Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und wünsche uns einen guten Tag und gute
Beratungen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen: Der Kollege Kai Wegner hat sein
Amt als Schriftführer niedergelegt. Als Nachfolger
schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen
Carsten Müller vor. Ich gehe davon aus, dass Sie damit
einverstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist der Kollege Müller zum Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde: Aktuelle Entwicklung im Hinblick auf die
Vogelgrippe und Schutzmaßnahmen der Bundesregierung
({0})
ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias
Berninger, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf ({1}),
weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 16/365 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae,
Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für
starke und handlungsfähige Kommunen
- Drucksache 16/371 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
ZP 4 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim
Dagdelen, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 16/369 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 5 Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 31. März 1992 zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee ({5})
- Drucksache 16/38 ({6})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
- Drucksache 16/389 Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Göppel
Angelika Brunkhorst
Lutz Heilmann
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Karin
Binder, Sevim Dagdelen, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE: EU-Antidiskriminierungsrichtlinien durch
einheitliches Antidiskriminierungsgesetz wirksam und
umfassend umsetzen
- Drucksache 16/370 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({8})
Petitionsausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 7 Vereinbarte Debatte: Berichte über die Rolle von BND-Mitarbeitern vor und während des Irakkrieges
ZP 8 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({9})
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
21. Mai 2003 über die strategische Umweltprüfung
zum Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen
({10})
- Drucksache 16/341 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit ({11})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Undine Kurth ({12}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN: Für starke soziale und ökologische Standards in der Internationalen Finanz-Corporation
({13}) der Weltbank
- Drucksache 16/374 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({14})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 9 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({15})
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur
Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksache 16/33 ({16})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Wirtschaft und Technologie
- Drucksache 16/385 Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Dr. Ditmar Staffelt
Ulla Lötzer
Margareta Wolf ({17})
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 2005 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Rumänien über Soziale Sicherheit
- Drucksache 16/37 ({18})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Arbeit und Soziales
- Drucksache 16/381 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger
c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu der Zweiten Änderung des Übereinkommens vom
25. Februar 1991 über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen ({19})
- Drucksache 16/43 ({20})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 16/388 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({21})
Dr. Matthias Miersch
Horst Meierhofer
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl
Der TOP 10 - Änderung des Gentechnikgesetzes soll abgesetzt werden. An seiner Stelle soll der TOP 15
- Abriss des Palastes der Republik - aufgerufen werden.
Außerdem ist die Beratung des TOP 14 - Berichterstattung des Bundes zur Forschungs- und Technologiepolitik - bereits heute, im Anschluss an den TOP 11, vorgesehen. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll,
soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie mit
diesen Vereinbarungen einverstanden? - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 16/99 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({22})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist auch das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion.
({23})
- Entschuldigung. Das hat eine gewisse Logik. Die Angabe war insofern nur unvollständig. Das führt aber zu
einer zusätzlichen Aufmerksamkeit für die Bundesregierung,
({24})
die man nicht in jedem Zusammenhang als gesichert unterstellen kann. - Bitte schön.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Guten Morgen,
werte Kolleginnen und Kollegen! Die Praxis der Umsetzung des Sozialgesetzbuches II, also die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit dem Ziel der
schnellen und zügigen Rückkehr in Arbeit durch Fördern
und Fordern mit Leistungen aus einer Hand, geht jetzt in
das zweite Jahr. Schritt für Schritt ist das Sozialgesetzbuch II nach der Reform umgesetzt worden. Aber auch
notwendige Klarstellungen und Veränderungen aufgrund
von Erfahrungen aus der Praxis und auch aufgrund von
Entscheidungen der neuen Regierungskoalition werden
jetzt in Angriff genommen bzw. sind entschieden worden.
Dazu gehört die mit der Übernahme der Kosten für
die Unterkunft der Arbeitslosengeld-II-Empfänger geschaffene Verlässlichkeit für die Kommunen. Mit dem
so genannten Revisionsgesetz wird geregelt, dass der
Bund den Kommunen in 2005 und 2006 im Rahmen der
Grundsicherung für Arbeitslose jeweils 29,1 Prozent der
Kosten für Unterkunft und Heizung zahlt.
Heute geht es um eine weitere wichtige Veränderung:
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende hat zum Ziel,
Menschen, die erwerbsfähig sind und Hilfe bei der Aufnahme oder bei der Beibehaltung einer Arbeit benötigen,
zu unterstützen und ihren Lebensunterhalt zu sichern,
wenn sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können.
Jetzt wird ein weiterer wichtiger Reformpunkt umgesetzt, den die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag
verabschiedet haben. Damit wird auch deutlich, dass wir
sehr zügig und sehr schnell die notwendigen Änderungen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Angriff nehmen.
Bislang ist im Sozialgesetzbuch II unter Bezugnahme
auf das Referenzsystem der Sozialhilfe die Regelleistung
zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums
für West- und Ostdeutschland unterschiedlich hoch festgelegt; sie beträgt für den Westen 345 Euro und für den
Osten 331 Euro. Wesentliches Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, die Regelleistung zur Sicherung des
Lebensunterhalts in Ost und West zu vereinheitlichen
und das Ostniveau an das Westniveau anzugleichen.
Die Bundesregierung hat - das wissen Sie; ich will
das in Erinnerung rufen - im Rahmen der Änderung des
Sozialgesetzbuches II einen Ombudsrat ins Leben gerufen, der sich mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende beschäftigt. Ihm gehören Dr. Christine
Bergmann, die ehemalige Bundesfamilienministerin,
Professor Dr. Kurt Biedenkopf, der ehemalige Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, und Dr. Hermann
Rappe, der ehemalige Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie an. Aufgabe dieses Ombudsrates ist es, die
Einführung der neuen organisatorischen und gesetzlichen Regelungen im Rahmen des SGB II kritisch zu begleiten, Schwachstellen aufzuzeigen und Empfehlungen
zur Weiterentwicklung auszusprechen.
Mit der Angleichung der Regelleistung greifen wir
eine wesentliche Empfehlung des Ombudsrates auf. Der
Ombudsrat hat in seinem Zwischenbericht nämlich gefordert, die um 14 Euro niedrigere Regelleistung in den
neuen Bundesländern auf das höhere Leistungsniveau im
Westen anzuheben. Dafür gibt es, wie ich denke, gute
Gründe. Drei zentrale Gründe möchte ich nennen:
Sicherlich gibt es Unterschiede hinsichtlich Kostenniveau und Konsumverhalten zwischen Ost und West. Wir
müssen aber auch feststellen, dass solche Unterschiede
in der ganzen Republik in den einzelnen Regionen bestehen; regionale Besonderheiten sind existent. Da es sich
bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Gegensatz zur Sozialhilfe um eine Leistung des Bundes handelt, ist es vertretbar, einen einheitlichen Wert auf Westniveau zugrunde zu legen, um so das soziokulturelle
Existenzminimum zu sichern.
Zweitens. Wichtigstes Ziel des Sozialgesetzbuches II
ist die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Von daher
werden hohe Anforderungen an die überregionale Mobilität der Menschen gestellt. Eine bundeseinheitliche Regelleistung wird eher dazu beitragen, dass die Menschen
eine Tätigkeit im gesamten Bundesgebiet aufnehmen.
Drittens. Diese neue Gleichbehandlung in West und
Ost kann - das muss ich schlicht und einfach so sagen mit dazu beitragen, dass das SGB II eine größere Akzeptanz findet.
Eine solche Leistungsverbesserung führt natürlich zu
zusätzlichen Ausgaben. Diese werden gut 220 Millionen
Euro pro Jahr betragen und zulasten des Bundes gehen.
Deswegen haben die Koalitionsparteien im Koalitionsvertrag Verabredungen getroffen, dass an anderer Stelle
Einsparungen vorgenommen werden sollen, die vor dem
Hintergrund dieser Regelung aber vertretbar sind.
Ich glaube, dass wir uns bei den weiteren Beratungen
mit den Fraktionen hier im Hause darüber unterhalten
müssen, welche Änderungen am Zuschnitt der Bedarfsgemeinschaften bei Jugendlichen unter 25 Jahren notwendig sind. Die Koalitionsparteien haben geregelt, dass
Jugendliche, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben, nun generell in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern einbezogen werden sollen. Sie sollen mit Erreichen
der Volljährigkeit also nicht mehr automatisch eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden. Dies führt wiederum
dazu, dass die Jugendlichen nicht 100 Prozent der Regelleistung erhalten, sondern, da sie keinen eigenen Haushalt führen, nur 80 Prozent.
Bezüglich des Erstbezuges einer Wohnung soll eine
Zustimmung des Leistungsträgers erforderlich sein. So
sollen Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Zustimmung des Leistungsträgers einholen müssen, wenn sie erstmals eine eigene Wohnung
beziehen wollen.
Absicht des Gesetzes ist - das will ich deutlich sagen -, dass jemand, wenn er 18 Jahre alt wird, nicht automatisch zu Hause ausziehen und eine eigene Bedarfsgemeinschaft begründen kann. Wir führen Solidarität auf
die Kernzelle der Solidarität, nämlich die Familie, zurück. Hier besteht eine gegenseitige Verantwortung.
Schließlich ist all das, was vom Bund geleistet wird,
keine anonyme sozialstaatliche Leistung, sondern hierfür werden Steuergelder von den Menschen verwendet,
die Arbeit haben. Sie tragen mit ihren Steuergeldern
dazu bei, dass wir gesellschaftliche Solidarität für die
Menschen, die Arbeit suchen und vermittelt werden wollen, finanzieren können. Damit sollte aber nicht die
Finanzierung einer eigenen Wohnung ab dem 18. Lebensjahr gewährt werden.
Natürlich wird es, um das deutlich zu sagen, in dem
einen oder anderen Fall Ausnahmen geben, zum Beispiel
dann, wenn jemand weit entfernt vom Wohnort seiner
Familie arbeitet oder ausgebildet wird. Dann wird im
Einzelfall darüber zu entscheiden sein. Es kann durchaus
auch Fälle geben, bei denen eine eigene Wohnung notwendig ist. Das sollten dann aber die Ausnahmen sein.
Kurzum: Wir wollen vermeiden, dass die Zahl der
Bedarfsgemeinschaften weiter ansteigt und dass sich Jugendliche ohne eigenes oder mit einem nicht ausreichenden eigenen Einkommen die erste Wohnung über die
Grundsicherung für Arbeitsuchende finanzieren lassen.
({0})
Gleichfalls geht es darum, die im Koalitionsvertrag
enthaltene Regelung umzusetzen, dass der Bund nicht
mehr 78 Euro für die Bezieher von Arbeitslosengeld II
in die Rentenversicherung einzahlt, sondern dass die
Zahlungen auf 40 Euro gesenkt werden. Die daraus ergebenden Einsparungen werden sich ab 2007 auf ungefähr
2 Milliarden Euro belaufen.
Es geht aber auch darum, dass wir an anderer Stelle
eine Klarstellung bezüglich des Leistungsausschlusses
für EU-Bürger, die sich erstmals zur Arbeitsuche in
Deutschland aufhalten, vornehmen wollen. Mietkautionen sollen künftig nicht mehr als Zuschuss, sondern als
Darlehen gewährt werden. Damit wird vermieden, dass
eine vom SGB-II-Träger gezahlte Mietkaution bei einem
Umzug beim Leistungsbezieher verbleibt. Daneben wird
es weitere Regelungen geben, bis hin dazu, dass vom
SGB-II-Träger gewährte Darlehen dinglich, zum Beispiel im Grundbuch, abgesichert werden sollen.
Ich glaube, wenn die genannten Änderungen in die
Beratung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch einbezogen würden, dann
hätten wir ein erstes Gesamtpaket, in dem die
finanzwirksamen Maßnahmen in Bezug auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende enthalten wären, und dann
könnten wir im Zusammenhang mit dem IT-Verfahren
zur Berechnung des Arbeitslosengeldes II sehr zügig
und schnell die entsprechenden Programmierungen vornehmen, sodass die neuen Leistungen gezahlt und die
Einsparmaßnahmen umgesetzt werden könnten.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten:
Erstens. Wir übernehmen eine wichtige Empfehlung
des Ombudsrates, indem wir bei der Grundsicherung für
Arbeitsuchende die Ostleistungen an die Westleistungen
angleichen.
Zweitens. Unerwünschte Auswirkungen werden verändert.
Drittens. Es werden vertretbare Einsparungen vorgenommen, um die zusätzlichen Ausgaben an anderer
Stelle zu finanzieren.
Ich glaube, das alles geschieht, ohne die Zielsetzung,
die mit dem SGB II an dieser Stelle verfolgt wird, zu gefährden. Ganz im Gegenteil: Die Zielgenauigkeit wird
erhöht, wodurch eine größere Akzeptanz erreicht wird.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Dirk Niebel für die FDPFraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDPFraktion erkennt ausdrücklich an, dass die Bundesregierung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf eine immer
noch bestehende Mauer in den Köpfen der Menschen
einreißen und den Unterschied zwischen Ost und West
im 16. Jahr der deutschen Einheit ausgleichen möchte.
Trotz der Erfahrungen aus dem letzten Herbst, als ein
weithin bekannter politischer Schwermatrose aus den
bayerischen Bergen versucht hat, diese Mauer in den
Köpfen der Menschen noch einmal künstlich aufzubauen,
({0})
müssen wir anerkennen, dass Deutschland seit 16 Jahren
verheiratet,
({1})
Entschuldigung, vereint ist. - Der Kollege Ramsauer hat
mich so nervös gemacht,
({2})
weil er natürlich nicht akzeptieren kann, dass es falsch
ist, dass sein Landesvater im letzten Wahlkampf meinte,
der Intellekt und die Dummheit seien in Deutschland regional unterschiedlich verteilt.
({3})
Wir wissen, dass die Menschen in Nord und Süd, in Ost
und West genetisch bedingt gleichermaßen schlau und
gleichermaßen dumm sein können. Deswegen glaube ich
schon, dass es vernünftig ist, auch hierüber mal zu reden.
({4})
Nichtsdestotrotz wäre es natürlich gut gewesen, wenn
sich die Bundesregierung ihre eigene Antragsbegründung genauer durchgelesen hätte; denn im Gesetzentwurf schreibt sie - ich zitiere: Zwar weist das Verbrauchsniveau und das private
Konsumverhalten in Ost und West weiterhin deutliche Unterschiede auf. Solche Unterschiede bestehen jedoch nicht nur zwischen den alten und neuen
Bundesländern; vielmehr ergeben sich innerhalb
des gesamten Bundesgebietes regionale Besonderheiten.
Damit kommen wir zu dem Schluss, dass es eigentlich vernünftiger gewesen wäre, die Regelleistungen
auch im Arbeitslosengeld II entsprechend den regionalen Einkommens- und Verbrauchskosten festzulegen.
Dies wäre insbesondere deshalb gut gewesen, weil natürlich jeder weiß, dass das Leben in Emden günstiger
als in München und in Stuttgart vielleicht etwas teurer
als in Pasewalk ist. Darüber hinaus vergisst die Bundesregierung leider, die Regelleistungen für die nicht erwerbsfähigen Hilfeempfänger entsprechend anzugleichen; denn die nicht erwerbsfähigen Hilfeempfänger im
Bereich der Sozialhilfe sind in ihren Vorschlägen überhaupt nicht berücksichtigt. Aber auch deren Lebenshaltungskosten sind unterschiedlich.
({5})
Insbesondere die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensverhältnisse hätte in der Konsequenz zur
Folge, dass die Anreizwirkungen, die mit den Hartz-Reformen für die Aufnahme eines Arbeitsplatzes erhöht
werden sollten, nicht konterkariert werden; denn eines
müssen Sie sich alle vor Augen führen: Das Arbeitslosengeld II wirkt faktisch wie ein Mindestlohn. Jeder, der
wirtschaftlich denken kann, hat überhaupt keinen nachvollziehbaren Grund, unterhalb des Mindestlohns eine
Tätigkeit anzunehmen. Deswegen ist die Unterscheidung nach den regionalen Besonderheiten wichtig, ohne
einen Popanz zwischen Ost und West aufzubauen. Im
16. Jahr der Einheit müssen wir endlich von diesem alten
Klassendenken zwischen Ost und West wegkommen und
akzeptieren, dass wir in unterschiedlichen Regionen der
Republik die gleichen Probleme haben. Es ist ein Verdienst von Rot-Grün: Nach ihrer Regierungszeit sind die
Probleme bundesweit einheitlich groß geworden.
({6})
Wir wollen eine neue Förderpolitik gestalten, die es
ermöglicht, im Osten wie im Westen notwendige strukturelle Veränderungen durchzuführen. Deswegen haben
wir immer Modellregionen verlangt. Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung mehr Mut zur
Freiheit gefordert und dazu aufgerufen, mehr Freiheit zu
wagen. Geben Sie den unterschiedlichen Regionen die
Freiheit, zu versuchen, ihre Probleme auf neuen Wegen
zu lösen, unabhängig von den gesamtgesetzlichen Rahmenbedingungen, auch einmal vom Bundesrecht abweichen zu können und auszuprobieren, ob in einer Region
vielleicht andere Wege besser zum Ziel führen.
({7})
Wir wollen darauf hinweisen - auch das muss ein
Jahr nach dem Beginn von Hartz IV möglich sein -, dass
die Hartz-Reformen I bis IV nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Dem Bundesminister für Arbeit
und Soziales liegt ein ungefähr 2 500 Seiten dicker Bericht von Wirtschaftsinstituten vor, der der Öffentlichkeit
bisher nur teilweise bekannt geworden ist, mit einem offenkundig verheerenden Urteil über Hartz I bis III. Das
Einzige, was wirklich funktioniert, sind die Minijobs.
Diese wollen sie jetzt auch noch teurer machen.
Wir wollten mit den Hartz-Reformen - übrigens wir
alle - Kosten sparen und die Vermittlung in Arbeit verbessern. Beide Ziele sind nicht erreicht worden. Im Jahr
2005 kostet Hartz IV den Bund 25,6 Milliarden Euro
statt 14,6 Milliarden Euro. Die Gesamtkosten aller
öffentlichen Kassen betrugen im letzten Jahr 44,6 Milliarden Euro. Das ist alles andere als eine Erfolgsstory,
insbesondere weil die Vermittlung in Arbeit nicht verbessert worden ist. Bei 18 Prozent Marktanteil der Bundesagentur für Arbeit kann man nun wirklich nicht von
einem echten Erfolg sprechen.
Das Einzige, was boomt, sind die 1-Euro-Jobs. Diese
sind aber nicht mehr in der Statistik enthalten. Damit
konterkarieren Sie das, was Sie im Wahlkampf gesagt
haben.
({8})
Ich zitiere den geschätzten Kollegen Pofalla aus der
„Frankfurter Rundschau“ vom 16. August 2005:
„Wir werden eine ehrliche Statistik machen“ …
Nach Ansicht der Union täusche die Regierung
über das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit hinweg, weil Erwerbslose in öffentlich geförderten
Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs nicht in der Statistik registriert werden.
Sie wollen all das fortschreiben. Sie machen die gleichen Fehler wie die rot-grüne Bundesregierung.
Schwarz-Rot ist nicht besser als die rot-grüne Bundesregierung, was das Täuschen und das Manipulieren von
Statistiken anbetrifft. Deswegen sind es jetzt mittlerweile nicht mehr die Arbeitslosen von Rot-Grün, sondern wir reden über die Arbeitslosen der neuen Bundesregierung von Schwarz-Rot. Hier mahnen wir Lösungen
an.
({9})
Sie müssen zumindest im Handeln, wenn Sie es schon
im Denken aufgegeben haben, zu einem wachstumsorientierten Pfad zurückkehren, einer Politik, die Wirtschaftswachstum ermöglicht. Sie müssen sich von einer
sozialdemokratischen Politik abwenden, die schon zu
Zeiten der sozialliberalen Koalition gezeigt hat, dass
Investitionsprogramme, die fremdfinanziert sind, weil
man das Geld nicht hat, nicht die gewünschten Wirkungen erzielen. Stattdessen werden Sie am 27. Januar etwas Neues in Deutschland erleben, nämlich eine enorme
Liquiditätslücke bei den Betrieben. Am 27. Januar müssen die Betriebe im Vorhinein die Sozialversicherungsbeiträge abführen, um die Rentenkasse zu stabilisieren.
Das kostet die Betriebe rund 9,8 Milliarden Euro im
Jahr.
Auf der anderen Seite wollen Sie nach einer Änderung dieses Gesetzentwurfs, über die im Ausschuss beraten werden soll, den Zuschuss zur Rentenversicherung
bei Arbeitslosengeld-II-Empfängern um 2 Milliarden
Euro kürzen. Das heißt, Sie werden zur Finanzierung der
Rentenkassen eine Umschichtung zulasten der Betriebe
vornehmen und wollen das mit einem Investitionsprogramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro
kompensieren. Sie machen damit wieder genau dasselbe,
was die Sozialdemokraten immer wieder getan haben:
Sie nehmen den Bürgern Geld weg, verwalten es in einem teuren Verwaltungsapparat, ziehen die Verwaltungskosten ab und weisen es dann vorzugsweise zweckgebunden den Bürgern wieder zu. Das ist Unsinn. Die
Menschen wissen selber am besten, was sie mit ihrem
Geld machen sollen.
({10})
Sie wollen, unter anderem um die Kaufkraft zu stärken, das Arbeitslosengeld II in der ganzen Republik an
das Westniveau angleichen. Wie ich vorhin bereits festgestellt habe, wäre dies grundsätzlich anerkennenswert,
wenn Sie es richtig machen würden. Sie aber begleiten
das Vorhaben mit einer Mehrwertsteuererhöhung.
Eine Mehrwertsteuererhöhung führt aber nicht zur Stärkung der Kaufkraft. Im Gegenteil: Da das soziokulturelle Existenzminimum durch Arbeitslosengeld II und
Sozialhilfe gewährleistet werden soll, werden Sie an dieser Stelle nachbessern müssen.
Zeitgleich mit der Mehrwertsteuererhöhung werden
Sie auch die Leistungen erhöhen müssen. Sie werden allerdings auf der anderen Seite Arbeitsplätze in der legalen Wirtschaft vernichten. Denn gerade in personalintensiven Bereichen - im Handwerk, in der Gastronomie und
im Einzelhandel - können die höheren Kosten nicht auf
die Preise abgewälzt werden. Das wird zwangsläufig zur
Zunahme der Schwarzarbeit führen. In diesem Bereich
wurde im letzten Jahr ein Umsatz von schätzungsweise
346 Milliarden Euro erzielt. Durch Durchschnittslöhne
dividiert entspricht das fast 5 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen. Die sozialpolitische Komponente ist dabei noch
nicht berücksichtigt.
Sie weisen immer wieder darauf hin, dass das Vorhaben sozialpolitisch vertretbar sei, weil der ermäßigte
Mehrwertsteuersatz unverändert bleibe. Das ist aber
völliger Unsinn. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt
für Tiernahrung, Schnittblumen, Lebensmittel und
Druckerzeugnisse. Ich habe selber drei Kinder. Sie wollen mehr als den Hund füttern, selber etwas essen und
die Zeitung lesen. Gerade die großen Familien werden
überproportional belastet.
({11})
Insbesondere diejenigen, die von einer mehrwertsteuerfinanzierten Beitragssenkung nichts haben, nämlich die
Arbeitslosen, Selbstständigen, Schüler, Studenten und
Rentner, werden überproportional belastet. Das ist die
Politik, die Sie im Wahlkampf als sozial gerecht bezeichnet haben.
Die gegenwärtige Situation ist dadurch geprägt, dass
die Bundesrepublik, von Schwarzarbeit gezeichnet, einen Verlust von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zu verzeichnen hat.
({12})
- Sie werden bestimmt gleich selber reden, Herr
Brandner. Ich vermute, dass Ihnen in der Fraktion noch
Redezeit zugestanden wird.
({13})
- Wenn Sie von einer Politik reden, Herr Brandner, die
dazu führt, dass der Anreiz zur Aufnahme einer legalen
Beschäftigung in Deutschland nicht mehr gegeben ist,
dann verstärken Sie diesen Effekt.
Darüber hinaus haben die gesamten Hartz-Reformen
von Hartz I bis IV gezeigt, dass die handwerklichen
Grundlagen falsch waren. Das wurde beim virtuellen
Arbeitsmarkt, bei der EDV A2LL sowie bei den unterschiedlichsten Problemen deutlich. Der ddp hat heute
um 3.15 Uhr gemeldet - ich zitiere -:
Die schnelle Angleichung des Arbeitslosengeldes II
im Osten an das Westniveau droht am Fehlen der
entsprechenden Software zu scheitern.
Sie setzen genau das fort, was Rot-Grün gemacht hat.
Sie machen genau denselben handwerklichen Murks, der
dazu führt, dass die Menschen das Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger verlieren. Das ist falsch.
Deswegen werden wir das Gesetzgebungsverfahren mit
einem weiteren Antrag begleiten, der auf eine Angleichung der Leistungen entsprechend den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Deutschland abzielen
wird. Ich hoffe, dass wir Sie im Gesetzgebungsverfahren
davon überzeugen werden, dass nur dieser Weg gerecht
ist. Denn nur dann, wenn die Menschen entsprechend
den Lebenshaltungskosten in ihrer Region ein existenzsicherndes Einkommen erzielen, haben sie die Möglichkeit der menschenwürdigen Teilhabe an der Gesellschaft.
({14})
Das ist der richtige Weg. Dazu wollen wir gerne unsere
Hand reichen.
Vielen herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute erneut eine Änderung der so genannten
Hartz-IV-Gesetzgebung, auf die wir uns in den Koalitionsverhandlungen verständigt haben. Mir ist es wichtig, dies auch in den Zusammenhang all der Maßnahmen
zu stellen, die wir uns im Kontext der Hartz-IV-Reform
vorgenommen haben. Denn das soll und wird ein Konzept aus einem Guss sein. Wir wollen kein hektisches
Hin und Her; es soll vielmehr wohl erwogen aufeinander
aufbauen und von dem Grundsatz ausgehen, dass der
Kern der Hartz-IV-Reform - die Zusammenführung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe in einer Grundsicherung
für Arbeitslose - mit den entsprechenden Fördermaßnahmen im Grundsatz richtig war. Im Kern geht es nun
darum, all das, was in der Vergangenheit politisch entschieden worden ist und nicht richtig gelaufen ist, neu zu
justieren.
({0})
Damit haben wir im letzten Jahr mit der Erarbeitung
des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch begonnen. 2005 haben wir uns an der Finanzierung der Unterkunfts- und
Heizungskosten beteiligt, die den Kommunen im Rahmen von Hartz IV entstanden sind. Das war uns wichtig.
Das werden wir auch 2006 tun. Das haben wir, die
Union, vor der Wahl den Kommunen versprochen und
nach der Wahl mit den Sozialdemokraten vereinbart. Das
haben wir im Interesse der Kommunen und der betroffenen Menschen gemeinsam umgesetzt.
Wir haben uns nun die Angleichung des Regelsatzes
beim Arbeitslosengeld II in Ostdeutschland an das westdeutsche Niveau in Höhe von 345 Euro vorgenommen.
Herr Kollege Niebel, Sie haben dieses Thema zum Anlass für einen Rundumschlag gegen die Arbeitsmarktpolitik im Allgemeinen und die Arbeitsmarktpolitik der
schwarz-roten Bundesregierung im Besonderen genommen. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass
Sie mit dem Thema, um das es heute konkret geht,
Schwierigkeiten haben.
({1})
Wie Sie wissen, legen wir kein Investitionsprogramm
der klassischen Art auf. Vielmehr haben wir uns entschieden, draufzulegen. Das war immer Ihre Forderung.
Wir tun mehr für Bildung und Forschung, für die Verkehrsinfrastruktur und für Familien. Das wird die Investitionstätigkeit in Deutschland fördern. Was ist uns dabei
vorzuwerfen? Wir tun doch das Richtige. Das ist für die
Schaffung von Arbeitsplätzen in der Tat noch wichtiger
als die arbeitsmarktpolitischen Reformmaßnahmen, die
wir zusätzlich auf den Weg bringen.
({2})
Herr Niebel, Sie haben auf die Zahl der Arbeitslosen
unter Schwarz-Rot hingewiesen. Nachdem Angela
Merkel gerade sechs Wochen Bundeskanzlerin ist, behaupten wir sicherlich nicht, dass auf dem Arbeitsmarkt
alles prima ist. Wenn wir aber schon über die Zahl der
Arbeitslosen unter Schwarz-Rot reden, dann sollten
wir nicht vergessen, zu erwähnen, dass es im Dezember
letzten Jahres - saisonbereinigt - 110 000 Arbeitslose
weniger gab. Das ist der stärkste Rückgang seit sechs
Jahren. Das ist sicherlich nicht nur das Verdienst unserer
Gesetzgebungsarbeit. Aber es ist ein guter Start, nach
dem Sie sich die Finger geleckt hätten. Wir jedenfalls
sind damit ganz zufrieden.
({3})
Wir treffen nun mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs eine politische Entscheidung. Es
geht dabei nicht um die Korrektur handwerklicher Fehler. Vielmehr ist in der Vergangenheit die Entscheidung
getroffen worden, unterschiedliche Regelsätze einzuführen. Dies war durchaus politisch begründbar. Es gibt aufgrund von 40 Jahren real existierendem Sozialismus leider auch 15 Jahre nach der deutschen Einheit viele
Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Aber
weil wir offen für notwendige Veränderungen sein wollen, ist ein Ombudsrat eingesetzt worden. Er war kein
Verkehrsunfall, sondern politisch gewollt. Dieser Rat ist
zu einer Empfehlung gekommen. Es gibt sicherlich viele
andere Fragen, die in diesem Zusammenhang zu diskutieren sind. Auch der Bundesrat hat aus seiner Sicht
durchaus bedenkenswerte Argumente angeführt. Aber
wir sind zu der politischen Entscheidung gekommen,
dass es richtig ist, den Regelsatz in Ostdeutschland an
den in Westdeutschland anzugleichen.
Herr Kollege Niebel, Sie haben den Teil der Begründung des Gesetzentwurfs zitiert, den Sie im Rahmen Ihrer Argumentation für sinnvoll hielten. Aber Sie haben
an der Stelle aufgehört, an der darauf hingewiesen wird
- das hat der Herr Staatssekretär eben zu Recht ausgeführt -, dass es sich bei der hier zur Diskussion stehenden Leistung - anders als bei der Sozialhilfe - um eine
Leistung des Bundes handelt und dass es daher vertretbar ist, einen einheitlichen Satz - in diesem Fall einen
einheitlichen Wert auf Westniveau - festzulegen. Ich
denke, dass dieses Vorhaben, auf das wir uns verständigt
haben, vernünftig ist.
Bei dem, was wir im letzten Jahr beschlossen haben
und nun einbringen, handelt es sich um Maßnahmen, die
- so richtig sie sind - den Bund Geld kosten. Deswegen
ist es richtig, dass wir alle Maßnahmen, die wir uns im
Rahmen von Hartz IV vorgenommen haben, im Zusammenhang sehen, und zwar auch diejenigen, bei denen es
um vom Bund dringend benötigte Einsparungen geht.
Der Staatssekretär hat bereits angedeutet, dass wir uns
noch einiges vorgenommen haben. Wir werden in den
Fraktionen zu beraten haben, ob wir in das laufende Gesetzgebungsverfahren gegebenenfalls andere Vorschläge einbringen werden, in denen es zum Beispiel um
die Erweiterung des Begriffs der Bedarfsgemeinschaft
und um den Umgang mit Personen geht, die erstmals
eine eigene Wohnung beziehen wollen und einen entsprechenden Antrag stellen. Der Minister hat das schon
in der gestrigen Ausschusssitzung angesprochen. Ich
habe die Reaktionen gesehen, die von Oppositionsparteien kamen, wenn auch nicht von Ihnen, aber
von anderen. Es gibt nämlich heute noch Menschen, die
es als große emanzipatorische Errungenschaft betrachten, wenn der Staat jungen arbeitslosen Menschen
ihre erste eigene Wohnung finanziert. Ich will deutlich
sagen: Ich bin selbst lange genug in einem politischen
Jugendverband tätig gewesen. Ich sehe auch auf Seite
der Sozialdemokraten die eine oder andere, die ähnliche
Erfahrungen gemacht hat. Mir sind solche Forderungen
nicht fremd und ich habe auch großes Verständnis dafür.
Aber wir müssen immer sehen, dass sich der Staat nicht
übernehmen kann, dass er sich bei den Leistungen, um
die es geht, nicht verheben kann und dass er Prioritäten
setzen muss.
({4})
Wir haben uns vorgenommen, uns um dieses Thema
im Laufe dieses Jahres zu kümmern. Wenn es um die
Frage geht, ob wir es uns leisten wollen, dass der Staat
jedem arbeitslosen jungen Menschen seine eigene Bude
finanziert, oder ob wir die Priorität an der Stelle setzen,
dass wir uns bei der Anrechnung von zur Altersvorsorge
dienendem Vermögen von Menschen, die nach jahrzehntelanger Beitragszahlung unverschuldet in Arbeitslosigkeit gekommen sind, großzügiger zeigen, dann neige ich
dazu, eher das Vermögen der Älteren zu schonen, anstatt
jungen Menschen entgegenzukommen, die sehr wohl auf
die Solidarität der Familie bauen können und deren Familien leistungsfähig sind.
({5})
Das sind die Dinge, die wir uns vorgenommen haben.
Wir werden darüber hinaus weitere Maßnahmen zu ergreifen haben. Wir haben uns vorgenommen, Einsparungen zu erreichen, indem wir die Organisation von
Hartz IV reformieren. In diesem Bereich wollen wir
1,2 Milliarden Euro einsparen. Wir werden im Laufe der
nächsten Monate entsprechende gesetzliche Maßnahmen
dazu ergreifen. Es geht also einerseits darum, handwerkliche Fehler, die gemacht worden sind, einvernehmlich
zu korrigieren, und es geht andererseits darum, gegebenenfalls andere politische Prioritäten zu setzen. Das machen wir jetzt in diesem Bereich.
Wir haben im Übrigen auch feststellen können, dass
die Möglichkeiten, etwas zum ALG II hinzuzuverdienen, was zum Teil sehr unbürokratisch möglich ist, in
beachtenswertem Maße in Anspruch genommen worden
sind. Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir werden in
Zukunft alle Möglichkeiten nutzen müssen, Menschen
Angebote zu machen, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen und Arbeit aufzunehmen. Da, wo es nötig ist,
müssen wir Druck machen, damit wirklich nur diejenigen staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, die
wirklich auf diese Leistungen angewiesen sind. Das ist
die andere Seite der Medaille.
Das wird auch bei der Diskussion über das Kombilohnmodell eine Rolle spielen, bei dem es nicht darum
geht, das soundsovielte arbeitsmarktpolitische Instrument neben andere zu setzen, sondern darum, erfolgreiche Ansätze, die es bisher gibt, mit diesem zu verbinden.
Wir müssen Fördern und Fordern miteinander verbinden. Wir müssen den Leistungsmissbrauch stärker bekämpfen, auch wenn uns das sicher keinen großen Beifall einbringen wird. Wir müssen das tun, weil wir als
Fachpolitiker der unterschiedlichen Bereiche gemeinsam
immer im Blick haben müssen, wie sich die Kosten entwickeln, wie sich der Bundeshaushalt entwickelt und
wie wir das am Ende finanziell vernünftig darstellen
können.
Dazu erfolgt heute dieser Schritt. Wir werden in den
Ausschussberatungen über all die Fragen zu sprechen
haben, die Herr Niebel angesprochen hat, zum Beispiel
was die Reduzierung des Zahlbetrags für die gesetzliche
Rentenversicherung angeht. Natürlich gibt es in dem
Bereich Interessenkonflikte. Wir müssen zu einem fairen
Ausgleich kommen. Mein Eindruck ist, dass wir da auf
einem guten Weg sind. Wir möchten alle diejenigen, die
uns auf diesem Weg konstruktiv begleiten wollen, mitnehmen. Ich möchte Sie aufrufen, diesen Weg zu beschreiten. Es geht nicht darum, alte ideologische Debatten fortzuführen, sondern es geht darum, anzuerkennen,
dass sich diese Regierung entschieden hat, das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium effizienter zu machen.
Darauf haben wir uns gemeinsam verständigt.
Wichtiger für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist in
der Tat, wie wir die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum insgesamt setzen, und zwar in der Steuerpolitik und in der Bildungs- und Forschungspolitik. Da
sind wir auf gutem Wege. Wir haben uns nicht nur etwas
vorgenommen, sondern in diesen Tagen auch etwas in
den Bundestag eingebracht. Wir werden das arbeitsmarktpolitisch flankieren so gut es geht. Dafür haben wir
einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Ich lade Sie alle
ein, dabei konstruktiv mitzumachen.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Am 17. Oktober 2003, als Hartz IV beschlossen wurde, standen
meine Kollegin Petra Pau und ich mit einem Transparent
vor dem Bundestag, um gegen das Hartz-IV-Gesetz zu
protestieren.
({0})
- Wir kamen auch noch hinein, keine Angst! - Auf diesem Transparent stand: „Gegen Armutsgesetze - PDS
im Bundestag“. Wir griffen zu diesem außerparlamentarischen Mittel, weil hier im Haus die Abgeordneten
von SPD, CDU/CSU und den Grünen taub für unsere
Argumente waren.
({1})
Sie hatten den Bezug zum alltäglichen Leben der Menschen verloren und folgten blind Herrn Hartz und ihren
Fraktionsführungen. Ich erinnere daran, dass der Abgeordnete Hilsberg von der SPD in aller Öffentlichkeit erklärte, von 331 Euro könne man im Osten gut leben. Andere MdBs dachten gar, bei den 331 Euro handele es
sich um den Wochenbetrag. Das war auch der Anfang
vom Ende der rot-grünen Bundesregierung.
({2})
Es zeigte sich schnell, dass wir mit unserem Protest
und unserer Kritik am Hartz-IV-Gesetz Recht haben. Die
öffentlichen Proteste, die schlechten Wahlergebnisse von
CDU/CSU und SPD und unsere guten Ergebnisse haben
Sie zu einer sehr späten Einsicht gezwungen.
({3})
Nun müssen Sie die größten Ungerechtigkeiten im Gesetz beseitigen.
Einer unserer zentralen Kritikpunkte in Bezug auf das
Hartz-IV-Gesetz war und ist die unterschiedliche Höhe
des Arbeitslosengeldes II in Ost und West: In Westdeutschland bekommen die Betroffenen 345 Euro und in
Ostdeutschland nur 331 Euro Arbeitslosengeld im Monat. Die Bundesregierung begründete den Unterschied
von 14 Euro mit den niedrigen Lebenshaltungskosten in
den neuen Ländern. Ich habe bereits im September 2004
die Bundesregierung gefragt, warum sie das Ost-WestGefälle bei der Festlegung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt, das Nord-Süd-Gefälle oder das Stadt-LandGefälle aber nicht. Die Vertreter der Bundesregierung
konnten mir diese Frage nicht beantworten.
({4})
Offensichtlich hatten die zuständigen Beamten und
Politiker da immer noch eine Mauer im Kopf. Die Mauer
im Kopf ist aber nicht ein Privileg von Westbeamten.
Auch Frau Merkel, damals Vorsitzende der CDU/CSUFraktion, hat dieser Ungleichbehandlung zugestimmt.
({5})
An dieser Stelle möchte ich allen Demonstranten danken, die sich nicht beirren ließen und trotz Spott und
Häme in den Medien immer weiter demonstrierten.
({6})
Es ist ein Erfolg der vielen Anti-Hartz-IV-Demonstranten, dass die SPD und nun auch die CDU/CSU die Forderung der Linkspartei nach einem einheitlichen Arbeitslosengeld von 345 Euro endlich umsetzen werden.
({7})
Ich habe auf Anti-Hartz-IV-Demonstrationen immer
wieder gehört, dass die da oben sich doch nicht alles erlauben können. Ich sage Ihnen: Diese Empörung war gerechtfertigt. Ich halte es für ein wichtiges Zeichen, dass
sich Widerstand gegen unsoziale Politik auch lohnen
kann.
({8})
Diejenigen, die demonstriert haben, aber auch diejenigen, die gezweifelt haben, erleben jetzt, dass Gesetze
nicht in Beton gegossen sind, sondern von Menschen gemacht werden und von Menschen auch wieder geändert
werden können. Jetzt müssen wir neuen Mut fassen und
noch diejenigen Dinge ändern, die unbedingt geändert
werden müssen. Die großen Sozialverbände stimmen
überein: Mindestens 420 Euro im Monat sind für ein
menschenwürdiges Leben erforderlich. Dementsprechend ist die Minimalforderung der Linkspartei.
({9})
Natürlich kommen einige Kritiker mit dem Argument, dass es nicht sein könne, dass ein Arbeitsloser
mehr Geld bekomme als ein Wachmann oder eine Verkäuferin bei Schlecker. Dieser Kritik stimme ich mit
Nachdruck zu. Diese Zustände sind wirklich unhaltbar.
Aber die Lösung kann doch nur heißen, dass wir gesetzliche Mindestlöhne festschreiben müssen, damit Arbeitgeber nicht weiterhin solche Hungerlöhne zahlen dürfen.
({10})
Ich habe meinen Wahlkreis Berlin-Lichtenberg mit
dem Motto „Von Arbeit muss man leben können“ direkt
gewonnen. Ich kann allen Abgeordneten nur empfehlen,
dieses Motto zu beherzigen; denn alles andere wird sehr
teuer. Ich sage Ihnen mit aller Deutlichkeit, dass der
Kombilohn der teuerste Weg ist. Es ist doch jetzt schon
oft so, dass die Hungerlöhne, die bei Schlecker und anderen Discountern gezahlt werden, vom Arbeitsamt aufgebessert werden, damit die Menschen überhaupt genug
zum Leben haben. Ich sage Ihnen: Es kann doch nicht
sein, dass wir mit Steuergeldern das Lohndumping reicher Ladenketten finanzieren.
({11})
Frau Merkel hat im Wahlkampf immer wieder erklärt,
dass eine Angleichung des Arbeitslosengeldes nicht
möglich sei, da dafür das Geld im Haushalt fehle. Nun
hat sie offensichtlich doch die 220 Millionen Euro gefunden, die für die Angleichung nötig sind. Als haushaltspolitische Sprecherin meiner Fraktion kann ich Ihnen versichern, dass auch für eine Erhöhung des
Arbeitslosengeldes II auf 420 Euro pro Monat Geld im
Haushalt zu finden ist.
({12})
Ich möchte an dieser Stelle auf den konkreten Text
des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eingehen. Ich
finde es fast amüsant, dass in der Begründung für die
Angleichung des Arbeitslosengeldes II Argumente vorgebracht werden, die wir gegenüber der Bundesregierung schon bei der Beschlussfassung im Jahr 2003 vorgetragen haben. Sie schreiben in Ihrer Begründung, dass
die bundeseinheitliche Zahlung des Arbeitslosengeldes II in Höhe von 345 Euro im Monat zur „Wahrung
der Rechtseinheit“ erforderlich sei. Weiterhin schreiben
Sie - ich zitiere -:
Hinsichtlich des Verbraucherverhaltens, der Leistungskosten und des Nettoeinkommens bestehen
noch gravierende regionale Unterschiede, die sich
nicht nur im Vergleich der neuen Bundesländer zu
den alten Bundesländern ergeben, sondern auch innerhalb der Länder ... und auch zwischen den Ländern im Norden und im Süden des Landes.
Genau das war damals meine Argumentation gegen
eine unterschiedliche Behandlung in Ost und West. Ich
erwähne das jedoch nicht, um den Lernprozess der Bundesregierung zu würdigen, sondern um eine ganz einfache Forderung aufzumachen: Die Wahrung der Rechtseinheit wird als Begründung für die Angleichung des
Arbeitslosengeldes II in Ost und West genannt. Diese
Begründung ist richtig. Sie ist heute richtig und sie war
auch 2005 richtig. Aus der Begründung der Bundesregierung ergibt sich, dass es ein Fehler war, das
Arbeitslosengeld II in Ost und West in unterschiedlicher
Höhe festzulegen. Demzufolge ist es logisch, dass das
Arbeitslosengeld II rückwirkend zum 1. Januar 2005 angeglichen werden muss.
({13})
Meine Fraktion hat einen entsprechenden Antrag in
den Deutschen Bundestag eingebracht. Ich gehe davon
aus, dass alle, die hier immer ihr hohes Rechtsbewusstsein preisen, gar nicht anders können, als diesem Antrag
zuzustimmen.
({14})
Gestern ist in verschiedenen Ausschüssen über die
Frage der Angleichung diskutiert worden. In der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses musste ich erfahren, dass die Bundesregierung ihren eigenen Gesetzentwurf, bezogen auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens,
augenscheinlich überhaupt nicht gelesen oder dies bereits wieder vergessen hat. Im Gesetzentwurf ist klar und
deutlich zu lesen, dass das Gesetz zum 1. Januar 2006 in
Kraft treten soll. Nun gibt es angeblich technische Probleme. Mein Kollege Niebel von der FDP ist ja schon
darauf eingegangen. Ich finde aber, dass die technischen
Probleme die Bundesregierung nicht daran hindern dürfen, das Arbeitslosengeld II rückwirkend zum 1. Januar
2006, besser natürlich - wie es unserem Antrag entspricht - zum 1. Januar 2005 anzugleichen.
Um gleich den Vorwurf abzuwehren, wir würden
Geld verteilen, das nicht vorhanden ist, möchte ich Sie
abschließend darauf verweisen, dass der Zuschuss für
die Bundesagentur für Arbeit im Jahre 2005 um
400 Millionen Euro gesunken ist. Für die Nachzahlung
2005 brauchen wir 220 Millionen Euro, also gut die
Hälfte.
Die Angleichung ist ein überfälliger Akt der Gerechtigkeit. Halten Sie die Betroffenen nicht länger hin. Verzögerungen sind mit uns nicht zu machen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat nun die Kollegin Brigitte Pothmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es
gleich vorweg zu sagen: Meine Fraktion unterstützt die
Angleichung der Regelsätze in West und Ost. Wir fordern das seit langem. Wir haben immer deutlich gesagt,
dass es sich hierbei um eine schematische Trennung handelt, die seit langem inhaltlich nicht mehr zu begründen
ist. In der Begründung des Gesetzentwurfs steht deutlich
- Frau Lötzsch hat darauf hingewiesen -, dass es natürlich auch in den alten Bundesländern regional sehr differenzierte Einkommensverhältnisse gibt, es dort aber
trotzdem einen einheitlichen Regelsatz gibt. Das muss
für Gesamtdeutschland gelten. Das ist seit langem unsere Auffassung.
({0})
Im Übrigen hätten wir das - das sage ich den Kollegen von der CDU/CSU - seit mindestens einem halben
Jahr haben können. Das war von der rot-grünen Regierung geplant; einen entsprechenden Gesetzentwurf haben wir Ihnen vorgelegt. Aber Sie waren es, die das noch
vor einem halben Jahr abgelehnt haben und nichts davon
wissen wollten.
({1})
Wir sind also für die Angleichung. Wir kritisieren
aber das von der großen Koalition gewählte Verfahren.
({2})
Wenn es den politischen Willen zu einer bundeseinheitlichen Regelung bei den Regelsätzen gibt, dann darf dieser nicht nach politischem Gusto in die Tat umgesetzt
werden, sondern dann muss es ein transparentes und
nachvollziehbares Verfahren dafür geben. Dieses Verfahren muss auf einer aktuellen Datenbasis beruhen.
Herr Niebel hat schon darauf hingewiesen. Diese Datenbasis ist die Einkommens- und Verbraucherstichprobe,
und zwar nicht die von 1998, sondern die von 2003. Die
Auswertung dieser Stichprobe liegt uns vor. Es gibt
nichts, was dagegen spräche, sie zugrunde zu legen.
Seit 1998 ist nun wirklich einiges geschehen. Ich erinnere nur daran, dass die Strompreise um knapp
30 Prozent gestiegen und Zuzahlungen im Gesundheitsbereich eingeführt worden sind. Das sind Faktoren, die
eingerechnet werden müssen.
({3})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich weise
darauf hin, dass die Festsetzung der Regelsätze von herausragender Bedeutung ist, und zwar nicht nur für die
Betroffenen - für die allemal; das, glaube ich, braucht
man nicht weiter zu betonen -, sondern auch für die sozialen Sicherungssysteme ganz allgemein, zum Beispiel
in Bezug auf die Festsetzung des Existenzminimums im
Einkommensteuerrecht. Das ist einer der Gründe, warum
es so wichtig ist, dass diese Regelsätze inhaltlich genau
begründbar sind und dass das Bemessungsverfahren dafür nachvollziehbar ist. Das war sehr lange politischer
Konsens in diesem Hause.
({4})
Lesen bildet ja bekanntermaßen. Deswegen möchte
ich Ihnen heute Morgen einmal etwas vorlesen, und
zwar den Anfang eines Artikels in der „Welt“ vom
16. August 2005. Ich zitiere:
Die von CSU-Chef Edmund Stoiber ausgelöste Debatte über die Politik für Ostdeutschland ist durch
Streit über die Angleichung des Arbeitslosengelds II
verschärft worden. Während Bundeskanzler
Gerhard Schröder ({5}) am Montag eine baldige
Anhebung des Ost-ALG an das Westniveau ankündigte, lehnte Unions-Kanzlerkandidatin Angela
Merkel dies als zu teuer ab.
Was ist eigentlich passiert? Seit einigen Tagen schaut
sich die Öffentlichkeit erstaunt den tosenden Kampf um
den Titel der sozial gerechtesten Regierungspartei an. So
hat sich die Debatte seit damals verändert.
({6})
Damit das klar ist - das will ich Ihnen hier noch einmal
ausdrücklich sagen -: Weder die CDU/CSU noch die
SPD hat sich in dieser Frage mit Ruhm bekleckert. Gerade Sie von der CDU/CSU waren in der Vergangenheit
als Wackeldackel unterwegs.
({7})
Das werden wir nicht vergessen machen.
({8})
Frau Merkel hat die Angleichung damals nicht nur
abgelehnt, sondern sie hat sogar noch einen draufgesetzt:
Sie wollte nicht nur regional unterschiedliche Sätze beim
Arbeitslosengeld II, sondern sie wollte sie auch noch
nach Alter differenzieren. So viel zum Thema Bürokratieabbau, meine Damen und Herren.
({9})
Was das für ein Aufwand gewesen wäre, können Sie sich
sicher gut vorstellen.
({10})
Herr Brauksiepe, Sie waren es doch damals, der gegen die Regelung, die Sie heute hier positiv bewerten,
CDU-regierte Bundesländer mobilisiert hat, um genau
das zu verhindern, was Sie heute loben. Wenn es nach
Ihnen gegangen wäre, dann wäre das Arbeitslosengeld II
angeglichen worden, aber nach unten. Dann gäbe es in
Westdeutschland jetzt monatlich 14 Euro weniger.
Wir sind für die Angleichung. Aber das, was jetzt passiert, riecht nach einer neuen Form von Begrüßungsgeld. Sie möchten gerne, dass die Wählerinnen und
Wähler im Osten vor den anstehenden Landtagswahlen
begrüßen, dass es eine große Koalition gibt. Aber ich
sage Ihnen: Das wird Ihnen vor allem vor dem Hintergrund dessen, was Sie in Bezug auf die jungen Erwachsenen unter 25 Jahren jetzt noch vorhaben, nicht gelingen.
Diese wollen Sie in die elterliche Bedarfsgemeinschaft
zurückführen, was Sie, Herr Brauksiepe, wortreich begründet haben.
Ich will überhaupt nicht bestreiten - das sage ich, damit das ganz klar ist -, dass es in diesem Bereich Entwicklungen gegeben hat, die wir alle so nicht gewollt haben. Aber Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Ich
frage Sie: Ist das, was die große Koalition vertritt, wirklich das Ideal der Moderne, nämlich dass junge Menschen, die zum Teil über Jahre schon eigenständig gelebt
haben, in das „Hotel Mama“ zurückkehren sollen, dass
sie ihre Eigenständigkeit, die wir gewollt und lange gefördert haben, jetzt wieder verlieren?
({11})
Wir brauchen an dieser Stelle differenziertere Lösungen. Lassen Sie uns darüber noch einmal in Ruhe beraten. Wir erkennen an, dass es ein Problem gibt. Aber wir
erkennen nicht Ihr Lösungsangebot an. Dieser Plan ist
falsch und muss verändert werden.
Falsch finde ich im Übrigen auch die Absenkung der
Rentenversicherungsbeiträge für ALG-II-Empfänger. Es ist nicht nur so, dass damit für die Betroffenen
der bescheidene Rentenanspruch in Höhe von 4,10 Euro
auf 2,90 Euro im Monat weiter abgesenkt wird. Sie entziehen damit auch den Rentenkassen Geld. Die Zeche
müssen die Beitragszahler zahlen. Es ist ein erneuter
Verschiebebahnhof und kein Beitrag zur Absenkung der
Lohnnebenkosten, die sie immer versprochen haben.
({12})
Lassen Sie mich nun etwas ganz Grundsätzliches sagen. Die Höhe der Transferleistungen ist deshalb wichtig, weil es entscheidend von ihr abhängt, ob diejenigen,
die keinen Arbeitsplatz haben, menschenwürdig leben
und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Aber Transferleistungen allein - unabhängig von ihrer
Höhe - reichen nicht aus. Viel wichtiger ist es, Zugänge
zu eröffnen: Zugänge zu Bildung, Zugänge zu Arbeit.
Was Sie da zu bieten haben, ist wirklich erschreckend
mager, meine Damen und Herren von der großen Koalition.
({13})
Wenn es nicht gelingt, die Gruppe derjenigen, die
Transferleistungen beanspruchen, zu verkleinern und sie
stattdessen immer weiter anwächst, dann werden die
Transferleistungen auf Dauer immer geringer werden.
Deswegen brauchen wir eine riesige Kraftanstrengung
im Bereich der Bildung, insbesondere im Bereich der
frühkindlichen Bildung.
Ich sage Ihnen: Was die große Koalition in der Föderalismuskommission verabredet hat, ist ein gigantischer
Fehler. Es ist falsch, dass sich der Bund in diesem zentralen Bereich von seiner Verantwortung zurückzieht. So
werden Sie das Problem nicht lösen.
Die Familienministerin lässt sich jetzt dafür feiern,
dass sie von den Ländern und von den Kommunen verlangt, die elterlichen Kindergartenbeiträge auf null zu
setzen. Ich muss daher fragen: Warum hat diese Familienministerin ihre eigenen Forderungen nicht erfüllt, als
sie Familienministerin in Niedersachsen war?
({14})
Sie stellt Forderungen, die sie in der Vergangenheit
schon längst hätte erfüllen können.
({15})
Diese Leichtigkeit des Seins, die Frau von der Leyen
jetzt als Bundesfamilienministerin an den Tag legt, mag
für sie selbst angenehm sein. In der Sache führt das jedenfalls überhaupt nicht weiter.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Noch eine Bemerkung zum Kombilohn. Herr
Müntefering hat nicht nur gestern Abend, sondern auch
im Ausschuss immer wieder betont, dass es sich manchmal lohnt, auf die Argumente der Opposition zu hören.
Ich bitte Sie eindringlich: Wenn Sie jetzt Kombilohnmodelle prüfen, dann beziehen Sie bitte das von den Grünen
entwickelte Progressiv-Modell in Ihre Überlegungen mit
ein. Dieses Modell ist ein wirklicher Beitrag zur Sicherung von existenzsichernden Löhnen auch im Niedriglohnbereich.
Meine Damen und Herren, auch wenn die Angleichung der Regelsätze richtig ist, die wirkliche Gerechtigkeitslücke schließen Sie damit noch lange nicht. Auch
nicht die zwischen Ost und West. Sie mögen zwar die
meisten Abgeordneten hier im Hause haben. Aber die
meisten Ideen zur Lösung der Probleme haben Sie wahrlich nicht.
Ich danke Ihnen.
({0})
Frau Kollegin, es wird Ihnen aufgefallen sein, dass
der gelegentlich eingeforderte Oppositionsbonus in der
Abwicklung von Parlamentsdebatten vom amtierenden
Präsidenten - jedenfalls gelegentlich - freiwillig gewährt wird. Es wäre dennoch ganz schön, wenn bei der
Vorbereitung von Reden als Höhepunkt vorgesehene
Bitten an die Bundesregierung noch in der vorgesehenen
Redezeit untergebracht werden könnten.
({0})
Nun hat das Wort die Kollegin Angelika KrügerLeißner für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie können sich vorstellen, dass ich mich als Ostdeutsche über den vorliegenden Gesetzentwurf besonders freue. Wir diskutieren heute über einen ganz
positiven Gesetzentwurf. Nach den bisherigen Redebeiträgen habe ich den Eindruck, dass das noch nicht allen
bewusst geworden ist.
({0})
Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, den noch die
alte Bundesregierung eingebracht hatte. Ein besonders
wichtiges Ergebnis der Koalitionsvereinbarung war für
mich, dass die Regelleistungen beim Arbeitslosengeld II
in Ost und West auf einen einheitlichen Satz angeglichen
werden sollen. Dies ist nicht nur deswegen richtig, weil
es notwendig wurde. Dies hat auch viel mit Glaubwürdigkeit und Übereinstimmung von Wort und Tat zu tun.
Von vornherein habe ich die Trennung der Regelleistungen in ein West- und ein Ostniveau für nicht gerechtfertigt gehalten. Wir alle wissen: Es gibt Unterschiede
zwischen den Regionen in unserem Land. Hier bestehen
zum Teil große Unterschiede beim Nettoeinkommen, bei
den Lebenshaltungskosten und beim Verbraucherverhalten. Aber eine solche Trennungslinie existiert nicht nur
zwischen Ost und West. Sie verläuft auch zwischen
München und dem Bayerischen Wald, zwischen Hannover und dem Emsland. Eine Ungleichgewichtung lässt
sich also auch zwischen Regionen in den neuen und den
alten Bundesländern feststellen.
Da es hier aber um Regelsätze des Grundbedarfs geht,
ist eine Differenzierung nicht hinnehmbar. Die ursprüngliche Regelung zieht nur den Indikator Ost-West zur
Berechnung unterschiedlicher Sätze heran. Zwischen
Bundesländern, Regionen und Städten wird nicht unterschieden.
Ich weiß, dass die Forderung im Raume stand, die
Länder sollten über die unterschiedlichen Sätze entscheiden. Das ist nicht nur sehr bürokratisch und bei einer
Leistung des Bundes auch äußerst problematisch. Nein,
es schafft letztendlich auch nicht mehr Gerechtigkeit.
Wir alle erinnern uns: Die Diskussion im vergangenen Jahr war zunächst sehr kontrovers. Das ClementMinisterium stand der Angleichung lange skeptisch gegenüber. Angesichts der Mehrkosten in Höhe von
260 Millionen Euro jährlich für den Bund ist das zunächst auch verständlich. Erst durch den Zwischenbericht mit den Empfehlungen des Ombudsrates wurde
ein Wandel eingeleitet. Dort heißt es wörtlich:
Die dazu bisher vorgelegten Daten überzeugen den
Ombudsrat nicht, denn signifikante Kaufkraftdisparitäten sind auch in den alten Ländern festzustellen,
sodass ein alleiniger Ost-West-Vergleich zu einer
Ungleichgewichtung führt.
An dieser Stelle möchte ich den Mitgliedern des Ombudsrates herzlich für ihre Arbeit danken. Wir brauchen
sie auch weiter. Dieses Gremium wird uns auch in Zukunft bei der Evaluierung und gerade im Hinblick auf
das Optimierungsgesetz, das wir im Juli 2006 auf den
Weg bringen werden, helfen.
Ostdeutsche Politiker wie Matthias Platzeck und
Wolfgang Thierse hatten von Anfang an eine Angleichung gefordert. In meiner Partei hat sich diese Haltung
immer mehr durchgesetzt. Auch der damalige Bundeskanzler Schröder hat die Richtigkeit dieser Entscheidung
erkannt.
Bei der Union hat in den vergangenen Monaten ein
Umdenken eingesetzt. Ich bin froh darüber. Die Bundeskanzlerin hatte sich noch im vergangenen Jahr gegen
eine Angleichung und später für eine Regionalisierung
durch die Länder ausgesprochen. Aber sie hat ihre Position in dieser Sache geändert. Denn auch wenn das von
ihr vorgebrachte Kostenargument nicht aus der Welt zu
schaffen ist: Die Beibehaltung der bisherigen Regel wäre
ungerecht und die Regionalisierung ein bürokratisches
Monster.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen weiteren Lösungsvorschlag. Der sachsen-anhaltinische
Ministerpräsident Böhmer schlug vor, gegenteilig zu
verfahren und die Westregelsätze auf Ostniveau zu senken. Ich gebe zu: Die Gerechtigkeitslücke zwischen Ost
und West wäre damit genauso geschlossen worden wie
mit diesem hier zu beschließenden Verfahren und statt zu
Mehrkosten wäre es zu Kostensenkungen gekommen.
Aber gerecht? Ich bitte Sie: Gerecht wäre das nicht gewesen.
Wenn man die vorgeschlagene Regelung politisch betrachtet, dann bringt die Erhöhung der Ostsätze eine Annäherung zwischen den alten und den neuen Ländern;
das Absinken des Westniveaus hingegen würde die Spaltung nur vertiefen. Der Aufschrei von Empfängern von
Arbeitslosengeld II in den alten Ländern wäre ebenso
laut wie auch verständlich. Ich denke, der Nutzen, der
sich aufgrund dieses Gesetzes für die Empfänger der
Leistung in den neuen Bundesländern ergibt, ist weit höher, als es die 14 Euro im Monat erscheinen lassen. Das
Gefühl der Gleichberechtigung gerade dieser Menschen ist für den Erfolg von politischen Reformen von
unschätzbarem Wert. Denn auch und besonders diejenigen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben, müssen
sich von einer Reformpolitik mitgenommen fühlen, die
die sozialen Sicherungssysteme erhalten und erneuern
will. Diese Grunderkenntnis liegt diesem Gesetz zugrunde. Nur wenn sich bei den Bürgerinnen und Bürgern
mit geringem Einkommen das Gefühl der Gleichberechtigung in Ost und West durchsetzt, kommen wir der
Überwindung der Teilung ein Stück näher. Das gilt insbesondere für Hartz IV. Denn Ostdeutsche sind von dieser Leistung anteilig weit mehr betroffen als Westdeutsche.
Ich bin mir bewusst, dass man das Kostenargument
nicht einfach beiseite schieben kann. Diese Regierung
muss sparen und diese Regierung will sparen; das haben
wir deutlich wahrgenommen. Vor allem: Diese Regierung kann aufgrund des Kräfteverhältnisses auch sparen.
Aber ich sage ebenso: Beim Sparen muss es so weit wie
möglich auch gerecht zugehen. Die Angleichung der Regelsätze ist für unsere Fraktion ein besonders wichtiges
Signal. Es ist bedauerlich, dass die Angleichung nicht
zum 1. Januar 2006 erfolgen konnte. In der Gesetzesvorlage können wir diesen Termin noch lesen. Aber es gibt
eine Reihe von Problemen insbesondere mit der Software. Diese muss man ernst nehmen; man kann sie nicht
lapidar zur Seite schieben, wie das eine Vorrednerin hier
getan hat. Hier hat der Minister eine Veränderung angekündigt.
({1})
Das entspricht auch dem, was auf der kommunalen
Ebene machbar ist. Damit muss man sich auseinander
setzen. Es sind eben alle Bescheide neu zu erstellen. Wir
müssen uns, wenn wir Gesetze formulieren, auch mit der
Umsetzungsphase beschäftigen und uns den Realitäten
stellen.
Weitere Änderungen sind geplant. Gestern hat der
Minister in der Ausschusssitzung davon berichtet und
auch Staatssekretär Thönnes hat angedeutet, dass es angesichts der Fehlentwicklungen bei Bedarfsgemeinschaften mit Jugendlichen bis 25 Jahren und bei den
Rentenversicherungsbeiträgen Änderungen geben wird.
Das haben wir in den nächsten Wochen zu beraten; dazu
wird es sicherlich auch eine Anhörung geben.
Ich will abschließend eines noch einmal feststellen:
Die Gerechtigkeitslücke, die die unterschiedlichen Regelsätze bedeutet haben, wird mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf geschlossen. Das ist für mich ein ganz
wichtiger Schritt für den Erfolg, aber auch die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung. Es ist für mich auch
ein ganz klares Zeichen dafür, dass wir in Ost und West
mit gleichen Maßstäben messen. Und das ist gut so,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Danke.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Karl Richard
Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hartz IV
ist gerade einmal ein Jahr in Kraft. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe - beitragsfinanziert und steuerfinanziert - und der Sozialhilfe - nur steuerfinanziert sind eben auch zwei unterschiedliche Sicherungssysteme
zusammengeführt worden. Hinter den Sicherungssystemen stehen zwei unterschiedlich arbeitende Behörden
mit unterschiedlichen Strukturen und Herangehensweisen.
Es war ein richtiger Weg, es war ein neuer Weg und
vor allen Dingen war es ein mutiger Weg, der in den
letzten zwölf Monaten alle Beteiligten viel Kraft gekostet hat und zwangsläufig zu neuen Erkenntnissen geführt
hat.
Mit dem Prinzip des Forderns und Förderns sind
wir auf dem richtigen Weg. Dieses Grundprinzip des
SGB II trägt dazu bei, dass Menschen ohne Arbeit gefordert werden, ihren Lebensunterhalt möglichst rasch wieder aus eigener Kraft bestreiten zu können. Schließlich
wollen wir Menschen in Arbeit bringen und sie somit
aus dem Bezug staatlicher Leistungen herausholen.
Unser oberstes Ziel ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen alle - Staat,
Wirtschaft und alle am wirtschaftlichen Geschehen Beteiligten sowie die Betroffenen selbst - mitarbeiten. Wir
wissen, dass das SGB II nicht einen einzigen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz schafft.
({0})
Aber das will das SGB II auch gar nicht. Das SGB II
dient der Grundsicherung und darauf ist unsere Arbeit
abgestellt.
({1})
Das SGB II will fordern und fördern. Unter dem Gesichtspunkt des Förderns ist es aus meiner Sicht sehr ärgerlich, dass aufgrund der Anfangsschwierigkeiten die
Mittel für Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr nur schleppend abgerufen
wurden. Ich halte es für notwendig, dass wir entsprechende Mittel auch in den neuen Haushalt einstellen,
und zwar so, dass sie vor Ort möglichst flexibel und
passgenau eingesetzt werden können. Das ist ein wichtiger Teil des Gesamtkonzepts von Hartz IV.
Die Lebensverhältnisse in Deutschland sind unterschiedlich. Bisher erhalten die einzelnen Personen im
Westen Regelleistungen in Höhe von 345 Euro, diejenigen im Osten nur in Höhe von 331 Euro. Mit diesen unterschiedlichen Regelleistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts sollten die Unterschiede in der Verbrauchsstruktur und im privaten Konsumverhalten angemessen berücksichtigt werden. Richtig ist, dass es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Lebenshaltungskosten
und im privaten Konsumverhalten gibt. Diese Unterschiede gelten aber nicht nur zwischen Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt,
Thüringen und den anderen Bundesländern, sondern
auch innerhalb der neuen und innerhalb der alten Bundesländer in Nord und Süd, in West und Ost. Fakt ist,
dass es im gesamten Bundesgebiet regionale Besonderheiten gibt. Daher halten wir es für notwendig, dem Rat
des Ombudsrates zu folgen und die Regelsätze anzupassen. Wir beraten gerade den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des SGB II. Wir halten das für notwendig. Deswegen ist es gut, wenn diesem Gesetz - wie
ich jetzt herausgehört habe - offensichtlich alle einvernehmlich zustimmen.
Auf die Frage, ob die Anpassung der Regelsätze ausreichend ist, sage ich Ihnen: Wir müssen zunächst die
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe abwarten, die
vor uns liegt. Danach schauen wir weiter. Eines aber
halte ich für zwingend geboten und notwendig: Das
Lohnabstandsgebot muss eingehalten werden. Es muss
sich lohnen, Arbeit aufzunehmen. Ich kann Beispiele
nennen, in denen dies nicht eingehalten worden ist. Ich
halte dies für einen wichtigen Ansatzpunkt.
({2})
Neben den Regelleistungen hat der Gesetzgeber noch
den Kinderzuschlag in § 6 a Bundeskindergeldgesetz
eingeführt. Dieser soll dazu führen, dass Familien möglichst nicht auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen
sind. In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dass
über 90 Prozent der Anträge auf Kinderzuschlag abgelehnt werden. Das hängt vor allen Dingen damit zusammen, dass sich Leistungsgrenzen und Berechnungsmethoden innerhalb dieses Gesetzes widersprechen.
Hinsichtlich der Berechnungsgrundlagen und der Verwaltungszuständigkeiten besteht dringender Klärungsbedarf. Es ist wenig sinnvoll, dass die für Hartz IV zuständige Stelle zunächst eine überschlägige Rechnung
macht, den Leistungsbezieher anschließend zur Bundeskindergeldkasse oder zur Kindergeldkasse der regionalen Agentur für Arbeit schickt, sich diese Behörde noch
einmal damit beschäftigt, bis dann festgestellt wird, dass
der Antragsteller doch kein Geld bekommt. Diese Zuordnungsschwierigkeiten zwischen den Ämtern müssen
aufgehoben werden. Leidtragende sind die Familien. Es
nützt ihnen nichts, wenn sie dadurch auf ihr Kindergeld
warten müssen. Das zermürbt Bürger sowie Bearbeiterinnen und Bearbeiter. Hier muss Bürokratie abgebaut
werden.
