen. Darüber hinaus lassen sich weitere zivil- und vertragsrechtliche Möglichkeiten denken.
Aber auch die Wirtschaft muss stärker Verantwortung
übernehmen. Werbestrategien einzelner Unternehmen
müssen überdacht werden. Die Unternehmen müssen
sich zu bestimmten Standards verpflichten. Es muss Zertifizierungen für Callcenter geben. Wir dürfen die Wirtschaft hier nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Das Gleiche gilt für die Warteschleifenproblematik;
jeder kennt sie. Es ist unerträglich, wenn man, während
der Gebührenzähler tickt, 95 Knöpfe drücken und zehn
Minuten warten muss, bis man, wenn man Glück hat,
endlich ein menschliches Wesen auf der anderen Seite
am Apparat hat. Das kann auf Dauer so nicht funktionieren.
({3})
Verbraucherpolitik ist und bleibt Querschnittsaufgabe. Daher will ich nicht versäumen, der Bundesministerin Frau Zypries ausdrücklich dafür zu danken, dass sie
mit ihrem Entwurf einer Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens und dem geplanten Pfändungsschutzkonto eine Verbesserung für viele überschuldete
Menschen in unserem Land durchsetzen wird. Damit
wird es in Zukunft auch sehr viel einfacher werden, das
Recht auf ein Girokonto für jedermann gegenüber den
Banken durchzusetzen.
In der Energiepolitik sind wir mit einer Vielzahl von
gesetzlichen Initiativen und Maßnahmen auf einem guten Weg zu einem funktionierenden Wettbewerb. Energiewirtschaftsgesetz, Unbundling, Missbrauchsaufsicht
im GWB, Vorschriften zur Verbesserung im Bereich des
Anbieterwechsels, zur Anreizregulierung und zur Kraftwerks-Netzanschlussverordnung seien hier genannt.
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
Verbraucherpolitik ist bei dieser Bundesregierung in
guten Händen. Wir werden auch in Zukunft gemeinsam
daran arbeiten, sie voranzubringen.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt gebe ich Karin Binder für Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Unsere Debatte über den Haushalt des Verbraucherschutzministeriums wird auch in diesem Jahr von unerfreulichen Ereignissen überlagert. Mittlerweile liegen
Meldungen über mehr als 220 Tonnen Gammelfleisch
in Bayern, Berlin und Schleswig-Holstein vor. Widerlich! Hatten wir vor einem Jahr nicht die gleiche Situation? Auch damals war die Haushaltsdebatte von einem
Ekelfleischskandal geprägt. Herr Minister Seehofer hat
uns auch während der letzten Debatte erläutert, dass sein
Maßnahmenpaket bereits weitgehend realisiert sei.
Ich frage nun: Wenn das damalige 10-Punkte-Programm des Ministers doch schon weitgehend realisiert
war oder ist, wie kommt es dann, dass auch heute noch
Fleischabfälle in der Gastronomie landen? Im Interesse
der Verbraucherinnen und Verbraucher wird es Zeit, dass
Schlachtabfälle auch als solche gekennzeichnet und eingefärbt werden.
({0})
Nur so werden sie mit einiger Sicherheit nicht mehr in
den Verkehr gelangen.
Diese Forderung kommt auch aus der internationalen
Tagung der Lebensmittelkontrolleure, die zurzeit in Berlin tagt. Lebensmittelkontrollen müssen personell und
materiell besser ausgestattet werden. Schulungen
müssen für den aktuellen Kenntnisstand sorgen. Nur so
können wir die Lebensmittelsicherheit langfristig verbessern. Wir brauchen dafür aber bundeseinheitliche
Qualitätsstandards und endlich verbindliche, länderübergreifende Qualitätssicherungssysteme.
({1})
Dazu müssen die Verbraucherminister am kommenden
Donnerstag verpflichtet werden. Von Ihnen, Herr Minister Seehofer, erwarten wir, dass Sie Ihre verfassungsgemäßen Kompetenzen ausschöpfen und auf Umsetzung
drängen. Die hier oft beschworene Eigenkontrolle und
Selbstregulierung der Lebensmittelindustrie funktioniert
eben nur dürftig. Dies war in diesem Fall erneut sichtbar.
Nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, auch
die ehrlichen Firmen mit guten Produkten und hohen
Qualitätsansprüchen würden von einer verbesserten Lebensmittelkontrolle profitieren. Sie würden ebenso von
einem endlich umgesetzten Verbraucherinformationsgesetz profitieren. Die Behörden dürften dann bei Bekanntwerden solcher Probleme endlich öffentlich die
Betrüger nennen. Leider aber parkt die schwarz-rote
Bonsai-Version des VIG noch im Bundesrat. Für mich
stellt sich dabei die Frage: Hat das Ministerium deshalb
noch keine Mittel im Haushalt eingestellt, um das Gesetz
einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen?
Meine Damen und Herren, nur wer seine Rechte
kennt, der kann sie auch in Anspruch nehmen. Damit das
Gesetz seinen Zweck erfüllen kann, Markttransparenz
herzustellen und die Rechte von Verbraucherinnen und
Verbrauchern zu stärken, muss es kommuniziert werden.
Das ist die Aufgabe der Regierung, und dafür müssen
Mittel eingeplant werden.
({2})
Im vorliegenden Haushalt setzt das Ministerium verbraucherpolitisch fast ausschließlich auf Maßnahmen im
Ernährungsbereich. Verbraucherschutz in wirtschaftli11418
chen und finanziellen Belangen oder bei den ständig
neuen Kommunikationstechniken spielt damit so gut wie
keine Rolle. Angesichts der Unzahl geprellter Anlegerinnen und Kreditnehmer, betrogener Telekommunikationsnutzerinnen, zugemüllter Mail-Accounts und abgefischter Kontodaten ist das nicht nur unzeitgemäß,
sondern in jedem Fall ungenügend. Auch deshalb
möchte ich am Ende meiner Rede auf die Verbraucherberatung eingehen. Wir alle sind uns darin einig, wie
wichtig und unverzichtbar eine unabhängige Verbraucherberatung ist. Deshalb ist es dringend notwendig,
dass die bestehenden Strukturen finanziell abgesichert
werden. Das ist zwar nur bedingt über den Bund möglich, aber nicht einmal das, was möglich wäre, wird gemacht. Die Stiftung Warentest soll künftig zum Beispiel
mit einer halben Million Euro weniger auskommen, obwohl auch ihre Aufgaben eher wachsen. Den Verbraucherzentralen wiederum wurde noch vor Kurzem signalisiert, dass man sich um die Finanzierung ihrer Projekte
zum wirtschaftlichen Verbraucherschutz bemühen
würde. Davon ist im aktuellen Zahlenwerk aber nichts
zu finden. De facto fehlen hier 2,5 Millionen Euro. Das
heißt, Personal muss entlassen und Angebote müssen
eingestellt werden.
({3})
Wenn wir jetzt noch zwei Jahre warten müssen, bis
eine Studie zur Finanzierung der Verbraucherberatung
erstellt wird, dann sind die Strukturen der Verbraucherzentralen bis dahin zerbröselt. Viele Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter und wichtige Expertinnen und Experten
sind dann abgewandert.
({4})
Sehr geehrte Damen und Herren, dieser Haushalt
bleibt weit hinter den aktuellen Anforderungen eines gesundheitlichen, wirtschaftlichen und digitalen Verbraucherschutzes zurück. Mit diesem Haushalt stärken Sie
die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern
nicht.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Jetzt spricht Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Meine Damen und Herren! Die Haushaltberatungen
2008 finden zur Halbzeit der Legislaturperiode statt.
Nach zwei Jahren kann man Bilanz ziehen. Die Bilanz
nach zwei Jahren Seehofer sieht so aus: große Ankündigungen und kleine Taten. Die entscheidende Frage ist
nämlich: Was kommt für die Menschen dabei herum?
({0})
Ich fand interessant, was Minister Seehofer zum
Gammelfleischskandal gesagt hat. Das Einzige, was
ihm bei diesem Skandal einfiel - immerhin der dritte
während seiner Amtszeit -, war, dem mutigen Lkw-Fahrer herzlich zu danken.
({1})
Es war zwar gut, dass er ihm gedankt hat.
({2})
Aber ist es nicht ein Armutszeugnis, dass man auf mutige Lkw-Fahrer und mutige Mitarbeiter angewiesen ist,
weil die Kontrollen nicht funktionieren?
({3})
Mit der Frage, warum die Kontrollen nicht funktionieren, muss sich die Politik beschäftigen.
Herr Seehofer hat vor anderthalb Jahren selber gesagt: Wenn wir feststellen, dass es zu wenig Kontrolleure
gibt, müssen wir selbstverständlich aufstocken. - Vor einigen Monaten hat auf meine Frage, wie es denn jetzt
nun mit dem Personal sei, sein Ministerium zugeben
müssen, dass der Bundesregierung keine konkreten Informationen über die Aufstockung des Personals bei den
für die Durchführung der Lebensmittelüberwachung zuständigen Ländern vorliegen. Wer den Mund so voll
nimmt, muss damit rechnen, dass seine Taten an dem gemessen werden, was er vorher gesagt hat. Da sieht die
Bilanz sehr mager aus.
({4})
Nächster Punkt: Fahrgastrechte. Minister Seehofer
hat im Juli 2006 angekündigt, er wolle eine Verbesserung bei den Fahrgastrechten. Was lese ich jetzt? Die
Kollegin Zypries hat letzte Woche versprochen, ein Gesetz vorzulegen. Ankündigung, Ankündigung, Ankündigung. Das nützt den Menschen in diesem Land nichts.
Sie werden an Ihren Taten gemessen und nicht an Ihren
Worten.
({5})
Nächster Punkt: Bioprodukte. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher fragen immer mehr Bioprodukte nach.
Was passiert? Immer mehr Bioprodukte werden aus dem
Ausland eingeführt. Auch das ist eine schlechte Tendenz. Wer Bioprodukte kauft, will, dass diese Produkte
in der Nähe produziert werden und dass unsere Bauern
eine Chance haben, sie anzubauen. Auch das haben Sie
verschlafen. Das ist nicht in Ordnung.
({6})
Nächster Punkt: Tierseuchen. Wir haben in den letzten Wochen erlebt, dass über 350 000 Tiere getötet werden mussten - die größte Tötungsaktion in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist das Ergebnis eines
fehlenden Tierseuchenkonzeptes. Immer nur auf Tötungen zu setzen, ist nicht die Lösung. Schauen Sie auf die
Niederlande! Dieses Land hat die größte Erfahrung mit
Tierseuchen in der EU. Dort wird es anders gemacht;
denn dort wird geimpft. Es wäre angemessen, auch in
Deutschland freiwillige Impfungen durchzuführen.
({7})
Am Ende werden Sie, Herr Minister Seehofer, in der
Tat daran gemessen, wie Sie öffentlich dastehen. Sie
werden aber nicht an selbstgefälligen Reden und Schönrederei gemessen. Schauen wir einmal, wie die Öffentlichkeit mittlerweile über Sie urteilt. Sie, Herr Seehofer,
haben selber gesagt, es gebe zwei Sorten von Menschen:
Handwerker und Mundwerker.
({8})
Was haben Sie nicht alles verkündet! In der Monatszeitschrift Capital wurden Sie kürzlich als „Untätigkeitsminister“ bezeichnet. Untätigkeitsminister heißt in der Tat:
viel ankündigen und wenig tun.
Sie haben bewiesen, dass Sie mit dem Mund gut sind.
Dass Sie aber Ihr Handwerk beherrschen, müssen Sie
noch beweisen.
({9})
Es wäre für die Menschen gut, wenn es Ihnen gelingen
würde. Bis jetzt fällt Ihre Bilanz sehr mager aus. Das ist
schade; denn es ist nicht gut für die Bevölkerung in
Deutschland.
Danke schön.
({10})
Jetzt spricht der Kollege Peter Bleser für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Manchmal kommt man sich vor, als wenn man im
falschen Saal wäre. Frau Höhn, was Sie gerade vorgetragen haben, hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun.
({0})
Ich nenne das Thema Seuchen gleich beim Namen:
Keine Bundesregierung zuvor hat so viel in das
Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems investiert, wie diese es getan hat und noch zu tun vorhat.
({1})
Dort wird wissenschaftlich an der Lösung des in diesem
Zusammenhang bestehenden Problems gearbeitet. Wenn
es zurzeit keinen Markerimpfstoff gibt, dann kann man
einen solchen auch nicht herbeireden. Aber wir sind sehr
hoffnungsvoll, dass es demnächst gelingt, einen solchen
einsetzen zu können.
({2})
Es ist schon merkwürdig, Herr Goldmann: Haben
nicht auch Sie die Stimmung aufgenommen, die sich in
der Landwirtschaft und der Bevölkerung nicht nur in Bezug auf unser Fachthema, sondern insgesamt wegen der
guten Konjunkturentwicklung, der Arbeitsmarktzahlen
und der positiven Entwicklung des Haushaltes, über den
wir heute diskutieren, breitmacht? Haben Sie diese Stimmung nicht wahrgenommen?
({3})
Ich kann Ihnen nur sagen: Das Agrarkonjunkturbarometer, das seit einigen Jahren erhoben wird, ist mittlerweile bei der Punktzahl 32 angekommen. Frau Höhn, zu
Zeiten Ihrer Kollegin Künast lag es bei minus 18. Da haben sich in der Zwischenzeit Welten verändert.
({4})
Das zeigt am deutlichsten die Entwicklung, die in den
letzten zwei Jahren stattgefunden hat.
({5})
Es ist nun einmal so: Neue Ideen, Verlässlichkeit und
Kontinuität sind die Markenzeichen dieser Bundesregierung und unseres Ministers Seehofer. Das zeigt sich wieder bei der Vorlage dieses Haushaltes. Wir sind sehr
stolz darauf und sehr zufrieden, dass dies auch draußen
so gesehen wird.
Ich will die Schwerpunkte zusammenfassen: Wir haben die Haushaltsansätze für die Durchsetzung der Verbraucherrechte und des Verbraucherschutzes erhöht. Wir
haben zum Beispiel vorgesehen, dass die Verbraucherzentralen in den Ländern - dies sollte eigentlich in diesem Jahr auslaufen - auch im nächsten Jahr
2,5 Millionen Euro für projektbezogene Verbraucherberatung aufwenden dürfen.
({6})
Das ist ein echter Fortschritt. Das haben wir jetzt eingeplant. Herr Kollege Bahr, ich weiß, dass Sie dabei mitgeholfen haben.
Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ erstmals wieder aufgestockt; der Minister hat darauf
hingewiesen. In den nächsten drei Jahren dürfen bis zu
50 Millionen Euro für die Förderung von Breitbandanschlüssen in ländlichen Regionen, in unseren schönen
Dörfern, liebe Waltraud Wolff, aufgewendet werden.
Genau das wollen wir. Wir wollen die Chancengleichheit
zwischen städtischen und ländlichen Regionen sicherstellen. Das wird damit am ehesten erreicht. Dies führt
zu Investitionen im ländlichen Raum.
({7})
Ein weiterer Punkt - er ist genauso wichtig - ist die
Agrarsozialpolitik. Hier hat es in den letzten Jahren immer wieder Einschnitte und Belastungen gegeben. Das
ist, wenn der Haushalt so beschlossen wird, im dritten
Jahr in Folge nicht mehr der Fall. Wir haben auch hier
die Mittel aufgestockt; auch hier ist Planungssicherheit
geschaffen worden. Ich sage an dieser Stelle aber auch
- Frau Wolff, da bin ich mit Ihnen einig -: Dazu gehört
eine Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die über mehrere Jahre Bestand hat. Da müssen unsere Länder noch etwas nachlegen.
({8})
Ich stimme mit Ihnen völlig überein: Man kann es nicht
beim Status quo belassen. Das sehen wir genauso. Ich
bin erfreut, dass wir in der Koalition darüber Einigkeit
haben.
Manchmal sind kleine Zeichen viel wichtiger für die
Bewertung einer Lage als umfangreiche Statistiken. Für
mich ist ein solches Zeichen die Tatsache, dass die Zahl
der Auszubildenden in den 15 grünen Berufen - ich
meine die richtigen grünen Berufe, Frau Höhn - auf
42 000, also um 1,3 Prozent, gestiegen ist. Das ist eine
Trendwende. Das sind die wahren Zeichen der Hoffnung
und der Zuversicht, die wir in der Bevölkerung feststellen können.
({9})
Dazu gehört natürlich auch Verlässlichkeit. Ich will
deswegen noch etwas ansprechen, was in den letzten
Monaten in der öffentlichen Diskussion häufig eine
Rolle gespielt hat: die Milchquote. Wir bleiben bei der
Verlässlichkeit unserer Aussage: 2015 endet sie. Wir
wollen aber vorher wissen, wie das Ausstiegsszenario
aussieht, bevor wir das endgültige Go geben.
({10})
Das ist völlig in Ordnung. Das muss draußen auch so
vertreten werden.
Nun möchte ich noch etwas ansprechen, was mir auf
dem Herzen liegt. In den letzten Wochen hat ein großes
Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel - ich nenne
den Namen: Aldi - in für mich vorbildlicher Weise
agiert, indem es den Molkereien aus der Not geholfen
hat, als die Kosten für die weiße Ware Frischmilch,
Joghurt und ähnliche Produkte in Konkurrenz zu Magermilchpulver und Butter nicht mehr wettbewerbsfähig
waren.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. - Offen die Verbraucher zu
informieren, dass man die erhöhten Rohstoffkosten weitergeben muss, und dann auch nur diese weiterzugeben,
halte ich für vorbildlich. Damit ist eine Verbesserung der
Einkommenslage der milchproduzierenden Landwirtschaftsbetriebe erreicht worden. Auch das ist ein positives Zeichen. Die Politik der Bundesregierung wirkte unterstützend.
Da der Staatssekretär Gerd Müller hier sitzt, möchte
ich zum Abschluss sagen: Die Stabsstelle Exportförderung, für die er rackert, hat tolle Erfolge hervorgebracht.
Auch das dürfen wir uns auf die Fahne schreiben.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt spricht die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des
Bundeshaushaltes 2008 liegt uns vor. Da sich die Wirtschaft weiterhin gut entwickelt, wollen wir an den großen Zielen Konsolidierung und Wachstumsförderung
festhalten.
Wir wollen aber auch an dem Bemühen festhalten, die
Position der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken; denn eine gute wirtschaftliche Entwicklung und
aufgeklärte, mündige Konsumenten gehören zusammen,
vor allen Dingen, wenn diese Entwicklung nachhaltig
sein soll. Verbraucherpolitik ist schließlich - das wissen
wir alle - Wirtschaftspolitik von der Nachfrageseite.
Deshalb ist es wichtig, dass im Verbraucherministerium
auf der Ausgabenseite zukunftsorientierte Maßnahmen
und Programme gestärkt werden und gleichzeitig im
Verwaltungsbereich gespart wird.
Aufklärung und Information der Verbraucher sind ein
Schwerpunkt. Deshalb unterstütze ich den Ansatz, die
Mittel für entsprechende Projekte nicht zu kürzen. Ich
finde es richtig, dass Minister Seehofer an der Schlichtungsstelle Mobilität festhalten will, auch wenn Frau
Bundesministerin Zypries inzwischen erfreulicherweise
Eckpunkte für ein Gesetz zur Verbesserung der Fahrgastrechte von Bahnfahrerinnen und Bahnfahrern
vorgestellt hat. Solange die Einhaltung der Rechte von
Personen auf Flug-, Schiffs- und Busreisen nicht ausreichend gewährleistet ist, darf diese Projektförderung
nicht eingestellt werden. Es muss aber auch ein Weg gefunden werden, die Projektförderung in den 16 Verbraucherzentralen der Länder für wenigstens zwei Jahre fortzuführen. Wir wissen, dass es leider einige Bundesländer
gibt, die sich zunehmend aus der Verantwortung gestohlen haben.
Nicht nur das belastete Spielzeug aus China sollte
die Verantwortlichen in den Ländern aufhorchen lassen.
Eine warenkundliche Verbraucheraufklärung wird in
allen Bereichen zunehmend nachgefragt und tut not. Die
Länder sind, so denke ich, dazu verpflichtet. Gift im
Spielzeug unserer Jüngsten, bleibelastete Barbies aus
China, Wachsmalstifte mit einem Schwermetallgehalt,
der den zulässigen Höchstwert um das 17-Fache übersteigt, Spieltelefone, die Hörschäden verursachen - vor
all diesen gefährlichen Produkten müssen wir unsere
Kinder schützen und über sie müssen wir die Verbraucher entsprechend aufklären.
Auch Kinder und Jugendliche sind Verbraucher. Ein
beträchtlicher Teil des Taschengeldes wird in Handys,
Klingeltöne, Kleidung und Fast Food gesteckt. Kinder
und Jugendliche werden mit einer speziell auf sie ausgerichteten Werbung umworben. Die Wirtschaft hat sie
längst als Zielgruppe entdeckt. Es ist an der Zeit, dass
die Verbraucherpolitik das ebenfalls tut. Nicht nur unsere Sicherheits- und Gesundheitsstandards müssen sich
an den Kleinsten und Schwächsten unserer Gesellschaft
orientieren; auch die Verbraucheraufklärung muss stärker auf sie ausgerichtet werden, wenn sie zu kritischen,
selbstbestimmten Marktteilnehmern heranwachsen sollen.
Auch junge Verbraucherinnen und Verbraucher müssen besser über das Angebot auf dem Markt informiert
werden, zum Beispiel über die Zusammensetzung der
Produkte, über ihre Wirkung, aber auch über die Umstände, unter denen sie erzeugt werden, und zwar sowohl
über die sozialen als auch über die umwelt- und gesundheitsrelevanten Aspekte. Das gilt für beinahe alle Bereiche; denn Verbraucherpolitik - wir haben es schon
mehrfach gehört - ist ein Querschnittsthema. Das gilt für
Ernährung, für Warenkunde, für Verträge, für Finanzdienstleistungen sowie für den Umgang mit Medien und
Telekommunikation.
Ein zukunftsfähiges Angebot auf dem Markt setzt
eine nachhaltige Nachfrage voraus. Dafür müssen wir
die Verbraucher von morgen fit machen. Wir müssen sie
vor üblen Angeboten von heute schützen: vor Gift im
Spielzeug, vor Gammelfleisch im Döner, vor Blei in der
Kleidung, vor nicht zugelassenem Gentech-Reis und vor
Pestiziden im Obst. Neben verstärkten und effektiveren
Lebensmittel- und Produktkontrollen und harten Sanktionen bei Verstößen sind Aufklärung und Transparenz
die wichtigsten Instrumente gegen solche Skandale.
({0})
Wo die freien Kräfte des Marktes wirken, muss die
Seite der Nachfragenden durch Schutzrechte, durch Information und Aufklärung gestärkt werden. Wir sollten
dabei verstärkt und zielgruppengerecht auch unsere
jüngsten Verbraucher im Auge haben und dies bei der
Gestaltung des Haushaltes berücksichtigen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Zum Abschluss der Debatte zu diesem Einzelplan im Rahmen der Einbringung des Haushaltes möchte
ich noch ein paar Anmerkungen zu zwei Themen machen.
Erstes Thema: die sogenannte Grüne Gentechnik.
Ich glaube, man muss in der Mitte einer Legislaturperiode und im Anschluss an einen Sommer, in dem Sie
alle gehört haben, dass die Große Koalition eine Einigung über die Fortentwicklung des Gentechnikrechts erzielt hat, in der Tat ein paar Punkte dazu nennen. Es ist
relativ normal, dass eine Opposition im Deutschen Bundestag Kritik äußert, wenn die Regierungsfraktionen zu
einer Einigung gekommen sind. Manchmal kritisiert
man Details, manchmal sagt man - das ist fast schon
Usus -, dass die gesamte Regelung falsch sei. Aber hierbei sind wir auf eine übermäßig starke Kritik gestoßen.
Deswegen möchte ich einen kurzen Augenblick dabei
verweilen.
Die FDP kritisierte - ich fasse dies kurz zusammen -,
dies sei der Untergang der deutschen Forschungslandschaft
({0})
und Deutschland nutze seine Chancen auf den Äckern
nicht.
({1})
Den zweiten Punkt sollten Sie in der FDP unbedingt beibehalten, weil ich es immer gut finde, wenn die FDP gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bevölkerung
- in diesem Fall 80 Prozent - Politik betreibt; denn das
macht es dann leichter für die anderen Parteien.
Ich komme zur Forschungslandschaft zurück. Man
muss einfach die FDP-Pressemitteilung neben die Einschätzung der Forschungsinstitute legen. Dann sieht man
den Unterschied zwischen Parteiideologie und Realität
in diesem Land. Denn die Forschungsinstitute haben gesagt, dass es gut war. Sie haben seltsamerweise in der
letzten Woche feststellen müssen, dass es FDP-mitregierte Bundesländer waren, die manche der Erleichterungen für die Forschung im Agrarausschuss des Bundesrates ablehnen wollen. Da, wo wir Anzeigepflichten
gefordert haben, sollen Genehmigungspflichten gelten.
Das ist völlig unverständlich und passt nicht zu dem,
was Sie behauptet haben.
Die Kritik von Grünen und Linkspartei war in etwa
gleichlautend. Auch da wurde behauptet, dies sei die
völlige Öffnung gegenüber der Grünen Gentechnik, es
gebe keinerlei Koexistenz mehr, die Verbraucherinnen
und Verbraucher würden im Stich gelassen. Das waren
die Stichworte. Auch das sollte man neben die Kritik
von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden legen,
deren erste Zusammenfassung - ich beziehe mich hier
auf die des Kampagnenzusammenschlusses - lautete:
„Der angekündigte Durchmarsch der Gentechnik findet
nicht statt.“ Das war der erste und entscheidende Satz
auf der Webseite von Campact. Das ist auch richtig.
Denn - jetzt müssen meine Koalitionspartner die Ohren einmal kurz halb schließen ({2})
wir haben beim Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und bei der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen
und Verbraucher gegenüber der unter SPD und Grünen
erzielten Rechtslage noch etwas drauflegen können, insbesondere bei der Frage der Kennzeichnung. In Zukunft
ist auch bei tierischen Produkten zu erkennen, ob sie von
Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten Organismen gefüttert worden sind oder nicht.
({3})
Das ist ein deutlicher Fortschritt, der gerade von den
Verbraucher- und den Umweltschutzverbänden einstimmig unterstützt wird.
Wir haben im Bereich der Haftung für die gentechnikanwendende Landwirtschaft keine Veränderungen vorgenommen. Der einzige Punkt, der angesprochen wurde,
waren die sogenannten privatrechtlichen Vereinbarungen. Sie werden am Ende in einem sehr geringen Umfang angewandt werden und auch nichts anderes, als
man heute über Umgehungstatbestände schon tun
könnte, und zwar aus einem einfachen Grund: Jeder
Landwirt, der eine privatrechtliche Absprache trifft,
muss sofort vollständig kennzeichnen, weil er nicht alles
Vermeidbare in Bezug auf die Abstände getan hat.
Es ist sehr leicht, mit dieser Kritik umzugehen. Denn
diejenigen, die etwas von diesem Thema verstehen, die
Expertinnen und Experten, sagen: Alles, was ihr mit
eurem nationalem Recht zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und zur Erhaltung der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher tun konntet,
habt ihr getan.
({4})
Weil das, was man mit nationalem Recht machen
kann, Grenzen hat, wird die SPD nach der Verabschiedung des Haushalts weitere Vorschläge vorlegen, wie
das europäische Recht weiterentwickelt werden kann,
um das, womit wir auf nationaler Ebene begonnen haben, im Rahmen einer Veränderung des europäischen
Rechts fortzusetzen.
Der zweite Aspekt sind die gestiegenen Lebensmittelpreise; wenn Peter Bleser dieses Thema nicht angesprochen hätte, wäre es in dieser Debatte wahrscheinlich
gar nicht erwähnt worden. Das wäre schade gewesen,
weil diejenigen, die Landwirtschaftspolitik, Ernährungspolitik und Verbraucherschutz betreiben, hierzu Stellung
nehmen müssen; denn dieses Thema steht mindestens
einmal pro Woche auf der Tagesordnung.
Wir müssen - nicht nur mit Blick auf die Situation der
Landwirtinnen und Landwirte - sagen: Es war an der
Zeit, dass die Erzeugerpreise ein faires Niveau erreicht
haben, dass sie also etwas gestiegen sind.
({5})
Wenn man sich ansieht, wo die Erzeugerpreise gelegen
haben, muss man feststellen: Auf diesem Niveau waren
auf Dauer weder Qualität noch Lebensmittelsicherheit,
noch eine gesunde Entwicklung des ländlichen Raums
und der Kulturlandschaft möglich. Deswegen ist es gut,
dass die Einnahmen aus den Preissteigerungen - zumindest ein Teil von ihnen - bei den Landwirten in den verschiedenen Regionen Deutschlands angekommen sind.
Genau hinsehen muss man bei denjenigen, die so etwas zu nutzen versuchen, indem sie ihre Preise stärker
anheben, als es aufgrund der Veränderung der Rohstoffpreise und der Erzeugerpreise eigentlich notwendig
wäre. Um dem zu begegnen, gibt es im Kartellrecht und
an anderen Stellen geeignete Mittel. Insbesondere die
Verbraucherinnen und Verbraucher müssen darauf achten, dass sie nicht in diese Falle gehen und überhöhte
Preise zahlen. Vielmehr müssen sie den Wettbewerb nutzen, um die Preise auf ein angemessenes Niveau zu drücken. Damit würden sie auch dazu beitragen, dass die
Einnahmen bei den Landwirten ankommen.
Ich bitte diejenigen, die Landwirtschaftspolitik betreiben, eines nicht außer Acht zu lassen: Zu verzeichnen
sind gestiegene Erzeugerpreise, aufgrund des EU-Kompromisses nach wie vor ungekürzte Direktzahlungen und
deutliche Kürzungen der Mittel für die ländliche Entwicklung und die ökologische Landwirtschaft. Wer diese
drei Aspekte miteinander verbindet, der stellt fest: Das
schreit danach, dass über diesen Zusammenhang noch
einmal diskutiert wird, allerdings aus dem Blickwinkel
der deutschen Landwirtschaft, nicht aus europäischer
Perspektive über Deutschland.
Man darf nicht erst aufgrund des Drucks von außen
etwas ändern. Wir sollten nicht zulassen, dass man sagt:
Wir werden die Direktzahlungen - draußen werden sie
übrigens Subventionen genannt - in beliebiger, vorher
festgelegter Höhe beibehalten, obwohl sich die Einnahmesituation verbessert hat. - Wir müssen uns darüber
unterhalten, wann wir Korrekturen vornehmen wollen,
ob wirklich bis 2009 oder bis 2013, und wie wir es
schaffen können, mehr Mittel für die Entwicklung der
ländlichen Räume und insbesondere für eine Beschleunigung der Umstellung auf ökologischen Landbau bereitzustellen. Das ist eine gemeinsame Verantwortung.
Man muss dazusagen: Der geringe Zuwachs im
Jahr 2007 ist auf diejenigen zurückzuführen, die schon
im Jahr 2004 mit der Umstellung begonnen haben. Es
besteht schon seit mehreren Jahren die Situation, dass zu
wenig umgestellt wird. Das ist eine geteilte Verantwortung. Geteilte Verantwortung heißt, dass wir gemeinsam
die Aufgabe haben, diesen Prozess in den Ländern zu
beschleunigen, die dringend wieder Umstellungshilfen
zahlen müssen. Außerdem sollte der Bund das Förderprogramm in ungekürzter Höhe fortführen. Das verlanUlrich Kelber
gen die Märkte. Wir verspielen im Augenblick einen
Milliardenmarkt. Das darf nicht die Politik der Bundesrepublik Deutschland sein.
Vielen Dank.
({6})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Umweltschutzausgaben im Entwurf der Bundesregierung für den Bundeshaushalt 2008 betragen insgesamt
4,7 Milliarden Euro, davon allein fast 1 Milliarde Euro
im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - dies betrifft unsere Entwicklungszusammenarbeit mit vielen anderen Ländern im Bereich des Umweltschutzes -, über
300 Millionen Euro im Bereich des Bundesfinanzministeriums, vor allen Dingen für die Altlastensanierung in
der ehemaligen DDR, und über 700 Millionen Euro im
Forschungsministerium zum einen für umweltbezogene
Grundlagenforschung und zum anderen fast zur Hälfte
- über 330 Millionen Euro - für die Klimaforschung,
ein, wie ich finde, außerordentlich wichtiger Beitrag im
Rahmen der internationalen Klima- und Energiedebatte.
Da im Haushalt des Bundesumweltministeriums von
diesen 4,7 Milliarden Euro nur 845 Millionen Euro veranschlagt sind, darf man, wenn man sich die umweltpolitischen Leistungen des Bundeshaushalts anschauen will,
nicht nur begrenzt auf das BMU schauen, sondern muss
das BMZ, das BMWi, das Forschungsministerium, das
BMF und das Verkehrsministerium hinzunehmen.
Da es in den letzten Sitzungen immer wieder eine
Rolle gespielt hat - wenn ich mich richtig erinnere, insbesondere aus der FDP heraus -, mache ich darauf aufmerksam, dass im Haushalt des BMU zum ersten Mal
knapp 28 Millionen Euro für die Einrichtung von
Schacht Konrad ausgewiesen werden. Ich sage das nur,
damit Sie in diesem Punkt keine Zweifel mehr an unserem Willen hegen müssen, hier etwas zu tun.
({0})
Nun, da es rechtskräftig ist, gehen wir natürlich auch an
die Umsetzung heran.
Die 845 Millionen Euro im Haushalt des Bundesumweltministeriums sind ein bisschen untertrieben; denn
durch den Beschluss der Koalitionsfraktionen zur Auktionierung von Emissionszertifikaten gibt es eine Einnahmeberechtigung in der Größenordnung von 400 Millionen Euro, die dem Bundesumweltministerium für seine
Ausgaben zufließen. Insofern hat der Beschluss der Koalitionsfraktionen dazu beigetragen, dass im Jahre 2008
der Haushalt des Bundesumweltministeriums immerhin
um knapp 50 Prozent steigen wird. Das ist eine gewaltige Steigerungsrate. Sinnvollerweise sollten diese Mittel
dort eingesetzt werden, wo sie sozusagen abgeschöpft
werden, nämlich für den Bereich Klimaschutz. Sicherlich werden wir in den Ausschussberatungen noch einige
Arbeit leisten müssen, um präzise zu definieren, in welchen Bereichen das Parlament gemeinsam mit der Regierung Schwerpunkte bei den nationalen und internationalen Klimaschutzmaßnahmen setzen will.
Als Bundesregierung schlagen wir bislang vor, von
den 400 Millionen Euro, die an erwarteten Einnahmen
im Haushalt des BMU veranschlagt sind, 120 Millionen
Euro in den internationalen Klimaschutz zu geben.
Das ist, glaube ich, ein starkes Signal für die Debatte
über Adaptation, Anpassung an den Klimawandel. Ein
Signal dieser Größenordnung werden Sie weltweit in
keinem anderen Staat finden.
({1})
Jedenfalls wird dies auch von anderen Ländern so gesehen. Ein weiterer Vorschlag besagt, 180 Millionen Euro
vor allen Dingen für den Ausbau der erneuerbaren
Wärme zu verwenden. Bei der Formulierung eines Erneuerbare-Wärme-Gesetzes gibt es insbesondere vonseiten der CDU/CSU den Vorschlag, eine Mischung aus
Ordnungsrecht und Förderung aus Haushaltsmitteln zu
beschließen.
Weitere 100 Millionen Euro sollen nach Vorschlag
der Bundesregierung für den nationalen Klimaschutz
eingesetzt werden. Hier werden wir sicherlich ein Stück
Arbeit in den Ausschussberatungen vor uns haben; denn
es macht ja wenig Sinn, diese Summen zu veranschlagen, ohne sicher sein zu können, dass sie auch im selben
Haushaltsjahr verausgabt werden können. Von daher haben sowohl das Ministerium als auch die Politikerinnen
und Politiker im Umweltausschuss großes Interesse daran, die genannten Maßnahmen zu konkretisieren. Hier
geht es um eine neue Entwicklung, die wir bisher im
Haushalt noch nicht hatten.
Sie sollten wissen, dass der Bundesfinanzminister mit
dem Bundesumweltministerium die Verabredung getroffen hat, dass das BMF seinen Haushaltsvorschlag für
2009 so gestalten wird, dass die realen Nettoeinnahmen
der Auktionierung aus dem Jahre 2008 als Veranschlagung für den Haushalt 2009 aufgenommen werden. Da
wir derzeit sehr vorsichtig von einem Preis am CO2Markt von 15 Euro pro Tonne ausgegangen sind und
etwa 30 Prozent wegen geringerer Steuereinnahmen abgezogen haben, kommen wir netto auf die genannten
400 Millionen Euro im Haushaltsvoranschlag für 2008.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Betrag angesichts
der Preise am CO2-Markt überschritten werden wird, ist
relativ hoch. Diese Vereinbarung mit dem BMF bedeutet
für das BMU eine ausgesprochen gute Ausgangslage für
das Haushaltsjahr 2009. Wir werden sicherlich darüber
zu beraten haben, wie steigende Einnahmen der Auktionierung dann sinnvoll für den Klimaschutz eingesetzt
werden sollen. Ich sage hier offen: Das ist zwar derzeit
im Haushalt des BMU veranschlagt. Aber es macht ja
Sinn, Aufgaben, deren Umsetzung dringend notwendig
ist - beispielsweise im Bereich kleiner, mittelständischer
Unternehmen die Energieeffizienz zu fördern -, in
kooperativer Weise auch über andere Haushalte zu fördern. Das ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Wir
haben einen richtig großen neuen Posten im Haushalt,
bei dem wir miteinander Erfahrungen sammeln müssen.
Ich glaube, das ist eine gute Entwicklung.
({2})
Natürlich ist der Klimaschutz der Bereich im Haushalt des Umweltministeriums, der von der Debatte und
davon, dass die Große Koalition hier einen Schwerpunkt
gesetzt hat, am meisten profitiert. Im Jahre 2005 waren
für den Klimaschutz im Gesamthaushalt ganze 875 Millionen Euro vorgesehen. Jetzt sind es 2,6 Milliarden
Euro. Das bedeutet eine Steigerung der Klimaschutzausgaben um rund 200 Prozent. Ich glaube, auf diesen Beleg, dass Klimaschutz ein Schwerpunkt ihrer Politik ist,
kann die Große Koalition tatsächlich stolz sein.
