Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/5/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und gute Beratungen. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es einige Mitteilungen. Es beginnt ganz fröhlich: Der Kollege Dr. Rainer Stinner feierte am 26. Juni seinen 60. Geburtstag, und die Kollegin Helga Kühn-Mengel feierte am 1. Juli ebenfalls ihren 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu herzlich und wünsche alles Gute. ({0}) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Vereinbarte Debatte zur vorgesehenen Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning, Dr. Werner Hoyer, Michael Link ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP EU-Regierungskonferenz schnell zum Erfolg führen - Drucksache 16/5882 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN EU-Regierungskonferenz - Für eine handlungsfähige und demokratische EU - Drucksache 16/5888 ({3}) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Ergebnisse des Dritten Energiegipfels der Bundesregierung ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Antwort der Bundesregierung auf die Frage 32 auf Drucksache 16/5854 ({4}) ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen - Drucksache 16/5901 ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({5}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer ({6}), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Martin Dörmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie sichern - Drucksache 16/5908 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer ({8}), Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Brunhilde Irber, Gert Weisskirchen ({10}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen - Drucksache 16/5907 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({11}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Humboldt-Forum statt Fassadenschloss - Schlossplatz mit Zukunftsorientierung - Drucksache 16/5922 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12}) Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 8 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({13}) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 251 zu Petitionen - Drucksache 16/5911 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 252 zu Petitionen - Drucksache 16/5912 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 253 zu Petitionen - Drucksache 16/5913 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 254 zu Petitionen - Drucksache 16/5914 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 255 zu Petitionen - Drucksache 16/5915 - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 256 zu Petitionen - Drucksache 16/5916 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 257 zu Petitionen - Drucksache 16/5917 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 258 zu Petitionen - Drucksache 16/5918 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 259 zu Petitionen - Drucksache 16/5919 - j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 260 zu Petitionen - Drucksache 16/5920 - k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 261 zu Petitionen - Drucksache 16/5921 ZP 9 Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums gemäß § 39 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes - Drucksache 16/5883 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof - Sinnvolle Nachnutzung des Flughafenareals - Drucksache 16/5897 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({25}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther ({26}), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien - Drucksache 16/5609 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({27}) Innenausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({28}), Volker Beck ({29}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Michael Link ({30}), Harald Leibrecht, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen aus Belarus - Drucksache 16/5905 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({31}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerinnen und Bürger aus Belarus - Drucksache 16/5909 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({32}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Perspektiven für eine sektorale Ausweitung des Emissionshandels sowie für die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmesektor - Drucksache 16/5610 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({33}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Kerstin Andreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses - Drucksache 16/5751 Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das würdige Gedenken der Toten in Friedenseinsätzen braucht eine breite Debatte - Drucksache 16/5894 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({35}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien ZP 17 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Datenvernichtung bei der Bundeswehr Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 13, 17 a, 22 und 35 a werden abgesetzt. Zum Tagesordnungspunkt 17 b ist eine Aussprache nicht mehr vorgesehen. Er soll zusammen mit den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden. Die Tagesordnungspunkte 12 und 25 werden getauscht. Die Tagesordnungspunkte 15, 19, 21, 23 und 24 werden jeweils vorgezogen und nach den Tagesordnungspunkten 25, 14, 16, 18 und 20 aufgerufen. Ich vermute, Sie haben das alles mitgeschrieben, ({36}) sodass über die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte nun kein Zweifel mehr besteht. Falls noch Orientierungsbedarf besteht, steht das Präsidium für Auskünfte gerne zur Verfügung. - Ansonsten stelle ich dazu Einvernehmen fest. Dann ist die Tagesordnung mit diesen Veränderungen so beschlossen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 und Zusatzpunkt 6: 3 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung Aufschwung für Deutschland - Gute Zeiten entschlossen nutzen ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen - Drucksache 16/5901 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos. ({37})

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Wirtschaft steht unter Volldampf. Deutschland ist wieder Wachstumslokomotive in Europa geworden. Die Stagnation ist vorbei. Auf den Reformbaustellen gibt es weder hitze- noch kältefrei. Wir müssen nach vorne blicken und diesen Aufschwung stabilisieren. ({0}) Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. Der Aufschwung muss vor allen Dingen nachhaltig werden. Wir freuen uns darüber, dass der Wachstumsprozess festen Tritt gefasst hat. Dieser Wachstumsprozess ist nicht allein auf die Schubkraft der Weltkonjunktur angewiesen, sondern trägt inzwischen aus eigener Kraft. In diesem wie auch im kommenden Jahr kommt der stärkste Wachstumsimpuls von der Binnenwirtschaft. Ich finde, das ist etwas, was uns Hoffnung gibt, dass wir ein Stück unabhängiger von Schwankungen der Weltwirtschaft werden. ({1}) In diesem wie auch im kommenden Jahr geht der stärkste Wachstumsimpuls, wie gesagt, von der Kraft aus, die die deutsche Wirtschaft auch im Inland wieder entfaltet. Hinzu kommt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder mehr Kaufkraft haben und sie auch nutzen. Wir kalkulieren vorsichtig. Großmäuligkeit ist zum Fremdwort geworden. Die Bundesregierung erwartet für dieses Jahr ein Wachstum von 2,3 Prozent. Ich weiß, dass andere seriöse Institutionen schon jetzt deutlich höhere Wachstumserwartungen haben. Besser abzuschneiden als angekündigt, ist uns lieber, als den umgekehrten Weg zu gehen. ({2}) Unsere Zuversicht, dass das Wachstum trotz der Umsatzsteuererhöhung anhält, hat sich erfüllt. Der befürchtete Preisschub ist - gottlob - ausgeblieben. Das sind für diejenigen, die Schauderszenarien lieben, schlechte Nachrichten; aber für die Deutschen sind das gute Nachrichten. Diese Nachrichten schmerzen die Untergangspropheten. Heiligendamm war auch deshalb ein so großer Erfolg, Frau Bundeskanzler, weil eine starke Bundeskanzlerin ihre Gäste als Vertreterin eines wirtschaftlich starken Landes hat empfangen können. Das gibt uns in der Welt wieder Gewicht. ({3}) Wer im eigenen Land erfolgreich ist, dessen Stimme hat auch anderswo Gewicht. Jetzt, wo das Wachstum nicht mehr zu leugnen ist, behaupten Miesmacher, von dem Aufschwung profitierten nur einige wenige. Auch das ist falsch. Die Wirklichkeit sieht vollkommen anders aus. Der Aufschwung kommt überall an. Für die Bundesregierung sage ich in Anlehnung an Ludwig Erhard: Wir erleben den Aufschwung für alle. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik gab es so viele Beschäftigte wie heute: fast 40 Millionen. Der Anstieg an Beschäftigung entfällt übrigens ganz überwiegend auf sozialversicherungspflichtige, also gute Vollzeitstellen. Auch die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Allein in den letzten zwölf Monaten ist sie um weit über 700 000 zurückgegangen; sie liegt nun bei 3,7 Millionen. Bis Ende 2008 wird die Arbeitslosenzahl auf weniger als 3,5 Millionen sinken. Das wäre dann der tiefste Stand seit über zehn Jahren. Das zeigt: Der Aufschwung kommt auch bei den Beschäftigten an. Deren Arbeitsplätze werden nicht zuletzt aufgrund der Lohnzurückhaltung in den letzten Jahren erhalten. In den Tarifverhandlungen ist erstmals wieder ein deutliches reales Plus erreicht worden. Das wird sich auf den Konsum natürlich positiv auswirken. ({4}) Allerdings werden die Insolvenzverwalter - darüber freue ich mich - weniger zu tun haben. Ich glaube, dass wir auch mit dieser Tatsache gut leben können. Womit wir allerdings nur schwer leben können, ist der Fachkräftemangel, den es in Deutschland inzwischen gibt. Das ist etwas, was uns besorgt macht. Obwohl in Deutschland 20 000 Ingenieure arbeitslos gemeldet sind, sucht die Wirtschaft händeringend nach Fachkräften. Das passt nicht zusammen; das bremst den Aufschwung. Deshalb brauchen wir mehr Investitionen in Bildung, in Ausbildung, aber auch in Weiterbildung. ({5}) Wir müssen in allererster Linie diejenigen Menschen weiterbilden und aktivieren, die in unserem Land leben, die in unserem Land nach Arbeit suchen, und wir müssen ihnen Chancen geben. Außerdem muss selbstverständlich die Frage der gesteuerten Zuwanderung von Fachkräften aus anderen Ländern auf die Tagesordnung. Eine solche Zuwanderung lässt sich nicht von heute auf morgen herbeiführen; deswegen müssen wir die Weichen rechtzeitig stellen. Deutschland muss im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe mithalten können, um den globalen Wettbewerb besser zu bestehen. ({6}) Damit Deutschland weiter die Nase vorn hat, steigert die Bundesregierung kontinuierlich die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das zeigt die gestern beschlossene mittelfristige Finanzplanung. Auch die Länder und die Wirtschaft bleiben aufgerufen, mehr für Forschung und Entwicklung zu tun. Wir alleine als Staat können das 3-Prozent-Ziel von Lissabon nicht erreichen, sondern wir brauchen selbstverständlich das Mittun der Wirtschaft. Gerade jetzt im Aufschwung gilt es, auf Reformkurs zu bleiben. Der Aufschwung hat viele Gründe: die gute Weltkonjunktur, eine zurückhaltende Lohnpolitik und vor allen Dingen die Anstrengungen der Unternehmungen. Das allein hätte jedoch nicht gereicht, um auf einen nachhaltigen Wachstumskurs zurückzukehren. Der konsequente Kurs der Großen Koalition - unsere Strategie mit den drei Elementen Sanieren, Reformieren und Investieren - trägt jetzt Früchte. ({7}) - Ich habe das extra gesagt, damit auch die SPD noch überzeugter klatschen kann. ({8}) Der Aufschwung ist kein Selbstläufer, sondern muss wie eine empfindliche Pflanze gepflegt werden. Wie teuer es wird, wenn der Aufschwung erlahmt, haben wir in den Jahren 2001 bis 2005 erleben müssen. Trotzdem gibt es immer welche, die versuchen, das Rad zurückzudrehen. Dem halte ich allerdings Ministerpräsident Platzeck entgegen, der gesagt hat: Für mich war der Hauptfehler, dass wir mit den Reformen zu spät begonnen haben. Darüber hinaus zitiere ich jetzt Herrn Gorbatschow, der gesagt hat: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. ({9}) Deswegen war es richtig, dass es zu einem Regierungswechsel gekommen ist. Wir fühlen uns dem Aufschwung verpflichtet. ({10}) Wären wir noch später gekommen, dann wären wir jetzt, um mit den Worten Platzecks zu sprechen, gesellschaftlich und ökonomisch vor der Wand. Eine Hauptaufgabe muss natürlich die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte sein. Dem hat sich Kollege Steinbrück nachhaltig gewidmet. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir sonst das Ziel ausgeglichener öffentlicher Haushalte ins Visier nehmen? Wir werden das auch erreichen. Das ist möglich. ({11}) Zuerst profitieren die öffentlichen Kassen von der Konjunktur. Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass es auch so bleibt. Die Steuer- und Beitragsquellen sprudeln, doch wächst mit dem Aufschwung der Wirtschaft auch der Wunsch nach neuen konsumtiven Ausgaben, die mit Zukunftsgestaltung oft nichts zu tun haben. Ich bin der Meinung, wir müssen eine Politik betreiben, die dafür sorgt, dass die Finanzquellen länger sprudeln. Fast täglich kommen neue Forderungen. Diese Forderungen muss man natürlich in dem Licht sehen, ob wir uns das alles in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt, leisten können. Ich zitiere nun das Bundesfinanzministerium, das in seinem jüngsten Monatsbericht schreibt: Das Ziel eines mittelfristig ausgeglichenen Haushalts hat nach wie vor hohe Priorität. Legt man die jüngste Steuerschätzung zu Grunde, ist dazu eine weitere Rückführung der Staatsquote unabdingbar. Ich habe vorhin den Antrag der FDP gelesen. Sie befinden sich offensichtlich ein Stück weit im Einklang mit dem Bundesfinanzministerium. Ich meine, es ist genau der richtige Ansatz, um die Staatsfinanzen nachhaltig auf eine feste Grundlage zu stellen. Denn der Aufschwung muss dem Bürger gehören und nicht dem Staat. Das ist meine feste Überzeugung. ({12}) Wir müssen die Arbeitnehmer und Betriebe, die hohe Abgaben und Steuern von ihrem hart verdienten Geld bezahlen, am Konsolidierungserfolg beteiligen. ({13}) Professor Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut nennt es ein „Gebot der Vernunft, die Entlastung der Bürger jetzt schnell auf die Tagesordnung zu setzen“. Es ist und bleibt unser Ziel, die paritätisch finanzierten Beitragssätze zu den Sozialversicherungen unter 40 Prozent des beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgeltes zu senken. Das ist gelungen, aber das muss immer wieder verteidigt werden. Durch die Arbeitsmarktreformen und den gegenwärtigen wirtschaftlichen Aufschwung haben wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,2 Prozent zurückführen können. Wenn es auf dem Gebiet weitere Spielräume gibt, müssen wir diese nutzen. Der Wirtschaftsaufschwung zeigt eine klare Botschaft: Reformen zahlen sich aus. Die Bundesregierung ist daher entschlossen, in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode weitere Wege für Wachstum und Arbeitsplätze zu eröffnen. Wir müssen die Unternehmensteuerreform um eine Reform der Erbschaftsteuer und ein umfassendes Wagnis- und Finanzierungsgesetz ergänzen. ({14}) Die Entwürfe liegen vor. Als weiteres wichtiges Ziel nenne ich den Bürokratieabbau. Wir haben den Bürokratieabbau in Europa zum Thema gemacht. Das war fast ein Fremdwort für die Europäische Kommission. Wir konnten durchsetzen, dass 25 Prozent der von der EU hervorgerufenen Bürokratiekosten durch Vorschläge und Maßnahmen der Europäischen Union wieder rückgängig gemacht werden. Wir müssen den Weg bei uns in Deutschland natürlich selbst verstärkt gehen. Wir haben bereits ein Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet, und ein weiteres ist im parlamentarischen Prozess. Wichtig ist auch mehr Wettbewerb, beim Schienenverkehr - im Interesse der Mobilität der Bürgerinnen und Bürger - und ebenso im europäischen Briefmarkt. Damit uns in Zukunft schmerzhafte Konsolidierungsprogramme erspart bleiben, brauchen wir zudem eine wirksame Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte. Sie zu finden, ist Aufgabe der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen. Wir sind entschlossen, auch die Mitarbeiterbeteiligung auszubauen. Ich finde, das ist ein richtiger Weg. Die Arbeitnehmer sollen am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Betriebe spürbar beteiligt werden. ({15}) Das fördert die Streuung des Produktivkapitals und schafft neue Motivation. Die Entscheidung darüber, wie dies individuell am besten und am effizientesten erreicht werden kann, sollte man nach meiner festen Überzeugung in allererster Linie den Tarifpartnern überlassen. Mein Haus ist dabei, die Förderprogramme für den innovativen Mittelstand einfacher und transparenter zu gestalten. Auf dem Arbeitsmarkt gilt es, die richtige Balance zwischen Flexibilität und Sicherheit zu finden. Mit Blick auf mehr Beschäftigung werden wir Effizienz und Effektivität des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums erhöhen. Noch etwas braucht unsere Wirtschaft, damit sie weiter auf einem Wachstumspfad bleibt, nämlich eine zuverlässige, kostengünstige und gleichzeitig klimafreundliche Energieversorgung. Darüber haben wir sehr viel diskutiert, ({16}) auch auf dem Energiegipfel. Die Probleme lassen sich natürlich am allerbesten im Konsens mit der Wirtschaft lösen, weil dort diejenigen sind, die die Investitionen dafür tätigen müssen. ({17}) Wir müssen auf der anderen Seite natürlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick behalten. Damit meine ich nicht nur die industriellen Verbraucher von Energie, sondern auch die Millionen Haushalte. Deswegen müssen wir die Energiepreise kritisch beobachten. Ich fühle mich nicht als Bundesminister der Wirtschaft, sondern als Bundesminister für Wirtschaft, und das schließt die Verbraucherinnen und Verbraucher mit ein. ({18}) Wir haben auf diesem Gebiet vieles geschafft, zumindest regierungsseitig. Es war durch die Abwägung vieler Interessen manchmal natürlich nicht ganz leicht, in der Regierung die GWB-Novelle, die Kraftwerksnetzanschluss- sowie die Anreizregulierungsverordnung auf den Weg zu bringen. Gegenwärtig liegt es an Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie rasch zum Beispiel die GWB-Novelle umgesetzt wird, die uns erlaubt, den großen Energieerzeugern oder Strom- und Gasverteilern stärker auf die Finger zu schauen. Ich halte das nach wie vor für notwendig und nutze die Gelegenheit, an Sie zu appellieren, die Bremsklötze auf dem Gebiet wegzunehmen. ({19}) - Ich bedanke mich ganz herzlich für die Unterstützung und nehme alles zurück. Ich bitte um noch stärkere und noch raschere Unterstützung als bisher. ({20}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Reformagenda bietet trotz aller Fortschritte noch reichlich Stoff für die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Insofern ist die Arbeit nicht zu Ende. ({21}) Die Bundesregierung ist fest entschlossen, sich nicht auf den Lorbeeren des Aufschwungs auszuruhen und den erfolgreichen Reformweg weiterzugehen. Über den Weg können und müssen wir selbstverständlich streiten, aber über das Ziel sollten wir uns einig sein: Es geht um die Menschen in unserem Land. Für deren Wohl zu arbeiten, dazu lade ich Sie alle ganz herzlich ein. Vielen Dank. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaft brummt. Wir haben eine erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung. Darüber freuen wir uns als deutsche Patrioten. ({0}) Der Aufschwung ist weder den Schwarzen noch den Roten zuzurechnen, ({1}) er ist der Leistung der Menschen zu verdanken. ({2}) Diesen müssen wir sagen: Danke, ihr macht das prima. Wir möchten euch dabei helfen. Der Bundeswirtschaftsminister hat richtig erkannt: Die jetzige Wirtschaftslage muss genutzt werden, um durch finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmen langfristig Deutschland auf dem Wachstumspfad zu halten und das Wachstum möglichst noch zu steigern. Haushaltssanierung und Steuersenkungen sind die entscheidenden Mittel dazu. ({3}) Daran, Herr Glos, müssen Sie sich nun messen lassen. ({4}) Ihre heutige Rede beinhaltete ein Stück weit auch einen Appell in die Koalition hinein, eine vernünftige Politik zu unterstützen. Ich denke, das ist so ein bisschen wie bei Harry Potter, der im eigenen Laden gegen das Übel und die Reformmüdigkeit kämpfen muss. Ich hoffe, Sie haben die richtige Strategie und nicht bloß wirkungslose Zaubersprüche ohne Chancen darauf, dass etwas passiert. Vielmehr müssen konkrete Maßnahmen Schritt für Schritt umgesetzt werden. Die Bundesregierung glaubt offensichtlich, angesichts sprudelnder Steuereinnahmen und gefüllter Sozialkassen neue Subventionstatbestände erfinden zu müssen. Das ist bei Ihren Vorschlägen zur Mitarbeiterbeteiligung bis hin zur Förderung von Energiesparmaßnahmen bei Kühlschränken und Ähnlichem der Fall. Die Investitionen erreichen nach den Planungen des Finanzministers 2011 einen historischen Tiefstand; sie betragen dann nur noch 8,2 Prozent des Haushaltsvolumens. Zugleich werden aber die Ausgaben kräftig erhöht, nämlich um 4,7 Prozent. Sie haben natürlich recht: Dieser Aufschwung darf nicht Anlass sein, die Hände in den Schoß zu legen, also sozusagen vom Winterschlaf direkt in die Sommerpause zu gehen. Wir brauchen aber keine neuen Ausgabenprogramme. Der DIHK-Präsident Braun warnt davor. Er vermutet, dass der Deutschlandfonds der SPD ein Modell sei, das dazu beitragen soll, dass die Gewerkschaften zu Heuschrecken werden. Bei den diskutierten Konzepten ist deswegen sicherlich Vorsicht geboten. Gute Wirtschaftspolitik besteht darin, die Zeit des Aufschwungs zu nutzen, um für die Zeit des Abschwungs vorbereitet zu sein. ({5}) Schauen wir uns einmal einzelne Bereiche an. Arbeitsproduktivität: Die Steigerung betrug 2006 1,9 Prozent. Das ist verglichen mit den Jahren zuvor erfreulich, verglichen mit der Entwicklung in den Vereinigten Staaten oder bei uns in den 90er-Jahren immer noch bescheiden. Hier muss weiter zugelegt werden. Es handelt sich übrigens überwiegend um Rationalisierungsinvestitionen. Diese allein werden nicht genügen, um langfristig bzw. dauerhaft mehr Wohlstand zu entwickeln. Langfristig Wachstum stimulieren und Wohlstand entwickeln würden Reformen am Arbeitsmarkt. Herr Glos fordert zu Recht mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Wenn man das intelligent macht und mehr Einstellungschancen eröffnet, gibt es nicht nur mehr Arbeitsplätze, sondern auch mehr Sicherheit, weil Angebote vorhanden sind. Sie haben zu Recht oft auf Dänemark verwiesen. Das ist ein gutes Beispiel. Davon kann man eine Menge lernen. Hier geschieht aber eher etwas anderes. Sie gehen nicht daran, den kleinen Betrieben die Angst vor der Einstellung zu nehmen, den Kündigungsschutz zu modernisieren und betriebliche Bündnisse für Arbeit auf den Weg zu bringen. Für langfristig bessere Wachstumspfade brauchen Sie ein Klima des Vertrauens. Sie müssen die Unsicherheit über die weitere Entwicklung nehmen und mehr Berechenbarkeit geben. In der sogenannten Großen Koalition gibt es viele Widersprüche. Der Bundeswirtschaftsminister spricht von flexiblen Arbeitsmärkten, und diese Regierung führt faktisch Mindestlöhne ein. Das ist ein inhaltlicher Widerspruch. Was wollen Sie denn - Mindestlöhne oder Flexibilisierung? ({6}) Schwarz-Rot will die Erbschaftsteuer für Unternehmen abschaffen. In der Koalition wird aber laut nachgedacht, ob man diese Abschaffung nicht unterlassen und die Erbschaftsteuer sogar noch erhöhen sollte. Auch das gibt keine Klarheit für die Entscheidungen der Wirtschaft. Zu Recht wollen Sie international wettbewerbsfähige Unternehmensteuern. Sie bringen aber ein Modell auf den Weg, das außerordentlich kompliziert ist, sodass Betriebe vor Ort sich fragen: Zahlen wir am Schluss denn weniger oder mehr Steuern? Das ist kein Beitrag zum Bürokratieabbau und kein Beitrag zu einer leichteren Berechenbarkeit. ({7}) Die Bürger sollen privat stärker für ihr Alter vorsorgen. Sie kürzen aber den Sparerfreibetrag; Steuern auf Kursgewinne werden eingeführt; durch die kräftige Mehrwertsteuererhöhung haben Sie vielen den für die verstärkte Altersvorsorge notwendigen Spielraum genommen. ({8}) Jetzt diskutieren Sie, ob Freibeträge für Mitarbeiterbeteiligungen wieder angehoben werden sollen. Das ist die Methode: Erst nimmt man denjenigen viele Euro weg; jetzt bekommen sie ein paar Cent zurück und sollen sich artig bedanken. Machen Sie es doch gleich richtig! Das ist für mich ein Zickzackkurs, und Zickzack ist nicht wachstumsfördernd. Deshalb brauchen wir Klarheit. Viele Bürger sind gar nicht mehr in der Lage, zu übersehen, wie sich die Regelungen der Wirtschaftsgesetze auswirken, die sie befolgen müssen. Das müsste man vereinfachen, um es verstehbar und nachvollziehbar zu machen. Wenn die Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt wird, heißt das noch nicht, dass sie richtig ist. Kaum einer kann unser Steuerrecht verstehen. Die Bürger unterschreiben ihre Steuererklärung, können letztlich aber gar nicht nachvollziehen, was sie unterschreiben. Das müsste man jetzt, wo es wirtschaftlich besser geht, in Ordnung bringen, verstehbar machen und redemokratisieren, damit die Menschen wieder innerlich dabei sein können. ({9}) Jeder kleine Häuslebauer weiß: Das Dach repariert man am besten, wenn die Sonne scheint, und nicht, wenn es regnet. Technisch geht das auch bei Regen. Es ist aber ungleich schwieriger. Sie haben einige Maßnahmen zum Bürokratieabbau beschlossen. Gleichzeitig machen Sie aber Gesetze, die außerordentlich kompliziert, bürokratisch, unverständlich und intransparent sind. In diesem Zusammenhang denke ich an das Antidiskriminierungsgesetz, aber auch an die unsystematische Unternehmensteuerreform, bei der es keine Rechtsform- und Finanzierungsneutralität gibt. Damit tragen Sie nicht dazu bei, das Ganze einfacher und verstehbarer zu machen. ({10}) - Zu Recht klatschen Sie, Herr Kollege. Die Bundesregierung führt die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge ein. Gleichzeitig belässt sie es bei der staatlichen Kontoschnüffelei. Sie wird nicht abgeschafft, obwohl es logisch wäre, bei der Abgeltungsteuer diesen Unsinn zu lassen und nicht weiter in die Konten der Bürger hinein zu spionieren. ({11}) Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit werden in den Bundeshaushalt umgeleitet, anstatt sie den Beitragszahlern, denen dieses Geld gehört, zurückzugeben. Auch das ist kein Ansatz, Klarheit zu schaffen. ({12}) Herr Glos hat zu Recht erklärt, dass wir den Aufschwung entschlossen nutzen müssen. Aber bitte nicht für neue Ausgabenprogramme! Vielmehr müssen Sie die Weichen richtig stellen, damit der Wachstumspfad wirklich erreicht wird. Bei der Kranken- und Pflegeversicherung schaffen Sie, statt auf Kapitaldeckung und damit auf zukunftsfeste Strukturen zu setzen, mit dem Gesundheitsfonds neue Geldsammelstellen. Zudem gibt es Leistungsausweitungen. Auch das ist ein Herumdoktern am System und keine klare Politik, die dem eigentlichen Ziel entspricht. Uns geht es darum, die Balance zwischen Privat und Staat, zwischen Eigenverantwortung und staatlicher Gängelung, zwischen Freiheit und Bürokratie zugunsten von Privat, Eigenverantwortung und Freiheit zu verändern, damit wir zukunftsfähig sind. ({13}) Von der Haushaltskonsolidierung ist auch nichts zu merken, im Gegenteil: Die Schulden werden in den nächsten Jahren kräftig weiter aufgebaut. Man nimmt sich viel Zeit, die Konsolidierung anzugehen. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch den Energiegipfel, zu dem es heute Mittag noch eine Aktuelle Stunde gibt. Das Kernproblem ist, dass die Wettbewerbsstrukturen nicht richtig funktionieren. Da muss man ansetzen; das wäre der richtige Weg. Als Ultima Ratio müsste man auch das Instrument der Entflechtung in das Kartellrecht einführen; denn ein funktionierender Wettbewerb sichert eine ausreichende Energieversorgung. Der Handel mit Zertifikaten für Emissionen schafft Anreize für mehr Umweltschutz und Energieeffizienz. Trauen Sie sich ein bisschen mehr zu, wenn es um Markt und Freiheit geht. Das würde Fortschritte in puncto Berechenbarkeit bringen. ({14}) Was wir brauchen, ist mehr Wirtschaftswachstum und nicht Staatswachstum. Mit rund 5 Prozent Ausgabensteigerung gehen Sie deutlich in Richtung Staatswachstum. Den Menschen gehört das, was sie erwirtschaften. Die Dividende des Aufschwungs muss in der Breite bei den Menschen in Deutschland ankommen: bei den Arbeitnehmern und bei den Selbstständigen. Deshalb brauchen wir eine umfassende Steuerreform und steuerliche Entlastungen und nicht mehr Belastungen. Das ist das Wichtigste. Herr Glos, Sie haben diesbezüglich völlig recht. Aber diese Regierung unternimmt nichts. Frau Merkel, von Glos lernen heißt besser werden. ({15}) Fair wäre es, die Bürger zu entlasten, indem das Geld, das die drastische Mehrwertsteuererhöhung bringt, an die Bürger zurückgegeben wird. Fair wäre es, das Geld, das die Ökosteuer bringt, zurückzugeben. Sie ist mit der Einführung des Emissionshandels von der Sache her überflüssig. Das wäre eine vernünftige Richtung. Herr Minister Glos, wir wollen Ihnen helfen. Deshalb haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht, der der Koalition die Gelegenheit bietet, Ihre Politik und Ihr Konzept „Goldener Schnitt 2012“ zu unterstützen. Unser Konzept ist noch ambitionierter und noch anspuchsvoller. Aber immerhin weist Ihr Konzept in die richtige Richtung. Deshalb stellen wir unseren Antrag heute zur Abstimmung. Wir brauchen eine Steuer- und Abgabensenkung. Wir brauchen Haushaltskonsolidierung. Wir brauchen mehr Investitionen und weniger staatliche Konsumausgaben. Unser Antrag ist Glos pur, ohne Regierungslyrik und ohne Beamtenarithmetik. Sie, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, haben heute die Chance, den Wirtschaftsminister zu unterstützen und festzustellen, dass er richtig handelt und etwas Vernünftiges gesagt hat. Haben Sie den Mut, bei der Abstimmung über diesen Antrag die Hand zu heben! Sie können für das Land etwas Gutes tun, indem Sie diese vernünftige Denke unterstützen. Mit dieser Abstimmung wird sich zeigen, ob Sie es ernst meinen mit der Unterstützung einer im Prinzip richtig angelegten Konzeption oder ob es nur eine Inszenierung Ihrerseits ist oder gar der Entwurf der Scheidungsurkunde der Großen Koalition der kleinen Trippelschritte. Heute ist eine Sternstunde des Parlaments. Die Regierungskoalition hat die Chance, eine vernünftige Konzeption zu unterstützen. Haben Sie den Mut dazu! Ich schaue gerade in Richtung der Wirtschaftspolitiker der Union, die doch mutige Männer aus Franken, Bayern und anderen Regionen sind. Heben Sie die Hand, und unterstützen Sie die Konzeption, die im Prinzip richtig ist! ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Ludwig Stiegler. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Kollegen Brüderle in den letzten Jahren gehört hat, der kann erkennen, dass er heute bemerkenswert moderat ist, weil er gegen den wirtschaftlichen Erfolg der Großen Koalition nur schlecht anreden kann. ({0}) Ich hätte ihn sehen mögen, wenn er mit seiner Wunschpartnerschaft diesen Erfolg hier hätte feiern können. Er hätte sich gebläht, bis der Kragen platzt. ({1}) Das wäre sicher der Fall gewesen. Aber so ist es der Neid der Besitzlosen, die anderen den Erfolg streitig machen wollen. Herr Brüderle, freuen Sie sich mit uns, dann finden Sie auch Ihre innere Ruhe wieder. ({2}) Der Wirtschaftsminister hat hier mit Recht einen großen Erfolg verkündet. Er hat nicht viel von den Vätern des Erfolges geredet. Ich hatte ja das Vergnügen, unter der Leitung von Franz Müntefering von meiner Seite an den Koalitionsverhandlungen zum Thema Wirtschaft mit Edmund Stoiber beteiligt zu sein. Michael ist als Spätberufener nach einiger Zeit hinzugekommen. Er wollte ursprünglich mehr auf der Ausgabenseite tätig sein. Er hat dann vorgefunden, was wir zur Wirtschaftspolitik verabredet haben. Das war ein Beitrag, der den Urknall ermöglicht hat. Ich erinnere zum Beispiel daran, dass wir in einer Nachtsitzung die Förderung der energetischen GebäudeLudwig Stiegler sanierung durchgesetzt haben. Herr Brüderle, der von Ihnen so gescholtene Staat hat allein über die Förderung der energetischen Gebäudesanierung im Jahre 2006 einen Wachstumsbeitrag von mehr als 1 Prozentpunkt geleistet, ({3}) Hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert, die Handwerks- und die Bauunternehmen gestützt und die Investitionen getragen. Hier ist also eine ganze Menge geschehen. Ich erinnere an die steuerliche Förderung des Handwerks. Ich erinnere an die Steuerförderung im Hinblick auf Investitionen. Kollege Rainer Wend war dabei. Es war nicht leicht mit der Union; denn sie hatte bloß den Bierdeckel von Friedrich Merz. Darauf stand das alles nicht; das muss man einfach sehen. Auf dem Bierdeckel war zu wenig Platz. Auch in den KirchhofPapieren war nichts zur steuerlichen Förderung des Handwerks vorgesehen. Insofern war es ein schönes Erlebnis, als Edmund Stoiber und vor allem sein Wirtschaftsminister damals gesagt haben: Gott sei Dank können wir unser altes Gelumpe wegwerfen und zu dieser neuen Programmatik übergehen. - Es ist Ihr Verdienst, dass Sie mitgemacht haben. Herzlichen Dank! Der gemeinsame Erfolg ist da. ({4}) Lieber Michael Glos, auf einer Menge sozialdemokratischer Dünger ist dein Weizen gewachsen. Du darfst zwar ernten und verkaufen; das ist okay. Aber man soll dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden; so steht es schon in der Bibel. Nun ist der arme Kerl von Zimmermann beschuldigt worden, er sei Opfer linkskeynesianischer Umtriebe. Das ist ein starkes Stück. Michel ist weder links noch keynesianisch, und Umtriebe macht er zwar, aber auf anderer Ebene. ({5}) Nein, das ist wirklich zu viel. Wer seine Jahresgabe zum 40-jährigen Jubiläum des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes anschaut, der sieht, dass er mit Linkskeynesianismus nichts zu tun hat. Er deutet all das, was wir nachfrageorientiert gemacht haben, in Angebotsmaßnahmen um. Das würde ich meinem Staatssekretär austreiben. ({6}) Aber immerhin steht einiges in dem von ihm vorgelegten Papier. Er hat den Wert der öffentlichen Investitionen erkannt. Er hat einen neuen Investitionsbegriff. Wir haben seit langem von Karlsruhe den Auftrag, im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz den Investitionsbegriff zu reformieren und darin nicht nur Investitionen in Beton, sondern auch in Bildung, Forschung und Entwicklung vorzusehen. Also, auf geht’s! Packen wir es an, damit wir hier vorankommen und öffentliche Investitionen nachgeholt werden. Die Botschaft des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes ist, dass wir eine öffentliche Verantwortung für diesen Bereich haben. Nun ist viel von der Staatsquote geredet worden. Da liegen wir im europäischen Vergleich weit unten. Nun ist aber die Staatsquote - ich habe den entsprechenden Kommentar von Alex Möller noch einmal nachgelesen kein Wert an sich. Vielmehr ist wichtig, dass wir unsere öffentlichen Aufgaben erfüllen, Forschung und Entwicklung betreiben, die Energieeffizienz voranbringen und Investitionen mit hoher Multiplikatorwirkung durchführen. Herr Brüderle, wir sollten Bürger und Staat nicht in einen Gegensatz bringen. Wir sind für einen Staat der Bürger. ({7}) Nur mit den richtigen Rahmenbedingungen können wir allen die Chancen geben, sich zu entwickeln und zu bilden. Herr Brüderle hat gemahnt, dass die Bundesagentur für diejenigen etwas leisten muss, die sie nicht integriert. Als der Bund Zuschüsse in Milliardenhöhe an die Bundesanstalt gegeben hat, hat kein Mensch von Beitragserhöhungen gesprochen. Man war selig im Nehmen, ist aber geizig im Geben. Ich finde, da man früher in Zeiten der Not der Bundesagentur aus dem Bundeshaushalt mehr als 30 Milliarden hat zukommen lassen, kann man in Zeiten des Überschusses dem Kaiser geben, was des Kaisers ist. ({8}) Deshalb geht dieser Angriff fehl. Ich danke ausdrücklich dem Finanzminister, der zusammen mit dem Wirtschaftsminister eine gestaltende Haushaltspolitik betreibt und Investitionen begünstigt. Derzeit brauchen wir noch keine antizyklische Haushaltspolitik. Eine solche dürfen wir auch in Zukunft nicht betreiben; der Haushalt darf allenfalls neutral sein. Insgesamt ist aber noch eine ganze Menge zu tun. Das Entscheidende ist, dass der Aufschwung bei allen ankommt und nicht mit Sozialabbau verbunden ist. Was haben uns die Professoren und Sachverständigen gesagt? Ihr müsst den Kündigungsschutz lockern, den Arbeitsmarkt flexibilisieren und die Rigiditäten aufbrechen. Alle, die das gesagt haben, sind jetzt ganz verzweifelt; denn der Aufschwung ist gekommen, ohne dass wir Sozialabbau betreiben mussten. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben. ({9}) Daran sieht man, dass stimmt, was die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in ihrem 77. Jahresbericht geschrieben hat: Volkswirtschaft ist keine exakte Wissenschaft. Das muss man den Professoren entgegenhalten, die ihre ideologischen Vorstellungen mit schönen Rechenmodellen abgleichen, die am Ende meistens hinten und vorne nicht stimmen. Der beste Computer hilft nichts, wenn die Parameter falsch gesetzt sind. Wir wollen Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt; denn mit Flexibilität haben die Menschen bereits verdammt viel zu tun. Hier war von weiterer Liberalisierung die Rede. Lasst uns erst einmal dafür sorgen, dass die Nachfolgeunternehmen der Post ihre Mitarbeiter nach dem Postgesetz bezahlen und nicht länger versuchen, sich mit Dumpinglöhnen im Wettbewerb zu behaupten. ({10}) Wir wollen einen Wettbewerb unter Leistungsgesichtspunkten und nicht hinsichtlich der Knechtschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen werden wir keine Ruhe geben. ({11}) Bevor wir die Liberalisierung weiter vorantreiben, gilt es die Kollateralschäden der Liberalisierung zu beseitigen. Der Minister sprach von 40 Millionen Erwerbstätigen, nicht von Beschäftigten; das ist ein kleiner Unterschied. Bei der Zahl der Beschäftigten gibt es einen Zuwachs, der aber - und das ist dramatisch - aus der Leiharbeit resultiert. Wir wollten die Leiharbeit zwar aus der Schmuddelecke herausholen - darüber haben wir schon einmal im Vermittlungsausschuss, quasi in einer Großen Koalition, verhandelt -; es war aber nicht unsere Intention, dass die Leiharbeit missbraucht wird, um die Stammbelegschaften massiv unter Druck zu setzen. Wir wollten den Unternehmen die notwendige Flexibilität bieten, aber nicht große Teile der Beschäftigten in Leiharbeits- und damit in unsichere Verhältnisse bringen. Darüber müssen wir reden. ({12}) - Was Sie da erzählen, ist doch Unsinn. ({13}) Die Auflockerung gibt es aufgrund der Tarifverträge. Das hatte seinen Grund. Wer einen Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 28 Prozent fordert und damit 1 Million Arbeitsplätze gefährdet, der sollte in einer solchen Debatte still sein. ({14}) Wir werden weiter über das Thema Mindestlohn beraten. Hier gab es einen Ruck. Wir haben einen Sprung nach vorn gemacht. Uns geht das noch nicht weit genug. Mit Interesse nehme ich zur Kenntnis, dass Herr Almunia alle europäischen Staaten mahnt, den Mindestlohn einzuführen. Die Tarifrunden helfen uns. Der private Verbrauch spielte im ersten Halbjahr dieses Jahres noch längst nicht die Rolle, die Michael Glos ihm zugedacht hat. Es wird der Tarifrunde bedürfen, um die Kaufkraft zu steigern, um den Schrittwechsel von der Förderung der Binnennachfrage durch Investitionen, Ausrüstungen und Bauten auf eine Förderung durch den privaten Konsum zu erreichen. Deswegen unterstützen wir es, dass die Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland in den Tarifrunden angegangen wird. Zurzeit wird über den Fachkräftemangel diskutiert. Dazu sage ich: Solange wir 30 000 arbeitslose Ingenieure haben, erwarte ich von der deutschen Wirtschaft, dass sie diesen Ingenieurinnen und Ingenieuren, jungen wie alten, eine Chance gibt, bevor sie sich an den gedeckten Tischen anderer Länder bedient. ({15}) Das ist unser Auftrag. Jetzt müssen die Hausaufgaben gemacht werden durch Qualifizierung und Fortbildung. Jetzt müssen wir vorangehen. Wann, wenn nicht jetzt? Das ist unsere Hauptaufgabe. Wir dürfen nicht anderswohin flüchten. Wir haben viele öffentliche Aufträge zu erfüllen. Energieeffizienz ist ein wichtiger Auftrag. Die energetische Gebäudesanierung war eine ganz wichtige Rahmenbedingung. Dennoch sollten wir uns bewusst sein: Die Weltwirtschaft ist und bleibt unser Schicksal, dem wir uns nicht demütig unterwerfen. Wir haben internationalen Einfluss und sollten ihn nutzen. In Fragen der Währung ist der Rat gefordert. Der Kurs des Euro geht seit einem Monat schnurstracks in die Höhe. Das bringt erhebliche Probleme mit sich. Hier ist nicht nur die Europäische Zentralbank gefordert, sondern auch der Rat. Darauf müssen wir in den internationalen Gesprächen achten. Jede Tarifrunde und jede Einsparung wird zuschanden, wenn es zu Währungsverwerfungen kommt. Hier haben wir eine große Aufgabe vor uns. Wir appellieren an die Europäische Zentralbank, es mit der Zinspolitik nicht zu übertreiben. Es ist schon einmal ein Aufschwung abgewürgt worden. Das hatte erhebliche Folgen: Arbeitsplätze gingen verloren, es gab 1 Million Konkurse. Das muss man im Auge behalten. Lasst uns deshalb dagegen ankämpfen! Wir wollen, dass der Aufschwung allen nützt. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, mit der wir uns in der Welt von Morgen behaupten. Dafür brauchen wir gut qualifizierte Arbeitnehmer, sichere Arbeitsplätze und Verteilungsgerechtigkeit. Das werden wir gemeinsam auf den Weg bringen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wir werden gemeinsam voranschreiten. Herr Brüderle darf uns von der Seite Beifall klatschen. Herzlichen Dank. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Glos, ich muss sagen: Der Aufschwung in Deutschland hat eine Spur mehr Elan als Sie. ({0}) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das hier etwas mehr zum Ausdruck bringen. Herr Stiegler, ich war sehr verwundert, als Sie sich über den Neid der Besitzlosen aufgeregt haben. Früher hat die SPD die Interessen der Besitzlosen vertreten. ({1}) Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; das stimmt. Aber man muss sich einmal ansehen, für wen sich dieser Aufschwung positiv auswirkt. Was ist denn von 2000 bis 2006 passiert? Die Einkommen aus Vermögen und Gewinnen sind um 161 Milliarden Euro gestiegen, das heißt um 38 Prozent. Von den 206 Milliarden Euro, die mehr erwirtschaftet worden sind, gingen 161 Milliarden Euro an diese Bevölkerungsgruppe. Sie macht 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie machen also einen Aufschwung für 10 Prozent der Bevölkerung; 90 Prozent haben nichts davon. Das ist das eigentliche Problem. ({2}) Das war in der alten Bundesrepublik Deutschland anders. In den 50er-Jahren, in den 60er-Jahren, in den 70erJahren, selbst in den 80er-Jahren hat ein Aufschwung immer dazu geführt, dass es auch Rentnerinnen und Rentnern, Beschäftigten, Kranken etc. besser ging. Heute kann davon überhaupt keine Rede mehr sein. Mit dieser Veränderung der Politik müssen wir uns auseinandersetzen. ({3}) Die Veränderung begann mit der Regierung von SPD und Grünen und setzt sich jetzt in der Großen Koalition von Union und SPD fort. Das heißt, das galt unter Schröder und gilt auch jetzt unter Frau Merkel. Schauen wir uns die einzelnen Gruppen an! In den letzten zehn Jahren gab es einen Rückgang der Löhne und Gehälter der abhängig Beschäftigten - ich möchte Sie daran erinnern - von 5,1 Prozent. Wenn man die Preissteigerung in Höhe von 10 Prozent berücksichtigt, macht der Rückgang 6 Prozent aus. In allen anderen Industriegesellschaften - USA, Großbritannien und Frankreich - gab es Lohnsteigerungen. Nur in Deutschland gab es einen Rückgang von 6 Prozent. ({4}) Schauen wir uns einmal den Aufschwung in diesem Jahr an! Die neuen Lohnabschlüsse gleichen nicht einmal die Verluste der letzten zehn Jahre aus. Von Aufschwung kann in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede sein. ({5}) Sagen Sie den 50 000 Mitarbeitern der Telekom doch einmal, dass sie einen Aufschwung erleben! Der Aufschwung besteht darin, dass sie ausgegliedert werden und pro Woche vier Stunden länger arbeiten müssen, ohne dafür einen einzigen Cent mehr Lohn zu erhalten. Das ist unverschämt, und das hat mit Aufschwung nichts zu tun. ({6}) Nun komme ich auf die Rentnerinnen und Rentner zu sprechen. Sie hatten seit vier Jahren Nullrunden zu verzeichnen. Sie wissen ganz genau: In Anbetracht der Preissteigerungen sind Nullrunden in Wirklichkeit Minusrunden. Nun kam es zu einer Steigerung von „gewaltigen“ 0,54 Prozent. Dem ist gegenüberzustellen, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung steigen werden. Dabei müssen auch die Mehrwertsteuererhöhung und die Inflationsrate berücksichtigt werden. Wenn man all das einbezieht, stellt man fest: Für die Rentnerinnen und Rentner kommt wiederum eine Minusrunde heraus, nichts anderes. ({7}) Das ist der Aufschwung für die Rentnerinnen und Rentner. ({8}) Ich möchte noch etwas weiter in die Vergangenheit blicken. Unter Kanzler Kohl wurde die alte Rentenformel verändert. Nach der alten Rentenformel wurden die Rentnerinnen und Rentner an Lohnsteigerungen und an Produktivitätssteigerungen beteiligt. Union und FDP beschlossen damals eine neue Formel. Dann kam eine neue Regierung unter Kanzler Schröder - damals war Oskar Lafontaine, wenn ich Sie daran erinnern darf, übrigens noch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bundesfinanzminister -, und siehe da: Was beschloss die damalige Koalition? Sie beschloss, die neue Rentenformel nicht in Kraft treten zu lassen, sondern es bei der alten Formel zu belassen, um die Rentnerinnen und Rentner weiterhin an Lohnsteigerungen und Produktivitätssteigerungen zu beteiligen. ({9}) Nachdem etwas Zeit vergangen war, stellte sich Herr Schröder allerdings hier hin, entschuldigte sich bei Union und FDP dafür, dass er die neue Kohl’sche Rentenformel zurückgenommen hatte, und führte sie wieder ein. Seitdem werden die Rentnerinnen und Rentner an Lohn- und Produktivitätssteigerungen nicht mehr beteiligt. ({10}) Deshalb erleben sie keinen Aufschwung. Korrigieren Sie das, wenn Sie diesen Zustand ändern wollen! ({11}) - Sie haben etwas geändert. Sie haben dafür gesorgt, dass man heutzutage noch später als früher Rente bekommt. Dazu kann ich nur sagen: Das ist ja ein toller Aufschwung! ({12}) Insofern verstehe ich nicht, wie Sie, Herr Stiegler, darauf kommen, dass hier kein Sozialabbau stattgefunden habe. Lohnkürzungen sind Sozialabbau. Rentenkürzungen sind Sozialabbau. Die Belastungen der Kranken, die aus Ihren Gesetzen resultieren, sind Sozialabbau. Sie können doch nicht so tun, als hätte es all das nie gegeben. ({13}) Jetzt frage ich Sie: Gibt es einen Aufschwung für die Kranken? Die Praxisgebühren und die Zuzahlungen zu Medikamenten bleiben. Nichts hat sich für die Kranken verbessert. Selbst die ehemaligen Härtefallregelungen haben Sie aufgehoben. Wir werden beantragen, dass Sie die Härtefallregelungen, durch die Patienten von Zuzahlungen befreit werden, in der gleichen Form wie früher wieder einzuführen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie die Kranken zumindest insoweit am Aufschwung teilnehmen lassen oder nicht. ({14}) Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zu sprechen, auf die Zahl, auf die Sie immer stolz hinweisen. Das Schicksal derjenigen, die heute arbeitslos sind, verbessert sich um keinen Deut. Gibt es eine einzige Entscheidung von Ihnen, die zur Folge hat, dass die Vermittlung verbessert wird, die Weiterbildungsmöglichkeiten erweitert werden oder die materielle Ausstattung der Arbeitslosen verbessert wird? Gibt es eine einzige Entscheidung von Ihnen, die dazu führt - das wurde sogar aus den Reihen der Union gefordert -, dass jemand, der 25 Jahre oder länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, auch länger Arbeitslosengeld I bekommt? Nichts dergleichen! Sie beschließen nicht eine einzige Verbesserung für Arbeitslose. Deshalb nehmen sie am Aufschwung nicht teil. ({15}) - Das ist mir klar; dazu sage ich jetzt etwas. Zum Rückgang der Zahl der Arbeitslosen. Die eine Hälfte derjenigen, die gegenwärtig beschäftigt sind, arbeitet im Unterschied zu ihrer vorherigen Situation in Mini- und Midijobs. Keiner von uns würde je einem solchen Job nachgehen; denn dann wären wir nicht mehr in der Lage, unsere Familien zu versorgen. ({16}) Die andere Hälfte derjenigen, die nun beschäftigt sind, ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dabei handelt es sich um mehr als 500 000 Personen. Zu den 500 000 Personen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen: Erstens sind unter ihnen viele, die sich in Leiharbeitsverhältnissen befinden. Das ist eine moderne Form der Sklaverei, die wir überwinden müssen; ({17}) diese Arbeitsverhältnisse drücken übrigens auch auf die Situation der anderen Beschäftigten. Zweitens werden viele von ihnen extrem schlecht bezahlt. Sie bekommen nur 800 oder 900 Euro netto und leben am Existenzminimum. Darauf kann man nicht so stolz sein, wie Sie es sind. ({18}) - Nein, das habe ich nicht gesagt. Wir sollten uns darum kümmern, dass die Leute anständig und würdig bezahlt werden. Führen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro brutto pro Stunde ein! Dann wären wir viele Probleme in Deutschland los. ({19}) Unerfreulich ist außerdem, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen so gut wie gar nicht zurückgegangen ist. Das sind gerade jene, die Hartz IV beziehen. ({20}) - Es sind rund 2,4 Millionen geblieben, Herr Meyer. Sie können die Tatsachen hier nicht einfach wegreden. ({21}) Für die haben Sie keine einzige Verbesserung beschlossen. ({22}) Es gibt einen Effekt des Aufschwungs - das ist wahr -: Die Zahl der ALG-I-Empfänger ist deutlich gesunken. Die Bundesagentur für Arbeit verfügt daher über Überschüsse. Nun ist die spannende Frage: Was machen wir mit diesem Geld? Da streitet sich die Koalition. Die einen möchten, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt wird; dann wissen wir nachher wieder nicht, wie wir die Arbeitslosen bezahlen sollen. Herr Steinbrück schlägt vor, die Überschüsse für den Bundeszuschuss zur Krankenversicherung zu verwenden. Ich sage: Beides geht nicht. Wir fordern stattdessen, mit den Überschüssen statt Arbeitslosigkeit Arbeit zu finanzieren. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, ({23}) und zwar in erster Linie, damit wichtige Tätigkeiten auf den Gebieten der Ökologie, der Bildung und der Kultur endlich verrichtet werden, aber auch damit die Arbeitslosigkeit endlich abgebaut werden kann. ({24}) Herr Müntefering hat diesbezüglich einen guten Vorschlag gemacht. Er hat gesagt, er will den Kommunen Geld geben, damit die Kommunen Leute öffentlich gefördert beschäftigen etc. Wir leugnen nicht, dass dieser Vorschlag gut ist. Er hat allerdings zwei extreme Schönheitsfehler: Der eine ist, dass Herr Müntefering sagt: Wer drei Jahre gefördert beschäftigt wurde, bekommt, wenn er arbeitslos wird, kein Arbeitslosengeld I. Das müssen Sie korrigieren. Sonst bekommt das wieder einen unmenschlichen Zug. ({25}) Der andere ist, dass er sagt: Das meiste müssen natürlich die Kommunen bezahlen. Der Bund bezahlt nur das, was wir bei Hartz IV einsparen. - Auch das ist nicht gerecht. Der Bund kann sich nicht zulasten der Kommunen aus seinen Aufgaben herausstehlen. ({26}) Aber die Idee ist vernünftig. Wir brauchen einen solchen, öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Dann stellen wir noch die spannende Frage, ob Ostdeutschland von dem Aufschwung etwas hat. Wie sieht es aus? Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit Ostdeutsche endlich den gleichen Lohn für gleiche Arbeit in gleicher Arbeitszeit erhalten! Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit Rentnerinnen und Rentner im Osten für die gleiche Lebensleistung endlich die gleiche Rente erhalten! Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit im Osten Deutschlands und in strukturschwachen Regionen Westdeutschlands die Kommunen Investitionsmittel erhalten, um eigene Wirtschaftskreisläufe in Gang zu setzen! Menschen im Osten und in strukturschwachen Regionen spüren vom Aufschwung nichts. Der Aufschwung, den wir jetzt haben, wird hauptsächlich durch den Export getragen; das festzuhalten ist wichtig. Die Exporte haben im letzten Jahr um 12,5 Prozent zugenommen, die Exporte nach China und Russland sogar um etwa 30 Prozent. Übrigens nahmen die Exporte in die USA erstmalig ab; auch darüber lohnt es sich nachzudenken. Zugenommen haben auch die Investitionen in Anlagen und Ausrüstung und im Bau. Aber jetzt kommt das Spannende: Die Steigerung der Ausgaben für den privaten Konsum in Deutschland liegt bei 0,4 Prozent; sie findet so gut wie überhaupt nicht statt. In diesem Jahr wird sie noch niedriger sein, weil im Januar die Mehrwertsteuererhöhung hinzukam. Nun müssen Sie wissen, dass vier Fünftel der Unternehmen in Deutschland von der Binnenkonjunktur leben. Nur ein Fünftel lebt vom Export und von den anderen Bereichen. Für vier Fünftel gibt es also keinen oder nur einen geringen Aufschwung. Selbst in der Wirtschaft geht es extrem ungerecht zu. ({27}) Vier Fünftel der Wirtschaft und die große Mehrheit der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung haben vom Aufschwung wenig oder nichts. Ich nenne Ihnen zwei Zahlen - die können Sie nicht leugnen -: -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielleicht sollten Sie sich auf eine beschränken.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber die gehören eng zusammen, Herr Präsident, die wollen Sie beide hören. Dann schließe ich auch. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Von Januar bis Mai 2007 hatten wir im Einzelhandel einen „Aufschwung“ von minus 1,5 Prozent, bei großen Warenhäusern sogar von minus 8,4 Prozent. Das ist die Realität. Sorgen Sie endlich dafür, dass es einen Aufschwung gibt, der zu mehr Wohlfahrt für die breite Mehrheit der Bevölkerung führt! Aber das scheinen Sie konsequent zu verhindern. Das ist Ihr Problem, und deshalb wächst Ihre Akzeptanz nicht, und zwar zu Recht. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede, die wir gerade gehört haben, hat deutlich gemacht, dass es in diesem Land eine Gruppe gibt, die ein Problem mit dem Aufschwung und dem Wachstum, die unser Land und die Menschen erleben, hat: die Linkspopulisten in der deutschen Politik. Sie haben damit ein Problem, weil ihre Fraktion und ihre Partei politisch vom Ressentiment leben. Ihre Taktik ist es, Ängste zu schüren und die Sorgen der Menschen auszunutzen, damit sie parteipolitisches Kapital daraus schlagen können. ({0}) Wenn die Menschen Zuversicht fassen und wieder Vertrauen schöpfen, dann haben sie ein parteipolitisches Problem. Darum gilt: Gute Zeiten für das Land sind schlechte Zeiten für die PDS. Das ist ein Grund, weshalb wir gute Zeiten für dieses Land wollen. ({1}) Das führt mich zur ersten von drei etwas grundsätzlicheren Anmerkungen, die ich machen möchte. Die erste Frage ist: Welches Wachstum wollen wir? Wir, die CDU/CSU, sind der Auffassung, dass Wachstum nicht allein eine ökonomische Größe ist. Wachstum ist kein Selbstzweck, sondern muss sich als Ziel legitimieren. Wir wollen Wachstum, wenn und weil es den Menschen dient. Wir freuen uns über die Entwicklung, die wir derzeit haben, und befördern sie, weil dieses Wachstum zum Arbeitsplatzwachstum in diesem Land geführt hat. Das ist das Wichtigste, was Wachstum den Menschen vermittelt, weil es Sinn und Teilhabe bedeutet. Darum mäkeln wir nicht am Arbeitsplatzwachstum herum. Die Zeitarbeit profitiert ebenfalls vom Arbeitsplatzwachstum, was wir begrüßen. Auch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind besser als Arbeitslosigkeit, weil sie eine Brücke in den Arbeitsmarkt bedeuten. Gerade für die Schwächeren ist das eine wesentliche Brücke. ({2}) Wir wollen und befördern ökologisches Wachstum. Das bedeutet, dass wir zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele die Natur immer weniger in Anspruch nehmen dürfen. Wir wollen qualifiziertes Wachstum durch neue Ideen und Innovationen. Ich betone den Begriff des qualitativen, gesunden Wachstums deshalb, weil wir der Überzeugung sind, dass wir Wachstum nur dann sichern, wenn wir es auch wollen. Dann müssen wir aber die Diskreditierung, Ablehnung und Infragestellung des Wachstums als Ziel - wie sie auch in unserem Land in den 70er-Jahren begonnen hat - durch die Einführung eines Konzeptes für qualifiziertes und gesundes Wachstum überwinden. Wir brauchen eine solche Definition von Wachstum und einen neuen Wachstumsbegriff. Gesundes Wachstum ist unser Ziel für unser Land. ({3}) Zweite Bemerkung: Was ist unsere Strategie, um dieses Ziel zu erreichen? Genauer gesagt: Wie sichern wir unter den Bedingungen der Globalisierung nachhaltiges Wachstum für unser Land? Ich glaube, dass man dafür eine Doppelstrategie braucht. Es sind zwei strategische Ziele, die wir erreichen müssen. Das erste Ziel lautet: Wir wollen und brauchen für unser Land die besten Wettbewerbsbedingungen. Wir wollen weiter Gewinner der Globalisierung sein. Unser Land ist ein klassischer Gewinner der Globalisierung, und wir wollen die Bedingungen schützen, erhalten und fördern, damit wir weiterhin Gewinner der Globalisierung sein werden. Das zweite strategische Ziel lautet: Teilhabe der Schwächeren an diesem Prozess. Es ist kein Automatismus, dass alle davon profitieren, sondern es bedarf der aktivierenden und brückenbauenden Rolle des Staates, um die Schwächeren vom Rand in die Mitte zu bekommen. Das ist unsere Doppelstrategie: Wir wollen Wettbewerb und die Teilhabe der Schwächeren erreichen. ({4}) In Bezug auf den ersten Punkt, den Wettbewerb, muss die Große Koalition das fortsetzen, was sie begonnen hat. Es gibt eben auch politische Gründe für den Wachstumsprozess, den wir haben. Wir haben eine Unternehmensteuerreform beschlossen und müssen sie durch eine Regelung für Wagniskapital fortsetzen; der Bundeswirtschaftsminister hat es angesprochen. Wir haben mit der Haushaltskonsolidierung begonnen. Das ist aber ein Prozess, der nicht beendet ist. Es gibt keine Volkswirtschaft, die ohne konsolidierte Staatsfinanzen nachhaltig erfolgreich ist. Wir haben Sozialreformen in die Wege geleitet, und wir brauchen weitere Sozialreformen. Wir haben die Instrumente zum Bürokratieabbau geschaffen. Jetzt müssen wir die Bürokratie auch abbauen. Darum sage ich für unsere Fraktion: Wir wollen in dieser Legislaturperiode das Ziel, die Bürokratie bis 2009 messbar abzubauen, erreichen. Bei diesem Ziel muss es bleiben. ({5}) Zweitens: Teilhabe der Schwächeren. Durch die Globalisierung wurde der Automatismus, den es unter den Bedingungen des Nationalstaates und der Nationalökonomie noch gab, dass sich nämlich volkswirtschaftliches Wachstum im Grunde eins zu eins zu einem breiten individuellen Wohlstandswachstum transponiert, aufgelöst. Unser Land ist Gewinner. Wir haben viele Gewinner. Globalisierung bedeutet aber auch, dass es Verlierer und Verluste gibt. Das müssen wir, die wir ein positives Verhältnis dazu haben, verantwortlich ansprechen, damit mit den Sorgen und Ängsten, die mit dem Prozess der Globalisierung verbunden sind, kein Schindluder getrieben wird. Wir müssen denjenigen, die sich durch die Globalisierung bedroht fühlen, eine Heimat geben; denn am häufigsten sind es psychologische Verluste. Die Anforderung an Mobilität und Flexibilität, der Verlust von Berechenbarkeiten, Sicherheiten und Lebensroutinen das macht den Menschen und insbesondere den Schwächeren zu schaffen. Ich finde, auch wir, die CDU/CSU, müssen dies aussprechen, weil wir die Globalisierung gestalten wollen. Darum muss das ein Teil unserer Strategie sein. ({6}) Ich möchte das, was Michael Glos gesagt hat, ausdrücklich betonen. Man kann vieles dazu sagen, aber eines ist das Wichtigste und für diejenigen, die vom Menschen und seiner Würde ausgehen, auch programmatisch: Mit dieser Strategie wird auf die Befähigung der Einzelnen gesetzt und in das menschliche Vermögen investiert, damit die Menschen befähigt werden, mit diesem Prozess klarzukommen. Darum ist die Erziehung der Kleinen wichtig, und deshalb geht es bei der Betreuung nicht nur um den Aufenthaltsort der Kinder, sondern auch um die Qualität. Vorschulische Bildung, schulische Bildung, Qualifikation, Forschung und Wissenschaft das ist der goldene Weg für unser Land, den wir gehen und befördern müssen. ({7}) Sie haben recht: Wir müssen nicht nur noch besser werden, wir sind zum Teil auch schlecht, nicht gut genug, und wir genügen den Anforderungen nicht. Ich will ein Beispiel nennen und formuliere es nicht als Vorwurf, aber das Problem muss beschrieben werden: Nach dem, was ich gerade gesagt habe, ist es nicht akzeptabel - ich stehe nicht an, zu sagen, es ist skandalös -, dass jedes Jahr nach wie vor fast jeder zehnte Jugendliche in diesem Land die Schule ohne Abschluss verlässt. ({8}) Wir dürfen das nicht hinnehmen, weil wir dadurch Außenseiter in unserer Gesellschaft programmieren. Das ist nicht akzeptabel. ({9}) Vielleicht darf ich nach theoretischer Beschäftigung - fast würde ich sagen: trotz praktischer Beschäftigung mit dem Föderalismus sagen: Wenn es sich erweisen sollte, dass die Länderzuständigkeit dazu führt, dass wir übergreifende Probleme auf diesem Gebiet nicht lösen, dann gerät der Föderalismus in unserem Land in eine Legitimationskrise. ({10}) Für mich bedeutet die Konsequenz aber nicht die Abschaffung von Länderkompetenzen, sondern wir appellieren, dass die Länderkompetenzen zur Problemlösung wahrgenommen werden. Die höchste Form der Wahrnehmung von Länderkompetenzen besteht nicht darin, nach Bundesgesetzen oder Bundesgeld zu rufen. Wir wollen auch bei der Wahrnehmung von Kompetenzen Föderalismus. ({11}) Das gehört zur Wettbewerbsfähigkeit; die Effizienz der Organisation des Staates ist Teil der Wettbewerbsfähigkeit unseres Staates. Eine dritte und letzte Bemerkung, die wegen der Zeit kürzer ausfallen muss, als ich möchte. Eine Wettbewerbsstrategie bzw. eine Wachstumsstrategie für unser Land kann nie nur national definiert sein, sondern sie muss eine europäische, eine internationale Dimension haben. Nach meiner festen Überzeugung stehen wir diesbezüglich in unserem Land, in Europa und weltweit am Beginn einer Debatte über Wettbewerb und Protektionismus, in der sich neue Fragen stellen. Es ist auch nur scheinbar paradox, dass die Globalisierung diese Debatte mit sich bringt, weil die Haltung vieler Menschen zur Globalisierung ambivalent ist. Wir freuen uns, nach Jahrzehnten der Selbstverständlichkeiten wieder eine Debatte über Wettbewerb führen zu können. Unsere Fraktion wird diese Debatte offensiv, positiv und engagiert führen. Wir werden in dieser Debatte nachweisen können, dass wir der Globalisierung nicht ausgeliefert sind, sondern dass auch unter den Bedingungen der Globalisierung eine Politik der ordnenden Gestaltung ebenso nötig wie möglich ist. Nur diejenigen, die auf Abwehr, Aversion und Angst setzen, sind gestaltungsunfähig zulasten der Schwachen, die auf eine Politik der Gestaltung angewiesen sind. ({12}) Wir werden diese Debatte führen und nachweisen, dass Wettbewerb nicht nur rational das bessere System ist, sondern auch in ethischer Hinsicht begründet und überlegen ist. Es gibt kein System, das besser und mehr Information und Transparenz ermöglicht, Innovation schafft und für die Kontrolle und Begrenzung von Macht sorgt. Auch das entspricht nicht Ihren Vorstellungen und Erfahrungen. ({13}) Wir wollen Wettbewerb, weil er auch zur Begrenzung der wirtschaftlichen Macht beiträgt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum letzten Punkt. Wettbewerb bedeutet nicht Schutzlosigkeit. Protektionismus bedeutet etwas anderes als Protektion. Der Staat muss Schutz gewähren. Darin liegen - historisch wie aktuell - der Sinn und der Grund, warum Staatlichkeit begründet worden ist. Der Staat kann Schutz gewähren: bei der behutsamen und differenzierten Kontrolle außereuropäischer, staatlich gelenkter Direktinvestitionen und beim Schutz des Rechts auf geistiges Eigentum. Auch in vielen anderen Fällen hat der Staat in Zeiten der Globalisierung eine aktuelle und vielleicht noch stärkere Schutzfunktion als früher. Das ist die Herausforderung. Es geht nicht darum, die Globalisierung abzuwehren, sondern darum, in dem Willen, sie bewältigen und gewinnen zu können, die Chancen zu nutzen, sie menschlich zu gestalten. Danke. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribüne hat soeben der Parlamentspräsident der Republik Namibia, Herr Dr. Gurirab, mit seiner Delegation Platz genommen. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, von denen Sie einigen schon im Laufe Ihres Besuches begegnet sind, begrüße ich Sie sehr herzlich. ({0}) Herr Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch in Deutschland zu Gast zu haben. Seit der Unabhängigkeit Ihres Landes 1990 haben sich freundschaftliche und umfassende Beziehungen zwischen unseren Ländern entwickelt. Dazu haben sicherlich auch die beiden Namibiaentschließungen des Deutschen Bundestags aus den Jahren 1989 und 2004 beigetragen. Ich habe Ihnen gestern in unserem Gespräch bereits versichert, dass der Bundestag der Zusammenarbeit unserer Parlamente große Bedeutung beimisst. Für Ihren Aufenthalt und Ihr Präsident Dr. Norbert Lammert weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche. Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Röttgen, Sie haben eine, wie ich finde, erfreulich programmatische Rede gehalten. Insbesondere freut uns übrigens, dass Sie sich langsam dem Begriff des qualitativen Wachstums nähern. ({0}) Ich bin gespannt, ob Sie dem Anspruch, den Sie formuliert haben, auch in Bezug auf das Verhältnis von Ökologie und Ökonomie tatsächlich genügen werden. ({1}) Erlauben Sie mir aber eine Feststellung, Herr Röttgen: Mit den großen Zügen, die die Bundesregierung - insbesondere der Wirtschaftsminister über dessen Regierungserklärung wir heute diskutieren - macht, haben Ihre Ausführungen nicht viel zu tun. ({2}) Das werde ich jetzt im Einzelnen aufzeigen. Wir haben uns gewundert, was uns Herr Glos präsentiert hat. ({3}) Das Ganze steht unter der Überschrift „Goldener Schnitt 2012“. Er hat aber nicht näher ausgeführt, was er eigentlich damit meint. Laut Werbebroschüre handelt es sich dabei um ein Programm, das bis zum Jahr 2012 keine neuen Schulden, massive Steuer- und Abgabensenkungen sowie Investitionen in Höhe von 70 Milliarden Euro vorsieht. Das ist das Vorhaben des Wirtschaftsministeriums. Die zugrunde liegenden Annahmen sind ein jährliches Wachstum von 3 Prozent ({4}) und ein Ausgabenwachstum von 2 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre. Im nächsten Jahr werden schon 4,9 Prozent erreicht. Das heißt, der Fünfjahresplan ist - so ist es nun einmal mit Fünfjahresplänen, Herr Glos; da hätten Sie sich bei Herrn Gysi erkundigen können - schon im ersten Jahr Makulatur, da Sie ihn im Rahmen der Haushaltsaufstellung durch den Bundesfinanzminister nicht durchhalten. ({5}) Die Menschen sollten einmal Ihre Broschüre lesen. Dort stehen so schöne Sätze wie folgender: „Staat und Wirtschaft befinden sich zurzeit in einem Tugendkreislauf.“ Wer das nicht versteht, erfährt, dass das auf Lateinisch „Circulus virtuosus“ heißt. Solche Geschichten erzählt uns dieser Wirtschaftsminister. ({6}) Ich kann im Namen meiner Fraktion dazu nur sagen: Sie als oberster Tugendbold dieses Tugendkreislaufs, Herr Wirtschaftsminister, das ist schon ein starkes Stück, das im Parlament - zu Recht - nur auf Gelächter stoßen kann. ({7}) Herr Glos, uns ärgert, dass Sie kein Konzept zur Verstetigung des Wachstums vorlegen, das vorausschauend Bedingungen festlegt, die sicherstellen, dass wir in der nächsten Konjunkturkrise besser dastehen als in der Vergangenheit. Sie schlagen keine strukturellen Änderungen vor. Wenn Sie etwas Neues machen wie bei der Kinderbetreuung, dann finanzieren Sie das mit Steuermehreinnahmen aus dem gestiegenen Wachstum, aber nicht durch den Abbau bestehender Strukturen wie beim Ehegattensplitting, um den Haushalt strukturell zu konsolidieren. ({8}) Was wird denn aus Ihren Programmen, wenn die Konjunktur wieder einbricht? Dann werden die Mittel für Investitionen, Bildung und Kinderbetreuung wieder gestrichen werden müssen. Herr Röttgen, deswegen handelt es sich um keine nachhaltige Politik - Sie sehen lediglich zu, dass Sie mit dem zusätzlichen Geld aus dem Wirtschaftsboom schöne Tage verbringen -, sondern um eine Politik, die nicht auf eine strukturelle Konsolidierung abzielt. ({9}) Frau Bundeskanzlerin, es wäre notwendig, in einer Aufschwungphase - dann ist es leichter - die Sozialsysteme in Ordnung zu bringen und weiter zu reformieren, das heißt, mehr Qualität aus den vorhandenen Mitteln und unter Beachtung der Lebenschancen künftiger Generationen - auch das bedeutet qualitatives Wachstum herauszuholen. Aber wo sind die großen Reformen? Die Gesundheitsreform ist Murks. Das haben Sie inzwischen selber eingesehen. Bei der Pflegeversicherung haben Sie keine Reform der Struktur, sondern eine Beitragssteigerung beschlossen. Auf Arbeitsmarktreformen, die vor allem die Chancen der Langzeitarbeitslosen, wieder einen Einstieg zu finden, verbessern, warten wir noch immer. Und welch ein Theater führen Sie beim Einwanderungsgesetz auf? Herr Glos und Frau Schavan sagen nun, man müsse Gutqualifizierten die Einwanderung erleichtern. Aber, Herr Glos, bei der Verschärfung des Einwanderungsgesetzes haben Sie den Mund nicht aufgemacht. Sie sind damals in die Furche gegangen und haben nichts in dem Sinn bewegt, wie Sie es aufgeschrieben oder heute wortreich verkündet haben. ({10}) Was Sie machen, ist zu wenig. Sie wollen zwar den Aufschwung verlängern, führen aber keine Strukturreformen durch. Soll man diese Reformen während der nächsten Konjunkturdelle machen, wenn es viel schwieriger ist? Hier vergibt die Große Koalition Chancen. ({11}) Herr Glos, nun komme ich zu dem Punkt, den ich in Ihrer Politik für völlig unverständlich halte. Sie sind in der Bundesregierung und der EU der oberste Bremser, wenn es um ökologische Modernisierung geht, und zwar auf allen Feldern. Für den Gebäudepass haben Sie fast zwei Jahre gebraucht. Sie haben ihn so gemacht, dass er nicht das bringt, was er hätte bringen können. Frau Bundeskanzlerin, nun wird es wichtig, gerade im Hinblick auf die Diskussionen auf dem Energiegipfel: Herr Glos hat noch nicht einmal die Blaupause für ein Energieeffizienzprogramm in der Schublade, das er bis Ende Juni bei der EU vorlegen sollte. Er hat gepennt. Er will gar nicht mehr Energieeffizienz. Das ist jedenfalls unser Eindruck. ({12}) Ein Gesetz zur regenerativen Wärme? Keine Spur! Ein Gesetz zur Verbesserung der Kraft-Wärme-Kopplung? Keine Spur! Wer steht mit beiden Beinen auf der Bremse, wenn es um die für einen effektiven Klimaschutz notwendige Festlegung von Verbrauchsobergrenzen für Fahrzeuge geht? Michel Glos, der Chefinnovator Deutschlands, was ökologisches Bremsen angeht. Den Titel haben Sie sich zu Recht verdient. ({13}) Das ist auch kein Wunder: Sie sind gegen Energieeffizienz, weil Sie der Sprecher der großen Energiekonzerne und insbesondere der Konzerne, die die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern wollen, im Wirtschaftsministerium sind. Uns erzählen Sie immer etwas von der tollen, verlässlichen Atomkraft. Schauen Sie einmal auf das Kraftwerk Krümmel. Was hat man uns vor wenigen Tagen erzählt? Der Vorfall habe sich nur außerhalb des Reaktors ereignet. Gestern haben wir erfahren, dass es zum Druckabfall im Reaktordruckbehälter kam. Dies wurde noch verschwiegen. Ich würde der Bundesregierung - das geht auch an den Umweltminister - den Rat geben, einmal die Verlässlichkeit des Betreibers Vattenfall für Atomkraftwerke nach dem Atomgesetz zu prüfen und nicht dauernd auf der Bremse zu stehen, wenn es um neue Fragestellungen geht. ({14}) Ich komme zur Energieeffizienz. Frau Merkel, Sie haben einen Wirtschaftsminister, der am 24. November 2004, also vor nicht allzu langer Zeit, in diesem Haus gesagt hat - ich zitiere -: Mit dem so genannten EEG und Ähnlichem sind im Grunde Steuern für Spinnereien verbunden, die Ihrer Ideologie entsprechen, die aber an der wirtschaftlichen Wirklichkeit der Welt ein ganzes Stück vorbeigehen. Wir haben fast 300 000 neue Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen. ({15}) Im Rahmen der Effizienzstrategie der Bundeskanzlerin und der Energieszenarien soll diese Branche weiter wachsen. Aber der Chefbremser sitzt im Wirtschaftsministerium ({16}) und soll dies jetzt, wie ich gelesen habe, bis Sommer zusammen mit dem Umweltminister ausarbeiten. Frau Kanzlerin, da haben Sie wirklich den Bock zum Gärtner gemacht. Herr Glos will gar nicht, dass diese Branche wächst. Er hält das für Spinnerei. Dazu hätten Sie, Herr Glos, in Ihrem „goldenen Schnitt“ etwas sagen sollen, anstatt über Tugend zu philosophieren, wofür Sie meines Erachtens wahrhaft der Ungeeignetste sind, den die Bundesregierung aufzubieten hat. ({17}) Eine Story war, dass Sie, Herr Glos, uns erzählt haben, Sie seien der oberste Wettbewerbshüter im Sinne der sozialen Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard. Wir haben uns einmal angesehen, was Sie, Herr Glos, tatsächlich geleistet haben. Beim Telekommunikationsgesetz haben Sie Ihr ursprüngliches Vorhaben aufgegeben. Jetzt klagt die EU, damit das, was Sie beschlossen haben, nicht stattfinden kann. In Sachen Bahn haben Sie, Herr Glos, sich monatelang in den Medien als Wettbewerbshüter dargestellt, aber jetzt sind Sie eingeknickt. Wenn dem großen Veranstalter Bahn für 18 Jahre das Netz überlassen werden soll, dann frage ich mich, wo der Wettbewerbshüter Michel Glos war, als es darum ging, das Netz, das ich als öffentliches Gut betrachte, wirklich allen zur Verfügung zu stellen - wieder in der Furche. ({18}) Jetzt komme ich zu Ihrer Arbeitsweise. Sie machen einige Monate ein bisschen Wind, schauen, dass Sie ein bestimmtes Image bekommen, und wenn es hier im Hause, in der Bundesregierung oder in der EU zum Schwur kommt, dann geht Michel Glos als Erster in die Furche und weiß nicht mehr, wovon er geredet hat. Wettbewerbshüter sind Sie mit dieser Politik nicht. Ich bringe ein weiteres Beispiel. ({19}) Als Wirtschaftsminister sind Sie dafür verantwortlich, ob die Doharunde - die WTO-Verhandlungen - erfolgreich wird oder nicht. Die Verhandlungen sind jetzt gescheitert. Einer der wesentlichen Gründe dafür war, dass die Europäer und die Amerikaner nicht in der Lage waren, von der Subventionierung ihrer Agrarexporte abzusehen und so den Entwicklungsländern eine neue Chance auf dem Weltmarkt zu geben. Wo war der Vorschlag des Wettbewerbshüters Michel Glos an dieser Stelle? Er hat keinen einzigen gemacht, um die Doharunde flottzumachen. ({20}) Er hat sich hinter den Subventionen für die bayerischen Großbauern versteckt, aber Wettbewerb hat es nicht gebracht, was Sie gemacht haben. Sie haben völlig dabei versagt, einen positiven deutschen Beitrag zur Doharunde zu leisten. Deswegen, so finde ich, haben Ludwig Erhard, Walter Eucken, Müller-Armack, die Sie als Ihre Ahnen reklamiert haben, in Ihnen jedenfalls bislang keinen positiven Nachfahren gefunden. ({21}) Der „goldene Schnitt“, den Sie hier vorgelegt haben, Herr Glos - damit komme ich zum Schluss -, ({22}) ist ein ziemlich großer Mist. Es ist Lyrik, eine Sammlung von Zahlen und Sachen, die sich nicht bestätigt haben. Deswegen haben übrigens der Finanzminister und die Bundeskanzlerin gesagt, dass sie Ihre Zahlen, nämlich 70 Milliarden Euro zu investieren, die Steuern zu senken, die Sozialabgaben zu senken und erst 2012 zu konsolidieren, nicht nachvollziehen können. Sie sind mit diesem Programm eigentlich auch in der Bundesregierung vollständig auf die Nase gefallen - ich finde, zu Recht. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Dr. Rainer Wend. ({0})

