Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/6/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Einen sehr schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt es einiges mitzuteilen. Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart, während der Haushaltsberatungen ab dem 11. September 2007 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann wird so verfahren. Der Ältestenrat ist ebenfalls übereingekommen, bei EU-Vorlagen folgendes Verfahren im Hinblick auf eine Änderung der Geschäftsordnung zu erproben: Erstens. Bei Unionsdokumenten, die Vorhaben im Sinne der Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union entsprechen, wird bei der Vorbereitung der Überweisungsentscheidung die Beratungsrelevanz des Dokuments in Abstimmung mit den Fraktionen bewertet; dies ist die sogenannte Priorisierung. Zweitens. Wird die Beratungsrelevanz von keiner Fraktion bejaht, unterbleibt eine Überweisung. Drittens. Es ist vorgesehen, die hiernach nicht überwiesenen Unionsdokumente nach Unterrichtung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union in der Sammelübersicht gemäß § 93 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung gesondert auszuweisen. Sind Sie mit der vorgeschlagenen Erprobung einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die von der Fraktion Die Linke beantragte und heute als letzter Tagesordnungspunkt vorgesehene Aktuelle Stunde zur Datenvernichtung bei der Bundeswehr soll entgegen der Ankündigung nicht mehr durchgeführt werden und entfällt. ({0}) - Vielleicht können wir ein seelsorgerischeres Gespräch anbieten, wenn es jemand heute Nachmittag ohne diese Aktuelle Stunde nicht aushalten kann. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Verbes- serung der Qualifizierung und Beschäfti- gungschancen von jüngeren Menschen mit Vermittlungshemmnissen - Drucksache 16/5714 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Ver- besserung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen - Drucksache 16/5715 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) - Drucksache 16/5933 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Ralf Brauksiepe bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/5934 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Redetext Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- KEN Für eine Ausweitung und eine neue Qualität öffentlich finanzierter Beschäftigung - zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren - Drucksachen 16/2504, 16/2652, 16/5495 - Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Roland Claus, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Freigabe der im Bundeshaushalt einbehaltenen Mittel der Arbeitsmarktpolitik für das Jahr 2007 - Drucksachen 16/4749, 16/5812 Berichterstattung: Abgeordneter Jörg Rohde Zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Zweiten und Dritten Buches Sozialgesetzbuch liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Es ist verabredet, eineinviertel Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich ebenfalls keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem Kollegen Klaus Brandner von der SPD-Fraktion das Wort. ({5})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der guten Arbeitsmarktlage fragen sich viele, warum wir uns für eine Jobperspektive und für mehr Unterstützung Jugendlicher auf dem Weg in eine Beschäftigung starkmachen. In der Tat, die Arbeitsmarktsituation ist vielversprechend. Die Arbeitslosigkeit geht deutlich zurück. In diesem Jahr gibt es gegenüber dem Vorjahr 712 000 Arbeitslose und 350 000 Langzeitarbeitslose weniger. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt, die Anzahl der offenen Stellen steigt. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es 600 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr. Wie wir heute erfahren werden, ist die Bundesagentur für Arbeit auch finanziell äußerst gut ausgestattet. Anstelle eines Defizits von 4,3 Milliarden Euro in diesem Jahr werden voraussichtlich - so wird geschätzt - Überschüsse in Höhe von 5 Milliarden Euro erzielt. All das ist keine kurzfristige Laune der Konjunktur, sondern Basis unserer guten Reformarbeit, Basis einer nachhaltigen Politik für Wachstum und Beschäftigung. Dennoch, um es klar zu sagen, werden nicht alle Arbeitslosen aufgrund dieser Situation eine Perspektive haben. Insbesondere Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, ohne Berufsausbildung, mit geringer Qualifikation oder Ältere sind besonders häufig langzeitarbeitslos. Auch bei einer weiter verbesserten Arbeitsmarktlage wird es uns nicht gelingen, alle Langzeitarbeitslosen mit den bisher verfügbaren Instrumenten in Beschäftigung zu bringen. Bei vielen Langzeitarbeitslosen sind diese Möglichkeiten im Übrigen ausgeschöpft. Es gibt noch weiteren Handlungsbedarf. Zu viele Jugendliche verlassen die Schule ohne einen Abschluss. Im Mai gab es fast eine halbe Million Langzeitarbeitslose ohne Schulabschluss. Es darf nicht sein, dass sich bereits mehr als die Hälfte der Ausbildungsplatzbewerber schon im zweiten oder dritten Jahr in Warteschleifen befinden, um einen Ausbildungsplatz zu finden. Darüber hinaus haben zu viele Jugendliche nach der Ausbildung keine Anschlussperspektive. Deshalb brauchen wir nicht nur eine bessere Kinderbetreuung und bessere Schulen. Hier sind die Länder gefordert. Man darf sicherlich Herrn Minister Laumann sagen, dass dies ein Hinweis an die nordrhein-westfälische Schulministerin ist, in die Hände zu spucken und dafür zu sorgen, dass die Ausgangssituation für Jugendliche besser wird. Wir wissen aber auch, dass die Aktivitäten im Bildungswesen zur Lösung aktueller Probleme zu spät kommen. Deshalb haben wir zwei Gesetze auf den Weg gebracht. Mit der Jobperspektive schaffen wir für 100 000 Menschen Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft. Darüber hinaus organisieren wir mit einem Beschäftigungszuschuss sozialversicherungspflichtige Jobs und neue Arbeitsfelder. Mit dem zweiten Gesetz werden wir speziell Jugendliche ansprechen. Sie sollen leichter einen Arbeitsplatz finden, sich bei der Arbeit bewähren und ihre Qualifikationen verbessern können. ({0}) Dazu führen wir einen Qualifizierungszuschuss ein, der sich an Jugendliche ohne Ausbildung richtet. Für Jugendliche mit Ausbildung, aber ohne Arbeit gibt es künftig einen besonderen Eingliederungszuschuss. Zur besseren Vorbereitung auf eine Ausbildung wird es die betriebliche Einstiegsqualifizierung für Jugendliche, EQJ, als reguläres Instrument geben. Betriebe wollen wir bei der Ausbildung von Jugendlichen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, unterstützen. Deswegen wird es künftig sozialpädagogische Begleitung und organisatorische Unterstützung bei betrieblicher Berufsausbildung und Berufsvorbereitung geben. ({1}) Ganz wichtig ist auch, dass sich Jugendliche möglichst frühzeitig Gedanken über die berufliche Zukunft machen. Daher bauen wir die Möglichkeit der Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen aus. Damit haben wir ein ganzes Paket geschnürt, um jungen Menschen den Einstieg in die Arbeit zu erleichtern. Zurück zur Jobperspektive. Dem heutigen Tag ist eine lange, nicht immer einfache Debatte vorausgegangen. Wir als SPD mussten viel Überzeugungsarbeit zu diesem Thema leisten. Ein wichtiger Schritt war die Einigung von SPD und Union in der Koalitionsvereinbarung. Ein weiterer wichtiger Schritt wurde in der Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt unternommen, in der unter Leitung des Arbeitsministers Franz Müntefering dieses Thema einen besonderen Stellenwert eingenommen hat. Arbeitsminister Karl-Josef Laumann und ich haben dazu Eckpunkte formuliert. Ich bin überzeugt, das, was wir erarbeitet haben, wird vielen Menschen neue Hoffnung und Halt geben. ({2}) Ich will es klar sagen: In dieser Zusammenarbeit hat sich gezeigt, dass diejenigen, die wissen, wovon sie reden, die nahe bei den Menschen vor Ort sind, sozialpolitisch richtige Instrumente auf den Weg bringen, um diesen Menschen, die ansonsten dauerhaft vor der Tür bleiben würden, ihre Würde zurückzugeben. Das ist unser Anliegen. Wir sind überzeugt, dass wir das mit diesem Instrument auch erreichen werden. ({3}) Auf unserem Weg haben wir viel Bestätigung erfahren. Die Wohlfahrtsverbände zum Beispiel, die AWO, die Diakonie, die Caritas, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund haben den Prozess frühzeitig begleitet und uns darin bestärkt, dass die Jobperspektive der richtige Weg ist. Noch vor einigen Tagen hat sich der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege ausdrücklich für die Initiative bedankt. Das hat uns sehr gefreut, bestätigt und darin unterstützt, diesen Weg konsequent zu gehen. Die Anhörung in dieser Woche hat gezeigt - das will ich deutlich sagen -, dass wir richtig liegen. Das steht in krassem Widerspruch zu dem Nörgeln der Opposition an diesem Gesetzespaket in den letzten Tagen und auch im Ausschuss. ({4}) Das mag den einen oder anderen enttäuschen. Mich hat es nicht enttäuscht, aber es hat gezeigt, dass Sie nicht auf der Seite derjenigen sind, die eine besondere Unterstützung brauchen. Teilen der Opposition geht es anscheinend nicht darum, den Menschen zu helfen, die eine ganz besondere Unterstützung und Achtung in dieser Gesellschaft brauchen. Sie verhöhnen die Menschen - zumindest bei der FDP war das klar zu sehen -, indem Sie immer wieder das Bild vom unbeweglichen und allzu bequemen Arbeitslosen malen, ({5}) der aufgrund eigener Schuld keine Arbeit findet und sich in der Arbeitslosigkeit, so wie Sie es im Ausschuss fast wörtlich gesagt haben, bequem eingerichtet hat. ({6}) Was die Fraktion der Linken und der Grünen geboten haben, war aus meiner Sicht einmal mehr nicht konsequent; denn sie sind noch nicht einmal ihrer eigenen Linie treu geblieben. Sie mäkeln nur herum und lassen die Menschen im Stich. ({7}) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Erst rennen Sie der Regierung thematisch hinterher und schieben eigene Anträge nach; dann winden Sie sich durch Ablehnung des Gesetzes aus der Verantwortung und verabschieden sich im Ergebnis von Ihrer eigenen Initiative. - Frau Pothmer, es ist so. ({8}) Sie sagen auf der einen Seite: Wir haben kein Vertrauen zum Fallmanagement. Die finanzielle Ausstattung ist natürlich, wie immer, viel zu gering. - Auf der anderen Seite reist die Opposition übers Land und fordert: Wir müssen die Entschuldung dieses Staates schneller voranbringen. Sie sind da nicht mutig genug und nicht konsequent genug. ({9}) Vor Ort wollen Sie aber das Füllhorn ausschütten und sich als Wohltäter gerieren. Das ist nicht konsequent, das ist widersprüchlich, und das muss hier deutlich gesagt werden. ({10}) Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die den Menschen hilft, selbst ihr Geschick zu lenken. Das war richtig, und das bleibt richtig. Die Menschen haben ein Recht auf Teilhabe und gerechte Entlohnung. Wir wissen, wie unsere europäischen Nachbarn mit dieser Herausforderung umgegangen sind. Wenn wir uns die Statistiken dazu ansehen, dann erfahren wir ganz schnell, dass dort Erwerbsunfähigkeit völlig anders definiert ist. In Deutschland sind 3,1 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter erwerbsunfähig, in Großbritannien sind es 6,3 Prozent und in den Niederlanden sind es sogar 8,8 Prozent. Das heißt, man gibt diesen Menschen keine Perspektive. Man gibt den Menschen nur materielle Unterstützung. Man stempelt sie ab. Wir wollen genau das Gegenteil. ({11}) Für uns ist wichtig, dass ein Arbeitsplatz und die damit verbundene Selbstständigkeit erreicht werden. Selbstbestimmtes Leben wird aus unserer Sicht nur durch Arbeit erreicht. Arbeit ist zentral. Sie fördert die Selbstachtung und das Selbstwertgefühl. Deshalb wollen wir offensiv an der Initiative arbeiten, Menschen auf dem regulären Arbeitsmarkt eine Jobperspektive zu geben. Wie sieht das konkret aus? Wir haben uns mit der Jobperspektive deutlich gegen den Ausbau des Niedriglohnsektors entschieden. Das würde auch nur in die Sackgasse führen. Deshalb wollen wir gesellschaftlich anerkannte Beschäftigungsmöglichkeiten in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, das heißt mit Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Die Drehtüreffekte, die wir aus der Vergangenheit kennen, wollen wir vermeiden. Deshalb sollen keine Arbeitslosenversicherungbeiträge gezahlt werden. Die öffentliche Beschäftigung für diesen Personenkreis muss alternativlos sein. Voraussetzung ist also, dass die arbeitsmarktpolitischen Instrumente keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet haben. Nur dann setzen wir das neue Instrument an. Die Entscheidung darüber, wer zu diesem Personenkreis gehört, soll der Fallmanager vor Ort treffen. Es geht uns um Personen, die nach realistischer Erwartung innerhalb der nächsten 24 Monate keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt haben und schon zwölf Monate arbeitslos waren. Für diejenigen, die wirklich draußen vor der Tür sind, bauen wir also eine Jobperspektive auf. ({12}) Bei Handwerkern, in Betrieben, in Integrationsunternehmen, also in einem vielfältigen Umfeld, werden diese Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden, seien es Hausmeistertätigkeiten, seien es Reinigungsarbeiten oder sei es eine Teilefertigung, so wie sie in vielen Integrationsbetrieben schon heute möglich ist. Aber es gibt auch gewerbliche Unternehmen, die aufgrund einer nicht interessanten Marktausgangssituation Tätigkeiten nicht anbieten, und auch da können für den genannten Personenkreis Jobs organisiert werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke an Wäschehol- und -bringdienste, an Einkaufsdienste für ältere Mitbürger, die ohne diesen Service beispielsweise in solchen Regionen, wo keine öffentliche Nahversorgung mehr gegeben ist, ins Heim müssten. Es gibt auch im sozialen Umfeld viele Betätigungsfelder, wo Arbeit geleistet werden kann. Insgesamt gesehen - lassen Sie mich das deutlich sagen - geht es uns darum, durch eine ausreichende Finanzierung im Bundeshaushalt und natürlich auch durch Unterstützung der Kommunen, die ja letztlich entlastet werden, sicherzustellen, dass den Arbeitslosen bessere Chancen geboten werden, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen. 100 000 Menschen soll die Perspektive eröffnet werden, in einem regulären Job arbeiten zu können. Das ist unser Ziel. Das werden wir auch erreichen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möglicherweise bin ich missverstanden worden: Die Zeit für die Aktuelle Stunde sollte nicht auf diese Debatte übertragen werden. Das sage ich an die Adresse all derjenigen, die noch beabsichtigen, ihre Redezeit zu überziehen. Der nächste Redner ist der Kollege Dirk Niebel für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist völlig in Ordnung und lässt sich überhaupt nicht vermeiden, dass Menschen Fehler machen. Das darf man Menschen auch nicht übel nehmen. Was man Menschen übel nehmen muss, ist, wenn sie aus den vorausgegangenen Fehlern nicht lernen und sie immer wieder machen. Genau das passiert heute mit diesem Gesetzgebungsvorhaben. ({0}) Die Bundesregierung bzw. die sie tragenden Fraktionen legen hier zwei neue Gesetzentwürfe zu Einstellungs- bzw. Lohnkostenzuschüssen und zur Unterstützung des zweiten Arbeitsmarktes vor: zwei weitere zu all den vielen, die wir schon heute haben. Noch bevor sie abschließend beraten sind, kommt der Bundesarbeitsund -sozialminister mit einem weiteren Blumenstrauß in Form des Kommunalkombi für die Verschönerung des Dschungels arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Das nützt nicht den Menschen, das kostet nur das Geld, das Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu zahlen haben, und führt deswegen in die Irre. ({1}) Am 11. November 2005 - der 11.11. ist ja schon allgemein ein bemerkenswertes Datum, aber dieser ganz besonders - haben die CDU, die CSU und die SPD einen Koalitionsvertrag unterschrieben. Ich zitiere aus diesem Vertrag: Die Vielzahl unterschiedlicher Förder-Instrumente ist für die Menschen kaum noch überschaubar. Vieles deutet darauf hin, dass einzelne Maßnahmen und die damit verbundenen teilweise umfangreichen Mittel der Arbeitslosenversicherung zielgenauer, sparsamer und effizienter eingesetzt werden können. ({2}) CDU, CSU und SPD werden daher alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf den Prüfstand stellen. Das, was sich als wirksam erweist und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit oder zu Beschäftigung führt, wird fortgesetzt. Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft. Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden Jahres - das war 2006 abgeschlossen sein. ({3}) Sie haben das völlig richtig festgestellt: eine Vielzahl unterschiedlichster arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Derzeit gibt es einen Zuschuss für Jüngere, einen Zuschuss für Vermittlungsgehemmte, einen Zuschuss für Langzeitarbeitslose, es gibt die Initiative „50 plus“, es wird den Kommunalkombi geben. ({4}) Es gibt einen Blumenstrauß von Dingen, die im Endeffekt nichts anderes bewirken, als das Geld anderer Leute, nämlich der Versicherten und Steuerzahler, herauszuschmeißen, ohne für die Betroffenen eine Integration im ersten Arbeitsmarkt zu organisieren. ({5}) Ihre Bundesregierung - da schaue ich Herrn Brandner an; denn es war die rot-grüne Bundesregierung - hat einen Evaluierungsbericht in Auftrag gegeben, der von der jetzigen Bundesregierung, der schwarz-roten, vor über einem Jahr in Empfang genommen worden ist und seitdem in den Schubladen liegt. In diesem sogenannten Evaluierungsbericht steht, dass die arbeitsmarktpolitischen Instrumente den Betroffenen weitgehend nicht nur nicht helfen, sondern ihnen auch noch schaden, weil sie stigmatisiert werden. ({6}) Diejenigen, die in diesen Maßnahmen vermeintlich gefördert werden sollen, verharren in der Arbeitslosigkeit, wohingegen diejenigen, die nicht in den Genuss der Förderung gekommen sind, sich schon im nächsten Beschäftigungsverhältnis befinden. Das muss Ihnen doch einmal die Augen öffnen. Hören Sie doch endlich auf mit Ihrer Arbeitsverweigerung und setzen Sie Ihren eigenen Evaluierungsbericht um. Entzerren Sie die arbeitsmarktpolitischen Instrumente! ({7}) Fördern Sie das, was zu einer Integration in den Arbeitsmarkt führt! Unterstützen Sie die Menschen, meinetwegen durch Garantie eines Mindesteinkommens, ohne dämliche Diskussionen über Mindestlöhne zu führen! Wenn die Frau Präsidentin zur Kenntnis nehmen würde, dass mir eine Zwischenfrage gestellt werden soll, würde ich diese auch glatt entgegennehmen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Niebel, ich wollte Sie nicht unterbrechen, weil Sie so in Fahrt waren. Jetzt tue ich das aber gerne. Möchten Sie denn die Zwischenfrage des Kollegen Weiß zulassen?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne, sofern Sie die Uhr anhalten, die im Moment noch weiterläuft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das mache ich dann auch noch.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Niebel, haben wir hier im Plenum eben richtig gehört, dass Sie das Wort „stigmatisieren“ verwandt haben? Wollten Sie nicht eher „entstigmatisieren“ sagen? Bei dem Programm Jobperspektive geht es nämlich um die Gruppe von Menschen, denen zum Beispiel wegen psychischer Krankheit, Suchtkrankheit oder anderer Beschwernisse derzeit von Arbeitgebern oder Arbeitsvermittlern gesagt wird: Eigentlich können wir euch nicht gebrauchen. - Diese Menschen sind stigmatisiert. Jetzt schaffen wir endlich für diesen Personenkreis, der übrigens auf 100 000 Personen beschränkt ist - das ist angesichts von 3,6 Millionen Arbeitslosen eine geringe Zahl -, ein Programm, mit dem wir diese Menschen von ihrer Stigmatisierung befreien wollen. Wir wollen sie entstigmatisieren und ihnen sagen: Auch ihr habt ein Recht und die Chance, Arbeit zu finden, und wir helfen euch dabei. Ich bitte Sie, Ihre Wortwahl zu ändern, also nicht von Stigmatisierung, sondern von Entstigmatisierung zu reden; denn um Letzteres geht es. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Weiß, Sie haben völlig richtig gehört: Ich habe davon gesprochen, dass die Masse der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die im Evaluierungsbericht der Bundesregierung - nicht der bösen Opposition - bewertet wurden, die Arbeitslosen stigmatisiert. Gemäß diesem Bericht führen die Maßnahmen nämlich nicht zu einer Integration in den Arbeitsmarkt, zu einem Herauslösen aus der Arbeitslosigkeit, sondern zu einer dauerhaften Verfestigung der hohen Sockelarbeitslosigkeit. Die Tatsache, dass ein Bewerber an diesen Maßnahmen teilgenommen hat, erweckt bei den Arbeitgebern, die diese Menschen einstellen sollen, das Gefühl: Bei dem stimmt doch etwas nicht; denn er ist von einer Maßnahme in die nächste geschickt worden. Diese Stigmatisierung durch Ihre gutgemeinte Arbeitsmarktpolitik, die zu keinem guten Ergebnis führt, müssen wir verhindern, wenn wir Menschen dauerhaft helfen wollen. Deswegen sage ich: Ja, Ihre Politik stigmatisiert und grenzt aus, Ihre Politik führt zu Freiheitsberaubung; ({0}) denn Arbeitslosigkeit in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist Freiheitsberaubung, weil Teilnahmechancen eingeschränkt werden. Deswegen brauchen wir eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. ({1}) Nichtsdestotrotz danke ich Ihnen herzlich für Ihre Nachfrage. Ich möchte gerne einen weiteren Punkt herausstellen, der mir wichtig ist: Es stimmt natürlich, dass viele Bundesländer ihrem Bildungsauftrag nicht nachgekommen sind. Deswegen ist die FDP der Überzeugung, dass es notwendig ist, diesen jungen Menschen einen besseren Einstieg zu ermöglichen. Wir werden uns bei der Abstimmung über diese Vorlage allerdings der Stimme enthalten, weil das nicht die Aufgabe der Arbeitslosenversicherung ist. Wenn die Bundesländer ihrem Bildungsauftrag nicht ausreichend nachkommen, ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass junge Menschen Einstiegsmöglichkeiten erhalten. Es ist falsch, wieder einmal, wie hier geplant, neue Verschiebebahnhöfe zu errichten, zulasten der Arbeitslosenversicherung, also zulasten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die sie zu finanzieren haben. Ich möchte eines deutlich sagen: Sie wollten das eigentlich auch nicht. Ich zitiere aus der letzten Rede des Kollegen Göhner vom gestrigen Tage: Wir wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, versicherungsfremde Leistungen in Nürnberg durch Steuern finanzieren … Das Gegenteil dieser richtigen Strategie wäre, Beiträge aus der Kasse in Nürnberg in den Bundeshaushalt umzulenken - und das auch noch mit der Begründung, eindeutig versicherungsfremde Leistungen durch lohnbezogene Beiträge finanzieren zu wollen. Der Kollege Göhner hat völlig Recht. Es ist schade, dass mit dem Weggang des Kollegen Göhner aus diesem Parlament ein großer Teil des wirtschaftspolitischen Sachverstandes der Unionsfraktion verloren geht. ({2}) Wir werden versuchen, das von liberaler Seite auszugleichen und dafür zu sorgen, dass der Bundesfinanzminister seine Hamsterbacken nicht mit den Geldern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer füllt, sondern dass er seinen Haushalt in Ordnung bringt. Das wird in der nächsten Zeit unsere Aufgabe sein. Darüber werden wir in der Sommerpause und danach hier in diesem Hause diskutieren. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht unser ehemaliger Kollege Karl-Josef Laumann, der Minister für Arbeit in Nordrhein-Westfalen, für den Bundesrat. ({0}) Karl-Josef Laumann, Minister ({1}): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages! Wir alle wissen, dass die Situation am Arbeitsmarkt so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr ist. Der Aufschwung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes schreitet voran. Die gute konjunkturelle Entwicklung schafft - wir sehen das an den Arbeitsmarktzahlen - zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Wir alle sollten uns freuen, dass beim Abbau der Arbeitslosigkeit vor allen Dingen die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wächst. In den vielen Jahren, in denen ich hier im Bundestag arbeitsmarktpolitische Reden gehalten habe, hatten wir eigentlich immer einen Abbau der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze zu verzeichnen. Jetzt werden sie einfach wieder mehr, und das ist gut so. ({2}) Ich glaube, dass zu dieser Entwicklung sehr viele Menschen in Deutschland beigetragen haben. Das war nicht nur eine Leistung der Wirtschaft. Das war vor allen Dingen auch eine Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über viele Jahre mit sehr maßvollen Lohnabschlüssen und mit einer Erhöhung der Arbeitszeit wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen haben. ({3}) Ich finde es schön, dass wir heute eine arbeitsmarktpolitische Debatte führen können, während bei der Bundesagentur für Arbeit 460 000 offene Stellen gemeldet sind, die besetzt werden können. Wir haben hier ein erhebliches Potenzial, Menschen in Arbeit zu bringen. Wir haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt aber auch ein großes strukturelles Problem: Das ist das Thema der Langzeitarbeitslosigkeit. Rund 2,5 Millionen der registrierten Arbeitslosen sind im SGB II. Das Thema Arbeitsmarktpolitik spielt sich im SGB II ab, nicht mehr im SGB III. 68 Prozent der Arbeitslosen in Deutschland sind nicht mehr in der Arbeitslosenversicherung, sondern sind in einem steuerfinanzierten Grundsicherungssystem, das wir SGB II nennen. Im Übrigen ist es deswegen gar keine so tolle Leistung, dass die Bundesagentur für Arbeit andauernd die Beiträge senken kann; sie hat nicht einmal mehr ein Drittel der Arbeitslosen zu verwalten und zu finanzieren. Auch das ist die Wahrheit. ({4}) Der Rest ist eine allein steuerfinanzierte Angelegenheit, sowohl was die Arbeitsmarktpolitik angeht wie auch was Minister Karl-Josef Laumann ({5}) die Unterhaltssicherung für die betroffenen Menschen angeht. Das Ausmaß dieser Entwicklung sieht man daran, dass in Deutschland so viele im SGB II sind. Jeder, der sich mit Arbeitsmarktpolitik in der Administration beschäftigt, weiß, dass es eine starke Tendenz dazu gibt, dass sich Langzeitarbeitslosigkeit insbesondere bei Menschen, die mehrere Vermittlungshemmnisse haben, zementiert. Deswegen glaube ich, dass es eines unternehmensnahen Integrationsansatzes in der Arbeitsmarktpolitik bedarf. Warum ist das so? Wir haben uns damals, als wir die Hartz-Gesetze gemacht haben, nun einmal entschieden, dass wir Menschen, die drei Stunden täglich erwerbsfähig sein können, unter den allgemeinen Bedingungen des Arbeitsmarktes für arbeitsfähig erklären. Dies ist - das ist nachweisbar - in vielen europäischen Ländern anders. Die Niederlande haben gut 7 Prozent der Menschen in der Erwerbsunfähigkeit, die Engländer rund 7 Prozent, die Dänen 7 Prozent und bei den über 55-Jährigen sogar 13 Prozent. Wir haben in Deutschland ganze 4 Prozent der Menschen, die im erwerbsfähigen Alter sind, in der sogenannten Erwerbsunfähigkeitsrente. Wenn man das Ausmaß der Arbeitslosigkeit in einer Gesellschaft ermitteln will, dann muss man nach meiner Meinung die Quote der Erwerbsunfähigkeit plus die Quote der Menschen, die in einer Grundsicherung sind, plus die Quote der Menschen, die arbeitslos sind, eigentlich zusammenzählen. ({6}) Sonst kommt man zu keinem fairen Vergleich. Wenn man das tut, dann sieht der Arbeitsmarkt in Deutschland übrigens gar nicht so viel anders aus wie etwa der Arbeitsmarkt in Holland oder in England. Das ist die Wahrheit; das sehen Sie, wenn Sie die drei genannten Faktoren in diesen Ländern zusammenzählen. ({7}) Ich sage ganz offen: Ich halte die Grenze mit den drei Stunden Erwerbsfähigkeit pro Tag für problematisch, weil wir in der Rentenversicherung in der Frage, ob jemand eine Erwerbsunfähigkeitsrente bekommt, immer noch die konkrete Betrachtungsweise haben. ({8}) Das heißt, dass nicht nur die Frage, ob jemand drei Stunden arbeiten kann, entscheidend dafür ist, ob er eine Erwerbsunfähigkeitsrente bekommt, sondern gleichzeitig bedacht wird, ob mit seiner Behinderung eine reelle und reale Vermittlungschance besteht. Mittlerweile werden in Deutschland über zwei Drittel der Erwerbsunfähigkeitsrenten aufgrund der konkreten Betrachtungsweise entschieden. Diese Möglichkeit gibt es im SGB II aber nicht. Deswegen gibt es einige Arbeitslose, die nach dem SGB II gefördert werden und von den Argen bzw. den Optionskommunen betreut werden, für die gilt: Die Konjunktur kann laufen, wie sie will, sie haben keine reelle Chance, in den regulären ersten Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden. Ich verdeutliche das an einem Beispiel, Herr Kollege Niebel. Eltern, die ein behindertes Kind haben, das nach der Schule in eine Behindertenwerkstatt geht, machen sich große Sorgen um ihr Kind und fragen sich, was aus ihrem Kind wird, wenn sie einmal nicht mehr da sind. Dieses Kind hat aber die Möglichkeit, in einer Behindertenwerkstatt an der Arbeit teilzuhaben, es hat einen strukturierten Tagesablauf. Die Behindertenwerkstatt ist eine sichere Institution. Die Eltern können sich darauf verlassen, dass ihr Kind über die Werkstatt abgesichert ist, wenn sie nicht mehr leben. Hast du aber ein Kind, das lernbehindert ist - es ist nun einmal so, dass Lernbehinderung häufig mit einer groben Motorik verbunden ist -, das einerseits „zu gut“ für die Behindertenwerkstatt ist, das andererseits aber keine Chance hat, einen Arbeitsplatz zu finden, dann hast du ein drückendes Problem. Ein solcher Mensch hat keinen Grund, morgens aufzustehen; ihn will schließlich niemand haben. Man muss sich doch nicht wundern, wenn er dann in die Drogenszene oder ähnliche Szenen abgleitet. ({9}) Ich bin natürlich immer wieder gern im Bundestag; das gebe ich zu. Heute bin ich aber besonders gern nach Berlin gekommen, weil ich mich riesig darüber freue, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik bald ein Instrument haben, mit dem wir für diese Menschen eine Perspektive schaffen können. ({10}) In Nordrhein-Westfalen haben wir ein Kombimodell für genau diese Gruppe aufgelegt. Wir haben 1 500 Kombiarbeitslohnplätze geschaffen. Die Wahrheit ist aber, dass diese Arbeitsplätze schwer einzurichten sind, weil sie aufgrund der zurzeit geltenden rechtlichen Grundlagen bestenfalls für die Dauer von zwei Jahren gefördert werden können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Laumann, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel zulassen? Karl-Josef Laumann, Minister ({0}): Gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, lieber Karl-Josef, würdest du mir zustimmen, dass die Förderung des Kindes, das du gerade beschrieben hast - wir wollen es genauso fördern -, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, weil dieses Kind niemals in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat? Würdest du mir zustimmen, dass die Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die falsche Finanzierungsgrundlage sind? Würdest du bitte zur Kenntnis nehmen, dass sich die FDP bei der Abstimmung über diesen Antrag enthält, weil das eine Aufgabe ist, die über Steuern zu finanzieren ist? Wir haben inhaltlich keine andere Überzeugung. Die Frage ist, wer das zu zahlen hat. Wir wollen die Beiträge senken. Das habt ihr im Übrigen in eurem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wir wollen dafür sorgen, dass Arbeit billiger wird und dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben auch von der gesamten Gesellschaft finanziert werden. ({0}) Karl-Josef Laumann, Minister ({1}): Verehrter Kollege Niebel, lieber Dirk, ich will dir nur sagen: Genau das tun wir. Das Programm zur Förderung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen mit schweren Vermittlungshemmnissen wird über Steuern finanziert; denn das ist Teil des SGB II und hat nichts mit der Arbeitslosenversicherung zu tun. ({2}) Wir reden ausschließlich über ein Programm, das über das SGB II geregelt wird und damit zu 100 Prozent über Steuern finanziert wird. Die Arbeitslosenversicherung hat damit nichts zu tun. Das ist die Wahrheit. Deswegen können Sie sich jetzt hinsetzen und dem Gesetz zustimmen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie möchten keine zweite Frage zulassen? Karl-Josef Laumann, Minister ({0}): Nein, ich habe es ja erklärt. ({1}) - Ich rede aber jetzt über das Gesetz zur Vermittlung von Langzeitarbeitslosen. Der Bereich, den ich angesprochen habe, ist ausschließlich steuerfinanziert. ({2}) Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diese Arbeitsplätze bekommen werden. Ich freue mich darüber, weil damit ein weiterer Punkt - das ist ganz wichtig - verbunden ist: So gut ich persönlich Behindertenwerkstätten finde, auf der anderen Seite bedeuten sie genau das Gegenteil von Integration von Behinderten in den Arbeitsmarkt. ({3}) Denn es sind Sondereinrichtungen. Wir können doch nicht einen großen Teil der Menschen, die Handicaps haben und in dieser modernen Welt nun einmal nicht so gut klarkommen, in Sondereinrichtungen schicken. ({4}) Deswegen ist es richtig, zu sagen: Wir versuchen, diese Menschen in ein ganz normales Arbeitsverhältnis zu bringen. Das Wichtige daran ist ja nicht nur das Geldverdienen, sondern wichtig ist auch, einen strukturierten Tagesablauf und einen Grund zu haben, morgens aufzustehen. Wichtig ist auch, dass man Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen hat, die mitten in der Gesellschaft stehen. Wenn man dann einmal im Dorf oder der Stadt, wo man lebt, zu einem Fest geht, kennt man dort Arbeitskollegen, mit denen man zusammenstehen und sich unterhalten kann. Darum geht es doch auch in diesem Menschenleben und nicht nur darum, dass man ausgegliedert ist. ({5}) Deswegen bin ich froh, dass es durch die Änderungsanträge der Union und der SPD möglich geworden ist, was das Arbeitsministerium - ich meine das in Berlin, nicht das in Düsseldorf - leider am Anfang nicht vorgeschlagen hatte, nämlich dass diese Arbeitsplätze nicht ausschließlich bei der öffentlichen Hand und bei den Wohlfahrtsverbänden entstehen sollen. Denn das wäre falsch. Diese Arbeitsplätze müssen auch in ganz normalen Betrieben entstehen. ({6}) Wenn man sich eine Schule für Lernbehinderte ansieht, stellt man fest: Nicht jeder Mensch ist für einen Sozialberuf geboren. Es gibt auch Menschen, die mit ihren Händen einmal richtig etwas anpacken müssen. Deswegen brauchen wir diese Arbeitsplätze schlicht und ergreifend auch in der regulären Wirtschaft. ({7}) Ich möchte, dass wir auf Grundlage dieses Gesetzes demnächst als Arge oder als Optionskommune zu einem mittelständischen überschaubaren Unternehmen sagen können: Wenn du denjenigen einstellst und ihm pro Stunde 3 Euro zahlst, dann geben wir 3 Euro, oder 2,50 Euro oder 4 Euro dazu. Dieser Mensch arbeitet dann zum Beispiel in einer Schreinerei und räumt da auf. Dann hat er normale Arbeitskollegen. Ich werde ihnen voraussagen, dass dieser Mensch nach einiger Zeit auch dabei sein wird, wenn an einer Maschine etwas gemacht werden muss. Irgendwann wird ein Kollege fehlen, dann kommt er mit auf den Bau, wo die Fenster eingesetzt werden müssen. Ich sage Ihnen: Es wird Menschen geben, die werden nach einigen Jahren sogar Fenster einsetzen können. Denn ich bin ganz fest davon überzeugt, dass es Menschen gibt, die die Welt nicht theoretisch begreifen, sondern praktisch und über die Hände. ({8}) Deswegen finde ich, dass wir das so machen sollten. Minister Karl-Josef Laumann ({9}) Jetzt sagt die PDS, dass das alles viel zu wenig sei. Was seien denn 100 000 Jobs? ({10}) Eines habe ich in den letzten Jahren in der Arbeitspolitik gelernt: Man sollte im Zusammenhang mit so großen Zahlen bescheiden sein. Das große Problem von Peter Hartz ist ja nicht, dass er jetzt vorbestraft ist. ({11}) - Ich finde es schon ein bisschen problematisch, dass ein Sozialgesetz in Deutschland, das für so viele Menschen Bedeutung hat, nach einem Vorbestraften benannt worden ist. ({12}) Das Problem von Peter Hartz ist vor allen Dingen, dass er immer sofort von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen gesprochen hat, wenn er eine Maßnahme beschrieben hat. Meine Erfahrung als Arbeitsmarktpolitiker ist, dass man viele Instrumente braucht, mit denen man immer nur Teile erreicht. Wenn wir uns im Bund vorgenommen haben, bis zum Ende der Wahlperiode Hunderttausend solcher Jobs zu schaffen, dann bedeutet das für Nordrhein-Westfalen, dass wir etwa 20 000 schaffen müssen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir diese 20 000 vernünftig hinbekommen wollen, dann haben wir genug zu tun. Denn diese Jobs liegen nicht auf der Straße. Dabei muss eine Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden. ({13}) Ich möchte gerne einen zweiten Punkt ansprechen. Ich finde, die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen sollten einmal über den 1-Euro-Job nachdenken. Der 1-Euro-Job ist ein gutes Instrument, um zu testen, ob ein Mensch dem Arbeitsmarkt überhaupt zur Verfügung steht. Der 1-Euro-Job, so wie ich ihn in Nordrhein-Westfalen wahrnehme - wir haben 56 000 -, ist in der Regel ein Angebot der Argen und der Optionskommunen an Menschen, die unbedingt eine Arbeit haben wollen. Sie nehmen dann zum Beispiel eine Stelle in einer Pflegeeinrichtung an und haben die Hoffnung, dass sie, wenn sie sich gut verhalten, dortbleiben können. In Wahrheit steht am ersten Arbeitstag schon fest, dass sie nicht bleiben können. ({14}) Jetzt sagen die Träger: Wieso soll ich denn Kombilöhne machen, wenn ihr mir diese guten 1-Euro-Jobber schickt und mir auch noch Geld gebt, damit ich sie überhaupt nehme? Damit kann kein Kombilohn konkurrieren, bei dem wir einen gewissen Beitrag der Arbeitgeberseite erwarten. ({15}) Jetzt nenne ich Ihnen einen weiteren Punkt. Man muss auch die Würde des Menschen beachten. Da zum Menschen auch die Würde der Arbeit gehört, verstehe ich eine gerechte Gesellschaft so, dass Arbeit auch etwas wert sein muss. ({16}) Deswegen ist die im Kombilohnmodell vorgesehene Regelung, dass ein Teil des Lohnes auf jeden Fall vom Arbeitgeber gezahlt werden muss, richtig. ({17}) Das hat mit der Wertschätzung der Arbeit zu tun. Unsere Lösung sieht vor, dass die Förderung bis zu 75 Prozent ausmachen darf und über die Leistungsfähigkeit immer individuell entschieden werden kann. Ich finde, dass wir mit dieser Regelung ein ganz gutes Instrument geschaffen haben. Für einen Teil der Menschen haben wir gemeinsam dafür gesorgt, dass nicht mehr allein die wirtschaftliche Entwicklung darüber entscheidet, ob sie am Arbeitsleben teilhaben. Ich denke, wir werden es schaffen, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Ich sage auch: Wenn in Kürze die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt - der Landkreistag möchte, dass die Frage der Argen und der Optionskommunen geprüft wird -, müssen wir uns mit der Verwaltung des SGB II beschäftigen. ({18}) Es ist eine Zunahme der Zahl der Klagen zu verzeichnen. Bei Widersprüchen beträgt die Bearbeitungszeit vier Monate. In 30 Prozent der Fälle bekommen die Menschen mit ihren Klagen voll oder teilweise recht. Eine Behörde, die Bescheide erlässt, die zu 30 Prozent einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten, hat ein Problem. ({19}) Dieses Problem dürfen wir nicht ignorieren. Wenn wir es ignorieren, helfen wir damit nur der Linkspartei, aber auf keinen Fall den betroffenen Menschen. ({20}) Ich komme zu meinem letzten Punkt. Ich sage uns voraus: Wir werden, was das SGB II angeht, nie Ruhe bekommen, wenn wir nicht für die Menschen, die gut verdient und Steuern und Beiträge gezahlt haben, höhere Vermögensfreigrenzen für die Alterssicherung einführen. ({21}) Dass man diesen Menschen bis auf einen Freibetrag bis zu 16 000 Euro - das entspricht einer Monatsrente von 80 Euro - alles wegnimmt, das ist und bleibt eine Ungerechtigkeit. Die Anträge, die die Union damals gestellt Minister Karl-Josef Laumann ({22}) hat, zielten in eine andere Richtung. Jetzt sollten wir die Chance nutzen, dies zu revidieren. Schönen Dank. ({23})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Katja Kipping das Wort für die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da die CDU/CSU die durchaus berechtigte Kritik von Herrn Laumann an den Hartz-Gesetzen beklatscht hat, ({0}) frage ich mich, warum Sie nicht dazu beitragen, die Hartz-Gesetze rückgängig zu machen, sondern sich im Gegenteil sogar an ihrer Verschärfung beteiligen. ({1}) Sie erinnern sich sicherlich noch an eine Debatte, die wir in diesem Haus Ende März dieses Jahres über einen Antrag der Linksfraktion geführt haben. ({2}) Darin ging es um innovative Arbeitsmarktprojekte. Der CDU-Redner Herr Rauen verteufelte die öffentlich geförderte Beschäftigung damals als Neuauflage der ABM-Maßnahmen, ({3}) die - so der Redner der CDU - in Zeiten des Aufschwungs nicht notwendig seien. ({4}) Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass Sie die Lage jetzt etwas anders einschätzen. Inzwischen sind wir uns einig: Der Aufschwung kann die Situation der Langzeiterwerbslosen nicht wesentlich verbessern. Daraus folgt: Gezielte öffentlich geförderte Beschäftigung ist dringend notwendig. ({5}) So weit sind wir uns einig. Bei der konkreten Ausgestaltung trennen sich unsere Wege jedoch: Erstens. Sie wollen nur 100 000 Stellen schaffen. Unser Antrag hingegen zielt auf die Schaffung von 500 000 Stellen. ({6}) Zweitens. Ihr Modell sieht keine Arbeitslosenversicherung vor. Das heißt, wenn die Förderung ausläuft, fallen die Leute automatisch in den Bezug von Hartz IV zurück. Wir meinen jedoch, auch öffentlich geförderte Beschäftigung muss sozialversicherungspflichtig sein. ({7}) Drittens. Das Modell von CDU/CSU und SPD sieht keinen Mindestlohn vor. Da der Zuschuss begrenzt ist, ist zu befürchten, dass vor allem Jobs zu Hungerlöhnen geschaffen werden. Die Linke hingegen meint: Auch bei öffentlich geförderter Beschäftigung muss ein Mindestlohn von wenigstens 8 Euro pro Stunde gezahlt werden. ({8}) Die Koalition setzt bei der Vermittlung auf Zwang und Sanktionen. Ich meine dagegen, eine erfolgreiche Vermittlung und Beratung sollte dem Prinzip der Freiwilligkeit folgen und durch gegenseitigen Respekt von Fallmanager und Erwerbslosem geprägt sein. Alle neuen Instrumente, auch die, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, sind sanktionierbar. Das heißt, wer ein solches Angebot ablehnt, dem wird automatisch der Regelsatz gekürzt, in 30-Prozent-Schritten. Es kann aber gute Gründe dafür geben, mal ein Angebot abzulehnen: Stellen Sie sich beispielsweise vor, ein Langzeiterwerbsloser, der sich ehrenamtlich in einem Projekt engagiert, das für ihn sehr sinnvoll ist, bekommt ausgerechnet in dem Moment, wo das Projekt in seiner arbeitsintensivsten Phase ist und er fest eingebunden ist, eine Stelle angeboten. Eine Stelle, die gar nicht seinen Fähigkeiten entspricht, zum Beispiel dass er mit einer speziellen Mütze versehen jeden Tag mehrere Stunden durch die Stadt laufen soll, damit ihn Touristen ansprechen und nach dem Weg fragen können - was im günstigsten Fall zwei Mal die Woche passiert. Ein weiteres Beispiel: Stellen Sie sich vor, es wird eine Stelle bei einem örtlichen Schützenverein geschaffen, um Schützenfeste vorzubereiten, und derjenige, der diese Stelle angeboten bekommt, ist aber überzeugter Pazifist. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen: Die Repressionen, die Sie eingeführt haben, müssen weg. ({9}) Ich fasse zusammen: Wir freuen uns, dass sich auch CDU/CSU und SPD endlich dem Thema der öffentlich geförderten Beschäftigung zuwenden. Wir können aber Ihren Gesetzentwürfen nicht zustimmen. ({10}) Wir streiten nämlich für öffentlich geförderte Beschäftigung, die erstens sozialversicherungspflichtig ist, die zweitens dem Prinzip der Freiwilligkeit folgt und die drittens an einen Mindestlohn gekoppelt ist. ({11}) Den jungen Menschen, die verzweifelt einen Ausbildungsplatz suchen, ist mit den QualifizierungsangeboKatja Kipping ten, die in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen sind, nicht geholfen. ({12}) Vielmehr muss endlich eine Ausbildungsplatzabgabe eingeführt werden. ({13}) Es geht doch nicht an, dass sich ausgerechnet die großen Unternehmen vor ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, auszubilden, drücken. Deswegen fordern wir Sie auf: Wenn Sie dieses Problem wirklich angehen wollen, beteiligen Sie sich mit uns daran, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen! Das hilft den jungen Menschen, die verzweifelt einen Ausbildungsplatz suchen. Besten Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Laumann, ich weiß nicht, ob wir es jetzt mit einem Problem Ihres Kurzzeitgedächtnisses zu tun haben. Aber soweit ich informiert bin, waren Sie doch derjenige, der die Bedingungen für das SGB II verhandelt hat, nächtelang dagesessen hat und sich insbesondere in der Frage der Altersvorsorge stur gestellt hat. ({0}) Aber so ist das wohl mit den Gedächtnisleistungen von Politikern; das soll ja häufiger vorkommen. ({1}) Herr Niebel, ich würde gerne ein paar Sätze an Sie richten. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit ein Problem ist, das inzwischen seit ungefähr 30 Jahren, also auch zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung, gewachsen ist. ({2}) Nach jedem Konjunkturaufschwung haben wir ({3}) mehr Langzeitarbeitslosigkeit gehabt als vorher. ({4}) Deswegen - das will ich hier ganz deutlich sagen - bin ich froh, dass die Koalition jetzt den Weg frei macht für einen sozialen Arbeitsmarkt. Das begrüßen wir ausdrücklich, weil damit die Anerkennung der Tatsache verbunden ist, dass es eben eine Gruppe von Arbeitslosen gibt, die unter den gegebenen Bedingungen kaum eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Herr Brandner, ich weiß, dass da viel Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, nicht nur in der Fraktion der CDU/CSU, sondern auch bei Ihren Leuten, sogar bei Ihrem Minister. Sie haben es nicht leicht gehabt, und ich erkenne Ihre Arbeit durchaus an. Aber ich muss Ihnen sagen: Die Ausgestaltung des Projektes ist Ihnen leider nicht gut gelungen. ({5}) Sie sagen, Sie haben in der Anhörung Zustimmung erfahren. Die Zustimmung bezog sich auf die Tatsache, dass ein sozialer Arbeitsmarkt eingerichtet worden ist. Das Programm als solches ist, wenn Sie ehrlich sind, eigentlich zerrissen worden. ({6}) Es gab die Kritik, dass dieses Programm unflexibel ist. ({7}) Die Förderhöchstgrenze von 75 Prozent ist in einzelnen Fällen einfach ein Fehler. Der Qualifizierungszuschuss ist bei weitem zu starr. Ich komme zur Finanzierung. Warum in Gottes Namen haben Sie nicht die Möglichkeit eröffnet, aktive und passive Leistungen gegenseitig deckungsfähig zu machen? ({8}) Das ist das Instrument, das wir in der Arbeitsmarktpolitik wirklich brauchen. ({9}) Jetzt soll es aus dem Integrationsbudget gefördert werden. Ich habe im Haushaltsentwurf nachgesehen; zusätzliche Mittel sind dafür nicht eingestellt. Jetzt versuchen Sie folgenden Trick: Sie sagen, es seien 6,4 Milliarden Euro eingestellt, und versprechen uns im Ausschuss, dass für 1 Milliarde Euro - so wie im Jahr 2007 - kein Sperrvermerk daraufgelegt werden soll. Ihr Motto ist: Feiern Sie uns bitte dafür, dass wir Ihnen etwas wiedergeben, was wir Ihnen vorher weggenommen haben. Für wie blöd halten Sie uns eigentlich? ({10}) Diese Feier machen wir nicht mit. ({11}) Der wirkliche arbeitsmarktpolitische Sündenfall ist aber, dass Sie im Nachhinein noch die jungen Menschen unter 25 Jahren in dieses Programm hineingenommen haben. Damit haben Sie das Ziel, jungen Leuten über Qualifizierung und Ausbildung eine wirkliche Perspektive zu geben, endgültig aufgegeben. Ich will noch etwas zum Qualifizierungszuschuss sagen, den Sie hier so feiern. Dieser Qualifizierungszuschuss hat mit Qualifizierung leider herzlich wenig zu tun. ({12}) Er ist nichts anderes als ein Lohnkostenzuschuss, der die Leute in einen geförderten Arbeitsmarkt bringt - und zwar ohne eine wirkliche Qualifizierung und damit auch ohne eine wirkliche Perspektive. Sehenden Auges werden diese jungen Leute zu einem Teil der Hochrisikogruppe des deutschen Arbeitsmarktes, der Ungelernten, gemacht. Ungelernte - das wissen Sie genauso gut wie ich - haben um rund ein Drittel schlechtere Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Diese Politik bietet den jungen Leuten überhaupt keine Perspektive. Zwei Drittel aller ALG-II-Empfänger in diesem Alter haben keine Ausbildung. Daran ändern Sie mit diesem Programm rein gar nichts! ({13}) Wir reden in Deutschland über den Fachkräftemangel, und Sie sagen zur Zuwanderung: „Njet“. Wenn Sie keine Zuwanderung wollen, müssten Sie doch wenigstens in Qualifizierung investieren. Wenn Sie aber beides nicht machen, laufen Sie Gefahr, den Konjunkturaufschwung abzubremsen. Das bringt keine Perspektiven, auch nicht für die Ungelernten. ({14}) Insgesamt vermisse ich in der Arbeitsmarktpolitik eine schlüssige Strategie und ein schlüssiges Konzept. Ich finde es nicht richtig, dass Sie das Geld, das aufgrund des Aufschwungs jetzt zusätzlich zur Verfügung steht, von einem Sonderprogramm ins nächste bewegen und es damit für überflüssige Arbeitgeberzuschüsse ausgeben. Dahinter steht kein Plan, das hat keine Perspektive. Mein Eindruck ist, dass alle Beteiligten dieser Großen Koalition sich einen Skalp an ihren Gürtel hängen wollen und hängen müssen. Das führt dazu, dass es eine Flut von Gesetzesvorlagen gibt, die dann von den Beschäftigten in den Arbeitsagenturen umgesetzt werden sollen und ausgebadet werden müssen. Allein in diesen beiden Gesetzentwürfen, die Sie heute vorgelegt haben, sind - konservativ gezählt - vier neue Instrumente vorhanden. Zwei neue Instrumente sind schon wieder in der Pipeline: der Azubizuschuss und der Kommunalkombi. Sie hatten sich - da hat Herr Niebel an einer Stelle einmal recht - selbst einmal auf die Fahnen geschrieben, die Anzahl dieser Instrumente zu reduzieren. Derzeit machen Sie das genaue Gegenteil. Strukturelle Reformen wären besser als ein solcher Kombilohn-Wirrwarr. Die OECD hatte Deutschland ins Stammbuch geschrieben, dass wir die Sozialabgaben insbesondere für die unteren Lohngruppen unbedingt reduzieren müssen. Wir haben Ihnen dafür mit dem Progressivmodell einen guten Vorschlag unterbreitet. Zeitweise hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass Sie hier ein bisschen begriffen haben; denn bei Ihnen ist das Bofinger/ Walwei-Modell ja auch einmal diskutiert worden. Davon hört man jetzt leider gar nichts mehr. Ich finde, Sie verpassen die Chance, die ein Aufschwung bietet, nämlich strukturelle Reformen voranzutreiben. Ich fürchte, dass die Situation der Gruppen, für die wir jetzt strukturell handeln müssten, also für die Migrantinnen und Migranten, für die Jugendlichen und für die Langzeitarbeitslosen, nach dem Aufschwung so ist wie vorher auch, weil Sie eben nicht darangegangen sind, zum Beispiel das duale Ausbildungssystem zu reformieren. Das duale Ausbildungssystem ist inzwischen ein Nadelöhr, durch das alle aussortiert werden, die etwas leistungsschwächer sind. Deswegen müssen wir strukturell etwas daran ändern. ({15}) Wir müssen nicht die Vielzahl der Instrumente der Arbeitsmarktpolitik erhöhen, sondern wir müssen unbedingt den dezentralen Spielraum erweitern. Wir müssen es ermöglichen, dass vor Ort entschieden werden kann. ({16}) Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wir müssen die Haushalte des Bundes und der Bundesagentur konsequenter voneinander trennen. Herr Laumann, nach dem, was Sie hier vorgetragen haben, würde es mich einmal interessieren, was Sie zu der Absicht des Bundesfinanzministers sagen, dort jetzt noch einmal 5 Milliarden Euro als Raubritter abzukassieren. ({17}) Ich sage es einmal so: Sie haben hier doch gerade vorgetragen, dass die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und somit auch steuerfinanziert werden soll. Wenn der Finanzminister jetzt noch einmal 5 Milliarden Euro abgreift, dann ist das doch genau das Gegenteil dessen, was Sie hier vorgeschlagen haben. ({18}) Dann hätten wir uns die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe doch ersparen können. ({19}) Der Finanzminister stellt sich hin und sagt: I love Cash. - Ich glaube, er meint: I love Crash. ({20}) Er fährt hier doch einen Crashkurs. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn Sie sich hierüber einmal auseinandersetzen würden. ({21}) Ich prophezeie Ihnen: Wenn diese gute Konjunktur eine Pause einlegt - und sie wird eine Pause einlegen -, dann werden Sie sich an den Kopf fassen und feststellen, dass Sie strukturell nichts verbessert haben und dass die neuen Probleme die alten Probleme sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will Ihnen sagen: Wenn Frau Merkel und Herr Müntefering zu Tisch rufen, dann sind die Teller für die leer, die wir hier heute in den Fokus gestellt haben. ({0}) Einmal chancenlos, immer chancenlos. Mit Ihren heutigen Beschlüssen beheben Sie die Ausgrenzung der Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen nicht wirklich. Deswegen stimmen wir auch dagegen. Ich danke Ihnen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Franz Thönnes für die Bundesregierung das Wort. ({0})