({3})
Überhaupt ist es ganz interessant, zu sehen, wie sich
der Bereich des Umweltschutzes und insbesondere des
Klimaschutzes unter der Großen Koalition entwickelt
hat. Ich habe bereits gesagt: 875 Millionen Euro 2005 2,6 Milliarden Euro 2008, Tendenz steigend. 2005 waren es 45 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien, jetzt liegen wir bereits bei über 93 Millionen Euro. Wir sind
dabei, diese Mittel mehr als zu verdoppeln: Wir werden
die Mittel für das Marktanreizprogramm im Rahmen des
geplanten Erneuerbare-Wärme-Gesetzes durch den Einsatz der bei der Auktionierung erzielten Erlöse gegenüber 2006 um immerhin 150 Millionen Euro erhöhen.
Ich sage das deshalb, weil in einer vorangegangenen Debatte ein Oppositionskollege gesagt hat, wir würden die
Mittel für das Marktanreizprogramm kürzen. Im Haushalt für 2008 mag das so aussehen, weil für das Marktanreizprogramm 44 Millionen Euro weniger als 2007 veranschlagt sind. Da wir aber beabsichtigen, dies aus den
Mitteln für die nationalen Klimaschutzprogramme - dafür
gibt es 400 Millionen Euro - um 150 Millionen Euro aufzustocken, reden wir in Wahrheit über eine Erhöhung der
Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbare
Wärme um mehr als 100 Millionen Euro. Ich glaube,
auch das ist ein Beweis, dass Klimaschutzpolitik und erneuerbare Energien eindeutig zur Habenseite der Großen
Koalition gehören.
({4})
Hinter diesen Zahlen - Haushaltspolitik ist ja sozusagen in Zahlen gegossene Politik - steht natürlich ein
konkretes Programm zur Umsetzung der anspruchsvollen Klimaschutzziele. Wir haben hier nicht nur mit der
Regierungserklärung vom April deutlich gemacht, wo
die Messlatte hängt, sondern auch mit den Ergebnissen
des Energiegipfels. Die Bundesregierung will die internationalen Klimaschutzverhandlungen auf Bali Ende
des Jahres mit dem Ziel beginnen, dass die Industrienationen ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis zum
Jahre 2020 um 30 Prozent reduzieren. Wir wissen - auch
aus dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom
Oktober 2006 und aus der Enquete-Kommission von
Mitte der 90er-Jahre -, dass das für Deutschland bedeutet, dass wir unseren CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber
dem Jahr 1990 um 40 Prozent senken müssen. Das ist
die Position, die wir eingenommen haben - wohlwissend, dass es nicht einfach ist, 2007 die Punktlandung
für das Jahr 2020 zu beschreiben. Selbstverständlich
werden wir mindestens alle anderthalb bis zwei Jahre
immer wieder überprüfen müssen, wie weit wir mit der
Umsetzung gekommen sind.
Aber man kann, glaube ich, ohne übertriebenes Pathos sagen: Die Bundesregierung hat in Meseberg das
größte Klima- und Energiepaket in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland verabschiedet.
({5})
Wir haben dort vereinbart, wie wir die Kraft-WärmeKopplung ausbauen und in welcher Weise das EEG
beim Strom ausgebaut wird. Ich erinnere: Bislang hatten
wir das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien an
der Stromerzeugung bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen.
Jetzt sind wir sicher, dass wir uns auf 30 Prozent zubewegen.
Wir haben angekündigt, wie wir mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz umgehen wollen, nämlich
dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien am Wärmeverbrauch bis 2020 auf mindestens 14 Prozent erhöhen wollen.
({6})
- Es wäre gut, wenn Sie einmal vortragen würden, wie
Sie das, was Sie öffentlich fordern, finanzieren wollen.
Das wäre ein hilfreicher Beitrag der Linken zur Parlamentsdebatte. Bisher haben Sie sich das aber nicht getraut. Sie fordern uns zwar immer wieder auf, mehr zu
tun, aber vor Ort verlangen Sie dann mehr Verschmutzungsrechte für die Braunkohle. Das ist doch die Politik
der Linken zum Klimaschutz.
({7})
Des Weiteren wollen wir den Anteil der Biokraftstoffe auf immerhin 17 Prozent erhöhen. All das, was
wir in Meseberg beschlossen haben - die Umstellung der
Kfz-Steuer, die Verschärfung der energetischen Anforderungen in der Energieeinsparverordnung um 30 Prozent,
die Weiterentwicklung des Gebäudesanierungsprogramms
und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz - wird die
Regierung im Herbst dieses Jahres als Gesetzespaket ins
Kabinett einbringen.
Das heißt, die Regierungsbeschlüsse sollen in die entsprechenden Rechtsverordnungen und Gesetzgebungsverfahren im Parlament münden, und zwar bevor wir uns
zur internationalen Klimakonferenz nach Bali begeben.
Das ist von großer Bedeutung, weil wir dort zeigen wollen, dass wir nicht nur von anderen fordern, sich auf den
Weg zu machen, sondern dass wir auch bereit sind, das
bei uns umzusetzen, um zu zeigen, dass wirtschaftlicher
Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum, zusätzliche
Arbeitsplätze und Klimaschutz selbstverständlich miteinander vereinbar und in Wahrheit zwei Seiten einer
Medaille sind.
Ich glaube, dass man auf dieses Paket der Bundesregierung mit Blick auf das, was andere bislang auf den
Weg gebracht haben, sehr stolz sein kann. Wir wissen,
dass wir von den 40 Prozent bis 2020 mit dem Klimapaket „nur“ 35 bis 36 Prozent abbilden können. Die
übrigen 4 bis 5 Prozent werden wir in den Beratungen
der kommenden Jahre über die Fragen, welche Förderprogramme wir zusätzlich auf den Weg bringen können,
was im Gebäude- und Energiebereich weiter zu tun ist
und wie wir mit der dritten Handelsperiode im europäischen Emissionshandel vorankommen, angehen müssen.
Aber 90 Prozent unseres Ziels bilden wir mit dem Meseberger Klima- und Energiepaket ab. Es kommt jetzt darauf an, dieses Paket im Deutschen Bundestag zu beschließen. Die Finanzierung der 90 Prozent ist durch den
Haushaltsplanentwurf gesichert. Das belegt, dass wir
nicht nur darüber reden, was wir wollen, sondern auch
mit dem Haushaltsplanentwurf entsprechende Finanzierungsvorschläge vorlegen.
Sie werden feststellen - vielleicht kann das auch der
eine oder andere Beobachter des Gleneagles-Dialogs, einer Tagung mit den 20 größten CO2-Emittenten, bestätigen, die soeben in Berlin zu Ende gegangen ist -, dass
das international große Aufmerksamkeit verursacht hat.
Es gibt weltweit kein anderes Land, das seine klimapolitischen Vorstellungen - selbst wenn sie ähnlich ambitioniert sind wie die deutschen - in einen konkreten Instrumenten-, Methoden- und Maßnahmenkatalog umgesetzt
hat. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur im
Hinblick auf ihre Zielsetzungen weltweit führend, sondern auch hinsichtlich ihrer Bereitschaft, diese mit finanziellen Mitteln und konkreten Maßnahmen zu unterlegen.
({8})
Dafür, dass daran alle mitgewirkt haben, möchte ich
mich ausdrücklich bedanken. Das gilt insbesondere für
die Koalitionsfraktionen, ohne deren finanzielles
Backing auch in der Debatte um die Auktionierung wir
das nicht ermöglicht hätten. Ich richte den Dank aber
auch ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen im
Kabinett, die Klimaschutz nicht allein als Aufgabe des
Umweltministers begriffen haben, sodass wir mit dem
Kollegen Tiefensee, der Forschungsministerin und dem
Kollegen Glos zusammengearbeitet haben, der mit mir
um den richtigen Weg gerungen hat, weil er aus seiner
Sicht nicht nur für Effizienz im Klimaschutz sorgen will,
sondern auch - das ist völlig klar - für Effizienz in der
Frage der Kosten.
Ich schließe aber auch ausdrücklich den Finanzminister in den Dank ein, der an dieser Stelle ebenfalls gesehen hat, dass neben dem Konsolidierungskurs dieses
neue Politikfeld mit finanziellen Mitteln unterlegt werden muss. Es war, glaube ich, eine gute Gesamtleistung
des Kabinetts. Herzlichen Dank an alle Kolleginnen und
Kollegen dafür. Hoffentlich lästert der Staatssekretär
nicht über das, was ich eben gesagt habe. Wenn ich euch
schon lobe, dann sollt ihr euch auch darüber freuen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael
Kauch das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Glos gegen Gabriel, das war das Schauspiel, das uns die Regierung in der Sommerpause geboten hat. Dann kam der
Showdown in Meseberg, und der scheinbare Durchbruch
erfolgte. Ein integriertes Klimaschutz- und Energieprogramm wurde uns versprochen und aufgetischt.
Wenn man es sich aber genau anschaut, dann stellt man
fest, dass es sich leider um einen faulen Kompromiss
handelt.
({0})
Die Umweltverbände haben recht: Das Verfehlen der
Klimaziele ist durch zahlreiche Hintertüren vorprogrammiert. In der Welt mahnend vor den Gletschern in die
Kameras schauen, das ist das eine. Das andere ist, die
Versprechen, die man den Bürgern gegeben hat, zu halten. Ich habe meine Zweifel, ob das mit dem vorgelegten
Programm gelingen wird.
({1})
Noch etwas anderes ist kritikwürdig. Schwarz-Rot
setzt bei diesem Programm vor allem auf Dirigismus und
Subventionen und nicht auf marktwirtschaftliche Anreize. Minister Gabriel hat ein staatsorientiertes Programm vorgelegt. Das Ergebnis ist, dass der Klimaschutz unnötig teuer und bürokratisch gemacht wird.
({2})
An die Adresse der Union muss man die Frage stellen,
was denn eigentlich der Wirtschaftsminister in diesem
Prozess gemacht hat. Statt klare Gegenmodelle zu liefern, hat er schrittweise vor allem für neue Ausnahmeregelungen im Regierungsprogramm gesorgt in der Hoffnung, damit die Kosten zu senken. Das Ergebnis sind
mehr Bürokratie und mehr Willkür. So endet ein Wirtschaftsminister der Union, dem ein klares ordnungspolitisches Konzept für den Klimaschutz völlig fehlt.
({3})
Nehmen wir als Beispiel die erneuerbare Wärme.
Hausbesitzer werden zur Nutzung der erneuerbaren
Wärme verpflichtet, egal wie hoch die Kosten für das
einzelne Gebäude sind. Es ist aber ein Unterschied, ob
man eine Solaranlage in Flensburg oder in Freiburg betreibt; der Output ist unterschiedlich hoch. Das müsste
man berücksichtigen. Außerdem ist Ihr Programm an
dieser Stelle erneut bürokratisch; denn wenn man eine
Nutzungspflicht für jeden Standort in Deutschland festlegt, dann braucht man auch eine umfangreiche Kontrollbürokratie, letztlich in jedem Haushalt. Vielleicht
kann der GEZ-Kontrolleur hier eine Vorbildfunktion haben.
({4})
Gleichzeitig wird das Konzept durch zahlreiche Härtefall- und Ausweichklauseln zerlöchert. Beamte werden
einmal so oder einmal so entscheiden. Das ist ein Schlag
gegen die Rechtssicherheit. Damit erweisen Sie der
Markteinführung erneuerbarer Energien einen Bärendienst.
({5})
Dass die Bundesregierung selbst nicht an den Erfolg
ihres Konzeptes glaubt, zeigt die Tatsache - der Minister
hat es angekündigt -, dass erneut 350 Millionen Euro
mehr für Subventionen eingestellt werden sollen. Ich
erinnere daran, welches der Ausgangspunkt war, an das,
was wir alle gemeinsam beim Thema erneuerbare
Wärme erreichen wollten, nämlich ein Förderinstrument
zu schaffen, unabhängig vom Bundeshaushalt. Das Gegenteil wird mit diesem Bundeshaushalt erreicht.
({6})
Ein anderer Punkt. Die vom Umweltminister befürwortete Nebenkostenkürzung im Mietrecht ist in der Tat
ein gutes Programm für Anwälte und Prozesshanseln,
die gerne zu den Gerichten laufen. Es ist aber kein Programm, das der Verbesserung der Energieeffizienz dient.
Besser wäre es, Vermietern zu ermöglichen, Betriebskosteneinsparungen zu garantieren und im Gegenzug die
Investitionen bis zur Höhe der Einsparungen auf die
Miete umzulegen. Das nützte sowohl Vermietern als
auch Mietern und wahrte den Rechtsfrieden in Deutschland.
({7})
Interessant ist, was in Meseberg nicht beschlossen
wurde. Zum Beispiel wurde keine klare Linie festgelegt,
die deutlich macht, wie die Bundesregierung im EUMinisterrat verhandeln will, wenn es um die Weiterentwicklung des Emissionshandels in der EU nach 2012
geht. Die EU-Kommission hat angekündigt, dass sie
bald Vorschläge machen will. Die Bundesregierung
sollte eigentlich sagen, wie sie dazu steht. Wir als FDP
sagen ganz klar: Wir wollen eine Ausweitung des Emissionshandels auf die Bereiche Wärme und Verkehr, wir
wollen eine weitgehende Versteigerung der Emissionszertifikate, und vor allen Dingen wollen wir ein Ende der
Kleinstaaterei in diesem Politikfeld. Wir brauchen einheitliche Regelungen und einheitliche Allokationspläne
auf europäischer Ebene.
({8})
Andere ökologische Probleme blendet der Umweltminister aus. Die Frage der nuklearen Endlagerung wird
nur ansatzweise angegangen. Der Entwurf über Regelungen für die Feinstaubbelastung durch Holzheizungen
liegt seit Monaten auf Eis. Bei der geplanten Biodiversitätsstrategie fehlen nachprüfbare Indikatoren. Zu der
Lärmbelastung der Anwohner von Schienenstrecken
fällt Ihnen erneut nichts anderes als ein Subventionsprogramm ein. Sie lehnen lärmabhängige Trassenpreise ab.
Herr Gabriel, das sind die Stiefkinder des Umweltschutzes. Ich würde mich freuen, wenn wir auch hierzu
etwas hören würden; denn auch hierfür beantragen Sie
Geld im Bundeshaushalt 2008, das wir Ihnen genehmigen sollen.
Vielen Dank.
({9})
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin
Katherina Reiche das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit gestern beraten in Berlin die Energie- und Umweltminister aus den 20 wichtigsten Energieverbrauchsländern über Strategien für einen nachhaltigen Umbau ihrer
Energiesysteme. Im Mittelpunkt steht ganz klar die Verbesserung der Energieeffizienz. Es geht also darum, wie
wir zukünftig Wachstum haben können und trotzdem
weniger Energie verbrauchen. Bundeswirtschaftsminister Glos hat hierzu treffende Worte gefunden. Ich zitiere
ihn:
Klimaschutz, Energieversorgungssicherheit und
Wirtschaftlichkeit können gleichzeitig erreicht werden. Der Schlüssel dazu sind insbesondere effiziente Energietechnologien, mit denen wir den besten
Klimanutzen bei größtmöglicher Kosteneffizienz
erreichen.
Ich glaube, dass dieses Ministertreffen ein wichtiges
Signal aussendet und eine wichtige Vorarbeit zu der
schon vom Bundesumweltminister erwähnten UN-Klimakonferenz im Dezember in Bali leistet. Dort wird sich
entscheiden, ob die Weltgemeinschaft die Kraft findet,
an einem Strang zu ziehen, damit wir die Weichen für
ein Kioto-Nachfolgeabkommen für die Zeit nach 2012
stellen. Das ist eine ganz große Herausforderung, weil
die Interessen der Staaten divergieren.
Ich möchte deshalb der Bundeskanzlerin ganz herzlich für ihr Klimaschutzengagement danken.
({0})
Ihr ist es wie keiner Politikerin vorher gelungen, den
Klimaschutz ganz oben auf die internationale Agenda zu
setzen. Sowohl während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und des Vorsitzes der G 8 als auch bei der
letzten Asienreise der Bundeskanzlerin hat der Klimaschutz eine große Rolle gespielt. Die Menschen haben
ihr zugehört, das Thema steht ganz oben auf der Agenda,
und das hilft auch uns hier in Deutschland bei der Umsetzung dessen, was unter anderem in Meseberg vereinbart wurde.
({1})
Katherina Reiche ({2})
Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer müssen beim Klimaschutz an einem Strang ziehen. Nur dann
werden wir erfolgreich sein. Bundespräsident Köhler hat
diese Länder bei einer Rede in Schanghai im Mai dieses
Jahres als „Schicksalsgemeinschaft“ bezeichnet. Ich
glaube, er hat recht. Nehmen wir zum Beispiel China:
China ist weltweit der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen und wird die USA weit überholen. Es ergibt
sich aber ein differenziertes Bild, wenn man den ProKopf-Ausstoß betrachtet: 3,5 Tonnen CO2 pro Einwohner in China, 10 Tonnen in Europa und 20 Tonnen in den
USA. Dass man über diese unterschiedlichen Emissionsniveaus nicht einfach hinweggehen kann, versteht sich
eigentlich fast von selbst. Deshalb war es wichtig und
richtig, dass Angela Merkel auf ihrer Asienreise dieses
Thema auf die Agenda gesetzt und den Vorschlag gemacht hat, den Pro-Kopf-Ausstoß als Maßstab zu diskutieren. Das ist ein wichtiges Signal an die Schwellenländer, dass wir ihre Bedenken ernst nehmen. Dieser Ansatz
lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen, aber wir
sollten ihn weiter verfolgen.
Die wichtigste Aufgabe der Europäer, auch von uns
Deutschen, wird meines Erachtens sein, dass wir eine
Vorbildfunktion und eine Vorreiterrolle zum Beispiel
bei der Technologieentwicklung und bei dem Einsatz
und Export erneuerbarer Energien einnehmen. Wir müssen zeigen, dass Energieversorgung und Klimaschutz sowie Wohlstand zwei Seiten einer Medaille sind.
Man muss sich - wie im Sport - Ziele setzen. Damit
wir vorankommen, brauchen wir ehrgeizige Ziele. Im
Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der
G 8 ist es unter dem Vorsitz von Angela Merkel gelungen, wichtige Pflöcke einzuschlagen. Nun müssen die
vereinbarten Ziele umgesetzt werden.
Auf der Klausurtagung in Meseberg - das ist schon
angesprochen worden - hat die Bundesregierung ein ehrgeiziges Energie- und Klimaprogramm beschlossen. Ich
glaube, dass die Financial Times recht hat, wenn sie das
als „Fitnessprogramm“ bezeichnet. Die Financial Times
schrieb am 28. August 2007:
So viel Umbau war nie. Werden die Maßnahmen
verwirklicht, wird Deutschland im Jahr 2020 nur
noch rund 730 Millionen Tonnen Treibhausgase
ausstoßen, verglichen mit rund einer Milliarde Tonnen heute. Pro erwirtschaftetem Euro wird die deutsche Wirtschaft deutlich weniger, vielleicht sogar
nur halb so viel Energie verbrauchen und bezahlen
müssen.
Wir als Unionsfraktion haben übrigens schon im
April dieses Jahres ein sehr ehrgeiziges Papier verabschiedet. Viele Elemente, die wir im April aufgeschrieben haben, finden sich heute im Klimaprogramm der
Bundesregierung; darüber sind wir natürlich sehr froh.
Ich nenne als Beispiele die Fortführung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Aufstockung des Marktanreizprogramms und die Verbesserung der Energieeffizienzstandards. Diese Punkte unterstützen wir unter
anderem deshalb, weil ihnen eines gemeinsam ist: die
Marktnähe. Wir vertrauen darauf, dass Verbraucher und
Wirtschaft durch staatliche Unterstützung einander näher kommen. Das ist gerade nicht die von Ihnen, Herr
Kauch, angesprochene Subventionierung, sondern es
sind marktwirtschaftliche Instrumente. Darauf sind wir
stolz.
({3})
Für uns stehen folgende Leitlinien im Vordergrund:
Kosten und Nutzen müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Aufwand und Ertrag müssen stimmen.
Stellt sich heraus, dass eine Maßnahme keinen nennenswerten Fortschritt beim Klimaschutz erzielt, aber dazu
führt, dass die Bürger übermäßig belastet sind, dann
müssen Alternativen auf den Tisch. Auch darüber muss
man reden. Aber eine Kosten-Nutzen-Analyse berücksichtigt eben auch Arbeitsplatzeffekte, Exportchancen
sowie Technologie- und Entwicklungspotenziale.
Klimaschutz - das muss klar sein - wird es nicht zum
Nulltarif geben. Wir werden investieren müssen, und
diese Investitionen werden sich auszahlen. Davon bin
ich überzeugt. Denn wenn es gelingt, weniger Energie zu
verbrauchen, sinken unsere Energiekosten und unsere
Abhängigkeit von Energieimporten.
Es stehen noch in diesem Halbjahr einige große
Gesetzesvorhaben an. Ich nenne nur das ErneuerbareEnergien-Gesetz, mit dem wir die Weichen für einen
weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien stellen, insbesondere bei der Stromerzeugung. Herr Gabriel hat erwähnt, dass wir uns einen Anteil von 30 Prozent bis zum
Jahr 2020 vorgenommen haben, was sehr ehrgeizig ist.
Wir müssen zudem die Kosten für die Verbraucher berücksichtigen. Die Grundstruktur des EEG wollen wir
erhalten, aber es muss auch marktwirtschaftliche und
wettbewerbsorientierte Elemente im EEG geben.
Es gibt inzwischen überförderte Bereiche. Das hängt
sicherlich damit zusammen, dass einige Technologien
sehr viel schneller wachsen, als wir alle das vermutet haben. Das ist gut und zeigt, dass das EEG gewirkt hat.
Aber aus diesem Grund bedarf es Anpassungen, über die
wir zu reden haben werden.
({4})
Es gilt der Grundsatz: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit.
Dieser Grundsatz gilt für die gesamte Energiepolitik.
Deshalb empfinde ich die jüngsten Diskussionen zur
Kernenergie als unglücklich. Die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke steht nicht infrage.
({5})
Wenn dem tatsächlich so wäre, hätten die Behörden
längst handeln und Anlagen endgültig vom Netz nehmen
müssen. Alle Kernkraftwerke in Deutschland, egal wie
alt sie sind, müssen dieselben Sicherheitsanforderungen
erfüllen. Das Alter allein ist nicht der Sicherheitsmaßstab.
({6})
Ich gebe sofort zu, dass die Kommunikation der Betreiber im Sommer äußerst mangelhaft war. Aber wenn
Katherina Reiche ({7})
die Antwort der Politik Populismus ist, dann erreichen
wir auch keine zukunftsweisende Energiepolitik. Auch
diesbezüglich brauchen wir wieder mehr Sachlichkeit.
({8})
Ich möchte noch einmal das Thema eines Endlagers
ansprechen. Die Entscheidung für Schacht Konrad steht
nun fest. Wir als Union werden bei den Haushaltsberatungen darauf achten, dass im Haushalt die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass dieses Endlager
genutzt wird. Ich bin mir sicher, dass wir bei der Behandlung dieser Fragen einen gewaltigen Schritt nach
vorn machen.
Ein letztes Thema. In dieser Woche beginnt in Frankfurt die IAA. Sie steht in diesem Jahr unter dem Motto
„Sehen, was morgen bewegt“. Die Automobilbranche ist
in den letzten Wochen und Monaten oft hart kritisiert
worden. Das Zeichen, das der neue Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, Matthias Wissmann, gesetzt hat, ist wichtig: Auch die Automobilindustrie in
Deutschland will in der Klimadebatte in die Offensive
gehen. Dieses Signal ist deshalb wichtig, weil unsere
Automobilindustrie eine Schlüsselindustrie ist. Wenn sie
jetzt ansetzt, beim Klimaschutz zu überholen, dann werden wir sie dabei unterstützen.
Vielen Dank.
({9})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Eva
Bulling-Schröter das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuerst einmal möchte ich sagen, dass ich mich über das
Klimaschutzprogramm sehr gefreut habe.
({0})
Durch den zweiten Blick wurde meine Freude allerdings
etwas getrübt, und zwar nachhaltig. Mit dem Energieund Klimaschutzprogramm will die Bundesregierung im
Vergleich zu 1990 den Ausstoß von Kohlendioxid bis
2020 um 40 Prozent senken.
({1})
Sie räumt aber selbst ein, dass damit nur rund 35 Prozent
zu schaffen sind. Auch das wäre schon revolutionär,
(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD]
und es würde weit über das hinausgehen, was Rot-Grün
damals geschafft und bewegt hat.
Umweltverbände und Wissenschaftler sind allerdings
weitaus skeptischer, was die Wirkung des aktuellen
Pakets angeht; schließlich wurde an vielen wichtigen
Stellschrauben nicht oder nur wenig gedreht. Wirtschaftsminister Glos hat eben wenige Ambitionen, sich
mit Stromkonzernen, Hauseigentümern und Automobilherstellern wirklich ernsthaft anzulegen.
({2})
Das zeigen auch zahlreiche Ausnahmeregelungen und
unklare Fristen, die das Ganze aufweichen. Herr Kauch,
Sie haben das kritisiert: Das ist kein Bürokratismus, sondern das ist einfach eine Notwendigkeit.
Zudem: Wer quasi sämtliche Maßnahmen ausdrücklich unter Finanzierungsvorbehalt stellt, muss sich nicht
wundern, wenn das Ganze als reines Ankündigungsfeuerwerk wahrgenommen wird. Ob es am Ende als solches
weitgehend verpufft oder ob das Programm tatsächlich
eine Kurskorrektur in der Klimapolitik der Bundesregierung bedeutet, wird nicht zuletzt der nächste Bundesetat zeigen. Im vorliegenden, vor der Sommerpause
erstellten Entwurf steht dazu noch nichts. Ich hoffe, da
wird nachgebessert. Die neuen Zahlen werden auf den
Tisch kommen, und wir wünschen uns diesbezüglich einiges, ganz klar. Weil wir diese Zahlen eben noch nicht
detailliert diskutieren können, möchte ich noch einmal
auf das Klimaschutzprogramm zu sprechen kommen.
Ursprünglich war vorgesehen, einen Ersatz der stromfressenden Nachtspeicheröfen vorzuschreiben. Das
sollte mit klar festgelegten Fristen und finanzieller Unterstützung geschehen. An dieser Stelle hätte ich gesagt:
Bravo, sinnvoll, richtig. Doch das Glos-Ministerium hat
später leider Befreiungs- und Härtefallregelungen hineinverhandelt und zudem die Fristen im Unklaren gelassen.
({3})
Vor allem aber soll nun erst einmal eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft geprüft werden, Nachtspeicheröfen gegen Wärmepumpen auszutauschen. Selbstverpflichtungen werden in der Regel - darüber haben wir
schon des Öfteren diskutiert - nicht eingehalten, auch
nicht von der vielgelobten Automobilindustrie, die hier
gerade gepriesen wurde.
Wir brauchen also klare Regelungen und klare Fristen. Die Haushalte derjenigen, die die Umstellungen
durchführen wollen und eben nicht das notwendige Geld
haben, müssen finanzielle Unterstützung bekommen.
Wir wollen wissen, wie es mit dem Emissionshandel ab
2012 weitergehen soll, Stichwort „100-prozentige Versteigerung“. Wir wollen noch einmal über die Sondergewinne, über die Windfall-Profits, über CDM und über
anrechenbare Klimaschutzprojekte in Dritte-Welt-Ländern diskutieren. Wir haben dazu eine Anhörung durchgeführt, und es waren eben keine „Linksradikalinskis“,
sondern gestandene Marktwirtschaftler, die sich für
diese Projekte eingesetzt haben. Ich bitte Sie, sich die
entsprechenden Unterlagen anzuschauen; sie befinden
sich in meinem Büro.
({4})
Minister Gabriel hat uns vorgeworfen, wir würden
das Geld zweimal ausgeben, wir seien populistisch. Die
Vorgaben wurden in der Sommerpause schriftlich an alle
Sozialdemokraten gegeben. Ich kann hier nur sagen: Wir
wissen schon, woher das Geld kommen könnte. Ich
nenne die Windfall-Profits oder auch die Ökosteuerprivilegien, die 3,3 Milliarden Euro ausmachen. Da kann
ich mir sehr vieles vorstellen. Wir wollen das Geld nicht
zweimal ausgeben, sondern an der richtigen Stelle.
Ganz zum Schluss noch: Holen Sie Soldaten aus Afghanistan heim! Auch das wäre Klimaschutz. Am Samstag ist die große Demo. Auch damit könnten wir Geld
einsparen.
({5})
Wir machen Vorschläge. Wir sind nicht populistisch,
auch wenn Sie es noch hundertmal sagen.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Hier wurde heute schon sehr viel vom Klimaschutz geredet. Nur, was steckt wirklich dahinter? Was
steht wirklich im Bundeshaushalt und nicht nur in den
Redemanuskripten der Großen Koalition?
({0})
In Meseberg haben Sie stolz verkündet, jetzt ein Klimaschutzprogramm im Umfang von 2,6 Milliarden Euro
auflegen zu wollen. Das war das Ergebnis - Sie erinnern
sich vielleicht noch, meine Damen und Herren - eines
lang inszenierten Streits zwischen Herrn Gabriel und
Herrn Glos. Ich habe einmal in den Bundeshaushaltsentwurf vom Juni - das war deutlich vor Meseberg - geschaut. Darin standen auch 2,6 Milliarden Euro. Worüber haben sich die beiden Herren also gestritten? Ich
würde sagen: Das Klimaschutzprogramm von Meseberg ist nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen.
({1})
Außerdem muss man bei diesen 2,6 Milliarden Euro
zwei Projekte eindeutig sozusagen in Klammern setzen.
Das erste ist das Gebäudesanierungsprogramm. Wer sich
die Summen, die die Regierung angibt, genau anschaut,
stellt fest: Da werden Ausgaben, die in künftigen Haushaltsjahren für das Gebäudesanierungsprogramm getätigt werden, zusammengerechnet. Es wird so getan, als
würde man das auf einmal ausgeben. Dabei geht es um
600 Millionen Euro.
Das Zweite, was ich in Klammern setzen muss, sind
die Einnahmen aus dem Emissionshandel. Da setzt die
Regierung nur die Hälfte des Betrages an, von dem die
Experten momentan, gemessen an den aktuellen FuturePreisen, ausgehen.
({2})
Wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man
auf 1,6 Milliarden Euro Steuergelder, die im Haushaltsjahr 2008 von der Regierung ausgegeben werden sollen.
Da gibt es aber noch drei Vorbehalte. Wenn Sie einmal
genau hinschauen, stellen Sie das fest. Der größte Teil
dieses Geldes wurde erstens schon in Programmen im
letzten Haushaltsjahr ausgegeben - das ist eigentlich genau das Gleiche -, oder die Gelder stehen zweitens unter
einem Finanzierungsvorbehalt von Steinbrück, oder es
gibt drittens noch ein Kosten-Nutzen-Gutachten von
Minister Glos.
({3})
Da können wir alle uns vorstellen, wie das am Ende aussieht.
Ernst gemeinter Klimaschutz, meine Damen und Herren, sieht anders aus. Ihr Verständnis von Klimaschutz
an der Stelle ist: viel heiße Luft statt konkreter Taten. Ich
möchte Ihnen sagen: Die globale Erderwärmung wartet
nicht auf den schwerfälligen Tanker der Großen Koalition, darauf, dass sich Glos und Gabriel mal einigen; wir
müssen jetzt handeln.
({4})
Deswegen wollen wir grüne Haushälter der Regierung
einmal konkret zeigen, wie substanzieller Klimaschutz
aussehen soll. Wir werden einen Klimaschutzhaushalt
aufstellen, in dem mit konkreten Haushaltsanträgen belegt wird, wie man die Ausgaben für Klimaschutz mehr
als verdoppeln kann.
({5})
Wir wollen 2 Milliarden Euro zusätzlich für Klimaschutz ausgeben. Dabei geht es um Stichworte wie einen
Stromsparfonds für energieeffiziente Geräte, Klimaforschung, Ökobeschaffung, Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge
und andere Projekte, auf die wir in den Haushaltsberatungen ganz konkret eingehen werden.
Das Beste an diesem Klimaschutzhaushalt ist aber
- darauf bin ich als Haushaltspolitikerin besonders stolz -,
dass die Ausgaben für Klimaschutz auch mehr als gegenfinanziert sind. Wir machen konkrete Vorschläge für
den Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen in
der Finanzplanperiode von insgesamt mehr als 21 Milliarden Euro. Es sind drei konkrete Punkte: der Abbau
von Subventionen für die stark stromverbrauchende Industrie - das sind 1,2 Milliarden Euro allein im nächsten
Haushaltsjahr -, die Streichung der Subventionen für
Kerosin und für die Luftfahrtindustrie von 900 Millionen
Euro allein im nächsten Haushaltsjahr sowie eine Reduzierung und ökologische Reform des Dienstwagenprivilegs; das heißt, dass dicke Chefdreckschleudern in
Zukunft nicht mehr vom Steuerzahler subventioniert
werden sollen.
({6})
Das sind drei konkrete Beispiele, mit denen wir klarmachen wollen, dass die Regierung viel vom Klimaschutz
redet, aber ganz konkret immer noch Geld für Klimaverschmutzung ausgibt. Dieser Zustand muss endlich beendet werden.
({7})
- Für eine Große Koalition sollte das Organisieren einer
Bundesratsmehrheit doch wirklich kein Problem sein,
Kollege Kelber.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen
Koalition, Sie haben jetzt die große Chance, zum Beispiel indem Sie eine Bundesratsmehrheit organisieren,
zu zeigen, dass Sie es wirklich ernst meinen mit dem
Klimaschutz und Ihre Reden hier im Plenum nicht nur
heiße Luft sind, sondern ihnen auch konkrete Taten folgen. Wir werden Ihnen dafür in den Haushaltsberatungen ganz konkrete Anregungen geben. Wie immer gilt:
Das Kopieren unserer Anträge ist ausdrücklich erwünscht.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eigentlich beschämend für die Opposition: Seit einem halben Jahr reden wirklich alle, seien es Industrievertreter, Verbraucher, wir Parlamentarier, die Bundesregierung oder die
Landesregierungen, vom Klimaschutz. Die Opposition
hat jetzt in der ersten Lesung des Haushalts nichts anderes zu tun, als darüber zu sprechen, worüber man noch
hätte reden können.
({0})
Wäre es nicht viel besser, Sie würden das anerkennen
und das honorieren, was jetzt tatsächlich in diesem halben Jahr auf den Weg gebracht worden ist?
({1})
Zu Ihnen, Frau Lührmann: Ich finde es schon interessant, dass Sie als Haushälterin ein Klimaschutzprogramm in unsere Haushaltsberatung einbringen wollen.
Ich frage mich da in der Tat, was Ihr Kollege oder Ihre
Kollegin im Umweltausschuss macht. Warum findet er
bzw. sie keine Möglichkeit, um sich dort konstruktiv einzubringen, wo doch da derzeit die Themen beraten werden? Das finde ich schon sehr verwunderlich.
({2})
Nach den bisherigen Beratungen zum Haushalt 2007
wundert es mich noch mehr, zumal der Minister sehr eindeutig, klar und präzise dargelegt hat, wie viele Milliarden wir über die Ministerien hinweg jetzt schon für den
Bereich Klimaschutz, CO2-Minderung und alles, was
damit zusammenhängt, ausgeben. Dass Sie das so
penetrant ignorieren, finde ich schon bemerkenswert. Ich
bin deshalb jetzt schon gespannt, wie Ihr Klimaschutzprogramm dann tatsächlich aussehen wird.
Nun zu den Rahmendaten des uns hier jetzt vorliegenden Entwurfs zum Haushalt 2008: Wir beraten über
ein Haushaltsvolumen von 845,6 Millionen Euro. Hier
kann ich als Haushälterin sehr stolz sagen: Wieder einmal wurde - das steht in Kontinuität zu den früheren
Jahren - genau bei dem Ressort draufgesattelt, in dessen
Zuständigkeitsbereich tatsächlich Innovationen stattfinden und Arbeitsplätze geschaffen werden. Hierzu kann
ich nur sagen: Wir haben in den zurückliegenden Jahren
kontinuierlich die richtigen Prioritäten gesetzt, und an
diesen orientiert sich die Koalition auch weiterhin.
({3})
Man könnte zum Haushalt auch Folgendes sagen:
keine Überraschungen, eher konsequentes Handeln. So
war es auch im zurückliegenden Halbjahr: Wir haben
viele Themen und viele Projekte seit den ersten Beratungen des Haushalts bis zur heutigen ersten Lesung des
Haushalts eingebracht, und zwar Projekte in den Bereichen Umwelt, Energie und Naturschutz. Wir haben ganz
neue Berufsfelder entwickelt bzw. zumindest dafür die
Rahmenbedingungen geschaffen. Ich selber habe mich
am Montag in der Arbeitsagentur meines Wahlkreises
überzeugt. Dort hat man mir gesagt, dass es mit unseren
Anreizprogrammen - es geht also nicht um Subventionsprogramme! - gelungen ist, ganz neue Felder zu erschließen. Die Industrie macht davon sehr intensiven
Gebrauch. Wenn auch Sie, Frau Flach, das Gespräch mit
der Agentur gesucht haben, dann wissen Sie, dass gerade
in unserer Region Essen/Mülheim ({4}) in Form der
Schaffung neuer Berufe zukunftsweisende Wege beschritten werden.
Die EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Gipfel waren erfolgreich. Es ist nicht so, wie die Opposition es
hier darzustellen versucht, dass es einfach nur viele Versprechungen gegeben hat und dass alles heiße Luft war.
Nein, die Konferenzen haben Erfolge mit sich gebracht,
die natürlich viele Mütter und Väter haben. Natürlich
gibt es immer eine oder zwei Personen, die das nach
vorne tragen. Aber ich möchte auch das herausstreichen,
was unser Parlament im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft und des G-8-Gipfels auf den Weg gebracht hat.
Denn nicht nur die Regierung hat ihren Beitrag geleistet,
wenn im Rahmen dieser Konferenzen gepunktet werden
kann, sondern auch wir, das Parlament.