Wir müssen auch der Frage nachgehen, was wir mit
den Menschen machen, die aufgrund ihrer persönlichen
Voraussetzungen nicht weiter qualifizierbar sind. Es ist
eine Frage der Menschenwürde, dass jeder die Möglichkeit und die Aufgabe hat, mit seines eigenen Kopfes und
seiner eigenen Hände Arbeit den Lebensunterhalt für
sich und seine Familie zu verdienen.
Das ist eine der größten Herausforderungen, vor der
die Politik und wir alle in der nahen Zukunft stehen,
nämlich den Menschen, die nicht beliebig qualifizierbar
sind oder leichte Behinderungen haben, diese Möglichkeiten zu schaffen. Das ist nicht nur eine staatliche Aufgabe, hierbei sind auch die Wirtschaft und die Tarifpartner gefordert. An dieser Stelle wird auch unsere
Diskussion um den wie auch immer zu gestaltenden
Kombilohn einsetzen.
Das SGB II will Eigenverantwortung stärken. Es
kann nicht Aufgabe des Staates sein, jungen Menschen
den Auszug aus ihrem elterlichen Heim zu finanzieren.
Frau Pothmer, bei aller Sympathie dafür, dass die Emanzipation junger Menschen unterstützt werden soll, dass
junge Menschen nicht im „Hotel Mama“ bleiben - auch
ich bin sehr dafür -, ist es nicht Aufgabe des Staates, das
zu finanzieren.
({3})
Das letzte Jahr hat uns die Erfahrung geliefert, dass
wir die Frage klären müssen, welche Stellen für die
Grundsicherung zuständig sind. Es kommt darauf an,
dass die Hilfe möglichst bürgernah erbracht wird. In
meinem Wahlkreis, in unserer Region, dem Münsterland, haben wir festgestellt, dass die optierenden Kommunen erfolgreich arbeiten, und zwar auch deswegen,
weil die Zuständigkeiten eindeutig geregelt sind.
({4})
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die
Zuständigkeiten im Laufe der Legislaturperiode überprüfen wollen. Ich halte das für notwendig.
Die anstehenden gesetzlichen Regelungen und Novellierungen im SGB II müssen gut bedacht werden. Es ist
zum Beispiel aufgrund der bisherigen Erfahrungen zu
klären, an welchen Stellen sich das SGB II mit anderen
Teilen des Sozialgesetzbuches, zum Beispiel dem
SGB III, dem SGB VIII, das alte Kinder- und Jugendhilfegesetz, oder dem SGB XII, die alten Sozialhilfevorschriften, beißt. Diese Dinge müssen im neuen Gesetzgebungsverfahren geregelt werden. Die Novellierung
und Optimierung des SGB II sollen natürlich zügig geschehen. Aber es muss auch der Grundsatz gelten:
Gründlichkeit vor Geschwindigkeit.
Ich danke Ihnen herzlich.
({5})
Herr Kollege Schiewerling, das war Ihre erste Rede
im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratulieren möchte, verbunden mit allen guten Wünschen
für die weitere parlamentarische Arbeit.
({0})
Nun hat Andrea Nahles das Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
der Wahl versprochen und jetzt eingelöst - das gilt für
uns Sozialdemokraten, was die Angleichung der Regelleistungen Arbeitslosengeld II an das Westniveau betrifft.
({0})
Frau Pothmer, bei allem Frust über Ihre neue Oppositionsrolle
({1})
sollten Sie sich doch wenigstens ein bisschen darüber
freuen, dass wir das gemeinsame Anliegen jetzt in der
neuen Koalition umsetzen können. Das wäre jedenfalls
in der Sache angemessen.
({2})
Aber ich verstehe, dass Sie es jetzt vielleicht nicht übers
Herz bringen, uns hier Beifall zu zollen.
({3})
Schön ist auch, dass Herr Niebel lernfähig ist. Das erlebt man ja selten. Im Oktober 2005 kann man noch in
einem „Stern“-Artikel nachlesen, dass Sie sich, für die
FDP als Generalsekretär sprechend, ausdrücklich gegen
eine Angleichung ausgesprochen haben.
({4})
Ich beobachte hier nun eine Bewegung in die richtige
Richtung. Ich zitiere: „Es gibt auch in Westdeutschland
genügend Regionen, die strukturell sehr teuer sind, und
welche, die strukturell sehr günstig sind …“ So kommen
Sie zu dem Schluss: Deswegen gehen wir am besten gar
keinen Schritt nach vorne.
({5})
Wir sagen: Weil das so ist, weil es unterschiedliche
Regionen gibt, müssen wir eine bundeseinheitliche Regelung schaffen, müssen wir dafür sorgen, dass es
gleichwertige Lebensbedingungen in Deutschland gibt.
Das haben wir mit dieser Gesetzesvorlage umgesetzt.
({6})
Frau Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Selbstverständlich.
Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Stimmen
Sie mir zu, dass das von Ihnen angeführte Zitat in keinerlei Widerspruch zu meiner eben gehaltenen Rede
steht, da ich, wenn ich darauf hinweisen darf, gesagt
habe, dass es in Ost und West und in Nord und Süd unterschiedlich strukturierte Regionen gibt? Deswegen
wollen wir eine entsprechend den Lebenshaltungskosten
differenzierte Angleichung der Leistungen; dann würde
man in teuren Regionen mehr, in günstigen Regionen
weniger bekommen und alle hätten ein existenzsicherndes Auskommen.
Herr Niebel, ich habe das, was Sie gesagt haben, nicht
kritisiert und auch auf keinen Widerspruch hingewiesen.
({0})
Allerdings waren Ihre Schlussfolgerungen zwei völlig
unterschiedliche: Im Oktober letzten Jahres haben Sie
aus dem Tatbestand, den Sie auch heute wieder vorgetragen haben, die Schlussfolgerung gezogen, dass es keine
Angleichung geben soll, und heute - jedenfalls habe ich
das so verstanden - haben Sie die Schlussfolgerung gezogen, dass es doch eine Angleichung geben soll.
({1})
Im Übrigen stimme ich Ihnen ausdrücklich zu: In Andernach, der größten Stadt meines Wahlkreises in Rheinland-Pfalz, kostet ein Latte Macchiato in einem Café in
bester Lage am Marktplatz 1,90 Euro. Wie wir Politiker
wissen, kostet er im „Einstein“ 4 Euro, und zwar auch in
dem „Einstein“, das im Westteil Berlins liegt. Natürlich
gibt es solche Unterschiede. Deswegen wollen wir eine
bundeseinheitliche Regelung.
({2})
In diesem Sinne kritisiere ich nur die Unterschiedlichkeit
Ihrer Schlussfolgerungen, aber keinesfalls Ihre Analyse;
diese teile ich.
({3})
Frau Kollegin Nahles, wir sollten es mit der Offenlegung betriebswirtschaftlicher Kalkulationen deutscher
Cafés nicht zu weit treiben.
({0})
Wissen Sie, Herr Präsident: Ich glaube, der Preis dort
beinhaltet 1 Euro Aufschlag für Promi-Gucken; aber
darüber müssen wir ein anderes Mal sprechen.
Kommen wir zurück zum Thema: Auch das, was die
Redner der Linken heute vorgetragen haben, war sehr interessant; denn das grenzte schon an Geschichtsklitterung. Hier wurde der Eindruck erweckt, dass es just Ihrer
Aktivitäten und Minidemonstrationen vor dem Reichstag bedurft hätte,
({0})
um uns auf den rechten Pfad zu führen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Niemand anderes als die
alte Bundesregierung, als Rot-Grün, hat den Ombudsrat
eingesetzt, mit dem ausdrücklichen Ziel - diesem Ziel ist
der Ombudsrat auch nachgekommen -, die Hartz-IV-Gesetzgebung zu begleiten und sie daraufhin zu überprüfen, ob Nachbesserungsbedarf besteht. In genau dem
Moment, in dem der Ombudsrat zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sinnvoll wäre, eine Angleichung der
Leistungen durchzuführen, haben wir dieses Vorhaben
zu unserer eigenen Angelegenheit gemacht. Dafür hat es
Ihrer freundlichen Aufforderungen nicht bedurft; denn
genau das war unser Ziel: ein komplexes Gesetzgebungsverfahren vom Ombudsrat begleiten zu lassen.
({1})
Frau Kollegin, möchten Sie Ihre Redezeit noch einmal durch eine Zwischenfrage verlängern lassen?
({0})
Ich bin ja heute zum ersten Mal seit Jahren der Abstinenz wieder dran, deshalb würde ich eigentlich gerne
fortfahren. Aber nun gut, bitte, Uli.
Herr Kollege Maurer.
Liebe Frau Kollegin Nahles, liebe Andrea, - ({0})
- Moment mal, das ist doch nett, oder? Herr Niebel, warum empört Sie das?
({1})
- Na, dann tun Sie das.
Es wäre schon gut, wenn neben dem Austausch von
Freundlichkeiten auch die angemeldeten Fragen gestellt
würden.
({0})
Jawohl, lieber Herr Präsident. - Frau Kollegin
Nahles, ich wollte eigentlich nur fragen,
({0})
ob es für die Feststellung, dass die Einheit der Rechtsverhältnisse diese Angleichung gebietet, der Einsetzung
eines Ombudsrats bedurfte.
({1})
Nein. In Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es,
dass der Bund für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse verantwortlich ist.
({0})
Zu dieser Verantwortung bekennen wir uns ausdrücklich. Das basiert allerdings - auch das ist festgehalten auf regionalen Besonderheiten, die zum Beispiel auch
bei der Berechnung der Verbrauchs- und Einkommensstatistik und der Rentenwerte zugrunde gelegt werden.
Wir haben an dieser Stelle zunächst einmal formal
richtig agiert und uns dann im Interesse des übergeordneten Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes entsprechend
verhalten. Ich persönlich glaube, dass wir dieses Anliegen auch in Zukunft nicht aus den Augen verlieren dürfen. Im Rahmen der Beratungen der Föderalismuskommission hat es mehrfach Angriffe darauf gegeben: Der
Bund sollte seine Verantwortung für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse immer mehr auf die Länder
verlagern. - Hier gebe ich Ihnen Recht: Das dürfen wir
nicht tun. Deswegen ist das ein Auftrag, den wir hier im
Parlament auf Bundesebene auch in Zukunft zur Wiedervorlage bekommen werden.
({1})
Zu einem Punkt, der mir wichtig ist, nämlich der hier
mehrfach aufgeworfenen Frage, ob es tatsächlich einen
Unterschied zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II gibt. Den gibt es allerdings: Was wir hier festlegen - das schließt auch an die Frage von Herrn Maurer
an -, ist schlicht eine Bundesleistung; ob sie einheitlich
festgelegt wird, ist dabei eine politische Entscheidung.
({2})
Die Sozialhilfe wird von den Sozialhilfeträgern festgelegt. Das ist eine andere Ebene. Das machen auch die
Länder. Insoweit ist hier aus meiner Sicht noch einmal
klarzustellen, dass es nicht automatisch zu einer Veränderung bei der Sozialhilfe kommen muss.
Wir haben heute 14 Euro mehr für ALG-II-Bezieher
in Ostdeutschland beschlossen; das ist viel Geld für
diese Leute. Natürlich weiß ich, dass es trotz allem, was
wir an Transfer leisten, am Ende keine Alternative dazu
gibt, dass jeder und jede eine existenzsichernde Arbeit
hat. Da kann ich mich mit einem Mindestlohnniveau,
wie von der FDP heute vorgeschlagen - nämlich auf der
Ebene von ALG II -, nicht anfreunden.
({3})
Wir brauchen Mindestlöhne, die existenzsichernd sind.
Aber auf dem Niveau von ALG II sind sie es nicht. In
diesem Sinne werden wir uns auch in den Beratungen
um Kombilohn/Mindestlohn so verhalten, dass Arbeit
wieder Wert hat, dass die Leute von der Arbeit leben
können.
Vielen Dank.
({4})
Mir ist die Freude an diesen Interventionen sehr gut
nachvollziehbar, aber es gehört zu den plausiblen Regeln, dass nach Abschluss einer Rede zu derselben keine
Zwischenfragen mehr gestellt werden können; was sich
mit einem gewissen Maß an Logik auch sofort erschließt.
({0})
- Eine solche war aber bisher nicht angemeldet.
({1})
- Gut, dann bekommt für eine Kurzintervention das
Wort der Kollege Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich werde mich dem
Wort „Kurzintervention“ entsprechend kurz fassen.
Ich wollte nur deutlich klarstellen: Die FDP hat zu
keinem Zeitpunkt Mindestlöhne gefordert. Wir halten
Mindestlöhne für falsch, für schädlich. Denn wenn der
Mindestlohn nicht die Kosten eines Arbeitsplatzes erreicht, geht das Ganze in die Schwarzarbeit. Ich habe nur
festgestellt - und das ist wissenschaftlich auch belegbar -: Arbeitslosengeld II wirkt wie ein Mindestlohn:
weil es eine untere Einkommensgrenze definiert und
deswegen, wirtschaftlich nachvollziehbar, kaum einer
einen Grund hat, eine Tätigkeit aufzunehmen für ein
Entgelt, das unter diesem Mindestlohn liegt. Ich bitte
Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Als letzter Redner in dieser Debatte erhält nun das
Wort der Kollege Stefan Müller für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
erleben heute Vormittag eine bemerkenswerte Debatte:
Neben dem Austausch von verschiedenen Höflichkeiten
wissen wir jetzt auch, wo Frau Nahles am liebsten ihren
Latte Macchiato trinkt.
({0})
Heute früh war immer wieder die Rede von Gerechtigkeit. Ich darf zum Jahresanfang unabhängig vom Beratungsgegenstand zunächst einen Wunsch äußern: dass
wir mit dem Begriff „Gerechtigkeit“ ein bisschen sorgsamer umgehen, als wir das in der Vergangenheit getan
haben. Es gab fast keinen Reformvorschlag - von wem
auch immer in diesem Hause -, bei dem nicht sofort versucht worden ist, ihn mit der Keule der sozialen Ungerechtigkeit zu diskreditieren. Ich glaube, wir täten gut
daran, den Begriff „Gerechtigkeit“ als solchen nicht
überzustrapazieren.
({1})
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne auf eine
bemerkenswerte Rede hinweisen, die der Bundesfinanzminister vor kurzem vor der IHK in Frankfurt gehalten
hat - ich darf zitieren -:
Damit wird Chancengerechtigkeit - und nicht Ergebnisgleichheit - zum Grundprinzip eines modernen Sozialstaates. Von ihr hängen die Lebensperspektiven gerade derjenigen Menschen ab, deren
Startbedingungen - aus welchen Gründen auch immer - nicht so gut sind wie die anderer.
Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.
Bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf geht es
auch ein Stück weit um Gerechtigkeit. Natürlich spielt
auch das Gerechtigkeitsempfinden der Betroffenen eine
Rolle. Aber noch sehr viel mehr spielt eine Rolle, dass
wir heute auch ein Stück innerdeutsche Einheit herstellen.
Bisher haben wir die Differenz von 14 Euro beim Arbeitslosengeld mit geringeren Lebenshaltungskosten und
einem unterschiedlichen Verbraucherverhalten in Ostdeutschland gerechtfertigt. Aber nicht nur zwischen Ost
und West, sondern auch zwischen einzelnen Bundesländern, zwischen einzelnen Regionen, ja selbst zwischen
Städten und Gemeinden bestehen Unterschiede. Deswegen hat der Ombudsrat der Politik empfohlen - das ist
heute schon mehrfach ausgeführt worden -, den Regelsatz Ost um 14 Euro zu erhöhen, um den bestehenden
Unterschied zu beseitigen. Diesem Vorschlag des Ombudsrates kommen wir mit der heutigen Initiative nach.
Wir sollten uns aber nichts vormachen: Durch diese
Anhebung werden wir die sozialen Unterschiede in unserem Land nicht ausgleichen können. Durch die Anhe724
Stefan Müller ({2})
bung alleine schaffen wir keinen Ausgleich zwischen
dem Wunsch nach einer erfüllenden Tätigkeit auf der einen und der Absicherung der täglichen Grundbedürfnisse auf der anderen Seite. Bei der ganzen Debatte um
die Höhe der staatlichen Leistungen dürfen wir eines
nicht aus dem Blick verlieren - das ist mir sehr wichtig -: Der Wunsch, am Arbeitsleben und am Erwerbsprozess teilzunehmen, ist nicht erfüllbar durch eine noch
so hohe Unterstützung durch staatliche Leistungen.
({3})
Ich bleibe dabei: Die größte soziale Ungerechtigkeit
in unserem Lande ist, wenn jemand, der arbeiten will,
nicht die Möglichkeit dazu hat.
({4})
Deswegen müssen wir mehr dafür tun, um den Menschen, die keine Arbeit haben, aber arbeiten wollen, eine
Perspektive zu geben. Natürlich ist es richtig, das Arbeitslosengeld im Osten anzuheben - das betone ich -,
aber es muss uns vor allem darum gehen, den Menschen,
die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die Möglichkeit
zu geben, eine Beschäftigung zu finden.
Unser aller Ziel ist es, zu mehr Beschäftigung in
Deutschland zu kommen. Mehr Beschäftigung wird es
aber nur dann geben, wenn wir die wirtschaftliche Situation in diesem Land insgesamt verbessern, vor allem
aber die wirtschaftliche Situation des Mittelstands, der
kleinen und mittleren Betriebe. Auf den Mittelstand setzen wir bei der Beseitigung von Arbeitslosigkeit im Übrigen besonders große Hoffnungen.
Uns allen ist aber doch klar, dass wir nur mithilfe von
Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik nicht mehr Arbeitsplätze schaffen können. Wir brauchen mehr wirtschaftliche Dynamik in diesem Lande.
({5})
Die große Koalition hat im Koalitionsvertrag vieles vereinbart, was zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen wird. Bei der Klausurtagung des Bundeskabinetts in
Genshagen ist das konkretisiert worden; ich möchte das
nicht weiter ausführen. Es wird darüber hinaus aber weitere Anstrengungen geben müssen, um die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln in unserem
Land weiter zu verbessern. Ich nenne als Beispiele die
geplante Unternehmenssteuerreform oder den Abbau
von Bürokratie und von Regulierungen.
Die gesetzgeberischen Maßnahmen alleine werden
aber nicht dazu führen, dass in Deutschland mehr Arbeitsplätze geschaffen werden; das ist richtig. Wir können die Schaffung von Arbeitsplätzen sozusagen nicht
per Gesetz verordnen, hier ist die Wirtschaft gefordert.
Dazu bedarf es aber einer positiven Grundstimmung und
mehr Vertrauen. Vertrauen ist nun einmal die Grundlage
für jedes wirtschaftliche Wachstum. Was wir in der Politik machen, ist das eine, was in der Wirtschaft passiert,
das andere. Ständige Nachrichten über Arbeitsplatzabbau in unserem Land jedenfalls verbessern nicht die
Stimmung und führen nicht zu einer Verbesserung der
positiven Grundstimmung. Deswegen sage ich von dieser Stelle: Die Wirtschaft ist hier in der Pflicht.
({6})
Meine Damen und Herren, zu sozialer Gerechtigkeit
gehört aber auch, dass wir die Solidargemeinschaft vor
ungerechtfertigter Inanspruchnahme in Schutz nehmen. Die Erwartungshaltung an staatliche Leistungen ist
in den letzten Jahren immer weiter gestiegen, sie ist so
groß wie nie zuvor. Es kann nicht sein, dass wir nach der
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
mehr Geld ausgeben als vorher für beide Instrumente zusammen. Ziel der Reform war es immer, erwerbsfähige
Hilfebedürftige bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
zu unterstützen und sie nicht einfach nur zu alimentieren. Wie die ersten Erfahrungen nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gezeigt haben,
werden weitere Korrekturen in diesem Bereich nötig
sein.
Ich darf kurz aus dem „Spiegel“ zitieren, der im letzten Jahr schrieb:
Es ist, als hätte die Hartz-Reform das Elend ganzer
Bevölkerungsgruppen offen gelegt, die bislang als
ausreichend versorgt galten. In ihren Akten finden
die Vermittler plötzlich erwerbs- und angeblich mittellose Abiturienten, die bislang bei ihren gutverdienenden Eltern gewohnt haben. Sie finden
Rechtsanwälte und Ärzte, die offenbar zu Tausenden merken, dass sie eigentlich seit Jahren am Existenzminimum knabbern.
Nun mag es ja sein, dass hier sehr viel übertrieben
wird. Tatsache ist aber, dass es zu einer unerwarteten
Anzahl von Bedarfsgemeinschaften gekommen ist. Ich
glaube, deswegen ist es zumutbar, dass wir die Bildung
von Bedarfsgemeinschaften noch weiter überprüfen und
in bestimmten Bereichen einschränken.
Wir jedenfalls freuen uns auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Oppositionsfraktionen. Ich bin
auch davon überzeugt, dass wir ihre Vorschläge sehr
gerne prüfen werden.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 16/99 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie den
Zusatzpunkt 2 auf:
4 Erste Beratung des von der Fraktion der LINKEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 16/236 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, Margareta
Wolf ({1}), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
- Drucksache 16/365 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Auch hier sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung eineinviertel Stunden für die Aussprache vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können
wir auch dies als vereinbart betrachten.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die
Linke.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Kartellrecht oder das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist so etwas wie das Grundgesetz
der Marktwirtschaft. Dabei hat dieses Gesetz zwei Komponenten, eine soziale und eine demokratische. Die soziale Komponente dieses Gesetzes ist die Preissteuerung. Durch das Gesetz soll verhindert werden, dass es
zu Monopolpreisbildungen kommt, und soll sichergestellt werden, dass die Preise im Wettbewerb fallen, sodass die Preise aus der Sicht der Verbraucher nicht zu
hoch sind. Von dieser Steuerungsfunktion des Wettbewerbsrechts ist heute nicht die Rede.
Eine viel wichtigere Funktion des Wettbewerbsrechts
aus der Sicht der Linken ist das Element der Machtkontrolle. Durch das Kartellrecht soll sichergestellt werden, dass eine Marktwirtschaft auch eine demokratische
Marktwirtschaft ist. Deswegen wird stets darauf geachtet, dass wirtschaftliche Machtzusammenballungen die
Demokratie nicht gefährden. Davon ist heute die Rede.
In den letzten Jahrzehnten gab es eine ganze Welle
von Fusionen. Insbesondere das letzte Jahrzehnt hat
wiederum global eine Welle von Fusionen gebracht, die
dazu geführt haben, dass viele Unternehmen mittlerweile eine weitaus größere Macht als demokratische
Staaten haben. Das ist bekannt und unstreitig. Dennoch
sollte man, wenn in unserem Parlament darüber gesprochen wird, vielleicht noch einmal daran erinnern.
Machtkontrolle war beispielsweise die Position der
SPD im Godesberger Programm. Es ging um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht. Früher hat ein radikalerer
Denker Deutschlands das Ganze noch schärfer formuliert, nämlich Walter Eucken. Es bereitet mir natürlich
Vergnügen, hier für die Fraktion der Linken an diesen
Denker des Ordoliberalismus zu erinnern. Er wollte
nicht die Kontrolle wirtschaftlicher Macht, sondern er
wollte die Verhinderung wirtschaftlicher Macht.
({0})
Mit dieser Position - ich sage das ohne polemischen Unterton - erhielte Walter Eucken heute wohl kaum eine
mehrheitliche Zustimmung im Deutschen Bundestag,
geschweige denn in unserer Gesellschaft. Es ist aber
manchmal notwendig, an solche Denker, die zu Beginn
der Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland die
politischen Entscheidungen mitbestimmt haben, zu erinnern.
Wenn es um die Verhinderung wirtschaftlicher Macht
geht, dann führt die Überlegung, was denn im Kartellrecht dazu geschrieben ist, natürlich sehr schnell zu der
so genannten Ministererlaubnis. Einige Fälle der letzten Zeit haben deutlich gemacht, dass die Ministererlaubnis unter diesen beiden Gesichtspunkten reformbedürftig ist. Ich erinnere an den Fall Eon Ruhrgas, der
ein Musterbeispiel dafür ist, dass die Ministererlaubnis
mittlerweile eher ein Einfallstor für Missbrauch, ja, für
Korruption ist. Ich benutze diesen Begriff nüchtern und
sachlich, aber ich benutze ihn gleichwohl.
({1})
Die Ministererlaubnis sollte nicht dazu einladen, dass
Minister im Hinblick auf ihre spätere wirtschaftliche Tätigkeit von ihr Gebrauch machen.
({2})
Ich erinnere an den Fall Eon Ruhrgas, bei dem wir zum
letzten Mal in größerem Umfang über diese Erlaubnis
auf dem Feld der Energiewirtschaft diskutiert haben und
bei dem zunächst ein Staatssekretär mit der Erledigung
des Falls beauftragt worden ist. Das Unangenehme an
diesem Sachverhalt ist nur, dass dieser Staatssekretär
dann in ebendiesem Konzern Beschäftigung fand, der
von dieser Erlaubnis betroffen war. Noch unangenehmer
ist, dass der zuständige Minister in diesem Konzern als
Vorstandsmitglied beschäftigt wurde. Dies ist genau das,
was ich ein Einfallstor für politische Korruption nenne.
({3})
Wir können an solchen Fehlentwicklungen nicht vorbeigehen. Wenn Sie heute die Presse studieren und lesen
„Staatsanwaltschaft durchsucht E.on-Ruhrgas-Zentrale Gaskonzern soll mehr als 100 Kommunalpolitikern Vergnügungsreisen spendiert haben“, dann sehen Sie, dass
eine Demokratie stets gehalten ist, sorgfältig darauf zu
achten, dass wirtschaftliche Macht nicht dazu missbraucht wird, demokratische Entscheidungsgremien und
Körperschaften unzulässig zu beeinflussen.
({4})
Gerade im Bereich der Energiewirtschaft hat die Kartellbehörde in der letzten Zeit nicht nur bei der Fusion,
sondern auch bei der Preisgestaltung mehrfach interveniert. Ich möchte für die Fraktion der Linken der Kartellbehörde ein Kompliment dafür machen, dass sie beispielsweise in der Frage der langfristigen Lieferverträge
mit kommunalen Energieversorgern stets auf niedrige
Preise für die Verbraucher achtet. Wir brauchen eine solche Kartellbehörde. Sie darf durch die Ministererlaubnis
nicht unterlaufen werden. Das ist der politische Sachverhalt, von dem wir heute reden.
({5})
Es geht schlicht und einfach um Fehlentwicklungen
in der Volkswirtschaft und in unserer demokratischen
Gesellschaft. Ich will hier nur einen Begriff ansprechen,
um noch weiter zu verdeutlichen, wie sich das alles in
die falsche Richtung entwickelt hat, nämlich den Begriff
der Umsatzrendite. Wenn Sie sich heute mit Vertretern
der Energiewirtschaft unterhalten und Sie hören, dass
diese, ohne rot zu werden, sagen: „Wir zielen auf Umsatzrenditen von 15 bis 20 Prozent“, dann ist das eine
völlige Fehlentwicklung unserer Volkswirtschaft.
({6})
Dass man von Kapitalrenditen dieser Art reden kann,
könnte man vielleicht noch verstehen. Aber dass in Quasimonopolmärkten in der Energiewirtschaft von Umsatzrenditen von 15 bis 20 Prozent geredet wird, ist ein unglaublicher Skandal, um das hier einmal in aller
Deutlichkeit zu sagen.
({7})
Wir sprachen vorhin von Hartz IV und den Grundbeträgen, von denen diese Menschen leben müssen. Dass
die Verbraucher, die zur Miete wohnen, immer größere
Schwierigkeiten haben, ihre tägliche Existenz zu gestalten, hat etwas mit dem Thema zu tun, das heute hier zur
Rede steht; denn diese Umsatzrenditen bezahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Der zweite Fall, den ich ansprechen möchte, ist die
Konzentration im Pressewesen. Sie ist für unsere Demokratie vielleicht noch viel wichtiger als die reine wirtschaftliche Macht in anderen Wirtschaftsbereichen. Eine
freie Presse ist konstituierend für jede demokratische
Ordnung. Zu Beginn dieser Republik hat Paul Sethe
- das ist der nächste Gründervater unserer Republik, den
ich erwähnen möchte - einmal gesagt: Die Pressefreiheit
ist immer in Gefahr bei uns, die Freiheit einiger weniger
reicher Leute zu sein, ihre Meinung zu verbreiten. - Daher muss dieses Parlament sicherstellen, dass die Pressekonzentration in diesem Lande nicht weiter fortschreitet.
Auch darum geht es bei der Ministererlaubnis.
({8})
Wenn jetzt ein großes Verlagshaus, das auf dem Pressemarkt ohnehin eine beherrschende Stellung hat, dabei
ist, einen größeren Anteil beim Privatfernsehen zu erwerben, dann muss dieses Parlament aufmerksam werden und sich die Frage stellen: Was kann getan werden,
damit solche Fehlentwicklungen nicht weiter Platz greifen?
Es gab bereits einen Fall, in dem falsch entschieden
worden ist. Ich meine die Novelle, die die rot-grüne
Koalition im Hinblick auf Fusionsbestrebungen des
Holtzbrinck-Konzerns in Berlin eingebracht hat. Ich
konnte es kaum glauben, als ich gelesen hatte, dass der
zuständige Minister die Hürde dreimal niedriger ansetzen wollte als sonst, um eine Pressekonzentration zu ermöglichen. Ich möchte von hier aus der Bundesratsmehrheit ein Kompliment machen, dass sie diese
Fehlentwicklung verhindert und diesen Gesetzentwurf
der damaligen Regierung gestoppt hat. Es war völlig unvertretbar, bei der Frage der Pressefusion die Hürde noch
niedriger anzusetzen, als sie bereits jetzt ist.
({9})
Ich sage aber auch, dass es nicht vertretbar wäre, die
Ministererlaubnis in der bisherigen Form bestehen zu
lassen, wenn jetzt schon wieder sowohl von Vertretern
der CDU und der CSU - ich erwähne in diesem Zusammenhang Herrn Stoiber - als auch von Vertretern der
SPD - hier ist Herr Beck zu nennen - darüber geredet
wird, dass man mit dem Haus Springer im Gespräch
darüber sei, ob nicht vielleicht doch eine Möglichkeit
bestehe, den Konzentrationsprozess weiter zu unterstützen. Sie alle wissen, dass Politikerinnen und Politiker die
Nähe zu Verlagshäusern suchen, weil sie meinen, dann
in der Presse besser wegzukommen.
({10})
- Ach Gott, wie billig, verehrter Herr Kollege.
({11})
Herr Kollege Tauss, es wäre schon gut, wenn Sie sich
jetzt wenigstens entschließen könnten, ob Sie telefonieren oder Zwischenrufe machen wollen.
({0})
Die Versuchung politisch Verantwortlicher, im Gespräch mit Verlagshäusern eher die Verlagskonzentration
zu befürworten, ist sehr ausgeprägt. Ich war jahrzehntelang immer wieder an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt und kenne schließlich die Zusammenhänge.
Insofern meine ich, dass das Parlament alarmiert sein
sollte, wenn bereits in den politischen Parteien über die
Ministererlaubnis gesprochen wird.
Lassen Sie mich zusammenfassend festhalten: Die
Ministererlaubnis hatte vielleicht einmal ihre Begründung. Es gibt auch heute viele Gründe, die dafür sprechen. Ich nehme an, dass einige Verteidiger der Ministererlaubnis diese Gründe noch anführen werden. Aus
unserer Sicht hat sie aber in den letzten Jahren nicht
mehr ihre eigentliche Funktion erfüllt. Sie war vielmehr
ein Einfallstor für die weitere Konzentration im Wirtschaftsbereich und sie könnte ein Einfallstor für eine
weitere Konzentration im Medienbereich sein. Deshalb
plädieren wir dafür, die Ministererlaubnis abzuschaffen,
damit der Wirtschaftsminister seine Ordnungsfunktion
wieder wahrnehmen kann, indem er nach unserem Gesetzentwurf das Recht erhält, auch dann Nein zu sagen,
wenn die Kartellbehörde eine Fusion genehmigt hat.
Es geht in diesem Zusammenhang um die soziale
Marktwirtschaft. Vor allem aber geht es um die demokratische Marktwirtschaft. Die Ministererlaubnis hat
sich zu einem Instrument entwickelt, das der demokratischen Marktwirtschaft entgegensteht. Deshalb sollte sie
fallen.
({0})
Für die Bundesregierung hat das Wort nun der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das deutsche Wettbewerbsrecht ist gut aufgestellt.
Es ist beispielhaft in Europa und wohl auch in der Welt,
und zwar einschließlich der darin festgelegten Ministererlaubnis. Sie ist erst 1973 in dieses System eingefügt
worden. Damals regierten die FPD und die SPD, Herr
Lafontaine. Man empfand die Ministererlaubnis als notwendig.
Sie ist ein kluges Instrument, wenn man sie richtig
nutzt. Sie soll ermöglichen, dass in Fällen eines gesamtwirtschaftlichen Vorteils und eines übergeordneten Gemeinwohlinteresses eine unter sehr strenger Handhabung des Wettbewerbsrechts gefundene Entscheidung
geändert werden kann. Das Problem besteht nicht darin,
dies zu ermöglichen; es geht vielmehr um die Frage, ob
damit verantwortungsvoll und vernünftig umgegangen
wird.
Wir sind der Meinung, dass das deutsche Wettbewerbsrecht bisher trotz aller auch bedauernswerten Fehlentwicklungen im Einzelnen durchaus die Aufgabe
geleistet hat, Marktwirtschaft zu sichern und Machtwirtschaft zu vermeiden. Das ist der eigentliche Sinn dieses
Wettbewerbsrechts. Deswegen halten wir die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe für nicht zielführend. Sie würden unsere Möglichkeiten, auf unerwartete, schwierige,
wirtschaftspolitische Situationen intelligent und vernünftig zu antworten, einengen und erschweren und deswegen die Standortqualität verschlechtern.
Wir wissen, dass die Ministererlaubnis auch Probleme mit sich bringt und Versuchungen bietet. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, indem ich
feststelle, dass mir die Eon-Entscheidung ausgesprochen problematisch erschienen ist. Dabei will ich gar
nicht zentral darauf abstellen, dass die Entscheidung
schließlich so gefallen ist. Man kann aber anhand der
Eon-Entscheidung eine Menge darüber lernen, was alles
nicht sein darf. Dazu gehört erstens, dass eine Minstererlaubnis nicht so früh in Aussicht gestellt werden darf
({0})
und dass das Kartellamt seine eigentliche Aufgabe, zunächst einmal alles bis zum Letzten unter wettbewerblichen Gesichtspunkten auszuhandeln, nicht erfüllen kann.
({1})
Man hat doch keine Gestaltungskraft mehr gegenüber
dem Partner auf der anderen Seite, wenn dieser auf
Chefebene bereits weiß, dass er möglicherweise alles
umgehen kann, weil er auf die Genehmigung zählen
kann. Das war der erste katastrophale Fehler im EonVerfahren.
Der zweite war, dass alle Handelnden mehr oder weniger davon ausgehen konnten, dass sie am Ende ihrer
politischen Arbeit wieder beim Antragsteller landen
würden.
Das sind zwei Fehler, die das Instrument der Ministererlaubnis auf das Äußerste beschädigt haben.
({2})
Deswegen kann ich verstehen, dass nun entsprechende
Gesetzentwürfe vorliegen. Das ist insoweit verdienstvoll, als dass wir dadurch noch einmal Gelegenheit haben, uns zu vergewissern, welchem Zweck das Instrument dienen soll. So wie die Ministererlaubnis im EonFall angewandt wurde, war sie schädlich und Ihre
Glaubwürdigkeit wurde beschädigt. Das darf sich nicht
wiederholen.
Es ist klug, ein solches zusätzliches Instrument zu haben, vorausgesetzt, dass es richtig eingesetzt wird. In
diesem Zusammenhang lohnt es sich, auf die Nachbarstaaten zu schauen. In Frankreich ist im Prinzip jede
Freigabe eine Ministererlaubnis. In Großbritannien gibt
es die Fälle des Public Interest. Nationale Sicherheit,
Wasserversorgung und Zeitungen - ausgerechnet Zeitungen! - werden dort unter das Regiment der Ministererlaubnis gestellt. In den Niederlanden gibt es trotz aller
Entscheidungsmacht der Kartellbehörden die Möglichkeit, aus Gründen des Allgemeinwohls eine Sondergenehmigung zu erteilen. Wir befinden uns mit unserem
Instrument also in guter Nachbarschaft. Deshalb wollen
wir daran festhalten.
Ich möchte auf das zurückkommen, was es hier zusätzlich zu beachten gilt. Es ist ausgesprochen empfehlenswert, dass kartellrechtlich relevante Fragen vom
Bundeskartellamt in Unabhängigkeit behandelt werden
und dass sich die Politik, insbesondere die politisch Zuständigen, bis zur Entscheidung heraushält.
({3})
- Herr Berninger, wir werden in einer offenen Gesellschaft nicht verhindern können, dass sich Politiker, die
mit der Sache wenig zu tun haben, vorlaut äußern. Ich
halte zwar von vorlauten Äußerungen nichts, kann sie
aber weder auf Bundesebene noch auf Landesebene unterbinden.
Die zuständige Behörde, das mit dem Vorgang befasste Ministerium und der Wirtschaftsminister sowie
alle anderen, die mitwirken, haben sich Zurückhaltung
aufzuerlegen. Sonst kann das Bundeskartellamt sein
Potenzial bei den Verhandlungen gar nicht generieren;
sein Potenzial würde geschädigt. Das Bundeskartellamt
muss seine Entscheidungen mit Sachkompetenz und in
großer politischer Unabhängigkeit treffen können. Sonst
gewinnen wir nicht die gewünschten Erkenntnisse darüber, was richtig und was falsch ist.
Wir, die wir in der Politik damit zu tun haben, haben
uns also zurückzuhalten. Das Bundeskartellamt soll in
großer politischer Unabhängigkeit und Freiheit verhandeln und entscheiden können, um das Beste im Sinne des
Wettbewerbs herauszuholen.
Die Linke fordert sogar zusätzlich die Möglichkeit,
selbst unbedenkliche Zusammenschlüsse zu verbieten,
und zwar aus anderen Gründen. Das hieße, die Sache auf
den Kopf zu stellen. Das wäre eine Kehrtwendung um
exakt 180 Grad. Das bedeutete eine erhebliche Belastung des Standortes Deutschland. Wenn wir in einer globalisierten Welt bestimmten Ministerien erlaubten, Unternehmensfusionen mithilfe einer Ministererlaubnis zu
verbieten bzw. Unternehmen zu zerschlagen - darüber
darf man gar nicht nachdenken -, dann wäre das eine
gravierende Schwächung des Standortes Deutschland im
internationalen Wettbewerb und in der Sache. Davor
kann ich nur warnen.
Herr Kollege Lafontaine, Sie haben gesagt, dass
schon die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung für
eine Erlaubnis eine politische Versuchung darstelle. Was
meinen Sie aber, wie groß die politische Versuchung
wäre, wenn man etwas verbieten könnte? Ich warne alle
Neugierigen vor der Einführung eines solchen Instruments; denn es wäre ein Einfallstor für neue korruptive
Verhältnisse. Hier haben Sie wieder einmal nicht bis
zum Ende gedacht. Ich bedauere das nicht ausdrücklich;
aber das ist nun einmal so.
({4})
Ich möchte noch etwas zur Praxis sagen. In über
30 Jahren gab es 18 Anträge, die dieses Thema betreffen. 18 Anträge! Davon sind sieben mit Ministererlaubnis entschieden worden, teilweise noch mit Auflagen.
Eine Konsequenz aus der angesprochenen Problematik
ist: Das Instrument der Ministererlaubnis soll es weiterhin geben. Aber davon sollte so selten wie möglich Gebrauch gemacht werden.
Das ist die nächste Empfehlung. Im Prinzip muss die
Entscheidung des Kartellamts reichen. Da ist der Sachverstand versammelt. Nur in seltenen Ausnahmefällen
soll es die Ministererlaubnis geben.
Wir werden deswegen an der Ministererlaubnis festhalten. Wir werden sie nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen und sehr zurückhaltend anwenden. Die
Bundesregierung kann darum eine Annahme beider Gesetzentwürfe nicht empfehlen.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer
Brüderle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon eine erstaunliche Metamorphose, wenn die Linken
jetzt zu Vorkämpfern für Walter Eucken werden. Das hat
man bei anderen politischen Diskussionen nicht erlebt.
Zum Schluss hat Oskar Lafontaine mit der demokratischen Marktwirtschaft wieder eine Hintertür geöffnet.
Der Vorschlag, eine Ministergenehmigung durch ein Ministerverbot zu ersetzen, lässt den Verdacht einer gewissen dialektischen Kosmetik bei diesem Gesetzentwurf
aufkommen.
({0})
Zur Sache selbst. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist die Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft. Es ist die grundlegende Regelung bzw. das
Grundgesetz. Wir befinden uns leider in einem Prozess,
in dem grün-rote ordnungs- und wettbewerbspolitische Sünden - das ist eine ganze Liste - begangen wurden. Das bezieht sich nicht nur darauf, dass die grün-rote
Bundesregierung kurz vor der Bundestagswahl die Entscheidung bezüglich Eon und Ruhrgas - da kann man
den Ausführungen von Lafontaine weitgehend zustimmen - getroffen hat. Anschließend wurden Minister und
Staatssekretär Tacke gut untergebracht.
({1})
- Lieber Herr Tauss, das sind alles Unternehmen, in denen die paritätische Mitbestimmung gilt.
({2})
Es wird nicht nur der Betriebsrat von VW nach besonderen Regeln gepflegt, sondern offenbar auch die Kunden.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bedeutung gewerkschaftlicher Mitbestimmung in großen Konzernen,
Herr Tauss. Dass Sie bei den Reden telefonieren müssen,
weist darauf hin, dass Sie bei Peters neue Weisungen
einholen müssen.
({3})
Zurück zu den ordnungspolitischen Sünden. Ein extremer Fall - auch bei Grün-Rot - war das Einzelweisungsrecht in der Telekommunikation. Es hat noch keine
Bundesregierung gewagt, ein Einzelweisungsrecht eines
Bundesministers zu etablieren. Der Versuch von
Clement, das Pressefusionsrecht und damit den Wettbewerb auszuhöhlen, ist gescheitert. Die Wettbewerbsaufsicht wurde absichtlich von Grün-Rot zersplittert. Die
Energiewirtschaft, die Bahn und die Netzagentur wurden
nicht dem Kartellamt unterstellt, sondern es wurden
Sonderstrukturen geschaffen. Damit wurden die Kompetenzen des Kartellamts systematisch geschwächt.
({4})
Die Ministererlaubnis war von Anfang an umstritten. Die Fusionskontrolle durch das Kartellamt sollte mit
der Ministererlaubnis kombiniert werden. Viele der Entscheidungen waren umstritten. Der Gedanke ist, sich neben einer Prüfung von Zusammenschlüssen von Unternehmen nach Recht und Gesetz, nach ökonomischen und
wettbewerblichen Kriterien durch ein unabhängiges Kartellamt, die Möglichkeit offen zu halten, Gemeinwohlaspekten, die nicht rein wettbewerblichen Überlegungen
unterworfen sind, Rechnung zu tragen. Italien ist das
einzige Land, das ich kenne, das eine kartellrechtliche
Regelung ohne eine solche Kombination hat. Fast alle
anderen Länder haben ein solches Instrument. In Italien
gibt es möglicherweise andere Mechanismen, die man in
eine Bewertung einbeziehen müsste. Das will ich jetzt
aber nicht vertiefen.
Recht hat Herr Staatssekretär Schauerte mit seiner
Bemerkung - ich zitiere ihn wörtlich -, dass die Entscheidung im Zusammenhang mit Eon und Ruhrgas die
Ministererlaubnis äußerst beschädigt hat. Da hat der
Herr Staatssekretär Recht. Wenn das die Erkenntnis der
Bundesregierung ist, dann kann diese Erkenntnis schon
ein Fortschritt gegenüber Grün-Rot sein. Sie hatten offenbar diese Erkenntnisse damals noch nicht. Die Grünen haben ihre Position geändert. Als Oppositionspartei
haben sie den Wettbewerb entdeckt. Vorher haben sie
alle die von mir zitierten Erosionsprozesse mitgemacht.
({5})
Ich gebe zu, dass man auch zu der Schlussfolgerung
von Lafontaine kommen kann, nämlich so weit zu gehen, die Ministererlaubnis abzuschaffen, da sie äußerst
beschädigt ist. Das Ministerverbot einzuführen halte
ich jedoch für einen dialektischen Kunstgriff. Da scheint
die alte Schule noch durch.
Auch ich kann aber nicht bestreiten, dass im Zusammenhang mit der Abschaffung der Ministererlaubnis der
Aspekt der Versorgungssicherheit eine Rolle spielt. Ich
halte einen Mechanismus für notwendig, der es ermöglicht, einwirken zu können, ohne dass dies allein ökonomisch begründet ist. Ich gebe auch zu: Mir ist noch
nichts Besseres als die Ministererlaubnis eingefallen.
Meines Erachtens bleibt nichts anderes übrig, als verschärft politisch zu diskutieren, damit Erscheinungen
wie die Eon-Ruhrgas-Fusion, die einen schalen Geschmack hinterlassen - am Ende finden sich alle in gut
bezahlten Positionen wieder -, öffentlich entsprechend
gebrandmarkt werden.
Der ehemalige Kanzler hat den Anstieg der Gaspreise
beklagt, obwohl man vorher eine Fusion genehmigt hat,
die einen Marktanteil von 87 Prozent ermöglicht hat.
({6})
Bei einer Einführung in die Grundzüge der Volkswirtschaftslehre an der Volkshochschule Dessau-Süd lernt
man, dass Monopolpreise höher als Wettbewerbspreise
sind. Erst ein Monopol schaffen und dann über die
Preise jammern ist zutiefst unredlich.
({7})
Ich warne davor, solche Schritte vorschnell zu vollziehen. Man sollte die Ministererlaubnis also nicht abschaffen, ohne dass wir die Dinge wirklich durchdacht
haben. Ich glaube, dass es klug ist, ein Instrument zu haben, das eine Korrektur aus übergeordneten Gesichtspunkten möglich macht. Das darf nur ein seltener, gut
begründeter Ausnahmefall sein. Herr Staatssekretär
Schauerte, nicht nur was die Landesebene, sondern auch
was die Bundesebene angeht, halte ich es für bedauerlich, dass auch Ihr Minister leichtfertig öffentliche Äußerungen über das Thema Ministererlaubnis gemacht
hat, bevor das Kartellamt abschließend geprüft hat.
({8})
Auch das ist keine Stärkung des Bewusstseins für den
Wettbewerbsgedanken.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es in der Tat schon sehr bemerkenswert,
dass den Gesetzentwurf der Linken/PDS ausgerechnet
ein Sprecher begründet, der noch auf der Gehaltsliste
von Springer stand oder immer noch steht.
({0})
Dass er dann auch noch die Dreistigkeit hat, hier über
die Kontrolle von Medienmacht zu philosophieren, das
schlägt dem Fass in der Tat den Boden aus.
({1})
Diese Dreistigkeit setzt sich im Gesetzentwurf der
PDS fort: Ausgerechnet sie versucht hier, sich zum
Schützer des Wettbewerbs aufzuspielen. Sie kommt in
der Tat zu dem Ergebnis, § 42 GWB müsse gestrichen
werden. Die Konsequenz daraus wäre, dass dem Bundeskartellamt die alleinige Entscheidungsbefugnis über
Unternehmensfusionen zugesprochen würde. Liest man
weiter, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus:
Stattdessen soll dem Wirtschaftsminister das Recht eingeräumt werden, Genehmigungen des Bundeskartellamtes zu untersagen, wenn die „marktwirtschaftliche Ordnung gefährdet“ sei oder ein „überragendes Interesse der
Allgemeinheit“ dies rechtfertige.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen
lassen: Die bisherige Möglichkeit, eine Unternehmensfusion durch die Ministererlaubnis zu genehmigen, beispielsweise aufgrund volkswirtschaftlicher Notwendigkeiten, soll ersetzt werden durch die Möglichkeit des
Bundeswirtschaftsministers, die Genehmigung des Bundeskartellamts zu untersagen. So viel zum Thema
Christian Lange ({2})
Kontrolle. Das ist doch nichts anderes als die alte Gängelwirtschaft à la DDR: Am Ende wird schon „Honni“
oder der Minister entscheiden. Dahinter steckt nichts anderes. Das hier als Wettbewerbsschutz darzustellen, ist
in der Tat eine besondere Dreistigkeit.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas Grundsätzliches zum Thema Ordnungspolitik sagen. Der Ordnungspolitik gegenüber stehen alle interventionistischen
Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, welche den
Marktprozess behindern. Die Marktwirtschaft - das hat
sich auch und gerade nach dem Fall der Mauer im
Jahre 1989 gezeigt - ist das überlegene Wirtschaftssystem; denn es ist am besten in der Lage, Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Beschäftigung zu generieren.
Die inhaltlich-programmatische Aussage des Gesetzentwurfs der PDS ist deshalb falsch.
Konstituierendes Element der sozialen Marktwirtschaft ist und bleibt nämlich der Wettbewerb. Wettbewerb in unserer Gesellschaftsordnung ist also ein unbedingt schützenswertes Gut. Der Schutz des Wettbewerbs
ist die zentrale ordnungspolitische Aufgabe in einer
Marktwirtschaft. In Deutschland ist das Bundeskartellamt zusammen mit den Landeskartellbehörden für ebendiesen Schutz des Wettbewerbs zuständig. Natürlich - da
will ich Ihnen ausdrücklich Recht geben - gibt es Situationen, in denen Unternehmen versuchen, den Leistungswettbewerb durch Preisabsprachen, Kartelle, monopolistische Tendenzen und Ähnliches auszuschalten oder
einzuschränken. Deshalb ist es eine hoheitliche Aufgabe,
diesen Wettbewerb zu schützen.
Wie machen wir das? Aufgrund von drei Säulen, die
im GWB normiert sind: zum Ersten die Kartellbekämpfung, zum Zweiten die Missbrauchsaufsicht und zum
Dritten die Fusionskontrolle. Dabei steht uns die Monopolkommission zur Seite. Sie hat den gesetzlichen Auftrag, das Funktionieren des Wettbewerbs in Deutschland
im Allgemeinen und auch in einzelnen Wirtschaftssektoren zu beobachten. Sie beurteilt Konzentrationstendenzen, würdigt die Anwendung von Vorschriften der
Fusionskontrolle und erstattet entsprechend Bericht. So
steht in § 36 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unmissverständlich - ich will das zitieren, weil
uns viele zuschauen und nicht genau wissen, wie unsere
Gesetzeslage ist; ich will allerdings nur den ersten Absatz zitieren -:
Ein Zusammenschluss, von dem zu erwarten ist,
dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, ist vom Bundeskartellamt zu untersagen, es sei denn, die beteiligten Unternehmen
weisen nach, dass durch den Zusammenschluss
auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und dass diese Verbesserungen die
Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen.
Genau dies will die PDS jetzt verhindern, indem sie
durch Ministerentscheid die Untersagung ermöglichen
will. Damit wäre die Sache in der Tat auf den Kopf gestellt. Die kartellrechtliche Entscheidung des Bundeskartellamtes ist übrigens ein justizähnliches Verfahren
und deshalb auch überprüfbar.
Nun zur Ministererlaubnis. Auch die Ministererlaubnis ist kein höchst persönlicher Willkürakt, in dem
der Minister beim Kaffee oder beim Weißbier mal kurz
entscheidet, ob er jetzt für die Fusion oder dagegen ist.
Ganz im Gegenteil, es gibt strenge Verfahrensregeln.
Es ist wichtig, dass wir uns dies in Erinnerung rufen.
Zum Ersten gibt es eine ganze Reihe formeller Voraussetzungen. So sind die Untersagung des Bundeskartellamts sowie ein Antrag der am Zusammenschluss
beteiligten Unternehmen Voraussetzung. Eine Ministererlaubnis kann weder vor Abschluss der kartellbehördlichen Verfahren noch dann erteilt werden, wenn das
Bundeskartellamt die Fusion unter Auflagen oder Bedingungen freigegeben hat.
Zum Zweiten sind die inhaltlichen, die materiellen
Voraussetzungen zu nennen: ein öffentliches Interesse an
dem untersagten Zusammenschluss. Dafür nennt das Gesetz zwei alternative Voraussetzungen, nämlich gesamtwirtschaftliche Vorteile oder überragendes Interesse der
Allgemeinheit.
Erforderlich ist außerdem, dass die mit dem untersagten Zusammenschlussvorhaben verbundenen wettbewerblichen Nachteile durch die Aspekte des öffentlichen
Interesses aufgewogen werden. Hieraus wird gefolgert,
dass die Feststellungen des Bundeskartellamtes hinsichtlich der wettbewerblichen Nachteile der Erlaubnisentscheidung als gegeben anzunehmen sind und im Verhältnis zum öffentlichen Interesse gewichtet werden müssen.
Dabei ist auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten
Unternehmen auf Märkten außerhalb Deutschlands zu
berücksichtigen.
Damit nicht genug: Weitere Punkte stehen nicht nur
im Gesetz, sondern werden bei einer Ministererlaubnis
auch im Einzelnen geprüft. Das ist die Stellungnahme
der Monopolkommission. Das ist die öffentliche Stellungnahme der beteiligten Unternehmen. Das sind am
Ende natürlich Bedingungen und Auflagen. Zu guter
Letzt gilt in Deutschland: Auch die Ministerentscheidung ist gerichtlich anfechtbar.
Auch der eben erwähnte Fall Eon Ruhrgas wurde gerichtlich beurteilt. In Deutschland stehen am Ende also
immer noch rechtsstaatliche Entscheidungen. Am Ende
schauen die Gerichte auch über eine solche Ministererlaubnis. Deshalb kann man in diesem Zusammenhang
nicht von Korruption oder dergleichen sprechen.
({3})
Deutsche Gerichte haben gesagt, dass es auch bei
Eon Ruhrgas nach Recht und Gesetz gegangen ist. Unterlassen Sie daher bitte diesen unzulässigen Populismus!
({4})
Die PDS würde mit ihrem Gesetzentwurf - Gegenstand sind die Abschaffung der Ministererlaubnis bei
gleichzeitiger Ermächtigung des Bundeswirtschaftsministers, Genehmigungen des Bundeskartellamts zu
untersagen - dem Machtmissbrauch erst Tür und Tor
öffnen.
Herr Kollege Lange, Entschuldigung. Erlauben Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Maurer?
Gerne.
Herr Maurer, bitte schön.
Herr Kollege Lange, nachdem Sie sich gerade über
Korruption ausgelassen haben, darf ich Sie einmal fragen: Wie würden Sie es denn nennen, wenn jemand Verhandlungen in dem Bewusstsein führt, dass er bei dem
Unternehmen, das von seiner Entscheidung begünstigt
wird, anschließend einen so hoch dotierten Posten bekommt, dass es, auf die Vertragsdauer berechnet, um einen mehrfachen Millionenbetrag geht? Wir bewerten das
als politische Korruption. Wie ist bitte Ihre Bewertung?
({0})
Mich würde interessieren, Herr Abgeordneter Maurer,
wie Sie eigentlich den Machtmissbrauch bewerten, dem
Ihr eigener Gesetzentwurf Tür und Tor öffnen würde.
Dort fordern Sie nämlich, dass ein Minister in Zukunft
die Entscheidungen des Bundeskartellamtes verhindern
kann. Wie würden Sie so etwas bezeichnen? Ist das Kontrolle politischer Macht oder ist es das Gegenteil?
({0})
Es ist offensichtlich das Gegenteil. Deshalb tun Sie bitte
schön nicht so, als würden Sie hier über politische Korruption wachen oder als wären Sie gar der Hüter des
Wettbewerbs; denn Sie sorgen dafür, dass das Gegenteil
von Kontrolle üblich wird, indem Sie fordern, dass der
Gusto, das Befinden des jeweiligen Ministers entscheidet und sonst nichts.
Meine Damen und Herren, das, was wir hier von der
PDS zu erwarten haben, ist also interventionistische
Politik, die nichts mit der marktwirtschaftlichen Ordnung zu tun hat und deshalb aus unserer Sicht abzulehnen ist.
Herr Kollege Lange, Herr Kollege Maurer würde
gerne eine weitere Zwischenfrage stellen.
Nein, auch der Kollege Maurer muss sich daran gewöhnen, dass er seine Frage stellen und ich meine Antwort geben kann und damit die Sache erledigt ist.
({0})
Meine Damen und Herren, die Ministererlaubnis behält also ihre Berechtigung, vor allen Dingen wenn man
zugrunde legt, dass die Bundeskartellbehörde im Sinne
der Wettbewerbssicherung entscheidet, während der
Bundeswirtschaftsminister die darüber hinausgehende
Verpflichtung hat, im Rahmen der Ministererlaubnis
auch das überragende Interesse der Allgemeinheit im
Auge zu haben. Die Abschaffung der Ministererlaubnis
im Sinne des Gesetzentwurfs der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen ist deshalb nicht zielführend, auch wenn sie
mit ihrem Antrag zumindest dafür gesorgt hat, dass die
Marktwirtschaft und der Wettbewerb nicht von der
Laune eines Ministers abhängig gemacht werden. Es ist
aber - man kann sich seine Freunde in der Opposition
nicht suchen - zumindest ein in sich logischer und nachvollziehbarer Antrag, der stringenter ist als der der PDS.
Aber auch in Richtung Grüne muss ich sagen: Die
Übertreibung geht zu weit, wenn durch die Möglichkeit
der Ministererlaubnis eine Zunahme der Unternehmenskonzentrationen befürchtet wird. Seit Einführung der
Fusionskontrolle im Jahr 1973 wurden 18 Anträge gestellt: In sieben Fällen - diese Zahl hat Herr Staatssekretär Schauerte genannt - wurde die Erlaubnis erteilt, davon in fünf Fällen mit Auflagen, in fünf Fällen wurde die
Erlaubnis abgelehnt und in sechs Fällen wurde der Antrag zurückgenommen, insbesondere mangels hinreichender Erfolgsaussichten. In dieser Auflistung sind die
viel diskutierten Übernahmeabsichten von Pro Sieben
und Sat.1 durch den Axel-Springer-Verlag nicht enthalten. Das heißt, wir müssen die Kirche auch an dieser
Stelle im Dorf lassen. Vor allen Dingen angesichts der
Masse der Kartellanträge ist diese Zahl doch sehr gering.
Auch im aktuellen Fall sollten wir das Kind nicht
gleich mit dem Bade ausschütten. Ich zumindest entnehme den Meldungen vom 17. Januar dieses Jahres,
dass noch nicht entschieden ist, ob der Verlag im Fall der
Ablehnung der Fusion mit der TV-Sendergruppe durch
das Bundeskartellamt eine Sondergenehmigung der
Bundesregierung anstrebt. Deshalb stimme ich Ihnen
ausdrücklich zu, Herr Staatssekretär: Es ist in der Tat
schädlich, jetzt über eine Ministererlaubnis zu sprechen.
Aber wir haben die Erwartung, dass nicht nur Sie, sondern auch Ihr Minister sich an dieser Stelle entsprechend
zurückhalten. Wenn das der Fall ist, hat die gesetzliche
Lage durchaus ihren Sinn.
Wenn man sich vor Augen hält, welche Positionen in
den beiden Anträgen vertreten werden, dann zeigt sich,
dass sie entweder übers Ziel hinausschießen oder die
Dinge gar auf den Kopf stellen. Dem Antrag der PDS
oder der Grünen zu folgen, würde keine Stärkung des
Wettbewerbs in Deutschland bedeuten; im Gegenteil
würden die Verhältnisse eher auf den Kopf gestellt werden. Zurück in die DDR wollen wir nicht; Verhältnisse,
die wir kritisch betrachten müssen, ins Gegenteil verkehren wollen wir auch nicht. Deshalb lehnen wir beide Anträge ab.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Berninger
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Brüderle hat auf eine Ministererlaubnis in der vorvergangenen Legislaturperiode hingewiesen, nämlich
bei der Fusion von Eon und Ruhrgas. Es ist richtig, dass
die Fusion damals unter grüner Regierungsbeteiligung
zustande kam. Ich denke, dass die Debatte aber redlicher
verlaufen würde, wenn wir uns einmal alle 18 Fälle, in
denen es um eine Ministererlaubnis ging, anschauen
und prüfen würden, welche Parteien für die jeweilige
Ministererlaubnis die Verantwortung hatten.
Wie gesagt, unter der Regierungsverantwortung von
Bündnis 90/Die Grünen war es eine. Unter der Regierungsverantwortung der Union war es eine. Unter der
Regierungsverantwortung der SPD waren es sechs und
unter der Regierungsverantwortung der FDP waren es
ebenfalls sechs Ministererlaubnisse. Ich finde es daher
etwas pharisäerhaft, wenn Sie sich jetzt auf eine Ministererlaubnis konzentrieren und damit nicht nur uns im
Parlament, sondern auch die Zuhörerinnen und Zuhörer
auf einen falschen Weg schicken wollen.
Ich glaube, dass die Ministererlaubnis nicht in dieses
Gesetz gehört. Ich bin nicht der Einzige, der dieser Meinung ist. Jemand hat einmal gesagt, Kartelle seien
Feinde der Verbraucher. Er hat jahrelang für ein Wettbewerbsrecht gekämpft und hat in diesem Parlament - damals noch in Bonn - das Grundgesetz der Marktwirtschaft gegen den Widerstand aus allen Fraktionen auf
den Weg gebracht. Es handelt sich um Ludwig Erhard.
Er hat vieles gewollt, aber mit Sicherheit nicht das Konstrukt einer Ministererlaubnis; denn er wusste, unter
welchem Druck dann der Wirtschaftsminister steht.
Die Macht eines Wirtschaftsministers lässt sich nicht
davon ableiten, dass dieses Unikum der Ministererlaubnis in seinem Verantwortungsbereich liegt. Die Macht
eines Wirtschaftsministers leitet sich nach Meinung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen davon ab, ob er in der
Lage ist, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Insofern
halten wir es für geboten, dass die Ministererlaubnis aus
dem Kartellrecht herausgenommen wird.
({0})
Es wäre absurd, in umgekehrter Weise zu verfahren,
also dem Minister die Macht zu geben, dem Kartellamt
bei der Zulassung von Fusionen die nötigen Spielräume
zu nehmen. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Die
PDS sollte im Rahmen der Ausschussberatung darüber
nachdenken, ob es nicht besser wäre, sich auf die Streichung der Ministererlaubnis zu konzentrieren. Das wäre
ordnungspolitisch der richtige Schritt.
({1})
Der Parlamentarische Staatssekretär Schauerte hat
heute Morgen hier gesagt, dass sich Politikerinnen und
Politiker zu laufenden Verfahren wie etwa der Fusion
von Springer mit Pro Sieben/Sat 1 nicht vorlaut äußern
sollen. Herr Kollege Schauerte, ich glaube, da haben Sie
sich auf Glatteis begeben. Im Dezember fanden in München die Medientage statt. Auch Michel Glos war anwesend. Die Agenturen haben geschrieben, dass Michel
Glos nicht gesagt habe, er sei gegen die Fusion, sondern
dass er hoffe, dass diese Sache irgendwie an ihm vorbeigehe. Er hat aber auch durchblicken lassen, dass er
durchaus bereit sei, darüber nachzudenken. Jedenfalls
waren alle Experten der Meinung, dass der Wirtschaftsminister dem Springerkonzern einen Wink mit dem
Zaunpfahl gegeben habe.
Apropos „vorlaut äußern“: Es gibt eine Meldung, die
besagt, dass Herr Söder, der CSU-Generalsekretär, das
Kartellamt in dieser Angelegenheit ausdrücklich kritisiert habe. Herr Sinner, der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, hat gesagt, wegen der Erhaltung der Arbeitsplätze in München-Unterföhring solle man dem
Springerkonzern diese Fusion erlauben. Es gibt auch
eine entsprechende vorlaute Äußerung des bayerischen
Ministerpräsidenten. Sie alle sind Parteifreunde von
Michel Glos. Das ist auch der Grund, warum ich so alarmiert bin. Diese Parteifreunde äußern sich nicht einfach
so über die Fusion, sondern sie bauen einen subtilen
Druck auf die Bundesregierung auf, mit dem dafür gesorgt werden soll, dass auch im Falle der Ablehnung
durch das Kartellamt die Fusion von Springer mit Pro
Sieben/Sat 1 durchgeführt werden kann.
Ich bin noch wegen eines anderen Punkts alarmiert.
Wenn der für Medienpolitik zuständige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, zu erkennen gibt,
er könne sich eine solche Fusion vorstellen, dann wird
die Sache noch dramatischer. Denn das zeigt, dass es in
der großen Koalition maßgebliche politische Akteure
gibt, die eine solche Fusion wollen. Ich halte sie für
falsch und auch für gefährlich und keineswegs für förderlich für den Medienstandort Deutschland.
({2})
Die Sache wird noch dramatischer, da die Intendanten
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - Herr Schächter
für das ZDF - erkennen lassen, eine solche Fusion mache Sinn; denn dies sei besser, als wenn ein ausländischer Investor in Deutschland an diesen Standort käme.
Ich will Ihnen dazu sagen: Dieses Bild von Marktwirtschaft leuchtet mir überhaupt nicht ein. Wir haben große
Sorgen um die Binnenkonjunktur. Wir sind ein Land, das
wie kein anderes auf dieser Welt vom Export und von offenen Märkten in anderen Ländern profitiert. Trotzdem
wollen wir ausländischen Investoren den Zugang zum
deutschen Markt verwehren. Das passt nicht zusammen
und das funktioniert auch nicht am Ende des Tages. Mir
macht es Sorgen, wenn man versucht, mit der Suche
nach nationalen Champions hier voranzukommen, womit ich wieder bei Eon und Ruhrgas bin.
Gestern hat der Deutsche Mieterbund die Verbraucherinnen und Verbraucher darauf hingewiesen, dass die
Mietnebenkosten gerade im Bereich Energie bzw. Gas
enorm zugenommen haben. Ein Grund für diese Zunahme ist die allgemeine Steigerung der Energiepreise.
Aber ein wesentlicher Grund ist die Marktmacht im
deutschen Energiesektor. Die vier größten Unternehmen
haben 90 Prozent der Produktion und 70 Prozent des Absatzes im Energiesektor unter ihren Fittichen. Herr Kollege Lafontaine hat darauf hingewiesen, dass sie mit dieser Marktmacht unheimlich hohe Umsatzrenditen
erwirtschaften wollen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher erleben die Folgen dann in ihrer Mietnebenkostenabrechnung.
Nun stellt sich Herr Böge gleichsam wie David gegen
Goliath hin und sagt für das Kartellamt: Okay, wir haben
die Schlacht um die Fusion verloren; aber wir erschweren es Eon und Ruhrgas, die Preise zu erhöhen. - Dies
geschieht zum Beispiel dadurch, dass man über langfristige Lieferverträge den Wettbewerb noch weiter außer
Kraft setzt.
Ich hätte mir nun gewünscht, dass Bundeswirtschaftsminister Glos - er hatte dazu im Rahmen des Branchentreffens der Energiewirtschaft, einmal im Jahr vom
„Handelsblatt“ veranstaltet, Gelegenheit - dem Chef des
Kartellamts, nachdem er Eon und Ruhrgas mit seiner
Untersagung das Leben schwer gemacht hat, den Rücken stärkt. Das hat der Mann nicht gemacht. Das alarmiert mich sehr.
Ich glaube nämlich, Herr Kollege Schauerte, dass es
einen Unterschied zwischen Ihren Oppositionsreden für
mehr Wettbewerb und dem Masterplan gibt, der im
Bundeswirtschaftsministerium zunächst angedacht wird.
Das trifft für den Energiesektor zu. Wir werden gerade in
diesem Frühjahr über die Liberalisierung der Gasmärkte
zu diskutieren haben. Das trifft für den Telekommunikationssektor zu. Da hat die große Koalition - Stichworte:
Breitband und weniger Wettbewerb im Bereich der Telekom - sogar schon schriftlich entsprechende Weichen
gestellt. Das trifft für meine Begriffe für die Frage zu,
wie der Börsengang der Bahn ablaufen soll. Das trifft für
die Frage zu, ob man die völlige Liberalisierung im Postbereich etwa verschiebt, wie das die Post zumindest subtil erkennen lässt. Das trifft für die Frage zu, ob wir - mit
der deutschen Präsidentschaft wird das ein Thema werden - eine stärkere Wettbewerbskontrolle auf dem EUBinnenmarkt wollen oder die Möglichkeiten der EUKommission, den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt zu
kontrollieren, weiter einschränken wollen.
In all diesen Fragen hat die große Koalition bisher die
Weichen in Richtung weniger Wettbewerb gestellt. Auch
deshalb soll unser Gesetzentwurf als eine Art Weckruf
dazu dienen, uns darauf zu besinnen, dass ein funktionierender Wettbewerb im Sinne der Verbraucher ist.