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! So ist das im Leben: Die einen wollen immer mehr, die anderen wollen es ganz anders. Dann gibt es auch noch welche, die glauben, dass der Markt das alles ganz alleine richtet. Das ist nicht so. ({0}) Es geht darum, etwas zu tun. Wir reden hier über Chancen. Es geht um die Chancen der Menschen, die bislang aus strukturellen Gründen nicht am Aufschwung teilhaben. Es geht darum, diesen jetzt Chancen zu verschaffen. ({1}) Das tun wir mit beiden Gesetzentwürfen, bei deren Erstellung wir uns auf die guten Ergebnisse der Arbeitsgruppe in der Koalition konzentriert haben. Wir wollen Chancen für Menschen schaffen, die bislang kaum die Möglichkeit hatten, in Arbeit zu kommen oder eine Ausbildung zu erhalten. Ich glaube, es ist ganz wichtig, zu sagen, dass die jungen Menschen hier im Mittelpunkt stehen, die seit langem arbeitslos sind und bei denen es besondere Vermittlungshemmnisse gibt, zum Beispiel ein fehlender Schulabschluss, eine fehlende Berufsausbildung oder gesundheitliche Probleme. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind jetzt gut. Wir können uns darüber freuen, dass es knapp 600 000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs gibt. Die Zahl der Arbeitslosen ist um gut 700 000 zurückgegangen. Wir wissen aber ganz genau, dass davon überwiegend die profitiert haben, die ganz gute Voraussetzungen haben. Jetzt ist es sozialpolitisch geboten, sich um diejenigen zu kümmern und denen zu helfen, bei denen das nicht so ist. Wir freuen uns darüber, dass die Beschäftigungsschwelle sinkt. Schon jetzt geht die Arbeitslosigkeit bei einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent merklich zurück. Das war früher erst bei 2 Prozent bis 2,5 Prozent der Fall. Ich glaube, das ist ein klarer Erfolg der von der Vorgängerregierung und auch dieser Regierung durchgeführten Arbeitsmarktreformen, die vielen Menschen nützen. Weil sie aber noch nicht allen Betroffenen zugutekommen, geht es für uns jetzt darum, uns um die Schwächeren zu kümmern und ihnen Chancen zu verschaffen. ({2}) Die jüngeren Arbeitslosen profitieren von der guten Arbeitsmarktentwicklung. Die Zahl der Arbeitslosen unter 25 Jahren ist im Vergleich zum Vorjahresmonat um ein Viertel - genauer gesagt um 25,2 Prozent - zurückgegangen. Das ist der niedrigste Stand, der seit der Wiedervereinigung in einem Juni erreicht wurde, und gleichzeitig auch der stärkste Rückgang. Darüber darf man sich freuen. Das spornt an und macht Mut. 366 000 Menschen profitieren aber noch nicht von dieser Entwicklung. Gerade weil manche von ihnen länger ohne Beschäftigung sind, wollen wir auch diesen Menschen helfen. Wir wollen versuchen, ihnen mit Arbeitgeberzuschüssen Perspektiven zu bieten, um sie zu qualifizieren und in Beschäftigung zu bringen. Der Eingliederungszuschuss, der 25 Prozent bis 50 Prozent des Bruttolohns bis maximal 1 000 Euro beträgt, soll Jugendliche unter 25 Jahren, die eine Ausbildung abgeschlossen, dann aber lange arbeitslos waren, wieder in Arbeit bringen. Dabei geht es auch um Qualifizierung. Insofern sollte niemand so tun, als würde das außer Acht gelassen. Es geht uns darum, jungen Menschen eine Basis für ihr späteres Arbeitsleben zu bieten. Diesem Ziel dient der Qualifizierungszuschuss, der sich an Jugendliche ohne Ausbildung und Ausbildungsplatz richtet, die bisher keinen Weg in den Beruf gefunden haben. Damit wird ihnen eine Chance zur Ausbildung und zu einem beruflichen Abschluss gegeben. Wichtig ist aber zunächst einmal, in Beschäftigung zu kommen und - das wurde schon angesprochen - das Alltagsleben im Betrieb zu erfahren, Kolleginnen und Kollegen zu haben und Anerkennung und Selbstbestätigung zu bekommen. Deswegen wird der Qualifizierungszuschuss in Höhe von 50 Prozent des Bruttolohns gezahlt. Mit der im Ausschuss vereinbarten Änderung wird klar, dass mindestens 15 Prozent des Zuschusses - gerne auch mehr - für die Qualifizierung verwendet werden müssen. Beide Zuschüsse sind Ermessensleistungen und bis Ende 2010 befristet. Aus meiner Sicht ist es gut, den jungen Menschen eine Chance zu bieten. Wenn es mit der ersten Chance nicht klappt, sollten sie auch eine zweite oder gegebenenfalls eine dritte Chance erhalten. Das Geld ist gut investiert in die Zukunft dieses Landes und der Kinder. ({3}) Des Weiteren gibt es die EQJ, die Einstiegsqualifizierung. Auch bei diesem sehr erfolgreichen Instrument wird für die kommenden drei Jahre sichergestellt, dass es funktioniert. Die Zahl der geförderten Plätze konnte von anfangs 25 000 auf jetzt 40 000 erhöht werden. Darüber sind wir sehr froh. Die guten Eingliederungswerte machen deutlich, dass fast 63 Prozent der jungen Menschen, die mithilfe dieses Instruments Zugang zu Arbeit gefunden haben, später eine Berufsausbildung angeboten wurde. Deswegen ist es gut, dass die EQJ jetzt zur Regelleistung wird. Das kommt gerade jungen Menschen mit eingeschränkten Vermittlungsperspektiven zugute. ({4}) Darüber hinaus werden die Möglichkeiten der Berufsorientierungsmaßnahmen verbessert. Wichtig ist, dass die neuen gesetzlichen Regelungen bis zum 1. Oktober in Kraft treten. Wenn die jungen Menschen die Schule verlassen und das neue Ausbildungsjahr beginnt, sollen sie eine Brücke in eine Berufsausbildung und ins Arbeitsleben vorfinden. Sie sollen nicht länger vor einer verschlossenen Tür stehen und gesagt bekommen, sie sollten im Wartezimmer warten, irgendwann kämen sie auch dran. Das ist in einem Sozialstaat nicht zulässig. Hier müssen Brücken gebaut und es muss geholfen werden. Dazu tragen die vorgesehenen Regelungen bei. ({5}) Es geht aber nicht nur um die jungen Menschen, sondern auch darum, die Sockelarbeitslosigkeit abzubauen. Wir alle kennen die volkswirtschaftliche Bauernregel: „Die Konjunktur hat Berg und Tal, der Sockel steigt mit jedem Mal.“ Diese Regel gilt nicht mehr. Jetzt sinkt der Sockel. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist um 17,1 Prozent zurückgegangen. Aber auch hier erreicht der Aufschwung nicht alle. Deswegen wollen wir mit dem zweiten Gesetzentwurf, den wir in diesem Zusammenhang beraten, einen Beschäftigungszuschuss einführen. Auch damit setzen wir einen Vorschlag der Koalitionsarbeitsgruppe um. Wir werden - das ist neu in der Arbeitsmarktpolitik den Zuschuss nach einer ersten Förderphase von 24 Monaten unbefristet gewähren. Bis 2009 sollen damit 100 000 Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse kommen. Ausgenommen ist nur die Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung, weil wir keine Drehtüreffekte herbeiführen wollen. Ich betone aber ausdrücklich, dass die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung in die Regelung einbezogen sind. Tun Sie nicht so, als wären es keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse! ({6}) Die Entscheidung über eine Förderung treffen die Fallmanager vor Ort. Sie tragen große Verantwortung, aber sie kennen sich am besten aus. Inzwischen haben wir es mit Betreuungsquoten von 1:180 zu tun. Das hat sich deutlich verbessert. Früher gab es Betreuungsquoten von 1:400 oder 1:500. Die Fallmanager wissen inzwischen genau, wie man helfen muss und wer welche Leistungen beanspruchen kann. Wir wollen nicht, dass die Menschen aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt herausgedrängt werden. Wir wollen Möglichkeiten der Integration. Deswegen kann der Beschäftigungszuschuss bis zu 75 Prozent des Arbeitsentgeltes betragen. Wir wollen darüber hinaus flankieren und helfen. Begleitende Qualifizierung und stabilisierende Maßnahmen wie die Schuldner- und Suchtberatung oder psychosoziale Betreuung sind möglich und notwendig. In Einzelfällen kann den Arbeitgebern ein besonderer Aufwand erstattet werden. Wir wollen, dass der Aufschwung alle erreicht. Wir wollen alle mitnehmen. Ich möchte die Gesamtkonzeption einmal darlegen, damit deutlich wird, dass man nicht mit einer Maßnahme die sich aus den differenzierten Strukturen der Arbeitslosigkeit ergebenden Fragen beantworten kann. Es wird notwendig sein, dass Menschen, bei denen besondere Vermittlungshemmnisse vorliegen und die ohne Arbeit und Ausbildung sind, eine vernünftige Chance bekommen. Es gibt nun 100 000 Arbeitsplätze für Menschen mit Vermittlungshemmnissen. Hinzu kommt der Kommunalkombi, der helfen soll, Arbeitsplätze in den Kommunen zu schaffen. Damit soll es zusätzlich für 100 000 Menschen Chancen geben. Wenn man alles zusammennimmt, was wir für die jungen Menschen tun, bei denen erhebliche Vermittlungsschwierigkeiten bestehen, dann stellt man fest, dass wir für diesen Personenkreis vieles getan haben und tun. Da sind 40 000 Einstiegsqualifizierungsmöglichkeiten, eine Erhöhung um 15 000. Nicht vergessen werden dürfen die 7 500 zusätzlichen Ausbildungsplätze für junge Menschen, die erhebliche Defizite haben und unter sozialer Benachteiligung leiden. Die Arbeitgeber haben sich zudem verpflichtet, 60 000 neue Ausbildungsplätze pro Jahr anzubieten. Zudem sollen Jahr für Jahr 30 000 neue Ausbildungsbetriebe geworben werden. Auch das wird das Ausbildungsplatzangebot steigern. Schließlich kommen 4 000 zusätzliche Chancen für Menschen mit Behinderung aus der Initiative „job4000“. Das alles sind hervorragende Möglichkeiten, die während des Aufschwungs von allen genutzt werden müssen: von den Arbeitsagenturen, den öffentlichen Trägern, den Arbeitgebern und den gemeinnützigen Organisationen. Hinzu kommt die Möglichkeit - das darf nicht vergessen werden -, das Programm „Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen“ im Rahmen des Bundesprogramms „Perspektive 50plus“ zu verlängern. Die guten Erfahrungen, die wir in den 62 Modellregionen gemacht haben - dafür sind 250 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden -, zeigen uns klar und deutlich: Es ist wieder Platz für die Älteren. Die Steigerung von gut 38 Prozent im Jahr 2000 auf knapp 50 Prozent im Jahr 2006 bei der Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen zeigt, dass es geht, wenn wir wollen. Aber wir müssen wollen; darauf kommt es an. Meine große Bitte an dieser Stelle lautet daher: Arbeiten Sie alle mit, und schaffen Sie heute die rechtlichen Voraussetzungen! So nehmen wir die sozialstaatliche Verantwortung für die Menschen im Land und für die Zukunft der deutschen Wirtschaft wahr. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jörg Rohde spricht jetzt für die FDPFraktion. ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt so viele Kritikpunkte, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. ({0}) Herr Brandner, für Jugendliche mit Ausbildung gibt es einen Eingliederungszuschuss; das haben Sie eben ausgeführt. Glauben Sie nicht, dass es auch Fälle geben wird, in denen dieser Zuschuss abgerufen wird, obwohl dies vielleicht gar nicht notwendig ist? Wir befürchten hier Mitnahmeeffekte. Herr Laumann, das Programm für die Jugendlichen wird über die Arbeitslosenversicherung finanziert. Das kritisieren wir. Deswegen werden wir den Änderungen des SGB III nicht zustimmen. Sie haben es einfach falsch dargestellt. ({1}) - Nein, das glaube ich nicht. Manchmal frage ich mich allen Ernstes, welchen Zweck Anhörungen im Ausschuss noch haben, wenn die dort geäußerten Anregungen der Sachverständigen völlig ignoriert werden. Wie wäre die Kritik erst ausgefallen, wenn die Experten Ihre Änderungsanträge gesehen hätten? Wir sprechen heute über Arbeitsmarktgesetze. Zum Arbeitsmarkt gehören Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Manchmal brauchen wir dazwischen noch eine dritte Instanz, eine Arbeitsvermittlung, die Brücken zwischen diesen beiden Seiten baut. Der Brückenbau klappt aber nur, wenn beide Brückenköpfe auf das gleiche Ziel ausgerichtet sind. Deshalb frage ich Sie heute, meine Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Rot, welches Ziel Sie hier verfolgen. Haben Sie am vergangenen Montag den Ausführungen der Arbeitgeber und der Wissenschaftler zugehört? Haben Sie die Kritik berücksichtigt? Ich denke, nein. Sie haben die Warnung der Wissenschaft ignoriert und verzichten auf jede Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern. ({2}) Die Leidtragenden dieses Verweigerungsverhaltens werden ausgerechnet die Arbeitsuchenden sein, die Sie mit Ihrem Arbeitsmarktprogramm unterstützen wollen. Das ist das Schlimmste an Ihrer Dickköpfigkeit. In der Anhörung haben alle Sachverständigen unisono darauf hingewiesen, dass die Zielgruppe der Fördermaßnahmen klipp und klar definiert sein muss. Die jetzige, sehr weit gefasste Definition der Zielgruppen wird dazu führen, dass viele Arbeitslose, die dem ersten Arbeitsmarkt schon sehr nahe sind, mit den Maßnahmen in den zweiten Arbeitsmarkt gedrängt und stigmatisiert werden. ({3}) Herr Weiß, wir bleiben bei unserer Formulierung: Ein Arbeitsplatz im zweiten Arbeitsmarkt ist ein Stigma. ({4}) Gleichzeitig droht die Gefahr, dass die, die tatsächlich erst grundlegend auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet werden müssten, von der ersten Gruppe verdrängt werden und durch das Raster fallen. Das können wir auch nicht wollen. Mit Ihrem Änderungsantrag, der eine Förderung auch über 24 Monate hinaus ermöglichen soll, haben Sie diesen Konstruktionsfehler noch verschlimmbessert. Die langen ABM-Karrieren vergangener Zeiten haben Sie, meine Damen und Herren von Schwarz und Rot, anscheinend schon vergessen. ({5}) In diesem Zusammenhang sollten wir noch einmal über das Thema Entlohnung sprechen. Warum verzerren Sie den gesamten Arbeitsmarkt Geringqualifizierter, indem Sie die Entlohnung der Maßnahmenteilnehmer um jeden Preis an tariflichen Löhnen festmachen? Es geht doch um Menschen, deren Produktivität und Belastbarkeit weit unter den Mindestanforderungen des ersten Arbeitsmarktes liegen. Ist Ihnen bewusst, dass Sie damit regulär beschäftigten Geringqualifizierten, die unter Tarif arbeiten, jede Motivation für einen Verbleib in regulärer Beschäftigung nehmen, wenn der geförderte Kollege nebenan deutlich mehr verdient? Vor allem Sie von CDU und CSU, die Sie so erfolgreich Münteferings Mindestlohn verhindert haben, ({6}) führen ihn jetzt für einzelne Gruppen durch die Hintertür ein. Nennen Sie das glaubwürdig? ({7}) Die FDP lehnt einen Mindestlohn ab, spricht sich aber für ein Mindesteinkommen aus. Wer arbeitet, muss besser leben können als andere, die nicht arbeiten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Herr Laumann, Sie haben eben das Beispiel eines lernbehin11286 derten Jugendlichen vorgestellt. Wir wollen, dass dieser Jugendliche eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommt. Das geht nur, wenn der Lohn in einem angemessenen Verhältnis zur Produktivität steht. ({8}) Wenn der Arbeitslohn nicht reicht, dann muss die Differenz mit einem Zuschuss aus Steuermitteln ausgeglichen werden, am besten direkt an den Arbeitnehmer. Lesen Sie doch einmal das Bürgergeldmodell der FDP nach. ({9}) Wir haben bereits sehr gute Vorschläge eingebracht. ({10}) Die Beitragsmittel aus der Arbeitslosenversicherung oder unwirtschaftliche Lohnvorgaben für die Arbeitgeber sind die falsche Quelle für solche Differenzen zu einem Mindesteinkommen. Was in den Gesetzentwürfen schon in der Zielsetzung falsch angelegt ist, wird sich in der Ausführung der Gesetze fortsetzen. Ich möchte das zu erwartende Chaos in den Arbeitsagenturen, Argen und Kommunen gar nicht näher beschreiben, ({11}) komme aber nicht ganz darum herum. Die normalen Kunden im Jobcenter und in den Arbeitsvermittlungen werden darunter leiden, dass die Jobvermittler eine weitere aufwendige Bürokratie zunächst aufbauen und später verwalten müssen. ({12}) Ich prophezeie Ihnen: Die für die nicht geförderten Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen zur Verfügung stehende Beratungszeit, die dringend notwendig ist, um diese in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, wird abnehmen. Völlig unklar ist auch, wie viel Geld eigentlich schlussendlich für die tatsächliche Förderung der Arbeitsplätze zur Verfügung steht; denn für die zusätzlichen Kosten, die durch das Coaching der Arbeitsuchenden entstehen, werden keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt. Sie müssen aus dem Eingliederungstopf finanziert werden. Wir Liberale wollen den guten Willen hinter den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfen nicht schlechtreden. Wir sind uns einig, dass es Arbeitslose gibt, die ohne vielfältige zusätzliche Förderung nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können. Wir Liberale glauben aber, dass die Gesetze, die wir hier und heute beraten, dies nicht oder nur sehr eingeschränkt leisten können. Wir befürchten Mitnahmeeffekte, ein dauerhaftes Einmauern der Geförderten im zweiten Arbeitsmarkt und ein Verfehlen der eigentlichen Zielgruppe. Deshalb lehnen wir das Gesetz zum SGB II ab und enthalten uns beim SGB III. Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Stefan Müller für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeswirtschaftsminister hat eine Regierungserklärung abgegeben. Er hat ausgeführt, dass die Wirtschaft unter Volldampf steht und Deutschland wieder die Wachstumslokomotive in Europa ist. Ich finde, Michael Glos hat recht. Die wirtschaftliche Dynamik in unserem Land hat sich wieder verstärkt. Wir sind heute nicht mehr alleine auf die Weltwirtschaft angewiesen, sondern die deutsche Wirtschaft hat wieder aus sich heraus Tritt gefasst. Da frage ich Sie: Wer hätte das noch vor einem Jahr für möglich gehalten? Viel entscheidender ist die Tatsache, dass der wirtschaftliche Aufschwung endlich auch den Arbeitsmarkt erreicht hat. Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass jeden Monat bessere Zahlen von der Bundesagentur in Nürnberg präsentiert werden. Das heißt doch aber ausdrücklich, dass dieser Aufschwung endlich bei den Menschen ankommt. Ich finde, wir sollten uns mit denjenigen 800 000 Menschen freuen, die letztes Jahr noch arbeitslos waren und dieses Jahr wieder eine Stelle gefunden haben. ({0}) Es besteht nach langer Zeit für viele Menschen wieder die berechtigte Hoffnung, dauerhaft eine selbstbestimmte berufliche Perspektive zu haben. Das zeigt, dass die Große Koalition mit ihrer Wirtschaftspolitik und ihrer Arbeitsmarktpolitik auf dem richtigen Weg ist. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs, trotz dieser besseren Entwicklung am Arbeitsmarkt bleibt es notwendig, für bestimmte Gruppen von beschäftigungslosen Menschen etwas zu tun. Dies gilt insbesondere für diejenigen, deren Arbeitsmarktchancen durch diese positive Konjunkturlage nicht verbessert wurden, bei denen der volle Einsatz des Instrumentenkastens der Bundesagentur nicht dazu führt, dass sie besser oder überhaupt in den Arbeitsmarkt integriert werden können, bei denen also nur die Alternative bleibt, auf staatliche Fürsorge angewiesen und sich selbst überlassen zu sein. Eine andere Alternative ist, eine Lösung zu suchen, damit auch diese Arbeitslosen wieder am Erwerbsleben teilhaben können. Genau um diese Gruppe geht es hier. ({1}) Die Bundesagentur für Arbeit beziffert diese Personengruppe auf circa 400 000 Menschen. Sie haben verschiedene Vermittlungshemmnisse, also ganz unterschiedliche Probleme - sei es, dass sie noch nie oder schon lange nicht mehr gearbeitet haben; sei es, dass sie gesundheitliche Beeinträchtigungen haben oder eine berufliche Qualifikation fehlt. Dies alles sind Gründe, die die Annahme einer Arbeitsstelle außerordentlich erStefan Müller ({2}) schweren. Genau für diese Personengruppe ist der Kombilohn, den wir heute beschließen wollen, gedacht. Herr Niebel, Sie haben im Ausschuss ausgeführt, dass die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - das habe die Evaluationsstudie zu Hartz I bis Hartz III ergeben - nicht erfolgreich gewesen seien. Da haben Sie ausdrücklich recht. Das steht dort so geschrieben. Nur, liebe Kollegen von der FDP, der von uns geplante Kombilohn hat mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen überhaupt nichts zu tun. ({3}) Es geht hier um einen eng begrenzten Personenkreis. Es geht nicht darum, ein flächendeckendes Arbeitsbeschaffungsprogramm zu organisieren. Es geht auch nicht - auch das ist klar geworden - um eine 100-prozentige Finanzierung. Eine ABM-Maßnahme zeichnet sich aber durch all das aus. Darum geht es hier nicht, sondern darum, denjenigen Menschen, die ich gerade beschrieben habe, eine Chance zu geben. ({4}) Nun können Sie ja - das halte ich für vertretbar - eine andere Auffassung dazu haben. Sie können sagen, dass Sie das für ordnungspolitisch falsch halten; da haben wir eine unterschiedliche Auffassung. Aber selbst wenn dies ordnungspolitisch falsch wäre, ist es sozialpolitisch richtig, diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, am Erwerbsleben teilzuhaben. ({5}) Deswegen ist unser Vorhaben richtig, und deswegen werden wir es auch umsetzen. ({6}) Herr Kollege Rohde, bemerkenswerterweise sind Sie in Ihrer ersten Rede zu diesem Thema sehr viel differenzierter an die Sache herangegangen. ({7}) Da standen Sie ja auch noch nicht unter der Beobachtung von Herrn Kolb und Herrn Niebel. Sie sind zwar sehr vielversprechend gestartet, sind aber leider Gottes sehr enttäuschend gelandet. Es ist schade für die betroffenen Menschen, dass Sie sich der Zustimmung zu dieser Maßnahme tatsächlich entziehen. Noch ein Wort zur Reduzierung der Zahl der Arbeitsmarktinstrumente. Seien Sie ganz beruhigt, Herr Niebel und Frau Pothmer, wir werden dazu im Herbst einen Vorschlag unterbreiten und eine eventuell bestehende Unübersichtlichkeit, die Sie kritisieren, beheben. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rohde zulassen?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Müller, lieber Stefan, ({0}) ich bin wirklich sehr konstruktiv-kritisch mit diesem Gesetzentwurf umgegangen. Das habt ihr zur Kenntnis genommen. Aber würdet ihr - und speziell du - auch zur Kenntnis nehmen, dass die Änderungsanträge, die erst nach der Expertenanhörung eingebracht wurden und über die wir im Ausschuss diskutiert haben, eine Verschlimmbesserung des Gesetzentwurfes darstellen, sodass wir ihm selbst bei gutem Willen, den wir unterstellen und den auch wir haben, nicht mehr zustimmen können?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hätte dafür Verständnis, wenn ich nicht den Eindruck gewonnen hätte, dass das Abstimmungsverhalten der FDP schon vorher festgelegt worden ist. ({0}) Da ich diesen Eindruck aber habe, Herr Kollege, kann ich Ihnen leider nicht zustimmen. Ich komme später auf Sie zurück. Vielleicht haben Sie dann noch einmal das Bedürfnis, eine Zwischenfrage zu stellen. Genauso schade finde ich, dass die Grünen diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen wollen. Auf Seite 13 Ihres neuen Papiers „Grüne Marktwirtschaft“ - ich habe es mir besorgt - erkennen Sie die Notwendigkeit eines sozialen Arbeitsmarkts ausdrücklich an - ich zitiere -: Daneben brauchen wir aber auch Angebote für diejenigen, die trotz Unterstützung auf unabsehbare Zeit nicht in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar sein werden. … Mit dem, was Sie da beschreiben, haben Sie recht. Ich wiederhole: Ich finde es schade, dass Sie diesem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen können. ({1}) - Es wäre Ihnen unbenommen gewesen, noch Änderungsanträge zu stellen. ({2}) Stefan Müller ({3}) Auch das haben Sie nicht getan. Also gilt für Sie im Zweifel das Gleiche, was für die FDP gilt: Das Abstimmungsverhalten war schon vorher festgelegt. Streuen Sie den Leuten doch keinen Sand in die Augen, und erwecken Sie nicht den Eindruck, als hätten Sie bei der ersten Lesung noch nicht gewusst, wie Sie sich hier bei der zweiten und bei der dritten Lesung sowie bei der Abstimmung tatsächlich verhalten! ({4}) Wir werden mit der Verabschiedung des zweiten Gesetzentwurfs, den wir heute zur Abstimmung stellen, die Beschäftigungsperspektiven für jüngere Menschen verbessern. Zunächst einmal kann man - das hat der Herr Staatssekretär gerade getan - auch dort eine außerordentlich erfreuliche Entwicklung feststellen. Die Arbeitslosigkeit unter 25-Jähriger ist von Juni 2006 bis Juni 2007 um über 123 000 zurückgegangen; das entspricht circa 30 Prozent. Diese Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch über 360 000 junge Menschen unter 25 Jahren keine Arbeit haben. Das sind immer noch eindeutig zu viele. Es gibt in diesem Bereich deshalb dringenden Handlungsbedarf. Wir können es uns nicht leisten, den jungen Menschen am Anfang ihres Berufslebens das Gefühl zu geben, nicht gebraucht zu werden. Wir dürfen ihnen nicht das Gefühl geben, dass die Politik sich nicht um sie kümmert. Genau deswegen werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen wichtigen, einen entscheidenden Schritt zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit machen. ({5}) Das Hauptproblem vieler junger Arbeitsloser ist tatsächlich die mangelnde Qualifizierung. Mangelnde Qualifizierung führt langfristig auch zu einer verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit. Es ist sehr schwer und bedarf großer finanzieller Anstrengungen, sie zu überwinden. Wir schaffen mit dem Qualifizierungszuschuss für Jugendliche ohne Berufsausbildung eine Perspektive, eine Beschäftigung aufzunehmen. Das Gleiche gilt für arbeitslose Jugendliche mit Berufsabschluss, denen ein entsprechender Eingliederungszuschuss zusteht. Wir greifen damit auf vorhandene Instrumente zurück. Beide Instrumente - Qualifizierungszuschuss und Eingliederungszuschuss - dienen ausschließlich dazu, jungen Arbeitslosen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Frau Pothmer, auch das Sammeln von Berufserfahrung dient letztlich dazu, die Beschäftigungsperspektive, mittel- und langfristig gesehen, zu verändern. Es ist immer noch besser, einen jungen Menschen in eine Beschäftigung zu bringen, als ihn arbeitslos auf der Straße stehen zu lassen. Ich bitte Sie, das einfach anzuerkennen. ({6}) Bei alledem dürfen wir aber nicht aus den Augen verlieren, dass es nicht nur um diejenigen geht, die heute schon arbeitslos sind. Eigentlich muss es uns ja auch um diejenigen gehen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie morgen oder übermorgen arbeitslos werden, sei es, weil sie keinen Schulabschluss haben, sei es, weil die Ausbildungsreife - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt - noch nicht gegeben ist. Es geht uns also auch darum, dort anzusetzen, wo Hilfe noch rechtzeitig erfolgen kann, nämlich beim Übergang von der Schule ins Berufsleben. Dieser Übergang ist doch der entscheidende Zeitpunkt, zu dem man Defizite Jugendlicher ausgleichen kann oder zu dem man dafür sorgen kann, dass Defizite gar nicht erst entstehen. Dazu haben wir zwei Maßnahmen vorgeschlagen. Erstens sind das die Fortschreibung des EQJ-Programms und seine Übernahme in das Arbeitsförderungsrecht. Dieses Programm soll insbesondere jungen Menschen ermöglichen, Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu erhalten. Die Begleitstudien zum EQJ-Programm sind außerordentlich vielversprechend: Nahezu 70 Prozent derer, die an diesem Programm teilnehmen, können eine Ausbildung aufnehmen. Zweitens geht es darum, die vertiefte Berufsorientierung zu erweitern. Insbesondere die Kollegen von der FDP haben hier Kritik an der damit verbundenen Verwendung von Beitragsmitteln geübt. Es hilft uns ja nichts, wenn wir heute diese Maßnahme nicht vornehmen und sie später dann doch auf Kosten der Beitragzahler weitergebildet werden müssen oder Fürsorgeleistungen bekommen. Ich glaube, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik einen entscheidenden Fehler machen: Wir kümmern uns um das Kind erst dann, wenn es in den Brunnen gefallen ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin. Wichtiger und richtiger wäre es, sich dann um die jungen Menschen zu kümmern, bevor sie in den Brunnen fallen, also rechtzeitig dafür zu sorgen, dass die Ausgangssituation vor Eintritt in die Berufsausbildung, vor Abschluss der Schule verbessert wird. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Rohde, ich habe Ihnen versprochen, noch einmal auf Sie zuzukommen. Als Bürger meines Wahlkreises müssten Sie wissen, dass wir in Erlangen ein vielversprechendes Projekt haben, das durch Mittel der Bundesagentur unterstützt wird. Ich lade Sie ein, mich bei den Gesprächen im kommenden Jahr zu begleiten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin davon überzeugt, dass auch mit Mitteln der Bundesagentur Gutes getan werden kann. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort die Kollegin Katrin Kunert für Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Ständige Korrekturen an den HartzGesetzen und das Auflegen zahlreicher Sonderprogramme sind ein klares Zeugnis für ein fehlendes Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({0}) Was Sie anbieten, ist ein Flickenteppich. Herr Niebel, in der Einschätzung der Maßnahmen der Bundesregierung sind wir sicherlich ganz dicht beieinander. Sie reden davon, dass es das Geld der anderen ist, wir sagen, es sind eingezahlte Beiträge. Sie betreiben damit eine Spaltung zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen in diesem Land, und das werden wir nicht unterstützen. ({1}) In den Bundesländern herrschen völlig unterschiedliche Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt kaum Konzepte, die auf regionale Besonderheiten eingehen. So gibt es Menschen in diesem Land, die bessere Chancen für den Einstieg ins Arbeitsleben haben, und es gibt Menschen, die mit Hartz IV an den Rand der Gesellschaft gestellt werden, weil sie unter anderem in einer strukturschwachen Region leben. Die Linke macht ein Angebot zur öffentlich geförderten Beschäftigung, die in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin unter Rot-Rot bereits praktiziert wurde und wird. Was in den Ländern geht, muss auch auf Bundesebene möglich sein. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Erstens. Schaffung der rechtlichen Grundlagen für dauerhaft öffentlich geförderte Beschäftigung. Zweitens. Bereitstellung der erforderlichen Haushaltsmittel mit Mindestlohnniveau. Drittens. Verteilung der Haushaltsmittel einsprechend einer Quote gemessen an der Anzahl der Langzeitarbeitslosen. ({2}) Zielgruppe dieser öffentlich geförderten Beschäftigung sind ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen und Menschen in Regionen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit. Wenn sich Beschäftigungspolitik auf diese Schwerpunkte konzentriert und Beschäftigungs- und Strukturpolitik miteinander verzahnt werden, dann kann das soziale Ungleichgewicht zwischen den Menschen und zwischen den Regionen entschärft werden. Regionale Verantwortung durch öffentlich geförderte Beschäftigung kann ein Mehr an Demokratie bedeuten. Die Ankündigung des Arbeitsministers, einen kommunalen Kombilohn einzuführen, halten wir für populistisch und sehr unseriös, populistisch, weil plakativ Hoffnungen geweckt werden, und unseriös, weil die geforderte Gegenfinanzierung weder durch die Kommunen noch durch die Träger möglich ist und weil ein möglicher Arbeitnehmer mit Familie und einem Lohn von 1 000 Euro nicht automatisch aus der Bedürftigkeit fällt. ({3}) Trotz sprudelnder Gewerbesteuereinnahmen haben 44 Prozent der Landkreise keinen ausgeglichenen Haushalt. Die Regionen, die seit Jahren eine Arbeitslosigkeit von über 15 Prozent aufweisen, haben ein Wirtschaftsstrukturproblem. Das löst man nicht mit einem kommunalen Kombilohn. Die Kommunen können auch nicht die Probleme für den Bund lösen. Zweifelhaft ist auch, ob die angekündigten Einsparungen bei den Kommunen wirklich eintreten. Bei den Kosten der Unterkunft haben Sie damals eine Entlastung für die Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro errechnet. Der Beweis bleibt bis heute aus. ({4}) Eine weitaus wirksamere Lösung wären entweder zusätzliche Mittel des Bundes an die Kommunen, oder Sie stimmen unserem Antrag auf eine öffentlich geförderte Beschäftigung zu. Zum zweiten Antrag unserer Fraktion: Der Bund hat im Haushalt 2007 6,5 Milliarden Euro für Eingliederungsleistungen eingestellt und eine Milliarde davon mit einem Deckungsvermerk gesperrt. Diese Milliarde wurde einbehalten, um Löcher bei der Arbeitslosengeld-II-Finanzierung zu stopfen, Löcher, die durch krasse Fehlkalkulationen der Bundesregierung entstanden sind. Diese Milliarde wird aber dringend benötigt, um arbeitslose Menschen weiter zu qualifizieren, damit sie eine reelle Chance am Arbeitsmarkt haben. Herr Kollege Brandner, wenn Sie da von Verantwortung reden, obwohl Sie Gelder einbehalten, dann haben Sie eine andere Definition von Verantwortung. ({5}) Soziale Projekte wie Jugend- und Altenbetreuung, dringend erforderliche Beratungsleistungen und auch die Unterstützung von Sportvereinen hängen von dieser Milliarde ab. Die Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Argen in Sachsen-Anhalt, Frau Tempel, kommentiert die Blockade der Mittel wie folgt: Damit gerät die bisher positive Entwicklung der gesetzten Ziele in Gefahr. Auch der sozialpolitische Auftrag des SGB II, Menschen in Beschäftigung zu bringen, der sozial- und kommunalpolitisch sinnvolle Auftrag, Gemeinwesenprojekte zu unterstützen, ist im 2. Halbjahr kaum umsetzbar … Gleiches fordern der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Landtages von Brandenburg, der Landkreis Tirschenreuth und Argen aus Ludwigslust, Euskirchen oder auch Leipzig. Ganz ehrlich, Herr Thönnes: Die eine Milliarde hilft Ihnen bei der Sanierung des Haushalts nicht wirklich. Beweisen Sie Mut! Geben Sie die eine Milliarde frei! Dann kommen Sie Ihrer Verantwortung wirklich nach. ({6}) Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Stimmen Sie unseren beiden Anträgen zu! Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Gabriele Lösekrug-Möller das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Wir haben eine gute Stunde debattiert, und ich frage mich: War es eine gute Debatte? In der Frage kommen einige vielleicht zu ganz anderen Einschätzungen als ich. ({0}) Ich will Ihnen meine Einschätzung zunächst vorenthalten und werde sie Ihnen vielleicht am Ende mitteilen. Ich bin aber sicher: Wir treffen gleich eine exzellente Entscheidung, und das ist, finde ich, das Wesentliche; ({1}) denn wir müssen Schwächeren eine Perspektive auf Arbeit geben. Das muss unser Ziel sein. Das steht im Mittelpunkt dieses Gesetzgebungsvorhabens. ({2}) Ich will mit einer Lüge aufräumen, die hier grassiert. Die Große Koalition und die Sozialdemokraten sagen: Es gilt nach wie vor: erst bilden, dann ausbilden, dann weiterbilden. - Davon rücken wir keinen Millimeter ab, auch nicht mit diesem Gesetzgebungsvorhaben. ({3}) Aber wir müssen uns der Wirklichkeit stellen, dass es viele Menschen gibt, die ein Recht auf Arbeit haben, denen wir mit „bilden, ausbilden, weiterbilden“ nicht so helfen konnten, dass sie die Chance auf Teilhabe an der Arbeitswelt haben. Für die schaffen wir heute gesetzliche Grundlagen, damit eine Integration gelingt. Ich bin froh darüber, dass wir uns zu diesem Schritt entschlossen haben. ({4}) Die Sozialdemokraten nennen das: Jobperspektive. Ich finde, darin steckt alles. Ich will auf ein paar Redebeiträge am Rande eingehen. Herr Niebel, Ihre Affinität zu Fehlern ist dem Haus bekannt. ({5}) Wirklich geärgert hat mich, dass Sie das Adjektiv „dämlich“ im Zusammenhang mit „Mindestlohn“ genannt haben. Das ist unter aller Würde. Das möchte ich Ihnen so ins Stammbuch schreiben. ({6}) Verehrte Kollegin Pothmer, ({7}) eigentlich ist Mäkelei gar nicht Ihr Format. Ich habe Sie als eine Abgeordnete kennengelernt, die das große Format liebt und das, finde ich, gut ausfüllt. Ihre Rede heute war so klein-klein und mäkelig, dass ich ein bisschen enttäuscht bin. ({8}) Aber ich verstehe es ja. Sie müssen eine Begründung finden, um Nein sagen zu können, wenn wir gleich abstimmen. ({9}) Eigentlich bedauere ich das, weil ich ganz sicher bin, dass es auch Ihnen darum geht, den Betroffenen eine Chance auf Arbeit zu geben. Es ist traurig, dass Sie denen heute im Grunde eine Ohrfeige geben. ({10}) Ich will gerne noch etwas zu den beiden Wortbeiträgen von Ihnen, Frau Kipping und Frau Kunert, sagen. Wir kennen Ihre grundsätzliche Opposition. Sie sagen: Alles, was nicht die Qualität des von Ihnen geforderten Mindestlohns hat, ist abzulehnen. - Ich finde das ein wenig billig. Ich bedauere das auch, weil wir mit dem, was wir heute verabschieden, den Menschen, die Ihnen doch eigentlich so am Herzen liegen, echte Chancen einräumen. Wenn Sie sagen: „Nein, das wollen wir nicht, weil es unserer Ideologie nicht entspricht“, dann tun Sie den Menschen keinen Gefallen. Das ist - das möchte ich an dieser Stelle einmal so sagen - entlarvend. ({11}) Ich komme zum Schluss. - Ich bin mir sicher, dass wir den richtigen Weg einschlagen, weil wir damit den Fallmanagern vor Ort, die inzwischen eine exzellente Arbeit leisten, einen großen Entscheidungsspielraum geben. Das ist richtig. Deshalb noch eine Anmerkung zum Instrumentenkasten, der im Übrigen im Wesentlichen steuerfinanziert ist. Das ist in dieser Debatte argumentativ in eine leichte Schieflage geraten. Das Steuergeld, das wir hier verwenden, ist gut eingesetzt. Den Fallmanagern einen ordentlichen Instrumentenkasten zur Verfügung zu stellen, macht Sinn. ({12}) Wer würde nämlich einem Chirurgen trauen, der in seinem Koffer nur ein Messer hat? Lassen Sie sich das einmal ins Stammbuch schreiben. Ich bin sehr dafür, dass wir Klarheit schaffen. Aber wenn wir meinen, es dürfe prinzipiell nur ein einziges Instrument geben, greifen wir zu kurz. Das hätte nichts mit Professionalität zu tun. ({13}) Alle, die professionell arbeiten, beherrschen ihre Instrumente, auch wenn Frau Künast sich jetzt darüber aufregt. ({14}) Ich glaube, wir treffen gleich eine gute Entscheidung, weil wir Menschen dadurch wieder in die Mitte der Gesellschaft rücken, indem wir ihre Chancen auf Teilhabe über Arbeit verbessern. Deshalb wird das für Hunderttausende von Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ein guter Tag. Vielen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Verbesserung der Qualifizierung und Beschäftigungschancen von jüngeren Menschen mit Vermittlungshemmnissen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5933, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5714 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwurf so annehmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung der Koalition und Ablehnung durch Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmergebnis wie vorher angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5979. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung der Linken und Ablehnung durch die übrigen Fraktionen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Verbesserung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5715 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die den Gesetzentwurf so annehmen wollen, bitte ich um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmergebnis wie vorher angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5980. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung der Linken und Ablehnung durch die übrigen Mitglieder des Hauses abgelehnt. Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/5495. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2504 mit dem Titel „Für eine Ausweitung und eine neue Qualität öffentlich finanzierter Beschäftigung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Linken und Zustimmung durch das übrige Haus angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2652 mit dem Titel „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Diese Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Linken. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Freigabe der im Bundeshaushalt einbehaltenen Mittel der Arbeitsmarktpolitik für das Jahr 2007“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5812, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4749 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung der Koalition und der FDP und Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatzpunkt 14 auf: 27 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Fritz Kuhn, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Konkretes Maßnahmenpaket für Klimaschutz und eine konfliktarme Energieversorgung verabschieden - Drucksache 16/5895 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Perspektiven für eine sektorale Ausweitung des Emissionshandels sowie für die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmesektor - Drucksache 16/5610 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Interfraktionell ist verabredet, hierüber eineinviertel Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen. ({2})

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen alles tun, um den fortschreitenden Klimawandel einzudämmen. - So spricht Bundeskanzlerin Merkel unentwegt auf den Weltgipfeln und in den Medien. Recht hat sie! ({0}) Nur leider sehen wir nicht, dass sie alles tut. Wir sehen im Gegenteil, dass sie bisher keine Maßnahmen durchgesetzt hat. Wir Grüne legen heute einen umfangreichen, realistischen und zielführenden Katalog mit 78 Maßnahmen vor. Darin steht, was man alles machen kann und was man alles machen muss, um den Klimawandel einzudämmen. ({1}) Darunter sind Maßnahmen, die schon lange von uns Grünen vorgeschlagen wurden, aber auch völlig neue Vorschläge, zum Beispiel der Vorschlag, ein Programm für 1 Million Ökostromautos aufzulegen. Bremser aus der SPD, die heute gut bezahlte Jobs bei den großen klimaschädigenden Energiekonzernen haben, machten unter Rot-Grün viele solcher grüner Vorschläge zunichte. ({2}) Es waren die Grünen, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz - ein großer Erfolg für den Bereich der erneuerbaren Energien - zusammen mit engagierten SPD-Abgeordneten durch den Bundestag boxten, gegen den Widerstand einiger SPD-Regierungsmitglieder. Ja, Herr Minister Gabriel, es war erfreulich, gestern Ihren Erfahrungsbericht zu hören und die grandiosen Erfolge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vorgestellt zu bekommen. Endlich ein SPD-Minister, der voll hinter dem Erneuerbare-Energien-Gesetz steht! ({3}) Herr Minister, solche Erfolge könnten Sie nach wenigen Jahren ernten, wenn Sie die Vorschläge unseres grünen Energiekonzeptes umsetzen würden. Stattdessen kämpfen Sie zusammen mit Bundeskanzlerin Merkel für eine Energiesicherheit auf der Basis fossiler Energien. Neue Erdöllieferungen, neue Erdgaspipelines, neue Kohlegruben tragen doch nur zur weiteren Klimazerstörung bei und nicht zu einer höheren Energieversorgungssicherheit. ({4}) Anstatt konsequent und kompromisslos auf eine Nutzung der unerschöpflichen erneuerbaren Energien, auf Energieeinsparung und -effizienz hinzuarbeiten, stützt die Große Koalition die Energiekonzerne, die auf fossile Energieträger setzen; die Union stützt sogar die Atomkonzerne. Dabei ist die Klimaerwärmung viel dramatischer, als es noch im jüngsten IPCC-Bericht dargestellt wurde: Das Grünlandeis schmilzt dreimal schneller, als noch im Februar von der IPCC prognostiziert; die Klimaerwärmung in Deutschland war in den letzten zwölf Monaten schon bei 3 Grad Celsius angelangt, obwohl die Weltgemeinschaft immer noch vom Ziel einer weltweiten Begrenzung auf 2 Grad Celsius redet. Wir müssen die Klimagasemissionen endlich stoppen und nicht nur reduzieren. Ja, das geht: mit der komproHans-Josef Fell misslosen Umstellung auf erneuerbare Energien in Verbindung mit konsequenter Energieeinsparung. Eine Fülle von Maßnahmen im Strom-, Wärme- und Verkehrssektor stehen dafür in unserem Energiekonzept. Es ist tatsächlich möglich, ohne die Verlängerung der Laufzeit von riskanten Atomkraftwerken und ohne neue Kohlekraftwerke sogar mehr als 40 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahre 2020 zu erreichen. Die bisherigen Maßnahmen der Großen Koalition sind mehr als dürftig. ({5}) Umweltminister Gabriel braucht weniger als eine Minute, um alles aufzuzählen, so die Aufstockung der Mittel für die von uns Grünen durchgesetzte Altbausanierung oder die Netzanbindung an die Offshore-Windkraftanlagen. Alle übrigen Maßnahmen der Großen Koalition sind lediglich Bestandsschutz der Energiekonzerne und kein Klimaschutz. ({6}) Was hat denn die Große Koalition bisher gemacht? Als Erstes wurden gleich im Dezember 2005 die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Finanzierung erneuerbarer Energien verschlechtert. Später wurde die Energieverschwendung von energiefressenden Unternehmen durch Privilegien bei der Ökosteuer sogar noch belohnt. Dann haben Sie die Biokraftstoffe besteuert, was mittelständische Biodieselproduzenten in den Konkurs treibt. Im Zuteilungsgesetz haben Sie der Kohle unglaubliche Privilegien verschafft. Seit 592 Tagen warten wir auf ein Wärmegesetz für erneuerbare Energien und auf ein Top-Runner-Gesetz für mehr Energieeffizienz. Den Erdgaskonzernen halten Sie die mittelständische Konkurrenz vom Halse, indem Sie ein Biogaseinspeisegesetz verweigern. Auf der EU-Ebene haben Sie gar die klimaschädlichen Automobilkonzerne vor wirksamen Emissionsgrenzen in Schutz genommen. Diese Woche führen Sie Ihre Klimaerwärmungsmaßnahmen in aller Unverfrorenheit weiter. Im Haushaltsplanentwurf für 2008 kürzen Sie das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien gar um 45 Millionen Euro. Knapp die Hälfte der Einnahmen aus der Versteigerung der Zertifikate geht in die allgemeine Haushaltssanierung statt in Klimaschutzmaßnahmen. So wird diese Große Koalition Deutschland bald zu den Schlusslichtern beim Klimaschutz in der EU und in eine gigantische Energiekrise führen. ({7}) Nicht einmal das schwache EU-Ziel von 20 Prozent erneuerbaren Energien will die Regierung Merkel für Deutschland umsetzen. Klägliche 16 Prozent bis 2020 sind das Ziel. Klimaschutzpolitik, Herr Minister Gabriel, sieht anders aus. Sie können hervorragend reden, aber Sie setzen keine Maßnahmen durch. Melden Sie unser grünes Energiekonzept als Maßnahmenpaket der Bundesregierung nach Brüssel; dann werden Sie ein erfolgreicher Umweltminister werden. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Klimaschutz ist spätestens seit dem Bericht des britischen Chefökonomen Sir Nicholas Stern im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Auch der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change - IPCC vom 4. Mai 2007 der Vereinten Nationen unterstreicht die Bedeutung des Klimawandels. Aufgrund der massiven Auswirkungen des Klimawandels auf die Bewohnbarkeit großer Regionen unserer Erde und die in Folge möglicherweise auftretenden massiven Verwerfungen durch Migration und gewaltsame Auseinandersetzungen um Wasser, Nahrung und Wohnraum wurde der Bericht nicht in den für Umweltpolitik zuständigen Gremien debattiert, sondern im Weltsicherheitsrat. Das zeigt die fundamentale Bedeutung dieser Problematik. Die Große Koalition hat sich von Anfang an den Herausforderungen des Klimawandels gestellt. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, bis zum Jahr 2020 die Energieproduktivität gegenüber 1990 zu verdoppeln. Außerdem treten wir für den ökologisch und ökonomisch sinnvollen Ausbau der erneuerbaren Energien in den Bereichen Strom und Wärme ein. Die CDU/CSU-Fraktion hat zudem im April dieses Jahres zahlreiche Maßnahmen und Ziele definiert - beispielsweise das 2-Grad-Ziel mit dem Kioto-PlusAbkommen verbindlich zu machen - und in das Positionspapier „Klimawandel entgegentreten - konkrete Maßnahmen ergreifen“ aufgenommen. Zentrale Aufgabe der Klimaschutzpolitik ist die Umsetzung der Verhandlungsergebnisse von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in diesem Jahr auf europäischer und internationaler Ebene sehr ehrgeizige Rahmenbedingungen zum Schutz des Klimas formuliert hat. Das gilt sowohl für die Vereinbarung des Europäischen Rats im März als auch für die Erklärung des G-8-Gipfels in Heiligendamm im Juni dieses Jahres. Um diese Ziele zu realisieren, hat Bundesumweltminister Gabriel in seiner Regierungserklärung am 26. April mit der Klimaagenda 2020 einen nach Art und Umfang der Maßnahmen detaillierten Achtpunkteplan vorgestellt. Dieser Katalog liegt vor und muss nicht erst erarbeitet werden, wie Ihr Antrag, lieber Herr Fell, suggeriert. Auf dem 3. Energiegipfel Mitte dieser Woche hat die Bundeskanzlerin noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass die Bundesregierung zu diesen ehrgeizigen Klimaschutzzielen steht. Um die Energieeffizienz in Deutschland jährlich um 3 Prozent zu steigern und den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 um bis zu 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken, muss jetzt eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen werden. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel werden diese Maßnahmen in einem integrierten Klima- und Energiepaket zusammenstellen, das zur Kabinettsklausur Mitte August vorliegen wird. Über diese Beschlüsse werden wir hier im Dezember debattieren. ({0}) Dazu wird sicherlich erstens der Ausbau der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien zählen, den auch Sie, liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag fordern. Sie wissen, dass Sie hiermit offene Türen einrennen; denn die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen handeln schon längst entsprechend. Der Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien wurde gestern vorgelegt; das haben Sie selbst erwähnt. Es ist ganz klar, dass wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit der anstehenden Novelle fortentwickeln werden, und zwar unter der Maßgabe eines ambitionierten Ausbaus der erneuerbaren Energien und einer möglichst kosteneffizienten CO2-Einsparung. Der Vorläufer dieses Gesetzes wurde übrigens von uns entwickelt. Lieber Herr Fell, auch das vergessen Sie immer wieder. ({1}) Ich nenne zweitens speziell den Bereich der Biokraftstoffe der ersten und der zweiten Generation. Ohne Zweifel sind Letztere die Hoffnungsträger unter den Biokraftstoffen, da sie aufgrund der Verwertung der ganzen Pflanzen günstigere Ökobilanzen aufweisen und zugleich für hochgezüchtete Motoren verträglich sind. Das darf aber nicht davon ablenken, dass sie auf absehbare Zeit nur in homöopathischen Mengen zur Verfügung stehen und deshalb Biokraftstoffe der ersten Generation, also Pflanzenöl, Bioethanol und Biodiesel, eine wichtige Rolle bei der Reduzierung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor spielen. Deshalb wird die Union dafür Sorge tragen, dass der Bericht gemäß des Biokraftstoffquotengesetzes spätestens im Oktober dieses Jahres vorgelegt wird. Ausgehend von diesem Bericht werden wir mit unserem Koalitionspartner und dem Bundesfinanzminister über die Fragen diskutieren, wie eine Verschiebung oder Reduzierung der nächsten Steuerstufe möglich ist und ob wir die nächste Stufe der Beimischungsquote um ein Jahr vorziehen. ({2}) Drittens nenne ich das riesige Klimaschutzpotenzial, das sich im Wärmebereich und in der Gebäudesanierung eröffnet. Die CDU/CSU-Fraktion setzt auf ein integriertes Wärmekonzept, welches mehrere Instrumente vereint, die den Zielen des Klimaschutzes und der Kosteneinsparung für Mieter und Vermieter entgegenkommen. Dieses Konzept soll nicht einseitig regenerative Energien fördern, sondern auch weitere Klimaschutzinstrumente berücksichtigen. Die Vorschläge sind detailliert und umfassen den Ausbau von Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien durch eine Verrechtlichung des Marktanreizprogramms über das Jahr 2009 hinaus, die Einführung einer dynamischen Quote zur Installation erneuerbarer Wärme bei Neubauten und bei grundlegenden Sanierungen von Heizungen in Wohn- und Bürogebäuden von über 500 Quadratmetern, die verbesserte Effizienz fossiler Wärmeerzeugung, die bessere Nutzung von Abwärme aus der Stromerzeugung in Form von Fern- und Nahwärme, die stärkere Nutzung der Kraft-WärmeKopplung, Energie-Contracting, das Fortführen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms, eines der erfolgreichsten Programme dieser Bundesregierung, über das Jahr 2009 hinaus sowie Regelungen, die einen fairen Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern schaffen, die stärkere Anreize für den Vermieter setzen, Sanierungsmaßnahmen auch tatsächlich durchzuführen, und die die Energieberatung für Vermieter, Mieter und insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen verbessern. ({3}) Die Forderung der Kolleginnen und Kollegen von der FDP, über diese Maßnahmen hinaus den Emissionshandel im Verkehr- und vor allem im Wohngebäudesektor einzuführen, halten wir allerdings für viel zu bürokratisch. Ich plädiere dafür, nicht ein Instrument um des Instrumentes willen einzuführen, sondern die beste unbürokratischste und zugleich effektivste Lösung anzustreben. Deshalb werbe ich für die unbürokratischen Instrumente, die Bestandteil unseres integrierten Wärmekonzeptes sind. ({4}) Ich kann in vielen Punkten Ihren beiden gutgemeinten Anträgen zustimmen. Allerdings sind viele dieser Forderungen erfreulicherweise genau Inhalt dessen, woran wir bereits erfolgreich arbeiten. Ich denke, dass wir mit Blick auf die jüngsten Beschlüsse sowohl auf der internationalen als auch auf der europäischen, aber auch auf der nationalen Ebene zurzeit auf einem sehr guten klimapolitischen Weg sind. Diesen Weg beschreitet die Union umsichtig und unideologisch, dafür aber sehr zielstrebig und konsequent. Kommen Sie doch einfach mit. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Michael Kauch das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Klimaschutz besteht nicht nur aus schönen Zielen und Überschriften, die die Koalition so gerne vor sich her trägt und die die Kollegin Flachsbarth hier so schön aufgelisMichael Kauch tet hat, sondern es geht auch darum, Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Diese Maßnahmen müssen zum einen effektiv sein. Das heißt, sie müssen die Klimaschutzziele erreichen. Zum anderen müssen sie effizient sein. Das heißt, sie müssen so kostengünstig, so wettbewerblich und so technologieoffen wie möglich gestaltet werden. ({0}) Deshalb legen wir Ihnen heute ein konkretes Konzept zur Ausweitung des Emissionshandels auf den Wärmesektor sowie ein Modell für ein marktwirtschaftlich orientiertes regeneratives Wärmegesetz vor. Die Nutzung erneuerbarer Energien bei der Wärmeproduktion und die möglichst energieeffiziente Nutzung dieser Wärme sind zentrale Bausteine für den Klimaschutz und auch für die Versorgungssicherheit. Es ist richtig: Die Koalition unterschreibt diese Ziele auch. Aber wenn es konkret wird, schlagen Sie sich in die Büsche und verweisen darauf, dass irgendwann - es wird immer wieder von Monat zu Monat verschoben; jetzt ist es der August - ein tolles Konzept vorgelegt wird. Aber Sie haben es in mehr als einem Jahr nicht geschafft, ein gemeinsames Konzept zu entwerfen. Das zeigt wieder einmal, dass Sie in dieser Koalition eigentlich nicht mehr handlungsfähig sind. ({1}) Ich will die Verantwortlichkeiten an dieser Stelle klar benennen. Die SPD hat ein Konzept. Es ist letztendlich eine Kopie des EEG. Ich teile es nicht; aber zumindest hat die SPD ein Konzept. ({2}) Jetzt komme ich zu den Kolleginnen und Kollegen von der Union. Sie haben es bisher nicht einmal geschafft, in Ihrer eigenen Fraktion die vielstimmigen Meinungen zu einem Konzept zusammenzubringen. Die Kanzlerin geht zwar lobenswerterweise immer voran, wenn es um die Zielverhandlungen geht. Aber wenn es konkret wird und um die Umsetzung geht, dann versagen Sie als Unionsfraktion schon konzeptionell auf ganzer Linie. ({3}) Diesem schwarz-roten Chaos setzen wir Liberale ein Zweistufenmodell entgegen. Langfristig wollen wir den Verkehr und die Wärmeproduktion in den bestehen Emissionshandel integrieren. Frau Flachsbarth, das ist nicht bürokratisch. Dabei geht es um die Frage, wie man den Emissionshandel ausgestaltet. Wenn man es auf der Ebene der Brennstoffhändler macht, dann gibt es eine überschaubare Zahl von Akteuren. Wenn Sie die Zertifikate nicht zuteilen, sondern versteigern, wenn Sie also den Emissionshandel richtig gestalten, entsteht keine Bürokratie in diesem Bereich. ({4}) Die Einbeziehung der Wärme und des Verkehrs in den Emissionshandel hätte zwei entscheidende Vorteile. Erstens gäbe es dann auch für diesen Bereich nicht nur politische Ziele zur Begrenzung der CO2-Emissionen, die man dann erreicht oder nicht erreicht. Man hätte auch klare, rechtlich verbindliche Obergrenzen für die Emissionen aus diesen beiden Sektoren. Zweitens würde die Wirtschaft durch den Handel die kostengünstigsten Wege zur Umsetzung der verpflichtenden CO2-Einsparungen finden. Bei dieser Ausweitung des Emissionshandels sind wir natürlich darauf angewiesen, dass auch die Europäische Union diesen Weg geht. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, in dieser Richtung zu verhandeln, wenn es um den Emissionshandel nach 2013 geht. Solange das nicht erreicht ist, wollen wir ein Regenerative-Wärme-Gesetz. Um es möglichst unbürokratisch zu gestalten, beabsichtigen wir, es auf der oberen Handelsebene anzusetzen. Wir wollen, dass der Staat jedes Jahr eine regenerativ erzeugte Menge an Wärme vorgibt. ({5}) Die Erzeuger erneuerbarer Wärme, etwa die Betreiber von Holzpelletheizungen und Solarthermieanlagen oder die Biogaseinspeiser, können sich diese Wärmemenge zertifizieren lassen. Auf der anderen Seite müssen die Nachfrager, nämlich die Händler von Brennstoffen, Heizöl und Erdgas, diese Zertifikate entsprechend nachweisen. ({6}) Der dadurch entstehende Preis für die erneuerbare Wärme wäre ein echter Investitionsanreiz. Das wäre ein effektiver, effizienter und marktwirtschaftlicher Weg, die erneuerbaren Energien zu fördern. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, da Sie selbst kein Konzept haben, schlage ich Ihnen vor: Kopieren Sie unser Konzept und bringen Sie es in die Verhandlungen ein. ({8}) Das wäre im Sinne des Klimaschutzes und im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die FDP-Fraktion hat bereits zu anderen Bereichen des Klimaschutzes Anträge ins Parlament eingebracht. Dabei ging es beispielsweise um die Frage: Wie können wir unsere solare Spitzentechnologie effektiver in Entwicklungs- und Schwellenländer exportieren? Leider ist es so, dass die verschiedenen beteiligten Ministerien keine Koordinierung vorweisen können und kein Konzept haben. Auch von der Koalition gibt es bisher nichts als Überschriften. ({9}) - Ja. Aber schauen Sie sich bitte auch einmal die Realität in den Ländern an, die nicht ohnehin schon weit sind. In den afrikanischen Ländern zum Beispiel - ich bin Mitglied in der Parlamentariergruppe für das südliche Afrika - gibt es auf breiter Front Insellösungen in der Stromversorgung. Obwohl dort optimale Bedingungen für Solartechnik bestehen, ist es vielfach immer noch so, dass Strom mit Dieselgeneratoren erzeugt wird. Hier hat zumindest das Entwicklungshilfeministerium etwas falsch gemacht. ({10}) Der Antrag, den das Bündnis 90/Die Grünen heute vorlegt, ist ein netter Versuch, letztendlich aber nichts als ein Sammelsurium bekannter Positionen: von AntiAKW über die missionarische Verbreitung des teuren EEG in ganz Europa bis hin zu Tempolimit und Hybrid. Wir setzen nicht auf Ökosymbolik oder eine Verbotsideologie, sondern auf marktwirtschaftliche Anreize und technologische Optionen für die Zukunft. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen. ({11}) Wir müssen neue technologische Möglichkeiten nutzen. Das betrifft auch die Kohle. Wir werden es nicht schaffen, gleichzeitig aus der Nutzung der Kernkraft und der Kohle auszusteigen. Deshalb müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Kohle so verantwortlich wie möglich nutzen können. Dazu gehört auch, dass wir die CO2-Abscheidungstechnologie, durch die das CO2 abgeschieden und in der Erde eingelagert wird, tatsächlich auf den Markt bringen. Das muss man im internationalen Kontext sehen: Die Kohle wird in China in jedem Fall verbrannt. Die Frage ist: mit guter oder mit schlechter Technologie? Deutschland muss zu dieser neuen Technologie Ja sagen, und wir müssen sicherstellen, dass in Deutschland kein Kraftwerk mehr gebaut wird, das nicht zumindest nachrüstbar ist, was diese Technologie betrifft. Schöne Worte der Kanzlerin reichen nicht aus. Ich erwarte von der Koalition, dass sie in diesem Bereich einen klaren Rechtsrahmen schafft. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Frank Schwabe, SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Am Klimaschutz kommt niemand vorbei. Das ist, wie ich glaube, im Rahmen der Auseinandersetzungen über den Energiegipfel erneut deutlich geworden. Insofern waren diese Auseinandersetzungen durchaus hilfreich. Ich habe den Eindruck, dass diese Tatsache nun vielleicht auch dem letzten Vorstandsvorsitzenden bewusst geworden ist. ({0}) Ich freue mich, dass es auch im Deutschen Bundestag eine große Übereinstimmung gibt, die sogar konkrete Maßnahmen einschließt. Das soll im Rahmen solcher Diskussionen natürlich etwas verschleiert werden. Denn zu den Aufgaben der Opposition gehört, Kontrolle auszuüben und Antriebsfeder zu sein; das ist ja auch richtig. Nichtsdestoweniger muss man die Dinge auseinanderhalten: Wenn die Grünen hier Anträge stellen, ist das gut. Entscheidend ist aber, was am Ende umgesetzt wird; daran muss man sich messen lassen. Dass Sie nicht daran glauben, dass das Ganze im Deutschen Bundestag umgesetzt werden wird, macht schon der Text Ihres Antrages deutlich: Sie reden immer von einem grünen Energiekonzept. So weit ist es noch nicht, dass der Deutsche Bundestag die grünen Energiekonzepte eins zu eins beschlösse! ({1}) Ich will ja wirklich zurückhaltend sein; aber ich bitte schon herzlich - auch Frau Künast -, bei der Wahrheit zu bleiben. Ich musste nämlich in der „Zeit“ lesen: Gabriel und die SPD mussten sich von der Europäischen Kommission zu einer Versteigerung der Zertifikate treiben lassen. ({2}) Es gab eine intensive Debatte, und der Minister hat immer von einer langen Lernkurve geredet, das stimmt. Aber bei den Zertifikaten war das ganz anders: Da ist es wirklich so, dass der Deutsche Bundestag vorangeht und dass wir selbstbewusst sagen können: Deutschland ist ein Vorbild für ganz Europa. ({3}) In der Frage der Veräußerung der Zertifikate sind wir an die Spitze getreten. Das könnten Sie einmal würdigen, anstatt wie in der „Zeit“ falsche Behauptungen aufzustellen! Jetzt noch kurz zur FDP. Wir sind ja alle sommerlichmilde gestimmt. Ich will deswegen ausdrücklich würdigen, dass es einige in der FDP gibt, die sich bemühen, der FDP beim Klimaschutz ein Stück weit ein grünes Antlitz zu geben. Nichtsdestoweniger hat die Mehrheit Ihrer Fraktion eine andere Position. Ich habe einmal nachgelesen, was Frau Kopp zum Energiegipfel gesagt hat: In der Energiepolitik droht dem Land bis 2009 … vielleicht - das bezieht sich auf die Zukunft sogar aktionistischer Regelungswahn ohne Richtung und Ziel. Die FDP muss sich schon entscheiden, wie sie sich aufstellen will: Wollen Sie nun, dass wir Maßnahmen ergreifen und sie entsprechend umsetzen, oder wollen Sie dies „aktionistischen Regelungswahn“ nennen? ({4}) Denn Letzteres kann sich ja nur auf die Maßnahmen beziehen, die angekündigt sind. Ich muss daran erinnern, dass Sie die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag sind, die sich noch nicht auf das Ziel verpflichtet hat, die CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken. Sie sind die Einzigen; das muss hier immer wieder gesagt werden. ({5}) Die Bundesregierung - das kann man doch wirklich loben! - geht international voran: Sie hat sich national das ambitionierte 40-Prozent-Ziel gesetzt und mit dem Gebäudesanierungsprogramm gehandelt, ebenso beim Emissionshandel. Noch einmal: Ich würde mir wünschen, dass unsere Ausgestaltung des Emissionshandels stärker gewürdigt wird. Wir haben die Versteigerung, wir haben nicht den 3-fach-Benchmark im Bereich der Braunkohle, und wir haben ein ambitioniertes Cap. ({6}) Nach langen Diskussionen haben wir miteinander einen wirklich guten Emissionshandel beschlossen. Ich glaube, es schadet nichts, wenn wir das gemeinsam feststellen, Frau Künast. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch?