({5})
Wir haben sowohl der Kanzlerin als auch dem Bundesumweltminister im Rahmen der Haushaltsberatungen
2007 einen ganz klaren Verhandlungsauftrag erteilt. Die
Ergebnisse haben wir in Heiligendamm und auch im
Rahmen der EU-Präsidentschaft deutlich gesehen.
Petra Hinz ({6})
Einen Erfolg möchte ich besonders hervorheben,
nämlich dass wir einen weiteren Verbündeten im Klimaschutz gewonnen haben, und zwar die USA, die den Prozess als das zentrale Instrument anerkennen, um Klimaschutzmaßnahmen zu verabreden. Präzise gesagt ist das
nicht die USA insgesamt - es gibt dort sehr viele Staaten, die mit großem Know-how arbeiten und gerade in
der Umwelttechnologie Fortschritte zu verzeichnen haben -, aber der Präsident hat sich in den zurückliegenden
Jahren sehr zögerlich verhalten und in erster Linie seine
eigenen Interessen vertreten.
({7})
Die Staats- und Regierungschefs haben die Grundlage
für ein langfristiges Ziel geschaffen. Die Klimaerwärmung ist Realität; ich glaube, darüber brauchen wir in
dieser Debatte nicht mehr zu streiten. Auch in der internationalen Klimaforschung besteht darüber keinerlei
Zweifel. Selbst wenn wir sofort die Emissionen stoppen
würden, würde der Meeresspiegel weiter ansteigen. Wir
haben in der Sommerpause viel darüber hören und lesen
können.
Bei allen Herausforderungen sollte eines deutlich
werden: dass wir in Deutschland Vorreiter in Sachen
Klimapolitik sind. Beim Blick nach vorn sollte man, gerade in den Haushaltsberatungen, auch einmal zurückschauen, um zu erkennen, wie lange manche Prozesse
dauern. Jeder von Ihnen kann sich innerhalb seiner Fraktion fragen, zu welchem Zeitpunkt er sich an welchem
Ort hätte stärker einbringen können. Ich aus dem Ruhrgebiet
({8})
- wir aus dem Ruhrgebiet, Frau Flach - kann sagen: Bereits im April 1961, also vor 46 Jahren, hat Willy Brandt
gemahnt, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau
werden. Recht hat er gehabt!
({9})
- Wir haben es gemeinsam geschafft. Dabei denke ich,
dass Willy Brandt - ohne seine Bemühungen hintanstellen zu wollen - die Tragweite des Ganzen gar nicht so
bewusst war.
Das galt natürlich für alle Ballungsräume weltweit, so
zum Beispiel auch für London, in den 50er-Jahren der
größte Smogverursacher. Zu dem Zeitpunkt gab es noch
keine CO2-Debatte; damals war noch nicht klar, wie sehr
Industrie- bzw. Wohlstandsemissionen zu unserem
Treibhausklima beitragen.
1992 war die Rio-Konferenz, die eine weitere Phase
im Klimaschutz eröffnete.
({10})
Die Kommission hatte eindringlich auf den Handlungsbedarf der internationalen Völkergemeinschaft hingewiesen. Dann folgten die Klimaschutzkonvention, die
Artenschutzkonvention, die Walddeklaration und die
Agenda 21; gerade dieses Programm wird in den Kommunen sehr intensiv beraten und umgesetzt. Seit Rio
sprechen wir, fast inflationär, von Nachhaltigkeit.
Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte
gleichberechtigt zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und
Enkeln ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Zusammenspiel hinterlassen.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung wurde im April
2001 von Gerhard Schröder berufen. Die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel hat die Strategie und die Arbeit des
Rates fortgesetzt. Eine gute Entscheidung; ich kann sie
dazu nur herzlich beglückwünschen.
({11})
Denn dieser Rat schreibt uns für unsere Arbeit Verschiedenes ins Stammbuch. Er verfolgt weiterhin die Standpunkte und Vereinbarungen von Rio und hat mit dazu
beitragen, dass das Thema Klimaschutz hier in dieser
Form diskutiert wird.
Unsere Leitidee ist eine nachhaltige Entwicklung. Sie
ist die Antwort auf die Herausforderung. Sie stellt nicht
nur klare Reduktionsziele auf und konzentriert die technologischen Stärken und das Know-how auf den Klimaschutz, sondern eröffnet den Menschen auch die
Perspektive von Sicherheit und Gerechtigkeit im Modernisierungsprozess der Industriegesellschaften.
({12})
Dies möchte ich ganz besonders betonen. Ohne Klimaschutz, ohne Rohstoffe und ohne gerechte Nahrungsmittelverteilung gibt es auch keinen Frieden. Moderne
Umweltpolitik und erfolgreiche Wirtschaftspolitik sind
keine Gegensätze. Viele Rednerinnen und Redner haben
das vorhin schon deutlich gemacht. Ich sage es noch einmal: Gerade in der Umweltpolitik stecken Innovationen
und neue Arbeitsplätze. Jeder Euro, den wir in den Bereich des Klimaschutzes investieren, ist keine Subvention, sondern eine Anschubfinanzierung. Diejenigen, die
die Programme abrufen, investieren ein Vielfaches. Dies
sollte man nicht schlecht- oder kleinreden. Vielmehr
brauchen wir dies in dieser Form.
({13})
Kommen wir auf das 400-Millionen-Euro-Programm
zu sprechen. Auch hier ist schon deutlich gemacht worden, in welchem Verhältnis die Mittel verausgabt werden
sollen: 280 Millionen Euro für nationale Maßnahmen,
120 Millionen Euro für internationale Maßnahmen. Wir
haben uns für die Koalition im Vorfeld darauf verständigt, dass wir dem so, wie es hier diskutiert wird, zustimmen wollen. Wir erwarten aber eine Berichtspflicht. Wir
erwarten, dass wir nachvollziehen können, wo die Gelder investiert werden.
Ich komme noch einmal auf die internationale
Finanzierung zurück. Die globale Öffnung der Märkte
hat in einer Vielzahl von Schwellenländern für einen
fantastischen Aufschwung gesorgt. Wir wollen das; und
wir haben mit dafür gesorgt. China wird im Moment immer wieder als Beispiel genannt, und auch ich möchte es
nennen. Wenn sich deutsche Unternehmen aus der Wasserwirtschaft, aus der Autoindustrie oder egal welchem
Petra Hinz ({14})
Industriezweig in China niederlassen und dort nicht den
Stand der Technik umsetzen, sondern den Stand des nationalen Rechts, dann gibt das Anlass zu Fragen. Wir
könnten beim Klimaschutz schon viel weiter sein. Ich erwarte, dass der Minister im Rahmen seiner Tätigkeiten
und im Rahmen von internationalen Konferenzen seinen
Einfluss entsprechend geltend macht.
Es gibt darüber hinaus im Einzelplan noch andere
Themen, etwa: die Bereiche Personal, Öffentlichkeitsarbeit, Endlager und Atomenergie, wobei die CDU nicht
müde wird, dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, obwohl es hier ganz klare Beschlüsse
gibt, an denen auch nicht gerüttelt wird.
({15})
Wir werden unabhängig davon weiter versuchen, kontinuierlich zu prüfen, zu optimieren und die Politiker in
den Fachausschüssen inhaltlich zu begleiten. In diesem
Sinne wünsche ich uns bis zur zweiten und dritten Lesung gute Haushaltsberatungen.
Danke schön.
({16})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike
Flach das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Haushalt des Bundesumweltministers ist wie immer
klein, aber fein. Irgendwie erinnert er mich doch an den
Minister, der für diesen Haushalt zuständig ist. Er ist sozusagen ein verstecktes Schwergewicht, wartend auf den
großen Sprung.
({0})
Herr Gabriel, Sie haben eben darauf hingewiesen: Ihr
Haushalt ist nur scheinbar bescheiden. Er steigt um lediglich 1,6 Millionen Euro. Sie erwarten aber für den
Haushalt aus der Versteigerung von Emissionsrechten
280 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm und
weitere 120 Millionen Euro für das neue Projekt Klimaschutz und Biodiversität. Das heißt, auf den zweiten
Blick ergibt sich ein Gesamtetat von 1,24 Milliarden
Euro. Das ist eine Steigerung von 50 Prozent. Herr
Gabriel, Sie haben es erneut geschafft, sich um die globale Minderausgabe herumzudrücken. Unter dem Strich
ist dies also ein Haushalt, der sich sehen lassen kann.
Wenn ich aber genauer hinschaue, dann erinnert er
mich an vielen Stellen etwas an eine Blackbox; denn
das, was Sie in Meseberg beschlossen haben, ist etwas,
was über alle Ressorts verteilt ist, was vom Finanzminister allerdings zu Recht unter einen entsprechenden
Finanzierungsvorbehalt gestellt worden und vom Wirtschaftsminister ebenfalls zu Recht mit einer Kosten-Nutzen-Analyse belegt worden ist. Frau Lührmann, wir sind
auf 1,8 Milliarden Euro gekommen. Ich bin völlig Ihrer
Meinung: Dieses Gutachten wird zeigen, was dabei herauskommt. Es wäre interessant gewesen, wenn Sie uns
an dieser Stelle gesagt hätten, wann das Gutachten in
Auftrag gegeben worden ist und wann wir mit einem Ergebnis rechnen können. Denn all dieses ergibt nur einen
Sinn, wenn es zwischen den beiden Ministerien vernünftig abgestimmt worden ist und von der gesamten
Regierung getragen wird.
({1})
Zu den Emissionsrechten. Herr Minister, Sie haben
eben versucht, uns einen Marktpreis darzustellen. Jeder
in diesem Haus weiß, wie volatil die Märkte sind. Wir
wissen nicht, was dabei herauskommt. Das heißt, Sie
hantieren hier im Zusammenhang mit einem Programm
mit Zahlen, wobei wir alle, gerade wir Haushälter, an
keiner Stelle wissen, mit welchen Risiken für den Haushalt wir es zu tun haben. Sie haben einen Leertitel eingestellt. Frau Hinz, Sie haben das mitgetragen. Aber Sie
wissen nicht, was an anderer Stelle wirklich dabei herauskommt.
({2})
Für uns Liberale war es ganz interessant, in den Sommermonaten die Diskussion im Zusammenhang mit dem
Kollegen Glos zu beobachten. Bis zum heutigen Tag stehen die 70 Milliarden Euro, die der Kollege Glos als
Kosten für die deutsche Wirtschaft in der Folge des in
Meseberg verabredeten Programms beziffert hat, im
Raum. Sie selbst haben von 2,8 Milliarden Euro gesprochen. Die Regierung wird sich irgendwann einmal einigen müssen.
Wir haben den Eindruck, Sie leben in zwei verschiedenen Welten. Wie verschieden diese Welten sind, haben
wir bei der Rede von Frau Reiche wieder gesehen. Jedes
Jahr um diese Zeit erleben wir regelmäßig, dass Sie sich
bei den für ein Umweltministerium wichtigen Punkten
- wie viel Geld gibt man aus? Wie geht man mit der
Kernkraft um? - nach wie vor offensichtlich nicht einig
sind. Angesichts der Tatsache, dass Sie in diesem Jahr
für den Schacht Konrad 28 Millionen Euro bereitgestellt
haben - das finden wir positiv -, fragen wir uns natürlich, Frau Reiche, wie Sie angesichts Ihres standhaften
Eintretens für die Kernkraft damit umgehen, dass für
Gorleben nichts im Haushalt eingestellt wurde.
({3})
Wie steht die CDU/CSU dazu, dass der Umweltminister
nach wie vor nicht einmal im Traum daran denkt, die
Kernkraft so zu behandeln, wie Sie es vorhaben?
({4})
- Das wäre sehr schön.
Was den Haushalt insgesamt angeht, Herr Gabriel,
muss ich sagen, dass Sie offensichtlich im Vertrauen auf
zukünftige Einnahmen Ihren Personalbestand deutlich
ausgeweitet haben. Frau Hinz, ich bin erstaunt, dass Sie
dies alles so mitgetragen haben. Immerhin handelt es
sich um 180 neue Stellen, und das in einer Zeit, in der
wir eigentlich sparen wollen. Heute Morgen haben wir
von Herrn Steinbrück zu Recht gehört, wie wichtig Sparen ist. Wenn ich an Herrn Kampeter denke, dann klingeln mir jetzt noch die Ohren. 180 neue Stellen, ein
Nettoaufwuchs von 83 Stellen - das ist schon beeindruckend. Ich denke, wir haben noch viel zu tun.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zum
Thema Marktanreizprogramm sagen. Wenn Sie, Frau
Hinz, als Gutmensch sagen - ich unterstelle einmal, dass
Sie einer sind -, dies sei keine Subvention, dann mag das
so sein. Aber Ihre eigene Regierung spricht im Subventionsbericht davon, dass es sich um eine Subvention handelt. Die FDP geht in diese Haushaltsberatung mit dem
erklärten Willen, 20 Prozent bei den Subventionen einzusparen.
({5})
Sie müssen irgendwann einmal an die Substanz dieses
Not leidenden Haushalts herangehen. Das werden Sie
aber mit dieser Art von Begrifflichkeit - wenn es gut für
die Umwelt ist, dann ist es keine Subvention - nicht erreichen.
Herr Minister, ich habe mit dem Bild vom Schwergewicht angefangen und möchte mit einem anderen Bild
aufhören. Für die FDP ist der Haushalt eine Art Eisberg,
bei dem nur ein Teil über der Wasseroberfläche sichtbar
ist; ein großer Teil ist unter der Wasseroberfläche. Wir
wissen aus leidvoller Erfahrung mit dem Klimawandel,
dass Eisberge abschmelzen. Ich kann Ihnen von der Großen Koalition versichern, dass die FDP-Haushälter alles
tun werden, dass dieser Eisberg deutlich abschmilzt.
({6})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Bernhard
Schulte-Drüggelte das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass
die sachbezogene Zusammenarbeit der letzten Zeit auch
in den vorbereitenden Beratungen fortgesetzt wurde. Ich
möchte einen Punkt herausgreifen. Wir haben in der letzten Debatte gefordert, dass der VN-Campus in Bonn aus
dem Einzelplan 16 herausgenommen und dem Haushalt
des Außenministeriums zugeschlagen wird. Ich finde,
das war ein sehr vernünftiger Vorschlag.
({0})
Das ist inzwischen geschehen. Ich bedanke mich dafür.
Ich bedanke mich auch bei meinem Kollegen Berti
Frankenhauser, der das unterstützt hat; wenn ich das an
dieser Stelle einmal sagen darf.
Gerade wurde der Schacht Konrad angesprochen;
auch ich will das tun. Sie finden im vorliegenden Entwurf im Vergleich zum Haushalt 2007, in dem Mittel in
Höhe von 25 Millionen Euro bereitgestellt wurden, einen Ansatz von 53 Millionen Euro. Ich möchte deutlich
sagen: Damit kann endlich der Ausbau des Endlagers für
schwach radioaktive Stoffe begonnen werden. Ich begrüße das.
({1})
Um es deutlich festzustellen: Unser haushaltspolitisches Ziel ist ein ausgeglichener Bundeshaushalt. Die
Konsolidierung steht an erster Stelle. Ich meine, dass
auch dieser Haushalt einen Beitrag dazu leistet. Der Umfang des Bundeshaushaltes steigt allgemein um
4,7 Prozent. Wenn man die Einnahmen, die sich aus dem
Verkauf der Emissionsrechte ergeben, herausnimmt, so
kommt man im Umweltbereich auf einen Zuwachs von
0,2 Prozent. Unser Ziel wird also auch in diesem Haushalt erreicht.
({2})
Es wurde gerade gesagt: Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Vier weitere Ministerien sind daran
beteiligt: das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Bundesministerium
der Finanzen und das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie. Man kann es vielleicht als eine konzertierte Aktion für den Klimaschutz bezeichnen, was diese
Regierung hier vorhat. Das ist eine sehr gute Sache.
({3})
Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie, Frau
Flach, vorhin angesprochen haben. Das Volumen des
Haushaltes wird sich voraussichtlich durch den Verkauf
von Emissionszertifikaten vergrößern.
({4})
- Das kann man ja ruhig einmal sagen. - Dabei handelt
es sich voraussichtlich um einen Betrag von
400 Millionen Euro. Wenn man sieht, dass dieser Haushalt 845 Millionen Euro umfasst, dann erkennt man die
Dimension dieser neuen Einnahmen.
Als Parlamentarier möchte ich aber auch darauf hinweisen, dass diese 400 Millionen Euro nur in einem
Haushaltsvermerk dargestellt werden.
({5})
Es wurde eine Leerstellenstruktur gewählt. Ich möchte
deutlich fordern, dass das parlamentarische Budgetrecht
gewährleistet wird. Diese Forderung sollten wir als Parlamentarier stellen.
({6})
Klimaschutz ist eine zentrale Aufgabe dieser Regierung. Wir unterstützen das. Es ist richtig, dass voraussichtlich zusätzlich 280 Millionen Euro im nationalen
und 120 Millionen Euro im internationalen Bereich für
den Klimaschutz eingesetzt werden. Es ist gut, dass die
mediale Wirkung dieser Diskussion groß ist. Das fördert
natürlich die Durchsetzung solcher Beschlüsse. Es ist
richtig, dass derjenige, der den Klimaschutz für wichtig
hält, etwas tun möchte, zum Beispiel sein Haus dämmen,
und dafür Geld investiert, gefördert wird. Aber man darf
bei all diesen Forderungen nicht vergessen, dass dies
Geld kostet und sich dies auch langfristig für den Häuslebauer rechnen muss. Daher sind die entsprechenden
Förderungen anzupassen.
Ich finde es richtig, dass der Minister vor ein paar
Wochen die Fördersätze im Marktanreizprogramm, das
im Augenblick ein bisschen schwächelt, angepasst hat.
Das war die richtige Maßnahme, um auf diese Entwicklung zu reagieren.
({7})
Wir müssen darauf achten, dass sich dieses Programm
stetig weiterentwickelt, dass sich die Menschen darauf
verlassen können und motiviert werden, in regenerative
Energien zu investieren.
Ein anderer Bereich, der vielleicht auch gefördert
werden sollte, ist die Steigerung der Energieeffizienz.
Ich spreche in diesem Zusammenhang nur energieeffiziente Haushaltsgeräte an. Auch hier ist in den letzten
Jahren eine Entwicklung zu verzeichnen, die nicht sehr
positiv ist, die aber durch Anreize vielleicht wieder umgekehrt werden kann.
Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der am Rande
angesprochen worden ist - Sie, Frau Flach, haben es erwähnt -: das Thema Personal. Sie haben es freundlicherweise korrigiert: Es sind nicht real 180 Stellen, sondern natürlich weniger. Wir sind uns zwar darin einig
gewesen, dass pauschale Stellenkürzungen nicht sehr
effektiv sind. Wir haben aber trotzdem gesagt, dass wir
die Zahl der Stellen um 0,75 Prozent kürzen sollten. Im
vorliegenden Entwurf sind jedoch neue Stellen vorgesehen; das ist ganz klar. Wir müssen klären, wie dies zu
den pauschalen Stellenkürzungen, die wir vorhaben, und
zu einem Bericht des Bundesministeriums der Finanzen
von April dieses Jahres darüber, wie sich die Stellen entwickelt haben, passt. Wir müssen überprüfen, ob es da
nicht Widersprüche gibt.
({8})
Denn dort steht, dass es einen kontinuierlichen Anstieg
der Zahl der Stellen gibt.
Ich möchte noch einen Punkt im Personalbereich ansprechen: Für das Forschungsbergwerk Asse sind zwei
Stellen vorgesehen. Dieses Forschungsbergwerk befindet sich im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wie passt das zusammen?
Kollege Schulte-Drüggelte, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Hinz, aber immer doch.
Bitte.
Danke. - Mit Ihrer Erlaubnis komme ich noch einmal
auf den Punkt Personal zurück. Personal ist in der Tat
immer wieder ein großes Thema bei den Haushaltsberatungen.
({0})
- Meine Frage kommt. Man muss manchmal erst zuhören, um verstehen zu können.
Im Entwurf ist jetzt von Mehrstellen die Rede. Ist es
richtig, dass die eine oder andere Mehrstelle möglicherweise durch Gebühren refinanziert wird? Habe ich den
Entwurf richtig interpretiert, oder habe ich das falsch
verstanden?
Wie immer haben Sie das richtig verstanden, Frau
Hinz. In dem Entwurf steht auch, wie sich die Personalsituation in den letzten Jahren entwickelt hat. Einschließlich aller Behörden verfügt das Umweltministerium jetzt über 2 770 Stellen.
Sie haben die Stellen erwähnt, die refinanziert werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang speziell das
Bundesamt für Strahlenschutz ansprechen. 27,5 Stellen
sind für den Schacht Konrad ausgewiesen. Es ist von Bedeutung, ob diese Stellen wirklich notwendig sind; denn
nur, wenn nachgewiesen wird, dass diese Stellen notwendig sind, werden sie refinanziert. Das werden wir in
den Beratungen überprüfen.
({0})
- So ist es doch. Wir müssen das überprüfen, und wenn
es nötig ist, wird es refinanziert, und wenn nicht, müssen
wir uns darüber noch einmal unterhalten.
Ich möchte noch die Verstärkung im Personalbereich
der Deutschen Emissionshandelsstelle ansprechen. Ich
darf Ulli Petzold für seine Initiative danken, die zu mehr
Planungssicherheit bei den Mitarbeitern geführt hat.
({1})
Ein anderes Thema, über das wir reden müssen, ist
der Planfeststellungsbeschluss für das Endlager Morsleben. Der Planfeststellungsbeschluss wird immer weiter
nach hinten verschoben. Vor einigen Jahren wurde gesagt, er würde im Jahr 2008 gefasst werden. Im letzten
Jahr war die Rede von 2010, in diesem Jahr von 2011.
Diesbezüglich muss eine Entscheidung getroffen werden; denn das kostet uns 60 Millionen Euro pro Jahr, und
das wird nicht refinanziert.
({2})
Es gibt also reichlich Gesprächsstoff. Ich freue mich
auf die weiteren Beratungen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Herr Minister, Sie nennen meinen Fraktionsvorsitzenden Oskar Lafontaine einen Scheinriesen
der deutschen Politik, der umso kleiner werde, je näher
man ihm komme.
({0})
Herr Minister, wer sich so weit aus dem Fenster lehnt,
der muss damit rechnen, dass man sich genau anguckt,
wer sich da so weit aus dem Fenster lehnt. Ich möchte
jetzt nicht in der Vergangenheit wühlen; denn dann
müsste ich feststellen, dass Oskar Lafontaine im Gegensatz zu Ihnen als Spitzenkandidat unter anderem Landtagswahlen gewonnen hat.
Da stellt sich mir die Frage nach Ihrer Erfolgsbilanz.
Bleiben wir bei Ihrer Arbeit als Umweltminister. An offensiver Rhetorik und flotten Ankündigungen mangelt es
Ihnen nicht; das gebe ich zu. Was folgte aber daraus?
Lassen Sie mich das an zwei Beispielen verdeutlichen:
Die nationale Strategie zum Schutz der Artenvielfalt
und die Eckpunkte für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm sehen auf den ersten Blick beeindruckend
aus. Je genauer man hinschaut, desto mehr verblasst dieser Eindruck aber. Ich könnte auch sagen: Je näher man
ihnen kommt, desto kleiner werden sie.
Die Biodiversitätsstrategie liest sich zwar schön,
fast wie ein Grimm’sches Märchen, sie wird aber weitgehend wirkungslos bleiben. Die tollen Ziele sind unverbindlich und nicht überprüfbar.
({1})
- Danke schön. - Diese Strategie wird zu keinem wirksamen Schutz der Arten führen. Sicher kann man diese
Strategie auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention im Mai 2008 in Bonn gut präsentieren. Ich habe auch nichts dagegen, dass Sie für diese
Konferenz über 8 Millionen Euro locker machen. Ich
stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen: Wir sind reich genug,
um uns Naturschutz zu leisten. - Aber ich habe sehr
wohl etwas dagegen, dass Sie die Konferenz überwiegend mit Mitteln finanzieren wollen, die bislang dem
praktischen Naturschutz zur Verfügung standen.
({2})
Wenn Sie auf Konferenzen schöne Reden schwingen
und schöne Hochglanzbroschüren präsentieren, im Alltag aber den Naturschutz finanziell ausbluten lassen,
dann sind Sie, Herr Minister, nicht glaubwürdig. Sie waren doch selbst in Naturschutzgebieten unterwegs, wenn
ich es richtig gelesen habe. Sie wissen doch, dass dort in
allererster Linie Geld fehlt. Wenn Sie ehrliche Politik
machen wollen, dann muss sich das im Bundeshaushalt
endlich widerspiegeln.
Noch einmal zum schon erwähnten Eckpunktepapier.
Der Umfang ist beachtlich. Im Verkehrsbereich finden
wir allerdings nichts Spektakuläres und erst recht nichts
Neues. Das einzig wirklich wirksame Instrument ist die
EU-Kraftfahrzeugstrategie, die Sie nun unterstützen
wollen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn vorher
haben Sie sich so massiv für VW und Co. eingesetzt,
dass die Ziele verwässert wurden. Die einfachste und
billigste Maßnahme hat die Große Koalition versenkt:
ein allgemeines Tempolimit. Da ist eindeutig Fehlanzeige.
({3})
Dienstwagen haben einen Anteil von über 50 Prozent
an den verkauften Neuwagen. Hier wollen Sie mit der
Regelung zur Besteuerung abwarten, bis auf EU-Ebene
die CO2-Strategie beschlossen ist. „Abwarten und Tee
trinken“ würde der Engländer sagen. Dort gibt es übrigens eine steuerliche Regelung, mit der die Dienstwagen
deutlich sparsamer geworden sind. Während die Firmen
in unserem Land geschont werden, darf es wieder einmal
der kleine Mann berappen. Die Reform der Kfz-Steuer
für Neuwagen wollen auch wir. Schade ist nur, dass das,
was Sie machen wollen, fast nichts bringt. In einigen
Fällen kann es sogar so weit kommen, dass Spritfresser
nach Ihren Vorstellungen weniger und nicht mehr zahlen
müssen. Das kann nicht sein. Ich sage Ihnen: Spritfresser
müssen zukünftig ordentlich zur Kasse gebeten werden.
({4})
So viel zu Ihrer Arbeit in Sachen Naturschutz und
Verkehr. Ich frage mich angesichts dieser Bilanz: Wer ist
hier eigentlich der Scheinriese?
Zum Abschluss noch zwei Sätze zur IAA, die sich
den Klimaschutz groß auf die Fahnen geschrieben hat.
Die deutsche Autoindustrie hat mit Ihnen, Herr Minister,
gemein, dass sie sich in Ankündigungen übertrifft. Fest
steht aber, dass die Autoindustrie die Selbstverpflichtung
zur CO2-Reduzierung nicht eingehalten hat. Ich bin gespannt, wie die neuerliche Vereinbarung der europäischen Autoindustrie aussehen wird, die heute verabschiedet werden soll.
Ich möchte noch etwas zu Frau Kollegin Reiche sagen. Ich empfehle Ihnen, eine Woche Bildungsurlaub in
den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel zu machen. Vielleicht haben Sie dort einen Erkenntnisgewinn
darüber, welche Sorgen und Nöte die Menschen vor Ort
haben, wenn ihnen so ein Meiler beinahe um die Ohren
fliegt.
({5})
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Gesamthaushalt hat einen deutlich höheren Umfang
als in den vergangenen Jahren. Wir haben eine Bundeskanzlerin, die den Klimaschutz zur Chefinnensache
macht und alles daransetzt, den Ruf der obersten Klimaschützerin zu erobern. Das sind beste Voraussetzungen
für ambitionierte Umwelt- und Klimaschutzpolitik sollte man zumindest meinen.
Man glaubt erst einmal, man sei im falschen Film,
wenn man dann nachrechnet, dass der Umweltetat im
Gegensatz zum Gesamthaushalt, der um 4,7 Prozent
steigt, nicht einmal um 0,2 Prozent steigt. Aber, Herr
Minister, wir haben natürlich noch das Klimaschutzpaket von Meseberg, das großenteils unter dem Finanzierungsvorbehalt des Finanzministers steht. Frau Merkel,
Herr Gabriel, wie sollen wir das verstehen? Sind die
Ziele doch nicht so ganz ernst gemeint, oder konnten Sie
sich gegenüber Ihrem Finanzminister nicht durchsetzen?
Denn bei Ihrer schönen Rechnung, Herr Minister
Gabriel, bei der Sie auf die 400 Millionen Euro kommen, möchte ich daran erinnern, dass Emissionszertifikate auch schon einmal für 50 Cent an der Börse gehandelt wurden.
({0})
Bringt der Emissionshandel ordentlich etwas ein?
Darf das für den Klimaschutz ausgegeben werden? Darauf bezogen sich übrigens die einzigen drei Sätze, die
dem Finanzminister in seiner einstündigen Rede der
Komplex Umwelt und Klima wert war. Dieser
Steinbrück’sche Kuhhandel ist letztlich nicht mehr und
nicht weniger als Basargefeilsche. Wir brauchen aber zuverlässige Investitionspolitik, Herr Investitionsminister
Gabriel, als der Sie selber sich so gerne sehen.
Ich will Sie noch einmal an Ihren Sündenfall erinnern,
({1})
Ihren unseligen Hang zur Kohle. Bei Ihrem Basargefeilsche haben Sie akzeptiert, dass Ihre Geschenke an die
Kohleindustrie im Rahmen des Emissionshandels direkt den erneuerbaren Energien und damit dem Klimaschutz ein zweites Mal im Wege stehen werden. Anna
Lührmann hat Ihnen vorgerechnet, wie es gehen kann.
Ein ambitionierter, konsequenter Klimaschutz ohne
Halbherzigkeiten und in guter Haushältermanier führt
unterm Strich auch in finanzieller Hinsicht zu einem besseren Ergebnis.
({2})
Umweltschutz ist nichts, was man sich leisten können
muss. Umweltschutz rechnet sich, wenn man das Wort
„Nachhaltigkeit“ richtig versteht und anwendet und
wenn die Regierung eine Politik macht, die in sich
schlüssig ist und sich nicht von Ressort zu Ressort widerspricht. Allerdings will ich gerne zugestehen: Mit
Herrn Glos zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge zu
kommen, ist sicherlich nicht ganz einfach.
Für den Klimaschutz gilt weiterhin: große Worte,
kleine Taten und unter Finanzierungsvorbehalt stehende
Taten. Die Aufgaben der Umweltpolitik und des Umweltministers hören aber nicht beim Klimaschutz auf.
Die Biodiversität hat derzeit gute Chancen, im Ranking
der Rhetorik des Ministers bald Platz zwei nach dem
Klimaschutz zu belegen. Das ist wohl nicht zuletzt der
Tatsache geschuldet, dass Deutschland im Jahr 2008
Gastgeber der COP 9 ist. Das ist gut so. Aber was ist es
für eine Absurdität, dass die Finanzierung der Durchführung dieser Vertragsstaatenkonferenz größtenteils zulasten des nationalen Natur- und Artenschutzes geht?
({3})
Das ist eine gelungene Demonstration des Stellenwerts,
den das Thema der Konferenz in unserem Land tatsächlich hat. Reicht es uns, zu sagen: Gut, dass wir darüber
geredet haben? Fazit: große Worte, keine Taten.
Am Einzelplan für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit fällt auf, dass die Mittel für die internationale Zusammenarbeit bzw. die Mittel des Titels „Internationale Sicherheit“, zum Beispiel beim Strahlenschutz,
und die Beiträge an internationale Organisationen gekürzt werden. Wie kann das sein? Führen Sie, Herr Minister, nicht zu Recht das Wort im Mund, dass Umweltprobleme keine Grenzen kennen? Haben Sie Forsmark
schon vergessen? Wie wollen wir Problemen wie der
Vermüllung der Meere, die nicht in nationale Zuständigkeiten fallen, beikommen? Wird darüber nicht einmal
mehr geredet? Keine Worte, keine Taten?
Ihr Ministerium lädt heute und morgen zu einem
Kongress zum Thema Bioraffinerie ein. Das ist in meinen Augen im Hinblick auf den zukunftsfähigen Umgang mit Ressourcen ein unverzichtbares Projekt. Wo
findet sich Entsprechendes im Haushaltsentwurf? Es
werden insgesamt 33 Millionen Euro für Pilotprojekte
im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe bereitgestellt,
allerdings im Einzelplan des Ministerium Ihres Kollegen
Seehofer. Wollten wir hier so viel tun wie die USA,
müssten wir auf Basis einer Pro-Kopf-Berechnung rund
100 Millionen Euro in den Haushalt einstellen.
Nein, Herr Minister, Ihr Umwelthaushalt ist angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel, angesichts
der Ansprüche der Kanzlerin und Ihrer großen Worte
keine Glanzleistung. Er ist bescheiden, er akzeptiert die
Randrolle, die ihm der Finanzminister zugewiesen hat,
und er macht sich klein, obwohl die Umweltproblematik
im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und der zu
lösenden Aufgaben steht.
Der nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehende Investitionszuschuss für die Entwicklung von Erneuerbare-Energien-Technologien in Höhe von 40 Millionen
Euro ist angesichts der Aufgaben lächerlich gering. Geothermie, Meereswellentechnologie und die bestehenden
Möglichkeiten zur Speicherung von Windenergie müssen marktreif gemacht werden, um dem Mantra der
Energiekonzerne von der Unverzichtbarkeit der Atomkraft den letzten Wind aus den Segeln zu nehmen.
({4})
Dass diese Segel aus Illusion und wissentlich falscher
Argumentation zusammengeflickt sind, wissen auch die
Segler, spätestens dann, wenn sie auf die Homepage des
weltweit zweitgrößten Brennstofflieferanten NUKEM
schauen, der unter dem Schlagwort „Vergesst die Renaissance der Atomkraft“ darlegt, dass uns der PeakUranium noch vor dem Peak-Oil erreicht.
Umwelt- und Klimaschutz sind mit konsequenter Politik möglich. Umweltpolitik ist notwendig. Sie braucht
das Wort, die Überzeugung, aber auch die Tat und das
entschlossene Handeln.
({5})
Der Haushaltsplan für das Jahr 2008 lässt diese Entschlossenheit bisher nicht erkennen.
Kollegin Kotting-Uhl, Sie müssten bitte zum Schluss
kommen.
Ich komme gerne zum Schluss. - Es besteht die
Chance, dass er sich nach den Ausschussberatungen anders darstellt. Vielleicht gelingt es uns im Umweltausschuss, den Klimaschutz im Haushalt auf einen reellen
Boden zu stellen, anstatt ihn an die Börse zu schicken.
Vielen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Josef Göppel
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich empfinde die Debatte heute als richtig erfreulich.
Alle Rednerinnen und Redner sind für mehr Umweltund Klimaschutz, und die von der Opposition suchen
nach Möglichkeiten, wie man es noch besser machen
kann.
({0})
Zweifellos ist das Thema Umwelt wieder im Zentrum
der politischen Debatte angelangt. Wenn man die Zeit
etwa von 1970, als das erste europäische Naturschutzjahr ausgerufen wurde, bis heute überblickt, dann muss
man sagen, dass die Probleme immer drängender geworden sind. Ich erinnere mich - etliche unter uns sicherlich
auch - noch an das Jahr 1973, an die erste Ölkrise und
die autofreien Sonntage, die Willy Brandt damals verordnet hat. Das war wie ein erstes Aufleuchten am Horizont. Danach haben wir uns wieder in Sicherheit gewiegt. Jetzt ist die Knappheit der Rohstoffe und der
Energiequellen so eklatant geworden, dass die Preise
stetig steigen. Nun, da die Menschen es am eigenen
Geldbeutel spüren, ist dieses Thema Teil des allgemeinen Volksbewusstseins geworden. Angesichts dessen hat
die Politik einerseits bessere Voraussetzungen, um eine
gute Umweltpolitik umzusetzen, aber andererseits auch
eine größere Verantwortung.
Ich muss sagen: Wir Deutsche können froh sein - dies
sage ich mit Freude und voller Überzeugung -, dass wir
eine Kanzlerin haben, die in der Sache so sattelfest ist,
dass sie auf den internationalen Konferenzen die anderen
mitziehen kann, und die gleichzeitig ihre Umwelt- und
Klimaschutzpolitik aus dem Zieldreieck der Nachhaltigkeit heraus betreibt: eine Politik, die mehr wirtschaftliche Chancen schafft und die Menschen auch sozial nicht
überfordert.
({1})
Bei dieser Gelegenheit beziehe ich unseren gemeinsamen Umweltminister ein. Herr Kollege Gabriel, die Absprache mit Michael Glos war gute Arbeit; das kann man
gar nicht anders sagen.
({2})
- Michel Glos ist natürlich ein harter Verhandlungspartner, der die Interessen seines Amtes sorgfältig wahrnimmt. Das gehört sich auch so.
({3})
Ich halte übrigens gar nichts davon, dass manche von
SPD-Ministern und Unionsministern reden. Wir haben
eine Bundesregierung, die, von uns gemeinsam getragen, bis 2009 einen Erfolg gegenüber den Wählern vorweisen will.
({4})
Das Programm von Meseberg wird noch eine gewaltige Schubkraft entfalten. Hier richte ich einen Appell an uns alle: Wir beobachten jetzt eine große Kaufzurückhaltung bei Anlagen für erneuerbare Energien und
bei den Wärmedämmungen in den Häusern. Die Menschen warten darauf, was sich konkret in Gesetzen und
Verordnungen niederschlagen wird. Sie sagen, wenn sie
jetzt investierten, wüssten sie noch nicht, ob ihre Investitionen letztlich dem Standard entsprechen würden. Wir
müssen diese Unsicherheit noch in diesem Jahr beenden
und Nägel mit Köpfen machen.
({5})
Ich spreche das Marktanreizprogramm an, das eine
tolle Geschichte ist. Nur dürfen wir dabei kein ständiges
Herauf und Herunter zulassen. Wenn es einen Antragsüberhang gibt, dürfen nicht gleich die Sätze gesenkt werden, um sie sofort wieder heraufzusetzen, wenn niemand
mehr das Programm abrufen will, weil es zu wenig Anreize bietet. Damit schaffen wir Unzufriedenheit bei denen, die gerade ein paar Tage vorher einen Antrag eingereicht haben. In dieses Programm muss also, Herr
Kollege Gabriel, unbedingt eine Verstetigung hineingebracht werden. Ich hoffe, dass dies mit den Verkaufserlösen aus den Emissionszertifikaten auch gelingt.