Ludwig Erhard - noch einmal - hat dazu gesagt, dass
Kartelle immer mit geringerem Wohlstand zu bezahlen
sind. Das konnten wir in der ehemaligen DDR beobachten. Das spüren zurzeit die Verbraucher, wenn sie ihre
Mietnebenkosten betrachten. Das wird man im Telekommunikationssektor spüren, wenn der geringe Wettbewerb, der uns dort gelungen ist, gleichsam wieder zerstört wird, weil man im Breitbandbereich vielen
Wettbewerbern die Möglichkeit, sicher zu investieren,
nimmt, um der Magentatruppe eine entsprechende
Marktmacht einzuräumen. Ich glaube, dass wir alle miteinander darüber nachdenken sollten, ob das die Binnenkonjunktur wirklich fördern wird. Denn das alles bedeutet Kaufkraftentzug und gleichzeitig höhere Gewinne der
Kartelle.
Nun möchte ich, Herr Brüderle, zum Abschluss einen
Dissens, den ich mit Ihnen habe, kurz ansprechen. Es
geht um die Frage der Regulierung, um die Netzagentur.
Ich persönlich finde, dass es mit der Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz und mit der Einrichtung und Stärkung der Bundesnetzagentur in einer relativ großen Koalition gelungen ist, neben dem Kartellamt eine zweite,
starke Institution zu etablieren, die für mehr Wettbewerb
sorgen wird.
({3})
Ich bin der Meinung, dass Matthias Kurth eine sehr gute
Arbeit leistet.
Man sollte sie nicht so pauschal diskreditieren, wie
Sie das gemacht haben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ist das ein Antrag auf eine Kurzintervention?
({0})
Herr Kollege Brüderle, bitte schön.
Herr Kollege Berninger, ich habe mich rechtzeitig
während Ihrer Rede zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Da diese nicht möglich war, nutze ich den Weg der
Kurzintervention.
Ich halte es für einen elementaren Widerspruch, wenn
Sie einerseits sagen: „Wir wollen durch die Abschaffung
der Ministererlaubnis das Kartellamt stärken“, Sie aber
andererseits verteidigen, dass es in Wettbewerbsfragen
unterschiedliche Instanzen nebeneinander gibt. Das hat
gar nichts mit der Arbeit des Herrn Kurth zu tun. Ich
respektiere diesen Mann. Aber es ist vom Prinzip her
falsch, in Wettbewerbsfragen für Teilmärkte Sonderbehörden einzurichten.
({0})
Die Logik verlangt - dann wäre Ihr Gesetzentwurf
viel glaubwürdiger - ein starkes und unabhängiges Kartellamt. Sie wollen ja sogar so weit gehen, dass Sie keine
Gemeinwohlaspekte vorsehen. Aber Sie verteidigen,
dass bei der Eisenbahn, der Energie, der Telekommunikation Sonderregelungen geschaffen wurden. Sie haben
dort sogar das Einzelweisungsrecht zugunsten eines
Unternehmens mitgetragen. Das ist ja der eklatanteste
Verstoß gegen Wettbewerbsregeln, den es je nach dem
Krieg in Deutschland gab. Das macht die Sache nicht
glaubwürdig.
Ich will Ihnen noch eines sagen: Sie vertreten ja die
These, dass die Abschaffung der Ministererlaubnis das
Kartellamt und den Gedanken des Wettbewerbs stärkt.
Sie werden erleben, dass genau das, was Sie mitgetragen
haben, nämlich Sonderbehörden für einzelne Märkte zu
schaffen, dann noch zunehmen wird und dass die Gefahr
der Politisierung und der Besetzung von Führungspositionen des Kartellamts aufgrund von politischen Gesichtspunkten ungleich höher im Vergleich dazu werden
wird, als wenn Sie als einen letzten „escape“ ein Instrument haben, mit dem Gemeinwohlaspekte und andere
übergeordnete Aspekte miteinbezogen werden können.
Das ist der bessere Weg, als eine weitere Zersplitterung
und Aushöhlung des Kartellamts durch Sonderbehörden
und durch eine weitergehende Politisierung bei der Auswahl von Entscheidungsträgern zu betreiben. Es gibt
viele, die parteipolitisch verdienstvoll sind und die als
Kandidaten für entsprechende Posten infrage kommen.
({1})
Herr Kollege Berninger, zur Erwiderung, bitte schön.
Herr Kollege Brüderle, zunächst einmal möchte ich
darauf hinweisen, dass die Grundstruktur der Netzagentur im Zuge der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes von der FDP federführend vorangetrieben
worden ist. Das war in der fern zurückliegenden Zeit, als
Sie noch die Wirtschaftsminister in diesem Land gestellt
haben. Ich glaube, dass es eine Reihe von netzgebundenen Industrien gibt, die als Monopole oder Oligopole organisiert sind. Diese netzgebundenen Industrien lassen
sich nach meinem Dafürhalten nur in eine Marktwirtschaft überführen, wenn man für die Details solche
Schiedsrichter hat, wie Matthias Kurth einer ist. Ich
glaube, dass das Kartellamt damit überfordert wäre, die
Zugangsregelungen bei Gas im Detail auszuhandeln, im
Detail auszuhandeln, wie der Strommarkt funktionieren
soll, oder im Detail die Wettbewerbsregeln bei der Bahn
auszuhandeln. Die Netzagentur - sie hat im Telekommunikationsbereich eine Reihe von für unterschiedliche
Unternehmen unangenehmen Entscheidungen gefällt wird dagegen eine wichtige Rolle zu spielen haben.
Insofern glaube ich, dass es in Bezug auf den Wettbewerb eine vernünftige Position ist, das Kartellamt dadurch zu stärken, dass die Ministererlaubnis, die ja ein
Druckmittel ist, wegfällt. Es gibt als Kontrollinstanz die
Gerichte; man kann beispielsweise eine Entscheidung
vor Gericht anfechten. Darüber hinaus ist es nötig, dass
wir mit der Netzagentur eine Instanz haben, die die netzgebundenen Industrien auf dem Weg zu mehr Wettbewerb, auf dem Weg in die Marktwirtschaft hilfreich unterstützt, sprich: denen auf die Füße tritt, wenn sie bei
Details nicht vorankommen.
Dass die Gaswirtschaft es innerhalb von fünf Monaten nicht geschafft hat, das, was das Parlament mit großer Mehrheit beschlossen hat, mehr Wettbewerb auf dem
Gassektor, in eine vernünftige, praktikable Form zu
überführen, dass sie nach fünf Monaten sagt: „Tut uns
Leid; haben wir nicht geschafft“, ist ein weiterer Beleg
dafür, wie nötig diese Netzagentur ist.
In der Tat würde ich Ihnen darin zustimmen, dass die
neue Bundesregierung bei der Suche nach einem Nachfolger für Herrn Kurth - sollte er denn wechseln - natürlich eine hohe Verantwortung hat. Wir brauchen Personen wie Herrn Kurth und Herrn Böge, die das Kreuz
haben, gegen breiten Widerstand und teilweise gegen
den Widerstand der veröffentlichten Meinung für Wettbewerb einzustehen. Diese Verantwortung kann man
aber keiner Regierung abnehmen. Vielmehr müssen sich
der jeweilige Minister und das Kabinett dieser Aufgabe
mit Vernunft stellen. Ohne diese Personen - das stimmt
mich optimistisch - würde es aber jede Regierung sehr
schwer haben.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Rupprecht von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Lafontaine, Sie haben ja auf dem Parteitag der Linken mit großer Leidenschaft die Initiative zur Abschaffung der Ministererlaubnis angekündigt. Sie haben weiter gesagt: Die Ministererlaubnis zu verbieten, das wird
ein wirkliches Vergnügen. Gemessen daran war Ihre
Rede heute erstaunlich sachlich. Unsere Aufgabe ist es,
gute und sachliche Politik zu machen und nicht Bewährtes abzuschaffen, weil das für einen ein Vergnügen oder
ein Jux wäre. Der vorliegende Antrag der Fraktion der
Linken ist erstens in der Argumentation unlogisch; er ist
zweitens zutiefst undemokratisch und drittens dreschen
Sie nach außen auf die Ministererlaubnis ein, meinen in
Wirklichkeit aber Springer.
Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen, der
gestern noch kurzfristig - und, wie ich glaube, halbherzig - mit ähnlicher Zielrichtung nachgeschoben wurde,
ist in der Sache ebenso unvernünftig. Sie haben letztendlich einen Trittbrettfahrerantrag eingereicht, weil Sie als
Opposition wahrgenommen werden wollen und wissen,
dass das Thema in den nächsten Wochen sehr intensiv
behandelt werden wird. Sie wollten zudem Lafontaine
nicht allein die Show abziehen lassen. Der Gesetzentwurf ist unglaubwürdig: Dieselben Personen, die noch
vor wenigen Wochen als Kabinettsmitglieder die Ministererlaubnis verteidigt haben, wollen sie nach wenigen
Wochen in der Opposition streichen und abschaffen.
Es gibt eine klare und bewährte Aufgabenteilung:
Das Bundeskartellamt auf der einen Seite prüft streng
Albert Rupprecht ({0})
und mit hoher fachlicher Kompetenz ausschließlich die
wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen einer Fusion.
Der Wirtschaftsminister auf der anderen Seite prüft hingegen, wenn ein Antrag eingereicht wird, das übergeordnete, allgemeine Interesse an einer Fusion. Wir, die demokratisch gewählten Vertreter des Volkes, haben die
Aufgabe, diese Entscheidung hier im Parlament zu debattieren und die Regierung zu kontrollieren. Ich verstehe beim besten Willen nicht, wieso Sie dieses demokratische Verfahren abschaffen wollen. Wer soll denn
dann prüfen, ob das Interesse der Allgemeinheit, das Gemeinwohl gewahrt wird?
({1})
Soll dies in Zukunft eine außen stehende Kommission
machen? Nicht eine Kommission hat letzten Endes über
Verlust und Sicherheit von Arbeitsplätzen, über die wirtschaftliche Gefährdung einer ganzen Region zu entscheiden, sondern wir, die gewählten Vertreter des Volkes, und die von uns getragene, aber auch kontrollierte
Regierung.
Die Ministererlaubnis hat sich bewährt. Das Verfahren wurde 1973 eingeführt und seither nur in absoluten
Ausnahmefällen angewandt. In diesen 33 Jahren gab es
Tausende Fusionen, aber nur 18 Anträge auf eine Ministererlaubnis, von denen lediglich sieben genehmigt wurden. Das heißt, dass im Schnitt alle fünf Jahre eine
Genehmigung erteilt wurde und diese oft nur mit erheblichen Auflagen. Das Prüfverfahren ist zudem transparent und ordentlich. Eine Erlaubnis muss ausführlich begründet werden. Nicht zuletzt - wie es sich in einem
Rechtsstaat gehört - kann gegen das Ergebnis auch geklagt werden.
Jetzt kommen wir zum eigentlichen Kern der Angelegenheit. Ich glaube, der Linken geht es in Wirklichkeit
gar nicht um die Ministererlaubnis, sondern um
Springer. Die wettbewerbsrechtliche Diskussion über
das Für und Wider der Fusion von Springer und Sat 1 ist
die eine Frage. Das Bundeskartellamt prüft hier mit hoher fachlicher Kompetenz. Das Ergebnis werden wir
voraussichtlich nächste Woche erfahren. Wer die Diskussion verfolgt hat, hat gesehen, welch starke Stellung
das Kartellamt hierbei einnimmt. Ich glaube, mehr müssen wir heute an dieser Stelle zu diesem Sachverhalt
nicht sagen.
Eine völlig andere Frage ist aber, ob das demokratische Verfahren der Ministererlaubnis beibehalten werden soll oder nicht. Frau Jochimsen von der Linken
schrieb am 2. Januar in der Zeitung „Neues Deutschland“ sinngemäß, das Instrument der Ministererlaubnis
müsse jetzt abgeschafft werden, weil es sein könne, dass
die Fusion von Springer und Sat 1 durch eine Ministererlaubnis genehmigt werde. Sehr geehrte Damen und Herren, was ist das für eine Logik? Das ist, als wollten Sie
alle Autos verbieten, weil Ihnen das Reiseziel nicht gefällt. Die Argumentation ist in sich unlogisch, schlichtweg irrational und vor allem zutiefst ideologisch. Der
wahre Kern ist, dass Sie über die Phase „Enteignet
Springer“ immer noch nicht hinausgekommen sind.
({2})
Aufwachen! Wir leben nicht mehr im Jahr 1968. Wir leben im Jahr 2006.
Wir von der CSU und der CDU verstehen uns ganz
eindeutig in der Tradition von Ludwig Erhard. Die soziale Marktwirtschaft lebt von einem funktionierenden
Wettbewerb, der die Bürger schützt und den Wohlstand
mehrt. Deswegen haben wir, die Unionsfraktion, uns insbesondere in der letzten Wahlperiode bei der Novelle des
GWB intensiv engagiert und darauf gedrängt, dass die
Lücken geschlossen werden.
Deswegen haben wir die Liberalisierung im Bereich
Strom und Energie während der Ära Kohl ins Leben gerufen und in den vergangenen Jahren nachhaltig forciert.
Es ist keine Frage, dass beispielsweise auf dem Energiemarkt noch erheblich nachgebessert werden muss. Sie
werden sehen, dass Wirtschaftsminister Glos das tun
wird. Er wird sich als wahrer Enkel von Ludwig Erhard
in den Geschichtsbüchern verewigen.
({3})
Sie wissen ja, Ludwig Erhard war Franke. Michael Glos
ist auch Franke. Die Franken saugen die soziale Marktwirtschaft sozusagen schon mit der Muttermilch oder
mit Frankenwein in sich auf.
({4})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Instrument
der Ministererlaubnis hat sich bewährt. Es ist zudem ein
zutiefst politisch-demokratisches Instrument. Ihr Antrag
zielt in eine andere, in eine falsche Richtung. Sie wollen
demokratische Instrumente durch Kommissionen ersetzen. Ihr Antrag ist letztlich zutiefst ideologisch motiviert. Sie träumen noch heute von der Zeit der außerparlamentarischen Opposition. Sehr geehrte Damen und
Herren der Linken, Sie sind in diesem Parlament geistig
noch nicht angekommen.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg Tauss von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wusste gar nicht, dass Ludwig Erhard in Prichsenstadt
bei Schweinfurt Verwandte hatte. Aber man lernt ja nicht
aus.
Wir unterhalten uns natürlich in der Tat heute ein
Stück weit über die Fusion von Springer mit Pro Sieben
und Sat.1. Völlig ungeachtet des populistischen und
inhaltsleeren Charakters des Antrags der PDS ist es natürlich schon ein medienpolitisches und wettbewerbsrechtliches Thema, das jenseits von Ideologie angesiedelt werden kann.
Lieber Kollege Brüderle, bei Ihnen wundere ich mich
immer. Ich meine, das ist bei euch Liberalen so: Jeder
kann jeden Tag etwas Neues erzählen; das kennzeichnet
die Liberalität, aber nicht unbedingt die politische Seriosität. Sie waren übrigens derjenige, der zu Ihrer Regierungszeit die Regulierungsbehörde eingeführt hat. Zu
der Zeit gab es, wenn ich mich recht erinnere, einen
FDP-Wirtschaftsminister. Sie haben sie über Jahre hinweg vehement verteidigt.
({0})
Ich finde, es war eine gute Entscheidung. Die Regulierungsbehörde leistet gute Arbeit. Also tun Sie heute
nicht ganz so ablehnend.
Herr Kollege Berninger - ich will noch einmal auf Sie
zurückkommen - hat Recht: In Wahrheit geht es heute
um die Fusion von Springer mit Pro Sieben und Sat.1.
Hierzu wurden von Ihnen, lieber Kollege Berninger, einige Unterstellungen gemacht. Von dem, was von links
gekommen ist, möchte ich gar nicht sprechen.
Zu dem, was Kurt Beck gesagt hat, möchte ich erwidern: Es ist nicht wahr, dass hier irgendetwas vorbereitet
wäre. Ich habe übrigens nicht mit Jürgen Peters telefoniert. Ich habe, um mich hier zu vergewissern, mit der
Staatskanzlei in Mainz telefoniert - lieber Kollege
Brüderle, das müsste Ihnen doch nahe liegen -, von der
auch noch einmal bekräftigt worden ist, dass das Verfahren abgewartet werden muss. Wir sind in einem laufenden Verfahren. Wir haben dieses Verfahren noch nicht
abgeschlossen. Das ist die Logik des Vorgangs.
In der Sache ist sich die SPD völlig einig. Wir müssen
mit dem Koalitionspartner darüber sprechen. Wir halten
eine Ministererlaubnis, so wie sie angekündigt worden
ist, für nicht ganz unproblematisch. Das werden wir in
aller Freundschaft in der Koalition austragen. Aber in
der Tat, im Moment sind wir gar nicht die Handelnden.
Handelnder ist das Kartellamt, das jetzt zu prüfen hat, ob
eine Meinungsmacht im Medienbereich entsteht und ob
Meinungsvielfalt beeinträchtigt wird. Wir Medienpolitiker in der SPD haben klar gesagt: Wir sehen diese Gefahr.
Aus diesem Grunde sehen wir es auch als relativ problematisch an, dass ein Teil der Länder nun eine Diskussion darüber beginnt, die Entscheidung der KEK aufzuheben. Ich glaube, die KEK - die Kommission zur
Wahrung der Medienvielfalt und zur Verhinderung von
Konzentrationsprozessen im Medienbereich - hat hier
eine sehr gute, interessante und abgewogene Stellungnahme abgegeben. Ich würde es bedauern, wenn dies
jetzt in einem landespolitischen Hickhack möglicherweise unterginge.
Das Problem der Medien, das Sie berechtigterweise
angesprochen haben, lieber Kollege Berninger, wird mit
Ihrem Antrag nicht gelöst. Wir werden uns wahrscheinlich im Bundestag im Laufe der nächsten Jahre darüber
unterhalten müssen, ob wir insgesamt ein völlig neues
Medienkonzentrationsrecht brauchen. Das geht bis hin
zu den Fragen der Pressefusion, für die es in der letzten
Legislaturperiode keine Zeit mehr gab. Darüber müssen
wir übrigens auch im europäischen Bereich reden. Wir
haben eine europäische Regelung. Aber ob die im Zusammenhang mit der Übernahme von Fernsehen durch
Pressehäuser, wie es hier beabsichtigt ist, noch reicht, ist
zweifelhaft. Das ist medienpolitisch höchst problematisch.
Die Vorschläge der Linkspartei und der Grünen stellen allerdings keine Lösung dieses Problems dar. Das,
was Sie vorschlagen, würde dazu führen, dass wir das
Interesse der Allgemeinheit - Kollege Rupprecht hat
darauf hingewiesen - nicht mehr vertreten könnten. Das
ist der Kern dessen, was Sie angreifen.
Kollege Brüderle, da Sie mich auf meine Vergangenheit bei der IG Metall angesprochen haben, sage ich Ihnen: Ich brauche mich für keine Stunde zu schämen, in
der ich - zum Teil gegen Ihre Klientel - die Arbeitnehmerinteressen in diesem Lande vertreten habe. Ich bedaure keine Stunde, in der ich mich dafür eingesetzt
habe.
({1})
Als es in Baden-Württemberg beispielsweise zu einer
Krise der Maschinenbauindustrie gekommen war und
das Kartellamt Fusionen untersagte, standen übrigens
auch liberale Abgeordnete bei uns auf der Matte. Es
wurde demonstriert, die Beschäftigten und der gesamte
Mittelstand sind aufgestanden und haben gesagt: Wenn
diese Fusion verhindert wird, gehen in einem bedeutenden Konzern der Maschinenbauindustrie Tausende von
Arbeitsplätzen verloren.
Damals haben wir gemeinsam eine Ministererlaubnis
gefordert. Aber Herr Kollege Maurer - jetzt ist er nicht
mehr da - erinnert sich wenig an das, was in der Vergangenheit in Baden-Württemberg geschehen ist, und an
seine eigene politische Vergangenheit schon gar nicht.
Das ist die Heuchelei, die ich Ihnen vorwerfe: Damals
haben Sie eine Ministererlaubnis gefordert und heute tun
Sie so, als sei die Ministererlaubnis von Übel. Das disqualifiziert Ihren Gesetzentwurf in einer Form, dass man
ihn nicht näher betrachten muss.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns mit
der Frage der Medienvielfalt beschäftigen. Wir werden
das Verfahren abwarten und im Falle eines ablehnenden
Bescheids des Kartellamtes, den wir erwarten - als Sozialdemokrat sage ich: wir erhoffen ihn uns auch - sehr
sorgfältig überlegen, wie in Zukunft zu verfahren ist.
Darüber werden wir dann diskutieren müssen. Diese
Frage ist in der gesamten Koalition zu klären und nicht
nur in einem Ministerbüro. Das ist selbstverständlich;
denn wir sind eine Koalition. Wir werden die Medienvielfalt, die Pressefreiheit und die Meinungsvielfalt
hochhalten. Von diesem Vorhaben und von nichts anderem lassen wir uns leiten, schon gar nicht von irgendwelchen ablenkenden Scheingesetzentwürfen.
Ich bedanke mich.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Oskar Lafontaine das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
mehrfach angesprochen worden. Zunächst möchte ich
dem Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion entgegnen,
der das Wort „Vergnügen“ zitiert hat. Das Wort „Vergnügen“ war nicht auf den Sachverhalt selbst gemünzt, sondern auf meine Aussage, dass ich mit Spannung erwarte,
wie sich die Parteien der Marktwirtschaft zu diesem
Sachverhalt äußern werden. Denn das bereitet Vergnügen. Das wollte ich nur erläutern.
Zum Zweiten. Wenn ein Minister in der jetzigen
marktwirtschaftlichen Situation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland befindet, das Recht erhalten soll,
Fusionen zu untersagen, ist das kein Rückfall in die
DDR-Wirtschaft. Er kann ja nur den Zusammenschluss
untersagen, den das Kartellamt zuvor genehmigt hat; so
steht es im Gesetzentwurf. Die Schlussfolgerung einiger
Redner, dass dies ein Rückfall in die Staatswirtschaft sei,
kann ich logisch nicht nachvollziehen. Aber vielleicht
argumentieren wir ja mit einer unterschiedlichen Logik.
({0})
Nun zum persönlichen Teil. Mehrfach wurde darauf
hingewiesen, dass ich in der Zeit, in der ich nicht dem
Parlament angehörte und kein Regierungsamt hatte, einen Kolumnistenvertrag im Hause Springer hatte. Daran
könne man, so ein Vertreter der SPD, meine Unglaubwürdigkeit erkennen
({1})
- ein besonders qualifizierter Abgeordneter der SPD
klatscht gerade sehr laut -;
({2})
denn jemand, der von einem Verlag ein Honorar empfangen hat,
({3})
dürfe sich nicht mehr zum Thema Medienkonzentration
äußern.
Um die Kollegen von der SPD-Fraktion aufzuklären
- aus Zeitgründen kann ich nicht die ganze Latte der
SPD-Mitglieder aufzählen, die früher Honorare vom
Springer-Verlag bekommen haben -, erwähne ich nur
meinen Ziehvater, Willy Brandt, der dort Teile seiner
Biografie veröffentlicht hat.
({4})
Vielleicht kapiert sogar Herr Tauss, dass man Herrn
Brandt deshalb nicht hätte verbieten können, sich zum
Thema Medienkonzentration zu äußern. Sie sollten sich
lieber etwas mäßigen bzw. sich etwas mehr in Scham zurückhalten, Herr Tauss.
({5})
Ich glaube, niemand ist so direkt angesprochen worden, dass ich das Wort zur Erwiderung erteilen muss.
Aber wenn sich Herr Tauss aufgefordert fühlt, bitte
schön.
({0})
- Gut.
({1})
Dann kommen wir zum nächsten Redner, dem Kollegen Martin Zeil von der FDP-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Ministererlaubnis ist in der Tat ein starker Eingriff in
die Entscheidung der unabhängigen Hüter des Wettbewerbs. Deshalb hat sie nach dem Gesetzeszweck aus gutem Grunde auch absoluten Ausnahmecharakter.
Seit der Entscheidung über die Fusion von Eon und
Ruhrgas unter Rot-Grün, aber auch angesichts der aktuellen Debatte über Pro Sieben/Sat.1 stellt sich verstärkt
die Frage nach dem richtigen Gebrauch der Ministererlaubnis. Eines ist ja festzustellen: In beiden Bereichen
- Energiewirtschaft und Medien - haben wir in Deutschland eindeutig zu wenig Wettbewerb und nicht zu viel.
({0})
Gerade das Beispiel Eon Ruhrgas zeigt zudem: Die
damalige und auch die jüngste Haltung des Kartellamts
bezüglich der marktbeherrschenden Stellung bei Gas
und Strom ist richtig und die damalige Ministererlaubnis
war ein Fehler. Wettbewerb war in der damaligen Regierung offenbar nur eine Frage, wann wer auf welchen
Posten bei den verfahrensbeteiligten Unternehmen
wechselt.
({1})
- Herr Kollege Stiegler, auch Sie sollten erst denken und
dann reden. Sonst gibt es wieder eine Fehlleitung bei Ihren Gedankenblitzen.
({2})
Es wäre gut gewesen, wenn die Grünen schon damals
in der Regierung so kritisch gewesen wären, wie sie es
jetzt bei ihrem Gesetzentwurf sind. Herr Kollege
Berninger, es kommt nicht auf die Anzahl der Minister738
erlaubnisse an, sondern darauf, ob eine solche falsch war
oder richtig.
({3})
Wir brauchen dringend eine Stärkung des Bundeskartellamts als unabhängiger Instanz und keine Schwächung, wie sie es wäre, wenn wir dem Vorschlag der
Fraktion der Linken folgen würden.
({4})
Auf die inneren Widersprüche dieses Vorschlags ist ja
schon eingegangen worden. Eine Parallelprüfung im
Ministerium würde zusätzliche Kosten bedeuten. Die
Folge wäre noch mehr Bürokratie, also genau das Gegenteil von dem, was wir zur wirtschaftlichen Belebung
brauchen.
Wettbewerbspolitik ist das ordnungspolitische Herzstück einer Politik der sozialen Marktwirtschaft. Davon
ist bei der neuen Koalition aus unserer Sicht noch viel zu
wenig zu spüren. Sie will vielmehr das Sündenregister
der Vorgängerregierung auf diesem Gebiet - von Eon
Ruhrgas über die Verlängerung des Briefmonopols bis
zum Verzicht auf die Trennung von Netz und Betrieb bei
der Bahn - offenbar noch verlängern, indem sie die Telekom beim Breitbandnetz vor Wettbewerb schützen will.
Wir halten dies für das Gegenteil von Wettbewerbspolitik. Es ist auch das Gegenteil von Marktwirtschaft.
({5})
Nun haben einige Kollegen viel über Ludwig Erhard
gesprochen. Ein Kollege von der CSU hat auch schon
die Enkel von Ludwig Erhard genannt. Herr Stoiber
wollte auch auf diesem Stuhl Platz nehmen. Zum Glück
ist ihm rechtzeitig eingefallen, dass er einem Vergleich
nicht standgehalten hätte.
({6})
Wer ausgerechnet vor einer Entscheidung des Kartellamtes mit der Ministererlaubnis winkt, wie dies Herr Glos
und Herr Stoiber in diesen Tagen getan haben, begeht
nicht nur eine ordnungspolitische Sünde ersten Ranges,
sondern er schwächt die unabhängigen Hüter des Wettbewerbs.
({7})
Nun ist Herrn Glos das Ministeramt ja im Zuge der
Selbstfindung seines Parteivorsitzenden auch zu seiner
eigenen Überraschung zugefallen. Aber er ist nun das
ordnungspolitische Gewissen dieser Regierung und ich
erwarte von ihm, dass er auch entsprechend agiert und
nicht so defensiv wie bei den aktuellen Auseinandersetzungen um die richtige Energiepolitik und die drohende
Zweckentfremdung der ERP-Mittel.
Wir Liberale glauben an das Gute im Menschen.
({8})
Wir glauben deshalb auch, dass sich die ordnungspolitischen Kräfte des Ministers Glos noch entfesseln lassen.
({9})
Hier hätte er die Chance, dem Erbe eines Ludwig
Erhard, aber auch eines Graf Lambsdorff wirklich gerecht zu werden.
({10})
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Wir müssen in
Deutschland, aber auch in Europa wieder stärker der
Kraft des Wettbewerbs vertrauen. So können wir mehr
für Arbeitsplätze und Versorgungssicherheit tun, als dies
ein kurzatmiges Konjunkturprogramm jemals vermag.
Herzlichen Dank.
({11})
Kollege Martin Zeil, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag im Namen des Hauses sehr herzlich.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs von
der CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
ich eben Oskar Lafontaine zugehört habe, bin ich fast
vom Glauben abgefallen. Ausgerechnet er spricht von
Pressefreiheit! Er hat in meinen Augen nun wirklich
nicht das Recht, sich zu diesem Thema so zu äußern. Ich
zitiere aus einem Artikel der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, der zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2005 erschienen ist:
Als Reaktion auf die Berichterstattung einiger Journalisten über sein privates Verhalten ({0}) setzte
der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar
Lafontaine, 1994 eine Änderung des Pressegesetzes
für das Saarland durch, das restriktivste Landespressegesetz der Republik, um Kritik an seiner Regierung zu unterbinden.
Ich denke, Sie haben nicht das Recht, in diesem Hohen Hause über Pressefreiheit zu sprechen, wenn Sie so
mit der Presse umgehen, wie Sie es getan haben.
({1})
Ich kann natürlich verstehen, dass Sie verärgert sind und
Wut haben. Als Sie im Jahr 2000 versucht haben, Mitglied im Aufsichtsrat der „Saarbrücker Zeitung“ zu werden, hat Dieter von Holtzbrinck geantwortet, einen
Lafontaine, der mit der Pressefreiheit so umgehe, könne
man in einem solchen Gremium nicht gebrauchen.
({2})
Herr Kollege Fuchs, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lafontaine?
Die kann er gerne stellen.
Bitte schön.
Herr Kollege Fuchs, wissen Sie, dass der einzige Regelungsgehalt des Gesetzes, das Sie erwähnt haben, das
Gegendarstellungsrecht war mit der Maßgabe, dass die
Gegendarstellung an der Stelle erscheinen muss, an der
der Artikel, auf den sie sich bezieht, erschienen ist?
Wenn Sie das als Eingriff in die Pressefreiheit werten,
haben Sie übersehen, dass das mittlerweile in der Bundesrepublik allgemein geltendes Recht ist. Darüber will
ich Sie nur aufklären.
({0})
Das ist nicht der Fall. Der Ministerpräsident des Saarlandes Müller hat 1999 kurz nach seiner Regierungsübernahme diesen Passus aus dem Landespressegesetz
gestrichen; das sollten Sie wissen. Ein CDU-Ministerpräsident hält etwas von Pressefreiheit, die bei Ihnen
nicht großgeschrieben wird.
({0})
Lassen Sie mich zum Thema Ministererlaubnis zurückkommen. Ich halte den Umgang der verschiedenen
Regierungen mit der Ministererlaubnis für sehr vernünftig und sehr restriktiv. Das Bundeskartellamt hat in
159 Fällen Zusammenschlüsse untersagt. In nur sieben
Fällen wurde die Entscheidung mit einer Ministererlaubnis aufgehoben. Das entspricht noch nicht einmal einem
Fall pro Legislaturperiode. Eine Ministererlaubnis
wurde durchschnittlich also bei jedem 23. Fall ausgesprochen. Das zeigt, dass alle Wirtschaftsminister seit
1973 mit diesem Instrument sehr vorsichtig umgegangen
sind.
({1})
Der Kollege Schauerte hat eben erwähnt, dass es nur
in einem Fall ein gewisses Geschmäckle, wie man in Baden sagt, gegeben hat, nämlich als die handelnden Personen anschließend in das betreffende Unternehmen gewechselt sind. Das sollte man nicht machen. Wir haben
auch in anderen Zusammenhängen erlebt - das hängt alles mit Gas zusammen -, dass in dem einen oder anderen
Fall Personen in solche Unternehmen gewechselt sind
bzw. wechseln.
({2})
Grundsätzlich ist die Ministererlaubnis ein wichtiges
Instrument; denn es kann natürlich Situationen geben
- darüber sind wir uns im Klaren; Kollege Lange hatte
das eben erwähnt -, in denen es aus übergeordneten
Gründen erforderlich sein mag, dass man von der Beurteilung des Kartellamtes abweicht.
Das Bundeskartellamt prüft in seiner Arbeit ausschließlich nach wettbewerbsrechtlichen Gedanken und
hat nicht die Gesamtlage in seine Überlegungen einzubeziehen. Das halte ich auch für richtig. Das Kartellamt ist
ja nur deswegen unabhängig, weil die übergeordneten
Gedanken durch das Kartellamt nicht geprüft werden.
Würden sie mit geprüft, dann würde der politische
Druck durch uns alle auf das Kartellamt wahrscheinlich
viel zu hoch werden. Deswegen halte ich die jetzige Regelung für sinnvoll. Es ist nötig, dass das Kartellamt alle
Verfahren so unabhängig wie irgend möglich prüft.
Die Erteilung einer Ministererlaubnis wird von der
Öffentlichkeit sehr genau beobachtet und durch die
Presse begleitet. Herr Lafontaine hat hier Gott sei Dank
nichts zu sagen, sodass er das nicht verhindern kann.
Meine Damen und Herren, ich finde, die Legitimation
der Ministererlaubnis ist auch deswegen richtig, weil sie
einer gerichtlichen Überprüfung standhalten muss. Der
Minister wird sich schon hüten, vor Gericht eine Niederlage zu erleiden. Ich halte das für richtig.
Verehrter Herr Berninger, die Fraktion der Grünen
verlangt nun die Abschaffung der Ministererlaubnis. Da
frage ich mich nur: Wie weltfremd sind Sie eigentlich?
Im Zuge der 7. GWB-Novelle im letzten Jahr wollte Ihre
Regierung den Rechtsschutz gegen die Ministererlaubnis
eingrenzen. Nun sitzen Sie frisch in der Opposition und
reden eine völlig andere Sprache. Hätten Sie Ihrem Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement damals gesagt, dass er bei dem Verfahren Eon und Ruhrgas etwas
anders hätte vorgehen können, und hätten Sie die Inhalte
etwas mehr kritisiert, dann wäre das sicherlich richtig
gewesen.
Herr Kollege Fuchs, der Kollege Berninger hat sich
zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen. Er
kann sie gleich stellen.
Es war immerhin Ihr damaliger Außenminister
Fischer, der die finnische Regierung in Helsinki unter
Druck setzte, damit der letzte übrig gebliebene Kläger
gegen den Eon-Ruhrgas-Deal - das war die finnische
Firma Fortune - seine Beschwerde zurückzieht.
({0})
Den haben Sie heute aber auch nicht mehr so lieb. Insofern ist das ja nun auch nicht mehr so schlimm.
Herr Berninger.
Herr Kollege Fuchs, ich möchte darauf hinweisen,
dass wir zwei Legislaturperioden davor, als wir noch in
der Opposition waren, bereits die Abschaffung der Ministererlaubnis gefordert hatten. Mit unserer Wettbewerbsposition konnten wir uns in der Koalition mit der
SPD aber nicht durchsetzen. Deswegen würde mich interessieren, wie es dazu gekommen ist, dass Sie als Teil
der Koalition nun die Reichensteuer für die Union vertreten. Auch das scheint mir ja ein Teil der Kompromissfindung gewesen zu sein. Insofern wissen Sie, wie wir
uns damals bei der Fusion von Eon und Ruhrgas gefühlt
haben.
({0})
Verehrter Herr Berninger, ich darf Ihnen nur sagen,
dass Sie im Rahmen der 7. GWB-Novelle in der letzten
Legislaturperiode genau das Gegenteil von dem gefordert haben, was Sie heute fordern. Das ist ja noch eine
Qualität höher und das sollten wir nicht wegreden.
Die Fraktion der Linken verlangt nun sogar die Abschaffung der Ministererlaubnis und will dann die Bundesregierung ermächtigen, Fusionen zu verbieten. Das
nenne ich einen Abschied von der EU-Harmonisierung.
Wir kommen dann wieder zu nationalen Alleingängen.
Sie glauben, man könne die Globalisierung zurückdrehen. Für mich ist Ihre Methode sozusagen ein Morgenthau-Plan 50 Jahre später.
({0})
Sie beweisen damit nur, dass Sie von weltwirtschaftlichen Zusammenhängen überhaupt nichts verstehen. Ich
halte es für unverantwortlich, durch solche Anträge die
Ängste der Bevölkerung zu schüren, dass die Zusammenschlüsse dazu führen, dass Arbeitsplätze wegbrechen etc. Genau das versuchen Sie damit. Ich bin dagegen, dass wir den alles kontrollierenden Staat mit Ihren
Methoden schaffen.
Meiner Meinung nach sind die Ministererlaubnisse
notwendig. Aus übergeordneten Gründen müssen wir
gesamtwirtschaftlich entscheiden können. Deswegen
sollte das Instrument auch so erhalten bleiben und weiterhin so restriktiv angewendet werden, wie das alle Minister bisher getan haben. Ich bin überzeugt davon, dass
der Bundesminister für Wirtschaft dies genauso handhaben wird. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben.
({1})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Rainer Wend von der SPDFraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss
meine Rede in zwei Teile unterteilen. Zunächst werde
ich mich mit einigen wenigen polemischen Auseinandersetzungen beschäftigen. In einem zweiten Teil würde ich
gerne noch etwas zur sachlichen Substanz der Debatte
sagen.
Herr Staatssekretär Schauerte, ich nehme an, Sie haben für die Regierung gesprochen. Sie haben erklärt,
dass die Fusion von Eon und Ruhrgas nicht richtig gewesen sei. Es überrascht mich als wirtschaftspolitischem
Sprecher der SPD-Fraktion, dass sich die Bundesregierung zu diesem Sachverhalt eine solche Meinung gebildet haben soll.
Des Weiteren haben Sie erklärt, dass es nicht in Ordnung ist, dass ein Ehemaliger, der mit dem Sachverhalt
beschäftigt gewesen ist, eine führende Funktion bei diesem Unternehmen eingenommen hat. Dabei handelt es
sich um den ehemaligen Wirtschaftsminister Müller. Ich
will mit aller Deutlichkeit sagen: Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass es zu dem Zeitpunkt
der Erteilung der Ministererlaubnis irgendeine Ahnung
gegeben hat, dass der Bundeswirtschaftsminister später,
nach Ende seiner Amtszeit, bei diesem Unternehmen arbeiten würde.
Es war vielmehr so, dass er und übrigens auch wir davon ausgingen und hofften, dass er auch in der neuen Legislaturperiode Bundeswirtschaftsminister bleiben
würde. Es gibt also nicht den geringsten Anlass, in Zweifel zu ziehen, dass die Ministererlaubnis nach Recht und
Gesetz erfolgt ist und dass Herr Müller als Wirtschaftsminister dabei ordnungsgemäß gehandelt hat. Alles andere weise ich hiermit ganz deutlich zurück.
({0})
Das bezieht sich auch auf das, was der Kollege
Maurer vorgetragen hat. Er hat von politischer Korruption gesprochen und behauptet, dass der Bundeswirtschaftsminister zum Zeitpunkt der Ministererlaubnis gewusst habe, dass er später bei dem Unternehmen
arbeiten würde. Ich sage an dieser Stelle noch einmal:
Dies ist in der Sache schlichtweg unhaltbar. Sie sollten
sich einmal Folgendes klar machen: Das ist in etwa so,
Herr Kollege Maurer, als würde man Ihnen unterstellen,
Sie hätten zu dem Zeitpunkt Ihrer Mitgliedschaft in der
SPD bereits gewusst, dass Sie irgendwann einmal bei
der PDS landen würden, und man würde danach Ihr politisches Wirken in der SPD beurteilen. Das tun noch
nicht einmal wir, Herr Kollege Maurer.
Ich möchte deswegen hier im Parlament deutlich machen: Ehrenrührige Dinge über Abgeordnete oder Minister in dieser Weise zu äußern, ohne dafür den geringsten
Anhaltspunkt zu haben, ist unanständig.
({1})
Ich will mich noch kurz zur Sache einlassen. Ich
glaube, dass der Kollege Brüderle Recht hat,
({2})
wenn er betont, wie wichtig das Kartellrecht ist. Dies ist
ein Rückgrat unserer Marktwirtschaft, das wir stärken
müssen. Ich glaube auch, dass die Entscheidungen des
Kartellamtes im Wesentlichen richtig waren. Ich glaube
ebenso, dass die Entscheidung des Kartellamtes zu Eon
Ruhrgas richtig war; denn es beurteilt eine mögliche Fusion unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten.
Gleichwohl muss es eine Ministererlaubnis geben, die
aus politischen Gesichtspunkten zu einem anderen Ergebnis kommen kann.
({3})
Das war in diesem Fall gegeben.
Deswegen sage ich mit aller Klarheit: Wir brauchen
ein starkes Kartellamt für den Wettbewerb. Wir brauchen eine Ministererlaubnis, die verantwortlich genutzt
wird, um auch anderen Interessen zur Geltung zu verhelfen. Diese geltende Rechtslage ist in Ordnung. Daran
müssen wir nichts ändern.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/365 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der
Gesetzentwurf auf Drucksache 16/236 - Tagesordnungs-
punkt 4 - soll abweichend von der Tagesordnung an die-
selben Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b so-
wie Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:
16 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. Oktober 1996 zum Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen
Arbeitsorganisation über Mindestnormen auf
Handelsschiffen
- Drucksache 16/151 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 180 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 22. Oktober 1996
über die Arbeitszeit der Seeleute und die Besatzungsstärke der Schiffe
- Drucksache 16/152 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 8 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 21. Mai 2003 über die strategische
Umweltprüfung zum Übereinkommen über
die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen ({2})
- Drucksache 16/341 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Koczy, Thilo Hoppe, Undine Kurth ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für starke soziale und ökologische Standards
in der Internationalen Finanz-Corporation
({5}) der Weltbank
- Drucksache 16/374 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({6})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 d sowie
Zusatzpunkte 9 a bis 9 c auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache
vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 17 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 27. November 2003 zur
Änderung des Europol-Übereinkommens und
zur Änderung des Europol-Gesetzes
- Drucksache 16/30 ({7})
Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({8})
- Drucksache 16/251 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Frank Hofmann ({9})
Dr. Max Stadler
Wolfgang Wieland
Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/251,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Seeaufgabengesetzes
- Drucksache 16/35 ({10})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({11})
- Drucksache 16/376 Berichterstattung:
Abgeordneter Rainder Steenblock
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/376, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
14. April 2005 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der
Republik Zypern, der Republik Lettland, der
Republik Litauen, der Republik Ungarn, der
Republik Malta, der Republik Polen, der
Republik Slowenien und der Slowakischen
Republik zu dem Übereinkommen von 1980
über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und
dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des
Übereinkommens durch den Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften ({12})
- Drucksache 16/41 ({13})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({14})
- Drucksache 16/391 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Neskovic
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/391, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande
über die grenzüberschreitende polizeiliche
Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit in
strafrechtlichen Angelegenheiten
- Drucksache 16/57 ({15})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({16})
- Drucksache 16/284
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Wolfgang Gunkel
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Wolfgang Wieland
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/284, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktionen
der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
Zusatzpunkt 9 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften
Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksache 16/33 ({17})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({18})
- Drucksache 16/385 Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Dr. Ditmar Staffelt
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ulla Lötzer
Margareta Wolf ({19})
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/385, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 9 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 8. April 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Rumänien über Soziale Sicherheit
- Drucksache 16/37 ({20})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({21})
- Drucksache 16/381 Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt auf
Drucksache 16/381, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 9 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu der Zweiten Änderung des
Übereinkommens vom 25. Februar 1991 über
die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen ({22})
- Drucksache 16/43 ({23})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({24})
- Drucksache 16/388 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({25})
Dr. Matthias Miersch
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/388, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 14 vom
13. Mai 2004 zur Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten über die
Änderung des Kontrollsystems der Konvention
- Drucksache 16/42 ({26})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({27})
- Drucksache 16/390 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jerzy Montag
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Alfred
Hartenbach das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Rechtsschutzsystem der europäischen Konvention zum Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist eine der
größten und besten Errungenschaften Europas nach dem
Zweiten Weltkrieg. Rund 800 Millionen Bürgerinnen
und Bürger in 46 Europaratsstaaten sind berechtigt,
Individualbeschwerde vor dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben, wenn sie
der Auffassung sind, dass ihr Staat sie in menschenrechtswidriger Weise behandelt hat. Von diesem Rechtsbehelf machen immer mehr Menschen Gebrauch, wenngleich ungefähr 95 Prozent der Beschwerden zu Unrecht
erhoben werden. Vorläufige Zahlen ergeben, dass beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am Ende
des Jahres 2005 circa 80 000 Verfahren anhängig waren.
Das zeigt, dass 5 Prozent noch immer eine große Zahl
sind. Der Gerichtshof wird dieser Verfahrensflut nicht
mehr Herr.
Die Änderungen durch das Ihnen nun vorliegende
Protokoll Nr. 14 sollen das bestehende Rechtsschutzsystem nicht grundlegend umgestalten, sondern verbessern. Der Gerichtshof wird damit das verfahrensrechtliche Instrumentarium und die erforderliche Flexibilität
erhalten, um sich auf die Fälle konzentrieren zu können,
die eine eingehende, genaue Prüfung erfordern. Ich
möchte hervorheben, dass auch in Zukunft jede Person
mit der Behauptung, in ihren Menschenrechten verletzt
zu sein, den Gerichtshof anrufen kann. Dieses individuelle Beschwerderecht wird nicht angetastet.
Aus den vorgesehenen Änderungen zur Entlastung
des Gerichtshofs möchte ich drei Punkte herausgreifen.
Erstens. Zukünftig können Einzelrichter anstelle des
Dreierausschusses über eindeutig unzulässige Beschwerden entscheiden. Ihnen werden übrigens erfahrene Juristen der Kanzlei zur Seite gestellt.
Zweitens. Die Dreierausschüsse bleiben erhalten und
dürfen zukünftig über die Zulässigkeit und Begründetheit einer Beschwerde entscheiden, sofern das dem Fall
zugrunde liegende Problem bereits Gegenstand einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofes ist. Bislang
dürfen die Dreierausschüsse nur über die Unzulässigkeit
von Beschwerden entscheiden.
Drittens. Eine Beschwerde kann zukünftig auch dann
für unzulässig erklärt werden, wenn dem Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil entstanden ist, sofern
nicht - das ist eine wichtige Einschränkung - die Achtung der Menschenrechte eine Prüfung der Begründetheit erfordert. Vorausgesetzt wird außerdem, dass dadurch nicht eine Rechtssache zurückgewiesen wird, die
noch von keinem innerstaatlichen Gericht gebührend geprüft wurde.
Unter den Fachleuten besteht Einigkeit darüber, dass
das Protokoll Nr. 14 wichtige Änderungen bringen wird,
die helfen werden, die enorme Arbeitsbelastung des
Gerichtshofes einzudämmen. Der Gerichtshof selbst hat
in den letzten Monaten viel Elan darauf verwendet, die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, die neuen Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung unmittelbar nach
dem In-Kraft-Treten des Protokolls Nr. 14 - dieses muss
von allen 46 Europaratsstaaten nicht nur unterzeichnet,
sondern auch noch ratifiziert werden - zu nutzen. Der
Präsident des Gerichtshofes selbst schätzt den voraussichtlichen Effizienzgewinn auf 20 bis 30 Prozent. Das
wäre sicherlich ein großer Fortschritt. Aber es wird voraussichtlich nicht reichen, um das Rechtsschutzsystem
der Konvention auf lange Sicht zu konsolidieren. Auch
darüber besteht Einvernehmen.
Die Staats- und Regierungschefs haben deswegen anlässlich des dritten Gipfels des Europarates im Mai des
vergangenen Jahres in Warschau beschlossen, einen „Rat
der Weisen“ einzusetzen. Dessen Aufgabe soll sein, eine
umfassende Strategie zu entwickeln, mit der die in der
Konvention völkerrechtlich verbürgten Menschenrechte
und Grundfreiheiten auch langfristig gesichert werden
können.
Ich denke, wir in Deutschland dürfen damit zufrieden
sein, dass in diesem Rat der Weisen Frau Professor
Dr. Jutta Limbach, die langjährige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, tätig sein wird.
Wir können diesen Änderungen durch das
14. Protokoll zustimmen und darum bitten wir auch Sie,
damit wir alsbald die Ratifizierung vollziehen können.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Müller-Sönksen von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut und wichtig, dass sich der Deutsche Bundestag einmal zu einer so prominenten Zeit - es ist jetzt
sozusagen 12 Uhr mittags - mit dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte befasst. Dieser Gerichtshof wird in der letzten Zeit von einer wahren
Beschwerdeflut überschwemmt. Das zeigt, dass das Gericht von den Bürgern anerkannt und geschätzt wird, das
zeigt, dass ein Bedarf für diesen Gerichtshof besteht.
Das wird aber bei gleich bleibender oder, wie zu erwarten ist, sogar weiter zunehmender Antragstellung dazu
führen, dass der Gerichtshof in naher Zukunft kollabiert.
Ein Gerichtshof, der durch Überlastung blockiert ist,
hilft niemandem, am wenigstens dem Schutz der Menschenrechte in Europa.
Die Gewährleistung eines effektiven Menschenrechtsschutzes ist aber gerade Aufgabe des Gerichts
und es ist unsere Aufgabe, diese für das Gericht zu gewährleisten. Es muss deshalb etwas geschehen. Insofern
- da gebe ich dem Vertreter der Bundesregierung
Recht - führt das 14. Protokoll zur europäischen Menschenrechtskonvention dazu, dass sich die Zustände verbessern. Es ist ein wichtiger Schritt, den Gerichtshof und
damit eine wesentliche Stütze des europäischen Menschenrechtsschutzsystems davor zu bewahren, ineffektiv
zu werden. Dies gilt umso mehr, als das Protokoll nicht
nur Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens enthält, sondern auch weitere wichtige Regelungen, zum
Beispiel zur Durchsetzung von Urteilen gegenüber den
Mitgliedstaaten.
Das Protokoll ist jedoch nur ein Schritt in die richtige
Richtung. Die Experten, so auch der Gerichtshof selbst,
sind einhellig der Auffassung, dass die im Protokoll vorgesehenen Neuerungen nur eine vorübergehende Besserung versprechen. Eine nachhaltige Lösung für die Probleme des Gerichtshofs steht nach wie vor aus. Dabei ist
es wichtig, auch hier im Hause noch einmal zu erklären,
dass es zwei Wege gibt, die Arbeit des Gerichtshofs effizienter zu machen. Der eine Weg ist der, der jetzt durch
das Protokoll beschritten worden ist. Danach wird die
derzeitige Ausstattung des Gerichtshofes beibehalten
und allein an der Beschränkung der BeschwerdemögBurkhardt Müller-Sönksen
lichkeiten bzw. an der schnelleren und einfacheren Abweisung von Beschwerden angesetzt.
Der andere Weg wäre gewesen, auch die Ressourcen
des Gerichtshofes auszubauen und ihn mit den zur Bewältigung der gewachsenen Aufgaben notwendigen Mitteln auszustatten. Es drängt sich der Eindruck auf, dass
die Mitgliedstaaten vor einer verantwortungsvollen Balance zwischen beiden Wegen vor allem aus Gründen
der Finanzierung zurückgeschreckt sind. Das allerdings
steht im Widerspruch zur Bedeutung und Unverkäuflichkeit der Menschenrechte.
Noch weitergehende Vorschläge zur Einschränkung
der Beschwerdemöglichkeiten sind glücklicherweise
verworfen worden. Dazu gehörte etwa die Einführung
eines Annahmeverfahrens. Danach hätte auf rechtliches
Gehör kein Anspruch mehr bestanden, sondern dieses im
Ermessen des Gerichtshofs gelegen. Auch der Vorschlag
eines vorgeschalteten, nicht mit Richtern besetzten Organs zur Prüfung der Zulässigkeit von Beschwerden
wurde verworfen. Schließlich wurde auch auf den angedachten Anwaltszwang beim Gerichtshof verzichtet.
Es bleibt allerdings eine kritisch zu bewertende Einschränkung der Beschwerdemöglichkeiten durch das
Protokoll. Es ist schon erwähnt worden: Eine Beschwerde ist danach in Zukunft nicht mehr zulässig,
wenn der Betroffene keinen erheblichen Nachteil vorweisen kann. Diese Einschränkung steht im Widerspruch
zur Aufgabe des Gerichtshofs, deren Wahrnehmung ja
eigentlich verbessert werden soll. Das Individualbeschwerderecht war ein, wenn nicht sogar der Grundpfeiler der europäischen Menschenrechtskonvention. Es
gewährleistete, dass die Menschenrechte nicht nur auf
dem Papier stehen, und sicherte ihre Beachtung auch in
Einzelfällen, die nicht im Licht der Medienöffentlichkeit
stehen. Das ist das von uns Gewollte.
Es gibt glücklicherweise im Protokoll eine Schutzklausel, die hoffentlich sicherstellen kann, dass es bei
dem alten Zustand bleibt. Danach muss die Nachprüfung
einer Beschwerde auch ohne einen erheblichen Nachteil
erfolgen, wenn die Achtung der Menschenrechte dies erfordert. Eine Prüfung durch den Gerichtshof muss nach
dieser Klausel wohl auch dann erfolgen, wenn der Beschwerde ein Sachverhalt zugrunde liegt, der für eine
Vielzahl von Vorkommnissen in einem Staat repräsentativ ist. Dies ist allerspätestens der Fall, wenn der Verdacht auf ein systematisches Vorgehen in einem Staat besteht. Es darf bei den Mitgliedstaaten - das ist der
präventive Gesichtspunkt dieser Regelung - nicht der
Eindruck entstehen, dass von nun an kleinere Menschenrechtsverstöße belanglos sind. Das wäre fatal.
({0})
Die mit der Umsetzung des Protokolls - das Gesetz
zu diesem Protokoll werden wir heute ratifizieren; die
FDP ist dafür - verbundene Einschränkung der Beschwerdemöglichkeiten kann den Effekt haben, dass der
Gerichtshof tatsächlich entlastet wird. Damit würden die
Kapazitäten des Gerichtshofs zum Maßstab für die Beschwerdemöglichkeiten gemacht werden. Es ginge also
darum, nicht mehr Klagen zuzulassen, als Kapazitäten
vorhanden sind. Dann würde der Menschenrechtsschutz
in Europa aber nicht mehr nach dem Umfang der Menschenrechtsverletzungen ausgestaltet, sondern nach den
Mitteln, die die Mitgliedstaaten diesem Gericht zur Verfügung stellen.
Ich komme zum Schluss. Die FDP-Fraktion wird diesem Protokoll zustimmen. Aber wir müssen hier feststellen, dass das nur ein erster Schritt sein kann. Wir bitten
die Bundesregierung, ein entsprechendes Monitoring
vorzunehmen und uns, wie im Ausschuss besprochen,
alsbald einen Bericht vorzulegen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Steinbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass durch die Behandlung dieses
Tagesordnungspunktes im Plenum wiederum sichtbar
wird, dass es Themen gibt, bei denen große Einigkeit in
diesem Hause herrscht. In Zeiten harter politischer Auseinandersetzungen zwischen den Parteien auf vielen
Politikfeldern ist es ein sehr wichtiges Signal an unsere
Bürger, dass es auch Gemeinsamkeiten über Parteigrenzen hinweg gibt. Das Thema Menschenrechte ist in aller
Regel ein Thema, bei dem vieles gemeinsam betrachtet
und entschieden wird.
Wir beraten heute abschließend über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 14 zur 1950 in Rom
unterzeichneten europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser Titel ist typisch bürokratisch. Wir müssen
unseren Bürgern schon erklären, was das bedeutet; denn
die Menschen im Lande können mit einer solchen gesetzestechnischen Bezeichnung in aller Regel natürlich
herzlich wenig anfangen. Um es verständlich auszudrücken: Es geht um den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.
Die Katholische Nachrichten-Agentur titelte am Anfang des Jahres: „Menschenrechtsgerichtshof wird Opfer
seines Erfolges“.
Opfer des eigenen Erfolges zu werden, das wäre natürlich ein sehr hartes und sehr trauriges Schicksal, das
einer sehr erfolgreichen, weltweit einzigartigen Institution wie dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
widerfahren könnte. Natürlich wird der Europäische
Menschenrechtsgerichtshof nicht Opfer seines Erfolges.
Wir wollen alles daransetzen, dass er erfolgreich und effizient weiterarbeiten kann, um für die Menschen etwas
zu bewirken.
({0})
Allerdings stellen wir fest: Er ist zurzeit schlicht überlastet. Es ist ganz einfach Realität, dass der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte, der seinen Sitz in
Straßburg hat, bereits in den letzten Jahren die Grenzen
seiner Arbeitskapazität weit überschritten hat. Der
Menschenrechtsgerichtshof als eine Institution des Europarates ist für 800 Millionen Bürger in 46 Mitgliedstaaten zuständig. Mittlerweile sind über 80 000 Klagen anhängig, darunter mehr als 4 000 besonders wichtige
Fälle. Allein im Jahre 2005 wurden 44 000 Klagen neu
eingereicht, übrigens mehr als die Hälfte davon aus den
Ländern Osteuropas, vor allem aus Russland, aus Polen,
aus Rumänien, aber auch aus der Türkei. Dieser Andrang ist mit den derzeitigen Strukturen, mit der personellen Besetzung und den momentan geltenden Verfahrensregeln des Menschenrechtsgerichtshofs überhaupt
nicht mehr zu bewältigen. Es muss ganz einfach Abhilfe
geschaffen werden; denn die Überlastung des Gerichtshofes führt zu einer immer längeren Verfahrensdauer.
Die Menschen warten und warten und nach ihrem Gefühl tut sich nichts in einer Frage, von der sie emotional
oder existenziell betroffen sind. Das bedeutet, dass die
Opfer von Menschenrechtsverletzungen am Ende glauben, sie könnten kein Recht erhalten. Allein schon dieses
Gefühl dürfen wir nicht zulassen.
Der Schweizer Präsident des Menschenrechtsgerichthofs, Luzius Wildhaber, geht davon aus, dass die
Beschwerderate auch in Zukunft jährlich um 25 bis
30 Prozent steigen wird. Das heißt, es werden immer
neue Klagen hinzukommen. Der Gerichtshof schiebt
also eine stetig größer werdende Bugwelle von unerledigten Klagen vor sich her - ohne die Aussicht darauf,
sie in einer vertretbaren Zeit abarbeiten zu können.
Diese Zahlen verdeutlichen sehr beeindruckend - ich
meine sogar: erschreckend - die Notwendigkeit einer
Reform.
Mit dem Protokoll Nr. 14 haben die Länder des Europarates nunmehr die Reißleine gezogen. Oberste Priorität muss sein, die Effizienz des Gerichtshofs und damit
auch seine langfristige Funktionsfähigkeit deutlich zu
erhöhen. Dabei darf es aber nicht zu unvertretbaren Auswirkungen auf das Beschwerderecht der Bürger kommen.
Die jetzt vorliegenden Änderungsvorschläge sind im
Rahmen eines sehr umfassenden Dialogs der Bundesregierung mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen entstanden. Mit dieser Vorgehensweise folgte die
Bundesregierung dem Ministerkomitee des Europarats,
der die Regierungen der Mitgliedstaaten seinerzeit ausdrücklich dazu aufgefordert hatte.
Wir wollen heute von deutscher Seite aus ein Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, das die langfristige
Arbeitsfähigkeit des Gerichtshofes wiederherstellen
kann. Die wichtigsten Punkte sind zum Teil schon angesprochen worden, aber weil das für die Menschen von
wesentlicher Bedeutung ist, will ich einiges noch kurz
anreißen.
Erstmals soll es im Menschenrechtsgerichtshof Einzelrichter und nicht nur Kammern geben. Diese Einzelrichter sollen Beschwerden für unzulässig erklären können, wenn eine solche Entscheidung ohne weitere
Prüfung getroffen werden kann, wenn man das sofort
und deutlich erkennen kann. Die Entscheidung ist dann
auch endgültig. Bisher waren für Entscheidungen dieser
Art Kammern von drei Richtern zuständig, so genannte
Dreierausschüsse. Die Neuregelung entlastet die Richter
und erlaubt ihnen, sich auf Fälle zu konzentrieren, die einer umfassenden Prüfung bedürfen. Dabei werden die
Einzelrichter durch Berichterstatter unterstützt werden,
die ihnen zuarbeiten.
Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang auch die Regelung, dass keinem Einzelrichter Beschwerden zugewiesen werden dürfen, die sich gegen sein eigenes Herkunftsland richten. Das ist wohl sehr vernünftig; denn es
sichert die Unabhängigkeit des jeweiligen Richters und
vermeidet Zielkonflikte. Er kann aus seinem eigenen
Land heraus dann nicht unter Druck gesetzt werden.
Eine weitere Neuerung ist, dass zukünftig eine
Kammer von drei Richtern eine Klage für zulässig erklären kann, wenn der Inhalt der Klage bereits Gegenstand einer gefestigten Rechtsprechung gewesen ist, so
genannte Präzedenzfälle. Die Zulassung der Klage ist
dann aber auch endgültig. Bisher war die Entscheidung
über die Begründetheit einer Klage einer Kammer von
sieben Richtern vorbehalten. Auch diese Regelung entlastet und basiert auf einem deutsch-schweizerischen
Vorschlag. Sie soll die Erledigung von gleich gelagerten
Fällen erleichtern und am Ende auch beschleunigen.
Um die Zahl der Klagen einzuschränken, wurde
- neben den bereits bestehenden Zulässigkeitsvoraussetzungen wie der Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel, die auch wichtig sind, und der Beschwerdefrist von
sechs Monaten - eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eingeführt. Danach sollen Klagen dann für unzulässig erklärt werden können, wenn dem Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil entstanden ist. Da kann
man vermuten - das ist schon angedeutet worden -, dass
unter Umständen nicht ganz so verfahren wird, wie wir
uns das wünschen. Die Rahmenbedingungen, die gesetzt
worden sind, lassen zwar durchaus eine gesicherte und
faire Verfahrensweise erwarten, aber wir müssen das beobachten.
Diese Bestimmung ist gleichzeitig mit der Einschränkung versehen, dass eine Beschwerde trotz fehlender
Beschwerdebefugnis zugelassen werden kann, wenn die
Achtung der Menschenrechte eine Prüfung der Begründetheit erforderlich macht. Auch das basiert auf einem
Vorschlag von Deutschland und der Schweiz.
Neu ist schließlich auch, dass die Richter des Gerichtshofes zukünftig eine neunjährige Amtszeit ohne
die Möglichkeit der Wiederwahl haben werden. Das
erscheint mir vernünftig; denn es stärkt die Unabhängigkeit des einzelnen Richters und verhindert die unwürdige
Austragung von „Wahlkämpfen“ hinter den Kulissen,
die unweigerlich auch Auswirkungen auf das Urteilsverhalten eines Richters haben könnten - nicht müssen,
aber könnten.
Meine Damen und Herren, so richtig all diese Reformteile sind, müssen wir uns trotzdem die Frage stellen, ob sie am Ende ausreichen. Eine tragfähige Bewertung lässt sich wohl erst nach geraumer Zeit der Praxis
abgeben. Ich bin überzeugt davon, dass die jetzigen
Schritte eine wesentliche Entlastung bringen, ohne die
Qualität einzuschränken.
Neben der angegangenen Verfahrensreform wird allerdings insbesondere die Frage der Finanzierung des
Menschenrechtsgerichtshofes - auch das wurde schon
angesprochen - demnächst auf der Tagesordnung stehen
müssen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich glaube, damit sind die wesentlichen Punkte angesprochen.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich können wir es kurz machen, da sich alle einig
sind, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Experten des internationalen Rechts gehen ebenfalls davon aus, dass
diese Reform überfällig ist.
Das Hauptargument für die Reform ist das Effektivitätskriterium. Bevor ich dazu komme, möchte ich allerdings die unserer Meinung nach wichtigsten Neuerungen
unterstreichen, die es uns ermöglichen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen:
Erstens wird der Zeitraum von Verfahren höchstwahrscheinlich auf ein zumutbares Maß begrenzt.
Zweitens kann in Zukunft die Nichtbefolgung von
Urteilen förmlich festgestellt werden.
Drittens besteht nun die Möglichkeit, Auslegungsprobleme, die die Befolgung von Urteilen behindern, wiederum Sache des Gerichtshofes werden zu lassen.
Viertens und letztens wird - das ist eine wichtige Sache - die Stellung des Kommissars für Menschenrechte
mit diesem Gesetzentwurf gestärkt.
Diese deutlichen Verbesserungen lassen bei der Beantwortung der entscheidenden Frage, nämlich ob diese
Änderungen zu einer Stärkung oder eher zu einer
Schwächung des Menschenrechtsschutzes führen, keinen großen Spielraum. Es ist evident, dass der Schutz
der Menschenrechte gestärkt wird. Wie gesagt, aus diesen Gründen kann die Linke dem Gesetzentwurf zustimmen.
Allerdings gibt es in unserer Fraktion - und, wie ich
gestern im Ausschuss bemerkte, auch in anderen Fraktionen - Bedenken hinsichtlich der Abweisung von
Beschwerden durch Einzelrichter, insbesondere dann,
wenn dem Beschwerdeführer offensichtlich kein erheblicher Nachteil entstanden ist. Es gibt natürlich genügend
Argumente, um diese Zweifel zu zerstreuen. Mit Sicherheit wird die tatsächliche Rechtsprechung hier in den
nächsten Jahren für Klarheit sorgen. Trotzdem müssen
wir meines Erachtens mit dieser Problematik sehr umsichtig umgehen und uns den Verlauf der Reform sehr
genau anschauen. Nach spätestens zwei Jahren sollte es
deshalb zu einer gründlichen Evaluation der Ergebnisse
kommen. Aber auch darüber herrschte gestern im Ausschuss Einigkeit.
Sollte die Klagewelle in den nächsten Jahren trotzdem, wie bereits angesprochen wurde, weiter ansteigen,
dann muss, wie auch die FDP schon gesagt hat, in einem
nächsten Schritt über die Ausstattung des Gerichtshofes nachgedacht werden, sowohl was Personal als
auch was Finanzmittel betrifft.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jerzy Montag von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder
erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
„Jede festgenommene Person muss unverzüglich einem Richter vorgeführt werden.“
Jedermann hat Anspruch darauf, dass über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen Anklage in billiger
Weise und öffentlich innerhalb einer angemessenen Frist
von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht
entschieden wird.
Die europäische Menschenrechtskonvention spricht
eine klare Sprache. In der aktuellen Diskussion ist es
wichtig, diese klaren Worte noch einmal an die Adresse
derjenigen auszusprechen, die glauben, Gefangene - so
gefährlich sie sein mögen - auf unbestimmte Zeit an unbekannten Orten verwahren, ihnen eine gerichtliche Entscheidung über ihre Verhaftung vorenthalten und sie auf
eine besondere Art und Weise vernehmen zu können, die
wir sehr wohl als Folter ansehen können.
Die europäische Menschenrechtskonvention formuliert ein unmittelbares Recht für fast 1 Milliarde Menschen. Jeder Einzelne von ihnen hat das Recht, sich
persönlich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu wenden, um diese Rechte
gegen seine nationale Regierung einzuklagen. Dieses
Recht der individuellen Beschwerde, die bei einem unabhängigen und anerkannten Gericht eingereicht werden
kann, ist einer der größten Fortschritte in der Geschichte
des Menschenrechtsschutzes in Europa.
({0})
Europa wächst auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Organisationsstrukturen und in verschiedenen Geschwindigkeiten. Im Europarat, der ältesten
europäischen Organisation, sind die europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte entstanden. Das Europa des Europarates umfasst 46 Staaten mit fast 1 Milliarde Menschen.
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte schützen Menschenrechte in allen Mitgliedstaaten. Einige will ich nennen: Die Schweiz wurde
1991 verurteilt, den freien Kontakt zum Verteidiger zu
gewährleisten. England wurde 2005 an die Meinungsfreiheit von Greenpeace-Aktivisten erinnert. Die Türkei
wurde 2005 verurteilt, die Todesstrafe nicht weiter zu
verhängen. In Deutschland musste 2004 erst das Bundesverfassungsgericht ein Oberlandesgericht lehren,
dass Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht unverbindliche Äußerungen sind. Sie
sind in Deutschland im Rahmen der Bindung aller staatlichen Gewalt an Gesetz und Recht - Art. 20 Abs. 3
Grundgesetz - verbindlich.
Die Geschichte des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte ist eine Erfolgsgeschichte. Aber dieser
Erfolg macht aktuell Probleme. 2002 sind 30 000 Beschwerden in Straßburg eingegangen, über 100 pro Tag.
Die Belastung des Gerichts ist von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon angesprochen worden.
Aufgrund dieser Belastung ist es richtig und notwendig,
dass Maßnahmen ergriffen werden, um die Funktionsfähigkeit des Gerichts und die Durchsetzung seiner Entscheidungen zu verbessern. Die einzelnen Instrumente
dazu wie Einzelrichterentscheidungen, Dreierausschüsse
und die Durchsetzung durch das Ministerkomitee haben
die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen
haben, bereits erwähnt.