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zunächst auf drei meiner Vorredner einzugehen. Das ist in einer Debatte ja auch sinnvoll. Herr Kollege Brüderle, Sie haben zu Beginn der Aussprache gesagt, der Aufschwung sei nicht der Politik zu verdanken, sondern den Bürgerinnen und Bürgern. Es ist widersprüchlich, in Zeiten des konjunkturellen Abschwungs die Fehler und Ursachen ausschließlich bei der Politik zu suchen und in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs zu behaupten, die Politik habe damit überhaupt nichts zu tun. Was haben Sie, Herr Kollege Brüderle, eigentlich für ein Demokratieverständnis? Die demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind die Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürger. Sie sind nichts Fremdes, sie sind kein Neutrum, sondern die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger. Einen Gegensatz zwischen Bürgern und Politik zu konstruieren, ist in Wahrheit demokratieschädlich und falsch, Kollege Brüderle. Dieser Versuch muss deutlich zurückgewiesen werden. ({0}) Ich möchte gern einige Worte zum Kollegen Gysi sagen. Er hat hier eine Rede gehalten, durch die mir wieder sehr deutlich geworden ist, warum uns, die Linkspartei und die Sozialdemokratie, eigentlich Welten trennen. Erstens. Sie haben gesagt - ich verstehe das, weil es aus parteitaktischen Gründen geschehen ist -, dieser Aufschwung sei nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen. Meine Erwiderung ist ganz einfach: Wenn heute 1 Million Menschen mehr in Arbeit sind als vor einem Jahr, dann ist bei diesen Menschen der Aufschwung angekommen. Der Aufschwung ist nicht nur bei ihnen angekommen, sondern auch bei denen, die in Arbeit sind und ein Stück weit weniger Angst um ihren Arbeitsplatz als früher haben müssen. Ich wiederhole: Auch bei denen ist der Aufschwung angekommen, Kollege Gysi. ({1}) Zweitens. Sie haben sich mit der - dieser Punkt ist fast noch wichtiger - Veränderung der Rentenformel in der rot-grünen Koalition auseinandergesetzt. Wer den Bürgerinnen und Bürgern angesichts der Globalisierung und der demografischen Entwicklung - ein sich immer rascher wandelnder Arbeitsmarkt, Variabilität von Investitionen; durch einen Knopfdruck können auf der ganzen Welt innerhalb von Sekunden Milliardenbeträge verschoben werden; wir leben zum Glück immer länger und können immer länger Rente in Anspruch nehmen; es wachsen immer weniger junge Leute nach, die in die Rentenversicherung einzahlen - verspricht, es könne alles so bleiben, wie es gewesen sei, versündigt sich an den Menschen. Das Gegenteil ist richtig. ({2}) Wer jetzt keine Reformen der sozialen Sicherungssysteme in Angriff nimmt und darauf verzichtet, eine entsprechende Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben, wird den Wohlstand für künftige Generationen in Wahrheit verspielen. Weil wir das nicht wollen, glauben wir, dass die Linkspartei in unserer Republik nicht koalitionsfähig ist. ({3}) Kollege Röttgen, zu Ihrer bemerkenswerten Rede eines aufgeklärten Konservativen: Ich würde mich freuen, wenn es Ihnen gelänge, mit dieser Positionierung auch die Kolleginnen und Kollegen in Bayern und BadenWürttemberg zu erreichen. Ich finde, Sie haben mit Ihrem Ansatz völlig recht: Wirtschaftspolitik ist auch Geldpolitik, ist auch Investitionspolitik, ist auch Haushaltskonsolidierung. Wirtschaftspolitik ist aber immer auch Gesellschaftspolitik. Was heißt das konkret? Die Wirtschaft kann nur erfolgreich sein, wenn Bildung erfolgreich vermittelt wird. Damit meine ich nicht nur - das haben Sie zu Recht angesprochen - die Bildung im oberen Qualifikationsbereich. Bildung heißt auch, dass die Kinder in unserer Gesellschaft, die in benachteiligten Familien leben, eine Chance auf Bildung und Ausbildung bekommen, damit es aufhört, dass in unserer Gesellschaft nur die studieren können, deren Eltern ihrerseits auch schon studiert haben. Wir wollen, dass sich das ändert. Das muss man dann konkret machen. Das bedeutet zum Beispiel Ganztagsschulen, Ganztagsbetreuung und GanztagsDr. Rainer Wend kindergärten. Deswegen ist es richtig, was die Große Koalition in diesem Bereich beschlossen hat. Das heißt aber auch, dass man Kinder nicht schon mit zehn Jahren selektiert und ihnen sagt: Die einen sind nur gut für die Hauptschule, und die anderen sind gut für das Gymnasium. - Wir wollen, dass sie zusammen länger erzogen und individuell besser gefördert werden. ({4}) Wirtschaftspolitik heißt auch, sich die Frage zu stellen, welche menschlichen Ressourcen wir nicht ausreichend ausschöpfen. Hier frage ich: Tun wir eigentlich alles, um den Frauen in unserer Gesellschaft, in der Wirtschaft die Stellung zu geben, die ihnen zusteht? Wir leisten es uns, qualifizierte Frauen mit Hochschulabschlüssen, mit guten Ausbildungen im Arbeitsmarkt außen vor zu lassen. Deswegen hat die Koalition recht, wenn sie die Betreuung von Kindern um der Kinder und der Mütter willen verbessert, damit sie in unserer Gesellschaft und in unserer Wirtschaft den ihnen zustehenden Platz gewinnen. ({5}) Wenn das richtig ist, dann frage ich, wie es damit vereinbar ist, einen finanziellen Anreiz dafür zu setzen, dass die Mütter zu Hause bleiben, anstatt ihre Qualifikationen in Arbeit zu nutzen. Deswegen, meine ich, ist der Ansatz der Betreuungsprämie gesellschafts- und wirtschaftspolitisch falsch. ({6}) Wirtschaftspolitik ist Gesellschaftspolitik, aber auch Umweltpolitik. Denn wie können wir uns angesichts der Klimakatastrophe eine wirtschaftliche Entwicklung vorstellen, ohne alle Potenziale für Energieeinsparung und alternative Energien zu nutzen? Ein „Weiter so“ in der Energiepolitik ist nicht nur klimaschädlich, sondern auch wirtschaftspolitisch schädlich. Wir brauchen den ganzheitlichen Ansatz in der Wirtschaftspolitik. ({7}) Meine Damen und Herren, mit den Beispielen versuchte ich, deutlich zu machen, dass der Ansatz des Kollegen Röttgen richtig ist: Wirtschaftspolitik ist auch Gesellschaftspolitik. Dann müssen wir es in dieser Großen Koalition aber auch bis zum Ende durchdeklinieren und uns auf den harten Weg machen, diesen richtigen Aussagen die praktische Politik folgen zu lassen. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit, Kollege Röttgen. ({8}) Ich gehe nun auf das Papier von Herrn Glos ein. Wie geht es jetzt weiter? Die Ökonomen haben recht: In Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs kann man die größten Fehler machen. Der größte Fehler wäre jetzt, das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauszuwerfen. Deswegen ist der Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers genau der, den wir in dieser Situation brauchen. In Zeiten des Aufschwungs müssen wir die strukturellen Mehreinnahmen für Investitionen nutzen. Konjunkturelle Mehreinnahmen müssen wir aber für die Konsolidierung des Haushaltes einsetzen, damit wir in anderen Zeiten, die zwangsläufig kommen werden, den Spielraum haben, antizyklische Politik zu machen und Investitionen in unserem Land zu fördern. ({9}) Denn bei den Investitionen gibt es Nachholbedarf. ({10}) Die Investitionsquote in Deutschland ist derzeit mit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nur halb so hoch wie der EU-Durchschnitt. Das kann auf Dauer nicht so bleiben. Dies gilt übrigens auch für die Bildungsinvestitionen. Deutschland investiert 4 Prozent des BIP in das Bildungswesen. 8,3 Prozent investieren beispielsweise die Dänen. Das ist vorbildlich. Deswegen sage ich Ihnen als Sozialdemokrat: Haushaltskonsolidierung in guten Zeiten, aber auch in schlechten Zeiten. Investieren in Infrastruktur und in Bildung ist die Voraussetzung dafür, dass wir die konjunkturellen Zyklen, die es in unserer Gesellschaft immer geben wird, möglichst gut im Griff behalten. Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines ansprechen: Arbeitnehmerbeteiligung. Dabei ist sich die Koalition im Ziel einig. Über die Methoden diskutieren wir noch. Sie sagen: Wer im eigenen Betrieb investiert, bekommt steuerliche Vorteile; die sollen ihn dazu anreizen. Ich finde, Ihr Vorschlag hat einen großen Vorteil, nämlich die Förderung der Identifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihrem eigenen Betrieb. Das ist das Gute an diesem Modell. Dieses Modell hat aber drei Probleme. Problem Nr. 1: die Portabilität; auf Deutsch: Wie wird es geregelt, wenn ein Arbeitnehmer den Betrieb verlässt? Problem Nr. 2: das doppelte Risiko von Arbeitsplatzverlust und Kapitalverlust. Das dritte Problem schließlich: Ihr Modell ist verdammt teuer, weil viele Steuervorteile damit verbunden sind. Es belastet den Haushalt mit mindestens 1 Milliarde Euro. Wenn das Modell gut angenommen würde, kostete es sogar noch viel mehr. Angesichts dieser drei Probleme muss ich sagen: Das Modell, das wir vorgeschlagen haben, das auf den ersten Blick nicht so perfekt erscheint, sichert vor Insolvenz, es hilft den Arbeitnehmern bei einem Betriebswechsel, und am Ende ist es für den Haushalt, den wir ja konsolidieren wollen, verträglicher. Die Große Koalition streitet viel. Das muss auch so sein, weil wir für die nächsten Wahlen Konkurrenten bleiben. Wir bekommen zusammen aber auch viel hin, und darauf können wir gemeinsam stolz sein. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält voraussichtlich zum letzten Mal in diesem Hause der Kollege Dr. Reinhard Göhner, CDU/CSUFraktion, das Wort. ({0})

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So ist es. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wend, Sie haben recht: Wir sind uns im Ziel der Mitarbeiterkapitalbeteiligung einig. Ich finde, auch Sie haben einen bemerkenswerten Vorschlag vorgelegt - darüber kann man reden -: Arbeitnehmersparzulage erhöhen, einen neuen Investmentfonds schaffen. Das Problem ist nur, dass das nichts mit Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu tun hat. ({0}) Wir wollen tatsächlich die Beteiligung am eigenen Unternehmen fördern und so die Motivation erhöhen, die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem eigenen Unternehmen und die Beteiligung am Gewinn des eigenen Unternehmens ermöglichen. Wer am Gewinn beteiligt sein will, muss allerdings das Risiko des Verlusts hinnehmen. ({1}) Ich bin sicher: Wir werden bei gleicher Zielsetzung - stärkere Mitarbeiterkapitalbeteiligung - auch in dieser Frage eine Lösung finden. Diese Debatte wird von zwei Fragen durchzogen: Wem nutzt dieser Aufschwung? Was ist eigentlich die Ursache für diesen Aufschwung? Beides sind wichtige Fragen, weil sich daraus Konsequenzen für die künftige Politik ableiten lassen. Mal ehrlich: Wer vor 20 Monaten bei Antritt dieser Regierung prognostiziert hätte „1 Million weniger Arbeitslose, 600 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtig Beschäftigte,“ - so viele waren es allein in den letzten 12 Monaten - „Senkung des Staatsdefizits von 3,7 auf 1,7 Prozent, doppelt so viele offene Stellen, 100 000 mehr angebotene Ausbildungsplätze“, den hätte ich für unzurechnungsfähig erklärt. Warum ist es trotzdem so gekommen? Das ist in der Tat - darüber sind wir uns völlig einig - nicht allein das Werk der Regierung. Der Welthandel? Jawohl, das ist eine wesentliche Ursache. Aber der Welthandel ist auch von 2001 bis 2005 expandiert, ({2}) als wir in einem Wechsel von Rezession und Stagnation in unserem Land zugesehen haben, wie andere Länder hohe Wachstumsraten erreichten und wir in der EU auf die hinteren Plätze zurückgefallen sind. ({3}) Was also ist eigentlich passiert, dass wir jetzt wieder eine solide Wachstumsentwicklung haben? Seit Ludwig Erhard wissen wir: Die Hälfte einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ist Psychologie. ({4}) Der Dreiklang von Sanieren, Reformieren und Investieren war die richtige Stimmungslage, mit der eine neue Verlässlichkeit und Nüchternheit in die Politik eingezogen sind. Das ist für Marktbeteiligte in einer sozialen Marktwirtschaft ein Signal, auf dem sich Investitionen und bessere Zukunftsaussichten aufbauen lassen. Nachdem hier eine kritische Bemerkung zum Verhältnis von Angebots- und Nachfragepolitik gemacht wurde, Herr Stiegler, möchte ich doch auf Folgendes hinweisen: Wenn die klassische Nachfragetheorie, also die neosozialistische Theorie der Linken zuträfe, müssten wir jetzt Rezession und explodierende Arbeitslosenzahlen haben. Was ist nämlich passiert? Die Löhne sind in den letzten Jahren - das ist wahr - nur mäßig gestiegen, die Lohnstückkosten sind drei Jahre in Folge gesunken, die Staatsquote und das Staatsdefizit sind gesunken, die Neuverschuldung wurde halbiert, die Notenbankzinsen steigen. All das sind Umstände, die nach der klassischen Nachfragetheorie eigentlich zu Rezession und explodierenden Arbeitslosenzahlen führen müssten. Diese Theorie ist durch die Fakten widerlegt. Es ist wichtig, daran zu erinnern, was die Politik zum Aufschwung beigetragen hat, weil wir diese Politik jetzt fortsetzen müssen. Die Neigung, angesichts voller Kassen und höherer Beschäftigungsquote, also in einem Aufschwung, wieder andere Pfade einzuschlagen, ist leider nicht zu übersehen. ({5}) Deshalb möchte ich einige Punkte beleuchten. Erstens. Die moderaten Lohnabschlüsse haben zu diesem wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen. Das ist, wie ich glaube, unstreitig; alle Ökonomen sagen das. In der Konsequenz mögen uns die Politik der Tarifpartner und die Tarifvertragsabschlüsse manchmal nicht gefallen: Den einen sind sie zu hoch, den anderen zu niedrig; den einen sind sie nicht flexibel genug, den anderen zu locker. Einen Schluss können wir aber aus der Entwicklung der letzten Jahre ziehen: Die Tarif- und Betriebspartner können das allemal besser, als wir Politiker bzw. der Staat es jemals könnten. ({6}) Zweitens. Zu der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt haben die Arbeitsmarktgesetze der letzten Jahre ganz sicher beigetragen. Es ist wahr - damit komme ich zu der Frage, wie es sich mit dem Nutzen dieser Reformen verhält -: Wir haben in den Vorjahren vielen Menschen viel zugemutet. Die Arbeitsmarktreformen erschienen zumindest vielen als Zumutung, zum Beispiel weil wir die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld gekürzt haben. Die Tarifpolitik erschien zumindest vielen als Zumutung, weil es für viele keine Steigerung des Realeinkommens gab und manche für das gleiche Geld länger arbeiten mussten. Aber jetzt stellt sich heraus: Solche Zumutungen bringen Ertrag, und zwar - das ist meine These bezüglich der Frage, wem der Aufschwung nutzt - Ertrag für die Schwächsten in unserem Lande, die Arbeitslosen und die Älteren, deren Beschäftigungsquote in Deutschland jahrelang sehr niedrig lag. Erfreulicherweise steigt die ErwerbsDr. Reinhard Göhner quote der älteren Beschäftigten rasant an, und wir haben 350 000 Langzeitarbeitslose weniger. ({7}) Also die schwächste Gruppe, das heißt die Arbeitslosen, die am schwierigsten einen Arbeitsplatz finden, profitiert. Deshalb kann man ganz eindeutig sagen, die Arbeitsmarktreformen zeigen im jetzigen Aufschwung positive Auswirkungen gerade bei den Schwächsten in unserem Lande. ({8}) Das sollte uns ermutigen, den bisherigen arbeitsmarktpolitischen Kurs fortzusetzen, statt in alte Fehler zurückzufallen. Zu diesem Kurs gehört auch - das hat sich die Große Koalition von Anfang an klar vorgenommen - die Reduzierung der Abgabenlast. Das Konzept, das Michael Glos vorgelegt hat, vollzieht hier wirklich einen Goldenen Schnitt und ist damit goldrichtig. Es bleibt richtig, neben dem Abbau des Defizits als Priorität Nummer eins und neben der Verstärkung der Investitionen durch Umschichtung die Abgabenlast, also die Lohnnebenkosten und die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, zu senken, um Beschäftigung durch Wachstum, wie Norbert Röttgen richtig abgeleitet hat, zu fördern. Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,2 Prozent war ein solcher Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung. ({9}) Heute wird die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg eine mittelfristige Finanzplanung vorlegen, aus der zu ersehen ist, wie realistisch und nachhaltig, also für mehrere Jahre gesichert, bei gleichzeitigem Aufbau einer allgemeinen Liquiditätsrücklage und einer Rücklage für Pensionen bzw. einer Vorsorge für künftige Rentenlasten eine Beitragssenkung um einen vollen Prozentpunkt ist. Wir können nicht nur auf 3,5 Prozent, sondern sogar weiter absenken; da bin ich ganz zuversichtlich. Um es klar zu sagen: Die durch zuviel gezahlte Beiträge entstandenen Überschüsse gehören niemand anderem als den Beitragszahlern. ({10}) - Herr Stiegler, wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode gemeinsam einen wichtigen Grundsatz festgelegt. Wir wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, versicherungsfremde Leistungen in Nürnberg durch Steuern finanzieren und dafür 1 Prozent Mehrwertsteuer in die Kasse geben. ({11}) - Das haben wir in der Tat getan. Das Gegenteil dieser richtigen Strategie wäre, Beiträge aus der Kasse in Nürnberg in den Bundeshaushalt umzulenken ({12}) und das auch noch mit der Begründung, eindeutig versicherungsfremde Leistungen durch lohnbezogene Beiträge finanzieren zu wollen. ({13}) Die Erfindung eines Eingliederungsbetrages wäre völlig konträr zu den von uns in der Koalition gemeinsam formulierten Zielen. Hartz IV ist keine Versicherungsleistung, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Grundsicherung. Und Eingliederungsleistungen, die ja auch für erwerbsfähige Arbeitslose erbracht werden, die noch nie einen Cent in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, sind so versicherungsfremd, wie es gar nicht mehr versicherungsfremder sein kann. Ich plädiere dafür, an der Zielsetzung der Großen Koalition festzuhalten, die extrem hohen Sozialabgaben zu senken und zumindest die versicherungsfremden Leistungen durch Steuern zu finanzieren. ({14}) Das ist der beschlossene Weg in der Krankenversicherung. ({15}) Das war zu Beginn der Koalition unser Weg in der Arbeitslosenversicherung. Wir sollten jetzt nicht das Gegenteil machen. Wir sollten die Strategie des Bundeswirtschaftsministers konsequent umsetzen: ({16}) weiteren Defizitabbau; Investitionen durch Umschichtungen fördern, vor allen Dingen für Forschung und Entwicklung; Abgaben senken; die Sozialversicherung möglichst weit gehend vom Arbeitsverhältnis entkoppeln und danach Steuersenkungen vornehmen. Das sind die richtigen Prioritäten. Diese Strategie ist mit realistischen Zahlen unterfüttert. Bei der Kalkulation wurde ein Wachstum von 1,75 Prozent zugrunde gelegt. Ich habe bis heute niemanden gehört, der diese Rechnung in Zweifel gezogen hat. Deshalb glaube ich, dass dies die Strategie ist, die uns nicht nur mittelfristig weiter auf Wachstum und Beschäftigung hoffen lässt, sondern auch dazu beitragen kann, dass wir mit der richtigen Psychologie einer verlässlichen, geradlinigen und konsequenten Politik ohne Zickzackkurs auch weiterhin die Marktbeteiligten zu Investitionen, aber auch zu Konsum ermuntern können, um damit zu mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Lande zu kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Schlussbemerkung lautet: Hier macht niemand in wirtschaftspolitischer Wachstumseuphorie. Wir haben wieder Wachstum. Wir liegen aber unter dem Durchschnitt der Europäischen Union. ({17}) Wir liegen gerade einmal im Durchschnitt des Euroraums. Ich bin ganz sicher: Deutschland kann mehr. Wir können wieder Lokomotive in der EU werden, ({18}) wenn wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen. Vielen Dank. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Göhner, da ich in Kenntnis Ihres und meines Terminkalenders für den heutigen Vormittag davon ausgehe, dass auf diese gerade vorgetragene Rede in knapper weiterer Frist die Niederlegung Ihres Mandats folgt, will ich diese Gelegenheit nutzen, Ihnen für eine außergewöhnlich langjährige Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag und die hier geleistete Arbeit - auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen - ganz herzlich zu danken. Ich verbinde das mit dem ausdrücklichen Wunsch und der Erwartung, dass Sie der Politik ganz gewiss nicht verloren gehen und an anderer Stelle weiter eifrig daran mitwirken, dass sich die Hoffnung erfüllt, die Sie am Schluss formuliert haben: dass dieses Land noch mehr leisten kann, als es gegenwärtig leistet. Herzlichen Dank und alles Gute für Ihre weitere Arbeit! ({0}) Nun erhält die Kollegin Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion das Wort.

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fakten belegen es: Der wirtschaftliche Aufschwung ist da - nicht nur im Westen, sondern auch im Osten unseres Landes -, auch wenn das einige Leute hier nicht wahrhaben wollen. ({0}) Das Wirtschaftswachstum liegt in den ostdeutschen Ländern bei rund 3 Prozent und damit über dem gesamtdeutschen Durchschnitt. 200 000 Arbeitslose haben seit dem vergangenen Jahr wieder eine feste Beschäftigung im Osten gefunden. Die Kurzzeitarbeitslosigkeit, Herr Gysi, ist um 20 Prozent und die Langzeitarbeitslosigkeit ist um 8 Prozent zurückgegangen. Das kann uns noch nicht zufriedenstellen. Aber das ist viel mehr als nichts. ({1}) Das verarbeitende Gewerbe konnte sogar um 11,6 Prozent zulegen. Die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind voll. In der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie wächst die Zahl der neuen Arbeitsplätze überproportional. Laut Gesamtmetall ist im Osten die Zahl der Arbeitslosen innerhalb der vergangenen zwölf Monate sogar um 32 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der offenen Stellen nahm um 85 Prozent zu. Der Export entwickelt sich weiter positiv. In wichtigen Wachstumsbranchen legt der Osten deutlich zu, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien. Ostdeutschland hat sich zum weltweit führenden Standort der Solarbranche entwickelt. ({2}) Frankfurt an der Order oder Freiberg in Sachsen sind beste Beispiele dafür. Es geht vorwärts in Ostdeutschland. Die gemeinsamen Anstrengungen der letzten Jahre für den Aufbau Ost zahlen sich aus. Dieser Trend ist ermutigend. Aber die Arbeitslosenquote ist im Osten im Durchschnitt nach wie vor doppelt so hoch wie im Westen. Hier gibt es also noch viel zu tun. Es ist aber wichtig, das Positive, das sich im Osten Deutschlands entwickelt hat, noch besser zu vermarkten. Ostdeutschland ist ein attraktiver Standort. Investoren schätzen nicht nur die guten Förderbedingungen und die moderne Infrastruktur, sondern auch die gut qualifizierten Facharbeiter, die hohe Flexibilität und die gute Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind beste Voraussetzungen für Investitionen. Die Standortwerbung für die neuen Länder hat sich bereits ausgezahlt. Die Standortmarketinggesellschaft IIC, die bis Ende 2006 für die Investorenwerbung in Ostdeutschland zuständig war, hat eine Investitionssumme von 4,7 Milliarden Euro eingeworben und damit 21 000 neue Arbeitsplätze in Ostdeutschland geschaffen. Die Entscheidung war richtig, die IIC und die für die alten Bundesländer zuständige Gesellschaft zu einer gemeinsamen schlagkräftigen Institution unter dem Namen „Invest in Germany“ zusammenzuführen. Herr Minister Glos, von der neuen Gesellschaft verspreche ich mir eine noch bessere Positionierung Deutschlands im internationalen Wettbewerb der besten Standorte. Das wünsche ich mir für Deutschland insgesamt, aber im besonderen Maße für die ostdeutschen Bundesländer. ({3}) Trotz der guten Nachrichten aus Ostdeutschland gibt es zweifelsohne nach wie vor große Herausforderungen. Ich erinnere an die anhaltende Abwanderung von jungen, gut qualifizierten Menschen, insbesondere von Frauen, aus den strukturschwachen Regionen. Dieser Trend verschärft die demografische Entwicklung in vielen Landstrichen Ostdeutschlands zusätzlich und gefährdet dort die Zukunftschancen der Menschen. Die schon jetzt vorhandene Lücke bei Fachkräften in vielen Branchen wird durch den wirtschaftlichen Aufschwung noch weiter vergrößert. Die Nachfrage nach diesen Fachkräften wird steigen. Deshalb sage ich ganz klar: Die Lohnunterschiede zwischen Ost und West werden vor diesem Hintergrund zu einer Wachstumsbremse. Gute Fachkräfte gehen dorthin, wo sie für ihre Arbeit gut bezahlt werden. Wenn also die ostdeutsche Wirtschaft weiter am Aufschwung teilhaben will, wird sie bei den Löhnen zulegen und verstärkt aus- und weiterbilden müssen. ({4}) Die Bundesregierung hat gerade den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands verabschiedet. Das Fazit daraus: Nur innovative Unternehmen werden Gewinner der Globalisierung sein und sich am Markt behaupten können. In Ostdeutschland besteht nach wie vor das Problem, dass es bei den überwiegend kleinen Unternehmen große Defizite im Bereich von Forschung und Entwicklung gibt. Kommen in den alten Bundesländern auf 10 000 Erwerbstätige 85 Mitarbeiter aus dem Bereich Forschung und Entwicklung, so sind es in den ostdeutschen Bundesländern lediglich 46. Herr Minister, ich hoffe daher sehr, dass Sie beim Umbau der Innovationsprogramme für Ostdeutschland keine Abstriche machen. ({5}) Ich hoffe, dass die positiven Erfahrungen mit den bewährten Programmen Inno-Watt und NEMO, die wir unter Rot-Grün beschlossen haben, weiter genutzt werden. Wir brauchen diese Programme, um die Akteure vor Ort zu vernetzen und den Wissenstransfer in die Regionen zu unterstützen. Auch die Anstrengungen für neue Existenzgründungen in Ostdeutschland müssen wir fortsetzen. Es ist daher ausdrücklich zu begrüßen, dass die KfW seit Januar dieses Jahres die Initiative „Kleiner Mittelstand“ ins Leben gerufen hat. Ich konnte mich bei Gesprächen mit Banken selber davon überzeugen, dass diese Programme greifen, nachgefragt werden und von den Hausbanken aktiv unterstützt werden. So gute Rahmenbedingungen für Existenzgründer gab es noch nie. Von großer Bedeutung für Investitionen in den ostdeutschen Bundesländern ist auch die Förderung durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Allein von 2004 bis 2006 konnten Investitionen in Höhe von 27 Milliarden Euro in der gewerblichen Wirtschaft mit Fördermitteln von nur 4,9 Milliarden Euro angestoßen werden. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ist damit eines der erfolgreichsten Förderinstrumente für strukturschwache Regionen in Ost und West und muss daher auch in Zukunft auf sehr hohem Niveau fortgeführt werden. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Aspekt ansprechen. Um die positive Entwicklung in Ostdeutschland fortzuführen, brauchen wir verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen. Wir diskutieren derzeit über die Föderalismusreform II. Es muss unser gemeinsames Interesse sein, dass die ostdeutschen Bundesländer nach 2019 auf eigenen Füßen stehen können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen der Solidarpakt II und der Länderfinanzausgleich erhalten bleiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Wicklein!