({6})
Ich komme nun auf das mehrfach erwähnte Thema
Automobilindustrie zu sprechen. Ich habe gelesen, dass
VDA-Präsident Wissmann gesagt hat, die IAA werde
keine Grüne Woche. Ich muss sagen: Wenn sich die Automobilindustrie gegen die Festlegungen unserer Kanzlerin und unserer Bundesregierung wehrt und dagegen
angeht, dann werden wir von der Union das nicht unterstützen.
({7})
Wenn die Automobilindustrie will, dass die Europäische
Kommission und die Bundesregierung nicht in die technische Entwicklung eingreifen, dann muss sie ihre
Selbstverpflichtungen entschlossen umsetzen. Das ist
der Weg.
({8})
Ein Letztes: die Biotreibstoffe. Es gibt jetzt die Diskussion, angefacht vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, dass Biotreibstoffe von der Energiebilanz
her nicht so gut abschneiden wie Biogas oder der Einsatz
von Biomasse zur Wärmegewinnung. Das ist prinzipiell
richtig. Aber ich frage diejenigen, die gegen Biotreibstoffe sind, welche Alternativen sie anbieten können. Ich
rate uns allen, die Festlegungen, die die Koalition getroffen hat, einzulösen und die entsprechenden Anteile, wie
beschlossen, zu realisieren. Dazu ist es nötig, dass wir
vor dem 1. Januar 2008 das Gesetz über die Besteuerung
der Biokraftstoffe ändern. Denn es darf nicht sein, dass
im Jahr 2008 die Biotreibstoffe an der Tankstelle teurer
sind als der aus Erdölgewonnene Treibstoff.
({9})
Das würde den Markt abwürgen.
Ich will bei dieser Gelegenheit sagen: Ich finde die
Vorschläge, die jetzt aus verschiedenen Arbeitsgruppen
unseres Koalitionspartners, der Sozialdemokraten, kommen, gut, nämlich auch eine Unterkompensation einzuführen und den öffentlichen Nahverkehr freizustellen.
Ich denke, dass wir auf dieser Basis zu einem guten gemeinsamen Ergebnis kommen können.
Ein letzter Punkt, der mir sehr am Herzen liegt -
Kollege Göppel, das müssen Sie dann bitte in Ihren
Beratungen in der Koalition fortführen. Sie sind über die
Redezeit.
Hier steht: noch 45 Sekunden.
Ein Minus steht davor.
({0})
Ich wünsche einen schönen Nachmittag und gemeinsame Anstrengungen für die Umwelt.
({0})
Wir sind, wie Sie richtig festgestellt haben, noch nicht
am Ende der Beratungen. Wir werden sicherlich alles
austauschen können.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
uns nicht vor.
Damit kommen wir nun zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern,
Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Jahrestag des 11. September ist es wichtig, in aller Klarheit
zu sagen, dass wir mit der Geißel der terroristischen Bedrohung auf absehbare Zeit werden leben müssen. Wir
wissen das seit Jahren. Wir haben in den letzten Jahren
zunehmend gesehen, dass wir auch in Europa bedroht
sind, dass wir alle Teil dieses weltweiten Gefahrenraums
sind.
Wir haben in der vergangenen Woche die Gefährlichkeit der Planungen, die mitten in unserem Land betrieben werden, auch von Menschen, die hier geboren sind,
immer hier gelebt haben, gesehen. Wir haben zugleich
gesehen, dass unsere Sicherheitsbehörden von Bund
und Ländern gut aufgestellt sind. Deswegen ist es wichtig, mit großer Klarheit zu sagen: Die Bedrohung dauert
an; sie ist durch die Verhaftung nicht abgeschlossen.
Deswegen warne ich davor, zu erleichtert zu sein. Zugleich sage ich aber: Wir können darauf vertrauen, dass
der Sicherheitsverbund von Bund und Ländern gut funktioniert.
Wir werden alles daransetzen auch hinsichtlich der
technologischen Entwicklung, um bei der Nutzung moderner Technologien - auch in der Informations- und
Kommunikationstechnologie - den Sicherheitsbehörden
die Möglichkeit zu verschaffen, auf eindeutiger rechtlicher Grundlage mit klarer verfassungsrechtlicher Begrenzung in diesem Wettlauf, den es in der Kriminalund Polizeigeschichte der Menschheit immer gegeben
hat, Schritt zu halten. Das sind keine einfachen Fragen;
wir führen intensive Beratungen darüber.
Es geht nicht darum - das ist in der Debatte der letzten Monate etwas schiefgelaufen -, dass irgendjemand
in diesem Lande plant, die Freiheitsrechte abzuschaffen
oder auch nur einzuschränken.
({0})
Es geht vielmehr darum, in der Verbürgung unserer freiheitlichen Verfassung das notwendige Maß an Schutz,
das ein Rechtsstaat gewährleisten muss, zu gewährleisten.
({1})
Das bedeutet im Einzelfall schwierige Abwägungen,
aber es wird möglich und auch notwendig sein, aber
nicht flächendeckend - das ist völlig verzerrt dargestellt
worden; es ist eine völlig falsche Wahrnehmung -, sondern in eng begrenzten Ausnahmefällen als Ultima Ratio, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes gesagt
hat, in die Strukturen moderner und sich weiter entwickelnder Kommunikation einzudringen.
Wie gesagt, die technischen wie die rechtlichen Fragen sind nicht einfach. Wir arbeiten intensiv daran und
haben auch unterschiedliche Meinungen. Auch das ist
wahr. Warum sollte man nicht darüber reden?
({2})
- Sie haben sich bisher nicht durch ein Übermaß an Entschlossenheit, diese Regelung einzuführen, hervorgetan.
Lassen wir das so stehen. Ich finde, es tut der freiheitlichen Demokratie keinen Abbruch, wenn man über
schwierige Fragen notfalls auch streitig debattiert und
dann zu einem Ende kommt.
Wichtig ist nach den Erfahrungen der vergangenen
Woche nicht nur, dass wir der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden vertrauen können, sondern, dass wir auch
auf sie hören müssen, wenn sie unter bestimmten Umständen etwas als Ultima Ratio für nötig halten. Dafür
werbe ich.
({3})
Im Übrigen sind wir in den letzten Jahren auch im Sicherheitsverbund von Bund und Ländern gut vorangekommen. Wir haben nach jahrelangen Auseinandersetzungen die Antiterrordatei zustande gebracht. Sie
funktioniert gut. Wir haben das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum aller Sicherheitsbehörden von
Bund und Ländern eingerichtet. Die Zusammenarbeit im
GTAZ auch in diesen langen Monaten - sie war von Anfang an schwierig, und viele unserer ausländischen Partner haben besorgt gefragt, ob wir das in unseren föderalen Strukturen leisten könnten; die Antwort lautet: wir
können es - trägt dazu bei, auch im Alltag mehr Vertrauen zueinander zu finden.
({4})
- Auch die gemeinsame Antiterrordatei. Darauf habe ich
schon hingewiesen.
Wir kommen auch mit der Einführung des Digitalfunks für die Behörden für öffentliche Sicherheit voran.
Das war ebenfalls mit jahrelangen Auseinandersetzungen verbunden, die wir jetzt zu einer Lösung gebracht
haben. Wir führen den Digitalfunk jetzt schrittweise ein.
Das heißt: Wir sind insgesamt auf einem guten Weg.
Ich glaube, dass wir diesen Weg weiter beschreiten können und auch mit aller Entschiedenheit weiter beschreiten müssen.
Gestatten Sie mir eine weitere Bemerkung zu den
großen Entwicklungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe dafür, dass wir alle auch dabei unserer
Verantwortung gerecht werden. Manche meinen, dass
die Freiheit immer weiter eingeschränkt wird. Ich finde,
die tatsächliche Entwicklung geht dahin, dass wir immer
mehr Freiheit haben. Das drückt sich in vielem aus. Die
europäische Entwicklung - die Tatsache, dass es keine
Grenzkontrollen mehr gibt und dass wir zum Ende dieses Jahres die Kontrollen an allen unseren Landgrenzen
abschaffen werden - ist ein großer Fortschritt und auch
ein großer Freiheitsgewinn.
Ich sage Ihnen voraus: Je näher das Datum der Erweiterung des Schengen-Raumes kommt, desto mehr wird
es in der Bevölkerung, insbesondere in der betroffenen
Region, Ängste vor einem Sicherheitsverlust geben.
Deswegen wird es wichtig sein, dass wir klarmachen,
dass die Abschaffung der Grenzkontrollen keinen Verlust an Sicherheit für die Menschen bedeutet. Das gilt
auch für die Grenzregionen. Wir werden durch verstärkte nachbarschaftliche Zusammenarbeit mit den polnischen und tschechischen Behörden, so wie wir es mit
den französischen, belgischen und niederländischen Behörden seit vielen Jahren halten, nicht zu weniger, sondern zu mehr Sicherheit kommen. Die Öffnung der
Grenzen in Europa bedeutet keinen Verlust an Sicherheit, sondern einen Gewinn an Freiheit und Sicherheit
zugleich. Die europäische Entwicklung ist alternativlos.
({5})
Wir haben zu diesem Zweck eine schwierige - und
für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
nicht nur einfache - Reform der Bundespolizei auf den
Weg gebracht. Die muss sein. Die Bundespolizei muss
auf die neuen Aufgabenschwerpunkte vorbereitet sein.
Deswegen ist die Reform der Bundespolizei notwendig.
Sie hat im Übrigen auch das Ziel, dass wir bei gleichem
Stellenbestand bei der Bundespolizei mehr Beamte für
den polizeilichen Vollzug gewinnen, indem wir die Führungsstrukturen schlanker und effizienter gestalten.
Auch dafür bitte ich um entsprechende Unterstützung.
Wir werden das im Haushalt 2008 im Rahmen der bestehenden Ansätze leisten. Ich füge vorsichtig hinzu: 2009
und 2010 wird wahrscheinlich eine gewisse Erhöhung
nicht zu vermeiden sein, wenn die Bundespolizei diese
Reform bewältigen soll.
Ich will noch ein Wort - weil es mir wichtig erscheint zum Themenbereich Katastrophenschutz sagen. Wir
haben an der schrecklichen Erfahrung unseres europäischen Partnerlandes Griechenland mit der Waldbrandkatastrophe gesehen, wie dankbar wir für die breiten Strukturen in unserem Katastrophen- und Bevölkerungsschutz
mit der Kombination von Hauptamt und Ehrenamt, mit
unserem hochleistungsfähigen Technischen Hilfswerk,
aber auch mit unseren hervorragenden Berufs- und Freiwilligenfeuerwehren überall im Land sein können.
({6})
Auch hier bewähren sich föderale Grundstrukturen,
bewährt sich das Subsidiaritätsprinzip, auch mit dem
Vorrang ehrenamtlicher Organisationen. Wir haben das
Programm für den ergänzenden Katastrophenschutz. Das
hat keine ganz einfache Geschichte, auch nicht im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Begründung. Es ist
aber in mühevollen Verhandlungen mit den Innenministern der Bundesländer gelungen, die Vereinbarung zu erzielen, dass dann, wenn der Bund seine Mittel für dieses
Programm nur in begrenztem Umfang zurückführt, die
Bundesländer ihre Mittel entsprechend aufstocken, sodass wir den Gesamtbestand an ehrenamtlichen Helfern
in den Freiwilligen Feuerwehren erhalten können. Wir
erwiesen unserem Land einen schlechten Dienst, wenn
wir das ehrenamtliche Engagement in unserem Land
schwächten. Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir
dieses Programm unterstützen.
({7})
- Wir kürzen nicht. Im Gegenteil: Im Vergleich zur mittelfristigen Finanzplanung stocken wir erheblich auf.
Herr Kollege, schauen Sie es sich an! Unterstützen Sie
es! Dann machen wir gemeinsam einen wichtigen Schritt
und tun etwas Gutes für die Sicherheit in unserem
Lande.
Wir haben vielfältige Debatten darüber geführt, was
wir tun können, um die Tendenzen zu Extremismus,
insbesondere zu Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Gewalt bis hin zu Neonazismus zu bekämpfen.
Wir haben viele Programme; diese müssen wir fortführen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir den jungen
Männern in den Regionen Angebote machen, in denen
es gelegentlich heißt, die Rechtsextremen hätten die attraktivsten Freizeitangebote. Das kann nicht wahr sein.
Zum Beispiel hat das Technische Hilfswerk in diesem
Sommer Ferienlager durchgeführt. Ich glaube, dass diese
praktische Arbeit - zusammen mit den Sportverbänden mit der richtige Weg ist, diese Tendenzen zu bekämpfen.
Deswegen bitte ich um Unterstützung.
({8})
Wir haben in aller Kürze die Konsequenzen aus der
Evaluierung der Integrationskurse gezogen. Es geht um
die Verbesserung der Integration. Mit unserem neuen
Zuwanderungsrecht, das nun dabei ist, sich in der Praxis
zu bewähren - all der Streit in vergangenen Monaten ist
längst vergessen -, sind wir auf dem richtigen Weg und
fördern und fordern Integration. Wir ziehen auch in diesem Haushalt die Konsequenzen aus der Evaluierung der
Integrationskurse, um entsprechende Verbesserungen
durchzusetzen.
Da das Innenministerium eine große Fülle von Zuständigkeiten hat, möchte ich nur noch ein paar Stichworte nennen. Stichwort Sport: Wir stehen vor der doppelten Herausforderung, die Wettbewerbsfähigkeit
unserer Sportler, die in einem härter werdenden internationalen Wettbewerb stehen - ich habe die Weltmeisterschaften der Kanuten und Ruderer sowie der Turner in
den letzten Wochen gesehen; es war wirklich wunderschön; Stuttgart ist auch eine tolle Sportstadt, das ist
wahr -,
({9})
zu erhalten und ihnen faire Wettbewerbschancen zu geben und zugleich den Kampf gegen den Missbrauch leistungsfördernder Mittel weiter zu verstärken. Deswegen
erhöhen wir die Mittel für die Dopingbekämpfung. Ich
füge allerdings hinzu: Wir werden weiterhin darauf angewiesen sein, dass die Sportorganisationen ihre Verantwortung wahrnehmen. Wir haben zwar einiges gesetzgeberisch auf den Weg gebracht. Aber wir müssen von den
Verantwortlichen - selbst im Radsport - die notwendige
Entschiedenheit und Klarheit einfordern. Ich sehe, dass
noch nicht überall die Überzeugung vorherrscht, dass ein
wirklicher Neuanfang notwendig ist.
({10})
Letzte Bemerkung. Im Grunde geht es bei allem, was
in meinem Geschäftsbereich liegt, darum, im Alltag unter Beweis zu stellen, dass unser föderales System und
das Subsidiaritätsprinzip eine Freiheitsordnung garantieren, die besser als jede andere den Menschen nicht nur
Freiheit, sondern auch Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten kann. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion.
({0})
Verehrtes Präsidium! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es eigentlich heute, am 6. Jahrestag
von 9/11, beim Thema „innere Sicherheit“? Worum geht
es dabei genau? Nach der öffentlichen Meinung geht es
offensichtlich darum, wer am meisten Sicherheit verspricht. Das war in der Vergangenheit der ehemalige Innenminister, Herr Schily; das ist jetzt der amtierende Innenminister, Herr Schäuble. Herr Schäuble, zu den
Zwischentönen, die Sie heute hier haben anklingen lassen, und dazu, dass Sie zurückgerudert sind und das zurückgenommen haben, was Sie in dem einen oder anderen Interview angesprochen haben, kann ich nur sagen:
Die Worte hör ich wohl, allein mein Glaube beschränkt
sich auf die Annahme, dass das heute ein Zugeständnis
an die SPD war, nicht aber an unseren Staat und unsere
Freiheit. Wir sind sehr gespannt, wie Sie damit weiter
umgehen.
({0})
Im Versprechen von Sicherheit sind Sie groß, aber
- das muss man ganz klar sagen - absolute Sicherheit
wird es niemals geben. Das ist eine bittere, aber wahre
Erkenntnis, zu der man stehen muss. Absolute Sicherheit
gibt es mit keinem neuen Gesetz, mit keiner neuen Vorschrift, mit keiner neuen Technik und mit keinem neuen
Programm.
Apropos Programm, Herr Minister: Im letzten Herbst,
etwa vor einem Jahr, haben Sie in letzter Minute im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Haushaltes das
Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit vorgelegt, das von der Großen Koalition verabschiedet wurde.
Mit diesem Programm nahm das Schicksal der Onlinedurchsuchung seinen Lauf. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir als FDP das ausgegraben haben.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es gab
niemanden von Ihnen, der das verurteilt hätte,
({1})
im Innenausschuss nicht und im Haushaltsausschuss
nicht.
({2})
Sie haben das toleriert, Sie waren dafür. Ob es eine
Rechtsgrundlage dafür gibt oder nicht, war Ihnen genauso wie damals dem Innenminister völlig egal.
({3})
Heimliche Durchsuchung - das ist eine Methode im
deutschen Rechtsstaat, die wir bisher nicht kennen, und
zwar in keinem einzigen Fall. Das in einem Handstreich
und möglichst auch noch heimlich einführen zu wollen,
ist aus der Sicht der FDP eines Verfassungsministers
nicht würdig.
({4})
Zurück zum Programm. Der Bericht des Bundesrechnungshofes, der es untersucht hat, spricht eine sehr deutliche Sprache. Er ist eigentlich eine schallende Ohrfeige
für die Umsetzung des Programms. Kein Wunder, dass
Sie lieber über heimliche Onlinedurchsuchungen als
über das Programm sprechen; denn das ist schon durchgefallen. Der Bundesrechnungshof führt aus - wenn ich
kurz zitieren darf -: Bei der Mehrzahl der untersuchten
Maßnahmenpakete ist nicht erkennbar, dass die Bundespolizei ihre Ziele in absehbarer Zeit erreichen kann. Es
sind Beschaffungen vorgesehen, die den parlamentarisch
bewilligten Umfang deutlich übersteigen. Folgekosten
bleiben unberücksichtigt, und Konzeptionen für spätere
Evaluierungen gibt es erst gar nicht. - Nicht, dass uns
das mit den Evaluierungen wundern würde, der Rest
aber schon. Sie versprechen mit Ihren Maßnahmen Sicherheit und halten Ihre Versprechungen nicht einmal
mit dem, was der Bundestag Ihnen zur Verfügung gestellt hat. Wie wollen Sie dann den Bürgern eigentlich
noch klarmachen, wie Sie für Sicherheit sorgen wollen?
({5})
Es geht noch weiter: Seit dem 11. September 2001
sind in Deutschland 10 000 Polizistenstellen und dazu
noch einmal 7 000 Tarifbeschäftigte bei den Polizeien
eingespart worden.
({6})
Das ist wirklich ein Wort in Sachen Sicherheit. Computer, die heute im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität, Kinderpornografie oder auch islamistischem
Terrorismus beschlagnahmt werden, liegen teilweise
zwei Jahre in den Kellern der Behörden, weil dort kein
Personal ist. Macht das dieses Land sicherer? DNA-Spuren warten teilweise Jahre auf die Auswertung, und das
alles, weil es an Ressourcen und Personal fehlt.
Wo bleiben da bitte schön Ihre warnenden Worte,
Herr Minister?
({7})
- Ich wusste, dass Sie sich das leicht machen.
Wenn Sie sich jetzt auf die fehlenden Zuständigkeiten
berufen, dann frage ich Sie: Ist eine IMK wie die am
Freitag dann eigentlich nur noch eine Show-Veranstaltung? Es ist ja schön, wenn Sie sich mit den Landesinnenministern auf einen Straftatbestand für den Besuch
von Terrorcamps einigen. Diesbezüglich möchte ich Sie
aber auf zwei Sachen hinweisen: Erstens sind die Landesinnenminister dafür gar nicht zuständig. Einzig und allein der Bundestag kann das beschließen, nicht die IMK;
das muss ganz klar sein. Sie können vieles beschließen,
was der Bundestag dann umsetzen soll. Ich habe aber
noch kein warnendes Wort von Ihnen an die Landesinnenminister gehört, dass diese bei der Polizei und den
entsprechenden Ressourcen dringend aufstocken müssten. Wenn eine IMK Sinn ergeben soll, ist auch das ein
Thema, das auf die Tagesordnung gesetzt werden muss.
Da habe ich Ihre Stimme wirklich vermisst.
({8})
Es ist uns klar, dass mehr Polizei und bessere Ausstattung viel Geld kosten. Aber innere Sicherheit darf aus
unserer Sicht nicht am Geld scheitern. Das ist eine ganz
klare Haltung meiner Fraktion, und wir würden uns
freuen, wenn die anderen das so umsetzen würden. In
Nordrhein-Westfalen, wo ein liberaler Innenminister die
Verantwortung übernommen hat, werden mehr Polizisten eingestellt als in jedem anderen Bundesland.
({9})
Ich frage mich, ob Ihre sogenannte Große Koalition da
funktioniert.
Zum Schluss noch eine Aufforderung an das ganze
Parlament: Der Wettlauf um die besten Vorschläge nach
einem vereitelten Anschlag hat aus meiner Sicht wirklich nichts mit seriöser Politik zu tun.
({10})
Das ist eine Missachtung derjenigen - im Fall der letzten
Woche waren es 300 Beamtinnen und Beamten -, die
Tag und Nacht gearbeitet und einen Erfolg vorzuweisen
haben. Das erste, was Sie machen, sind neue Vorschläge,
statt diesen Menschen ausführlich zu danken und in
Ruhe neue Vorschläge zu überdenken. Das hat aus meiner Sicht mit ruhiger Politik nichts zu tun.
({11})
Zweitens frage ich mich, warum Sie diese Vorschläge,
wenn sie denn so toll sind, nicht schon längst gemacht
haben.
({12})
Das ist keine seriöse Politik.
({13})
Uns geht es nicht darum, absolute Sicherheit zu versprechen, uns geht es darum, größtmögliche Sicherheit
für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu erreichen. Das ist die bessere Alternative.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Fritz Rudolf
Körper von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich - gerade in diesen Tagen - eine Bemerkung
machen, die mir sehr wichtig ist: Deutschland kann stolz
sein, dass es im internationalen Vergleich eines der
sichersten Länder der Welt ist.
({0})
Ich bitte dies bei allen Debatten, die wir über die
Sicherheitslage führen, nicht zu vergessen. Wir müssen
alles daransetzen, dass Objektivität und Subjektivität
- die objektive Ausgangsposition und das subjektive
Empfinden der Bürgerinnen und Bürger - zusammengeführt werden.
({1})
- Das kann man hinzufügen, Herr Kollege Tauss: statt
Hysterie. - Ich finde es ganz wichtig, dass wir mit der
Sicherheitslage sorgfältig und objektiv umgehen und
dass keine falschen Schlussfolgerungen gezogen werden.
Die jüngsten Tage haben deutlich gemacht, wie erfolgreich unsere Sicherheitsbehörden mit dem vorhandenen Instrumentarium arbeiten können. Dafür sei ihnen
herzlich gedankt!
({2})
Diese Aktionen machen auch deutlich, wie wichtig
unsere Fähigkeiten im Vollzug sind. Denn es kommt
nicht nur auf die Gesetze an, sondern darauf, wie gut wir
im polizeilichen Vollzug sind.
Liebe Frau Kollegin Piltz, Sie haben zu Recht festgestellt, dass die Länder bei der Polizei ihre Personalkontingente reduziert haben. Aus meiner Sicht wäre es aber
ein Gebot der Fairness gewesen, hinzuzufügen, dass der
Bund dies eben nicht getan hat, sondern seine Polizei in
den zurückliegenden Jahren personell und materiell besser ausgestattet hat.
({3})
Frau Kollegin Piltz, es ist immer ein bisschen schwierig, mit Steinen zu werfen, wie Sie es getan haben. In
Bezug auf das, was Sie zum Thema Onlinedurchsuchungen gesagt haben, bedarf es folgenden Hinweises:
Warum liegt diese Sachfrage in Karlsruhe vor? Weil es
ein Landesverfassungsschutzgesetz gibt, das diese Regelung enthält. Dieses Gesetz wurde in Nordrhein-Westfalen beschlossen, und zwar mit Zustimmung der FDP und
des dortigen FDP-Innenministers. Sie sollten daher ganz
vorsichtig sein, über diese Durchsuchungen zu richten.
({4})
- Meine Bemerkung hat offensichtlich gesessen. - Wir,
die rot-grüne Bundesregierung, haben dieses Instrument
übrigens nicht angewendet.
Ich halte es für einen beachtlichen Vorgang - auch das
will ich deutlich machen -, dass in der Öffentlichkeit
keine Bemerkung gemacht worden ist, die die Ermittlungen gefährdet hätte, obwohl Hunderte von Beamten an
den Maßnahmen beteiligt waren, die zu den Verhaftungen geführt haben. Es ist festzustellen, dass sich das Terrorabwehrzentrum - wir haben dafür gesorgt, dass sich
die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern an einen
Tisch setzen - bewährt hat: Es war entscheidend, um den
Vollzug zu effektivieren und um zu diesen Ergebnissen
zu kommen. Darauf können wir stolz sein.
({5})
Es ist wichtig, dass wir nicht immer wieder nach
neuen Instrumenten rufen. Manch ein Ruf überlebt
keine 24 Stunden. Wir sollten vielmehr mit den bewährten Instrumenten sehr sorgfältig umgehen, und wir sollten klären, was wir darüber hinaus noch tun müssen. Ich
finde es ganz richtig und wichtig, dass wir das Bundeskriminalamt zukünftig mit einer sogenannten Präventivkompetenz im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ausstatten. Das ist nämlich die richtige Antwort
auf die Herausforderungen durch den internationalen
Terrorismus.
({6})
Was die Frage der Onlinedurchsuchungen anbelangt:
Das ist nach meinem Dafürhalten zwar eine wichtige,
letztlich aber nur eine Detailfrage, die wir nicht überhöhen sollten.
({7})
Ich finde es richtig und wichtig, dass wir an der Beantwortung dieser Frage sorgfältig arbeiten. Ich halte es
auch für notwendig, die Karlsruher Entscheidung einzubeziehen. Ich denke, das ist die richtige Vorgehensweise.
({8})
Unser ausdrückliches Angebot ist, über das BKA-Gesetz
möglichst zügig zu beraten und zu entscheiden.
({9})
Herr Kollege Schäuble, ich verstehe allerdings nicht,
dass dem Bundeskriminalamt nach der Haushaltsvorlage
8 Millionen Euro genommen werden, um sie der Bundespolizei zukommen zu lassen. Ich habe die Neuorganisationsmaßnahmen im Bereich der Bundespolizei immer
so verstanden, dass es nicht zu einer Vermehrung von
Personalkosten kommen soll. Angesichts der Herausforderungen im Bereich des internationalen Terrorismus
sind diese 8 Millionen Euro beim Bundeskriminalamt
besser eingesetzt als bei der Bundespolizei.
({10})
Wir müssen noch einmal darüber reden, Kollege Uhl,
wie wir das Thema der Neuorganisation der Bundespolizei grundsätzlich angehen. Mir stellt sich die Frage:
Welche Synergieeffekte kann man bei Bundeskriminalamt und Bundespolizei nutzen? Ich nenne beispielsweise
den kriminaltechnischen Bereich oder den IT-Bereich.
Es geht darum, wie wir das bei einer Neuorganisation
forcieren können. Doppelstrukturen bei BKA und Bundespolizei halte ich nicht für sonderlich sinnvoll.
({11})
Wir möchten noch einmal grundsätzlich über die
Neuorganisation der Bundespolizei reden - das sage ich
ganz deutlich -; denn die Auswirkungen, wie sie sich
darstellen können, sind unserer Auffassung nach nicht
geeignet, polizeiliche Arbeit zu effektivieren und zu forcieren. Deswegen ausdrücklich noch einmal dieses Gesprächsangebot. Es ist notwendig, das Bundespolizeigesetz zu ändern.
({12})
Das bedarf der Zustimmung dieses Hauses. Das Interesse an einer Effektivität der Neuorganisation ist selbstverständlich.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben das Technische
Hilfswerk und den Katastrophenschutz angesprochen.
Auf das Technische Hilfswerk und die Arbeit, die von
den Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen dort geleistet
wird, können wir stolz sein.
({13})
Wenn es eine solche Einrichtung nicht gäbe, müsste sie
eigentlich erfunden werden.
Das Technische Hilfswerk zeichnet sich dadurch aus,
dass es eine besondere Kombination von Ehrenamtlichkeit auf der einen Seite und Hauptamtlichkeit auf der anderen Seite gibt. Es ist dann gut, wenn es zwischen den
Ehrenamtlichen und den Hauptamtlichen gut funktioniert. Die Planungen des Bundesinnenministeriums, von
800 Hauptamtlichen 100 Hauptamtliche einzusparen,
halte ich schlichtweg für falsch.
({14})
Es kommt hinzu, dass das Technische Hilfswerk eine
globale Minderausgabe in Höhe von 7 Millionen Euro
erwirtschaften soll. Ich bitte insbesondere die Haushälter, da noch einmal genau hinzuschauen; denn das können wir dem Technischen Hilfswerk weder materiell
noch personell zumuten. Meine herzliche Bitte wäre,
eine verbesserte finanzielle Situation für das Technische
Hilfswerk zu erreichen.
({15})
Ob wir im Bereich des Katastrophenschutzes gegenüber den Ländern ohne rechtliche Grundlage so großzügig sein sollten, will ich zumindest mit einem Fragezeichen versehen.
Der Innenhaushalt ist sehr facettenreich. Ich will eine
kurze Bemerkung zum Thema Sport machen. Sie haben
das Rudern angesprochen. Wir müssen feststellen: Im
Rudern sind wir im Moment nicht so erfolgreich, wie
wir waren.
({16})
Warum sind wir im Rudern der Männer nicht so erfolgreich? Weil wir ein Problem haben, was den beruflichen
Übergang der Athleten anbelangt. Sie haben gesagt: Wir
können uns das quasi beruflich nicht leisten. - Da wäre
es ganz wichtig, noch einmal den Hinweis an den Bundesverteidigungsminister zu geben, die Mittel, die er für
den Leistungssport und die Sportlerinnen und Sportler
zur Verfügung stellt, nicht unbedingt zu reduzieren. Das
wäre ein guter Beitrag für den Sport in Deutschland.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder
Haushaltsentwurf gibt die Grundrichtung an, in die eine
Regierung gehen will. Wir sagen an dieser Stelle ganz
klar: Die Grundrichtung, die hier vorgegeben wird, Herr
Innenminister, ist grundfalsch.
({0})
Falsch ist der Galoppritt zum Überwachungsstaat.
Falsch ist die Weigerung, Einwanderern und Flüchtlingen endlich ernsthafte Integrationsangebote zu machen.
Wir haben vor wenigen Wochen anlässlich des G-8Gipfels einen erschreckenden Anschauungsunterricht
darin erhalten, wie der Staat aussieht, den sich diese Regierung wünscht.
({1})
Um den legitimen Protest gegen den Gipfel zu verhindern, sind der Protest und der Widerstand über Monate
hinweg diffamiert worden, Sitzblockaden wurden als
Gewalttaten verunglimpft. Rund um den Gipfel
herrschte ein pauschales Demonstrationsverbot, und wir
alle haben die Käfige gesehen. Die Bundeswehr hat sich
mit Spähpanzern und Tornados an der Überwachung und
Einschüchterung von Demonstrantinnen und Demonstranten beteiligt.
Die G-8-Szenen zeigen aber auch, dass es Protest und
Widerstand gegen diese Entwicklung gibt, und das ist
gut so. Zehntausende von Demonstrantinnen und Demonstranten haben trotz willkürlicher Verbote ihre
Grundrechte wahrgenommen und demonstriert.
({2})
Dieser Protest wird von unserer Fraktion ausdrücklich
unterstützt.
Meine Damen und Herren, zwei Drittel des gesamten
Etats für die Innenpolitik, insgesamt 3,3 Milliarden
Euro, fließen in den Bereich Sicherheit.
({3})
2008 sollen es noch einmal 270 Millionen Euro mehr
werden. Schauen wir uns einmal genauer an, was hier eigentlich finanziert wird: Die Trennung von Polizei und
Geheimdiensten ist mit der Einrichtung des Antiterrorzentrums und der sogenannten Anti-Terror-Datei weitgehend aufgehoben worden. Passfotos werden schon gespeichert und ab 1. November auch die Fingerabdrücke
von allen, die Reisepässe haben wollen. Die nächsten
Überwachungsmaßnahmen sind schon vorbereitet. Das
Bundeskriminalamt wird zur Geheimpolizei mit weitreichenden Befugnissen
({4})
zur Telefonüberwachung, zur Verwanzung von Wohnungen und zur heimlichen Onlinedurchsuchung, die ja
schon Gegenstand dieser Debatte war.
Wer an die Beschwichtigung des Innenministers
glaubt, es gehe ja bloß um zehn Computer im Jahr, der
ist selbst schuld und meines Erachtens naiv.
({5})
Wenn erst die rechtliche Grundlage da ist, werden die
technischen Mittel ausgebaut. Dann drohen immer mehr
Computerschnüffeleien. Genauso war es im Übrigen
beim Großen Lauschangriff auf Wohnungen,
({6})
der ja, bevor er vom Bundesverfassungsgericht gestoppt
wurde, weidlich ausgeweitet wurde.
An dieser Stelle möchte ich gerne Heribert Prantl zitieren, der vor wenigen Tagen im NZZ Folio die Logik
des Überwachungsstaats folgendermaßen beschrieben
hat:
Jeder Einzelne gilt als potentiell verdächtig - so
lange, bis sich durch die Kontroll- und Überwachungsmassnahmen seine Entlastung ergibt.
({7})
Mit dem Rechtsstaatgedanken, an dem die Linksfraktion
nach wie vor festhält, hat das nichts mehr zu tun. Daran
muss man gerade auch heute, am 11. September, erinnern.
Meine Damen und Herren, wie falsch die Gelder angelegt wurden - die Kollegin Piltz ist schon darauf eingegangen -, die angeblich der Sicherheit dienen sollen,
hat der Bundesrechnungshof gerade gerügt. Von
17 Millionen Euro, die voriges Jahr für den Ausbau von
Videoüberwachung bewilligt worden waren, sind erst
600 000 Euro ausgegeben worden,
({8})
und zwar nicht, weil die Regierung so sparsam ist, sondern weil sie niemals Vorstellungen für konkrete Projekte entwickelt hatte. Erst wird mit Angstmache Alarm
geschlagen, dann wird dringender Handlungsbedarf behauptet, Gelder werden eingefordert, und am Ende stellt
sich heraus, dass die Bundesregierung völlig konzeptionslos agiert, so zum Beispiel beim Feldversuch am
Hauptbahnhof in Mainz, wo mit Videokameras eine automatische Gesichtserkennung erprobt wurde, die sich
als großer Flop erwiesen hat und damit eine riesige
Geldverschwendung darstellt.
Die Linke hat andere Vorstellungen davon, wo Gelder
eingesetzt werden müssten. Letztes Jahr hat die Bundesregierung hier mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ein
spontanes Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit
mit einem Volumen von 130 Millionen Euro beschlossen.
Die Linke fordert jetzt ein ähnliches Sofortprogramm, und
zwar zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.
({9})
Herr Schäuble, meine Damen und Herren, niemand
kann ernsthaft bestreiten, dass die größte Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit zurzeit von den Neofaschisten und Rechtsextremisten ausgeht.
({10})
Das hat vor einigen Tagen besonders die rassistische
Hetzjagd in Mügeln gezeigt. Das Beispiel Mügeln hat
auch gezeigt, dass es falsch war, die Verantwortung für
die Projekte gegen Rechts an die Kommunen zu delegieren. Die örtlichen Amtsträger wollen das Problem des
Rechtsextremismus oftmals nicht sehen. Basisinitiativen und Beratungsteams gegen Rechtsextremismus müssen ständig um ihre weitere Finanzierung bangen. Etliche Projekte wurden schon eingestellt, weil sie nicht
mehr finanziert werden.
Da läuft doch wirklich etwas falsch. Während Linke
stets mit dem § 129 a StGB bedroht sind und damit rechnen müssen, als terroristische Vereinigung zu gelten,
verüben Rechtsextremisten Tausende von rechtsextremistischen Straftaten, ohne dass die Bundesregierung
ernsthafte Gegenmaßnahmen anzubieten hätte.
Die Linke fordert deswegen: Wenn schon 270 Millionen Euro zusätzlich für sogenannte Sicherheitsausgaben
bereitstehen sollen, dann muss dieses Geld voll und ganz
in den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus
fließen.
({11})
Die schon vor Jahren vom Bundestag beschlossene unabhängige Beobachtungsstelle gegen Rechts muss endlich geschaffen werden. Das könnte dazu beitragen, dass
auch Dunkelziffern rechter Gewalt offengelegt würden
und tatsächlich mehr Sicherheit zu erreichen wäre, insbesondere was den Schutz der potenziellen Opfer angeht.
Noch ein paar Worte zur Integrationspolitik. Die
Sprachkurse für Neuzuwanderer und Flüchtlinge sind
eindeutig unterfinanziert. Notwendig wären eine höhere
Stundenzahl, kleinere Kurse und eine bessere Entlohnung des Lehrpersonals. Wir wollen, dass auch sogenannte Geduldete und Asylsuchende diese Kurse besuchen dürfen. Selbst das von der Bundesregierung in
Auftrag gegebene Rambøll-Gutachten geht von einem
Mehrbedarf von fast 60 Millionen Euro aus. Veranschlagt sind aber nur 14 Millionen Euro. Wir sagen hier
ganz klar: Wer Integration zur nationalen Aufgabe erklärt, wie das vor allen Dingen die CDU/CSU tut, muss
auch entsprechende Mittel bereitstellen, damit diese Integrationskurse optimal ausgestaltet werden können.
({12})
Während die Regierung weiterhin bei der Integration
spart, wird die sogenannte EU-Grenzschutzagentur
Frontex weiter aufgerüstet. Deren Schiffe und Hubschrauber sollen Flüchtlinge abschrecken, was in der
Praxis bedeutet, dass noch mehr Menschen gefährdete
Fluchtrouten benutzen müssen. Die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ hat am Tag des Flüchtlings erklärt: Wer
das Sterben vor den Toren Europas wirklich verhindern
möchte, muss sich Gedanken darüber machen, wie
Flüchtlinge und Migranten gefahrenfrei und legal auf
dem Territorium der EU ankommen können. Das wäre
meiner Meinung nach wirklich ein humanitärer Akt.