Herr Staatssekretär Hartenbach, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Unzulässigkeitsentscheidungen von Einzelrichtern ohne Beschwerdemöglichkeit
- davon haben Sie gesprochen - nicht unproblematisch
sind. Deswegen haben wir im Rechtsausschuss mit
Freude zur Kenntnis genommen, dass es die Bundesregierung auf sich genommen hat, die Situation nach InKraft-Treten dieser Vorschrift zu beobachten und dem
Bundestag in einem angemessenen Zeitraum Bericht zu
erstatten.
Ich will am Schluss meine Hoffnung ausdrücken, dass
das Protokoll Nr. 14 zur Konvention zum Schutz der
Menschenrechte die dringend benötigte Abhilfe schafft.
Ich schließe mit der großen Zuversicht, dass die Bedeutung der europäischen Menschenrechtskonvention und
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit
Blick auf den Schutz der Menschenrechte in Zukunft
noch wachsen wird.
Danke schön.
({1})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Christoph Strässer von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch ich beginne mit einem Zitat aus Art. 6
Abs. 1 der europäischen Menschenrechtskonvention, die
lapidar aussagt: Jede Person hat das Recht, dass über
ihre Angelegenheiten - jetzt kommt das Zitat - „innerhalb angemessener Frist“ vor Gericht verhandelt wird.
Das heißt also, Zielsetzung der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es,
innerhalb einer angemessenen Zeit Recht zu sprechen.
Nun führen auch wir in Deutschland an der einen oder
anderen Stelle eine Diskussion über Verfahrensdauern.
Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, wo in letzter Zeit
einige Entscheidungen, was Untersuchungshaft und anderes angeht, aufgehoben worden sind. Ich glaube, über
all dies muss man auch unter dem Aspekt der eigenen
Verpflichtung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte diskutieren, der nämlich für sich selbst eine
Verfahrensdauer von maximal zwei Jahren festgelegt
hat, und zwar ein Jahr für die Prüfung der Zulässigkeit
- das ist sehr interessant - und ein Jahr für die Prüfung
der Begründetheit. Allein im Jahr 2004 waren allerdings
beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
mindestens 2 000 Verfahren anhängig, die länger als
fünf Jahre zur Debatte standen. Ich denke, es ist ganz
eindeutig, dass dies nicht hinnehmbar ist.
Ich komme deshalb auf ein altes englisches Sprichwort zu sprechen, das diesen Prozess auf den Punkt
bringt. Da heißt es nämlich: Justice delayed is justice denied.
({0})
Ich dachte, der Kollege Gehb sei hier. Deshalb wollte ich
das für ihn als Lateiner ins Deutsche übersetzen. Das
heißt nämlich ganz einfach: Verzögerte Rechtsprechung
ist verweigerte Rechtsprechung.
({1})
Deshalb ist es gut, richtig und vernünftig, dass in den
letzten Jahren an vielen Stellen Anstrengungen zur Verbesserung der Situation unternommen wurden, zum Beispiel auch durch die Erhöhung des Budgets. Ich möchte
schon betonen, Herr Müller-Sönksen, dass die Personalausstattung des Gerichtshofes im Zeitraum zwischen
2002 und 2005 um 63 Prozent gestiegen ist. Anstrengungen kann man also denjenigen, die dort arbeiten, nicht
absprechen.
Aber all das reicht natürlich nicht aus. Das heißt, dass
wir uns sehr intensiv Gedanken darüber machen müssen,
wie mit den Anträgen der Bürgerinnen und Bürger umgegangen wird. Interessant ist im Übrigen - ich denke,
darüber sollte man auch auf politischer Ebene verhandeln -, dass mehr als 50 Prozent der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen VerChristoph Strässer
fahren allein aus vier Staaten kommen. Ich nenne einen
Staat, der an dieser Stelle besonders auffällig ist: Russland ist allein mit 17 Prozent der Eingänge beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aktiv.
Ich kann dazu eine weitere Bemerkung machen, die
das vielleicht in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Russland ist von den 46 Mitgliedstaaten des Europarates das einzige Land, das das 14. Zusatzprotokoll noch
nicht unterzeichnet hat. Ich finde, dass wir der Bundesregierung bei der Anbahnung neuer sachlicher Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Russland den Auftrag mitgeben sollten, vielleicht auch
einmal darauf zu dringen, dass Russland insoweit seinen
europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht
wird und diese Verträge zumindest unterzeichnet, aber
auch ratifiziert. Ich glaube, das wäre eine wichtige politische Forderung.
Wichtig ist - das ist schon angesprochen worden; deshalb kann ich mich kurz fassen -, dass der Europarat
bzw. die Minister des Ministerkomitees eine weitere
Maßgabe beschlossen haben, nämlich die Einrichtung
des Instituts der sieben Weisen, zu dem auch Jutta
Limbach gehören wird. Diese haben im Übrigen die
Aufgabe - das ist noch nicht gesagt worden -, bis Herbst
dieses Jahres einen Vorschlag zu machen, wie an dieser
Stelle weitere Verfahrenserleichterungen durchgeführt
werden können. Ich finde, dazu gehören einige bedenkenswerte Dinge, wie zum Beispiel die Einrichtung von
Geschäftsstellen des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte in den so genannten wichtigen Staaten.
Ich denke, auch wir sollten die Arbeit dieses Rats der
Weisen unterstützen.
Ich möchte zum Schluss sagen, dass wir alle uns
Mühe geben sollten, dass der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte, der im Zuge des Völkerrechts und
des Menschenrechtsschutzes nun wirklich eine einzigartige Erscheinung ist, nicht an dem zugrunde geht, was
ihn auszeichnet, nämlich an seinem Erfolg.
Herzlichen Dank.
({2})
Zur Geschäftsordnung? - Bitte schön.
Ich spreche zur Geschäftsordnung, Herr Präsident. Bei der Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 17 - da
ging es um abschließende Beratungen ohne Aussprache -, die wir vor einer halben Stunde durchgeführt haben, gab es ein Gesetz zu dem Protokoll zur Änderung
des Europol-Übereinkommens und zur Änderung des
Europol-Gesetzes. Meine Fraktion hat irrtümlich gegen
dieses Gesetz gestimmt. Ich möchte hier zu Protokoll geben, dass wir für dieses Gesetz stimmen, und bitte Sie,
das aufzunehmen.
Vielen Dank.
Vielen Dank. - Wir nehmen das zu Protokoll. Wir
können die Abstimmung jetzt nicht wiederholen; dieser
Tagesordnungspunkt ist abgehandelt.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Protokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des
Kontrollsystems der Konvention, Drucksache 16/42.
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/390,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Was ist mit den
Grünen? ({0})
Es wäre beinahe wieder passiert. Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung
- Drucksache 16/240 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär
Ulrich Kasparick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Parlament hat im April 2005 die Bundesregierung aufgefordert, Erfahrungen aus der Privatwirtschaft bei der Effizienzsteigerung im Dienstleistungsbereich stärker zu
berücksichtigen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Privatisierung der Flugverkehrskontrolle, den wir Ihnen heute
vorlegen, trägt dem Rechnung. Sie wissen, dass wir zu
berücksichtigen haben, dass die Luftverkehre stark
wachsen. Sie wissen ferner, dass wir uns auf neue europäische Entwicklungen einstellen müssen. Ihnen sind
darüber hinaus die Eckwerte bekannt, die das Kabinett
bereits im Dezember 2004 beschlossen hat und die die
Grundlage für den jetzigen Gesetzentwurf sind. Ich will
sie kurz rekapitulieren: Die Gesellschaftsanteile der
Deutschen Flugsicherung werden zu 74,9 Prozent zum
Verkauf angeboten. Die Kapitalprivatisierung wird auf
der Grundlage eines Beleihungsmodells realisiert. Die
zivil-militärische Kooperation, die einzigartig ist, wollen
wir beibehalten. Schließlich soll eine unabhängige Aufsichtsinstanz eingerichtet werden.
Entscheidend an dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen
heute vorlegen, ist, dass die Flugsicherheit hoheitliche
Aufgabe und damit im Kontrollbereich des Bundes
bleibt. Wir haben nicht vor, eine Aufgabenprivatisierung
vorzunehmen.
({0})
Wir wollen deshalb im öffentlich-rechtlichen Teil des
Gesetzes eine Erweiterung der Möglichkeiten der Kontrolle einführen. Wir wollen eine nationale Aufsichtsbehörde einrichten, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Es wird eine umfassende Rechts- und
Fachaufsicht ausüben und über ein Informationsbeschaffungsrecht, ein Weisungsrecht und ein Ersatzvornahmerecht verfügen. Das ist aber noch nicht alles. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung soll auch die
Befugnis erhalten, Geschäftsführer einer Flugsicherungsorganisation abzuberufen, das heißt in die Personalpolitik einzugreifen. Als Ultima Ratio bei Konfliktfällen sieht der Gesetzentwurf vor, dass die
Rückübertragung der Geschäftsanteile der Flugsicherungsorganisation auf den Bund möglich ist. - Sie merken daran, dass der Bundesregierung sehr daran gelegen
ist, dass der Bund seine Rechte auch in Zukunft wahrnehmen kann. Wir sind uns sicher, dass das jetzt vorgeschlagene Instrumentarium dazu beitragen wird, dass die
Flugsicherung auch weiterhin nach den Vorgaben des
Bundes und in seiner Verantwortung erfolgt.
Es sind Übergangszeiten vorgesehen - Sie wissen
das -: im Bereich der Streckenkontrolle eine Übergangszeit von 20 Jahren, im Bereich der Flugplatzkontrolle
eine von 16 Jahren. In Parlamentarierzeiträumen übersetzt heißt das: Wir reden über vier Legislaturperioden.
Auch die Nutzer des Systems werden Vorteile haben.
Denn wir wollen dazu beitragen, dass die Gebühren und
die Kosten reduziert werden können.
Unser Hauptanliegen ist es, zwei zentrale Ziele zu erreichen: Zum einen streben wir einen maximalen Nutzen, eine Effizienzsteigerung an. Das entspricht dem
Willen des Parlaments; so ist es in den einschlägigen
Anträgen beschlossen worden. Gleichzeitig wollen wir
die staatlichen Rechte und Pflichten sichern und die
Kompetenzen des Bundes erhalten.
Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorschlägt, unterstützend zu beraten, damit wir
mit der Europäisierung unserer Flugsicherung vorankommen.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von
der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, im Wesentlichen kann man Ihnen zustimmen, in einigen Punkten
gibt es aus meiner Sicht allerdings noch Diskussionsbedarf. Für die größte Oppositionsfraktion will ich vorwegschicken, dass uns als FDP daran gelegen ist, den
über Fraktionsgrenzen hinweg - auch in unterschiedlicher Rollenverteilung - herrschenden Konsens betreffend die Flugsicherung auch in dieser Beratung fortzusetzen. Dafür sind aus unserer Sicht allerdings noch
einige Knackpunkte anzusprechen.
Sie, liebe Kollegen von der Koalition - das ist der
erste Punkt -, haben sich selbst ins Stammbuch geschrieben, europäische Regelungen ab sofort nur noch eins zu
eins in deutsches Recht umzusetzen. Bereits beim ersten
Gesetz, bei dem Sie damit anfangen könnten, weichen
Sie an einigen entscheidenden Stellen von dieser Regel
ab. Darüber wird man sicherlich nachdenken müssen.
({0})
Warum wird in den Single-European-Sky-Verordnungen nur die Beleihung des Unternehmens, nicht aber der
Technik verlangt, wo doch in Ihrem Gesetzentwurf steht,
dass auch die Technik, die verwendet wird, beliehen
werden muss. Was soll das eigentlich?
({1})
Wir sehen noch ein zweites großes Problem. An für
die wirtschaftliche Zukunft der Flugsicherung entscheidenden Stellen verweisen Sie auf Verordnungen, deren
Inhalt wir noch gar nicht kennen. Eine Spielregel des
Parlaments lautet aber: Wenn der Gesetzgeber der Regierung eine Verordnungsermächtigung gibt, hat er auf
den Inhalt keinen Einfluss mehr. Ich reklamiere für die
Opposition - das ist sicherlich auch im Interesse der
Koalitionskollegen -, erst dann abschließend über eine
Verordnungsermächtigung zu entscheiden, wenn wir
wissen, was in der Verordnung stehen soll.
({2})
Aus meiner Sicht ist ein dritter Punkt deutlich zu machen: Die Privatisierung der Flugsicherungsorganisation
des Jahres 1992 ist vom Parlament gegen verschiedene
Bedenkenträger aller Ebenen durchgesetzt worden.
Wenn es nach den Kollegen des Verteidigungsministeriums und des Innenministeriums gegangen wäre, hätte
mit einer privatisierten Flugsicherungsorganisation in
Deutschland kein oder zumindest kein sicherer Flugverkehr mehr stattfinden können. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Deutsche Flugsicherung hat bewiesen, dass
sie mit weniger Personal effizienter arbeiten kann und
deutliche Zuwächse in der Luftfahrt bewältigen kann.
Inwiefern sich diese Leistung noch steigern lässt, ist
fraglich.
Wenn wir im Rahmen der Funktionstrennung, die die
Single-European-Sky-Verordnungen vorschreiben, ein
Bundesamt als Aufsichtsbehörde installieren, ohne dass
Klarheit über die Abordnungen und Delegationen bzw.
die Bezahlung herrscht, und dieses Bundesamt auch
noch mit Rechten ausstatten, die es ihm ermöglichen,
unmittelbar in die wirtschaftliche Tätigkeit des beliehenen Unternehmens einzugreifen, erschweren wir durch
die Hintertür das, was wir durch die Privatisierung der
Flugsicherungsorganisation sowie die damit verbundene
Herauslösung aus dem Tarifrecht des öffentlichen DiensHorst Friedrich ({3})
tes und aus den Behördenstrukturen geschaffen haben.
Das kann aus Sicht der FDP nicht sein.
({4})
Das ist ein weiteres Essential für uns, um sicherzustellen, dass wir von dem Pfad der Tugend nicht abweichen.
Wir bleiben dabei, dass die ökonomische Regulierung
nicht bei dem zu gründenden Bundesaufsichtsamt für
Flugsicherung anzusiedeln ist, sondern entweder bei
der Bundesnetzagentur oder beim Kartellamt. Es kann
nicht sein, dass eine Behörde, die die Konsequenzen
überhaupt nicht abwägen kann, über die ökonomische
Regulierung entscheidet, die für die Flugsicherung von
existenzieller Bedeutung ist.
Der letzte Kritikpunkt, über den wir in der Ausschussdiskussion noch abschließend beraten werden müssen,
betrifft die für uns nach wie vor offene Frage, inwieweit
der im Verkehrsausschuss und, soweit ich weiß, auch in
diesem Parlament bestehende Konsens zur Änderung der
Struktur der Gebühren der Deutschen Flugsicherung
aufrechterhalten werden kann. Bisher muss die Flugsicherung nach dem Kostendeckungsprinzip arbeiten. Das
bedeutet, dass die Flugsicherung dann, wenn es der Luftfahrt schlecht geht, die Gebühren erhöhen muss. Wenn
es der Luftfahrt gut geht, muss die Flugsicherung die
Gebühren senken. Die Möglichkeit, ein Polster zu schaffen und Rückstellungen zu bilden, damit es zu einer
Gleichartigkeit der Gebühren kommt, sehe ich in diesem
Bereich noch nicht gegeben.
Wir werden in der parlamentarischen Beratung sicherlich noch intensiv miteinander reden müssen, vielleicht auch in einer Anhörung. Ansonsten aber, glaube
ich, können wir auf diesem Weg weitermachen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über
den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung ist die fünfte zum Thema Luftverkehr in den
letzten anderthalb Jahren. Das zeigt, wie wichtig der
Luftverkehr für moderne Dienstleistungsgesellschaften
geworden ist. Zurzeit wächst der Luftverkehr doppelt so
schnell wie die Weltwirtschaft. Auch wenn die Wachstumsraten in Deutschland und in Europa insgesamt nicht
ganz so überragend sind, wird der Luftverkehr auch hierzulande immer wichtiger.
Im Luftverkehr ist aber nicht nur Wachstum zu verzeichnen, er schafft auch neue Arbeitsplätze. Dies ist
heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Das brauche
ich nicht zu betonen; wir brauchen uns ja nur die anderen
Branchen anzuschauen.
Zu der Situation, dass Arbeitsplätze abgebaut werden,
darf es in der Luftverkehrsbranche nicht kommen. Wir
stehen hier in der Verantwortung. Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit der Luftverkehr seine
Wachstumspotenziale entfalten kann; denn eines ist klar:
Der Luftverkehr wird auch in Zukunft weiter wachsen.
Wollen wir daran teilhaben, müssen wir unsere Standortqualitäten verbessern. Standortqualitäten verbessern
heißt, überkommene Marktordnungen zu liberalisieren
und die europäischen Wachstumspotenziale für unsere
nationale Luftverkehrswirtschaft zu nutzen.
Auf diesem Gebiet haben wir trotz unseres Engagements noch „Luft nach oben“. Ich erinnere hier an die
Open-Sky-Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom
November 2002. Verschiedene EU-Staaten - auch wir verstießen laut Urteil in bilateralen Luftverkehrsabkommen in Teilbereichen gegen die Niederlassungsfreiheit in
der Europäischen Union. Nachdem erst die Skepsis
überwog, ist mittlerweile klar, dass das Urteil zur Liberalisierung des europäischen Luftverkehrsmarktes beigetragen hat und auch uns mehr Vor- als Nachteile bringt.
Weitaus mehr Vor- als Nachteile haben auch die vier
im April 2004 in Kraft getretenen so genannten SingleEuropean-Sky-Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft. Sie schaffen den rechtlichen Rahmen für eine
kontinuierliche Liberalisierung und Harmonisierung der
Flugsicherung.
Darüber hinaus plant die Europäische Kommission,
im Herbst verbindliche Mindeststandards für Flugsicherungsorganisationen einzuführen. Die DFS wird
dann - wie alle Flugsicherungsorganisationen in der
EU - ein Jahr Zeit haben, diesen Standards gerecht zu
werden.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den genannten europäischen Initiativen. Er
passt die Flugsicherung in Deutschland an die geänderten europäischen Rahmenbedingungen an. Wir werden
damit unserer Verantwortung gerecht. Wir schaffen die
Voraussetzungen, um Wachstumspotenziale des Luftverkehrs im Hinblick auf seine Arbeit schaffende und Arbeit sichernde Wirkung zu nutzen.
({0})
Worum geht es konkret? Zum einen geht es um eine
Trennung von Aufsichts-, Regulierungs- und Durchführungsaufgaben im Bereich der Flugsicherung. Das
war bisher nicht der Fall. Die DFS war in ihrem Bereich
für die Einhaltung der von ihr selbst erlassenen Vorschriften verantwortlich. Zukünftig wird die DFS ein reiner Dienstleister sein, der den Anforderungen des Bundes- und Europarechts nachzukommen hat. Die bisher
von der DFS wahrgenommene Aufsichtsfunktion soll
einer Aufsichtsbehörde übertragen werden. Dabei geht
es darum, Interessenkonflikte zu vermeiden.
Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Lösung, die
Aufsichtsfunktion auf ein neu zu schaffendes Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zu übertragen, Herr
Kollege Friedrich, muss noch erörtert werden. Wir müssen prüfen, ob das der Weisheit letzter Schluss ist.
({1})
Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der
Flugsicherung setzt nicht nur EU-Vorgaben um. Die mit
dem Gesetzentwurf eingeleitete Kapitalprivatisierung
ist durch die Single-European-Sky-Verordnungen nicht
zwingend vorgeschrieben. Sie bereitet die DFS aber viel
umfassender auf zukünftige Herausforderungen vor;
denn sie stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit
der DFS nachhaltig.
({2})
Die DFS wird künftig viel leichter und konsequenter am
wachsenden Luftverkehrsmarkt partizipieren und als
Dienstleister auch andere Geschäftsfelder erschließen
können, zum Beispiel indem sie sich an anderen Unternehmen beteiligt. Ich denke, dass wir der DFS dadurch
im europäischen Wettbewerb einen Vorsprung verschaffen. Das wird sich positiv auf den Luftverkehrsstandort
Deutschland auswirken. Auch der Bund wird unmittelbar von der Kapitalprivatisierung profitieren; denn die
Veräußerung von 74,9 Prozent der Anteile wird Geld in
unsere klammen Kassen spülen.
({3})
Eine Sperrminorität von 25,1 Prozent verbleibt allerdings beim Bund. Der Grund dafür ist einfach: Die DFS
wird in Zukunft nicht ausschließlich am Markt agieren,
sondern auch weiterhin hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Das gilt nicht nur für den zivilen Bereich. Die enge
zivil-militärische Zusammenarbeit bei der Flugsicherung
hat sich in den letzten Jahren bewährt. Der vorliegende
Gesetzentwurf erfüllt alle Voraussetzungen dafür, dass
dies auch so bleiben wird.
({4})
Meine Damen und Herren, der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung ist geeignet, die
Deutsche Flugsicherung für die Zukunft fit zu machen.
Er stärkt den gesamten Luftverkehrsstandort Deutschland. Dass dieser Gesetzentwurf so schnell nach der
Wahl vorgelegt werden konnte, ist auch ein Verdienst der
Luftverkehrspolitiker dieses Hauses; denn er beruht auf
Anträgen und Initiativen, die CDU/CSU, SPD, FDP und
Grüne in der letzten Wahlperiode gemeinsam auf den
Weg gebracht haben. Damit ist der Gesetzentwurf auch
Ausdruck der guten Tradition in der Luftverkehrspolitik,
dass wir wichtige Themen im Interesse unseres Landes
gemeinsam angehen.
Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene
Richtung ist die richtige, um die DFS und den gesamten
Luftverkehrsstandort Deutschland zu stärken. Natürlich
muss noch eine Reihe von Details geprüft werden; eventuell ist etwas zu ergänzen oder zu verbessern. Ich bin
aber sicher, dass uns dies im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens gelingen wird, sodass wir einen Gesetzentwurf formulieren und verabschieden können, der
für den Luftverkehr insgesamt zukunftsweisend ist.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Menzner
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung hat uns einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sie die Flugsicherung neu regeln will. Die Europäische Union gibt uns vor, die Aufgaben in diesem Bereich neu zu verteilen und Aufsicht
und Durchführung der Flugsicherung zu trennen. Künftig soll es einen einheitlichen europäischen Luftraum mit
funktionalen Luftraumblöcken statt der bisherigen nationalen Lufträume geben.
({0})
Wir sollten aber trotz des schönen blauen Himmels über
den Wolken nicht blauäugig zur Sache gehen.
({1})
Was ist das Besondere an diesem Gesetzentwurf? Erstens. Die Flugsicherung soll privatisiert werden. Zweitens. Die Aufsicht über die Aufsicht erhält das neu zu
bildende Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Drittens. Auch an die Beaufsichtigung der Aufsicht der Aufsicht ist gedacht. Das neue Bundesaufsichtsamt für
Flugsicherung wird dem Bundesverkehrsministerium
unterstellt; von ebendiesem soll es beaufsichtigt werden.
Bei so viel Aufsicht von oben dürfen wir aber nicht
den Blick nach unten, zum Shareholder Value, sozusagen in die Firmenkassen, außer Acht lassen. Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf nämlich weitaus
mehr regeln, als uns durch die Vorgaben der Europäischen Union abverlangt wird. Sie will gleichzeitig den
Wettbewerb zwischen den Flugdienstleistern eröffnen; denn Inhalt dieses Gesetzentwurfs ist auch die Privatkapitalisierung der Deutschen Flugsicherung. Wie für
alle privatisierten Dienste würde dann auch für die Deutsche Flugsicherung gelten: Kosten sparen und/oder Erlöse steigern. Auch in diesem Bereich würde Zeit zu
Geld.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu bedenken: Immer wenn es beim Umgang mit komplexen
technischen Systemen um Prüfen und Genauigkeit und
vor allem um die Sicherheit von Menschen geht, darf die
Zeit nicht drücken und darf der Profit nicht die Leitgröße
sein,
({2})
erst recht dann nicht, wenn die Privatunternehmen im
Bereich der Flugsicherung wenig Einfluss auf die Wahl
der technischen Systeme hätten, und auch deshalb nicht,
weil niemand heute wissen kann, welche Technik übermorgen eingesetzt wird.
({3})
Wir halten fest: Wirtschaftlichkeit bei der Flugsicherung darf nicht vor Sicherheit gehen; die Gewerkschaft
der Flugsicherung hat darauf hingewiesen.
({4})
Die Linke im Bundestag teilt die dort formulierten Bedenken. Die Linke meint: Bei absehbar noch mehr Luftverkehrsbewegungen steigen die Anforderungen an die
in diesem Bereich arbeitenden Menschen und die Anforderungen an das Zusammenspiel von Mensch und
Technik, und zwar sowohl bei der Flugsicherung als
auch bei der Flugfeldkontrolle. Zeit darf hier nicht Geld
sein. Die Linke lehnt die beigepackte Privatisierung der
Flugsicherung ab. Deshalb sind wir gegen diesen Gesetzentwurf.
Danke, meine Damen und Herren.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Winfried Hermann von
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Europäische Union hat mit dem Konzept
„Single European Sky“ und einer ganzen Reihe von Verordnungen, die seit diesem Jahr geltendes Recht sind,
auch in Deutschland eine neue Situation geschaffen.
Auch wenn man nicht genau diesen Gesetzentwurf einbringen muss, so muss man doch europäisches Recht in
deutsches umsetzen. Deswegen diskutieren wir heute
über diesen Gesetzentwurf. Er geht zurück - das ist
schon gesagt worden - auf eine Initiative aller Fraktionen der letzten Legislaturperiode. Wir haben uns gemeinsam dafür ausgesprochen, die Privatisierung fortzusetzen - aber nicht völlig ungesteuert, nicht einfach ins
Blaue hinein, sondern mit klaren politischen Regeln und
Vorgaben; wir haben einer simplen, platten Liberalisierung also nicht das Wort geredet.
Was waren die Aufgaben? Europäischem Recht und
dem Grundgesetz muss genügt werden. Wir müssen die
Wahrung hoheitlicher Aufgaben sicherstellen. Aber
auch ökonomische Fragen waren zu berücksichtigen:
Wie kann die Deutsche Flugsicherung in einem offenen
europäischen Markt optimal positioniert und gestärkt
werden, auch um Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und zu schaffen? Schließlich, nicht zu übersehen,
wollen wir eine unabhängige staatliche Aufsichtsbehörde. Diese ist notwendig. Deswegen sollten wir nicht
gegen Kontrolle anreden, Kolleginnen und Kollegen von
der Linken. Denn staatliche Hoheit kann nur über Kontrollmechanismen wahrgenommen werden. Das ist übrigens auch die Garantie für die Sicherheit.
Wir haben als Grüne dieser Privatisierung und diesem
Konzept auch deswegen zugestimmt, weil wir sichergestellt wissen wollten, dass bestimmte Aufgaben weiterhin hoheitlich bleiben und auch durchgesetzt werden
können.
Wie setzt der vorliegende Gesetzentwurf die Vorgaben um, die wir in unserem Antrag gemacht haben? Der
Bund überträgt im Wesentlichen über das Rechtsinstrument der Beleihung Aufgaben an die Deutsche Flugsicherung. Die Beleihung ist ein scharfes Instrument. Sie
kann befristet erteilt werden. Der Gesetzentwurf legt
fest, dass dann, wenn bestimmte Regeln und Bedingungen des Gesetzes nicht erfüllt werden, die Beleihung unmittelbar zurückgezogen werden kann.
Wir wollen die Hoheitsrechte wahren. Die Sperrminorität von 25,1 Prozent ist die Garantie dafür, dass das
neue Unternehmen den Unternehmenszweck nicht beliebig verändern kann. Wir wollen ausreichende Zugriffsund Kontrollrechte, so genannte Ingerenzrechte. Das
ist, glaube ich, an verschiedenen Stellen in diesem Gesetzentwurf sehr gut formuliert. Wir wollen eine unabhängige Aufsichtsbehörde; auch das ist klar. Daher müssen diesem Gesetz auch eine Reihe von Bestimmungen
in Form von Verordnungen beigegeben werden.
Sie merken an meiner Argumentation: Die Grundrichtung dieses Gesetzentwurfs stimmt. Das Parlament hat
den Auftrag angenommen und führt ihn aus.
Ich sage für meine Fraktion, lieber Kollege von der
FDP: Einzelne Punkte müssen wir genau prüfen. Wir
müssen zum Beispiel prüfen, ob die Änderungsvorschläge der Gewerkschaften und der Deutschen
Flugsicherung besser sind als die Regelungen im Gesetzentwurf. Wir müssen uns fragen, ob tatsächlich sichergestellt werden kann, dass der Firmensitz in Deutschland
bleibt, wenn sich die Firma erweitert und sich im europäischen Raum neu engagiert, und ob das Hoheitsrecht
noch wahrgenommen werden kann. Es stellt sich die
Frage, ob dann der Mechanismus des Gesetzes noch
funktioniert.
Wir müssen als Parlamentarier fragen, ob es verantwortbar ist, eine so weit reichende Aufgabe im Verordnungswege anzugehen.
({0})
Dann ist das Parlament nämlich außen vor. Ich neige
eher dazu, entweder das Gesetz schärfer zu fassen und
wichtige Elemente einer Verordnung in das Gesetz hineinzunehmen - dann hat das Parlament Einfluss- und
Kontrollmöglichkeiten - oder eine Verordnung zu verfassen, bei der das Parlament die Möglichkeit der Zustimmung hat. Diese Frage müssen wir im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren klären. Ich bin der
Meinung, dass in diesem Punkt noch etwas verändert
werden muss.
Wir werden diesem Gesetzentwurf dann zustimmen,
wenn im Einzelfall konkrete Verbesserungen vorgenommen werden. Unsere Ziele sind: Stärkung der Deutschen
Flugsicherung im europäischen Wettbewerb, Wahrung
der Hoheits- und Schutzaufgaben, Sicherstellung einer
unabhängigen Kontrolle. Die Überschrift für das ganze
Gesetz muss dabei selbstverständlich sein: Sicherheit hat
oberste Priorität. Dafür sorgen wir mit neuen institutionellen, organisatorischen und betrieblichen Voraussetzungen. Damit erreichen wir dieses Ziel effizient.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Uwe Beckmeyer,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich bin froh, dass wir so weit gekommen sind.
Das Parlament hat sich in der letzten Legislaturperiode
mit diesem Thema schon häufiger beschäftigt und Aufträge formuliert, die die Bundesregierung und die Verwaltung angenommen haben.
Sicherheit im Luftraum ist - das will ich gerne
zugeben - eine sensible Angelegenheit. Über Deutschland sind fast 7 000 Flugbewegungen pro Tag zu verzeichnen. Sowohl der zivile als auch der militärische Aspekt sind zu berücksichtigen. Alles das muss mit hoher
Präzision, gepaart mit Verantwortung bei der Privatisierung und Kapitalisierung, bedacht werden.
Die Privatisierung des Kapitals in Höhe von 74,9 Prozent ist ein Weg, den wir gehen können. Dabei müssen
wir den hoheitlichen Auftrag im Wege der Beleihung so
im Gesetz verankern, dass die Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgaben auch weiterhin im staatlichen Einflussbereich verbleibt. Der staatliche Einfluss soll über einen
solchen Beleihungsakt in die Gesellschaft hineingetragen werden. Insofern bedarf es der präzisen Festlegung,
wie sie in einem solchen Gesetzentwurf vorgenommen
werden kann.
Es hat sich gezeigt, dass wir in Deutschland gut aufgestellt sind und dass wir uns auch im europäischen
Raum gut aufstellen. Wir haben mit dieser Gesellschaft
die Chance, über die nationalen Grenzen Deutschlands
hinauszugehen und das Aufgabengebiet auszuweiten.
Das ist eine Chance für die Deutsche Flugsicherung. Ich
glaube, dass wir auf dem richtigen Weg gehen.
Ich als Sozialdemokrat lege großen Wert darauf, dass
wir in dieser Frage im Parlament Konsens erzielen, wie
das schon in den vergangenen Legislaturperioden der
Fall gewesen ist, und dass wir in der Ausschussarbeit auf
der Grundlage dieses Gesetzentwurfs und mit den Anregungen, die uns aus dem politischen, aber auch dem
wirtschaftlichen Raum erreichen, eine Lösung erzielen,
die die Gedanken und Inhalte, die heute formuliert worden sind, aufnimmt. Ich bedaure, dass sich die Linke
schon jetzt festgelegt hat, ein solches Gesetz abzulehnen.
Dann ist man natürlich raus aus dem Geschäft und kann,
wenn man sagt, man wolle das grundsätzlich nicht, als
Berichterstatter kaum noch mitwirken. Ich sage an dieser
Stelle: Ich halte eine solche Position für grundlegend
falsch. Es ist zu bedauern, aber es ist halt so. Ich kann
mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.
({0})
Wichtig ist, dass am Ende des Tages eine runde Sache
steht, die Wirkung zeigt, die die Sicherheit sensibel regelt und die das schafft, was mit einer Kapitalprivatisierung natürlich ebenfalls noch verbunden ist, nämlich
dass dem Bund auch Finanzmittel zufließen. Dabei habe
ich als Verkehrspolitiker selbstverständlich einen Hintergedanken, auch wenn das möglicherweise schon als Einnahme im Finanzressort gebucht wird: Über das, was
dort eingenommen wird, sollten wir vielleicht auch noch
einmal gemeinschaftlich mit dem Finanzministerium reden,
({1})
weil der Betrag nicht unerheblich und für das, was wir
verkehrspolitisch in Deutschland brauchen und wollen,
durchaus attraktiv ist.
({2})
Herzlichen Dank in diesem Sinne. Ich hoffe, dass wir
hier heute einen guten Weg einschlagen und dass wir uns
möglichst bald nach der Ausschussberatung und nach
den entsprechenden Beratungen unter den Berichterstattern hier zu einer zweiten und dritten Lesung eines von
möglichst vielen Fraktionen getragenen Gesetzentwurfs
wiedersehen.
Schönen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache zu diesem Gesetzentwurf.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 16/240 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Rechtsausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Fritz Kuhn, Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
So genannter Muslimtest in Baden-Württemberg - Verfassungsrechtlich problematische
Gesinnungstests beenden
- Drucksache 16/356 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. - Ich
sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Josef Winkler von der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die baden-württembergischen Einbürgerungsbehörden führen seit Jahresbeginn auf der Grundlage eines so genannten Gesprächsleitfadens eine umfassende
und bis in die Privatsphäre reichende Gesinnungsprüfung von Einbürgerungsbewerbern durch. Diese Praxis
entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben im Staatsangehörigkeitsgesetz und vor allen Dingen nicht dem
Grundgesetz. Daher fordern wir die Bundesregierung
mit dem vorliegenden Antrag auf, auf eine rechtmäßige
Praxis der baden-württembergischen Behörden - zum
Beispiel durch eine Klarstellung der Verwaltungsvorschriften des Bundes - hinzuwirken.
Die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft ist
Ausdruck eines gelungenen Prozesses der Integration in
die deutsche Gesellschaft. Voraussetzung sind zunächst
ausreichende Deutschkenntnisse. Außerdem gibt jeder
Bewerber oder jede Bewerberin ein klares Bekenntnis zu
unserer Verfassung ab und die Einbürgerungsbehörde
führt mit jedem ein Gespräch, um die Haltung zu unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu überprüfen. Zusätzlich erfolgt bei jedem Einbürgerungsverfahren eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz.
Das alles ist also gängige Praxis in unseren Einbürgerungsbehörden bundesweit. Die baden-württembergische Landesregierung hält dies als einzige Landesregierung nicht für ausreichend und führte zum 1. Januar
2006 einen persönlichen Gesinnungstest ein.
({0})
Dies lehnen wir ab.
({1})
Das Innenministerium hat den baden-württembergischen Einbürgerungsbehörden eine Verwaltungsvorschrift samt Gesprächsleitfaden für künftige Einbürgerungen an die Hand gegeben, die ab dem 1. Januar 2006
gilt. Pikanterweise haben es die FDP-Minister in BadenWürttemberg trotz vollmundiger Ankündigungen von
Herrn Minister Goll in der Presse bisher nicht geschafft - ich sage: leider -, die Verwaltungsvorschrift
und den entsprechenden Gesprächsleitfaden aus dem
Verkehr zu ziehen.
Laut einer Pressemitteilung des Innenministeriums
vom 14. Dezember 2005 wird mit der Verwaltungsvorschrift das Ziel verfolgt, bei Einbürgerungsbewerbern,
bei denen Zweifel an der Verfassungstreue bestehen
und die die Staatsangehörigkeit eines der 57 Staaten haben, die der Islamischen Konferenz angehören, oder die
muslimischen Glaubens sind - damit niemand verloren
geht -, das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen
Grundordnung zu prüfen.
Erstens. Ich betone, das ist das angebliche Ziel. Zweitens werden wir sehen, was daraus noch folgt. Es wird
nämlich vom Innenministerium behauptet, dieser Gesprächsleitfaden sei bei allen Einbürgerungswilligen anzuwenden, bei denen Zweifel an der Verfassungstreue
bestehe.
({2})
Aber Sie haben die Pressemitteilung des Innenministeriums gerade von mir gehört. Daraus geht hervor, dass das
Innenministerium Zweifel hat, ob das Bekenntnis von
Muslimen bei der Einbürgerung ihrer tatsächlichen inneren Einstellung entspricht.
({3})
- Ich hoffe, wir hören gleich, dass dieses Vorhaben aufgrund des massiven Protests der FDP in der badenwürttembergischen Regierung nächste Woche zurückgezogen wird. Das Innenministerium stellt somit alle
muslimischen Einbürgerungsbewerber unter den skandalösen Generalverdacht der verfassungsfeindlichen Gesinnung und leistet keinen Beitrag zur Integration, sondern diskriminiert pauschal eine Gruppe allein wegen
ihrer Glaubenszugehörigkeit.
({4})
Eines ist natürlich klar: Islamisten und andere Verfassungsfeinde dürfen nicht eingebürgert werden; daran besteht überhaupt kein Zweifel und daran darf auch kein
Zweifel gelassen werden. Allerdings ist diese Art von
Gesinnungstest das falsche Instrument, weil es nicht
wirksam ist, um verfassungsfeindliche Akteure aufzuspüren.
({5})
Unser Staat ist gerade keine Gesinnungsgemeinschaft.
Deswegen ist dieses Verfahren verfassungswidrig. Die
individuelle Meinungsfreiheit ist grundrechtlich geschützt. Etliche der Fragen betreffen die Intimsphäre und
den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Sie zielen auf subjektive Befindlichkeiten und Einstellungen ab,
nicht etwa auf objektive Fakten und Kenntnisse.
Viele Antworten auf die Fragen gehen den Staat überhaupt nichts an, wie etwa die Frage, wie man es findet,
wenn jemand schwul ist, wenn der Sohn schwul ist oder
wenn Politiker schwul sind.
({6})
Warum, Herr Minister, fragen Sie nicht auch ab, wie
ein Mann reagiert, wenn sein Sohn oder seine Frau ihm
erklärt, einen dunkelhäutigen Politiker gewählt zu haben? Das ist in Ihrer Vorstellung von Verfassungstoleranz nicht vorgesehen.
Alles in allem haben wir es hier mit einer grundgesetzwidrigen Gesinnungsüberprüfung zu tun, wie wir sie
noch aus den Zeiten der berüchtigten Berufsverbote der
70er- und 80er-Jahre kennen. Ausgerechnet zur Prüfung
der Verfassungstreue wird ein Fragebogen gewählt, der
dem Geist und den Prinzipien der Verfassung eklatant
widerspricht. Es stellt sich deshalb - ich komme zum
Schluss - für mich schon die Frage nach der inneren
Einstellung der baden-württembergischen Landesregierung zum Grundgesetz und zu unseren gemeinsamen
Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
({7})
Wir fordern die Bundesregierung auf: Machen Sie Ihren Einfluss auf den baden-württembergischen Ministerpräsidenten geltend und fordern Sie ihn auf, diesen
Gesinnungstest zurückzuziehen, oder ändern Sie die
Verwaltungsvorschriften des Bundes, damit so etwas sofort aufhört!
({8})
Das Wort hat nun der Innenminister von BadenWürttemberg, Herr Heribert Rech.
({0})
Heribert Rech, Minister ({1}):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In der Grundfrage, so denke ich, sind wir uns
alle einig: Wer Deutscher werden will, muss auf dem
Boden unser freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen und sich zu ihr bekennen.
({2})
Wer unsere Staatsangehörigkeit besitzt, ist gleichberechtigte Bürgerin oder gleichberechtigter Bürger unseres
Landes. Sie oder er hat alle Bürgerrechte, kann in
Deutschland wählen und gewählt werden, genießt Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union und kann
ohne Visum in viele Länder reisen. Freiheit heißt auch,
Verantwortung zu tragen. Wer Rechte hat, hat aber auch
Pflichten.
({3})
Die deutsche Staatsangehörigkeit kann und darf es
eben nicht zum Nulltarif geben; denn Freiheit kann auf
Dauer nur der Staat gewährleisten, der sich selbst seiner
Grundlagen gewiss ist.
({4})
Die bedeutendste Grundlage unseres Staatswesens ist
unsere freiheitliche demokratische Grundordnung.
Deshalb muss derjenige, der Mitglied unseres Staatsverbandes werden will, ein eindeutiges und unmissverständliches Bekenntnis zu dieser unserer Grundordnung
ablegen.
({5})
Was ist nun neu am Einbürgerungsverfahren in
Baden-Württemberg?
({6})
Was hat zu teilweise sehr heftigen Reaktionen geführt?
Bislang haben wir uns weitgehend darauf beschränkt, zu
erfragen, was der Einbürgerungsbewerber über unsere
freiheitliche demokratische Grundordnung weiß. Das
haben wir mit einem Wissenstest ermittelt. Darin fragten
die Behörden zum Beispiel: „Wie heißt der Landrat?“
oder: „Wie viele Einwohner hat Ihre Stadt?“
Erlauben Sie mir an dieser Stelle, den Vater des Humanismus, Francesco Petrarca, zu zitieren:
Es ist ein großer Unterschied, ob ich etwas weiß
oder ob ich es liebe; ob ich etwas verstehe oder ob
ich nach ihm strebe.
({7})
Es geht uns mit unserem neuen Ansatz mehr als bisher
darum, festzustellen, ob der Einbürgerungsbewerber
eine innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland und zu ihrer Verfassungsordnung vollzogen hat
({8})
bzw. ob er eine positive Einstellung zu den Werten unserer Verfassungsordnung besitzt, also nicht nur bestimmte
Wissensfragen beantworten kann.
Deswegen führen unsere Einbürgerungsbehörden seit
Jahresbeginn anhand eines flexibel zu handhabenden
Leitfadens ein Gespräch mit den Einbürgerungsbewerbern. In diesem Gespräch geht es im Kern um das Verhältnis des Einbürgerungsbewerbers zu den Grundprinzipien
unserer Verfassung, seine Haltung zur Menschenwürde,
zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zum Gewaltmonopol des Staates, zu Toleranz, Selbstbestimmung, Religionsfreiheit und seinem Demokratieverständnis im Allgemeinen.
Ein Gespräch über unsere Verfassungsordnung - eine
Rechtsordnung, auf die wir wahrhaftig stolz sein können
und die uns so viel Freiheit und so viele Rechte wie noch
nie in unserer Geschichte gebracht hat - kann doch nicht
diskriminierend sein.
({9})
Der Punkt, zu dem ich jetzt komme, ist mir besonders
wichtig, weil es dabei massive Fehlinterpretationen und
Missverständnisse gegeben hat.
({10})
Unsere Einbürgerungsbehörden sollen im Einbürgerungsgespräch den Leitfaden selbstverständlich nicht nur
in Gesprächen mit Angehörigen islamischer Staaten
heranziehen.
Minister Heribert Rech ({11})
({12})
Wenn entsprechende Zweifel vorliegen, dann soll das
Gespräch anhand des Leitfadens selbstverständlich auch
mit Einbürgerungsbewerbern aus anderen Staaten geführt werden.
({13})
Das ergibt sich schon daraus, dass das Bekenntnis zur
freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Einbürgerungsvoraussetzung ist, die für alle Bewerber gleichermaßen gilt. Auch bei Bewerbern aus islamischen
Ländern soll der Leitfaden keineswegs ausnahmslos auf
alle Bewerber angewendet werden. Wenn die Behörde
annehmen darf, dass sich der Bewerber zu unserer Verfassung bekennt, wäre ein Gespräch anhand des Leitfadens überflüssig.
Ebenso unzutreffend ist der Vorwurf, dass Muslime
durch den Einbürgerungsleitfaden diskriminiert oder
ausgegrenzt würden. Der Einbürgerungsbehörde ist die
Zugehörigkeit des Bewerbers zu einer Religion nicht bekannt und sie wird auch nicht erfragt. Es geht also nicht
um die Religion des Einbürgerungsbewerbers, sondern
allein um seine Haltung zur Werteordnung des Grundgesetzes.
({14})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Ekin Deligöz von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen?
Heribert Rech, Minister ({0}):
Ich gestatte sie am Ende meiner Rede. Ich möchte angesichts der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit
diesen Gedanken zusammenhängend zu Ende bringen
können.
Ich stelle in diesem Zusammenhang mit großem
Nachdruck und aus tiefer persönlicher Überzeugung
fest: Die überwiegende Mehrzahl der bei uns lebenden
Muslime ist gesetzes- und verfassungstreu. Sie werden
- in Baden-Württemberg wie anderswo - problemlos
eingebürgert, wenn die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.
({1})
Ich bin mir sicher, dass sich hieran auch in Zukunft
nichts ändern wird. Angehörige aus islamischen Staaten
werden auch in Zukunft die Mehrheit der in Deutschland
Eingebürgerten stellen.
Wir dürfen aber nicht ausblenden, dass es bei Angehörigen islamischer Staaten Strömungen gibt, die nicht
mit den Werten des Grundgesetzes und unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Einklang stehen.
({2})
Wer dies leugnet, verkennt die Ereignisse des 11. September 2001 in New York und die Anschläge in Madrid
und London mit ihren Tausenden von Opfern.
({3})
Zu den zentralen Botschaften des 11. September gehört,
dass wir die Entstehung und Verfestigung von Parallelgesellschaften verhindern müssen.
({4})
Der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat in einem Vorwort zum
Strafurteil gegen Metin Kaplan die Verblüffung des Senats zum Ausdruck gebracht und uns ins Stammbuch geschrieben,
… dass eine Vielzahl von Zeugen …, und davon
nicht wenige mit inzwischen deutscher Staatsangehörigkeit, mit einer kaum zu glaubenden Unverblümtheit oder besser Unverfrorenheit erklärten,
dass für sie auch hier in Deutschland nicht die deutschen Gesetze, ja nicht einmal die deutsche Verfassung, sondern das islamische Recht, die Scharia,
maßgeblich sei.
({5})
Dieselben Leute räumten aber auf Befragen des Gerichts
ausdrücklich ein,
… dass sie gerade wegen der Möglichkeit, ihre Religion frei und ohne Behinderung auszuüben, also
wegen der ihnen aufgrund unserer Verfassung gewährten Rechte und Freiheiten nach Deutschland
gekommen sind.
So weit das Zitat des Vorsitzenden Richters.
({6})
Ich fasse zusammen. Ich verstehe nach wie vor nicht,
dass es im Einbürgerungsverfahren nicht möglich sein
soll, beispielsweise zu fragen, wie es der Bewerber mit
der Gleichbehandlung von Mann und Frau hält, wie er
zu Bildungschancen junger Mädchen steht und wie er es
mit der Toleranz gegenüber Andersgläubigen hält. Was
wir vom Einbürgerungsbewerber verlangen, ist nicht
mehr und nicht weniger als ein klares und nachvollziehbares Bekenntnis zu unserer verfassungsmäßigen Ordnung.
({7})
Minister Heribert Rech ({8})
So viel Verfassungspatriotismus darf, so viel Verfassungspatriotismus muss sein.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
Ekin Deligöz.
Sehr geehrter Herr Minister, eigentlich wollte ich Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Dazu haben Sie mir aber
keine Gelegenheit gegeben. Deshalb mache ich nun eine
Kurzintervention. Aber Sie können ja noch erwidern.
Sind Sie nicht der Meinung, dass es ausreicht, wenn
wir den Menschen bei der Einbürgerung abverlangen,
dass sie sich eindeutig zum Grundgesetz bekennen, und
dass wir im Rahmen des letzten Staatsbürgerschaftsgesetzes eingeführt haben, dass es bei einem Einbürgerungsverfahren eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gibt, durch die genau das berücksichtigt wird, was
Ihnen wichtig ist, nämlich die Erfragung bestimmter
Sachverhalte aus der Vergangenheit des Bewerbers?
Wenn Sie nicht dieser Meinung sind, dann sollten Sie es
begründen; denn das hieße, dass Sie grundsätzlich der
Meinung wären - das interessiert mich ganz besonders -, dass der Verfassungsschutz die erforderlichen
Antworten nicht liefern kann. Aber dann müssten wir
dieses Instrument hinterfragen und prüfen, ob es richtig
ist, und es stellte sich die Frage, warum Sie es unbedingt
haben wollten und nun die gleichen Argumente wie damals anführen.
Ich möchte noch etwas hinzufügen. Ich komme aus
dem Allgäu und weiß, dass es dort bestimmte Menschen
gibt, die durchaus eine andere Einstellung beispielsweise
zur Homosexualität haben als die Mitglieder meiner
Fraktion. Meinen Sie, dass diese Menschen womöglich
ausgebürgert werden müssten?
({0})
Würden Sie beispielsweise manche Menschen in der
Kirche, die eine andere Position zur Homosexualität haben, ebenfalls ausbürgern? Ihre Auffassung dazu interessiert mich sehr.
Ein Letztes. Es stimmt, Sie polarisieren. Ich bekenne
mich dazu, dass ich Muslimin bin, und gleichzeitig bin
ich Mitglied dieses Parlaments. Ich hoffe, dass das nicht
als Outing, sondern als eine Selbstverständlichkeit verstanden wird. Es gibt nun einmal auch Menschen anderen Glaubens in diesem Land.
({1})
Mich stört es sehr, wenn Sie den Islam mit Fundamentalismus und Gewaltbereitschaft gleichsetzen. Es gibt aufgeklärte Muslime in diesem Land,
({2})
auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Sie dürfen
uns, die aufgeklärten Muslime, nicht in einen Topf mit
Fundamentalisten und Gewaltbereiten werfen.
({3})
- Lassen Sie mich doch mal zu Ende reden! - Unsere
Verfassung anzuerkennen, bedeutet auch, zu tolerieren,
zu respektieren und zuzulassen. Sie gilt für mich als eingebürgerte Person genauso wie für Sie, einen gebürtigen
Deutschen. Auch Sie müssen sich an die Verfassung halten, wenn es darum geht, Gesinnung und Gedanken Andersgläubiger in diesem Land zu akzeptieren, zu tolerieren und vor allem zu respektieren. Das sollte für Sie
genauso gelten.
({4})
Hören Sie endlich damit auf, alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Das haben wir nicht verdient.
({5})
Das empfinden wir so. Das habe ich auch vorhin wieder
so empfunden. Hören Sie endlich damit auf!
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.
Denken Sie lieber darüber nach, wie wir gemeinsam
diese Gesellschaft weiterbringen können, wie wir gemeinsam das Miteinander gestalten können, anstatt das
Gegeneinander und das Polarisieren zu schüren.
({0})
Herr Minister.
Heribert Rech, Minister ({0}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin, die Tatsache, dass es eventuell Deutsche mit
einer problematischen Einstellung zu unseren Verfassungswerten wie Toleranz gibt - im Allgäu oder anderswo -, rechtfertigt es nicht, Ausländer mit gleicher Einstellung einzubürgern.
({1})
Das Wort hat nun der Kollege Hartfrid Wolff von der
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dramatische Ereignisse des vergangenen Jahres wie
Hartfrid Wolff ({0})
der Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden oder
jüngst die Vorstadtkrawalle in Frankreich machen eines
deutlich: Die Integration von Ausländern ist eine der
wichtigsten Fragen, mit denen sich eine freiheitliche Gesellschaft auseinander setzen muss. Sie ist zu wichtig,
um in Wahlkämpfen zerredet und an bierseligen Stammtischen oder in multikultiverträumten Altachtundsechzigerrunden erörtert zu werden.
({1})
Die Integration und die Einbürgerung von Ausländern
müssen auf einer sachbezogenen Ebene diskutiert werden. Wir haben vorhin gemerkt, wie nötig das ist. § 10
des Staatsangehörigkeitsgesetzes verlangt ausdrücklich
ein Bekennen und eine Erklärung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ich kann daran nichts
Schlechtes finden. Im Gegenteil. Auch aus Sicht der
Grünen kann das Erfordernis des Bekennens zur demokratischen Grundordnung so falsch nicht sein. Schließlich stammt diese Regelung aus der Zeit, als die Grünen
mitregierten.
({2})
Die Grünen haben offenbar gelegentlich Gedächtnislücken, wenn sie im Bereich der Innenpolitik an ihre eigene Regierungszeit zurückdenken.
({3})
In der Begründung des Antrags wird sehr deutlich, worum es den Grünen geht. Sie wollen sich mit der FDP einen Wettstreit um den Vorrang als Bürgerrechtspartei
leisten.
({4})
Wir sind gerne bereit, der Maßstab für die Grünen zu
sein, und fühlen uns sogar geehrt.
({5})
Der Schutz vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen und die Sicherheitsbelange der Bevölkerung ernst zu
nehmen ist Aufgabe jeder Regierung, auch der Landesregierung von Baden-Württemberg. Ich bin aber auch
der Meinung, dass nicht überzogen agiert werden darf.
Dementsprechend ist auch die Vorlage des Fragenkatalogs des Innenministers von Baden-Württemberg sehr
kritikwürdig.
({6})
Wenn ich gerade das Bekenntnis zur Verfassungsordnung der Bundesrepublik einfordere, dann muss ich
mich bei meinem eigenen Tun auch an diese halten. Da
weckt der Fragenkatalog erhebliche Zweifel.
({7})
Ich kann nicht erkennen, inwiefern bestimmte Fragen
des Katalogs einen Aufschluss über die Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung geben können.
Einige Fragen sind so formuliert, dass sie auch für gut
gebildete Deutsche zum Teil schwer durchschaubar sind.
Vor allem aber inhaltlich sind manche der Fragen absolut
indiskutabel, etwa weil sie sexuell diskriminierend sind
oder gar eine Rangordnung nach ethnischen Kriterien
suggerieren.
({8})
Selbst den Fachleuten kommen Zweifel. So will das
Stuttgarter Ausländeramt laut einem Bericht der „Stuttgarter Nachrichten“ nur zehn von den 30 Fragen auch
nutzen.
Das Vorgehen von Innenminister Rech ist wenig überzeugend. Dass es ihm offensichtlich nicht um die Integration einbürgerungswilliger Ausländer geht, zeigt die
Tatsache, dass er den Ausländerbeauftragten BadenWürttembergs, seinen Kabinettskollegen Ulrich Goll,
nicht beteiligt hat.
({9})
- Sie haben sich vorhin beschwert, dass es eine öffentliche Diskussion gab. Die Fachleute zu fragen, hätte vielleicht geholfen.
({10})
Ich möchte festhalten, was in der Debatte klar geworden ist: Die CDU hat der Integration in diesem Fall einen Bärendienst erwiesen.
({11})
Zum Gelingen von Integration ist ein aktives Engagement jedes einzelnen Zugewanderten bei der Eingliederung in die deutsche Gesellschaft unabdingbar. Dazu gehört, die deutsche Sprache zu erlernen, dazu gehört, die
Grundwerte unserer Verfassung und Rechtsordnung vorbehaltlos zu akzeptieren und selbst zu leben. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau etwa und die Freiheit
zur Gestaltung eigener Lebensentwürfe sind ein unabdingbarer Teil dieser Werteordnung.
({12})
Kultur und Religion sind auf keinen Fall eine Rechtfertigung für menschenrechtswidrige Praktiken, zu denen beispielsweise die Zwangsheirat gehört.
({13})
Es ist wenig plausibel, derartige Werte einerseits politisch laut einzufordern - wie es hier die Grünen tun und zugleich die Betreffenden vor der Einbürgerung danach nicht fragen zu wollen.
({14})
Ich habe nicht das Gefühl, dass Migrantinnen und Migranten in ihrer Mehrheit damit ein großes Problem
Hartfrid Wolff ({15})
haben. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass sich sowohl
die CDU in Baden-Württemberg als auch die Grünen im
Vorfeld der Landtagswahlen damit profilieren wollen.
({16})
Wir Liberalen werden kühlen Kopf bewahren
({17})
und ich glaube, das ist auch besser so. Wir wollen eine
freiheitliche, eine offene Gesellschaft. Wir halten es für
richtig, das offen anzusprechen. Aber wir werden weder
kollektive Verdächtigungen noch ein Aushorchen der Intimsphäre unbescholtener Menschen akzeptieren.
({18})
Eine Politik einseitig zulasten von Minderheiten lehnen
wir ab.
({19})
Freiheit und Sicherheit stehen stets in einem Spannungsverhältnis. Aber Freiheit und Sicherheit bedingen
auch einander. Die Rechtsstaatspartei FDP wird stets,
auch bei der Einbürgerung, für die Freiheit eintreten,
ohne die Sicherheit zu vernachlässigen.
Vielen Dank.
({20})
Herr Kollege Wolff, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu sehr herzlich
und wünsche Ihnen alles Gute.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Bürsch,
SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Gesinnungstest aus Baden-Württemberg ist eine Doppelsteilvorlage für die SPD:
Zum einen können wir sehr deutlich machen, wie eine
verfehlte Umsetzung des Staatsangehörigkeitsrechts aussieht.
({0})
Das hat Herr Rech hier noch einmal sehr deutlich bewiesen. Das ist aus unserer Sicht ein abschreckendes Beispiel für die Anwendung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts. Ich sage an die Adresse unseres neuen
Koalitionspartners: Demokratie lebt auch vom Unterschied und ist keine Harmonieveranstaltung. Wir nehmen uns also die Freiheit, an dieser Stelle deutlich zu
zeigen, wie verfehlt wir diesen Weg in Baden-Württemberg finden.
Zum anderen ist es auch eine Steilvorlage für die
SPD, weil sie ihr Verständnis von Integrationspolitik
noch einmal verdeutlichen kann. Das, worüber wir heute
reden, hat mit viel mehr zu tun als mit der Überprüfung
von Gesinnung. Es hat mit dem Verständnis von Integration zu tun. Für mich ist das, was aus dem badenwürttembergischen Fragebogen hervorgeht, eher abschreckend. Davon setzt sich die SPD deutlich ab.
({1})
Ich nehme mit Freude und einer gewissen Überraschung zur Kenntnis, welche Doppelstrategie die FDP
hier fährt.
({2})
In Baden-Württemberg ist der Protest gegen diese Gesinnungsprüfung nicht sehr laut geworden. In diesem
Parlament hier in Berlin klingt das schon sehr viel anders. Die Bürgerrechtspartei FDP hat sich hier wunderbar artikuliert.
({3})
Was liegt uns hier vor? Ich weiß gar nicht, verehrte
Kolleginnen und Kollegen, ob Sie tatsächlich Gelegenheit hatten, sich diesen „wunderbaren“ Fragebogen einmal genauer anzuschauen, also selber einmal den Lackmustest zu machen. Da gibt es zum Beispiel die Fragen
- ich stelle sie Herrn Uhl -:
Halten Sie es für einen Fortschritt, dass Männer und
Frauen in Deutschland kraft Gesetzes gleichberechtigt sind?
({4})
Hätten Sie bei bestimmten Berufen Schwierigkeiten, eine Frau als Autoritätsperson anzuerkennen?
Sie müssen jetzt nicht antworten,
({5})
aber die Frage ist schon, wie Sie unter vier Augen darauf
antworten würden.
Herr Strobl - Sie sind aus Baden-Württemberg -, Ihnen stelle ich folgende Frage:
Ihre Tochter bewirbt sich um eine Stelle in
Deutschland. Sie bekommt jedoch ein ablehnendes
Schreiben. Später erfahren Sie, dass eine Schwarzafrikanerin aus Somalia die Stelle bekommen hat.
Wie verhalten Sie sich?
Wie verhalten Sie sich als Baden-Württemberger in
dieser Frage, tolerant, weltoffen?
({6})
Dann ist noch die Frage: Wie ist Ihre Gesinnung in dieser Frage?
({7})
Das Ganze ist am allerschönsten, wo es um die
Demokratie geht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich wäre wirklich froh und dankbar, wenn mir das jemand beantworten könnte. In dem Fragebogen heißt es:
Was halten Sie von folgenden Aussagen?
- „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform,
die wir haben, aber die beste, die es gibt.“
({8})
Über diesen Satz sollte man schon ganz vertieft nachdenken. Herr Uhl, wer belesen ist, wird entdecken, dass
dieser Satz eine verdammte Ähnlichkeit mit einem Zitat
von Churchill hat.
({9})
Der Satz lautet nämlich: Demokratie ist eine höchst
mangelhafte Regierungsform, aber immer noch die beste
von allen, die wir bisher probiert haben.
({10})
Da hat einer der Beamten, glaube ich, den Churchill als
Trojanisches Pferd mit hineingebracht. - Das alles ist in
diesem blödsinnigen Fragebogen enthalten.
({11})
Was hier stattfindet, ist nicht nur Realsatire; das ist
nicht nur Absurdistan; darin steckt erheblich mehr. Das
ist ernster, als es bei diesem Fragebogen vielleicht zunächst einmal rüberkommt.
Ich sehe darin verschiedene wirklich kritikwürdige
Punkte. Das ist nur die geballte Kritik, Herr Rech; ich
habe sie mir nicht ausgedacht, auch die SPD hat sie sich
nicht ausgedacht. Es beginnt mit einem Verstoß gegen
Art. 3 Grundgesetz. Das haben Sie nicht widerlegt,
wenn Sie sagen, es werde nicht nach der Religion gefragt. Damit wird eine Diskriminierung vorgenommen.
Eine Gesinnungsprüfung, werter Herr Rech, wird vom
Grundgesetz nicht gewünscht und nicht gewollt. Man
kann das zuspitzen: Wer Deutscher werden will, muss
kein Gutmensch - das ist nämlich das, was aus diesem
Fragebogen hervorgeht - sein. Es wird verlangt - daran
gibt es überhaupt keinen Zweifel -, dass sich die Menschen, die hier eingebürgert werden sollen und wollen,
zu den Verfassungsgrundsätzen bekennen.
({12})
- Das steht in § 10. - Die Frage ist nur, wie wir zu einer
Prüfung dessen kommen, was dieses Bekenntnis ausmacht.
({13})
Ich sage Ihnen: Das ist keine Gesinnungsfrage. Das
kann man nicht in den Hirnen der Menschen abfragen.
Das ist eine Frage der täglichen Praxis. Wenn Schülerinnen nicht an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen,
({14})
zum Beispiel nicht am Sportunterricht, dann muss man
darauf hinwirken, dass das anders wird.
({15})
Aber das kann man nicht über die Gesinnungsfrage regeln.
({16})
Das Instrument, das hiermit vorgelegt worden ist, ist
absolut unpassend und es ist verfassungswidrig, weil es
aus Gesinnungsfragen aufgebaut ist.
Es gibt noch eine Frage, die damit zusammenhängt.
Sie steht allerdings nicht darin. Soll dann, wenn jemand
diesen Gesinnungstest nicht besteht, die Staatsangehörigkeit entzogen werden? Das ist ein Gegenstand, der in
einem ganz anderen Fall - da geht es um falsche Angaben - jetzt vor dem Verfassungsgericht anhängig ist.
Nach der Anlage dieses Fragebogens würde ich nicht
einmal ausschließen, dass womöglich auch das noch einbezogen ist, dass also dann, wenn dieser Fragebogen
nicht ordentlich beantwortet wird, die Möglichkeit besteht, die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Das wäre ein
klarer Verstoß gegen Art. 16 Grundgesetz.
Es ist viel gesagt und geschrieben worden. Ich kann
nur ein wenig aus diesem ganzen Bild wiedergeben - das
ist wirklich durch die Bank negativ, lieber Herr Rech -:
Die Fragen offenbaren ein klischeehaftes Welt- und
Menschenbild über Muslime. Sie spiegeln platte Vorurteile gegen Muslime wider. Sie sind von einer Misstrauenskultur gegen die Menschen geprägt, die zu uns kommen.
({17})
Nun zu der Frage, die auch hier schon gestellt worden
ist. Wenn das denn der Verfassungs-TÜV sein sollte:
Bei ehrlicher Beantwortung der Fragen dürfte herauskommen, dass vermutlich viele Menschen nicht auf dem
Boden unseres Grundgesetzes stehen; bei ehrlicher Beantwortung würden sie die Fragen nämlich anders beantworten, als Herr Rech das vorgibt. Wer wirklich Verfassungsfeind ist, der - da kommen wir zu den praktischen
Fragen - würde bei den Antworten das sagen, was der
geneigte Fragesteller hören will, er würde lügen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Köhler von der CDU/CSU-Fraktion?
Ja, gerne.
Herr Kollege Bürsch, Sie haben in Ihrem engagierten
Vortrag darauf hingewiesen, dass es auch in Deutschland
Abweichende Meinungen.
- und Frauenfeinde gibt. Da haben Sie Recht; das ist
leider so. Aber warum, Herr Kollege, sollte dies ein
Grund sein, zusätzlich Antisemiten, Schwulenhasser und
Frauenfeinde einzubürgern?
({0})
Frau Kollegin, das hebt die sehr ernste Frage, wie Integration aussieht und wen wir integrieren, auf eine völlig falsche Ebene.
({0})
Es geht nicht darum, ob wir Antisemiten oder eine der
anderen von Ihnen benannten Gruppen hier integrieren
wollen. Auch das, was der Innenminister zum Schluss
geantwortet hat, führt in eine völlig falsche Richtung.
Wir können die Gesinnung nicht überprüfen. Ich wiederhole, was ich gesagt habe: Es kann nicht darum gehen,
dass wir nur Gutmenschen einbürgern nach dem Motto,
dass wir hier nur den weltoffenen, toleranten, gewaltfreien Frauenversteher wollen. Oder wer soll das bitte
schön sein?
Ich sage Ihnen: Es geht darum, dass bestimmte Kriterien erfüllt werden müssen. Das kann man durch Anfrage beim Verfassungsschutz klären. Man kann klären,
ob Menschen straffällig geworden sind. Wer sich hier als
Antisemit äußert oder betätigt, der macht sich strafbar.
Insofern sind das klare Kriterien.
({1})
Wer wirklich Verfassungsfeind ist, wird aber mit diesem Test nicht bloßgestellt. Die Praktiker - das zeigt der
Rücklauf von Ihren Ausländerbehörden; das ist Ihnen
auch schon gesagt worden - können mit dem Fragenkatalog überhaupt nichts anfangen. Das Ganze bedeutet einen hohen bürokratischen Aufwand. Es ist nicht klar,
wie die Antworten ausgelegt werden. Das funktioniert
doch nicht nach dem einfachen Motto, dass einer, wenn
er Ja sagt, akzeptabel ist, wenn er Nein sagt, aber nicht.
Da gibt es so große Auslegungsspielräume, dass man damit überhaupt nicht arbeiten kann. Es gibt keine objektiven Bewertungskriterien. Das Ganze ist also eine
Übung -
Herr Kollege, darf ich Sie noch einmal unterbrechen.
Sie sind so schnell in Ihrer Rede, dass ich kaum eine
Satzpause finde. Der Kollege Tauss hätte gerne eine
Zwischenfrage gestellt.
({0})
Bitte schön.
Lieber Herr Kollege Bürsch, nachdem sich die Union
zu meinem Erstaunen so vehement in den badenwürttembergischen Landtagswahlkampf einmischt - um
etwas anderes als um einen Landtagswahlkampfgag handelt es sich seitens der Union ja in Wahrheit nicht -,
würde mich doch interessieren, wie Sie die Tatsache bewerten, dass jenseits dieses Gags die baden-württembergischen Kirchen deutlich gemacht haben, dass es hier
um mehr gehen darf als um Landtagswahlkampf zugunsten der CDU. Die katholische und die evangelische Kirche haben übereinstimmend deutlich gemacht, dass dies
kein Instrument sein kann, dass es ein Instrument wäre,
das in der auch von Ihnen kritisierten Richtung zu bewerten ist. Wie würden Sie es auch angesichts der Gesamtdiskussion bewerten, dass die von der Union angeschlagenen Töne bisher offensichtlich keinen Anklang
gefunden haben, sondern ganz im Gegenteil verstanden
worden ist, dass es sich eher um eine populistische Weiterführung des Wahlkampfes handelt?
Herr Kollege, ich akzeptiere die Frage gerne. Sie
überfordert mich nicht. Ich gebe Ihnen gerne eine Antwort auf der Grundlage dessen, was ich hier vortrage: Es
gibt eine absolut breite Ablehnung des vorgeschlagenen
Weges.