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die gestatte ich gerne.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schwabe, die Grünen wollen offensichtlich zwischenrufen, aber ich möchte Sie ganz förmlich fragen. Es ist offensichtlich - wir haben das schon gestern erlebt - eine Strategie Ihrer Fraktion, darauf zu verweisen, dass sich die FDP-Fraktion im Rahmen der Umfrage von Greenpeace nicht für das 40-Prozent-Ziel ausgesprochen hat. Ich möchte, dass Sie zur Kenntnis nehmen - und würde Sie bitten, das bei Ihren weiteren Argumentationen aufzunehmen -, dass sich die FDP-Fraktion in einem einstimmigen Beschluss auf das 30-Prozent-Ziel der EU verpflichtet hat, und zwar ohne Wenn und Aber, ohne die Einschränkungen, die die Bundesregierung verhandelt hat. Wir sind jedoch - wie im Übrigen auch Ihre Regierung - der Meinung, dass es Verhandlungen über die Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union geben muss. Ich finde, es ist im deutschen Interesse, dass wir zunächst einmal verhandeln und nicht vorher, einseitig, ein für uns denkbares Verhandlungsergebnis auf den Tisch legen. Ich finde, auch die Franzosen sollten etwas machen. Ich würde mich freuen, wie Sie das zur Kenntnis nähmen. Das war keine Zwischenfrage, das war eine Zwischenbemerkung, die nach der Geschäftsordnung auch zulässig ist. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Aber Sie bleiben während der Beantwortung durch den Kollegen Schwabe noch stehen!

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Man lernt immer etwas dazu; dies war also eine Zwischenbemerkung. Herr Kauch, wir haben schon mehrfach darüber diskutiert und wir wissen, dass es in der Tat das konditionierte Ziel von 30 Prozent für Europa bei 40 Prozent für Deutschland gibt. Wenn wir aber in Sonntagsreden darüber sprechen, dass wir mit unseren nationalen Maßnahmen und auf europäischer Ebene wie auch international eine Vorreiterrolle einnehmen wollen, dann finde ich es richtig, zu fragen, was wir machen müssen, wenn Europa 30 Prozent als Ziel hat; wir gehen davon aus. Man muss irgendwann anfangen, Gesetzespakete zu schnüren, und das tun wir jetzt auch. Dann muss man aber von einer Zahl ausgehen. Ich stelle noch einmal fest, dass alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag hinter dem 40-Prozent-Beschluss stehen, wenn Europa sich 30 Prozent zum Ziel setzt, einige sogar unkonditioniert. Sie sind die einzige Fraktion, bei der das in keinem einzigen Papier steht. Wenn das anders sein sollte, müssten Sie mich eines Besseren belehren. ({0}) Insofern geht die Bundesregierung wirklich voran. Es wurde Druck gemacht, indem man sich vorgenommen hat, das Klimapaket in diesem Jahr zu beschließen. Die Bundeskanzlerin und der Bundesumweltminister haben dabei die ausdrückliche Unterstützung der SPD-Fraktion. Die Ziele sind klar: die weitere Verbesserung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, ein Wärme-EEG und ein gutes Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz. ({1}) All das muss dieses Jahr beschlossen werden. Die zentralen Maßnahmen hat Sigmar Gabriel in seiner Regierungserklärung in einem Acht-Punkte-Programm beschrieben. Bei 40 Prozent liegt die Messlatte, und die acht Punkte sind der mit eindeutigen Zielen unterlegte Orientierungsrahmen. Wer immer in der Bundesregierung oder den Koalitionsfraktionen Änderungen an diesen acht Punkten vornehmen will, muss ganz genau benennen, welche Maßnahmen er zukünftig zusätzlich darin aufnehmen will. Das ist die klare Vorgabe für dieses Jahr. Ich freue mich darüber - will aber nicht zuviel darüber reden, weil es beim Energiegipfel zum Glück nicht die Rolle gespielt hat, wie einige Medien es danach erscheinen lassen wollten -, dass wir die Alibidiskussion über Atomkraft in dieser Legislaturperiode beenden. Das ist, glaube ich, im Rahmen des Energiegipfels deutlich geworden. Es gibt fundamentale Gegensätze in der Regierung. Im Parlament gibt es im Übrigen eine Mehrheit für den Atomausstieg. Das ist auch gut begründet. Wenn immer wieder gesagt wird, dass Deutschland die sichersten Atomkraftwerke der Welt hat, frage ich mich nach den Vorkommnissen der letzten Wochen, wie es eigentlich im Rest der Welt aussieht. Es ist jedenfalls eine Alibidebatte, weil die Atomenergie bei einem weltweiten Anteil von 3 Prozent an der Endenergie keine relevanten Klimaschutzeffekte hat. ({2}) Insofern ist es gut, dass diese Alibidebatte beendet ist und wir uns auf die vielen anderen Dinge, bei denen wir etwas machen können, konzentrieren können. Im Antrag der Grünen wird auch einiges zur Außenpolitik gesagt. Deswegen will ich noch einmal deutlich machen, dass es notwendig ist, bei der Klimakonferenz in Bali zu einem Kioto-Nachfolgeabkommen zu gelangen. Es ist notwendig, dass die Industrieländer vorweggehen. Solange Deutschland pro Kopf auf einen zehnmal so hohen CO2-Ausstoß wie Indien kommt, müssen wir vorweggehen. Wenn wir vorweggehen wollen, brauchen wir eine hohe Glaubwürdigkeit der nationalen Politik. Der Umweltminister hat eine hervorragende Rolle in Nairobi gespielt, weil er das 40-Prozent-Ziel benannt hat. Nach meiner Erinnerung war er der Einzige, der nicht nur gesagt hat, dass wir alle etwas tun wollen, sondern für Deutschland auch ganz konkret das 40-ProzentZiel benannt hat. ({3}) - In der Tat, es war ein Bundestagsbeschluss, Herr Göppel. Deswegen ist es ein hervorragendes Signal, wenn wir es vor Bali schaffen, dieses Klimaschutzpaket durch den Deutschen Bundestag zu bringen. ({4}) Ich will noch ganz kurz auf CCS eingehen. Die Linke unterliegt diesbezüglich einem Denkfehler. Frau Bulling-Schröter wird, glaube ich, zu diesem Thema noch etwas sagen. ({5}) Sie schließen das kategorisch aus. Wir sind ja gemeinsam auf internationalen Konferenzen und wissen, wie das diskutiert wird. Ich halte es aber auch für falsch, zu sagen, das sei das allein Seligmachende und werde auf alle Fälle funktionieren. Ich habe dazu durchaus Fragen. Wir müssen aber aus dieser „Karottensituation“ herauskommen, in der jemand auf einem Esel sitzt, diesem eine Karotte vor die Nase hält und sich die Karotte immer dann, wenn der Esel einen Schritt vorwärts geht, auch ein Stück nach vorne bewegt. Wir brauchen also Klarheit bei der Debatte über CCS. Diese Klarheit muss ganz schnell geschaffen werden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen geklärt werden, und wir brauchen eine Debatte über die Akzeptanz. Wir brauchen nicht, wie Sie, Herr Kauch, vorgeschlagen haben, eine Werbekampagne für CCS, sondern eine kritische Diskussion in der deutschen Bevölkerung, ob CCS für die Menschen akzeptabel ist - und zwar schnell! Zum Abschluss will ich sagen, dass die Energie- und Klimapolitik für Sozialdemokraten auch eine hohe soziale Relevanz hat. Auf dem Energiegipfel wurde jetzt ja vor Strompreiserhöhungen gewarnt. Es wird Strompreiserhöhungen geben, nämlich dann, wenn wir nicht frühzeitig umsteigen. Wenn wir es nicht frühzeitig schaffen, die Abhängigkeit von Importenergie und fossilen Energieträgern aufzulösen, Alternativen zu entwickeln und so umzusteigen, dass die notwendige Erhöhung der Menge nicht mit einer Steigerung der CO2-Emissionen einhergeht, dann wird die zweite Miete dauerhaft zur ersten Miete. Ich glaube, es geht hierbei nicht nur um das Klima, um die Ökologie, sondern darin steckt auch viel sozialer Sprengstoff. Ganz zum Schluss will ich noch einmal deutlich machen - ich freue mich, dass das beim Energiegipfel klargestellt wurde -, dass es die Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik ist zu handeln, wenn das Klima und die Energiepolitik so zentral sind, wie das die Kanzlerin zu Recht beschrieben hat. Wir haben eben eine Demokratie und keine Großunternehmenskratie.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie wollen sicher nicht auf Kosten Ihrer Kollegen sprechen.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen ist es die Aufgabe der Politik zu handeln. Ich fordere die Unternehmen auf, dabei mitzumachen. Ich denke aber, dass niemand Zweifel daran haben sollte, dass die Politik die notwendigen Voraussetzungen dafür zur Not auch eigenständig schafft. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Nach dem Energiegipfel in dieser Woche haben wir einmal mehr ein Feuerwerk an Ankündigungen gehört. Die Bundesregierung hatte sich eine Menge vorgenommen. Was irgendwann Realität wird, steht aber noch in den Sternen. ({0}) Zudem ist ein Gesamtkonzept in der Klimapolitik - hier ist sich die Opposition ausnahmsweise einmal eiEva Bulling-Schröter nig - immer noch nicht zu erkennen. Es sei illusorisch, gleichzeitig aus der Atomkraft und aus der Kohle auszusteigen, meint Umweltminister Gabriel beispielsweise. ({1}) Dabei wird durch das zum Gipfel vorgelegte Gutachten - Sie sollten das einmal lesen, Herr Kauch - das Gegenteil bewiesen. ({2}) Immerhin erkennt auch die Bundesregierung an, dass wir die Produktion von Strom und Wärme bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ebenso auf erneuerbare Energien umgestellt haben müssen wie unsere Mobilität. Das wird aber nicht funktionieren, wenn wir in den nächsten Jahren den Kraftwerkspark durch Kohlemeiler ersetzen, die dann noch 50 Jahre lang laufen. So sieht jedenfalls für uns die gegenwärtige Situation aus. Dies lehnen wir ab. ({3}) Im Übrigen gab es dazu vorgestern auch eine sehr heftige Debatte in der Bremer Bürgerschaft. Auch hier beschäftigt man sich also schon damit. Die Zeichen, die mit dem europäischen Emissionshandel und mit seiner Umsetzung hierzulande gesetzt wurden und werden, sind offensichtlich falsch. Kollege Schwabe, auch wenn ich ein karottenfarbenes Sakko anhabe, führt die Fixierung auf die CO2-Abscheidung auf den falschen Pfad. Sie wissen genau, dass die Technik - wenn überhaupt - nicht vor 2020 zur Verfügung stehen wird. Wohin die Millionen Tonnen Kohlendioxid dann verpresst werden sollen, ist vollkommen unklar. In der gestrigen Debatte über den Meeresschutz hat sich niemand dazu geäußert. Schade eigentlich! Wir sollten also nicht auf dieses riskante Technologieversprechen setzen, nur um die Kohleära zu verlängern. Die Klimaziele werden auch nicht erreicht, wenn Energieeffizienz und Energieeinsparung weiter so stiefmütterlich behandelt werden wie bisher. ({4}) Es wird auch nicht funktionieren, wenn wir uns nicht ernsthaft auf den Weg machen, eine neue Mobilität jenseits von Auto und Lkw zu organisieren. ({5}) Nach zwei Jahren schwarz-roter Koalition enthält die Bilanz der Klimapolitik vor allem Pläneschmieden. Klar ist vor allem, was wir noch nicht haben, nämlich zum Beispiel das mehrfach angekündigte RegenerativeWärme-Gesetz. Es hätte längst auf den Weg gebracht werden können, und die Bundesregierung hat ja auch längst erkannt, dass hier riesige Potenziale brachliegen. Also Mut, meine Damen und Herren! ({6}) Dies gilt auch für die energetische Gebäudesanierung. Mit dem 1,5-Milliarden-Euro-Programm wurde zwar ein respektabler Anfang gemacht, doch die Rahmenbedingungen wurden nur halbherzig gesetzt. Der Gebäudepass ist nicht zwingend als Bedarfsausweis ausgerichtet, und das wissen Sie. Das erschwert neuen Mietern oder Käufern von Immobilien die Einschätzung, wie viel Geld sie künftig für die Heizung ausgeben müssen. Es wird zu wenig überprüft, ob im Zuge einer Sanierung mit Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau die vorgesehenen Dämmwerte wirklich erreicht werden. Den Vorschlag der Grünen, dass neue Wohngebäude künftig den Niedrigenergiehausstandard 60 einhalten müssen, begrüßen wir. Allerdings wird bei den Neubauten gegenwärtig kaum kontrolliert, ob die Bauherren tatsächlich die gesetzlichen Standards einhalten. Ich halte es für dringend notwendig, dass wir das ändern. Mit einer konsequenten Energiesparpolitik im Wärmesektor schaffen wir auch Beschäftigung. Denn energetische Sanierung und Ökostandards im Neubau schaffen jede Menge existenzsichernde Jobs sowohl in der Industrie als auch im Handwerk. Diese Jobs brauchen wir auch. ({7}) Interessant ist der Vorschlag der Grünen, dass Mieterinnen und Mieter ein Anrecht auf bestimmte energetische Standards erhalten sollen. Das wäre grundsätzlich gut, aber wir müssen aufpassen, dass bei solchen Programmen die Bewohner nicht auf der Strecke bleiben. Die Umlage der Sanierungskosten muss in jedem Fall sozialverträglich erfolgen. Wenn letzten Endes die Einsparungen an Energiekosten geringer ausfallen als die Mieterhöhungen, dann trifft dies vor allem einkommensschwache Haushalte. Im Übrigen vermissen wir generell ein Konzept der Bundesregierung, wie unsere Gesellschaft mit dem sozialen Sprengstoff umgehen soll, der sich aus den explodierenden Preisen für Energierohstoffe ergibt. ({8}) Unserer Auffassung nach wird die Bundesregierung beispielsweise nicht umhinkommen, Heizkosten- und Mobilitätszuschüsse für einkommenschwache Haushalte einzuführen. ({9}) Wir können zwar durch intelligente Energieeinsparungen Kostensteigerungen ausweichen, aber erklären Sie das mal einer Hartz-IV-Familie im unsanierten Altbau, die froh ist, wenn sie überhaupt über die Runden kommt. Insofern sind Transferzahlungen die einzige Lösung. Ich betone in diesem Zusammenhang noch einmal unsere Position als Linke: Der Klimawandel kann kein Totschlagargument sein, mit dem eine weitere Spaltung der Gesellschaft toleriert wird. ({10}) - Hören Sie bitte zu! - Eine Hartz-IV-Familie, die von Arbeitslosengeld lebt, wird sich keinen Ökokühlschrank für einige Hundert Euro zulegen. Sie kann es leider nicht, selbst wenn sich das über 15 Jahre hinweg auszahlen würde. Sie wird stattdessen wohl eher einen gebrauchten Kühlschrank für 100 Euro kaufen, wenn der alte nicht mehr funktioniert. Warum besteuern wir nicht die Extraprofite aus dem Emissionshandel und gewähren die Einnahmen daraus solchen Familien als Zuschuss für Energiespargeräte? Das wäre sozial und ökologisch. ({11}) Wenn die Zertifikate hoffentlich ab 2013 zu 100 Prozent versteigert werden - dazu erwarte ich eine Aussage des Umweltministers -, dann können wir die Auktionseinnahmen für solche Programme zur Verfügung stellen. Manches, was Ökologie und Soziales verbinden könnte, kostet nicht einmal Geld. Deshalb ist es auch ein weiteres Versäumnis, dass die Bundesregierung solche innovativen Ansätze wie das Top-Runner-Programm nicht längst in die Praxis überführt hat. Geben Sie den Herstellern von Elektrogeräten zwei Jahre Zeit, den jeweiligen Effizienzstandard der Besten am Markt zu erreichen! Die unvernünftige große und teure Kluft zwischen Edelökogeräten und stromfressender Massenware würde dann weitgehend geschlossen. Auch dieser Ansatz schafft Arbeitsplätze. Denn bei weltweit steigenden Energiepreisen sind Stromspargeräte Exportschlager. ({12}) Völlig kostenlos ist auch ein Tempolimit. Ob 120 oder 130 Kilometer pro Stunde, die Begrenzung der Raserei auf unseren Autobahnen ist nicht nur aus Klimaschutzgründen längst überfällig, ({13}) genauso wie die Besteuerung von Flugbenzin; ({14}) denn der Zuwachs im Flugverkehr wird sonst alle anderen Einsparungen im Verkehrsbereich zunichte machen. Wir als Linke haben in unserem Sofortprogramm etliche Vorschläge für einen nachhaltigen Verkehr unterbreitet. Auch die Grünen haben entsprechende Vorschläge vorgelegt, unter anderem die sympathische Idee einer Stiftung Fahr-Rad. Der wichtigste Bereich im Klimaschutz bleibt die Frage der Kraftwerke. Deshalb zurück zum Strombereich: Die Versuche der CDU/CSU und der FDP, die Atomkraft wieder ins Spiel zu bringen, sind irrational und nach wie vor gefährlich. ({15}) Noch ein Argument: Weltweit decken die AKWs - das wissen viele nicht - nur 2,5 Prozent des Energiebedarfs. 2,5 Prozent! Ungefähr um diesen Wert steigen jedes Jahr auch die weltweiten CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen. Wollten Sie nur einen Teil davon durch Atomstrom kompensieren, gingen die Uranreserven in wenigen Jahren zur Neige. Dafür wollen Sie sich zusätzliche Risiken von Kernschmelzen, strahlendem Abfall und militärischem Missbrauch einkaufen? Damit ist wohl klar, dass der Schlüssel im Klimaschutz nur in der Energieeinsparung und in einem radikalen Umbau des Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien liegen kann. Genau in diese Richtung geht der Antrag der Grünen. Deshalb stimmen wir ihm zu. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek. ({0})

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren gehört der Klimaschutz zu den wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Themen, und das zu Recht. Gerade der letzte IPCC-Bericht hat belegt, dass das menschliche Handeln ein Grund dafür ist, dass wir seit Jahren über Fragen der Klimaerwärmung diskutieren. Es gibt aber auch immer wieder Stimmen, die sagen, das alles sei wissenschaftlich gar nicht genau belegbar. Diesen möchte ich heute Morgen an dieser Stelle sagen: Selbst wer letzte wissenschaftliche Zweifel hat, sollte klar und deutlich erkennen, dass das Wirtschaften weltweit darauf fußt, natürliche Ressourcen zu verbrauchen. Der rasante Anstieg ist hier dramatisch. Durch diesen Verbrauch werden die wirtschaftlichen Grundlagen für zukünftige Generationen geringer. Selbst wer sagt, hier und da gebe es noch einige wissenschaftliche Zweifel, muss also erkennen: In diesem Sinne hat Klimaschutzpolitik auch langfristig eine ganz wichtige Bedeutung für uns. ({0}) Das besondere Problem einer Klimaschutzpolitik ist aber, dass sie fachlich nicht auf ein Politikfeld eingegrenzt werden kann. Klimaschutzpolitik hat Auswirkungen auf die Städtebaupolitik, die Forschungspolitik, die Verkehrspolitik und die Energiepolitik. Sie ist eine echte Querschnittspolitik. Damit hat sie Auswirkungen auf die verschiedensten Bereiche. Wer dieses Problem nicht erkennt, läuft natürlich Gefahr, trotz guter Absichten Fehler auf anderen Politikfeldern zu machen. Deshalb muss in der Klimaschutzpolitik immer der Grundsatz beherzigt werden: Es kommt nicht auf die Masse an, sondern auf die Klasse der Vorschläge und die richtige Prioritätensetzung. ({1}) Herr Kuhn, ich erlaube mir an dieser Stelle, auf Ihren Zwischenruf „Kohle an den Fingern!“ während der Rede eines meiner Vorredner einzugehen. Ihre Fraktion hat sich in dem Antrag sehr breit zu der Frage geäußert, wann zukünftig in Deutschland neue Kohlekraftwerke gebaut werden dürfen. Sie stellen die These auf: nur dann, wenn die Abscheidetechnik wirklich läuft. Frau Künast, ich kann mich gut an die Diskussionen in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages - ich war Mitglied der Kommission - erinnern. Vor zehn, 15 Jahren ist man davon ausgegangen, dass wir höchstwahrscheinlich gar nicht über die notwendige Filtertechnik bzw. Abscheidetechnik verfügen werden. Die Entwicklung ist weitergegangen. Nun gibt es Chancen. Aber ich frage Sie: Wollen Sie aufgrund eines laufenden Forschungsprozesses die These politisch aufrechterhalten, dass neue Kohlekraftwerke, die zum Beispiel Wirkungsgrade von 49 oder vielleicht sogar 51 Prozent haben, nicht gebaut werden sollen, während alte Nachkriegskraftwerke mit Wirkungsgraden von 34 bzw. 36 Prozent weiterlaufen sollen? ({2}) - Schauen Sie sich Ihren Antrag an. Die Diskussion müssen Sie aushalten. ({3}) Ich sage Ihnen: Mir sind neue Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 50 Prozent lieber als alte Kraftwerke, die mit einem Wirkungsgrad von 35 Prozent weiterlaufen. ({4}) Aus dem Grunde müssen wir uns sehr klug einer solchen Strategie stellen. Es ist sehr interessant, dass Sie in Ihrem umfangreichen Papier mit dem breiten Ansatz nur einen Satz darauf verwenden, wie das Ganze international eingebettet werden soll. Sie schreiben an einer Stelle, das Ganze müsse multilateral vereinbart werden. Super, Sie haben recht. Aber meinen Sie, mit einem solchen Satz könnten wir es tatsächlich schaffen, die Erfolge zu erzielen? Nein. Da muss ich ganz klar und deutlich sagen: Ich bin unserer Bundeskanzlerin dankbar, dass sie es geschafft hat, endlich die internationalen Rahmenvereinbarungen zu ermöglichen, damit eine solche nationale Strategie international verankert werden kann. Herzlichen Dank dafür an die Bundeskanzlerin. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Ja.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Paziorek, ich glaube, das ist Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem weiteren Werdegang. Ich möchte auf die Kohle zurückkommen. Das ist ein entscheidender Punkt. Sie haben gesagt, dass neue Kohlekraftwerke einen Wirkungsgrad von 50 Prozent haben. Das halte ich für etwas übertrieben, aber sagen wir einmal 45 Prozent. Geben Sie mir recht, dass es noch besser wäre, in effizientere Kraftwerke zu investieren, die sowohl Strom als auch Wärme erzeugen, einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent haben und deshalb die neuen Kohlekraftwerke, die Sie jetzt propagieren, um das Doppelte schlagen? Ist das nicht viel besser für den Klimaschutz, als die alten Kraftwerke durch neue zu ersetzen, die nicht so gut sind wie die Kraft-Wärme-KopplungsAnlagen?

Dr. Peter Paziorek (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001685

Sie haben selbstverständlich recht. Wer könnte an dieser Stelle Nein sagen? ({0}) Der entscheidende Punkt ist doch, Frau Höhn, wie wir es Schritt für Schritt bei volkswirtschaftlich sinnvollen Kosten schaffen, diesen Weg auch bei großtechnischen Anlagen zu beschreiten. Da sagen wir nicht Nein, ganz im Gegenteil. Das betrifft auch unser Forschungsprogramm. Wir wollen die Kraft-Wärme-Kopplung herbeiführen. Ich gebe Ihnen recht: Ich persönlich war aufgrund meiner langen Arbeit zu diesem Thema schon ziemlich enttäuscht, dass Selbstverpflichtungserklärungen der Wirtschaft zum Einsatz von Kraft-WärmeKopplung auch bei kleineren Anlagen - Sie sprechen jetzt von großtechnischen Anlagen - nicht eingehalten worden sind. Sie haben von der Zielrichtung her recht. Aber die Schritte müssen volkswirtschaftlich sinnvoll sein. Ich habe manchmal Zweifel, ob der große Wurf, den Sie jetzt verlangen, tatsächlich zielführend ist. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle, Frau Höhn, auf weitere Punkte in Ihrem Antrag eingehen. Sie fordern die Optimierung des EEG. Die spannende Frage ist, wie das konkret aussieht. Sie geben an einigen Stellen durchaus Hinweise. Sie sagen, der Bonus für nachwachsende Rohstoffe solle reduziert werden. Die spannende Frage ist, ob Sie tatsächlich in diesem Bereich auch wirklich den Mut haben, über die Details nachher so zu diskutieren, wie die Regierungskoalition das tut. ({2}) Wir stehen am Anfang dieser Diskussion. Am Anfang der Diskussion muss man der Öffentlichkeit mitteilen, dass die Bundesregierung im Augenblick daran arbeitet, diesen Erfahrungsbericht vorzulegen, der jetzt die Grundlage für einen Optimierungsprozess ist. Mit anderen Worten: Wir müssen der Öffentlichkeit sagen, dass die Bundesregierung auf der ersten Stufe angelangt ist - das haben Sie immer verlangt -, nämlich eine Bilanz zu ziehen, wo wir stehen. Sie hätten eigentlich heute Morgen in Ihren Reden sagen müssen, dass Sie der Bundesregierung dankbar sind, dass sie gestern einen solchen Bericht vorgelegt hat. Warum tun Sie das nicht? ({3}) Deshalb sage ich ganz selbstbewusst: Wir sind auf dem Weg, diese Ziele zu erreichen. Sie fordern pauschal die Aufstockung der Forschungsmittel. Ich bin in unserem Hause auch für die Forschungsmittel für nachwachsende Rohstoffe zuständig. Ich sage mit allem Selbstbewusstsein: Ich kann mich an kein einziges Gespräch erinnern, in dem mir von der Wirtschaft oder den interessierten Verbänden, die zum Teil heute auf der Tribüne zuhören, gesagt worden wäre, die Forschungsmittel zum Beispiel im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe seien zu gering. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es in den letzten Monaten einen Fall gegeben hätte, wo wir wegen Finanzengpässen Forschungsanträge abgelehnt hätten. Wir haben Anträge abgelehnt, weil wir zunächst belastbar prüfen wollten, ob das Projekt wirklich einen Fortschritt darstellt, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir Projekte zurückgewiesen hätten, nur weil Forschungsmittel gefehlt hätten. Aus diesem Grunde sage ich: Ich bin Umweltminister Gabriel an dieser Stelle im Rückblick sehr dankbar für die guten Koalitionsverhandlungen, die wir damals geführt haben. ({4}) Wir haben in den Koalitionsverhandlungen ein hervorragendes Ergebnis im Bereich der Umweltpolitik erzielt. ({5}) Niemand kann sagen, dass wir da versagt haben. Herr Fell, Sie haben gerade dem Umweltminister Ihren Antrag mit großem Selbstbewusstsein übergeben. Mir ist im Hinblick auf diesen Antrag aufgefallen: An einigen Stellen sind Sie weggetaucht, zum Beispiel bei der spannenden Frage, wie wir im Bereich der Energiepflanzen weiterkommen und wie wir in diesem Bereich die Forschung gestalten. Dazu steht in Ihrem Papier nichts Ausführliches. ({6}) - Ich habe es mir gerade noch einmal genau angeschaut. - Ich weiß, weshalb Sie weggetaucht sind. Weil Sie Angst haben, in Ihrer Klientel eine Diskussion darüber in Gang zu setzen, wo die Grenze zwischen Pflanzenzucht und Gentechnik liegt. An dieser Stelle sind Sie sofort weggetaucht. ({7}) Dies bezieht sich auch auf die spannende Frage der Forschung. Sie sprechen zu Recht von einem Wärmekonzept für Biogasanlagen. ({8}) Denn es ist in der Tat ein bisschen bedenklich, dass man mit Biogasanlagen nur Strom produziert und im Grunde genommen vergisst, die dabei entstehende Wärme zu nutzen. Die spannende Frage lautet doch: Wie können wir die Nährstoffe, die Stoffe für die Biogasanlagen, so verbessern - daran arbeiten wir gerade -, dass zum Beispiel auch Gülle als Grundstoff für Biogasanlagen eingesetzt wird? Davon sprechen Sie nicht, weil das Ihrem Bild von der Landwirtschaft eventuell widerspricht. Da tauchen Sie weg. Aber das sind doch Punkte, über die wir diskutieren müssen. Da Sie hier mit dem Anspruch auftreten, ein Konzept vorzulegen, in dem alle Gebiete behandelt werden und das einen großen Durchbruch darstellt, muss ich Ihnen sagen: Es gibt Punkte, an denen Sie wegtauchen, weil Sie Angst haben, kritisch mit Ihrer Klientel diskutieren zu müssen. ({9}) Natürlich gibt es sehr viele Punkte - darauf haben meine Vorredner hingewiesen; Maria Flachsbarth hat es für unsere Fraktion angesprochen; auch die SPD-Fraktion hat dies betont -, bei denen wir eine gemeinsame Plattform finden können; das soll an dieser Stelle herausgestellt werden. Deshalb wird die Zeit nach der Sommerpause für die Erarbeitung eines konkreten Konzeptes zur Klimaschutzpolitik sehr wichtig sein. ({10}) Dafür sind die Punkte der Kanzlerin, die sie nach dem Energiegipfel genannt hat, die entscheidende Grundlage. Wir brauchen in der Tat mehr Energieeffizienz. Wir brauchen in der Tat Förderkonzepte, um zum Beispiel Nahwärmenetze im ländlichen Bereich zu schaffen und den Einsatz von Biomasse in Biogasanlagen umweltpolitisch sinnvoller zu gestalten. Wir werden nach meinem jetzigen Kenntnisstand bei den Haushaltsplanberatungen einen ersten Fördertopf in diesem Zusammenhang aufstellen. Ich hoffe, dass der Bundestag dem zustimmen wird, um in diesem Bereich, zum Beispiel auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung, ein Stückchen weiterzukommen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. ({11}) Es freut mich natürlich, dass ich das anlässlich meiner letzten Rede hier im Deutschen Bundestag sagen kann. ({12}) Ich möchte mich an dieser Stelle bei meiner Fraktion bedanken, die mir ganz überraschend die Möglichkeit eingeräumt hat, meine letzte Rede heute halten zu können. Ich möchte einen Blick zurückwerfen. Wir haben das Thema Klimaschutz seit 1990 sehr intensiv behandelt. Ich kann mich daran erinnern, dass vor der großen Umwelt- und Entwicklungskonferenz in Rio sehr viele ausländische Parlamentarier zum Deutschen Bundestag - damals noch in Bonn - gekommen sind, um mit uns darüber zu reden, wie wir uns auf diese Klimakonferenz vorbereiten. Das war deshalb begründet, weil damals die entsprechende Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und damit Parlamentarier - ich will jetzt bewusst den Bundestag ansprechen und nicht die Vorbereitungen auf Regierungsebene - zusammen mit Wissenschaftlern hervorragende Vorarbeiten für diese Konferenz geleistet haben. Auf internationaler Ebene hat man gesagt: In dieser Beziehung ist der Deutsche Bundestag ein Vorbild. Unabhängig davon, dass wir jetzt wieder einmal über den richtigen Weg gestritten haben, möchte ich Folgendes feststellen: Beim Nachlesen in den Protokollen habe ich ein Ausschussprotokoll vom 6. Mai 1992 gefunden. Darin heißt es wörtlich - ich darf zitieren -: Bei der Diskussion ergab sich weite Übereinstimmung in der Sache, was letztlich in einen interfraktionell erarbeiteten Entschließungsantrag mündete. Das bezog sich auf die Vorbereitung der Konferenz in Rio. Da wurde über alle Fraktionsgrenzen hinweg ein Entschließungsantrag verabschiedet. Warum sage ich das? Ich möchte damit dem Eindruck in der Öffentlichkeit entgegentreten, der immer wieder nach dem Motto vorgebracht wird: Schaut euch einmal die Politiker an, die springen jetzt auf ein solches Modethema wie den Klimaschutz und die Umweltpolitik. ({13}) - Frau Künast, Sie scheinen von meinen Worten sehr getroffen zu sein. Darüber möchte ich jetzt aber hinwegsehen. Nein, die Realität ist anders. Dieser Bundestag hat sich nicht kurzfristig des Modethemas Klimaschutz angenommen, sondern er hat in diesem Feld seit Jahren verantwortungsbewusst gearbeitet, teilweise über Fraktionsgrenzen hinweg. Es wäre sehr schön, wenn der Stil der Auseinandersetzung über das Thema Klimaschutz trotz des Streits über den richtigen Weg beibehalten wird. Das wünsche ich mir. Als Westfale sage ich mit Blick auf Ihre weitere Arbeit in diesem Bereich: Glück auf! Herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Paziorek, auch ich möchte Ihnen alles Gute für Ihre neue Arbeit wünschen. Ich kann Ihnen versichern: Sie haben da einiges zu tun, insbesondere dann, wenn Sie Emissionsgrenzwerte durchsetzen und etwas gegen Emissionen, etwa im Verkehr, tun müssen. Ich bestätige Ihnen: Es gibt in allen Fraktionen Kämpferinnen und Kämpfer für einen besseren Klimaschutz. Ich erinnere mich auch daran, dass Sie in Ihrer Fraktion in diesem Kampf manchmal sehr einsam waren. Nun will ich das Thema wechseln und auf einen Punkt zu sprechen kommen, der in Klimaschutzdebatten meistens randständig ist. Ich meine den Verkehr. Wenn Sie sich umschauen, dann stellen Sie fest, dass hauptsächlich Umweltpolitiker und kaum Verkehrspolitiker anwesend sind. Auf der Regierungsbank ist das Umweltministerium und nicht das Verkehrsministerium vertreten. Kollege Paziorek hat vollkommen recht: Um Klimaschutz erfolgreich zu betreiben, darf kein Sektor ausgeblendet werden, zum Beispiel der Verkehr. Der weltweite Verkehr ist inzwischen für rund ein Viertel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Der Verkehr in Deutschland verursacht etwa 20 Prozent der hiesigen CO2-Emissionen. Egal wie man es betrachtet, man kommt nicht umhin, anzuerkennen, dass der Verkehrssektor für den Klimawandel inzwischen der zweitproblematischste ist. Wenn man das Klima schützen will, dann kann man das nicht ohne eine entsprechende Verkehrspolitik tun. ({0}) Wir haben in anderen Sektoren, insbesondere im Energiebereich, eine Reihe von Erfolgen erzielt. Es ist uns gelungen, dafür zu sorgen, dass die Emissionen - zum Teil drastisch - gesenkt werden. Der Verkehrssektor verzeichnet hingegen seit vielen Jahren Wachstumsraten. Das konterkariert alle von uns unternommenen Anstrengungen in den anderen Bereichen. Wir müssen im Verkehrssektor dringend deutlich mehr tun. Sieht man von der FDP einmal ab - aber die spielt jetzt keine Rolle -, besteht hier Konsens über das Ziel, die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent und bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Was die Verkehrspolitik angeht, sage ich ganz offen - unsere Fraktion hat das auch in ihrem Konzept so dargestellt -: Aufgrund des Wachstums des Verkehrs werden wir nicht in der Lage sein, auf diesem Gebiet das 40-Prozent-Ziel zu erreichen. Wenn es zu einem Rückgang der CO2-Emissionen im Verkehrssektor um 30 Prozent kommt, dann ist das schon ziemlich viel. Es erfordert von uns große Anstrengungen. 30 Prozent weniger von diesem Treibhausgas heißt zum Beispiel, dass in diesem Bereich knapp 20 Prozent weniger Energie verbraucht wird und dass der Anteil erneuerbarer Energien auf 20 Prozent anwächst. Um unsere Ziele zu erreichen, können wir meiner Meinung nach nicht auf ein einziges Instrument setzen, etwa nur auf das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels. Ja, dieses Instrument hat seinen Platz, zum Beispiel im Bereich des Flugverkehrs. Aber es darf nicht das einzige Instrument in allen Verkehrssektoren sein. Wir müssen für jeden Sektor ein eigenes Maßnahmenpaket schnüren. Das heißt, der Inhalt des Instrumentenkastens ist davon abhängig, in welchem Sektor wir etwas machen wollen. Das Motto unseres Vorgehens lautet: Wir müssen den Verkehr verträglicher gestalten, wir müssen ihn dort vermeiden, wo es geht, und wir müssen ihn überall dort umgestalten, wo es Verkehrssysteme und Verkehrsträger gibt, die deutlich effizienter, deutlich klimafreundlicher als beispielsweise der Lkw-Verkehr sind. ({1}) 80 Prozent der CO2-Emissionen in diesem Sektor entstehen im Straßenverkehr. Daher führt kein Weg daran vorbei, dass es für die Pkws europaweit wirklich anspruchsvolle Verbrauchsobergrenzen geben muss. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir dürfen an dem 120-GrammZiel nicht rütteln lassen. Wir treten dafür ein, dass es im Jahr 2020 möglichst viele 3-Liter-Autos gibt. Dieses Ziel muss europaweit und durch entsprechende Maßnahmen hier politisch abgesichert werden. ({2}) Es muss Schluss sein mit immer schnelleren Fahrzeugen, die immer effizientere Motoren haben. Es ist, um es einmal plastisch zu sagen, dem Klima wurscht, ob wir mit immer schnelleren Fahrzeugen immer mehr fahren, mit immer besseren Flugzeugen immer mehr fliegen, wenn in der Summe der Ausstoß der Treibhausgase ansteigt und nicht reduziert wird. Wir müssen - ich habe es bereits gesagt - auch mehr für die Verlagerung des Verkehrs tun. Wir haben auf der einen Seite im Bereich des Güterverkehrs auf der Straße Wachstumsraten, die absolut klimaschädlich sind. Auf der anderen Seite haben wir im Schienenverkehr Engpässe, sodass man schon heute sagen kann, das zukünftige Verkehrswachstum kann auf der Rheintalstrecke und den Hafenhinterlandstrecken von den großen Häfen weg nicht auf der Schiene bewältigt werden, obwohl sich alle einig sind, dass dort etwas geschehen muss. Meine Damen und Herren, ich muss zum Schluss kommen. Wir sollten zukünftig in die Klimaschutzpolitik die Verkehrsemmissionen verstärkt mit einbeziehen und dort nicht nur Ziele formulieren, sondern ein ganzes Bündel von ambitionierten Maßnahmen gemeinsam nach vorne bringen, denn Klimaschutz ohne Verkehrspolitik muss scheitern. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst etwas zum Kollegen Hermann sagen. Sie haben recht, der Verkehr ist ein unterschätztes Feld der Klimapolitik, auf dem wir sicher noch eine Menge Aufgaben haben. Sie sollten aber auch sagen, dass wir gerade im Bereich des Individualverkehrs jetzt auf europäischer Ebene einen deutlichen Fortschritt machen. Der Umweltrat der Europäischen Union hat gerade die Obergrenze von 120 Gramm für CO2-Emmissionen bis 2012 beschlossen. Das ist das von Ihnen eingeforderte Ordnungsrecht. Das geht immer nur in der Kombination von gesetzlichen Vorgaben und marktwirtschaftlichen Instrumenten. Wir haben erlebt, dass die dort abgegebenen Selbstverpflichtungen in der Regel nicht eingehalten werden. Deswegen geht es um die Balance zwischen Ordnungsrecht und Marktwirtschaft. ({0}) - Ich habe Ihren Zwischenruf leider nicht verstanden, aber keine Sorge, ich komme noch zu den Linken. Angesichts der Tatsache, dass Sie die Braunkohle bis 2050 fördern wollen - das steht heute in den Zeitungen -, war das heute ein interessanter Redebeitrag der Linken. Den Widerspruch, einerseits hier zu erklären, man solle aus der Braunkohle austeigen, und andererseits einen Beschluss zu fassen, bis 2050 die Braunkohle weiter nutzen zu wollen, müssen Sie auch einmal erklären. ({1}) Ich lese einmal einen Satz vor - wir sind ja kurz vor den Ferien; da muss man ja ein bisschen Spaß haben -: Bei der Steinkohle will die Linksfraktion das Ausstiegstempo verlangsamen. Das ist der Beschluss, den Sie fassen. Hier sagen Sie jedoch, wir sollen nicht so viele Kohlekraftwerke bauen. Der Kollege Paziorek hat absolut recht, wir müssen in moderne Kohlekraftwerke investieren, um alte stilllegen zu können. Die Bundesregierung will - das müssen wir machen - damit 42 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Sie sagen dazu, dass diese Investitionen dann für 30, 40 Jahre stehen. Das ist - ich weiß nicht, wie gut Ihre Fraktion in Mathe ist - ungefähr der Zeitraum bis 2050. Wenn Sie mit uns einer Meinung sind, dann halten Sie hier doch auch einmal Reden, aus denen man das erkennen kann. Reden Sie hier nicht das Gegenteil von dem, was Sie den Wählern in Sachsen-Anhalt gegenüber, die von der Braunkohle betroffen sind, öffentlich erklären. Das geht so nicht. Das können wir Ihnen so nicht durchgehen lassen. ({2}) Ja, wir sind für eine 100-Prozent-Auktionierung in der dritten Handelsperiode. Aber machen Sie nicht die Auktionierung zum Jäger 90 des Jahres 2013. In der Regel kann man Geld nur einmal ausgeben. Wenn wir für internationale und nationale Klimaschutzmaßnahmen Geld einsetzen wollen, dann ist es natürlich absoluter Wahnsinn, der Öffentlichkeit zu versprechen, für einen bestimmten Teil der Bevölkerung die Elektrogeräte staatlich zu subventionieren. Ich weiß kaum noch, was man dazu sagen soll. ({3}) - Natürlich, Sie haben vorgeschlagen, einen Fonds aufzulegen und dann die effizienten Geräte preiswerter an einen bestimmten Teil der Bevölkerung abzugeben. Wir müssen hingegen Folgendes machen: Wir müssen die Geräte dadurch preiswerter machen, dass wir sie beispielsweise anders besteuern oder durch Top-RunnerProgramme fördern, damit mehr Geräte auf den Markt kommen. Das ist der richtige Ansatz. ({4}) Man sollte nicht am Beispiel von Hartz IV die Leute für dumm verkaufen und ihnen sagen, Ihre Partei würde dafür sorgen, dass der Föhn im Kaufhaus und der Computer im Media Markt in Zukunft bei Vorlage des Hartz-IVScheins preiswerter abgegeben werden und dass die Bundesregierung das aus Steuergeldern bezahlt. Ich weiß wirklich nicht, in welchem Jahrhundert Sie sind, in diesem Jahrhundert sind Sie jedenfalls nicht. ({5}) - Wenn Sie solche Zwischenrufe machen, muss ich Ihnen sagen: Hier beantragen Sie den Stopp der Braunkohle, und zu Hause in Sachsen-Anhalt gefährden Sie damit 1 000 Arbeitsplätze. - Das ist die Politik der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Sie machen 1 000 Leute im Land Sachsen-Anhalt arbeitslos. ({6}) Was Sie hier beantragen, ist unpopulär. Das trifft zu. Aber auch dann muss man das öffentlich sagen. ({7}) - Haben Sie nicht nur den Mut zu Zwischenrufen; haben Sie auch einmal den Mut zu einer Rede, am besten vor mir, damit ich danach auf Sie antworten kann! ({8}) Ich sage ganz offen: So kann man das nicht betreiben. Top-Runner, Frau Kollegin, das wollen wir. ({9}) Aber Sie wissen doch wie wir, dass Regeln im europäischen Binnenmarkt für alle gelten müssen. Wir können kein nationales Top-Runner-Programm auflegen. Wir müssen das auf der europäischen Ebene durchsetzen. Das wollen wir auch. Verkaufen Sie die Leute also nicht für dumm, indem Sie erklären, man könne das mit nationalen Alleingängen erreichen! ({10}) Die Bundesregierung hat, beginnend mit dem Koalitionsvertrag, ihre Klimaschutzpolitik aufgebaut. Ich kann das Kompliment an Herr Paziorek zurückgeben. Er war der Verhandlungspartner auf der Seite der CDU/ CSU-Fraktion. Mit einigen Kollegen aus den Fraktionen haben wir all das, was wir jetzt machen, bereits im Koalitionsvertrag festgelegt - einschließlich der CO2-Ziele im Automobilsektor. Wir haben den Koalitionsvertrag dann umzusetzen begonnen. Wir haben die Mittel zur energetischen Gebäudesanierung vervierfacht, nämlich auf 1,4 Milliarden Euro. Der Haushaltsansatz steigt noch einmal um rund 200 Millionen Euro. Zusammen mit den Mitteln aus dem Städtebauförderbereich wenden wir 600 Millionen Euro zusätzlich für die energetische Gebäudesanierung in Deutschland auf. Das ist ein Riesenerfolg der Großen Koalition in der Umsetzung ihrer Klimaschutzziele. ({11}) Wir haben die Mittel für das Marktanreizprogramm zur erneuerbaren Wärme im letzten Haushalt gegenüber dem, was vorher real ausgegeben wurde, um 80 Millionen Euro erhöht. ({12}) - Herr Fell, bei der Gelegenheit: Im Haushaltsentwurf stehen jetzt 45 Millionen Euro weniger. Das haben Sie zitiert. Sie müssen aber auch sagen, dass gleichzeitig aus den Auktionierungsmitteln 280 Millionen Euro zusätzlich für den nationalen Klimaschutz zur Verfügung stehen. Davon sollen im nächsten Jahr 100 Millionen Euro für die erneuerbare Wärme eingesetzt werden. Wir geben deshalb nicht 45 Millionen Euro weniger aus, sondern noch einmal 60 Millionen Euro mehr. Das ist die Realität der Politik der Bundesregierung. ({13}) Sie betreiben bei der Veranstaltung Volksverdummung. Wir haben die Mittel für Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbarer Energien verdoppelt; unmittelbar nach Abschluss der Koalitionsvereinbarung umgesetzt. Wir haben das Zuteilungsgesetz verabschiedet. Wir haben die Vorschriften zur Auktionierung verabschiedet. Wir gehen jetzt daran, im fünften Schritt im Herbst ein integriertes Klimaschutz- und Energiepaket in den Bundestag einzubringen. Das heißt, zur Halbzeitbilanz dieser Koalition haben wir entsprechend der Koalitionsvereinbarung den Klimaschutz weit nach vorne gebracht. Wir sind mit dem Paket in Europa und weltweit führend. ({14}) - Sie haben nicht zugehört. Ich habe Ihnen gerade vorgelesen, dass wir all das - ({15}) - Sie können noch dreimal dazwischenrufen; ({16}) es bleibt dreimal falsch, Frau Kollegin. Mehr bekommen Sie hier nicht heraus. ({17}) Klimaschutz und Energiepolitik gehören zu 100 Prozent auf die Habenseite dieser Großen Koalition. ({18}) Von daher, Herr Kollege Fell: Vielen Dank für Ihr Paket, aber es gilt Wallenstein: Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt, Graf Isolan; ({19}) der weite Weg entschuldigt Euer Säumen. Das ist das, was ich zu Ihrem Paket sagen kann. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, Frau Kollegin Höhn würde gern eine Zwischenfrage an Sie richten.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Immer gern, aus persönlichen und grundsätzlichen Gründen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Herr Gabriel die ganze Zeit darauf gewartet hat, ist es doch in Ordnung, wenn ich das auch bediene. Herr Minister, können Sie bestätigen, dass der 30. Juni das Datum war, zu dem die Bundesregierung ihren Aktionsplan Effizienzprogramm mit konkreten Maßnahmen an die EU hätte liefern müssen? Dieses Datum ist verstrichen, und die Bundesregierung hat diesen Maßnahmenkatalog nicht abgeschickt. Auf eine Frage von mir hat das Wirtschaftsministerium am Mittwoch in der Fragestunde erklärt, man habe noch nicht einmal das Gutachten dazu, danach müsse es zur Abstimmung in der Bundesregierung kommen, und irgendwann im Herbst werde das weitergeleitet. Können Sie bestätigen, dass das Aktionsprogramm nicht bis zum 30. Juni an die EU gemeldet worden ist, wie es hätte geschehen müssen?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich kann Ihnen bestätigen, dass die Europäische Union in Person des EU-Umweltkommissars Stavros Dimas die weit reichenden Beschlüsse der Bundesregierung zur Klimaschutzpolitik, die ich in einer Regierungserklärung hier für die Bundesregierung vor einigen Wochen vorgestellt habe, für absolut federführend erachtet, er der Auffassung ist, dass diese die Europäische Union voranbringen, und er deshalb kein Problem hat, wenn wir ihm das Papier, in dem das niedergelegt wird, ein paar Wochen später schicken. Die Europäische Union hält uns für die absoluten Vorreiter im Bereich der Energie- und Klimapolitik in Europa. ({0}) Das ist die Position der Europäischen Union, nachzulesen im Protokoll des Umweltrates, der letzte Woche in Luxemburg stattgefunden hat. Meine Damen und Herren, ich wollte auch noch etwas zu den erneuerbaren Energien, nämlich zu Biokraftstoffen und zum Wärmegesetz, sagen. Wir werden ein Wärmegesetz im Rahmen eines Klima- und Energiegesetzes umsetzen. ({1}) - Sie sagen, das hören Sie schon lange? Warum haben die Grünen es denn nicht umgesetzt? Sie haben Geld dafür in den Haushalt eingestellt, diesen Etat mit dem Forschungsetat gegenseitig deckungsfähig gemacht, dann das Geld in die Forschung geleitet und es nicht für regenerative Wärme zur Verfügung gestellt. Diese Politik haben Sie mitzuverantworten. Wir werden das so machen, wie es die Kollegin vorhin in ihrer Rede gesagt hat, nämlich über eine Mischung: einmal ordnungsrechtlich im Gesetz und zum anderen durch haushaltspolitische Maßnahmen, aber nicht in einem Modell, wie wir es bei den erneuerbaren Energien im Stromsektor hatten. Die Biokraftstoffe haben wir deshalb steuerlich anders behandeln müssen, weil die Europäische Union uns eine Überförderung vorgeworfen hat. Sie wissen, dass jährlich eine Überprüfung stattfindet. Wenn es in diesem Bereich zu einer Unterförderung kommt, wird das mit Sicherheit korrigiert. ({2}) - Zunächst einmal haben wir erlebt, dass die Preise für Biokraftstoffe analog zu den Ölpreisen gestiegen sind. Hier liegt offensichtlich eine Form der Ölpreisbindung vor. Von daher müssen Sie schon gestatten, dass wir uns darum bemühen, die Haushalte im Griff zu behalten. Zum Thema Kohle. Die Kollegin Höhn hat absolut recht: Wir brauchen Kraft-Wärme-Kopplung. Hier muss aber auch die Kohle einbezogen werden. Sie können die deutsche Grundstoffindustrie, beispielsweise die Stahlindustrie und die Aluminiumindustrie, nicht auf Energie aus Gaskraftwerken verweisen, weil der so produzierte Grundlaststrom so viel kosten würde, dass diese Industrie auf europäischer und internationaler Ebene nicht mehr wettbewerbsfähig wäre. Wir können uns um diese Debatte nicht drücken. Das ist ein schwieriges Thema. Das weiß auch ich. Ich weiß, dass die beiden Grundlastträger, die preiswert sind, Kohle und Kernenergie sind. Aus der Kernenergie wollen wir aussteigen. Ihren Weg aber, ganz aus der Kohleverstromung auszusteigen, dürfen wir nicht gehen - Ihre Politik in Bremen ist dafür ja ein Beispiel -; ({3}) denn das führt dazu, dass am Ende die Laufzeiten für Kernkraftwerke wieder verlängert werden. ({4}) Mit Ihrer Konzeption jedenfalls wird in den nächsten zehn, 15 Jahren kein Stahlwerk, kein Aluminiumwerk, weder die Deutsche Bahn noch die Zement- oder Keramikindustrie in Deutschland im Grundlastbereich so mit erneuerbaren Energien versorgt werden können, dass sie überhaupt noch den Hauch einer Chance hätte, im internationalen Bereich wettbewerbsfähig zu sein. ({5}) Hier liegt ein Unterschied zwischen uns, auf den ich als Sozialdemokrat sehr großen Wert lege. Ich möchte nicht, dass wir am Ende die Zustimmung zu unserer Energie- und Klimapolitik in der Bevölkerung verlieren, weil die Leute, die nicht Akademiker sind, die nicht im öffentlichen Dienst arbeiten, die nicht A 13 aufwärts verdienen, sondern in der Stahl-, Zement- oder Keramikindustrie usw. beschäftigt sind, Angst haben, dass sie ihren Job verlieren und ihre Familien nicht mehr ernähren können. Das ist der Grund, warum ich gegen Ihre Politik bin. ({6}) Eine letzte Bemerkung noch, weil ich die Kollegen von der FDP nicht völlig unbeachtet lassen möchte: Ihren Redebeitrag, Herr Kauch, fand ich - das will ich offen sagen - ausgesprochen interessant. Es lohnt sich nämlich, weiter darüber zu diskutieren, wie viel Ordnungsrecht und wie viel Markt wir brauchen. Ich habe sehr wohl bemerkt, dass von Ihnen insbesondere beim Thema Emissionshandel eine ganze Reihe an Vorschlägen gekommen sind, die dazu führen können, dass hier ein Finanzmarkt entsteht, der transparent, harmonisiert und auch funktionsfähig ist. Ich würde mir wünschen, dass Sie es schaffen, die Mehrheit Ihrer Fraktion in diesem Bereich hinter sich zu bekommen. So kämen wir dem einen Schritt näher, was Herr Paziorek am Ende seiner Rede geschildert hat: Dann hätten wir nämlich die Chance, eine gemeinsame Position gegenüber internationalen Entwicklungen einzunehmen. Die Frage, wie wir das europäische Emissionshandelssystem bestellen, wird uns im Deutschen Bundestag mit ziemlicher Sicherheit noch beschäftigen. Es wird nämlich nicht ganz einfach sein, einen wirklich transparenten Emissionshandel in Europa mit einheitlichen Caps im Strommarkt, mit einer 100-prozentigen Auktionierung hinzubekommen, der von einer Institution überwacht wird, die für Marktpflege und Marktinformation zuständig ist. Das wird ein großes Thema werden. Ich würde mich freuen, wenn die Kooperation mit der FDP an dieser Stelle so gut wird, wie sie damals offensichtlich gewesen ist. Ich weiß nicht, ob ich nun noch eine Zwischenfrage beantworten soll. - Wenn nicht, höre ich jetzt einfach auf. Tschüs! ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe jetzt das Wort zu einer Kurzintervention zuerst dem Kollegen Hill und anschließend dem Kollegen Fell. - Herr Minister, wenn Sie einverstanden sind, antworten Sie dann auf beide Kurzinterventionen zusammen.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Herr Minister, ich bitte Sie, folgende Sachverhalte zur Kenntnis zu nehmen. Sie hatten uns in der vergangenen Sitzungswoche selbst aufgefordert, zur Kohle eine Position einzunehmen. Jetzt haben wir eine Position eingenommen; diese scheint Ihnen aber nicht zu gefallen. Ich möchte zunächst einmal auf die Braunkohle eingehen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es in den Braunkohlerevieren genehmigte Abbaupläne gibt und dass diese Abbaupläne im Rahmen des Bergrechts auch nicht antastbar sind. Insbesondere in der Lausitz und in Nordrhein-Westfalen sind für die nächsten 40 Jahre Felder erschlossen, die auch abgebaut werden. Sie wissen, dass diese Kohle dort zur Verstromung geführt wird. Das ist in unserem Papier auch so festgehalten. Wir stellen also fest, dass die Braunkohle eine Perspektive bis 2050 hat und dass in diesem Zeitraum, gemeinsam mit den Unternehmen und den Menschen, ein Umbau nicht nur der Energiewirtschaft, sondern der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse in diesem Land zu erfolgen hat. Damit haben diese Unternehmen und diese Menschen eine Perspektive. Nun möchte ich zur Steinkohle kommen. Es gibt einen Beschluss, den Sie so gut wie ich kennen, nach dem die Steinkohle bis 2018 noch eine Zukunft in diesem Lande hat. Sie wissen aber ebenso gut, dass es auch nach 2018 einen Bedarf an Steinkohle geben wird. Es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, zum Beispiel Zulieferunternehmen, und Menschen in diesen Revieren, für die die Steinkohle wichtig ist. Für sie ist es notwendig, wenigstens ein Bergwerk zu haben, damit ihre Technologie, die wir exportieren wollen, weltweit zum Einsatz gebracht werden kann. Nur dort, wo es ein Referenzbergwerk gibt, wird dies möglich sein. Deswegen geben wir diesen Unternehmen genauso wie den Kumpeln eine Perspektive über 2018 hinaus. Jetzt möchte ich noch ganz kurz auf die Diskussion zur Effizienz, die wir gestern geführt haben, zu sprechen kommen. Wir haben das Ziel der Steigerung der Effizienz um 3 Prozent pro Jahr. Die uns vorliegenden Gutachten machen deutlich, dass aufgrund des Zertifikatehandels voraussichtlich ab 2013 kein weiteres Kraftwerk mehr gebaut werden wird. Ich fordere Sie auf, die Gutachten einfach einmal etwas genauer zu lesen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen. Sie haben Ihre drei Minuten überschritten. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, herzlichen Dank. - Herr Umweltminister, Sie haben gerade gesagt, dass das Festhalten an der Kohle auch aus sozialen Gründen und aus Kostengründen sinnvoll sei. Haben Sie den vor kurzem gefassten Beschluss des Stadtrates in München zur Kenntnis genommen, der nach einer Anhörung über diese Frage eine weitere Beteiligung der Stadtwerke München an neuen Kohlekraftwerken abgelehnt hat? Die Gründe dafür sind in einer umfangreichen Anhörung dargestellt worden. Zum einen gibt es unkalkulierbare Finanzrisiken bei neuen Kohlekraftwerken, weil eine Verknappung der Kohle auf dem Weltmarkt droht. Das wird dargestellt in zwei wissenschaftlichen Gutachten, des Joint Research Center in Petten in Belgien und der Energy Watch Group. Beide kommen zu dem gleichen Ergebnis, dass die Verknappung der Kohle wesentlich näher bevorsteht, als es bisher in wissenschaftlichen Untersuchungen dargestellt wurde. Übrigens wird das von der deutschen Steinkohlewirtschaft selbst bestätigt, die in ihrer Maiinformation dargelegt hat, dass ab 2009 eine Verknappung der internationalen Kraftwerkskohle mit drastischen Preissteigerungen zu erwarten ist. Damit wird der Trend bestätigt, den wir in den letzten Jahren zu verzeichnen hatten, nämlich eine deutliche Preissteigerung bei der Steinkohle. Der zweite Grund für diese unkalkulierbaren Finanzrisiken liegt im Klimaschutz. Niemand weiß, welche Kosten ab 2013 anfallen, wenn man bei der Verstromung der Kohle wirklich Klimaschutzmaßnahmen anwenden will. Beides zusammen - das wissen Sie - führt für die Kohle zu unkalkulierbaren Finanzrisiken. Es ist gut, dass auch mit SPD-Beteiligung ein erster Beschluss auf Stadtebene gefasst wurde, der feststellt, dass dies nicht weiter tragbar ist. Zudem ist doch klar, dass die von Ihnen immer wieder propagierte Hoffnung, man könne mit der Kohle auch eine CO2-freie Stromerzeugung erreichen, längst dabei ist, zu scheitern. Zwei große Gaskraftwerke in Norwegen, in denen CCS, also die Abscheidung von Klimagasen, verwirklicht werden sollte, werden nicht mehr weiter gebaut. Die dortigen Betreiber haben festgestellt: Das ist nicht finanzierbar; es ist technisch nicht realisierbar. Sie haben das Projekt beendet. Viele andere CCS-Projekte werden wohl das gleiche Ende nehmen. Wir wissen ferner, dass ein Verzicht auf weitere Investitionen in die Kohle nicht bedeutet, dass wir dann zu Kernkraftwerken übergehen müssen. Die erneuerbaren Energien sind aufgrund der starken Wachstumsraten, die Sie selbst dargestellt haben, in Verbindung mit Energieeffizienz- und -einsparmaßnahmen sehr wohl dazu geeignet, eine umfassende, kostengünstige und das Klima schützende Energieversorgung sicherzustellen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, Sie können antworten.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Zuerst zum Kollegen Hill. Herr Hill, Sie haben eben noch einmal eindrucksvoll bestätigt, dass es zwischen Ihrer Position und der von Frau Bulling-Schröter, die für die Linksfraktion gesprochen hat, einen großen Unterschied gibt. ({0}) Darauf will ich hinweisen. Ihre Fraktionssprecherin hat mich und die Regierungskoalition mehrfach dazu aufgefordert, im Nationalen Allokationsplan und im Zuteilungsgesetz die Braunkohle deutlich schlechter zu behandeln, dafür zu sorgen, dass wir gar kein neues Braunkohlekraftwerk mehr in Deutschland in Betrieb nehmen, und schnellstens aus der Braunkohle auszusteigen. Sie, Herr Hill, haben hier ein Plädoyer - das ich für sehr vernünftig halte - dafür gehalten, dass man - Sie sagen bis 2050; ich weiß nicht, ob man da Jahreszahlen festlegen kann - dafür sorgt, dass alte Kraftwerke geschlossen werden, neue Braunkohlekraftwerke, die weniger CO2 ausstoßen, die alten ersetzen, und dass man den Beschäftigten dieser Kraftwerke Perspektiven eröffnet. Herr Hill, wenn Sie sich in Ihrer Fraktion einmal als Redner für eine solche Debatte durchsetzen könnten, dann würden wir nicht so viel Streit bekommen, wie die - ansonsten von mir sehr geschätzte - Kollegin BullingSchröter mit mir bekommt, wenn sie das Gegenteil dessen erzählt, was Sie erzählen. Sie werden mir gestatten, dass ich angesichts der öffentlichen Debatte, die Sie erzeugen, auf Widersprüche in Ihrer Fraktion hinweise. ({1}) Man könnte das doppelzüngig nennen, aber es liegt mir natürlich fern, einen solchen Begriff zu verwenden. ({2}) - Ich weiß, dass es unangenehm ist, wenn man vorgeführt wird, und ich gebe zu, mir ist das auch schon passiert; aber heute müssen Sie es einmal ertragen. Jetzt zum Kollegen Fell. Herr Fell, ich weiß nicht, welche Gründe dazu geführt haben, das in München nicht zu tun; ({3}) das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir in Deutschland preiswerten Grundlaststrom mit zwei Energieträgern sicherstellen können: Das eine ist die Steinkohle, und das andere ist die Braunkohle. ({4}) Bei den erneuerbaren Energien werden wir - jetzt appelliere ich, ein bisschen auf die Grundrechenarten zu achten - bis zum Jahre 2020 - jetzt bin ich einmal ganz optimistisch - auf etwa 30 Prozent kommen. ({5}) Das ist ein riesiges, ambitioniertes Ziel. Sie hatten in der Vergangenheit das Ziel von 20 Prozent. Wir sind mit der Großen Koalition deutlich darüber in Richtung 30 Prozent. Dann bleiben 70 Prozent übrig, die sichergestellt werden müssen. Die Effizienzgewinne können Sie nicht einfach gegenrechnen, weil wir mit ihnen dafür sorgen wollen, dass das Wirtschaftswachstum vom Energiewachstum abgekoppelt wird. Das heißt, Sie müssen sagen, wie die 70 Prozent der Stromversorgung sichergestellt werden können, die wir nicht aus erneuerbaren Energien gewinnen können. Dafür gibt es zwei Träger: Gas und Kohle. Gas nutzen wir zu 10 Prozent im Bereich der Spitzenlast und der oberen Mittellast. Warum? Weil Gas sehr teuer ist. Wenn wir das machen, was Sie wollen, verteuern wir den Strom massiv. Wir können das Gas notfalls zwar besorgen - obwohl das derzeit ziemlich schwierig ist -, wir bräuchten aber den Gasbestand ganz Italiens, um die Stromgewinnung aus Kohle, die Sie nicht mehr wollen, zu ersetzen. Sie können sich ungefähr vorstellen, wie freudig Herr Putin oder Firmen wie Gazprom das zur Kenntnis nehmen würden. Das wäre für die deutsche Industrie mit einer enormen Preissteigerung im Bereich der Grundlast verbunden. Herr Fell, das will ich nicht verantworten, das will die Große Koalition nicht verantworten. Ihre Politik würde Herrn Hambrecht - der die Sorge hat, dass es zu einer Deindustrialisierung kommt - zum ersten Mal recht geben. Weil ich meine, dass er an dieser Stelle unrecht behalten muss, können wir diese Politik nicht mittragen. Das wäre industriepolitisches Abenteurertum, Herr Fell. Das ist das, was dabei herauskäme. ({6}) Sie verschweigen etwas. Ich war gestern bei der Vorstellung des Erfahrungsberichts zum Erneuerbare-Energien-Gesetz ganz offen. Ich habe gesagt: Ja, wir subventionieren das mit 3,2 Milliarden Euro. Die Förderung wird bis zum Jahr 2020 auf 5 Milliarden Euro steigen. Das ergibt für jeden Bundesbürger pro Monat heute 1 Euro, später 1,30 Euro und im Jahr 2020 1,40 Euro. Ich halte das für preiswert, wenn man dagegenhält, was das für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder bedeutet. Ich halte das für vertretbar. Ich kann doch nicht so tun, als ob der Strom, den wir aus erneuerbaren Energien gewinnen, bis 2020 auf jeden Fall grundlastfähig wäre. Herr Fell, wir produzieren dann in unseren Netzen bis zu 50 000 Megawatt fluktuierender Energie. Mal ist der Wind da, mal nicht; mal ist Stromerzeugung durch Fotovoltaik möglich, mal nicht. Ihre virtuellen Kraftwerke werden im Jahr 2020 noch nicht überall funktionsfähig und am Netz sein, und das in einem Industriestaat wie Deutschland. ({7}) Sie werden Regelkraftwerke brauchen. Diese Regelkraftwerke müssen Sie im Zweifel mit Gas betreiben, und das ist eine ziemlich teure Veranstaltung. ({8}) Sie wollen den Leuten vormachen, dass das möglich wäre. Das geht aber nicht. Wir wollen 27 Prozent, 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen. Wir dagegen wollen aber auch die Modernisierung der Stromgewinnung aus Kohle, und wir wollen, dass diese Stromgewinnung mit einem geringeren CO2Ausstoß erfolgt. Das ist der Grund, warum wir - Herr Fell, jetzt kommen wir zu den Zahlen - bis zum Jahr 2012 den Bau von neun Kohlekraftwerken planen, sechs Steinkohle- und drei Braunkohlekraftwerken. Herr Fell, wir wollen jetzt keine Entscheidung darüber treffen - das können wir auch gar nicht -, was nach 2013 passiert. Nach 2013 - insofern haben Sie recht - werden die Emissionsbudgets in Europa geringer sein. ({9}) - Ich habe Ihnen doch auch zugehört. Hören Sie mir jetzt doch auch einmal zu; Sie müssen ja nicht der gleichen Meinung sein. ({10}) Darum geht es im Parlament doch gar nicht. Wir wissen, dass das dann nur noch unter zwei Bedingungen möglich sein wird: Entweder wir haben die CO2arme Kohletechnik - CO2-frei wird sie nicht sein -, oder Sie müssen sich auf dem internationalen Markt im Rahmen des internationalen Kohlenstoffhandels Zertifikate kaufen. Exakt das habe ich in der Regierungserklärung gesagt. Kein Unternehmen wird in Deutschland in Kohlekraftwerke investieren - von den neun, die ich genannt habe, einmal abgesehen -, solange es nicht weiß, wie die Regeln zum europäischen Emissionshandelssystem nach 2013 aussehen werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, Ihre Zeit für die Beantwortung ist zu Ende. Es tut mir leid.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Vielen Dank. Ich bin auch fertig.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Horst Meierhofer, FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Gabriel, Sie können sicher sein, dass die FDP wie ein Mann hinter unseren Beschlüssen zum Emissionshandel steht, gerade hinsichtlich des Wärmebereichs. Wir haben das einstimmig beschlossen. Die Umwelt- und die Energiepolitiker bei uns sind sich da absolut einig. ({0}) Ich habe aber das Gefühl, dass das bei der Großen Koalition nicht immer der Fall ist. Wenn man hört, was von den Umweltpolitikern einerseits und den Wirtschaftspolitikern andererseits kommt, hat man nicht unbedingt das Gefühl, dass das gut abgestimmt ist. Deswegen glaube ich auch nicht, dass das angekündigte große, allumfassende Konzept tatsächlich Wirklichkeit wird, solange man es hinausschieben kann. ({1}) Ich finde interessant, was zum Beispiel die CDU/CSU dazu sagen wird - das fand ich noch interessanter als den Vorschlag von Frau Bulling-Schröter; um Sie zu unterstützen, kam jetzt vom Minister ein anderer Vorschlag -, dass Kühlschränke anders besteuert werden sollen. Ich kann mir vorstellen, dass es spätestens hierzu in der Koalition die eine oder andere Unstimmigkeit geben wird. Das werden wir dann später sehen. ({2}) Heute in der Diskussion ist mir - zumindest bisher; ich glaube, es spricht noch eine Kollegin aus dem Entwicklungshilfeausschuss - die internationale Dimension ein bisschen zu kurz gekommen. Ich bezweifle, dass wir, Herr Fell, in Deutschland allein - so schön es auch ist, dass wir Vorreiter sind; das ist vollkommen wichtig das Klima werden retten können. Das werden wir nicht mit Tempo 120 schaffen. Das werden wir nicht mit den anderen Aktionen schaffen, auf die Herr Schwabe schon hingewiesen hat. ({3}) Natürlich müssen wir Vorreiter sein. Aber wir müssen auch überlegen, wie wir unser Geld am besten einsetzen können, wie wir für den Klimaschutz, für den wir alle einstehen, international am meisten erreichen können. ({4}) Da sind die Angebote, die von den Grünen und von der Linken gemacht werden, sehr gering. ({5}) Ihnen geht es immer nur darum, die Fehler bei uns vor Ort zu suchen und sich ansonsten nicht um den Rest der Welt zu scheren. ({6}) Ich habe das Gefühl, dass wir uns über den PostKioto-Zeitraum unterhalten müssen. Mir geht es darum, dass man festhalten muss, dass wir sowohl die Chinesen als auch die Inder und die USA mit ins Boot holen müssen - diese Punkte sind heute deutlich zu kurz gekommen -, ansonsten wird es nicht funktionieren, und wir werden keinerlei Möglichkeiten haben, dieses Problem zu lösen. Wir müssen - das hat Minister Gabriel gesagt - ein allumfassendes Konzept, das bisher fehlt, schaffen. Mit dem Emissionshandel würde uns das gelingen. Es wäre hervorragend, wenn wir da gemeinsame Positionen finden. Dazu gehört übrigens auch der Luftverkehr. Auch im Bereich Luftfahrt muss man sich Gedanken machen. ({7}) Das ist bisher leider viel zu wenig geschehen. Wir müssen im Bereich der Technologiezusammenarbeit viel mehr tun. Wir müssen auch bei der Förderung erneuerbarer Energien, beispielsweise hinsichtlich des Exports, deutlich mehr tun. Gerade in dem Bereich, glaube ich, haben wir Möglichkeiten, für die deutsche Wirtschaft - für den Export und die Erneuerbare-Energien-Industrie - und für das Klima weltweit etwas zu tun. Ich glaube, wenn wir uns darauf verständigen, dienen wir dem Klimaschutz am besten. Dann besteht auch nicht das Problem, dass wir uns gegenseitig immer nur vorhalten, wer das bessere Konzept hat. Es geht hier um eine gemeinsame Aufgabe. Wir werden sie nicht bewältigen, wenn jeder immer nur mit Scheuklappen seine eigenen Ideen verfolgt. Wir sollten uns ein bisschen umfassender damit auseinandersetzen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich hätte nie gedacht, dass der Tag kommt, an dem ich mich freue, dass die Grünen in der Bundesregierung waren. Sie nicken. Daher weise ich Sie darauf hin, dass die Betonung auf „waren“ liegt. ({0}) Außerdem freue ich mich nicht deshalb, weil Sie so Großartiges geleistet hätten, sondern weil Sie dabei die Unschuld der Oppositionspartei verloren haben. Sie kämpfen hier einen Verzweiflungskampf um Ihr Profil, das Ihnen dabei komplett abhanden kam. Der Pazifismus war mit den ersten Kriegseinsätzen sofort erledigt. Dann kam der sofortige Ausstieg aus der Kernenergie. Er war dann aber nicht sofort. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich das nicht nachvollziehen kann. Denn angesichts der Tatsache, dass die Grünen erzählen, wie riskant und kritisch die Kernenergie ist, müsste man konsequent sein und sofort aussteigen und kann nicht sagen: Das ist nicht verantwortbar; aber für 20 Jahre können wir es natürlich schon verantworten. Das war ausgesprochen inkonsequent. ({1}) Heute erleben wir, wie diese Inkonsequenz fortgesetzt wird. Sie konzentrieren sich auf die erneuerbaren Energien. Hier haben wir ein europäisches Ziel - federführend von der Kanzlerin festgelegt -: Die erneuerbaren Energien sollen 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs ausmachen. Sie beantworten vorsichtshalber die Frage nicht, wo die anderen 80 Prozent herkommen sollen. Nun gibt es unter Ihnen den Kollegen Fell. Wenn man lange genug nachbohrt, sagt er einfach: Den Primärenergieverbrauch können wir auch zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien abdecken. Lieber Kollege Fell, da leisten Sie der Erneuerbare-Energien-Branche einen Bärendienst. Sie arbeiten an dieser Stelle mit Entwicklungen und Erfahrungskurveneffekten, die nicht real sind. ({2}) Wenn wir sie politisch abbilden würden, dann würden wir all das, was sich in diesem Bereich erfreulicherweise entwickelt, sofort abwürgen. Vieles von dem, was in Ihrem schönen, bunten Papier, das Ihnen allerdings auch kein Profil verleiht, steht, hätten Sie in Ihrer Regierungszeit tun können. Heute haben wir endlich erfahren, woran es lag, dass Sie das nicht getan haben: Schuld daran war nur die SPD. ({3}) Das ist das alte Lied, das Sie immer wieder anstimmen. Ich frage Sie: Warum konnten Sie sich damals nicht wenigstens in den Bereichen durchsetzen, von denen wir heute wissen, wie sehr sie die Wirtschaft beleben? Das gilt zum Beispiel für das Programm zur CO2-Gebäudesanierung. Im Jahre 2001 haben Sie dafür 360 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, 2003 waren es 520 Millionen Euro, und jetzt sind es 1,4 Milliarden Euro. Das hätten Sie doch machen können. Wie der Regierungserklärung des Wirtschaftsministers zu entnehmen war, macht dieses Programm mittlerweile bis zu 1 Prozent unseres Wirtschaftswachstums aus. An dieser Stelle haben wir eindrucksvoll gezeigt, wie man Klimaschutz und Wirtschaftswachstum miteinander verbinden kann. Das zeichnet unsere Politik in ganz besonderer Art und Weise aus. ({4}) - Herr Kollege, ich weiß, wie sehr es Sie ärgert, dass das Thema Klimaschutz fest in schwarz-roter Hand ist. Daher unternehmen Sie jetzt den verzweifelten Versuch, mit der kleinen Trommel hinter dem Musikchor herzulaufen und so zu tun, als seien Sie der Tambourmajor. Das klappt aber leider nicht. ({5}) Nun noch eine Bemerkung zu dem, was wir heute vom Rest der Opposition gehört haben. Bei der Linken hieß es: Staat, Staat, Staat. Das ist nichts Neues. Sie hätten gerne ein Fünfjahresprogramm für Ökokühlschränke, die verbilligt abgegeben werden sollten. Eigentlich hätten Sie auch fordern können, den Trabant für alle, damit auch keine großen Limousinen mehr gefahren werden. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ausgesprochen gerne.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Nüßlein. - Ich weiß nicht, warum Sie meine Rede so lächerlich gefunden haben. Versuchen Sie bitte einmal - ich weiß nicht, ob Sie das können -, sich in die Situation eines Hartz-IV-Empfängers oder eines Arbeitslosengeldempfängers zu versetzen. Auch diesen Leuten wird gesagt, dass sie Energie einsparen sollen. Die Mehrheit in diesem Land will das auch; wir sollten niemandem das Gegenteil unterstellen. Aber viele Leute können es einfach nicht. Ich persönlich habe mir vor kurzer Zeit eine Spülmaschine gekauft. ({0}) - Ja. - Ich habe mir die energieeffizienteste Spülmaschine gekauft. Als ich einen Preisvergleich gemacht habe, stellte ich fest, dass sie ein paar Hundert Euro teurer als die anderen Maschinen war. Ich kann mir das leisten, und für mich ist das kein Problem. Für andere Menschen ist das aber ein Problem. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass auch sozial schwache Familien mit weniger Einkommen in Zukunft die Möglichkeit bekommen, Energie einzusparen. Noch einmal: Der Zuschuss zu den Energiekosten, der bei Beziehern von Wohngeld übernommen wird, wird allerdings nicht erhöht. Sie müssen, wenn es im Winter kalt ist - dieses Jahr war es ja nicht so kalt -,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie wollten eine Zwischenfrage stellen.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