Im vorliegenden Haushaltsentwurf ist von all diesen
Dingen nichts zu finden. Die Linksfraktion fordert vor
allem, die Zusammenlegung von Polizei und Geheimdiensten ebenso wie die Inlandseinsätze der Bundeswehr
sofort zu stoppen. Streichen Sie die Millionen für Hightechüberwachungsanlagen, stoppen Sie den Aufbau des
Schnüffelstaates, und investieren Sie Gelder in den
Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine humanitäre Flüchtlingspolitik!
Zuletzt weise ich darauf hin, dass am 22. September
hier in Berlin eine Demonstration unter dem Motto
„Stoppt den Überwachungswahn“ gegen Vorratsdatenspeicherung und den Abbau von Bürgerrechten stattfindet. Wir als Linke werden uns auf jeden Fall an diesen
Protesten beteiligen.
Danke schön.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegin Silke Stokar, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Zunächst gratulieren natürlich auch wir den Frauen der Fußballnationalmannschaft, die gestern mit 11 zu 0 hervorragend gegen Argentinien gewonnen haben. Das ist eine
hervorragende Leistung, die ganz ohne Doping erreicht
wurde und die hier im Hause auch gewürdigt sein soll.
({0})
Meine zweite Bemerkung richtet sich an die parlamentarische Verantwortung in diesem Haus. Ich vertrete
nicht die Auffassung, dass der BKA-Präsident Ziercke
dem Parlament über öffentliche Interviews sagen sollte,
was die Polizei braucht. Ich glaube, es ist im demokratischen Rechtsstaat gute Tradition, dass das Parlament
der Polizei auch Grenzen setzt und dass wir bestimmen,
wo das Ende der Wunschliste der Polizei ist.
({1})
Das sollten wir hier nicht durch einige laxe Bemerkungen des Innenministers in das Gegenteil umkehren lassen.
({2})
Lassen Sie mich auch sagen: Gleiches gilt für die
IMK. Selbstverständlich haben die Innenminister der
Länder das Recht, sich zu versammeln. Selbstverständlich haben sie auch das Recht, den Herrn Bundesinnenminister als Gast dazu einzuladen.
({3})
Gesetzgeber zur Bundesinnenpolitik ist jedoch der
Deutsche Bundestag; Gesetzgeber ist das Parlament und
sonst niemand. Dieses Selbstverständnis sollten zumindest wir hier unten in den Reihen alle miteinander teilen.
({4})
Weiterhin möchte ich eine Frage an Sie, Minister
Schäuble, richten. Wir sind in den Haushaltsberatungen.
Ich frage Sie: Was machen Sie eigentlich mit dem Geld,
das Ihnen das Parlament zur Verfügung stellt? Es ist vonseiten der Opposition von einigen Rednern angesprochen worden: Zum Haushalt 2007 haben Sie ein zusätzliches Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit
gefordert und es nach den zum Glück vereitelten Kofferbombenanschlägen von der Mehrheit des Hauses auch
erhalten. Von diesen 26 Millionen Euro haben Sie nach
einem Bericht des Bundesrechnungshofs lediglich
3,4 Prozent für die Terrorismusbekämpfung ausgegeben.
Für mich ist dieser Vorgang ein Skandal. Für mich ist
dieser Vorgang eine Missachtung des Haushaltsrechts
des Parlaments. So geht das nicht! Der Begriff Terrorismusbekämpfung wird für Sie zum Sesam-öffne-dich der
Steuerkasse. Anschließend verschwindet das Geld in den
schwarzen Kassen des BMI, und Sie sagen uns nicht,
was Sie mit diesem Geld konkret gemacht haben.
({5})
Vor diesem Hintergrund wundert es mich überhaupt
nicht, dass mein Antrag auf Akteneinsicht zur Sicherheitszentrale der Bahn seit zwei Monaten im Übrigen
rechtswidrig vom BMI nicht beantwortet wird. Wir wollen wissen, wie es um die Videoüberwachung der Bahnhöfe steht. Wir wollen es nicht länger zulassen, dass der
Bundesinnenminister öffentlich überall mehr Videoüberwachung fordert. Wir sind nicht der Auffassung, dass
dies der richtige Weg ist, wenn der Minister dann in seinem Zuständigkeitsbereich der Bahnsicherheit das zur
Verfügung gestellte Geld nicht ausgibt, wofür er eine
Rechtsgrundlage hat. Dort, wo er Verantwortung trägt,
handelt er nicht. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir haben die Schnauze voll von Denkanstößen.
({6})
Wir haben keine Lust mehr auf Ankündigungen im Bereich der Innenpolitik. Wir haben auch keine Lust mehr
auf das innenpolitische Theater, das wir seit zwei Jahren
hier verfolgen können.
({7})
Wir sagen: Sechs Jahre nach den verheerenden Anschlägen des 11. Septembers ist die Lage viel zu ernst,
als dass wir es uns hier in Deutschland leisten könnten,
dass der Bundesinnenminister im Wochentakt - man
könnte fast sagen: im Stundentakt - eine Forderung in
den Raum stellt. Die Justizministerin sagt dann: Nein,
das mache ich nicht. Herr Uhl oder Herr Edathy spielen
das ganze Spiel ab und zu noch öffentlich mit.
Ihre Bilanz nach zwei Jahren als Innenminister sieht
so aus - ich verstehe das ein Stück weit; denn Sie wollten diesen Job nie haben -: Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben Sie zwei Gesetze, die noch von Rot-Grün
auf den Weg gebracht wurden, zu Ende geführt. Seitdem
gibt es nichts: keinen Gesetzentwurf, kein Konzept,
keine Pläne und keine Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen. Das Einzige, was es gibt, sind Hardlinersprüche
in der Presse und ein Riesengezänk in der Großen Koalition.
({8})
Lassen Sie mich zu zwei der umstrittenen Projekte etwas sagen. Wir wollen keine Onlinedurchsuchungen.
Herr Kollege Uhl, der Unsinn, den Sie dazu gesagt haben, ist eigentlich nur Ausdruck Ihrer Desinformation.
Was ist denn schon heute alles möglich? Selbstverständlich kann das BKA im Internet nach Bombenbauanleitungen fahnden; selbstverständlich kann der BND
die E-Mail-Kontakte zwischen Deutschland und Pakistan überwachen; selbstverständlich hat das BKA auch
schon heute bei Terrorismusverdacht die Möglichkeit,
versandte E-Mails zu überwachen. All dies sagen Sie der
Bevölkerung nicht.
({9})
Herr Schäuble will das Eindringen in private Computer mit einer staatlich entwickelten Spionagesoftware ermöglichen. Ich lehne diese Maßnahme nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen ab. Ich möchte, dass
Bundeskanzlerin Merkel auf dem nächsten IT-Kongress
einmal der IT-Wirtschaft erklärt, wie Internetsicherheit
in Deutschland hergestellt werden soll. Ich möchte, dass
die Bundeskanzlerin erläutert, zu welchem ökonomischen Schaden die Umsetzung von Schäubles Plänen
- nach meiner Auffassung führen sie zu Internetgefahr
made in Germany - führen kann.
({10})
Wenn Sie mir an diesem Punkt nicht glauben, kann
ich Ihnen nur sagen: Chip, eine der besten deutschen
Computerzeitschriften, forderte auf ihrer Titelseite den
„Schäuble-Blocker“. Die Computerzeitschrift Chip beschreibt sehr genau die ökonomischen Schäden, die entstehen, wenn der Staat Spionagesoftware entwickelt. Es
ist nur eine Frage der Zeit, dass diese Spionagesoftware
auch in kriminellen Händen ist und dass damit zum Beispiel Onlinebankkonten leergeräumt werden. Das ganze
Vorhaben ist Unsinn und kein Beitrag zu mehr Sicherheit.
Meine Damen und Herren - ich wende mich insbesondere an die SPD - ich kann Ihre Begeisterung für die
Novelle des BKA-Gesetzes wahrlich nicht nachvollziehen. Die Novelle führt zu einer grundlegenden ÄndeSilke Stokar von Neuforn
rung der Sicherheitsstruktur in Deutschland, hin zu mehr
Zentralismus. Das BKA wird zukünftig, ohne in Kooperation und Kommunikation mit den Landeskriminalämtern treten zu müssen, in eigenem polizeilichen Ermessen,
befreit von der Kontrolle durch die Bundesanwaltschaft,
ermitteln können. Damit werden Wünsche erfüllt, die das
BKA schon in den 70er-Jahren hatte. Um im ganzen
Land agieren zu können, bedarf es nur der Zauberformel
„Terrorismusverdacht“. Vor dem G-8-Gipfel haben wir
gesehen, wie in Deutschland nach wie vor mit dem
Begriff „Terrorismusverdacht“ umgegangen wird. Wir
wollen nicht, dass das BKA sozusagen alleine, ohne
Richterbeschluss, auch nachts, Häuser in Deutschland
durchsuchen kann.
Irgendwer wird mir vielleicht einmal erläutern, was
man mit einem Platzverweis für Terrorverdächtige erreichen will. Ich habe erst überlegt, ob ich darüber lachen
soll; aber offensichtlich meinen Sie das ernst.
({11})
- Nein.
Zu den Themen Integration und Rechtsextremismus
ist hier einiges gesagt worden, auch von der Bundesregierung. Es gab ein großes öffentliches Tamtam, großes
Theater. Es wurde ein nationaler Integrationsgipfel ins
Leben gerufen. Die Ergebnisse der Evaluation der Integrationskurse - Sie haben die Evaluation selbst in Auftrag gegeben - werden nicht ernst genommen. Sie setzen
nicht die erforderlichen Mittel ein, um Ihre eigene Forderung - Zuwanderer sollen Deutsch lernen - in die Tat
umzusetzen. Zum Deutschlernen braucht man Kurse.
Dazu benötigt man ausreichend bezahltes und qualifiziertes Lehrpersonal und eine Kinderbetreuung. Was machen Sie? Erst kürzen Sie die Haushaltsmittel erheblich;
dann legen Sie wieder etwas drauf. Aber Sie wissen ganz
genau, dass diese Haushaltsmittel nicht ausreichend
sind,
({12})
um vernünftige Integrationskurse, die wir in Deutschland dringend brauchen, zu finanzieren.
({13})
Ein weiterer Bereich; das Stichwort „Mügeln“ ist schon
gefallen. Sie haben es innerhalb von kürzester Zeit geschafft, die guten Programme gegen Rechtsextremismus,
mit denen eine Struktur der Gegenwehr gerade in den
neuen Bundesländern aufgebaut worden ist, kaputtzumachen. Sie leiten die Gelder in die falschen Hände.
({14})
Sie haben den Begriff „Rechtsextremismus“ aus der
Überschrift dieser Programme gestrichen. Sie unterscheiden sich nicht sehr von dem Bürgermeister in Mügeln; denn in der Realität meinen Sie es gar nicht ernst
mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
({0})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Ich möchte zum Schluss eine Bitte an alle Fraktionen
richten. Wir haben erneut einen Brief von der liberal-jüdischen Gemeinde bekommen mit der Bitte, uns im Bundestag dafür einzusetzen, dass das Abraham-GeigerKolleg - es bildet Rabbiner nach der liberal-jüdischen
Tradition aus - endlich ausreichend aus Bundesmitteln
finanziert wird. Ich bin der Meinung, dass wir fraktionsübergreifend mit einem Antrag zugunsten dieses Projektes in die Haushaltsberatungen eingreifen sollten und dafür sorgen sollten, dass dieses Rabbiner-Kolleg mit
Bundesmitteln anständig finanziert wird.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Michael Luther, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es geht heute um die Einbringung des Haushaltes des Bundesinnenministers; als Mitglied des Haushaltsauschusses will ich ein paar Dinge dazu sagen. Der
Haushalt hat ein Volumen von 4,85 Milliarden Euro. Das
sind 360 Millionen Euro oder 8 Prozent mehr als 2007.
An dieser Stelle stelle ich fest: Unser Minister Schäuble
hat gegenüber dem Finanzminister einen guten Job gemacht. Ich habe nicht den Eindruck, dass er seine Arbeit
nicht gerne macht.
Der Haushalt - das ist ein wichtiges Signal - weist
keine globale Minderausgabe mehr aus. Es ist für uns als
Mitglieder des Haushaltsausschusses ausgesprochen
wichtig gewesen, dies zu erreichen. Denn das Damoklesschwert, das im Laufe des Jahres immer über den einzelnen Kapiteln hing - das THW wurde angesprochen -,
wird es in Zukunft nicht mehr geben.
Der überdurchschnittliche Zuwachs ist durch die
innere Sicherheit begründet. Es werden 230 Millionen
Euro mehr ausgegeben. Es ist nun einmal so: Das Innenministerium ist das Sicherheitsministerium unseres Landes.
({0})
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass dafür das
meiste Geld ausgegeben wird. Ich denke, gerade in Zeiten der Haushaltskonsolidierung bleibt eine Aufgabe
ganz wichtig: dass das Ministerium seine Verantwortung
für die Sicherheit der Menschen wahrnimmt.
({1})
Dass das notwendig ist, hat gerade die letzte Woche gezeigt, in der drei militante Islamisten festgenommen
worden sind, die, wenn man das nicht gemacht hätte, einen Anschlag mit ungeahnten Folgen für die Bürger unseres Landes hätten ausführen können.
Heute ist ein denkwürdiger Tag: der sechste Jahrestag
des sogenannten 9/11. Damals wurde der Welt gezeigt,
wie Terrorismus funktioniert. Daher ist heute der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden. Ich will es ganz klar sagen: Dass es bei uns bislang keine Anschläge wie in
Madrid oder London gegeben hat, kann man vielleicht
unter dem Stichwort „Glück gehabt“ abhaken.
({2})
Aber das liegt ganz wesentlich auch an unseren Sicherheitsbehörden in Deutschland,
({3})
die eine gute Arbeit leisten und bislang an der einen oder
anderen Stelle Schlimmeres verhindern konnten.
({4})
Wenn man Sicherheit als wichtiges Thema erkennt,
dann weiß man, dass es der haushaltsmäßigen Untersetzung bedarf. Ich bin Haushälter, und jeder weiß, dass ich
grundsätzlich eher für weniger bin. An dieser Stelle aber
bin ich für die Zurverfügungstellung von Mitteln in ausreichender Höhe, gegebenenfalls von mehr. Der Deutsche Bundestag sollte nicht Gefahr laufen, sich eines Tages vorwerfen lassen zu müssen, wir hätten zu wenig für
die Sicherheit der Menschen getan und einen Anschlag,
den man hätte verhindern können, aus finanziellen Gründen nicht verhindert.
An dieser Stelle will ich klar sagen: Man darf technologisch nicht stehen bleiben. Die Erfolge, die heute mit
den vorhandenen Mitteln erreicht werden können, können morgen nur dann erreicht werden, wenn den Sicherheitsbehörden auch die Mittel von morgen zur Verfügung stehen. Wir dürfen technologisch nicht stehen
bleiben.
({5})
Ich will noch ein anderes Thema ansprechen. Das
Bundesministerium des Inneren wird seine Immobilien
bis Ende dieses Jahres an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergeben. Damit wird das Bundesinnenministerium das erste Ministerium sein, das das geschafft hat. Die Auswirkungen - das will ich an dieser
Stelle klar sagen - sind im Einzelplan noch nicht vollständig etatisiert; das werden wir im Laufe der Haushaltsberatungen tun. Mit der Umstrukturierung wurde
ein wichtiges Signal gesetzt: Zukünftig wird das Ministerium sehr darauf achten, dass nur die Objekte angemietet bzw. genutzt werden, die tatsächlich benötigt werden.
Man wird darauf achten, nur so viel Miete zu zahlen wie
nötig; schließlich sollen alle Aufgaben des Ministeriums
erfüllt werden können.
Als Haushälter muss ich noch einen Satz zum BOSDigitalfunk sagen. Es ist ein großer Erfolg des Bundesinnenministers, dass es ihm letztendlich gelungen ist, die
Fäden zusammenzuführen und das Projekt auf den Weg
zu bringen.
({6})
Im Haushaltsausschuss und im Plenum des Bundestages
haben wir schon oft darüber geredet. Allerdings kann
erst jetzt gesagt werden - das muss man bedauerlicherweise feststellen -, welche finanziellen Mittel für die Erfüllung dieser Aufgabe notwendig sind. Die mittelfristige Finanzplanung sieht für die nächsten Jahre
momentan 1,1 Milliarden Euro vor. Das ist zu wenig.
Bis 2021 brauchen wir mehr Geld. In den Haushaltsberatungen werden wir auch darüber reden müssen.
Der Katastrophenschutz ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Auch ich will etwas dazu sagen.
Der Bund hat die erforderlichen Einsatzfahrzeuge für die
Feuerwehren vor Ort jahrelang finanziert. Im Rahmen
der Föderalismusreform wurde klar geregelt, welche
Aufgaben Bund und Länder wahrzunehmen haben. Die
Länder haben diesbezüglich jetzt eine größere Verantwortung. Der Bund hat in diesem Zusammenhang aber
- das sage ich ganz klar, und diesbezüglich bin ich mit
meiner Fraktion einer Meinung - eine Koordinierungsfunktion wahrzunehmen, damit die Einheitlichkeit des
Katastrophenschutzes gewährleistet werden kann.
Das Ergebnis der Verhandlungen über ein angepasstes
Katastrophenschutzkonzept von Bund und Ländern ist
meiner Ansicht nach interessant. Der Bund zahlt nunmehr zwei Drittel und die Länder ein Drittel. Mit Verlaub: Ich hätte mir das auch andersherum vorstellen können. Ich halte das aber für einen Erfolg; denn die Länder
beteiligen sich jetzt immerhin zu einem Drittel an dieser
Aufgabe. Auch das ist ein Erfolg der Verhandlungen von
Herrn Schäuble. An dieser Stelle möchte ich ihm meinen
herzlichen Dank dafür aussprechen.
({7})
In den letzten Haushaltsberatungen haben wir oft über
das Thema Integration geredet.
({8})
Wir haben gesagt, dass wir die notwendigen Mittel zur
Verfügung stellen müssen. Es gab den Integrationsgipfel,
der auch im Haushalt 2008 eingeplant ist. Gleichwohl
muss ich sagen, dass mich das Ergebnis überrascht hat.
Es gibt zwar ein Mehr, aber nur ein Mehr von
10 Prozent. Auf der anderen Seite zeigt das aber, dass
wir die benötigten Mittel zur Verfügung gestellt haben.
({9})
Gleichwohl sage ich, dass ich mich mit diesem
Thema noch nicht ausreichend beschäftigt habe. Wir
werden das im Rahmen der Haushaltsberatungen noch
tun. Wir müssen dieses Thema noch einmal anpacken;
denn die Sprachförderung bleibt für die Union ein wichtiges Thema.
({10})
Lassen Sie mich einen letzten Satz zur Sportförderung
sagen: 17,3 Millionen Euro mehr sind ein gutes Signal
an den Spitzensport. Gerade im Bereich der Sommersportarten müssen wir mehr Mittel zur Verfügung stellen. Ich denke, der Haushalt 2008 ist ein gutes Signal für
unsere Athleten, die Deutschland im nächsten Jahr bei
den Olympischen Spielen in Peking vertreten werden.
Wir haben in den Haushaltsberatungen viel vor uns.
Packen wir es an!
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einen Gedanken von Minister Schäuble
aufgreifen. Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir können
auf die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden vertrauen.
Der Meinung sind wir als FDP auch.
({0})
Der Fahndungserfolg der letzten Woche war ein Beleg
für die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden.
({1})
Aber die Sicherheitsbehörden brauchen dafür auch das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Durch die Politik
der letzten Monate mit einem unangebrachten Stakkato
von unausgegorenen Verschärfungsvorschlägen wurde
gerade dieses Vertrauen gestört.
({2})
Ich will versuchen, Ihnen an einem Beispiel deutlich
zu machen, welche Fehlentwicklung die Innenpolitik
hier nimmt. Sie sagten heute in Ihrer Rede hier und auch
zuvor im Morgenmagazin, die umstrittene Onlinedurchsuchung sei eine Maßnahme, die in nur ganz wenigen Fällen im Jahr in Betracht komme. Das glaubt
nach den Erfahrungen, die die Bürgerinnen und Bürger
mit der Innenpolitik machen mussten, niemand.
Ich nenne folgende Beispiele:
Dieser Bundestag hat einmütig beschlossen, dass wir
keine Speicherung der Telekommunikationsdaten, der
Daten von Millionen unverdächtiger Bürgerinnen und
Bürger, auf Vorrat haben wollen. Die Bundesregierung
beschließt auf EU-Ebene genau das Gegenteil mit.
({3})
Erinnern wir uns an den Onlinezugriff auf Bankdaten.
Dieser Onlinezugriff war ursprünglich zur Bekämpfung
der organisierten Kriminalität geplant. Er kann heute
jede Bürgerin und jeden Bürger treffen.
({4})
Das ist die Entwicklung.
Herr Minister Schäuble, Sie persönlich waren es, der
bei dem Thema Mautdaten in gleicher Weise agierte.
Dieser Bundestag hat bei Einführung der Lkw-Maut einstimmig beschlossen, dass die dabei erhobenen Daten
nur für Abrechnungszwecke verwendet werden sollen.
Die CDU/CSU hat übrigens besonderen Wert auf diesen
Passus im Gesetz gelegt. Als ein schlimmes Verbrechen
an einer Autobahnraststätte geschah, haben Sie, Herr
Minister Schäuble, als einer der Ersten verlangt, dass die
Daten selbstverständlich auch für polizeiliche Zwecke
zur Verfügung stehen.
({5})
Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob es richtig oder
falsch ist. Mir geht es darum, dass hier von der Bundesregierung, aber auch von der Mehrheit im Parlament immer wieder versprochen wird, dass eine bestimmte Maßnahme die Ausnahme bleibt. Am Ende wird diese
Ausnahme dann immer weiter ausgeweitet, und ganz am
Schluss ist es eine Standardmaßnahme. Das ist die Realität, auf die wir uns einstellen müssen.
({6})
Wem das noch nicht genügt, der möge einen Blick in
§ 100 a Strafprozessordnung werfen, der die Telefonüberwachung regelt. Damit hat man im Jahr 1968 begonnen; bezüglich vier schwerer Delikte war Telefonüberwachung zulässig. Ich habe jetzt einmal in diesem
ellenlangen Paragrafen die möglichen Delikte gezählt.
Bei 90 Delikten habe ich aufgehört, zu zählen. So ist das
ausgeweitet worden.
({7})
Herr Minister Schäuble, daher besteht unser Misstrauen. Sie sagen: Regt euch nicht auf, ein Eingriff in die
Privatsphäre ja, aber für wenige Fälle im Jahr. Später
werden immer mehr Fälle dazukommen; es wird immer
mehr ausgeweitet. Der hessische Datenschutzbeauftragte, ein angesehener Professor für öffentliches Recht,
Michael Ronellenfitsch - installiert von der Regierung
Koch -, hat davor gewarnt, indem er in einer Fachzeitschrift schrieb:
Sind Zugriffsmöglichkeiten einmal geschaffen, verselbständigen sie sich leicht gegenüber ihrem ursprünglichen Zweck.
Dagegen müssen wir als Opposition angehen.
Herr Minister, Sie haben heute - das sei zugestanden - eine relativ moderate Rede gehalten.
({8})
Aber es ist noch nicht sehr lange her - deswegen muss
man hier im Hohen Haus nach der Sommerpause daran
erinnern -, dass Sie Interviews gegeben haben, wie etwa
im Spiegel, die - ich sage das einmal vorsichtig - grenzwertig waren: mit der Relativierung der Unschuldsvermutung, mit dem Aufwerfen der Frage der gezielten
Tötung von Terrorverdächtigen und anderem.
({9})
Minister Schäuble hat sich darauf berufen, er habe Fragen aufgeworfen und das dürfe man doch wohl noch.
Wir sagen: Das reicht uns nicht. Von einem Verfassungsminister erwarten wir Antworten,
({10})
und zwar Antworten, die Freiheit und Sicherheit miteinander verknüpfen. Diese Antworten von Ihnen vermissen wir.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegin Gabriele Fograscher,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist der 11. September; das ist schon mehrfach erwähnt worden. Ich denke, dieses Datum hat in der heutigen innenpolitischen Debatte eine besondere Bedeutung. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat nach
dem 11. September 2001 reagiert. Sie hat umfassende
Sicherheitspakete beschlossen, die den Sicherheitsbehörden ein effektives Instrumentarium an die Hand gegeben haben. Dass die geplanten Anschläge in der letzten Woche vereitelt werden konnten, hat gezeigt: Die
Sicherheitspakete haben sich bewährt.
Herr Minister Schäuble, Sie haben zu Recht hervorgehoben, dass die gute Zusammenarbeit zwischen den
Länder- und Bundesbehörden für den Fahndungserfolg
ausschlaggebend war. Das kam nicht von selbst, sondern
es mussten zuerst Strukturen geschaffen werden. Dieser
Erfolg ist das Ergebnis des Zusammenführens dieser Behörden im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum.
Maßstab war und ist für uns, dass es auch in Zukunft
eine Balance zwischen den Sicherheitsanforderungen
und den individuellen Bürgerrechten, die unsere Demokratie ausmachen, geben muss. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn neue Instrumente geschaffen werden
sollen.
Hinter dem Schlagwort „Onlinedurchsuchung“ verbergen sich ganz erhebliche rechtliche und technische
Probleme, für deren Klärung wir uns die nötige Zeit nehmen müssen; wir werden sie uns auch nehmen.
Ganz sicher kein Beitrag zur Stärkung der inneren
Sicherheit war der Vorschlag, das Alter für den Erwerb
großkalibriger Waffen von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen. Es ist gut, dass dieser Vorschlag schnell zurückgezogen wurde.
Zum Haushalt. Das Volumen dieses Haushalts nimmt
im kommenden Haushaltsjahr um gut 8,2 Prozent zu.
Umso unverständlicher ist, warum es in einigen für uns
wichtigen Bereichen zu Kürzungen oder Umschichtungen kommt; der Kollege Fritz Rudolf Körper hat dies im
Hinblick auf BKA und Bundespolizei bereits angesprochen, der Kollege Sebastian Edathy wird beim Thema
Integration darauf eingehen.
Ich will noch etwas zum Katastrophenschutz sagen.
Im Haushaltsentwurf sind dafür ohne gesetzliche und
konzeptionelle Grundlage weitere 30 Millionen Euro
eingeplant. Allerdings wird das THW, das in originärer
Zuständigkeit des Bundes ist, bei der Erwirtschaftung
der globalen Minderausgabe überproportional, nämlich
in einem Umfang von 7,3 Millionen Euro, herangezogen. Ich darf daran erinnern, dass es die Länder in den
Beratungen der Föderalismuskommission bislang abgelehnt haben, dem Bund mehr Kompetenzen bei der Bewältigung überregionaler Katastrophen zu übertragen.
Warum also kommt es in diesem Bereich zu einer Aufstockung, beim THW dagegen zu einer Kürzung?
Ich unterstreiche ganz ausdrücklich das, was Sie, Herr
Minister, zum THW sowie zu seiner Struktur des Ehrenamtes und des Hauptamtes gesagt haben. Hervorheben
möchte ich die Jugendarbeit, die vom THW geleistet
wird. Die Sommercamps sind schon angesprochen worden. Das THW ist für Jugendliche aufgrund der Kombination von Engagement und Umgang mit Technik attraktiv. Es bietet sinnvolle Freizeitbeschäftigungen an. Dort
entwickeln sich Freundschaften, es wird gesellschaftliches Engagement betrieben, und die Zivilcourage wird
gestärkt. Damit leistet das THW einen Beitrag gegen
Extremismus, insbesondere gegen Rechtsextremismus.
Deshalb ist die Kürzung in diesem Bereich wirklich unverständlich.
({0})
Ebenfalls einen Beitrag zur Bekämpfung von Extremismus bzw. Rechtsextremismus leistet das im Jahr 2000
gegründete „Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt“. Mehr als 1 000 Organisationen und Initiativen haben sich unter dem Dach
dieses Bündnisses zusammengeschlossen. Damit engagieren sie sich für Demokratie und Toleranz. Mitglieder
aller Bundestagsfraktionen sind in seinem Beirat vertreten. Im letzten Jahr konnten wir auch auf Drängen der
SPD-Haushälter erreichen, dass der Haushalt für das
Bündnis auf 1 Million Euro aufgestockt worden ist. Im
Entwurf des Haushalts 2008 sind die Mittel für das
Bündnis wieder auf 700 000 Euro gekürzt worden; dies
entspricht einer Kürzung um 30 Prozent, was für uns
ebenfalls unverständlich ist. Für mich und meine Fraktion steht außer Frage, dass das Bündnis gute und notwendige Arbeit leistet und personell und finanziell gestärkt werden muss. Wir dürfen in unserer BeratungsGabriele Fograscher
und Aufklärungsarbeit nicht nachlassen. Im Gegenteil:
Wir müssen unsere Arbeit verstärken.
Hinsichtlich der Kritik an den Programmen, die im
Familienministerium angesiedelt sind, kann ich Ihre
Auffassung in Teilen sicherlich bestätigen. Wir haben
immer davor gewarnt, allein den Kommunen das Antragsrecht zu überlassen. Aber die Programme jetzt in
Bausch und Bogen zu verdammen, Frau Stokar, wird ihnen nicht gerecht. Wir haben erreicht, dass die Mittel für
die mobile Krisenintervention um 5 Millionen Euro heraufgesetzt wurden, und müssen diesen Teil des Programms zum Laufen bringen. Dann wird es auch Wirkung zeigen.
({1})
- Wir schauen durchaus auf die Umsetzung.
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung steht
wieder vor Mittelkürzungen. Laut Entwurf soll sie
133 000 Euro weniger erhalten. Auch dies werden wir
nicht hinnehmen.
({2})
Wenn wir Jugendliche und junge Menschen nicht in die
Fänge von Rechtsextremisten geraten lassen wollen,
müssen wir die Werte unserer Demokratie besser vermitteln. Für diese Aufgabe ist die Bundeszentrale ganz sicher eine wichtige Institution. Allerdings sind politische
Bildung und die Bekämpfung von Extremismus - vor allem des Rechtsextremismus - nicht alleinige Aufgabe
des Bundes. Hier brauchen wir auch mehr Engagement
von Ländern und Kommunen; diesbezüglich vermisse
ich eine deutliche Aufforderung des Bundesinnenministers.
Zum Sport ist heute schon einiges gesagt worden.
Wir unterstützen die Mittelaufstockung für den Sport.
Wir müssen wettbewerbs- und konkurrenzfähig sein, um
bei den Olympischen Spielen und bei der LeichtathletikWM, die 2009 in Berlin stattfinden wird, mithalten zu
können. Ein besonderes Anliegen ist uns die Unterstützung des Behindertensports. Leider führen wir zum
Thema Spitzensport und Doping erneut eine Diskussion.
Die Aufgabe der Nationalen Anti-Doping-Agentur ist es,
Doping im Sport zu unterbinden. Der Bund kommt hier
seinen Verpflichtungen nach; aber die zugesagten Mittel
der Sponsoren, des organisierten Sports und der Länder
sind noch nicht in der Weise eingetroffen, wie wir es uns
wünschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Haushaltsrecht
ist ein Parlamentsrecht. Deshalb bin ich mir sicher, dass
wir einige Schieflagen, die im Entwurf des Haushalts
enthalten sind, in den anstehenden Beratungen noch korrigieren können.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich erteile Kollegen Hans-Peter Uhl, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Als vor sechs Jahren die schrecklichen Anschläge in New York stattfanden, war das noch weit
weg. Seit letzter Woche wissen wir, dass die Bedrohung
durch den internationalen Terrorismus in Deutschland
ganz konkret ist.
({0})
Der Unterschied zwischen den Kofferbomben-Attentätern und den Tätern, die jetzt festgenommen worden
sind, ist der, dass Letztere hochprofessionell und hochkonspirativ tätig waren. Wir wissen, dass sie in Pakistan
ausgebildet wurden und dass sie ihre Befehle aus Pakistan erhielten. Sie haben ihre Anleitungen zum Bombenbau aus dem Internet bezogen und sich daran lehrbuchmäßig gehalten. Sie wurden angewiesen, zum heutigen
Jahrestag ihr schreckliches Handwerk in Deutschland
auszuüben. Aber wir wissen auch, dass nur drei festgenommen wurden und es eine ganze Reihe von Gefährdern gibt, die in Deutschland noch unter uns sind und die
natürlich den Auftrag haben, in allernächster Zeit den
verhinderten Anschlag in Deutschland nachzuholen.
Wir werden uns im Innenausschuss noch in dieser
Woche von den Fachleuten, Frau Stokar, genau erklären
lassen müssen, was technisch benötigt wird, um diese
Gefahren zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen
zu ergreifen. Wir werden - das ist unsere Aufgabe - die
rechtlichen und die finanziellen Möglichkeiten schaffen,
damit wir gewappnet sind. Es wird ein Wettlauf mit diesen hoch konspirativen, technisch versierten Leuten,
Herr Stadler. Wir dürfen nicht den Kürzeren ziehen. Das
heißt, die FDP wird sich entscheiden müssen: Wird Ihre
Sorge davor, dass der Staat die Onlinedurchsuchung oder
andere Fahndungsmaßnahmen missbräuchlich anwendet, größer sein? Werden Sie dafür sein, dass das Internet
für Terroristen ein rechtsfreier Raum zur Vorbereitung
ihrer Aktivitäten bleibt? Sie müssen sich entscheiden.
({1})
Was ist Ihnen wichtiger? Wollen Sie Angst schüren vor
übereifrigen Beamten und damit den Terroristen das
Handwerk erleichtern?
({2})
- Rufen Sie nicht so laut dazwischen, Frau Stokar!
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Auf den komme ich gerade zu sprechen; dann soll er
die Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin Stokar, fragen Sie bitte einmal Herrn
Ströbele, ob er, als er in dem zuständigen Gremium mit
dem Gedanken und der politischen Absicht konfrontiert
wurde,
({0})
die Onlinedurchsuchung in Kraft treten zu lassen, dazu
etwas gesagt hat oder ob er geschwiegen hat.
({1})
Sollte er antworten: „Ich habe geschwiegen“, dann fragen Sie sofort weiter: War dir, Kollege Ströbele, bewusst, dass du durch Schweigen der Onlinedurchsuchung zustimmst?
({2})
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in der
rot-grünen Regierungszeit die Grünen durch Schweigen
der Onlinedurchsuchung zugestimmt haben?
({3})
Jetzt kann Herr Ströbele seine Frage stellen.
Kollege Ströbele, bitte.
Herr Kollege Uhl, kann es sein, dass Sie von PC- und
Internetnutzung noch weniger verstehen als ich ({0})
Ich weiß nicht, was Sie davon verstehen.
- und dass Sie deshalb vorhin nicht verstanden haben,
was die Kollegin Stokar auch Ihnen mitzuteilen versucht
hat: dass es selbstverständlich schon heute, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, möglich ist, die
Internetverbindungen, die Sie eingehen - vielleicht,
wenn Ihnen jemand hilft - oder die ich eingehe, mitzubekommen?
({0})
Haben Sie das nicht verstanden, oder wollen Sie das
nicht verstehen? Oder warum behaupten Sie, dass der Internetverkehr für den Staat nicht tabu sein darf?
({1})
Herr Kollege Ströbele, schon in dem einschlägigen
Gremium, aus dem ich vorhin nicht berichtet habe,
({0})
aber auf das ich zu sprechen kam, habe ich verstanden,
dass wir beide von der Technik der IT-Kommunikation
ziemlich wenig verstehen.
({1})
Aber wir beide haben so viel verstanden, dass es dabei
zweierlei Dinge zu trennen gilt: Es geht zum einen um
Kommunikation per Internet und zum anderen um den
Zugriff auf, wenn Sie so wollen, geronnene, auf der
Festplatte fixierte, stattgefunden habende Kommunikation oder nicht einmal dies. Das habe ich verstanden und
Sie, glaube ich, auch.
({2})
Jetzt geht es darum, dass Sie damals möglicherweise
deswegen geschwiegen haben - ich weiß es ja nicht -,
weil Sie nicht verstanden haben, dass man den Zugriff
auf die Festplatte rechtlich möglich machen wollte,
({3})
und somit zugestimmt haben.
({4})
- Die Grünen haben zugestimmt, Frau Stokar.
Ist das die ausreichende Antwort auf das Thema?
({5})
- Herr Präsident, läuft die Zeit weiter?
Sie können weiterreden.
Bei mir läuft die Zeit weiter und Herr Ströbele sitzt,
gut.
Nicht Herr Ströbele befindet über Ihre Redezeit.
Lassen Sie mich wieder ernst werden. Es ist schwer
zu ertragen, wenn hier von einer Hopplahopp-Gesetzgebung, neuen Erkenntnissen und neuen technischen und
rechtlichen Fragen die Rede ist. Ich möchte daran erinnern, dass vor dreieinhalb Jahren die Anschläge auf die
Vorortzüge in Madrid stattgefunden haben. Unmittelbar
danach hat der damalige Bundesinnenminister Schily
- übrigens zu Recht - gefordert, dass die Internetkommunikation und alles, was damit zusammenhängt - bis
hin zur Festplatte, Herr Ströbele - durchsucht werden
können.
({0})
Daraufhin wurden alle rechtlichen und technischen Fragen in diesem Zusammenhang von Grund auf geprüft. In
einem langen Gutachten wurde abschließend festgestellt,
dass die Durchsuchung technisch möglich und rechtlich
zulässig ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Stokar?
Wenn es sein muss, Frau Stokar.
Herr Kollege Uhl, Sie sind auch Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Über den anderen Ausschuss dürfen wir hier nicht reden - das wissen Sie sehr
genau -; denn er ist zur Geheimhaltung verpflichtet.
Über den Innenausschuss des Bundestages dürfen wir
aber sicherlich reden.
Ich frage Sie: Können Sie sich daran erinnern, dass
wir und auch andere Mitglieder der Opposition vor der
Sommerpause dreimal schriftlich beantragt haben, dass
der damals zuständige Staatssekretär, Herr Diwell, im
Innenausschuss erläutern möge, was es mit seinem ominösen Erlass bzw. seiner Richtlinie auf sich hat, die bis
heute keiner - wahrscheinlich auch Herr Staatssekretär
Diwell selber nicht - versteht. Auf jeden Fall gibt es widersprüchliche Aussagen des Staatssekretärs und zum
Beispiel der Geheimdienste.