({0})
Sie reicht über die Kirchen und die Gewerkschaften bis
in die Reihen derjenigen in der Verwaltung, die das bearbeiten müssten. Es herrscht allgemeine Zustimmung,
dass wir natürlich prüfen müssen, wer zu uns kommt und
dass er mit unserer Verfassung konform geht. Aber der
Weg, der hier gewählt wird, ist völlig falsch. Der
schlimmste Verdacht, der geäußert worden ist - das ist
keine Erfindung von uns hier in Berlin -, ist, dass das
Ganze nur mit Wahlkampf zu tun hat. Das erinnert an
die Unterschriftenaktion 1999 in Hessen, die Sie alle
kennen. Die Aktion soll eine bestimmte Stimmung gegen Ausländer entfachen.
({1})
Das ist aus meiner Sicht der schlimmste Verdacht. Dagegen müssen sich die Kirchen - zu Recht - wehren.
({2})
Ich will einmal anführen, was zu dieser Gesinnungsüberprüfung gesagt worden ist. Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte: nicht zielführend, Max Stadler: hilfloser Versuch, Birgit Homburger: inakzeptabel. Es gibt
auch entsprechende Stellungnahmen in Zeitungen, speziell in Zeitungen aus Frankfurt.
({3})
Ich möchte Ihnen gerne folgende Zitate ans Herz legen. Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt:
Niemand bestreitet, dass deutschen Staatsbürgern in
spe eine Bindung an freiheitliche Werte abverlangt
werden kann - und dass es daran gelegentlich mangelt. Aber wer glaubt, mit einer Mischung aus
Dummheit und Diskriminierung dagegen vorgehen
zu können, den sollte man seinerseits mal nach seiner „inneren Einstellung“ zum Grundgesetz fragen.
Die ebenfalls sehr objektive „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“ schreibt:
Zweifel an der Gesinnung des Bewerbers sind nur
durch dessen nachprüfbares Verhalten in der
Schule, am Arbeitsplatz, im Alltag
- „im Alltag“, Herr Binninger auszuräumen, nicht durch noch so verfängliche Fragen.
Herr Rech, diese ganze Aktion verdient also die Bewertung mangelhaft, unzulänglich. Machen Sie Schluss
damit!
({4})
Ich komme zu dem positiven Teil der heutigen Debatte, nämlich zu der Frage, wie eine richtige Integrationspolitik aussieht. Für diese Integrationspolitik steht
die SPD. In den letzten fünf Jahrzehnten haben wir gemerkt, dass Parallelgesellschaften nicht funktionieren.
Auch der Ansatz „Multikulti“ hat seine Schwächen und
hilft uns bei der Integration nicht weiter.
({5})
Was aber noch weniger funktioniert - dafür gibt es
ebenfalls genügend Belege -, ist das Modell Assimilation, also Unterordnung der Einwanderer als Geduldete
des Gaststaates.
({6})
Ich erinnere an die Erkenntnis von Max Frisch: Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen. - Diese Erkenntnis müssen wir auch in den nächsten Jahren beachten.
Wofür die SPD und ich plädieren, ist ein dritter Weg.
Die aufnehmende Gesellschaft und die Menschen, die zu
uns kommen, müssen eine neue Gesellschaft bilden - in
Kanada ist dies schon gelungen -, die Fähigkeiten und
Kompetenzen aller, die zusammenkommen, zusammenführt. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass es eine entsprechende Einstellung zu Ausländern und zu Menschen, die zu uns kommen, gibt.
In 30 Ländern wurde eine Umfrage über die positiven
Wirkungen durchgeführt, die Einwanderer auf das jeweilige Land haben. Auf die Frage „Haben Einwanderer
positive Wirkungen für unser Land?“ haben 77 Prozent
in Kanada mit Ja geantwortet. Ich war im letzten Jahr
mit dem Innenausschuss in Kanada und kann diese Haltung voll und ganz bestätigen. Die Integrationspolitik
der Kanadier kommt dem Land selbst, den Menschen,
die kommen, und den Menschen, die dort leben, zugute.
In den USA haben auf die Frage immerhin noch
49 Prozent mit Ja geantwortet. In Deutschland liegt der
entsprechende Anteil bedauerlicherweise bei nur
26 Prozent. Das ist eine Frage des Bewusstseins und der
Mentalität.
Das heutige Thema hat mit der Frage, wie wir Integration verstehen, und mit der Erkenntnis zu tun, dass
Menschen, die zu uns kommen, ein Gewinn für unser
Land sind und unser Leben bereichern. Dieser Ansatz
muss in unsere Integrationspolitik einfließen. Integration
ist nach dem Verständnis der SPD ein Zweibahnprojekt
und keine Einbahnstraße. Beide Seiten bewegen sich
aufeinander zu. Die Voraussetzungen, die man dafür
braucht, sind Wertschätzung, Anerkennung, Akzeptanz
und Toleranz.
Neben diesen Elementen sind die Beteiligungsmöglichkeiten der entscheidende Punkt dafür, ob uns die Integration gelingt. Im Rahmen einer großen Untersuchung, die von Bertelsmann durchgeführt wurde, sagt
ein Ausländer, der zu uns gekommen ist - das ist für
mich typisch -: Warum soll ich mich integrieren, wenn
ich nicht akzeptiert werde? - Das ist der Schlüssel dazu,
dass wir zueinander kommen und dass Menschen hier
wirklich eine Heimat finden und das Grundgesetz so annehmen, wie wir das erwarten können. Teilhabe und Partizipation sind also der Schlüssel.
({7})
Ich komme zu dem Antrag der Grünen. Es ist deutlich geworden: Inhaltlich gibt es eine große Übereinstimmung mit dem, was die Grünen hier mit Recht kritisieren. Aber, werte Freunde von den Grünen, der Weg zu
einem gemeinsamen Beschluss und zu einem Konsens
über die Anforderungen führt darüber, dass man über
dieses Thema auch reden kann. Ich bedauere es sehr,
dass es heute eine Entscheidung geben soll und dass
dann Schluss bzw. Ende der Fahnenstange ist. Wir wären
sehr daran interessiert gewesen, darüber in den Ausschüssen zu diskutieren; denn für uns gilt immer noch
das strucksche Gesetz: Nichts kommt aus dem Bundestag so heraus, wie es hineingekommen ist. Wir hätten
gern darüber geredet.
Unser Antrag hätte zum Beispiel so gelautet: Der
Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
sich für eine Integrationspolitik einzusetzen, die sowohl
den Maßstäben der Verfassung wie auch dem liberalen
Verständnis von Integration im 21. Jahrhundert entspricht.
({8})
Das wäre unser Antrag gewesen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat nun die Kollegin Sevim Dagdelen von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Zwar ist das neue Jahr noch sehr jung,
dennoch habe ich für das Unwort des Jahres 2006 bereits einen Favoriten: Muslimtest.
({0})
Bekanntlich werden diejenigen Begriffe zum Unwort
des Jahres gekürt, die die Menschen in ihrer Würde verletzen. Die zu Jahresbeginn in Baden-Württemberg eingeführte Einbürgerungspraxis, der Muslimtest, hat beste
Chancen, dieses Kriterium zu erfüllen. Dieser Muslimtest stellt nämlich eine institutionelle Diskriminierung,
eine öffentliche Demütigung und eine Stigmatisierung
von Menschen muslimischen Glaubens dar.
({1})
Migrantinnen und Migranten in Deutschland fühlen sich
durch diesen Test herabgesetzt und entwürdigt. Mit dem
Test wird allen Migrantinnen und Migranten aus muslimischen Ländern ein kriminelles Potenzial und mangelnde Integrationsbereitschaft respektive -fähigkeit unterstellt.
In dem Gesprächsleitfaden spiegelt sich zudem die
Vorstellung einer deutschen Leitkultur wider. Hinter
den Fragen verbirgt sich nämlich das Bild einer kulturellen Rückständigkeit von Muslimen. Für diejenigen, die
den ersten notwendigen Schritt in Richtung Integration
machen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen,
ist dies ein Schlag ins Gesicht, liebe Kolleginnen und
Kollegen der CDU und der CSU.
({2})
Die Fraktion Die Linke hält die bislang einmalige
Prozedur in Baden-Württemberg im Hinblick auf das
geltende Gleichheitsgebot und das Persönlichkeitsrecht
für besonders bedenklich. Es ist nicht einzusehen, warum Menschen eines bestimmten Glaubens intensiver
geprüft werden sollen als zum Beispiel einbürgerungswillige Christen oder Hindus. Ferner ist nicht einzusehen, warum man überhaupt auf Fragen nach der Arztwahl oder dem Schwimmunterricht der Tochter eingehen
soll. Die Fragen bedienen lediglich die vorherrschenden
Ressentiments gegenüber Migrantinnen und Migranten
und sind mit unserem demokratischen Verständnis und
Selbstverständnis überhaupt nicht vereinbar.
({3})
Auch wenn das Ländle Baden-Württemberg nun die
Streichung einiger Fragen vornehmen und die Anwendung dieser Vorschrift auf alle Einbürgerungskandidaten
wie angekündigt ausdehnen sollte, ist ein solcher Gesinnungstest nicht akzeptabel. Wir können nicht von Menschen, die sich einbürgern wollen, erwarten, das zu sein,
was wir nicht sind. Wir Deutsche sind leider nicht frei
von Sexismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir sind
nicht vorurteilsfrei gegenüber dem Geschlecht, sexueller
Orientierung und Ethnien. Wir wollen das gerne sein,
sind es aber nicht. Die gesellschaftliche Realität zeigt
militanten Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewalt
gegenüber Schwulen und Frauen, Homophobie und
Islamphobie.
Im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen bieten dieser Fragebogen und der Ruf nach Verschärfung des Zuwanderungsrechts Anlass zur Sorge. Es ist
wohl kein Zufall, dass die gegenwärtige Debatte mitten
in den Wahlkampf fällt und dass Baden-Württemberg
dabei auch noch eine Vorreiterrolle übernommen hat.
Ich möchte Sie hier ausdrücklich warnen: Wenn Parteien, Politikerinnen und Politiker bei Wählerinnen und
Wählern weit verbreitete Vorurteile und ablehnende Haltungen bewusst bedienen - das tut man hier -, um Wahlerfolge zu erzielen, fügen sie der Demokratie und dem
friedlichen Zusammenleben in der Bundesrepublik
schweren Schaden zu.
({4})
Was wir brauchen, ist eine integrationsfördernde Politik, die auf den Rückgang der Einbürgerungszahlen,
besonders in Baden-Württemberg - dieser ist nämlich
deutlich stärker als im Bundesdurchschnitt -, reagiert.
Das heißt für mich: Wir brauchen ein liberales Staatsbürgerschaftsrecht, damit über 7 Millionen Menschen in
unserem Land gleiche Rechte und gleiche Chancen bekommen. Herr Minister Rech wie auch die Regierungskoalition sollten sich die Frage stellen, wie sie diesen
Rückgang - Sie könnten dabei ruhig zuhören, Herr
Rech ({5})
der Einbürgerungszahlen stoppen können, anstatt neue
Hürden aufzubauen. Wer die Einbürgerung nicht erleichtert, sondern weiter erschwert, fördert die Integration
nicht.
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD,
in Ihrer Koalitionsvereinbarung halten Sie fest, dass Sie
die Vorschriften über das Staatsangehörigkeitsrecht präzisieren und eine einheitliche Verwaltungspraxis in allen
Ländern sicherstellen wollen. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, mit einer einheitlichen Verwaltungspraxis diese
Diskriminierung zu stoppen und auf eine rechtmäßige
Praxis hinzuwirken.
({6})
Die Fraktion Die Linke wird deshalb dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen zustimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Clemens Binninger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut.
Bei der Einbürgerung stellen wir zu Recht ganz konkrete
Anforderungen.
({0})
Dabei ist, glaube ich, eines wichtig: Die Zuerkennung
der deutschen Staatsbürgerschaft steht am Ende einer erfolgreichen Integration, nicht am Anfang. Alles andere
wäre der falsche Weg.
({1})
Darüber, dass wir uns dabei von konkreten Wertvorstellungen leiten lassen, gibt es sicherlich hier im Haus keinen Streit. Es sind unsere Verfassung, die in ihr niedergelegten Grundrechte und unsere Werteordnung.
Das heißt aber auch im Umkehrschluss: Wer unsere
Verfassung nicht akzeptiert, wer unsere Werteordnung
bekämpft oder negiert, der hat kein Recht darauf, deutscher Staatsbürger zu werden.
({2})
Wer zum Beispiel - das sage ich jetzt besonders an die
Adresse der Grünen - die Gleichberechtigung von Mann
und Frau nicht akzeptiert, wer die freie Entfaltung der
Persönlichkeit nicht toleriert, wer den Rechtsstaat oder
das Gewaltmonopol des Staates in Zweifel zieht, der hat
keinen Anspruch darauf, deutscher Staatsbürger zu werden.
({3})
Wenn wir diesbezüglich Zweifel haben - nur darum geht
es doch -, müssen wir nachfragen. Das wird die große
Mehrheit der Einbürgerungswilligen nicht betreffen,
weil wir bei ihnen keine Zweifel haben. Aber das enthebt uns doch nicht der Pflicht, bei der Minderheit umso
genauer und konkreter hinzuschauen.
({4})
Es ist doch nicht hinnehmbar, dass wir Personen einbürgern und nach der Einbürgerung erleben müssen,
dass sie sich im Umfeld von Terrorismus und Extremismus bewegen, wir aber nichts mehr dagegen tun können.
Heribert Rech hat ja vorhin Beispiele aus dem KaplanProzess zitiert. Wir müssen alles tun, um diese Dinge
vorher zu verhindern.
({5})
- Herr Bürsch, entspannen Sie sich ein bisschen! Dazu
komme ich noch.
Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass jemand hier
in Deutschland in einer Parallelgesellschaft lebt, dann
deutscher Staatsbürger wird und anschließend mit allen
Rechten und Freiheiten, die er hat, unsere Werteordnung
bekämpft. Wer hier wegsieht, gefährdet den inneren
Frieden unseres Landes. Und wir sehen nicht weg.
({6})
Es geht darum - Herr Bürsch, jetzt hören Sie einmal
kurz zu -, wie man in der Praxis verfährt. Bisher werden
abstrakte Begriffe abgefragt: Stehen Sie zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung? - Diese Frage wird
wahrscheinlich immer mit Ja beantwortet werden. - Wie
heißt der Landrat? - Solche Fragen helfen nicht weiter.
Deshalb geht Baden-Württemberg den Weg, konkrete
Fragen zu Lebenssachverhalten zu stellen.
Lassen Sie mich - weil es sich um eine wirklich sehr
ernste Angelegenheit handelt - einige Dinge klarstellen,
die die Grünen und die Linken heute Nachmittag hier,
aber auch in der Presse verbreitet haben.
({7})
Es beginnt schon beim Titel des Antrags der Grünen:
„Muslimtest“. Im gesamten Gesprächsleitfaden, in allen 30 Fragen, tauchen nicht einmal die Wörter „Muslim“ oder „Islam“ auf. Sie erzeugen hier ein völlig falsches Bild.
({8})
Fakt ist: Im gesamten Gesprächsleitfaden wird nicht
einmal konkret nach der Religion gefragt. Fakt ist: Die
Anwendung dieses Gesprächsleitfadens ist in keiner
Weise auf bestimmte Staaten oder Personengruppen eingegrenzt. Nur wenn Zweifel bestehen, wird er angewandt, und zwar bei allen Einbürgerungswilligen.
({9})
Herr Kollege, gestatten Sie Zwischenfragen? Ich habe
drei Interessenten: der Kollege Beck von den Grünen,
Herr Winkler von den Grünen und ein Kollege von der
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin, wenn Sie mir bei der Redezeit ein
bisschen entgegenkommen - ich habe nur sechs Minuten -, würde ich alle Zwischenfragen zulassen.
Die Redezeit ist unabhängig von der Beantwortung
von Zwischenfragen. Wir beginnen mit Herrn Beck. Er
hat sich zuerst gemeldet.
Herr Kollege Binninger, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass einige Kommunen wie Heidelberg Unterlagen zu Unterrichtungen des Innenministeriums des
Landes Baden-Württemberg vorliegen haben, in denen
der Adressatenkreis dieser Maßnahme präzise beschrieben wird, nämlich erstens „Muslime“ und zweitens
„Fundamentalisten und politische Extremisten“, was bedeutet, dass man die Gruppe der Muslime gleichsetzt mit
Fundamentalisten und politischen Extremisten? Ich
finde, diese Gleichsetzung ist eine ungeheuerliche Diffamierung der Glaubensgemeinschaft der Muslime in unserem Land. Das muss aus der Welt geschafft werden.
({0})
Herr Beck, ich weiß nicht, worauf Sie sich beziehen.
({0})
- Moment! Wir sollten uns über eines einig sein, nämlich darüber, dass wir hier über eine Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg
sprechen, welches diesen Gesprächsleitfaden an die
Ausländerbehörden gesandt hat. Das sind die entscheidenden Dokumente - nicht irgendeine Notiz einer Ausländerbehörde, die Ihnen zugespielt worden ist.
({1})
In diesen beiden Dokumenten - Verwaltungsvorschrift und Gesprächsleitfaden - taucht nicht einmal der
Begriff „Muslime“ auf, taucht nicht einmal die Eingrenzung auf bestimmte Staaten auf. Vielmehr ist klargestellt, dass er auf alle angewandt wird, wenn Zweifel bestehen. Insofern diskriminieren Sie und nicht wir!
({2})
Herr Winkler.
Herr Kollege Binninger, Sie haben völlig Recht und
es ist völlig unstrittig, dass in dem Gesprächsleitfaden
das Wort „Muslime“ nicht auftaucht.
Das hätten Sie heute Mittag hier sagen können!
Wenn Sie mir etwas genauer zugehört und sich nicht
schon präventiv erregt hätten, wäre Ihnen aufgefallen,
dass ich eine Pressemitteilung des Innenministeriums
Baden-Württemberg vom 14. Dezember 2005 zitiert
habe. In dieser Pressemitteilung des Innenministeriums
Baden-Württemberg, die ich mit Briefkopf vorliegen
habe, werden einige islamische Autorinnen und Autoren
zitiert. Die Pressemitteilung kulminiert in Folgendem:
Aufgrund all dieser Informationen habe das Innenministerium Zweifel, ob bei Muslimen generell davon auszugehen sei, dass ihr Bekenntnis bei der
Einbürgerung auch ihrer tatsächlichen inneren Einstellung entspreche. Diese Zweifel auszuräumen sei
das Ziel eines Gesprächs, das die Einbürgerungsbehörden … mit Einbürgerungsbewerbern aus den
57 islamischen
- haben Sie das Wort verstanden? Staaten, die der Islamischen Konferenz angehören …, anhand eines vom Innenministerium vorgegebenen Gesprächsleitfadens führen würden …
Eine Diskriminierung von Muslimen sehe das Innenministerium bei diesem Verfahren nicht.
Die Quelle ist das Innenministerium. Den Verweis auf
die Homepage kann ich Ihnen geben. Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass ich das erstens so in meiner Rede gesagt habe und zweitens die Ableitung relativ leicht fällt,
dass im Gesprächsleitfaden Muslime gemeint sein könnten?
({0})
Herr Kollege Winkler, die ausgeprägteste Eigenschaft
der Grünen scheint selektive Wahrnehmung zu sein.
({0})
Wenn man ein Ziel verfolgt, dann nimmt man nur das
wahr, was man sehen möchte. Ich bleibe bei dem, was
ich gesagt habe. Entscheidend ist: Der Gesprächsleitfaden und die Verwaltungsvorschrift machen keinerlei
Eingrenzungen. Angewandt wird er auf alle, hinsichtlich
derer Zweifel bestehen. Das ist ungeachtet irgendeiner
Pressemeldung das Entscheidende.
Jetzt haben wir noch eine Zwischenfrage. Herr Kollege Dr. Keskin.
Herr Kollege, sind Sie mit mir der Meinung - die
auch sehr viele Kritiker dieses Tests teilen -, dass das eigentliche Ziel dieses Testes ist, dass viele Menschen es
nicht mehr wagen sollen, einen Antrag auf Einbürgerung
zu stellen? Das heißt, das eigentliche Ziel dieses Testes
ist, viele Menschen von der Einbürgerung fernzuhalten. - Das ist das eine.
Zum anderen: Sie meinen, die Muslime unter den Generalverdacht stellen zu müssen, dass diese verfassungsfeindlich seien bzw. nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Die Kritiker sagen - diese Meinung teile
ich -, dass hier Wahlpropaganda gemacht wird und die
Migrantinnen und Migranten vor den Wahlen in BadenWürttemberg erneut instrumentalisiert werden, um für
die Initiatoren dieser Kampagne Stimmen einbuchen zu
wollen.
Herr Kollege, ich glaube, an einem Punkt bedarf es
der Klarstellung. Es gibt kein Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland, das in seiner mehr als 50-jährigen
Geschichte so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft erfolgreich integriert hat wie Baden-Württemberg.
({0})
Es gibt außer Baden-Württemberg kein Bundesland, das
einen Geburtenüberschuss und einen positiven Zuwanderungssaldo hat. Baden-Württemberg hat von jeher immer eine differenzierte Integrationspolitik betrieben: Wir
stärken jene, die unsere Grundrechte und Gesetze akzeptieren, aber denen, die Recht und Gesetz mit Füßen treten, wird die Grenze aufgezeigt. Das ist der entscheidende Unterschied.
({1})
Insofern kann ich Ihnen bei Ihrer Einschätzung überhaupt nicht zustimmen.
Ich sage an die Adresse der Linken: Da, wo Sie in der
Vergangenheit - unter anderem Namen - regiert haben,
sind Ihnen die Leute immer davongelaufen. Sie hatten
nie Fragen der Integration zu klären. Aber zu uns nach
Baden-Württemberg sind sie gekommen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
({2})
Herr Kollege, ich habe weitere Wünsche zu Zwischenfragen, und zwar von der Kollegin Haßelmann von
den Grünen und anschließend von Herrn Riegert. Gestatten Sie diese?
Ja.
Danach können Sie mit Ihrer Rede fortfahren. - Frau
Kollegin Haßelmann.
Sehr geehrter Kollege, vielen Dank, dass Sie diese
kurze Frage zulassen. Meine Frage bezieht sich auf Ihre
Ausführungen in Bezug auf die Grünen. Sie meinten uns
unterstellen zu müssen, dass wir unter selektiver Wahrnehmung litten, weil wir diesen Gesinnungstest in scharfer Form ablehnen. Halten Sie es auch so mit dem neuen
Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, Herrn
Laschet von der CDU, der die gleiche Kritik, und zwar
in massiver Art und Weise, vorgetragen hat wie wir Grünen?
({0})
Frau Kollegin, ich glaube, dass die Kritiker - es gibt
sie; das will ich nicht bestreiten - einem Trugschluss unterliegen, nämlich dem - auch heute Mittag wird hier
immer wieder versucht, diesen krampfhaft zu
erzeugen -, dass dieser Gesprächsleitfaden nur für Muslime sei. Das stimmt einfach nicht. Auch wenn Sie das
jetzt noch zehnmal wiederholen, bleibe ich dabei: Das
stimmt nicht.
({0})
Wenn die Kritiker des Gesprächsleitfadens das wüssten,
würde ihre Kritik sicherlich anders ausfallen. Das ist für
mich gar keine Frage.
({1})
Herr Kollege Riegert.
Herr Kollege Binninger, sind Sie erstens in der Lage
und bereit, mir und den anderen Mitgliedern des Hohen
Hauses zu erklären, was der Unterschied zwischen
einem Gesinnungstest, einem Test und einem Gesprächsleitfaden ist, und halten Sie zweitens badenwürttembergische Beamte von ihrer Grundgesinnung,
ihrer demokratischen Auffassung und ihrer Ausbildung
her für geeignet, einen solchen Gesprächsleitfaden in der
Praxis anzuwenden?
({0})
Herr Kollege Riegert, was diese Diskussion heute
Nachmittag so schwierig macht, ist, dass Sie von den
Grünen und Sie von den Linken bereits mit einer festgelegten Meinung hierher kamen, von der Sie sich, egal
wie die Fakten sind, nicht abbringen lassen.
({0})
Den Fakt, dass die Anwendung des Gesprächsleitfadens nicht auf Muslime beschränkt ist, durften Sie bereits zur Kenntnis nehmen. Da Sie auch kritisiert haben,
dass die Ausländerbehörden nicht mitmachen und der
Gesprächsleitfaden seinen Zweck nicht erfüllt, will ich
Ihnen zumindest sagen, dass dieser nicht etwa in einem
stillen Kämmerlein des Ministeriums erarbeitet wurde,
sondern gemeinsam mit einer anerkannten deutsch-türkischen Migrationsforscherin und zusammen mit den
Praktikern der Ausländerbehörden.
Nun steht den Kollegen vor Ort, die dieses Gespräch
führen müssen, ein Gesprächsleitfaden zur Verfügung,
der kein Gesinnungstest ist, sondern eine Handreichung,
deren Anwendung flexibel gehandhabt wird.
({1})
Die Entscheidung, ob alle 30 oder nur fünf Fragen gestellt werden, bleibt dem jeweiligen Sachbearbeiter vor
Ort überlassen. Möglicherweise sind in der Praxis auch
nicht alle Fragen relevant; das wird sich zeigen.
({2})
Aber heute - das sollten Sie zur Kenntnis nehmen lassen Sie die Sachbearbeiter in den Ausländerbehörden
alleine, was die Fragen betrifft. Das führt zu einer völlig
uneinheitlichen Handhabung,
({3})
beginnend mit der Frage nach dem Namen des Landrats
bis hin zur Frage nach der Bedeutung des technischen
Begriffs „Grundordnung“. Um diesen Zustand zu ändern, brauchen wir einen einheitlichen Gesprächsleitfaden,
({4})
der flexibel angewandt werden kann, der bewusst nicht
auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion beschränkt ist und der nur dann angewandt wird, wenn wir
Zweifel haben, ob jemand unsere Verfassung akzeptiert
oder ob er sie ablehnt. Das kann doch nicht falsch sein.
({5})
Zum Schluss meiner Rede
({6})
- es freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat - möchte ich
auf den Kollegen Bürsch eingehen. Es stimmt in der Tat:
Wir brauchen eine Integrationspolitik, durch die die
Menschen, die zu uns kommen wollen, erfolgreich und
gleichberechtigt integriert werden. Im Interesse aller, die
nach Deutschland kommen, muss uns daran gelegen
sein, dafür zu sorgen, dass wir die kleine Minderheit, die
sich nicht integrieren will, nicht einfach passieren lassen.
Wir alle - deutsche wie ausländische Mitbürger, die erfolgreich integriert worden sind - sind aufgefordert, alles dafür zu tun, dass jemand, der unsere Verfassung
nicht achtet und unsere Grundwerte ablehnt, nicht die
deutsche Staatsbürgerschaft bekommt; denn das würde
den inneren Frieden in unserem Land gefährden. Darüber kann hier im Hause doch nicht ernsthaft gestritten
werden.
({7})
Sie, Herr Bürsch, haben gesagt, dass wir uns jetzt
über den richtigen Weg unterhalten müssen. Der Weg,
den man in Baden-Württemberg geht, ist ein Angebot,
und in Hessen wird man ähnlich verfahren. Wenn Sie
ein besseres Angebot haben, fordere ich Sie auf, es zu
nennen.
({8})
Interessanterweise steht in der Verwaltungsvorschrift
zum Staatsbürgerschaftsrecht, das von Rot-Grün verabschiedet wurde, ein Satz, der einigermaßen deutlich aufzeigt, was getan werden muss ({9})
genau das, was man in Baden-Württemberg tut -: Wenn
Zweifel bestehen, dass Handlungen vorgenommen werden, die gegen unsere demokratische Grundordnung und
gegen unsere Grundrechte gerichtet sind, soll der Bewerber dazu schriftlich und mündlich befragt werden.
({10})
Nichts anderes wird in Baden-Württemberg gemacht.
Warum also empören Sie sich darüber?
({11})
Ich glaube, dass wir Integrationspolitik so betreiben
müssen, dass die Menschen, die unsere Werte akzeptieren, zu uns kommen und bei uns bleiben können und hier
akzeptiert werden, dass aber diejenigen, die unsere
Werte bekämpfen wollen, hier nichts verloren haben.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/356 mit dem Titel „So genannter Muslimtest in
Baden-Württemberg - Verfassungsrechtlich problematische Gesinnungstests beenden“. Wer stimmt für den Antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen?
({0})
- Das war von unserer Seite eindeutig. Aber ich wiederhole gerne die Abstimmung, wenn Sie sie anzweifeln.
Wie gesagt, von unserer Seite her war es eindeutig.
({1})
- Gibt es Widersprüche? - Nein.
Das Präsidium hier vorne hat das Abstimmungsverhalten zur Kenntnis genommen; wir brauchen die Abstimmung nicht zu wiederholen.
({2})
- Hier vorne wird das Ergebnis von allen Seiten akzeptiert.
Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Fraktion - ({3})
- Herr Beck.
Frau Präsidentin! Das Abstimmungsergebnis war
nicht eindeutig. Ich meine, wir hatten die Mehrheit. Ich
bitte darum, auszuzählen.
({0})
Gibt es Gegenrede? - Nicht der Fall.
Die Sitzungsleitung ist einstimmig der Auffassung,
dass die Abstimmung eindeutig war.
({0})
- Alle drei, die wir hier im Präsidium sitzen, haben das
so gesehen.
({1})
Der Sitzungsvorstand ist über das Ergebnis einig. Ich
zitiere § 51 unserer Geschäftsordnung. Da heißt es:
Ist der Sitzungsvorstand über das Ergebnis der Abstimmung nicht einig, so wird die Gegenprobe gemacht. Bleibt er auch nach ihr uneinig, so werden
die Stimmen gezählt. Auf Anordnung des Sitzungsvorstandes erfolgt die Zählung …
Hier sind wir uns aber einig.
({2})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir vom
Präsidium sind uns einig. Gleichwohl ist der Geschäftsordnungsantrag von Herrn Beck gestellt worden. Deshalb lasse ich zur Sicherheit über den Geschäftsordnungsantrag des Kollegen Beck abstimmen, der da
lautet, die Abstimmung zu wiederholen. Habe ich das
richtig verstanden?
({3})
- Sie wollen auszählen, das heißt einen Hammelsprung.
({4})
Ich lasse über den Geschäftsordnungsantrag des
Herrn Beck abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die eindeutige
Mehrheit ist gegen den Geschäftsordnungsantrag.
({5})
So sind wir bei der Feststellung des vorherigen Abstimmungsergebnisses: Der Antrag ist abgelehnt mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, den meisten Stimmen
der SPD-Fraktion und allen Stimmen der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Grünen und Die
Linke bei Enthaltung einiger Abgeordneter der SPDFraktion.
Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Deutsche Nationalbibliothek ({6})
- Drucksache 16/322 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({7})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe
dazu keinen Widerspruch. Dann ist dieses so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung Herr Staatsminister Bernd Neumann.
({8})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Deutschen Bibliothek, um die es in dieser
Debatte geht, wird in den Vorlagen ausführlich beschrieben. Ihre Geschichte weist über viele Jahre eine getrennte Entwicklung auf. Beide Häuser wurden ehrgeizig
betrieben. Die deutsche Einheit hat sie wieder zusammengeführt. Jetzt wollen wir die Deutsche Bibliothek fit
machen für das 21. Jahrhundert.
({0})
Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf über die Deutsche Nationalbibliothek aktualisiert und strafft das geltende Gesetz über die Deutsche
Bibliothek aus dem Jahr 1969. Wesentliche Ziele dieses
Gesetzes sind, den Sammelauftrag der Deutschen
Bibliothek auf Netzpublikationen auszuweiten und den
Namen der Bibliothek ihrer tatsächlichen Funktion entsprechend in Deutsche Nationalbibliothek zu ändern.
Zum ersten Punkt. Die Bibliothek hat die in Deutschland einzigartige Aufgabe, lückenlos alle deutschen und
deutschsprachigen Titel zu sammeln und an Ort und
Stelle zugänglich zu machen. Sie hat im Gegensatz zu
den anderen Bibliotheken auch das Pflichtexemplarrecht
für ganz Deutschland, das jeden Verleger verpflichtet,
von seinen Neuerscheinungen zwei Exemplare bei ihr
abzuliefern.
In den letzten Jahren hat neben den traditionellen Veröffentlichungsformen die Zahl der digitalen Veröffentlichungen sprunghaft zugenommen. Diese Netzpublikationen werden in Deutschland bisher nicht systematisch
gesammelt. Ihre Verfügbarkeit zu sichern, ist für eine
Kulturnation aber unverzichtbar. Daher muss zur Bewahrung und Nutzung des so genannten digitalen Kulturerbes der Sammelauftrag der Bibliothek auch auf innovative Veröffentlichungsformen ausgeweitet werden.
({1})
Dies hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme bekräftigt.
Zum zweiten Punkt. Spätestens mit der Erweiterung
dieses von mir eben geschilderten Sammelauftrages, der
unstreitig ist, nimmt die Bibliothek de facto die Funktion
einer Nationalbibliothek wahr. Zukünftig soll dies auch
in ihrer Bezeichnung zum Ausdruck kommen. Mit Blick
auf die vielfältigen Aktivitäten und Funktionen der
Deutschen Bibliothek auf internationaler Ebene ist die
neue Namensgebung nicht nur angemessen, sondern
entspricht internationalem Gebrauch. Die anderen Länder haben auch nationale Bibliotheken.
Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund zu der Befürchtung, der Bund vergreife sich in dieser Sache an der
Kompetenz der Länder. Aus Gründen der Namenswahrheit und -klarheit soll also der Name „Deutsche Bibliothek“ in „Deutsche Nationalbibliothek“ geändert werden. Hieran hält die Bundesregierung entgegen der
Stellungnahme des Bundesrates fest. Wir haben das
sorgsam abgewogen.
Meine Damen und Herren, in anderen Ländern versteht man die Diskussion, die wir hier führen, nicht - die
Abgrenzung der Kompetenzen von Bund und Ländern
und die Achtung der Kompetenzen in Ehren! Ich konnte
in einer Tageszeitung zu dieser Thematik lesen, man
solle dazu einmal die Italiener fragen, die ihren kulturellen Reichtum gerade ihrer „Vielstaaterei“ verdanken und
die mit ihrer Biblioteca Nazionale in Florenz dennoch
nicht unglücklich sind. Die Italiener würden die Frage,
die wir uns hier stellen, nicht verstehen. Dass man bedeutende Leistungen anderer Bibliotheken anerkennt
- natürlich ist es beeindruckend, dass die Bayerische
Staatsbibliothek in München die bedeutendste Sammlung von Handschriften der Welt hat, auch die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz hat wichtige Sammlungen nationalen Charakters -, schließt doch nicht aus,
dass wir nach der Vereinigung eine Bibliothek, die eine
besondere nationale Aufgabe hat, als Deutsche Nationalbibliothek bezeichnen wollen.
({2})
Das ist auch der Grund, weswegen wir als neue Bundesregierung an der Position unserer Vorgängerregierung
festhalten. Es ist nämlich richtig.
Ich habe die große Bitte an die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, dass sie diese in den
Beratungen der Ausschüsse wenn möglich übernehmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Hans-Joachim Otto,
FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Staatsminister, im Kern,
nämlich bezogen auf die Erweiterung des Sammelauftrages auf alle Darstellungen und Dokumente in öffentlichen Netzen, können wir uns sehr schnell einigen. Das
ist sinnvoll und notwendig. Das ist übrigens so sinnvoll,
dass ich mich selbstkritisch frage, warum wir nicht
schon längst darauf gekommen sind, zumal die Deutsche
Bibliothek schon vor längerer Zeit damit begonnen hat,
gemäß ihres digitalen Sammelauftrages zu handeln.
Ich möchte mich bei meinen kurzen Anmerkungen
hier auf zwei Punkte beschränken, die wir bei den Beratungen in den zuständigen Ausschüssen dann vertiefen
müssen:
Hans-Joachim Otto ({0})
Erstens. Ist es wirklich so, dass die Deutsche Bibliothek zukünftig voll umfänglich die Funktion einer Nationalbibliothek erfüllt, und ist daher eine Namensänderung sinnvoll? Ich will das Ergebnis vorwegnehmen:
Ich habe große Zweifel. Im Gegensatz etwa zur Bibliothèque nationale de France in Paris oder zur Österreichischen Nationalbibliothek reichen die Bestände der Deutschen Bibliothek nur bis zum Jahre 1913. Im Gegensatz
beispielsweise auch zu den Nationalbibliotheken in London, Paris und Washington verfügt die Deutsche Bibliothek über keinerlei ausländische Literatur - von Schriftwerken aus den deutschsprachigen Ländern Österreich
und Schweiz einmal abgesehen. Erst in einer Kombination mit den wesentlich umfangreicheren Sammlungen
etwa der Bayerischen Staatsbibliothek in München oder
der Staatsbibliothek hier in Berlin könnte man mit Mühe
von einer Nationalbibliothek sprechen.
Es wäre daher durchaus eine Verkennung der Geschichte und auch der gegenwärtigen Sammlungslandschaft, jetzt von einer Nationalbibliothek zu sprechen,
obwohl deren historisches Gedächtnis nur bis zum
Jahre 1913 reicht. Der Bundesrat hat insoweit meines
Erachtens Recht, wenn er sagt - Zitat -: Diese Namensgebung löst Erwartungen aus, die sie nicht einlöst. - Ich
will konkretisieren: die sie teilweise nicht einlöst.
Lieber Bernd Neumann, über die Namenswahrheit
und die Namensklarheit müssen wir uns deswegen noch
einmal unterhalten. Ich finde, dass die Namenswahrheit
eher dafür spricht, beim bisherigen Etikett zu bleiben.
Daneben halte ich die Namensänderung auch deshalb für
politisch unklug, weil sie zwangsläufig föderalistische
Beißreflexe bei den Ländern auslöst.
Das Wort „Nationalbibliothek“ erweckt zwangsläufig
den Eindruck, als wolle man die übrigen Bibliotheken
dieses Landes dominieren. Deswegen haben beispielsweise die Library of Congress in Washington und die
British Library in London bewusst darauf verzichtet,
sich in Nationalbibliothek umzutaufen. Ich frage also:
Warum sollten gerade wir Deutschen bei unserer föderalen Verfasstheit den bewährten und auch historisch besetzten Namen „Deutsche Bibliothek“ in den fragwürdigen Namen „Nationalbibliothek“ eintauschen, zumal die
nationalbibliothekarische Funktion meines Erachtens
auch streitig ist?
({1})
Zweitens. Dies ist nur ein kleiner Punkt, aber ich
finde, hier sollten wir Parlamentarier ein bisschen selbstbewusster auftreten. Ich finde es unverständlich, dass
sich im Verwaltungsrat der zukünftigen Bibliothek unter den 13 Mitgliedern - allein fünf davon werden von
der Bundesregierung als ihre Vertreter benannt ({2})
nicht ein einziger Vertreter dieses Parlaments befinden
soll.
({3})
Gerade dann, wenn Sie diese Bibliothek zukünftig als
Nationalbibliothek bezeichnen wollen, ist es doch nur
konsequent, dass auch das nationale Parlament dort vertreten sein muss, zumal auch ein Informationsfluss notwendig ist.
({4})
Deswegen: In der Sache brauchen wir uns sicherlich
nicht lange zu streiten. Das Gesetz wird von uns im Prinzip befürwortet. Aber das großsprecherische Etikett
„Nationalbibliothek“ halte ich für politisch zumindest
unklug. Darüber hinaus möchte ich Sie von allen Fraktionen um Unterstützung für die Forderung bitten, dass
auch zukünftig Abgeordnete des Deutschen Bundestags
in angemessener Weise im Verwaltungsrat und in den
Gremien der Bibliothek vertreten sind.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Christoph Pries, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatsminister
Neumann! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Bibliotheken sind ein Kapital, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.
Keine andere Bibliothek in unserem Land wird durch
dieses Goethezitat besser charakterisiert als die bislang
unter dem Namen „Die Deutsche Bibliothek“ firmierende Einrichtung in Frankfurt.
({0})
- Danke schön. - Besagtes Kapital hat sich in drei Kelleretagen unter der Deutschen Bibliothek angesammelt. Es
stellt nicht weniger als das kulturelle Gedächtnis und Bewusstsein unseres Landes dar. Gleichwohl: So geräuschlos, wie Goethe sich das vorstellt, fallen die Zinsen leider nicht an; denn es ist eine Auseinandersetzung
darüber entbrannt, welcher Name zukünftig Aufgabe
und Funktion dieser Einrichtung am besten darstellt.
Die Bundesregierung strebt mit ihrem Entwurf eines
Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek, der uns
heute vorliegt, neben einer Aufgabenerweiterung eine
Umtitulierung in „Deutsche Nationalbibliothek“ an.
Der Bundesrat, dessen Zustimmung nicht erforderlich
ist, möchte hingegen an der bisherigen Namensnennung
festhalten. Die Ländervertretung ist der Ansicht, dass die
Umbenennung mit einem Bedeutungsverlust anderer
großer Bibliotheken einhergehen würde. Gemeint ist
speziell die Staatsbibliothek zu Berlin sowie die Bayerische Staatsbibliothek.
Diese Ansicht teile ich nicht. Abgesehen davon, dass
ich nicht glaube, dass eine schlichte Umbenennung die
Bedeutung anderer Einrichtungen infrage stellen würde,
halte ich die weiteren Argumente des Bundesrates auch
sachlich für nicht tragfähig. Es ist eben nicht so, dass die
neue Bezeichnung einen Anspruch erhöbe, den die Deutsche Bibliothek nicht erfüllen kann. Vielmehr erfüllt sie
die Ansprüche an eine Nationalbibliothek bereits seit
mehr als 90 Jahren. Der neue Name würde daher lediglich der tatsächlichen Funktion entsprechen.
({1})
Alle Publikationen in und über Deutschland, alle in
Deutschland veröffentlichten ausländischen Publikationen, sämtliche deutschsprachige Literatur des Auslands
werden hier gesammelt, Herr Otto.
({2})
Jedes Jahr kommen acht Regalkilometer hinzu, allein
600 bis 800 Bücher täglich. Daneben wird die Nationalbibliografie herausgegeben und umfangreiche Dienstleistungen für das gesamte nationale und internationale
Bibliothekswesen erbracht. Keine Bibliothek in
Deutschland vermag diese Aufgaben in vergleichbarer
Weise und in vergleichbarem Umfang zu leisten.
Begibt man sich ins Internet und sucht nach Hinweisen auf „Die Deutsche Bibliothek“, so findet man zahllose Diskussionsrunden. In den meisten Fällen geht es
dabei jedoch nicht um Auftrag, Ausstattung oder Geschichte, sondern um die angeblich fehlerhafte Namensnennung. Die Geister scheiden sich an der Großschreibung des Artikels „Die“ im Namen der Bibliothek. Da
der Erweiterungsauftrag der Bibliothek - mein Kollege
Tauss wird diesen Teil des Gesetzentwurfs noch näher
erläutern - darin besteht,
({3})
ein Abbild des Internets zu speichern, wäre ein Teil der
neuen Aufgabe somit die Beschäftigung mit sich selbst.
Sicherlich kann eine Auseinandersetzung im Netz der
Netze, ob der Artikel „die“ groß- oder kleingeschrieben
wird, als Teil der deutschen Kultur erachtet werden. Ich
denke aber, dass diese Diskussion nunmehr geschlossen
und ein Name vergeben werden sollte, der der Bedeutung des Hauses angemessen ist.
Meines Erachtens ist ein neuer Name auch der gesamtdeutschen Geschichte des Hauses geschuldet: 1912
in Leipzig gegründet und in Zeiten der Teilung an zwei
Standorten geführt, die nach dem Fall der Mauer fusionierten. Ich kann mir keinen Namen vorstellen, der besser als „Deutsche Nationalbibliothek“ passt.
({4})
So viel zum Thema Namensnennung, Herr Otto.
Neben der Beibehaltung des bestehenden Namens
schlägt der Bundesrat in seiner Stellungnahme vor, zwei
Vertreter der Länder in den Verwaltungsrat der Bibliothek zu entsenden. Auch wenn ich Verständnis für diesen
Wunsch habe, so ist es doch gewiss kein frommer
Wunsch. Über den Beirat, der den Verwaltungsrat und
die Generaldirektorin der Bibliothek berät, können die
Länder schon jetzt ihre Interessen geltend machen. Im
Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass es sich bei
dem Objekt unserer Debatte um eine Bundeseinrichtung
handelt, deren Finanzierung somit allein dem Bund obliegt.
Die Vorschläge des Bundesrates beruhen ausschließlich auf reinen Länderinteressen. Sie haben lediglich einen gewissen dramaturgischen Symbolwert. Die Bezeichnung „Deutsche Nationalbibliothek“ folgt dem
Gebrauch, dem internationalen Verständnis der Funktionen sowie den einschlägigen Definitionen einer derartigen Einrichtung. Ich denke deshalb, dass der Name
„Deutsche Nationalbibliothek“ redlich verdient ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der Abg. Katrin GöringEckardt ({5})
Herr Kollege Pries, das war Ihre erste Rede in diesem
Haus. Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen alles Gute.
({0})
Nun hat das Wort die Kollegin Frau Luc Jochimsen,
Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatsminister, auch wir begrüßen den vorliegenden
Gesetzentwurf in der Sache: Die Ausweitung des Sammelauftrags der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am
Main und Leipzig auf elektronische Medien ist eine notwendige Zukunftsinvestition in unsere Kultur.
Aber leider wird diese notwendige Zukunftsinvestition im Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien nicht zusätzlich finanziert - wie
sich das für eine neue, vorher nicht zu leistende Aufgabe
gehört -, sondern durch Einsparungen, wie es im Gesetzentwurf ausdrücklich heißt. 1,9 Millionen Euro allein im
Jahr 2007 - das ist ein beträchtlicher Anteil am Kulturetat. Deshalb möchten wir dringend wissen: Was, wo
und wer wird dabei eingespart? Welche Museen, Theater
und Musikprojekte werden ein- bzw. weggespart?
Schon bei dem ersten Gesetzesvorhaben der neuen
Regierung in Sachen Kultur zeigt sich ihr Defizit in dieDr. Lukrezia Jochimsen
sem Bereich, auf das wir bereits anlässlich der Regierungserklärung hingewiesen haben. Wenn Kultur eine
Investition in die Zukunft darstellt, dann muss ein
Kulturetat auch Mittel für wichtige Zukunftsaufgaben
umfassen, statt die Finanzierung nur auf Kosten der bisher schon mager genug ausgestatteten Projekte zu ermöglichen.
({0})
Wir möchten insofern gerne wissen, welche vom Bund
geförderten Kultureinrichtungen wir bis hin zur Schließung gefährden, wenn wir der Modernisierung der Deutschen Bibliothek zustimmen.
Einem allerdings werden wir auf gar keinen Fall zustimmen: der im Gesetzentwurf geforderten Umbenennung der Deutschen Bibliothek in Deutsche Nationalbibliothek. Was ist das für eine sinnlose Zumutung? Seit
Jahrzehnten erfüllt die Deutsche Bibliothek zusammen
mit der Preußischen und der Bayerischen Staatsbibliothek ihren Auftrag für das ganze Land. Deswegen heißt
sie auch nicht Frankfurter oder Leipziger Bibliothek,
sondern Deutsche Bibliothek.
Warum soll die neue irreführende Bezeichnung eingeführt werden? Der Herr Staatsminister hat ausdrücklich
festgestellt, sie sei gerade nach der Wiedervereinigung
notwendig. Das kann ich nicht verstehen. Warum brauchen wir nach der Wiedervereinigung eine Deutsche Nationalbibliothek? Ich meine vielmehr, dass wir zurzeit
auf gar keinen Fall nationale Bücher aus einer deutschen
Nationalbibliothek brauchen.
({1})
Haben Sie im Übrigen schon einmal bedacht, was die
Autoren des Deutschen Exilarchivs 1933 bis 1945, welches ebenfalls von der Deutschen Bibliothek betrieben
wird, zu einer solchen Umbenennung sagen würden,
wenn sie etwas sagen könnten? Die Umbenennung ist
ein Unding und die Hinweise auf das internationale Verständnis führen ganz und gar in die Irre. Die Namen der
großen internationalen Bibliotheken unterscheiden sich
entsprechend der Geschichte ihres jeweiligen Landes
völlig, wie die Library of Congress oder die Bibliothèque nationale de France; die Mutter aller Bibliotheken - nicht nur, weil Karl Marx dort gelernt und gelehrt
hat - nennt sich einfach und selbstbewusst British Library. Dabei kann die Deutsche Bibliothek sehr gut
mithalten - wenigstens vom Namen her.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat nun die Kollegin Katrin GöringEckardt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zuerst einmal freue ich mich, dass die neue Bundesregierung - Herr Neumann hat bereits darauf hingewiesen - den Entwurf der alten eins zu eins übernommen
hat. Das heißt, dass die neue Regierung doch nicht alles
anders machen will, zumindest was das Bibliothekswesen und die zukünftige Nationalbibliothek angeht.
Frau Jochimsen, ich finde es unangebracht, wie Sie
auf die geplante Umbenennung reagieren. Die Behauptung, dass man mit dem Namen „Deutsche Nationalbibliothek“ nationale Bücher dorthin holen wollte, ist
weit hergeholt. Das ist ein unverantwortlicher Umgang,
auch mit der guten Arbeit, die diese Institution leistet.
Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken.
({0})
Ich glaube, dass es ein sehr guter, wichtiger und überfälliger Schritt ist, den Auftrag um die Bewahrung und
die Nutzung des digitalen Kulturerbes zu erweitern.
Dass dazu die Stärkung der Medienkompetenz älterer
Menschen im digitalen Bereich gehört, ist, glaube ich,
eine Selbstverständlichkeit. Wir machen damit deutlich,
dass alle Personen Zugang zu diesem Kulturgut haben
müssen. In dieser Hinsicht gibt es für die künftige Nationalbibliothek noch einiges zu tun.
Die Umbenennung in Deutsche Nationalbibliothek
sollten wir mit dem notwendigen Selbstbewusstsein angehen, und zwar gerade vor dem Hintergrund, dass der
Bund diese Bundesinstitution alleine finanziert. Das
halte ich für richtig.
({1})
- Dass das ausgerechnet jemand von den Grünen sagt,
darüber können Sie sich noch eine Weile wundern, Herr
Otto.
Ich glaube, dass mit dem Namen „Deutsche Nationalbibliothek“ nicht nur das beschrieben wird, was dort gemacht wird, sondern dass damit auch unser Anspruch an
diese Bibliothek und an das, was wir kontrollieren wollen, formuliert wird. Insofern, finde ich, ist die Aufregung über diesen Namen nicht angebracht.
({2})
Ich bin ganz sicher, dass der Einspruch, den die Länder
formuliert haben, weniger mit Föderalismus als mit
falsch verstandenem Selbstbewusstsein zu tun hat. Es ist
nicht notwendig, an dieser Stelle zu bohren. Es wird
noch viele Diskussionen im Rahmen der Föderalismusreform geben. Dann sollte aber die Selbstgefälligkeit ein
bisschen in den Hintergrund treten. Man sollte sich auf
einen Zusammenschluss unter anderem aus Deutscher
Bücherei und Deutscher Bibliothek in Frankfurt am
Main verständigen und sich darüber freuen, dass wir
dann eine wunderbare Bibliothek haben.
({3})
Der letzte Punkt, auf den ich gern eingehen möchte,
hat mit der Nationalbibliothek nur mittelbar zu tun. Er
betrifft die Lage der Bibliotheken in unserem Land.
Den damit verbundenen Herausforderungen müssen wir
uns in Zukunft stellen.
({4})
Wenn man auf die Internetseite „bibliothekssterben.de“
geht, dann sieht man, dass jedes Jahr in Deutschland
Hunderte Bibliotheken zugemacht werden. Es ist fast jeden Tag eine. Dieser Situation dürfen wir uns nicht nur
im Kulturausschuss stellen, sondern darauf müssen wir
auch im Parlament eingehen. Wir müssen uns fragen,
welche Bedeutung diese Entwicklung für die Zukunft
hat.
Ich möchte an dieser Stelle einen Zahlenvergleich anführen. Die erste Fußballbundesliga hatte in der Saison
2004/05 11,56 Millionen Besucher. Die Bibliotheken
hatten mehr; dort waren es 11,75 Millionen aktive Besucher, also Menschen, die tatsächlich etwas ausgeliehen
haben. Sie werden sicherlich länger als 90 Minuten gebraucht haben, um die Bücher zu lesen oder die Filme zu
sehen, die sie ausgeliehen haben.
Ich glaube, dies zeigt sehr deutlich, welche große Bedeutung die Bibliotheken in unserem Land nach wie vor
haben. Trotz der Schließungen gibt es mehr Nutzerinnen
und Nutzer. Wir müssen uns aber fragen, was es eigentlich bedeutet, dass Bibliotheken gerade in kleinen Kommunen zunehmend geschlossen werden, was das für
Kinder, für die Zugänge sowie für die Bildung und insbesondere für die kulturelle Bildung in unserem Land
bedeutet. Wir tun uns einen großen Gefallen, wenn wir
denjenigen Ländern, die laut PISA sehr viel weiter sind
als wir, nacheifern, zum Beispiel Finnland, wo jede
Schule eine Bibliothek besitzt oder wo es eine 100-prozentige Verbindung zu den kommunalen Bibliotheken
gibt.
Wir sollten uns aufraffen und in den nächsten Monaten im Deutschen Bundestag über ein deutsches Bibliotheksgesetz diskutieren, und zwar in fruchtbarer Auseinandersetzung mit den Bundesländern. Ich würde mich
freuen, wenn wir uns in besonderer Weise für den Ausbau der Partizipationsmöglichkeiten gerade von Kindern
und Jugendlichen verantwortlich zeigten.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun die Kollegin Monika Grütters,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mag es auch kontrovers diskutiert werden, dass
wir es gleich zu Beginn der Legislaturperiode, Herr
Staatsminister Neumann, und auch noch in derselben
Plenarsitzung kulturpolitisch einerseits mit der Erweiterung des Sammlungsauftrages der Deutschen Bibliothek
und andererseits mit der Neudefinition des zentralen
Platzes der Republik, unseres Schlossplatzes nämlich, zu
tun haben - ich nehme das als sehr gutes Vorzeichen für
die Kulturpolitik dieser Regierung, verehrter Herr
Staatsminister, geht es doch in beiden Fällen um tatsächlich grundsätzliche kulturpolitische Fragen. Herr Altkanzler Schmidt hatte eine schöne Formulierung, als er
sagte, dass die Bibliotheken Deutschland wie ein „Netz
geistiger Tankstellen“ durchziehen würden. So ist es uns
allen eine vornehme Pflicht, heute über die Nationalbibliothek und die Deutsche Bibliothek zu sprechen.
Dabei ist die Erweiterung des Sammelauftrags der
Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main und Leipzig
unstrittig und längst überfällig. Herr Otto, Sie weisen
darauf hin, dass die Deutsche Bibliothek keine ausländische Literatur sammelt. Sie ist aber das Depot des deutschen Schrifttums, sie ist die zentrale Archivbibliothek
und sie ist das nationalbibliographische Informationszentrum der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Ihre Vorläufer aus Leipzig und Frankfurt wurden im
Zuge der Wiedervereinigung zusammengeführt. Das ist
auch ein wichtiger politischer Punkt. Sie hat das Pflichtexemplarrecht für ganz Deutschland und sie ist mit fast
22 Millionen Einheiten darüber hinaus die größte Universalbibliothek Deutschlands mit einem entsprechenden Dienstleistungsauftrag. Schon das allein steht im
Vergleich zu den beiden anderen, die sich für den Anspruch, nationale Bibliothek zu sein, vielleicht in Konkurrenz befinden.
({1})
Sie haben zu Recht die „Beißreflexe“ erwähnt. Die
kenne ich als Berlinerin ganz gut. Auch wir anerkennen
natürlich die Leistungen der Bayerischen und der Preußischen Staatsbibliothek, die beide sehr viel älter sind.
1661 wurde die Preußische Staatsbibliothek gegründet,
die sich durch ihre Autografensammlung auszeichnet.
Wir wissen, dass da Mozarts „Zauberflöte“ und
Beethovens „Neunte“ liegen. In der Bayerischen Staatsbibliothek, die bereits im 16. Jahrhundert gegründet
wurde, gibt es große Handschriften- und Zeitschriftenbestände. Aber eine Analogie zum Sammelauftrag der
Deutschen Bibliothek lässt sich bei allem Respekt vor
der Professionalität und jeweiligen Einzigartigkeit der
Sammlungstradition in Bayern und Berlin damit alleine
nicht begründen.
({2})
Folgerichtig wird mit dem erweiterten Sammelauftrag
unseres Erachtens auch der Versuch unternommen, die
Deutsche Bibliothek in Deutsche Nationalbibliothek umzubenennen, eben weil sie die einzige Bibliothek ist, die
mit der vollständigen Publikation in und über Deutschland sowie der Herausgabe der Nationalbibliographie
Kernaufgaben erfüllt. Umso wichtiger ist es, diejenige
Bibliothek, die diesen Anspruch qua SammlungscharakMonika Grütters
ter am ehesten erfüllt, den internationalen Partnern gegenüber kenntlich zu machen.
Herr Otto und Frau Jochimsen, es sei mir der Hinweis
erlaubt, dass wir in Berlin sowohl eine Neue als auch
eine Alte Nationalgalerie haben, die sich in schwesterlicher Koexistenz sehr wohl mit den Staatsgalerien in
Stuttgart oder Bayern vertragen.
({3})
Unabhängig davon, dass das Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek nicht zustimmungspflichtig ist,
werden die Abgrenzungen zu den anderen ebenbürtigen
Traditionshäusern in Bayern und in Berlin und auch eine
neue Bezeichnung natürlich - Sie haben es erwähnt Gegenstand der parlamentarischen Beratung in den Ausschüssen sein. Ein Hinweis nur: Ich hoffe, dass wir von
hier aus sehr deutlich sagen können, dass Ängste der Bibliotheken, der Gesetzentwurf könnte als Vorwand auch
für Mittelkürzungen herhalten, gänzlich unbegründet
sind. Es dürfte, so hoffe ich einmal mehr, sehr aufschlussreiche Beratungen darüber geben, Herr Otto und
Frau Jochimsen, sei es bei der Diskussion über den Palast oder der über den nationalen Charakter der Deutschen Bibliothek, ob Schiller mit seinem Diktum Recht
hatte - ich zitiere -: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens.“ Deutschland, so wollen es
doch vor allem die Kulturpolitikerinnen, Frau
Jochimsen, und die Kulturpolitiker, Herr Otto, ist eben
zuallererst eine Kultur- und dann eine politische Nation.
Vielen Dank.
({4})
Frau Kollegin Grütters, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag.
({0})
Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich und wünschen Ihnen
alles Gute für die weitere Arbeit.
Nun hat das Wort der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch unsererseits herzlichen Glückwunsch zu
den Reden, die die neue Kollegin und der neue Kollege
gehalten haben. Das lässt für die künftige Zusammenarbeit, auch im Kulturausschuss, hoffen.
Ich freue mich sehr über diese erste Lesung. Sie
knüpft an die umfangreichen Vorarbeiten der alten Bundesregierung und an die Gespräche an, die wir dazu im
Parlament bereits geführt haben. Die Geschichte der
Deutschen Bibliothek und die aktuelle Auseinandersetzung sind schon hinreichend angesprochen worden.
Ich würde gern auf den Gesichtspunkt der Netzpublikationen zu sprechen kommen. Wir haben mit diesem
Gesetz tatsächlich Neuland betreten, und zwar dahin gehend, dass wir eine Frage beantworten müssen, die sich
in der digitalen Informationswelt immer drängender
stellt: Wie kann in dieser sich herausbildenden globalen
Informationsgesellschaft ein digitales Archiv geschaffen werden und wie kann das kulturelle Gedächtnis einer
Gesellschaft erhalten werden?
Der Kollege Pries hat Goethe zitiert. Nun stellen wir
uns einmal vor, dieses wunderbare Goethe-Wort, das er
uns eingangs seiner Rede hier dargebracht hat, wäre per
E-Mail versandt worden. Ich bin mir absolut sicher: Die
Software des Computers, mit dem Goethe geschrieben
hätte, wäre hoffnungslos veraltet; wir könnten diese
E-Mail nicht mehr lesen. Viel schlimmer ist - Bits und
Bytes sind flüchtig -: Hätte er es auf Diskette abgespeichert, hätte man es nach 30, 40 oder 50 Jahren nicht
mehr lesen können.
({0})
- Kollege Otto, Sie sind beeindruckt, das freut mich. Ich
will nur für das Protokoll festhalten: Kollege Otto ist beeindruckt. - Also: Bits und Bytes sind flüchtig. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass wir uns diesem Thema
zuwenden.
Sie haben gefragt: Warum sind wir eigentlich nicht
schon früher darauf gekommen? Diese Frage ist natürlich berechtigt. Man kann sie immer wieder stellen. Ich
habe eine passende Antwort: Sie - zumindest die FDP;
ich weiß nicht, wie Sie persönlich dazu standen - waren
damals dagegen.
({1})
In aller Bescheidenheit zitiere ich mich ausnahmsweise
einmal selbst. Die SPD-Fraktion hat 1996 einen Antrag
eingebracht, der folgende Worte enthielt - Zitat, Kollege
Otto -:
Besondere Bedeutung kommt künftig auch den
Bibliotheken zu. Zusammen mit den Hochschulen
muss es zu ihren Aufgaben gehören, die „informationelle Kontinuität“ in der Gesellschaft zu
gewährleisten. Ansonsten könnte sich die Informationsgesellschaft - angesichts der Flüchtigkeit elektronischer Informationen und rascher technischer
Veränderungen - als eine Gesellschaft von „informationellen Generationsinseln“ im Strom der Zeit
erweisen, die untereinander nicht mitteilungsfähig
sind.
Daran waren Thierse und Tauss beteiligt. Wahrscheinlich kam es deswegen zu dieser schönen Formulierung.
Das ist uns schon damals eingefallen. Leider ist dieser
Antrag abgelehnt worden.
Nichtsdestotrotz sind wir heute so weit: Die Deutsche
Bibliothek ist - ich glaube, das ist in diesem Hause unstrittig - jenseits der Namensgebung die zentrale Archivbibliothek in Deutschland. Sie ist das zentrale bibliogra776
phische Informationszentrum in Deutschland. Es ist kein
Vorwurf, festzustellen, dass sie erst seit 1913 in ihrer
Funktion als Nationalbibliothek beauftragt ist, Medienwerke wie Bücher und Tonträger zu sammeln.
Verleger und Buchhändler haben damals ein tolles
Werk vollbracht. Ihre weit reichende Entscheidung, die
nun wirklich toll war, hat ein lückenloses „Literaturkontinuum“ - so hieß es damals - ins Leben gerufen. Damit
hat man es geschafft, die Literaturversorgung in
Deutschland sicherzustellen und die Versorgung der wissenschaftlichen Bibliotheken mit neuer Literatur zu organisieren. Ich wiederhole: Das war ein tolles Werk.
Daraus ist in der Tat die Aufgabe der Schaffung einer
Nationalbibliothek erwachsen. Ich stimme der Kollegin
Göring-Eckardt völlig zu: Das Betonen des Nationalen
ist an dieser Stelle ähnlich positiv wie die Frankfurter
Nationalversammlung, die meiner Ansicht nach ebenfalls nicht überflüssig war. In diesem Sinne können wir
mit Stolz sagen: Hiermit haben wir etwas, was auch ein
Stück weit deutsche Nation und kulturelle Nation in
Deutschland auszeichnet.
Für digitale Publikationen - ich habe es angesprochen - hat es bisher an einer systematischen Erschließung, Archivierung und Nutzbarmachung gemangelt.
Das wollen wir mit diesem Gesetzgebungsprozess korrigieren. Wir erinnern uns in dem Zusammenhang an die
zahlreichen Online-Magazine, auch im wissenschaftlichen Bereich. Wenn wir uns nicht um das kümmern, was
an Veröffentlichungen auch in digitaler Form erfolgt,
werden wir langfristig kulturell und auch wissenschaftlich Probleme haben.
Aus diesem Grunde finde ich gut, was wir tun, liebe
Kolleginnen und Kollegen. Wir haben damit auch eine
gewisse Vorreiterrolle. Andere Länder, Australien und
Kanada etwa, folgen in diesem Bereich. Großbritannien
hat seit 2003 eine Regelung, wie wir sie jetzt vorsehen.
Lieber Kollege Otto, über den Namen würde ich
ungern reden, aber Ihren Vorschlag, beispielsweise aufgrund eines gemeinsamen Antrags auch über die Repräsentanz des Parlaments in der Deutschen Nationalbibliothek zu reden, halte ich für wichtig und interessant.
Diese Diskussion sollten wir im Gesetzgebungsverfahren führen.
({2})
Wir sind dafür offen. Das wird, glaube ich, ein interessanter Gesetzgebungsprozess, der für die Kultur in
Deutschland, für das Bibliothekswesen einen wichtigen
Sprung nach vorn bedeutet.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/322 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie
Zusatzpunkt 3 auf:
9 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Dr. Max Stadler, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Lage der Kommunen dokumentieren und verbessern
- Drucksache 16/127 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Heidrun Bluhm, Dr. Dagmar Enkelmann
und der Fraktion der LINKEN
Verbindliches Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenverbände bei der Erarbeitung
von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie
im Gesetzgebungsverfahren
- Drucksache 16/358 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für starke und handlungsfähige Kommunen
- Drucksache 16/371 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der ehemalige
Ohne Städte ist kein Staat zu machen. Das ist das
Motto, das ich mir als kommunalpolitische Sprecherin
für diese Legislaturperiode vorgenommen habe. Das gilt
aber nicht nur für mich, sondern für meine gesamte
Fraktion.
({0})
Der FDP-Fraktion ist es wichtig, mit ihrem Antrag
gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode den Blick auf
die Kommunen zu lenken, der dritten Säule unseres
Staates, die - das muss man einfach feststellen - in den
vergangenen Jahren in unserem Haus keine große Rolle
gespielt haben - aus unserer Sicht: leider.
({1})
- Herr Scheelen, es war so. Sie als kommunalpolitischer
Sprecher Ihrer Fraktion hätten das ändern können. Sie
haben es aber leider nicht getan.
({2})
Wir hoffen auf Besserung.
({3})
Als wir in der letzten Legislaturperiode mit Ihnen
über die Lage der Kommunen diskutieren wollten, hat
uns immerhin noch die CDU/CSU im Ausschuss unterstützt. Ich bin gespannt, was Sie von der CDU/CSU
heute machen.
({4})
Für Rot-Grün war das völlig undenkbar. Es gebe schließlich bei den kommunalen Spitzenverbänden genügend
Material, hat man uns im Ausschuss gesagt. Das wäre
so, als wenn wir im Deutschen Bundestag aufgrund der
Statistiken der Arbeitgeberverbände - von mir aus auch
aufgrund der Statistiken der Gewerkschaften - über die
Arbeitslosigkeit diskutieren wollten oder wenn wir über
unsere Einstellung zur Kirchenpolitik anhand einer Enzyklika des Papstes diskutieren wollten. So kann man
mit einem solchen Thema wirklich nicht umgehen.
({5})
Leider sind die Kommunen für den Deutschen Bundestag häufig nur eines: ausführendes Organ, irgendwie
da, am Ende einer Art Nahrungskette. Vor allen Dingen
sind sie diejenigen, die bezahlen müssen, weil wir das
Konnexitätsprinzip immer noch nicht im Grundgesetz
verankert haben. Alle Fraktionen haben sich in der letzten Legislaturperiode unserem Antrag verweigert. Sie
können jetzt zeigen, dass Sie es besser können.
({6})
Es ist wirklich nicht besonders schwierig, hier in Berlin Verbesserungen bei der Kinderbetreuung zu versprechen. Sie müssen aber auch sagen, woher das Geld kommen soll. Sie dürfen es nicht den Kommunen überlassen,
das zu regeln und zu bezahlen. Das ist aber leider gang
und gäbe. Da sind sich die alte und die neue Bundesregierung völlig einig. Die große Koalition hat in ihrem
Koalitionsvertrag die Überschrift „Solide Basis für
Kommunalfinanzen“.
({7})
Das würden wir alle bestimmt unterschreiben. Wir sind
sehr gespannt, was da passiert. Sie können es eigentlich
nur besser machen als die rot-grüne Bundesregierung.
({8})
Denn sehr schnell nach der Gründung einer Kommission
zur Reform der Gemeindefinanzen ist Ihnen von RotGrün die Luft ausgegangen. Nach dem Scheitern dieser
Kommission haben Sie keinen weiteren Versuch unternommen.
({9})
Besonders dreist finde ich, dass Sie zuerst die Gewerbesteuerumlage erhöht und dann die Rücknahme der Erhöhung als Gemeindefinanzreform verkauft haben. Das
muss Ihnen erst einmal jemand nachmachen.
({10})
Auch da hoffen wir auf Besserung.
Aber wir setzen in die große Koalition ehrlich gesagt
keine großen Hoffnungen. Denn Sie wollen über diesen
Punkt sowohl im zeitlichen als auch im sachlichen Zusammenhang mit der Unternehmensbesteuerung entscheiden. Da das Motto Ihrer Bundesregierung ja eigentlich „Trippelschritte wagen“ heißen sollte, können wir
wohl lange darauf warten, dass etwas passiert.
Sie alle wissen, dass wir uns für die Abschaffung der
Gewerbesteuer einsetzen.