in der kalten Wohnung sitzen, weil sie die Energiepreise nicht mehr zahlen können. Was tun Sie dagegen? ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, ich gewinne den Eindruck, dass Sie versuchen, auch aus diesem Thema politisches Kapital zu schlagen und Ihrer Klientel Wohltaten in Aussicht zu stellen bzw. vorzugaukeln, die es in dieser Form nicht geben kann. Ich weiß nicht, woher es kommt und wohin es führen soll, dass Sie fordern, der Staat solle Hartz-IVEmpfängern noch diesen oder jenen Zuschuss gewähren. Ich stelle Ihnen die Gegenfrage: Was sagen wir all denen, die über der Hartz-IV-Schwelle liegen und jeden Tag für ihr Geld arbeiten gehen müssen, um sich all das auch leisten zu können? Ich sage Ihnen noch etwas: Ich bin dafür, dass wir etwas für die Leute, die Sie angesprochen haben, tun. Sie sollten allerdings unserem Weg folgen. Wir müssen die CO2-Gebäudesanierung konsequent fortführen und überlegen, welche Änderungen wir im Mietrecht vornehmen können. Hier muss ein Anreiz geschaffen werden, damit Gebäude, die vermietet sind, saniert werden. Dies muss steuerlich gefördert werden. Davon wollen Sie aber nichts wissen, ({0}) weil das letztendlich die Hausbesitzer betrifft. ({1}) An dieser Stelle müssen wir ansetzen. Demjenigen, der in einer unsanierten Platte wohnt, müssen sanierte und isolierte Wohnräume zur Verfügung gestellt werden. Dadurch sparen wir staatlicherseits im Übrigen sehr viel Geld. Denn der Staat zahlt für diese Leute die Nebenkosten, die andere selbst erwirtschaften müssen. Also macht es Sinn, an dieser Stelle anzusetzen. ({2}) - Doch. Bei der FDP das gleiche Spiel, nur umgekehrt: Markt, Markt, Markt statt Staat, Staat, Staat. Da muss man sich die Frage stellen, Herr Kauch, welcher Markt gemeint ist und wie der Markt aussieht. Ich glaube, wir haben es nach der Liberalisierung 1998 versäumt, uns intensiv mit dem Energiemarkt zu beschäftigen. Auch der Emissionshandel wird am Ende nur funktionieren, wenn auf dem Strommarkt Wettbewerb herrscht; sonst schütteln sich unsere großen Konzerne, preisen ein und sagen: Das war unser Beitrag zum Klimaschutz. Das kann es aus meiner Sicht nicht sein. Deshalb muss man all das unterstützen, was unser Wirtschaftsminister Michel Glos an dieser Stelle an Sinnvollem vorbereitet. Zum Emissionshandel. Es ist uns gelungen, zu einer Versteigerungslösung zu kommen, in einem sinnvollen und von der EU begrenzten Rahmen. Wir werden die entsprechenden Erlöse zielorientiert für den Klimaschutz im In- und Ausland einsetzen. Das ist ganz wichtig; denn es geht nicht nur um die Abschöpfung von Windfallprofits, sondern darum, das Geld sinnvoll einzusetzen. Es geht im Übrigen auch darum, unsere Wirtschaft auf das, was in der nächsten Handelsperiode auf uns zukommt, vorzubereiten: Wir rechnen damit - der Minister hat es schon gesagt -, dass 100 Prozent der Zertifikate versteigert werden. Deshalb war es auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll, diesen Weg zu gehen. Diese Leitschnur, Wirtschaft und Ökologie miteinander zu vereinen, wird uns auch bei der Kraft-WärmeKopplung und bei den erneuerbaren Energien weiterbringen. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie man die Netzintegration auf Nachfrage- und Angebotsseite hinbekommen kann. Wir werden Anpassungen an den Stellen vornehmen, wo es im Interesse der erneuerbaren Energien dringend geboten ist, zum Beispiel bei der Solarenergie, bei der wir feststellen können, dass wir die Erfahrungskurve mit der derzeitigen Degression suboptimal abbilden. Das müssen wir tun, und das ist auch im Interesse der Branche. ({3}) Hier ist verschiedentlich über das Wärmegesetz gesprochen worden. Wir sind uns mittlerweile weitgehend einig, dass wir es in einen größeren Kontext einfügen müssen. Wir wollen darüber hinaus in den Bereichen, wo es Sinn macht, nämlich bei Neubauten, aber auch bei der Sanierung der Heizungen von großen Gebäuden - Gebäuden mit mehr als 500 Quadratmetern Fläche -, die Nutzung regenerativer Wärmequellen vorschreiben. Denn - das ist vorhin angesprochen worden, Frau Bulling-Schröter - auch im Bereich der Mietwohnungen muss sich in diesem Land etwas tun. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Gabriele Groneberg, SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müssen wir den Kollegen von den Grünen und von der FDP dankbar sein, dass wir heute die Gelegenheit haben, ausführlich über den Klimaschutz zu debattieren und die Maßnahmen darzustellen, die die Bundesregierung, auch auf Initiative meiner Fraktion, zur Bekämpfung des Klimawandels ergriffen hat. Herr Meierhofer, schönen Dank, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass noch jemand aus dem Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung reden wird. Denn das zeigt, dass die Koalition dem internationalen Klimaschutz und der Bekämpfung des Klimawandels einen großen Stellenwert einräumt. Wir können den Klimawandel nicht allein in Deutschland bzw. in Europa bekämpfen; wir müssen international helfen. Wir sind in der Verantwortung und in der Verpflichtung, den Entwicklungs- und den Schwellenländern dabei zu helfen; genau darum geht es. Herr Kauch, jetzt komme ich zu Ihnen. Ich habe Sie in der Zusammenarbeit bisher immer als einen realistischen und praktisch denkenden Menschen erlebt. Doch eben haben Sie hier so getan, als sei alles ganz einfach: Nehmen wir genug Geld in die Hand, und stellen wir in Subsahara-Afrika Solaranlagen auf - dann haben wir das Problem gelöst! ({0}) - Herr Kauch, ganz ehrlich: Ganz so einfach ist es nicht. Wenn Sie sich ein bisschen mehr damit auseinandersetzen würden, dann wüssten Sie, dass wir schon jetzt technische und finanzielle Unterstützung zum Aufbau einer nachhaltigen Energiewirtschaft in Afrika und Asien leisten und den Transfer klimafreundlicher Technologie in die Entwicklungsländer durch marktwirtschaftliche Anreize und flankierende Instrumente fördern. Das ist seit Jahren erklärtes Ziel der Bundesregierung. Das haben wir schon unter Rot-Grün so gemacht; wir werden unsere Anstrengungen in diesem Bereich in den nächsten Jahren noch verstärken. ({1}) Allein für die Region Subsahara-Afrika haben wir rund 177 Millionen Euro für die finanzielle Unterstützung, den Aufbau und die Förderung erneuerbarer Energien bereitgestellt. Natürlich ist - gerade in Südafrika auch die Stromversorgung durch Sonnenenergie erfasst. Um dem Vorwurf zu entgegnen, der an dieser Stelle schnell gemacht wird, füge ich hinzu: Wir setzen mit unseren Programmen aus Gründen der Flächendeckung vor allem auf die ländliche Elektrifizierung. Die Gesamtsumme der laufenden Energievorhaben für Afrika beträgt 386 Millionen Euro. Das ist doch kein Pappenstiel. Dass man da immer noch etwas draufsatteln kann, ist gar keine Frage. Zudem gehe ich davon aus - in unseren Beratungen haben wir uns zumindest darauf verständigt -, dass wir die Einnahmen aus der Versteigerung der Emissionszertifikate auch für internationale Maßnahmen zum Klimaschutz einsetzen werden. Der Bundesumweltminister hat das gerade noch einmal erklärt. Natürlich werden wir das Geld vornehmlich für Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern einsetzen. Ich möchte noch ganz kurz zum Antrag der Grünen Stellung nehmen. Ich muss sagen, dass Sie sich wirklich viel Arbeit gemacht haben. Sie hätten aber der Ordnung halber zugeben müssen, Herr Fell, dass es nicht die Grünen waren, die zum Beispiel das Gebäudesanierungsprogramm durchgesetzt haben, sondern Rot-Grün, ({2}) und dass wir die Mittel dafür gerade aufgestockt haben. Das ist eine Leistung der gegenwärtigen Koalition; das sollte man auch erwähnen. ({3}) Sie haben in den Debatten, die wir in den letzten Wochen hier geführt haben, offenbar nicht richtig zugehört. In Ihrem Antrag stehen Dinge, die durch Regierungshandeln längst erledigt sind und die wir bereits in unseren Anträgen aufgeführt haben. Wenn Sie dies von uns abgeschrieben haben, empfinde ich es als Kompliment; das müsste mich beruhigen. Nichtsdestotrotz bin ich enttäuscht. Ich gebe zu, dass es in der Opposition einfach ist, immer noch mehr zu fordern. Aber letztlich müssen wir doch bei dem bleiben, was praktikabel ist. In dieser Debatte ist durchaus deutlich zum Ausdruck gekommen, dass die gegenwärtige Bundesregierung beim Klimaschutz in Europa führend ist. Wir werden in dieser Beziehung auch weiterhin weltweit führend sein. Ich sehe momentan jedenfalls keinen ernsthaften Konkurrenten, der sich so intensiv mit Maßnahmen für den Klimaschutz in den Entwicklungsländern auseinandersetzt. Ich will ein Beispiel aus Ihrem Antrag zitieren. Sie haben auf den Tropenwaldschutz hingewiesen. Beim G-8-Gipfel haben sich die beteiligten Staaten auf eine Initiative der Weltbank zur Einrichtung einer Partnerschaft mit dem Ziel des Schutzes der Regenwälder geeinigt. Das wird in Ihrem Antrag nicht deutlich. Insofern hat Sie die tatsächliche Politik der Bundesregierung und anderer Länder überholt. Seien Sie ehrlich, und geben Sie zu, dass wir Ihnen diesbezüglich mittlerweile einen Schritt voraus sind. Wir werden darüber sicherlich wei11314 ter debattieren. Wie Sie sich heute geäußert haben, werden Sie wohl in Zukunft keine Schwierigkeiten damit haben, unseren Anträgen zuzustimmen. Schönen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5895 und 16/5610 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements - Drucksache 16/5200 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksachen 16/5926, 16/5985 Berichterstattung: Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten Petra Hinz ({1}) Dr. Barbara Höll Christine Scheel - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/5930 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Petra Hinz ({3}) Jochen-Konrad Fromme Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Sibylle Laurischk, Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mehr Freiheit wagen - Zivilgesellschaft stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements - Drucksachen 16/5410, 16/5245, 16/5926, 16/5985 Berichterstattung: Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten Petra Hinz ({5}) Dr. Barbara Höll Christine Scheel Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements wird die Bedeutung all der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande gewürdigt, die sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl einsetzen. In diesem Gesetzentwurf wird die Wertschätzung für die Menschen ausgedrückt, die bereit sind, sich ganz persönlich für die Gemeinschaft einzubringen. Jede Gemeinschaft lebt von den Menschen, die mehr tun als ihre unmittelbare Pflicht. Deshalb unterstützen wir diejenigen, die sich im Ehrenamt engagieren. ({0}) Von Max Frisch stammt der wunderschöne Satz: Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. Es ist also nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, dass Bürgerinnen und Bürger in Ergänzung zum Staat Gemeinwohlaufgaben übernehmen. Das heißt aber nicht, dass sich der Staat seiner Verantwortung entzieht. Im Gegenteil: Eine Politik, die bürgerschaftliches Engagement fördern will, muss die Rahmenbedingungen und Förderinstrumente darauf ausrichten, dass die Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ausjustiert werden. ({1}) Fragen des Gemeinnützigkeitsrechts und seine Bedeutung für das bürgerschaftliche Engagement werden von uns heute also steuer- und finanzpolitisch bewertet. Ich sage in aller Bescheidenheit: Es war ein guter Entwurf der Bundesregierung, des Bundesfinanzministers. Die Gesetzesberatungen im Finanzausschuss und auch in den anderen Ausschüssen haben zu weiteren - und ich sage: guten - Verbesserungen geführt. Die Koalition hat gute Arbeit geleistet. ({2}) Dass der Staat auf einen Teil seiner Einnahmen verzichtet, um in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu inEduard Oswald vestieren, zeigt, wie sehr er das Ehrenamt unterstützt. Darum ist dies alles keine Subvention, sondern eine Investition in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Mein Dank gilt den engagierten Berichterstatterinnen und Berichterstattern aller Fraktionen, die sich in den letzten Wochen intensiv mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt haben. Als Vorsitzender des Finanzausschusses darf ich namentlich nennen: Petra Hinz, Christian Freiherr von Stetten, Dr. Volker Wissing, Christine Scheel und Dr. Barbara Höll. Ich danke auch den Mitgliedern des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ für ihren wertvollen und unverzichtbaren Einsatz, den Kollegen Michael Bürsch und Klaus Riegert stellvertretend für alle anderen. ({3}) Ich bedauere, dass es nicht gelungen ist, wie von mir in der ersten Lesung erhofft, zu einer einstimmigen Lösung zu kommen. Die Diskussion im Ausschuss und die Anhörung haben aber gezeigt, dass alle in unserem Parlament das Ehrenamt fördern und unterstützen wollen. Dass es auf dem Weg dorthin unterschiedliche Sichtweisen gibt, muss man letztendlich akzeptieren. ({4}) Ein wichtiger Bestandteil des Maßnahmenkatalogs zur Förderung des ehrenamtlichen Engagements ist die Anhebung des sogenannten Übungsleiterfreibetrags auf 2 100 Euro. Dadurch werden größere Gestaltungsspielräume für alle Vereine, Übungsleiter, Ausbilder und Betreuer geschaffen. Wichtige ehrenamtliche Einsätze können somit erweitert und bestehende Angebote verbessert werden. Mit der steuerfreien Aufwandspauschale für alle, die in Vereinen Verantwortung übernehmen, leisten wir einen weiteren Beitrag zur Entlastung aller freiwillig Engagierten. Steuerfrei bleiben damit künftig auch Einnahmen aus bisher nicht erfassten gemeinnützigen Tätigkeiten, zum Beispiel die Aufwandsentschädigung von Vereinsvorständen und Feuerwehrgerätewarten. Auch die Väter oder Mütter, die ihre Sprösslinge zum Fußballspiel fahren, und der Zeugwart, der die Trikots wäscht - ohne ihn geht es auch nicht -, leisten gemeinschaftsdienliche Aufgaben und bekommen eine Aufwandsentschädigung. Sie müssen in Zukunft nicht mehr jeden Cent einzeln gegenüber dem Finanzamt nachweisen. Fast 2 Millionen Menschen werden von diesen Erleichterungen profitieren können. Dass es gelungen ist, die Grenze für die Vermögensstockspende in Stiftungen auf 1 Million Euro anzuheben, bedeutet, dass wir zu einer nachhaltigen Stärkung des Stiftungswesens in Deutschland kommen werden, was sicherlich zu einer besseren Bewältigung von Gemeinwohlaufgaben führen wird. ({5}) Der Gesetzentwurf enthält mehr als nur geeignete steuerrechtliche Anreize, den einzelnen Bürger zu bürgerschaftlichem Engagement zu ermuntern. Es werden auch Maßnahmen getroffen, die zur weiteren Entbürokratisierung der Arbeit im gemeinnützigen Bereich beitragen. Auch die deutliche Anhebung des allgemeinen Abzugsrahmens auf 20 Prozent des Gesamtbetrags der Einkünfte trägt wesentlich zum Abbau bürokratischer Hemmnisse bei. Einen wesentlichen Aspekt haben wir in diesem Gesetzentwurf noch nicht geregelt. Auch dies müssen wir offen ansprechen. Wir alle wissen, dass der unzureichende Versicherungsschutz ein Hemmnis für mehr ehrenamtliches Engagement darstellt. Dies hat sich inzwischen erfreulicherweise verbessert. Mehr als die Hälfte der Bundesländer haben für ihre ehrenamtlich Engagierten Sammelverträge für eine Unfall- und Haftpflichtversicherung abgeschlossen. ({6}) - Das kann man nur begrüßen. - Ich glaube, für uns alle gilt, dass derjenige, der sich für die Gemeinschaft engagiert, Anspruch darauf hat, mit den vielen Risiken nicht alleingelassen zu werden. ({7}) Dass dies derzeit nicht der Fall ist, ist der Grund, warum sich viele Menschen nicht ehrenamtlich engagieren. Wir haben mit unseren Rechtspolitikern in der Koalition vereinbart, dass noch in diesem Jahr in einem zweiten Schritt eine Verbesserung des außersteuerlichen Haftungsrechts auf den Weg gebracht wird. Wir werden in den Fraktionen sorgfältig darauf achten, dass dieses Vorhaben umgesetzt wird. Gemeinnützigkeit und bürgerschaftliches Engagement sind Fundamente unserer Demokratie insgesamt. Das müssen wir in einer Debatte zu diesem Thema immer im Blick behalten. Jeder, der sich einbringt, macht den Staat zu seiner eigenen Angelegenheit und stärkt unser Gemeinwesen. Darum glaube ich, dass wir durch unsere heutige Entscheidung nicht nur das Gemeinnützigkeitsrecht verbessern und damit unsere Gemeinschaft stärken, sondern auch gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, dass das Ehrenamt auch eine Bereicherung für das eigene Leben ist und Lebensqualität bedeutet. Wer sich engagiert, gewinnt. ({8}) Ich glaube, dass wir etwas Gutes geschaffen haben, dem wir sicherlich alle gemeinsam zustimmen können. Vielen herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zuerst die Begrüßung; so machen wir das, Herr Bürsch. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Demokratie ist ohne bürgerliches Engagement nicht denkbar. Eine Regierung sollte sich deshalb nach Kräften bemühen, das Ehrenamt zu stärken. Gleichzeitig sollte sie aber alles unterlassen oder beseitigen, was dem Ehrenamt schadet oder es behindert. Die Bundesregierung möchte mit ihrem Gesetzentwurf das Ehrenamt fördern. Das ist eine gute Absicht, Herr Minister Steinbrück, die Anerkennung verdient. ({0}) In einigen Punkten enthält der Gesetzentwurf durchaus brauchbare Ansätze. ({1}) Es ist mir ein Anliegen, allen ehrenamtlich Engagierten, die unsere Debatte verfolgen zu versichern, dass jeder in diesem Hohen Haus größten Respekt vor Ihrer Arbeit hat. Wir alle wollen Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen; denn Sie alle sind Vorbilder in unserer Gesellschaft. Das betont meine Kollegin Sibylle Laurischk zu Recht immer wieder. ({2}) Die im Gesetzentwurf enthaltene Erhöhung der steuerlichen Absetzbarkeit von Spenden für Unternehmen ist aus Sicht der FDP begrüßenswert. Das Gleiche gilt für den vereinfachten Nachweis von Zuwendungen. Es spricht für Ihre Einsichtsfähigkeit, dass Sie die Höchstgrenze für die steuerliche Begünstigung von Spenden an Stiftungen von den ursprünglich vorgesehenen 750 000 Euro auf 1 Million Euro erhöht haben. Die FDP hätte sich allerdings einen größeren Schritt gewünscht. ({3}) Mit der Vorgabe, dass die Länder künftig Schwerpunktfinanzbehörden mit Zuständigkeit für Gemeinnützigkeitsfragen benennen sollen, greifen Sie eine Forderung aus dem FDP-Antrag auf. Das ist isoliert betrachtet zu begrüßen. Sie tun einiges; manches davon ist sogar sehr hilfreich. Gleichzeitig unterlassen Sie aber vieles, und das wiederum ist bedauerlich. ({4}) Die FDP ist überhaupt nicht damit einverstanden, dass der Staat das bürgerschaftliche Engagement in zwei Gruppen einteilt, wobei die einen gefördert werden und die anderen nicht. Wir wollen keine ehrenamtlichen Organisationen erster und zweiter Klasse. Für die FDP gilt: Das Ehrenamt ist grundsätzlich und in seiner Gesamtheit unterstützenswert. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. ({5}) Sie führen die abschließende Auflistung in § 52 der Abgabenordnung nahezu unverändert fort, obwohl gerade dieser Punkt in der Anhörung auf erhebliche Kritik gestoßen ist. Aus unserer Sicht muss ein zukunftsfähiges Gemeinnützigkeitsrecht offener gestaltet werden. Nur so kann sich eine starke, selbstbewusste und unabhängige Zivilgesellschaft frei fortentwickeln. Das ist ein Schritt, den Sie couragierter hätten gehen müssen. Sie wollen, dass künftig Mitgliedsbeiträge an Vereinigungen, die der Freizeitgestaltung einschließlich des Sports und der Heimatpflege dienen, nicht mehr steuerlich abzugsfähig sind. Wie Musikvereine, Laienchöre und Laienorchester mit einer solchen Vorschrift umgehen sollen, sagen Sie allerdings nicht. Sinnvoll wäre es gewesen, die Differenzierung zwischen Mitgliedsbeiträgen und Spenden auch hier aufzugeben. Das wäre ein Weg zur Vereinfachung. Vor allen Dingen brächte das für alle Betroffenen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Es ist schade, dass Sie sich davon nicht haben überzeugen lassen, obwohl in der Anhörung auch dieser Punkt heftig umstritten war und kritisiert wurde. Den von Minister Steinbrück ursprünglich angekündigten Abzug von der Steuerschuld für gemeinnützige Tätigkeiten in bestimmten Bereichen und bestimmtem Umfang haben Sie ihm gestrichen. Offensichtlich haben Sie sich den Gesetzentwurf noch einmal genau angeschaut. Von der Begeisterung, die in der ersten Lesung von den Koalitionsfraktionen zu vernehmen war, ist wohl nicht mehr viel übrig geblieben. Aber die nun vorgesehene Regelung, die Einführung eines Freibetrages in Höhe von 500 Euro für nebenberufliche Einnahmen aus bestimmten gemeinnützigen Tätigkeiten ({6}) - Frau Kollegin, ich komme darauf zu sprechen -, ist genauso wenig durchdacht. ({7}) Personen, die völlig unentgeltlich ehrenamtlich tätig sind, erhalten nichts. Sie bevorzugen mit dieser Regelung vor allen Dingen die größeren gemeinnützigen Organisationen. An die vielen kleinen Vereine, die ihren engagierten Helferinnen und Helfern keine Aufwandsentschädigung zahlen können, haben Sie nicht gedacht. Das sind sehr viele, und diese gehen bei Ihnen leer aus. ({8}) Für die FDP ist das nicht zu rechtfertigen, ganz abgesehen davon, dass Sie dem Steuerrecht mit Ihren vielen Ausnahmetatbeständen insgesamt keinen Gefallen tun. Ihr Gesetzentwurf ist an manchen Stellen auch widersprüchlich. Sie wollen die Stiftungskultur in Deutschland befördern; das ist ein gutes Ziel. Sie erhöhen die abziehbare Höchstgrenze auf 1 Million Euro; das habe ich schon positiv hervorgehoben. Gleichzeitig behindern Sie aber die Stiftungskultur, indem Sie den pauschalierten Sonderausgabenabzug für Zuwendungen an Stiftungen abschaffen und die Abzugsfähigkeit von Großspenden deutlich verschlechtern. Da fragt man sich, wie das zusammenpassen soll. Das Schlimme ist: Wiederum sind es die kleinen Stiftungen, die von Ihnen benachteiligt werden; denn gerade kleine Stiftungen sind in besonderem Maße auf Großspenden angewiesen. Aber diese gehen bei Ihnen leer aus. Die FDP bedauert ausdrücklich, dass die Förderung der Stiftungskultur in Deutschland mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur halbherzig erfolgt. ({9}) Ich finde es ebenfalls schade, dass es Ihnen nicht gelungen ist, die problematischen Haftungsregelungen strukturell zu verbessern. Es wäre dringend nötig - Herr Kollege Oswald, Sie haben das zu Recht betont -, die Haftungsregelungen zu überarbeiten. Aber Sie haben uns am Mittwoch im Finanzausschuss erklärt, das gehe nicht, ({10}) weil der Finanzausschuss nicht federführend sei. Das ist eine tolle Begründung. Sie machen die Gesetze offenbar nach der Salamitaktik, immer ein kleines Stückchen, je nachdem, wie gerade die Zuständigkeitsverteilung ist. ({11}) Der Bürger darf sich das dann zu Hause als Puzzle zusammensetzen. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, bürgernahe Politik sieht anders aus. ({12}) Es ist schade, aber Ihr Gesetzentwurf wird dem Anspruch an ein modernes und umfassendes Regelwerk für die Zivilgesellschaft nicht gerecht. Wenn Sie mit diesem Ziel gestartet sind, dann muss ich sagen, dass Sie gescheitert sind. Von einer Reform kann hier keine Rede sein. Sie drehen lediglich an bekannten Stellschrauben, überarbeiten aber die Maschine nicht grundlegend. Wenn ich mich daran erinnere, was die Enquete-Kommission erarbeitet hat und wie wenig Sie davon in diesen Gesetzentwurf übernommen haben, dann muss ich sagen, dass Ihnen insgesamt kein großer Wurf gelungen ist. ({13}) Der Gesetzentwurf bringt an einigen Stellen Verbesserungen, ({14}) kleine Organisationen werden aber nicht bessergestellt. Die vielen kleinen Vereine müssen weiter auf die Reform warten. Ihr Gesetzentwurf, den Sie uns vorlegen, ist kein Meilenstein und auch keine Reform. Sie haben schon im Finanzausschuss gesagt, dass Sie selbst nicht mehr den Anspruch erheben, eine Reform vorlegen zu wollen. Es ist aber erforderlich, dass das Gemeinnützigkeitsrecht in Deutschland grundlegend reformiert wird. Wenn man bedenkt, wie lange die Große Koalition nun schon am Werk ist und wie wenig sie von dem aufgegriffen hat, was in Deutschland aufgegriffen werden muss, dann sieht man, dass das kein großer Wurf ist. Das müssen Sie sich von der Opposition heute sagen lassen. ({15}) Ihr Gesetzentwurf enthält ein bisschen Licht, er enthält auch Schatten, einige Bereiche lässt er völlig im Dunkeln. All den ehrenamtlich Engagierten, die von diesem Gesetzentwurf nicht profitieren - das sind viele -, rufe ich an dieser Stelle zu: Halten Sie durch! Auf jede Reformbemühung der Großen Koalition wird irgendwann eine echte Reform folgen. - Der Großen Koalition kann ich nur sagen: Sie wollen vielleicht, können aber keine große Reform machen. Ihr Wollen honorieren wir, Ihr mangelndes Können kritisieren wir. Die FDP wird sich bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe der Kollegin Petra Hinz, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer sehr schön, wenn Sie, Herr Dr. Wissing, uns mehr oder weniger oberlehrerhaft etwas über bürgerschaftliches Engagement erzählen wollen, aber noch nicht einmal in der Lage sind, zwischen bürgerlichem und bürgerschaftlichem Engagement zu unterscheiden. Sie haben selbst nach der intensiven Beratung im Finanzausschuss immer noch nicht verstanden, dass es hier nicht um ein Reformwerk geht, sondern um Gesetzesänderungen zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. ({0}) Es nützt auch nichts, wenn Sie immer wieder Unwahrheiten behaupten. Dadurch wird das, was Sie sagen, weder wahrer noch intelligenter. ({1}) - Herr Dr. Wissing, man versteht Sie so nicht. Wenn Sie sich zu Wort melden, beantworte ich Ihre Zwischenfrage. ({2}) Die Bereitschaft, sich ehrenamtlich neben Beruf und Familie - darauf kommt es heute an - zu engagieren, ist nicht selbstverständlich und muss sehr sorgsam von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gepflegt und unterstützt werden. Meine Fraktion hat immer wieder auf die Verantwortung der Wirtschaft - damit meinen wir sehr wohl den Arbeitgeber - aufmerksam gemacht. Wir können hier Gesetze verändern und Dinge anstoßen, aber auch die Gesellschaft hat ihre Verantwortung. Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, dürfen am Arbeitsplatz weder gemobbt werden, noch darf ihre innerbetriebliche Karriere erschwert oder verhindert werden. ({3}) Petra Hinz ({4}) Gute Beispiele gibt es in England und Amerika. Ohne bürgerschaftliches Engagement gibt es keine Erfolgsleiter. Das wäre eine sehr schlechte Vita. Man muss sich in der Gesellschaft engagieren, und dazu laden wir ein. ({5}) Mit der Verabschiedung des Gesetzes gehen wir einen wichtigen und richtigen Schritt zur weiteren Stärkung des bürgerlichen Engagements. Dass dies notwendig ist, hat die Anhörung gezeigt. Der Weg von der EnqueteKommission - die Enquete-Kommission hat letztendlich den Grundstein gelegt - über das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats hin zum vorliegenden Gesetzentwurf war ein sehr intensiver Prozess. Manche haben dazugelernt, andere weniger, manche überhaupt nicht. Für die engagierten Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft hat sich dieser Weg gelohnt. Wir beschließen in der heutigen zweiten und dritten Lesung Steuermindereinnahmen in Höhe von 490 Millionen Euro. Das sind 50 Millionen Euro mehr, als der Finanzminister veranschlagt hat. Steuermindereinnahmen - auch das möchte ich sagen - ist ein steuertechnischer Begriff. Er bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Staat den ehrenamtlich Engagierten und gemeinnützig Tätigen einen Bruchteil des Aufwandes zurückgibt. Ich habe bereits in der ersten Lesung auf diesen Bruchteil aufmerksam gemacht. Ich möchte die Rechnung nicht wiederholen. Unter dem Strich sind es 17 Milliarden Euro im Jahr, die die ehrenamtlich und gesellschaftspolitisch interessierten und engagierten Menschen in unserer Gesellschaft an Wertschöpfung und Synergien einbringen. Dafür sei an dieser Stelle Dank gesagt. ({6}) Nun zum vorliegenden Gesetzentwurf. Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfes wird eine allgemeine Aufwandspauschale in Höhe von 500 Euro im Kalenderjahr eingeführt. Herr Oswald, Sie haben meine Beispiele bezüglich der Mütter und Väter vorweggenommen, die ihre Kinder und deren Freunde zum Sportplatz bringen. ({7}) - Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ganz im Gegenteil: Dies zeigt mir, dass wir Finanzpolitiker wissen, worüber wir reden, nämlich nicht nur über finanzielle Dinge, sondern auch über das wirkliche Leben. ({8}) - Genau. - Insofern kann ich mir dieses Beispiel ersparen. ({9}) Wichtig ist, dass diejenigen Menschen, die sich engagieren, ihren Aufwand und ihre Kosten ohne große bürokratische Mühe geltend machen können. Auch die Erhöhung der Übungsleiterpauschale um rund 300 Euro von 1 800 Euro auf 2 100 Euro kann man sehr differenziert sehen. In der Anhörung haben wir dazu ein Sowohl-als-auch gehört. Trotzdem haben wir uns entschieden, es so, wie es ursprünglich vorgesehen war, im Gesetzentwurf stehen zu lassen. ({10}) Ein weiterer Punkt, über den im Zusammenhang mit der Definition gemeinnütziger Zwecke nach der Abgabenordnung immer wieder diskutiert wurde, ist die Frage: Ist dieser Definitionskatalog geschlossen, oder ist er nicht geschlossen? Hier hatten die Vereine, die Verbände und die Organisationen ein großes Anliegen. Die Frage, ob dieser Katalog geöffnet werden oder geschlossen bleiben soll, haben wir Finanzpolitiker gemeinsam mit unseren ehrenamtlich und bürgerschaftlich engagierten Kolleginnen und Kollegen sehr intensiv beraten. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, diesen Katalog zu öffnen. In diesem Zusammenhang haben wir mit den Grünen im Finanzausschuss eine Diskussion geführt. Diese sagten, indem wir den Katalog öffneten, entstehe mehr Bürokratie und möglicherweise Willkür. Ich sage Ihnen, Frau Haßelmann: Das ist nicht der Fall. Auch heute muss jeder Einzelfall geprüft werden; auch heute muss die Finanzbehörde jeden einzelnen Fall prüfen. Es ändert sich fast nichts, nur eines: Sollten bestimmte gemeinnützige Vorhaben und Ziele nicht in diesem Katalog definiert sein - ich glaube eigentlich nicht, dass es solche Vorhaben und Ziele gibt -, können diese überprüft und dem Katalog hinzugefügt werden. Man kann jetzt - das ist neu - die Gemeinnützigkeit und gleichzeitig die Spendenabzugsfähigkeit anerkannt bekommen. Hier gehen die Gemeinnützigkeit und die Spendenabzugsfähigkeit also Hand in Hand. Hier entsteht weder Willkür noch Bürokratie, ganz im Gegenteil. Es gibt im Gesetzentwurf noch sehr viele gute Beispiele dafür, dass wir dafür sorgen, dass weniger Bürokratisierung, mehr Klarheit, eine größere Vereinfachung und mehr Transparenz entstehen. Dies ist der erste Schritt in einem weiteren Prozess. In der Tat, dies ist keine Reform; ({11}) denn bürgerschaftliches Engagement lebt von den Menschen. Aus diesem Grunde muss man immer wieder auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen reagieren. ({12}) - Lieber Herr Dr. Wissing, dies sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Kopfschütteln allein hilft nicht. ({13}) Petra Hinz ({14}) Richtig ist, dass wir während des Diskussionsprozesses, im Rahmen der Anhörung sowie im Austausch mit den Fachleuten und all denjenigen, die mit diesem Thema zu tun haben, vieles gelernt haben. Einiges muss noch auf den Weg gebracht werden, zum Beispiel die Klärung der Frage: Wie können wir diejenigen erreichen, die nicht von der Steuer erfasst werden, die nicht die Möglichkeit haben, ihren Aufwand und ihre Kosten im Rahmen der Einkommensteuererklärung geltend zu machen? ({15}) Wir reden hier aber über ein Steuergesetz. Sie sollten wissen, dass wir damit nur den Personenkreis erfassen können, der Einkommensteuer zahlt. Ich bin davon überzeugt, dass der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“, der Familienausschuss, der Sportausschuss und alle diejenigen, die damit zu tun haben, weiter daran arbeiten und auf dem richtigen Weg sind. ({16}) Ich möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich bedanken für die gute Zusammenarbeit und für das, was wir hinzulernen konnten, sowie bei Ihnen, Herr Oswald, dafür, dass Sie sich bei uns dafür bedankt haben, dass wir gut miteinander gearbeitet haben. Danke schön. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen und Männer, erwerbstätig oder nicht, Studentinnen und Studenten, Rentnerinnen und Rentner, Selbstständige - viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich im sozialen, sportlichen und kulturellen Bereich. Sie tun dies in erster Linie nicht, weil sie davon monetäre Vorteile hätten, ein bisschen mehr Geld im Portemonnaie. Nein, sie wollen teilhaben. Sie wollen gestalten, Menschen helfen, auch sich selbst dabei helfen und etwas zum Zusammenleben in der Gesellschaft beitragen. Wir sprechen heute über ein Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die oftmals vorhandenen Hindernisse für ehrenamtliche Tätigkeit nicht im monetären Bereich liegen. ({0}) Es geht also nicht darum, dass Einzelne auf mehr Geld hoffen. Deshalb glaube ich - das ist meine Hauptkritik -, dass die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf einfach zu kurz gesprungen ist. Auch dem, was die Enquete-Kommission erarbeitet hat, kann man entnehmen: Es ist notwendig, hier anders anzusetzen. Viele Dinge, die in diesem Gesetzentwurf gemeinsam vereinbart wurden, sind zwar sicher richtig und gut, aber sie können nur einen kleinen Schritt darstellen. ({1}) Auch ich habe es als sehr positiv empfunden - das möchte ich vermerken -, dass insbesondere im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ gemeinsam diskutiert wurde und dass wir dort Verbesserungen erreicht haben. Trotz der verschiedenen kritischen Punkte, die die einzelnen Fraktionen zu Recht vertreten, sind wir dort zu einer gemeinsamen Position gekommen. ({2}) Ich wiederhole: Das Handeln dort war gemeinschaftlich. Ich glaube, dass auch das für das heutige Ergebnis nicht unwichtig war. Was ändert sich, wenn dieses Gesetz heute verabschiedet wird? Nehmen wir einmal den Verein „Paula Panke“ in Berlin-Pankow. Dieser Verein ist eine Einrichtung, die unter anderem Angebote der flexiblen Kinderbetreuung, der sozialen und Rechtsberatung für Frauen, der Begleitung und der Nutzung von Frauenzufluchtswohnungen macht. Dort arbeiten Frauen in Beschäftigungsmaßnahmen - 1-Euro-Jobberinnen, ALG-II-Bezieherinnen - und sehr viele Ehrenamtliche, insbesondere Rentnerinnen. Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, nützt diesem Verein und den Menschen, die sich dort ehrenamtlich engagieren - Vereine wie diesen gibt es zu Tausenden in unserem Lande -, sehr wenig. ({3}) Seit dem 1. Januar 2007 dürfen gemeinnützige Vereine durch wirtschaftliche Tätigkeit steuerfrei bis zu 35 000 Euro - zuvor waren es 30 000 Euro; die Grenze ist also angehoben worden - erwirtschaften. Das ist eine gute Maßnahme. Letztendlich ist es aber nicht mehr als ein Inflationsausgleich, also eine Anpassung an die Realitäten. Gleichzeitig ist es gewissermaßen ein Eingeständnis, dass gemeinnützige Vereine immer häufiger wirtschaftlich tätig sein müssen, um überhaupt überleben zu können. Die Vereinheitlichung und Erweiterung des Katalogs anerkannt gemeinnütziger Zwecke halte ich für etwas sehr Positives. Das kann man nur unterstützen. Die damit verbundene Vereinfachung der Spendennachweise ist auf alle Fälle eine Form der Entbürokratisierung. Die Frage der Kostenpauschale ist wirklich ein Problem. Ein Verein wie „Paula Panke“ kann nicht zahlen. Es ist daher egal, ob eine Frau ehrenamtlich oder abhängig beschäftigt ist. Ich wiederhole: Dieser Verein kann nicht zahlen. Diese im Gesetzentwurf verankerte Maßnahme geht an den für diesen Verein Tätigen also wirklich vorbei. Ja, diese Maßnahme ist begrüßenswert; aber sie ändert nichts an der prekären Finanzsituation vieler gemeinnützig tätiger Vereine. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen - ich kann hier nicht auf alle Punkte eingehen -, dass insbesondere wir Linke ein großes Problem mit der Aufstockung des Stiftungsbeitrags auf 1 Million Euro haben. ({4}) Ich finde, dass die zugrunde liegende Argumentation nicht schlüssig ist. Einerseits führen Sie hier an, dass die Erbschaftsteuer zu hoch sei, dass das nicht tragbar sei usw. usf. Es gibt aufgrund der immer ungleicheren Verteilung von Vermögen und Einkommen in unserem Lande Menschen, die tatsächlich nicht wissen - ich zitierte in meiner ersten Rede über dieses Thema die „Financial Times“ -, wohin mit ihrem Geld. Für diese Menschen ist ein Anreiz geschaffen worden, Stiftungen - steuerbegünstigt - Geld zukommen lassen zu können. Ich frage mich: Warum können diese Personen nicht erst einmal einen ordentlichen Beitrag über die Einkommensteuer zahlen? ({5}) Warum zahlen sie keine Vermögensteuer? Warum zahlen sie keine höhere Erbschaftsteuer? Wenn sie das täten, würde es die öffentliche Hand stärken. Wir sind für private Stiftungen, wenn sie das Sahnehäubchen eines dementsprechend umgestalteten Steuersystems sind. Diese Stiftungen tun etwas im kulturellen Bereich, im Forschungsbereich usw. Auch wir wollen ihnen das nicht absprechen. Aber es kann nicht sein, dass die öffentliche Hand auf der einen Seite auf die genannten Steuermehreinnahmen verzichtet und sich auf der anderen Seite dreimal bedankt und eine Steuerbegünstigung ermöglicht. Es gibt damit riesige verteilungspolitische Risiken. Sie wissen, dass es verschiedene Formen der Stiftung gibt. Wir freuen uns sicher alle gemeinsam, dass es seit Ende der 90er-Jahre eine Vielzahl von neuen Bürgerstiftungen gibt. Das ist wirklich sehr gut. Aber es gibt auch Stiftungen, die zu einem nicht unerheblichen Teil so gestaltet werden können und gestaltet werden, dass sie zur steuerbegünstigten Versorgung der Familie dienen. Das finde ich vor dem Hintergrund der unzureichenden Zahlung der eben genannten Steuern nicht in Ordnung. ({6}) Lassen Sie mich, da ja Eigenlob schlecht ist, Herrn Dr. Röscheisen vom Deutschen Naturschutzring zitieren. Er hat im Rahmen der Anhörung gesagt: Der Antrag der Linken ist aus einer Sicht geschrieben, die der Zivilgesellschaft offensichtlich sehr nahe steht, weil sehr präzise die Bedürfnisse, die der dritte Sektor in Deutschland hat, genannt wurden. Es werden im Antrag der Fraktion DIE LINKE. Dinge genannt, die ganz entscheidend sind und die in der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerlichen Engagements“ präzise enthalten sind und die bisher leider im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht aufgegriffen werden. Weiter: Sie wissen, dass wir im Lande eine große Politikmüdigkeit innerhalb der Wahlbevölkerung feststellen müssen. Das macht sich in der Wahlbeteiligung klar. Hier ist im Antrag der LINKEN. ein Instrument genannt, das in der Enquete-Kommission schon angeführt wurde, nämlich dass die Instrumente der direkten Demokratie gestärkt werden müssen. Ich spreche von Volksbegehren, Volksinitiativen, Volksentscheiden auf Bundes- und Landesebene, dort, wo es noch nicht der Fall ist. Insgesamt gesehen ein sehr guter Antrag, den wir voll unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Anregungen aufgreifen und deshalb auch unseren Antrag auch heute unterstützen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Britta Haßelmann, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Liebe Kollegin Hinz, meine Kritik im Finanzausschuss zielte darauf ab, dass ich den Eindruck hatte und mich darin auch während des Verlaufs der Sitzung bestätigt fühlte, dass Sie sich an einigen Stellen zu viel vom Finanzministerium haben diktieren lassen. Als es endlich so weit war, dass die Anträge vorgestellt wurden und nur auf Intervention der Grünen hin klar war, dass nicht das Finanzministerium Änderungsanträge der Fraktionen vorstellt, sondern Sie als Fraktionen selber, war ich als Neue im Parlament einigermaßen irritiert. Lassen Sie mich betonen, dass wir eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts als ersten Schritt zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements grundsätzlich begrüßen. Das wissen auch die Fachabgeordneten aus dem Unterausschuss für bürgerschaftliches Engagement und die Abgeordneten aus dem Finanzausschuss. Wir haben darüber lange diskutiert, in der Sache gerungen und überlegt, was das Beste für die Vereine, Initiativen, Verbände und die zahlreichen Menschen, ob jung oder alt, ob Migrantinnen bzw. Migranten oder aus dem Herkunftsland Deutschland, die sich in diesem Land engagieren, ist. Wir hätten uns zum jetzt vorliegenden Gesetzentwurf an einigen Stellen Änderungen gewünscht, gerade was die Verbesserung der Situation von kleinen gemeinnützigen Organisationen und Geringspenderinnen und -spendern und den gesamten Personenkreis derer, die sich engagieren, angeht, und nicht nur von Menschen, die über höhere Einkommen verfügen. Darauf komme ich an anderer Stelle noch zu sprechen. ({0}) Ich hätte mir auch gewünscht, um das ganz deutlich zu sagen, dass die Finanzpolitikerinnen und -politiker und auch der Finanzminister, der mit den Vorschlägen ja ziemlich vorgeprescht ist, an der einen oder anderen Stelle den Rat der Fachpolitiker ein bisschen mehr berücksichtigt hätten. Die Stellungnahme des Unterausschusses für bürgerschaftliches Engagement weist an einigen Stellen sehr deutlich darauf hin, wo man Stellschrauben und Mechanismen auch im positiven Sinne für mehr Menschen hätte berücksichtigen können. Das wissen der Kollege Bürsch, der Kollege Riegert und alle anderen Kolleginnen und Kollegen, die im Fachthema drin sind, genauso gut wie ich. Also können wir uns teilweise auf die Schulter klopfen, teilweise wissen wir, wäre der Finanzminister nicht so vorgeprescht, dann hätten wir mehr Chancen gehabt, Dinge im positiven Sinne zu verbessern. ({1}) Alle Koalitionsvertreterinnen und -vertreter werden jetzt sagen: Es ist wunderbar; wir haben die Übungsleiterpauschale erhöht; darüber freuen sich die Menschen, die davon profitieren. - Wir haben aber die ganze Zeit darum gerungen, dass der Personenkreis erweitert wird. Da sind wir Grünen mit CDU/CSU, SPD, Linksfraktion und FDP einer Auffassung gewesen: Es ist eigentlich nicht zu vertreten, dass Rettungsdienste, Helferinnen und Helfer in der Gefahrenabwehr, Aktive im Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie Rechtsbetreuerinnen und Rechtsbetreuer - dazu gibt es übrigens eine Empfehlung des Bundesrates - nicht von der Übungsleiterpauschale profitieren. Maßgeblich war die Frage der Erweiterung des Personenkreises und nicht so sehr, ob wir 2 100 oder 2 000 Euro steuerfrei stellen. Das Problem ist dabei: Wenn sich der Finanzminister öffentlich schon festgelegt hat und die Vereine glauben, „Oh, es gibt so viel“, dann ist es natürlich schwer, davon wieder herunterzukommen. Das hätten Sie eigentlich der Fairness halber offen sagen müssen. Die Personen, die jetzt nicht einbezogen werden, haben sich Hoffnungen gemacht, dass sie nicht Übungsleiter zweiter Klasse sind. Das ist, finde ich, ein Problem. ({2}) Es ist mir auch unverständlich, wie Sie in der Frage der sogenannten Ehrenamtspauschale agieren. Es ging im ursprünglichen Entwurf darum, dass die Menschen, die sich freiwillig und unentgeltlich um Kranke, Alte und Behinderte kümmern, einen Pauschalbetrag von der Steuerschuld abziehen können. Da kann man schon fragen, warum das nur für diejenigen gilt, die sich um Kranke, Alte und Behinderte kümmern, und nicht auch für die, die Jugendarbeit oder anderes machen. In Fachkreisen wurde heftig diskutiert, und man kam zu dem Schluss: Eigentlich muss man den Personenkreis massiv erweitern; man kann es nicht so beschränken. Dann haben Sie zu dem allgemeinen Pauschalbetrag, den Herr von Stetten gleich bestimmt noch sehr positiv kommentieren wird, ({3}) geregelt: Es gibt keinen Abzug von der Steuerschuld, sondern nur noch einen Abzug von der steuerlichen Bemessungsgrundlage. - Am meisten profitiert von der Aufwandspauschale jetzt also, wer einen hohen Zufluss, hohe Einnahmen hat. Wer keinen solchen hat, profitiert nicht. Das war ein Punkt, den wir Fachabgeordnete eigentlich anders regeln wollten. Auch Menschen, die keinen hohen Zufluss haben, sollten entsprechend profitieren. Das wird in der Szene derer, die sich engagieren, ganz bestimmt falsch verstanden werden. Man kann das nicht positiv verstehen. Sie machen da einen Fehler, indem Sie die Aufwandspauschale nur für diejenigen vorsehen, die einen hohen Zufluss haben, während die anderen in die Röhre gucken. Ich glaube, dass das ein Problem ist. Der dritte Bereich, den ich ansprechen will, ist die zeitnahe Mittelverwendung. Dazu muss ich Ihnen ehrlich sagen, Herr Finanzminister: Da habe ich Ihren Starrsinn nicht verstanden. Was spricht eigentlich dagegen, kleinen und mittleren Vereinen und Initiativen in der Frage der zeitnahen Mittelverwendung entgegenzukommen? Es hätte keine müde Mark, keinen müden Euro an Steuermindereinnahmen bedeutet, wenn wir die zeitnahe Mittelverwendung in den Katalog aufgenommen hätten. Bis heute fehlt aus meiner Sicht auch eine Begründung dafür, dass wir das nicht getan haben. Deshalb wird an dieser Stelle nach wie vor Kritik gerade von kleinen Organisationen geäußert. ({4}) Ich will zum Schluss kommen. - Trotzdem glaube ich, dass die Gesetzesänderungen von vielen Menschen, die sich engagieren, und von vielen Vereinen und Institutionen als sehr positiv empfunden werden, weil klar ist, dass sie in der Arbeit im Detail Verbesserungen bringen. Deshalb wird sich unsere Fraktion enthalten. Wir haben die positiven Elemente überall zustimmend kommentiert, auch in die Szene derer hinein, die sich engagieren. ({5}) Wir werden das Gesetz nicht ablehnen, bestehen aber darauf - wir hoffen, dass das dann auch so kommt -, dass das nur ein erster Schritt ist und man sich nicht monatelang wechselseitig auf die Schulter klopft und sagt: Wir haben im Gemeinnützigkeitsrecht etwas getan. Jetzt müssen wir in den anderen Ressorts zum Thema „Lebendige Zivilgesellschaft/Bürgerschaftliches Engagement“ nichts mehr tun. Also Kritik an einigen Punkten. Sie sollten das nicht schönreden. Ich hoffe, dass die Fachkollegen das auch nicht tun und vor Ort zu den Sachen, die sie nicht durchgesetzt haben, die den Menschen in Aussicht gestellt worden waren, Rede und Antwort stehen. Ich hoffe, dass wir in der Debatte in den Fachausschüssen das Thema „Bürgerschaftliches Engagement/ Lebendige Zivilgesellschaft“ befördern; denn wir haben da im europäischen Vergleich noch einiges zu tun, um die Menschen mitzunehmen und darin zu bestärken, dass es etwas bringt, in einer lebendigen Zivilgesellschaft zu leben, in der jede und jeder Lust hat, sich zu engagieren. Danke. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Karl Schiewerling, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist für die Ehrenamtlichen in Deutschland ein guter Tag. Lange hat sich im Bereich von Ehrenamt und Gemeinnützigkeit nicht mehr so viel bewegt wie das, was wir heute beschließen. Ich will das einmal in aller Deutlichkeit an den Anfang stellen. Auch wenn wir uns, die wir uns im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ besonders hierfür einsetzen, mehr gewünscht hätten, so ist doch festzuhalten: Wir kommen heute einen guten Schritt voran. ({0}) Meine Damen und Herren, Verbände und Vereine sind wichtig; sie sind ein tragendes Element unserer Gesellschaft und unserer Demokratie. Ehrenamt macht unsere Gesellschaft reicher. Ehrenamt stärkt den sozialen Zusammenhalt. Dieses vielfältige Netz des Ehrenamtes gibt den Menschen und unserer Gesellschaft Sicherheit und Kraft und ermöglicht Verbänden und Vereinen, in Solidarität anderen Menschen zu helfen. Verbände und Vereine sind Knotenpunkte in diesem sozialen Netz des bürgerschaftlichen Engagements. Vor 160 Jahren hat der damalige Sozialreformer und Seelsorger Kolping gesagt: Weil durchaus ein Mensch den anderen nötig hat, deswegen ist die Menschheit ein zusammengehöriges Ganzes. Er sagte dies zu einer Zeit, in der sich die Menschen zusammentaten, um in zahlreichen Verbänden und Organisationen als Selbsthilfebewegung dem Einzelnen Schutz zu geben und ihre Interessen zu vertreten. Es geht um die Beziehungen der Menschen untereinander und damit um die Beziehungen in der Gesellschaft. Dieses ehrenamtliche Engagement in der Civitas, in der Bürgergesellschaft, ist weit früher entstanden, als der Staat die Daseinsfürsorge organisiert hat. Das ehrenamtliche Engagement schafft bis auf den heutigen Tag Identität und gibt Halt und Orientierung auch demjenigen, der mit anderen sich freiwillig für andere einsetzt. ({1}) Deswegen ist das Ehrenamt weit mehr als nur eine private Angelegenheit. Deshalb ist es auch eine staatliche Aufgabe, das Ehrenamt in seinen vielfältigen Facetten zu stärken und zu fördern. Wer sich ehrenamtlich engagiert, freiwillig und unentgeltlich, gibt anderen Menschen eine Perspektive. Auch wenn die Pflegeversicherung die notwendige materielle Seite der Pflege absichert, gibt der Besuch im Altenheim, der Besuch bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen den Betroffenen Halt, tut ihnen gut und ist durch nichts zu ersetzen. ({2}) Meine Damen und Herren, Ehrenamt macht vielen Menschen erst eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich, gerade in einer Zeit zunehmender Materialisierung und auch Kommerzialisierung. Ich denke dabei zum Beispiel an die Sportvereine, den Bereich der Kulturschaffenden, die Bereiche Umwelt und Natur, an den gewerkschaftlichen Bereich und an soziale Organisationen und Jugendverbände, nicht zuletzt im kirchlichen Bereich. Ehrenamt übernimmt Verantwortung für Mitmenschen. In manchen Bereichen - daran möchte ich heute besonders erinnern - setzen Menschen Leib und Leben ein wie in der Gefahrenabwehr und im Katastrophenschutz. Diesen Einsatz können sie aber nur bringen, wenn andere, beispielsweise die Arbeitgeber, dies ermöglichen. Katastrophen halten sich nun einmal nicht an Arbeitszeiten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit engagieren, sind übrigens für viele Betriebe sehr kostbar und sind meistens auch die engagiertesten. Mit diesem Einsatz für den Nächsten wird unsere Gesellschaft menschlicher: das Ganze freiwillig, unentgeltlich und unabhängig. Ehrenamt bedeutet Wahrnehmung von Selbstverantwortung und in besonderem Maße auch Selbstbestimmung. Dieses Ehrenamt wird von Menschen aus allen Schichten und Bereichen unserer Gesellschaft geleistet. Es geht aber auch darum, möglichst viele zu mobilisieren. Hier sehe ich noch große Aufgaben für Verbände und Vereine. Ich glaube nämlich, dass wir noch viel mehr ehrenamtliche Kräfte gebrauchen können. Von daher ist es wichtig, dass der Staat eine Stärkung dieser Strukturen unterstützt. Daher ist es wichtig, dass die Übungsleiterpauschale angehoben wurde und ein Freibetrag eingeführt wurde. Das ist ein erstes Zeichen, dass diejenigen, die unmittelbaren Dienst an den Menschen leisten, auch ihre Aufwendungen und Erstattungen absetzen bzw. steuerfrei behalten können. Damit werden auch diejenigen berücksichtigt, die in Vorständen von Vereinen Voraussetzungen für ehrenamtliche Arbeit schaffen und diese organisieren. Positiv ist auch, dass wir die Zweckbetriebsgrenze für Vereine auf 35 000 Euro anheben konnten. Ich hätte mir gewünscht, es wäre mehr. Leider kann ich nicht auf alle Punkte eingehen. Einen Punkt möchte ich betonen: Ehrenamt verlangt auch Anerkennung. Was wir heute beschließen, ist die AnerKarl Schiewerling kennung der unmittelbaren materiellen Aufwendungen. Wir helfen mit, dass Ehrenamtliche ein kleines bisschen mehr an finanzieller Entlastung erfahren. ({3}) Was Ehrenamtliche jedoch auch brauchen, ist das öffentlich ermutigende Wort sowie die unmittelbare Ansprache durch ihre Mitmenschen. Manche Menschen wissen gar nicht, dass es gut ist, dass es sie gibt. Es sei denn, dass wir es ihnen sagen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Bundesminister Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Herr Präsident! Mehr sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist ein sehr wichtiger Tag für das Ehrenamt, die ehrenamtlich engagierten Menschen in Deutschland und das Stiftungswesen. Deshalb möchte ich als Erstes all denjenigen in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages Dank sagen, die es ermöglicht haben, dass wir ein solches Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements verabschieden können. Ich bedanke mich sehr, dass es nach der ersten Initiative - Sie wissen, dass ich diese unter die Überschrift „Hilfe für Helfer“ gestellt habe - innerhalb eines halben Jahres möglich wurde, dass der Deutsche Bundestag in abschließender Lesung einen Gesetzentwurf berät, mit dem er eine solche Unterstützung und massive Stärkung des Ehrenamts in Deutschland organisiert. Deshalb mein ausdrücklicher Dank an alle von allen Fraktionen dieses Hauses, die daran beteiligt gewesen sind. Frau Hinz hat sehr richtig darauf hingewiesen, dass es nicht um ein riesiges Reformvorhaben geht, sondern ganz praktisch darum, das Ehrenamt und das Stiftungswesen in Deutschland zu stärken. ({0}) Das ist der Ansatz. Dass man darüber hinaus weitere Initiativen entwickeln kann, steht außer Zweifel. Ich habe nicht ganz verstanden, Frau Haßelmann, warum es denn kritisch zu bewerten sein möge, dass der Finanzminister vorgeprescht sei. Vielleicht war es etwas überraschend, dass ausgerechnet der Finanzminister bereit gewesen ist, sich dieser Frage anzunehmen; es ist aber aus voller Überzeugung geschehen, aus einer Funktion heraus, in der Sie mich bereits früher kennengelernt haben, Frau Haßelmann. Wenn das ein Vorpreschen gewesen sein soll, ist das vielleicht ein leichtes Indiz dafür, dass Sie in dieser Fragestellung etwas langsamer waren. ({1}) Außerdem möchte ich - nicht krittelnd und schon gar nicht den kooperativen Geist dieses Hauses verletzend darauf hinweisen, dass manche Hinweise, von Herrn Wissing und vielleicht ebenso von den Linken und von den Grünen, mich ein bisschen an einen Witz erinnern, den ich in diesem Zusammenhang erzählen will, damit das Ganze nicht so ernsthaft klingt. Ich weiß, dass ich diesen Witz schon ein paar Mal erzählt habe. Diejenigen, die ihn kennen, mögen weghören. ({2}) Ich nehme die Kurzform: Ein Mann geht im Frühjahr an einem reißenden Fluss entlang und sieht am gegenüberliegenden Ufer eine Frau mit ihrem Kind. Das Kind spielt am Ufer und fällt in den Fluss. Es wird von den Fluten unter Wasser gedrückt und droht zu ertrinken. Der Mann reißt sich den Mantel vom Leib, zieht die Schuhe aus und springt hinterher. Unter Aufbietung seiner ganzen Kräfte bekommt er mit Mühe das Kind am Schlafittchen zu fassen, reißt es aus dem Strom heraus und bringt es zu der Mutter. Die Mutter schaut erst das Kind und dann ihn an und sagt: „Und wo ist die Mütze?“ ({3}) So kommen mir einige Einwendungen gelegentlich vor. Wir haben hier viele Elemente zusammengetragen, und Sie fragen quasi: „Und wo ist die Mütze?“ Könnte es nicht zusätzlich noch das oder das sein? - Auch die Beiträge von Frau Höll waren so.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, Ihr Witz hat offensichtlich Kollegin Haßelmann zu einer Zwischenfrage angeregt. ({0}) Erlauben Sie sie? ({1})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Das erlaube ich nur, Herr Präsident, wenn auch sie einen Witz erzählt. Sie kann ihn ja in Frageform vortragen. ({0}) Die Frageform, Frau Haßelmann, lautet: Kennen Sie schon den Witz? - Dann können Sie ihn erzählen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nein, wahrscheinlich will sie sagen, wo die Mütze ist. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sehe, viele von Ihnen kennen nicht die Phase bei Herrn Steinbrück, wenn er erst einmal anfängt, Witze zu erzählen. Ich kenne sie, deshalb werde ich jetzt gar keinen Witz erzählen; das kann er viel besser als ich. Aber auch wenn wir gerade so launisch sind und Witze erzählen, möchte ich noch etwas sagen, da Herr Steinbrück gerade versucht, ein bisschen in Richtung der Oppositionsfraktionen auszuteilen. Meine Bemerkung hinsichtlich des Vorpreschens bezog sich auf einen ganz sachlichen Hintergrund, und zwar auf die Tatsache, dass Sie sich bei der Erhöhung der Übungsleiterpauschale als Finanzminister so weit vorgewagt hatten - indem Sie angekündigt haben, sie werde erhöht -, dass die Regierungsfraktionen dahinter nicht mehr zurückkamen. Wir haben ja in den Fachausschüssen sehr intensiv darüber diskutiert, ob eine allgemeine Aufwandspauschale, von der alle Menschen profitieren, nicht doch einer Erhöhung der Übungsleiterpauschale vorzuziehen ist. Sehr geehrter Herr Finanzminister, darauf bezog sich das „Vorpreschen“. Meinen Sie nicht auch, dass dadurch, dass Sie sich in der Öffentlichkeit auf die 2 100 Euro festgelegt haben, und dadurch, dass zum Beispiel Herr von Stetten in der Begründung im Finanzausschuss sagte, die Vereine hätten das schon vorweg vollzogen und deshalb würde man es bei der Erhöhung auf 2 100 Euro belassen, ein gewisses Problem in der parlamentarischen Möglichkeit, dieses Thema neu zu diskutieren, entstanden ist?