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. Die Fakten sprechen für sich. Der wirtschaftliche Aufschwung ist da - auch in Ostdeutschland. Es gibt noch immer sehr viel zu tun. Wir dürfen in unseren Bemühungen nicht locker lassen. Packen wir es gemeinsam an! ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass diese Debatte sehr wichtig gewesen ist, weil wir uns etwas grundsätzlicher mit der Strategie und dem Grundgedanken beschäftigt haben - dies gilt insbesondere für die Rede des Kollegen Röttgen; auch Kollege Wend hat dies getan -, wie wir vorangehen wollen und wie vernetzt die Bereiche sind, die auf das Einfluss haben, was sich hinterher in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung für alle Menschen als Erfolg niederschlägt. Im Zusammenhang mit dem Stichwort Arbeitsplätze ist deutlich zu machen - dies ist hier aufgekommen; Kollege Röttgen hat darauf hingewiesen -, dass Wachstum kein Selbstzweck ist. Es ist nämlich so: Immer dann, wenn mehr Menschen in Arbeit kommen - es gibt ja jetzt einen riesigen Erfolg am Arbeitsmarkt -, dann ist das nicht nur für die Betroffenen selbst eine sehr wichtige Veränderung, die sie erfahren - nämlich dass sie wieder Arbeit haben und in Beschäftigung sind -, sondern weit über die Betroffenen hinaus auch für alle diejenigen, die in den vergangenen Jahren Angst hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren: Sie verlieren diese Angst nach und nach. ({0}) Das ist ganz wichtig für den Aspekt, in welcher psychologischen Situation die Arbeitnehmer ihrer Arbeit nachgehen. Zusätzlich ist dies nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Volkswirtschaft gut. Derjenige, der Arbeit hat, zahlt in die Sozialsysteme ein. Derjenige, der Laurenz Meyer ({1}) seine Angst verliert, auch von einem Arbeitsplatzverlust betroffen sein zu können, gibt wieder mehr Geld aus, statt aus Angst jeden Euro, der übrig ist, für schlechte Zeiten oder aufgrund dieses Grundgefühls auf die Seite zu legen. Deswegen ist das, was für den einzelnen Menschen gut ist, immer auch für die Volkswirtschaft gut. Das ist die eigentliche Philosophie der sozialen Marktwirtschaft. Wir kümmern uns um den Einzelnen, und wenn es dem Einzelnen gut geht, geht es auch der Volkswirtschaft gut. ({2}) Deswegen ist es wichtig, dass wir die Themen Wachstum, Beschäftigung und Wirtschaftspolitik nicht nur vor dem Hintergrund von Zahlen diskutieren, sondern die Vernetzung der einzelnen Bereiche berücksichtigen. Nehmen Sie das Stichwort - der Kollege Wend hat es angesprochen - Familienpolitik. ({3}) Das Gesagte gilt auch in diesem Zusammenhang: Wir müssen den jungen Frauen in unserem Land, von denen viele gut qualifiziert sind und eine gute Berufsausbildung haben, mehr Wahlmöglichkeiten bieten, damit sie ihren Beruf nicht aufgeben müssen, weil sie keine aus ihrer Sicht adäquate, gute Betreuung für ihre Kinder finden. ({4}) - Ich finde es ganz schön krude, wenn Sie dazwischenrufen. Sie haben doch verdammt noch einmal Jahre Zeit gehabt, etwas zu tun. Sie haben aber nichts getan, und jetzt maulen Sie rum; das ist doch wirklich unglaublich. Herr Kuhn, auch Ihr Redebeitrag - qualitatives Wachstum - war wirklich nicht besonders gut. Das muss ich einmal sagen. ({5}) Wenn wir für die jungen Frauen etwas machen, dann machen wir nicht nur etwas für die jungen Frauen - mehr Betreuungsmöglichkeiten, mehr Wahlmöglichkeiten -, sondern auch etwas für das ganze Land, weil die Volkswirtschaft auf diese gut qualifizierten jungen Frauen überhaupt nicht verzichten kann - wenn sie denn mitmachen wollen und im Beruf bleiben wollen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schewe-Gerigk zulassen?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber natürlich, da ich sie wegen ihrer Maulerei angegriffen habe, darf sie auch fragen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es um die richtigen Sachen geht, ist es vernünftig, zu maulen. Herr Meyer, Sie haben gesagt, es sei wichtig, dass die gut ausgebildeten Frauen erwerbstätig sind und dass wir für die Kinderbetreuung sorgen. Da bin ich sofort bei Ihnen. Wie verhält sich das aber zu Ihrem Vorschlag, den Frauen, die ihre Kinder zu Hause selbst betreuen und nicht in eine Kinderbetreuung geben - eine - ich sage einmal - Zuhausebleibprämie oder Herdprämie in Höhe von 150 Euro zu zahlen? Es ist doch klar, dass jede Frau mit einem kleinen Einkommen oder eine Hartz-IV-Empfängerin davon absehen wird, ihr Kind in die Kinderbetreuung zu geben, weil sie dann 150 Euro bekommt. Ich würde gerne Ihre Position dazu kennenlernen. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden uns darüber unterhalten, wie das im Einzelnen auszugestalten ist. Der Grundgedanke, der dahintersteht, ist aber völlig klar: Wir wollen den jungen Frauen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. ({0}) Politik hat die Entscheidung von jungen Familien, wie sie sich organisieren, überhaupt nicht zu beeinflussen. Wir haben aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine Entscheidung in beide Richtungen möglich ist. Das genau wollen wir. Wir wollen die Entscheidung möglich machen. Ich will Ihnen ein Beispiel dazu bringen: Im Rahmen einer Veranstaltung wurden Unternehmen ausgezeichnet, die in diesem Bereich besonders aktiv waren. Der Professor einer großen Uni in Bayern, die ausgezeichnet wurde, berichtete in diesem Zusammenhang von folgender Situation: Die Jahrgangsbesten werden ausgezeichnet, sechs Professoren sitzen auf der Bühne, alles Männer, und die sechs Jahrgangsbesten dieser Universität sind ausschließlich junge Frauen. Wir möchten, dass diese jungen Frauen die Entscheidung, ob sie später einen Beruf ausüben und Kinder haben, selbst treffen können. Darum geht es hier, und nicht darum, dass der Staat Vorgaben macht. ({1}) Hier ist ein Stichwort gefallen, das aus meiner Sicht, auch von den Kollegen der SPD, insbesondere vom Kollegen Stiegler, viel zu negativ gesehen wird: Zeitarbeit. Sie haben die Zeitarbeit abqualifiziert und in eine Ecke gestellt, in die sie aus Sicht der CDU/CSU nicht gehört. Es gab einen Zuwachs an Zeitarbeitsverhältnissen, weil die Unternehmen die Zeitarbeit aufgrund des sehr starren Arbeitsmarktes in Deutschland als Ventil nutzen. So steuern sie gegen. Aber die Entwicklung zeigt doch - Herr Stiegler, die Zahlen müssen Sie sich einfach zu Gemüte führen -, dass der Prozess in vollem Gang ist und dass gerade die Zeitarbeit der Durchlauferhitzer in die Unternehmen hinein ist. Es gab zunächst ein ganz starkes Anwachsen der Zahl der Zeitarbeitsplätze zu Beginn des konjunkturellen AufLaurenz Meyer ({2}) schwungs, zu Beginn dieser Legislaturperiode. Seit einigen Monaten stagniert die Zahl der Zeitarbeiter. Das liegt nicht daran, dass keine neuen eingestellt werden, sondern daran, dass ein Drittel derer, die eingestellt worden sind, inzwischen in Unternehmen angekommen sind, ({3}) und zwar entweder in denen, in denen sie tätig waren, oder in anderen. Die Brücke Zeitarbeit hat sich bewährt. Wir werden deshalb alles tun, um die Beweglichkeit zu erhalten und die Zeitarbeit weiterhin als den Motor in die Unternehmen hinein nutzbar zu machen. ({4}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der in der Diskussion zum Teil eine Rolle gespielt hat. Dies betrifft das Stichwort qualitatives Wachstum und die Frage, was das eigentlich ist. Darüber, dass wir die Definition von qualitativem Wachstum nicht den Grünen überlassen, brauchen wir, glaube ich, nicht lange zu reden. ({5}) Ich will auf Folgendes hinweisen - ich glaube, dass wir in SPD und Union dabei zumindest von der Grundansicht her völlig auf einer Linie sein können -: Qualitatives Wachstum wird häufig verbunden mit Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich, mit Arbeitsplätzen in sogenannten weichen Industrien. Ich will hier klipp und klar für uns sagen: Deutschland ist Industrieland. Deutschland muss Industrieland bleiben. Wenn Deutschland nicht Industrieland mit modernen Technologien und mit modernen Arbeitsplätzen in der Industrie bleibt, dann werden wir die ganzen Dienstleistungsarbeitsplätze nicht finanzieren können. Deshalb bekennen wir uns zum Industriestandort Deutschland. ({6}) Das ist in dieser Diskussion wichtig. Denn Industriearbeitsplätze sind in vielen Bereichen in Deutschland gefährdet. Wir müssen jetzt zum Beispiel im Rahmen der CO2-Problematik hinsichtlich der Aluminiumhütten aufpassen, dass nicht alles, was mit NE-Metallen zu tun hat, plötzlich bruchstückhaft aus Deutschland verschwindet. Wir müssen Vorsorge treffen. Wir müssen in allen Politikbereichen darauf achten, dass es nicht zu bruchhaften Entwicklungen kommt, dass die Entwicklungen stetig verlaufen und dass wir zu Veränderungen kommen, die wir wollen. Aber dabei dürfen wir keine Brüche in Kauf zu nehmen, die Arbeitsplätze gefährden, insbesondere Industriearbeitsplätze. Deswegen unser Bekenntnis zum Industrieland: Deutschland gehört für uns dazu. In den modernen Bereichen müssen wir für moderne Arbeitsplätze sorgen. Deswegen müssen wir uns als Parlament mit einem Phänomen beschäftigen, das in Deutschland vorherrschend ist. Dieses Phänomen ist eine Technologie- und Technikfeindlichkeit, die sich auch in der geringen Zahl an Ingenieuren niederschlägt. Wenn Technologie und Technik in der Politik und auch in der Bevölkerung so schlecht angesehen sind, dann ist es klar, dass weniger junge Leute ein Studium ergreifen, das mit diesen Bereichen zu tun hat und in der Öffentlichkeit nicht so angesehen ist, und eher ein Studium, durch das man Jurist oder Diplomkaufmann wird. ({7}) Deswegen ist es eine ganz wichtige Voraussetzung, sich mit dem Grundphänomen zu beschäftigen. Dies betrifft auch die Steuerpolitik, zum Beispiel versicherungsfremde Leistungen in den sozialen Sicherungssystemen zukünftig stärker aus Steuern zu finanzieren. Diese ganze Vernetzung müssen und wollen wir sehen. Unter diesen Gesichtspunkten ist eine solche Debatte wie die heutige nicht nur unbedingt notwendig, sondern wir sollten sie zum Wohl der Menschen in Deutschland auch fortsetzen, und zwar mit dieser Gesamtkonzeption mit Blick über den Tellerrand der Politikfelder hinaus. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5901 mit dem Ti- tel: „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Damit ist dieser Antrag abgelehnt bei Zustim- mung der FDP und Ablehnung des Rests des Hauses. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport - Drucksache 16/5526 Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses ({0}) - Drucksache 16/5937 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Detlef Parr Winfried Hermann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther ({2}), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Bekämpfung des Dopings im Sport vorantreiben und Optimierungsmöglichkeiten ausschöpfen - zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bekämpfung des Dopings im Sport - Drucksachen 16/4738, 16/4166, 16/5937 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Detlef Parr Winfried Hermann Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke vor. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eineinviertel Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion. ({3})

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Doping zerstört die Grundwerte des Sports. Ein unfairer und manipulierter Wettkampf hat auch nichts mehr mit dem olympischen Gedanken gemeinsam. Doping täuscht die Mitstreiter im Wettkampf und die Zuschauer und gefährdet nicht zuletzt die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler. Wie die jüngsten Dopingbekenntnisse im Radsport belegen, verläuft die unerlaubte Leistungssteigerung im Spitzensport zunehmend in organisierten Strukturen. Diese können nur durch gezielte, auch strafrechtliche Maßnahmen bekämpft werden. Der Fokus der Medien liegt beim Doping naturgemäß auf dem Leistungs- und Spitzensport. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Doping auch im Breitensport bis hin zu sportlichen Betätigungen im Fitness- und Freizeitbereich anzutreffen ist. Doping ist damit ein Problem des Sports insgesamt und bedarf der breit angelegten und gemeinsamen Bekämpfung durch Sport, Politik, Justiz, Wirtschaft, Medien und nicht zuletzt die ganze Gesellschaft. ({0}) Meine Damen und Herren, die Dopingbeichten der Radsportler sind zu begrüßen. Wo aber bleibt die internationale Diskussion? Findet endlich ein Umdenken der Sportler statt? Es ist nicht allein damit getan, sich als Dopingsünder zu outen. Die Fahrer müssen nun auch die Hintermänner und die Strukturen aufzeigen. ({1}) Die Erklärungen zeigen mir, dass die geplanten Regelungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport richtig sind. Die Anstrengungen des organisierten Sports allein reichen nicht aus. Der Staat muss mit seinen Ermittlungsbehörden in den Fällen eingreifen, in denen kriminelles Unrecht geschieht. Er ist in der Lage, die hinter dem dopenden Sportler verdeckt arbeitenden Netzwerte aufzudecken und zu zerschlagen. Genau hier greifen die von uns verabredeten und geplanten sowie vom Kabinett bereits im März dieses Jahres verabschiedeten Regelungen. Zu den Inhalten. Erstens: Strafverschärfungen für banden- und gewerbsmäßige Dopingstraftaten und Abschöpfung der Vermögensvorteile. Die Erhöhung der Höchststrafe von heute drei Jahren auf zehn Jahre ist ein klares Signal. ({2}) Ein Blick ins Strafgesetzbuch zeigt: Eine Höchststrafe von zehn Jahren ist schon etwas. Das ist zum Beispiel im Jugendstrafrecht die Höchststrafe für Mord. Mit der Erhöhung der Höchststrafe auf zehn Jahre haben wir wirklich ein Signal gesetzt. Zweitens: die Nutzung der Telefonüberwachung bei schweren Dopingdelikten. Drittens: die Übertragung der Ermittlungsbefugnisse auf das Bundeskriminalamt. Viertens: die Verpflichtung zur Aufnahme von Warnhinweisen bei Arzneimitteln, die für Doping geeignet sind. Auch die von uns beschlossene Strafbarkeit des Besitzes einer nicht geringen Menge bestimmter Dopingsubstanzen ermöglicht eine wirksamere Strafverfolgung des Handels mit gefährlichen und häufig verwendeten Dopingmitteln. Damit, lieber Kollege Hermann, können wir den Trainer, den Betreuer oder den Sportler mit dem Kofferraum oder Schrank voller Dopingmittel bestrafen, ohne ihm Handel nachweisen zu müssen. ({3}) Dadurch wird auch der Tatbestand des Handels konkretisiert, wie Sie, lieber Kollege Parr, immer richtig anmerken. Im Übrigen sind wir uns, wie wir gestern im Ausschuss festgestellt haben, bis auf das Piktogramm auf der Packung einig, lieber Kollege Parr. Deshalb: Stellen Sie sich nicht so an, und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! ({4}) Von einem Tatbestand, mit dem der Besitz geringer Mengen von Dopingmitteln zum Eigengebrauch unter Strafe gestellt würde, halten wir nichts. Wollen Sie wirklich jeden Pillenschlucker im Fitnessstudio mit Gefängnis bedrohen? Von parallelen Verfahren - vor dem Sportgericht und vor einem ordentlichen Gericht - halte ich auch nichts. Das Sportgericht sperrt sofort für zwei Jahre, und es gilt Beweislastumkehr. Das ordentliche Gericht urteilt nach vielen Monaten, vielleicht gibt es sogar einen Freispruch. Das würde auf Dauer die Beweislastumkehr der Sportgerichtsbarkeit zerstören. Damit würden wir ein granatenmäßiges Eigentor schießen, wie es Innenminister Schäuble so treffend formulierte. Auch ein Tatbestand des Sportbetrugs, wie ihn die Grünen plötzlich so vehement fordern, ({5}) ist schlicht Unsinn. Oberstaatsanwalt Kirkpatrick hat es Ihnen bei der Anhörung doch erklärt: Selbst wenn man rechtliche, verfassungsrechtliche und tatsächliche Bedenken hintanstellt, wird kein Richter aufgrund dieses Tatbestandes verurteilen, weil er dazu negative Proben aller am Wettkampf beteiligten Sportler bräuchte. Das funktioniert nicht. Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Es funktioniert nicht, zu denken, wir machen nun ein Gesetz, und Doping ist ab morgen kein Problem mehr. So wird es nicht gehen. Politik und Sport, aber auch die Sponsoren und die Medien stehen zusammen in der Verantwortung, den Kampf gegen Doping zu führen. Wir haben über das Gesetz hinaus ein Maßnahmenpaket vorbereitet: Wir werden bei den Beratungen über den Haushaltsplan über die Mittel für die NADA und über die Mittel für Prävention reden. Wir haben den WADACode unterzeichnet. Wir fordern Schwerpunktstaatsanwaltschaften in den Ländern. Wir wollen mehr Prävention. Wir tun also einiges. Meine Frage an die Fachleute - an Sportler, Sportwissenschaft und Forschung - lautet: Gibt es heute Sportarten, in denen Weltklasseleistungen und Olympiasiege nur noch mit Doping erreichbar sind? Wenn ja, welche? Sollte es solche Sportarten geben, müssen wir unsere Spitzensportförderung grundsätzlich überdenken. Wir stehen zu Leistung und Erfolg, aber fördern nur und fordern sauberen, manipulationsfreien Sport. ({6}) Dazu wird unser heute zu verabschiedendes Gesetz einen Beitrag leisten. Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Detlef Parr für die FDP-Fraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer heute und in den letzten Wochen einen Blick in die Zeitungen geworfen oder Fernsehen geschaut hat, könnte meinen, der Sport in unserem Lande bestünde nur noch aus Lug und Trug: Doping war und ist das beherrschende Thema und Schlagwort dieser Tage. Wenn wir über Sport in Deutschland reden, reden wir aber auch über die 27 Millionen Mitglieder in zigtausenden Vereinen, über annähernd 8 Millionen im Interesse unserer Gesellschaft und unseres Landes ehrenamtlich Tätige, dann reden wir über Menschen, denen Sport einfach Spaß macht und die sich bewegen wollen. Niemand von uns darf in dieser Diskussion dazu beitragen, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Obhut unserer Vereine geben wollen. Die Vereine haben nach wie vor unser Vertrauen verdient. Natürlich wird der Breitensport vom Spitzensport erheblich beeinflusst: Wir brauchen Vorbilder wie aus dem Sommermärchen 2006, die dem Sport neue Impulse geben und dazu auffordern, selbst aktiv zu werden. Deswegen diskutieren wir heute über einen Gesetzentwurf, der dazu beitragen soll, den Betrügern im Spitzensport endlich das Handwerk zu legen. Der Bundesregierung ist es gelungen - allerdings nach einer quälend langen Zeit der Untätigkeit -, ({0}) einen Entwurf mit einer Reihe von richtigen Lösungsansätzen vorzulegen, der, ergänzt durch das Maßnahmenpaket, in vielen Bereichen mit unserem Antrag identisch ist. ({1}) Das hat uns Klaus Riegert gestern im Sportausschuss noch bestätigt. Gut, dass er unsere Ideen aus gemeinsamer Oppositionszeit in die Regierung hinübergerettet hat. Vielen Dank dafür, Klaus! ({2}) In den Sportverbänden ist vieles zur Dopingbekämpfung auf den Weg gebracht worden. Die Sponsoren beginnen, stärker Verantwortung zu übernehmen. Aber sind wir uns eigentlich an den verschiedenen Stellen unserer Gesellschaft schon klar geworden über gewisse Mittäterschaften? Über die Folgen von Sensationsgier? Über falsch gesetzte Anreize für vermeintlich grenzenlose Leistungssteigerungen? Über Rekordmanie und überzogene Zahlenfixiertheit? - Wir alle: Zuschauer, Medienvertreter, Sponsoren, Verbandsfunktionäre, Sportgroßveranstalter, Politiker. Wir alle tragen Verantwortung für Fehlentwicklungen, die wir allzu lange hingenommen und durch Wegsehen sogar geduldet haben; vorweg gab es zudem sieben Jahre rot-grüner Enthaltsamkeit. ({3}) Keiner von uns, Kollegin Dagmar Freitag, darf sich zukünftig unschuldig in sportlichen Höchstleistungen sonnen, ohne dass wir uns vorher in einer Grundsatz11076 debatte darüber einig werden, welche Rolle wir dem Sport in unserer Leistungsgesellschaft zukünftig beimessen wollen, was wir von ihm erwarten und welche Ansprüche wir an ihn stellen. ({4}) „Schneller, höher, weiter.“ - Die Grenzen sind in vielen Sportarten aber längst erreicht; das sollten wir ehrlich zugeben. Statt den Weg zu ungezügelten Gladiatorenspielen zu bereiten, sollten wir nach einem neuen Mittelweg suchen zwischen dem genannten olympischen Motto und Coubertins Feststellung: Die Teilnahme ist wichtiger als der Sieg. Der Anstoß zu einer bundesweiten Generaldebatte muss aus Berlin kommen, ({5}) so wie die gesetzgeberischen Impulse, denen die FDP, lieber Klaus, gerne als Paket zugestimmt hätte. Aber genau zwei Punkte lassen uns zu einer Stimmenthaltung kommen. Wir sind nicht dagegen, aber wir werden uns der Stimme enthalten. ({6}) Der erste Punkt betrifft die Prävention und die Aufklärungsarbeit, die in diesem Gesetzentwurf so gut wie keine Rolle spielen. Die Anhörung hat jedoch bewiesen, dass ein wesentlicher Baustein einer effektiven Antidopingpolitik die Prävention bei Kindern und Jugendlichen sein muss. Zweitens. Die als genial gefeierte Strafbarkeit des Sportlers, der im Besitz nicht geringer Mengen von Dopingsubstanzen ist, ({7}) halten wir nach wie vor für überflüssig. In der Praxis wird sich - das hat die Anhörung auch gezeigt - so gut wie nichts ändern. Wir bekennen uns zum Grundsatz der „strict liability“ und zu dem Vorrang der Sportgerichtsbarkeit, die schnell und durchgreifend entscheiden kann. ({8}) Gegen banden- und gewerbsmäßigen Handel muss der Staat dagegen mit aller Härte vorgehen können; da sind wir uns wieder einig. Wir freuen uns auch, dass der Sportbetrug keinen Einzug in den Entwurf gefunden hat. Wer sein Heil - wie in Bayern und jetzt leider auch bei den Grünen - in „law and order“ sucht, wird scheitern, wie sucht- und drogenpolitische Strategien in der Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt haben. ({9}) „Law and order“-Denken und staatliche Repressionen führen nicht zum Ziel. Da ist zu viel CSU drin und zu wenig FDP. ({10}) Vielmehr wird es in der Zukunft national und international besonders auf unsere Forschungsanstrengungen ankommen. So wichtig Investitionen in die Verbesserung der Dichte des Kontrollsystems sind, muss es uns auch gelingen, Nachweismethoden zu entwickeln, die dem Hase-und-Igel-Spiel ein Ende bereiten. Da macht mich ein Blick in die Antwort der Bundesregierung auf unsere kleine Anfrage vom 5. Februar 2007 mit Blick auf das Stichwort Gendoping allerdings nachdenklich. Vereinzelte Forschungsaufträge gehen auf das Jahr 2002 zurück. Abschlussberichte liegen noch nicht vor. Aktuelle Initiativen sind nicht aufgeführt. Der runde Tisch bleibt eine bloße Ankündigung. Diese Anstrengungen reichen nicht aus. Auf diesem Gebiet müssen wir deutlich an Tempo zulegen. Ähnlich ist es um Aufklärung und Prävention bestellt. Dopingprävention ist sicher in der Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung - „Kinder stark machen“ - gut aufgehoben. Ein Handbuch mit dem Titel „Gemeinsam gegen die Sucht“ und Unterrichtsmaterialien zum Thema des Medikamentenmissbrauchs deuten aber darauf hin, dass wir damit unsere Jugendlichen wohl nur sporadisch erreichen. Wir brauchen in den Schulklassen fünf und zehn dringend eine bundesweite Kampagne der BZgA in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz und den Sportorganisationen, insbesondere auch auf Länderebene. Wir müssen die Einstellung gegen medizinische Leistungsmanipulationen schon in jungen Jahren festigen. Einstellungen werden nicht zuletzt auch von den Medien geprägt. Gerade jetzt darf sich der Journalismus nicht hinter einem Boykott verstecken. Er muss vielmehr kritisch berichten und seine investigativen Stärken ausspielen. Hinblicken und Durchblicken ist besser als Wegblicken. Das sollte auch die Leitlinie unseres weiteren Handelns sein. Ich danke Ihnen für das Zuhören. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die SPDFraktion das Wort. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, dass heute mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes, den die Regierung und die Koalition hier vorgelegt haben, ein wichtiger Meilenstein erreicht wird. Man kann nicht verkennen, dass es ein langer, mühsamer und quälender Prozess war, auch in der öffentlichen Diskussion. Ich finde es aber bemerkenswert, dass wir heute feststellen können, dass nicht nur diese Regierung und diese Koalition hinter dem GesetzDr. Peter Danckert entwurf stehen, der heute verabschiedet wird, sondern, lieber Kollege Parr, auch der organisierte Sport. Die circa 28 Millionen Menschen, die sich unter dem Dach des DOSB verbunden haben, haben unserem Vorschlag zugestimmt. ({0}) Das ist doch ganz bemerkenswert, vor allen Dingen, wenn man die Diskussion vorher im Auge hat. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die FDP heute nicht nur enthält, sondern sich vielleicht selber über die Hürde hilft und hier mitmacht; ({1}) denn wenn der Sport, für den wir ja gemeinsam reden, das, was wir hier heute verabschieden wollen, akzeptiert, dann müsste es doch eigentlich auch die FDP, die sich zumindest mit einigen Persönlichkeiten des DOSB sehr verbunden fühlt, ({2}) schaffen, das heute mitzutragen. Überlegen Sie doch einmal, ob Sie bei diesem Gesetz nicht zustimmen können! Lieber Kollege Parr, wenn Sie der Meinung sind, dass die Besitzstrafbarkeit nicht zu dem führt, was wir uns vorstellen ({3}) - Sie sagen „Mogelpackung“ -, dann können Sie sagen, dass das Ihrer Meinung nach nicht funktioniert, und doch mitmachen. ({4}) Wir werden ja sehen, wozu das Gesetz im Vollzug führen wird. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Baustein ist. Er ist aber nicht ausreichend, um den Kampf gegen Doping insgesamt zu gewinnen. Das ist ja eine endlos lange Geschichte. Wer sich einmal mit der Historie beschäftigt, der weiß, dass das beim Radrennen Bordeaux-Paris im Jahre 1886 angefangen hat. Den ersten Todesfall eines Radfahrers gab es aufgrund von Trimethyl. Das ist eine lange Kette, die bis in die letzten Jahre hineinreicht. Dabei brauche ich gar nicht an den spektakulären Tod von Birgit Dressel zu erinnern, der 20 Jahre her ist. ({5}) Es gab immer wieder solch schlimme Ereignisse, die mit Doping verbunden waren. Das muss doch der Impuls sein, der uns antreibt und weshalb wir sagen: Wir müssen staatlicherseits alles geben, um in diesem Kampf bestehen zu können. Ich glaube - damit komme ich wieder auf den Gesetzentwurf zurück -, dass die neue Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes als Ermittlungsbehörde zusammen mit den Dingen, die Klaus Riegert schon angesprochen hat, eine wichtige Hilfe ist. Das hat es bisher nicht gegeben. Das ist ein entscheidender Schritt. Ich bin dem Minister sehr dankbar, dass er uns hier geholfen hat; denn es ist keine Selbstverständlichkeit, an dieser Stelle das Bundeskriminalamt einzusetzen. ({6}) Dort sitzen Experten, von denen ich glaube, dass sie uns weiterhelfen. Wir werden sehen, ob wir die Schwerpunktstaatsanwaltschaften brauchen. Wir haben die Länder aufgefordert, an dieser Stelle auch einen Beitrag zu leisten. Dies wäre ein Beitrag zur Unterstützung der Ermittlungsarbeit. Wir haben also gute Voraussetzungen geschaffen. Ich denke, auch durch den Strafrahmen - Klaus Riegert hat zu Recht darauf hingewiesen - kommen wir an dieser Stelle weiter, weil es natürlich eine eindeutige Aussage unseres Parlaments ist, dass das keine Bagatellkriminalität mehr ist, die mit bis zu drei Jahren bestraft wird, sondern dass der Strafrahmen dem bei Verbrechen ähnlich ist. Hierdurch ergibt sich auch ein Ansatz für die Telefonüberwachung. Ich glaube, dass wir mit der Telefonüberwachung auch hinter die Elemente kommen, die für die Dopingstrukturen verantwortlich sind. Das ist ein Baustein. Es muss am Ende nicht immer notwendig sein, dass alle bestraft werden. Wir werden ja sehen, wie sich das beim Vollzug ergibt, Herr Kollege Parr. Ich finde es aber wichtig, dass wir durch eine Telefonüberwachung, durch Zeugenvernehmungen und durch Hausdurchsuchungen Ermittlungsergebnisse erzielen, ({7}) also an Informationen herankommen, durch die uns ein klares Bild über die Strukturen geliefert wird. ({8}) Von daher glaube ich, dass das auch aus diesem Grund der richtige Weg ist. Jetzt komme ich zum Stichwort Besitzstrafbarkeit. Wir haben eine Anhörung durchgeführt, die teilweise bemerkenswert war. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. In der Anhörung haben wir acht qualifizierte Sachverständige gehört, die acht verschiedene Meinungen vertreten haben. Wenn sich diese sehr qualifizierten Herrschaften als Gesetzgeber betätigt hätten, dann hätten sie gar nichts zustande gebracht. Denn mit acht verschiedenen Meinungen erzielt man keine Mehrheit im Parlament. ({9}) Wir haben das Machbare erledigt und werden den Gesetzentwurf heute verabschieden. Ich denke, das ist der richtige Weg. Es reicht aber noch nicht aus. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen - weil ich hin und wieder dafür kritisiert worden bin, dass ich dem DOSB nicht alles zutraue -, dass auch der DOSB Maßnahmen eingeleitet hat, die den Kampf gegen Doping erleichtern sollen. Ich appelliere deshalb an den DOSB, die zusätzliche Zahlung von 260 000 Euro, die in diesem Jahr beschlossen ist, zu einer regelmäßigen Leistung zu machen, damit der Beitrag des Sports an dieser Stelle noch deutlicher wird. Ich finde es sehr gut, dass in dem Kabinettsentwurf, der gestern beraten wurde, in zweierlei Hinsicht klare Signale gegeben werden. Zum einen soll die Förderung des Spitzensports deutlich erhöht werden. Dazu sind wir meines Erachtens verpflichtet, wenn wir in Deutschland Spitzensport wollen. Angesichts der Einsparmaßnahmen ist das ein echtes Signal an den Sport, dass wir ihm zutrauen, noch mehr zu leisten. Dafür sind zusätzliche finanzielle Mittel nötig, auch um die Trainer - vor allem diejenigen, die sonst vom Ausland abgeworben werden - besser bezahlen zu können. Das steht außer Frage. Ich bin zum anderen auch sehr dankbar - wenn es nicht schon im Kabinettsentwurf enthalten wäre, käme es wahrscheinlich zu einer entsprechenden Initiative der Koalitionsfraktionen -, dass deutlich mehr Mittel für die NADA zur Verfügung gestellt werden. Auch das ist wichtig. Wir waren uns immer darüber einig, dass Handlungsbedarf besteht, wenn sich die Wirtschaft praktisch nicht an dem Stiftungsmodell beteiligt, zu dem der Bund insgesamt 7 Millionen Euro beigetragen hat. Wir müssen vielleicht noch einmal den Gedanken aufgreifen, mit der Unterstützung der Regierung und vielleicht auch der Bundeskanzlerin zu versuchen, die Sponsoren dazu zu bringen, ihren Beitrag zum Stiftungskapital zu leisten. Es kann nicht sein, dass nur der Staat einen Beitrag dazu leistet. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Ich denke aber, dass die zusätzlichen Mittel für die NADA ein richtiger und wichtiger Schritt sind. Denn wir brauchen eine unabhängige Kontrolleinrichtung, die für Trainings- und Wettkampfkontrollen und Prävention zuständig ist. Das gehört nämlich zum Auftrag der NADA, Herr Parr. Mit den zusätzlichen Mitteln von insgesamt 2,8 Millionen Euro bieten wir der NADA die notwendigen Voraussetzungen. Es handelt sich dabei nicht um eine einmalige Zahlung; sie ist in der mittelfristigen Planung regelmäßig vorgesehen. Damit hat die NADA die Möglichkeit, besser zu agieren als bisher. Sie muss sich personell besser aufstellen. Dafür stellen wir die notwendigen Mittel bereit. Wenn sich die Sponsoren ebenfalls beteiligen, dann haben wir auch an dieser Stelle etwas Wesentliches erreicht und können hoffnungsfroher in die Zukunft schauen. Der Kampf gegen Doping, der schon 100 Jahre andauert, wird sich noch lange hinziehen. Aber mit dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, mit der Kabinettsvorlage, der sicherlich auch im Plenum zugestimmt wird, sind wir einen bedeutenden Schritt vorangekommen. Ich bin sehr froh darüber. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Linke spricht jetzt Katrin Kunert. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Nur wer dopt, gewinnt. Nur wer gewinnt, ist in den Medien. Nur wer in den Medien ist, macht seine Sponsoren glücklich. Nur glückliche Sponsoren geben auch im nächsten Jahr noch frisches Geld. Wenn dies so zutrifft, wie es Jaksche beschreibt, dann empfehlen wir dem Veranstalter, die Tour de France abzusagen. ({0}) Die gesamte Gesellschaft watet im Dopingsumpf und erwartet vom Sportler, den Wettkampf in trockenen Strümpfen zu absolvieren. In den letzten Monaten wurde viel darüber diskutiert, wie ein Sportler bestraft werden könnte, der letztlich doch mit nassen Strümpfen erwischt wird. Ich finde das scheinheilig. Das Thema Doping ist uralt. Der erste Dopingtote wurde vor 115 Jahren beerdigt. Darauf haben Sie bereits hingewiesen, Herr Danckert. In diesem Jahrhundert wird dem Publikum immer wieder ein großes Staunen und Entsetzen präsentiert. Der letzte Höhepunkt war der weinende Zabel vor der Kamera, der eine höhere Einschaltquote hatte als die Tour de France im vergangenen Jahr. Im Radsport jagt ein Geständnis über Dopingpraktiken das andere. Vom Sportler über Ärzte hin zu einigen Funktionären fällt das Kartenhaus zusammen. Mancher schweigt beharrlich, weil ein Geständnis viel Geld kosten würde. Aber bisher wurde nur zugegeben, was offenkundig oder verjährt ist. Lediglich Jaksche bricht sein Schweigen, für viel Honorar wohlgemerkt. Aber deutlich wird: Es gibt kein Unrechtsbewusstsein. Der eigentliche Skandal ist, dass sich die Geständnisse und Tränen auch noch super vermarkten lassen. Mediendemokratie nennt man das. Ich nenne es Sittenverfall. ({1}) Sie werden mir als Abgeordnete der Linken abnehmen müssen, dass ich mich dem Erstaunen und Entsetzen nicht anschließen kann. Ich möchte drei Dinge klarstellen: Erstens. Die Fraktion Die Linke lehnt Doping im Sport konsequent ab. ({2}) - Auch Herr Nešković. ({3}) Zweitens. In der DDR wurde gedopt, ein unrühmliches Kapitel in ihrer Geschichte ohne Wenn und Aber. ({4}) Doch die vielen wissenschaftlichen Studien, die nach 1989 zu diesem Thema durch Steuergelder finanziert wurden, haben in keiner Weise zur Aufhellung, geschweige denn zu einer besseren Dopingbekämpfung geführt. Das ist absolut inakzeptabel. ({5}) Drittens. Für uns ist die entscheidende Frage, ob es gelingt, konsequent und transparent alle Hintergründe des Verhältnisses von Spitzensport zu Doping und die damit verbundene Gier nach Geld aufzudecken. Hauptdopinggrund sind das Geld und sein Einfluss auf den Sport. Solange der Kommerz den Sport bestimmt, so lange wird es Doping geben, behaupte ich. ({6}) Der Profiradsport ist ein Sumpf. Er rangiert beim Doping noch vor der Leichtathletik, dem Kraftsport und den nordischen Wintersportarten. Das sagte ARD-Dopingexperte Seppelt. Hand aufs Herz, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das wissen wir alle. Wir wissen auch, dass einige Instrumente im Kampf gegen Doping nur unzureichend greifen. Die alles entscheidende Frage ist: Sehen wir weiter zu? Sind wir sogar machtlos, oder kümmern wir uns endlich um die Ursachen? Wollen wir an den Symptomen herumdoktern oder den Erreger bekämpfen? Der erste Dopingtote hatte die Ermüdungsschwelle seines Körpers mit Strychnin hinausgeschoben. Heute verdient die globalisierte Pharmaindustrie Milliarden. Das große Geld wird nicht nur während des Tour-deFrance-Monats verdient, sondern während des gesamten Jahres unter anderem in Fitnessstudios zwischen Santiago de Chile und Reykjavik. Im Profisport und auch im Freizeit- und Amateursport blüht der Handel mit Anabolika, Wachstumshormonen und vielem anderen. Das weltweit produzierte Epo wird nur zu einem Fünftel für Kranke benötigt. Warum belegt man den Handel von Epo nicht mit Sanktionen, beginnend beim Pharmariesen? Warum belegt man nicht die Produktion mit Quoten? Während ein Medikament wie Epo über das notwendige Maß hinaus produziert und missbraucht wird, sterben Menschen gerade in unterentwickelten Ländern an Krankheiten, die zu wenig erforscht sind, weil es hier offensichtlich zu wenig Profit bringt. ({7}) Wir stellen als Fraktion die Grundsatzfrage: Muss der Leistungssport dem totalen Kommerz unterliegen? Leistungsdruck und das in der Gesellschaft gezeichnete Bild eines erfolgreichen und dynamischen Menschen mit überzogenen Ansprüchen an seine Leistungen macht einen Teufelskreis auf, in den viele Menschen geraten. Süchte entstehen, und die Gesellschaft zahlt die Folgen. Frau Kollegin Freitag, wenn Sie unseren Gesamtansatz als Lyrik bezeichnen, dann frage ich mich, welche geistige Nahrung Sie im Allgemeinen zu sich nehmen, wenn Sie nicht erkennen, dass die Ursachen des Dopings im Sport auch in der Gesellschaft zu finden sind. ({8}) Doping im Leistungssport ist aber nur die Spitze des Eisberges. Vom Umfang her sind Medikamentenmissbrauch und Doping im Freizeit- und Amateursport viel größer als im Leistungssport. Aber das wird vielfach tabuisiert. Im Durchschnitt greifen 200 000 Besucherinnen und Besucher in den Fitnessstudios zu Anabolika und anderen Präparaten. Jährlich werden über 100 Millionen Euro Umsatz mit illegalen Dopingmitteln gemacht. Gewinner ist auch hier die Pharmaindustrie. Sie hat eine starke Lobby. Im aktuellen Drogenund Suchtbericht der Bundesregierung wird davon ausgegangen, dass bis zu 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig sind. Zum ersten Mal wird in diesem Bericht der Medikamentenmissbrauch im Sport als Problem erkannt. Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetz, das als Entwurf vorliegt, Doping jedoch nur im Leistungssport bekämpfen. Das ist uns zu wenig. Nur weil sich die Öffentlichkeit betrogen fühlt, werden strafrechtliche Sanktionen verschärft. Über medikamentenabhängige Managerinnen und Manager, Lehrerinnen und Lehrer oder Politikerinnen und Politiker regt sich in der Öffentlichkeit niemand auf. Das wird billigend in Kauf genommen. ({9}) Nicht nur der Leistungssport hat also ein Dopingproblem, sondern die gesamte Gesellschaft. Die Fraktion Die Linke schlägt in ihrem Entschließungsantrag Maßnahmen vor, die das System des Sports für die Sportlerinnen und Sportler stärken sollen. ({10}) Die Sportlerinnen und Sportler dürfen nicht als Gegner, sondern müssen als Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Kampf gegen Doping gesehen werden. Ich möchte an dieser Stelle ein aktuelles Beispiel bringen. Wir erwarten von unseren Sportlerinnen und Sportlern, dass sie dopingfrei, also sauber trainieren und sich an Wettkämpfen beteiligen. Ich finde es daher kontraproduktiv, wenn die Normen für die Teilnahme an der Leichtathletik-WM so hoch gesetzt werden, dass einige Sportlerinnen und Sportler sie nicht mehr erfüllen können. Wir erwarten, dass sie sauber sind, und erhöhen gleichzeitig die Normen! Wenn wir die Normen zum Beispiel für diese WM an den derzeitigen Ranglisten orientieren, dann birgt das die Gefahr, dass die sauberen Leistungen unserer Sportlerinnen und Sportler mit möglicherweise manipulierten Leistungen verglichen werden. Das passt nicht. ({11}) Manche Teilnahme - das muss ich aus eigener Erfahrung sagen - an wichtigen Wettkämpfen ist schon leistungsfördernd genug, und zwar auf eine gesunde und ehrliche Art. Wir schlagen unter anderem die Einführung eines Athletenpasses vor. Die darin erfassten Daten sollen zum Beispiel die immer höher werdende Zahl plötzlich medikamentenbedürftiger Athletinnen und Athleten mit Ausnahmegenehmigung eindämmen. Bei der letzten Schwimm-WM in Australien gab es auffällig viele anerkannte Asthmatiker, die ganz legal leistungssteigernde Asthmamittel einnehmen können. Hier sind in Zukunft auch und gerade die Ärztinnen und Ärzte gefragt. Wir halten die Karriereplanung für Sportlerinnen und Sportler für besonders wichtig. Wer Beruf und Sport vereinbaren kann oder eine Perspektive nach dem Sport hat, gerät auch nicht in finanzielle Abhängigkeit von Siegprämien. ({12}) Eine breite Aufklärungskampagne in Schulen, Vereinen und bei Wettkämpfen wird das A und O sein. Die NADA, die in der vergangenen Zeit - gelinde gesagt - finanziell an der kurzen Leine gehalten wurde, braucht einfach mehr Mittel. Diese müssen grundlegend aufgestockt werden, damit die NADA effizient und nachhaltig agieren kann. Die angekündigte Erhöhung im Haushalt 2008 reicht aus meiner Sicht nicht aus. Eine zehnprozentige Gewinnabgabe der Pharmakonzerne wäre ein konsequenter Schritt, meine ich. Wir wollen erstens eine umfassende Aufklärung aller Dopingpraktiken in Deutschland und eine Überprüfung der Strukturen des Sports. Wir wollen zweitens eine Debatte über den Sport in der Gesellschaft. Welchen Sport wollen wir? Welche Werte verbinden wir mit ihm? Wir wollen drittens, dass für alle auf internationaler Ebene gleiche Regeln gelten, das heißt ein Maß für alle. Wer die Regeln verletzt, ist raus aus dem Spiel. Ebenso wichtig ist die Qualität der Kontrollen zur Einhaltung dieser Regeln. Ich danke Ihnen. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Winfried Hermann für das Bündnis 90/ Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf hingewiesen, dass es eine richtig lange Geschichte des Dopings im Sport gibt, vor allem im Radsport. Es gibt aber auch eine sehr lange Geschichte des nicht konsequenten Kampfes gegen Doping bei den Sportorganisatoren, in den Sportverbänden und übrigens auch in der Politik. Das müssen wir selbstkritisch konzedieren. Wir haben lange, zu lange zugesehen und immer darauf vertraut, dass der Sport das schon selber in den Griff bekommt. Ich halte es für einen Fehler, dass sich die Politik immer nur so viel traut, wie die Spitzenfunktionäre des Sports der Politik zugestehen. ({0}) - Doch, so ist es auch diesmal wieder. Die spannende Frage, die wir uns heute stellen müssen, lautet: Ist das, was in den letzten Tagen und Wochen an Bekenntnissen über Dopingnetzwerke herausgekommen ist, etwas, was mit der neuen Novelle bekämpft werden kann? Kommt dabei etwas heraus? Da kann man sagen: Bisher haben sich die Kollegen im Sport nicht strafbar gemacht. Jaksche sagt ganz offen: Ich gehe mit meinem Bekenntnis vor jedes Gericht. Das kann er natürlich tun, weil er von keinem Gericht eine Strafe befürchten muss, da er sich nicht strafbar gemacht hat. Das wäre auch nach der neuen Novelle gar nicht anders. ({1}) Ein Sportler, der sich des Dopings schuldig bekennt, macht sich nach dem neuen Gesetz wiederum nicht strafbar. Das ist doch die Quintessenz Ihres Gesetzes. So haben Sie doch auch argumentiert. ({2}) Sie haben das Arzneimittelgesetz novelliert und nicht ein umfassendes Antidopinggesetz vorgelegt. Sie haben ein seit zehn Jahren erwiesenermaßen schwaches Arzneimittelgesetz - die Kollegen von der SPD werden mir zustimmen; wir haben es immer als eine schwache Methode und als schwaches Werkzeug kritisiert - etwas gestärkt, Sie haben diesem zahnlosen Tiger zugegebenermaßen ein, zwei Zähne beigefügt, aber aus diesem Instrument kein wirklich bissiges Gesetz gemacht. ({3}) Mit diesem Gesetzentwurf machen Sie einen weiten Bogen um die Verantwortlichkeit des Sportlers selber. ({4}) Das ist die eigentliche Schwachstelle dieses Gesetzentwurfs. Nicht zuletzt deswegen sagen auch verschiedene Journalisten: Die Politiker reden zwar groß daher, aber am Schluss sind sie milde. Dieser Gesetzentwurf ist reichlich zahm. Wenn er verabschiedet wird, haben wir kein wirklich scharfes Antidopinggesetz. ({5}) Vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der SPD betonen, es sei ein Meilenstein, dass der Besitz nicht geringer Mengen von Dopingmitteln strafbar werde. Wir finden, das ist weiße Salbe; denn der Besitz nicht geringer Mengen ist für diejenigen, die damit handeln, auch heute schon strafbar. ({6}) Sie werden mit Ihrem Vorgehen die schon heute sichtbare Tendenz verstärken. Sicherlich lesen auch Sie die entsprechenden Berichte im „Spiegel“ und anderswo, in denen Sportler beschreiben, wie das ganze System funktioniert. Die Portionen, mit denen Sportler umgehen, werden zukünftig kleiner sein. Das ist es nämlich. ({7}) Es wird nicht mehr so sein, dass ein Trainer oder ein Arzt eine große Tasche mit Dopingmitteln dabeihat; vielmehr wird der Sportler kleine Portionen an Dopingmitteln mitnehmen, weil er sich dadurch nicht strafbar macht. ({8}) Einer Ihrer Experten hat bei der Anhörung gesagt: Auch in Zukunft verstößt ein Sportler nicht gegen das Recht, wenn er etwa bei der Radrennweltmeisterschaft in Deutschland mit einer Epo-Ampulle um den Hals ins Ziel fährt; ihm wird nichts passieren, weil das nicht strafbar ist. ({9}) Genau das ist es. Die Verabschiedung Ihres Gesetzentwurfs wird zu einer Neuproportionierung der dezentralen Dopingmittelvergabe führen, zu nichts anderem. ({10}) Es gibt auch noch offene Fragen: Was ist eigentlich Blutdoping? Was sind nicht geringe Mengen an Blutdoping? Wie viel Liter Blut dürfen es denn sein? ({11}) Wird es in Zukunft so sein, dass die Beutel zwar nicht mehr bei Fuentes gelagert werden, sondern dass jeder Radsportler seine Beutel im eigenen Kühlschrank lagert? Auch das wird dieses Gesetz nicht erfassen. ({12}) Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit: Sie machen einen weiten Bogen um den Sportler selber. Sie ziehen ihn nicht zur Verantwortung. Sie stricken an der Mär vom unschuldigen Sportler, der getrieben von Trainern, Medien und Netzwerken zum Doping greift, weil er nicht anders kann. ({13}) Natürlich gibt es solche Strukturen, und trotzdem muss man sagen: Sportler sind erwachsene, verantwortungsfähige Menschen, von denen man erwarten muss, dass sie darüber entscheiden können, was gut und richtig ist. Wenn sie die Regeln des Rechts verletzen, dann müssen sie dafür belangt werden. Das ist das Mindeste. ({14}) Deswegen haben wir nach einer Konstruktion gesucht, die dafür sorgt, dass auch der Sportler - die Zentralfigur im Dopinggeschehen; das muss man einmal ganz deutlich sagen; auch die Experten haben festgestellt, dass der Sportler der Kern des Geschehens ist belangt wird. Deswegen schlagen wir vor, den Tatbestand des Sportbetrugs in das Wettbewerbsrecht einzuführen. Im modernen Spitzensport geht es um sehr viel Geld und damit um Betrug des Gegners. Wer manipuliert, versucht, sich Vorteile zu verschaffen. Was wir vorschlagen, soll auf die, wie ich finde, „moderne“ Entwicklung des Dopings in Form von ganz neuen Netzwerken und Methoden Einfluss nehmen. ({15}) Wir Grünen haben immer gesagt: Wir brauchen nicht nur eine Novelle des Arzneimittelgesetzes, sondern auch eine umfassende neue Antidopinggesetzgebung, ein Artikelgesetz, das klar regelt, unter welchen Bedingungen der saubere Sport gefördert wird. Der Staat sollte sich eindeutig dazu verpflichten, Aufklärung, Information und Prävention im Bereich Doping anzubieten. Ich rege an, das Amt eines Antidopingbeauftragten zu schaffen, der hier im Bundestag darüber berichtet. ({16}) Wir fordern ein rechtliches Paket, etwa ein Strafrechtspaket. Einige Elemente eines solchen Pakets sind in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. Wir fordern, dass das Element des Sportbetrugs hinzugenommen wird. Wir müssen die Wissenschaft, die Forschung und die Kontrolle fördern, damit sie besser werden und nicht immer hinterherhinken. In Freiburg haben selbst Wissenschaftler und Mediziner staatliche Mittel missbraucht. Auch das macht deutlich, dass wir im Blick auf die Wissenschaft selbst die Mittelvergabe im Kampf gegen Doping besser kontrollieren müssen. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Wie Sie gesehen haben, haben wir sehr viel Kritik an einem unzulänglichen, nicht weit genug gehenden Gesetzentwurf der Großen Koalition geübt. Trotzdem werden wir ihn nicht ablehnen. Er enthält einige Verbesserungen. Es wäre falsch, dagegen zu sein. Wir enthalten uns, weil das, was erreicht wird, nicht weit genug geht, denn beim Sportler, der die zentrale Figur ist, wird nicht angesetzt. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stephan Mayer spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die Geständnisse und Enthüllungen der letzten Tage und Wochen über den Dopingmissbrauch im Radsport waren erschreckend und schockierend. Jetzt mag man vielleicht meinen, ich sei naiv oder zu gutgläubig, da es Dopingfälle im Radsport schon immer gegeben habe; die neue Qualität, die meines Erachtens durch diese jüngsten Dopingbeichten vieler ehemaliger Telekom-Fahrer zutage getreten ist, ist aber, dass es ein planvolles, kollusives Zusammenwirken im ehemaligen Telekom-Team gab, dass hochprofessionell gearbeitet wurde und dass es eine Selbstverständlichkeit und teilweise unausgesprochen klar war, dass man dopte. Dies macht einen fassungslos und vielleicht sogar sprachlos. Es wäre jetzt aber falsch, die Sportler, die gedopt haben und dies einräumen, an den Pranger zu stellen. Sie haben auch nicht verdient, zu Heroen stilisiert zu werden. Es war mit Sicherheit kein großer Ausweis von Heldentum, sich jetzt zu offenbaren, nachdem die meisten Delikte verjährt sind. Aber es wäre meines Erachtens das falsche Signal, jetzt daraus den Schluss zu ziehen, dem Radsport öffentliche Fördermittel zu entziehen und möglicherweise sogar die öffentlich-rechtliche Berichterstattung über Radsportereignisse wie beispielsweise die Tour de France einzustellen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Doping ist eine Krake oder eine Hydra, die zumindest den Profiradsport und möglicherweise auch andere Sportarten fest im Griff hatte und vielleicht immer noch hat. Ich halte den Vergleich mit der Hydra insoweit für authentisch, als sich herausgestellt hat, dass, obwohl es in der jüngsten Zeit immer wieder neue Ermittlungsmethoden gab und neue technische Möglichkeiten erfunden wurden, um dem Dopingmissbrauch zu Leibe zu rücken, immer wieder schnell neue Medikamente entwickelt wurden, um den Dopingmissbrauch zu verschleiern. Es muss das Ziel aller Beteiligten sein, dass das, was dem Radsport derzeit an Glaubwürdigkeitsverlust und meines Erachtens mittel- und langfristig auch an Bedeutungsverlust widerfährt, anderen Sportarten erspart bleibt. Es muss unser aller Ziel sein, dass Eltern ihre Kinder wieder bedenken- und sorglos in Radsport-, Leichtathletik- und andere Vereine geben können. ({1}) Vor diesem Hintergrund ist das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopingmissbrauchs ein wichtiger Schritt. Man muss an dieser Stelle ganz klarmachen, für was das staatliche Gewaltmonopol, für was der Gesetzgeber zuständig ist. Wir sind dafür zuständig, vor allem durch eine Verschärfung des Strafrechts, den Schutzzweck zu erfüllen, der uns aufgegeben wurde. Hier muss man eine ganz klare Aufgabenteilung zwischen dem organisierten Sport auf der einen Seite und dem Staat auf der anderen Seite vornehmen. Ich vertraue nach wie vor der Fähigkeit des organisierten Sports, dem Dopingmissbrauch erfolgreich zu Leibe zu rücken. Es gibt den Strict-liability-Grundsatz und die Beweislastumkehr. Der Sportler macht sich strafbar, sobald steroide Mittel, Anabolika in seinem Körper festgestellt werden. Lieber Kollege Hermann, es stimmt nicht, was Sie sagen. Sie werfen hier unablässig Nebelkerzen. Wenn der Fall, den Sie geschildert haben, eintritt, wenn also ein Radsportler mit einer Dopingampulle um den Hals aufgegriffen wird, dann ist das ein Versuch von Doping und somit strafbar. Der Sportler wird beim ersten Mal sofort für mindestens zwei Jahre gesperrt. ({2}) Er kann dann seinen Sport für zwei Jahre nicht ausüben. ({3}) An dieser Stelle muss man darauf hinweisen, was das schärfste Schwert ist. Das schärfste Schwert ist doch, wenn der Sportler seine geliebte Sportart nicht ausüben kann, von der er vielleicht auch finanziell abhängig ist. ({4}) Herr Hermann, Sie betreiben hier reinen Populismus und werfen Nebelkerzen. Das Gegenteil dessen, was Sie gesagt haben, ist der Fall. Das schärfste Schwert ist die Sportgerichtsbarkeit. Die Sportgerichtsbarkeit und die Sportverbände sind auch in der Verantwortung, und in dieser Verantwortung müssen wir sie in Zukunft in aller Deutlichkeit belassen. ({5}) Ich begrüße es sehr, dass es immer mehr Verbände gibt, zum Beispiel den Internationalen Radsportverband, die UCI, die ihren Spitzensportlern Selbstverpflichtungen auferlegen. Ich würde mich freuen, wenn auch andere Verbände - ich weiß, der Schwimmsportverband in Deutschland ist auf dem Weg dorthin; auch die Leichtathletik ist in diesem Bereich tätig - in Form von freiwilligen Selbstverpflichtungen ihren Sportlern klarmachten, dass sie bestimmte Regularien einhalten müssen. Auf der anderen Seite muss man auch klarmachen, für was der Staat zuständig ist, für was er in diesem Fall nur zuständig ist. Es ist in der deutschen Rechtsordnung nun einmal so, dass Selbstgefährdung und auch Selbstschädigung straflos sind. Dies gilt auch für Sportler. So schön es wäre, hier weitergehende Möglichkeiten im Strafrecht zu schaffen - einer der Sachverständigen hat von einem Anti-Dealing-Gesetz gesprochen -: Es ist nun einmal so, dass die Chancengleichheit und die Fairness im Sport nicht Schutzzweck im Sinne des Strafrechts Stephan Mayer ({6}) sind. Nur ein solcher Schutzzweck würde dazu anhalten, die Besitzstrafbarkeit bei Sportlern generell zu implementieren. Wir schaffen mit diesem neuen Gesetz die Besitzstrafbarkeit bei nicht geringen Mengen, weil dies ganz deutlich Handel indiziert. Bei internationalem illegalen Handel von Arzneimitteln, die zum Zwecke des Dopings verwendet werden, werden endlich auch Ermittlungsbefugnisse für das Bundeskriminalamt geschaffen. Gerade der Fall des Dopingarztes Fuentes hat in aller Deutlichkeit gezeigt: Doping ist mittlerweile kein nationales Phänomen, Doping ist ein internationales Phänomen. ({7}) Deswegen ist es auch sehr fraglich, ob man nur mit nationalen Regularien und nationalen Normen dem Doping wirklich langfristig und effizient zu Leibe rücken kann. Ich würde mich freuen, lieber Kollege Parr, wenn die FDP diesem sehr wegweisenden und zukunftsgerichteten Gesetzentwurf zustimmen könnte. Ich habe mir Ihren Entschließungsantrag angesehen und festgestellt: Von 14 Einzelpunkten, die Sie aufführen, werden 13 im Gesetzentwurf verwirklicht. Der einzige Punkt, der nicht verwirklicht ist, ist Ihr Ansinnen, dass auch auf der Packung eines Arzneimittels ein Piktogramm aufzudrucken ist, das ausweist, dass das Medikament für Doping verwendet werden kann. Vielleicht geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und stimmen dem Gesetzentwurf doch noch zu, nachdem 13 von 14 Punkten Ihres Entschließungsantrages erfüllt sind. ({8}) Wir schaffen erstmals die Besitzstrafbarkeit beim Sportler oder generell bei Personen, die nicht geringe Mengen von anabolen Steroiden, Hormonen, wozu auch Epo-Mittel gehören, bei sich führen, wobei ich der Ehrlichkeit halber klarmachen möchte: Das beste Dopingbekämpfungsgesetz ist wirkungslos, wenn es uns nicht gelingt, eine wirksame Prävention zu betreiben und entsprechend stringente Kontrollen durchzuführen. Deswegen ist es wichtig, dass die Dopinganalytik und die Dopingprävention verbessert werden. Ich begrüße in diesem Zusammenhang sehr, dass sich der Bundesinnenminister in den Haushaltsverhandlungen durchsetzen konnte. ({9}) Die Mittel, die insgesamt für den Sport zur Verfügung stehen, werden deutlich erhöht, nämlich um 20 Millionen Euro. Insbesondere die Mittel, die für die NADA zur Verfügung stehen, werden deutlich erhöht. ({10}) Eine Steigerung um 1 Million Euro ist hier angedacht. Das ist ein sehr erfreuliches und sehr mutiges Signal. Des Weiteren ist vorgesehen, 2 Millionen Euro zusätzlich für Analytik und für Prävention zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang muss man natürlich sehen: Wir haben hier Nachholbedarf. Die Mittel, die der NADA zur Verfügung stehen, belaufen sich derzeit auf 1,8 Millionen Euro im Jahr. Wenn man einen Blick ins Nachbarland Frankreich wirft, dann stellt man fest, dass die dortige Organisation 7 Millionen Euro hat. ({11}) Ich bin der Wirtschaft und insbesondere dem DOSB sehr dankbar, dass sie sich hier deutlich beteiligen, ({12}) und würde mir wünschen, dass die Erhöhung der Mittel, die der DOSB für dieses Jahr in Aussicht gestellt hat und tatsächlich gibt, für die nächsten Jahre sozusagen verstetigt wird, sodass weiterhin Mittel in dieser Höhe zur Verfügung stehen. ({13}) Die Kontrolle ist das Entscheidende. Derzeit werden 8 000 Kontrollen bei ungefähr 9 000 Spitzensportlern durchgeführt. Bisher waren es hauptsächlich Zufallskontrollen. Wir müssen in Zukunft verstärkt intelligente Kontrollen, wirklich zielgenaue Kontrollen durchführen, die sich daran orientieren: Wann wäre es aus Sicht des Sportlers sozusagen „am vernünftigsten“, zu dopen? Daran muss sich ermessen, wann die Dopingkontrollen durchgeführt werden. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Entscheidend ist natürlich auch die Prävention. Gerade in diesem Zusammenhang könnten sich die geständigen ehemaligen Telekom-Fahrer sehr verdient machen, indem sie in Schulklassen, Sportverbände und Vereine gehen, um dort entsprechend zu berichten. ({0}) Als letzten Punkt möchte ich noch Folgendes ansprechen: Die vorgesehene Evaluation des Gesetzes in fünf Jahren ist richtig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn sich aber wirklich herausstellen sollte, dass das Gesetz nicht greift oder nicht in der Form greift, wie wir es uns wünschen, muss die Evaluation auch früher möglich sein. Es ist eine wichtige Etappe, die wir mit diesem Gesetz zurücklegen. Ob es die Königsetappe ist - um im Jargon der Tour de France zu sprechen -, wird sich erst in der Stephan Mayer ({0}) Zukunft erweisen. Auf jeden Fall kann ich nur allen empfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Joachim Günther für die FDP-Fraktion.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in der heutigen Debatte über Doping Vorschläge unterbreiten will, ist man eventuell gut beraten, vorher Fernsehen zu schauen. Man weiß ja nie, wer gerade welches Geständnis abgelegt hat und wer wen belastet hat. ({0}) Dies sage ich auch vor dem Hintergrund dessen, was Herr Jaksche vorgetragen hat und dass in zwei Tagen die Tour de France beginnt. Hoffen wir, dass aus dieser Richtung nicht noch mehr auf uns zukommt. Gegenwärtig schlägt alles auf den Radsport ein. Es wäre aber blauäugig zu glauben, dass in allen anderen Sportarten, vor allem in Kraft- und Ausdauersportarten, alles völlig rein, völlig sauber und völlig clean zugeht. ({1}) Vielleicht haben wir uns zu lange vor der Realität geduckt, nach dem Motto, was nicht sein darf, das kann nicht sein. - Nicht selten gab es in der Vergangenheit Diskussionen - das wissen wir alle; diese haben wir ja auch im Sportausschuss geführt -, dass vor allem früher im Ostblock, in China und anderswo auf dieser Welt gedopt wurde. Richtig ist, dort wurde gedopt; da wird vielleicht auch noch gedopt. Aber ebenso wird in den hochentwickelten Ländern aufgrund des wissenschaftlichen Standards gedopt, und zwar nicht viel weniger als anderswo auf der Welt. Bei so manchem 100-MeterLäufern konnte man, wenn man ehrlich ist und sich die Bilder von Olympia noch einmal vor Augen führt, denken, sie kämen direkt aus einer Muskelfabrik. In der Realität hinken leider die Prüfmethoden meist hinter der Spitzentechnologie des Dopings hinterher. Dies wurde ja gerade im Radsport deutlich. Hier wurde ja Blutdoping zugegeben und dabei deutlich gemacht, dass es in den ersten Jahren nicht nachzuweisen war. Das darf in Zukunft nicht mehr passieren. Deswegen fordern wir als FDP zu Recht, mehr in die Antidopingforschung zu geben, um den Antidopingkampf auf Augenhöhe führen zu können. ({2}) Wir können und müssen einige Rahmenbedingungen aufstellen, die den normalen und fairen Sport wieder in die eigentliche Spur zurückbringen. Neben der Forschung müssen auch die Dopingkontrollen verbessert werden: weg vom Urintest, hin zum Bluttest. Das ist ja etwas, was 2008 bereits durchgeführt wird. All das bringt Kosten mit sich; hierfür muss die Finanzierungsbasis der NADA in den kommenden Jahren kontinuierlich ausgebaut werden. ({3}) Es wurde hier richtigerweise schon angemerkt, dass diese erhöht wurde. Ich bin aber der Überzeugung, dass wir alle uns auch dafür einsetzen sollten, dass ein bestimmter prozentualer Anteil von allen Sponsoringgeldern ebenfalls der NADA zur Verfügung gestellt wird. Damit hätten wir eine viel breitere Grundlage und könnten damit viel besser und auch im internationalen Vergleich hochwertiger agieren. ({4}) Es lohnt sich aber auch, über ein paar weitere Grundsätze nachzudenken und sie in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Zählt in der Wirklichkeit denn nur noch der Sieg? Sind wir, die Öffentlichkeit und die Presse nicht auch daran beteiligt, dass die Zweiten und Dritten eines Wettkampfes bereits als Verlierer dargestellt werden? Bei der Tour de France wird der Etappensieger geehrt. Das Ereignis liegt vor uns. Schauen Sie einmal genau hin: Da gibt es gar kein Podium mehr für den zweiten und dritten Platz. Gehen wir in Deutschland mit dem olympischen Gedanken richtig um? Auch diese Frage muss einmal gestellt werden. Wir selbst sagen doch: Nur wer eine reelle Medaillenchance hat, darf zur Olympiade fahren. ({5}) Eine offene Diskussion über die Qualifikationskriterien für Olympische Spiele muss meines Erachtens nach noch einmal stattfinden und möglich sein. ({6}) Wer von vornherein nur auf Siege setzt, wer alle anderen Leistungen ausblendet, der darf sich im Endeffekt über Doping nicht wundern. Auch der Sport muss hier manchmal wieder zur Normalität zurückkommen. ({7}) In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einen Blick in die Fernsehübertragungen zu werfen und über das Sponsoring generell zu sprechen. Fernsehübertragungen, die Wettkämpfe hochspielen, weil Weltrekorde vorher angekündigt werden oder hohe Geldbeträge für bestimmte Wettkämpfe eingesetzt werden, um Jahresweltbestleistungen zu erzielen, geben geradezu den Grund dazu, auf dieses Ereignis hinzudopen. Darüber sollte gesprochen werden. Sport muss wieder zur schönsten Nebensache der Welt werden. Ich weiß, das bekommen wir nicht so einfach hin. Aber es wäre schön, wenn wir in Zukunft wieder über wahre Sieger und nicht über den besten Arzt oder den besten Chemiker sprechen würden. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Fritz Rudolf Körper das Wort. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz vorweg: Doping im Sport ist Betrug ({0}) Betrug an den sportlichen Mitwettbewerbern, an den Zuschauern, an den Preisverleihern und an denen, die in gutem Glauben den Sport als Vorbild für Disziplin und Fairness genommen haben. Dopingmissbrauch ist nicht zu relativieren und nicht zu verharmlosen. ({1}) Doping ist auch nicht nur gesundheitsschädlich. Es kostet im Extrem das Leben und führt zum Tod. ({2}) Es ist viel über die Geschichte gesagt worden. 1886 ist erwähnt worden. Übrigens gab es im Jahre 1967 bei der Tour de France ein einschneidendes Erlebnis zum Thema Doping. Bei dieser Tour de France starb der englische Radsportler Tom Simpson an einer Mischung aus Amphetaminen und Alkohol. Dieses Ereignis hat in der Frage von Doping und Dopingbekämpfung natürlich einiges ausgelöst. Es kam zur Gründung der medizinischen Kommission des IOC, um die Dopingbekämpfung voranzutreiben, international zu vereinheitlichen und den Dopinggebrauch mit Sanktionen zu belegen. Das war allerdings nicht sehr erfolgreich. Dieses Beispiel zeigt aber, wie bestimmte Ereignisse Entscheidungen herbeiführen. Ich muss zugeben, dass wir hier in Deutschland im Vergleich zwischen Februar dieses Jahres und heute eine erheblich unterschiedliche Debattenlage haben. Diejenigen, die im Februar die Notwendigkeit eingefordert haben, in Sachen Dopingbekämpfung etwas zu machen, sind zum Teil milde belächelt worden. Die Ereignisse haben ihre eigene Sprache gesprochen. ({3}) Deswegen ist es richtig, dass wir ein Gesetzgebungsvorhaben auf den Weg gebracht haben, bei dem die Strafbarkeit des Besitzes nicht geringer Mengen bestimmter Dopingmittel im Vordergrund steht. Uns ist immer wieder das Argument entgegengebracht worden, es gehöre zur grundgesetzlich garantierten Freiheit, sich den eigenen Körper ruinieren zu dürfen, auch mit Todesfolge. Dieses Argument ist falsch, absurd und nicht akzeptabel. ({4}) Es geht nämlich vom einzelnen Individuum aus und verkennt den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem Doping angewendet wird. Die Besitzstrafbarkeit betrifft den Besitz zu Dopingzwecken im Sport. Ziel des Dopens ist die heimliche Verzerrung der Wettbewerbssituation. ({5}) Der Dopende sucht weder den Rausch noch die Selbstzerstörung. Er will zum Nachteil der Mitwettbewerber den Sieg in einem gesellschaftlich organisierten Wettbewerb. Damit übt er Druck auf sämtliche Mitbewerber aus. Zur Wahrung der Chancengleichheit müssen alle dopen, wenn sie nicht verlieren wollen. Doping ist von seiner Logik her deshalb kein Einzelphänomen. Doping führt wegen des auf alle Wettkämpfer ausgeübten Drucks zwangsläufig zu einem System des allgemeinen Dopens. Meine Damen und Herren, die Sturzflut der neuen Erkenntnisse, Enthüllungen und Geständnisse kann nur den überraschen, der in seiner Wahrnehmung Doping auf die Selbstschädigung des Einzelsportlers verkürzt hat. ({6}) Was folgt daraus? ({7}) Doping ist nicht nur Selbstschädigung, sondern ein systematischer Zwang zur Schädigung aller Beteiligten. Die Besitzstrafbarkeit dient daher dem Schutz der Gesundheit sämtlicher Sportler sowohl im Spitzen- als auch im Breitensport. ({8}) Diesen Zusammenhang herzustellen, ist mir sehr wichtig. Denn die Vorbildfunktion des Spitzensports führt bekanntlich auch im Breitensport zu einer Welle des Arzneimittelmissbrauchs. Schließlich dient die Vorschrift der Sicherheit des Arzneimittelverkehrs. Es ist auch ganz wichtig, festzuhalten, dass diese gefundene gesetzliche Regelung nicht im Widerspruch zu den sportgerichtlichen Sanktionen zu sehen ist. Man muss wissen, dass die sportgerichtlichen Sanktionen unter anderen Bedingungen ausgesprochen werden. Sie knüpfen an die positive Probe an. Sie folgen anderen Beweisregeln. Dem Sportler muss nicht ein schuldhafter Vorsatz nachgewiesen werden. Es gibt andere Strafen: Ausschluss und Sperren statt Geld- oder Freiheitsstrafen. Unterschiedliche Resultate der jeweiligen Verfahren sind möglich und nachvollziehbar. Sie schaden also nicht. Der Hinweis auf die angebliche Behinderung der sportgerichtlichen Verfahren war ein Hauptargument, das uns immer wieder entgegengeschleudert worden ist. Ich denke, dass das damit ausgeräumt ist. Die Sportgerichtsbarkeit ist alleine offensichtlich zur effektiven Bekämpfung des Dopings nicht in der Lage. ({9}) Nur die Staatsanwaltschaft kann mit den ihr vorbehaltenen Ermittlungsmaßnahmen die Hintermänner ausfindig machen. ({10}) Ich denke, das ist ganz wichtig. Die Besitzstrafbarkeit, Herr Kollege Parr, gibt den Staatsanwaltschaften einen ersten Anknüpfungspunkt für Ermittlungen. Der Anfangsverdacht kann sich nun auch allein auf den Besitz gründen. Die Beschränkung auf die nicht geringe Menge macht die Vorschrift nicht wirkungslos. Die Beschränkung auf die nicht geringe Menge betrifft zwingend nur Anklage und Verurteilung. Der Anfangsverdacht kann im Zusammenhang mit anderen Tatsachen auch auf den Besitz einer geringen Menge gestützt werden. ({11}) Das muss man hier noch einmal deutlich machen. Ich bin froh, dass wir diese Regelung gefunden haben. Die Systematik dieses Gesetzentwurfes, nämlich dass die Stoffe in der Anlage aufgeführt sind und dass es Veränderungen in der Aufzählung durch Rechtsverordnungen geben kann, gibt uns die Möglichkeit, flexibel zu handeln. Wir können relativ schnell reagieren. ({12}) Außerdem kann die nicht geringe Menge über eine Rechtsverordnung definiert werden. Das zeigt die Praktikabilität dieses Gesetzentwurfes. Ich hoffe, dass wir eine breite Mehrheit finden. Der Sport hätte es verdient. Er soll weiterhin Vorbildfunktion insbesondere für unsere Jugend haben. Herzlichen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Doping muss entschieden bekämpft werden. Darüber gibt es in diesem Haus überhaupt keinen Dissens. Aber dies muss natürlich mit rechtsstaatlichen Mitteln und mit Mitteln, die vor der Verfassung unseres Staates bestehen können, geschehen. Es ist daher wichtig, noch einmal auf die Besitzstrafbarkeit zu sprechen zu kommen. Ich habe eine völlig andere Überzeugung als Sie, Herr Kollege Körper. Selbstverständlich kann und muss die Sportgerichtsbarkeit jeden Konsum und jeden Besitz von Doping ahnden. Das sollte sie viel konsequenter als bisher tun. Dazu braucht sie aber Mittel und Möglichkeiten. Das Strafrecht kann und darf das nicht. ({0}) In der Anhörung gab es unterschiedliche Auffassungen; Kollege Danckert - er sitzt dort hinten - hat es angesprochen. Aber in einem Punkt, lieber Herr Kollege Danckert, waren sich die Sachverständigen in der Mehrheit schon einig. Ich will einen von ihnen zitieren - Professor Dr. Jahn, Richter am Oberlandesgericht -: Selbstgefährdende und selbstverletzende Verhaltensweisen einer frei verantwortlich handelnden Person, die die Tragweite ihrer Handlungen überblickt, dürfen als solche - ich betone: als solche nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Dies entspräche nicht dem Menschenbild des GG und wäre verfassungswidrig. Herr Kollege Körper, in Ihrem Beitrag sind Sie über Ihren Gesetzentwurf hinausgegangen. ({1}) Denn Sie sehen darin ja keine Besitzstrafbarkeit vor - für diese haben Sie sich hier sehr engagiert -, weil Sie erkannt haben, dass das nicht geht. Aber die gleichen verfassungsrechtlichen Probleme haben Sie natürlich beim Besitz nicht geringer Mengen von Dopingmitteln. Deswegen steht in Ihrem Gesetzentwurf, die Intention der Strafbarkeit sei nicht deswegen gegeben, weil sie auf den Konsum gerichtet ist, sondern deswegen, weil sie auf die Verbreitung gerichtet ist. ({2}) - Das ist richtig. - Aber damit ist Ihr Vorschlag nur ein Placebo; denn schon das Verbreiten, Verabreichen und Weitergeben von Dopingmitteln ist ja strafbar. ({3}) So wie im Drogenrecht der Drogenhändler, der mit 1 Kilogramm Drogen in der Tasche erwischt wird, nicht wegen des Besitzes, sondern wegen des Handeltreibens verurteilt wird, so kann auch heute schon derjenige Arzt, der einen Koffer voller Drogen in seinem Arztschrank hat, nicht wegen Besitzes, sondern wegen der Abgabe und des Inverkehrbringens verurteilt werden. ({4}) Ihr Angebot ist also ein reines Placebo. Sie handeln damit nach außen und glauben, Sie würden Aktivität entfalten, tun es aber in Wirklichkeit nicht. Im Gegensatz dazu ist unser Vorschlag, der Vorschlag des Sportbetrugs, die richtige Antwort auf Ihren ersten Satz, Herr Kollege Körper: Jawohl, Doping ist Betrug. Da, wo die Triebfeder für Doping Geld ist, wo es um wirtschaftliche Werte geht, ist die Möglichkeit gegeben, mit einer Strafvorschrift im Sinne des Sportbetrugs vorJerzy Montag zugehen. Das ist der Vorschlag der Grünen. Wir wären froh gewesen, Sie hätten diesen Vorschlag aufgenommen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte heute unterscheidet sich, wie ich finde, sehr positiv von manchen Beiträgen in der ersten Lesung. Dies zeigt, dass die zügige Beratung des Gesetzentwurfes, für die ich mich bedanke, offensichtlich bei allen in diesem Hause dazu geführt hat, dass wir die Tragweite und die Tiefe dieses Problems noch deutlicher spüren und dass wir, wenn wir ehrlich sind - gerade die letzten Beiträge, auch mit dem juristischen Argumenten, von Herrn Körper und Herrn Montag zeigen dies -, niemals eine hundertprozentige Lösung finden werden, übrigens auch nicht mit noch so vielen Forschungsmitteln, Herr Kollege Günther. Die Menschheitsgeschichte ist ein ewiger Wettlauf zwischen solchen, die Gesetze verletzen wollen und denjenigen, die versuchen, sie einzuhalten. Der freiheitliche Staat läuft hinterher und nicht voraus; das ist so gewollt. Deswegen ist es gut, dass wir uns darauf verständigt haben: Der Staat allein - die Staatsanwaltschaften, die Strafverfolgungsbehörden, der Gesetzgeber - kann und wird dieses Problem nicht lösen. Er braucht vielmehr die Unterstützung derjenigen, die im Sport Verantwortung tragen. Deswegen ist es richtig und gut, dass wir dies gemeinsam machen, deswegen ist diese Partnerschaft keine Kumpanei, sondern das richtige Verständnis einer freiheitlichen Lebens- und Gesellschaftsordnung. ({0}) Die einfachen Lösungen sind alle gefährlich. Frau Kollegin Kunert, Sie haben für die Linksfraktion gesagt, das Übermaß des Kommerzes verursache das. Es gab und gibt auf der Welt Sportsysteme, die gar nicht viel mit Kommerz zu tun haben, die staatlich gelenkt sind. Man kann aber nicht behaupten, dass in diesen Systemen nicht gedopt worden sei. ({1}) Ich sage das ganz zurückhaltend, weil die andere Seite manchmal genauso zu Überheblichkeiten neigt. Ursache ist nicht allein der Kommerz. Der ist zwar auch mit ursächlich, aber man kann beim besten Willen nicht sagen, dass in staatlich gelenkten Systemen, in denen es nicht um den Kommerz ging, nicht gedopt wurde. Das ist nämlich nicht wahr. Vielleicht ist die Neigung des Menschen nach Maßlosigkeit die Ursache. Das können wir nicht durch einen totalitären Staat, durch kein staatliches System lösen, sondern nur durch die Wahrnehmung von Freiheit, also Verantwortung. Der Staat muss den Rahmen setzen. Das tun wir in dem Maße, wie es möglich ist, aber genau in dem Zusammenwirken von Staat und Sport. Herr Kollege Körper, ich habe Ihnen ganz aufmerksam zugehört; Sie sprachen vom Druck. Sie haben gesagt, wenn einer dopt, müssen es die anderen auch. Wenn der Kollege Danckert in seiner anwaltlichen Tätigkeit als Verteidiger damit befasst wäre, könnte er Ihre Argumentation aufgreifen und sagen: Allenfalls der Erste, der jemals gedopt hat, kann strafrechtlich belangt werden; alle anderen haben gewissermaßen nur darauf reagiert. Sie haben fast ein strafrechtliches Entschuldigungsargument geliefert. Herr Kollege Montag, deswegen ist es wichtig, dass der Sport selber sanktioniert; Stichwort „strict liability“. Das funktioniert. Weil es kein harmloses Alltagsdelikt ist, sondern hochkriminell, brauchen wir ergänzend die Vernetzung. Deswegen brauchen wir die Ausdehnung des Strafrahmens, deswegen die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes und der Einsatz des ganzen Instrumentariums, auch um Kommunikationsstrukturen zu überwachen. Wir brauchen auch die Telekommunikationsüberwachung und die Möglichkeit, in Räume einzudringen. Wir müssen die Informationen auch entsprechend vernetzen. Ich sage das mit Blick auf andere Debatten, die wir im Bereich der Innenpolitik noch führen wollen. Wir müssen das ganze Instrumentarium einsetzen, um diese hochkriminellen Strukturen bekämpfen zu können. Die Sportler, die Teil dieses Systems sind, sind von diesem Strafrahmen erfasst, auch strafrechtlich. Der Sportler wird nicht privilegiert. Wenn er Teil des Systems ist, ist auch er Täter. Die Einbeziehung des Sportlers ist notwendig. Ich möchte eine weitere Bemerkung machen. Der Kollege Riegert hat am Anfang der Debatte eine sehr bedenkenswerte Frage aufgeworfen, die wir aber nicht beantworten können, sondern die der Sport selbst, auch auf internationaler Ebene, beantworten muss. Wenn man berücksichtigt, welch kleine Rolle Doping auf der Tagung des Internationalen Olympischen Komitees gespielt hat, weiß man, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben. Klaus Riegert hat gefragt: Gibt es Sportarten, in denen man ohne den missbräuchlichen Einsatz von leistungsfördernden Mitteln, also ohne Doping, gar nicht in der Weltspitze mithalten kann? Wenn es die gibt, müssen wir daraus Konsequenzen ziehen. Wir können das nicht definieren, nicht als Gesetzgeber und nicht als Politiker. Auch in diesem Zusammenhang brauchen wir die Zusammenarbeit mit denen, die im Sport Verantwortung tragen. Wahr ist: Wenn das Prinzip des Wettbewerbs im Sport, im Leistungssport diffamiert wird, weil das nur noch Schmu ist, weil es nur noch Missbrauch gibt und er nur noch gesundheitsschädlich ist, dann verliert der Sport das Großartige, was ihn ausmacht und was er bewahren muss. Die freiheitliche Organisationsform des Sportes kann das viel besser gewährleisten als jedes staatlich gelenkte System. ({2}) Ich bin mir mit den Verantwortlichen im deutschen Sport, auch im deutschen Radsport, auch mit dem Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer, völlig einig. In diesem Jahr findet die Straßenweltmeisterschaft in Stuttgart statt. Wir werden die Tour de France und alles, was damit zu tun hat, genau beobachten. Die Straßenweltmeisterschaft in Stuttgart bietet eine Möglichkeit für einen Neuanfang - das ist vielleicht die letzte Chance für den professionellen Radsport -, eine Möglichkeit, den Sport mit unserer Hilfe aus diesem Sumpf zu befreien. Die Politik kann das nicht alleine leisten. Bund, Land und die Stadt Stuttgart sind da in enger Abstimmung. Wir stimmen uns auch mit den Verantwortlichen des Radsportes ab. Ich werde am Montag mit den Präsidenten des deutschen und des internationalen Radsportes sprechen. Nein. Das ist die letzte Chance. Darüber muss man reden. Ich weiß noch gar nicht, ob wir das hinreichend sicherstellen können. Deswegen sage ich ganz klar: Wir werden sehr genau beobachten, was während der Tour de France passiert. Das ist das letzte große internationale Ereignis vor der Straßenweltmeisterschaft. Danach werden wir entscheiden. Das muss jeder wissen. Es wäre jammerschade. Ich sage Ihnen voraus: Die Debatte konzentriert sich im Augenblick zu sehr auf den Radsport. Das ist notwendig und richtig. Aber es sollte niemand glauben, dass sie sich auf den Radsport beschränkt. Deswegen machen wir die strengen Untersuchungen in allen Bereichen, denn Steuergelder können wir dafür nicht einsetzen. Da sind wir uns alle einig. Deswegen bedanke ich mich. Ich glaube, diese Debatte zeigt, dass wir mit dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, nicht alle Probleme lösen. Das kann der Gesetzgeber nie. Aber er kann einen wichtigen Beitrag leisten und klarmachen: Wir geben das Großartige im Sport nicht auf. Wir vertrauen darauf, dass freiheitliche Gesellschaften, die wissen, dass es hundertprozentige Lösungen nicht gibt, besser in der Lage sind, Missstände zu korrigieren, und dass der Prozess von try and error auch da funktioniert. Deswegen ermutigen wir den Sportler und nehmen ihm seine Verantwortung nicht weg, indem wir sagen, dass wir das jetzt allein machen. Denn das können wir nicht. Wir leisten vielmehr unseren Beitrag und fordern das andere ein. Wir werden mit diesem Problem noch weiter zu tun haben. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz aller Kritik aus den Reihen der Opposition: Wir leiten mit dem heutigen Gesetzentwurf durchaus einen Paradigmenwechsel ein. Heute ist es so - das sage ich insbesondere in Richtung der Fraktion der Grünen -, dass man den Dealer, das heißt den Besitzer von unerlaubten Substanzen, mehr oder weniger auf frischer Tat ertappen muss. Herr Kollege Montag, nur als Beispiel der Fall Springstein. Herr Springstein ist nicht verurteilt worden, weil man bei ihm zu Hause Dopingsubstanzen gefunden hat, und zwar in einer erheblichen Menge, er ist verurteilt worden aufgrund der nachgewiesenen Abgabe von Dopingsubstanzen an Minderjährige. Es ist nicht richtig, dass Sie sagen: Der Besitz allein ist heute schon strafbar. Nein, Sie müssen die Personen beim Handel, bei der Weitergabe, beim Inverkehrbringen, erwischen. Das ist der entscheidende Unterschied. Ich denke, Sie sollten sich einfach einmal das SpringsteinUrteil zu Gemüte führen. Dann sind wir an dieser Stelle einer Meinung. Dieser Gesetzentwurf ist ein Fortschritt. Es soll an dieser Stelle ruhig noch einmal erwähnt werden: Auch die Grünen - gemessen an der ungeheuren Zahl ihrer öffentlichen Erklärungen zu diesem Thema sind sie ja die vermeintlich größten und besten Dopingbekämpfer aller Zeiten - sehen in ihrem Antrag keine Form einer Besitzstrafbarkeit vor. Kollege Hermann musste einräumen, dass das in dieser Fraktion nicht mehrheitsfähig war. Daraus folgt: Diese Regelung, die - auch das soll einmal erwähnt werden - übrigens die Koalitionsfraktionen in den Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht haben, wäre mit Ihrer Fraktion, Herr Kollege Hermann, definitiv nicht machbar gewesen. Von daher täte ein wenig mehr Bescheidenheit bei der Bewertung unserer Maßnahmen gut. ({0}) Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die NADA werfen. Nennen wir sie ein Sorgenkind, das nach wie vor nicht aus dem Gröbsten heraus ist. ({1}) Aber ein Neuanfang ist in Sicht. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe - ich betone das an dieser Stelle ausdrücklich -, die Arbeit der NADA zu unterstützen. Der Bund wird in den kommenden Jahren wesentlich mehr Geld zur Finanzierung der NADA bereitstellen, obwohl - das ist an dieser Stelle nicht unwichtig - es eigentlich nicht die originäre Aufgabe des Bundes ist, hier eine Art institutionelle Förderung aufzubauen. Aber der unbestrittenen Notwendigkeit folgend stellen wir uns dieser Aufgabe in Zeiten, in denen andere weiterhin vornehme Zurückhaltung üben oder sich ihrer Einmalzahlungen rühmen. Schlussendlich muss die NADA die Aufgaben, die ihr übertragen sind, auch leisten können. Wir werden nach Kräften dazu beitragen, dass sie dies auch zukünftig kann. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenden wir uns einmal der medizinischen Abteilung des Sports zu. Was ist eigentlich die Aufgabe von Ärzten? Volkstümlich ausgedrückt besteht sie darin, Krankheiten zu heilen, aber auch darin, Krankheiten nach Möglichkeit zu verhindern. An dieser Stelle frage ich: Kann man als Arzt die aktive Teilnahme an der Verabreichung von Dopingsubstanzen, ohne den Eid des Hippokrates zu verletzen, guten Gewissens damit begründen, dass man diese Widerwärtigkeiten nur deshalb medizinisch begleitet, um beispielsweise Spätfolgen unkontrollierten Dopings zu verhindern, dass man also angeblich sogar etwas Gutes tut? Wir sagen dazu ganz eindeutig Nein. Jüngste Stellungnahmen von Medizinern und Dopern legen diese unerträgliche Lesart allerdings nahe. Doping und Beihilfe widersprechen zutiefst dem ärztlichen Berufsethos. Daher ist zu überlegen - das ist eine Anregung -, ob sich dies nicht auch in der Musterberufsordnung der Ärzte widerspiegeln sollte. Damit sich Hausund Fachärzte, die Athleten im Krankheitsfall bestimmte Arzneimittel verschreiben, nicht länger auf Unwissenheit berufen können, ist es auch richtig, dass Warnhinweise nicht nur in die Beipackzettel, sondern auch in die sogenannten Fachinformationen aufgenommen werden. ({3}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei. Gefragt ist ein grundlegender Mentalitätswechsel in Sport, Politik und Gesellschaft. Was ist Erfolg? Welcher Sportler, welche Sportlerin ist in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung erfolgreich? Saubere Sportler von heute sehen sich Fabelrekorden aus längst vergangenen testfreien Dopingzeiten ausgesetzt. Die Sportler wissen, dass sie diese Leistungen vermutlich nie erreichen, geschweige denn verbessern können. Ähnliches gilt für manche Qualifikationsnormen, die für die Teilnahme an Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen zu erreichen sind. Ist ein Sportler, der eine solche Qualifikationsnorm knapp verfehlt, ein Versager? Wir sagen: Nein. ({4}) Wer eine Qualifikation nur um wenige Zentimeter oder Bruchteile von Sekunden verpasst, gehört jedenfalls nach unserem Verständnis immer noch zur erweiterten Weltspitze. ({5}) - Ich freue mich über Ihren Beifall, Herr Kollege. - Solchen Leistungen gebührt Respekt und Anerkennung. Oder doch nicht? Sind solche Athleten bestenfalls reif für Dorfsportfeste? Wenn ich Aussagen aus den Reihen der FDP richtig interpretiere, muss ich feststellen, dass Sie eindeutig dieser Auffassung sind. ({6}) Herr Kollege Parr, das schlichte Infragestellen bestimmter Normen haben Sie mit folgendem Hinweis abgebügelt - ich zitiere -: Die Befürworter geringerer Normen sollten konsequenterweise ganz auf eine Entsendung von Athleten verzichten und sich auf Dorfsportfeste konzentrieren. ({7}) Lieber Herr Kollege, sauberen Athletinnen und Athleten, die hart für ihre Ziele - bei manchen.sind es sogar noch Träume - trainieren, müssen solche Bemerkungen wie blanker Hohn vorkommen. ({8}) Noch ein Wort zur Kollegin Kunert. Frau Kunert, nach wie vor steht die öffentliche Äußerung Ihres Fraktionsmitgliedes Nešković im Raum, dass Dopingmittel einfach freigegeben werden sollten. Solange Sie das nicht widerrufen und sich nicht öffentlich davon distanzieren, müssen Sie es uns nachsehen, dass wir Ihren Antrag als Lyrik bezeichnen. Wenn Ihnen diese Bezeichnung nicht passt, Frau Kollegin, kann ich ihn auch inhaltsleer nennen; vielleicht gefällt Ihnen dieser Ausdruck besser. ({9}) Die vorgelegten Regelungen sind besser und gehen weiter als all das, was bislang im Gesetz steht. Wir hoffen gemeinsam, dass alle an der Dopingbekämpfung beteiligten Institutionen und Personen den Ernst der Lage erkannt haben. ({10}) Sollten wir nämlich zu der Erkenntnis kommen - dazu brauchen wir vermutlich keine fünf Jahre -, dass die Staatsanwaltschaften ihre Ermittlungen weiterhin - lassen Sie es mich so sagen - mit großer Zurückhaltung betreiben, kommen sehr schnell neue Stichworte auf die Tagesordnung der politischen Diskussion. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bevor ich die Debatte schließe, gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Kunert für die Fraktion Die Linke.