({11})
Das hatte auch die CDU in ihrem letzten Wahlprogramm
stehen. Ich bin jetzt sehr gespannt - genauso wie in Bezug auf die Gesundheitsreform -, wie Sie das schaffen
wollen: Abschaffung auf der einen Seite, Verbreiterung
auf der anderen Seite. Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich diese Regierung bewegt. Wir sind sehr
gespannt, wo Sie sich treffen: in Deutschland, am Äquator oder sonst wo. Aber ich glaube, die Kommunen hätten wirklich eine kluge Lösung verdient.
({12})
In meinem Bundesland, in NRW, sind - nur damit Sie
eine Ahnung bekommen, wie schlecht es den Kommunen geht - 194 von 427 Städten, Kommunen und Landkreisen in der Haushaltssicherung.
({13})
Davon befinden sich 105 Städte nach einem nicht genehmigten Haushaltssicherungskonzept in der vorläufigen
Haushaltsführung. Das heißt, sie sind faktisch pleite und
insolvent. Was tun Sie dagegen? Wo sind Ihre Vorschläge?
({14})
Die Zahl hat sich seit 2002, also vor allen Dingen in der
Regierungszeit von Rot-Grün, fast verdoppelt. Die Kassenkredite allein in NRW betragen fast 10 Milliarden
DM, bundesweit über 23 Milliarden DM.
({15})
- Euro; das ist noch schlimmer. - Dadurch soll den Gemeinden wenigstens ein kleines bisschen Luft verschafft
werden. Die Verschuldung liegt bei 90 Milliarden DM.
({16})
- Euro. Ich werde es nie lernen.
({17})
- Das ist schön, Herr Körper. Ich bei Ihnen auch nicht;
dann sind wir uns ja einig.
Ich behaupte, es ist nicht nur aus finanzieller Sicht
eine Katastrophe, was hier passiert, sondern auch aus
gesellschaftspolitischer Sicht. Bürgerinnen und Bürger
erleben die Politik vor allen Dingen zuerst in der Gemeinde. Wenn dort nichts funktioniert, weil kein Geld da
ist, dann erleben sie einen schlechten Staat. Vor allen
Dingen: Wen wollen wir eigentlich noch dazu bewegen,
für ein kommunales Parlament zu kandidieren, wenn
dort nur noch der Mangel verwaltet wird? Ehrenamtlich
tätig zu sein und sich dann auch noch beschimpfen zu
lassen, das ist keine gute Kombination und das sollten
wir unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht länger zumuten. Auch die Kommunalpolitiker haben das aus unserer Sicht nicht verdient.
Genauso ist das für die Wirtschaft eine Katastrophe.
Wo keine Aufträge verteilt werden, kann kein Umsatz
gemacht werden. Deshalb gibt es viele Unternehmenspleiten, was wiederum keine guten Auswirkungen
auf die Konjunktur hat. Da kann auch Ihr 25-MilliardenProgramm - diesmal Euro - überhaupt nichts nützen. Sie
sehen, ich bin lernfähig, im Gegensatz zu Ihnen. Ich bin
gespannt, was Sie gleich sagen werden; ich habe eine
Ahnung.
Wir Liberale wollen jedenfalls, dass die Kommunalpolitik wieder ein Thema im Deutschen Bundestag wird.
({18})
Deshalb brauchen wir eine Bestandsaufnahme, die im
Interesse aller und eigentlich auch eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Wir sind bereit, gemeinsam mit der
Koalition den Kommunen zu helfen. Die Bestandsaufnahme ist ein erster Schritt. Aber sie wäre ein wichtiges
Signal an die Kommunen. Ich hoffe, Sie enttäuschen sie
nicht direkt zu Beginn Ihrer Amtszeit.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat der Kollege Peter Götz, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin
Piltz, ich kann Sie beruhigen: Die neue Bundesregierung
hat ihre Arbeit erfolgreich aufgenommen. In kürzester
Zeit wurden neue Impulse gesetzt und wichtige Weichenstellungen für mehr Wachstum und Beschäftigung
beschlossen. Das ist gut - gut für die Menschen in unserem Land.
Wir wollen mit den Entscheidungen, die wir getroffen
haben und die wir noch treffen werden, den Menschen
vor Ort die Chancen und Möglichkeiten zurückgeben,
ihre Heimat wieder selbst zu gestalten. Das ist eine
wichtige Grundlage im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und SPD.
Wie ein schwarz-roter Faden zieht sich eine kommunalfreundliche Politik durch diese Koalitionsvereinbarung.
({0})
Die Verantwortlichen in den Städten, Gemeinden und
Kreisen können seit langer Zeit endlich wieder optimistisch und zuversichtlich in die Zukunft schauen.
({1})
Kommunale Haushalte werden entlastet und sichern damit neue strukturelle Handlungsfreiheit. Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren in astronomische Höhen
gestiegenen kommunalen Kassenkredite - auch Sie
hatten davon gesprochen - von 5,8 Milliarden Euro im
Jahr 1998 auf inzwischen 23,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ist dies nicht nur berechtigt, sondern auch
dringend notwendig.
Die Kommunen bewerten den erst wenige Monate alten Koalitionsvertrag ganz überwiegend positiv. Dies hat
viele Gründe. Sie reichen von der vorgesehenen Reform
der Gemeindefinanzen über städtebauliche Anpassung
an die demographische Entwicklung bis hin zu konkreten Hilfestellungen beim Integrationsprozess von Migranten vor Ort, um nur einige Beispiele zu nennen.
Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, den Präsidenten
des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zu zitieren.
Er erklärt öffentlich:
Der Koalitionsvertrag enthält zahlreiche Ansätze, in
denen die Forderungen des Deutschen Städte- und
Gemeindebundes aufgegriffen werden. Deshalb
wäre es falsch, eine ablehnende Generalkritik an
dem Koalitionsvertrag zu üben.
({2})
Sinngemäß ähnliche Äußerungen hören Sie von den Repräsentanten des Deutschen Städtetages und des Deutschen Landkreistages.
Ich will einen zweiten Punkt nennen. CDU, CSU und
SPD haben sich auf eine Föderalismusreform verständigt, die künftig eine direkte Aufgabenübertragung des
Bundes auf die Kommunen ausschließt. Wir alle wissen,
dass eines der kommunalen Probleme darin begründet
ist, dass die Kommunen ständig neue Aufgaben übertragen bekamen, ohne das notwendige Geld für die Erfüllung dieser Aufgaben zu erhalten. Wenn es uns im Rahmen der anstehenden Änderung des Grundgesetzes
gelingt, den Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt“ durchzusetzen, dann sind die Kommunen die Gewinner dieser
Föderalismusreform.
({3})
Sollten Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der
Opposition, die Kommunen tatsächlich am Herzen liegen, dann lade ich Sie schon heute dazu ein, dieser notwendigen Grundgesetzänderung zuzustimmen.
Die jüngsten Pressemitteilungen, beispielsweise von
den Grünen, machen jedoch schnell klar, dass es ihnen
gar nicht um die Kommunen geht.
({4})
Sie scheinen sich vielmehr darauf zu konzentrieren, Ihre
eigene Politik der letzten Jahre nachträglich schönzureden, übrigens nicht nur mit diesem Antrag.
({5})
Wenn Frau Sager gestern öffentlich kritisiert, dass
sich der Bund nach der Föderalismusreform bei den
Ganztagsschulen nicht mehr einmischen darf, dann
macht sie damit deutlich, dass es ihr nicht um die Stärkung der kommunalen Finanzautonomie, sondern um
rein zentralistische Ideologien geht.
({6})
Wir wollen eine Politik, bei der die Kommunen eigenverantwortlich mit entscheiden können, was sie in ihrer
Stadt und in ihrer Gemeinde für richtig und für wichtig
erachten.
({7})
Am Beispiel der Übernahme der Unterbringungskosten für Langzeitarbeitslose wird deutlich, wer für
eine kommunalfreundliche Politik steht. Auch das nur
zur Erinnerung: Noch im Oktober vergangenen Jahres
- es ist also noch gar nicht so lange her - beschloss das
alte rot-grüne Kabinett einen Gesetzentwurf, der eine
rückwirkende und zukünftige Absenkung des Anteils
des vereinbarten Zuschusses für Kommunen auf null
vorsah. CDU und CSU hatten dies eindeutig abgelehnt.
Inzwischen hat die neue CDU/CSU-geführte Bundesregierung zusammen mit der SPD beschlossen, dass der
Bund für 2005 von den Kommunen keine Rückzahlungen mehr fordert. Wir sind vielmehr bereit, den Anteil an
den Unterbringungskosten in Höhe von 29,1 Prozent
auch im Jahr 2006 zu erstatten.
({8})
In der Koalition haben wir damit sichergestellt, dass den
Kommunen die zugesagte Entlastung in Höhe von
2,5 Milliarden Euro tatsächlich zugute kommt. Ich finde,
dies ist ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der dramatischen Situation bei den kommunalen Finanzen.
({9})
Übrigens waren neben den Ländern die kommunalen
Spitzenverbände am Zustandekommen dieser wichtigen
und für sie positiven Entscheidung beteiligt.
Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände meldete daraufhin, dass die deutschen Städte, Gemeinden und Landkreise den Koalitionsbeschluss zu den
Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose ausdrücklich
begrüßen. Die Präsidenten des Deutschen Städtetages,
des Deutschen Landkreistages und des Deutschen
Städte- und Gemeindebundes haben am 9. Dezember des
vergangenen Jahres in Berlin übereinstimmend dazu erklärt - ich zitiere noch einmal -:
Es ist gut, dass sich die Haltung des Bundes in den
vergangenen zwei Monaten deutlich gewandelt hat.
Von 0 über 19 auf 29 Prozent - das ist eine Trendwende. Damit kommt es in 2005 zu keinen Rückzahlungen der Kommunen. Und für 2006 haben wir
eine Grundlage für unsere Haushaltsplanung.
Weiter heißt es in der Pressemitteilung:
Der Vorschlag des Bundes, der auch von den Bundesländern mit herbeigeführt wurde, sei für die
Kommunen ein vertretbarer Kompromiss.
Das ist, wie ich finde, ein guter Aufschlag für die von
uns angestrebte kommunalfreundliche Politik in dieser
Legislaturperiode.
({10})
Es steht uns gut an, heute, zu Beginn des neuen Jahres, das ja erst einige Wochen alt ist, sowohl der Bundeskanzlerin als auch der Bundesregierung
({11})
im Namen der Städte, Gemeinden und Landkreise dafür
herzlich Dankeschön zu sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den großen
Herausforderungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik müssen Deutschlands öffent780
liche Finanzen wieder in Ordnung gebracht werden.
Dazu gehören auch die Kommunalfinanzen. In der Koalitionsvereinbarung steht - Frau Kollegin Piltz, Sie haben das vorhin richtig zitiert -:
Die Kommunalfinanzen müssen auch zukünftig auf
einer soliden Basis stehen.
Wir alle wissen: Das ist wesentlich leichter gesagt als
getan. Wir alle im Bund, in den Ländern und in den
Kommunen sind gefordert, aktiv und konstruktiv daran
mitzuwirken.
Ein Schlüssel liegt unter anderem in der Frage, wie
die Unternehmen künftig besteuert werden und was mit
der Gewerbesteuer passieren soll. Bis zum Herbst 2006
sollen die Eckpunkte einer Unternehmensteuerreform
vorliegen. Das geht nur unter Einbindung und Berücksichtigung der Gewerbesteuer als wichtigste kommunale Steuer. Unser Ziel ist, diese Reform zum
1. Januar 2008 in Kraft treten zu lassen. Auch hier liegt
uns sehr an einer guten, konstruktiven Zusammenarbeit
mit den Kommunen.
Wir wollen, dass die Städte, Gemeinden und Landkreise ihre Verwaltungshaushalte wieder ausgleichen
und aufgelaufene Kassenkredite zurückführen können.
Wir wollen, dass sie wieder aus eigener Kraft dringend
notwendige Reparaturen an Straßen, Schulen und Kindergärten durchführen können. Die Kommunen müssen
wieder in der Lage sein, den Investitionsstau aufzulösen
und eigenverantwortlich Aufträge an die lokale Wirtschaft zu erteilen. Dadurch entstehen vor allem im Mittelstand und im heimischen Handwerk Wachstum und
Arbeitsplätze. Wir wollen, dass in Deutschland kommunale Selbstverwaltung stattfinden kann.
Nur mit leistungsstarken Städten, Gemeinden und
Landkreisen wird dieser Staat gesund. Lassen Sie uns
gemeinsam dafür arbeiten!
Herzlichen Dank.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Kunert,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Lage der Kommunen wurde in den
letzten Jahren im Bundestag immer wieder besprochen
und die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung
unterstrichen. Nur müssen wir heute feststellen, dass die
im Grundgesetz garantierte kommunale Selbstverwaltung durch die Bundespolitik zunehmend infrage gestellt
wird. Bundesregierung und Bundestag kennen die Probleme der Kommunen und dennoch wurden hier keine
Hausaufgaben gemacht.
({0})
Die Kommunen, die einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen und ihren notwendigen Investitionsbedarf aus eigener Kraft abdecken können, gehören mittlerweile auf
eine Artenschutzliste.
Die Fraktion Die Linke wird dem Antrag der FDP zustimmen, weil er die Chance bietet, die bundespolitischen Rahmenbedingungen mit Blick auf die Kommunen zu überprüfen. Aber, Frau Kollegin Piltz, etwas
mehr kommunalpolitische Leidenschaft hätte ich mir
schon gewünscht.
({1})
Denn wenn Sie die Lage der Kommunen nur anhand von
Aufgabenübertragungen dokumentieren wollen, greift
dies zu kurz. Viele Gesetze des Bundes greifen in die
Hoheit der Kommunen ein. Angesichts der jährlich vorliegenden Finanzberichte der kommunalen Spitzenverbände haben wir bereits eine Dokumentation, in der
auf die notwendigen Konsequenzen hingewiesen wird,
denen wir uns stellen sollten.
Die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen
ist gescheitert. Aber dann setzen wir eben eine neue ein,
um endlich die Gemeindefinanzreform auf den Weg zu
bringen.
({2})
Dies wiederum vermissen wir im Antrag der Grünen.
({3})
Die Wahrnehmung der Aufgaben der öffentlichen
Daseinsvorsorge darf nicht nach Kassenlage erfolgen,
sondern ist an den Bedürfnissen der Menschen in den
Kommunen auszurichten. Wer starke Kommunen will,
muss sie stark machen und dies erfordert eine solide und
Planungssicherheit bietende Politik.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen
unsere eigene Arbeit, zum Beispiel bei Gesetzgebungsverfahren, qualifizieren. Deshalb sind wir gut beraten,
die kommunalen Spitzenverbände in unsere Arbeit und
die der Bundesregierung einzubeziehen.
({4})
Wir schlagen vor, ein Gesetz über die Mitwirkung von
Kommunen erarbeiten zu lassen. Wussten in der Vergangenheit alle Abgeordneten in diesem Haus, wie sich
beschlossene Gesetze in den Kommunen auswirken?
Wussten Sie, dass eine Kommune, nur weil sie an einer
Bahnstrecke liegt, den gesamten Vermögenshaushalt eines Jahres für die Umstellung des Bahnübergangs auf
elektronische Steuerung ausgeben musste? Wann wurde
die Wirksamkeit des Altschuldenhilfe-Gesetzes analysiert und wie kann man den Kommunen helfen, die heute
noch erhebliche Altschulden in der Wohnungswirtschaft
haben?
Als kommunale Mandatsträgerin finde ich den Vorschlag von Frau von der Leyen absurd, den Kommunen
neue Prioritätensetzungen vorzuschlagen, die wiederum
zulasten der Kommunen gehen sollen. In sozialpolitischer Hinsicht hätte dieser Vorschlag von uns kommen
können - das will ich klarstellen -; nur, Staatsaufgaben
müssen in Zukunft auch vom Staat finanziert werden.
({5})
Der Bund darf in Zukunft keine Politik auf Kosten
Dritter machen. Das muss ein Anspruch an unsere Arbeit
sein. Die Vorgehensweise der Bundesregierung bei der
Berechnung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft war aus unserer Sicht unseriös und für uns inakzeptabel. Ich bin gespannt, worin der rot-schwarze
„Faden“ bestehen soll. Erst schreiben wir in das Gesetz
hinein, dass 29,1 Prozent der Kosten erstattet werden;
dann wird angedroht, dass wir das mal eben von den
Kommunen zurückfordern, und jetzt steht es wieder im
Gesetz. Es wird auch noch so getan, als sei das ein großer Tag für die Kommunen.
Die Gesetzgebung in unserem Haus muss sich durch
mehr Transparenz, innovative Verfahren und Praxisnähe
auszeichnen. Wir sind der Meinung, dass wir durch ein
verbindliches Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenverbände unsere Arbeit und die Gesetze verbessern
können. Konsultationsmechanismen nach dem Vorbild
Österreichs, besondere Anhörungsrechte, Kostenfolgeund Gesetzesfolgeabschätzung sind zu regeln. Eine geringere Dichte in Bezug auf Standards, weniger Bürokratie und einfachere Verwaltungsverfahren könnten den
Kommunen die notwendigen Handlungsspielräume erweitern. Damit würden wir den Kommunen mehr Freiheit einräumen. Ein verbindliches Mitwirkungsrecht der
Spitzenverbände könnte die künftigen Gesetze, die dieses Haus passieren, den kommunalpolitischen TÜV bestehen lassen.
Ich möchte noch Anmerkungen zum Antrag der
Grünen machen, den wir natürlich unterstützen.
Erstens stimmen wir dem Antrag grundsätzlich zu.
Aber wir sollten im Ausschuss darüber reden, dass das
Konnexitätsprinzip im Grundgesetz verankert werden
muss, und über eine Gemeindefinanzreform reden. Das
fehlt in Ihrem Antrag.
Zweitens. Wir haben sicherlich ebenfalls keinen Dissens, was die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer angeht. Nur muss ich Ihnen deutlich widersprechen: Wir
haben konkrete Vorstellungen dazu. Vielleicht sollten
wir unsere Positionspapiere austauschen, damit wir nicht
in Ihren Begründungstexten erscheinen. Wir schlagen
eine Verbreiterung der Bemessungsbasis der Gewerbesteuer und die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage
vor. Letzteres würde den Kommunen 5 Milliarden Euro
einbringen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie
um Zustimmung zu unserem Antrag. In den Ausschüssen werden wir uns zu den anderen Anträgen politisch
geordnet verhalten. Wenn es politisch gewollt ist, können wir die Lebensmittelpunkte der Menschen im Land
attraktiver gestalten und den kommunalen Mandatsträgern wieder mehr Lust an ihrer Arbeit bereiten.
Schönen Dank.
({6})
Frau Kollegin Kunert, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich
und wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir befassen uns wieder einmal - bei weitem
nicht zum ersten Mal, Frau Piltz - mit kommunalen Fragestellungen. Das ist auch gut und richtig. In der Tat ist
es so - das waren ja auch die Schnittstellen in den bisherigen drei Reden; das konnte man feststellen, wenn man
den Reden genau gefolgt ist -, dass die Kommunen ein
Kernstück der Demokratie hier in Deutschland darstellen. Das ist nicht einfach deswegen so, weil es in Art. 28
des Grundgesetzes so drinsteht. Vielmehr leisten sie im
Bereich der allgemeinen Daseinsvorsorge, bei den Feuerwehren, auf dem Gebiet des Ehrenamtes, aber auch bei
der sozialen Integration und der Integration von Migrantinnen und Migranten unermesslich viel. Das bedarf einer Würdigung und Anerkennung von unserer Seite. Sie
leisten - das sei nicht vergessen - im Bereich der frühkindlichen Erziehung, bei Bildung und Ausbildung, die
uns in dieser Wahlperiode besonders wichtig sind, Enormes. Deshalb gilt der alte Satz: Ohne Kommunen ist
kein Staat zu machen. Sie sind nicht bloßes Anhängsel
der Länder, sondern konstitutives Element unserer Verfassung.
Es gibt also gute Gründe, sich in diesem Haus mit der
Lage der Kommunen auseinander zu setzen, jetzt und in
Zukunft immer wieder. Frau Piltz, seien Sie versichert:
Bei uns besteht die Bereitschaft, notfalls Tag und Nacht
über die Kommunen zu reden. Da brauchen wir wahrhaftig keine Belehrung von einer Partei, die nun alles andere ist als eine Kommunalpartei.
({0})
Mittlerweile liegen in einer gewissen Inflation zu dem
heutigen Tagesordnungspunkt sogar drei Anträge vor.
({1})
Die PDS fordert, dass wir den kommunalen Spitzenverbänden ein Anhörungsrecht garantieren. Bündnis 90/Die
Grünen fordern, dass wir so etwas wie einen Kommunalbericht erstellen. Das trifft sich mit dem Antrag der FDP.
Lassen Sie mich zu allen drei Anträgen nur eine Bemerkung machen: Wenn es in Deutschland an etwas nicht
mangelt, dann ist es in der Tat die Dokumentation, die
statistische Aufbereitung, die Vorlage von Zahlen, Daten
und Fakten. Da haben wir wahrhaftig genug. Dazu brauchen wir keine solchen Anträge.
({2})
Es geht vielmehr darum, wie wir damit umgehen.
Frau Kollegin Piltz, ich verstehe, dass es Ihre Fraktion gejuckt hat, hier noch einmal fast wortgleich einen
Michael Hartmann ({3})
Antrag aufzulegen, den wir, wenn ich mich recht erinnere, im Dezember 2004 schon einmal beraten haben.
Sie wollen jetzt den Kolleginnen und Kollegen von der
Union die Frage stellen: Wie hältst du es mit dem, was
du damals gesagt hast?
({4})
Das mag ein nettes parlamentarisches Spiel sein. Es mag
Ihnen auch ein gewisses Vergnügen bereiten. Wir als Sozialdemokraten werden das sicher auch vonseiten unseres früheren Koalitionspartners immer wieder erleben.
({5})
Sie erleben es jetzt bei Ihrem Wunschkoalitionspartner.
Aber sagen Sie mir doch bitte einmal, was Sie zur Verbesserung der kommunalen Situation vorschlagen! Der
Antrag enthält dazu nichts, aber auch gar nichts.
({6})
Es geht doch am Schluss darum - meine Damen und
Herren, da haben wir sicherlich wieder viele Schnittstellen -, einmal die kommunale Finanzkrise genau anzuschauen. Die kommunale Finanzkrise ist - die Ehrlichkeit gebietet, dies auszusprechen - ein Teil der
Finanzkrise der öffentlichen Hand überhaupt. Wenn man
die Ebenen Bund, Land und Kommune miteinander vergleicht, muss man ja sogar sagen, dass der Schuldenstand der Kommunen relativ immer noch am geringsten
ist. Das hilft keinem Kämmerer; das weiß ich sehr wohl.
Aber das darf man lobend in Richtung Kommunen sagen:
({7})
Die Kommunen schaffen es mit viel Kreativität, zu sparen. Sie schaffen es tatsächlich, den Mangel gescheit,
klug und variabel zu verwalten.
({8})
Im Kern geht es also erstens um die Sanierung der öffentlichen Haushalte, zweitens natürlich um den Abbau
der Arbeitslosigkeit - die hohe Arbeitslosigkeit verursacht das Schuldendilemma der Kommunen mit - und
drittens nach wie vor um die Reform der sozialen Sicherungssysteme.
Es geht übrigens auch darum - das sage ich bewusst
in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von den
Freien Demokraten -, dass wir unsere Kommunen vor
der vorgesehenen EU-Dienstleistungsrichtlinie schützen. Denn was sie an kommunalen Finanzmöglichkeiten
zerschlagen würde, ist geradezu skandalös. Vielleicht
sollten Sie sich auch damit einmal etwas intensiver befassen.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, man darf bei
der ganzen Debatte übrigens auch nicht vergessen, dass
die Kernzuständigkeit für kommunale Belange nicht
beim Bund liegt, sondern dass da immer auch die Länder
gefordert sind. Wenn wir uns in Debatten, Diskussionen
und Entschließungen damit befassen, zeigt ein Finger
immer auf die Länder, die nach unserer Verfassungsordnung am Schluss für die Kommunen verantwortlich
sind. Wo wir vonseiten des Bundes helfen können, da
tun wir das auch. Der Kollege von der Union hat das bereits ausgeführt.
({10})
Das sehen Sie im Koalitionsvertrag.
An den Zahlen sehen Sie übrigens, dass die Gewerbesteuer verdammt wichtig ist. Deshalb ist auch ihr Erhalt, solange uns nichts Besseres einfällt, verdammt
wichtig. Wenn die Gewerbesteuer zerschlagen wäre,
dann wäre das Licht tatsächlich schon in allen Städten
und Gemeinden ausgegangen, meine Damen und Herren
von der FDP.
({11})
Ich will das gerne anhand von Zahlen belegen; das ist
nicht einfach so dahingesagt. 2004 hatten wir 56,4 Milliarden Euro kommunale Steuereinnahmen; davon waren 22,7 Milliarden Euro aus der Gewerbesteuer. Das
war ein Plus von 33,2 Prozent gegenüber dem Jahr 2003.
2005 hat sich das fortgesetzt. Wir hatten 58,6 Milliarden
Euro kommunale Steuereinnahmen; 24,8 Milliarden
Euro davon entfielen auf die Gewerbesteuer. Das war
wieder eine Steigerung, und zwar von 9,4 Prozent. 2006
erwarten wir eine weitere Steigerung der kommunalen
Steuereinnahmen auf 60,7 Milliarden Euro. 26,1 Milliarden Euro davon entfallen auf die Gewerbesteuer. Das ist
eine erneute Steigerung um 5,3 Prozent.
({12})
Dazu kommen die Kosten, die der Bund für die Unterbringung der Langzeitarbeitslosen, an Ganztagsschulförderung und im Rahmen des Tagesbetreuungsausbaugesetzes übernimmt. Der Kollege von der Union hat dies
schon ausgeführt. Also tun Sie bitte nicht so, als würde
der Bund seiner Pflicht gegenüber den Kommunen nicht
gerecht werden. Das ist falsch und wider besseres Wissen geredet.
({13})
Wenn allerdings die drei sich überbietenden Anträge
der Oppositionsfraktionen dazu führen, dass wir uns
- das gebe ich unumwunden zu - stärker mit der Ausgabensituation der Kommunen befassen, dass wir uns genauer ansehen, was das Explodieren der Sozialhaushalte
mit all seinen Konsequenzen bedeutet, dass wir uns mit
der Frage der Kassenkredite stärker beschäftigen und
dass wir die Standards, die unsere Kommunen belasten,
stärker abbauen, dann finden Sie aufseiten der Koalitionsfraktionen immer offene Ansprechpartner. Insofern
Michael Hartmann ({14})
sehen wir Ihre heutigen Anträge als den Beginn einer
positiven Debatte über die Zukunft der Kommunen.
Danke sehr.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist richtig: Wir debattieren wieder über die
Situation der Kommunen und der kommunalen Haushalte. Das ist gut und notwendig. Der Antrag, den die
FDP vorgelegt hat, war ja quasi der Aufschlag zur heutigen Debatte. Diesen Antrag haben Sie schon einmal eingebracht.
({0})
Er ist jetzt ein bisschen angepasst. Ich teile die Einschätzung des Kollegen Hartmann, dass es eigentlich darum
geht, das vermutlich etwas verquere Abstimmungsverhalten der CDU/CSU noch einmal zu dokumentieren.
Das ist Ihr gutes Recht und kann tatsächlich erhellend
sein.
Ich möchte mit einer Sache noch ein bisschen aufräumen. Das ist die Thematik der Gewerbesteuerumlage.
Sie sagen zu Recht, die Gewerbesteuerumlage ist gesenkt worden und das hat dazu geführt, dass die Kommunen mehr Geld haben. Aber die Steigerung der Gewerbesteuer, so wie Sie sie jetzt gerade anhand von
Zahlen noch einmal dargestellt haben, Herr Hartmann,
hat mit der Gewerbesteuerumlage nichts zu tun.
({1})
Die Steigerung der Gewerbesteuer hat damit zu tun, dass
wir steuerliche Maßnahmen vorgenommen haben, die
dazu führen, dass die Gewerbesteuer ansteigt.
({2})
Herr Dautzenberg, das waren wir, das war Rot-Grün.
Es war richtig, die Gewerbesteuer im Rahmen der Gemeindefinanzreform zu reformieren. Wir teilen die Kritik, dass die Gemeindefinanzreform nicht umfassend
war und dass es einen breiteren Arbeitsauftrag hätte geben können. Aber man muss ganz klar erkennen: Die
Gewerbesteuer steigt an. Sie ist ein Standbein der Kommunen. All jenen, die entweder in der Vergangenheit
oder heute immer noch munter über die Abschaffung der
Gewerbesteuer spekulieren - im Rahmen der Unternehmensteuerreform wird es wieder passieren; Herr Götz,
Sie haben das angekündigt -, sage ich: Es geht um weit
über 20 Milliarden Euro. Die Körperschaftsteuer macht
das um Längen nicht aus. Diese weit über 20 Milliarden
Euro müssen kompensiert werden. Ich kann nur davor
warnen, dass bei einer möglichen Abschaffung der Gewerbesteuer die Kompensation so aussehen soll, dass die
Wirtschaft nicht mehr zahlen soll, dass die Bürgerinnen
und Bürger belastet werden und dass die Kommunen die
Verlierer der Unternehmensteuerreform sind. Davor
kann ich nur warnen.
({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Zeil?
Ich habe jetzt schon eine Pause dafür gemacht.
Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, dass Ihr
früherer Finanzexperte, Herr Metzger, völlig Recht
hatte, als er die Gewerbesteuer als Haupthindernis für
eine echte Steuervereinfachung bezeichnet hat?
({0})
Da kann ich Ihnen überhaupt nicht zustimmen; denn
ich habe eine dezidiert andere Position. Ich teile Ihnen
nicht nur meine, sondern auch die Position der grünen
Fraktion mit, wenn ich Ihnen sage, dass die Gewerbesteuer im Rahmen unseres Steuerpaketes für die Kommunen eine wichtige Steuer ist. Spekulationen über die
Abschaffung der Gewerbesteuer müssen unter zwei Gesichtspunkten sehr genau betrachtet werden: Verteilung
der Lasten zwischen Wirtschaft und Bürgerschaft und
zwischen Stadt und Land. Insofern teile ich die Einschätzung, die Sie angesprochen haben, nicht. Dabei deckt
sich meine Auffassung ganz klar mit der Position der
grünen Fraktion.
({0})
Nun zur Grundsteuerreform; denn in unserem Antrag
gibt es ja noch einige andere Punkte. Herr Hartmann,
wenn Sie sagen, dass sich die vorliegenden Anträge in
der Frage überbieten, wer einen Kommunalbericht einfordert, dann haben Sie unseren Antrag wohl nicht genau
gelesen; denn uns geht es nicht um einen Kommunalbericht. Die Lage der Kommunen muss nicht erneut dezidiert dokumentiert werden, um feststellen zu können,
welche Kommune viel und welche wenig hat. Uns geht
es vielmehr darum, dass ein umfassendes Paket geschnürt wird; dieses Vorhaben haben Sie zugegebenermaßen auch in Ihrem Koalitionsvertrag thematisiert.
Aber lassen Sie Ihren Worten nun auch Taten folgen!
({1})
Dann würde es einmal nicht dabei bleiben, dass ein
Koalitionsvertrag sozusagen nur ein Verschiebungsvertrag ist, in den man zwar schreibt, was man eigentlich
will, diese Vorhaben dann aber auf die lange Bank
schiebt.
({2})
Führen Sie eine Reform der Gewerbesteuer durch,
und zwar in dem Sinne, wie es Rot-Grün diskutiert hat,
und führen Sie eine Reform der Grundsteuer durch! Im
März 2004 war der rheinland-pfälzische Finanzminister
Mittler bei uns in der grünen Fraktion.
({3})
Er hat mit uns über das Grundsteuermodell diskutiert
und gesagt, dass ein entsprechender Gesetzentwurf zeitnah eingebracht wird. Das war im März 2004. Es ist
nicht mehr lange hin bis zum März 2006; dann sind zwei
Jahre vergangen. Unter „zeitnah“ verstehe ich, auch
wenn es nur um kleine Schritte geht, etwas anderes.
({4})
Erklären Sie uns auch, wie die Übertragung des
Wohngeldes an die Kommunen ab dem Jahr 2007 geregelt werden soll!
({5})
Die Art und Weise, wie Sie darüber diskutiert haben, war
ein schlechter Einstand: Zuerst hat Herr Müntefering gesagt, dass die Kommunen nur 19 Prozent bekommen,
und später hat er angedeutet, dass sie, wenn sie nicht
mitmachen, nur 15 Prozent bekommen werden.
({6})
Jetzt sprechen Sie von 29,1 Prozent, wie es auch verabredet war. Aber Sie haben noch nicht dargelegt, wie es
im Jahr 2007 aussehen soll, haben allerdings angekündigt, dies zu tun. Wir sind gespannt, was Sie machen
werden.
In Genshagen haben Sie den Beschluss gefasst, dass
es für die energetische Sanierung von Kindergärten und
Schulgebäuden Kommunalkredite der KfW geben soll.
Das ist eine gute Idee. Wir haben lange über die energetische Sanierung von Gebäuden diskutiert. Bringen Sie
nun einen Vorschlag ein, wie Sie sich das vorstellen!
({7})
Frau Kollegin, ich lasse keine weitere Zwischenfrage
mehr zu, weil Sie Ihre Redezeit überschritten haben.
Da Sie meine Redezeit während meiner Beantwortung der letzten Frage leider haben weiterlaufen lassen,
nehme ich mir jetzt noch ganz kurz das Recht, Folgendes
zu sagen: Ich möchte Sie bitten, am Ball zu bleiben.
Starke und handlungsfähige Städte sind für die Menschen, für unsere Gesellschaft und für unsere Wirtschaft
wichtig. Wir Grüne stehen für starke und handlungsfähige Städte und Kommunen. Wir sind gespannt, welche
Vorschläge Sie uns in der Diskussion vorlegen werden.
Bleiben Sie am Ball; denn Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag viel versprochen, aber noch nicht viel umgesetzt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Piltz, es wäre ein Leichtes
gewesen, dem Antrag der FDP mit dem Titel „Lage der
Kommunen dokumentieren und verbessern“ zuzustimmen, da es für alle Probleme, die man nicht lösen will
oder kann, zwei Möglichkeiten gibt: einen Arbeitskreis
einzusetzen oder die Erstellung eines Berichts zu fordern. In beiden Fällen hat man Monate Ruhe, weil man
erst die Ergebnisse der Arbeit der jeweiligen Gremien
abwarten muss.
({0})
Leider konzentrieren Sie sich, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP, in Ihrem Antrag nur auf den ersten Teil, nämlich auf das Dokumentieren. Vom „Verbessern“ ist in Ihrem Antrag im Weiteren nicht mehr die
Rede.
({1})
Genau das ist der Grund, warum wir Ihrem Antrag heute
nicht zustimmen werden: Viele Forderungen, die Sie darin erheben, sind längst von der Zeit überholt.
({2})
Dazu werde ich gleich vortragen.
Die Debatte zeigt doch ganz deutlich: Keine der Fraktionen hier im Haus bestreitet, dass die Situation der
Kommunen ausgesprochen schwierig ist. Wofür brauchen wir neue Zahlen? Die Diskussion über Hartz IV hat
deutlich gezeigt, dass wir, selbst wenn die Zahlen vorgelegt werden, nicht davor bewahrt werden, politische Entscheidungen zu treffen; denn die Diskussion über
Hartz IV hat gezeigt: Obwohl die Zahlen vorlagen, waren beide Seiten nur damit beschäftigt, zu klären, ob es
die richtigen Zahlen sind.
({3})
Liebe Frau Kollegin Andreae, Sie scheinen vergessen
zu haben, dass Sie zu der Regierung gehört haben,
({4})
die den 0-Euro-Vorschlag gemacht hat, die gesagt hat,
die Kommunen kriegen 3,5 Milliarden Euro weniger als
bis dahin. Erst die neue Bundesregierung hat mit den
Kommunen vereinbart, 29,1 Prozent der Unterkunftskosten zu erstatten, was 3,5 Milliarden Euro für die
Kommunen entspricht.
({5})
Liebe Frau Kollegin Kunert, Sie haben gefragt, ob jeder hier im Haus bei Gesetzentwürfen eigentlich weiß,
welche Auswirkungen die entsprechenden Gesetze auf
die Kommunen haben werden; Sie haben das Altschuldenhilfe-Gesetz angesprochen. Ja, Frau Kollegin, jeder
könnte es wissen, wenn er die Gesetzentwürfe lesen
würde. Denn schon vor einiger Zeit haben wir eingeführt, dass bei Gesetzesvorhaben die Auswirkungen auf
die kommunalen Finanzen berücksichtigt werden. Jeder weiß das. Die Frage ist nur, wie wir das umsetzen.
Ich denke, diese Regierung hat gut begonnen damit, die
kommunalen Finanzen mit im Auge zu behalten. Das hat
die Debatte um Hartz IV gebracht.
({6})
Frau Kollegin, gestatten sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Scheel?
Ja.
({0})
Frau Kollegin, können Sie sich noch daran erinnern,
dass die gesetzgeberischen Entscheidungen im Bereich
der Einkommensteuer, im Bereich der Unternehmensbesteuerung insgesamt, aber auch im Bereich der Verteilung der verschiedensten Steuern auf Bund, Länder und
Kommunen mit den Stimmen der von der FDP mitregierten Länder im Bundesrat gemeinsam getragen wurden? Wie stehen Sie dazu? Sie tun ja so, als hätte die
FDP-Fraktion hier eine völlig andere Auffassung als Ihre
Minister, die ihre jeweiligen Länder damals im Bundesrat vertreten haben. Das ist doch gespaltene Zunge,
oder?
Frau Kollegin Scheel, Sie sprechen jetzt mit der Kollegin Tillmann; sie ist von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Entschuldigung.
Bleibt Ihre Frage dann aufrechterhalten?
Kein Problem! Ich würde die Frage gerne beantworten.
Die Frage bezieht sich genauso auf die CDU- und
CSU-regierten Länder.
({0})
Ich beantworte diese Frage ausgesprochen gerne, weil
sie mir die Gelegenheit gibt, klarzustellen, dass es um
die Regierung geht, an der Sie beteiligt waren, Frau
Andreae. Sie haben eben so schön gesagt, die Gewerbesteuerumlage sei gesenkt worden. Aber Sie haben dabei
natürlich vergessen zu erwähnen, dass sie kurz zuvor,
2001, massiv erhöht worden ist. Es war genau Ihre Körperschaftsteuerreform 2001, die den Kommunen zwischen 2001 und 2003 finanziell das Genick gebrochen
hat.
Wenn Sie sich jetzt immer als Retter der Kommunen
darstellen und darauf verweisen, dass Sie Steuerpläne
gehabt hätten, diese aber im Bundesrat blockiert worden
seien, dann muss ich dazu sagen: Welcher Minister war
es denn, der noch im November die Verlustabschreibungsgesellschaften weiter gefördert hat und damit verhindert hat, dass den Kommunen mehrere 100 Millionen
Euro Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer zufließen?
Erst die neue Regierung hat dafür gesorgt, dass Verlustabschreibungsgesellschaften im Einkommensteuerrecht
nicht mehr möglich sind.
({0})
Liebe Kollegen, aus meiner Sicht gibt es kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.
({1})
Drei Dinge sind es, die für die Kommunen dringend getan werden sollten. Das Erste ist - Herr Götz hat es
schon kurz angesprochen - die Umsetzung der Ergebnisse der Föderalismuskommission. Liebe Frau Piltz,
ich kann Sie nur dringend bitten, Ihre Kollegen davon zu
überzeugen, den Ergebnissen der Föderalismusreform
zuzustimmen. Denn da haben wir das Konnexitätsprinzip vereinbart. Nun droht Ihre Fraktion, die Ergebnisse
nicht mitzutragen, wenn sie nicht mit einer Reform des
Länderfinanzausgleichs verbunden werden. Dabei wissen Sie, dass wir den Länderfinanzausgleich nicht innerhalb von einem Jahr sanieren können. Also lassen Sie
uns bitte den Kommunen die Sicherheit geben; das war
eine große Bitte der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände in der Föderalismuskommission, in der sie
massive Mitwirkungsrechte hatten. An der Stelle können
wir tatsächlich helfen, anstatt nur Berichte zu fordern.
({2})
Das Zweite, was wir dringend angehen sollten, ist die
Unternehmensteuerreform. Liebe Kollegen von den
Grünen, diese Reform steht im Koalitionsvertrag. Natürlich kann sie noch nicht umgesetzt sein; denn den Koalitionsvertrag gibt es ja erst seit zwei Monaten. Fragen Sie
uns in zwei Jahren noch einmal! Wenn wir sie bis dahin
nicht angegangen haben, dürfen Sie uns zu Recht kritisieren. Aber in nur zwei Monaten ist so etwas nicht zu
machen, gerade weil zum Beispiel die Gewerbesteuer
sehr sensibel behandelt werden muss.
Ich sage an dieser Stelle als Steuerberaterin auch
ganz offen: Wenn wir Gerichte damit befassen, ob ein
Kükensortierer Gewerbetreibender oder Selbstständiger
ist - ein Gewerbetreibender zahlt Gewerbesteuer, ein
Selbstständiger nicht -, dann werden wir keine Unternehmensteuerreform bekommen, die das Steuerrecht tatsächlich vereinfacht. Deshalb ist es mir ein großes
Anliegen, zumindest zu prüfen, ob es eine andere Möglichkeit für die Kommunen gibt. Aber ich sage in Richtung der Kommunen gleichzeitig: Wir haben im Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass wir die Gewerbesteuer
ohne eine definitive Sicherheit für die kommunalen Finanzen - da ist das Votum der Kommunen natürlich gefragt - nicht abschaffen werden.
Der dritte Punkt - da bitte ich die kommunalen Vertreter in unseren Reihen, aber auch die Handelnden in
den Kommunen, mitzuhelfen -: Wenn wir es nicht schaffen, die Bürger in den Kommunen an der Mitgestaltung des kommunalen Haushaltes zu beteiligen, dann
werden sich die Kommunalvertreter immer wieder der
Forderung ausgesetzt sehen, Schwimmbäder, Turnhallen
und Sportplätze sanieren zu müssen, aber bitte nicht die
Gebühren zu erhöhen. Deswegen kommt bei der Reform
der kommunalen Steuern sehr wohl ein Modell infrage,
bei dem die Bürger Mitgestaltungsmöglichkeiten bekommen. Dann können sie mit entscheiden, ob sie eine
Erhöhung akzeptieren oder ob sie lieber auf eine Investition verzichten. Eine solche Beteiligung wünsche ich
mir auf kommunaler Ebene.
Die Einführung einer dritten Kammer - nur so könnte
es mit dem verbindlichen Mitbestimmungsrecht der
Kommunen funktionieren - würde nur dazu führen, dass
dieser Staat nicht mehr zu regieren ist. Das wäre auch
mit dem Ergebnis der Beratungen der Föderalismuskommission nicht vereinbar, die das Ziel hatte, zu einer Entflechtung zu kommen.
Diese Regierung nimmt die Anliegen der Kommunen
sehr ernst. Viele der Kollegen hier haben die kommunalen Interessen im Auge. Wir können die Aufgabe bewältigen, wir haben die nötigen Angaben dazu und brauchen
keinen Bericht mehr. Wir müssen nun die Punkte, die
wir angegangen sind, Schritt für Schritt umsetzen, zügig,
aber nicht übereilt. Dazu fordere ich alle auf. Dann wird
sich auch die Situation der Kommunen verbessern.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Bernd Scheelen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Silvester und damit die jährliche Wiederholung
des interessanten Stückes „Dinner for One“ auf den dritten Programmen liegen noch nicht lange zurück. Die
beiden Kernsätze aus diesem Stück sind allgemein bekannt. Sie erinnern sich bestimmt daran, dass der Diener
James fragt: „Same procedure as last year, Miss
Sophie?“ Miss Sophie antwortet: „Same procedure as
every year, James!“
Daran musste ich denken, Frau Piltz, als ich den Antrag der FDP gelesen habe.
({0})
Ein solcher Antrag liegt jedes Jahr fast zur selben Zeit in
diesem Hohen Hause vor. Wie oft wir einen solchen Antrag schon beraten haben, lässt sich gar nicht mehr genau
feststellen. Der Kollege Hartmann hat schon darauf hingewiesen, dass das im Dezember 2004 der Fall gewesen
ist. Soweit ich weiß, gab es einen solchen Antrag auch
im Jahre 2003. Davor ist ein solcher wahrscheinlich
auch schon mehrfach eingebracht worden.
({1})
Um Sie nicht zu sehr auf die Folter zu spannen,
möchte ich Ihnen vorweg sagen: Auch dieses Mal werden wir diesen Antrag ablehnen. Das gilt auch für die
Anträge der Grünen
({2})
und der PDS.
({3})
- Ja, der Linken. Ich erinnere mich gut, dass die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die in der vorderen Reihe sitzt,
in den letzten drei Jahren bei jedem Redebeitrag, den sie
hier abgegeben hat, vorher gesagt hat, sie sei Abgeordnete der PDS. Das hat sich mir eingeprägt. Ich bitte um
Nachsicht, dass ich mich noch nicht umstellen konnte.
({4})
Die FDP fordert einen Bericht zur Lage der Kommunen. Deren Lage bezeichnet sie als „extrem zugespitzt“.
Das ist die wortgleiche Formulierung aus dem Antrag
von 2004.
({5})
Das zeigt, dass Sie noch nicht ausreichend gewürdigt haben, was sich in der Zwischenzeit getan hat, vor allem
hinsichtlich der Finanzsituation der Kommunen.
Die Finanzsituation ist nach wie vor schwierig - das
wissen wir alle; darüber müssen wir uns nicht streiten -,
entspannt sich aber. Das kann man an Zahlen festmachen. Sie weisen in Ihrem Antrag auf die Kassenkredite
hin - damit kann man am besten Horror verbreiten -,
verschweigen aber beispielsweise die durchaus positive
Entwicklung beim Defizit. Das lag im Jahre 2003 noch
bei 8,5 Milliarden Euro, im Jahre 2004 bei 3,8 Milliarden Euro. Wir gehen davon aus, dass das Defizit im vergangenen Jahr weiter deutlich gesenkt werden konnte
und dass die Null in der Zukunft nicht nur bloße Hoffnung sein wird.
Die Hauptursache dafür, dass sich die Finanzsituation
der Gemeinden durchaus positiv entwickelt, sind die
Einnahmen aus der Gewerbesteuer; die Zahlen sind
hier schon mehrfach genannt worden. Die Steigerung
der Einnahmen 2004 gegenüber 2003 liegt bei über einem Drittel, genau bei 35,7 Prozent. Das ist für die
Kommunen sehr viel Geld. Das führt dazu, dass die
Steuereinnahmen der Kommunen in dem Jahr gegenüber
2003 insgesamt um 9,4 Prozent gestiegen sind. Die Steuerschätzung vom November letzten Jahres geht davon
aus, dass im vergangenen Jahr ein Zuwachs von etwa
4 Prozent zu verzeichnen sein wird. Genau kann man das
erst sagen, wenn die Zahlen vorliegen. Für dieses Jahr
wird ebenfalls eine Steigerung von über 3 Prozent prognostiziert.
Dabei ist noch nicht berücksichtigt, was die Koalition
in ihrer Vereinbarung niedergelegt hat und was sie an
Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht hat. Das, was
wir Ende letzten Jahres an Subventionsabbau beschlossen haben, wird den Gemeinden weitere Einnahmen in
Höhe von 1,4 Milliarden Euro bringen. Das zeigt, dass
wir in der alten Koalition auf dem richtigen Wege waren,
und das zeigt auch, dass wir in der neuen Koalition auf
dem richtigen Wege sind, um den Kommunen bei der
Bewältigung ihrer schwierigen Aufgaben zu helfen.
({6})
- Jederzeit, Frau Piltz; ich lade Sie herzlich ein.
({7})
- Selbstverständlich würde ich diese Rede auch in Krefeld in meinem Stadtrat halten, wo ich immer noch Bürgermeister bin. Dort halte ich in jeder Rede der regierenden CDU vor, dass sie offensichtlich eine falsche
Wirtschaftspolitik macht; denn von den Gewerbesteuermehreinnahmen kommt in Krefeld erstaunlicherweise
nichts an.
({8})
Das ist aber ein örtliches Problem, das die Mehrheit dort
zu verantworten hat. Frau Piltz, ich lade Sie herzlich
ein, zu einer Sitzung in den nächsten Monaten zu kommen.
Frau Kollegin Piltz, all die Berichte, die Sie hier anfordern - das hat der Kollege Hartmann schon zu Recht
gesagt -, gibt es schon. Ich gebe Ihnen einen kleinen
Tipp: Gehen Sie einfach mal ins Internet. Unter
www.bundesfinanzministerium.de gibt es den Unterpunkt „Aktuelles“. Wenn Sie darauf klicken und den
Suchbegriff „Kommunen“ eingeben, erhalten Sie zum
Beispiel dieses Papier hier. Ich habe es extra für Sie
schon einmal ausgedruckt und gebe es Ihnen gleich am
Ende der Rede, damit Sie dort hineinschauen können.
({9})
Darin steht nämlich, was der Bund zugunsten der Kommunen bisher alles getan hat und was in Zukunft noch
auf sie zukommt.
In dem zweiten Teil Ihres Antrages befassen Sie sich
mit Art. 84 Grundgesetz. Sie verlangen dort, dass die
Bundesregierung im Einzelnen die Aufgaben benennt,
die sie den Kommunen nach ebendiesem Artikel auferlegt hat. Wir sollen darlegen, wie die finanziellen Ausgleichszahlungen dazu aussehen.
Ich habe einmal in einer kleinen Ausgabe des Grundgesetzes unter Art. 84 nachgeschaut; das hilft ja manchmal. Die Überschrift lautet: „Landeseigene Verwaltung;
Bundesaufsicht“. Ich habe den Text aller fünf Absätze
noch einmal gelesen. Das Wort „Kommunen“ kommt
darin nicht vor. Das zeigt sehr deutlich, dass im Grundgesetz davon ausgegangen wird, dass der Staat zwei
Ebenen hat, nämlich den Bund und die Länder. Die
Kommunen sind Teile der Länder.
({10})
Insofern sind Ihre Anträge sinnvollerweise in den
Landesparlamenten einzubringen. Sie regieren ja in fünf
Ländern mit. Die Berichte, die Sie hier von uns einfordern, sollten Sie in diesen Landesregierungen schon mal
auf den Weg bringen. Danach können wir uns hier noch
einmal darüber unterhalten.
({11})
Die Fraktion Die Linke - das habe ich jetzt gelernt ({12})
hat einen Antrag eingebracht, der relativ einseitig ist. Sie
haben es tatsächlich geschafft, auf einer Seite einen Antrag zu formulieren. In diesem Antrag verlangen Sie ein
gesetzlich abgesichertes Mitwirkungsrecht der Kommunen. Das kann man ja wollen; das wollen auch viele.
Es gibt auch viele Sympathien dafür. Dort gibt es aber
dasselbe Problem wie beim Antrag der FDP: Davor steht
einfach die Verfassung. Sie müssen das mit den Ländern
regeln. Wenn Sie das mit den Ländern geregelt haben,
dann kommen Sie gerne wieder mit einem solchen Antrag. Wir können ihn hier dann durchaus positiv behandeln.
Ich will Ihnen sagen, was wir getan haben, als wir
1998 mit dem Regieren hier anfingen. Wir haben eine
Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung
verabschiedet. In der sind diese Mitwirkungsrechte in
den §§ 41 und 47 ziemlich exakt definiert. Darin steht
genau, wie die Kommunen vor und nach dem Beginn der
Verhandlungen über einen Gesetzentwurf zu beteiligen
sind. Das ist ziemlich genau geregelt. Das ist das, was
die Verfassung zulässt. Das haben wir bereits getan. Insofern erübrigt sich auch Ihr Antrag.
Der Antrag der Grünen enthält eine Menge von dem,
was im Koalitionsvertrag sowieso vorgesehen ist. Wir
werden uns über die Unternehmensteuerreform unterhalten müssen. Dabei wird die Gewerbesteuer eine Rolle
spielen. Es steht aber auch ganz klar im Koalitionsvertrag, dass die Gewerbesteuer nur dann aufgegeben werden kann, wenn es einen besseren Ersatz gibt.
({13})
- Nein, wir brauchen einem Antrag nicht zuzustimmen,
der nur das beschreibt, was wir sowieso machen
werden. Er enthält allerdings auch ein paar Punkte, die
wir nicht durchführen werden.
({14})
Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ebenfalls ab.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/127, 16/358 und 16/371 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Pau,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Hakki Keskin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Abriss des Palastes der Republik stoppen
- zu dem Antrag der Abgeordneten HansChristian Ströbele, Anna Lührmann, Volker
Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Abrissmoratorium für den Palast der Republik
- Drucksachen 16/98, 16/60, 16/366 Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
Christoph Waitz
Grietje Bettin
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Börnsen, CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Verehrte Gäste, Freunde und Genossen,
({0})
Ein gutes Haus braucht einen guten Platz.
Wir hatten ihn, und taten wie beschlossen.
Hier legte Liebknecht einst in heißen Tagen
das Fundament für eine bessere Welt.
Wir haben darauf gebaut und dürfen sagen:
Dies ist ein Baugrund, der uns sicher hält!
Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Mit diesen eben
zitierten Sätzen begann vor 32 Jahren der Richtspruch
zum Palast der Republik. Er endet beziehungsreich:
Denn hinter diesen festen Marmorsteinen,
da schlägt das ganze Herz der Republik.
({1})
Ein Prachtbau, der den Sieg des Sozialismus dokumentieren sollte, war hier entstanden, ein internationales
Prestigeprojekt mit identitätsstiftender Wirkung für die
DDR-Bürger. Durch seine Modernität war es ein Stück
gebaute Westsehnsucht. Als Mann vom Bau erlauben Sie
mir die Bemerkung: Eine technische Meisterleistung.
Aber in seiner damals futuristischen Dimension in
Ausmaß und Kanten war hier ein architektonischer
Fremdkörper entstanden und er ist es bis heute geblieben.
({2})
Es war eine städtebauliche Fehlentscheidung auf der historisch geprägten Spreeinsel. Dieser bewusste Beschluss
der SED diente dazu, die Mitte der Stadt, das Zentrum
der Republik durch ein Symbol für sich zu sichern. Der
Palast wurde Platzhalter für ein Gesellschaftsmodell.
Mit der gezielten Sprengung des Stadtschlosses
1950 hatte man Berlin seiner Mitte beraubt. Ein gewachsenes Ensemble hatte man zerstört. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht wegsprengen.
({3})
Bausünden hat es in Berlin und nicht nur hier gegeben, sondern in beiden Teilen, in Ost wie in West.
({4})
Wolfgang Börnsen ({5})
Doch diese Stadt und ihre Bürger haben besonders in
den letzten 16 Jahren auch mit Hilfe des Bundes ein phänomenales Wiederaufbauprogramm umgesetzt.
({6})
Der Reichstag, unser Parlament, ist dafür ein Paradebeispiel. Mit Faust und Fingerspitzengefühl ist Deutschlands Hauptstadt zu einer vitalen, attraktiven und in ihren Ecken auch wunderbar schmuddeligen europäischen
Metropole herangereift.
({7})
Einen Bestandsschutz für eine gesichtslose Ruine
kann es nicht geben.
({8})
Die hier tagende Volkskammer war ein Scheinparlament.
Die Alibi-Abgeordneten haben sanktioniert, was die
SED-Führung diktierte. Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl gehörten dazu. Dieser Teil der DDR-Geschichte
hat keine Zukunft verdient.
({9})
Der Palast der Republik ist zu einem Ballast für unsere Republik geworden, und zwar bereits viel zu lange.
Zweimal hat unser Bundestag das Ende des Palastes beschlossen, wohlüberlegt, begründet und fraktionsübergreifend.
({10})
Wankelmütig zu werden, weil derzeit eine fragwürdige
Mehrheit anderer Auffassung ist, wäre verantwortungslos.
Nur die Grünen betreiben eine Wendehalspolitik.
({11})
Drei Monate Opposition haben genügt, um sechs Jahre
Abrissbefürwortung infrage zu stellen. Welch peinlicher
Populismus!
({12})
Dass zwei PDS-Senatoren in der Palastfrage dem Regierenden Bürgermeister seit Jahren in den Rücken fallen,
gehört in die gleiche Kategorie.
Der Restpalast muss weg, weil diese Ruine im Herzen
Berlins hässlich ist und diese schöne Stadt entstellt.
({13})
Die Brache nach dem Abbau bringt eine Atempause
und bietet Zeit, noch manche offenen Fragen zu klären.
Mehr bringt sie nicht. Die große leere Grünfläche wird
eine ständige Mahnung sein, dem Zentrum Berlins wieder ein Gesicht zu geben. Das Schloss, das hier einst
stand, war wegweisender Ausgangspunkt der historischen Bauten in seiner Nachbarschaft. Es sollte wieder
das Zentrum des Ensembles und der Schlussstein im
Weltkulturerbe der Museumsinsel werden.
Doch nicht allein die Fassade ist wichtig. Die Nutzung als Humboldt-Forum wird diese weltweit einmalige Stadtlandschaft von Kunst, Kultur, Wissen und
Kommunikation kennzeichnen und ihr Profil geben.
Geben wir unserer Hauptstadt mit der heutigen Entscheidung endgültig ihre Mitte wieder! Es ist ein Ort, an
dem auch die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit
Geschichte geschrieben hat. Ihr mit einem entsprechenden Bau hier ein Denkmal zu setzen, wäre unserer Republik würdig.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat der Kollege Christoph Waitz, FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wieder beschäftigt sich der Deutsche Bundestag mit dem Abriss des Palastes der Republik. Wieder
geht es um die Frage, wie der Schlossplatz in Berlin
künftig gestaltet werden soll. Das ist nicht nur für Berliner eine wichtige Frage.
Eigentlich sollte alles klar sein. Der Deutsche Bundestag hat vor zwei Jahren beschlossen, die jetzige Palastruine abreißen zu lassen. Der Abriss ist nicht nur beschlossen, sondern durch den Berliner Senat auch in
Auftrag gegeben worden.
({0})
Wie heute in den Berliner Zeitungen zu lesen ist, wird
die Baustelle eingerichtet. Wer jetzt noch den Abriss
stoppen will, braucht nach Auffassung meiner Fraktion,
der liberalen, sehr gute Gründe.
({1})
- Das werden wir sehen.
Der Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen resultiert
aus der Sorge, dass sich die bisherigen Planungen für die
Bebauung des Schlossplatzes als Luftschloss erweisen
könnten. Diese Planungen und Baumaßnahmen könnten
für den Steuerzahler teurer werden als bislang gedacht.
Ansatzpunkt dieser weit verbreiteten Sorge ist eine
Machbarkeitsstudie aus dem Sommer des vergangenen
Jahres, die der Öffentlichkeit bislang nicht vollständig
vorliegt.
({2})
Es ist schon erstaunlich, wenn jetzt ohne vollständige
Kenntnis dieser Machbarkeitsstudie daraus eine „Unmachbarkeitsstudie“ für die Öffentlichkeit produziert
wird.
({3})
Festzuhalten ist jedoch, dass sich auch bei möglichen
Problemen einer künftigen Bebauung - in wessen Verantwortung auch immer - nichts an der Ausgangssituation für die Entscheidung des Bundestages geändert
hat.
({4})
Fakt ist nämlich, dass sich Berlin mit dem Palast der Republik an einem zentralen Platz einen außerordentlichen
städtebaulichen Missstand leistet.
({5})
Dort, wo jeden Tag Tausende von Touristen flanieren,
steht eine Ruine, deren Anblick und morbider Charme
wirklich nicht als tourismusfördernd eingeschätzt werden kann.
({6})
Anders sieht die Situation für die Fraktion der Linken
aus. Frau Jochimsen, Sie haben für Ihre Fraktion festgestellt, dass Sie den Palast der Republik nicht wiederhaben wollen. Ich glaube Ihnen das. Denn gerade der abgerissene Palast der Republik ist für die Linke eine
willkommene politische Gelegenheit, sich in den Augen
vieler Ostdeutscher wieder in eine Opferrolle zu manövrieren,
({7})
durch die politisch nutzbare Solidarität geweckt wird,
weil durch scheinbar unverständige Politiker der Palast
beseitigt wird, mit dem viele Berliner und ostdeutsche
Bürger positive Erinnerungen verbinden.
Es lohnt sich aber ein Blick in die Vergangenheit und
auf den Vorgängerbau an dieser Stelle: das Stadtschloss.
Denn der Abriss des Berliner Stadtschlosses wäre nicht
nötig gewesen.
({8})
Nach Auffassung der Kommunisten sollte vielmehr
sprichwörtlich ein fauler Zahn gezogen werden. Der Abriss des Schlosses war ein politisches Symbol für die
Überwindung von Feudalherrschaft und Diktatur. Er war
ein Zeichen für den ganz bewussten Neuanfang eines sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Der Neubau
des Palastes - Herr Börnsen hat in die gleiche Richtung
argumentiert - war erst recht ein politisches Zeichen;
war doch schon die Benennung des Gebäudes ein Hinweis auf den Kampf um die internationale Anerkennung
der DDR und den Stolz auf die erreichte Gleichbehandlung mit der Bundesrepublik, die Anerkennung eines sozialistischen Staates, der mit der Kontinuität deutscher
Geschichte nichts zu tun hatte und den keinerlei Verantwortung traf: keine Verantwortung für die Teilung
Polens durch den Hitler-Stalin-Pakt, keine Verantwortung für den Holocaust und keine Verantwortung für die
Verbrechen des Nationalsozialismus. Es war eine Verantwortung, die nach sozialistischer Auffassung die
DDR nicht treffen konnte, da sich Kommunisten selbst
als den eigentlichen Feind und das wichtigste Opfer des
Nationalsozialismus verstanden.
Dieser Palast sollte die in Stein und Stahl gegossene
Verheißung der Ideale des Kommunismus sein. Hier gab
es Einrichtungen und Ausstattungen im Überfluss, die
im Rest der Republik Mangelware waren oder gar nicht
existierten. Es gab Freizeiteinrichtungen, Konzerte und
Diskos und sogar eine zuvorkommende Bedienung in
den Gaststätten des Palastes.
({9})
Kurz: Es war eine sozialistische Insel der Glückseligkeit,
in engen Grenzen natürlich und ohne Reise- und Gedankenfreiheit. Man darf bei aller Emotionalität jedoch
nicht vergessen: Hier wurde bis zur Wende durch eine
vorbestimmte Auswahl von Delegierten der DDR-Bevölkerung eine Demokratie vorgegaukelt.
({10})
Wir wollen, dass statt der Palastruine auf dem
Schlossplatz ein Gebäude entsteht, welches die architektonischen Proportionen der Planungen Schinkels wiederherstellt. Wir wollen, dass durch die Integration der
Schlossfassade in dieses Gebäude symbolisch deutlich
wird, dass dieser deutsche Staat zu seiner geschichtlichen Verantwortung steht, Verantwortung nicht nur für
die großen Stunden der deutschen Geschichte, sondern
auch für Fehler und Verbrechen, die im Namen Deutschlands begangen wurden.
({11})
Die FDP-Fraktion wird beide Anträge ablehnen. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin,
und bei Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Herr Kollege Waitz, für Sie war das die erste Rede in
diesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen und wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
({0})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Thierse,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere heutige Debatte hat eine längere Vorgeschichte.
Diese beginnt spätestens 1950 mit dem Abriss des
Hohenzollernschlosses, um - wie die Absicht der SEDHerrschaft war - ausreichend Platz für Demonstrationen
zu haben. Sie ging weiter über Planungen für ein sozialistisches Stadtzentrum und mündete im Bau des Palastes der Republik, der auch - ich bitte, das nicht zu vergessen - eine Kundgebungstribüne für die SEDHerrschaften sein sollte.
({0})
Die Debatte wäre zu Ende gewesen, wenn nicht wegen der Asbestverseuchung der Palast bis auf sein Skelett, bis auf einen Hohlkörper, hätte zurückgebaut werden müssen. Erst damit entstand eine offene Situation
und damit die drängende Frage: Was machen wir mit der
kostbarsten Stelle der Stadt Berlin, ihrem historischen
Ursprungsort, was machen wir mit der Schlossinsel?
Der Bund und das Land Berlin haben zur Beantwortung dieser Frage eine internationale Expertenkommission eingesetzt, deren Mitglied ich war. Diese Kommission hat einen Vorschlag gemacht. Dessen
wichtigster Aspekt ist eine dominant öffentliche, nicht
privatwirtschaftliche Nutzung. Ein Ort für Stadtbürger,
für die Bürger des Landes und ihre Gäste sollte entstehen. Diese Nutzung heißt Humboldt-Forum. Die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz, die wissenschafts- und kulturgeschichtliche Sammlung der Humboldt-Universität, die Bestände
der Landesbibliothek und eine Agora, ein Platz für öffentliche Veranstaltungen, Begegnungen und Feste, sollten hier vereinigt werden. Der Vorschlag für die bauliche
Gestaltung sah einen Neubau in der Kubatur des ehemaligen Schlosses mit drei Barockfassaden und dem
wunderbaren Schlüter-Hof vor.
Diesem Vorschlag der internationalen Kommission
hat sich der Deutsche Bundestag im Juni 2002 mit sehr
großer Mehrheit angeschlossen.
({1})
Im November 2003 hat der Bundestag - wiederum mit
großer Mehrheit - diesen Beschluss bestätigt. Ich sehe
keinen wirklich überzeugenden Grund, diese Beschlüsse
aufzuheben.
({2})
Ich sehe keinen überzeugenden Grund, dem Antrag der
Linksfraktion zu folgen, den Palast dauerhaft zu erhalten. Ich sehe keinen überzeugenden Grund, dem Antrag
der Grünen zu folgen, den Palast noch ein bisschen zu
erhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anhänger des
Palastes und Gegner unserer Beschlüsse hat es in den
vergangenen Jahren immer gegeben, so wie jetzt auch.
Sie tragen nicht unwichtige Argumente vor, haben verständliche Emotionen. Nostalgie ist nicht des Teufels.
Der Palast sei ein Symbol der DDR-Geschichte. Gewiss,
er ist es. Er sei ein Objekt ostdeutscher Identität. Für
nicht wenige ist das so, für mich nicht. Ich weigere mich,
ihn im Nachhinein zum Objekt meiner ostdeutschen
Identität machen zu lassen.
({3})
Wir sollten jedenfalls in beiden Fällen ideologisch abrüsten.
Neuerlich heißt es, der Palast sei eine interessante Location, gerade als skelettierter Hohlkörper sei er interessant für Kunstaktivitäten. Ja, wer wird das bestreiten?
Aber soll das ein ernsthaftes Argument sein, daraus einen Dauerzustand im Zentrum der Stadt zu machen, an
ihrer empfindsamsten Stelle?
({4})
Das Ganze sei nicht finanziert und nicht finanzierbar,
heißt es.
({5})
Als müsste die Finanzierung des Palastes und seiner
Nutzung nicht auch geregelt werden!
({6})
Nun liegt genau zu dieser Frage eine Machbarkeitsstudie vor. Deren Ergebnisse stehen nicht im Widerspruch zu den Bundestagsbeschlüssen.
({7})
Die Ergebnisse der Studie besagen, dass die Realisierung
des Humboldt-Forums in der Gebäudekubatur des
Schlosses möglich ist.
({8})
Der Vorschlag heißt: Das soll ein Projekt öffentlichprivater Partnerschaft werden.
({9})
Die Baukosten werden auf 670 Millionen Euro veranschlagt. Es kommen Finanzierungskosten hinzu. Pro
Jahr würde der öffentliche Haushalt mit circa 30 Millionen Euro auf 30 Jahre hin belastet. Die Gutachter schlagen einen zweistufigen Investorenwettbewerb und einen
internationalen Architektenwettbewerb vor. Zu deren
Vorbereitung werden gegenwärtig die detaillierten
Raumprogramme unter maßgeblicher Mitwirkung der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz erarbeitet. Die Arbeit,
die Planungen und die Entscheidungen können also und
sie müssen weitergehen. Es soll kein Gras über das
Ganze wachsen. Ich bin kein Anhänger der grünen
Wiese. Ich will keine Pause, keinen Stillstand bei diesem
großen Projekt im Zentrum unserer Hauptstadt.
({10})
Mit dem Beginn des Palastrückbaus aber kann der
Blick nach vorn gerichtet werden, können ideologisierte
und emotionalisierte Konfrontationen überwunden werden. Das wünsche ich mir jedenfalls, das hoffe ich. Denn
worum geht es? Nicht um das alte Schloss, wie polemisch-verzerrend immer wieder behauptet wird, sondern
um einen Neubau, der zugleich Geschichte vergegenwärtigt und der eine faszinierende Perspektive ermöglicht. Das Humboldt-Forum im Herzen Berlins ist ein
verheißungsvolles Projekt.
({11})
Wofür steht es? Der europäischen Kultur, die auf der
Museumsinsel versammelt ist und die zu präsentieren
die Idee dieser Museumsinsel gewesen ist, sollen künftig
die nicht europäischen Kulturen unmittelbar begegnen,
nicht als Folklore, sondern weg von der ehemals kolonialistischen Perspektive als Dialog der Kulturen, als
Dialog der Künste. Das ist das wirklich moderne Projekt,
um das es geht.