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Erstens. Vielen Dank, ich habe jetzt verstanden, was Sie mit dem „Vorpreschen“ gemeint haben. Zweitens. Wenn man eine Initiative ergreift, dann muss man konkret werden, dann prescht man vor und legt sich fest. Das ist nun einmal nicht zu vermeiden. Ich glaube, dass das eine Möglichkeit ist, die einem Vertreter der Exekutive offensteht. Es ist dann Ihre Verantwortung als Souverän, dies im parlamentarischen Beratungsprozess zu verändern - warum nicht? Ich habe es vor dem Hintergrund einer Reihe von Diskussionen über die Wertschätzung der Aktivitäten von vielen Menschen in Sportvereinen für richtig gehalten, die Übungsleiterpauschale zu erhöhen. Sie haben das an dieser Stelle korrigiert. Es gibt eine andere Korrektur, auf die ich vielleicht noch zu sprechen komme. Wichtig ist für mich, dass das Paket insgesamt erhalten geblieben ist. Wir wissen, unter dem Strich sind sogar noch 50 Millionen Euro mehr für das Ehrenamt an Förderung herausgekommen - ich hatte 440 Millionen Euro gesagt, jetzt sind es 490 Millionen Euro. Dieser Prozess ist nicht immer ganz reibungslos, aber lautlos und erfolgreich verlaufen. Dafür spreche ich noch einmal meinen Dank aus. ({0}) Ich hatte - wie selten vor Inkrafttreten eines Gesetzes die Möglichkeit, eine Art Praxistest zu machen, weil ich sowohl am Verbandstag des Bundesverbands Deutscher Stiftungen in Lübeck wie auch am zweiten Stiftertag in Hamburg teilnehmen konnte. Einige von Ihnen wissen, dass ich meine Ehrenamtsfahrten und -touren fortgesetzt habe. Ich bin in Erfurt, in Köln, in München und in Berlin gewesen und kann nur bestätigen, dass diese Initiative, die jetzt dank Ihrer Hilfe verabschiedet wird, bei den ehrenamtlich engagierten Bürgern und im Stiftungswesen sehr stark anerkannt und als richtig empfunden wird. Ich kann deshalb nicht so ganz nachvollziehen, dass das Stimmungsbarometer insbesondere bei den Ausführungen von Herrn Wissing einen deutlich niedrigeren Wert anzeigte als bei dem, was - jedenfalls vor dem Hintergrund der Zustimmung - die gemeinnützigen Vereine sowie die ehrenamtlich engagierten Menschen und Stiftungen äußerten. ({1}) Ich will in diesem Zusammenhang auch noch einmal sehr deutlich sagen - ich hatte dazu schon am 10. Mai Gelegenheit -: Wenn es das ehrenamtliche Engagement in Deutschland nicht gäbe, dann wäre diese Gesellschaft nicht nur ärmer; ich behaupte, sie würde nicht funktionieren. ({2}) Wir reden hier im Deutschen Bundestag oft über die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Integration. Gerade während meiner gezielten Besuche in eher sozial benachteiligten Stadtvierteln, nicht nur in NordrheinWestfalen, sondern auch anderswo, habe ich erneut die Erfahrung gemacht, dass es - gerade mit Blick auf Jugendliche, die weit davon entfernt sind, die Chance auf einen gerechten Zugang zu Bildungseinrichtungen zu haben, oder die vor dem Hintergrund ihres sozialen Milieus derartig gehandicapt sind, dass sie möglicherweise die vorprogrammierten Verlierer dieser Gesellschaft sind - begeisterungswürdig ist, zu sehen, dass zum Beispiel pensionierte Lehrer ehrenamtlich Hausaufgabenbetreuung machen, Sprachunterricht erteilen, dass es viele ehrenamtlich engagierte Menschen gibt, die diesen Jugendlichen Hilfestellung bei Bewerbungen geben und die sich dafür engagieren, dass sozial gefährdete Stadtteile wieder stabilisiert werden, wieder einen eigenen Stolz entwickeln und präsent sind im öffentlichen Raum, und zwar nicht über Graffiti und Gewalt, sondern über ein gemeinsames Auftreten und gemeinsame Programme, an denen sowohl diejenigen teilnehmen, die einen Migrantenhintergrund haben, als auch diejenigen, die in diesen Stadtvierteln einheimisch sind. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich unterstreichen, dass dieses Engagement einen enormen Stellenwert hat, wenn es darum geht, Fliehkräfte in dieser Gesellschaft zu binden. ({3}) Es gibt ein Missverständnis, von dem ich weiß, dass die Menschen, die ehrenamtlich tätig sind, sehr sensibel darauf reagieren: Sie reagieren sehr sensibel, wenn wir den Eindruck vermitteln, dass wir beim Hauptamt sparen und das Ehrenamt auf Umwegen an seine Stelle setzen wollen. Ich möchte betonen, dass das bürgerschaftliche Engagement nicht der preiswerte soziale Reparaturbetrieb für das ist, was wir seitens der Politik und des Staates nicht hinkriegen; das kann nicht sein. ({4}) Eine vitale Bürgergesellschaft ist für mich immer auch Ausdruck von Freiheit und einer vom Staat unabhängigen Solidarität. Die staatlich organisierte Solidarität muss hinzutreten. Neben einer vitalen Bürgergesellschaft muss es einen handlungsfähigen Staat geben. Beides ergänzt sich. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wissing von der FDP? ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Bitte sehr.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, was Sie über das Ehrenamt gesagt haben, ist - das haben Sie sicherlich am Applaus gemerkt Konsens in diesem Haus. Ich will eine Frage zum Gesetzentwurf stellen. Sie haben ursprünglich vorgehabt, dass 300 Euro von der Steuerschuld abgezogen werden können, wenn man im Jahr eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden ehrenamtlich leistet. Dieser Vorschlag ist im Gesetzentwurf gestrichen worden. Halten Sie das für eine Verbesserung des Gesetzentwurfs oder für eine Verschlechterung?

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Herr Wissing, wie Sie erstens wissen, geht diese Streichung nicht zulasten des Gesamtvolumens des Pakets. Zweitens wissen Sie aus meinen vorherigen Einlassungen, dass diese 300 Euro auf den mildtätigen Bereich zentriert waren; schlicht und einfach, weil eine Ausweitung auf andere Bereiche - Kultur, Sport und was sonst noch - ins Uferlose geführt hätte. Sie wissen, dass das mit Einnahmeverlusten in einer Größenordnung von 1,1 Milliarden Euro verbunden gewesen wäre. Das ist Ihnen bekannt. Insofern konnte ich die Auffassung der Koalitionsfraktionen im Rahmen der Debatte darüber nachvollziehen. Es wurde gesagt: Wenn Steinbrück das aus nachvollziehbaren finanziellen Gründen, weil das nicht ausufern darf, auf den mildtätigen Bereich beschränkt, kommt eine Unwucht hinein, der Vorwurf einer Ungleichbehandlung. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir Ungleichbehandlungen vermeiden wollen, streichen wir diesen Punkt, erhöhen aber zum Beispiel den Freibetrag von 420 Euro auf 500 Euro, was Gegenstand des verbesserten, des im parlamentarischen Verfahren überarbeiteten Gesetzentwurfs ist. Daran kann ich nichts Nachteiliges erkennen. Die Formulierung, dass ich daran gescheitert sei, scheint mir eine, wenn nicht zwei Oktaven zu hoch zu sein. ({0}) Aus Zeitgründen kann ich nicht auf alle Punkte eingehen. Ich will aber daran erinnern, dass die Novelle des Stiftungsrechts im Jahr 2000 wichtig war. Die Anerkennung dafür ist groß. Das hat zu einer solchen Vielzahl von Stiftungsgründungen geführt, wie wir sie uns nie hätten vorstellen können. ({1}) Das ist mir bei den Verbandstagen, die ich besucht habe, bewusst geworden. Ich will meine Ausführungen dazu nicht wiederholen. Wir haben den Höchstbetrag für die Ausstattung von Stiftungen von 370 000 Euro erhöht, und zwar nicht nur auf 750 000 Euro, sondern auf 1 Million Euro. Man kann immer sagen, man hätte gerne noch mehr. Dazu mache ich immer den Witz mit der Mütze, Herr Wissing. Natürlich kann man sagen, 1,5 Millionen wären besser. Das würde aber zu einem Überbietungswettbewerb führen: Der Nächste würde 2 Millionen und der Übernächste 3 Millionen fordern. Diejenigen, die ich gesprochen habe, sind mit 1 Million sehr zufrieden. An einem Brief, den ich vom Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski bekommen habe, sieht man, wie das ankommt. Er traf einen Stifter, der ihm gesagt hat: Ich habe davon gehört, dass Sie die Grenze von 370 000 Euro nicht nur auf 750 000 Euro, sondern auf 1 Million Euro erhöht haben. So spare ich ja Steuern. Die eingesparten Steuern lege ich obendrauf. ({2}) Dieses Beispiel von dem Stifter, der mir namentlich nicht bekannt ist, den ich an dieser Stelle aber als namenlosen Stifter würdigen möchte, soll der Abschluss meiner heutigen Rede sein. Wenn dieses Gesetzespaket ein solches Verhalten auslöst, wenn das für die Menschen ein Anlass ist, noch mehr zu tun, ({3}) dann hat der Deutsche Bundestag auf Initiative der Bundesregierung - sie ist, wenn ich das so sagen darf, ein wenig vorgeprescht - etwas Richtiges und Gutes für das Ehrenamt und das Stiftungswesen in Deutschland in Gang gebracht. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als nächster Redner hat Kollege Christian von Stetten, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir als letztem Redner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bemerkung, dass ich im Finanzausschuss schon lange keine Gesetzesberatung mehr erlebt habe, die von so viel Zielorientiertheit, Offenheit und auch Respekt gegenüber den anderen Fraktionen geprägt war wie die zum Thema Ehrenamt, das uns allen, glaube ich, ein großes Anliegen ist. Das ist ein gutes Zeichen. Denn wir zeigen dem Bürger damit, dass wir es ernst meinen und nicht nur in Sonntagsansprachen darüber reden. Wir zeigen, dass wir parteiübergreifend ein gemeinsames Ziel haben. Wir unterstützen gemeinsam mit unserer generellen Arbeit im Bundestag und insbesondere mit diesem Gesetzentwurf die ehrenamtlich Tätigen, die Vereine, die mildtätigen Organisationen und die vielfältigen Stiftungen in unserem Land. ({0}) Herr Finanzminister Steinbrück, Sie haben die entsprechenden Passagen aus unserem Koalitionsvertrag in einen Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements umgesetzt und in den Bundestag eingebracht. Wir, das Parlament, haben - gestatten Sie mir diese Bemerkung - Ihren Gesetzentwurf etwas verbessert und im Finanzausschuss, zum Teil mit Zustimmung der Oppositionsfraktionen, mit Änderungsanträgen eindrucksvoll verabschiedet. Der Staat verzichtet durch diese Gesetzesänderungen - das ist mehrfach betont worden - auf jährliche Steuereinnahmen in Höhe von insgesamt fast einer halben Milliarde Euro. Aber wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass dieses Geld gut angelegt ist. Die kulturelle und soziale Bedeutung der Vereine ist in den letzten Jahren noch einmal stark gestiegen. Wer sich in unseren funktionierenden Vereinen aufhält, spürt eine Art Wärme, zum Teil fast schon familiäre Atmosphäre. Vereine sind in vielen Fällen schon fast eine Art Familienersatz geworden und leisten insbesondere zur Integration der ausländischen Jugendlichen in unserem Land einen enormen Beitrag. ({1}) Es ist besonders hervorzuheben, dass die Übungsleiter in unseren Sportvereinen schon längst mehr sind als nur durchtrainierte Vorturner für die Kinder. Sie kümmern sich immer mehr um die persönlichen Probleme der ihnen anvertrauten Jugendlichen. Viele Kinder erfahren im Verein erstmals die Wichtigkeit von Pünktlichkeit, Fairness und auch Kameradschaft untereinander. Jeden Euro, den wir in die Unterstützung der Übungsleiter und der Ehrenamtlichen stecken, bekommt unsere Gesellschaft doppelt zurück. ({2}) Da die einzelnen Gesetzesänderungen schon ausführlich erläutert wurden, möchte ich auf Kollegin Haßelmann eingehen. Sie beklagen, dass Sie etwas mehr Zeit gebraucht hätten, um zusätzliche Fortschritte beim Bürokratieabbau und in Haftungsregelungen zu erzielen. Daher sind Sie alle eingeladen, nachdem wir heute die steuerlichen Verbesserungen verabschiedet haben, gemeinsam mit uns an dem Thema weiterzuarbeiten, um die Bürokratie- und Haftungsfragen zügig zu klären und sobald wie möglich im Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf gemeinsam zu verabschieden. Bei der Anhörung ist ein großes Interesse zum Tragen gekommen, dies zügig zu machen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir heute dieses steuerliche Etappenziel erreicht haben. Der Bürger braucht in Steuerfragen Rechtsanwälte und Rechtsbeistände. Die Vereine brauchen in steuerlichen Fragen Rechtssicherheit; das ist ganz wichtig. Dieses Gesetz soll die Bürger und die Betroffenen sofort entlasten. Deswegen wollen wir das Gesetz rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten lassen, und deswegen ist es wichtig, dass wir den Gesetzentwurf heute mit einer möglichst breiten Mehrheit im Bundestag verabschieden. ({3}) Der Finanzminister hat es angesprochen: Heute ist ein guter Tag für das Ehrenamt. Auch die Verbesserungen bei den Spendenabzugsmöglichkeiten und die Erhöhung des steuerlich begünstigten Vermögensstocks bei den Stiftungen auf 1 Million Euro werden nach meiner festen Überzeugung einen neuen Stiftungsboom in Deutschland auslösen. Wir sind - das ist europaweit bekannt - schon das Land der Ehrenamtlichen. Jetzt werden wir auch zum Land der Stifter und der Stiftungen. Das ist ein guter Tag für die ehrenamtlich Engagierten. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Michael Bürsch, SPDFraktion. ({0})

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Vertreter von gemeinnützigen Verbänden! Ausdrücklich begrüße ich Hans-Peter Kröger, den Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbandes, stellvertretend für die 23 Millionen Menschen, für die wir heute etwas beschließen. Wir Engagementpolitiker lieben es kurz, kompakt und konkret. Deshalb habe ich um ein einminütiges Schlusswort zu dieser Debatte gebeten. Mein Schlusswort lautet folgendermaßen: Als Vorsitzender der Enquete-Kommission, die ich bis 2002 geleitet habe, ist mir noch gewärtig, was wir damals mit unseren 200 Empfehlungen im Auge hatten. Im Grunde waren es drei Bereiche: erstens den Schutz der Engagierten - hier haben wir in der letzten Legislaturperiode mit der Unfallversicherung einen großen Schritt gemacht -, zweitens den Nachteilsausgleich und drittens die allgemeine Förderung und Ermöglichung des Engagements. Das, was wir heute beschließen, ist ein enormer Schritt in Sachen Nachteilsausgleich - das sage ich aus der Sicht des Unterausschusses und der früheren EnqueteKommission - und gleichzeitig auch ein Schritt zur Ermöglichung und Förderung des Engagements. Mein Fazit lautet: Das ist ein gutes Werkstück. Es bringt uns voran. Insofern sage ich auch im Namen des Unterausschusses allen Beteiligten Dank. Es ist mit viel Leidenschaft gerungen worden. Dieser Minister nimmt nicht nur, sondern er gibt auch; das ist gewöhnlich nicht so. ({0}) Es wurden nicht alle Wünsche erfüllt. Daher bleibt auf dem Gebiet des bürgerschaftlichen Engagements noch viel zu tun. Insbesondere die Vertreter des Engagements bitte ich, nach dem alten IKEA-Grundsatz zu handeln: Entdecke die Möglichkeiten! In diesem Paket sind viele Maßnahmen enthalten, die ihnen nutzen können. Ich fasse zusammen. Gesetz: gut. Minister: sehr gut. Bürgerengagement: Hier bleiben wir dran. Viel Glück! ({1}) Ich möchte noch ein kurzes Nachwort sagen: Viele erwarten immer wieder Sternstunden des Parlaments. ({2}) Ich plädiere dafür: Es darf auch einmal nur eine Minute sein. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege Bürsch, ich will Sie nicht enttäuschen, aber es waren zweieinhalb Minuten. ({0}) So schnell vergeht eine Minute. ({1}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5926, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5200 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor in dritter Lesung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5981. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von FDP und Linkspartei und Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 28 b. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Finanzausschusses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5926 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5410 mit dem Titel „Mehr Freiheit wagen - Zivilgesellschaft stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linkspartei bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Neinstimmen der FDP-Fraktion angenommen. Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5245 mit dem Titel „Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Kerstin Andreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses - Drucksachen 16/5751, 16/6007 Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Strobl ({3}) Christine Lambrecht Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({4}) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen damit gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse auf Drucksache 16/6007, den genannten Antrag auf Drucksache 16/5751 in der Ausschussfassung anzuneh- men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der drei Oppositionsfraktio- nen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen angenom- men. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf: a) Beratung des Antrages der Abgeordneten Michael Stübgen, Ulrich Adam, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kurt Bodewig, Franz Thönnes, Dr. Lale Akgün, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ostseekooperation weiter stärken und Chan- cen nutzen - Drucksache 16/5910 - b) Beratung des Antrages der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Gabriele Hiller-Ohm, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Tourismusregion Ostsee voranbringen - Drucksache 16/5906 - c) Beratung des Antrages der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Christian Ahrendt, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zukunftschancen des Ostseeraums - Wirtschaft, Ökologie, Kultur und Tourismus - Drucksache 16/5251 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6}) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes das Wort. ({7})