Sie haben als Abgeordneter und mit der Mehrheit der
Großen Koalition dreimal hintereinander verhindert,
dass Herr Diwell die Fragen der Opposition beantwortet.
({0})
Frau Kollegin, Sie müssen zur Frage kommen.
Ich frage Sie, ob Sie sich daran erinnern und das bestätigen können. Stattdessen stellen Sie in der Öffentlichkeit erneut die falsche Behauptung auf, die Grünen
hätten einer Onlinedurchsuchung zugestimmt. Stimmen
Sie mir zu, dass das Propaganda ist ({0})
- billige Propaganda
Frau Kollegin, die Frage ist gestellt.
- und dass Ihr Verhalten im Innenausschuss bzw. die
Verhinderung, der Wahrheit näher zu kommen, ein
schlechter politischer Stil ist?
Danke.
Herr Kollege, gestatten Sie gleich noch eine zweite
Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn? Dann können
Sie zusammenhängend antworten. Das verlängert Ihre
Redezeit ohnehin. - Bitte.
Herr Kollege Uhl, Sie haben es eingangs so dargestellt, als sei es vor allen Dingen Aufgabe der politischen
Parteien und der Fraktionen, beim Thema Onlinedurchsuchung in die Puschen zu kommen. Geben Sie mir
recht, dass in Wahrheit die Onlinedurchsuchungen und
die notwendigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung schon Bestandteile des Sicherheitspaketes für den
Haushalt 2007 gewesen sind, über den hier schon mehrfach gesprochen worden ist? Geben Sie mir recht, dass
bei den Beratungen über dieses Sicherheitspaket die Verfassungskonformität dieser Haushaltsansätze kritisch
diskutiert und hinterfragt worden ist,
({0})
dass das Innenministerium Unterlagen dazu vorgelegt
hat und wir als Koalitionsfraktion auf diese Angaben
vertraut haben und dass die Tatsache, dass Gelder bisher
nicht ausgegeben worden sind, nur mit dem Urteil des
Bundesgerichtshofs vom Februar zu tun hat? Es hat
nichts mit den Parlamentariern und den Fraktionen zu
tun. Geben Sie mir auch recht, dass die Behebung nur
möglich ist, wenn ein mehrheitsfähiger Gesetzentwurf
vorgelegt wird, was Sache des Ministers ist? Stimmen
Sie mir darin zu?
Frau Kollegin Hagedorn, Frau Kollegin Stokar, ich
gebe Ihnen nur sehr begrenzt recht bei dem, was Sie gefragt haben. Zunächst komme ich zu Herrn Lutz Diwell,
der mehrfach erwähnt wurde. Es ist richtig, dass Sie sich
darum bemüht haben, dass er im Innenausschuss erläutern möge, was er damals gesagt und getan hat. Das ist
ein legitimes Ansinnen. Auch ich habe mir diese Frage
bis heute schon öfter gestellt.
({0})
Frau Kollegin Stokar, es ist richtig, dass ich im Innenausschuss in der Tat dreimal mitgestimmt habe, als es
darum ging, dass Herr Kollege Lutz Diwell nicht kommen wollte, und zwar mit wechselnden Begründungen.
Aber es gibt in der Koalition eine Art kollektive Solidarität mit Menschen, die in Bedrängnis geraten sind.
({1})
Allein dieses samariterhafte Verhalten hat mein Handeln
geprägt. Ich bleibe dabei, dass Sie den Antrag stellen
sollten, dass sich der Kollege äußern möge. Ich weiß
nicht, wie das Ganze enden wird. Aber irgendwann wird
er sicherlich sagen, was er damals gedacht und getan hat
und warum er heute möglicherweise andere Briefe
schreibt. Ich weiß es jedenfalls nicht. Ich kann Ihnen
nicht helfen.
({2})
Frau Kollegin Hagedorn, Sie haben die finanziellen
Mittel für Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit der Internetüberwachung und -kontrolle angesprochen. Das ist nicht Kern des Themas. Was Sie gesagt
haben, ist zwar alles richtig. Aber es geht um die bis zum
Überdruss gestellten Fragen, ob es technisch möglich ist,
ob es rechtlich zulässig ist und was wir überhaupt machen sollen. Diese Fragen hat Herr Bundesinnenminister
Schily vor dreieinhalb Jahren gestellt. Sie wurden durch
sein Haus mit Ja beantwortet. Es ist technisch möglich
und rechtlich zulässig. Man schritt daraufhin zur Tat
({3})
und hat die Onlinedurchsuchung eingeführt. Auf welche
Weise, in welchem Gremium und mit welcher Begründung, dazu habe ich aus gutem Grund nichts gesagt. Das
ist die Antwort auf Ihre Frage.
Ich möchte noch gerne auf andere Themen zu sprechen kommen, obwohl es sehr wichtig war, dass einmal
gesagt wurde, wie mit dem Thema Onlinedurchsuchung
in den letzten dreieinhalb Jahren während der rot-grünen
Regierungszeit umgegangen wurde.
Herr Kollege, Sie provozieren viele Zwischenfragen.
Jetzt will der Kollege Fritz Rudolf Körper Sie etwas fragen. Gestatten Sie diese Zwischenfrage?
Ja, bitte.
({0})
Herr Kollege Uhl, Sie machen es einem schwer, weil
Eben nicht.
- aus dem Sie in dieser Form und Konkretion nicht
berichten dürften, insbesondere was den Kollegen
Ströbele anbelangt.
({0})
Ich stelle Ihnen die Frage, ob Sie diese Verfahrensweise
für kollegial und korrekt halten. Ich halte sie jedenfalls
für nicht kollegial und korrekt.
Ich will Ihnen noch eine andere Frage stellen. Ist es
richtig, dass der von Ihnen erwähnte Erlass, basierend
auf § 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, nur eine
einzige Anwendung gefunden hat, und zwar im Jahre
2006? Soviel ich weiß, hat die SPD damals nicht den Innenminister gestellt.
({1})
Herr Kollege Körper, Sie müssen schon stehen bleiben. Sonst läuft meine Uhr weiter.
Zu Ihrer ersten Frage: Ich habe nicht aus dem Gremium berichtet, sondern Frau Stokar geraten, einmal
Herrn Ströbele zu fragen, ob er in einem einschlägigen
Gremium geschwiegen habe.
({0})
Ich habe ihr einen Rat gegeben, wen sie befragen soll.
({1})
- Regen Sie sich doch nicht so auf!
Ich habe des Weiteren gesagt: Wenn er sagt, er habe
geschwiegen, solle sie ihn fragen, ob er sich bewusst gewesen sei, dass er der Onlinedurchsuchung zugestimmt
habe. Das war meine Rede. Ich weiß, was ich sage.
({2})
Nun zu Ihrer zweiten Frage: Sie haben etwas gesagt,
was ich weder bestätigen noch verneinen kann, nämlich
dass von dem damals eingeführten Instrument der
Onlinedurchsuchung einmal Gebrauch gemacht worden
sei. Das haben Sie gesagt, nicht ich.
Dies sei in einem Zusammenhang geschehen, als Herr
Schily - das sagen Sie -, der die Onlinedurchsuchung
eingeführt hat - das sage ich -, nicht mehr im Amt gewesen sei. Das stimmt doch?
({3})
Das konnte aber doch nur geschehen, nachdem Herr
Schily die Onlinedurchsuchung mit Ihrer Unterstützung,
Herr Kollege Körper, eingeführt hat. Habe ich recht? Danke.
({4})
Quod erat demonstrandum, was zu beweisen war, Herr
Körper. Darum ging es mir in meiner Rede.
({5})
Jetzt komme ich noch auf etwas anderes zu sprechen:
home-grown terrorism. Der Umstand, dass der Terror für
jeden erkennbar bei uns angekommen ist, zeigt auch,
dass es höchste Zeit war, das zu tun, was Innenminister
Schäuble mit großer Energie und großem Erfolg begonnen hat, nämlich die Islamkonferenz einzuberufen. Die
Islamkonferenz ist der Beginn eines dringend nötigen
Dialogs mit dem Islam, um zu klären, welche Werte in
unserer Gesellschaft gelten und welche Position der Islam auch in Bezug auf Terror und Sicherheitsgefährdungen einnehmen muss. Diese Islamkonferenz hat mehrfach stattgefunden und muss fortgeführt werden. Das ist
ein Erfolg dieser Koalition.
Die Gewaltbereitschaft und die Radikalisierungstendenzen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund nehmen zu. Das wissen wir seit vielen Jahren. Wir müssen
heute zugeben - ich glaube, darin sind wir uns einig -,
dass das auch das Ergebnis einer jahrzehntelang versäumten konsequenten Integrationspolitik ist.
({6})
Jetzt haben wir mit den Zuwanderungsgesetzen und mit
der Integrationspolitik ernst gemacht. Wir haben gesagt:
Integration heißt nicht nur Fördern, sondern auch Fordern. Wer der Forderung nicht nachkommt, kann Sanktionen zu spüren bekommen. Ich halte das für sehr wichtig. Das wird uns weiterbringen. Nur, wir lernen dabei:
Ernst genommene Integration - das ist vielleicht auch
der Grund, warum jahrzehntelang nichts gemacht wurde - ist mit all den Sprachkursen und Staatsbürgerkursen
ein sündhaft teures Geschäft für den Staat. Dennoch
müssen wir es machen. Hunderte von Millionen Euro
werden wir ausgeben müssen, weil alles andere uns noch
mehr Probleme schafft.
Der Visamissbrauch ist allen noch in Erinnerung.
Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, dass zusätzliche Berater der Bundespolizei für Sicherheitsfragen im Visumverfahren zur Verfügung stehen sollen.
Das zuständige Innenministerium und das Auswärtige
Amt haben lange verhandelt, wer das bezahlen soll. Die
Verhandlungen sind übrigens noch nicht abgeschlossen.
Frau Hagedorn, ich bitte Sie, Ihr Augenmerk darauf zu
richten, dass nicht ein Buchhalterstreit zwischen zwei
Ministerien fortgesetzt wird. Wir wollen gemeinsam die
zusätzlichen Kontrolleure in den Visastellen haben. Das
darf nicht daran scheitern, dass sich zwei Häuser bekriegen und ein Haus dem anderen die Kosten aufbürden
will. Ich bitte, das Thema im Auge zu behalten. Wir bestehen darauf, dass die Haushaltsmittel dafür zur Verfügung gestellt werden.
Ich möchte zum Schluss noch ein wichtiges Projekt
der Bundesregierung ansprechen, nämlich den Aktionsplan Deutschland Online und E-Government.
({7})
Ziel der Bundesregierung ist die elektronische Kommunikation sowohl zwischen dem Bund, den Ländern und
den Kommunen als auch mit den Bürgern. Die muss verbessert werden.
({8})
- Das wird gemacht. - Frau Stokar, ein wichtiger Bestandteil dieses Programms ist, dass wir die IT-Systeme
harmonisieren und verbessern.
({9})
Das ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig.
Zum E-Government gehört auch die bereits beschlossene Einführung des elektronischen Reisepasses mit biometrischen Merkmalen. Weiter wird die Einführung der
elektronischen Personalausweise mit digitaler Signatur
dazugehören. Dies alles ist ein Sicherheitsgewinn und
ein Effizienzgewinn, worauf wir großen Wert legen.
Dies werden wir in der nächsten Zeit einführen.
Wir sollten bei der Gelegenheit nicht versäumen, uns
für all das zu bedanken, was die Sicherheitsbehörden
und das Innenministerium im Verbund mit uns im Innen11456
ausschuss für die Sicherheit Deutschlands getan haben.
Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Sebastian Edathy
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
ist eine besondere Herausforderung, nach dem sehr geschätzten Kollegen Dr. Uhl sprechen zu dürfen. Ich
komme nicht ganz umhin, noch ein Wort zur Onlinedurchsuchung zu sagen. Es ist eine Frage der politischen Klugheit und des seriösen Umgangs mit einer tatsächlich vorhandenen terroristischen Bedrohung, nicht
überstürzt Gesetze zu machen, wenn zugleich noch technische und vor allen Dingen verfassungsrechtliche Fragen völlig offen sind. Es ist ein Gebot der Klugheit, gerade in schwierigen Zeiten Gesetze mit Besonnenheit zu
machen. Gerade in Zeiten, in denen die Öffentlichkeit
sehr bewegt ist von dieser Thematik, dürfen wir uns
diese Hektik und Erregtheit nicht zu eigen machen, sondern müssen mit Klugheit entscheiden.
({0})
Die Gleichung, dass mehr Gesetze zwangsläufig mehr
Sicherheit schaffen, stimmt nicht; und wir wissen nicht
erst seit Friedrich Dürrenmatts Buch Die Physiker, dass
wir in einer demokratischen Gesellschaft nicht alles
machen dürfen, nur weil es technisch möglich ist. Das
technisch Mögliche sollten wir dann tun, wenn es verhältnismäßig und zielführend ist und sich in unsere
Rechtsordnung einfügen lässt, zu der es gehört, immer
die Balance zwischen der Wahrnehmung von Sicherheitsbelangen und der Verteidigung von Bürgerrechten
im Auge zu behalten. Wir müssen sehr großen Wert darauf legen, dass diese Balance nicht verloren geht in diesem Land.
({1})
Wir haben noch viele Möglichkeiten, im Rahmen der
bestehenden Rechtslage Sicherheitslücken zu schließen.
Wir werden noch einmal, wie Herr Körper das angedeutet hat, darüber reden müssen, ob es gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung vertretbar ist, für das
Bundeskriminalamt im nächsten Haushaltsjahr 8 Millionen Euro weniger zu verausgaben als im laufenden
Haushalt. Da klafft zwischen der öffentlichen Darstellung und dem Haushaltsentwurf eine Lücke, die man
schließen sollte.
({2})
Ich finde es sehr gut, dass wir im nächsten Jahr für die
Verbesserung und Finanzierung der Gepäck- und Personenkontrollen an den deutschen Flughäfen 17 Millionen Euro mehr ausgeben werden. Das muss aber mit
einer deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen
für die Menschen, die dort arbeiten, einhergehen. Es war
der hessische Innenminister, der mit Blick auf den Flughafen Frankfurt gesagt hat, dass es aus seiner Sicht zu
viele Kontrolllücken gebe, weil die Leute im privaten
Sicherheitsgewerbe schlecht bezahlt würden, man deshalb nicht besonders gut qualifizierte Leute finde, weil
sie nicht motiviert seien und viele Überstunden machten.
Wir brauchen gerade an den Kontrollstellen der Flughäfen höchstmögliche Sicherheit. Um das zu gewährleisten, müssen wir im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung noch verschiedene Gespräche führen.
({3})
Ich will in meinem Beitrag zwei Punkte vertieft ansprechen. Innenpolitik heißt auch, die Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhaltes zu verfolgen. Zusammenhalt zu gewährleisten heißt, dass Teilhabe garantiert
werden muss. Teilhabe für die Menschen, die als neue
Mitbürger zu uns gekommen sind, bedeutet, dass wir
natürlich - wie Herr Uhl gesagt hat - darauf achten müssen, dass sie integrationswillig sind, dass wir ihnen aber
auch Angebote machen müssen, damit sie Integrationsleistungen erbringen können.
Einen Punkt finde ich korrekturbedürftig. Der Vorteil
eines Haushaltsentwurfs ist ja, dass er das Parlament in
der Regel nicht in der Form verlässt, in der er in dasselbe
eingebracht wurde. Ich finde es ein wenig merkwürdig,
dass es in diesem Jahr eine große Debatte über den Integrationsgipfel gibt, wobei sich alle einig zu sein scheinen, dass man für die Integration mehr machen muss,
insbesondere bei den Integrations- und Sprachkursen
aufstocken und stärker differenzieren muss und Angebote für Frauen mit Kindern braucht, zum Beispiel durch
Kinderbetreuung während dieser Kurse.
Es gibt ein Gutachten aus dem Bundesinnenministerium, das besagt, dass 50 Prozent der Besucher der
Sprach- und Integrationskurse besonders förderbedürftig
seien. Wir müssten für diese 50 Prozent eigentlich das
Stundenkontingent von bisher 630 Stunden auf 930 Stunden aufstocken.
({4})
Dem trägt der Haushaltsentwurf nicht Rechnung.
Dort ist lediglich die Aufstockung von 140 Millionen
Euro um 14 Millionen Euro auf 154 Millionen Euro vorgesehen. Wir brauchen im nächsten Jahr eher 40 Millionen Euro als 14 Millionen Euro mehr, um dieser großen
Aufgabe Rechnung tragen zu können.
({5})
Herr Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel?
Gerne.
Herr Kollege Edathy, wenn man solche Aussagen
macht, wäre es schon ganz schön, sich über die Sachverhalte kundig zu machen.
Ist Ihnen bekannt, dass bis zum Ende des Monats
Juni 2007 von den 140 Millionen Euro, die wir im Bundeshaushalt 2007 für Integrationskurse vorgesehen haben - aus bestimmten Gründen wollte ich diese Zahl eigentlich nicht nennen -, tatsächlich nur 52 Millionen
Euro abgeflossen sind? Das hängt damit zusammen, dass
wir folgendes Problem bekommen werden: Die Anzahl
derjenigen, die die Integrationskurse freiwillig besuchen,
wird immer geringer - es ist schlicht und ergreifend so,
dass sie mit dem Absolvieren dieser Kurse langsam fertig sind -, ohne dass wir gleichzeitig in ausreichendem
Maße diejenigen, die es besonders nötig hätten, an Integrationskursen teilzunehmen, zur Teilnahme verpflichten.
Wir wissen, dass in den Urlaubsmonaten Juli und
August fast gar keine Integrationskurse stattfinden.
Stimmen Sie mir vor diesem Hintergrund zu, dass für
diese Kurse am Jahresende hochgerechnet etwa 100 Millionen Euro abgeflossen sein werden? Das sollten wir
den Haushaltspolitikern übrigens nicht durch solche
- ich muss das einmal so nennen - fahrlässigen Bemerkungen, wie Sie sie gemacht haben, noch auf die Nase
binden.
Es werden genau die 50 bis 60 Millionen Euro übrig
bleiben, die Sie hier eingefordert haben. Wenn man
wirklich die Fakten kennt, weiß man, dass das, was wir
im Haushalt 2008 vorsehen, ausreichend sein wird. Den
gewaltigen Sprung, den wir trotz zurückgehender Inanspruchnahme der Kursmittel machen werden, reden Sie
hier schlecht, anstatt zu sagen, dass wir bei den Integrationskursen wirklich einen gewaltigen Qualitätssprung
nach vorne machen können. Ich verstehe das nicht.
({0})
Lieber Herr Kollege Grindel, ich weise zunächst die
Unterstellung der Fahrlässigkeit oder des Äußerns der
Unwahrheit ausdrücklich zurück.
({0})
- Auch den Vorwurf des Schlechtredens weise ich zurück. Ich rede das nicht schlecht, sondern, ganz im Gegenteil, ich begrüße es ausdrücklich, dass wir - auch im
Innenausschuss - parteiübergreifend große Einigkeit erzielt haben, im Bereich der Integrationskurse etwas voranzubringen.
Der Bedarf, den Sie prognostizieren, muss sich allerdings an den Parametern messen lassen, die wir bei der
qualitativen Verbesserung der Kurse zugrunde legen.
({1})
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang einmal einige
Punkte nennen.
Das Bundesinnenministerium geht bezüglich dieses
Haushaltsansatzes davon aus, dass wir den Stundensatz
der Lehrkräfte marginal anheben. Ich finde, man kann
sich sehr wohl darüber unterhalten, ob 2,35 Euro pro
Stunde und Teilnehmer ausreichen, um motiviertes und
qualifiziertes Personal zu bekommen. Wenn man da einen höheren Wert veranschlagt, wächst automatisch der
Bedarf.
Herr Kollege Grindel, dem Eckpunktepapier des Bundesinnenministeriums ist zu entnehmen, dass die Aufstockung der Stundenzahl von 630 auf 930 lediglich für die
Alphabetisierungs- und Jugendkurse vorgesehen sei.
({2})
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Bedarf weit
größer ist. Wir, die Mitglieder des Innenausschusses - er
ist mitberatend -, haben noch die Gelegenheit, uns dieser Frage vertieft zu widmen. Ich bezweifle jedenfalls,
dass diese marginale Aufstockung um 10 Prozent ausreichen wird, um den einen von uns allen gewollten qualitativen Sprung nach vorne zu machen.
({3})
Abschließend möchte ich einen Punkt ansprechen, der
mir besonders am Herzen liegt. Wir können seit Jahren
beobachten, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder erstarkt. Vor wenigen Wochen hat die größte deutsche Synagoge - sie befindet sich hier in Berlin, in der
Rykestraße - wieder eröffnet. Im letzten Jahr haben erstmals Rabbiner eine Ausbildung an einer Bildungseinrichtung des liberalen Judentums abgeschlossen. Dafür
können wir dankbar sein.
Ich finde es ganz hervorragend, dass im Entwurf des
Haushalts des Bundesinnenministeriums vorgesehen ist,
die Mittel für die sehr gute Arbeit des Zentralrats der Juden von 3 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro zu erhöhen. Durch den Bundeshaushalt wird diese Arbeit also
unterstützt. Ich freue mich auch, dass es gelungen ist,
das von mir eben angesprochene Abraham-Geiger-Kolleg, in dem die Rabbinerausbildung betrieben wird, verstetigt finanziell zu fördern und zudem zu gewährleisten,
dass die dort jüngst begonnene Kantorenausbildung
ebenfalls Unterstützung bekommt. Wir können über
diese Entwicklung froh und dankbar sein.
Wenn es zu der fälligen Neuverhandlung zwischen
der Bundesrepublik und dem Zentralrat der Juden über
die Frage „Wer wird von den erhöhten Mittelansätzen
begünstigt?“ kommt, sollten wir aber auch sicherstellen,
dass jüdisches Leben in Deutschland gleich behandelt
und gleich gefördert wird, unabhängig von seiner Ausprägung.
Vielleicht ist es auch ganz gut, bei einer solchen Debatte, bei der es die eine oder andere Kontroverse gegeben hat, noch einmal festzuhalten: Antisemitismus und
Rechtsextremismus, das sind Themen, die sich nicht für
die parteipolitische Instrumentalisierung eignen; es sind
Themen, bei denen wir als Demokratinnen und Demokraten in der gemeinsamen Verantwortung stehen, etwas
sicherzustellen: Das Grundversprechen dieses Staates
ist, dass jeder in diesem Land ohne Angst sicher leben
können muss. Dazu gehört, dass organisierte Menschenfeindlichkeit hier und da vielleicht Realität ist; sie ist
aber nichts, was wir als Demokraten jemals als Normalität betrachten werden.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Edathy, damit das nicht - meines Erachtens nicht ganz korrekt - stehen bleibt, will ich zwei
Punkte ansprechen. Es ist nicht so, dass das Eckpunktepapier 930 Stunden nur für Jugend- und Alphabetisierungskurse vorsieht. Bei den Alphabetisierungskursen
kann man sogar auf 1 200 Stunden kommen. Es ist vielmehr so, dass jeder, der den Kurs nach 630 Stunden verlässt und nicht das Sprachniveau B 1 erreicht hat, weitere 300 Stunden bekommen soll. Das ist die Regelung.
Wenn jemand nach 600 Stunden das Niveau B 1 geschafft hat, ist das Ziel erreicht. Wenn jemand es da nicht
geschafft hat, soll er es nach 900 Stunden bzw.
930 Stunden erreichen. Das heißt, dass man bei den Alphabetisierten sogar auf 1 200 Stunden kommen wird.
Was Sie da erwähnt haben, ist insofern also nicht in Ordnung. Das ist die Zielsetzung, die wir verfolgen.
Zweiter Punkt. Die 2,35 Euro sind nach den Ergebnissen der Ramboll-Untersuchung ausreichend. Sie müssen
zugestehen, dass wir eine noch bessere Bezahlung bei
den Kinder-, Jugend- und Frauenkursen, gerade wenn es
um Betreuung von Kindern geht, vorsehen.
Wir können im Übrigen - insofern sind die Papiere,
die Ihnen jetzt dazu vorliegen, auch von relativer Bedeutung - doch eines miteinander festhalten: Die Integrationskursverordnung ist noch nicht geändert. Wir können
dabei über alles reden. Ich hoffe, dass der Bundesinnenminister uns als Abgeordnete an diesen Diskussionen beteiligt. Die Frage der Bezahlung der Lehrkräfte zum Beispiel entscheidet sich nicht danach, wie viel wir für den
Kurs ausgeben, sondern unter anderem danach, ob wir so
etwas wie Mindesthonorare vorsehen, wofür ich wäre.
Daher sollten wir der Öffentlichkeit durchaus sagen:
Die Integrationskursverordnung ist noch nicht geändert.
Das ist offen. Wir können vernünftige Lösungen für alle
Beteiligten finden.
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen,
weil Sie die Frage der Rabbinerausbildung angesprochen
haben. Sie haben nach Mügeln ein Stakkato von Interviews gegeben. Das ist in Ordnung. Das, was dort vorgefallen ist, war ein schlimmes Verbrechen. Ich hätte mir
aber eigentlich gewünscht, dass Sie nach dem Messerattentat auf den Rabbiner in Frankfurt öffentlich auch einmal ein Wort dazu gesagt hätten.
Herzlichen Dank.
({0})
Kollege Edathy, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
Zum ersten Punkt, den Sprachkursen, brauche ich
nicht viel zu sagen. Ich bin recht sicher, dass bei uns in
der Koalition auch nach dem Integrationsgipfel gilt, dass
wir nicht nur die Lippen spitzen, sondern auch zu pfeifen
bereit sind. Wir müssen über die Frage der Honorarzahlung für die Lehrkräfte und darüber sprechen, ob der
Sprung von 2,05 Euro auf 2,35 Euro hinreichend groß
ist, um zu einer wirklichen Verbesserung der Situation
der Beschäftigten zu kommen. Im Gutachten wird von
bis zu 3 Euro gesprochen. Darüber können wir einmal in
Ruhe mit den Haushältern, aber auch im Innenausschuss
sprechen.
Dann will ich etwas zu dem zweiten Punkt sagen, den
Sie angesprochen haben. Sie haben dargelegt, ich hätte
mich zu den Ereignissen von Mügeln geäußert, wo sich
Menschen in einem Haus verbarrikadieren mussten, um
nicht noch schwerere Schadenseinwirkungen erdulden
zu müssen; ich hätte mich nicht zu dem Attentat auf einen Rabbiner in Frankfurt geäußert. Das trifft mich
schon. Ich will Ihnen dazu zwei Punkte sagen.
Der erste ist: Was Sie mir unterstellen, nämlich ich
würde mich nur äußern, wenn bestimmte Gruppen zu
Opfern würden, weise ich zurück. Das ist falsch. Sie
wissen, wie es in der Medienlandschaft ist. In der Regel
macht man nicht eine Pressemitteilung, sondern in der
Regel wird man von Journalisten gefragt. Da stellt sich
die Frage vielleicht eher in eine andere Richtung.
Das Zweite, was ich Ihnen dazu sehr deutlich sagen
will, weil das Relativieren ein bisschen mitschwang:
Hans Magnus Enzensberger hat einmal sehr zutreffend
formuliert, dass man Unrecht nicht gegeneinander aufrechnen darf, sondern dass sich Unrecht summiert. Ich
hoffe, dass dieser Konsens hier in diesem Hause von niemandem infrage gestellt wird.
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Damit kommen wir schließlich zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07.
Das Wort hat Bundesministerin Brigitte Zypries.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch
bitte Platz oder setzen Sie Ihre Gespräche außerhalb des
Plenarsaals fort. Wir wollen doch die Beratungen fortsetzen.
So, ich glaube, jetzt ist es so weit. - Bitte, Frau
Zypries.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir reden jetzt über den Haushalt des Bundesministeriums der
Justiz und damit über den Haushalt, von dem jeder
Finanzminister träumt. Es ist ein Haushalt mit geringen
Ausgaben, aber hohen Einnahmen. Wer hätte das nicht
gerne in seinem Bereich?
Der Einzelplan 07 ist einerseits der kleinste Haushalt
unter den Ministerien. Sie wissen wahrscheinlich, dass
der Anteil schwankt. Bei diesem Haushalt beträgt unser
Anteil 0,16 Prozent.
({0})
- Das ist wahr. - Andererseits haben wir die höchste
Deckungsquote. Ohne die Versorgungsausgaben können
wir 96 Prozent der Ausgaben durch eigene Einnahmen
decken. Das ist eine Bilanz, die wir schon seit mehreren
Jahren hier immer wieder gerne verkünden.
Jetzt gibt es im nächsten Jahr einen Ausgabenzuwachs um 2,2 Prozent. Dem steht allerdings auch ein
Einnahmenzuwachs gegenüber - wie sollte es auch anders sein? - um voraussichtlich, so prognostizieren wir
wenigstens, 4,3 Prozent. Wir brauchen diese zusätzlichen Mittel - das sind ja schon wenig genug - für den
Justizhaushalt aus drei Gründen: Der eine ist, wir müssen unseren Anteil zu den Versorgungslasten erbringen.
Der zweite ist, wir müssen uns weiter um das Deutsche
Patent- und Markenamt kümmern; das ist ein wichtiges
Thema. Der dritte ist, wir bekommen im Bereich des Gesellschaftsrechts neue Aufgaben, die durch zusätzliches
Personal abgedeckt werden müssen.
Zu den Versorgungsausgaben: Sie wissen, dass es
künftig bei den einzelnen Ministerien jeweils einen sogenannten Versorgungsfonds geben wird. Für einen
Haushalt wie den Justizhaushalt, der besonders durch
Personalausgaben geprägt ist, stellt das natürlich eine
hohe Zusatzbelastung dar. Deswegen haben wir für die
Sicherung der späteren Versorgung von Menschen, die
wir jetzt neu im Ministerium einstellen, 5,5 Millionen
Euro veranschlagt.
Der zweite Bereich, für den wir mehr Geld brauchen,
betrifft das Deutsche Patent- und Markenamt. Diesen
Punkt sprechen wir in jeder Haushaltsrede an. Er soll
auch dieses Mal nicht fehlen. Das Deutsche Patent- und
Markenamt ist eine Behörde, die uns besonders am Herzen liegt, nicht nur, weil sie eine der wenigen nachgeordneten Behörden im Geschäftsbereich ist - da gibt es im
Justizbereich ja auch so gut wie keine -, sondern auch,
weil dieses Amt in einem Bereich tätig ist, der ganz besonders wichtig ist. Es kümmert sich nämlich um den
Schutz des geistigen Eigentums in Deutschland, indem
es Patente erteilt und Markenrechte verleiht. Dabei ist
die Zuständigkeit auf zwei Standorte aufgespalten: Patente in München, Markenrechte in Jena.
Der Umgang mit geistigem Eigentum ist ja ein
Thema, das die Bundesregierung in diesem Jahr schon
bei vielen Gelegenheiten angesprochen hat und um das
sie sich auch immer weiter kümmert. Dies war Gegenstand beim G-8-Treffen, auf europäischer Ebene haben
wir es während unserer Präsidentschaft zum Gegenstand
gemacht, aber auch auf nationaler Ebene ist es immer
wieder Thema: So befindet sich das Gesetz zur Umsetzung der sogenannten Enforcement-Richtlinie, bei der es
auch um den Schutz des geistigen Eigentums geht, derzeit im Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages. Ein anderes Gesetz zum Schutz des geistigen Eigentums, das die Novellierung des Urheberrechts zum
Thema hatte, hatten wir noch kurz vor der Sommerpause
verabschieden können. Das gehört damit quasi zu den
schon erbrachten Leistungen in diesem Jahr.
Für die Zukunft soll der Schutz des geistigen Eigentums eine wichtige Aufgabe bleiben, auch das Thematisieren dieser Problematik gegenüber anderen Ländern,
von denen wir wissen, dass die Gewährleistung dieses
Schutzes dort nicht so stark verfolgt wird wie in
Deutschland. Das ist in der Regel keine Frage der Gesetzgebung in den anderen Ländern, denn wenigstens die
Staaten, die der Welthandelsorganisation beigetreten
sind, haben das schärfere Recht übernommen; in vielen
Fällen ist es eine Frage der Umsetzung. Ich habe mich
deshalb sehr gefreut, dass mein chinesischer Kollege in
Bezug auf den diesjährigen Rechtsstaatsdialog zwischen Deutschland und China gleich eingewilligt hat,
als wir das Thema „Schutz des geistigen Eigentums“
vorgeschlagen haben. Wir werden uns in 14 Tagen in
München, der deutschen Hauptstadt des geistigen Eigentums, treffen und dort drei Tage miteinander diskutieren.
Ich freue mich, dass auch einige Abgeordnete des Deutschen Bundestages dabei sein werden.
Dies alles ist ein Grund, weshalb das Deutsche Patent- und Markenamt vernünftig ausgestattet sein muss.
Sie wissen, dass die Behörden des nachgeordneten Bereichs mindestens ebenso sehr, wenn nicht noch mehr,
unter der linearen Stelleneinsparung leiden, die wir in
den letzten Jahren ständig durchzuführen hatten. Ich
möchte mich deshalb beim Finanzministerium bedanken, dass allzu große Defizite vermieden werden konnten.
Die Tatsache, dass beim Deutschen Patent- und Markenamt noch ungefähr 180 Stellen fehlen, die man
bräuchte, um richtig gute Arbeit leisten zu können,
möchte ich gern nutzen, um kurz zu thematisieren, dass
die Modernisierung im Bereich des Haushaltsrechts,
die in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, immer
noch nicht ausreicht. Das Silvesterfieber - oder wie immer man das nannte - besteht zum Glück nicht mehr;
jetzt können Ausgabenreste übertragen werden. Auch
andere Verbesserungen haben wir erzielt. Dass wir jedoch immer noch nicht in der Lage sind, eine vernünftige volkswirtschaftliche Berechnung zu einzelnen Ressorts durchzuführen, finde ich schade. In den Jahren
2001 bis 2006 haben wir den sogenannten Stauabbau
durchgeführt, also das Konzept, das wir für das Deutsche
Patent- und Markenamt entwickelt hatten, um die
enorme Menge der aufgelaufenen Arbeiten abzubauen.
In diesen fünf Jahren haben wir 64 Millionen Euro
Mehrausgaben für Personal im Zuge des Stellenausbaus
gehabt. Die Einnahmen für die Erteilung von Patenten,
an der diese Leute gearbeitet haben, lagen in diesem
Zeitraum bei 187 Millionen Euro. Das ist deutlich mehr
als das Doppelte der Ausgaben.
Deswegen habe ich die herzliche Bitte, dass wir dafür
sorgen - ich weiß nicht genau, wer sich darum wie kümmern müsste -, dass solche gesamtwirtschaftlichen
Betrachtungen endlich Eingang in die Betrachtung der
Einzelhaushalte finden.
({1})
Ich glaube, das würde uns allen hier im Hause sehr nützen und könnte auch in anderen Bereichen zum Tragen
kommen. Es würde uns allen erleichtern, die anfallende
Arbeit vernünftig zu leisten. Denn wir arbeiten ja nicht
für das Bundesministerium der Justiz, ein anderes Ministerium oder irgendein Amt, sondern für eine funktionierende rechtsstaatliche Verwaltung in dieser Gesellschaft.
Sie machen die Vorgaben, aber wir müssen die Verwaltung übernehmen. Dafür brauchen wir die entsprechenden Mittel.
Der dritte Grund, warum wir mehr Geld brauchen,
sind die Mehraufgaben im Gesellschaftsrecht, die uns
zugewachsen sind. Das hängt damit zusammen, dass wir
die Unternehmen in Deutschland verpflichtet haben,
künftig ihre Bilanzen offenzulegen. Das gilt künftig
nicht nur für die großen DAX-Unternehmen, die ohnehin schon dazu verpflichtet sind, sondern auch für die
kleinen Aktiengesellschaften und die kleinen GmbHs.
Das ist eine Verabredung auf europäischer Ebene, und
dafür gibt es ein elektronisches Register, das in Bonn geführt wird. Es geht um ungefähr 1 Million Firmen, die
davon betroffen sind. Deswegen an dieser Stelle die
herzliche Bitte an Sie als Abgeordnete: Wenn Sie in Ihren Wahlkreisen mit diesen Firmen reden, werben Sie
bitte dafür, dass sie dieser gesetzlichen Verpflichtung
nachkommen. Denn je mehr Firmen in Deutschland dieser gesetzlichen Verpflichtung nachkommen, desto weniger Personal brauchen wir, um sie dazu anzuhalten.
Wir reden hier über Mittel im Haushalt für das Personal,
das erforderlich ist, um diese Aufgabe zu erfüllen: säumigen Offenlegern zu sagen, dass sie offenlegen müssen.
Wir werden im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit dafür etwas tun. Wir können eine öffentliche Kampagne
leider nicht so gestalten, wie wir es gerne machen würden, weil wir in unserem Etat so gut wie kein Geld für
Öffentlichkeitsarbeit haben. Wir können nicht - andere
können das - große Anzeigen schalten. Wir werden aber
natürlich auf unserer Ebene mithilfe von Presseartikeln
usw. dafür werben. Meine herzliche Bitte ist: Unterstützen Sie uns dabei! Verstehen Sie bitte, dass es hierbei um
die Umsetzung eines aufwendigen Verfahrens, eines
Ordnungsgeldverfahrens, geht, das wir nach Beschluss
des Deutschen Bundestages eingeführt haben. Dieses
Verfahren ist aufwendiger als das von uns vorgeschlagene Bußgeldverfahren und verursacht deshalb mehr
Kosten.
Ich möchte sehr darum bitten, keine Debatte anzufangen, in der behauptet wird, wir führten bewusst eine
Kampagne gegen den Osten; damit hat das überhaupt
nichts zu tun. Die Aufgabe ist uns zugewachsen. Als das
Bundesamt geplant wurde, wussten wir noch nichts von
dieser Aufgabe, die auf Bundesebene, aber nicht notwendigerweise auf ministerieller Ebene wahrgenommen
werden muss. Wahrscheinlich hätten wir jetzt das Bundeszentralregister damit beauftragt, diese Aufgabe wahrzunehmen, wenn wir nicht das Bundesamt für Justiz eingerichtet hätten.