({12})
So etwas gibt es nirgendwo auf der Welt. So entsteht
eine der faszinierendsten Museumslandschaften überhaupt in der Mitte der deutschen Hauptstadt. Das ist
nicht Vergangenheitsfixierung, sondern Zukunftsorientierung, einer globalisierten Welt wahrlich angemessen.
({13})
In einem Bau, der an Geschichte erinnern soll, soll
zugleich ein Projekt der Zukunftsorientierung entstehen.
Darum geht es und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. Deshalb sollten Sie der Beschlussempfehlung des
Ausschusses folgen. Richten wir den Blick endlich nach
vorne!
({14})
Das Wort hat der Kollege Gregor Gysi, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Geschichte der Auseinandersetzungen über
den Palast der Republik ist hier beschrieben worden. Bei
den Reden von Herrn Börnsen und Herrn Waitz ist mir
aufgefallen, dass man immer wieder versucht, Politik
über Gebäude zu machen. Das ist etwas, was ich am allerwenigsten verstehe.
({0})
- Das will ich Ihnen gerade sagen. So bekloppt bin ich
nicht.
Ich will Sie daran erinnern, dass die SED-Führung
das Stadtschloss loswerden wollte. Natürlich konnte sie
sagen: Es wurde durch den Krieg zerstört. Aber man
hätte es auch wieder aufbauen können. Aus ideologischen Gründen hat man es nicht getan.
Sie machen nichts anderes. Es fällt Ihnen nicht einmal
auf.
({1})
Ich wiederhole: Sie machen nichts anderes. Herr
Börnsen, Sie haben hier eine lange ideologische Begründung geliefert, weshalb Sie den Palast der Republik loswerden wollen. Verstehen Sie: Das ist dieselbe Denkweise.
({2})
Jetzt schildere ich Ihnen Folgendes: Anfangs hatte ich
zu diesem Palast keine rechte Beziehung.
({3})
Aber ich habe dann festgestellt: Die jüngere Generation
hat da viel Zeit verbracht.
({4})
- Es tut mir Leid: Das stimmt. Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, dann ist das Ihr Problem. Schauen Sie sich
einmal die Umfrage an: Eine Mehrheit im Osten will
im Augenblick diesen Palast erhalten. Dass Sie die
Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen, ist etwas anderes.
Lassen Sie mich trotzdem ausreden!
Immer mehr Vertreter der jüngeren Generation teilten mir mit, dass sie dort in der Disko, im Café oder im
Theater waren und dass sie wollen, dass der Palast irgendwie erhalten bleibt.
({5})
- Hören Sie zu! - Dann habe ich mich für die Erhaltung
eingesetzt. Ich stand zum Beispiel auf dem Dach des Gebäudes und habe alles mögliche gemacht. Dann kam irgendwann der Berlinwahlkampf und ich habe mit denjenigen Leuten gesprochen, die den Wiederaufbau des
Stadtschlosses wollten, einen Verein gebildet haben etc.
Übrigens, man kann auch über das Gebäude Stadtschloss Negatives sagen. Was soll das? Es war weder
wie Versailles noch wie Sanssouci. Auch das muss man
einmal deutlich sagen.
({6})
Aber davon abgesehen: Ich habe auch den Wunsch
derer verstanden, die den Wiederaufbau des Stadtschlosses wollten. Verstehen Sie! Da hat in mir eine Entwicklung stattgefunden, die Sie noch nicht vollzogen haben.
({7})
- Ja. Sie wissen ja gar nicht, welche. ({8})
Ich habe gesagt: Vielleicht müssen wir in diesem Fall
darauf verzichten, Sieger und Verlierer zu kreieren;
vielleicht müssen wir einen anderen Weg gehen.
({9})
Damals haben wir die Idee entwickelt, einerseits den
vorhandenen Kern zu erhalten und andererseits den Palast nicht wieder einfach aufzubauen, sondern etwas
wieder aufzubauen, was Elemente des Schlosses integriert, sodass wir uns zu beiden Teilen der Geschichte
bekennen, und das, nachdem wir vorher die öffentliche,
gemeinnützige Nutzung dieses Gebäudes in der Hauptstadt Deutschlands festgelegt haben.
({10})
Was ist daran so schlimm?
({11})
Warum müssen Sie unbedingt eine große Gruppe von
Verlierern kreieren, um sich selbst vorübergehend als
Sieger zu fühlen? Das ist der falsche Ansatz.
({12})
So kommen wir nicht weiter. Das ist der Punkt, den ich
kritisiere.
Es ginge anders; es ginge vernünftiger. Verstehen Sie!
Als ich das gesagt habe, waren zuerst auch die Palastanhänger sauer. Aber sie haben sich dann damit auseinander gesetzt und haben gesagt: Irgendetwas ist dran.
Vielleicht müssen wir hier in Berlin und nicht nur in Berlin diesbezüglich zueinander finden.
({13})
Ich will nicht die Kostengründe ansprechen. Ich stelle
nur fest: Erst war nur von Grundstücken die Rede; jetzt
lese ich etwas von 1,2 Milliarden Euro. Es wird eben alles immer teurer. Ich will das aber gar nicht so billig machen. Es wäre jetzt gar nicht der richtige Zeitpunkt, ausschließlich in diese Richtung zu argumentieren.
({14})
Die Erfahrungen besagen natürlich: Berlin ist pleite;
der Bund ist pleite; Geld haben wir nicht. Dieses große
Problem kommt noch hinzu.
({15})
- Nein, es ist umgekehrt. Wir werden zuständig, weil die
Stadt so pleite ist, dass nichts anderes übrig blieb. Das ist
die Wahrheit, nachdem eine große Koalition diese Stadt
ruiniert hatte.
({16})
Ich sage Ihnen: Ich glaube, es war ein Fehler, Sieger
und Verlierer kreieren zu wollen. Heute ist darüber berichtet worden, dass es falsch war, die Fusion von Eon
und Ruhrgas zu genehmigen.
({17})
Der Bundestag hat noch die Chance, seinen Beschluss zu
revidieren. Noch besteht die Möglichkeit, zu sagen: Wir
machen es anders, wir nehmen einfach alle mit, wir verlangen von jedem eine Art Kompromissbereitschaft und
wir machen etwas, was ins 21. Jahrhundert gehört, etwas, was mit der Zukunft dieser Gesellschaft und dieses
Landes wirklich zu tun hat; wir bekennen uns damit zu
dem einen Stück Vergangenheit Schloss und zu dem anderen Stück Vergangenheit Palast und machen dennoch
etwas völlig Neues, etwas anderes, etwas Gemeinnütziges und etwas Öffentliches daraus. Haben Sie doch einmal die Kraft, darauf zu verzichten, Sieger und Verlierer
zu kreieren!
({18})
Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir stimmen heute doch nicht über die Frage
ab, ob wir ein Schloss wollen oder ob wir den Palast behalten wollen. Das ist heute doch gar nicht das Thema.
({0})
Heute geht es vielmehr darum,
({1})
ob wir im Herzen Berlins eine Brache, eine Grünfläche
haben wollen oder ob wir weiterhin den Rohbau des Palastes der Republik kulturell zwischennutzen wollen.
Das ist die Frage, über die wir heute abstimmen. Darüber
sollten wir jetzt auch reden.
({2})
Herr Thierse, die Grundlagen, auf denen der Bundestagsbeschluss von 2002 beruht, haben sich sehr wohl
geändert. Nach Auffassung des Großteils der Mitglieder
der Expertenkommission, auf die Sie sich eben berufen
haben und auf die sich auch der Beschluss berufen hat,
kommt die Machbarkeitsstudie zu dem Ergebnis, dass
bestimmte Teile, wie sie damals vorgeschlagen worden
sind, jetzt nicht realisierbar sind. Deshalb spricht sich ein
Großteil der Expertenkommission jetzt für ein Moratorium aus. Dem sollten wir uns hier heute anschließen.
({3})
Alle Experten gehen heute von Kosten für die öffentliche Hand von bis zu 1,2 Milliarden Euro aus. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Glauben
Sie wirklich ernsthaft daran, dass das hoch verschuldete
Land Berlin oder der Bund in naher Zukunft eine solch
enorme Summe für den Aufbau des Schlosses ausgeben
wird? Ich glaube das nicht. Deshalb ist ein Moratorium
der richtige Weg.
({4})
Sie, Herr Thierse, und auch Sie, Herr Börnsen, sprechen hier von Luftschlössern. Sie haben keinerlei konkret realisierbare Pläne dafür anzubieten, was mit dem
Schlossplatz passieren soll.
({5})
Ich wette mit Ihnen, Herr Börnsen: Wenn ich so alt bin
wie Sie, werde ich noch nicht erlebt haben, dass der
Grundstein für dieses Schloss liegt.
({6})
- Ich wette auch gern mit Ihnen, Herr Thierse. Wir werden dann zu gegebener Zeit darüber diskutieren.
Sie fragen sich vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum ich als junge Hessin,
({7})
die sechs Jahre alt war, als die Mauer gefallen ist, zum
Thema „Palast der Republik“ spreche.
({8})
Ich kann Ihnen hierzu ernsthaft sagen: Mit dem alten Palast der Republik habe ich nicht so wahnsinnig viel zu
tun. Nur eine kurze Anmerkung: Gerade in meiner Generation gibt es viele Menschen, die wollen, dass wir die
Geschichte eben nicht auf dem Schrotthaufen entsorgen,
sondern uns damit auseinander setzen.
({9})
Das ist sehr wichtig.
({10})
Die Vergangenheit - das sage ich auch an die Adresse
von Herrn Gysi - ist noch einmal ein anderes Thema.
Mir geht es heute um die Gegenwart und um die Zukunft.
({11})
Ich war im August zufällig im Volkspalast. Ich war von
den Möglichkeiten, die selbst eine solch unrenovierte
Ruine für die Kultur bietet, sehr beeindruckt.
({12})
Genauso beeindruckt wie ich waren über eine halbe Million Besucherinnen und Besucher sowie die Feuilletons
großer Zeitungen, von der „New York Times“ über die
„FAZ“ bis zur „taz“, also wirklich keine linksradikalen
Zeitungen. Diese Kultur sollte man aufrechterhalten. Gerade diese lebendigen Ausstellungen lassen sich mit einem sehr geringen Zuschuss aus Steuermitteln realisieren.
Damit ist ein zweiter Grund dafür genannt, dass ich
hier stehe. Ich stehe hier als Haushälterin meiner Fraktion. Für mich als Haushälterin ist die Frage: Warum
sollten wir diesen einzigartigen Palast der Kultur,
({13})
der finanzierbar ist, einem nicht finanzierbaren Konzept
für ein Luftschloss opfern?
({14})
Mir geht es darum, hier ein gutes kulturelles Angebot für
die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt, für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, aber gerade auch
für die Touristen aufrechtzuerhalten. Deshalb finde ich
es sehr wichtig, dass wir mit der Zwischennutzung weitermachen können und dann in Ruhe darüber nachdenken, wie wir den Rohbau sinnvoll in ein zukünftiges Gebäude integrieren können.
Ich will dazu noch anmerken: Der Rohbau ist ja nicht
nichts wert. Die Stahlträger, die da stehen, haben noch
einen Wert von über 100 Millionen Euro. Den Rohbau
zu integrieren, das ist ein Konzept, das funktionieren
würde, das ist ein Konzept, das umsetzbar ist - im Gegensatz zu dem Luftschloss, das Sie vorschlagen.
({15})
Lassen Sie mich zum Schluss zusammenfassen, worum es heute geht, zumal jetzt einige Kolleginnen und
Kollegen, die nicht die gesamte Debatte verfolgen konnAnna Lührmann
ten, dazugestoßen sind. Wir haben heute in dieser Abstimmung die Wahl zwischen einem Luftschloss, also einer leeren Grünfläche im Herzen Berlins, und einem
lebendigen Kulturpalast für Kunst und Wissenschaft.
Darüber stimmen wir heute ab. Daher bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag heute zu, liebe Kolleginnen
und Kollegen, und lehnen Sie die Beschlussempfehlung
des Kulturausschusses ab.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Pflüger.
({0})
Ich freue mich über die Reaktionen. - Ich finde, dass
eine Bemerkung von Herrn Gysi hier nicht unwidersprochen stehen bleiben sollte, nämlich dass die Frage
des Abrisses eine Frage von Gewinnern und Verlierern sei.
({0})
Herr Kollege Gysi, wenn Sie das den Leuten nicht einreden, gewinnen alle, wenn wir das Schloss wieder aufbauen. Denn eine Stadt, die sich zu ihrer Geschichte bekennt, ist eine gute Stadt. Das hat nichts mit Gewinnern
und Verlierern zu tun.
({1})
Ich glaube, Herr Kollege Gysi, dass es für jede Stadt
wichtig ist, dass sie sich zu ihrer Geschichte, in diesem
Fall zur brandenburgisch-preußischen Geschichte, bekennt, dass sie aber die Vergangenheit und die Moderne
zusammenführt. Mit dem Humboldt-Forum, mit der
Agora als einem Ort des geistigen Austausches tun wir
beides. Auf der Geschichte bauen wir die Zukunft auf.
Das ist gut für die Stadt. Deshalb stimmen Sie bitte anders ab, als Sie es hier angekündigt haben! Nehmen Sie
zur Kenntnis, was, glaube ich, auch die große Mehrheit
der Berliner in dieser Frage will!
({2})
Der letzte Punkt, Herr Kollege Gysi. Ich glaube in der
Tat nicht, dass die Aussage richtig ist, dass der Palast
der Republik zur Identität der Deutschen gehöre. Sie
haben das zwar nicht gesagt; aber man hört es immer
wieder. Ich glaube, dass der Palast der Republik für
SED-Diktatur steht. Ein Bauwerk, das Diktatur symbolisiert, gehört nicht zur Identität der Deutschen. Es hat
weder mit der Identität der Deutschen noch mit einer demokratischen Geschichte und Zukunft zu tun.
({3})
Herr Kollege Gysi, Sie können antworten.
Herr Kollege Pflüger, Annahme der Geschichte bedeutet immer Annahme der gesamten Geschichte.
({0})
Sie bedeutet nicht, dass man sich immer jene Teile aussucht, mit denen man gerade meint umgehen zu können.
Deshalb war es damals ein großer Fehler, das Schloss zu
sprengen. Aber es ist auch ein großer Fehler, wenn gesagt wird: Weg mit dem Palast! Erst das Außenministerium, dann der Palast. Was machen Sie überhaupt mit
dem Staatsratsgebäude? Was soll aus dem Mittelteil werden? Soll das dann rübertransportiert werden?
Ich will gar nicht auf die offenen Fragen eingehen,
sondern Ihnen zwei Dinge sagen. Ich habe von der jüngeren Generation gesprochen; da haben Sie nur gelacht.
Ich habe aber erlebt, dass andere Menschen andere Vorstellungen mit dem Gebäude verbunden haben als ich.
Jetzt gibt es eine neue, gesamtdeutsche, junge, künstlerische Generation, die dort etwas veranstaltet, die das
gerne macht. Sie hat dieses Gebäude für sich angenommen. Darüber können wir Ältere uns nicht einfach hinwegsetzen, indem wir so tun, als wüssten wir immer alles besser, und den Jungen alles vorschreiben.
({1})
Das ist das eine. Ich glaube, wenn wir fähig werden,
in Kompromissen zu denken - wenn wir das Gebäude
stehen lassen, aber auch etwas anbauen, was uns an das
Schloss erinnert, was uns an alle Teile der deutschen Geschichte erinnert, und wenn wir etwas für die Zukunft
machen -, dann haben wir eine Zukunft. Wenn wir immer sagen, das eine muss weg und etwas Älteres muss
wieder hin, dann gibt es doch Gewinner und Verlierer.
Das ist meine Sorge.
Ich habe dazugelernt. Ich war anfangs einer von denen, die gesagt haben, der Palast müsse so bleiben. Als
ich aber im Berliner Wahlkampf mit vielen gesprochen
habe, die das Schloss wollten, wurde mir klar, dass ich es
mir zu einfach gemacht hatte. Ich musste hier einen anderen Weg gehen. Ich ärgere mich darüber, dass die
Mehrheit des Bundestages den Weg, hier etwas Gesamtdeutsches zu machen, noch nicht vollzogen hat.
Gebäude - es tut mir Leid - sind nicht ideologisch.
Wir haben aus noch viel schlimmerer Zeit Gebäude, die
wir nicht deshalb abreißen werden, weil da ganz falsche
Leute Mist erzählt haben.
({2})
Politikerinnen und Politiker, die auch noch Architekten sein wollen, sind die Letzten. Das sollten wir den
Architekten überlassen. Da wäre ich für eine schöne
Ausschreibung, die wir sogar zusammen formulieren
könnten.
({3})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Renate Blank. - Vielleicht schaffen wir es, in diesen
letzten vier Minuten noch zuzuhören.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Gysi, Sie haben in Ihrer Rede - ich nehme jetzt nicht Bezug auf Ihre Kurzintervention - kein Wort zu Ihrem Antrag gesagt. Ziehen Sie Ihren Antrag also zurück? Stimmen Sie nun für oder gegen einen Abriss der Ruine?
Diese Frage müssen Sie noch beantworten, nachdem Sie
mit keinem Wort darauf eingegangen sind.
Kollege Gysi, Sie unterstellen uns, Politik über dieses
Gebäude zu machen. Sie vergessen dabei, dass in diesem
Gebäude eine Politik betrieben wurde, die Menschen sozusagen kaputtgemacht hat; denn dort gab es die größte
Abhör- und Bespitzelungsmaschinerie der DDR. Es gibt
in diesem Zusammenhang weder Sieger noch Verlierer.
Die Linke stellt sich halt gern als Verlierer dar, um Mitleid zu erregen. Aber nicht mit uns!
Sie sagen, dass das Schloss 1950 bedauerlicherweise
abgerissen wurde. Kollege Gysi, vielleicht erinnern Sie
sich daran, dass Honecker im Jahre 1988 sagte, es sei ein
Fehler gewesen, dieses Schloss abzureißen. Er sagte dies
aber erst, nachdem er von Auslandsreisen zurückkehrte
- von Paris oder England -, auf denen er festgestellt
hatte, von welchem Vorteil es ist, wenn man repräsentative Gebäude hat. Der Abriss des Schlosses lässt sich
nicht mehr korrigieren. Aber der Palast muss weg.
An die Adresse der Grünen muss ich sagen, dass mich
Ihr Sinneswandel schon wundert. All die Jahre waren
Sie anderer Meinung. Jetzt plötzlich führen Sie das Argument an, der Abriss und der Wiederaufbau kosteten zu
viel Geld. Darauf kann ich Ihnen nur sagen, dass wir in
diesem Hause viel Geld für andere Dinge bereitstellen.
Daher sollte auch Geld vorhanden sein, um Berlins Mitte
wieder zu einer ansehnlichen Stätte zu machen.
({0})
Auch eine zwischenzeitlich entstehende Grünfläche
wäre kein Problem; denn sie würde der Erholung dienen.
Im Grunde genommen sind wir mit dem Abriss in
Verzug. Hätte es keine Verfahrensfehler gegeben, müssten wir heute nicht mehr diskutieren und der Abriss wäre
schon längst erfolgt. Sie hätten dann auch nicht
200 versprengte Demonstrierende vor der Ruine des Palastes der Republik mobilisieren müssen.
({1})
Man hat versucht, den Palast als Kultstätte hochzustilisieren. Der Versuch ist zwar legitim. Aber die Gelder, die dort für Kulturveranstaltungen ausgegeben wurden, sind alle dem Hauptstadtkulturfonds, der aus
Bundesmitteln gespeist ist, entnommen worden.
({2})
Die Kulturveranstaltungen hätten genauso gut woanders
stattfinden können.
({3})
Sie wollen uns jetzt weismachen, dass diese Ruine
symbolträchtig ist. Wir sind der Meinung, dass dies keineswegs der Fall ist. Im Gegenteil: Durch die Palastruine
als Solitärbau wird dem historischen Ensemble ein
schwerer Schaden zugefügt.
({4})
Würde der Palast erhalten bzw. wieder aufgebaut werden, wäre das Zentrum der Stadt endgültig deformiert
und zusammenhanglos. Wir brauchen an dieser Stelle
also dringend einen Wiederaufbau.
Ich gehe davon aus, dass die Brachfläche Anlass gibt,
auch über private Finanzierungen nachzudenken. Wir
müssen uns auch mit der Machbarkeitsstudie intensiv
auseinander setzen. Man kann in diesem Zusammenhang
darüber diskutieren, wie die Nutzung ausschauen sollte.
Auf jeden Fall sollte die Kubatur des Schlosses - das ist
schon ausführlich beschrieben worden - wieder aufgebaut werden.
Es ist schon sehr verwunderlich, verehrte Kollegin
aus Hessen, dass sich Westler plötzlich für diese Palastruine so stark machen und sie als geschichtsträchtige
und wertvolle Architektur bezeichnen.
({5})
Das ist aber nicht der Fall. Es handelt sich um eine hässliche Ruine,
({6})
die ganz schnell abgerissen werden muss.
Aus meiner Sicht beginnt mit dem Abriss der Palastruine die Zukunft der Mitte Berlins. Ich glaube, dass
es Ende dieses Monats oder Anfang nächsten Monats
endlich so weit sein wird.
({7})
Dann diskutieren wir über die Neunutzung und nicht
mehr über einen Abriss.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Gregor Gysi.
({0})
Es sind doch bloß wenige Sätzchen; das halten Sie
doch noch aus.
Selbstverständlich kenne ich unseren Antrag. Sie haben mich missverstanden, Frau Kollegin Blank. Ich
möchte, dass wir den Rohbau erhalten und mit Elementen des Schlosses komplettieren, um die Geschichte insgesamt darzustellen.
Ein Zweites wollte ich Ihnen sagen: Es wurde immer
von irgendwelchen Nostalgikern gesprochen. Günter
Grass und Dario Fo sind gegen einen Abriss. Sie selbst
haben von Künstlerinnen und Künstlern sowie Schriftstellerinnen und Schriftstellern gesprochen, die sich inzwischen gegen einen Abriss einsetzen. Das alles wird
mehr oder weniger negiert.
Ein einziges und letztes Beispiel: Der Bundestagspräsident kommt, glaube ich, aus Ihrer Fraktion. Er hat am
27. August 2005 in einem Interview in der „Berliner Zeitung“ erklärt:
In Deutschland krachen die Sozialsysteme, die
Maastricht-Kriterien werden gebrochen, die Bildungssysteme müssen umstrukturiert werden - in
so einer Situation setzt das Land Zeichen mit einer
nostalgischen Fassade für 900 Millionen Euro.
Inzwischen sind wir bei 1,2 Milliarden Euro.
Ich finde, wenn er Recht hat, hat er Recht. Wir sollten
wirklich noch einmal darüber nachdenken, ob wir nicht
eine gemeinsame Lösung finden - ich bleibe dabei -,
statt zu sagen: Irgendeiner muss gewinnen. Der Abriss
erfolgt kurz und schnell und ist falsch und nicht reparabel.
({0})
Frau Kollegin Blank, bitte.
Kollege Gysi, auch wenn Sie es zum dritten, fünften
oder zehnten Mal sagen: Ihre Aussage wird dadurch
nicht besser.
({0})
Ich sage Ihnen zudem: Wir brauchen dort - deswegen
der Hinweis auf die spätere Nutzung - auch privates Kapital; das wollen wir gewinnen. Wir brauchen in diesem
Bereich bürgerschaftliches Engagement.
Kollege Gysi, mir ist klar, dass Sie sich in der Opposition gern als Opferlamm darstellen. Aber das wird Ihnen
in diesem Fall nicht gelingen.
({1})
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/366.
Zu dieser Abstimmung liegen mir Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von Swen
Schulz ({0}), Jörg-Otto Spiller, Detlef Dzembritzki,
Klaus Uwe Benneter, Petra Merkel ({1}), Dr. Ditmar
Staffelt, Gunter Weißgerber, Mechthild Rawert, Lothar
Mark, Rainer Fornahl, Katrin Göring-Eckardt und Anja
Hajduk.1)
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/98 mit dem Titel
„Abriss des Palastes der Republik stoppen“. Unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/60 mit
dem Titel „Abrissmoratorium für den Palast der Repu-
blik“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vereinbart,
dass über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Kultur und Medien zu den beiden genannten Anträgen in
einer namentlichen Abstimmung abgestimmt wird. Wer
die Anträge ablehnt, muss also mit Ja für die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses stimmen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? Auch an der hinteren Urne? - Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Wir setzen unsere Beratungen fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt 4 auf:
11 Erste Beratung des von den Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck ({2}), Wolfgang
Wieland, Claudia Roth ({3}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({4})
- Drucksache 16/218 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 4 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sevim Dagdelen, Petra Pau und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 16/369 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
1) Anlagen 2 bis 6
2) Ergebnis Seite 801 C
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die diesem
Tagesordnungspunkt nicht folgen wollen, den Saal zu
verlassen und ihre Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen. - Sie verlängern durch Ihr Verhalten die Dauer
unserer heutigen Sitzung wesentlich. Deshalb noch einmal die herzliche Aufforderung, die Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Josef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.
({7})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir die inhumane Praxis der Kettenduldungen für
langjährig in Deutschland lebende Flüchtlinge endlich
beenden.
({0})
Ausländerinnen und Ausländern, die sich am
31. Dezember 2005 seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig oder geduldet in Deutschland aufhalten, kann von
den Ausländerbehörden eine Aufenthaltserlaubnis erteilt
werden; das ist Inhalt unseres Gesetzentwurfs. In Härtefällen, zum Beispiel bei Traumatisierten oder minderjährigen Flüchtlingen ohne Begleitung ihrer Eltern, kann
von der Fünf-Jahres-Frist abgesehen werden. Mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird es insbesondere
den geduldeten Jugendlichen endlich ermöglicht, eine
Ausbildung anzutreten oder zu arbeiten. Damit ist ihnen
eine sinnvolle Zukunftsperspektive eröffnet.
Leider bietet das Zuwanderungsgesetz für die große
Gruppe der langjährig Geduldeten nicht die gewünschte
Lösung. Was fehlt, ist eine unbürokratische Regelung,
die es den Ausländerbehörden möglich macht, den Betroffenen einen rechtmäßigen Aufenthalt zu erlauben.
Diese Lücke würde mit dem durch uns vorgelegten Gesetzentwurf geschlossen.
Der kürzlich bekannt gewordene Referentenentwurf
des Bundesinnenministeriums zur Änderung des Zuwanderungsgesetzes enthält demgegenüber leider keine
Übergangs- oder Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete oder Asyl suchende Flüchtlinge, obwohl im
Koalitionsvertrag angekündigt war, das Zuwanderungsgesetz im Hinblick auf humanitäre Lösungen für Menschen mit einer Kettenduldung zu evaluieren, und obwohl auch die Innenministerkonferenz kürzlich den
Gesetzgeber aufgefordert hat, Verbesserungsvorschläge
vorzulegen - natürlich nachdem sie sich selber nicht zu
einem besseren Vorschlag durchringen konnte.
Der Anspruch des Zuwanderungsgesetzes, die Kettenduldungen abzuschaffen, kann ohne eine Bleiberechtsregelung nicht erfüllt werden. Bisher konnte nur
eine Minderheit der geduldeten Flüchtlinge die ausländerrechtlichen Hürden auf dem Weg zu einer Aufenthaltserlaubnis überspringen. Dies liegt zum einen an den
vorläufigen Anwendungshinweisen, die das Bundesinnenministerium - schon unter der alten Koalition - erlassen hat, zum anderen aber auch an den restriktiven
Erlassregelungen einzelner Bundesländer und an der
Tatsache, dass immer noch nicht alle Länder eine Härtefallkommission eingerichtet haben. Bayern und Bremen
zum Beispiel haben es unterlassen, diese Möglichkeit zu
nutzen. Aber auch wenn eine Härtefallkommission
existiert - wie in Baden-Württemberg -, heißt dies noch
lange nicht, dass humanitäre Fälle auch tatsächlich von
dieser Kommission gelöst werden.
Ich will Ihnen ein dramatisches Beispiel vortragen:
Die türkisch-kurdischen Geschwister Mükrime und Ibrahim Gümüs, beide Anfang 20, stehen unmittelbar vor der
Abschiebung, obwohl sie schon seit 18 Jahren in
Deutschland leben, hier einen Schulabschluss gemacht
haben und arbeiten. Sie sind mit ihren Eltern als Kleinkinder aus der Türkei geflohen. Die Mutter und die minderjährigen Geschwister haben seit dem Jahr 2002 einen
rechtmäßigen Aufenthaltsstatus. Dieser gilt aber nicht
für die zu diesem Zeitpunkt bereits volljährigen
Geschwister Mükrime und Ibrahim. Ein Antrag auf Aufnahme in die Härtefallregelung des Zuwanderungsgesetzes wurde von der baden-württembergischen Kommission am 15. November letzten Jahres abgelehnt. Nun
droht den Geschwistern die Familientrennung durch die
Abschiebung in ein Land, an das sie nicht einmal mehr
eine schwache Erinnerung haben. - Dies ist leider kein
Einzelfall, sondern nur die Spitze des Eisbergs. Daher
sind wir der Meinung, dass keine Zeit mehr mit Warten
und weiterem Evaluieren zugebracht werden darf, dass
die Betroffenen endlich ein Bleiberecht erhalten müssen
und dass ihr Aufenthalt langfristig abgesichert werden
muss.
({1})
Ich komme zum Schluss. Die Innenministerkonferenz, die diese Lücke durch einen Beschluss hätte
schließen können, hat sich im Dezember letzten Jahres
erneut als unfähig erwiesen, eine Lösung für die rund
150 000 geduldeten Mitbürgerinnen und Mitbürger zu
finden. Sogar einige unionsgeführte Bundesländer haben
sich einer Lösung nicht prinzipiell verschlossen. Aber
das Einstimmigkeitsprinzip der Innenministerkonferenz
hat auch diesmal selbst einen Minimalkompromiss verhindert.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie
sehr herzlich bitten, unseren Antrag zu unterstützen. Er
dient der notwendigen Integration von Menschen, die
nach jahrelanger Ungewissheit eine tragfähige Zukunftsperspektive in Deutschland brauchen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Grindel, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
An den Beginn unserer Debatte gehört eine Feststellung:
Wir haben im Rahmen der Beratung des neuen Zuwanderungsgesetzes ausführlich über eine Bleiberechtsregelung diskutiert. Wir haben uns damals gemeinsam
- CDU/CSU, SPD, FDP und auch die Grünen - gegen
eine Bleiberechtsregelung entschieden. Wir haben aber
sehr wohl eine Verbesserung der Aufenthaltssituation
ausreisepflichtiger Ausländer beschlossen, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht ausreisen können. Darüber hinaus haben wir eine Härtefallregelung
vorgesehen.
Kollege Winkler, das Zuwanderungsgesetz ist jetzt
seit einem Jahr in Kraft. Einzelne Gesetzesänderungen
wirken erst seit einigen Monaten. Deswegen ist es völlig
richtig, dass wir uns in der großen Koalition darauf verständigt haben, die Erfahrungen mit diesen beiden Maßnahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes intensiv zu
untersuchen.
Die von Ihnen angesprochene Gesetzesänderung hat
damit nichts zu tun. Da geht es um die Umsetzung von
elf EU-Richtlinien.
Ich finde in Ihrer Antragsbegründung keinen einzigen
Ansatzpunkt, warum schon zum jetzigen Zeitpunkt eine
neuerliche Rechtsänderung nötig sein soll; denn es gibt
keine Lücke. In Wahrheit wollen Sie mit Ihrem Antrag
vom Zuwanderungskompromiss abrücken, den Sie mit
uns beschlossen haben.
({0})
Sie sind nicht für mehr Integration, sondern für mehr Zuwanderung.
({1})
Genau das wollen wir nicht.
({2})
Sie haben das Thema Integration aufgeworfen.
Manchmal ist nicht nur interessant, was in einem Antrag
steht, sondern auch, was nicht drin steht. Sie haben als
einziges Tatbestandsmerkmal für eine Bleiberechtsregelung einen fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland
gefordert.
({3})
Sie verlangen keine ausreichenden Deutschkenntnisse.
Sie verlangen nicht, dass die Kinder in Deutschland zur
Schule gehen.
({4})
Sie verlangen kein bestehendes Arbeitsverhältnis und
noch nicht einmal ausreichenden Wohnraum. - Diese
Tatbestandsvoraussetzungen waren zum Beispiel im
Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen enthalten,
der bei der Innenministerkonferenz im Dezember 2005
erörtert wurde. Ich sage das mit Blick auf die Kollegen
der FDP; denn es war Ihr Innenminister, der diesen Vorschlag unterbreitet hat.
Damit zeigt sich eines ganz deutlich: Ihnen geht es
nicht um Integration.
({5})
Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass wir jetzt die Probleme lösen müssen, die sich aus der mangelnden Integration vieler Ausländer ergeben, die bereits auf Dauer
in Deutschland leben. Sie wollen auch Ausländern ein
Bleiberecht geben, die kein Wort Deutsch können, die
ihre Kinder auf eine Koranschule schicken, die noch niemals in Deutschland gearbeitet haben
({6})
und hier keinen ausreichenden Wohnraum haben. Das
hat mit Integration nichts, aber auch gar nichts zu tun,
sondern nur mit ungesteuerter Zuwanderung, die wir
nicht wollen.
({7})
Es geht ja noch weiter: Sie wollen sogar solchen Ausländern ein Bleiberecht geben, die in Deutschland straffällig geworden sind
({8})
und die ihren längeren Aufenthalt selbst herbeigeführt
haben, Ausländern, die sich über Jahre geweigert haben,
unsere Gesetze zu befolgen, Ausländern, die durch das
Vernichten von Pässen, durch mangelnde Kooperationsbereitschaft mit den Ausländerbehörden und durch Täuschung über ihre Identität ihre Abschiebung selbst vereitelt haben und damit die Sozialkassen der Kommunen
erheblich belasten. Ich sage für die CDU/CSU: Wir werden keinem Bleiberecht zustimmen, das das jahrelange
beharrliche Nichtbeachten unserer Rechtsvorschriften
auch noch prämiert. Das kann keine richtige Botschaft
des Gesetzgebers sein.
({9})
Sie sprechen die Bürgerkriegsflüchtlinge an. Unsere
Bevölkerung hat hier in vorbildlicher Weise Solidarität
mit den Menschen auf dem Balkan bewiesen. Wir haben
mehr Flüchtlingen Schutz gewährt als jedes andere Land
in Europa. Die meisten Flüchtlinge sind nach Ende der
Kriegshandlungen freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt und haben angefangen, unter schwierigsten Bedingungen ihr Land aufzubauen. Einige Zehntausende - das
ist wahr - haben durch viele Tricks über Jahre ihre
Rückkehr verhindert. Ich finde, es ist die falsche
Botschaft, wenn Sie mit einer solchen Bleiberechtsregelung denjenigen, die auf den Balkan zurückgekehrt sind
und dort ihr Land aufbauen, jetzt im Grunde genommen
sagen: Ihr seid dumm gewesen, weil ihr nur so lange den
Schutz in Deutschland in Anspruch genommen habt, wie
es nötig war, und das deutsche Recht geachtet habt. Ihr
hättet durch jahrelanges Taktieren mit euren Ausweispapieren und andere Maßnahmen, die die Abschiebung
weiter verzögern, dafür sorgen können, künstlich euren
Aufenthalt in Deutschland zu verlängern. Auf diese Art
und Weise hättet ihr in Deutschland bleiben können.
({10})
Das ist nicht die richtige Perspektive. Eine Bleiberechtsregelung, wie Sie sie ausgestalten wollen, eine Regelung, durch die sich die Bürgerkriegsflüchtlinge, die in
ihre Heimat zurückgekehrt sind, weil es die geltende
Rechtslage erfordert, im Nachhinein als Betrogene fühlen müssen, kann nicht richtig sein. Dies würde auch die
Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung
erlahmen lassen; denn sie wüsste, dass in zukünftigen
Fällen, die wir hoffentlich nicht bekommen werden,
viele Flüchtlinge bleiben werden, weil sie von dieser
Bleiberechtsregelung Gebrauch machen. Auch das ist
die falsche Perspektive.
({11})
Es besteht kein Zweifel, dass mit einer umfassenden
Bleiberechtsregelung ein Sogeffekt nach Deutschland
entstünde. Das gilt erst recht für den Vorschlag der
Linkspartei, der noch nicht einmal eine Stichtagsregelung enthält.
In Europa wurden bereits Erfahrungen mit Bleiberechtsregelungen gemacht: In Spanien ist die Zahl der
registrierten Ausländer im Anschluss an die dortige
Legalisierungskampagne allein im Jahr 2005 um
700 000 Personen gestiegen. Die Zuwanderung nach
Spanien hat also in nur einem Jahr um 20 Prozent zugenommen. - Die Legalisierungskampagne, die in Portugal
durchgeführt wurde, ist bereits nach kurzer Zeit abgebrochen worden - darüber haben wir auch im Visa-Untersuchungsausschuss gesprochen -, weil der Ansturm
von Ausländern zu groß war; denn Schlepper- und
Schleuserbanden reagieren sofort auf neue Rechtslagen.
Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, einer massiven Schieflage der Sozialsysteme und großer Integrationsprobleme in den Kommunen ist es unverantwortlich,
die Einführung einer Bleiberechtsregelung vorzuschlagen, wenn nicht die Vorbedingung, die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts, erfüllt ist. Wir lehnen das ab.
Völlig abwegig ist die Einführung zusätzlicher
Härtefallregelungen, wie Sie sie vorschlagen; denn
dadurch wäre schon nach wenigen Monaten ein Bleiberecht möglich. Diese Regelung soll für Opfer von Gewalttaten gelten. Der Linkspartei reicht schon die Behauptung aus, die Gewalttat sei im Ausland verübt
worden. Aus der täglichen Praxis wissen wir, dass dadurch Schutzbehauptungen Tür und Tor geöffnet würden. Herr Kollege Winkler, das gilt auch für die so genannten Traumatisierungsfälle, über die wir schon
mehrfach diskutiert haben.
Zur Klarstellung: Natürlich gibt es in Ausnahmefällen
traumatisierte Flüchtlinge; sie werden in aller Regel
auch nicht abgeschoben. Aber die Erfahrung, die viele
Kommunen gerade in den letzten zwei Jahren gemacht
haben, ist doch - dessen habe ich mich in meinem Wahlkreis versichert -, dass sich die Kosten, die für Gesundheitsmaßnahmen ausreisepflichtiger Ausländer entstanden sind, massiv erhöht haben,
({12})
weil - indem behauptet wurde, traumatisiert zu sein und
psychologische Probleme zu haben - immer wieder versucht wurde, rechtlich wirksame Abschiebungen zu verhindern.
({13})
Mit einer solchen Härtefallregelung - das ist die Realität, die uns die Ausländerbehörden immer wieder schildern ({14})
wird der Zuwanderung durch die Hintertür Tür und Tor
geöffnet und wird die Integration gefährdet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre schön,
wenn wir die Erfahrungen, die wir mit dem Zuwanderungsgesetz gemacht haben, in Ruhe auswerten könnten.
Ich will Sie daran erinnern, dass wir uns bei den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz einig waren,
dass eine allgemeine Bleiberechtsregelung nicht sinnvoll
ist. Der Kollege Beck war an all diesen Verhandlungen
beteiligt; Herr Kollege Winkler, Sie wissen das.
Auch wäre es schön, wenn den Worten der Grünen
auch Taten folgen würden. Ihr Fraktionsvorsitzender
Fritz Kuhn hat vor Ihrer Klausurtagung in einem Interview in der „Welt“ erklärt, die Grünen müssten zur
Kenntnis nehmen, dass Ausländer, wie er sich ausgedrückt hat, auch Stress bringen. Des Weiteren hat er gesagt:
Wir Grüne müssen uns diesem Streß aussetzen und
Antworten auf drängende Probleme finden, … aber
nicht naiv blauäugig.
({15})
Dazu sage ich: Ihr Antrag löst keine Probleme. Er trägt
nicht zur Verbesserung der Integration bei, sondern
schafft mehr Stress. Er gefährdet die Integration und ist
- mit Verlaub - blauäugig.
Herzlichen Dank.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt:
Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 431,
mit Nein haben gestimmt 120, Enthaltungen 18. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon
ja: 430
nein: 119
enthalten: 18
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Maximilian Lehmer
Paul Lehrieder
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Bernward Müller ({13})
Bernd Neumann ({14})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt
({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({25})
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
({27})
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Hinz ({28})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({29})
Frank Hofmann ({30})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({31})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({32})
Michael Müller ({33})
Dr. Rolf Mützenich
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({34})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({36})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({37})
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({38})
Silvia Schmidt ({39})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({40})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({41})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({42})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({43})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link ({44})
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Hans-Joachim Otto
({45})
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({46})
Nein
SPD
Niels Annen
Dr. Axel Berg
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Detlef Dzembritzki
Nina Hauer
Gabriele Hiller-Ohm
Johannes Jung ({47})
Christian Kleiminger
Christian Lange ({48})
Helga Lopez
Lothar Mark
Katja Mast
Dr. Carola Reimann
Michael Roth ({49})
Dr. Hermann Scheer
Heinz Schmitt ({50})
Swen Schulz ({51})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Jörg-Otto Spiller
Jörn Thießen
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({52})
Volker Schneider
({53})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Gert Winkelmeier
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({54})
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Joseph Fischer ({55})
Kai Boris Gehring
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({56})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({57})
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Claudia Roth ({58})
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Enthaltung
CDU/CSU
Julia Klöckner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Lothar Binding ({59})
Hans Eichel
Dr. Barbara Hendricks
Petra Heß
Lothar Ibrügger
Ernst Kranz
Thomas Oppermann
Carsten Schneider ({60})
Wolfgang Spanier
Gert Weisskirchen
({61})
Uta Zapf
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({62})
Dr. Uschi Eid
Anja Hajduk
Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hartfrid Wolff, FDP-Fraktion.
({63})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Integrationsbereitschaft von Migrantinnen und Migranten hängt auch von ihrer persönlichen Perspektive in
Deutschland ab.
({0})
Wenn ein gesicherter Aufenthaltsstatus fehlt, wird selbst
bei einer längeren Aufenthaltsdauer die Motivation, sich
um Integration zu bemühen, erschwert. Deshalb begrüße
ich ausdrücklich, dass das Problem der Kettenduldungen
von nach Deutschland eingewanderten Familien wieder
thematisiert wird.
({1})
Wenn de facto die Abschiebung von lange geduldeten
Ausländern politisch nicht mehr vertretbar ist, muss dieser Tatsache Rechnung getragen werden.
Die Diskussion über eine Altfallregelung für langjährig Geduldete wurde bereits im Zusammenhang mit dem
Zuwanderungsgesetz in den Jahren 2003 und 2004 geführt. Die FDP-Bundestagsfraktion war schon damals
der Auffassung, dass die unbefriedigende Situation der
Betroffenen durch eine vernünftige und unbürokratische
Regelung verbessert werden muss. Der FDP-Entwurf
zum Zuwanderungsgesetz enthielt eine Regelung, die
mit der jetzt vorliegenden vergleichbar ist.
({2})
Wir sind uns in vielen Punkten einig: Ohne einen gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang können Zuwanderer
sich nicht aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit befreien. Erwerbstätigkeit ist die Grundlage für ökonomische Unabhängigkeit. Arbeit ist ein entscheidender Integrationsfaktor: Arbeit ermöglicht den Zuwanderern,
finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, sie fördert dadurch das Selbstwertgefühl - nicht nur des Berufstätigen, sondern auch der Familienangehörigen. Sie ermöglicht soziale Kontakte und schafft Akzeptanz in der
Bevölkerung. Herr Kollege Grindel, dies ist auch im Interesse der Gesellschaft im Ganzen.
({3})
Hartfrid Wolff ({4})
Deshalb ist es richtig, dass der Gesetzentwurf eine Aufenthaltserlaubnis vorsieht, die auch die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit ermöglicht.
({5})
Besonderer Handlungsbedarf besteht dabei, eine gesicherte Lebensperspektive für die in Deutschland aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen zu schaffen. Die
diesbezügliche Härtefallregelung des vorliegenden Gesetzentwurfs begrüßen wir ausdrücklich.
({6})
Es kann nicht sein, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die in Deutschland eine Schullaufbahn beginnen,
diese nicht abschließen dürfen. Gerade für ausländische
Kinder und Jugendliche muss in Deutschland Zugang
zum Bildungssystem bestehen.
({7})
Die Grünen gehen mit ihrem Gesetzentwurf aber in
einigen Punkten etwas zu weit. So findet die von uns geforderte Mitwirkungspflicht im Grünen-Entwurf leider
keine Berücksichtigung. Das ist bedauerlich. Denn es ist
unseres Erachtens sehr wohl relevant, dass geduldete
Ausländer die Behörden nicht täuschen oder behindern,
was ihren aufenthaltsrechtlichen Status anbelangt. Auch
haben wir in unserem Vorschlag einen seit mindestens
sechs Jahren ununterbrochenen Aufenthalt als Bedingung vorgesehen gehabt. Schließlich erscheint es uns
sinnvoll, auch die Frage nach einem - auch zukünftig gesicherten Lebensunterhalt zu stellen. Unter den Härtefallbedingungen des vorliegenden Entwurfs werfen die
Punkte zwei und drei aus unserer Sicht die Frage auf, inwieweit sie nicht zu unpräzise sind und damit die Regelung zu weit aushöhlen könnten.
Dennoch ist es uns ein ernstes Anliegen, in der Frage
der so genannten Altfälle den Tatsachen endlich ehrlich
ins Auge zu sehen. Genau deshalb stimmt die FDP-Fraktion dem vorliegenden Entwurf zu.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Michael Bürsch von
der SPD.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Kollegen
Grindel ist auf eines Verlass: auf die Hartnäckigkeit seiner Vorurteile und die Plattheit seiner Argumente.
({0})
Man könnte ihn sozusagen als den Erfinder der tibetanischen Gebetsmühle gegen angemessene Einwanderung
und Integration bezeichnen; so viel vorweg.
({1})
- Herr Grindel, das Thema ist ernst genug, dass man sich
ihm mit der nötigen Differenziertheit und Seriosität widmen sollte.
({2})
Es geht in der heutigen Diskussion um die Abschaffung
so genannter Kettenduldungen und um eine Bleiberechtsperspektive für langjährig geduldete, in Deutschland integrierte Flüchtlinge, die keinen Aufenthaltstitel
besitzen.
({3})
- Anders als Sie habe ich an den gesamten Verhandlungen der Vermittlungsgruppe zum Zuwanderungskompromiss teilgenommen. Ich kann den damaligen badenwürttembergischen CDU-Innenminister Schäuble und
andere zitieren, die nachhaltig darauf hingewirkt haben,
die Kettenduldungen abzuschaffen.
({4})
- Das war gar nicht nur eine Initiative von unserer Seite,
das kam von Praktikern: von Ihren Innenministern, die
genau gesehen haben, welches Leid, aber auch welche
Unbill wir mit den Kettenduldungen verursachen.
Dafür gibt es immer noch keine Lösung, obwohl wir
in der Vergangenheit immer wieder versucht haben, Lösungen für diese geduldeten Menschen zu finden. Auch
unser damaliger Bundesinnenminister Schäuble hat 1990
eine solche Initiative ergriffen und damals gab es eine
Lösung. Wir wollen Menschen helfen, die hier im Lande
sind, seien es Kriegsflüchtlinge oder andere, die kein
Asyl erhalten haben, die aber auch nicht abgeschoben
werden. Immer wieder erhalten diese Ausländer so genannte Kettenduldungen. Es sind sehr viele Menschen
davon betroffen. Sie sind wirtschaftlich und gesellschaftlich meist bereits eingegliedert, arbeiten täglich hart und
sind zu einer Stütze unserer heimischen Wirtschaft geworden, auf die viele Arbeitgeber nicht mehr verzichten
wollen.
Herr Abgeordneter Bürsch, der Abgeordnete Grindel
würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Wenn es, wie üblich, der Wahrheitsfindung dient,
dann werde ich Herrn Grindel gerne seine Frage beantworten.
Bitte schön, Herr Grindel.
({0})
Herr Kollege Bürsch, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie den Eindruck erwecken wollten, dass
in unserem Koalitionsvertrag angekündigt wird, dass wir
Kettenduldungen abschaffen wollen? Meiner Erinnerung
nach steht in dem Koalitionsvertrag, dass wir das überprüfen wollen, was zum humanitären Aspekt der Zuwanderung im aktuellen Zuwanderungsgesetz steht.
Darüber hinaus möchte ich Sie, da Sie eben ausdrücklich auf die Beschäftigung der Menschen angespielt haben, fragen: Stimmen Sie mir zu, dass die Frage der Beschäftigung im Entwurf der Grünen keine Rolle spielt
- im Entwurf der Linken ist das sowieso nicht der Fall -,
dass also die Beschäftigung keine Tatbestandsvoraussetzung ist?
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Grindel. Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass wir in vielen Verhandlungen Stunden und Tage zusammengesessen haben, um
einen Kompromiss beim Thema Zuwanderung zu finden. Es hat sich dabei zwischen CDU/CSU und SPD der
Konsens ergeben, dass Kettenduldungen abgeschafft
werden müssen. Das ist in den Gesetzestext, insbesondere in § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz, eingeflossen.
({0})
Diese Vorstellung liegt diesem Gesetz zugrunde. Lassen Sie uns gemeinsam die Kettenduldung abschaffen!
Thomas Schäuble aus Baden-Württemberg war derjenige, der aufgrund seiner Erfahrungen am vehementesten für die Abschaffung geworben hat. Wir haben in den
Koalitionsvertrag geschrieben, wir wollen evaluieren
und daraus Schlussfolgerungen ziehen. Das ist ein ganz
wesentlicher Punkt. Nach der Evaluation, der Bewertung, der Analyse soll eine Änderung erfolgen. Das ist
Sinn und Zweck einer Evaluation.
({1})
Zu Ihrer zweiten Frage. Auf die wirtschaftlichen
Gegebenheiten, die vorliegen müssen, komme ich noch
zu sprechen. Wo Regelungen dazu untergebracht werden
müssen, darüber können wir uns mit den Grünen streiten. Rein juristisch bin ich Ihrer Meinung, dass man den
für uns Sozialdemokraten essenziellen Punkt in das Gesetz aufnehmen muss und er nicht in die Begründung gehört. In diesem Punkt werden wir, wie ich denke, sogar
einer Meinung sein.
Wir reden über viele Menschen, die wirtschaftlich
und gesellschaftlich bereits eingegliedert sind. Wir reden
nicht zuletzt über Kinder und Jugendliche, die das
Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nie kennen gelernt haben, die Deutschland dafür sehr gut kennen, hier zur Schule gehen, hier Freundschaften geschlossen haben und hier ihren Lebensmittelpunkt
haben, die, kurzum, in Deutschland gut integriert sind
und sich hier zu Hause fühlen.
Ich will, so wie der Kollege Winkler, ein Beispiel
nennen - die Wahrheit ist konkret -: In meinem Wahlkreis gibt es eine iranische Familie mit zwei Kindern, die
ohne Papiere nach Deutschland gekommen ist. Der
Mann arbeitet und trägt zum Lebensunterhalt bei. Der
Sohn hat Abitur gemacht, durfte nach dem Abitur aber
nichts machen: Er durfte weder studieren noch eine Ausbildung machen. Er saß trotz seiner Intelligenz und all
dem Wissen, das er angesammelt hatte, zu Hause auf
dem Sofa herum. Die Tochter hat einen mittleren Schulabschluss gemacht. Sie wollte den Führerschein machen.
Das war auch nicht möglich. - Herr Grindel, ist das in
Ihrem Sinne? Wollen Sie das tolerieren? Das kann doch
nicht Sinn der Sache sein!
({2})
Herr Abgeordneter Bürsch, Sie sind sehr gefragt.
Auch der Abgeordnete Josef Winkler würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja.
Bitte schön, Herr Winkler.
Vielen Dank. - Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, dass
das, was der Kollege Grindel eben gesagt hat, dass im Gesetzentwurf der Grünen ein Automatismus verankert sei
und dass zum Beispiel auch Straftätern ein Aufenthaltsrecht erteilt werden müsse, falsch ist? Wir haben vielmehr
eine Ermessensregelung im Gesetz vorgesehen, dass das
Aufenthaltsrecht einem Ausländer erteilt werden kann,
der sich seit fünf Jahren rechtmäßig oder geduldet in
Deutschland aufhält. Natürlich wird dem Antrag eines
Straftäters beispielsweise dann nicht stattgegeben. Stimmen Sie, Herr Bürsch, mir darüber hinaus zu, dass in
diesem Punkt ein deutlicher Unterschied zu dem Gesetzentwurf der Linken besteht, in dem eine solche Ermessensregelung nicht vorgesehen ist?
Herr Kollege, Sie gehen jetzt in die Feinheiten der juristischen Betrachtung und Wertung. Ich stimme Ihnen
zu. In der Tat: Bei Ihnen ist das als Ermessensregelung
ausgelegt. Das heißt, es wird in jedem Einzelfall geprüft,
ob dem Antrag stattgegeben werden kann, weil zum Beispiel die Verankerung in Deutschland gegeben ist und
weil auch der Lebensunterhalt selbst gesichert werden
kann. Genau dies ist bei der Kannregelung, die im Entwurf der Grünen steht, der Fall.
({0})
Der Vorschlag der Linken sieht hier eine Mussregelung
vor. Das unterscheidet die beiden Vorschläge in der Tat.
Ich stimme Ihnen also zu. Soweit mein juristischer Sachverstand reicht, kann ich sagen, dass Sie das richtig beschrieben haben.
Die SPD-Fraktion dringt darauf, für diese beschriebene Personengruppe, für die Eltern, die hier integriert
sind, und für die Kinder und Jugendlichen, eine Lösung
zu finden. Das neue Aufenthaltsgesetz hat sich für die
Lösung dieser Problematik noch nicht als perfekt erwiesen. Wir müssen feststellen, dass das neue Aufenthaltsgesetz zwar rechtliche Instrumentarien wie die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25
Abs. 5 Aufenthaltsgesetz zur Verfügung stellt, dass die
Lösungen, die wir im Gesetz angelegt haben, aber noch
nicht diese Wirkungen entfalten, insbesondere wohl deshalb nicht, weil sie in der Praxis restriktiv ausgelegt werden.
Im Dezember 2005 hat sich die Innenministerkonferenz ja auch schon mit diesem Thema befasst. Dort ist
man aber daran gescheitert, eine nachhaltige Lösung für
diese Altfälle zu finden. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt - darauf ist verwiesen worden -,
„das Zuwanderungsgesetz anhand der Anwendungspraxis“ - so ist der Wortlaut - zu evaluieren. Wir wollen
deshalb prüfen, ob eine befriedigende Lösung gerade für
das Problem der Kettenduldung gefunden werden kann,
und wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, ob den in
Deutschland aufgewachsenen und geduldeten Kindern
durch das Zuwanderungsgesetz eine gerechte und faire
Chance geboten wird. Auf diese Gruppe müssen wir besonders hinweisen.
({1})
Wir wollen eine Regelung, durch die wir den Großteil
dieser Altfälle endlich lösen können. Dabei geht es darum, eine Lösung zu finden, mit der eine gute Abwägung
zwischen den Sicherheitsinteressen, der Steuerung von
Zuwanderung, der menschlichen Perspektive sowie den
eigenen deutschen wirtschaftlichen Interessen gelingt.
Klar ist - darauf haben Sozialdemokraten wie Herr
Wiefelspütz und andere in den letzten Wochen immer
wieder hingewiesen -, dass wir keine Bleiberechtsregelung wollen, die für jeden Einzelnen ohne Ansehung der
Person eine Aufenthaltserlaubnis in Aussicht stellt.
Menschen, die durch kriminelles Verhalten, durch Drogendealerei und durch Bandenkriminalität in Erscheinung getreten sind, müssen nicht in Deutschland bleiben,
Herr Grindel. Das ist doch Konsens. Ich glaube, da werden Sie auch die Grünen nicht auf einem anderen Trip
finden.
({2})
- Nun, wir sind ja am Anfang des Verfahrens. Ich habe
heute schon an anderer Stelle darauf verwiesen, dass das
strucksche Gesetz auch hier gilt: Es kommt anders aus
dem Bundestag heraus, als es hineingekommen ist.
Wir wollen, dass die Erteilung des Bleiberechts daran
anknüpft, dass die geduldeten Ausländer zu einem Mindestmaß integriert sind. Das bedeutet, dass es grundsätzlich nicht falsch sein kann, wenn die Ausländer den eigenen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Problematisch ist
es allerdings, die Erteilung des Bleiberechts von dem
Vorliegen einer zweijährigen sozialversicherungspflichtigen Arbeit abhängig zu machen, wie es zum Beispiel
die nordrhein-westfälische Landesregierung jetzt fordert. Im Übrigen - wer diesen NRW-Entwurf kennt,
weiß das - ist dort die Gruppe der Kinder nicht benannt.
Sie ist dort leider vergessen worden.
Herr Kollege Bürsch, es gibt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Keskin. Sind Sie damit einverstanden?
Ja, bitte.
Bitte schön, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, wir
wissen ja, dass es bei Kettenduldungen um die Menschen geht, deren Anträge auf Aufenthalt oder Asyl zwar
abgelehnt worden sind, die aber aufgrund der Genfer
Flüchtlingskonvention nicht abgeschoben werden können. Sie bleiben also hier, jedoch immer nur befristet,
nämlich einen Monat, zwei Monate, drei Monate usw.
Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Situation dieser
Menschen, die auch Sie zum Teil geschildert haben, ihnen keinerlei Lebensperspektive bietet, ihre Lebenssituation massiv erschwert und sie letztendlich möglicherweise dazu zwingt, illegal zu arbeiten, um etwas Geld zu
verdienen? Was ist Ihrer Meinung nach die Logik dieser
Politik, die dazu führt, die Menschen, die nicht abgeschoben werden können, weiterhin hier zu dulden?
Ich habe das vorhin dargestellt und kann insofern darauf Bezug nehmen. Ich will das aber gerne noch einmal
ausführen. Die Kettenduldung schafft vor allem für Kinder Unzuträglichkeiten. Deshalb habe ich das Beispiel
mit den Kindern aus einer iranischen Familie gewählt,
die hierher geflohen ist und nicht in den Iran zurückgeschickt werden kann. Sie bleibt also hier. Inzwischen ist
durch das neue Gesetz allerdings manches möglich geworden.
({0})
Insofern fordere ich von hier aus, dass die Länder und
die Ausländerbehörden durch das neue ZuwanderungsDr. Michael Bürsch
gesetz die Möglichkeiten des § 25 Aufenthaltsgesetz
nutzen.
({1})
- Das ist auf gutem Wege, Herr Kollege.
({2})
- Ich weiß, wer in Schleswig-Holstein mein nächster
Nachbar ist. Insofern habe ich über das Thema auch mit
dem schleswig-holsteinischen Innenminister Ralf
Stegner gesprochen.
Aber besonders möchte ich auf die Gruppe hinweisen,
die für die Entscheidung der Eltern gar nichts kann,
nämlich die Kinder, die hier zum großen Teil eine vorzügliche Ausbildung gemacht haben und denen die
Möglichkeiten genommen werden, hier, wo sie integriert
sind und wo sie am ehesten so etwas wie Heimatgefühl
empfinden können, zu leben. Das sollten wir im eigenen
Interesse ändern. Das hat mit Nächstenliebe oder Altruismus gar nichts zu tun. Das kommt unserem Land
zugute.
Ich habe vorhin in der Debatte über die badenwürttembergische Regelung gesagt: Integration ist ein
Gewinnspiel. Da kommen Qualitäten, Kompetenzen und
Fähigkeiten zu uns, die uns einen Gewinn bringen.
({3})
Herr Grindel, Sie müssen hier nicht immer die negativen
Beispiele wie die Drogendealer, die Kriminellen und
diejenigen nennen, die nur von unseren Sozialhilfesystemen profitieren wollen. Das ist eine Diskreditierung derjenigen, die zu uns kommen.
({4})
Ich jedenfalls erlebe Menschen mit hervorragenden Qualitäten, die ich nicht nur gerne als Gast bei uns habe, sondern für deren Einbürgerung ich im gemeinsamen Interesse werbe, weil das ein absoluter Gewinn ist.
Wir als SPD werden in den nächsten Wochen und
Monaten alles tun, um eine ausgewogene Altfallregelung zu finden. Dabei werden wir nicht blauäugig vorgehen, sondern wir werden unsere Interessen im Auge behalten. Wir werden aber auch prüfen, um welche
Menschen es geht. Wir werden uns die Anwendung des
Zuwanderungsrechts anschauen. Wir können aber schon
jetzt sagen, dass es trotz des In-Kraft-Tretens des Aufenthaltsgesetzes Anfang letzten Jahres noch keine befriedigende Lösung gegeben hat. Deshalb werben wir
dafür, dass sich die Innenministerkonferenz weiter mit
diesem Thema beschäftigt; denn wir wollen dafür sorgen, dass es schnell - möglichst noch in diesem Jahr eine Bleiberechtsregelung für die gut integrierten, schon
lange hier lebenden und geduldeten Ausländer gibt. Das
ist das Ziel unserer Bemühungen.
({5})
Die Gesetzentwürfe von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und der Linken bieten so, wie sie hier vorliegen,
keine Lösung.
({6})
Der Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen - die Kolleginnen und Kollegen mögen mir das bitte nachsehen ist eindeutig richtig gemeint, aber er ist noch nicht gut
gemacht.
({7})
Ich bitte darum, diese Kritik zu akzeptieren. Der Entwurf
ist handwerklich nicht gut gemacht. Ich nenne hier das
Beispiel, dass dort statt § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz,
wie es richtig heißen müsste, Abs. 4 steht. Ich empfehle,
diesen Entwurf noch einmal zu überprüfen.
({8})
Der andere Punkt ist schon genannt worden. Die Voraussetzungen für ein Bleiberecht müssen in den Tatbestand und nicht in die Begründung aufgenommen werden. Auch ist fraglich, ob der Entwurf von Bündnis 90/
Die Grünen so, wie er heute vorliegt, wirklich zu einer
wirksamen Bleiberechtsregelung führen wird. Zwar wird
in dem Entwurf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
in das Ermessen der Ausländerbehörden gestellt, was
grundsätzlich richtig ist. Aber es ist keine wirkliche Antwort auf die Frage, wann wir in Einzelfällen auf die Voraussetzung, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten,
verzichten können.
Zum Entwurf der Linken nur so viel: Dieser Antrag
- das will ich in aller Deutlichkeit sagen - schießt weit
über das Ziel hinaus. Es fehlt eine Stichtagsregelung, die
klarstellt, dass wir nur die Altfälle lösen wollen, und es
fehlt eine Ermessensregelung, die den Behörden erlaubt,
eine Aufenthaltserlaubnis zu verweigern. An dieser
Stelle kommen wir wahrscheinlich nicht weiter. Im Übrigen verweise ich auf die Arbeit in den Ausschüssen.
Schießen Sie nicht über Ihre Redezeit hinaus.
Denn wir werden dieses Thema weiter behandeln und
ich freue mich auf die kritische, wohlwollende und fürsorgliche Auseinandersetzung.
Danke.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Ulla Jelpke von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der Tag, an dem
das Aktionsbündnis von Flüchtlingsorganisationen „Hier
geblieben!“ zu bundesweiten Aktionen aufruft. Ich
möchte Sie daran erinnern, dass das nicht das erste Mal
ist. Vielmehr kämpfen diese Gruppen seit Jahren für ein
Bleiberecht in diesem Land, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Zuwanderungsgesetz, bei dem das Versprechen von Rot-Grün eindeutig gebrochen worden ist,
wie auch alle meine Vorredner bestätigt haben.
Wir unterstützen diesen Aktionstag ausdrücklich. Die
Fraktion Die Linke hat auch dazu aufgerufen, den
Aktionstag zu begleiten. Wir sind der Meinung, dass der
vorliegende Gesetzentwurf der Grünen ein Schritt in
die richtige Richtung ist. Denn er würde immerhin
120 000 so genannten geduldeten Menschen ein Bleiberecht verschaffen und damit ihre Kettenduldung beenden. Er würde außerdem 20 000 Asylbewerberinnen und
Asylbewerbern ein Aufenthaltsrecht geben; denn wie
eben bereits festgestellt wurde, können diese Menschen
das Land nicht verlassen.
Dennoch kann ich es mir nicht verkneifen, die Grünen
zu fragen, warum sie diese Regelung erst jetzt anstreben.
Warum ist sie nicht im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes in den seinerzeit geführten Debatten verabschiedet
worden?
({0})
Ich erinnere mich noch sehr genau, dass damals die PDS
genau dasselbe gefordert hat, was wir heute in unserem
Gesetzentwurf fordern. Ich wundere mich sehr, dass Sie
die Rechtslage nicht geändert haben, als Sie der Regierung angehörten und die Macht dazu hatten. Jetzt, wo
Sie der Opposition angehören, spielen Sie sich meines
Erachtens sehr grob auf und fordern für die Migrantinnen und Migranten Rechte ein, die offensichtlich gegenwärtig nicht durchsetzbar sind.
({1})
Nichtsdestotrotz werden wir Ihren Gesetzentwurf unterstützen.
Ich denke, dass dieses Vorhaben Sie nicht gerade
glaubwürdig macht. Herr Grindel, ich frage mich, in
welchem Land Sie eigentlich leben. Sie haben - wie alle
Abgeordneten - in den vergangenen Tagen E-Mails bekommen, in denen Sie aufgefordert wurden, sich für ein
Bleiberecht bzw. die Abschaffung der Kettenduldung
einzusetzen. Wenn Sie diese E-Mails genau gelesen hätten, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass Ihre Reaktion auf
die darin geschilderten Fallbeispiele zynisch und menschenverachtend ist, wie ich meine. Wenn eine Familie
14 Jahre in Deutschland lebt, aber abgeschoben werden
soll, weil sie keine Ersatzpapiere hat, und nun aus humanitären Gründen im Duldungsstatus verbleibt, dann frage
ich Sie, was noch geschehen soll, damit diese Menschen,
die in der Regel gleichzeitig einem Arbeitsverbot und oft
der Residenzpflicht unterliegen, ein menschenwürdiges
Leben führen können.
Ich möchte noch einen weiteren Fall anführen. Es
geht um eine Familie aus der Türkei. Die Mutter hat
neun Kinder und ist allein erziehend. Alle Kinder haben
eine Ausbildung. Die Mutter ist nicht mehr arbeitsfähig.
Diese Familie soll auseinander gerissen werden. Die
Kinder sollen bleiben dürfen; die Mutter soll abgeschoben werden. Was ist das für eine menschenunwürdige
Politik?
({2})
Gerade für diese Menschen wollen wir eine grundsätzliche Klärung herbeiführen. Wir wollen keine einmalige Stichtagslösung, wie sie die Grünen vorschlagen das wäre eine einmalige Regelung für diejenigen, die
seit fünf Jahren hier leben -;
({3})
wir wollen vielmehr eine Regelung, die es kontinuierlich
ermöglicht, die Kettenduldungen jedes Jahr aufs Neue
zu verhindern.
({4})
Eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Arbeitserlaubnis zu verbinden - auch hierin beispielsweise gibt es
Übereinstimmungen mit dem Gesetzentwurf der
Grünen -, muss ein Grundrecht sein. Ein Nachweis, dass
man eine Arbeit hat oder dass man seinen Lebensunterhalt auf andere Weise sichern kann, wie es Herr Grindel
wieder gefordert hat, darf keine Voraussetzung sein. Ich
finde, es ist zynisch, den betroffenen Menschen, denen
ein Arbeitsverbot und eine Residenzpflicht auferlegt
werden, vorzuhalten, dass sie sich nicht selbst ernähren
können.
({5})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Zum Schluss möchte ich an das anknüpfen, was Herr
Bürsch ausgeführt hat. Ich freue mich, dass Sie einsehen,
dass Ihr Zuwanderungsgesetz unzureichend ist. Ich lade
Sie ein, mit uns einen gemeinsamen Antrag im Sinne der
Betroffenen zu erarbeiten.
({0})
Sie haben gesagt, nicht nur wegen der vielen E-Mails
müsse etwas getan werden. Darauf bin ich sehr gespannt.
Ich werde Sie beim Wort nehmen.
({1})
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem
Kollegen Jerzy Montag.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Der Kollege Grindel
hat in seiner Rede zu diesem Tagesordnungspunkt den
durchsichtigen Versuch unternommen, die Geschichte
des Zuwanderungsgesetzes umzuschreiben. Da ich persönlich dem Kompromiss zugestimmt habe - genauso
wie alle anderen Mitglieder meiner Fraktion und die
grüne Partei -, will ich an dieser Stelle sagen: Wir waren
immer für eine humane und liberale Bleiberechtsregelung. Wir wollten, dass in das neue Gesetz eine Regelung aufgenommen wird, die das Schicksal der Menschen erleichtert, die durch den Rost gefallen sind und
seit vielen Jahren in einer Kettenduldungssituation leben
müssen. Wir haben zähneknirschend dem Kompromiss
zugestimmt, damit das Zuwanderungsgesetz zumindest
als Skelett in Kraft treten kann. Es waren ausschließlich
Sie, Herr Kollege Grindel, und Ihre Fraktion, die eine
humane Verbesserung des Gesetzes verhindert haben.