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir nach langer Zeit im Deutschen Bundestag wieder über Ostseepolitik debattieren. Berlin hat eigentlich schon immer einen Blick zur Ostsee gehabt, wie uns das Kurt Tucholsky in einem kleinen Vers seines Gedichtes „Das Ideal“ beschrieb: Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn aber abends zum Kino, da hast dus nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit … Ende August findet die 16. Ostseeparlamentarierkonferenz hier in Berlin statt. Erstmalig ist damit die Bundesrepublik Deutschland, der Deutsche Bundestag Gastgeber. Als derzeitiger Vorsitzender des Ständigen Ausschusses der Konferenz freue ich mich, dass wir, was die Präsenz von Ministern bei dieser Tagung angeht, nicht unbescheiden sein müssen: Die Wertschätzung wird deutlich durch den lettischen Außenminister, Artis Pabriks, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Bundesarbeits- und -sozialminister Franz Müntefering und Umweltminister Sigmar Gabriel. In den letzten 20 Jahren hatten wir einen beispiellosen Prozess des friedlichen Zusammenwachsens der Länder an der Ostsee, nicht zuletzt dadurch, dass es eine intensive Kooperation gibt. Der Veränderungsprozess, der stattgefunden hat, mündete in der EU-Osterweiterung im Mai 2004. In den 1970er-Jahren waren gerade einmal 3 Prozent der Küsten des Ostseeraums EWG-Gelände. Heute sind 95 Prozent der Küsten EU-Gebiet. Die Ostsee ist damit zu einem EU-Binnenmeer geworden, zu einem Meer, das verbindet und nicht mehr trennt. Die Ostseeregion gehört heute zu den am stärksten entwickelten und integrierten Regionen Europas. Das gut funktionierende Netzwerk von vielen Akteuren war bei der Integration der neuen EU-Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung. Nun sind Russland, Norwegen und Island die einzigen Nicht-EU-Mitgliedstaaten im Ostseerat. Alle Ostseeanrainer haben inzwischen eine gute Position im Wettbewerb der europäischen Regionen. Ob im Ranking der weltweit wettbewerbsfähigsten Länder oder beim überdurchschnittlichen Wachstum innerhalb der EU, bei den Innovationen oder beim Vergleich der Leistungsfähigkeit in der Informationsgesellschaft, man findet stets nordische Länder, die baltischen Staaten und erfreulicherweise im Hinblick auf die Innovationen auch Deutschland auf den vorderen Plätzen. Der Wettbewerb in Europa und die Herausforderungen in der Ostseeregion nehmen zu. Die Menge der Transportgüter steigt. Abwässer und Schadstoffe verschmutzen die Ostsee zunehmend. Sie wieder zu reinigen und umfassend zu schützen, wird lebenswichtig für alle Ostseeanrainer sein. Ab 2011 haben wir volle Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Bereits heute haben Zehntausende Grenzgänger in den wachsenden grenzüberschreitenden Arbeitsmärkten eine Beschäftigung. Die Zusammenarbeit im Ostseeraum unter energiepolitischen Gesichtspunkten, Arbeitsmärkte und soziale Wohlfahrt sowie die integrierte Meerespolitik stehen auf der Tagesordnung der 16. Ostseeparlamentarierkonferenz. Der Antrag der Koalitionsfraktionen stützt die Politik der Bundesregierung in der Ostseeregion. Er forParl. Staatssekretär Franz Thönnes dert aber ebenso neue Schwerpunktsetzungen. Er ist damit auch eine Leitorientierung für die Delegation des Deutschen Bundestags in der Ostseeparlamentarierkonferenz. Ich möchte einige Punkte im Einzelnen erläutern. Wir brauchen eine integrierte und nachhaltige Meerespolitik. Maritime Wirtschaft, Seeverkehr, Küstenschutz, Offshore-Energie, Fischerei und Meeresumwelt müssen als Einheit gesehen werden. Wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen in der Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft und im Schiffbau. Gerade da gibt es Chancen für ein Wachstum der maritimen Wirtschaft und neue Beschäftigung. Die Prüfung einer „Task Force Meerespolitik“ beim Ostseerat gehört dazu. Die Ostsee ist ein sensibles und gefährdetes Meer. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Sicherheit der Seeschifffahrt. Deshalb fordern wir die Prüfung einer Lotsenpflicht für Öltanker und andere Schiffe mit gefährlicher Ladung. Für enge Schiffspassagen wie Kadetrinne und Öresund ist eine allgemeine Lotsenpflicht zu prüfen. Unkalkulierbare Risiken können und dürfen wir uns diesbezüglich nicht leisten. Gerade unter ökologischen Gesichtspunkten erwarten wir die Unterstützung aller Bemühungen zur Vermeidung und Reduzierung von Schiffsemissionen sowie die Realisierung der Landstromversorgung in den Häfen. Lebenswichtig für die Ostsee ist die Bekämpfung der Eutrophierung. Ebenso brauchen wir eine nachhaltige Fischwirtschaft und die Bekämpfung illegaler Fischerei. Der Ostsee darf nicht die Luft zum Atmen genommen werden. ({0}) Erfolgreiche Ostseepolitik ist nur mit Russland möglich. Dies ist insbesondere für die Politik der nördlichen Dimension von zentraler Bedeutung. Ostseepolitik ist diesbezüglich ganz konkret praktizierte Entspannungsund Sicherheitspolitik. Über Infrastrukturvorhaben in und auf der Ostsee hat unter allen Ostseeanrainern eine gegenseitige Information hinsichtlich möglicher ökonomischer, ökologischer und sozialer Folgen zu geschehen. Wenn Umweltverträglichkeitsprüfungen im Rahmen internationaler Verpflichtungen hinzukommen, schafft das Vertrauen und Akzeptanz. Wir fordern die Bundesregierung zudem auf, die Weiterführung des transeuropäischen Netzes über die deutschen Ostseehäfen hinaus nach Skandinavien zu unterstützen, um eine effiziente Verbindung von Meer zu Meer - also auch vom Mittelmeer zur Ostsee - zu gewährleisten und damit die deutschen Seehafenhinterlandanbindungen zu fördern. Wir unterstützen ausdrücklich die gute Vereinbarung, die zur Fehmarnbeltquerung getroffen wurde. Auch sie ist ein Projekt, das in dieses Netz hineingehört, die Länder enger zusammenbringen wird und in Zukunft als internationales PPP-Referenzvorhaben zu verfolgen ist. Es sind die „Motorways of the Sea“ als umweltfreundliche Kurzstreckenverkehre in der Ostsee zu fördern, damit zur notwendigen Entlastung der überfüllten Straßen beigetragen und die Höhe des Schadstoffausstoßes aller Verkehrsträger verringert wird. Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte müssen Thema im Ostseerat werden. Wir brauchen bei der Mobilitätsförderung an stark frequentierten Grenzübergängen Informationszentren wie beispielhaft in der Region Sonderjylland/Schleswig, die dazu beitragen, dass die Beschäftigten in steuer- und sozialrechtlichen Fragen ausführliche Beratung erhalten. Die Ostseeregion gewinnt in dem Maße an wirtschaftlicher Kraft, wie sie den dort arbeitenden Menschen soziale Sicherheit gibt. Gute Zukunftsverbindungen sind gute Kontakte junger Menschen untereinander. Gerade deshalb fordern wir, die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung der den Jugendaustausch fördernden Ostseejugendstiftung in Kiel zu prüfen und bei anderen für eine Förderung zu werben. Die Investition in die Jugend dieser Region ist die beste Zukunftsinvestition in diese Region. ({1}) Dazu gehört auch, dass der Bildungsbereich eine zentrale Rolle spielen muss. Das gilt für den Studentenaustausch, für den Aufbau virtueller Forschungs- und Wissenschaftsverbünde in der Ostseeregion und auch für die Universitäten, die Netzwerke aufbauen und Exzellenzzentren entwickeln müssen, die international wettbewerbsfähig sind. Hier gilt das Gleiche. Durch die Bildungsinvestitionen wird eine gute Zukunft gesichert. Eine sichere und saubere Ostsee, eine ökonomisch starke und innovative Ostseeregion, stabile Gesellschaften mit sozialer Verantwortung, ein zukunftsträchtiges und nachhaltiges Netzwerk - das sind die Maximen für eine erfolgreiche Entwicklungsstrategie. In diesem Sinne werden auch die Ostseeparlamentarier im August ihren Beitrag hier in diesem Hause leisten. Die Stärkung der Ostseekooperation ist ein guter Leuchtturm, eine gute Orientierung. Achten wir jetzt auch auf die Fahrrinnenmarkierungen in der Seeschifffahrt, dann dürfte auch im politischen Geschehen eine gute Ostseepolitik immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel haben und am Ende auch erfolgreich sein. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat Kollegin Christel Happach-Kasan, FDPFraktion, das Wort. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Thönnes, das mit der Handbreit Wasser unter dem Kiel ist bei der Ostsee bekanntlich nicht so sehr das Problem. Das bekommt man dort immer hin. Vielen Dank aber für die nette Einleitung mit Kurt Tucholsky. Ich freue mich, dass wir heute, an diesem Freitag, nach 13 Uhr eine solche Debatte über die Ostsee, über dieses nordeuropäische Meer, führen können, einem Meer, bei dem das geschieht, was Willy Brandt gesagt hat: Es wächst zusammen, was zusammengehört. Dies ist ein wundervoller Einstieg in die Sommerpause, und ich lade Sie alle sehr herzlich ein, wenn Sie noch keine Sommerpläne haben: Die Ostsee und die Strände der Ostsee in Schleswig-Holstein und auch in Mecklenburg-Vorpommern sind hervorragend geeignet, dort einen Sommerurlaub zu verbringen. Denen, die noch kein Quartier haben, darf ich versichern, dass auch im Hinterland genügend Raum zur Verfügung steht. Zur Zeit der Hanse war die Ostsee eine blühende Region in Europa. Olaus Magnus, der schwedische Kartograph, hat 1529 auf einer Karte einmal dargestellt, welche Qualitäten und Werte sich in diesem Ostseeraum befinden. Er wollte damit den Papst animieren, die katholische Kirche dort zu stärken. Das ist ihm bekanntlich nicht gelungen. Wir haben aber ein wunderschönes Kartenwerk. Lübisches Recht galt in den norddeutschen und nordeuropäischen Städten - nicht nur in Lübeck, Riga, Tallinn und Nowgorod - und hat das Rechtswesen im norddeutschen Raum entscheidend geprägt. Die Schönheit der Städte, die heute Ziele touristischer Exkursionen bzw. Reisen sind, zeugt vom Reichtum der vergangenen Jahrhunderte. Und dies ist gut. Wir erinnern uns alle an die grausame Zeit des Kalten Krieges. Wir erinnern uns aber auch daran, dass die Politik von Michail Gorbatschow diesen beendet hat. Wir erinnern uns auch daran, dass Hans-Dietrich Genscher der erste Politiker im westlichen Raum gewesen ist, der erkannt hat, welche Chancen die Politik Michail Gorbatschows gebracht hat. Die Singende Revolution in den baltischen Ländern war eine machtvolle Demonstration für die Freiheit und hat dazu beigetragen, dass dieser Raum jetzt das ist, was er ist, nämlich ein gemeinsamer, zusammengefügter Wirtschaftsraum. Die Ostseeparlamentarierkonferenz, die diesmal in Berlin tagen wird, tagt seit 1991. Der Ostseerat wurde 1992 von Hans-Dietrich Genscher und Uffe EllemannJensen gegründet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen Ihnen einen umfangreichen Antrag vor, in dem wir unsere Vorstellungen zur Entwicklung des Ostseeraumes in Deutschland in den verschiedenen Bereichen der Umweltpolitik, der Schiffssicherheit, der Wirtschaftspolitik und auch der Kulturpolitik aus deutscher Sicht darstellen. Wir müssen erkennen, dass die Ostsee ein sehr junges und sensibles Meer ist. Diese Ostsee braucht Schutz. Sie ist gerade einmal 5 000 Jahre alt und damit den Kinderschuhen letztlich noch lange nicht entwachsen. Sie braucht unsere besondere Fürsorge. ({0}) Weil sie nur 5 000 Jahre alt ist, gibt es keinen einzigen Organismus, der speziell an die Situation in der Ostsee angepasst ist. Deswegen ist die Ostsee ein solch sensibles Meer, und wir müssen besonders sorgfältig mit ihr umgehen. Bei der Diskussion über den Meeresschutz haben wir schon einiges zu diesem Thema gehört. Den illegalen Fischfang wollen wir gemeinsam einschränken. Wir müssen ihn massiv bekämpfen; denn es kann nicht sein, dass Fischer, die legal Fischfang betreiben, durch illegale Fischer benachteiligt werden. ({1}) Bei aller guten Zusammenarbeit im Rahmen der Delegation der Ostseeparlamentarierkonferenz bin ich gleichwohl enttäuscht über den Antrag, den die SPD und die CDU/CSU vorgelegt haben, Herr Kollege Thönnes. Er könnte aus meiner Sicht allenfalls als Entwurf durchgehen. Es ist garantiert kein Antrag, hinter den sich die Delegation der Ostseeparlamentarier auf der Konferenz stellen kann. Er enthält zu viele Ungereimtheiten und ist absolut unausgegoren. Es wird nicht klar, warum der Lachs erwähnt wird, aber der Schweinswal nicht. Wir wissen auch nicht, was ihr hinsichtlich der Förderung der Nutzung der Wasserenergie vorhabt. Deswegen müssen wir diesen Antrag ablehnen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. Wir verstehen auch nicht, warum die Ablehnung der Industriefischerei, die sonst Standard ist, ebenfalls nicht im Antrag enthalten ist. Insofern können wir mit diesem Antrag nicht leben. Gleichwohl sind wir der Meinung, dass der Antrag zum Tourismus in der Ostseeregion ausgesprochen gut ist. Diesem Antrag werden wir zustimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Veronika Bellmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Staatssekretär, nicht nur die Berliner haben eine sinnliche Beziehung zur Ostsee, sondern das ist auch von den Sachsen bekannt. Der Sachse liebt das Reisen sehr, sagte man. An der Ostsee hieß es in der Sommerzeit immer „SOS“: Sachse, Ostsee, Sommer. ({0}) Das war immer eine gute Verbindung und ist es Gott sei Dank auch heute wieder. Es ist zu begrüßen, dass die Deutschen wieder ihr eigenes Land als Urlaubsland entdecken. Die Ostsee als Meer ohne Grenzen: Das ist eine schöne Bezeichnung für etwas, das mehr verbindet als trennt. Es ist aber auch ein schönes Wortbild für eine Region, in der gute nachbarschaftliche Beziehungen herrschen. Denn was das Baltikum betrifft, hat sich die Situation insbesondere nach der EU-Osterweiterung in den letzten Jahren geändert, wohlgemerkt: zum Guten. Weil aber nichts so gut ist, dass es nicht noch verbessert werden könnte, haben wir einen sehr umfangreichen Antrag vorgelegt. Der Antrag „Ostseekooperation weiter stärken und Chancen nutzen“ trägt mit seinen 26 Punkten der geänderten Situation nach der EU-Osterweiterung im Ostseeraum Rechnung. Die inhaltlichen Punkte hat Herr Staatssekretär Thönnes bereits ausführlich erläutert. Ich möchte darüber hinaus auf den Rahmen der Kooperation eingehen. Die Ostseeregion gehört zu den am stärksten entwickelten und integrierten transnationalen Regionen Europas. Das Netzwerk der Zusammenarbeit ist beispielhaft und einmalig in Europa. Die Integration der neuen Mitgliedstaaten ist hierdurch erheblich gefördert und befördert worden. Denn mit der EU-Osterweiterung 2004 hat sich das Kooperationsfeld erheblich verändert. Russland, Norwegen und Island sind nunmehr die einzigen Nicht-EU-Staaten im Ostseerat. Der Ostseerat, der immerhin auf Initiative Deutschlands und Dänemarks gegründet worden ist und dem mittlerweile die gesamte EU angehört, gibt Ostseeanrainern die Möglichkeit der Kooperation auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet. Er ist Impulsgeber und Projektbegleiter für Politik der sogenannten nördlichen Dimension und bietet damit den politischen Rahmen für die Zusammenarbeit der EU mit ihren nördlichen Nachbarn. Der Antrag der Koalitionsfraktionen soll das Ziel bekräftigen, die Ostseekooperation weiter zu stärken und die darin liegenden ökonomischen und politischen Chancen der Zusammenarbeit zu fördern. Auch hierbei können wir die Dynamik aus der deutschen Ratspräsidentschaft nach dem Motto „Deutschland bewegt Europa“ durchaus nutzen. Das gilt auch für den Ostseerat mit den Treffen der Regierungschefs, der Außenminister und der Fachminister auf Regierungsebene und auch für die 1991 ins Leben gerufene Ostseeparlamentarierkonferenz als Zusammenschluss von elf nationalen Parlamenten, der Baltischen Versammlung, dem Nordischen Rat und dem Europäischen Parlament. Aber zunächst richten sich unsere Forderungen an die Bundesregierung, die wir mit dem vorliegenden Antrag auffordern, im Ostseerat darauf hinzuwirken, dass er nicht nur zielstrebig als aktive Koordinierungsebene der Zusammenarbeit fungiert, sondern sich insbesondere dem Schutz der Ökosysteme der Ostseeregion verpflichtet sieht. Die Ostsee gilt noch als sauberstes und sicherstes Binnenmeer Europas. Das muss sie auch bleiben. Das geht aber nicht im Alleingang, sondern bedarf koordinierter Anstrengungen bei der Vermeidung von Havarien und Schiffsunfällen, dem Schutz der Fischbestände und umweltfreundlicher Energiepolitik. Insofern sind die Ziele der Lissabonstrategie der EU mit denen der sozialen Gerechtigkeit und der Umwelt zu verbinden. Wir müssen aber auch die Umweltstandards beim Ausbau der transeuropäischen Netze beachten. Damit bin ich bei einem Thema, das mich immer sehr bewegt. Das ist die Verkehrsinfrastruktur. Zu einem touristischen Ziel oder zu einem Lieferort kommt man nur über eine funktionierende Infrastruktur. Die Hafenzufahrten sind ebenso wichtig wie die landseitigen Hinterlandverbindungen. Aber auch eine Verbindung von Meer zu Meer, also von der Ostsee zum Mittelmeer, halte ich für wichtig. Die bereits angesprochene Verbindung von Meer zu Meer halte ich als ostdeutsche Abgeordnete gerade deshalb für besonders wichtig und empfehlenswert, weil mit dem TEN-Projekt 22 bereits eine elektrifizierte Schienenverbindung ab Prag bzw. eigentlich ab Dresden geplant, im Bau bzw. teilweise schon fertiggestellt ist. Diese sollte im Hinblick auf eine Meer-zu-Meer-Verbindung ab Prag über Dresden, Berlin bis nach Rostock als wichtigster ostdeutscher Ostseehafen weitergeführt werden. ({1}) Die derzeit vorgesehene Südostausrichtung des TENProjektes 22 von Prag über Budapest nach Athen und Sofia könnte durch eine weitere Verzweigung zur Adria als Mittelmeerarm erweitert werden. Ich halte deshalb die Weiterentwicklung der Ostseekooperation in Bezug auf Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit für unabdingbar. Zukunftsträchtig und nachhaltig muss dieses Netzwerk sein. Genau das fordern wir in unserem Koalitionsantrag: die Ostsee als Meer ohne Grenzen. Insofern sollten noch vorhandene Grenzen der Zusammenarbeit überwunden werden. Ich bin überzeugt, dass unser Antrag dazu beitragen kann. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bellmann, lassen Sie mich zuerst eine Korrektur vornehmen. Bei uns in Vorpommern hieß „SOS“ etwas anderes, nämlich „Sommer ohne Sachsen“. Das war damals ein erstrebenswertes Ziel. Aber das ist heute nicht mehr der Fall. Nun ist es ganz anders. ({0}) Ich will zu Beginn auf den FDP-Antrag zu sprechen kommen, mit dem die Liberalen den Finger in die Wunde legen. Dort wird festgestellt, dass es ein weiteres West-Ost-Gefälle gibt, und zwar zum Nachteil des Ostens. Es geht um den Salzgehalt der Ostsee. Dieser wird gen Osten zunehmend niedriger. Aber wie so oft in der Politik wird aus dieser Feststellung keine Schlussfolgerung gezogen. ({1}) Ganz sachlich ist zunächst festzustellen: Der Antrag der FDP, aber auch der der Großen Koalition enthält viele unterstützenswerte Vorschläge. Ich nenne als Stichworte: mehr Sicherheit auf den Seewegen, die Bekämpfung des illegalen Dorschfangs und die Verbesserung des Walfangs. Die Qualitätsoffensive für den Tourismusstandort Ostseeküste ist ebenfalls vernünftig genauso wie die Zurückdrängung der Meeresverschmutzung durch Emissionen des Schiffsverkehrs. Weiterhin stelle ich fest, dass Sie die Forderung unseres damaligen Umweltministers Wolfgang Methling nach einer Lotsenannahmepflicht in der Kadetrinne - dafür wurde er 2001 auf Bundesebene noch sehr gerügt - nach dem Tankerunglück der „Baltic Carrier“ aufgegriffen haben, genauso wie seine Forderung, die sogenannten Einhüllentanker auszumustern. Das finde ich sehr gut. Sie haben den Ratschlag „Von der Linken lernen heißt siegen lernen“ beherzigt. Ich kann nur sagen: Weiter so! ({2}) - Die Sowjetunion war früher; das ist nun anders. Deshalb habe ich das korrigiert. Beim Lesen des FDP-Antrags entsteht bisweilen der Eindruck, als ob Sie bis zum Schluss nicht ganz sicher waren, ob es nicht doch ein gigantisches Verkehrswegekonzept oder nur ein Ostseeraumkonzept werden sollte. Die Koalitionsfraktionen bleiben in Ihrem Antrag im Kern dabei stehen - das sei klar gesagt -, zwischenstaatlichen Handlungsbedarf, wenn auch auf wichtigen Feldern zu benennen. Zumindest was die Konkretheit betrifft, ist der FDP-Antrag deutlich weiter, deutlich besser. Der Koalitionsantrag wird von uns deshalb insbesondere für das kritisiert und abgelehnt, was er nicht enthält. Das Entscheidende ist: Der Antrag blendet die Menschen in der Region nahezu völlig aus. Es gibt keine Vorschläge für einen wirksamen Schutz vor Lohn- und Sozialdumping. Es gibt kein Wort zur Arbeits- und Beschäftigungssituation in den Ländern der Ostseeregion. Sie, Herr Thönnes, haben mehrfach auf die Ostseeparlamentarierkonferenz Bezug genommen. Aber gerade die letzte, die 15., hat festgehalten, dass es eine Diskussion über sozial- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen geben sollte. Das aber wird leider ausgeblendet. Sie fordern in Ihrem Antrag, dass - ich darf das zitieren -: vor dem Hintergrund wachsender Zahlen von Grenzpendlern an stark frequentierten Grenzübergängen für Pendler Informations-Zentren eingerichtet werden, die dazu beitragen, dass die Beschäftigten in steuer- und sozialrechtlichen Fragen ausführliche Informationen erhalten. Das können Sie doch nicht im Ernst meinen. Tiefer kann man als Regierungspartei in sozial- und beschäftigungspolitischen Fragen kaum sinken. ({3}) Als Vorpommer sage ich Ihnen: Die Menschen in der Ostseeregion brauchen Arbeit, von der sie leben können - da sind wir uns hoffentlich einig -, und sie brauchen Einkünfte, die nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ein würdiges Leben auch im Alter sichern. Aus Hungerlöhnen dürfen nicht Hungerrenten werden. Wir brauchen existenzsichernde Löhne und gerechte und höhere Renten anstelle von Lohnkürzungen. ({4}) Ihre Angebote für die Entwicklung der Ostseeregion zeigen erneut: Der Aufbau Ost ist eben nicht Chefsache bzw. heute Chefinnensache. Die Bundesregierung hat sich offensichtlich von dem Ziel, für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Bundesländern zu sorgen, verabschiedet. So wundert es nicht, dass Sie immer von einer Region ausgehen. Sie wissen genau, dass zwischen Schleswig-Holstein und MecklenburgVorpommern gewaltige Unterschiede bestehen. Schauen Sie sich allein die Arbeitslosenquote an. In Mecklenburg-Vorpommern ist sie mit 15,8 Prozent fast doppelt so hoch wie in Schleswig-Holstein. Das ist nicht eine Region. Deswegen sind die Anträge der Koalition für uns nicht zustimmungsfähig. ({5}) Die Fraktionen der Großen Koalition und auch der FDP betonen zu Recht den friedlichen und auch friedensstiftenden Charakter der wachsenden Ostseekooperation. Ich kann Sie nur ermuntern, im Rahmen der Haushaltsberatungen, die im Herbst beginnen, ernsthaft zu erwägen, im Verteidigungshaushalt ein Konversionsprogramm aufzulegen, damit es uns gelingt, die Wirtschaftsentwicklung gerade in Mecklenburg-Vorpommern zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen. ({6}) Eine letzte Bemerkung sei mir zum Tourismus gestattet, gerade weil unlängst der gewaltige G-8-Gipfel stattgefunden hat. Für den Tourismus sind Tornadoflüge wenig hilfreich. Zu dieser Zeit waren so wenig Touristen in Heiligendamm und Umgebung wie noch nie. Noch nie wurde in Mecklenburg-Vorpommern in so kurzer Zeit so viel Schrott - damit meine ich nicht nur den unsinnigen Sicherheitszaun - produziert und wurden Millionenbeträge verpulvert wie anlässlich des G-8-Gipfels. Wenn Sie dieses Geld für die Tourismusförderung eingesetzt hätten, dann hätten Sie eine richtige Maßnahme ergriffen. Ich bedanke mich. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Rainder Steenblock, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben an dieser Stelle vor zwei Wochen über das übergeordnete Thema, nämlich das Grünbuch der Europäischen Union zum Meeresschutz, gesprochen. Das ist im Grunde das Dach, unter dem die heutige Debatte stattfindet, obwohl die Ostseekooperation noch mehr Facetten hat. Ich muss schon sagen: Der Antrag, den die Koalitionsfraktionen heute vorlegen, zeugt von einem erheblichen Lernergebnis aus der ersten Debatte. Der Antrag, den Sie damals vorgelegt haben, war hart an der Grenze zur Peinlichkeit. Der heutige Antrag ist schon sehr viel umfassender, gerade was das Bemühen angeht, ökosystemare Zusammenhänge darzustellen, aber auch was die politischen Implikationen der Ostseepartnerschaft angeht. Trotzdem - da gebe ich dem Kollegen Bartsch recht - zeichnet sich dieser Antrag durch eine ganze Reihe von schwarzen Löchern aus. Die Koalition kann oder will nicht das aufschreiben, was in der Koalition diskutiert worden ist. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. Ich werde einige Punkte benennen, die nach unserer Meinung zeigen, dass der Antrag zu kurz greift. Die Diktion in dem Antrag ist sehr ökologisch. Das Wort Nachhaltigkeit taucht in fast jedem Satz auf. Man muss aber aufpassen, dass aus diesen Begriffen Konsequenzen folgen, und es darf nicht bei der Wortakrobatik bleiben. Das heißt zum Beispiel - Franz Thönnes hat es gerade gesagt -, dass ein Ziel die nachhaltige Fischerei ist; darüber sind wir uns alle einig. Aber wenn die Bundesregierung die Fangquoten für diese bedrohten Tierarten entgegen den Empfehlungen aller Sachverständigen sehr hoch ansetzt, kann mit Recht nicht von Nachhaltigkeit gesprochen werden; denn man tut genau das Gegenteil. ({0}) Diese Inkonsequenz gibt es auch an anderen Stellen. An einer Stelle bedauere ich es ganz besonders, dass Sie dazu nichts sagen: Das ist der ganze Bereich der Energiepolitik. Die Ostseepipeline ist eines der zentralen Projekte im Ostseeraum, was die Energiesicherheit angeht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Rainder Steenblock, als SchleswigHolsteiner, die wir beide sind, haben wir doch sicherlich das gemeinsame Ziel einer nachhaltigen Fischerei in der Ostsee. Ich denke, dass man bei der Fischerei nicht nur auf die Quoten achten sollte, sondern auch sehen muss, in welcher Größenordnung illegaler Fischfang stattfindet. Wenn wir sehen, dass ein Drittel des in der Ostsee gefangenen Dorschs illegal gefischt wird, teilen Sie dann nicht auch meine Auffassung, dass es erste Priorität sein muss, diesen illegalen Fischfang zu unterbinden, und dass darauf - insbesondere in einem Antrag, in dem man sich um eine Ostseekooperation bemüht - alle Anstrengungen gerichtet sein müssen? Teilen Sie nicht auch die Auffassung von Holger Ortel, der in der gestrigen Debatte zum Meeresschutz sehr richtig gesagt hat, dass wir zu Lösungen für diejenigen Fischer, die aus einer gewissen gesellschaftlichen Not heraus illegalen Fischfang betreiben, kommen müssen, damit sie anders handeln können? Vor diesem Hintergrund gibt es Initiativen, die Anlandung der Fische zu kontrollieren, um so illegalen Fischfang zu unterbinden. Meinen Sie nicht auch, dass es wichtiger ist, den illegalen Fischfang zu unterbinden, als den legal Fischenden die Möglichkeit ihres Broterwerbs zu nehmen?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, liebe Kollegin Happach-Kasan, die Einschätzung, in diesen Fragen eine Priorisierung vornehmen zu müssen, teile ich nicht. Beides ist richtig, und beides ist wichtig. ({0}) Aber das gegeneinanderzustellen, führt zu einer absurden Situation. ({1}) Wir müssen - darin sind wir uns alle einig - zum einen die illegale Fischerei bekämpfen. Um das hinzubekommen, benötigen wir ein Maßnahmenbündel im Hinblick auf Überwachungsstrukturen. Dann brauchen wir Verhandlungen bezüglich der Quoten in der Fischerei, die zu einem Ergebnis führen. Die illegale Fischerei ist natürlich ein Ausdruck dessen, dass die Fischer zurzeit keine Alternative haben; eine solche müssen wir ihnen geben. Dies ist aber auch ein Zeichen kriminellen Handelns. Das muss man sehr deutlich machen; ich will das nicht entschuldigen. Es muss also Alternativen geben. Zum anderen haben wir mit der in der Vergangenheit betriebenen Fischereipolitik und den Quoten, die wir festgelegt haben, die Substanz, von der die Fischer leben, nämlich den Fischreichtum in Nord- und Ostsee, kaputt gemacht. Durch die Art und Weise, wie die Meere im Augenblick befischt werden, wird den Fischern die Existenzgrundlage entzogen. Wenn wir auch in Zukunft eine Fischerei haben wollen, dann brauchen wir eine Reduzierung der Fangquoten. Beides gehört zusammen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zusammenhang mit der Ostsee ist die Energie ein zentrales Thema. Ich bedauere es sehr, dass in den vorliegenden Anträgen nichts zur Ostseepipeline und zu Energiefragen steht. Die Ostseepipeline ist - als Partner der rot-grünen Regierung waren wir zum Schluss, im Endspurt daran beteiligt - kein Kooperationsprojekt. So sollte man die Ostseekooperation nicht betreiben; denn man hetzt mit diesem Projekt alle im Ostseeraum beteiligten Kooperationspartner gegeneinander auf. ({3}) Wenn eine Ostseekooperation so funktionieren soll, wie wir uns das wünschen, dann wäre es sinnvoll, die Frage der Pipeline nicht bilateral, sondern innerhalb dieses Kooperationsrahmens und mit der EU im Hintergrund zu lösen. Wenn die EU-Staaten an dieser Stelle an einem Strang ziehen und keine Bilateralität besteht, sondern Kooperationsstrukturen entwickelt werden, dann wird die Ostseekooperation erfolgreich werden. Man sollte hier ein deutliches Wort sagen: So geht es nicht; so spaltet man den Ostseebereich. Wir werden darüber auf der Parlamentarierkonferenz diskutieren. Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen - hier geht es um ökonomische, aber vor allen Dingen auch um ökologische Aspekte -, der völlig ausgeblendet wird. Das sind die Munitionsaltlasten. Das hat auch etwas mit der Ostseepipeline zu tun. Das hat aber auch mit vielen anderen Projekten - auch mit der Fischerei - etwas zu tun. Die Senfgasgranaten und andere Munition in der Ostsee, die Fischer immer wieder herausholen, sind lebensbedrohlich und können ökologische Katastrophen verursachen. In der Ostsee liegen 400 000 Tonnen Munition und chemische Kampfstoffe. Das wird auf allen politischen Ebenen zurzeit viel zu stark verdrängt. Wir Deutsche haben eine besondere historische Verpflichtung, dieses Problem zu lösen. Das werden wir nicht allein schaffen, sondern nur in Kooperation mit den anderen Ostseeländern. Was wäre besser, als dass sich die Ostseekooperation aufgrund einer Initiative Deutschlands des Themas Munitionsaltlasten endlich einmal annimmt? So zynisch es klingen mag: Durch dieses Projekt könnten in dieser Küstenregion Arbeitsplätze geschaffen werden. ({4}) Zur Entsorgung dieser Masse an Munition sind neue Technologien und Entsorgungsstrukturen notwendig. Zur Beseitigung der Rüstungsaltlasten in der gesamten Region - gerade im mittel- und osteuropäischen Raum; ich erinnere an all das, was sich in der Ukraine befindet - bedarf es innovativer Strukturen. Wir, der Deutsche Bundestag, müssen uns dem Thema der Entsorgung von alter Munition, von chemischen Kampfstoffen, in Zukunft stärker widmen. ({5}) Auf diesen Punkt sind Sie leider nicht eingegangen; der Kollege Bartsch hat es angesprochen. Ein weiterer Punkt, zu dem Sie leider gar nichts gesagt haben, ist die Sozialpolitik in dieser ganzen Region. Angesichts der Erfahrungen, die die Skandinavier gemacht haben, angesichts der unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen in den baltischen Staaten, in Polen und in Deutschland könnte man mit Blick auf Europa, aber auch darüber hinaus - ich sage das, weil auch die Russen dazugehören - im Rahmen der Ostseekooperation einmal Strategien entwickeln, wie man bezüglich sozialer Systeme, sozialer Sicherheit und der Reintegration in die Arbeitswelt voneinander lernen kann. Die Ostseekooperation ist eine Chance, Politik für die Menschen in der Ostseeregion zu machen. ({6}) An dieser Stellschraube muss gedreht werden. Um den Tourismus und die ganze Ostseeregion als Wirtschaftsraum weiterzuentwickeln, bedarf es einer besseren Infrastruktur, auch was den Verkehr angeht. Wie wir alle wissen, ist dieser Wirtschaftsraum bereits sehr erfolgreich. Das unterstützen wir auch alle. Die Koalition hat einige Projekte angedacht. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen, greife ich einmal das Projekt der Fehmarnbeltquerung auf. Die Fehmarnbeltquerung ist für die Ostseeregion eine Jobvernichtungsmaschine. In Mecklenburg-Vorpommern wird viel kaputt gemacht. Die Bevölkerung auf Fehmarn ist einhellig gegen dieses Projekt, weil es Arbeitsplätze vernichtet und den Tourismus dort ganz massiv bedroht. Frau Happach-Kasan, Sie kennen diese Diskussion aufgrund Ihres Wohnortes sehr gut. Die ganze Region befindet sich im Widerstand gegen dieses Projekt, weil dadurch Arbeitsplätze vernichtet werden und weil es dem Tourismus dort schadet. Angesichts dessen kann man sich doch nicht ernsthaft hier hinstellen und sagen: Wir brauchen diese Infrastrukturen. Nein, diese Infrastrukturen brauchen wir nicht. ({7}) Natürlich brauchen wir Verkehre in der Ostseeregion. Wir müssen die Fährverkehre weiterentwickeln. Der Scandlines-Verkauf war vielleicht die Möglichkeit, ein Unternehmen zu schaffen, das die Fährverkehre vernünftig bewirtschaften kann. Die Bahntransporte in dieser Region müssen ebenfalls verbessert werden. Wenn man von Berlin nach Tallinn mit der Bahn fast einen Tag unterwegs ist, dann ist das absurd. Wir sollten unser ökologisches Wissen auf die Verkehrsinfrastrukturen in dieser Region anwenden. Wenn wir das tun, dann wird diese Region zukunftsfähig. Im Moment sind wir dabei, alte Fehler zu wiederholen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ostseekooperation hat einen Vorgänger, und zwar die Hanse. Herr Kollege Bartsch, das unterscheidet vier Fraktionen im Deutschen Bundestag von der Fraktion Die Linke: Ostseekooperation heißt, dass wir etwas verbinden wollen; wir wollen nicht das Trennende in den Vordergrund schieben, sondern das Verbindende. Natürlich sind Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterschiedlich geprägt. Aber was uns verbindet, das sind die Chancen im Ostseeraum. Sie sind eine Partei, die herummäkelt, die nur die Risiken benennt, die das Trennende in den Vordergrund stellt. Wir wollen das Gemeinsame, das Verbindende in den Vordergrund stellen. Ich finde, hierfür ist der Antrag der richtige Ansatz. ({0}) Zu den Chancen im Ostseeraum: Ich lebe in Mecklenburg-Vorpommern in einer Boomregion. In Finnland, Polen, Russland, den baltischen Staaten ist das Wirtschaftswachstum größer als 6 Prozent. Die Seeverkehrsprognose der Bundesregierung sagt für die deutschen Ostseehäfen wegen der Entwicklung im Ostseeraum, insbesondere wegen der Entwicklung in den baltischen Ländern und in Russland, Wachstumsraten von 5, 6, 7 Prozent voraus. Natürlich gibt es an dieser Stelle Konkurrenzsituationen. ({1}) Das ist auch gut und richtig so. Frau Kollegin Bellmann ist auf die Chancen eingegangen, die es bietet, wenn wir die neuen Länder als Bindeglied zwischen dem Mittelmeer und der Ostsee verstehen. Lassen Sie mich nun eine kleine Anmerkung zur Fehmarnbeltbrücke machen. Ich persönlich halte das Ergebnis für akzeptabel: kein deutsches Geld, kein deutsches Risiko für die Brücke. Ich sage Ihnen als jemand, Herr Kollege Steenblock, der in Mecklenburg-Vorpommern zu Hause ist, sehr offen und ehrlich: Wir werden weniger Probleme mit der Brücke haben als zum Beispiel die Lübecker. Wenn Sie sich die Strukturen für Güterverkehre ansehen, dann stellen Sie fest, dass es aus Richtung Mitteleuropa ein Umweg von 200 Kilometern ist, wenn man über die Brücke fährt, was auch Auswirkungen auf die Ruhezeiten für Fahrer hat. Ich sage Ihnen: Ich sehe das mit großer Gelassenheit. Die gerade verkaufte Reederei Scandlines sieht das ebenfalls mit großer Ruhe und Gelassenheit. Wir haben für uns dafür zu sorgen, Kollege Bartsch, dass wir unsere Seehafenhinterlandanbindungen - da ist die A 14 ein sehr guter Schritt für den westdeutschen, aber auch für den ostdeutschen Raum - ertüchtigen. Die Schiene nach Rostock und Stralsund wird bis 2013 ertüchtigt. Darüber zu reden, das hätte ich mir von Ihnen gewünscht, und nicht die dauernde Herummäkelei. Wir haben, was die Entwicklung im Ostseeraum betrifft, eine Chance.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heilmann von der Fraktion Die Linke?

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege. Sie haben gesagt, dass Sie das Ergebnis der Fehmarnbeltquerung als ein gutes Ergebnis empfinden. Ein Ergebnis ist ja, dass 25 Jahre lang zur Refinanzierung Maut erhoben werden soll. In allen dänischen Zeitungen stand, dass darüber hinaus auch weiterhin Mautgebühren erhoben werden. Halten Sie es für ein gutes Verhandlungsergebnis, wenn dort offensichtlich ein Projekt gebaut wird, das über den ganzen Zeitraum, in dem es steht, mautpflichtig ist? Ist das für Sie ein gutes Ergebnis, dass die Benutzer bei jeder Fahrt über die Brücke mindestens 60 Euro zahlen müssen, auch über die 25 Jahre hinaus?

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, es ist deswegen ein gutes Ergebnis, weil die Bundesrepublik Deutschland mit der Brücke kein Risiko eingeht. ({0}) Ob bei 29 angemeldeten prioritären TEN-Projekten und einem Volumen von 8 Milliarden Euro in der kommenden Förderperiode wirklich 20 Prozent von den 8 Milliarden Euro als Zuschuss in den Bau der Brücke hineinfließen, werden wir alle in Ruhe abwarten. Was die deutschen Hinterlandanbindungen angeht, sage ich Ihnen ganz offen und ehrlich: Ich glaube, dort ist sowieso eine Ertüchtigung notwendig, sowohl was die Straße als auch was die Schiene betrifft. Hier hat Bundesverkehrsminister Tiefensee im Auftrag der Bundesregierung klar Kurs gehalten. Von daher sage ich: Dieses Ergebnis ist zu akzeptieren, insbesondere wenn man die Vorgeschichte, nämlich die Absichtserklärung des damaligen Bundesverkehrsministers Stolpe und des dänischen Verkehrsministers Hansen aus dem Juni 2004, kennt. Darüber, ob das alles letztlich Realität wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir uns im Zuge einer Debatte über die jeweiligen Staatsverträge noch einmal in Ruhe unterhalten müssen. Für mich war das Wichtigste: kein Risiko für den deutschen Steuerzahler. ({1}) Hier wurde über die Nachhaltigkeit der Fischerei hart debattiert. Herr Kollege Steenblock, die illegale Fischerei ist neben den Kormoranen das Hauptproblem der Fischer. Lassen Sie mich aus der größten polnischen Zeitung „Gazeta Wyborcza“ zitieren, wo der Vorsitzende der polnischen Fischereiorganisation, Herr Habulek, Folgendes ausführt: „Es existiert in Polen keine Kontrolle der Fischerei.“ Weiter heißt es in diesem Artikel, dass die polnische Dorschfangquote im Jahr 2004 für die Ostsee 16 000 Tonnen betrug. Jetzt kommt es: Im gleichen Jahr wurden in Polen Dorschprodukte in einer Menge von 52 000 Tonnen exportiert. Der polnischen Zeitung zufolge entspricht dies für das Jahr 2004 - neuere Daten liegen mir leider nicht vor - einer Anlandung von 70 000 bis 100 000 Tonnen Dorsch in Polen, und das bei einer Quote von 16 000 Tonnen. Die illegale Fischerei ist also eines der Hauptprobleme. Wir können uns über Quoten unterhalten, wie wir wollen - 100 Tonnen, 500 Tonnen -: Hier liegt das Grundproblem, und das ist, glaube ich, nicht nur an der polnischen Ostseeküste so, sondern auch anderswo. ({2}) Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen. Wir alle miteinander sind gut beraten, die positive Entwicklung im Ostseeraum im Deutschen Bundestag noch viel deutlicher darzustellen. Wir reden oft über die Kontakte von Süddeutschland nach Oberitalien. Mit dem entsprechenden Grünbuch zur Meerespolitik und mit der Debatte über das Thema „Maritime Wirtschaft stärken“ haben wir es gemeinsam geschafft, den maritimen Raum viel stärker in den Fokus des Deutschen Bundestages zu rücken. Bereichert wurde die Debatte durch Initiativen aller Fraktionen, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Christian Ahrendt, FDPFraktion. ({0})

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt viel zum Thema Ostsee gehört. Da überwiegend Abgeordnete gesprochen haben, die aus Norddeutschland kommen, haben wir uns auch ein bisschen selbst beleuchtet. Wir vergessen an der Stelle, dass wir Partner brauchen, um unsere Vorhaben im Ostseeraum umzusetzen und um die Chancen, die sich uns da bieten, zu nutzen. Deswegen sollte die Aufmerksamkeit noch auf einige andere Punkte gelenkt werden. Wir alle wissen, dass der Norden das Tor zur Welt ist. Die Ostsee ist das Tor nach Skandinavien und zum Baltikum. Die maritime Wirtschaft, die ein ganzes Stück weit über dieses Tor funktioniert, stellt in Deutschland 220 000 Arbeitsplätze. Der Umsatz, der über die maritime Wirtschaft generiert wird, beträgt rund 54 Milliarden Euro. Wenn man sich anschaut, wer von diesem Kuchen ein Stück abbekommt, stellt man fest, dass beispielsweise Baden-Württemberg und auch Bayern jeweils knapp 20 Prozent erhalten. Die maritime Wirtschaft ist also nicht nur ein Thema für Norddeutschland, sondern die maritime Wirtschaft ist letztlich ein Thema für ganz Deutschland. Deswegen müssen wir in ganz Deutschland ein Interesse daran haben, hier weiter voranzukommen. ({0}) Die Schnittstelle, über die die maritime Wirtschaft funktioniert, sind in erster Linie die Häfen. Es kommt also darauf an, dass wir die Häfen vernünftig mit dem Hinterland - dazu zählen tatsächlich Bayern und BadenWürttemberg - verbinden. ({1}) Herr Bartsch, Sie haben mit Ihrer Partei in Mecklenburg-Vorpommern acht Jahre Verantwortung getragen. ({2}) Mit einem der wichtigsten Verkehrswege, der A 14 von Wismar nach Magdeburg, ist man in dieser Zeit gerade mal 15 Kilometer vorangekommen. Der Bau der Fehmarnbeltquerung wird für Mecklenburg-Vorpommern nur dann von Bedeutung sein, wenn zeitgleich der Bau der A 14 fertiggestellt wird. ({3}) Das Gleiche gilt auch aus schleswig-holsteinischer Sicht. Die Fehmarnbeltquerung nützt nichts, wenn man nicht parallel dazu die A 20 über Hamburg mit einer vierten Elbquerung nach Stade führt. Das heißt, wir brauchen die Verkehrswege, um den Warentransport aus dem Süden zur Ostsee und wieder zurück zu organisieren. Ich nenne noch eine eindeutige Zahl. Beim Transport auf der Straße entstehen 80 Prozent der Kosten, beim Seeweg sind es nur 20 Prozent. Das ist der entscheidende Punkt, über den man nachdenken muss. Vor diesem Hintergrund brauchen wir die entsprechenden Verkehrswege. ({4}) Wenn man sich die Anträge anschaut, die uns vorliegen - darin geht es auch um viele andere Fragen, etwa die Munitionsbergung in der Ostsee; Herr Steenblock, Sie haben das angesprochen -, stellt man fest: Es gibt nur eine Möglichkeit, um die Debatte zu einem sinnvollen Ergebnis zu führen, nämlich die, dass wir heute gemeinsam dem Antrag der FDP zustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Ostseetourismus boomt. Nach der Karibik und dem Mittelmeer hat sich die Ostsee zur drittgrößten Kreuzfahrtregion der Welt gemausert. Ähnlich positiv sieht es bei der Zahl der Übernachtungen rund um die Ostsee aus. Mit unserem heute vorgelegten Antrag „Die Tourismusregion Ostsee voranbringen“ wollen wir diesen Aufwärtstrend nachhaltig festigen und den Ostseetourismus weiter stärken. ({0}) Potenziale hierfür sind reichlich vorhanden. Das Mare Balticum war schon zu Zeiten der Hanse kein trennendes, sondern ein verbindendes Meer. Es gab erbitterte Kriege und Seeschlachten - ja -, aber es gab auch Kaufleute, die das Meer für ihre Handelsbeziehungen entdeckten und dazu beitrugen, dass sich rund um die Ostsee eine gemeinsame Kultur entwickelte. Der machtvolle Städtebund der Hanse, dem meine Heimatstadt Lübeck als „Königin der Hanse“ vorstand, prägte über 300 Jahre das wirtschaftliche und kulturelle Leben. Diese Identität ist bis heute spürbar und macht das Einmalige der Ostseeregion aus, das auch die vielen Touristinnen und Touristen wie ein Magnet anzieht. Mein Vorvorgänger im Deutschen Bundestag, der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Björn Engholm, hat diese Idee schon sehr früh aufgenommen, ganz sicher noch vor Herrn Genscher. ({1}) Als es noch die Trennung in Ost und West gab, hat sich Engholm bereits ganz stark und nachhaltig für ein Zusammenwachsen der Ostseeregion eingesetzt. ({2}) Beispiele hierfür sind die Initiative Ars Baltica, die unterschiedlichste kulturelle Aktivitäten in den Ostseeländern fördert und die Vielfalt und Lebendigkeit dieses Kulturraums belegt, oder auch die Wiederbelebung der Hansetage, die heute jährlich in einer der vielen Hansestädte abgehalten werden. Diese und viele andere Initiativen haben sich insbesondere auf den Kulturtourismus positiv ausgewirkt. Das belegen die vielen Studien- und Kulturreisen von Deutschland in die anderen Anrainerstaaten der Ostsee und umgekehrt. All das muss sich aber noch stärker im Tourismusmarketing niederschlagen. Wir wollen die gemeinsame kulturelle Identität noch sichtbarer und touristisch noch erlebbarer machen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr Austausch war schon für unsere hanseatischen Vorfahren der Schlüssel zum Erfolg. Wir sollten uns an ihnen ein Beispiel nehmen. Die touristische Zusammenarbeit zwischen Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und auch Hamburg ist durchaus noch ausbaufähig. Auch international gibt es noch Reserven zur Verbesserung der Kooperation mit den Anrainern. Aus Konkurrenten um Gäste müssen Verbündete werden, wenn wir uns im internationalen Wettbewerb als Ostseeregion langfristig erfolgreich aufstellen wollen. Die Voraussetzungen sind gut: Die Ostsee ist die Boomregion im Güter- und Personenverkehr. Das belegen die Umschlagszahlen in den Häfen wie zum Beispiel in Lübeck, Rostock und Kiel. Schiffe zählen zwar zu den umweltverträglicheren Verkehrsmitteln. Wenn man aber das starke Wachstum der Ostseeverkehre betrachtet, wird schnell klar, dass Sicherheit und Umweltschutz im Schiffsverkehr immer wichtiger werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heilmann von der Fraktion Die Linke?

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. - Wir setzen uns deshalb in unserem Antrag für bessere Luft und weniger Schiffslärm in den Häfen und auf See ein. Wir fordern die Bundesregierung auf, hier ihre internationalen Bemühungen zu verstärken. Wir müssen uns auch auf eine Zunahme des Sport- und Freizeitschiffsverkehrs einstellen. Deshalb wollen wir auch hier die Standards erhöhen und vor allen Dingen einheitlichere Standards schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem 20-Punkte-Programm bringen wir dem Ostseetourismus frischen Wind in die Segel. Unterstützen Sie unseren Antrag, und machen Sie Urlaub an der Ostsee! Schöne Ferien! ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Klimke, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schiffssicherheit, Fischerei, Häfen und Werften sind das eine, was man mit der Ostsee verbindet. Aber wenn man den Deutschen auf der Straße fragt, was ihm zur Ostsee einfällt, dann sagt er in erster Linie: Urlaub. Insofern ist es gut, dass wir den touristischen Aspekt in Bezug auf die Ostseeregion hier noch einmal betonen können und auch in die Beratungen der Ostseeparlamentarierkonferenz einbringen werden. Die Kollegin Hiller-Ohm hat es eben schon deutlich gemacht: Die Ostsee ist eine einmalige Perle, ein ungeschliffener Diamant in Bezug auf den Tourismus. Ich scheue mich nicht, das Potenzial der Ostsee mit dem des Mittelmeeres oder auch der Karibik zu vergleichen. ({0}) Denn die Ostseeregion bietet wunderbare, unberührte Natur, herrliche Strände, historische Bäderarchitektur, die Hansestädte und viele Gebäude der berühmten Backsteingotik, die hohen touristischen Wert haben. Die Schönheit dieser Region liegt auch darin begründet, dass die Küste nicht zugebaut ist; außerdem haben wir ein ganz besonderes Licht wie in den weißen Nächten in St. Petersburg. Zudem gibt es viele Kulturveranstaltungen und zahlreiche Festivals. Ganz wichtig ist, dass man im Ostseeraum auch in der Zeit nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs nicht die Fehler gemacht hat, die zum Beispiel am Mittelmeer gemacht worden sind, wo die Küste zugebaut worden ist, wo aus Fischerdörfern Bettenburgen wurden und unberührte Küstenabschnitte mit touristischen Anlaufstellen übersät worden sind. Die Ostsee bietet nach wie vor ein sehr großes Naturerlebnis. Dieses sollten wir gemeinsam mit den Tourismuspolitikern in den anderen Ostseeanrainerstaaten bewahren. Außerdem sollten wir das Einzigartige der Ostsee fördern, indem wir die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige, qualitativ hochwertige, aber auch behutsame Entwicklung schaffen. ({1}) Dazu brauchen wir mehr Kooperation im Marketing, bessere und schnellere Verkehrsanbindungen - das gehört einfach dazu, auch wenn wir über die Fehmarnbeltbrücke noch an anderer Stelle diskutieren werden; die Verkehrsinfrastruktur muss eindeutig verbessert werden - und mehr Partnerschaften, also ein noch stärkeres Miteinander der Menschen. Erster Punkt. Im Rahmen eines länderübergreifenden Marketings sind Strategien der Ostseeanrainer notwendig, zum Beispiel im Bereich des Kreuzfahrttourismus. Warum sollen Südamerikaner und Asiaten nicht sehr viel mehr über die Möglichkeiten einer Kreuzfahrt auf der Ostsee statt in der Karibik oder im Mittelmeer informiert werden? Das wäre ein ganz wichtiger Punkt. Zweiter Punkt. Eine wichtige Voraussetzung, die bislang fehlt, sind verlässliche Touristenzahlen in diesem Bereich. Eine Grundlage für ein gutes Marketing ist zu wissen, wie sich die Touristenströme in den letzten Jahren entwickelt haben; Ankunfts-, Übernachtungs- und Umsatzzahlen müssen dazu erhoben und veröffentlicht werden. Mein dritter Punkt umfasst - ich habe es eben angesprochen - die Verkehrsträger. Man mag dazu stehen, wie man will; aber durch die Ostseeautobahn, Kollege Rehberg, bieten sich für Mecklenburg-Vorpommern ganz neue touristische Möglichkeiten. Dadurch konnten neue Quellmärkte erschlossen werden, nicht nur für den 14-Tage-Urlaub, sondern auch für Wochenendreisen und Tagesausflüge. Das ist mit einem Verkehrsträger wie der Autobahn besser erreichbar als mit einer einfachen Landstraße. Das wissen wir. Es geht aber nicht nur um Straßen, es geht auch um die Schiene. Wir brauchen ein dichteres Schienennetz, und wir müssen versuchen, die Ostsee stärker an die europäischen Verkehrsnetze anzuschließen. Letzter Punkt. Ich habe es gerade angesprochen: Wir wollen die Städtepartnerschaften und den Jugendaustausch stärker voranbringen, um die menschliche und die kulturelle Verbindung, das Kennenlernen und das Wiedersehen zu fördern. ({2}) Das sind die wesentlichen Punkte, die in unserem Antrag eine Rolle spielen. Ziel ist, die Ostsee noch attraktiver und bekannter zu machen. Ich freue mich ganz besonders, dass die FDP das auch so sieht und unserem Antrag zustimmt. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5910 mit dem Titel „Ostseekooperation weiter stärken und Chancen nutzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5906 mit dem Titel „Die Tourismusregion Ostsee voranbringen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 c. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5251 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({0}), Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Wiedereinführung der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente - Drucksache 16/5903 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Volker Schneider, Fraktion Die Linke, das Wort. ({2})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rentenpolitik in den letzten 15 Jahren heißt im Ergebnis: zusätzliche Lasten für Arbeitnehmer und zukünftige Rentnergenerationen, Entlastung der Arbeitgeber. ({0}) Das wird langfristig einschneidende Folgen für Einkommen und Vermögen der zukünftigen älteren Generationen haben. Berechnungen prognostizieren selbst unter der Annahme ununterbrochener Erwerbsverläufe und unter voller Ausnutzung der Fördermöglichkeiten ein sinkendes Niveau des Nettoeinkommens im Alter, sodass aufgrund einer zunehmenden Einkommensungleichheit ein steigendes Armutsrisiko im Alter befürchtet werden muss. Dieser Satz entstammt nicht etwa meiner Feder, er ist dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zum Altenbericht entnommen. ({1}) Das ist ein bemerkenswerter Erkenntniszuwachs, wodurch die Frage der Sicherheit von Renten, lieber Kollege Tauss, ein wenig relativiert wird. ({2}) Um die Dramatik dessen deutlich zu machen, was sich da anbahnt: Auch wer ein Leben lang gearbeitet und dabei die Riesterförderung ausgeschöpft hat, ist deshalb noch lange nicht zwingend vor Armut im Alter geschützt. Wer aktuell mit 45 Beitragsjahren in Rente geht und sein Leben lang immer Durchschnitt verdient hat - für 2007 wurde das Durchschnittsentgelt in der Rentenversicherung vorläufig auf 2 457 Euro festgesetzt -, würde als Mann im Westen aktuell eine Rente von immerhin noch 1 061 Euro erhalten. Um eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung zu erhalten - da wären, Miet- und Heizkosten eingerechnet, aktuell 664 Euro anzusetzen -, müsste der gleiche Rentner 28 Beitragsjahre nachweisen können. Dank fortgesetzten Reformmurkses werden dies künftig 37 Jahre sein. Wer von einer Dreiviertelstelle, also einem Einkommen von 1 843 Euro leben muss, würde dieses Grundsicherungsniveau, selbst wenn er ununterbrochen arbeiten würde, erst nach 48 Beitragsjahren erreichen. Nur am Rande sei erwähnt, dass eine Verkäuferin im Einzelhandel in NRW bei Vollzeitbeschäftigung zwischen 1 411 und 2 006 Euro verdient. Wie es mit deren Rentenansprüchen aussieht, lässt sich leicht ausrechnen. Das Vertrauen der Menschen in die gesetzliche Rentenversicherung haben Sie mit einer solchen Politik gründlich zerstört. Im Januar dieses Jahres hatten laut Allensbach 88 Prozent der Bevölkerung kein oder wenig Vertrauen in die Zukunft der gesetzlichen Rente. Leider ist das nicht nur ein ungutes Gefühl, sondern entspricht harten Daten und Fakten. Die Politik hat sich von dem Ziel, den Menschen im Alter ein Leben in Würde zu ermöglichen, verabschiedet. Für uns Linke ist das ein Skandal. ({3}) Stattdessen lautet der einzige handlungsleitende Grundsatz: Die Beiträge zur Rentenversicherung sollen aktuell nicht über 20 Prozent und im Jahr 2030 nicht über 22 Prozent steigen. 1992 ging man davon aus, dass es für die Sicherung eines angemessenen Rentenniveaus ab dem Jahr 2040 eines Beitragssatzes in Höhe von 26 bis 28 Prozent bedürfe. Seinerzeit war die Politik der Auffassung, dass dies Arbeitnehmern wie Arbeitgebern zugemutet werden könne. Die Linke vertritt auch heute diese Auffassung. Kollege Stiegler hat die Linke gestern hier im Haus heftig dafür angegriffen und dabei zumindest nicht dem Eindruck entgegengewirkt, wir wollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer stärker belasten. Das ist natürlich schlicht ein Schmarren; denn die Arbeitnehmer zahlen bereits heute und nicht erst 2030 9,95 Prozent für die Rentenversicherung und nach Abzug der staatlichen Förderung weitere 3 Prozent für die Riesterrente. Im Jahr 2030 werden es 11 Prozent plus 3 Prozent sein. Das macht 14 Prozent. Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass sie, weil sie künftig ein deutlich niedrigeres Rentenniveau erwarten müssen, weitere 3 Prozent für die private Vorsorge aufbringen müssen. Insgesamt sind das also 17 Prozent. Die Arbeitnehmer würden durch unsere Forderungen also nicht belastet, sondern entlastet. Richtig ist: Wir wollen die Parität wiederherstellen. Das würde die Arbeitgeber belasten, weshalb Herr Stiegler gleich wieder 1 Million Arbeitsplätze in Gefahr sieht. Die Frage der Lohnnebenkosten wird da wieder bemüht. Ich möchte das ganz kurz an einem Beispiel aus einer arbeitsintensiven Branche verdeutlichen: Bei uns im Saarland verdient ein Heizungsinstallateur aktuell 10,97 Euro pro Stunde. Die Lohnzusatzkosten würden bei einem Anstieg des Beitrags auf 28 Prozent im Vergleich zu einem Anstieg auf 22 Prozent - dieser Beitragssatz ist in Ihren Modellen angedacht - um 49 Cent höher liegen. Der Ehrlichkeit halber rechnen wir 14 Cent für die unproduktiven Zeiten wie Urlaub usw. hinzu. Zusammen macht das also 63 Cent. Herr Stiegler behauptet also, dass aufgrund dieser 63 Cent 1 Million Arbeitsplätze verloren gehen würden. Ich mache folgendes Gegenbeispiel auf: Der Lohn für die Handwerkerstunde liegt nach Berücksichtigung des Gewinnzuschlags und der allgemeinen Geschäftskosten ohne Umsatzsteuer bei 40 Euro. Vor der Mehrwertsteuererhöhung kostete die Handwerkerstunde 46,40 Euro, jetzt kostet sie 47,60 Euro. Das ist eine Differenz von 1,20 Euro. Nach der simplen Logik von Herrn Stiegler entspricht das rund 2 Millionen zusätzlicher Arbeitsloser. Volker Schneider ({4}) Das Problem ist also nicht, dass wir uns höhere Renten nicht erlauben können, sondern dass wir sie politisch nicht wollen. Die Linke will höhere Renten. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Weiß, CDU/CSUFraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 1987 hat die damalige - übrigens unionsgeführte Bundesregierung bei der Prognos AG ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Auswirkung des absehbaren demografischen Wandels in Deutschland auf die Rente zu untersuchen. Prognos hat damals vorausgesagt, dass der Beitragssatz, wenn wir nichts ändern, bis zum Jahr 2030 auf mindestens 36,6 Prozent ({0}) oder sogar auf 41,7 Prozent steigen würde. Diese Zahlen machen deutlich: Es musste gehandelt werden. Die jungen Menschen - einige Schulklassen sind auf der Besuchertribüne anwesend - werden die Solidarität aufkündigen, wenn sie von ihren Löhnen neben der Steuer, dem Beitrag zur Krankenversicherung und anderen Sozialversicherungen 40 Prozent an die Rentenkasse zahlen müssen. ({1}) Damit die Solidarität der Generationen auch in Zukunft möglich ist, bauen wir zu Recht schrittweise das System der deutschen Altersversorgung um. Wir haben gesetzlich festgelegt - gerade um den Jungen die Lust an der Rente nicht ganz auszutreiben -, dass der Beitragssatz nicht über 22 Prozent steigen darf und dass neben die gesetzliche Rente eine zweite und dritte Säule der Alterssicherung treten: eine betriebliche sowie eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge, die zusammen Lebensstandardsicherung im Alter garantieren und das Absinken in Altersarmut verhindern werden. Das ist die klare Antwort an Die Linke, die diesen Antrag vorgelegt hat. Zu diesem Reformweg gibt es, wenn man Generationensolidarität ernst nimmt, keine seriöse Alternative. ({2}) Die OECD hat uns Deutsche in ihrer jüngsten Studie ausdrücklich für diesen Weg gelobt. Sie schreibt: Deutschland hat in den vergangenen Jahren im Vergleich zu den meisten OECD-Ländern umfassende Strukturreformen im Rentensystem beschlossen und so wichtige Fortschritte auf dem Weg zur Nachhaltigkeit des Systems gemacht. Wer in der Rentenpolitik die Uhr zurückdrehen will, provoziert bewusst einen Kampf der Generationen gegeneinander und zerstört das Solidarprinzip, das die Grundlage unserer Sozialversicherungssysteme bildet. Das ist in Wahrheit die Absicht der Linken. Sie wollen nicht die Rente sichern, Sie wollen die Grundlagen unserer Sozialversicherung kaputtmachen, indem Sie das Solidarprinzip bewusst infrage stellen. ({3}) Würde man dem vorliegenden Antrag folgen, würde das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland bedeuten, dass sie über 50 Milliarden Euro mehr bezahlen müssten und dass wir aus der Bundeskasse über 10 Milliarden Euro zusätzlich in die Rentenkasse geben müssten. Um es klar und eindeutig zu sagen: Eine Umsetzung dieses Antrages würde ein finanzielles Fiasko für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land wie auch für die Bundeskasse bedeuten. Der Weg, die Alterssicherung der Zukunft nicht nur auf eine, sondern auf drei starke Säulen zu stellen - gesetzliche Rente, Betriebsrente und private Vorsorge -, ist richtig und übrigens auch sicherer. Die OECD führt in ihrer Studie aus, dass der Wechsel von einer Säule auf drei Säulen eine sehr gute Entscheidung ist und dass dies mehr OECD-Länder machen sollten, weil so die Risiken und Lasten im System viel besser verteilt werden. Im Klartext: Der Antrag fordert eine Rolle rückwärts in der Rente. Das würde ein Mehr an Unsicherheit für künftige Rentnerinnen und Rentner bedeuten. Das Dreisäulenmodell sorgt für mehr Sicherheit. Die Große Koalition geht deswegen auch einen konsequenten und erfolgreichen Weg des weiteren Aufbaus der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung. ({4}) - Herr Kollege Tauss, egal wann oder wo angefangen worden ist: Wichtig ist, dass angefangen worden ist. Wir setzen diesen erfolgreichen Weg gemeinsam fort. Der Anteil der Beschäftigten mit einer Betriebsrentenanwartschaft liegt heute bei 65 Prozent; vor etlichen Jahren lag er noch deutlich unter 50 Prozent. Dieser Zuwachs bei den Betriebsrentenanwartschaften in den letzten Jahren ist wesentlich auf die steuer- und beitragsfreie Entgeltumwandlung zurückzuführen. Deshalb werden wir diesen erfolgreichen Weg fortsetzen. Wir fördern die Betriebsrente in einem Ausmaß, gerade auch für die Geringverdiener, wie es früher nicht der Fall war. Deswegen haben wir beim Aufwuchs der Betriebsrente diesen Erfolg, und den wollen wir fortführen. ({5}) Die Inanspruchnahme der Riesterrente, also der privaten kapitalgedeckten Vorsorge, hat sich vor allen Dingen in den letzten zwei Jahren rasant entwickelt. Allein von April 2006 bis März 2007 sind 2,3 Millionen Riesterverträge abgeschlossen worden, ({6}) Peter Weiß ({7}) sodass wir heute einen Bestand von 8,5 Millionen Verträgen haben. ({8}) Auch hier setzt die Große Koalition klare Akzente. Ab dem nächsten Jahr wollen wir zum Beispiel den Förderbetrag, den der Staat einem Arbeitnehmer pro Kind schenkt, auf 300 Euro jährlich erhöhen, um damit möglich zu machen, dass gerade Familien mit Kindern einen Vertrag für eine Riesterrente abschließen können. Dass die Förderung zielgerichtet wirkt, belegen übrigens aktuelle Auswertungen des Personenkreises der Zulagenempfänger. Geringverdiener, Frauen und Förderberechtigte mit Kindern sind demnach deutlich überrepräsentiert, also Personengruppen, die in der Regel erst mithilfe der Zulagenförderung durch den Staat in die Lage versetzt werden, sich eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen. Bei der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung in der letzten Woche sind die ersten Ergebnisse einer Studie zur Altersvorsorge in Deutschland vorgestellt worden. ({9}) Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung hat zu Recht zusammenfassend ausgeführt, dass die künftigen Rentnerinnen und Rentner im Durchschnitt geringere Anwartschaften aus der gesetzlichen Rente haben, dass dies aber im Wesentlichen durch einen deutlichen Anstieg der Höhe ihrer Anwartschaften in anderen Systemen, vor allem in der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge, ausgeglichen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden in der Rentenpolitik keine Rolle rückwärts machen. Was Die Linke verspricht, ist ein nicht gedeckter Scheck auf die Zukunft, ({10}) den die Jugendlichen künftig als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einlösen müssen. ({11}) Unsere Politik ist eine andere. Wir wollen in unserem Land zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein zukunftsfähiges System mit einer starken staatlichen Unterstützung und Förderung aufbauen, damit Altersarmut auch in Zukunft ein Fremdwort bleibt. Mit diesem Schlusswort möchte ich Ihnen allen am letzten Sitzungstag des Deutschen Bundestages vor der Sommerpause gute Erholung wünschen und Ihnen sagen: Der Weg, den wir in den letzten Jahren in der Rentenpolitik beschritten haben, indem wir die Rente auf drei starke Säulen gestellt haben, ist zukunftssicher. Wenn man diesen Weg geht, kann man auch beruhigt in den Urlaub fahren. Vielen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sowohl das Ziel des Antrags der Linken, ein Nettoniveau der gesetzlichen Rentenversicherung von 70 Prozent, als auch die damit verbundene Konsequenz, ein Beitragssatz der Rentenversicherung von 28 Prozent, sind als nicht mit dem aktuellen Diskussions- und Erkenntnisstand vereinbar abzulehnen. Kollege Schneider, auch die Begründung dieser Forderung der Linken, im neuesten OECD-Bericht zur Entwicklung der Rentensysteme in der OECD werde vor künftiger Altersarmut in Deutschland gewarnt, ist bei näherem Hinsehen obsolet. Man kann an einem nicht vorbei: Die von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge auf 28 Prozent wäre trotz all Ihrer rhetorischen Versuche der Marginalisierung, die Sie unternommen haben, letzten Endes stark wachstumshemmend und würde Arbeitsplätze in Deutschland vernichten. ({0}) - Herr Schneider, hinzu kommt, dass auch Sie nicht mehr als 100 Prozent verteilen können. Wenn wir zulassen, dass der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung auf 28 Prozent steigt, wenn der Beitragssatz der Krankenversicherung schon heute 15 Prozent beträgt - Tendenz: stark steigend -, wenn der Beitragssatz der Pflegeversicherung erhöht wird und wenn jeder Bürger aus seinem Arbeitseinkommen auch noch Steuern zahlen soll, dann wird es mit Blick auf diese 100 Prozent wirklich schon eng. ({1}) Herr Kollege Schneider, auf Seite 13 des OECD-Berichts wird ganz klar konstatiert, dass die Höhe der Renten in Wirklichkeit vom Wirtschaftswachstum, von der Lohnentwicklung und von der Inflation bestimmt wird. Dem ist aus meiner Sicht zuzustimmen. Die Vermeidung von Altersarmut kann effektiv nur über die Schaffung von Wachstum und mehr Arbeitsplätzen erreicht werden. Die beliebige Anhebung des Beitragssatzes der Rentenversicherung und der Lohnersatzquote ist im Kern nur eine Scheinlösung. Wenn für die Linken gilt, je mehr, desto besser, dann frage ich Sie, warum Sie nicht gleich einen Beitragssatz in Höhe von 30 Prozent fordern. Dann ließen sich sogar Versorgungsniveaus von mehr als 70 Prozent finanzieren. Ihre Forderung ist willkürlich und macht aus meiner Sicht keinen Sinn. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne. Das gibt mir die Gelegenheit, einen Schluck Wasser zu trinken.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Kolb, Sie haben gerade gesagt: Es kann doch nicht sein, dass die Rentenbeiträge bis zum Jahr 2040 auf 28 Prozent steigen. Würden Sie mir konzedieren, dass die Arbeitnehmer schon jetzt einen Rentenversicherungsbeitrag von 12,95 Prozent zahlen? Denn wir müssen die 4 Prozent, die zahlt, wer einen Riestervertrag abschließt - diese werden vermehrt um die staatliche Förderung -, realistischerweise draufrechnen. Wenn wir das Defizit, das wir in der zukünftigen Rente haben werden, zusätzlich absichern wollten, zum Beispiel durch Betriebsrenten, kämen weitere 3 Prozentpunkte drauf. Im Jahr 2030 soll der Rentenversicherungsbeitrag bei 11 Prozent liegen. Dann komme ich auf 11 Prozent plus zweimal 3 Prozent gleich 17 Prozent für die Arbeitnehmer und 11 Prozent für die Arbeitgeber macht zusammen 28 Prozent. Können Sie mir erklären, warum es des Teufels sein soll, wenn man diese 28 Prozent zu gleichen Teilen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt - dass also beide 14 Prozent zahlen -, und warum es besser sein soll, wenn die Arbeitnehmer 17 Prozent zahlen, während die Arbeitgeber nur 11 Prozent zahlen?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das macht die Sache nicht besser. Aber Tatsache ist, dass bei einer paritätischen Belastung, wie man sie bei einem Anheben des Rentenversicherungsbeitrages hätte, die Lohnnebenkosten stiegen. Ich gehe nicht so weit wie Oskar Lafontaine, der, wenn ich mich recht erinnere, vor zwei Tagen im „Handelsblatt“ im Zusammenhang mit Lohnnebenkosten von „Wortdreck“ gesprochen hat. Ich meine, dass die Lohnnebenkosten für die Kalkulation der Unternehmen eine Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, über das Maß der Beschäftigung zu entscheiden, das wir in unserem Lande erreichen können. Deswegen ist der Weg, den die rot-grüne Koalition in der letzten Legislaturperiode beschritten hat, richtig. ({0}) - Klatschen Sie nicht zu früh, Herr Kollege Tauss. - Es ist richtig, von der paritätischen Finanzierung abzurücken ({1}) und auf dem Wege der Riesterrente eine durch die Arbeitnehmer selbst finanzierte private Zusatzvorsorge einzuführen. Ihr Modell dagegen wird - das ist meine feste Überzeugung - für die Unternehmen am Schluss teurer und verringert damit die Möglichkeiten, mehr Beschäftigung in unserem Lande zu erreichen. ({2}) Ein Zweites: Mit den Maßnahmen, die Sie in Ihrem Antrag fordern, würden Sie jede Möglichkeit der individuellen Gestaltung der Vorsorge ersticken. Vielleicht will jemand im Alter gar nicht 70 Prozent Lohnersatz zur Verfügung haben, oder vielleicht will jemand mehr haben. Warum soll allen die gleiche Form der Altersvorsorge per Gesetz aufgezwungen werden? Sie wissen: Wer im Alter ein Eigenheim nutzen kann, braucht weniger liquide Mittel als jemand, der das nicht hat. Doch die Möglichkeit, Wohneigentum zu erwerben, wird durch einen Rentenversicherungsbeitrag von 28 Prozent, wie er nach Ihrem Modell vorgesehen ist, deutlich eingeschränkt. Das führt mich zu einem weiteren Punkt: Die Altersvorsorge über die gesetzliche Rente stellt sich insbesondere für Geringverdiener als ein vergleichsweise schlechtes Geschäft dar, da das Umlageverfahren in Zukunft keine Rendite mehr oder allenfalls noch geringe Renditen erbringt - je nachdem, welche Berechnungsmethode man zugrunde legt. In der privaten, geförderten Vorsorge ist dagegen weiterhin eine Rendite zu erwarten, gerade für Geringverdiener, wie folgendes Beispiel zeigt: Wer als Alleinstehender bis zu 1 500 Euro brutto verdient und in die geförderte, private Altersvorsorge 47 Euro monatlich bzw. 564 Euro jährlich investiert, erhält ab 2008 154 Euro Zuschlag und kommt damit auf eine Ansparsumme von fast 720 Euro pro Jahr. Für Familien mit Kindern erhöht sich die Zulage je nach Kinderzahl: Bei einem Kind muss ein Alleinstehender nur noch 381 Euro jährlich, das sind 31,75 Euro monatlich, investieren, um auf die entsprechende Ansparsumme zu kommen. Das zeigt, der Hebel und damit auch die Rendite ist in der privaten, geförderten Vorsorge ungleich höher. Zum Schluss will ich auf den Anlass für Ihren Antrag eingehen: den OECD-Bericht mit der Überschrift „Renten auf einen Blick“. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Bericht vor fataler Altersarmut in Deutschland gewarnt werde. Mein Eindruck ist ein anderer: Erstens steht in dem Bericht, dass die finanzielle Tragfähigkeit des deutschen Rentensystems gesichert ist. Das ist, wie eingangs erwähnt, entscheidend. Denn leere Versprechungen, wie sich die Renten im Falle hoher Rentensteigerungen entwickeln würden, standen in den Rentenversicherungsberichten der letzten Jahre genügend. Diese Versprechungen waren aber nicht finanzierbar. Zweitens zeigt der Bericht, dass die Altersvorsorge in Deutschland, wenn man die Summe aus gesetzlicher Rente und geförderter Zusatzversorgung betrachtet, sehr wohl eine Lohnersatzrate erreicht, die im Durchschnitt der OECD-Länder liegt. Das muss am Ende der Vergleichsmaßstab sein. In Ländern wie den Niederlanden wird zudem die Lebensstandardsicherung über BetriebsDr. Heinrich L. Kolb renten in die Berechnung einbezogen. Würde man für Deutschland die Betriebsrenten mit berücksichtigen, stünden wir im Vergleich noch besser da. Bereits heute macht die gesetzliche Rente nur noch 67 Prozent der Bruttoalterseinkommen der gesetzlich Versicherten aus. Zusammenfassend möchte ich sagen: Der vorgelegte Antrag beruht in seiner Analyse auf bewussten Auslassungen von Tatsachen und auf Überspitzungen. In den Forderungen ist er völlig kontraproduktiv. Er würde eine Zunahme der Arbeitslosigkeit und auf diesem Wege verstärkte Altersarmut verursachen. Er führt zu mehr Bevormundung und zu weniger Freiheit. Er will den Menschen den letzten Spielraum in ihrer Lebensgestaltung nehmen. Er ist deshalb abzulehnen. Ich wünsche Ihnen ebenfalls eine gute und erholsame Sommerzeit. Genießen Sie die Tage bei hoffentlich besserem Wetter als heute. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Gregor Amann für die SPD-Fraktion. ({0})