Es geht hierbei um Stellen, die wieder abgebaut werden. Ich habe es eben schon einmal gesagt: Es geht darum, in den Köpfen der Geschäftsführer den Gedanken
zu implementieren, dass die Bilanzen offenzulegen sind.
Sobald diese Aufgabe erfüllt ist, braucht man nicht mehr
das Personal. Das heißt, dass schon jetzt Stellen mit einem kw-Vermerk versehen werden, um dem beschriebenen Dilemma Rechnung zu tragen. Ich denke, wir haben
insofern eine vernünftige Regelung gefunden.
Es gibt einen anderen Themenbereich, für den bisher
kein Geld in den Haushalt eingestellt ist. Ich würde aber
gerne dafür werben, dass wir - besser gesagt: Sie, der
Haushaltsgesetzgeber - dafür in den kommenden drei
Jahren noch jeweils 250 000 Euro in den Haushalt einstellen. Es geht um ein Projekt der Charité, das mit den
Worten beworben wurde: „Lieben Sie Kinder mehr, als
Ihnen lieb ist?“
({2})
Es geht um ein großes Projekt, das an der Charité
durchgeführt wird und bei dem man versucht, mit möglichen Tätern vorbeugend zu arbeiten, um Kindesmissbrauch zu verhindern. Ich meine, um Kindesmissbrauch
zu verhindern, sollten uns dreimal 250 000 Euro nicht zu
viel sein.
({3})
Das Projekt hat schon jetzt zu einem guten Erfolg geführt. Es hat eine Anschubfinanzierung von der Volkswagen-Stiftung erhalten; die Stiftung finanziert das Projekt jetzt nicht weiter. Damit hängt das Projekt in der
Luft. Ich habe die herzliche Bitte: Verankern Sie das
Projekt in unserem Haushalt! Sie können sicher sein,
dass wir das Geld weiterleiten, dass wir das Projekt entsprechend begleiten. Bringen Sie das Projekt nicht in einem anderen Haushalt unter, in dem es sehr viele freie
Mittel gibt, sodass man nicht so richtig weiß, ob die Mittel vielleicht doch einmal den Sparmaßnahmen zum
Opfer fallen.
Ich muss jetzt noch ein paar Worte zu dem Thema sagen, das vorhin schon im Bereich der Innenpolitik recht
kontrovers besprochen wurde: die Frage, wie wir die
innere Sicherheit schützen, wie wir in diesem Bereich
weiter vorgehen. Sie erwarten sicherlich, dass ich zu diesem Thema etwas sage. Sie erwarten aber sicherlich
auch, dass wir eine andere Tonlage verwenden, wenn wir
im Bereich der Rechtspolitik darüber sprechen.
({4})
Die Tonlage ist im Bereich der Rechtspolitik generell
etwas anders: Wir sprechen sachlich miteinander, nicht
nur innerhalb der Regierung, sondern auch - so ist es
Tradition - mit der Opposition. Traditionell werden die
Gesetze im Bereich der Rechtspolitik mit einer großen
Mehrheit des Hauses verabschiedet. Ich möchte mich an
dieser Stelle bei allen recht herzlich dafür bedanken,
dass diese sachlichen Diskussionen möglich sind, dass
es immer sachliche Auseinandersetzungen gibt.
Im Bereich der Sicherheit nehmen wir Änderungen
vor. Wir haben eine Neufassung der Regelungen zur
Telekommunikationsüberwachung vorgelegt, mit denen wir - so meine ich zumindest - deutlich gemacht haben, dass man Sicherheit auf rechtsstaatlich hohem
Niveau gewähren kann. Wir verbessern nämlich die
Rechte der Betroffenen. Wir verbessern die Rechte derjenigen, die besondere Berufsgruppen aufsuchen. Wir
verbessern die Verfahrensregelungen, indem wir eine
Zuständigkeit für die Anordnung beim Ermittlungsrichter am Sitz der Staatsanwaltschaft schaffen. Wir schreiben zum Beispiel ausdrücklich einen absoluten Schutz
für den Kontakt zwischen Verteidigern und Beschuldigten fest. Damit haben wir einen Weg gefunden, mit dem
wir die Voraussetzungen für die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen rechtsstaatlich schaffen können.
Wir setzen mit diesem Gesetz auch die EU-Richtlinie
zur Vorratsdatenspeicherung um, und zwar in dem
Mindestmaß, wie es die europäische Richtlinie erfordert.
Ich meine, dass es bei dem, was jetzt übrig bleibt, nicht
angezeigt ist, allzu emotionale und aufgeregte Diskussionen zu führen. Denn es geht im Grunde nur darum,
dass man Daten, die heute freiwillig für drei Monate gespeichert werden, künftig sechs Monate speichert, also
um eine Einschränkung, von der ich meine, dass wir damit leben können.
Dieses eher unaufgeregte Sachliche sollten wir auch
beibehalten, wenn es um die Frage geht, welche Konsequenzen aus den gerade verhinderten Anschlägen zu
ziehen sind. Zunächst einmal auch von meiner Seite der
Dank an die Ermittlungsbehörden, vor allen Dingen
auch für die erfolgreiche Präventionsarbeit.
({5})
Denn es ist ein bisschen untergegangen, dass die Fahnder schon lange vorher die mit Wasserstoffperoxid gefüllten Fässer ausgetauscht hatten und eine reale Gefahrenlage für die Menschen deshalb schon lange nicht
mehr bestand. Das sollte man einmal honorieren und sagen: Da hat jemand wirklich mit Weitsicht gehandelt.
Genauso unaufgeregt sollten wir die Dinge für die
Zukunft prüfen. Das gilt beispielsweise für die Onlinedurchsuchung, über die wir schon längere Zeit diskutieren. Das ist aber auch richtig, wie ich meine; denn es
handelt sich hierbei sowohl technisch als auch rechtlich
um ein sehr komplexes Thema und um völliges Neuland.
Die Frage, welche Grundrechte davon betroffen sein
könnten, ist verfassungsrechtlich völlig ungeklärt. Deswegen ist es erforderlich, über dieses Thema unaufgeregt zu diskutieren.
Es ist auch erforderlich, dass man sich Gedanken über
ganz praktische Veränderungen macht. Deshalb habe ich
vorgeschlagen: Lassen Sie uns einmal schauen, ob wir
nicht in der Frage, an wen solche Chemikalien verkauft
werden können, Regelungen treffen.
({6})
Denn es macht doch wohl keinen Sinn, dass jeder, der
möchte, hochgefährliche Chemikalien kaufen kann
und sich aus dem Internet die Bauanleitung für Sprengstoff herunterlädt, aber gleichzeitig jeder Fluggast am
Flughafen auf sein Eau de Toilette im Handgepäck untersucht wird.
({7})
Das ist doch völlig widersinnig. Lassen Sie uns deswegen ganz praktisch an dieser Stelle anfangen und überlegen: Nützt eine Regelung hier etwas?
Ich habe darüber mit Sigmar Gabriel gesprochen, der
für die Chemikalienverordnung zuständig ist. Unsere
Mitarbeiter haben heute zusammengesessen und werden
hoffentlich bald einen Vorschlag machen. Ich sage: Nach
dem, was ich heute in den Tickern von den Fachleuten in
diesem Bereich gelesen habe, gab es nur zustimmende
Meinungen.
({8})
Deswegen hoffe ich, dass wir hier etwas erreichen können. Wenn sich herausstellen sollte, dass das aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert, dann muss man es
lassen. Aber es muss zumindest möglich sein, solche
Vorschläge einmal unaufgeregt zu prüfen.
({9})
Ich würde zwar gerne noch viele Dinge im Hinblick
auf das Ministerium ansprechen, habe meine Redezeit
aber schon zwei Minuten überzogen. Wenn ich jetzt
nicht aufhöre, wird Herr Stünker böse.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegin Mechthild Dyckmans,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Rechtsausschuss hat in den vergangenen beiden Jahren einiges an Arbeit geleistet. Ich möchte daher
die heutige Rede auch zum Anlass nehmen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats
sehr herzlich für ihre Arbeit zu danken.
({0})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich im Rechtsausschuss stets konstruktiv beteiligt. Einige Initiativen aus
Ihrem Haus, Frau Ministerin, konnten im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens wesentlich verbessert werden, sodass die FDP-Fraktion am Ende zustimmen
konnte. Ich nenne hier nur das Gesetz zur Änderung des
Wohnungseigentumsgesetzes, das Gesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität sowie das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft.
Es gab aber auch eine Reihe von Initiativen, die große
Kritik herausgefordert haben. Ein besonders gutes Beispiel für eine handwerklich misslungene Gesetzgebungsarbeit war das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.
({1})
Die FDP bleibt dabei: Dieses Gesetz ist handwerklich
mangelhaft, in sich widersprüchlich und mit vielfältigen
bürokratischen und finanziellen Belastungen für die Unternehmen verbunden.
({2})
Bereits Ende letzten Jahres hat die FDP eine Große Anfrage zum AGG vorgelegt. Wir haben gerade in den letzten Tagen die Antwort der Bundesregierung darauf bekommen. Lassen Sie mich nur eine Antwort zitieren,
nämlich die auf die Frage nach den finanziellen Auswirkungen des Gesetzes für die Wirtschaft. Ich zitiere:
… zeitaufwändige Erhebungen mussten unterbleiben, weil das Gesetzgebungsverfahren zur
Vermeidung erheblicher Strafzahlungen an die Europäische Union wegen verspäteter Richtlinienumsetzung spätestens bis August 2006 abzuschließen
war.
Ich halte dies für einen beispiellosen Vorgang. Dieser
verantwortungslose Umgang mit den legitimen Interessen der Wirtschaft ist ein Skandal.
({3})
Auch an anderer Stelle hat die Bundesregierung unserer Meinung nach in der Rechtspolitik versagt. Insbesondere beim Zollfahndungsdienstleistungsgesetz werden
wichtige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ignoriert. Im Vorwort zum Entwurf des Bundeshaushaltes 2008 zum Einzelplan 07 heißt es:
Das Bundesministerium der Justiz ist außerdem
„Verfassungsressort“. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern hat es zu gewährleisten,
dass gesetzliche Regelungen mit dem Grundgesetz
vereinbar sind.
Frau Ministerin, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie Ihre
Funktion als Verfassungsministerin wieder ernst!
Die Reform der Telekommunikationsüberwachung, über die wir in den kommenden Monaten intensiv beraten werden, wird ein erneuter Test für die Bundesregierung sein, der zeigen wird, inwieweit sie bereit
ist, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und die
Prinzipien des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Wir
glauben, dass da noch einige Änderungen notwendig
sind.
({4})
Lassen Sie mich noch kurz auf die Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft im Bereich der Justiz eingehen. Sie, Frau Ministerin, sind mit großen Plänen in
diese EU-Ratspräsidentschaft gestartet. Sie wissen, dass
die FDP Sie dabei unterstützt hat. Es ist für uns daher
enttäuschend, dass die Bilanz so mager ausgefallen ist.
Die Ergebnisse in den Bereichen Zivil- und Wirtschaftsrecht sind eher zufällig in den Zeitraum Ihrer Präsidentschaft gefallen. Die Vorarbeiten hatten schon vor Jahren
begonnen. Bei den von Ihnen selbst angestoßenen und
für Sie sehr wichtigen Initiativen, wie beispielsweise der
Initiative zur Herstellung von europaweit einheitlichen
Mindeststandards in Strafverfahren, sind Sie leider gescheitert.
Im Namen der FDP erkenne ich an, dass es Ihnen ein
großes Anliegen war, diesbezüglich zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen. Wenn man aber nur mit einer Minimalforderung in die Verhandlungen geht, darf
man sich meines Erachtens nicht darüber wundern, dass
man keinen Verhandlungsspielraum hat und letztlich
scheitert.
({5})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den Sie erwähnt haben, nämlich die heimlichen Onlinedurchsuchungen. Auf die zahlreichen verfassungsrechtlichen
Probleme in diesem Zusammenhang möchte ich jetzt gar
nicht eingehen. Ich möchte den Bezug zur Internetsicherheit ansprechen. Frau Ministerin, Sie haben sich
immer, auch in Ihren früheren Funktionen, für eine Stärkung und den Ausbau von E-Government eingesetzt.
E-Government ist eine gute Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger stärker an den staatlichen Entscheidungen partizipieren zu lassen. Voraussetzung dafür ist
jedoch ein sicheres Internet. Wenn Sie Onlinedurchsuchungen zulassen, müssen die Schutzprogramme Sicherheitslücken lassen.
Die FDP-Fraktion fordert Sie auf, alles zu tun, um die
Internetsicherheit zu verbessern. Tun Sie alles, um Computerkriminalität zu bekämpfen. Dabei haben Sie unsere
Unterstützung.
({6})
Mit Freude habe ich gelesen, dass Sie, Frau Ministerin, unseren Vorschlag aufgreifen, die Musterwiderrufsbelehrung für Internetgeschäfte gerichtsfest zu machen.
Das bestätigt mich in der Hoffnung, dass die Bundesregierung wieder zu einer vernunft- und sachorientierten
Rechtspolitik zurückkehrt. In den kommenden zwei Jahren können Sie das unter Beweis stellen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Kollege Jürgen Gehb, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den
diesjährigen Haushaltsberatungen läuten wir nicht nur
die zweite Jahreshälfte ein, sondern auch die zweite
Halbzeit der Legislaturperiode. In der ersten Hälfte haben wir jedenfalls auf dem Gebiet der Rechtspolitik
große Vorhaben angepackt und zu Ende geführt. Das
werden wir auch in der zweiten Hälfte mit Kraft und
Willen tun.
({0})
Liebe Mechthild Dyckmans, bevor du gleich Kritik
anmeldest: Es handelt sich übrigens um das Zollfahndungsdienstgesetz und das Rechtsdienstleistungsgesetz.
Du hattest dich ein bisschen verlesen und warst wohl
schon beim nächsten Absatz. Das nur einmal zur Richtigstellung, damit klar ist, worüber wir hier reden.
Ich will daran erinnern, dass wir vor der Sommerpause Änderungen des Urheberrechts und des Versicherungsvertragsrechts verabschiedet haben. Das sind wahrlich keine Petitessen, sondern große Kaliber in der
Rechtspolitik. Auch damit werden wir fortfahren.
Ich sage: Wir stehen nicht nur im Wettbewerb bei der
Erbringung von Dienstleistungen und Erzeugung von
Waren, sondern wir stehen auch im Wettbewerb mit den
Rechtsordnungen anderer Länder. Es ist eine große Herausforderung für den nationalen Gesetzgeber und insbesondere für uns Rechtspolitiker, im Konzert der Rechtsordnungen mithalten zu können. Es wird internationaler,
zumindest europäischer. Wir waren vor einem Jahr in
Frankfurt bei einer Veranstaltung der IHK mit dem
schmissigen Titel European and German Law goes
Hollywood. Dieser Titel hatte schon seinen Sinn. Wir
merken zum Beispiel, wie wir durch europäische Vorgaben immer mehr präjudiziert werden.
Ich will die Antidiskriminierungsrichtlinien und
unser AGG ansprechen. Ich habe immer gesagt - dazu
stehe ich auch -: Diese Antidiskriminierungsrichtlinien
aus Europa kommen mir vor wie ein stinkender Handkäse.
({1})
Man kann ihn entweder elegant in einen Parfümflakon
stecken oder in Zeitungspapier einwickeln. Das olfaktorische Grundunbehagen bleibt auf jeden Fall gleich.
({2})
So haben wir auch andere europäische Vorgaben. Ich
nenne einmal die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie,
die uns in Deutschland an den Rande der Wettbewerbsfähigkeit bringen. Wenn ich mir überlege, dass ich in
Kassel an der A 44 im 20. Jahr nach der Wiedervereinigung immer noch darum kämpfen muss, drei Kilometer
Straße zu bauen, dann muss ich Ihnen eines sagen: Wir
lösen uns immer mehr von unserem anthropozentrischen
Grundverständnis, dass der Mensch im Mittelpunkt
steht, wenn die Lastwagen bei uns auf der B 7 entlangfahren und mit ihren Rückspiegeln die Hecken touchieren, sodass die Tassen daheim im Schrank umfallen, nur
damit der Kammmolch und irgendein Hirschkäfer unbeschadet durch einen Tunnel kriechen können. So kann es
nicht weitergehen.
({3})
Deswegen sage ich: Wir müssen aufpassen, dass wir bei
der Umsetzung europäischen Rechts nicht das Kind mit
dem Bade ausschütten.
Ich will auch ganz kurz erwähnen, ohne wie ein
Lohnbuchhalter alles stakkatohaft abzuarbeiten, dass
während der Sommerpause im Kabinett mehrere Vorhaben auf den Weg gebracht worden sind. Drei möchte ich
herausheben. Wir begrüßen es als Union ganz besonders,
Frau Ministerin, dass jetzt die Vaterschaftsfeststellung
so auf die Füße gestellt wird, dass nicht nur ein Ehemann, der nach zwölf Monaten Abwesenheit auf einer
Bohrinsel von seiner Frau mit einem farbigen Kind abgeholt wird, endlich einen Anspruch hat, die Abstammung des Kindes zu klären.
Die Hürden waren extrem hoch. Jetzt haben wir eine
doppelgleisige Möglichkeit, nämlich einmal die Möglichkeit, festzustellen, wer wirklich der Vater ist, und die
spätere Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten. Das ist
eine Vorgabe vom Bundesverfassungsgericht. Wenn ich
mich recht erinnere, habe ich diesen Vorschlag schon
einmal im Februar 2005 im Spiegel gemacht. Ich finde,
das ist eine vernünftige Regelung und wird den Kindern,
den Müttern, den tatsächlichen und auch den präsumtiven Vätern endlich gerecht.
({4})
Ebenso unterstützen wir, dass Sie jetzt sozusagen unsere Idee aufgenommen haben, auch bei nach Jugendstrafrecht verurteilten Straftätern die nachträgliche
Sicherungsverwahrung verhängen zu können. Die Diskussion wird ja ganz quer geführt. Hier geht es nicht darum, dass ein Jugendlicher im Alter von 16 Jahren
gleichzeitig mit der Verurteilung zur Sicherungsverwahrung geschickt wird, sondern hier geht es darum, ob jemand, der zum Beispiel mit 16 Jahren jemanden ermordet hat und dafür zehn Jahre Freiheitsstrafe bekommen
hat, mit 26 Jahren - dann ist er ein erwachsener Mann daraufhin überprüft werden kann, ob er immer noch eine
tickende Zeitbombe ist oder nicht. Darin unterscheidet er
sich überhaupt nicht von demjenigen Täter, der erwachsen ist. Ich finde es toll, dass die Bundesregierung das
aufgenommen hat, wenngleich ich mir gewünscht hätte,
dass eine Anlasstat ab einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und nicht erst von sieben Jahren gereicht hätte. Aber
das ist eher eine Kritik im Einzelnen.
Ich freue mich auch, dass vernachlässigten und verhaltensauffälligen Kindern in Zukunft früher die Hilfe
durch die Familiengerichte angedeiht werden lassen
kann, als es bisher der Fall war. So denke ich, dass das
Kabinett in der Sommerpause durchaus die eine oder andere Gesetzesvorlage auf den Weg gebracht hat, die wir
demnächst parlamentarisch beraten werden.
Es gibt aber nicht nur Themen, bei denen wir gerade
erst mit der Diskussion begonnen haben, oder Themen,
mit denen wir uns demnächst befassen, sondern es gibt
auch Gesetzesvorhaben, die kurz vor der Reife stehen, in
das Bundesgesetzblatt aufgenommen zu werden. Ich erinnere nur an das Rechtsdienstleistungsgesetz. Ich
denke, dass wir auch das Gesetz zur Änderung des
Unterhaltsrechts irgendwann in das Bundesgesetzblatt
aufnehmen können.
({5})
Dafür muss es erstens verfassungsfest sein, und zweitens
müssen auch all diejenigen zufrieden sein, die ein bisschen Sorge haben, dass die Ehefrauen dabei schlechter
wegkommen.
Dieses Vorhaben ist schwierig; das gebe ich gerne zu.
Auch innerhalb meiner Fraktion gibt es hierzu unterschiedliche Auffassungen. So ist das nun einmal: Die einen haben eine hohe Streitkultur, und die anderen streiten sich nicht. Ich finde, dass man im Diskurs die besten
Lösungen findet. Wir werden sie finden.
({6})
Meine Damen und Herren, ich will einen Schwenk
machen. Heute ist kein ganz gewöhnlicher Tag, sondern
der Jahrestag von 9/11. Vor sechs Jahren sind nicht nur
die Twin-Towers angegriffen worden - das haben Sie
alle noch in Erinnerung -, sondern man konnte endgültig
die Hoffnung aufgeben, dass mit dem Ende des Kalten
Krieges, in dem sich Kombattanten gegenüberstanden,
ein Zustand des Friedens auf der Welt erreicht worden
ist. Das ist nicht der Fall.
An dieser Stelle sage ich Ihnen, Frau Ministerin, im
Namen meiner Fraktion, zumindest aber im Namen der
Arbeitsgruppe Recht, großen Dank: sowohl dafür, dass
Sie uns während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
gut vertreten haben, als auch dafür, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen und Ihrem Hause hervorragend funktioniert und menschlich in einer Superatmosphäre verläuft.
Frau Dyckmans, zu Ihrem Dank an die Mitarbeiter
möchte ich sagen: Diese machen das nicht unentgeltlich,
denn sie sind nicht ehrenamtlich tätig.
({7})
Trotzdem kann man ihnen natürlich danken; dafür ist die
Zeit immer günstig. Das tue auch ich.
Einen kleinen Wermutstropfen muss ich Ihnen trotzdem mit auf den Weg geben. Es gibt in der Rechtspolitik
eigentlich nur einen großen Streitpunkt, nämlich das
kleine Scharnier Rechtspolitik/Innenpolitik.
({8})
Zum Thema Onlinedurchsuchung ist in der Debatte
zum vorherigen Einzelplan in den letzten 75 Minuten eigentlich alles Wichtige gesagt worden. Es gibt aber noch
ein anderes Feld: die Strafbewehrung des Besuchs der
sogenannten Terrorausbildungslager. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass wir uns
mit diesem Thema beschäftigen wollen. Mittlerweile
sind knapp zwei Jahre vergangen. Ich selbst habe vor
wenigen Tagen in der Welt gesagt, dass es schwierig ist,
einen Straftatbestand zu zimmern, der den Erfordernissen des Bestimmtheitsgebots genügt.
({9})
An dieser Stelle möchte ich den Besserwisser
Heribert Prantl erwähnen. In der Süddeutschen Zeitung
schreibt er - das hat mich heute geärgert -, ein Blick ins
Gesetz erleichtere die Rechtsfindung und übrigens auch
die Gesetzgebung.
({10})
Ich kann Heribert Prantl nur mit auf den Weg geben: Ein
Blick in einen Strafrechtskommentar und die Lektüre der
einschlägigen Entscheidungen würden verhindern, dass
man auf so überhebliche Art und Weise falsche Informationen an die Bevölkerung weitergibt.
({11})
Wenn er im Jahre 1959 - damals könnte er gerade seinen großen Schein im Strafrecht gemacht haben - im
zwölften Band der Sammlung der Entscheidungen des
Bundesgerichtshofes gelesen hätte, wäre ihm aufgefallen, dass es für die Verabredung zu einer Straftat einer
gewissen Konkretisierung bedarf. Es würde nicht ausreichen, wenn wir beide, Herr Danckert, vereinbaren würden, gemeinsam eine Bank zu knacken. Wir müssten genau sagen, dass wir uns am Donnerstag um 17 Uhr vor
der Berliner Sparkasse treffen,
({12})
und müssten verabreden, wer das Brecheisen mitbringt.
Wenn diese Konkretisierung fehlt, handelt es sich um ein
abstraktes Gefährdungsdelikt, das nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht bestraft werden kann. So viel
dazu, wenn Besserwisser meinen, sie müssten den Leuten einen einschenken.
Ich sehe mit Schrecken, dass ich nur noch
35 Sekunden Redezeit habe. Frau Präsidentin, können
Sie nicht meine Redezeit verlängern? - Also nicht.
({13})
Noch ganz kurz: Wir Rechtspolitiker sollten uns überlegen, ob wir nur an der Vielzahl der Gesetzentwürfe, die
wir verabschieden, gemessen werden wollen, oder ob es
nicht manchmal besser ist, etwas nicht zu regeln. Ich
habe das schon in meiner letzten Rede zum Haushalt vor
einem Jahr gesagt, damals in Bezug auf die, wie ich
meine, hypertrophe Neigung, immer mehr Staatsziele in
das Grundgesetz aufnehmen zu wollen.
({14})
Noch eine Bemerkung zum Nichtraucherschutz. Ich
möchte die Diskussion über die Raucher nicht schon
wieder führen. Aber eines möchte ich sagen: Sofern dieses Gesetz dem Schutz der Nichtraucher dient, findet es
meine volle Unterstützung. Wenn damit aber, zumindest
als Konnotation, auch beabsichtigt ist, den Raucher zu
seinem Glück zu zwingen - wenn es also eine Art Beglückungsgesetz sein soll -,
({15})
dann fehlt nicht mehr viel, bis wir irgendwann auch noch
regeln, was die Menschen essen sollten.
Neulich hat jemand verlangt - ich habe erst gedacht,
das sei Spaß -, dass es in Diskotheken leiser sein müsse.
Es gibt einen alten römischen Rechtsgrundsatz: „volenti
non fit iniuria“, dem Freiwilligen geschieht kein
Unrecht. Wer also in eine laute Diskothek geht, der muss
damit rechnen, dass es laut ist. Wer selber raucht, wird
vielleicht irgendwann krank sein. Wir müssen dem Rauchen den Kampf ansagen, aber nicht als Gesetzgeber,
sondern mit Aufklärungsbroschüren. Deswegen ist auch
in der Rechtspolitik weniger manchmal mehr. Wie hat es
schon Montesquieu gesagt?
Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen,
dann ist es nötig, keines zu erlassen.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren, und einen schönen Abend.
({16})
Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Nešković für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Am 30. März des vergangenen Jahres nannte ich Frau Justizministerin Zypries die Chefin
des Rechtsstaatsministeriums. Ich wollte damit zum
Ausdruck bringen, dass die Wahrung rechtsstaatlicher
Errungenschaften und die Abwehr von Angriffen auf
diese Errungenschaften auch im Zuständigkeitsbereich
des Justizministeriums liegen. Nachdem die Justizministerin dieser Aufgabe zunächst, wie ich meine, zaghaft
und verhalten nachging, ist sie insbesondere während
der Sommerpause dann doch noch in Fahrt gekommen.
Man gewinnt den Eindruck, Herr Schäuble und Frau
Zypries proben in diesen Tagen die kabinettsinterne Variante eines neuen Jobsharing-Konzepts. Es agieren
Rechtsstaatsministerin und vermeintlicher Verfassungsminister als „job sharing good girl and bad boy“, wenn
es um die Werte unseres Grundgesetzes geht.
({0})
Seit über einem halben Jahr reihen der Innenminister
und seine Hilfstruppen, rechtsstaatlich gesehen, eine ungeheuerliche Überlegung an die nächste. Als Herrn
Schäuble im Sommer wegen der öffentlichen Erwägung
von gezielten Tötungen eine Welle der Kritik und Empörung über den Kopf schlug, gab er weinerlich zum
Besten, man habe ihn furchtbar missverstanden;
({1})
es gehe doch nur darum, die rechtlichen Grundlagen für
neue Handlungsinstrumente zu diskutieren und zu schaffen, und er sei ein glühender Anhänger des Rechtsstaats.
Ich weiß nicht, wofür unser Innenminister glüht; aber
der Rechtsstaat ist es gewiss nicht.
Verfassungsbruch und rechtsstaatliche Unerträglichkeiten lassen sich nicht in rechtliche Grundlagen fassen.
({2})
Wer das Unerträgliche will, wird selbst untragbar. Die
wichtigste Sicherheitsfrage unserer Tage ist doch die
Frage, wie sicher der Innenminister im Umgang mit der
Verfassung ist oder - noch zutreffender - wie sicher die
Verfassung vor unserem Innenminister ist.
({3})
Der Kollege Struck drückte diese Kritik in seinem
Sommerbrief an seine Fraktionskollegen etwas freundlicher aus, als ich es tue. Er schrieb sinngemäß, die Vorschläge des Innenministers seien Angriffe auf den
Rechtsstaat, dessen Schutz aber die eigentliche Aufgabe
des Verfassungsministers sei. Man habe den Eindruck,
die Freiheit solle durch einen Überwachungsstaat abgeschafft werden. - Das hat die SPD gesagt. Wir hoffen,
dass es sich bei dieser SPD-Kritik nicht nur um ein bloßes Taktieren handelt.
({4})
Auch ist es uns nicht entgangen, dass die SPD den gewünschten Onlinedurchsuchungen nicht etwa ein entschiedenes Nein entgegensetzt, sondern lediglich Skepsis formuliert und auf die Hilfe des Verfassungsgerichts
hofft.
({5})
Wir werden deshalb genau beobachten, ob der Widerstand der SPD und der Justizministerin anhält, ob sie
- nicht zuletzt angesichts der Ereignisse der vergangenen Woche - standhaft bleiben oder am Ende doch wieder einknicken. Ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin, die
Standfestigkeit einer Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
die ihren Widerstand gegen den sogenannten großen
Lauschangriff so weit betrieb, dass sie bereit war, dafür
ihr Amt aufzugeben, was sie schließlich getan hat. Diese
Standfestigkeit wünsche ich Ihnen.
({6})
- Ja, gekommen ist er trotzdem, aber mit deutlichen Einschränkungen.
({7})
Von Frau Zypries konnte man in der Onlineausgabe
der Frankfurter Rundschau vom 28. Juli die folgende
wichtige Feststellung lesen:
Nicht die Verteidigung der Bürgerrechte bedarf der
Rechtfertigung, sondern deren Einschränkung.
Frau Zypries, dem schließen wir uns ausdrücklich an.
({8})
Denn es ist dieser kleine Satz, der die aktuelle Debatte in
unserem Land vom Kopf zurück auf die Füße stellt. Der
Rechtfertigungsbedarf liegt nicht bei den Kritikern unseres Innenministers, sondern bei ihm und seinen Anhängern. Es gilt: Nicht die Befürworter lang gewachsener
rechtsstaatlicher Grundsätze sind in Erklärungsnot, sondern diejenigen, die diese Grundsätze aufweichen und
beseitigen wollen.
Soweit diese Begründungen liefern, ist ihnen gemeinsam, dass immer nur der Zweck der angestrebten Maßnahme ins Auge gefasst wird. Sie gründen sich allesamt
auf die kreuzgefährliche Behauptung, im Grunde genommen könne man kaum zu viel tun, wenn es um den
Schutz unseres Staatswesens geht. Jedem dieser Vorschläge liegt die Behauptung zugrunde, es gebe eine
neue, nie dagewesene Bedrohung für unser Gemeinwesen, auf die man folglich mit neuen, nie dagewesenen
Mitteln zu reagieren habe.
Zur Frage der verbindlichen Grenze für solches Vorgehen erklärte der Bundesinnenminister im Spiegel-Interview vom 9. Juli, eine rote Linie gebe es: die Verfassung - und die könne man ändern. Zum Glück irrt Herr
Schäuble, was seine Möglichkeiten und was die Möglichkeiten dieses Parlaments angeht.
({9})
Frau Ministerin Zypries, ich darf Sie bitten, Herrn
Schäuble einmal die Bedeutung des Art. 79 Abs. 3 des
Grundgesetzes zu erläutern. Dann müsste ihm aufgehen,
dass der dort gegen Veränderung geschützte Art. 1 eine
verbindliche Demarkationslinie für seine Angriffe auf
die Verfassung darstellt.
({10})
Der nicht veränderbare Art. 1 ist es, der verhindert, dass
jemals zivile Luftfahrzeuge vom Himmel abgeschossen
werden können. Der nicht veränderbare Art. 1 ist es, der
den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verlässlich gegen jedwede Überwachungsmaßnahme schützt.
Technische Schwierigkeiten bei Überwachungsmaßnahmen rechtfertigen es nicht, diesen Schutz außer Acht zu
lassen.
Insofern ist die eben zitierte These der Justizministerin dringend ergänzungsbedürftig. Denn wesentlich ist
nicht nur die Frage, wer sich zu rechtfertigen hat, sondern auch, welchen Inhalt diese Rechtfertigung aufweist.
Das gilt im Übrigen auch für den Teil der Verfassung,
der tatsächlich geändert werden kann. Denn bei der
Rechtfertigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen genügt es keinesfalls, sich vom Zweck einer Maßnahme
leiten zu lassen - ansonsten würde der Zweck die Mittel
heiligen. Vielmehr ist der Zweck der Maßnahme in Abwägung zu bringen zu dem Verlust der Freiheit, der mit
der Durchführung der beabsichtigten Maßnahme einhergeht.
Das übersieht Herr Schäuble - wie Herr Schäuble insgesamt die Funktion der Grundrechte im Verhältnis
zum Staat übersieht und verkennt. Die Grundrechte stellen - als Abwehrrechte - institutionalisiertes Misstrauen
gegen den Staat dar; das ist ihre Kernfunktion. Herr
Schäuble hingegen geht von einem grundsätzlichen
Misstrauen des Staates gegenüber seinen Bürgern aus.
Hier liegt der Kerndissens zwischen ihm und uns und,
noch entscheidender, zwischen ihm und der Verfassung.
({11})
Es ist daher Ihre Aufgabe, Frau Zypries, Herrn
Schäuble dabei zu helfen, diese Trübung seiner verfassungsrechtlichen Sichtweise zu beheben,
({12})
und dabei gleichzeitig deutlich zu machen, welche inhaltliche Position die SPD hierbei konkret einnimmt.
Abschließend ist festzustellen: Die von Herrn
Schäuble erklärte Strategie, einer Bedrohung des Rechtsstaats mit dem Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien zu begegnen, ist widersinnig. Der Rechtsstaat wird nicht dadurch geschützt, dass man ihn abschafft. Ebenso gut
könnte einer sein eigenes Haus abbrennen, um seine
Habe vor Einbrechern zu schützen.
({13})
Vor Diebstahl wäre der ehemalige Hausherr nunmehr effizient geschützt.
({14})
Allerdings entzieht er seine Habe nicht nur dem Dieb,
sondern auch sich selbst. Er verliert, was er doch beschützen wollte, und erweist sich als schlechter Beschützer.
({15})
Frau Zypries, ich darf Sie bitten: Stellen Sie diesem
Unsinn Ihre Vernunft entgegen und bleiben Sie dabei
standhaft!
Ich danke Ihnen.
({16})
Nächster Redner ist nun der Kollege Jerzy Montag für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Haushalt des Bundesjustizministeriums ist in der Tat ein
Haushalt, um den Sie jedes Ministerium beneiden kann,
Frau Zypries. Sie haben erneut einen Deckungsgrad von
etwa 70 Prozent bei einer Ausgabensteigerung von
2 Prozent und einer Einnahmensteigerung von 3 Prozent. Über die Zahlen Ihres Hauses lässt sich auch vonseiten der Opposition nicht meckern. Das will ich auch
nicht tun.
Ich will nur darauf hinweisen, dass wir uns in den
Haushaltsberatungen intensiv mit der erheblichen Erhöhung der Zahl der Stellen im Bundesamt für Justiz auseinandersetzen werden müssen. Sie haben dazu Stellung
genommen und darauf hingewiesen, dass diese Erhöhung mit neuen Aufgaben korrespondiert. Ich habe aber
in Erinnerung, dass wir vor einem Jahr darüber gesprochen haben, dass das Bundesamt für Justiz durch Übertragung von Stellen aus anderen Bundesbehörden, auch
aus Ihrem Haus, langfristig stellenneutral gehalten werden kann. Dies ist so nicht eingetroffen, und wir werden
uns intensiv über die Gründe unterhalten müssen.
Trotzdem muss man im Zusammenhang mit der Justiz
und dem Rechtsstaat auch immer über Geld reden. Der
Rechtsstaat kostet die Bürgerinnen und Bürger wahrlich
nicht viel Geld, aber er ist nicht billig zu haben. Als ich
vor einem Jahr davon gesprochen habe, dass für die Ausstattung der Gerichte die Länder zuständig sind, dass
aber - wenn man den Rechtsstaat nicht nur proklamiert,
sondern auch faktisch durchsetzen und stärken will - die
Bundesjustizministerin in der Aufgabe steht, auf die
Länderebene einzuwirken, damit dort endlich mehr
Geld, mehr Personal und eine bessere Ausstattung für
die Justiz bereitgestellt werden, hat der Kollege Stünker
gerufen - den Zwischenruf kann man im Protokoll nachlesen -: „Doch! Doch!“
Tatsächlich ist aber nichts geschehen. Das größte
Amtsgerichts der Bundesrepublik Deutschland - das
Amtsgericht München, meiner Heimatstadt - hätte vor
einigen Monaten eigentlich Konkurs anmelden müssen.
Die Situation, dass die Justiz mit den zur Verfügung gestellten Mitteln keine qualitativ angemessene rechtsstaatliche Arbeit leisten kann, ist auch in der Fläche hoch
dramatisch. Deswegen glaube ich, dass wir auch an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen müssen, dass die Landesfinanzminister endlich die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen müssen, um den
Rechtsstaat auch auf Landesebene mit Leben zu erfüllen.
({0})
Bundesjustizministerin Zypries hat den Koalitionsvertrag seinerzeit mit den Worten kommentiert, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz seien der strikte
Maßstab, an dem sich die Große Koalition messen lassen
müsse.
({1})
Man muss sich einmal zu Gemüte führen, wie wunderbar dieser Satz ist.
Aber nun zu den Fakten: Wenn sich Herr Minister
Schäuble in Interviews zu Wort meldet, lässt er in rechtsstaatlicher Hinsicht alle Hüllen fallen. Sie, Frau Zypries,
bemühen sich dann, mehr schlecht als recht die dadurch
entstandenen Blößen zu bedecken, und werden dabei
auch noch von Kollegen aus der Koalition bzw. der
Union übel angegangen.
Kollege Bosbach - er ist leider nicht mehr anwesend -,
den ich sonst als galanter eingeschätzt habe, hat über Sie
gesagt, Frau Zypries, Sie würden sich in diesen Fragen
mit der Geschwindigkeit einer Wanderdüne bewegen.