Also versuchen Sie jetzt nicht, die Geschichte umzuschreiben und so zu tun, als ob wir gestern etwas anderes
gewollt hätten als heute. Wir waren schon immer für
eine Bleiberechtsregelung. Aber Sie und Ihre Kollegen
waren diejenigen, die uns daran gehindert haben.
({0})
Zu einer Erwiderung hat das Wort der Abgeordnete
Grindel.
Herr Kollege Montag, ich finde, dass das Beispiel,
das der Kollege Bürsch genannt hat, eindeutig zeigt, dass
Sie auf dem falschen Weg sind. Er hat den Fall eines Iraners als angeblichen Beleg dafür angeführt, dass das bestehende Zuwanderungsgesetz nicht ausreicht. Daraufhin mache ich den Zuruf, warum er diesen Fall nicht
dem zuständigen SPD-Innenminister vorträgt, damit dieser von der von uns gemeinsam verabschiedeten Härtefallregelung Gebrauch macht. Darauf erwidert Herr
Bürsch - das alles ist im Protokoll nachzulesen -: Das ist
auf einem guten Weg. - Es ist doch eine Irreführung der
Öffentlichkeit, wenn man zuerst einen Einzelfall als Beispiel für das Nichtfunktionieren des Gesetzes anführt
und dann auf meinen Zuruf, warum man nicht von der
Härtefallregelung Gebrauch mache, erwidert, das sei auf
einem guten Weg. Also reicht doch das, was wir verabschiedet haben, ganz offensichtlich aus.
({0})
Bei der einen Fallgestaltung im Rahmen des Aufenthaltsrechts geht es um Personen, die aus bestimmten
Gründen - rechtlichen oder tatsächlichen -, die sie nicht
selber zu verantworten haben, nicht abgeschoben werden können. Für die anderen gibt es die Härtefallregelung und die Härtefallkommissionen. Wir überprüfen, ob
das alles ausreicht. Ich gebe gerne zu, dass auch ich die
Regelung betreffend die Kinder und Jugendliche für
überprüfenswert halte.
({1})
Ich habe aber dazu in meiner Rede nichts gesagt, weil
ich zur Kenntnis nehmen muss, dass die Innenminister
hierzu sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten, und
weil ich - im Gegensatz zum Kollegen Bürsch - der
Meinung bin, dass ich als Koalitionsabgeordneter nichts
dazu sagen sollte, solange wir mit den Innenministern
nicht einer Meinung sind.
Ich sage Ihnen zu: Wir werden eine vernünftige Evaluation dieser Regelung des Zuwanderungsgesetzes vornehmen. Wenn wir feststellen sollten, dass Verbesserungen notwendig sind, dann wird es auch welche geben.
Aber ich finde es nicht in Ordnung, dass hier der Eindruck erweckt wird, dass wir keine Fortschritte im Hinblick auf humanitäre Regelungen gemacht hätten. Wir
haben welche gemacht.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass in einigen Bundesländern noch keine Härtefallkommissionen
eingerichtet worden sind. Insofern scheint es mir verfrüht zu sein, festzustellen, ob das Gesetz in jedem Einzelfall greift. Denn die Härtefallkommissionen, Herr
Kollege Ströbele, sind doch nicht eingerichtet worden,
weil die Bundesländer sich wehren. Denken Sie einmal
an Bremen. Bremen wird auch von einer großen Koalition regiert. Es wird dort noch diskutiert, wie diese Härtefallkommissionen besetzt werden. Das ist die Frage.
Sie werden doch nicht abgelehnt, sondern es wird über
die Besetzung diskutiert.
Ich halte fest, Herr Kollege Montag: Es gibt Verbesserungen im Zuwanderungsgesetz. Wir müssen untersuchen, ob weitere Verbesserungen nötig sind. Ich habe
mich insbesondere zu den Kindern und Jugendlichen
nicht geäußert, weil ich die Innenminister nicht festlegen
wollte.
Herzlichen Dank.
({2})
Jetzt haben wir das Problem, dass die Antwort des
Kollegen Grindel weitere Kurzinterventionen von Kollegen, die sich angesprochen gefühlt haben
({0})
bzw. die angesprochen worden sind, hervorgerufen hat.
Ich lasse zwei dieser Meldungen zu.
({1})
- Es gab Meldungen zu Kurzinterventionen, die sich
nicht auf den letzten Redebeitrag von Herrn Grindel beziehen. Ich gebe zunächst das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Krista Sager und dann dem Kollegen Bürsch.
Herr Grindel, ich kann nur hoffen, dass Sie in den
nächsten Wochen darüber nachdenken, wie es geschehen
konnte, dass Sie als Volkspartei in einem so breit aufgestellten Parlament, das deutlich heterogener als das Parlament ist, das wir in der letzten Legislaturperiode hatten, hier eine Meinung vertreten, mit der Sie eindeutig
isoliert dastehen und in die Minderheit gekommen sind.
({0})
Das hat offensichtlich auch etwas damit zu tun, dass in
allen hier vertretenen Parteien - es sind immerhin vier reflektiert wird, wie inzwischen die Stimmung in der
Bevölkerung ist, und zwar nicht nur in der Bevölkerung,
sondern auch in den großen christlichen Kirchen. Für einen Vertreter einer Partei, die das C im Namen trägt,
finde ich es bemerkenswert, dass Sie sich zu den warnenden Worten der christlichen Kirchen gerade in Bezug
auf die Familien und Kinder, die von dieser Situation betroffen sind, überhaupt nicht positioniert haben. Ich
finde es auch bemerkenswert, dass Sie auf der einen
Seite versuchen, wieder Anschluss an die Familiendiskussion zu finden und sich als modernisierte Familienpartei zu profilieren, andererseits aber der Gesichtspunkt
des Kindeswohls in Ihrem Beitrag überhaupt keine Rolle
gespielt hat.
Eines ist doch wohl auch klar: Die Härtefallregelung
war ein reiner Kompromiss. Es war abzusehen, dass wir
mit diesem Kompromiss nicht hinkommen. Es ist doch
deutlich geworden, dass wir es hier mit mindestens
140 000 Menschen zu tun haben. Wir können mit einer
Härtefallregelung, die für Einzelfälle gemacht ist, nicht
das Problem von mindestens 140 000 Menschen in diesem Land lösen. Deswegen bewegen Sie sich, bitte!
({1})
Herr Bürsch.
Ich würde die Handhabung der Kurzinterventionen
übrigens nicht so bürokratisch sehen. Es soll doch immer
dafür gesorgt werden, dass wir hier etwas lebhafter diskutieren.
Herr Grindel, Ihre Attacke in meine Richtung verlangt eine juristische Klarstellung. Sie haben nämlich
Jura studiert. Deshalb ein kleines Privatissimum: Es gibt
einen deutlichen Unterschied zwischen einer rechtlichen
Regelung und einem Härtefall. Der Härtefall zeichnet
sich dadurch aus, dass man bei ihm Gnade vor Recht ergehen lässt.
({0})
Das, wofür wir hier werben - das ist auch der Fall, den
ich genannt habe, Herr Grindel -, ist, dass es eine rechtliche Regelung mit einem Ermessen gibt.
({1})
Aber ein Ermessen ist etwas, was rechtlich beurteilt
wird, bei dem es Spielräume gibt und bei dem es eine
Nachvollziehbarkeit im Rahmen der Rechtsweggarantie
des Art. 19 Abs. 4 gibt. Das ist der entscheidende Unterschied.
Insofern können Sie nicht darauf verweisen, dass es
Härtefallregelungen gibt. Sonst müssten alle diejenigen,
die wir hier im Auge haben, nämlich 200 000 Menschen,
durch das winzige Nadelöhr einer Härtefallregelung gehen. Gnade vor Recht ist, wie es ist. Die Chancen sind
relativ gering. Der Härtefall ist nicht justiziabel. Sie können bei einem Härtefall auf dem Rechtsweg nicht geltend machen, dass das Ermessen vielleicht nicht richtig
ausgeübt wurde.
Im Übrigen nehme ich wie die gesamte SPD mit
Freude zur Kenntnis, dass wir uns über das Thema „Kinder, die hier groß geworden sind und hier integriert sind,
und ihre Bleiberechte“ wirklich konstruktiv unterhalten
können.
({2})
Herzlichen Dank. Damit ist diese Debatte beendet.
({0})
- Nein, das geht nicht mehr. Wie ich gesagt hatte, waren
nur diese beiden Kurzinterventionen zugelassen. Ich
weise Herrn Bürsch darauf hin, dass es nicht um Bürokratie geht, sondern um unsere Geschäftsordnung, die
ich an dieser Stelle außerordentlich großzügig ausgelegt
habe.
({1})
Ich habe keine Sorge, dass irgendeine Debatte, die die
Innenpolitikerinnen und -politiker führen, in diesem
Haus nicht lebendig ist.
({2})
- Es hat ganz sicher auch der Wahrheitsfindung gedient.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/218 und 16/369 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Umfassende Berichterstattung des Bundes zur
Forschungs- und Technologiepolitik sicherstellen
- Drucksache 16/266 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Die erste Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Cornelia Pieper von der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung hat das Thema „Bildung und Innovation“ zu ihrem Schwerpunktthema in dieser Legislaturperiode gemacht. Das ist gut so; das begrüßen wir.
Auf ihrer jüngsten Klausurtagung in Genshagen haben
Sie ein Investitionsprogramm in Höhe von 25 Milliarden Euro vorgeschlagen. Davon sollen rund 6 Milliarden Euro für Innovationen, für Forschung und Entwicklung eingesetzt werden. Auch das begrüßen wir. Aber
wir wollen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auch Taten sehen und nicht nur Worte
hören.
({0})
Das heißt, wir müssen in diesem Haus über die haushaltspolitische Umsetzung debattieren und diese dann
hoffentlich auch erfolgreich abstimmen, Herr Tauss.
({1})
Zukunftsinvestitionen sind wichtig. Ich kann die
Worte der Kanzlerin nur unterstreichen. Sie hat in ihrer
Regierungserklärung gesagt:
… Bildung und Innovation … sind mehr denn je
der Rohstoff unseres Landes … Wir müssen besser
sein als andere, und zwar immer so viel besser, wie
wir teurer sind …, weil wir unseren Wohlstand erhalten wollen.
Recht hat sie. Doch wo stehen wir in Deutschland im
OECD-Vergleich, also im Vergleich mit den größten Industrienationen? Da sind wir eben nicht Spitze. Deutschland liegt mit 2,52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
deutlich hinter Schweden, Japan und den USA zurück.
Die Forschungsausgaben sind wesentlich langsamer gewachsen als in den anderen Industrienationen. Ein Beispiel: Zwischen 2000 und 2002 sind sie in Deutschland
um 6 Prozent, in Schweden um 30 Prozent und in den
USA um 25 Prozent gewachsen.
({2})
- Herr Tauss, es ist wichtig, dass diejenigen, die der rotgrünen Regierungskoalition angehört haben, ihre Fehler
korrigieren.
({3})
Wenn ich mir anschaue, was der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit aufgezeigt hat, dann erkenne
ich: Die Bilanz der rot-grünen Bundesregierung ist erschreckend.
({4})
Betrug der Saldo 1998 noch rund minus 2,5 Milliarden Euro, so stieg er im Jahre 1999 auf über minus
4 Milliarden Euro und 2001 auf fast minus 7,5 Milliarden Euro an, meine Damen und Herren von RotGrün. Da wollen wir nicht weitermachen. Ich begrüße
die Ankündigung der neuen Bundesregierung, umzukehren und einen anderen Weg zu beschreiten.
Wir sind aber der Auffassung, dass das alles nur realisiert werden kann, wenn wir als Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker eine substanzielle, gut
begründete und detaillierte Berichterstattung hier im Hohen Hause, im Bundestag, bekommen. Deswegen fordern wir Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen.
({5})
Der Kollege Tauss möchte eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Frau Präsidentin, nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Ich kenne Herrn Tauss. Ich weiß, dass er
diese Ablenkungsmanöver liebt. Ich rede lieber zur Sache. Daran sollte uns allen liegen, wenn wir ein Interesse
an Zukunftsinvestitionen in Deutschland haben.
Ich sage noch einmal: Mir liegt an diesem Thema im
Interesse der strukturschwachen Regionen sehr. Hierbei
denke ich insbesondere an die neuen Bundesländer.
Wenn Sie sich einmal die Lage insgesamt in Deutschland anschauen, stellen Sie fest, dass es bei den innovativen Produkten, die durch kleine, mittelständische Unternehmen auf den Markt kommen, einen Rückgang gibt
und dass dieser in den neuen Bundesländern, wo das Eigenkapital auch nicht in dem Maße vorhanden ist, noch
viel stärker ausgeprägt ist. Wir sind gefordert, die Rahmenbedingungen entsprechend zu setzen.
Wir als liberale Fraktion meinen: Wir brauchen nicht
nur, wie es Rot-Grün damals im Bundestagsausschuss
beschlossen hat und wie es später auch bestätigt wurde,
das Gutachten internationaler Innovationsforscher, das
es alle zwei Jahre geben soll, sondern wir brauchen auch
weiterhin den Bundesbericht Forschung, der nämlich
alle vier Jahre über die jeweilige Situation im deutschen
Forschungssystem, über seine Strukturen und über die
Finanzierung durch Bund und Länder berichtet hat, damit wir die Stellung Deutschlands im internationalen
Vergleich deutlich erkennen können.
({0})
Wir brauchen daneben den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands, der von unabhängigen Wirtschaftsinstituten erstellt worden ist, jährlich,
({1})
weil es wichtig ist, unter dem Aspekt von Wachstum und
Beschäftigung zu bewerten, wie sich Forschung und Innovation auch in Bezug auf neue Arbeitsplätze - das
muss das Ziel sein - auswirken. Wir alle wissen, dass die
Industrienationen, die im internationalen Vergleich mehr
in Bildung und Forschung investieren, auch ein höheres
Wirtschaftswachstum und eine niedrigere Arbeitslosigkeit haben.
Das ist unser Ziel. Das wollen wir mit diesem Antrag
erreichen. Wir bitten Sie: Unterstützen Sie das, damit wir
wieder zu dem alten Verfahren mit der zuverlässigen Berichterstattung durch die Bundesregierung bzw. die unabhängigen Wirtschaftsinstitute zurückkommen! Stimmen
Sie unserem Antrag zu! Das wäre auch im Interesse des
Innovationsstandorts Deutschland das Beste.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Ilse Aigner von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung macht mit dem Versprechen ernst, Forschung und Innovation in Deutschland zu
stärken.
({0})
Allein dafür werden bis 2009 6 Milliarden Euro zusätzlich bereitgestellt. Wir können das Geld mit gutem Gewissen investieren, weil uns die Erkenntnisse der Innovationsforschung die Sicherheit geben, dass es Zinsen
bringen wird. Als Grundlage für einen klaren Blick brauchen wir eine solide Datenbasis und treffende Analysen, die den Istzustand in unserem Land feststellen und
weltweite Entwicklungen aufzeigen. Ich will an dieser
Stelle unsere
Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität.
Derzeit stützen wir uns auf den Bundesbericht Forschung, der die Politik von Bund und Ländern sowie die
Strukturen und Ressourcen der Wissenschaft darstellt,
allerdings nicht immer ganz neutral, und auf den Bericht
zur technologischen Leistungsfähigkeit, der im Auftrag
des BMBF erstellt wird. Wenn ich recht informiert bin,
hat die Vorarbeiten dafür unser hochgeschätzter Kollege
Professor Riesenhuber bereits in den 80er-Jahren geleistet. In den 90er-Jahren wurde die Berichterstattung systematisch verbreitert. Es war 1998 eine gute Entscheidung des Deutschen Bundestages, sich diesen Bericht
jährlich vorlegen zu lassen.
({0})
Ja, es stimmt: Die Berichte zur technologischen Leistungsfähigkeit haben uns den Spiegel vorgehalten und
die Augen geöffnet. Man denke nur an die zentrale Botschaft, dass Deutschland ohne Automobilindustrie
({1})
nicht mehr als Hightechnation einzustufen wäre! Das
hat, salopp ausgedrückt, ordentlich gesessen.
Nichts ist aber so gut, dass es nicht noch verbessert
werden könnte. Insofern sollten wir auch in der Forschungsberichterstattung innovativ bleiben. Die alte
Bundesregierung hat einen Anlauf unternommen, doch
gab und gibt es Fragen. Die haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode aufgeworfen. Die FDP hat sie nun
wieder aufgegriffen. Dieser Anstoß ist wichtig.
Die Zeit, in der wir im Ausschuss noch einmal intensiv über das Berichtswesen debattieren, ist gut investiert.
Ich bin der Bundesregierung dankbar dafür, dass auch
sie Bereitschaft dazu signalisiert hat. Die Union hat
durchaus schon klare Vorstellungen und Wünsche in Bezug auf ein zukunftsfähiges Berichtswesen:
Erstens. Wir wollen, dass die Berichterstattung einen
Innovationsschub bewirkt. Dafür muss das Themenspektrum breit sein und alle wesentlichen Sektoren und Rahmenbedingungen ansprechen. Innovationspolitik kann
man nicht erfolgreich betreiben, wenn man sie allein auf
die Ressortzuständigkeit verengt.
Zweitens. Wir wollen umfassend, verlässlich und aktuell informiert sein. Das heißt für uns, dass wir Statistikberichte, Analysen und Empfehlungen sowie Informationen über Politikmaßnahmen erhalten.
Drittens. Wichtig ist, dass die Datenbasis stimmt. Die
erhobenen Indikatoren müssen internationalen Standards
entsprechen, also nach den Kriterien der EU- und
OECD-Statistiken erhoben werden. Dann wissen wir
auch, wo wir international stehen.
Viertens. Die Daten müssen aktuell sein. Zumindest
die wichtigsten Kernindikatoren müssen jährlich vorgelegt werden.
Fünftens. Den Bundesbericht halten wir in seiner bisherigen Berichtstiefe nach wie vor für unverzichtbar.
Denn schließlich wollen und müssen wir wissen, was
EU, Bund und Länder tun. Es reicht keinesfalls, nur die
Grundlinien der Politik aufzuzeigen. In der Forschungspolitik muss klar sein, was in den Programmen und Projekten läuft.
({2})
Sechstens. Als Parlamentarier brauchen wir aber auch
eine unabhängige Expertise. Bisher basierten die Berichte zur technologischen Leistungsfähigkeit auf Aufträgen des BMBF an Forschungsinstitute. Wenn man
ehrlich ist, muss man zugeben, dass man allein mit der
Auftragsstellung schon Politik machen kann. Deshalb
würden wir gerne darüber diskutieren, ob die Berufung
eines Gutachtergremiums für die Erstellung der Analysen nicht besser wäre. Der Analyseteil muss strikt von
der Politikdarstellung abgegrenzt sein und darf nicht,
wie in den letzten Jahren geschehen,
({3})
jährlich als Kapitel im Bundesbericht Forschung auftauchen.
Siebtens. Mehr Gehör verschaffen würden wir der Innovationspolitik gerade dadurch, dass wir sie mit Gesichtern verbinden. Das spricht meines Erachtens für ein
Gutachtergremium zur Erstellung des Analyseteils. Den
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kennt man.
({4})
Er steht besonders für seinen Bericht und deshalb erwartet die Öffentlichkeit, dass die Politik auf seine Empfehlungen reagiert. Ein solches Modell sollten wir auch für
die Innovationsberichterstattung prüfen, um letztendlich
das Politikfeld, das wir als unabdingbar für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes erkannt haben, noch prominenter und erfolgreicher zu machen.
In diesem Sinne freue ich mich auf eine interessante
und konstruktive Diskussion im Ausschuss.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Petra Sitte von der Fraktion
Die Linke.
Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Auf den
ersten Blick scheint dieser Antrag vor allem aus dem Arbeitsalltag von Abgeordneten zu erwachsen. Die FDP
will, was ich verstehen kann, zu einer von ihr als sinnvoll erfahrenen Berichts- und Informationspraxis
zurückkehren. Es ist gesagt worden, dass der Bundesforschungsbericht mit Länderteil, der dazugehörige Faktenbericht und der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands als Studie von außen in
verschiedenen Abständen wieder vorgelegt werden sollen. Meine Vorrednerin hat gerade etwas zur Qualifizierung dieser Berichte gesagt. Insgesamt gesehen ist das
schon der Griff zur Fernbedienung. Er hat aber seine
Berechtigung, auf der einen Seite unter dem Blickwinkel
der Informations- und Kontrollrechte des Parlaments,
auf der anderen Seite unter dem Blickwinkel, dass Tausende Informationen auf der Ebene der Bundesregierung
zusammenlaufen.
Aber wer diese Monumentalstudien schon einmal gelesen hat, ahnt den Riesenaufwand bei der Aufreihung
dieser Tausenden Informationen
({0})
und stöhnt, wie ich, noch nachträglich über die Lesezeit.
Ich habe die Berichte einmal auf meine Waage gelegt:
Sie wogen über 1 Kilogramm. Zumindest der Umfang
dieser Berichte ist ein Indiz dafür, dass die Forschungsförderungspolitik von Bund und Ländern einer dringenden Reform zur Effektivierung der Förder- und Vergabepraxis bedarf. Aber auch darüber besteht hier
offensichtlich in gewisser Weise, wenngleich mit unterschiedlichen Nuancen, wie mir scheint, Einigkeit.
Wenn Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen
mehr Antrags- und Managerkompetenzen statt Forschungsleistungen zu Geldern verhelfen, dann sollte der
Antrag, den Frau Pieper begründet hat, allemal auch Anlass sein, auf Änderungen zu drängen. Es sind Berichte
aus der Vogelperspektive. Das merkt man deutlich,
wenn man sie liest und sie mit seinen Gesprächen vor
Ort vergleicht. Sie sind rein betrachtender Natur. Das
halte ich für problematisch, weil kritische Urteilsfähigkeit hier nicht herausgefordert wird und weil die Gründe
für die Prioritätensetzung nicht wirklich nachvollziehbar
sind.
Die Frage, was warum förderungswürdig ist, spielt in
diesen Berichten wie auch in der Begründung des Antrages der FDP nur unter dem Blickwinkel der Marktfähigkeit eine Rolle.
({1})
Das erscheint mir aber problematisch, weil es hier um
öffentliche Forschungsförderung geht. Daher sollten
auch die Interessen der Adressaten dieser Förderpolitik
stärker in den Mittelpunkt gestellt werden.
Gemeint sind einerseits die Erfahrungen von Forscherinnen und Forschern und von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wissenschaftseinrichtungen insbesondere
auch wegen ihrer Verantwortung für künftige Generationen sowie die Erfahrungen dieses Kreises, da es einen
Rechtfertigungsdruck bei der Begründung für die Ausgabe dieser Gelder gibt. Wir wissen alle, wie schwer es
ist, Gelder für diese Bereiche gegenüber den Ansprüchen aus anderen Bereichen zu verteidigen.
Gemeint sind andererseits auch die vitalen Interessen
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und des Gemeinwesens schlechthin, die letztlich Nutznießer dieser
Forschungsleistungen sein sollten. Es geht also auch um
Forschung an wesentlichen sozialen und ökonomischen
sowie an wesentlichen kulturellen und ökologischen Widersprüchen dieses Landes.
Gemeint sind letztlich auch die eher explosiven Produkte des Genius. Aber als „Beipackzettel zu Risiken
und Nebenwirkungen“ von Forschungsergebnissen sind
diese Berichte leider ungeeignet. Das heißt, sie sind ungeeignet, um Orientierungs- und Sinndebatten auf gesellschaftlicher Ebene anzustoßen.
Nun kann man durchaus sagen, das alles sollten die
Berichte nicht leisten. Dann frage ich aber: Warum eigentlich nicht, wenn wir schon einen solchen Aufwand
betreiben? Warum sollen diese Berichte nicht an dieser
Stelle ansetzen, die entsprechenden Interessen berücksichtigen und damit an Aussagekraft gewinnen? Es ist
allemal höchste Zeit, dass mehr Transparenz bezüglich
des Umgangs mit unserem Gesellschaftsvermögen hergestellt wird.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Keine Angst, das, was ich in der Hand halte, ist
nicht meine Rede - sie ist deutlich übersichtlicher -,
sondern der Gegenstand meiner Rede.
({0})
Der Bundesbericht Forschung erscheint in der Regel
- wenn man die besondere Situation nach einer Vertrauensfrage ausnimmt - einmal in der Legislaturperiode,
also alle vier Jahre. Der Faktenbericht zum Bundesbericht Forschung zur Aktualisierung der Datenlage erscheint alle zwei Jahre. Der Bericht über die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands erscheint jedes
Jahr. Dieses Berichtswesen ist historisch gewachsen.
Man muss einfach sagen, dass der Bundesbericht Forschung mit seiner Fülle an Informationen in der Tat eine
ausgezeichnete Grundlage für den forschungspolitischen
und wissenschaftspolitischen Dialog geboten hat und
bietet.
({1})
Trotzdem muss ich sagen - das ist an der einen oder
anderen Stelle schon angeklungen -: Die Attraktivität
der Berichterstattung zu Forschung und Innovation
kann weiter gesteigert werden. Damit meine ich nicht
das Volumen. Es gibt aber ein großes Potenzial, die konzeptionelle Qualität, die Attraktivität, die Transparenz,
aber auch die Glaubwürdigkeit des Berichtwesens zu
steigern.
Weil allerdings die Grenze - das wurde in Teilen
schon erwähnt - zwischen der unabhängigen Aufbereitung von Daten und Fakten im Rahmen der Analyse und
Politikberatung einerseits und der politischen Berichterstattung sowohl der Bundesregierung als auch der Länder andererseits - für 100 Seiten sind die Länder verantwortlich - in der Vergangenheit schwer auszumachen
war, hat im Januar 2005 die rot-grüne Koalition eine
Veränderung dieses Berichtswesens beschlossen, was
Anlass für den Antrag der FDP geboten hat.
Die Zielsetzung war eine klare Trennung zwischen
den Fakten, Daten und Analysen auf der einen Seite und
den Darlegungen der politischen Ziele und Schwerpunkte der Bundesregierung oder Landesregierungen auf
der anderen Seite. Wenn Sie einmal in den Bericht hineinschauen, dann werden Sie erkennen, dass das eine
oder andere Land seinen Beitrag mit der Feststellung beginnt, dass dieses Land eine ausgezeichnete Forschungslandschaft hat. Dieses ist aber kein Faktum, keine Analyse und kein Datum - diese sollten eigentlich in einem
Forschungsbericht enthalten sein -, sondern es handelt
sich um die Bewertung einer Landesregierung.
({2})
Nach dem Beschluss aus dem Januar 2005 sollte ab
2008 alle zwei Jahre eine Begutachtung der Forschung
und Innovation in Deutschland durch international führende Innovationsforscher, also externe Gutachter - auch
das ist neu -, erstellt werden, damit diese rosa Brille
nicht mehr aufgesetzt wird, was in den letzten Jahrzehnten manchmal der Fall war. Innerhalb von acht Wochen
nach Zuleitung dieses unabhängigen Berichtes sollte ein
Bundesbericht Forschung und Innovation seitens der
Bundesregierung vorgelegt werden. Darin sollten ebendiese Daten, Fakten und Analysen sowie die Forschungs- und Innovationsgutachten inhaltlich bewertet
und die politischen Grundlinien der Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung erläutert werden,
also eine klare Trennung zwischen Daten und politischer
Bewertung.
Schon vor einem Jahr hat es dann einen Antrag der
CDU/CSU gegeben, der im Wesentlichen den Inhalt
hatte, es bei der alten Berichterstattung zu belassen.
Heute stimmen wir über einen Antrag der FDP ab, der
dem CDU/CSU-Antrag aus alter Zeit doch sehr ähnlich
ist, wenn man sich die eine oder andere Formulierung
anschaut.
Wir als SPD-Fraktion nehmen sehr wohl wahr, dass
der Koalitionspartner zumindest in Teilen einen anderen
Weg einschlagen möchte, als es in unserem Modell vorgesehen ist, das wir letztes Jahr beschlossen haben. Das
ist keine Frage, deren Klärung eines Untersuchungsausschusses bedürfte oder die eine Koalitionskrise hervorrufen würde. Wir nehmen diese Stimmung auf.
Wir werden dem FDP-Antrag nicht zustimmen, schlagen aber vor, dass wir in den Beratungen im Ausschuss
einen möglichst breiten Konsens und Kompromiss hinsichtlich der zukünftigen Berichterstattung erarbeiten.
Das ist kein Knackpunkt; aber unsere Anforderungen an
eine Berichterstattung bleiben erhalten. Vieles habe ich
bei Ihnen, Frau Aigner, wiederfinden können. Die Berichterstattung muss glaubwürdig, unabhängig, transparent und informativ sein. Man muss deutlich unterscheiden können, was Fakten, Daten und Analysen sind und
was politische Bewertung oder Grundlinie ist.
({3})
Nun schaue ich auf die Uhr. Ich habe eigentlich alles
gesagt, was ich sagen wollte, aber noch vier Minuten Redezeit.
({4})
Das ist mir noch nie passiert. Das hätte ich mir schon oft
an anderer Stelle gewünscht.
Erlauben Sie mir deshalb, diese vier Minuten der
Hannah Veit zu widmen. Das ist das kleine Töchterchen
unseres Kollegen Rüdiger Veit, das gestern das Licht der
Welt erblickt hat.
({5})
Meine Grüße gehen an die junge Familie. Ich wünsche
der Hannah ein schönes Leben und eine friedliche Welt.
Dafür sind dann wieder wir zuständig. Die drei Minuten
mag sie genießen.
({6})
Das waren genau drei Minuten und 59 Sekunden. Wir
sollten ihr vielleicht wünschen, dass sie in ihrem Leben
ein paar mehr Minuten hat, die sie genießen kann.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Priska Hinz vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
finde es durchaus erstaunlich, dass die FDP durch ihren
Antrag zeigt, dass sie die Wirksamkeit der Forschungsförderung und sogar die Bedeutung des Innovationsstandortes Deutschland von einer Berichterstattung abhängig macht - und das als Partei, die eigentlich die
Entbürokratisierung auf ihre Fahnen geschrieben hat.
({0})
- Frau Pieper, das ist ein typischer Oppositionsantrag;
ich verstehe das gut. Man beschäftigt die Regierung
möglichst umfassend rund um die Uhr; dann kann sie ansonsten keinen Unfug treiben.
({1})
Dass sich Frau Aigner dem anschließt, zeigt, dass sie
die Oppositionsrolle noch nicht ganz hinter sich gelassen
hat. Vielleicht sollten Sie einmal nachfragen, wie das zuständige Bundesministerium dazu steht, dass es permanent Daten und Fakten sammeln und Berichte schreiben
soll.
({2})
Fakt ist - das hat Kollege Röspel schon gesagt -, dass
das bisherige Berichtswesen zu Forschung und Entwicklung optimiert und vor allen Dingen durch die internationale Begutachtung und eine verbesserte Darstellung der
Wirkung von Investitionen auf Wachstum und Beschäftigung aussagekräftiger werden sollte. Das kann ebenso
wie ein Bericht der Bundesregierung, der sich darauf bezieht und in dem Schwerpunkte und Grundlinien deutlich gemacht werden, nur sinnvoll sein. Denn nur dann
kann ein Parlament auch wirklich steuern. Damit ist eine
bessere Schwerpunktsetzung möglich.
Ich möchte angesichts dieses Antrages allerdings inhaltlich auf die Forschungsförderung und die Schwerpunktsetzung, die unter Rot-Grün stattgefunden hat,
eingehen. Denn Frau Pieper hat gesagt: Die neue Bundesregierung legt jetzt großen Wert auf Forschungsförderung und auf Forschung und Bildung.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben in den letzten
beiden Wahlperioden viel aufgeholt. Wir haben nicht das
Optimum von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Aber wir haben viel aufgeholt.
({3})
Wir haben vor allen Dingen viel bei den Kürzungen
wettgemacht, die die CDU/CSU-FDP-Regierung vorher
in diesem Bereich vollzogen hatte.
({4})
Schließlich haben wir durch die Schwerpunktsetzung im
Bereich der Förderung von Technologien für neue
Märkte auch zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen.
({5})
Wir haben jährlich weit über 1 Milliarde Euro für Projekte in den Schlüsseltechnologien, wie zum Beispiel der
Nano-, der Informations- und der Kommunikationstechnologien und auch der Biotechnologie, ausgegeben.
({6})
Wir haben in Deutschland inzwischen 350 Biotech-Unternehmen; wir stehen damit in Europa an der Spitze.
Das ist ein Ergebnis gerade auch der Grünen; das kann
ich Ihnen an dieser Stelle nur sagen.
({7})
Wir haben die Forschung für Mensch und Umwelt gefördert. Wir haben in die Gesundheitsforschung investiert und ein neues Rahmenprogramm „Forschung für
die Nachhaltigkeit“ aufgelegt. Was besonders wichtig
ist: Wir haben in den letzten zwei Jahren den Pakt für
Forschung und Innovation ins Leben gerufen, in dem
jährliche Mittelzuwächse in Höhe von 3 Prozent festgelegt sind.
({8})
Nicht zuletzt haben wir die Exzellenzinitiativen ins Leben gerufen.
({9})
Die Bundesbildungsministerin Schavan erklärt jetzt
dauernd, es gebe zusätzlich 6 Milliarden Euro für die
Forschung. Dazu sage ich ihr, dem gesamten Bundesministerium und der CDU/CSU nur: Davon sind
2,6 Milliarden originär von Rot-Grün.
({10})
Wir hätten die Exzellenzinitiativen schon längst, wenn
Roland Koch nicht monatelang verhindert hätte, dass es
zu einer Einigung zwischen Bund und Ländern kommt.
Priska Hinz ({11})
({12})
Wir wüssten gern, welche Schwerpunktsetzung die
Bundesforschungsministerin mit den übrigen Mitteln
vorhat. Da will ich weder auf einen jährlichen noch auf
einen zweijährlichen Bericht warten; ich möchte heute
und jetzt die Antwort darauf: Was wird eigentlich mit
den übrigen Mitteln gefördert? Bislang haben wir davon
nichts gehört, außer dass die alten Programme fortgeführt werden. Da waren wir ja richtig gut, kann ich nur
sagen.
({13})
Es bleibt also vonseiten der Bundesforschungsministerin noch viel zu tun. Vor allen Dingen soll sie endlich
klären, was sie im Bereich der Forschungsförderung eigentlich noch tun kann, wenn der Kompromiss zur Föderalismusreform tatsächlich umgesetzt wird. Es ist fraglich, ob sie dann noch für die Forschung zuständig sein
wird, die sie jetzt für sich reklamiert.
Danke schön.
({14})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael
Kretschmer von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Wissenschaftsstandort Deutschland muss sich mit den
besten der Welt messen. Wir wollen, dass unsere Forscher ganz vorn, in der ersten Liga, mitspielen. Dafür
brauchen wir ideale Bedingungen, nicht nur für den Forschernachwuchs, sondern für alle Bereiche. Wir sind
froh und stolz darauf, dass wir sagen können: Keine
Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland hat so klar und deutlich einen Akzent auf
Forschung, Innovation und Wissenschaft gelegt wie die
amtierende mit einem 6-Milliarden-Programm.
({0})
Es ist wichtig, dass man sich klar macht, wo man die
Akzente setzt. Dabei ist ein Berichtswesen, eine Kritik
des aktuellen Zustands, eine Beschreibung dessen, was
funktioniert und was nicht so gut funktioniert, richtig.
Deswegen sagen wir ganz klar: Wir brauchen ein umfassendes und gutes Berichtswesen; wir brauchen gute und
unabhängige Berichte.
({1})
Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode gesagt: Wie es vorgesehen ist, so geht es nicht. Denn das
Ministerium hat in der Tat versucht, den Ausschuss und
die Forschungspolitiker etwas zu überfahren, anstatt eine
ausführliche Debatte darüber zu beginnen, was wir haben wollen bzw. was wir brauchen. Deswegen stehen wir
auch noch zu der Kritik, die wir in der vergangenen Legislaturperiode geäußert haben.
Ich will noch einmal deutlich sagen, welche Ansprüche wir an ein Berichtswesen stellen. Zunächst einmal
ist klar: Es ist eine große Unabhängigkeit erforderlich.
Es nutzt uns nichts, wenn die Beamten in den Ministerien etwas aufschreiben. Das soll ja nach Möglichkeit
gut klingen.
({2})
Vielmehr sollten die Berichte politikfern sein. Wir wollen ein Sachverständigengremium, das von außen auf die
Forschungslandschaft schaut. Wir wollen verlässliche
Zahlen und einen nach OECD- und EU-Kriterien durchgeführten Vergleich mit anderen Ländern - das hat ja die
Kollegin Aigner schon gesagt -, damit wir am Ende sehen können, wo wir stehen.
({3})
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen regelmäßigen Anlass zur Diskussion, den Zwang, sich mit
den Fakten auseinander zu setzen. Deswegen setzen wir
uns dafür ein, diese Berichte in regelmäßigen Abständen
zu bekommen. Wir brauchen eine jährliche Diskussion,
natürlich in der Breite und der Quantität unterschiedlich.
Heute hier im Plenum hat eine Diskussion begonnen
- sie wird sich im Forschungsausschuss fortsetzen -, an
deren Ende wir hoffentlich ein gemeinsames Ergebnis
haben, wie unser Berichtswesen aussehen soll. Das
Recht des Parlaments ist es, sich die Arbeitsgrundlagen
zu schaffen. Deswegen ist diese Diskussion richtig und
sinnvoll. Ich hoffe, dass es uns in den nächsten Wochen
gelingt, im Forschungsausschuss des Bundestages einen
Konsens zu erzielen und am Ende zu einem Kompromiss
zu kommen, mit dem wir alle glücklich sind und der uns
bei der Arbeit hilft.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe hiermit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/266 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf.
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens
vom 31. März 1992 zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee ({0})
- Drucksache 16/38 ({1})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
- Drucksache 16/389 Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Göppel
Angelika Brunkhorst
Lutz Heilmann
Interfraktionell ist verabredet, eine Aussprache von
einer halben Stunde durchzuführen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Kollege
Christoph Pries von der SPD-Fraktion das Wort.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Ich bin sehr froh …, dass der Konsens, der seit vielen Jahren beim Thema des Schutzes der Wale in
diesem Parlament herrscht, fortbesteht.
Dieser Satz stammt aus der letzten Bundestagsdebatte
zum Thema Walfang am 22. Mai 2003. Sein Urheber ist
der Kollege Matthias Berninger vom Bündnis 90/Die
Grünen. Ich schließe mich der Auffassung des damaligen Staatssekretärs ausdrücklich an und hoffe, dass unser Konsens auch in der laufenden Legislaturperiode
fortbesteht. Die SPD-Bundestagsfraktion ist dazu bereit.
Dies gilt zum einen für den weltweiten Schutz der
Wale im Rahmen der Internationalen Walfangkommission. Seit 1986 haben alle Bundesregierungen das Verbot
des kommerziellen Walfangs aktiv unterstützt. Das wird
auch so bleiben. Die Koalition aus CDU, CSU und SPD
bekennt sich ausdrücklich zur Fortsetzung des Walfangmoratoriums.
({0})
Ich sage hier ganz deutlich: Auch der Walfang zu angeblichen Forschungszwecken muss beendet werden.
({1})
Unser parlamentarischer Konsens gilt aber auch für
den Schutz unserer heimischen Kleinwale in der Nordund Ostsee. Sie sind Gegenstand der heutigen Debatte.
Im Zentrum unserer Bemühungen steht der Erhalt des
Schweinswals, auch Kleiner Tümmler oder Braunfisch
genannt.
Der Schweinswal ist die mit Abstand häufigste Walart
in Nord- und Ostsee. Trotzdem war sie 1970 fast völlig
verschwunden. Heute gilt der Schweinswal als bedrohte
Art. Er wird durch zahlreiche internationale Abkommen
geschützt. Die früher übliche Jagd ist seit langem verboten.
Dennoch sind die Bestände des Schweinswals in
Nord- und Ostsee akut gefährdet. Wir alle kennen die
Ursachen. An erster Stelle stehen die unbeabsichtigten
Beifänge der Fischerei. Die Tiere verfangen sich in den
Treib- und Stellnetzen. Entweder sterben sie einen qualvollen Erstickungstod oder sie ziehen sich so schwere
Verletzungen zu, dass sie später verenden. Es gibt aber
noch weitere Gründe für den dramatischen Rückgang
der Bestände: die zunehmende Verschmutzung der
Meere, die Nahrungsknappheit durch Überfischung und
die Einengung der Lebensräume durch die zunehmende
Verlärmung der Meere.
Was sind die Auswirkungen? Eine groß angelegte
Studie kam Mitte der 90er-Jahre zu folgenden Schätzungen über die Schweinswalpopulationen in Nord- und
Ostsee: 270 000 Exemplare in der Nordsee, 36 000 im
Skagerrak und in der Ostsee sowie ebenfalls
36 000 Tiere in der Keltischen See zwischen Irland und
Frankreich. Diese Zahlen klingen zunächst beruhigend.
Aber der Anschein trügt.
Erstens müssen wir die Bestandszahlen in Relation
zur Wasserfläche der Nord- und Ostsee mit knapp
1 Million Quadratkilometer setzen.
Zweitens ist die Bestandsdichte regional sehr unterschiedlich. Im Schutzgebiet für Schweinswale vor der
Küste Nordfrieslands werden zum Teil Bestandsdichten
von bis zu sechs Tieren pro Quadratkilometer ermittelt.
Dagegen ist die Population in der zentralen Ostsee zwischen Darßer Schwelle und der Linie zwischen Gotland
und der litauischen Grenze auf 600 Exemplare zurückgegangen. Das heißt, der Schweinswal ist dort akut vom
Aussterben bedroht. Zum Vergleich: Vor 100 Jahren umfasste dieser Bestand noch mehrere zehntausend Tiere.
Drittens sind die aktuellen Beifangquoten der Fischerei immer noch deutlich zu hoch. Um die Überlebensfähigkeit der gesamten Population nicht zu gefährden, darf
sie 2 Prozent des geschätzten Bestandes nicht übersteigen. Die folgenden Beispiele zeigen, dass wir dieses Ziel
noch nicht erreicht haben. Allein in der zentralen und
südlichen Nordsee verenden nach Schätzungen jährlich
4 500 Schweinswale als Beifang. Bei einem geschätzten
Bestand von 170 000 Tieren entspricht dies einer Beifangquote von 2,6 Prozent. Das ist weit mehr, als die
Population verkraften kann. In der zentralen Ostsee
dürfte die Beifangquote bei einem geschätzten Bestand
von 600 Schweinswalen maximal zwei Tiere pro Jahr
betragen. Zurzeit liegt sie aber mit sechs Exemplaren
dreimal so hoch.
Vor diesem Hintergrund haben sich 1991 zahlreiche
Anrainerstaaten im Abkommen zum Schutz der Kleinwale in der Nord- und Ostsee, kurz ASCOBANS, zum
Erhalt der Kleinwalbestände in der Region verpflichtet.
Unter Federführung des damaligen Bundesumweltministers Klaus Töpfer war Deutschland Gründungsmitglied
des Übereinkommens. Der Bundestag hat den Beitritt
am 29. April 1993 einstimmig beschlossen. Im Rahmen
von ASCOBANS ist es uns durch Informationsaus818
tausch, intensive Forschung und Öffentlichkeitsarbeit
gelungen, Fortschritte - wenn auch keinen Durchbruch beim Schutz der Kleinwale in Nord- und Ostsee zu erzielen. Das Sekretariat des Abkommens befindet sich in
Bonn. Schon deshalb hat Deutschland eine besondere
Verantwortung und eine Vorreiterrolle.
Mit der heutigen Abstimmung über den vorliegenden
Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Schritt. Wir erweitern den Geltungsbereich des Abkommens auf Seegebiete westlich von Großbritannien, Frankreich, Spanien und Portugal sowie rund um Irland. Dadurch
werden die Verbreitungsgebiete der heimischen Kleinwale noch besser abgedeckt. Gleichzeitig schließen wir
die Lücke zum Geltungsbereich des Walschutzabkommens für das Mittelmeer und das Schwarze Meer.
Nach den gestrigen Beratungen im Umweltausschuss
gehe ich davon aus, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf heute endgültig und einmütig verabschieden.
Dies allein wird aber nicht reichen. Tatsache ist, dass
zahlreiche Anrainerstaaten dem Abkommen immer noch
nicht beigetreten sind. Ein Beitritt Norwegens, Estlands,
Lettlands und Russlands würde den Schutz der Kleinwale verstärken. Dies gilt insbesondere für die Umsetzung des Plans zur Rettung der Schweinswale in der zentralen Ostsee. Der so genannte Jastarnia-Plan wurde
2003 von den Vertragsstaaten verabschiedet. Sein Ziel
ist es, in der Ostsee langfristig wieder auf 80 Prozent der
natürlichen Populationsgröße zu kommen. Deshalb hat
die Reduzierung der Beifangquote höchste Priorität.
Der Jastarnia-Plan empfiehlt den Anrainerstaaten, den
Fischereiaufwand mit Treib- und Stellnetzen in der Ostsee zu reduzieren, die Entwicklung von Ersatzfangmethoden und den Einsatz von so genannten akustischen
Vergrämern. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich,
dass es gelungen ist, im Rahmen der Europäischen
Union erste Erfolge bei der Umsetzung des JastarniaPlanes zu erzielen. Der Agrar- und Fischereirat der EU
hat auf seiner Sitzung im März 2004 folgende
Beschlüsse gefasst: den Einsatz von akustischen Vergrämern in der Stellnetzfischerei, den Einsatz von unabhängigen Beobachtern auf Fangschiffen in der Schleppnetzfischerei und das Verbot von Treibnetzen in der Ostsee
ab 2008.
Auf dieser Grundlage werden wir in den kommenden
Jahren arbeiten. Die Koalition hat vereinbart, bei der
Weiterentwicklung der europäischen Fischereipolitik
eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände
durchzusetzen. Darüber hinaus will sich die neue Bundesregierung dafür einsetzen, die Fangtechnologien in
Richtung höchstmöglicher Selektivität weiterzuentwickeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade mit
Blick auf den Walschutz in Nord- und Ostsee ist dies
eine gute Ausgangsbasis.
({2})
Wie bei der Erarbeitung des Jastarnia-Planes bereits geschehen, werden wir eine direkte Beteiligung der Fischer
und ihrer Repräsentanten gewährleisten; denn nur gemeinsam mit den direkt Betroffenen werden wir unser
Ziel erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit einem Zitat aus „Brehms Tierleben“ aus dem Jahre 1915
schließen. Es beschreibt, was zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts eine ganz alltägliche Begegnung in Nordund Ostsee war.
Sobald das Schiff ausgelaufen ist, sammeln sich
drei bis sechs Braunfische in einer Entfernung von
zehn bis fünfzehn Metern um dasselbe und folgen
ihm nun oft über eine Meile ununterbrochen nach,
tauchen, schwimmen unter dem Kiel des Fahrzeuges durch, erscheinen wieder, eilen voraus, beschreiben einen Bogen und kehren von neuem zum
Schiff zurück …
Mit diesem Bild vor Augen sollte uns allen klar sein,
worum es beim Walschutz geht. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass die Generationen unserer Kinder und Enkelkinder die Chance haben, so etwas wieder
zu erleben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile der Abgeordneten Angelika Brunkhorst
von der FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
Debatte wird sehr harmonisch verlaufen; denn der
Schutz der Wale ist ein generelles Anliegen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages. Daher hat es zu diesem Thema bereits im Jahre 2003 einen gemeinsamen
Antrag der FDP, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
SPD gegeben. Sein Titel lautete „Umfassender Schutz
der Walbestände - Verbot kommerziellen Walfangs konsequent durchsetzen“. Darüber hinaus hat die FDP im
Jahre 2004 durch eine Kleine Anfrage mit dem Titel
„Vereinbarkeit von EU-Fischereipolitik und Arten- sowie Tierschutz von Schweinswalbeständen in der Ostsee“ auf die verschiedenen Probleme hingewiesen, die
sich für die deutschen Gewässer ergeben.
Angesichts der Bedrohung der Walbestände sowohl
durch äußere Einflüsse als auch durch den kommerziellen Walfang wird ganz deutlich, dass diese Tierart noch
mehr geschützt werden muss.
({0})
Denn ihre Ursachen, die bereits angesprochen wurden
- die Eutrophierung der Meere, der Eintrag von Schadstoffen und die Zunahme von Unterwasserlärm -, bestehen fort und verstärken sich. Die Überfischung - das
wurde schon gesagt - führt für diese Wale auch zu Nahrungsknappheit.
Kleinwale und Delphine finden leider den Tod durch
Beifang. Der unbeabsichtigte Fang von Meeressäugern
ist zum Problem geworden. Wir möchten einen nachhaltig betriebenen Fischfang in den deutschen Gewässern
gewähren. Deswegen muss die Industriefischerei bzw.
- wie man so schön sagt - die Gammelfischerei beendet
werden. Das ist für den Erhalt der Wale unabdingbar.
({1})
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt die Fangmethoden
ab, die wahllos Meerestiere für die Verarbeitung zu
Fischöl und Fischmehl anlanden. Wir wollen eine deutliche Minderung des Beifangs von Meeressäugern erreichen. Daher sind wir der Meinung, dass die schon
beschriebenen umweltfreundlichen Fangmethoden zum
Einsatz kommen müssen.
Die Treibnetzfischerei ist in der Ostsee ab 2008 verboten. Nun müssen wir darauf hinwirken, dass auf europäischer Ebene eine kohärente Fischereipolitik betrieben
wird, die einerseits dazu beiträgt, dass die Fischbestände
nachhaltig bewirtschaftet werden, und die andererseits
die wirtschaftlichen Perspektiven der deutschen
Fischereiwirtschaft, die Vorreiter beim Meeresschutz
ist, erhält.
({2})
Wie wir meinen, dient das zugleich dem Schutz der einzigen in den deutschen Gewässern vorkommenden Walart, dem Schweinswal. Dabei geht es aber auch um die
Glaubwürdigkeit Deutschlands im Hinblick auf seine ablehnende Haltung zum kommerziellen Walfang überhaupt.
Wir begrüßen daher nachdrücklich den vorliegenden
Gesetzentwurf zur Neufassung des ASCOBANSAbkommens. Die Ausdehnung des Schutzgebietes
westlich von Großbritannien, um Irland herum, sowie
westlich von Frankreich, Portugal und Spanien ist willkommen. Wir meinen, dass dieses in Deutschland im
Jahre 1994 in Kraft getretene internationale Abkommen
dadurch weiteren Vorschub erhält.
Wir haben uns beim ASCOBANS-Sekretariat erkundigt, welche Staaten tatsächlich Partner dieses Abkommens sind: Mittlerweile sind es zehn Anrainerstaaten,
nämlich neben Deutschland auch Belgien, Dänemark,
Finnland, die Niederlande, Polen, Schweden, das Vereinigte Königreich und seit Ende letzten Jahres auch
Frankreich und Litauen. Natürlich wäre es sehr willkommen, wenn die von meinem Vorredner bereits genannten
Länder wie Norwegen ebenfalls beitreten würden; das
wird sich vielleicht noch ergeben.
Mit der Erweiterung des Seegebiets des
ASCOBANS-Abkommens wird auch den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die vorliegen, Rechnung getragen:
auf ein ausgedehnteres Verbreitungsgebiet hinzuwirken.
Damit finden die zusammenhängenden Bestände, die
Verbreitungsgebiete und die Wanderungskorridore ökologisch sinnvoll Berücksichtigung. Zudem denken wir,
dass die Anknüpfung der bereits vorhandenen Schutzgebiete im Atlantik, im Mittelmeer sowie im Schwarzen
Meer unter dem ASCOBANS-Abkommen sehr viel einfacher ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch auf den 6. Umweltaktionsplan der Europäischen Union hinweisen - wir
haben ihn gerade im Umweltausschuss andiskutiert -,
bei dem es um die Entwicklung einer Meeresschutzstrategie geht. Auch die vorliegende Mitteilung der Kommission und der Richtlinienvorschlag gehen auf die gleichen bereits genannten äußeren Einflussfaktoren ein.
Die Probleme des Fischfangs, der Umwelteinflüsse, der
Seeschifffahrt und der Wasserqualität sollten intensiv beraten werden. Auch unter dem Gesichtspunkt dieser EUStrategie ist das ASCOBANS-Abkommen folgerichtig.
Ganz zum Schluss möchte ich daran erinnern, dass
die Erweiterung der Abkommensgrenzen nur ein Teilschritt ist. Wir können hier nicht Halt machen. Weitere
sinnvolle und erforderliche Schutzmaßnahmen liegen in
der Verantwortung Deutschlands.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ingbert Liebing
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Über den Gesetzentwurf zur Ausweitung
des ASCOBANS-Abkommens zum Schutz der Kleinwale in der Nord- und Ostsee haben wir gestern bereits
im Umweltausschuss diskutiert. Wie heute schon festgestellt wurde, gibt es über die Fraktionsgrenzen hinweg
große Einigkeit. Die Ausweitung des Vertragsgebietes
gibt Sinn, weil wir wissen, dass die Kleinwale sehr viel
größere Verbreitungsgebiete haben, als das früher einmal
vermutet wurde. Und es gibt auch Sinn, die Verbindung
zum Kleinwalschutz im Mittelmeer zu schaffen. Das alles ist gut und dient dem Schutz der Kleinwale und eigentlich bräuchten wir über das, was hier zur Abstimmung vorliegt, gar nicht groß zu diskutieren, sondern
könnten gleich abstimmen.
({0})
Dennoch haben die Grünen diese Debatte beantragt.
Einen konkreten Anlass dafür gibt es nicht, wie sie mir
bei den Ausschussberatungen gestern selbst bestätigt haben. Wahrscheinlich brauchen sie diese Grundsatzdebatte über den Walschutz, um mal wieder ein Thema zur
eigenen Profilierung zu haben. Dann allerdings, meine
Damen von den Grünen, verstehe ich nicht, dass die
Grünen-Fraktion nur von Ihnen beiden Kolleginnen vertreten ist.
({1})
- Dann müssten Sie dem Thema nur geringe Bedeutung
beimessen; daran habe ich aber meine Zweifel.
({2})
Wenn wir diese Debatte schon führen, dann bitte ordentlich, und dann müssen wir ein paar Fakten zur
Kenntnis nehmen. Vom Kollegen Pries ist bereits ausgeführt worden, dass wir in den letzten Jahren eine Erholung der Schweinswalbestände zu verzeichnen hatten.
Im Sommer werden uns die Ergebnisse einer aktuellen
Zählung der EU vorliegen, die noch weiter gehende Bestandserholungen dokumentieren. Wir befinden uns also
auf einem guten Weg und dies ist sicherlich auch ein Ergebnis des ASCOBANS-Abkommens und der darin verabredeten Maßnahmen.
Es ist aber auch ein Erfolg technischer Schutzmethoden der Fischerei, zum Beispiel des Einsatzes von Pingern, von akustischer Vergrämung. Es ist gut, dass es
auch hier immer wieder Fortentwicklungen gibt. Denn
die ersten technischen Instrumente, die auf den Stellnetzen eingesetzt wurden, gaben ja noch permanent akustische Signale ab, was dazu führte, dass die Schweinswale
eher verwirrt wurden. Jetzt gibt es interaktive Pinger, die
nur dann Signale aussenden, wenn sich Schweinswale
nähern. Auch hier ist die Fischerei also dabei, mit eigener, neuer Technik etwas Gutes für den Schutz der
Schweinswale zu tun. Auch das hat dazu geführt, dass
die Beifänge in der deutschen Nordsee deutlich reduziert
worden sind.
Auch auf der Ebene der EU ist viel erreicht worden,
um fischereirechtlich dem Walschutz in der Nord- und
Ostsee Rechnung zu tragen.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen - das
sagte ich bereits -, dass die Kleinwale ein sehr viel größeres Verbreitungsgebiet haben, als es früher angenommen wurde. Ihr Verbreitungsgebiet lässt sich räumlich
eben nicht eng abgrenzen. Diese falsche Annahme war
zum Beispiel Grundlage für die Ausweisung eines speziellen Walschutzgebietes in meiner Heimat direkt vor den
Inseln Sylt und Amrum. Dort sei die Kinderstube der
Schweinswale, war damals die Begründung, eine Begründung, die heute aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse so nicht mehr haltbar ist.
Das gibt mir Veranlassung, klarzustellen: Der Schutz
der Kleinwale ist richtig und wichtig. Es ist gut, dass wir
uns allesamt in diesem Hause von allen Fraktionen diesem Ziel verschrieben haben. Man muss den Schutz der
Schweinswale aber auch richtig betreiben. Deswegen
fordere ich Sie, meine Damen von den Grünen, auf, Ihren Fraktionskollegen Rainder Steenblock nach seinen
Erinnerungen zu diesem Thema zu fragen. Als Umweltminister in Schleswig-Holstein hatte er das Thema genauso falsch angefasst wie sein grüner Nachfolger Klaus
Müller, der Ihrer Fraktion in diesem Hause auch einmal
angehört hat. Fragen Sie die beiden einmal, was sie mit
ihrem Aktionismus erreicht haben! Sie haben versucht,
sich mit naturschutzrechtlichen Regelungen zu profilieren, die effektiv aber überhaupt nichts gebracht haben.
Tatsächlich waren die fischereirechtlichen Wege weitaus
erfolgversprechender. Solche Regelungen sind sicherlich
schwieriger handhabbar, sind zum Schutz aber viel effektiver.
({3})
Fragen Sie auch einmal Ihren Kollegen Herrn Trittin,
der noch am 18. Februar vergangenen Jahres - zwei
Tage vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl; da
musste noch einmal Aktionismus an den Tag gelegt werden - die neue Küstenfischereiordnung von Klaus
Müller groß gelobt hat. Diese Verordnung hat effektiv
aber nichts gebracht oder wesentlich verändert. Sie beinhaltet Vorgaben für die deutsche Fischerei, bestimmte
Stellnetze nicht mehr einzusetzen, die dort aber ohnehin
kaum noch im Einsatz waren. Die Dänen aber dürfen
dort noch weiterhin mit diesen Netzen fischen. Das war
purer Aktionismus, ohne in der Sache etwas zu bringen.
({4})
Dies geschah acht Jahre nachdem sich der Kollege
Steenblock als Umweltminister in Kiel an diesem Thema
abgemüht hatte. Immerhin haben Sie von den Grünen in
diesen Jahren auch hier in Berlin mitregiert, waren aber
auch hier nicht in der Lage, manche wohlklingenden Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Fragen Sie also
nach, was daraus geworden ist!
Wir haben inzwischen auf der Grundlage des
ASCOBANS-Abkommens, durch EU-Fischereirecht
und durch intelligente Technik sehr viel mehr für den
Schutz der Kleinwale erreicht als durch manch andere
Politik.
Der Schutz der Kleinwale ist gut, aber man muss ihn
auch richtig betreiben. Mit Ihrer Alibi- und Symbolpolitik, wie ich sie oft zu Hause in Schleswig-Holstein, an
dessen Küste Schweinswale vorkommen, erlebt habe, erreicht man das Ziel eben nicht. Das Thema ist wichtig
und eignet sich nicht für parteipolitische Profilierungen.
Auch die Ausdehnung des Vertragsgebietes von
ASCOBANS ist gut und richtig. Deswegen wird die
CDU/CSU-Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern wurde ein toter Finnwal aus dem Hafenbecken
von Warnemünde gezogen; Sie haben das sicherlich genauso verfolgt wie die Aktion von Greenpeace vor der
japanischen Botschaft. Nun kommen Finnwale normalerweise nicht in der Ostsee vor. Auch woran er verendet
ist, bleibt vorerst Spekulation.
Dass es den Walen weltweit alles andere als gut geht,
das wissen wir, darüber wurde hier schon breit diskuEva Bulling-Schröter
tiert. Diese Einschätzung trifft auch auf die Kleinwale in
den europäischen Gewässern zu. Das Abkommen zur
Erhaltung der Kleinwale in Nord- und Ostsee,
ASCOBANS, trägt dem seit einigen Jahren Rechnung.
Hauptgefahrenquellen für Schweinswale sind weiterhin Fischereinetze, insbesondere Kiemennetze, wie sie
für den Fang von Kabeljau, Lachs oder Steinbutt verwendet werden. Von diesen Netzen gibt es mehr als genug. Schließlich haben die EU-Fischereiminister entgegen allen wissenschaftlichen Empfehlungen gerade
beschlossen, den Bestand an Kabeljau in Nord- und Ostsee über unsinnig hohe Fangquoten weiter zu dezimieren. Damit handelt die EU entgegen den Empfehlungen
des Internationalen Rates für Meeresforschung. Auch
wenn es ums Meer geht, steht Nachhaltigkeit in Europa
nur auf dem Papier. Die kurzfristigen Interessen der
Fischereiwirtschaft gehen vor. Ist es nicht grotesk, dass
im Bürokratiemoloch Europa gerade dort die Politik völlig versagt, wo allein gesamteuropäisches Handeln die
Fischbestände und auch die Einkommen der Fischer
langfristig schützen müsste?
Nun haben wir für die Kleinwale das ASCOBANSAbkommen. Das ist dem Inhalt nach begrüßenswert,
verpflichtet völkerrechtlich allerdings zu nichts. Es werden mit ihm nicht einmal Walschutzgebiete festgesetzt.
Die vorgesehene Erweiterung ist lediglich eine Erweiterung des Geltungsbereiches des Abkommens auf den
Westatlantik und die Irische See. Im Wesentlichen geht
es um wissenschaftliche Zusammenarbeit und um die
Erstellung von Plänen, wie der Schutz von Kleinwalen
umgesetzt werden soll.
Zur Umsetzung können unter anderem Walschutzzonen gehören, beispielsweise solche, die SchleswigHolstein eingerichtet hat. Im letzten Jahr hat das Land
auch endlich die Stellnetzfischerei in dem Gebiet verboten. Allerdings müssen die deutschen Küstenfischer mit
ansehen, wie die dänischen weiterhin fleißig Stellnetze
auslegen, in denen nach wie vor Tausende Schweinswale
grausam verenden. Herr Liebing, hier wäre die Koalition
gefragt, tätig zu werden. Sie haben das ja auch angesprochen.
Die Stellnetze haben zusammen eine Länge von mehreren Tausend Kilometern. Ein befreundeter Umweltschützer hat uns von Kontrollfahrten erzählt, auf denen
Unmengen verendeter Tiere in den Netzen hingen, und
das, obwohl Dänemark zu den Unterzeichnerstaaten von
ASCOBANS gehört.
Die Norweger sind dem Abkommen gar nicht erst
beigetreten. Zuverlässige Informationen über die
Schweinswalbeifänge der norwegischen Kiemennetzflotte existieren praktisch leider nicht. Die Walschutzorganisation WCDS schätzt die maximale Höhe solcher
Beifänge, die nicht die jeweilige Population gefährden,
auf 1 Prozent des Bestandes. Real sind es jährlich aber
schon circa 5 bis 6 Prozent. Das ist wesentlich zu viel.
Mit anderen Worten: Irgendwann werden die Schweinswale auch in der Nord- und Ostsee genauso wie im Mittelmeer an den Rand der Ausrottung getrieben.
Wenn das verhindert werden soll, dann muss die Bundesregierung im Rahmen von ASCOBANS konsequent
dafür streiten, dass neben der Gebietsausdehnung auch
die anderen neun im August 2003 beschlossenen Resolutionen der 4. Vertragsstaatenkonferenz umgesetzt werden. Die Verminderung der Beifänge steht dabei an allererster Stelle. Zudem müssen die chemischen und
akustischen Verschmutzungen der Weltmeere drastisch
sinken. Darüber haben wir im Bundestag schon oft gesprochen. Meiner Ansicht nach gehört auch das Verbot
der militärischen Sonarortung dazu, die nachweislich
schon vielen Walen das Leben gekostet hat.
Es besteht also Handlungsbedarf. Es gibt so viel Einheit hier im Bundestag. Lassen Sie es uns angehen!
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Das Wort hat die Abgeordnete Cornelia Behm von der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! ASCOBANS ist das Deutschland unmittelbar
berührende regionale Abkommen zum Schutz der Kleinwale.
Nun soll das Abkommensgebiet erweitert werden, um
das Verbreitungsgebiet mehrerer Kleinwalarten besser
abzudecken. Das ist gut und richtig. Das hat die rotgrüne Regierung seinerzeit auch so gesehen und darum
schon im Mai 2005 einen entsprechenden Kabinettsbeschluss gefasst. Wie die jüngsten Ausschussberatungen
und auch die Debatte hier im Hause zeigen, sehen das
auch alle Fraktionen des heutigen Deutschen Bundestages so. „Warum findet dann eine Debatte im Plenum
statt?“, haben Sie mich gefragt. Ich meine, es reicht
nicht, dass Deutschland Schutzabkommen unterzeichnet.
Es muss auch alles unternehmen, um sie mit Leben zu
erfüllen. Das ist der springende Punkt.
Hier ist die Vorgängerregierung erfreulich aktiv gewesen. Dennoch hat sich die Situation der Schweinswale, Tümmler und Delphine im Verbreitungsgebiet
nicht wesentlich verbessert. Im Gegenteil: Einige Arten
sind im Bestand erheblich gefährdet. Die Gründe hierfür
sind heute schon mehrfach genannt worden. An erster
Stelle steht der Beifang, insbesondere in meist dänischen
Grundstellnetzen für Kabeljau und Steinbutt. Aber die
Gründe sind auch Nahrungskonkurrenz durch Fischfang,
Schadstoffbelastungen durch Verschmutzung der Meere,
Störungen durch diverse menschliche Aktivitäten in und
auf dem Meer. Für die Zukunft werden noch eine ganze
Reihe ungeahnter Probleme durch die Erwärmung der
Erdatmosphäre hinzukommen.
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- Ich rede vom Verbreitungsgebiet.
Was also ist zu tun? Die Verbesserung der Fangmethoden muss auf Reduzierung der Beifänge abzielen.
Der Überfischung der Meere muss Einhalt geboten werden. Das heißt, TACs und Quoten müssen tatsächlich
einer bestandserhaltenden Fischerei dienen. Kontrollen
müssen die Einhaltung sicherstellen. Schadstoffeinträge
in die Meere müssen verhindert werden. Eine Verklappung von Abfällen auf See darf es nicht mehr geben.
Einwandige Öltanker müssen stillgelegt werden. Stoffeinträge aus der Landwirtschaft müssen und können
durch Minimierungsstrategien weiter reduziert werden.
Lärm und Störungen verursachende Nutzungen und
Unterwasseraktivitäten durch den Menschen müssen auf
das notwendige Maß beschränkt werden. Meeresschutzgebiete müssen ausgewiesen und vor allen Dingen von
allen anthropogenen Aktivitäten freigehalten werden.
Bei der Abwendung möglicher katastrophaler Folgen
des Klimawandels muss Deutschland weiter Antrieb und
Vordenker sein.
Leider aber ist festzustellen, dass die neue Bundesregierung in Bezug auf die wichtigsten Maßnahmen, die
dem Schutz der Kleinwale dienen, längst nicht so ambitionierte Ziele verfolgt, wie das unter grüner Regierungsbeteiligung der Fall war. Das betrifft sowohl die
Beifangproblematik als auch den Fischereiaufwand. Ich
erinnere daran, dass die 2004 von der EU beschlossenen
Maßnahmen, um Beifänge von Kleinwalen in der EUFischerei drastisch zu reduzieren, wesentlich auf das
Drängen der damaligen grünen Ministerin Renate
Künast zurückgehen. Allerdings müssen Beifänge noch
immer nicht angelandet und auf die erlaubten Fangmengen angerechnet werden. Das wäre tatsächlich ein wirksamer Anreiz zur Verminderung der Beifänge. Hier besteht dringend Handlungsbedarf.
Bei den Verhandlungen über TACs und Quoten im
vergangenen Dezember hat die Bundesregierung kein
Ruhmesblatt errungen. Sie hat insbesondere für den
Dorsch in der Ostsee einer weiteren Überfischung zugestimmt, anstatt die bekanntermaßen höchst gefährdeten
Bestände durch ein befristetes Fangverbot zu schützen.
Unter dem Strich: Den schönen Worten im Abkommen müssen Taten folgen, sonst werden weder der
Jastarnia-Plan, das heißt der ASCOBANS-Rettungsplan
für die Schweinswale in der Ostsee, noch andere Pläne,
die die Erhaltung der Kleinwale als Teil des Naturerbes
der nordeuropäischen Meere zum Ziel haben, erfolgreich
sein.
Es sollte uns Parlamentariern ein Anliegen sein, diese
Fragen nicht allein der Regierungsdiplomatie zu überlassen, sondern ein wachsames Auge auf die Umsetzung
der Pläne zu haben. Deshalb führen wir heute hier diese
Debatte.
Herzlichen Dank. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abkommens vom 31. März 1992 zur Erhaltung
der Kleinwale in der Nord- und Ostsee auf Drucksache 16/38. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/389,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich der
Stimme enthalten? - Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Genießen Sie die Einsichten des heutigen Tages und
haben Sie einen schönen Abend.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20. Januar 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.