Gregor Amann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003731, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erst vor zwei oder drei Wochen haben wir hier über fast das gleiche Thema geredet - ebenfalls auf Antrag der Linken. Heute versuchen Sie mit einem Antrag, der absolut nichts Neues enthält, die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause um jeden Preis zu verlängern. ({0}) Es mag ja sein, dass Sie lieber hier im Plenum sitzen, als in Ihren Wahlkreis zu fahren, aus Angst, Sie könnten dort Kontakt mit der Realität bekommen oder gar einem Bürger begegnen. ({1}) Wir Sozialdemokraten haben diese Angst nicht. Im Gegenteil: Ich freue mich darauf, in den nächsten Wochen mit meinen Wählerinnen und Wählern Gespräche zu führen. Ehrlich gesagt zeigen die meisten Menschen in meinem Wahlkreis mehr Verständnis und sogar Zustimmung für die Rentenpolitik dieser Regierung als Sie. ({2}) Sie versuchen wieder einmal, den Menschen Angst und Schrecken einzujagen. Dabei gibt es kaum ein Thema, das sich für Panikmache weniger eignet als dieses. Es geht darum, wie unsere materielle Versorgung aussieht, wenn wir alt sind und unseren Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen können. Sie berufen sich auf eine aktuelle Studie der OECD und stellen deren Aussagen auf den Kopf. Aber, wie gesagt, das ist nichts Neues; wir haben darüber erst vor Kurzem diskutiert. ({3}) Denn die Kernaussage der OECD-Studie, Herr Schneider, ist ein Lob für die Rentenpolitik dieser Regierung, ({4}) insbesondere für den mutigen Schritt der Anhebung des Renteneintrittalters auf 67 Jahre. In der Begründung Ihres Antrags heißt es: Infolge der rot-grünen Rentenpolitik kann die gesetzliche Rente in Zukunft den Lebensstandard der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter und bei voller Erwerbsminderung nicht mehr sichern. Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht. Das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente wird in den nächsten Jahren abnehmen. Es wäre unehrlich und unredlich, dies zu verschweigen. Aber das ist keine Folge rot-grüner Rentenpolitik - auch nicht rot-schwarzer Rentenpolitik -, sondern eine Folge der dramatischen demografischen Veränderungen in unserem Land, welche das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung an seine Grenzen führen. Die angesprochene demografische Entwicklung also - das Absinken der Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung in unserem Land - ist die wirkliche Ursache, weshalb mein Jahrgang und nachfolgende Altersgruppen nicht mehr die gleiche Absicherung durch die gesetzliche Rente erwarten können wie die heutigen Rentner. Das Umlageverfahren benötigt, damit es funktioniert, eine klassische Bevölkerungspyramide mit einer breiten Basis von jungen Menschen im Arbeitsleben und einer schmalen Spitze von Rentenbeziehern. Genau im Hinblick darauf greift der von Ihnen im Antrag kritisierte Nachhaltigkeitsfaktor korrigierend ein. Er berücksichtigt nämlich das Zahlenverhältnis von Beitragszahlern zu Rentenbeziehern durch die Einführung des sogenannten Rentnerquotienten; das ist die Zahl der Rentner im Verhältnis zur Anzahl der Beitragszahler. Steigt der Rentnerquotient, so erhöhen sich die Renten in einem geringeren Ausmaß als die Bruttolöhne. Diese Orientierung der Rentenanpassung am Rentnerquotienten ist sinnvoll, da die Entwicklung dieser Maßzahl in einem umlagefinanzierten System einen direkten Einfluss auf den Beitragssatz hat. ({5}) Dabei gibt es übrigens auch eine Sicherungsklausel, mit der dafür gesorgt wird, dass die Anwendung des Nachhaltigkeitsfaktors nicht zu einer Absenkung des Rentenwertes führt. Der Nachhaltigkeitsfaktor ergibt sich also aus der Logik des Umlageverfahrens. Wir haben sowohl im Plenum als auch im Ausschuss wiederholt versucht, Ihnen die Funktionsprinzipien der umlagefinanzierten Rentenversicherung zu erläutern. ({6}) Es ist uns nicht gelungen. Ich finde, wir sollten zukünftig nicht noch mehr wertvolle Zeit dieses Hohen Hauses dafür verwenden. Ich habe deshalb einen Vorschlag für Sie. Die Deutsche Rentenversicherung Bund bietet in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Volkshochschulverband bundesweit Kurse zur Altersvorsorge an. Über 500 Volkshochschulen in der Bundesrepublik beteiligen sich daran. Eine davon muss in Ihrer Nähe sein. ({7}) Besuchen Sie doch einen dieser Kurse. Dann können wir uns vielleicht manche Debatte hier im Plenum sparen. Die Autoren des vorliegenden Antrags schlagen eine andere Lösung vor. Sie wollen die Deckelung des Beitragssatzes aufheben. Mit anderen Worten: Die durch die demografische Entwicklung entstehenden Finanzierungslücken sollen einfach dadurch gestopft werden, dass der Beitragssatz immer weiter angehoben wird. ({8}) Wer das ernsthaft fordert, der macht Kinder zu Leibeigenen ihrer Eltern und Großeltern; denn die Jungen werden dann einen immer höher werdenden Anteil ihres Bruttolohns für die Rente der Ältern ausgeben müssen und nicht mehr für sich selbst vorsorgen können, geschweige denn eine Familie gründen, ein Haus bauen oder die Erziehung ihrer eigenen Kinder finanzieren können. ({9}) Darüber hinaus ist das auch ökonomischer Unsinn. Unser Ziel muss es sein, die Lohnnebenkosten in Deutschland zu senken. Wer so leichtfertig für eine Steigerung der Lohnnebenkosten eintritt, der darf sich anschließend nicht über die daraus resultierende Massenverlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland beklagen. ({10}) Natürlich müssen wir wachsam sein und verhindern, dass die Altersarmut wieder in unser Land zurückkehrt. Da wir wissen, dass das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente in den kommenden Jahrzehnten aus den genannten Gründen nicht gehalten werden kann, müssen wir natürlich Anstrengungen unternehmen, um diese Lücke zu stopfen. Meine Vorredner haben es bereits gesagt: Wir tun das. Die gesetzliche Rentenversicherung wird durch staatlich geförderte private Altersvorsorge und betriebliche Altersvorsorge ergänzt. Dabei will ich betonen, dass auch für uns Sozialdemokraten die gesetzliche Rente weiterhin die tragende Säule bleibt. Über 8 Millionen Riester-Verträge gibt es, und die Zahl steigt weiter an. Genauso massiv fördern wir auch die betriebliche Altersvorsorge. Ich bin froh, dass die Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung auch über das Jahr 2008 hinaus beibehalten wird. Deshalb bescheinigt auch die OECD ausgerechnet in der von Ihnen zitierten Studie, dass derjenige, der in Deutschland seine gesetzliche Rente mit privater und betrieblicher Altersvorsorge ergänzt, keine Angst vor Altersarmut haben muss. ({11}) Wenn ich mehr Redezeit hätte, dann könnte ich Ihnen jetzt noch etwas über die erfolgreiche Wirtschaftspolitik dieser Regierung erzählen, durch die die Arbeitslosigkeit zum Sinken gebracht wird. Dies ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für stabile Renten. ({12}) Ich könnte Ihnen auch noch etwas von der 2003 eingeführten Grundsicherung für Ältere als letztem Sicherheitsnetz zum Schutz vor Altersarmut ({13}) und von unseren Anstrengungen zur Familienpolitik - Stichwort: Elterngeld, Kinderbetreuung - erzählen, um den genannten demografischen Entwicklungen entgegenzuwirken. Aus Zeitgründen will ich aber nur noch einen wichtigen Punkt ansprechen - ich bitte da auch die Kollegen von der CDU/CSU, genau hinzuhören -: Nur ordentliche Löhne führen zu anständigen Renten. ({14}) Wer also Altersarmut verhindern will, der muss heute etwas gegen Dumpinglöhne unternehmen und einen Mindestlohn einführen. ({15}) Jetzt schlage ich aber vor, dass wir diese Debatte hier beenden und in unsere Wahlkreise fahren. Verzichten Sie darauf, in den Sommerferien noch mehr unsinnige Anträge aufzuschreiben! Reden Sie stattdessen mit den Menschen, besuchen Sie einen der Volkshochschulkurse, und stellen Sie sich der Realität! Sie werden feststellen, dass die meisten Menschen von uns Politikern nicht erwarten, dass wir ihnen Dinge versprechen, von denen jeder weiß, dass sie nicht realisierbar sind, sondern sie erwarten, dass wir uns der Realität stellen und das tun, was notwendig ist, um die Zukunft zu meistern. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ein bisschen muss die Sommerpause noch warten. Als letzte Rednerin in dieser Debatte spricht nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem heutigen Antrag „Wiedereinführung der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente“ stellt die Linke den Kern ihres rentenpolitischen Programms vor. Sie wollen, wie das „Handelsblatt“ zu Recht kommentiert, „Zurück in die Zukunft“. Um dieses Ziel zu erreichen, schlagen Sie eine Rückkehr zu den Rentenformeln von 1992 - aus der Regierungszeit von Blüm und Kohl - vor. Ich frage mich, warum Sie nicht stattdessen zu dem Stand von 1989 zurückkehren wollen. Denn am 9. November 1989 wurde eine große Rentenreform mit dem Übergang vom Brutto- zum Nettolohnprinzip beschlossen. Das wäre doch ein noch besserer Ansatzpunkt für Sie gewesen. ({0}) - Da war ich auch noch nicht hier. Sie wollen zurück zu einem Nettorentenniveau von 70 Prozent des Erwerbseinkommens. Um dieses Ziel zu erreichen, schlagen Sie einen Beitragssatz für die gesetzliche Rentenversicherung von 28 Prozent vor. Eine solche Maßnahme wird bei der jüngeren Generation sicherlich einen Freudentaumel hervorrufen. Die mittelständischen Betriebe, die heute Arbeitsplätze schaffen, werden darüber bestimmt in wahre Begeisterungsstürme fallen. Übertragen auf andere soziale Sicherungssysteme erreichen Sie damit spielend ein Abgabenniveau von 50 Prozent vor Steuern auf Löhne und Einkommen. Als Kronzeugen für diese unsägliche Politik bemühen Sie die jüngst veröffentlichte OECD-Studie zur Rentenpolitik im Ländervergleich. Die OECD hat zu Recht auf die fehlende Armutssicherung im deutschen Rentenrecht aufmerksam gemacht und entsprechende Korrekturen angemahnt. ({1}) - Dazu komme ich noch. - Sie hat keine pauschale Bewertung vorgenommen. Was Sie - auch Herr Schneider - ansprechen, ist unseriös. Ich zitiere eine wesentliche Aussage aus der OECD-Studie: Deutschland hat mit den Reformen der vergangenen Jahre die finanzielle Nachhaltigkeit des Systems deutlich erhöht. ({2}) Sie, Herr Schneider und Herr Lafontaine, wollen dagegen das Rad zurückdrehen. ({3}) Mit uns ist eine solche Rattenfängerpolitik nicht zu machen. ({4}) Wir Grünen stehen für Strukturreformen, die ältere Beschäftigte nicht auf Kosten der Allgemeinheit aus dem Arbeitsmarkt ausgrenzen. Wir stehen für Verbesserungen, die die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Pflege in der Rentenpolitik bewirkt haben. Wir stehen für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen. Es ist antiquiert, zur Rentenformel aus dem Jahre 1992 zurückkehren zu wollen. Mir wäre es peinlich, Herr Schneider, wenn ich einen solchen Vorschlag gemacht hätte. ({5}) Die Menschen wollen nicht, dass Politik ihnen etwas vorgaukelt. Wir brauchen Veränderungen an den Schwachstellen der aktuellen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. An dieser Stelle wende ich mich zur anderen Seite des Hauses. ({6}) Wir brauchen in der Rentenpolitik Maßnahmen, die individuell vor Armut schützen, von der, wie wir wissen, vor allem die Geringverdienenden betroffen sind. Notwendig sind auch eine Angleichung der Rentenwerte zwischen Ost und West und weitere Schritte zu einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen. ({7}) Wir müssen die Rentenversicherung schrittweise zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterentwickeln. Viele Selbstständige - etwa solche in unsteten Jobs - haben keine Alterssicherung. Sie brauchen eine Erwerbstätigenversicherung. Als ersten Schritt erwarten wir von der Großen Koalition die Rücknahme der Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge von Langzeitarbeitslosen. Das war eine katastrophale Entscheidung, die zwar dem Bundeshaushalt 2 Milliarden Euro eingebracht hat, aber die langzeitarbeitslosen Menschen auch im Alter schlechterstellt. ({8}) Ich finde es beschämend, dass sogar bei einer guten Konjunkturlage an dieser Stelle gespart wird. Hinzu kommt ein weiterer Punkt, über den wir heute nicht gesondert diskutieren - wir haben einen entsprechenden Antrag vorgelegt -: Langzeitarbeitslose dürfen nicht zwangsweise mit Abschlägen vorzeitig in Rente geschickt werden. Wenn die Große Koalition langfristig die Rente mit 67 einführen will - was wir auch unterstützt haben -, dann darf sie nicht die Langzeitarbeitslosen mit 63 zwangsweise in Rente schicken. Das hat zur Folge, dass sie 14 Prozent weniger Rente bekommen. Das ist absolut unsozial, und Sie werden es zurücknehmen müssen. ({9}) Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, Ihre Konzepte sind rückwärtsgewandt, nicht finanzierbar und unseriös. Sie nehmen keine Rücksicht auf die Zukunftsperspektiven der jungen Generation. Die Jungen müssen durch steigende Sozialabgaben die Zeche zahlen, ohne die Sicherheit zu haben, selbst später einmal eine auskömmliche Rente zu erhalten. Eine solche Politik ist billiger Populismus und rückwärtsgewandt. Das werden wir nicht akzeptieren. Ich danke Ihnen. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5903 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 31 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/ 24/EG - Drucksache 16/5846 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor allem liebe Rechtsfreundinnen und Rechtsfreunde! Denn hier sind nur noch wirkliche Fans dabei. Der Deutsche Bundestag hat sich in den letzten Jahren wiederholt mit dem komplexen Thema der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren befasst. Einzelne Problembereiche waren immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen. Es hat sich gezeigt: Das geltende Recht bedarf einer umfassenden Revision. Deshalb und weil es konkrete verfassungsgerichtliche Vorgaben zum Kernbereichsschutz sowie europäische Rechtsakte umzusetzen gilt, hat die Bundesregierung eine eingehende und sorgfältige Überarbeitung vorgenommen und ein ausgewogenes Gesamtkonzept entwickelt, über das heute in erster Lesung beraten wird. ({0}) Wir verbessern die Arbeitsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Das ist die eine Seite. Die andere nicht minder wichtige Seite stellt sicher, dass für Bürgerinnen und Bürger, die von einer solchen Maßnahme betroffen sind, ein deutlich besserer Rechtsschutz besteht als bisher und dass vor allem das Vertrauensverhältnis zu den Berufsgeheimnisträgern einem besonderen Schutz unterliegt. Dieses Gesamtkonzept setzt gleich beim Anlasstatenkatalog an, also bei der Liste der Delikte, die Anlass für eine Telekommunikationsüberwachung sein können. Wir beschränken den Katalog konsequent auf schwere Straftaten. Delikte wie die Beihilfe eines Zivilisten zur Fahnenflucht streichen wir. Neu nehmen wir schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität auf, zum Beispiel schwere Steuerdelikte nach §§ 370 ff. der Abgabenordnung. Unser Entwurf bezieht nicht nur die Telekommunikationsüberwachung ein, sondern erfasst auch andere heimliche Ermittlungsmaßnahmen wie die verdeckten Ermittler, die Schleppnetzfahndung und die längerfristige Observation. Einhergehend damit erweitern wir insbesondere den Schutz von Berufsgeheimnisträgern, der im geltenden Recht nur unzureichend geregelt ist. ({1}) - Ihnen würde ich sowieso kein Geheimnis anvertrauen. Unter welchen Voraussetzungen beispielsweise die Observation eines Journalisten zulässig ist, können Sie dem geltenden Recht nicht ohne Weiteres entnehmen. Wir schaffen dafür und für alle anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen verbindliche Rechtsgrundlagen. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung und das Gespräch zwischen Mandant und Verteidiger, aber auch das Umfeld der Geistlichen und der Abgeordneten sind abhörfreie Zonen, es sei denn, jene sind selbst als Täter oder Teilnehmer in eine schwere Tat verstrickt. Alles, was in diesem Bereich gleichwohl mitgelauscht wird, darf nicht verwertet werden. ({2}) Etwa aufgenommene Gespräche sind unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist zu dokumentieren. ({3}) Wir verstärken den Grundrechtsschutz darüber hinaus durch Verfahrenssicherungen. Bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wird es in Zukunft Benachrichtigungspflichten geben. Die Einhaltung kontrollieren die Gerichte. Hier gibt es in der Praxis noch Defizite, die wir abstellen können und abstellen werden. Wer von einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme betroffen ist, soll das grundsätzlich erfahren und sich dagegen nachträglich wehren können. Die Neuregelung wird dafür kein besonderes Rechtsschutzinteresse mehr verlangen. Auch das ist wichtig. Die Zuständigkeit für die Anordnung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme konzentrieren wir beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft. Das bringt spezialisierte Richter mit mehr Erfahrungswissen, mehr Zeit und mehr Sensibilität für die problematischen Fälle. Der Gesetzentwurf wird außerdem die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Der Gesetzentwurf beachtet die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 16. Februar 2006 und setzt nicht mehr als die Mindestvorgaben der Richtlinie hinsichtlich der Speicherungsdauer und der zu speichernden Datenarten um. Ich will dazu nur so viel sagen: Schon heute speichern die TK-Unternehmen Verbindungsdaten, um nachweisen zu können, dass sie die Leistungen, die sie in Rechnung stellen, auch erbracht haben. Seit jeher können die Strafverfolgungsbehörden diese Verbindungsdaten abfragen. Die neue Speicherpflicht brauchen wir, weil viele TKUnternehmen immer mehr zu Flatrates übergehen und deshalb immer weniger Verbindungsdaten speichern. Anfragen der Strafverfolgungsbehörden gehen daher ins Leere. Verbindungsdaten sind keine Inhaltsdaten. Gesprächsinhalte werden also zu keinem Zeitpunkt gespeichert, auch keine Angaben über Websites, die jemand besucht hat. Wir können auf die Telekommunikationsüberwachung und auf andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen nicht verzichten. Abgehört, beobachtet oder mit seinen Daten gespeichert zu werden, sind aber Grundrechtseingriffe, die niemand hinnehmen muss, wenn es dafür nicht eine solide Rechtfertigung gibt. Deshalb müssen wir an die Strafverfolgungspraxis strenge Anforderungen stellen. ({4}) Das bringt Belastungen für die Praxis vor allem der Länder mit sich. Dies ist jedoch nach unserer Auffassung sowohl notwendig als auch tragbar. Der Gesetzentwurf hat vonseiten der Opposition, aber auch von den Ländern bisher nur wenig Kritik erfahren. Herr Ströbele wird das gleich grundsätzlich ändern. ({5}) Ich bin aber zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, den Gesetzentwurf zügig zu verabschieden und somit zu einer rechtsstaatlich sicheren und guten Lösung zu kommen. Vielen Dank. Ich wünsche allen einen schönen Sommer. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Telefonüberwachung ist für die FDP-Bundestagsfraktion immer besonders wichtig gewesen, nicht nur für die Fraktion insgesamt, sondern auch für mich persönlich. Seit ich dem Deutschen Bundestag angehöre, frage ich in jedem Jahr die Zahl der Telefonüberwachungen ab, weil ich diese Zahl für wichtig halte und weil wir politisch kontrollieren müssen, wie die Justiz mit den Instrumenten, die wir ihr zur Verfügung stellen, umgeht. Eines muss man sagen: Wenn man die Zahlen betrachtet, dann stellt man fest, dass wir in jedem Jahr erhebliche Steigerungsraten haben. ({0}) Das hat Gründe, zum Beispiel den, dass Straftäter sehr viel mehr Telefone zur Verfügung haben und immer mehrere Handys besitzen, damit Überwachungen erschwert werden; aber es gibt auch Entwicklungen, die Sorge machen müssen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir uns als Politiker ständig mit dieser Frage beschäftigen müssen. Weil das so ist, haben wir in der Vergangenheit immer wieder angemahnt, dass es zu einer Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung kommen muss. Die Bundesregierung legt jetzt einen Entwurf vor. Ich will bei der ersten Lesung deutlich machen, dass es einige Punkte gibt, die wir ausdrücklich begrüßen. Ein besonders großes Defizit - Herr Staatssekretär, Sie haben es angesprochen - war bisher immer die nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen. Nur dann hatten sie überhaupt die Möglichkeit, sich mit der Tatsache, dass sie überwacht wurden, auseinanderzusetzen. Dass das jetzt verbessert wird, wird von uns ganz ausdrücklich begrüßt. Es wird auch begrüßt, dass es eine Verbesserung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten gibt. Auch das ist ganz sicherlich ein Fortschritt. Es gibt noch einen dritten Punkt, den Sie, Herr Staatssekretär, ebenfalls angesprochen haben. Ich finde es gut, dass wir in Zukunft am Sitz der Staatsanwaltschaft einen Ermittlungsrichter haben, der spezialisiert ist, der weiß, wo er aufpassen muss und welchen Staatsanwaltskollegen er ein bisschen genauer auf die Finger schauen muss. Auch das wird mit Sicherheit zu einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit beitragen. Damit ist ein weiteres Stichwort gefallen: Rechtsstaatlichkeit. Genau diese müssen wir gewährleisten. Die Telefonüberwachung ist für die Strafverfolgung ganz außerordentlich wichtig. Wenn man wie ich 14 Jahre Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt war, dann weiß man auf der einen Seite, wie wichtig diese Erkenntnisse insbesondere bei den Deliktsfeldern sind, bei denen es kein Anzeigeverhalten gibt, beispielsweise bei den Drogendelikten. Auf der anderen Seite weiß man aufgrund der praktischen Erfahrung: Wenn man Telefon11348 gespräche überwacht, dann sind auch sehr viele persönliche Gespräche darunter. Das heißt, es wird intensiv in die Intimsphäre eingegriffen. Deshalb muss es Kontrollen und Grenzen geben. Die Bundesregierung hat sich in einem Punkt anders entschieden, als es unsere Intention war. Sie hat wieder einen Straftatenkatalog aufgestellt. Wir haben schon einmal darüber diskutiert. Es gibt die rechtliche Auffassung, dass das notwendig war. Wir werden dazu eine Anhörung durchführen. Für mich wird insbesondere wichtig sein, die Frage zu klären, ob diese Notwendigkeit tatsächlich besteht. Denn eines ist klar: Die bisherige Erfahrung mit Straftatenkatalogen war, dass sehr schnell wieder Forderungen kamen, diesen Katalog zu erweitern. Genau das ist nicht unsere Intention. Wir wollen ihn vielmehr auf die Fälle beschränken, in denen eine Telekommunikationsüberwachung wirklich notwendig ist. Wir Berichterstatter sollten gemeinsam überlegen, ob es einen besseren Weg gibt als den, den die Bundesregierung jetzt in ihrem Entwurf vorschlägt. ({1}) Ein Punkt, über den wir sicherlich ganz besonders intensiv nachdenken müssen, ist der Schutz der Berufsgeheimnisträger. Schon im Zollfahndungsdienstgesetz haben Sie eine Lösung in Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgesetzt. Wir stehen dem außerordentlich kritisch gegenüber und werden deshalb den Sachverständigen in der Anhörung, die auf uns zukommt, auch diese Frage stellen und sehen, ob das der richtige Weg ist oder nicht. Ich möchte zum Schluss ein paar Aspekte zur Vorratsdatenspeicherung ansprechen. Ich finde es schade, dass die Telekommunikationsüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung miteinander kombiniert worden sind; denn es handelt sich eigentlich um zwei unterschiedliche Felder. Es ist gut, dass der Rechtsausschuss die Anhörung zu diesen beiden Bereichen getrennt hat. Auch das macht deutlich, dass dies offensichtlich zwei unterschiedliche Felder sind. Wenn man sich der Frage der Vorratsdatenspeicherung stellt, dann hat man auf eines hinzuweisen: Es hat hier im Deutschen Bundestag bei der Beratung über den Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten für die Jahre 2001 und 2002 einen einstimmigen Beschluss gegeben, dass die Bundesregierung entsprechende europäische Vereinbarungen über eine Vorratsdatenspeicherung nicht unterzeichnet. Die Bundesregierung hat sich nicht daran gehalten. Ganz besonders ärgert mich, dass die dann doch verabschiedete europäische Richtlinie nicht nur eins zu eins im Gesetzentwurf umgesetzt worden ist, sondern darüber hinausgeht. ({2}) Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Verpflichtung, die uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, nämlich bei der Umsetzung besonders grundrechtsschonend vorzugehen. Auch das wird deshalb Gegenstand der Anhörung sein. Wir werden auch diese Frage stellen. Frau Präsidentin, es blinkt auf dem Rednerpult, und zwar zu Recht. Mir bleibt deshalb nur noch, Ihnen, Frau Präsidentin, aber auch allen Kolleginnen und Kollegen ein Stück Erholung zu wünschen. Wir alle wissen, dass wir auch in der parlamentarischen Sommerpause viele Termine haben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich trotzdem erholen können. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Tag vor der Sommerpause hätte man auch ein weicheres Thema wählen können als die Telekommunikationsüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung. Wenn man sich die Kritiker anhört und die Beißreflexe, die damit ausgelöst worden sind, ansieht, wird es einem ganz schwindlig; ich werde darauf gleich näher eingehen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass die CDU/CSU diesen heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwurf begrüßt und ihm zustimmt. Wir beugen uns natürlich besseren Einsichten. Deswegen haben wir schon gestern quasi wie bei der Vorratsdatenspeicherung den Vorratsbeschluss gefasst, eine Anhörung - sie wird in zwei Teilen stattfinden; Herr van Essen, Sie haben es gerade angesprochen - durchzuführen. Wir haben quasi in vorauseilendem Gehorsam und in der Annahme, dass der Gesetzentwurf heute an die zuständigen Ausschüsse überwiesen wird, eine solche Anhörung beschlossen. Dass die bisherigen strafprozessualen Instrumente nicht mehr so gut funktioniert haben, zeigt sich an einem ganz einfachen Phänomen. Verabredungen zu Verbrechen und Terror setzen Kommunikation voraus. Ganz klar: Man muss miteinander reden. Die Indianer haben früher über Rauchzeichen und Buschtrommeln kommuniziert. Man konnte der Frage nachgehen, was die durch Rauchzeichen verursachten Wölkchen bedeuten. Aus Western ist bekannt, dass man gekabelt hat, dass man sich also der Telegrafie bedient hat. Inzwischen hat die Technik natürlich Fortschritte gemacht; das unterscheidet sie von Ihrer Auffassung, Herr Montag. Die Fortschritte der Technik sind der Grund dafür, dass die Polizei dem Verbrecher eigentlich immer hinterherhechelt. ({0}) - Das ist wie beim Doping, ja. Dr. Jürgen Gehb ({1}) Mittlerweile gibt es Handys. Möglicherweise wird es mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs nicht einmal sein Bewenden haben. Man wird auch darüber nachdenken müssen - der Innenminister fordert es immer wieder, und zwar zu Recht -, ob Online-Überwachungen sinnvoll sind; schließlich bedienen sich Kriminelle und insbesondere Terroristen des Internets. ({2}) Das ist ganz einfach. Nun will ich ein paar Takte zur Begrifflichkeit sagen. Wenn ein Unwissender Kritik an diesen Dingen übt, dann habe ich dafür noch Verständnis. Der Datenschutzbeauftragte hat geschrieben - Herr Kilger hat etwas Ähnliches auf dem Anwaltstag gesagt -, dass die Unschuldsvermutung nicht mehr gilt, dass Menschen unter Generalverdacht gestellt werden. Die Begrifflichkeit wird da völlig durcheinandergeworfen. ({3}) - Herr Ströbele, ich weiß: Wer die Begriffe nicht beherrscht, der kann auch eine Diskussion nicht beherrschen. ({4}) Der Begriff der Unschuldsvermutung hat mit der Ermittlung nichts zu tun. Unschuldsvermutung bedeutet in einem strafgerichtlichen Verfahren, dass der Angeklagte erst nach rechtskräftiger Verurteilung festgesetzt werden darf. ({5}) In unserem Rechtssystem gibt es sowieso Ausnahmen davon. Beispielsweise wird Untersuchungshaft angeordnet, wenn noch keine rechtskräftige Verurteilung stattgefunden hat. Deswegen hat der Begriff der Unschuldsvermutung dort gar nichts zu suchen. ({6}) Ein ermittelnder Beamte muss nach dem Legalitätsprinzip jedem Verdacht nachgehen. Die Schuld ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewiesen. ({7}) Etwa bei einer vermeintlichen Trunkenheitsfahrt fordert ein Polizist den Fahrer des Autos auf, einen Alkoholtest zu machen oder sich Blut abnehmen zu lassen. Gilt die Unschuldsvermutung hier denn etwa nicht? Das hat mit Unschuld doch gar nichts zu tun. Wenn der Alkoholtest negativ ausfällt, kann der Fahrer einfach weiterfahren. Stellen Sie sich einmal vor, man würde behaupten, die Errichtung eines Gerichtsgebäudes stellte die Menschheit unter Generalverdacht, weil eine Person möglicherweise zu Unrecht verurteilt wird. Also: Das alles ist dummes Zeug. Die Unschuldsvermutung hat im Ermittlungsverfahren nichts zu suchen. Ich komme auf den anderen Punkt, Generalverdacht, zu sprechen. Am Eingang Wilhelmstraße 68 des Deutschen Bundestages, den viele von uns täglich nutzen, befindet sich ein Überwachungsmonitor. Käme jemals jemand auf die Idee, „Dadurch werden die Passanten unter Generalverdacht gestellt“ zu sagen? ({8}) Auf diese Idee kommt doch kein Mensch. Es wurde behauptet - zumindest von vermeintlichen Kennern der Materie -, dass Handygespräche im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung abgehört werden. Dazu muss ich sagen: Alle, die diese Auffassung vertreten, sind von einer signifikanten Faktenabstinenz gekennzeichnet. Sie sind von einer signifikanten Faktenabstinenz gekennzeichnet. ({9}) - Wie heißen Sie eigentlich? Sie rufen immer wieder dazwischen. Sie sind ein interessanter Mann. Sagen Sie einmal, wie Sie eigentlich heißen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das ist der Kollege Schneider.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das tapfere Schneiderlein. Wie kann man solche Behauptungen aufstellen und die Bevölkerung damit in eine Hysterie versetzen? Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Diejenigen, die das tun, sind genauso schlimm wie diejenigen, die die Menschheit glauben machen wollen, dass man durch eine Neuregelung der Kommunikationsüberwachung einen hundertprozentigen Schutz schaffen kann. Das ist natürlich auch nicht der Fall. ({0}) Wir bewegen uns bei Ermittlungsverfahren und bei Eingriffen in Freiheitsrechte der Bürger - der Herr Staatssekretär hat es gesagt - auf einem verminten Gelände, in einem Spannungsfeld. Das ist doch ganz klar. Zwei Interessen stehen einander geradezu unversöhnlich gegenüber: Auf der einen Seite steht das Recht, unbeobachtet, unabgehört zu leben, und auf der anderen Seite gilt die verfassungsrechtlich verbürgte Pflicht des Staates, Schutz zu gewähren. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. März 2003 - Seite 299 des 113. Bandes - ausdrücklich, und zwar immer und immer wieder, festgestellt. Herr Kollege Ströbele, wenn Sie es nachlesen wollen: Die einschlägige Passage befindet sich auf Seite 316. Es geht also um die Spannung zwischen Schutzpflicht des Staates und Wahrung von Freiheitsrechten. Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages, jedenfalls ein großer Teil - die Überwachungsexperten auf der linken Seite des Hauses blende ich ein bisschen aus -, wir als demokratische Parteien müssen doch um die beste Lösung ringen. Das ist doch ganz klar. ({1}) - Herr Tauss, Sie machen das immer lautstark, wenn auch nicht immer mit besonderer Sachkunde. ({2}) Deswegen ist es doch gar nicht schlimm, wenn wir heute diesen Gesetzentwurf an die Ausschüsse überweisen. Herr Montag, ich freue mich schon, Sie lassen ja keine Gelegenheit aus, mich anzusprechen, selbst wenn ich Ihnen mit besonderer Aufmerksamkeit zuhöre. ({3}) Wir werden das diskutieren und auch prüfen, ob dieser Gesetzentwurf den Notwendigkeiten nicht ein wenig hinterherhinkt. Den einen ist er zu viel, den anderen zu wenig. Manche sagen, dann ist er wahrscheinlich genau richtig. Warten wir doch einmal das Gesetzgebungsverfahren ab. Damit möchte ich meine Rede beenden. ({4}) - Herr Ströbele, von Ihnen Applaus zu bekommen, ist besonders schön. ({5}) Auch ich möchte nicht versäumen, Ihnen schöne Sommertage zu wünschen. Ich gehe heute Abend auf das Sommerfest des Bundespräsidenten. Darauf freue ich mich sehr. Wir sehen uns dann in alter Frische Anfang September in diesem Hohen Hause wieder. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit diesem Gesetz die Telefonüberwachung erweitern und auf die Spitze treiben. Ihr Gesetzentwurf, Herr Gehb, sieht vor, dass künftig alle sogenannten Verkehrsdaten festgehalten werden, also wer mit wem telefoniert, E-Mails austauscht, welche Homepages aufgerufen werden. Alle diese Daten, und zwar von allen 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, sollen protokolliert und gespeichert werden. ({0}) Das bedeutet noch mehr Beobachtung und Schnüffelei, und zwar in einem Ausmaß, das kaum noch Kontrollen zulässt. Die Linke fordert deshalb alle Demokraten auf, sich dem entschieden zu widersetzen. ({1}) Meine Damen und Herren, weil Telefonüberwachung immer ein Eingriff in die Grundrechte ist, müssen äußerst enge und eindeutige Bestimmungen die Verhältnismäßigkeit der Mittel sicherstellen. ({2}) Unschuldige dürfen nicht betroffen werden. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung muss frei von Überwachung bleiben. Eine effektive richterliche Kontrolle ist unverzichtbar. Aber keine dieser Forderungen, keine einzige, erfüllt der vorliegende Gesetzentwurf, den wir deswegen als verfehlt und verfassungswidrig ablehnen. ({3}) Die Koalition erweitert in der Strafprozessordnung den Katalog derjenigen Taten, die ein Abhören rechtfertigen sollen. Es reicht bereits der Verdacht. Sie unterlässt es aber, die richterliche Kontrolle zu stärken. Dabei funktioniert sie schon heute nicht. In aller Regel verwenden die Gerichte nur formelhafte Begründungen und kopieren häufig die fehlerhaften Anträge der Staatsanwaltschaft in ihre Anträge. Dies hat jedenfalls das MaxPlanck-Institut für Strafrecht in seiner Studie veröffentlicht und wurde hier schon einmal diskutiert. Außerdem werden Hintertürchen eingebaut, die den Abgehörten das Recht nehmen, wenigstens im Nachhinein informiert zu werden. Die Benachrichtigung unterbleibt - hier widerspreche ich meinen Vorrednern -, wenn - ich zitiere „anzunehmen ist, dass die abgehörte Person kein Interesse an einer Benachrichtigung hat“. Ich frage Sie: Was sind das eigentlich für Personen, die daran kein Interesse haben? Das ist ein Gummiparagraf, der keinen Grundrechtsschutz gibt und auf jeden Fall weiterdiskutiert werden muss. Bei der Vorratsdatenspeicherung wird festgehalten, wer mit wem spricht, egal ob Ärzte, Anwälte oder Politiker, wo er sich zum Zeitpunkt des Gesprächs aufhält, welche Internetseiten er besucht und welche E-Mails verschickt werden. All das wird gespeichert, ohne den Verdacht genau zu begründen, einfach auf Vorrat. ({4}) Die Behörden, vor allem die Geheimdienste, die Zugriff darauf haben, Herr Gehb, können daraus ein ausführliches Profil über die politischen, sozialen und sonstigen Interessen und Kontakte erstellen. ({5}) Im Übrigen hat der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein vor wenigen Tagen ein Gutachten dazu veröffentlicht. Darin heißt es, dieses Gesetz ist ein - so wörtlich - Grundrechtseingriff mit maximaler Streubreite. So hat er das bezeichnet. Ich meine, er hat recht damit. Die Speicherfrist beträgt sechs Monate. Allein bei der Telekom fallen pro Tag rund 200 Millionen Datensätze an. Hinzu kommen mehrere hundert Millionen E-Mails, angeklickte Homepages usw. Alles ausgedruckt, würde dies Aktenordner füllen, die aneinandergereiht von Berlin nach München reichen würden. Das haben Datenschutzbeauftragte ausgerechnet. ({6}) Hier kann man nur noch fragen: Wie krankhaft misstrauisch muss eine nach Allmacht strebende Regierung sein, um so etwas zu wollen? Zum Schluss, meine Damen und Herren: Das A und O einer demokratischen Gesellschaft ist das freie Gespräch. Die Bürger und Bürgerinnen müssen die Garantie dafür haben. Deswegen werden wir die Beratung dieses Gesetzentwurfs sehr kritisch begleiten und Gegenentwürfe vorlegen. Ich danke Ihnen. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gehb, wie soll man es denn nennen, wenn der Staat von den Telekommunikationsunternehmen verlangt, in Zukunft von allen Nutzern der Telekommunikation die Verbindungsdaten zu speichern zum Zweck der Strafverfolgung, zum Zweck der Feststellung von Gefährdern, zu geheimdienstlichen Zwecken? Wie soll man dies anders interpretieren, als dass der Staat in Zukunft davon ausgeht, dass alle 70 oder 80 Millionen Telekommunikations- und Internetuser potenzielle Straftäter oder potenzielle Gefährder sind? Sonst macht das doch keinen Sinn. ({0}) Das muten Sie uns mit diesem Gesetzentwurf zu. Das aber ist ein Paradigmenwechsel, den wir nicht mitmachen, weil wir weiterhin davon ausgehen, dass nicht alle 80 oder 70 Millionen Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, potenzielle Straftäter und potenzielle Gefährder sind. Nur dann, wenn es einen konkreten Verdacht dafür gibt, dass jemand eine Straftat begangen hat oder eine schwere Gefährdung darstellt, kann man in sein Telekommunikationsgeheimnis eingreifen. Deshalb lehnen wir Ihren Vorschlag generell ab. Schon gar nicht sind wir damit einverstanden, dass diese EU-Richtlinie genutzt wird, um über die Strafverfolgungsinteressen auch Gefährderabwehrinteressen oder geheimdienstliche Aufgaben zu verfolgen. ({1}) Zur Überwachung der Telefone. Verehrter Herr Kollege Hartenbach, Sie wussten es schon einmal besser. Ich erinnere mich an die Zeit der rot-grünen-Koalition. Vor zwei, drei Jahren haben wir zusammengesessen und da haben Sie noch vehement die Lösung verteidigt, die wir in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen hatten, nämlich dass in Zukunft Telefonüberwachung nicht nach einem Katalog von Straftaten angeordnet werden kann, sondern ausschließlich aufgrund einer grundsätzlichen Festlegung, nach der nur bei allerschwersten Straftaten eine Telefonüberwachung in Betracht kommt. Wir haben das in unserem Gesetzentwurf so definiert: Nur dann, wenn ein Verbrechen vorliegt, wenn also aufgrund der äußeren Umstände der Tat eine Mindeststrafe von einem Jahr zu erwarten ist, ist das gerechtfertigt, aber nicht dann, wenn nur eine beliebige Katalogstraftat vorliegt. - Das kann auch nicht richtig sein. Das führt zu völlig unzulänglichen Ergebnissen. Dann muss man auch dauernd neu über den Straftatenkatalog diskutieren. Jetzt haben Sie zum Beispiel eine Tat nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB - besonders schwere sexuelle Nötigung - in den Katalog geschrieben. Sie haben aber die mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren bedrohte schwere Vergewaltigung unter Einsatz von Waffen nicht aufgenommen. Das haben Sie herausgelassen, sodass man eigentlich nur zu der Überzeugung kommen kann, die schwere Straftat sehen Sie als nicht so aufklärungswürdig an wie die weniger schwere. Deshalb lehnen wir diese Vorschläge ab. ({2}) Wir wollen erreichen, dass die Zahl der Telefonüberwachungen in Deutschland wieder zurückgeht. Es gibt Sachverhalte, bei denen man gerne Weltmeister ist. Ich möchte aber nicht, dass Deutschland weiter Weltmeister bei der Telefonüberwachung bleibt. ({3}) Diesbezüglich haben wir eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Wir haben nicht nur als Ersatz für den Straftatenkatalog eine andere Lösung vorgeschlagen, sondern wir haben auch gesagt, alle Telefonkommunikation, die den Kernbereich der privaten Lebensführung betrifft, darf nicht überwacht werden, und zwar niemals. Sie haben gesagt, es müssen vorher Anhaltspunkte dafür bestehen, dass „allein“ - so steht es im Gesetzentwurf - über solche Inhalte gesprochen wird. Diese Anhaltspunkte werden Sie nie haben. ({4}) Natürlich wird auch einmal während eines Liebesgeflüsters oder während eines Ehestreits über das Wetter, über Hitze oder andere Dinge gesprochen, die nicht zu diesem engsten Lebensbereich gehören. Das heißt, die Beschränkung, die hier in den Gesetzentwurf geschrieben wurde, stellt im Ergebnis eine Placeboregelung dar. Wir wollen, dass alle Berufsgeheimnisträger vor solcher Überwachung sicher sind und dass alle Telefongespräche, die den internsten Bereich der privaten Lebensführung betreffen, frei von solcher Überwachung bleiben. ({5}) Schließlich wollen wir auch, dass die Richter in Zukunft - das ist ja heute nicht der Fall - verpflichtet werden, die Gründe für eine Telefonüberwachung in jedem einzelnen Fall aufzulisten, ({6}) damit nachprüfbar ist, was warum angeordnet wird, und damit der Richter nicht einfach nur Vorlagen der Staatsanwaltschaft abhakt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Er soll sich vielmehr selber Gedanken machen und diese Überwachung selber verantworten. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Lesen Sie unseren Gesetzentwurf noch einmal genau durch und überlegen Sie sich, ob Sie nicht die Passagen in Ihr Gesetzeswerk übernehmen können, die von RotGrün stammen und zu der Zeit, als Ihnen der Bürgerrechtspartner Die Grünen noch nicht abhanden gekommen war, auch für Sie selbstverständlich waren. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in der Debatte ist nun der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vermutlich ließen sich meine drei Minuten Redezeit allein damit füllen, die Kritiker dieses Gesetzentwurfs zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung aufzuzählen. Darunter fallen nicht nur die üblichen Verdächtigen wie die Humanistische Union oder die Landes- und Bundesdatenschützer. Diesmal zählen auch Großunternehmen zu den Kritikern, zum Beispiel der Branchenverband BITKOM und der Internetdienstleister Google. Google erwägt, seinen E-Mail-Dienst in Deutschland zu schließen, wenn der Zwang, Kundendaten zu erheben und zu speichern, Gesetz wird. Peter Fleischer, weltweit zuständig für die Google-Nutzerdaten, bezeichnete eine rein deutsche Kontrolle der E-Mail-Daten ohnehin als nutzlos, weil die Anwender dann auf E-Mail-Adressen im Ausland ausweichen könnten. Insofern widerspricht dieser Teil des Gesetzentwurfs nicht nur dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern ist noch nicht einmal wirklich wirksam. Das war ein Detail, wenn auch kein unwichtiges. Ich kritisiere diesen Gesetzentwurf prinzipiell, weil er den Geist des Grundgesetzes aushöhlt. ({0}) Vor dem Hintergrund einer scheinbaren Gefahr soll die Gesellschaft große Teile ihrer Freiheit aufgeben. Mit der stets wirksamen Keule vom internationalen Terrorismus soll der Widerstand gegen Telefonüberwachung, RFIDChips, Vorratsdatenspeicherung, verdeckte Internetkontrollen durch Trojaner und anderes mehr aufgeweicht werden, zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit. Zu den Plänen der Bundesregierung sagt der Strafrechtler Professor Peter-Alexis Albrecht: Der Rechtsstaat ist mitten drin in der Auflösung, weil es eine Herstellung von Sicherheit in dem Maße, wie es der Politik vorschwebt, nicht gibt. Wenn man diese Sicherheit herstellt, hat man die Staatssicherheit, und die haben wir in der DDR abgeschafft, ({1}) und nun bekommt die Bundesrepublik noch ein Schlimmeres … Zitatende. Es war ein Zitat; hören Sie bitte zu, liebe Kollegen! Professor Albrecht nennt es „Sicherheitsstaat“, ich nenne es Überwachungsstaat. Diese Gesellschaft ist auf schnurgeradem Weg zum gläsernen Bürger. Die bürgerlichen Freiheitsrechte werden dem Sicherheitswahn geopfert. Den Menschen wird suggeriert, dass sie ständig und überall von Terroristen bedroht werden. Union und SPD arbeiten beharrlich an einer neuen Bedrohungslüge. Die Menschen werden außerhalb der Parlamente Widerstand gegen ihre Überwachung und Bevormundung leisten. Der Protest muss aus der Gesellschaft kommen. Der Linken kommt hierbei die Verantwortung zu, der Bevölkerung die Fakten zu nennen und sie über die damit verbundenen Gefahren aufzuklären und zu informieren. Uns liegt hier ein Gesetz vor, das von Datenschützern und Verfassungsrechtlern gleichermaßen kritisiert wird und das, wie so viele seiner verwandten Vorgänger, vor dem Verfassungsgericht vermutlich nur schwer bestehen wird. Die bisher von Experten abgegebenen Stellungnahmen lassen genau dies erwarten. In der jetzigen Form ist dieses Gesetz auf jeden Fall ein erneuter Angriff auf das Grundgesetz. Wie formulierte es Burkhard Hirsch so treffend: Herr Minister Schäuble „respektiert nicht den Geist der Verfassung, sondern testet ihre Belastbarkeit.“ Dies sollte eine demokratische Gesellschaft nicht widerstandslos hinnehmen. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Joachim Stünker hat seine Rede zu Pro- tokoll gegeben1). Damit sind wir am Ende der Ausspra- che zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/5846 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b so- wie Zusatzpunkt 16 auf: 32 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Birgit Homburger, Elke Hoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Planungen für Bundeswehr-Ehrenmal am Bendlerblock aussetzen - Würdigung der Toten in unmittelbarer Reichstagsnähe - Drucksachen 16/5593, 16/5932 Berichterstattung: Abgeordnete Bernd Siebert Dr. Rainer Stinner Paul Schäfer ({1}) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Norman Paech, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN 1) Anlage 2 Ein Mahnmal - Kein Ehrenmal - Gegen Kriege - Mahnmal für die Opfer der gegenwärtigen Kriege - Drucksache 16/5891 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({2}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Katrin GöringEckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das würdige Gedenken der Toten in Friedenseinsätzen braucht eine breite Debatte - Drucksache 16/5894 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister der Verteidigung, Herrn Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich zu Beginn meiner Amtszeit in Afghanistan, konkret in Kabul, vor einem Grabmal für deutsche Soldaten gestanden habe, habe ich mir die Frage gestellt: Was machen wir eigentlich in Deutschland, um diejenigen zu ehren und ihnen ein würdiges Andenken zu bewahren, die im Einsatz für die Bundeswehr, im Auftrag auch dieses Parlamentes, ihr Leben gelassen haben? Wir haben vor ein paar Wochen den Anschlag in Kunduz erleben müssen, bei dem drei deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind. Als ich jetzt wieder in Mazar-i-Sharif war, haben wir einen Gedenkstein für die vier Soldaten enthüllt, die damals bei dem Anschlag mit dem Bus ums Leben gekommen waren. Ich habe die Idee der Errichtung eines Ehrenmals für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und die zivilen Angehörigen im Frühjahr des Jahres 2006 öffentlich gemacht. Wir haben im Verteidigungsausschuss bereits viermal darüber debattiert, ebenso im Haushaltsausschuss und im kulturpolitischen Ausschuss dieses Hauses. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir auch im Plenum des Deutschen Bundestages über eine solch wichtige Frage sprechen. Ich denke, unsere Soldatinnen und Soldaten sind einsatzfähig und leistungsfähig; aber sie üben, auch im Auftrag dieses Parlamentes, einen Beruf aus, der mit Risiko für Leib und Leben verbunden ist. Sie schwören und geloben, das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie stehen in einem besonderen Treueverhältnis zu diesem Staat. Da in der über 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr bereits 2 600 Soldatinnen und Soldaten und zivile Angehörige, im Auftrag dieses Parlamentes, im Einsatz für die Bundeswehr ihr Leben verloren haben, bin ich der Auffassung, dass es an der Zeit ist, ihnen ein ehrendes und würdiges Andenken zu bewahren und ihnen ein Ehrenmal zu errichten. ({0}) Wir haben dazu eine namhafte Findungskommission eingerichtet. Diese Findungskommission hat eine Ausschreibung durchgeführt. Daraufhin gab es sechs aus meiner Sicht hervorragende Entwürfe. Die Findungskommission hat sich einstimmig dafür entschieden, den Entwurf von Herrn Professor Andreas Meck zu favorisieren, mit der Perspektive, dass das Ehrenmal möglichst im Jahre 2008 errichtet wird und dass hier der Angehörigen der Bundeswehr, die im Einsatz für die Bundeswehr ihr Leben gelassen haben, gedacht wird und sie gewürdigt werden. Mein Eindruck in dieser Debatte ist, dass eine große Mehrheit des Deutschen Bundestages diese Idee vom Grundsatz her für richtig erachtet und die Errichtung eines Ehrenmals für die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Angehörigen der Bundeswehr unterstützt. ({1}) Es gibt eine Diskussion - ich spreche das ganz offen an - im Hinblick auf die Frage des Standortes. Hier gibt es teilweise unterschiedliche Auffassungen. Da wir aber alle Soldatinnen und Soldaten und zivilen Angehörigen der Bundeswehr, die seit Bestehen der Bundeswehr im Einsatz für diese Bundeswehr ihr Leben verloren haben, im Blick haben, denke ich, dass es richtig ist, dieses Ehrenmal an dem Ort zu installieren, der in der Bundeshauptstadt für die Bundeswehr steht, und das ist der Bendlerblock und das Bundesverteidigungsministerium. Ich will unterstreichen, dass wir vor ein paar Wochen der ersten Opfer gedacht haben, also derjenigen, die vor 50 Jahren beim Iller-Unglück ums Leben kamen, 15 Wehrpflichtige. Wir gedenken ferner derjenigen, die bei Starfighter-Abstürzen ums Leben kamen, und derjenigen, die in anderer Art und Weise im Einsatz für die Bundeswehr ums Leben kamen. Daher denke ich, dass es richtig ist, dass wir das Ehrenmal an dem Ort, der für die Bundeswehr steht, dort, wo die grundlegenden politischen Entscheidungen - auch die Entscheidungen dieses Parlamentes - für die Soldatinnen und Soldaten umgesetzt werden - und das ist der Bendlerblock -, errichten. Das Ehrenmal soll sich einfügen in andere Denkmäler und Gedenkstätten, auch in der näheren Umgebung. Hier ist besonders die Gedenkstätte Deutscher Widerstand zu erwähnen, die ebenfalls im Bendlerblock beheimatet ist. Die Bedeutung des militärischen Widerstandes gegen das NS-Regime ist für das Traditionsverständnis der Bundeswehr besonders zu berücksichtigen. Deshalb ist es unsere Auffassung - obwohl es am Anfang Diskussionen gab, ob man das Ehrenmal nicht besser anderswo errichten sollte und dies der falsche Ort wäre -, dass der Ehrenplatz der Bundeswehr der richtige Ort für das Ehrenmal wäre. Es wäre dann für alle Bürgerinnen und Bürger öffentlich zugänglich von der Hildebrandstraße, in etwa eine Viertelstunde von diesem Parlament entfernt. ({2}) Meine Damen und Herren, ich denke, wir werden auch - darüber wollen wir im Einzelnen noch sprechen einen namentlichen Bezug zu den Soldatinnen und Soldaten und den zivilen Mitarbeitern, die im Einsatz für die Bundeswehr ihr Leben verloren haben, herstellen. Der Entwurf von Professor Meck versinnbildlicht den unmittelbaren Bezug zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Er entspricht dem Besonderen des soldatischen Dienens, dem Einsatz von Leib und Leben, und unterstreicht die unaufhebbare Bindung der Bundeswehr an die Ordnung unseres Grundgesetzes. Deshalb werbe ich sowohl in der Öffentlichkeit als auch hier dafür, diesen Entwurf zu unterstützen. Ich bin überzeugt, dass er ein würdiges und ehrendes Gedenken ermöglicht und geradezu insinuiert, was eigentlich unser gemeinsames Anliegen sein sollte, nämlich denjenigen ein ehrendes und würdiges Andenken zu bewahren, die in einem gefährlichen Einsatz, aber auch im Dienst für Frieden und Freiheit ihr Leben lassen mussten. Deshalb bitte ich Sie, die Konzeption von Professor Meck für ein Ehrenmal am Bendlerblock zu unterstützen. Ich denke, unsere Soldatinnen und Soldaten haben es verdient, dass wir ihnen ein ehrendes und würdiges Andenken bewahren. Ich möchte mit dem Satz schließen, den wir in dieses Ehrenmal einmeißeln wollen: Den Toten unserer Bundeswehr - Für Frieden, Recht und Freiheit. Besten Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Dr. Rainer Stinner. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Ihr Anliegen wird in diesem Haus geteilt. Dessen können Sie sicher sein. Das haben Sie auch an dem Beifall unserer Fraktion gesehen, als Sie Ihr Anliegen vorgetragen haben. Die Trennungslinie, die Diskussionslinie verläuft an einer anderen Stelle. Es geht um die Frage, welche Funktion ein solches Ehrenmal hat. Wenn es darum geht, dass die Bundeswehr ihrer Toten gedenkt, kann man in der Nähe des Verteidigungsministeriums, also an dem Ort der exekutiven Gewalt, ein Ehrenmal bauen, an dem jährlich - das meine ich gar nicht negativ - ritualisiert Kranzniederlegungen stattfinden. Das kann man machen; dann geht es um das Gedenken der Bundeswehr. Herr Minister, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, uns geht es aber um etwas völlig anderes. Uns geht es darum, dass die breite Öffentlichkeit mit folgenden Fragestellungen konfrontiert wird - ich sage das so deutlich -: Wie vertritt Deutschland eigentlich seine Interessen? Welche Rolle spielt die Bundeswehr dabei? Ist in jedem Einzelfall ein Auslandseinsatz angemessen oder nicht? Wir brauchen unbedingt eine breite öffentliche Diskussion über diese Fragen. Wir brauchen eine Diskussion über die Rolle der Bundeswehr. Wir brauchen auch eine öffentliche Diskussion darüber, dass wir als Parlament Entscheidungen fällen, die mit Risiken für Leib und Leben der Soldaten verbunden sind. Das muss von der breiten Öffentlichkeit getragen werden. Herr Minister, für uns steht also die Öffentlichkeit im Vordergrund, und zwar sowohl, wenn es um den Entscheidungsprozess geht, als auch, wenn es um das Ergebnis dieses Prozesses geht. Sehr geehrter Herr Minister, ich muss Ihnen deutlich sagen: In beiden Fällen haben Sie eine völlig falsche Vorgehensweise gewählt. Sie haben die Planungen ausgeschrieben, ohne eine öffentliche Anhörung durchzuführen, also ohne öffentliche Anteilnahme. Das kann man zwar so machen, aber bedenken wir doch einmal, welche Rolle die öffentliche Diskussion über die Gestaltung des Holocaust-Mahnmals gespielt hat. Es gibt eine Verbindung zwischen der Diskussion über die Art des Gedenkens und dem Inhalt des Gedenkens. Es geht um die Frage, wie wir etwas tun. Diese Diskussion ist ganz wichtig. Sie ist auch notwendig, wenn es um das Gedenken an die Soldatinnen und Soldaten geht. Das wollen Sie aber nicht. Das haben Sie nicht gemacht. Ich frage: Warum eigentlich? Herr Minister, Sie haben es versäumt, über das Weißbuch - ein kleiner Einschub - eine öffentliche Debatte herbeizuführen, Öffentlichkeit herzustellen. In diesem Zusammenhang versäumen Sie es ein weiteres Mal. Man könnte fast das Gefühl haben, Sie scheuen die öffentliche Debatte. Genauso schlimm wäre es, wenn Sie nicht in der Lage wären, zu erkennen, welche Bedeutung die öffentliche Diskussion für Ihr eigenes Anliegen hat. Die öffentliche Diskussion ist in Ihrem Sinne; denn sie fördert Ihr Anliegen. Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie das nicht berücksichtigen. Ich glaube übrigens, dass die öffentliche Diskussion über den Entwurf, der jetzt vorliegt, zu einer anderen Lösung geführt hätte. Man kann zwar über Geschmack streiten, aber hinsichtlich Größe und Monumentalität wird der Entwurf von vielen in der Bevölkerung sicherlich nicht geteilt. Also auch in dieser Beziehung wurde Öffentlichkeit nicht hergestellt. Genauso wichtig ist aber die Öffentlichkeit für das Ergebnis, nämlich für den Standort. Sie haben darauf hingewiesen, Herr Minister. Zum Glück ist der Bundestag das weltweit am meisten besuchte Parlament. Darauf können wir alle stolz sein. ({0}) Warum nutzen wir nicht die Chance, dass Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern, Deutsche und Ausländer, an diesen Ort kommen, um dieses Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen? Einen idealeren Standort - die Nähe des Bundestages - für das, was wir wollen - öffentlicher Diskurs, öffentliche Debatte, öffentliche Auseinandersetzung -, gibt es in ganz Deutschland nicht. ({1}) Denken wir an Washington. Ist das Vietnam Veterans Memorial im Pentagon angesiedelt? Ist es nicht. Ist das neue Memorial für die letzten Gefallenen im Pentagon angesiedelt? Ist es nicht. Sie sind an einem öffentlich sichtbaren, deutlich plakativen Ort angesiedelt. Das sollten wir hier auch tun. Aber auch inhaltlich ist es geboten, dieses Ehrenmal in der unmittelbaren Nähe des Bundestages anzusiedeln. Denn, Herr Minister, nicht Sie, sondern letztendlich wir - wir Abgeordneten, zu denen ja auch Sie gehören schicken die Soldaten in Auslandseinsätze. Sie setzen das operativ bzw. exekutiv um; das ist gar keine Frage. Aber hier im Parlament wird die Entscheidung getroffen. Wir haben eine Parlamentsarmee. Das ist ein Fortschritt. Deshalb mein Appell an die Parlamentarier hier im Raume: Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum begeben wir uns der Chance, das Ehrenmal in unserer Nähe zu gestalten? Aus dem Gesagten ergibt sich ganz klar für uns alle: Herr Minister, stoppen Sie Ihre Planungen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie unserem Antrag zu! Herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Jörn Thießen für die SPD-Fraktion. ({0})