Der Kollege Uhl, der für das Gröbere zuständig ist - er
ist ebenfalls nicht mehr im Saal -, hat hinsichtlich Ihrer
Person und des Koalitionspartners gesagt, Sie würden
sich schuldig machen. Gemeint hat er - dieser Eindruck
sollte in der Öffentlichkeit erweckt werden -, dass Sie
sich schuldig machen würden, sollte es doch zu einem
Terroranschlag kommen und Opfer geben und sollte sich
die SPD und die Justizministerin nicht genügend bewegt
haben. In dieser Situation wäre es richtig, wenn Sie sich,
Frau Zypries, gar nicht bewegten und wenn Sie Ihre
Standpunkte zum Schutze der Rechtsstaatlichkeit und
Ihre Aufgabe als Verfassungsschutzministerin tatsächlich ernst nähmen.
({2})
- Nein, das tut sie nur sehr verhalten, sehr eingeschränkt.
Aus der Fülle der Fälle, über die diskutiert werden
muss, will ich an dieser Stelle einige wenige aufgreifen.
Frau Zypries, Sie haben einen Vorschlag zur Neuauflage
der Kronzeugenregelung gemacht. Erstaunlicherweise
hat der Bundesrat dazu in der Sommerpause in einer
Stellungnahme festgestellt, dass die von Ihnen vorgeschlagene Kronzeugenregelung dazu führen wird, dass
es - erster Vorwurf - keine schuldangemessenen Strafen
mehr geben wird, dass es - zweiter Vorwurf - in Zukunft
einen Handel mit der Gerechtigkeit geben wird und dass
die Gefahr des Missbrauchs dieser Vorschrift - dritter
Vorwurf - sehr groß ist. Diese Argumente könnten aus
einem Papier der grünen Bundestagsfraktion abgeschrieben sein. Insbesondere die Schlussfolgerung des Bundesrates sollte man sich zu Gemüte führen. Ich darf zitieren:
… dass der Gesetzentwurf dem rechtsstaatsfeindlichen Denunziantentum Vorschub leisten wird, weshalb die Aussagekraft und der Beweiswert derartig
einseitig motivierter Offenbarungen besonders kritisch zu hinterfragen und auch in Gänze in Zweifel
zu ziehen sein dürften.
Der Deutsche Richterbund hat sich ähnlich kritisch
geäußert. Wenn die Liste der sachlichen Kritiker von den
Grünen über den Deutschen Richterbund bis hin zum
Bundesrat reicht, ist das ein Grund, zu sagen: Eine solche Kronzeugenregelung machen wir nicht. Stattdessen
schlagen Sie sie dem Bundestag vor.
({3})
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?
Aber gerne.
Herr Kollege Montag, bedeutete das nicht, dass man
in konsequenter Fortführung Ihrer Auffassung § 31
BtMG, mit dem wir gute Erfahrungen gemacht haben,
ersatzlos streichen müsste?
Herr Kollege Kauder, ich weiß nicht, wen Sie mit
„wir“ meinen, wenn Sie von guten Erfahrungen mit
§ 31 BtMG sprechen. Die Erfahrungen, die ich, der ich
genauso ein Praktiker des Strafrechts bin wie Sie, kenne,
gehen in die völlig entgegengesetzte Richtung. Wir brauchen weder eine Kronzeugenregelung bei der Bekämpfung der Geldwäsche noch eine Kronzeugenregelung
beim Antiterrorkampf noch eine Kronzeugenregelung
beim Betäubungsmittelrecht.
Dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland wäre
gedient, wenn wir die gesamte Kronzeugenregelung auslaufen ließen und sie aus dem Strafgesetzbuch streichen
würden. Diese Forderung erhebe ich für die Grünen an
dieser Stelle ausdrücklich. Wir würden dadurch bei der
Rechtssicherheit nichts einbüßen. Denjenigen Täterinnen und Tätern, die aus Reue über ihre Tat oder aus welchen Gründen auch immer einen Beitrag zur Aufklärung
von anderen Straftaten leisten, kann man schon jetzt
nach geltendem Recht bei der Strafzumessung entgegenkommen. Dafür brauchen wir die rechtsstaatlich höchst
problematische und höchst kontrovers diskutierte Kronzeugenregelung nicht.
({0})
Angesichts der fortgeschrittenen Zeit will ich von den
vielen Punkten, zu denen ich etwas sagen wollte, nur
noch einen Punkt herausgreifen. Frau Zypries, es wird
darüber diskutiert, ob § 129 a StGB durch weitere Regelungen angereichert werden soll. Vonseiten der Konservativen kommt der törichte Vorschlag, Einzeltäter als
terroristische Vereinigungen zu behandeln. Was das außer Meinungs- oder Gesinnungsterror oder Hate-Crime
nach amerikanischem Muster bringen soll, weiß ich
nicht. Aber es wird auch diskutiert - da haben Sie eben
nicht klar Nein gesagt, sondern lediglich die Prüfung in
Ihrem Hause zugesagt -, den sogenannten Besuch von
Terrorcamps unter Strafe zu stellen. Herr Gehb, Sie
sind darauf auf Ihre Art und Weise eingegangen. Ich will
Ihnen sagen: Der belgische Kesselschmied Duchesne ist
im 19. Jahrhundert nicht nach Afghanistan gefahren - da
gab es keine Terrorcamps -, sondern nach Paris zum katholischen Bischof und wollte Geld haben, um Bismarck
zu töten. Er hat das Geld nicht bekommen. Aber dieser
Vorfall war der Grund dafür, dass 1876 der § 30 - Versuch der Beteiligung - ins deutsche Strafgesetzbuch eingeführt worden ist. Wir sagen Ihnen von dieser Stelle:
Das ist das, was rechtsstaatlich richtig und hinnehmbar
ist, wohingegen der Besuch von irgendwelchen Terrorcamps in Afghanistan, der von niemandem gewollt ist
und unterstützt wird, nicht als Straftat ausgestaltet werden kann, wenn Sie überhaupt noch einen Rest an
Rechtsstaatlichkeit, an Bestimmtheit der Normen im
deutschen Strafrecht haben wollen.
Herr Kollege, ich muss Sie jetzt an Ihre Redezeit erinnern.
Da meine Redezeit zu Ende ist, will ich an dieser
Stelle zum Schluss Folgendes sagen: Ich erkenne sehr
wohl - da bin ich weniger positiv gestimmt als mein
Vorredner Herr Kollege Nešković -, dass Sie, Frau
Zypries, gegen die rechtsstaatswidrigen Anfeindungen
Ihres Kollegen aus dem Innenministerium ankämpfen,
aber ich erkenne auch sehr wohl, dass es in der Koalition
mit der Union mit einer rechtsstaatlichen Rechtspolitik
nicht sehr weit her ist.
({0})
Deswegen wünsche ich mir und Ihnen, dass Sie von diesem Koalitionspartner bald befreit werden können.
Danke.
({1})
Nun hat das Wort der Kollege Joachim Stünker für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es tut mir leid, seit einer guten halben Stunde habe ich
das Gefühl, dass in diesem Hohen Hause eine Phantomdiskussion geführt und zum Einzelplan 7 nicht mehr gesprochen wird.
({0})
Ich darf den Damen und Herren von den drei Oppositionsparteien eines versichern: Die Sozialdemokraten in
diesem Hause sind jetzt im zehnten Jahr für die Rechtspolitik in diesem Land verantwortlich, und wir führen
bzw. führten mit zwei Ministerinnen das Bundesministerium der Justiz. Wir brauchen uns von niemandem vorwerfen zu lassen, dass wir in diesen neun Jahren bei einer einzigen Sachfrage, die zu entscheiden war, auch nur
ein einziges Mal die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land
aufs Spiel gesetzt hätten, auch nicht in schwierigen Zeiten.
({1})
Sechs Jahre ist es seit 9/11 her. Auch damals sind wir in
der Lage gewesen, in der Rechts- und in der Innenpolitik
genau die Waage zu halten, die zwischen Sicherheit und
Freiheit zu halten ist. Wir haben die Sicherheit nicht
über die Freiheit gesetzt, was Sie uns in Ihren Reden jedes Mal vorzuwerfen versuchen.
Beenden Sie die hypothetischen Debatten, die hier geführt werden, und lassen Sie uns doch in der Mitte der
Legislaturperiode ganz nüchtern anschauen, was wir in
der Rechtspolitik in diesen zwei Jahren geleistet haben!
Lassen Sie uns anschauen, wie es mit den Freiheitsrechten des Einzelnen aussieht. Ich sage Ihnen: Diese Koalition hat mit ihrer Rechtspolitik immer einen Ausgleich
zwischen dem Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit
und ihrem Recht auf Freiheit geschaffen. Ich füge hinzu:
Auch in Zukunft werden wir den rechtlichen Rahmen
garantieren, um Kriminalität in allen Erscheinungsformen wirksam zu bekämpfen. Gleichzeitig muss aber der
Charakter unserer Rechtsordnung als Fundament unserer
freiheitlichen Demokratie gewahrt bleiben. Dazu gehören für uns unabdingbar die Freiheitsrechte des Einzelnen, und die werden wir in dieser Koalition weiter wahren. Da bin ich absolut sicher.
({2})
Lassen Sie mich einige Beispiele dafür nennen, was
wir in den zwei Jahren dieser Koalition geleistet haben,
damit Sie, Herr Nešković, und Sie, Herr Montag, die Sie
sich so ereifert haben, wieder auf den Boden der Tatsachen kommen. Wir haben mit der Novellierung des
Zollfahndungsdienstgesetzes den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bei der Überwachung von Post und
Telekommunikation wirksam geschützt. Darin waren
wir uns alle gemeinsam weitgehend in diesem Hause
einig.
Wir haben mit dem Gesetz über die Regelung der
Vermögensabschöpfung bei Straftaten vor allem eine
nachhaltige Stärkung des Opferschutzes in die Strafprozessordnung implementiert. Wir haben im Wege des
Straftatbestandes des sogenannten Stalking erstmals die
fortgesetzte Verfolgung oder Belästigung einer anderen
Person und damit auch den Opferschutz wirksam in das
Strafgesetzbuch implementiert. Das bedeutet mehr Freiheit für viele belästigte Opfer.
({3})
Auch die Novellierung der Führungsaufsicht bewirkt
verbesserten Schutz vieler Menschen vor allen Dingen
vor rückfälligen Sexualstraftätern. Das Gleiche gilt für
die Reform des Rechts der Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern und Entziehungsanstalten. Das
alles sind Reformen, die wir in den vergangenen zwei
Jahren in diesem Hause umgesetzt haben. Auch wenn es
einigen wehtun wird, das zu hören, bewirken wir mit
dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz den Schutz
vieler Menschen vor Diskriminierungen jeder Art in unserer Gesellschaft.
({4})
Eine entsprechende Gleichbehandlungsstelle steht zur
Information und Unterstützung der Betroffenen bereit.
({5})
Mit der Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes haben wir die Eigentumsrechte der einzelnen Wohnungseigentümer nachhaltig gestärkt und Schutz vor
Querulanten und Rechtsmissbrauch geschaffen.
({6})
Wir haben mit dem Gesetz zum Pfändungsschutz der
Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung vor allem die Altersvorsorge wirksamer
abgesichert, als es bisher der Fall gewesen ist.
Mit dem zweiten Korb zur Reform des Urheberrechts
haben wir das Recht des geistigen Eigentums erneut an
die Bedingungen des digitalen Zeitalters angepasst.
Hierdurch werden insbesondere die berechtigten Ansprüche der Urheber im Medienzeitalter verbessert.
Schlussendlich - es ist schon darauf hingewiesen worden - haben wir mit dem neuen Versicherungsvertragsgesetz das 100 Jahre alte Versicherungsvertragsrecht
nachhaltig und insbesondere verbraucherfreundlich in
das 21. Jahrhundert befördert. Es hat den Schutz von
Millionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor
dem übermächtigen Vertragspartner auf der anderen
Seite gestärkt.
Das sind praktische Beispiele für Rechtspolitik in
zwei Jahren Großer Koalition. Ich glaube, Sie alle geben
mir darin recht, dass wir den Rechtsstaat dabei in jedem
Einzelfall gewahrt und die Rechte des Einzelnen in dieser Gesellschaft gestärkt haben.
({7})
Das ist eine überzeugende Halbzeitbilanz der Großen Koalition. Ich bedanke mich bei der Ministerin und
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz. Es
ist eine Bilanz, die anschaulich zeigt und beweist, dass
der individuelle Rechtsschutz des einzelnen Mitbürgers
im Mittelpunkt unserer Politik stand und nicht das Gegenteil. Auch weiterhin werden wir dafür einstehen.
Diese Bilanz zeigt, dass die von der Opposition auch
heute wieder wortgewaltig vorgetragenen Kassandrarufe
reiner Populismus und Stimmungsmache sind. Mit der
rechtspolitischen Wirklichkeit haben sie hingegen wenig
zu tun. Dieser Linie werden wir auch in den vor uns liegenden zwei Jahren treu bleiben. Da können Sie, die
Skeptiker, ganz sicher sein. Wir werden in den vor uns
liegenden Entscheidungen, die teilweise sicherlich
schwierig sind, rechtsstaatliche Grundsätze nicht infrage
stellen.
Lassen Sie mich beispielhaft nennen, was wir federführend zu erledigen haben: die Reform der Telefonüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung, die
FGG-Reform und die Reform des familiengerichtlichen
Verfahrens sowie die Kronzeugenregelung, die wir, Herr
Kollege Montag, mit Sicherheit rechtsstaatskonform gestalten werden, übrigens auf der Grundlage eines Entwurfs, der vor einigen Jahren unter Rot-Grün erarbeitet
worden ist.
({8})
- Das ist doch gar nicht wahr, Herr Montag. Dazu kommen wir später noch. Das ist damals nur am Kollegen
Ströbele gescheitert, der noch mehr wollte, sodass wir
nicht mehr mitmachen konnten. Das andere war schon
alles in trockenen Tüchern mit ihm.
Das Vaterschaftsfeststellungsverfahren werden wir
regeln, ebenso die nachträgliche Sicherungsverwahrung
für Jugendliche, die Verständigung im Strafverfahren,
die Reform des Kontopfändungsschutzes und die Entschuldung mittelloser Personen durch Änderung des
Verbraucherinsolvenzverfahrens. Wir werden eine wirtschafts- und verbraucherfreundliche GmbH-Reform machen und die Beratungen zum Entwurf eines Rechtsberatungsgesetzes in den nächsten Tagen abschließen.
Das ist eine riesige Menge an Reformen, die wir zur
Hälfte schon hinter uns, zur Hälfte aber auch noch vor
uns haben. Wir haben also viel Arbeit und ein anspruchsvolles Programm für die nächsten zwei Jahre vor uns.
Ich bin sicher: Am Ende dieser Legislaturperiode werden wir die Freiheits- und Bürgerrechte der Menschen in
unserem Land weiter gestärkt, ausgebaut und nicht eingeschränkt haben.
({9})
Gleichzeitig werden wir das Notwendige für die innere
Sicherheit tun. Bei diesem leidigen Thema, das hier seit
bald zwei Stunden eine Rolle spielt, werden wir - das
garantiere ich Ihnen - zu rechtsstaatskonformen Lösungen kommen.
Meine Überzeugung ist - nachdem einige hier ihre
Redezeit überschritten haben, möchte ich von meiner
Redezeit etwas abgeben -, dass es keine individuelle
Freiheit ohne Sicherheit vor äußerer fremder Gewalt
gibt.
({10})
Es gibt keine Freiheit ohne wirksamen staatlichen
Schutz vor Straftaten. Dabei müssen wir immer die Balance wahren, also auch die individuellen Freiheitsrechte
im Blick behalten. Das werden wir mit Augenmaß tun.
Von diesem Weg werden wir auch im zehnten Jahr, in
dem Sozialdemokraten die Rechtspolitik in diesem Land
bestimmen, nicht abweichen.
Schönen Dank.
({11})
Nun hat das Wort der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stünker, Sie haben die SPD-Rechtspolitik hier hoch gelobt.
({0})
Sie haben gesagt, die Opposition mache hier Kassandrarufe. Nachdem Herr Körper Ihnen gerade wahrscheinlich erklärt hat, dass Kassandra nachher recht bekommen
hat, hoffe ich nur, dass es der SPD-Rechtspolitik nicht so
geht wie Troja. Das wäre jedenfalls ganz gut.
({1})
Außerdem haben Sie hier erzählt, wie fantastisch die
SPD die Bürgerrechte in den vergangenen Jahren geschützt hat.
({2})
Wie viele Verfassungsgerichtsentscheidungen musste
die SPD in den letzten Jahren eigentlich einstecken?
({3})
- Ich bestreite nicht, dass das zu unserer Regierungszeit
auch einmal so war; aber Sie sind seit zehn Jahren an der
Regierung, Herr Stünker. Sie hätten all die verfassungswidrigen Gesetze ändern können. Sie hatten dazu Zeit,
als Sie mit den Grünen eine Koalition bildeten, und Sie
haben jetzt, da Sie mit der CDU/CSU eine Koalition bilden, dazu Zeit. Insofern würde ich bei der Beantwortung
der Frage, wer hier der Hüter und Schützer ist, ganz vorsichtig sein. Es gibt an dieser Stelle keinen, der nicht
Fehler macht. - Sich selber herauszustellen und zu sagen: „Wir sind diejenigen …“, halte ich angesichts der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den
vergangenen zehn Jahren für vollkommen unangebracht.
({4})
Frau Ministerin, wenn man als Oppositionspolitiker
über den Haushalt redet, dann liegt es erst einmal nahe,
auf Angriff zu setzen. Aber angesichts dessen, was Sie
an der Rechtsstaatsfront im Moment auszuhalten
haben - meistens von der linken Seite dieses Hauses -,
möchte ich Ihnen ein wenig Schonung gewähren. Es ist
schade, dass der Kollege Schäuble nicht da ist. Sie haben
zugehört, als der Haushalt seines Ministeriums beraten
wurde. Er kann nun leider nicht anwesend sein.
Für den Haushalt des Justizministeriums gilt natürlich, dass er die Rechtspolitik selber nicht allzu sehr abbildet. Was Kosten angeht, findet diese Abbildung - Sie
haben es gesagt - an vielen Stellen in den Ländern statt.
Herr Montag, ich will ausdrücklich sagen: Ich hoffe,
dass mit Ihren berechtigten Forderungen bezüglich der
Ausstattung der Justiz in den Ländern nicht dasselbe
passiert, was mit dem passiert ist, was Frau von der
Leyen durchzusetzen versucht hat: Der Bund soll einiges
bezahlen, was außerhalb seiner Zuständigkeit liegt. Das
ist nicht gut; denn wann immer der Bund etwas bezahlt,
was außerhalb seiner Zuständigkeit liegt, hat er für
andere Dinge kein Geld. Ich denke, das ist nicht Ihr
Impetus gewesen.
Das Deutsche Patent- und Markenamt ist weiterhin
der Teil unseres Justizwesens, der einen hohen Deckungsgrad gewährleistet. Hier ist über Jahre gesagt
worden, dass zu Zeiten der schwarz-gelben Regierung
große Fehler gemacht worden sind, dass eine Bugwelle
entstanden sei und dass man sie nun beseitige. Dem ist
nicht so. Wir stellen fest: Es gibt weiterhin eine hohe
Bugwelle. Wir stellen fest, Herr Stünker: Entscheidend
ist nicht, ob das Justizministerium in Händen der SPD
oder der FDP ist; vielmehr handelt es sich um ein systematisches Problem.
Die Unterdeckung von 200 Stellen, mit der wir es hier
zu tun haben, bereitet wirkliche Sorgen. Frau Ministerin,
Sie haben gefragt, wie man dieses Problem lösen kann.
Ich glaube, dass man es nur lösen kann, indem man ganz
klar sagt, dass wir mit Einsparungen von Stellen in einer
Behörde mit einem hohen Einnahmeanteil - diese Behörde „finanziert sich selbst“ - anders umgehen müssen.
Ich bin der Meinung: Wenn wir einen klaren betriebswirtschaftlichen Plan haben, dann müssen wir diesen
Behörden mehr Möglichkeiten geben, ihre Stellen so zu
besetzen, wie sie es selbst für angemessen halten.
Diesbezüglich müssen Sie mit Herrn Diller einmal ein
bisschen reden; er ist dazu durchaus bereit. Die Unterstützung des Haushaltsausschussvorsitzenden an dieser
Stelle haben Sie.
Das Bundesamt für Justiz ist zu Recht angesprochen
worden. Wie wir gehört haben, soll es eigentlich beim
Status quo bleiben. Wir müssen ehrlich sein: Wir haben
eine neue Aufgabe bekommen, und man muss sich fragen, warum die Europäische Union ein weiteres bürokratisches Verfahren durchführt. Fest steht: Zu diesem
Verfahren wird es kommen. Ob die Anzahl der Stellen
richtig ist, das weiß ich noch nicht. 98 Stellen kommen
hinzu. Nur ein Teil dieser Stellen ist mit einem Wegfallvermerk versehen. Ich möchte ausdrücklich kritisieren,
dass diese Stellen am Standort Bonn angesiedelt sind.
Auch das ist richtig. Es ist ebenfalls richtig, dass sie
beim Bundesamt für Justiz sind, weil es keine originäre
Aufgabe ist, die man in Berlin erfüllen muss.
Nur, wo ist der Ausgleich? Wir bringen 98 neue Stellen nach Bonn. Bekommen wir dafür auch einen Effizienzgewinn an anderer Stelle, in Berlin? Wir haben immer gesagt: Bonn hat Probleme. Nur, wenn wir jetzt hier
neue Stellen aufbauen, dann bitte ich doch darum, effizientere Arbeit möglich zu machen. Ich weiß, dass gegenwärtig noch über 30 Leute des BMJ in Bonn sind.
Man könnte auch daran denken, diese nach Berlin zu
versetzen.
Im Übrigen empfehle ich, bei den 98 Stellen durchaus
zu schauen, ob wir wirklich alle brauchen und ob wir
hierbei nicht mit einer qualifizierten Sperre arbeiten sollten nach dem Motto: Lasst uns einmal sehen, wie die
Entwicklung verläuft. - Der Haushaltsausschuss könnte
dann nach einer entsprechenden Vorlage sagen: Den
Rest bekommt ihr, je nachdem, wie die Entwicklung verläuft und wie die Unternehmen reagieren.
Wir haben beim letzten Mal die Vereinfachung der
Rechtssprache thematisiert; Kollege Schröder hat das
angesprochen. Ich habe bisher noch keinen Bericht gesehen. Ich bin mir sicher, es gibt einen Zwischenbericht.
Ich würde mich freuen, wenn die Haushälter diesen Zwischenbericht bekommen würden. 160 000 Euro, das mag
eine kleine Summe im Verhältnis zur Größe des Haushalts sein, aber sie ist nicht unwichtig. Ich bitte darum,
dass uns das, was vorliegt, zugeht.
Zum Abschluss doch noch einmal ein kurzes liberales
Mantra. Es fällt mir sehr stark auf, dass wir immer wieder darüber im Wettbewerb stehen, wer am meisten
Sicherheit gibt, oder in umgekehrter Weise darüber, wer
schuld ist, wenn die Sicherheit nicht absolut garantiert
werden konnte. Die Frage, wer absolute Sicherheit garantieren kann, können wir nicht beantworten. Wir als
Parlament hätten eigentlich die Verpflichtung, zu sagen:
Wir alle bemühen uns, entsprechend unserer politischen
Überzeugung ein vernünftiges Maß an Sicherheit zu erreichen. Jeder, der mit seinen Maßnahmen absolute
Sicherheit verspricht, hat den Bürger in dem Moment
eigentlich schon belogen.
Letzter Punkt, Frau Ministerin. Wenn es jetzt zu weiteren Haushaltsverhandlungen kommt, dann möchte ich
Sie bitten, anders als im letzten Jahr auf etwas zu achten.
Wenn seitens des Innenministeriums wieder neue Haushaltswünsche kommen, darf es nicht wieder heißen: Wir
haben im Haushaltsausschuss nicht so genau gewusst,
dass das Geld für Maßnahmen ist, die wir rechtsstaatlich
eigentlich nicht wollten. - Hier sind Sie als Wächterin
über den Rechtsstaat noch weit mehr gefragt als in den
letzten Jahren.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ole Schröder für
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die beiden Einzelpläne, die wir jetzt beraten,
haben sich im Vergleich zum Vorjahr, was die Größe und
die Struktur angeht, nicht wesentlich verändert. Nach
wie vor dominieren natürlich die Personalausgaben.
Trotz des geringen Haushaltsvolumens verdienen
diese Einzelpläne bei den Haushaltsberatungen besondere Beachtung. Zum einen bilden die Institutionen, die
aus diesen beiden Einzelplänen finanziert werden,
Grundpfeiler unseres Rechtsstaats - ich denke hierbei
natürlich an den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht -; zum anderen sind Behörden wie das
Deutsche Patent- und Markenamt ganz entscheidend für
den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland.
Das Deutsche Patent- und Markenamt ist in den
Haushaltsdebatten der letzten Jahre schon Thema im
Plenum gewesen. Wir haben es jetzt geschafft, mit zusätzlichen Prüfern den Anmeldestau bei den Patenten zu
beseitigen. Das ist wichtig für den Technologiestandort
Deutschland.
Den Haushälter freut es natürlich, dass wir die Ausgaben im Einzelplan des Bundesministeriums der Justiz zu
einem so großen Teil, zu fast 75 Prozent, aus eigenen
Einnahmen decken können. Wir sind gerade dabei, das
Haushaltsrecht so zu reformieren, dass wir künftig auch
abbilden können, was die einzelnen Einrichtungen kosten und was sie erbringen, damit wir eine wirtschaftliche
Rechnung aufstellen können, um hier noch besser steuern zu können.
Viel wichtiger für den Technologiestandort Deutschland als die Einnahmen ist aber, dass die Anmeldung von
Patenten schnell und rechtssicher funktioniert. Wenn ein
Unternehmen eine wertvolle Erfindung gemacht hat oder
eine wertvolle Marke entwickelt hat und sie gegen nicht
unerhebliche Gebühren schützen lässt, dann muss dies
zügig geschehen; ansonsten ist die Marke oder das Patent nicht viel wert.
Im Bereich der Patente funktioniert das hervorragend.
Die Zahl der Patentanmeldungen beim DPMA war in
den vergangenen Jahren mit 60 000 Anmeldungen weitgehend stabil geblieben. Wir bewegen uns damit auf
höchstem Niveau. Wir haben die höchsten Anmeldezahlen, die ein nationales Patentamt in Europa hat. Im Bereich der Marken müssen wir dagegen aufpassen, dass
wir unseren Standard halten. In diesem Bereich sind die
Anmeldungen nach einem Tiefstand im Jahr 2002 mit
57 400 Anmeldungen auf mittlerweile über 72 000 Anmeldungen gestiegen. Deshalb werden wir uns in den
Beratungen über einen erhöhten Personalbedarf unterhalten müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass ein solcher
Personalbedarf - dass es den gibt, erkennen wir ja an auch schon im Kabinettsentwurf abgebildet worden wäre
und das nicht erst in den Haushaltsberatungen nachgeholt würde.
Sehr geehrte Damen und Herren, im Zuge der Beratungen für den Haushalt 2007 hat uns ja das Bundesamt
für Justiz beschäftigt. Die Gründung dieses Amtes hat
sich positiv ausgewirkt: Das Ministerium kann sich jetzt
auf seine Kernaufgaben konzentrieren, während Aufgaben des nachgelagerten Bereichs im Bundesamt für Justiz gebündelt werden können. Im Rahmen der Einführung der Offenlegungspflichten von Unternehmen im
Elektronischen Handelsregister aufgrund von EU-Recht
zeigt sich, dass wir eine solche zentrale Stelle brauchen.
Nur so können wir nämlich den international gestiegenen Anforderungen gerecht werden. Es war richtig, dass
wir uns entschieden haben, Unternehmer nicht gleich zu
kriminalisieren, wenn sie ihren Offenlegungspflichten
nicht nachgekommen sind. Deshalb haben wir uns ja für
ein Ordnungsgeldverfahren entschieden. Es kommt nun
darauf an, dass wir in einem ersten Schritt die Unternehmen aufklären und über die Regelungen informieren sowie für deren Umsetzung werben. In einem zweiten
Schritt müssen wir aber auch dafür sorgen, dass mögliche Ordnungsgeldverfahren auch zügig durchgeführt
werden. Gemäß den früheren Strukturen wäre diese Aufgabe beim Bundeszentralregister angesiedelt worden.
Das wäre, wie ich denke, nicht optimal gewesen. Jetzt
haben wir eine Organisationseinheit, die das leisten
kann. Wir werden uns sicherlich in den Beratungen noch
darüber unterhalten müssen, wie viele Stellen wir für die
Wahrnehmung dieser Aufgabe letztendlich brauchen. Es
ist natürlich auch sehr schwierig, abzuschätzen, inwieweit die angekündigte Informationskampagne bei den
Unternehmen auch wirklich Erfolge zeigen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu einer Institution kommen, die bisher bei uns hier in den
Plenarberatungen, wenn überhaupt, relativ wenig Beachtung gefunden hat, die aber für die Rechtspflege in
Deutschland von immer größerer Bedeutung sein wird.
Ich meine die Europäische Rechtsakademie in Trier.
Die Europäische Rechtsakademie bildet Richter, Anwälte und Justizbedienstete der Mitgliedstaaten auf dem
Gebiet des europäischen Rechts aus. Der Bedarf an solchen Fortbildungsangeboten steigt aufgrund der Erweiterung der EU und der immer umfangreicher und komplexer werdenden EU-Gesetzgebung immens. Es sollte
unser gemeinsames Ziel sein, diese Akademie in
Deutschland zu halten und zu stärken. Wir können nicht
zuletzt damit auch für eine Verbesserung der europäischen Rechtsanwendung sorgen.
({0})
Im Rahmen der Haushaltsberatungen sollten wir nach
Wegen suchen, um mit der Beteiligung des Landes
Rheinland-Pfalz der Rechtsakademie eine Erweiterung
zu ermöglichen, ohne den sowieso sehr engen Haushalt
des Bundesministeriums der Justiz übermäßig zu belasten.
Es freut mich, dass das Modellprojekt für eine verständliche Sprache in Gesetzen jetzt anläuft, wie ich
höre, sehr erfolgversprechend. Zusammen mit der Gesellschaft für deutsche Sprache werden im BMJ Gesetze
auf verständliche Sprache überprüft und wird mit dem
Fachministerium im Gesetzgebungsverfahren an verständlicher Sprache gearbeitet. Wir sollten dieses Modellprojekt im nächsten Jahr zum Abschluss bringen, damit die Fachpolitiker die entsprechenden Ergebnisse
evaluieren können und wir gemeinsam die notwendigen
Schlussfolgerungen daraus ziehen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam
an einer besseren Rechtsetzung und an einer guten
Rechtspflege arbeiten. Ich freue mich auf die gemeinsamen Haushaltsberatungen.
({1})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, der Kollege Gehb und der Kollege Stünker
haben sehr eindrucksvoll dargelegt, dass die Rechtspolitik allen Unkenrufen zum Trotz in der Großen Koalition
erstaunlich gut aufgehoben ist.
({0})
- Ich gehe gern darauf ein, warum ich das für erstaunlich
halte. Ich gestehe, ich hatte am Anfang etwas Bedenken,
aber inzwischen macht es mir sehr großen Spaß, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, Sie verstehen das
richtig. - Ich finde, dass wir in vielen großen Gesetzesvorhaben ausgesprochen gut vorankommen. Das Versicherungsvertragsgesetz ist schon erwähnt worden. Dabei handelt es sich um einen großen Bereich, der für uns
schwer zu regeln war, weil auch die Finanzmaterie sehr
stark davon betroffen ist. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass es sicherlich auf die Union zurückgeht, dass
wir hier einen angemessenen Ausgleich zwischen dem
Verbraucherschutz einerseits, der dem BMJ bei dieser Angelegenheit über die Maßen wichtig war, und der Funktionstüchtigkeit des Versicherungsstandortes Deutschland
andererseits gefunden haben. Wir haben - die Ministerin
hat es angesprochen - in sehr sachorientierten, vernünftigen und im Ton anständigen Verhandlungen mit
allen Beteiligten einen sehr guten Kompromiss gefunden. Das ist nur ein Beispiel für die wirklich erfolgreiche
Arbeit der letzten zwei Jahre.
Aber es gibt natürlich noch immer nicht ganz erfüllte
Wünsche, die durchaus ein Mehr an Bewegung erfordern würden. Der Kollege Gehb hat es schon angesprochen. Am 18. Juli wurde der Kabinettsentwurf bezüglich
der nachträglichen Sicherungsverwahrung für durch
Jugendstrafrecht verurteilte Straftäter gebilligt. Wir haben als Union sehr lange gefordert, diese ganz klare Gesetzeslücke zu schließen. Ich weiß, dass es vielen aus der
Fraktion des Koalitionspartners nicht leicht gefallen ist,
sich auf dieses Thema einzulassen. Eine bayrische Initiative gibt es seit mittlerweile über einem Jahr im Bundesrat, und es gab sie auch in den vergangenen Legislaturperioden. Ich denke, wir haben hier die Pflicht,
vorwärtszukommen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist
in weiten Teilen zustimmungsfähig. Ich kann mich aber
nur dem Kollegen Gehb anschließen: Wir hätten uns bei
der Anlasstat, die sozusagen Voraussetzung für die
Überprüfung der Anordnung einer Sicherungsverwahrung ist, ein bisschen mehr Konsequenz und ein bisschen
mehr Mut gewünscht. Sieben Jahre Jugendstrafe ist eine
sehr hohe Strafe, die vermutlich in nicht sehr vielen Fällen ausgesprochen wird. Wir hätten uns da durchaus fünf
Jahre vorstellen können. Denn auch die anderen Voraussetzungen für die Anordnung einer nachträglichen
Sicherungsverwahrung bei im Ursprung jugendlichen
Straftätern sind sehr hoch. Von daher wären die fünf
Jahre sicherlich vertretbar gewesen. Aber - ich sage das
noch einmal ganz ausdrücklich - wir erkennen an, dass
es hier eine deutliche Bewegung gegeben hat, und wir
unterstützen und begrüßen diese Bewegung.
Ich will jetzt nicht zum wiederholten Male das Thema
Onlinedurchsuchung oder Terrorcamps ansprechen.
Mich verwundert allerdings ein bisschen, dass der Aufenthalt in einem Terrorcamp von Teilen dieses Parlaments ganz offensichtlich bagatellisiert werden soll. Das
verstehe ich nicht ganz. Herr Montag, Sie meinen, dass
dieser Aufenthalt durch die Verabredung zu einer Straftat abgedeckt sei. Ich teile Ihre Auffassung nicht. Ich
glaube schon, dass wir mit solchen Dingen sehr vorsichtig umgehen müssen; wir haben es erst in den letzten
Wochen wieder vor Augen geführt bekommen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die intensiven Diskussionen in den Jahren 2002 und 2003 über den
§ 129 a StGB und die Frage, ob es strafbar sein muss, für
eine Terrorvereinigung zu werben oder zum Dschihad
aufzurufen. Wir haben als Union damals, leider als einzige Fraktion in diesem Parlament, die Meinung vertreten, dass diese Strafbarkeit im Gesetz verankert bleiben
muss. Sie ist zwingend erforderlich. In Bezug auf solche
Straftatbestände darf es keine Bagatellisierung im deutschen Strafrecht geben. Rot-Grün hat das anders gesehen
und sehr bewusst die Werbung für solche terroristischen
Vereinigungen als Straftatbestand aus dem Gesetz herausgenommen. Die Konsequenz kennen Sie: Der BGH
hat im Mai dieses Jahres über die Fortsetzung einer Untersuchungshaft eines Beschuldigten zu befinden gehabt,
der im Internet Werbung für al-Qaida gemacht hat, und
zwar mehrfach und in deutlicher Art und Weise. Der
BGH hat in seinem Urteil deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Beschuldigte Gott sei Dank auch noch
versucht hat, Mitglieder zu werben; denn wenn die Fortsetzung der U-Haft nur darauf hätte gestützt werden
müssen, dass er zum Heiligen Krieg aufgerufen hat,
hätte er freigelassen werden müssen.
Ich meine, daraus sollten wir Konsequenzen ziehen.
Wir sollten die Werbung für terroristische Vereinigungen
und den Aufruf zu terroristischen Anschlägen wieder
ganz bewusst unter Strafe stellen. Das wäre eine konsequente Reaktion auf das BGH-Urteil vom Mai dieses
Jahres und auf das, was wir jetzt direkt vor unserer
Haustür erleben. Ich möchte dringend darum bitten, dass
wir uns sehr genau damit beschäftigen.
({1})
Ich weiß, dass das schwierig ist.
Ich habe mit großem Interesse verfolgt, was insbesondere der Kollege Nešković hier von sich gegeben hat.
Die Unterstellungen insbesondere gegenüber dem Bundesinnenminister halte ich für politisch und menschlich
grob unanständig.
({2})
- Es kommt bei Ihnen immer im juristischen Deckmantel daher, wenn Sie unanständig werden; dadurch klingt
es ein bisschen besser, aber es wird nicht besser. - Sie reden immer von Schutzpflichten des Staates; ich würde
mir - das sage ich Ihnen auch ganz klar - eine Schutzpflicht vor solchen Reden wünschen.
({3})
Die Regelungen müssen natürlich immer auf rechtsstaatlicher Grundlage getroffen werden. Auf der Regierungsbank sitzen zwei Minister - Ministerin Zypries und
Minister Schäuble -, bei denen wir in sehr guten Händen
sind. Die Überprüfung dessen, was wir ins Strafgesetzbuch aufnehmen wollen - sei es ein Verbot des Besuchs
von Terrorcamps oder ein Verbot von Werbung für terroristische Vereinigungen -, muss sorgfältig und mit Augenmaß durchgeführt werden; sie muss sich aber auch an
dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen orientieren.
Kollege Stünker hat so treffend aus dem CDU/CSU-Programm zitiert: Keine innere Sicherheit ohne äußere
Sicherheit. - Diesem Grundsatz fühlen wir uns verpflichtet.
Wir haben noch viel vor.
Herzlichen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 12. September,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.
Ich schließe die Sitzung.