Jörn Thießen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003855, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ruf nach einer breiten sicherheitspolitischen Debatte gehört zu den Lieblingsrufen dieses Parlamentes, auch wenn er am Freitagnachmittag als Dienst zu ungünstiger Zeit erschallt. Er erschallt aber stets dann, wenn darüber Klage geführt wird, dass sich nur wenige Menschen in unserem Land mit den Dimensionen unserer Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigen. Die Diskussion über ein Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin gehört zu dieser Debatte. Das begrüßen wir. Manchmal ist es so, dass einem nicht alles passt, was in einer solchen Debatte gesagt wird. Schon deswegen lohnt sie sich. Herr Minister, das Ehrenmal wird auf Ihre Initiative hin in Berlin gebaut. Sie haben dazu das volle Recht; das streiten wir nicht ab. Im Grundsatz unterstützen wir Sie. Da Sie aber auf den Entwurf eingegangen sind und für den Entwurf um Unterstützung geworben haben, gestatten Sie mir einige Bemerkungen. In der Broschüre zum Ehrenmal der Bundeswehr findet sich der folgende Satz: „Seit Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 sind mehr als 2 600 ihrer Soldaten im Dienst ums Leben gekommen …“. Das sind bedrückende Zahlen, die uns allen zu denken geben. Denn jeder gefallene Soldat und jeder getötete Zivilist liegt all denjenigen auf dem Gewissen, die für die Bundeswehr Verantwortung tragen und den Einsätzen, besonders denen im Ausland, zugestimmt haben. Das stimmt. Denn diese Menschen zahlen einen erschütternden Preis für unser Engagement in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt. Es ist aller Mühen wert, uns an sie zu erinnern und uns zu mahnen. So bedrückend diese Zahl von 2 600 Toten ist, Herr Minister, so schwer ist der Satz zu verstehen, diese seien im Dienst ums Leben gekommen. Denn das sind sie eben nicht. Hier liegt ein Zahlendurcheinander vor, auf das ich aufmerksam machen möchte, und auf das auch Hans-Ulrich Jörges im „Stern“ zu Recht hinweist. Das mag kleinlich klingen; aber das ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Die allermeisten dieser 2 600 Menschen kamen eben nicht im Dienst ums Leben, sondern während der Zeit ihres Dienstes in der Bundeswehr. Das ist ein Unterschied. Wenn in der Begründung zu lesen ist, dass unsere Partner und Verbündeten ehrende Gedanken an Soldaten haben und dass wir uns dem anschließen wollen, weil es zur kulturellen Identität gehört, dann ist das wahr. Das Ehrenmal aber, über das wir heute sprechen, stellt gerade die Gefallenen nicht in sein Zentrum. Warum sonst wird auf alle Toten der Bundeswehr verwiesen? Von den 2 600 stellen die Gefallenen eine verschwindend kleine Minderheit dar. Das unterscheidet diesen Plan für ein Ehrenmal elementar vom Invalidendom oder vom Altare della Patria, auf den es sich beruft. Dieses Ehrenmal ist ein deutscher Sonderweg. Humanität und Religion machen keinen Unterschied zwischen Toten, keinen Unterschied zwischen Gefallenen und Unfallopfern, zwischen denen, die an schweren Krankheiten gestorben sind, und denen, die sich umgebracht haben. Das Ehrenmal aber, über das wir heute diskutieren, will ja kein Zeichen allgemeiner Humanität oder Religiosität sein; hier hat sich der Staat herauszuhalten. Das Ehrenmal - das nehme ich ihm auch ab will in würdiger Form aller Toten der Bundeswehr gedenken, also all derjenigen, die in Ausübung ihres Dienstes im Inland wie im Ausland ihr Leben verloren haben. Für diese Interpretation spricht auch der künstlerische Entwurf, auf den Sie, Herr Kollege Dr. Jung, hingewiesen haben: die zerbrochenen Erkennungsmarken. Hier liegt die Verwirrung. Die Hälfte der Erkennungsmarken wird nämlich den Gefallenen abgenommen, also denjenigen, die getötet worden sind. Sie sind im Ersten und Zweiten Weltkrieg ein Zeichen massenhaften Sterbens gewesen. Passt das zu diesem Ehrenmal? Gedenken wir an diesem Ort 2 600 gefallener Soldaten? Nein. Für Frieden, Recht und Freiheit sind in Ausübung ihres Dienstes nur wenige gestorben, die hier geehrt werden sollen. Die anderen starben während ihrer Zeit als Angehörige der Bundeswehr, mehrheitlich ohne direkten Bezug zu ihrem Auftrag. Das ist ebenso tragisch und ebenso traurig, aber das gehört nicht in dieses Ehrenmal. Diese Unterscheidung ist deswegen so wichtig, weil die Entscheidung, die wir heute treffen, auch in zehn, 20 und 30 Jahren noch lesbar sein muss. Diese beabsichtigte Botschaft, die wir teilen, Herr Minister, braucht starke Zeichen, damit sie am Ende nicht fehlinterpretiert wird oder das gesamte Kunstwerk unlesbar macht. Lieber Kollege Stinner, im Original heißt es: Über Geschmack lässt sich nicht streiten; das glaube auch ich. Der Künstler hat sich Gedanken gemacht. Das soll er auch tun. Er hat sich für ein starkes Zeichen entschieden. Aber dieses Zeichen ist in seiner Symbolik aufdringlich, und es lädt zu Fehlinterpretationen ein. Denn eine zerbrochene Erkennungsmarke ist kein allgemeines Zeichen für den Tod, sondern ein Zeichen für diejenigen, die auf dem Felde gefallen sind. Ich verstehe gut, dass Sie, Herr Minister, nicht allein derjenigen gedenken wollen, die in Auslandseinsätzen umgekommen sind; daher teile ich das Ansinnen, keine Unterscheidungen zu treffen. Aber ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, ob durch diese Symbolik nicht alle Gestorbenen in die Gruppe der Gefallenen vereinnahmt werden. Das wäre dann eher ein Kriegerdenkmal, und das will, glaube ich, gar keiner von uns. Diese naheliegende Fehlinterpretation ist für mich das größte Manko des geplanten Ehrenmals am Bendlerblock. Der Begriff Parlamentsarmee ist in diesem Hause oft erwähnt worden. Der Inhalt dieses Ausdrucks ist bei uns allen völlig unumstritten: Wir als Parlament sind nicht der IBuK, der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt - das ist der Kollege Dr. Jung -, aber wir tragen mehr Verantwortung für die Streitkräfte als viele andere Parlamente, auch als die unserer Verbündeten. Weil das so ist, appelliere ich in Anlehnung an das, was Sie, lieber Herr Dr. Stinner, gesagt haben, an uns alle: Machen wir uns gemeinsam auf den lang verabsäumten Weg, in unmittelbarer Nähe des Parlaments einen Ort zu schaffen, an dem wir derjenigen gedenken, die von uns in Einsätze entsandt worden sind, und derjenigen, die als zivile Mitarbeiter und als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen starben. Ich rege an, dass wir uns auf einen solchen Gruppenantrag verständigen; denn hier tragen wir gemeinsam Verantwortung. Die Verantwortung ist groß. Das ist bitter. Aber es ist notwendig. Hier, beim Parlament, das ist der richtige Ort, und an diesem Ort sollten wir eine Gedenkstätte schaffen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Ausübung Ihrer Befehls- und Kommandogewalt, so haben wir vorgestern im Ausschuss für Kultur und Medien erfahren dürfen, haben Sie, Herr Minister, die Errichtung eines Bundeswehr-Ehrenmals am Antretplatz Ihres Dienstsitzes beschlossen. Ein Totengedenken, ein zentraler Ort der Erinnerungskultur, per Befehls- und Kommandogewalt - man mag das kaum glauben. Aber damit müssen wir uns jetzt auseinandersetzen. Sie ließen einen Ehrenmal-Wettbewerb durchführen, im Geheimen, und haben der Öffentlichkeit lediglich das Ergebnis präsentiert. Herr Minister, damit haben Sie bei einem so wichtigen Stück politischer Kultur auf eklatante Weise gegen das Transparenzgebot der demokratischen Ordnung verstoßen. Nicht dass ich Ihnen das Recht abspräche - aber es geht um die Sensibilität, darum, wie man mit der Erinnerungskultur in diesem Land umgeht. Daher ist den Anträgen der FDP-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen insoweit zuzustimmen, als die Planungen sofort auszusetzen bzw. zurückzustellen sind. Parlament und Öffentlichkeit, die bisher nicht angemessen oder überhaupt nicht in die Pläne einbezogen wurden, müssen über dieses Vorhaben diskutieren können. Sie müssen zum Beispiel die Frage stellen, ob ein solcher Gedenkort wirklich ein Ehrenmal sein soll. Der Begriff „Ehre“ legt doch nahe, dass es wieder ehrenvoll sein soll, in einen Krieg zu ziehen und zu sterben. Wollen wir tatsächlich wieder sagen - wie der römische Dichter Horaz -: „Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben“? Und wer denkt an die Ehre der Männer und Frauen und Kinder, die in diesen Kriegen - von den deutschen Soldaten oder ihren Verbündeten - getötet werden? Ausdrücklich soll mit dem Ehrenmal der 69 Soldaten gedacht werden, die ihr Leben in Auslandseinsätzen verloren haben. Die große Mehrheit der Deutschen beharrt darauf, dass die Bundeswehr, wie es im Grundgesetz festgelegt ist, einen Verteidigungsauftrag hat, und lehnt den Einsatz der Bundeswehr im Ausland ab. Diese Mehrheit ist nicht an einem Ehrenmal interessiert, sondern an einer Politik, die dem Verfassungsauftrag nachkommt und sich aus Kriegseinsätzen und Kriegsbeteiligungen im Ausland heraushält. Nein, wir brauchen kein Ehrenmal, das den Soldatentod verklärt. Wir brauchen stattdessen ein Mahnmal: für sämtliche Opfer der gegenwärtigen Kriege, besonders für die Opfer aus der Zivilbevölkerung, aber auch für die umgekommenen Soldaten. Wir brauchen ein Denkmal, das das Nachdenken über den Sinn der Opfer ermöglicht. Jeden Tag hören wir aus Afghanistan namenlose Zahlen der zivilen Opfer: heute acht, gestern 14, davor 25; Männer, Frauen, Kinder. Wie viele sind es seit Beginn des Krieges insgesamt? Wir wissen es nicht. Wir kennen ihre Namen nicht, nicht ihre Schicksale. Darf - muss - ihrer nicht auch gedacht werden? Und was ist mit dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, wie er im Grundgesetz festgelegt ist? Darf - muss - seiner nicht auch gedacht werden? Was wir brauchen, ist ein Mahnmal, an dem der Opfer gedacht wird. Es muss von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden; es muss in der Nähe des Parlaments stehen - auch da stehen wir den Forderungen in den Anträgen der Kollegen von der FDP und den Grünen nah -; vor allem kann es nur als Aufruf gegen den Krieg zu verstehen sein. ({0}) Das ist das, was wir in unserem Antrag fordern. Bedenken Sie diese Forderungen! Ich bitte um Zustimmung. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland gibt es auch heute noch Tausende von Kriegerdenkmälern, mit denen nicht nur der Kriegstoten gedacht wird, sondern mit denen der Krieg sehr oft auch beschönigt und verherrlicht und mit denen ein verqueres Heldengedenken demonstriert wird. Heute muss es um den Bruch mit einer solch demokratiefernen Tradition gehen. ({0}) Vor drei Jahren hatte ich die Gelegenheit, in Suchumi in Abchasien vor einem Gedenkstein für neun Mitglieder der United Nations Observer Mission in Georgia zu stehen, die am 8. Oktober 2001 im Kodori-Tal abgeschossen worden sind. Die Umgekommenen waren Ukrainer, Russen, Georgier, Pakistani, ein Schweizer und ein Deutscher. Es waren vier Soldaten - vier unbewaffnete Militärbeobachter - und fünf Zivilisten, acht Männer und eine Frau. Übrigens wurde damals von diesem ersten Bundeswehrsoldaten, der durch gegnerische Einwirkung ums Leben gekommen ist, wenig Aufheben gemacht; er wurde nach Deutschland regelrecht zurückgeschmuggelt. Seit Anfang der 90er-Jahre sind 69 Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen ums Leben gekommen - Gott sei Dank bisher keiner in einer Kampfsituation. Seit 1996 sind zwei deutsche Diplomaten und sechs Polizisten im Ausland ums Leben gekommen. Im Rahmen von Auslandseinsätzen von Durchführungsorganisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wurden seit 1996 25 Todesfälle bekannt. Unbekannt ist der Bundesregierung bisher die Zahl der bei humanitären und internationalen Organisationen tätigen, nicht entsandten Deutschen, die ums Leben gekommen sind, sowie die Zahl der Nichtdeutschen, die bei deutschen humanitären Organisationen ums Leben gekommen sind. Wenn Menschen im Rahmen des Friedensauftrags des Grundgesetzes zu Tode kommen, sind Politik und Gesellschaft eindeutig in der Pflicht, ihrer öffentlich und beständig zu gedenken. Das geschieht, wenn etwas passiert ist, bisher nur in Momenten, einige Tage danach am Flughafen Köln-Bonn. Die Voraussetzung eines solchen dauerhaften Gedenkens ist eine breite Debatte. Minister Jung hat mit seiner Initiative einen Anstoß hierfür gegeben, aber durch die Art und Weise des Vorgehens eine breitere Debatte und Initiative zunächst erschwert und damit auch eine wirklich öffentliche Erinnerung. Wir brauchen keine bloße „Ressort-Erinnerung“. Eine öffentliche und gemeinsame Erinnerung an jene, die im Rahmen des Friedensauftrages des Grundgesetzes und im Dienste der Menschenwürde im Ausland ums Leben gekommen sind, ist überfällig. Das sind neben Soldaten auch Entwicklungshelfer, humanitäre Helfer, Polizisten und Diplomaten. Angemessen dafür ist in der Tat nur ein Ort im Umfeld des Bundestags. Unverzichtbar für einen solchen Schritt in der deutschen Erinnerungskultur ist eine breite öffentliche Debatte. Wir glauben, mit unserem heutigen Antrag einige gute Vorschläge gemacht zu haben. Nach meiner Einschätzung der heutigen Diskussion sowie der Diskussion im Ausschuss ist diese Initiative nicht nur wünschenswert, sondern auch als gemeinsame Initiative möglich. Es wäre eine Initiative zur Fortentwicklung einer demokratischen Erinnerungskultur, die den Friedensauftrag des Grundgesetzes nicht ideologisch missbraucht, sondern ernst nimmt. Ich danke Ihnen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Dienstag zurückkommen. Falls die Koalitionsfraktionen und andere Befürworter der Einsätze in Afghanistan noch immer triumphieren sollten, sage ich Ihnen nur eines: Dieses Urteil war ein klassischer Pyrrhussieg. Der Kater nach der Euphorie wird fürchterlich sein. Nicht der Linken wurde eine schallende Ohrfeige versetzt, ({0}) wie der Herr Kollege Kolbow gesagt hat, sondern dem gesamten Parlament und damit uns allen - Sie haben es nur noch nicht gemerkt -; denn im Kern wurden wir alle mit dem Spruch des Zweiten Senats kalt entmachtet. Ich hoffe sehr, dass dies außer Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ und Christian Bommarius von der „Berliner Zeitung“ möglichst schnell auch andere erkennen. Carte Blanche für die Exekutive bei Auslandseinsätzen, urteilt Prantl zutreffend. Dem Parlament und dem Volk ist der Rechtsweg versperrt, sobald die Bundesregierung für das Etikett „Friedenseinsätze im euro-atlantischen Raum“ hier im Hause eine Mehrheit findet. Nun zum sogenannten Ehrenmal; ich nenne es richtigerweise Mahnmal. Wir Abgeordnete sollten uns nicht weiter zu Statisten degradieren lassen. Deshalb stimme ich den vorliegenden Anträgen der Linken und der FDP zu, dem Bundesminister der Verteidigung die Planungen für ein Ehrenmal an seinem Dienstsitz zu entziehen. Der Minister irrt nämlich. Nicht er, sondern wir, die Parlamentarier, tragen die Verantwortung für das Leben der Soldaten. Hier ist auch der innere Zusammenhang mit dem Urteil von Dienstag. In Anlehnung an den Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand sage ich: Ein Denkmal muss ein Stachel im Fleisch des Parlaments sein. Es muss uns täglich daran erinnern, dass wir über Leben und Tod entscheiden, wenn es um Auslandseinsätze geht. Es geht um ein Mahnmal, einen Ort der Mahnung zur Reflexion. Trauerfeiern, wie kürzlich in KölnWahn, möchte ich möglichst nicht mehr erleben. Ich will auch nicht, dass der Minister mit seinen Plänen einer Gedenkstätte für alle seit 1955 im Dienst Gestorbenen eine unzulässige Kontinuität konstruiert. Die frühere Bundeswehr war zur Verhinderung von Kriegen da. Die heutige ist zur Kriegsführung da. ({1}) Die bisher 69 bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommenen Soldaten sind Opfer dieser fatalen Politik. Deswegen brauchen wir ein Mahnmal in unmittelbarer Nähe zum Reichstagsgebäude, ({2}) dort, wo - jedenfalls noch - die Entscheidungen fallen, und zu dem die Öffentlichkeit stets freien Zugang hat. Es muss ein Mahnmal sein, das ausschließlich die Namen der Gefallenen aufführt, damit die Bevölkerung sehen kann, wie viele Opfer eine Außenpolitik fordert, die sich auf das Instrument Bundeswehr stützt. ({3}) Danke schön. Im Übrigen wünsche ich Ihnen noch schöne Sommerferien und gute Erholung. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord- nungspunkt. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungs- punkt 32 a. Beschlussempfehlung des Verteidigungsaus- schusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Planungen für Bundeswehr-Ehrenmal am Bend- lerblock aussetzen - Würdigung der Toten in unmittelba- rer Reichstagsnähe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5932, den An- trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5593 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Be- schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen und der Fraktion Die Linke bei Ablehnung der Fraktion der FDP und Enthaltung der Grünen angenom- men. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Tagesordnungspunkt 32 b sowie Zusatzpunkt 16. In- terfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5891 und 16/5894 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/5891 soll ebenfalls fe- derführend im Verteidigungsausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zwangsverrentung von Langzeitarbeitslosen ausschließen - Drucksache 16/5429 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({1}), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Zwangsverrentung stoppen - Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer verbessern - Drucksache 16/5902 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Die Kolleginnen und Kollegen Irmingard ScheweGerigk, Gerald Weiß ({3}), Heinz-Peter Haustein, Anton Schaaf und Volker Schneider ({4}) haben ihre Reden zu diesem Tagesordnungs- punkt zu Protokoll gegeben1). Damit erübrigt sich eine Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5429 und 16/5902 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt 34: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({5}) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN 1) Anlage 3 Schutz des Welterbes im Konflikt um die Waldschlösschenbrücke in den Vordergrund stellen - Drucksachen 16/4411, 16/5712 Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Christoph Waitz Katrin Göring-Eckardt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Maria Michalk für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({6})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir in der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind der Meinung, dass der Welterbetitel nicht nur ein schönes Etikett ist. ({0}) Es geht um die Rechtspflicht zur pfleglichen Behandlung eines überlieferten und herausragenden Kulturgutes. Die Dresdner haben die umsichtige und pflegliche Behandlung ihres Erbes in all den Jahrzehnten, auch in den letzten Jahren, meisterhaft realisiert. ({1}) Sie machen alles sehr gründlich, und es wird gut. Im Streit um die Waldschlösschenbrücke sind sie ebenfalls sehr gründlich, und wir hoffen, dass auch er gut enden wird. Die Besucher von Dresden interessieren sich zunächst einmal überhaupt nicht für das Völkerrecht und die Entscheidungen der Gerichte, wenn sie zum Beispiel am berühmten Barockufer flanieren. Sie vergleichen die an den Straßenrändern aufgestellten Bilder der zerstörten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem, was sich ihnen heute zeigt, und erfreuen sich daran. ({2}) Das gesamte Ensemble rund um die wieder aufgebaute Frauenkirche, die Möglichkeit der Elbe, über die Elbwiesen „atmen“ zu können und nicht in Betonufern eingezwängt zu sein, und vieles andere mehr - das ist es, worauf die Dresdner stolz sind und was die Besucher bewundern. Niemand bezweifelt die Tatsache, dass auch eine zukunftsweisende Flussquerung gebraucht wird. Die Kunst der nächsten Stunden und Tage besteht darin, den vorliegenden Kompromiss so in das gültige Planfeststellungsverfahren einzubringen, dass sowohl dem Bürgerentscheid als auch der Forderung der UNESCO Rechnung getragen wird und die Brücke endlich gebaut wird, ({3}) ohne dass noch mehr Zeit verloren geht und das Vorhaben letzten Endes wegen der Verzögerung nicht zustande kommt. Das würde dem Bürgerentscheid widersprechen. Ob das gelingt oder eine Wunschvorstellung bleibt, sollte nicht nur Völkerrechtler, Gerichte, Planer und uns Kulturpolitiker in Spannung halten, sondern auch eine Spannung hervorbringen, die zur Zusammenarbeit zwingt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mücke?

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Michalk, Sie haben gerade gesagt, es komme auf die nächsten Stunden und Tage an, um einen Kompromiss zu erreichen, der den vorliegenden Bürgerentscheid mit dem Erhalt des Welterbetitels in Einklang bringt. Sie haben dazu ausgeführt, dass es möglich sei, eine andere Brücke zu planen, um eine Einigung mit der UNESCO herbeizuführen. Habe ich das richtig verstanden?

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe ausdrücklich gesagt, dass dies im Rahmen des bestehenden, gültigen Planfeststellungsverfahrens möglich sein muss. Ob das gelingt, ob das Realität wird oder ob das nur eine Wunschvorstellung ist, weiß ich nicht. An dieser Stelle geht meine Rede weiter.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Mücke?

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte, Herr Mücke.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe selber an der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Christchurch teilgenommen und habe die Diskussion verfolgen können. Die überwiegende Mehrzahl der dort versammelten 21 Mitgliedstaaten hat über den vorgelegten alternativen Brückenentwurf gar nicht diskutiert, sondern hat in einer oberflächlichen Betrachtung einem Tunnel den Vorzug gegeben. Nun ist aber klar, dass ein Tunnel dazu führte, dass ein neues Planfeststellungsverfahren notwendig wäre. Wo sehen Sie die Möglichkeit, einen Kompromiss mit der UNESCO zu finden, wenn sich die Bürger für eine Brücke entschieden haben, während die UNESCO eigentlich einen Tunnel möchte?

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege, die Tragik in diesem Spannungsfeld ist, dass eine Tunnellösung bei dieser Konstellation nicht möglich und aus technischen Gründen vor Ort nicht praktikabel ist. Deshalb diskutieren wir über eine Brücke. Wenn wir nicht zusammenkommen, ist das wirklich tragisch. Ich habe von Spannung gesprochen. Bürgerentscheide vor Ort sind nicht gering zu schätzen. Das haben wir hier im Haus wiederholt festgestellt. Wir in den neuen Bundesländern kennen sie erst seit 17 Jahren. Die Freiheit, Bürgerentscheide durchzuführen, wurde hart erkämpft. Das gehört zu unserer Zivilisation genauso wie internationale Abkommen zum Schutz von Kulturgütern; diese sind ein Fortschritt. Wir dürfen Abkommen, die wir unterzeichnet haben, nicht leichtfertig über Bord werfen ({0}) nach dem Motto: Wir sparen uns die Zuschüsse, und Dresden verliert den Welterbetitel. - Genau das ist der Spannungsbogen. Wir versuchen seit Monaten, die Spannung zu kanalisieren. Es ist tragisch, dass dieses Spannungsverhältnis fortbesteht. Die UNESCO ist jedoch nicht absolut; das kam vielleicht schon in meiner Antwort zum Ausdruck. Sie darf die legitimen Bedürfnisse der Menschen vor Ort nicht einseitig dominieren. ({1}) Die Dresdner und die Pendler stehen täglich im Stau, nicht die Delegierten der UNESCO. Denkmalschutz bedeutet nicht Stillstand, sondern schließt moderne Entwicklungen ein. Das praktiziert Deutschland als Geburtsland der Denkmalpflege an vielen Stellen eindrucksvoll. Nun liegt der Vorschlag für eine Lösung auf dem Tisch. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern endlich um das Wie. Es verhält sich wie in einem Ehestreit: Wenn sich die Partner im Streit hochgeschaukelt haben, wissen sie eigentlich gar nicht mehr - das wollen sie auch nicht wahrhaben -, wer eigentlich die explosive Stimmung verursacht hat; das ist schade. Sie müssen dann Luft holen und innehalten. In der Ehe ist der Kitt die Liebe. Der Kitt im Streit um eine Brücke und den Welterbetitel ist meiner Meinung nach die Vernunft, nicht die Rechthaberei. Da ich weiß, dass die Sachsen vernünftige Leute sind, ist mein Optimismus ungebrochen. Ich vertraue darauf, dass vernünftige Leute vernünftige Maßnahmen realisieren werden. Viele fahren in den Sommerferien nach Dresden. Ich wünsche ihnen dort viel Freude und einen schönen Ferientag. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Christoph Waitz.

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das UNESCO-Welterbekomitee hat auf seiner Sitzung in Christchurch eine klare Frist gesetzt. Bis zum 1. Oktober soll eine Alternative zu der geplanten Waldschlösschenbrücke vorgelegt werden. Hält die Stadt Dresden jedoch - gezwungenermaßen - an der aktuellen Brückenplanung fest, ist der Welterbetitel verloren. ({0}) - Vielen Dank, Herr Tauss. - Dies ist die Ausgangslage. Zur Ausgangslage gehört aber auch, dass die maßgeblichen deutschen Gerichte die Umsetzung des Bürgerentscheids vom Februar 2005 zum Bau der Brücke bestätigt haben. Die Rechtslage ist also eindeutig. ({1}) Die oder - präziser gesagt - eine Brücke muss gebaut werden. Dazu verpflichtet der Bürgerentscheid. Es sollte selbstverständlich sein, dass alle Beteiligten diese Rechtslage akzeptieren. Allerdings steht der Bau dieser Brücke der Auffassung der UNESCO entgegen, die die aktuelle Brückenplanung mit dem Welterbestatus des Dresdner Elbtals für unvereinbar hält. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in einem völkerrechtlichen Vertrag verpflichtet, die Welterbestätten gemäß der UNESCO-Welterbekonvention zu schützen. Über das Lindauer Abkommen sind alle Länder - das betrifft auch den Freistaat Sachsen - an diese völkerrechtliche Verpflichtung gebunden. Auch wenn die Gerichte eine verpflichtende Wirkung der Welterbekonvention für die Stadt Dresden abgelehnt haben, war den Dresdnern immer klar - es sollte ihnen zumindest klar gewesen sein -, dass die Eintragung einer Region oder eines Ortes nicht nur mit einer Ehre und Auszeichnung verbunden ist, sondern, wie in diesem Falle, eine besondere Verpflichtung und eine Teilaufgabe der Planungssouveränität bedeutet. Dass der Verlust des Welterbetitels weit über Dresden hinaus für die Bundesrepublik ein Schaden wäre, brauche ich nicht zu betonen. Es sieht in dieser Konstellation nach einem klassischen Dilemma aus: entweder die Brücke oder das Weltkulturerbe. So ist es aber nicht zwangsläufig. Ich bin der Überzeugung, dass ein Ausweg aus diesem Dilemma möglich ist, wenn es den politischen Willen dazu gibt, und zwar unter drei Voraussetzungen. Erstens. Die Brücke muss gebaut werden. Zweitens. Die Brücke, die gebaut werden muss, muss anders sein als die derzeit geplante. Die dritte Voraussetzung ist - das ist wahrscheinlich die Voraussetzung, die am schwersten zu erfüllen ist -, dass alle Beteiligten nach vorne schauen müssen und sich nicht daran festbeißen dürfen, wer im Vorfeld Fehler gemacht hat und wer vermeintlich der Schuldige ist. Meiner Ansicht nach ist es mittlerweile irrelevant, welche Fehler in der Vergangenheit begangen wurden. Ich bin auch der Überzeugung, dass nicht nur in Dresden, sondern auch auf der Seite der UNESCO einiges schiefgelaufen ist. Auch wir sind nicht davon entbunden, uns selbst in die Pflicht zu nehmen; denn die früheren Bundesregierungen und den Deutschen Bundestag trifft in diesem Fall eine Mitschuld. Wir müssen uns angesichts der aktuellen Situation eingestehen, dass es ein Versäumnis war, die UNESCO-Welterbekonvention nicht in nationales Recht umzusetzen. Das ist eine Aufgabe, die wir nun dringend angehen müssen. Aber diese Fragen zählen im Moment nicht. Es wird behauptet, dass die Umsetzung des Bürgerentscheids zum Bau der Brücke bis zum 27. Februar des folgenden Jahres begonnen sein muss. An diesem Tag erlischt die Bindungswirkung des Bürgerentscheids. ({2}) Bis dahin lässt sich aber realistisch betrachtet ein neues Planfeststellungsverfahren oder auch ein Planänderungsverfahren für eine andere Brücke an derselben Stelle nicht zum Abschluss bringen. Das ist das entscheidende Problem. Wie lösen wir diesen Konflikt? Es gibt eine Möglichkeit, eine bindende Vereinbarung zu treffen, mit der die Beteiligten die Bindungswirkung des Bürgerentscheids aufrechterhalten. Eine solche Möglichkeit besteht im Rahmen eines Verwaltungsvertrags, den die Stadt Dresden mit dem zuständigen Regierungspräsidium vereinbaren müsste und mit dem die Bindungswirkung des Bürgerentscheids ausreichend verlängert werden könnte, um allen Beteiligten Zeit zu verschaffen, um eine planerische Lösung dieses Problems zu finden. Man muss den Kompromiss aber auch wollen. An dieser Kompromissbereitschaft zweifle ich mit Blick auf die Regierung des Freistaates Sachsen. Problematisch ist in meinen Augen das Verhalten des sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt. Er hat als Ministerpräsident die Verpflichtung, sich an die völkerrechtliche Bindung, die die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist, zu halten. Er müsste vermittelnd wirken, schürt stattdessen aber mit seiner Haltung den Streit. ({3}) Wo ein politischer Wille ist, da ist ein Weg. Wenn die politisch Verantwortlichen kompromissbereit sind, dann ist es möglich, eine Brücke am Dresdner Waldschlösschen zu bauen und zugleich den Welterbetitel zu erhalten. Genau das müssen wir erreichen. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute über einen Antrag abzustimmen, den meine Fraktion vor zehn Monaten in dieses Hohe Haus eingebracht hat; leider ist er heute ganz und gar nicht überholt. Im Gegenteil: Jetzt geht es um unsere letzte Chance, durch bundespolitisches Handeln im Streit um den Brückenbau in Dresden eine nationale Blamage zu verhindern. Auf der UNESCO-Konferenz in Christchurch wurde ein Fall der Kulturnation Deutschland verhandelt. Nicht zufällig war in Neuseeland immer von Deutschland die Rede, wenn Dresden gemeint war. Insofern hat das Komitee uns drei Monate Zeit gegeben, eine Alternative für die von der UNESCO nicht akzeptierte Waldschlösschenbrücke vorzulegen. Im Gegensatz zu dem, was wir schon alles über die UNESCO hören mussten, nämlich sie sei arrogant, stur und zu keinerlei Kompromissen bereit, hat sie klar signalisiert: Eine Elbquerung und der Erhalt des Weltkulturerbetitels sind möglich. Beides ist zu haben; es muss jetzt nur gewollt werden. Am 1. Oktober läuft die Frist ab. Deshalb müssten Sie unserem Antrag heute eigentlich zustimmen, in dem nichts anderes gefordert wird, als unverzüglich Gespräche zwischen Bund, Land und Kommune anzustreben, um eine Alternativlösung zu finden. Bedenken Sie die Wirkung, wenn Sie, das Parlament, zu dieser Forderung heute einfach Nein sagen. Es kann doch dem Rest der Republik nicht egal sein, wie in Dresden und Sachsen bestimmte Leute - das sage ich hier ganz bewusst; der Kollege von der FDP hat den Ministerpräsidenten genannt - mit dem kostbaren Gut „Weltkulturerbe“ umgehen. ({0}) Natürlich wissen wir, dass sich eine Mehrheit 2005 in einem Bürgerentscheid für jenen Brückenentwurf ausgesprochen hat, den die UNESCO als mit dem Weltkulturerbe unvereinbar eingestuft hat. Wir wissen aber auch, dass den Bürgern damals nicht bekannt war, dass sie mit ihrer Entscheidung auch für oder gegen den Erhalt des Titels „Weltkulturerbe“ für das Elbtal und das spektakuläre Stadtpanorama stimmen würden. ({1}) Natürlich wissen wir auch, wie die Gerichte gesprochen haben, meinen aber, dass sich derartige Probleme nicht allein vor Gericht lösen lassen. ({2}) Mediation in einer nationalen Kulturfrage muss möglich sein. Das, was der amtierende Dresdner Bürgermeister Lutz Vogel dazu gesagt hat, ist gerade schon zitiert worden: Wenn ein politischer Wille vorhanden ist, gibt es natürlich auch einen Weg. Denken Sie bitte an die vielen Bürgerinnen und Bürger Dresdens, die sich seit Monaten für eine Alternativlösung einsetzen. Was haben sie nicht alles gemacht: Sie haben demonstriert, Unterschriften gesammelt, öffentlich appelliert, um Gehör gebeten, einen Architekturwettbewerb durchgeführt, gewissermaßen alles in ihrer Macht - oder auch Ohnmacht - Stehende getan. Bei einer Repräsentativumfrage im Auftrag der „Sächsischen Zeitung“ haben sich in der vorigen Woche 65 Prozent der Befragten gegen den sofortigen Start des Baus der geplanten Brücke ausgesprochen. Diese Bürgerinnen und Bürger Dresdens wollen den Weltkulturerbetitel nicht verlieren und erwarten Hilfe aus dem Parlament und der Regierung für Dresden. - Das ist die eine Sache. Die andere Sache geht weit über Dresden und Sachsen hinaus. Wenn es uns nämlich insgesamt nicht gelingt, unser kulturelles Erbe zu schützen, dann gefährden wir vieles: Wir gefährden unsere Chancen für andere deutsche Weltkulturerbestätten. Wir gefährden unsere Glaubwürdigkeit als reiche Kulturnation gegenüber den vielen armen, für die es unendlich mühevoller ist, ihre Denkmäler zu erhalten. Schließlich gefährden wir unseren Ruf als völkerrechtlicher Partner im Weltverbund UNESCO. ({3}) Das wollen wir nicht. Das wollen Sie doch alle nicht.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Insofern müsste das alles dazu führen, dass Sie sich unserem Anliegen anschließen und dem Antrag zustimmen. Ich danke Ihnen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, ich wollte Sie unterbrechen; aber Sie haben es offensichtlich nicht registriert. - Die Redezeit von Frau Jochimsen ist allerdings zu Ende, Herr Mücke. Ich bitte um Verständnis. Da die Kollegin Katrin Göring-Eckardt und der Kol- lege Wolfgang Thierse ihre Reden zu Protokoll gegeben haben1), erteile ich nun als letztem Redner in dieser Debatte das Wort dem Kollegen Arnold Vaatz für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ich bei der ersten Debatte zu diesem Antrag sehr temperamentvoll auftreten musste, kann ich mich heute außerordentlich versöhnlich zeigen; denn die Angelegenheit, über die wir hier debattieren, ist ent- schieden. Die Frist für den Einspruch gegen die Ent- scheidung der Vergabekammer ist vorgestern abgelau- fen. Die Baulose sind zugeteilt - bis auf eines, für das noch eine Entscheidung des OVG Bautzen abgewartet 1) Anlage 4 wird. Die Baustellen werden unverzüglich eingerichtet. Sobald das geschehen ist, beginnt der Bau der planfestgestellten Brücke. ({0}) Das zur gegenwärtigen Situation. Die Rechtsgrundlage für diesen Ablauf ist so sonnenklar, wie es keine andere Rechtslage in Deutschland überhaupt sein kann. Unsere Rechtsgrundlage ist ein gültiger Bürgerentscheid. Der Stadtrat von Dresden weigert sich kontinuierlich, diesen Bürgerentscheid umzusetzen. Deshalb vollzieht das Regierungspräsidium nun eine Ersatzvornahme. Diese Ersatzvornahme wurde vom OVG Bautzen, vom Sächsischen Verfassungsgericht und vom Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig bestätigt. Demzufolge ist es eine Aufforderung zum Rechtsbruch, wenn man sagt, diese Ersatzvornahme dürfe nicht ausgeführt werden. ({1}) Lassen Sie mich jetzt noch auf ein paar hier geäußerte Einwände eingehen. Frau Jochimsen, Sie sagten, den Bürgern sei bei dem Volksentscheid nicht bekannt gewesen, dass sie das Weltkulturerbe aufs Spiel setzen. ({2}) Darf ich Ihnen dazu etwas entgegnen? Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass, als die Stadt Dresden ihre Bewerbung zur Aufnahme in die Weltkulturerbeliste abgegeben hat, bereits ein rechtskräftiger Stadtratsbeschluss vorlag, den sie auch der UNESCO mitgeteilt hat und aus dem die Absicht, genau an dieser Stelle genau diese Brücke zu bauen, hervorging. ({3}) Auf der Basis dieses Antrags ist 2004 die Zugehörigkeit zum Weltkulturerbe erklärt worden. Auf Intervention des New Yorker Nobelpreisträgers Günter Blobel hin hat die UNESCO bei gleicher Rechtslage - der Volksentscheid hatte die ursprüngliche Rechtslage, die durch eine andere Mehrheit im Stadtrat zwischenzeitlich ausgehebelt worden war, lediglich wiederhergestellt - im Jahr 2006 der Stadt Dresden gedroht, ihr diesen Titel zu entziehen und man hat das Dresdner Elbtal auf die Rote Liste gesetzt. Mit anderen Worten: Die UNESCO und niemand anders war es, wer seine Meinung geändert hat. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mücke?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Vaatz, ich halte in meinen Händen das Abstimmungsbuch zum Bürgerentscheid. Dieses Abstimmungsbuch umfasst 16 Seiten. Die Argumente der Gegner und der Befürworter des Brückenbaus füllen jeweils acht Seiten. Diese Broschüre ist in den Briefkasten jedes Dresdener Haushalts geworfen worden.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das bestätige ich.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Auch die Gegner der Waldschlösschenbrücke haben in diesem Abstimmungsbuch nicht festgehalten - ich habe es gerade noch einmal nachgelesen -, dass die Entscheidung für den Bau der Brücke den Verlust des Welterbetitels nach sich zieht. Daraus schließe ich, dass sich auch die Gegner des Baus gar nicht vorstellen konnten, dass die UNESCO ihre Meinung zum Brückenbau ändern könnte. Wie sehen Sie diesen Sachverhalt?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Gegner wie die Befürworter der Brücke sind nicht davon ausgegangen, dass eine Weltorganisation wie die UNESCO sich, wie man im juristischen Sprachgebrauch sagt, „treuwidrig“ verhalten könnte. ({0}) Dieses Verhalten der UNESCO ist der eigentliche Kritikpunkt, der in Dresden so unermesslich viel Unheil angerichtet hat. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Jochimsen?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Abgeordneter, welchen Begriff haben Sie gerade in Bezug auf die UNESCO angewandt?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Treuwidriges“ Verhalten.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- „Treuwidrig“. Ich weise diesen Begriff weit zurück. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das nehme ich zur Kenntnis, Frau Jochimsen!

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich meine, die Kollegen der FDP haben vorhin gesagt

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Sie wollten eine Frage stellen.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Was heißt „treuwidrig“? Woher haben Sie die Beweise, dass sich die UNESCO „treuwidrig“ verhalten hat?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die UNESCO hat sich so verhalten, weil sie im Jahre 2004 im Wissen um die Absicht der Stadt Dresden, diese Brücke zu bauen - die Umsetzung dieses Vorhabens war rechtskräftig -, den Welterbetitel erteilt und diesen Titel dann auf Intervention eines einzelnen Herrn bei gleicher Rechtslage wieder infrage gestellt hat. Das nenne ich „treuwidriges“ Verhalten. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, die Uhr ist angehalten. - Ich frage Sie, ob Sie eine weitere Zwischenfrage von Frau Jochimsen zulassen?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ausnahmsweise, Frau Präsidentin.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sind Sie ganz sicher, dass der Grund dafür, dass man gedroht hat, diesen Titel abzuerkennen, nicht ist, dass der UNESCO nicht übersetzte Unterlagen, unvollständige Unterlagen oder beim falschen Gremium eingereichte Unterlagen vorlagen? Sie wissen ganz genau, dass eine Person bei der UNESCO ausgereicht hat, zu sagen: „Jetzt stellt ihr sie auf die Rote Liste“? Das wissen Sie genau?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, Frau Professor Jochimsen, das weiß ich genau. Ich möchte ergänzen: Natürlich ist es so, dass jede Kommune einen Weltkulturerbeantrag stellen kann, wenn sie meint, dass sie weltkulturerbewürdig ist. Die UNESCO kann aber keineswegs bei der Aufnahme in die Weltkulturerbeliste eine Automatik gelten lassen. Das heißt: Die Denkmalschutzorganisation ICOMOS wird in diesem Fall beauftragt, den Antrag auf Aufnahme in die Weltkulturerbeliste zu evaluieren. Das bedeutet, dass jedem einzelnen Punkt, der dort angegeben wird, auf den Grund gegangen werden muss, ob er zutreffend ist oder nicht. Der zuständige Gutachter von ICOMOS, Herr Yokilehto aus Finnland, ist persönlich vom damaligen Landeskonservator Glaser an die Stelle geführt worden, wo die Brücke gebaut werden soll. Dort sind ihm sämtliche Fachfragen beantwortet worden. Darauf hat er sein befürwortendes Gutachten aufgebaut, Frau Professor. Das ist dazu zu sagen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Vaatz, es ist ein ernstes Thema. Ich bedaure sehr, dass Sie eingangs Ihrer Ausführungen mit dem „Augen zu und durch“ ganz offensichtlich wieder eine Chance für den Freistaat Sachsen vertan haben, zu Kompromissen zu kommen. Sie haben sich auf die UNESCO bezogen. Als Vorstandsmitglied der deutschen UNESCO-Kommission sage ich: Ihr Vorwurf der Treuwidrigkeit ist schlicht inakzeptabel an dieser Stelle. ({0}) Es gab mit „up“ und „down“ in der Tat einen Übersetzungsfehler. ({1}) - Ihr solltet bei diesen Dingen ein bisschen vorsichtiger sein, wenn ihr über Kulturpolitik weiter mitreden wollt. Es ist in der Tat so, dass es einen Übersetzungsfehler gegeben hat. Wissen Sie aber, dass zu keinem Zeitpunkt dieser - durchaus bekannte - Übersetzungsfehler mit „up“ und „down“ betreffend den „river“ von den Planungsbehörden in irgendeiner Form richtig gestellt worden ist, sodass dieses Missverständnis in der Tat zu einer Fehlbeurteilung der UNESCO geführt hat? Insofern kann dieser Fehler nicht in der Form, wie von Ihnen charakterisiert, der UNESCO vorgeworfen werden. Würden Sie mir da zustimmen? Ich fürchte nein.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Missverständnisse, die im internen Bearbeitungsverkehr der UNESCO aufgetreten sind, hat die UNESCO selber zu vertreten. Mehr kann ich dazu nicht sagen. ({0}) Ich würde jetzt gerne fortfahren, denn ich habe gegenüber Herrn Waitz noch ein Thema zu klären. Lieber Herr Waitz, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass der UNESCO-Beitritt auf eine Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag zurückzuführen ist. Sie wissen aber, dass unsere Verfassung für solche Fälle ein Transformationsgesetz vorsieht. Das heißt, das Ganze muss in nationalstaatliches Recht umgesetzt werden. Es ist wirklich tragisch, dass das bisher nicht geschehen ist. ({1}) - Verehrter Herr Kollege Tauss, es ist anders. ({2}) Das Problem ist Folgendes: Die Argumentation geht davon aus, dass mit der Antragstellung auf Aufnahme in die Weltkulturerbeliste ein Souveränitätsverzicht der Stadt Dresden geleistet worden wäre. ({3}) Dieser Souveränitätsverzicht der Stadt Dresden kann nur von einer Institution geleistet werden, die diese Souveränität hat. ({4}) Wenn der Stadtrat lediglich, ohne das Volk zu befragen, ({5}) Souveränität nach außen abtritt, dann ist ein solcher Antrag, wenn es die direkte Demokratie gibt und wenn über diesen Sachverhalt direktdemokratisch entschieden werden darf, schlichtweg nicht zulässig.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Zusatzfrage hat der Herr Kollege Mücke. Lassen Sie sie zu? ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Vaatz und liebe Kollegen, das ist meine letzte Frage. Dann bin ich auch schon fertig. Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, möchte ich kurz aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Thema völkerrechtliche Einordnung zitieren: Die Welterbekonvention, in der die Idee eines internationalen Kulturgüterschutzes zum Ausdruck kommt, bietet nach Konzeption und Wortlaut keinen absoluten Schutz gegen jede Veränderung der eingetragenen Stätten des Kultur- und Naturerbes. Die Vertragsstaaten des Übereinkommens haben ausdrücklich die Souveränität der Staaten, in deren Hoheitsgebiet sich die geschützten Stätten befinden, und die bestehenden Eigentumsrechte anerkannt … die Erfüllung des Schutzauftrages ist zuvörderst Aufgabe der Vertragsstaaten;

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, kommen Sie bitte zu Ihrer Frage.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme sofort dazu. der Schutzauftrag konkretisiert sich in seiner internationalen Dimension in der „Einrichtung eines Systems internationaler Zusammenarbeit … ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie unterbrechen. Sie merken, dass viele Kollegen andere Termine haben. Sie haben das Recht zur Frage. Aber ich bitte Sie wirklich, Ihre Frage konzentriert zu formulieren.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Für mich ist die Frage, ob die Ausführung des Bundesverfassungsgerichts nur belangloses Richtergeschwätz ist oder ob das eine verbindliche rechtliche Auslegung zur völkerrechtlichen Einordnung dieser Frage ist. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es scheint in diesem Raum Kollegen zu geben, die die Auffassung tragen, die Sie gerade als eine mögliche dargestellt haben. Ich gehöre nicht dazu. Für mich ist das eine verbindliche Feststellung des höchsten deutschen Gerichts. ({0}) Letzte Bemerkung. Uns, den Brückenbefürwortern, und der Sächsischen Landesregierung wird in aller Regel Kompromissunwilligkeit vorgeworfen. ({1}) Ich möchte ergänzend dazu noch Folgendes sagen: Als die UNESCO begonnen hat, Anstoß an der Brücke zu nehmen, hat sie eine Befassung mit diesem Thema bei ihrer Vollversammlung in Vilnius in Aussicht gestellt. Die Stadt Dresden hat daraufhin, weil sie vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen wollte, weil sie Kompromiss- und Gesprächsbereitschaft zeigen wollte, den eigentlich schon beschlossenen Baubeginn im März ausgesetzt und gesagt: Wir warten bis zu dem Beschluss in Vilnius. Daraufhin hat die Stadt Dresden in Vilnius Gelegenheit gehabt, ihre Vorstellungen vorzutragen. Der Bürgermeister Feßenmayr bekam ganze vier Minuten, um die Belange der Stadt vorzutragen. Daraufhin wurde beschlossen, Dresden auf die Rote Liste zu setzen. Wer ist hier eigentlich stur? ({2}) Wer ist störrisch? ({3}) Wer ist nicht kompromissbereit? ({4}) Meine Damen und Herren, bitte überlegen Sie das in Ruhe. Wenn die Brücke fertig ist, lade ich Sie ein, zur Einweihungsfeier zu kommen. Ich hoffe, wir alle erleben das noch. Vielen Dank. ({5}) Ich wünsche allen natürlich noch eine angenehme Sommerpause, natürlich auch Ihnen, Frau Präsidentin. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich spüre die Nervosität und weiß, dass viele von Ihnen noch andere Termine haben, dass Züge und Flugzeuge nicht auf jeden einzelnen warten. Gleichwohl muss ich Ihnen sagen: Es liegt noch die Bitte einer Kollegin zu einer Kurzintervention vor. Wir alle sollten ihr noch die Möglichkeit geben, diese vorzutragen, und wir sollten ihr auch zuhören. ({0}) Je konzentrierter wir die letzten Minuten sind, desto schneller geht es. Frau Kollegin Volkmer.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Entgegen den Darlegungen von Herrn Vaatz möchte ich Folgendes noch einmal ganz deutlich machen: Die Dresdener haben beim Bürgerentscheid nicht gewusst, dass durch ihre Stimme für die Brücke der Welterbetitel für Dresden verloren geht. ({0}) - Sie haben das in einem Satz gesagt. - Das zeigt sich ganz klar daran, dass so bekannte Dresdner wie Ludwig Güttler mehrfach erklärt haben, dass sie heute ein anderes Abstimmungsverhalten zeigen würden als damals beim Bürgerentscheid. 65 Prozent der Dresdner haben sich in der vorigen Woche ganz klar gegen den sofortigen Baubeginn ({1}) und gegen den Bau dieser Brücke ausgesprochen. Da muss man schon fragen: Wer handelt hier gegen den Willen der Dresdner Bürger? ({2}) Der Stadtrat mit Sicherheit nicht; denn dieser Stadtrat hat die Interessen der Bürger vertreten. Gegen den Willen der Dresdner Bürger handelt der Ministerpräsident Milbradt. Gegen den Willen der Dresdner Bürger handelt das Regierungspräsidium in Dresden. Das ist nicht nur gegen den Willen der Dresdner Bürger, sondern auch gegen die Interessen Deutschlands; denn es ist eine Schande, dass dann, wenn von der UNESCO zum ersten Mal ein Welterbetitel aberkannt wird, gerade eine deutsche Stadt betroffen ist, noch dazu eine sächsische Stadt, noch dazu Dresden, da Dresden immer gern als die Kulturhauptstadt dastehen möchte. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Jetzt sehe ich keine Wortmeldungen mehr. Damit ist die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Schutz des Welterbes im Konflikt um die Waldschlösschenbrücke in den Vordergrund stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5712, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4411 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ablehnung durch die Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Sie haben sehr lange ausgeharrt. Ich danke Ihnen herzlich dafür. Sie haben sich eine angenehme Sommerpause verdient. Ich wünsche Ihnen erholsame Tage. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestag auf Dienstag, den 11. September 2007, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.