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Freitag, ich habe hier für die Fraktion Die Linke zu unserem Entschließungsantrag gesprochen. Wenn Sie sich wegen Wortäußerungen oder Wortmeldungen oder wegen eines Interviews mit dem Kollegen Nešković auseinandersetzen wollen, können Sie das gerne tun. Aber ich bin nicht seine persönliche Spreche11090 rin. Wie gesagt: Dieser Antrag ist ein Mehrheitsbeschluss der Fraktion; insofern muss ich hier für niemanden sprechen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zur Antwort, Frau Freitag, bitte.

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Kollegin, es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass Sie diese öffentliche Äußerung, die Ende Mai in der „Welt“ nachzulesen war - ich glaube, es war der 27. Mai -, abtun, dass Sie tun, als ob es sie nie gegeben hätte. Was spricht dagegen, Frau Kollegin, dass sich die Fraktion Die Linke öffentlich von dieser unsäglichen, menschenverachtenden Äußerung des Linke-Abgeordneten Nešković distanziert? Auf diese Frage, Frau Kollegin Kunert, habe ich bis heute keine Antwort bekommen, auch von Ihnen nicht. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport. Der Sportausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5937, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5526 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnis- ses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/5938? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag bei Zustimmung von Bündnis 90/ Die Grünen und Gegenstimmen im übrigen Haus abge- lehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand- zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalition, Gegenstimmen durch Die Linke und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und FDP an- genommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz- entwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen- verhältnis wie zuvor angenommen. Wir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP auf Drucksache 16/5942? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung durch die FDP, Gegenstimmen der Koalition und Enthal- tung bei Der Linken und Bündnis 90/Die Grünen abge- lehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/5941? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist bei Zustimmung durch Die Linke, Gegenstimmen durch die Koalition und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grü- nen und FDP ebenfalls abgelehnt. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Sportausschusses auf Drucksache 16/5937 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4738 mit dem Titel „Bekämpfung des Dopings im Sport vorantreiben und Optimierungsmöglichkeiten ausschöpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zu- stimmung durch die Koalition, Gegenstimmen der FDP und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4166 mit dem Titel „Be- kämpfung des Dopings im Sport“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko- alition und der FDP und Gegenstimmen von Bündnis 90/ Die Grünen, bei Enthaltung der Fraktion Die Linke an- genommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 35 b bis 35 f sowie die Zusatzpunkte 7 a bis 7 c auf: 35 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({0}), Jan Mücke, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mehr Park- und Stellplätze für Lkw auf Bundesautobahnen - Drucksache 16/5278 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({2}), Jan Mücke, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neues Verkehrssicherheitskonzept für Bundesautobahn 12 zusammen mit dem Land Brandenburg umsetzen - Drucksache 16/5611 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt d) Beratung des Antrags des Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Toxische Rückstände in Transport-Containern - Herausforderung für Arbeits- und Verbrauchersicherheit - Drucksache 16/5612 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Rainder Steenblock, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizieren - Drucksache 16/5777 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Deutsche Kolumbien-Politik auf die Stärkung ziviler Friedensinitiativen und der sozialen, demokratischen und Menschenrechte ausrichten - Drucksache 16/5678 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({6}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 7a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer ({7}), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Martin Dörmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie sichern - Drucksache 16/5908 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer ({9}), Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Brunhilde Irber, Gert Weisskirchen ({11}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen - Drucksache 16/5907 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({12}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Humboldt-Forum statt Fassadenschloss Schlossplatz mit Zukunftsorientierung - Drucksache 16/5922 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13}) Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 r, die Zusatzpunkte 8 a bis 8 k sowie den Tagesordnungspunkt 17 b. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36 a: Beratung der Fünften Beschlussempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu 27 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen - Drucksache 16/5700 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Es ist verabredet, dass der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses das Wort zur Berichterstattung erhalten soll. Herr Kollege Strobl, Sie haben das Wort.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie entscheiden heute über die Fünfte Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses. Sie betrifft 27 von ursprünglich 195 gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl 2005 eingelegte Wahleinsprüche. Wenn Sie der Empfehlung des Ausschusses folgen und die Einsprüche zurückweisen, ist die Wahlprüfung für die Thomas Strobl ({0}) 16. Wahlperiode abgeschlossen, jedenfalls im Hinblick auf den Deutschen Bundestag. Denn in einigen Fällen, über die der Deutsche Bundestag bereits entschieden hat, haben die Einspruchsführer von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen. Gegenstand dieser Verfahren sind die Kandidatur von Mitgliedern der WASG auf den Landeslisten der Linkspartei, der Einsatz von elektronischen Wahlgeräten, die Nachwahl in Dresden im Oktober des Wahljahres und schließlich die im Zusammenhang mit Überhangmandaten auftretende Besonderheit des sogenannten negativen Stimmengewichts, das - vereinfacht gesagt - bedeutet, dass man der Partei seiner Wahl unter Umständen dadurch schaden kann, dass man ihr seine Zweitstimme gibt. Weitere bedeutende Themen der Wahlprüfung waren zum einen die Verwechslung der Stimmzettel bei der Versendung der Briefwahlunterlagen an die Wähler der beiden Dortmunder Wahlkreise, die zur Ungültigkeit der betroffenen Stimmen geführt hat. Zum anderen war die Kritik vieler Einspruchsführer, dass bei der vorgezogenen Neuwahl 2005 genauso viele Unterstützungsunterschriften für Wahlvorschläge beizubringen waren wie bei einer regulären Bundestagswahl, ein Thema. Diese Auflistung von Themen macht deutlich, was das Kennzeichen der Wahlprüfung der 16. Wahlperiode war: nicht so sehr eine große Zahl von Einsprüchen, dafür aber eine Vielzahl diffiziler Rechtsfragen mit weitreichenden Folgen. Wäre zum Beispiel in der Kandidatur von WASG-Mitgliedern auf den Listen der Linkspartei ein Wahlfehler gesehen worden, hätte dies unweigerlich die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag und Neuwahlen zur Folge gehabt. Vor diesem Hintergrund ist die sachliche Atmosphäre, die bei den Beratungen im Ausschuss herrschte, ebenso hervorzuheben wie die Tatsache, dass im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidungen durchweg Konsens bestand. Dissens gab es lediglich im Hinblick auf die verfahrensmäßige Behandlung einiger Einsprüche. Bei einigen großen Themen - wie der Nachwahl in Dresden und den Listen der Linkspartei - hielt es die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für unangemessen, die jeweiligen Einsprüche ohne öffentliche mündliche Verhandlung zurückzuweisen. Sie hätte der Bedeutung dieser Einsprüche gern durch eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beteiligung der Einspruchsführer Rechnung getragen. Für die Ausschussmehrheit indessen war ausschlaggebend, dass zwar schwierige Rechtsfragen zu entscheiden waren, in tatsächlicher Hinsicht jedoch kein weiterer Aufklärungsbedarf bestand. Ferner hätte eine mündliche Verhandlung zu einer Verzögerung der Entscheidung des Bundestags geführt, was letztlich nicht im Interesse der Einspruchsführer gelegen hätte. Aus diesen Gründen wurde auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Die Rechtsgrundlage hierfür bildet § 6 des Wahlprüfungsgesetzes, wonach von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, wenn der Einspruch offensichtlich unbegründet ist. Dabei konnte sich die Ausschussmehrheit, auf die seit der 8. Wahlperiode praktizierte und vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Auslegung des Wahlprüfungsgesetzes stützen. Gleichwohl bestand im Ausschuss Einigkeit darüber, dass es grundsätzlich unbefriedigend ist, auch rechtlich komplexe Fälle als offensichtlich unbegründet einzustufen. Nicht nur bei juristischen Laien - seien es Einspruchsführer oder Teile der interessierten Öffentlichkeit - können so Missverständnisse und Irritationen hervorgerufen werden. Deshalb hat der Wahlprüfungsausschuss eine fraktionsübergreifende Initiative zur Änderung der einschlägigen Bestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes angeregt und auch ausformuliert. Künftig soll in Anlehnung an die für das Bundesverfassungsgericht geltenden Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eine mündliche Verhandlung nur noch dann durchgeführt werden, wenn davon eine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist. Ich plädiere übrigens dafür, dass wir diesen gemeinsam gefundenen Text konsequent im Deutschen Bundestag einbringen und eine Änderung des Wahlprüfungsgesetzes in diesen Punkten rasch herbeiführen. Damit ist eine weitere wesentliche Funktion der Wahlprüfung angesprochen. Zum einen und zuvörderst geht es natürlich darum, die rechtmäßige Zusammensetzung des Parlaments zu prüfen. Zum anderen geht es aber auch darum, die bei dieser Prüfung gewonnenen Erfahrungen für eine Verbesserung des geltenden Rechts und seiner Anwendung nutzbar zu machen. Diesem Anliegen dienen die in der Beschlussempfehlung enthaltenen und an die Bundesregierung gerichteten Prüfbitten. Wie Sie sehen, werden dort die bedeutenden Themen der Wahlprüfung erneut aufgegriffen, diesmal jedoch mit Blickrichtung auf künftige Wahlen. De lege ferenda wollen wir so zu Verbesserungen unseres Wahlrechts und der Wahlrechtspraxis beitragen. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen im Wahlprüfungsausschuss für die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit herzlich bedanken. Ich bitte Sie, der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zuzustimmen. Besten Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Beifall macht deutlich, dass das gesamte Haus für die Arbeit des Ausschusses dankbar ist. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf Drucksache 16/5700. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5943. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Koalition und der FDP sowie bei Enthaltung durch Die Linke abgelehnt. Tagesordnungspunkt 36 b: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes - Drucksache 16/1991 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 16/5924 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Michael Hartmann ({1}) Hartfried Wolff ({2}) Silke Stokar von Neuforn Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5924, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/1991 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalition, die FDP und das Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen durch die Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 36 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen - Drucksache 16/5336 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3}) - Drucksache 16/5935 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({4}) Jörg van Essen Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5935, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5336 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 36 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des VN-Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen - Drucksache 16/5334 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5}) - Drucksache 16/5936 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({6}) Jörg van Essen Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5936, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5334 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung und einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 36 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 26. Mai 2000 über die internationale Beförderung von gefährlichen Gütern auf Binnenwasserstraßen ({7}) - Drucksache 16/5389 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8}) - Drucksache 16/5789 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Hettlich Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5789, dem Gesetzentwurf der Bundes11094 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt regierung auf Drucksache 16/5389 anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen bitte die Hand heben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 36 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. April 2005 zur Änderung des Übereinkommens vom 11. Oktober 1973 zur Errichtung des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage - Drucksache 16/5577 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9}) - Drucksache 16/5773 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Hettlich Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5773, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5577 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Es gibt keine Enthaltungen und keine Gegenstimmen. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 36 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10}) zu der Verordnung der Bundesregierung Neunundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 16/5328, 16/5487 Nr. 2.1, 16/5709 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/5709, die Aufhebung der Verordnung nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung des gesamten Hauses ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 36 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Landwirtschaftliche Krankenversicherung ab 2009 weiter an Bundesmitteln zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung beteiligen - Drucksachen 16/5427, 16/5892 Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Waltraud Wolff ({12}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5892, den Antrag auf Drucksache 16/5427 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition und ohne Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 36 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({13}) Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 16/5756 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 36 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 242 zu Petitionen - Drucksache 16/5741 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 243 zu Petitionen - Drucksache 16/5742 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch die Linke und Enthaltung durch Bündnis 90/Die Grünen und bei Zustimmung aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 36 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 244 zu Petitionen - Drucksache 16/5743 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 36 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 245 zu Petitionen - Drucksache 16/5744 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 36 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 246 zu Petitionen - Drucksache 16/5745 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch die FDP und Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 36 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 247 zu Petitionen - Drucksache 16/5746 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 36 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 248 zu Petitionen - Drucksache 16/5747 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zustimmung der übrigen Kolleginnen und Kollegen angenommen. Tagesordnungspunkt 36 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 249 zu Petitionen - Drucksache 16/5748 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch Koalition und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen durch die Linke und die FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 36 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 250 zu Petitionen - Drucksache 16/5749 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch die Koalition und Ablehnung durch die Opposition angenommen. Zusatzpunkt 8 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 251 zu Petitionen - Drucksache 16/5911 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 8 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 252 zu Petitionen - Drucksache 16/5912 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 253 zu Petitionen - Drucksache 16/5913 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und bei Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 8 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 254 zu Petitionen - Drucksache 16/5914 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 8 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 255 zu Petitionen - Drucksache 16/5915 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch die FDP und sonstiger Zustimmung angenommen. Zusatzpunkt 8 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 256 zu Petitionen - Drucksache 16/5916 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Sammelübersicht ist bei Enthaltung durch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen ange- nommen.1) Zusatzpunkt 8 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 257 zu Petitionen - Drucksache 16/5917 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der üb- rigen Fraktionen angenommen. 1) Siehe Anlage 2 Zusatzpunkt 8 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 258 zu Petitionen - Drucksache 16/5918 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen durch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 8 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 259 zu Petitionen - Drucksache 16/5919 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Zusatzpunkt 8 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 260 zu Petitionen - Drucksache 16/5920 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung der Koalition, bei Gegenstimmen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 8 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 261 zu Petitionen - Drucksache 16/5921 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung der Koalition und bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 17 b: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina Köhler ({9}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Maik Reichel, Klaus Uwe Benneter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes - Drucksache 16/5239 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10}) - Drucksache 16/5923

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnetete Kristina Köhler ({0}) Maik Reichel Gisela Piltz Jan Korte Silke Stokar von Neuforn Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5923, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5239 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung der Koalition und der FDP und bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher angenommen. Zusatzpunkt 9: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums gemäß § 39 a des StasiUnterlagen-Gesetzes - Drucksache 16/5883 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 16/5883? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Wahlvorschlag einstimmig angenommen. Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Ergebnisse des Dritten Energiegipfels der Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion das Wort. ({1})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Angesichts der großen Bedeutung der Energiepolitik für unseren Wirtschaftsstandort und für die Verbraucher im Land ist es, so glaube ich, notwendig, auf den Energiegipfel, der vor zwei Tagen stattgefunden hat, zurückzublicken und zu schauen, was er gebracht hat. Die hohen Ziele wie Klimaschutz, Energiesparen und Energieeffizienz mit all den Zahlen, die dort genannt und vereinbart wurden und die wir als FDP-Bundestagsfraktion vom Grundsatz her unterstützen, bleiben schlicht und ergreifend unerreichbar und unbezahlbar, wenn wichtige Instrumente für die Umsetzung dieser Ziele schlicht außer Acht gelassen werden. ({0}) Ich nenne als Beispiel den Energiemix und eine Zahl. Es ist vereinbart worden, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um bis zu 40 Prozent zu senken. Dies ist, um das ganz klar zu sagen, ohne den Einsatz der Kernenergie nicht erreichbar, utopisch. ({1}) Die Folgen dieses Ausstiegs aus der Kernenergie werden der vermehrte Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken, damit ein erhöhter CO2-Ausstoß, erhöhte Energiekosten für Verbraucher und Unternehmen und eine vermehrte Abhängigkeit von Importen sein. Diese negativen Folgen sind vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Kanzlerin sehr richtig an dem Dreierkanon festgehalten hat, der aus Klimaschutz, Bezahlbarkeit von Energie, also Wirtschaftlichkeit, und Versorgungssicherheit besteht. Sie hat interessanterweise drei Szenarien durchrechnen lassen und diese mit Zahlen belegt. Ich nenne nur zwei. Aus den Studien geht hervor, dass durch den Verzicht des Einsatzes der Kernenergie bis 2020 Mehrkosten von etwa 5 Milliarden Euro entstehen werden. Zweitens geht aus der Studie hervor, dass bei einem 50-prozentigen Anteil der Versteigerung von Emissionszertifikaten ab 2013 wohl nur noch Gaskraftwerke gebaut werden. Das ist das Gegenteil von Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, und es ist das Gegenteil einer Minderung der Importabhängigkeit des Standortes Deutschland. ({2}) Sie müssen die Frage beantworten, wie Sie diese Defizite beseitigen wollen. ({3}) In der Wirtschaftsdebatte heute Morgen spielte auch die Investitionstätigkeit in Deutschland eine Rolle. 1,3 Prozent des BIP werden in Deutschland investiert. Das ist die Hälfte des EU-Durchschnitts. Heute Morgen wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass der Standort Deutschland mehr Investitionen braucht. Ich wiederhole: Das ist richtig. Für mehr Investitionen brauchen wir, liebe Mitglieder der rot-schwarzen Koalition, Investitionssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen. Vergessen Sie nicht: In Kraftwerke kann man auch außerhalb des Standortes Deutschland investieren. Das heißt, wir geraten auch in Versorgungsdefizite, wenn wir nicht aufpassen und die drei Ziele, die ich eben genannt habe, tatsächlich zueinanderführen. Ich bemängele ganz ausdrücklich, dass die Kanzlerin den offenkundigen Konflikt zwischen den Ministern Gabriel und Glos einfach nur moderiert hat. Sie hat aufgegeben, sie hat resigniert, und sie hat nicht das umgesetzt, was eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre: darauf zu drängen, dass hier ein in sich konsistentes Energieprogramm tatsächlich aufgelegt wird. ({4}) Was die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke angeht, hätte ich mir mehr Engagement und Ideenreichtum gewünscht. Wir schlagen in einem Antrag, über den im weiteren Verlauf der Sitzung debattiert werden wird, in Bezug auf die Steuervorteile, die sich durch kürzere Abschreibungszeiten für Kernkraftwerksbetreiber ergeben haben, vor, dass die Kernkraftwerksbetreiber freiwillig vereinbaren, eine bestimmte Summe, nämlich ihren Steuervorteil, in eine Stiftung einzuzahlen, durch die Energieforschung befördert wird. Zudem sollte auf der anderen Seite ermöglicht werden, dass kostengünstig erzeugte Energie verkauft werden kann, sodass beispielsweise Stadtwerke besonders günstige Energie kaufen können. ({5}) All das wäre zugunsten der Verbraucher und auch der Unternehmen an unserem Standort. Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das ist absolut erforderlich. Summa summarum bleibt für mich festzustellen: Dies war ein Gipfel der Orientierungslosigkeit und der Unverbindlichkeit. In der Energiepolitik hat er uns nicht weitergebracht. Danke sehr. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kopp, ich muss Ihnen widersprechen, wenn Sie sagen, der Gipfel habe nichts gebracht oder er sei durch Orientierungslosigkeit geprägt gewesen. ({0}) Auf dem Gipfel sind in der Tat keine Beschlüsse gefasst worden. Das war aber auch nicht die Aufgabe eines solchen Energiegipfels. Das Parlament und die Bundesregierung sollten für sich in Anspruch nehmen, das Energieprogramm für Deutschland zu gestalten. Der Energiegipfel hat wichtige Hinweise gegeben, wie wir dieses Energieprogramm und die Energiezukunft Deutschlands und Europas gestalten können. Durch diesen Gipfel ist eine Basis geschaffen worden, auf der wir aufbauen können. Wir sollten in der Tat einmal bei den Fakten verweilen; manchmal hilft nämlich das Betrachten der Fakten beim Nachdenken über das Handeln. Diesbezüglich sollte insbesondere unser Koalitionspartner ein bisschen aufpassen. ({1}) Wir haben eindeutig drei Szenarien. Wir haben zum einen das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Szenario. Es bedeutet, dass wir alle Anstrengungen zur Stärkung der Energieeffizienz, also zum Einsparen von Energie, unternehmen. Darüber sind wir uns wahrscheinlich alle in diesem Hause einig. ({2}) Ob wir das ambitionierte Ziel, 3 Prozent des bisherigen Energieverbrauchs einzusparen, erreichen, wird sich zeigen. Aber die bisherigen 0,9 Prozent sind eindeutig zu wenig. Das Ziel muss es sein, die 3 Prozent zu erreichen, um bis 2020 zu einer Einsparung in einer Größenordnung von 15 bis 20 Prozent zu kommen. Des Weiteren sagt dieses Szenario: Wir wollen wie bisher die erneuerbaren Energien ausbauen. Das bedeutet sehr dynamische Wachstumsraten mit zunehmenden Lösungsbeiträgen sowohl für den Klimaschutz, für die Wirtschaftlichkeit als auch für die Versorgungssicherheit. Aber es sagt auch, dass wir, wie politisch beschlossen und gesetzlich verankert, bis 2020 aus der Kernenergie aussteigen. Das zweite Szenario ist, aus der Kernenergie auszusteigen, die Energieeffizienz genauso zu steigern und die erneuerbaren Energien massiv auszubauen, und zwar so massiv wie möglich. Das dritte Szenario ist: Wir bauen die erneuerbaren Energien massiv aus, wir verbessern die Energieeffizienz, und wir verlängern die Laufzeit der Kernkraftwerke. Das sind die drei Szenarien. Das sind die Fakten. Adam Riese lässt sich dort nicht betrügen. Was ist das Ergebnis? Wir können unsere Klimaschutzziele international und national erreichen. Unser nationaler Beitrag von 40 Prozent wird nicht nur erreicht, sondern sogar mit 45 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2020 übererfüllt. Dies erreichen wir aber nur mit dem Szenario drei, indem wir also die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern. ({3}) Das heißt, wir können das Klimaschutzziel nicht nur erfüllen, sondern sogar übererfüllen, und das sogar wirtschaftlich. Wir erreichen nämlich mit diesem Szenario geringere Kosten - Frau Kopp hat die Zahl genannt -, und zwar in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro pro Jahr. Jeder hier - auch der Bundesumweltminister appelliert, dass man für den Verbraucher und den Wettbewerb etwas tun möge. Hier können wir etwas für die Verbraucher und den Wettbewerb tun. Mit diesem Szenario entlasten wir nämlich die Energieverbraucher, also die Haushalte, die Menschen und die Wirtschaft, in einer Größenordnung von 6 Prozent. ({4}) während wir bei den anderen Szenarien von einem Anstieg um 5 Prozent ausgehen. Last, but not least leisten wir auch einen Beitrag zur Versorgungssicherheit, denn wenn wir die erneuerbaren Energien massiv ausbauen - Beispiel ist jetzt die Stromerzeugung -, dann können wir 30 bis 35 Prozent erreiDr. Joachim Pfeiffer chen, und wenn wir die Kernenergie weiterlaufen lassen, dann sind es auch 30 Prozent. So erreichen wir dann 70 Prozent CO2-freie Stromproduktion, und die Importabhängigkeit wird nicht erhöht - das geschieht bei allen anderen Szenarien -, sondern sie wird sogar noch reduziert. Lassen Sie uns die richtigen Schlüsse ziehen, und zwar nicht ideologisch, sondern klar sachorientiert! An erster Stelle steht die Energieeinsparung. Zweitens. Wir brauchen heute und in Zukunft einen Energiemix. Die Mischung macht’s nämlich. Drittens - darüber wurde bis jetzt zu wenig gesprochen; das ist auch ein eindeutiges Ergebnis des Gipfels - können wir eine Win-win-Situation bei der Erfüllung unserer Ziele beim Klimaschutz und im Wirtschaftsbereich nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze Welt schaffen, indem wir nämlich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands sowohl bei der Stromerzeugung - sei es bei den erneuerbaren Energien, wo wir sehr gut aufgestellt sind, sei es durch Clean-Coal-Technologie, die vielleicht ab 2020 auch wirtschaftlich zur Verfügung steht - als auch im Gebäudebereich mit Einsparungen, Wärmedämmung und anderen Dingen sowie im Transportbereich nutzen. Mit dieser Strategie können wir ohne Ideologie nicht nur in Deutschland Klimaschutz betreiben und einen weltweiten Beitrag leisten, sondern wir können auch noch etwas für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts tun sowie Arbeitsplätze und eine gute Zukunft für Deutschland schaffen. Packen wir es also an! ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der nächste Redner ist der Kollege Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Gipfeltreffen - und die Bundesregierung ist wieder da, wo sie 2005 schon einmal war. Das ist das Ergebnis des dritten Gipfels. Man ist keinen Deut weitergekommen. Was vor fast zwei Jahren im Koalitionsvertrag verabredet wurde, wollen Sie jetzt angehen. Wer das glaubt, wird selig. Die Bürgerinnen und Bürger müssen währenddessen für die Strom- und Gasrechnungen immer tiefer in die Tasche greifen. Und was macht die Bundesregierung? Sie lässt sich von den Bossen der Energiekonzerne an der Nase herumführen. Wir müssen miterleben, wie sich die Minister Glos und Gabriel fast wöchentlich in die Haare geraten, anstatt endlich Energiepolitik umzusetzen. ({0}) Ein genauer Blick in das Koalitionspapier zeigt, dass mit dieser Regierung kein Energiekonzept machbar ist. Ich zitiere aus Ihrem Koalitionsvertrag: Deutschland braucht ein energiepolitisches Gesamtkonzept, das eine Vorsorgestrategie im Hinblick auf weltweit knapper werdende fossile Ressourcen beinhaltet. Was bedeutet das? Durch zunehmende Ressourcenknappheit - neben rasant steigenden Energiepreisen vor allem internationale Konflikte und Kriege. In die wird Deutschland zunehmend hineingezogen, und das ist schlecht. Für Konfliktprävention sehe ich bei der Bundesregierung keine Priorität. Nach dem Verteidigungsweißbuch 2006 will die Bundesregierung auf nationaler Ebene Sicherheitsvorsorge durch präventives Handeln gewährleisten. Dabei sollen auch - hört, hört! - militärische Mittel bis hin zu bewaffneten Einsätzen einbezogen werden. Bei den G 8 und auf EU-Ebene zielt die Bundesregierung darauf ab, bestehende Märkte und die vorhandenen Energiestrukturen zu schützen. Dazu sollen vorrangig bilaterale Beziehungen zu Förder- und Durchleitungsländern verstärkt werden, um den Zugang zu fossilen Ressourcen zu sichern. Das alles ist das Gegenteil von Friedenspolitik. Das ist aggressiv und gefährlich. ({1}) Außerdem heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle am Atomkonsens nicht rütteln. Was erleben wir hier? Täglich das Gegenteil, so auch heute Morgen. ({2}) Die Energiestrategie soll nun auf Grundlage eines Gutachtens entstehen, das die Bundesregierung beim Kölner Energie-Institut in Auftrag gab. Allerdings basiert das Papier auf sehr einseitigen Annahmen. Die Klimaschutzziele und eine sichere Versorgung sind danach - welch eine Überraschung! - am besten mit der Atomenergie erreichbar. Dabei wurden die enormen Kosten und Gefahren der Atomenergienutzung aber komplett ausgeklammert. Einziger Rettungsanker für Minister Gabriel ist die Festlegung, die Energieeffizienz bis 2020 zu verdoppeln. Nur dann wird das erreicht, was die Regierung plant, nämlich ohne die Atomkraft auszukommen. Bei den erneuerbaren Energien lebt die Große Koalition völlig an der Realität vorbei. Dies erklärt auch, warum die Zukunftsenergien beim Gipfel am sogenannten Katzentisch abgefrühstückt wurden. Die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag für das Jahr 2010 sind bereits jetzt von der Branche übertroffen worden. Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher fordere ich Sie auf, endlich zu handeln und nicht den Stillstand zu regieren. ({3}) Für die Linke ist der Weg klar: Erstens. Wir wollen die Energiewende, sozial fair und ökologisch. ({4}) Zweitens. Deshalb setzen wir auf die clevere Nutzung von Strom, Wärme und Kraftstoffen sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien. Drittens. Das schafft Beschäftigung, Klimaschutz und bezahlbare Energie aus heimischer Produktion. Danke schön. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Hill, namentlich verkörpern Sie geradezu den Energiegipfel der Linken. Die fünf Minuten haben aber auch gereicht, um all das darzustellen, was Ihnen zu dem Thema einfällt. Selbst das, was Sie an Kritik geäußert haben, zum Beispiel in Richtung erneuerbarer Energien, ist so weit von den Realitäten entfernt, dass man sich von dieser Seite nicht ernsthaft damit befassen muss. Bei der FDP hat man den Eindruck, als sei sozusagen das Kernthema bzw. die Kernessenz dieses Gipfels, dass es unbedingt notwendig ist, die Laufzeit der Kernkraftwerke zu verlängern. Wer den Gipfel ein wenig verfolgt hat und die Verlautbarungen aus dem Gipfel heraus kennt, der wird sofort erkennen, dass die Reduzierung der Botschaft dieses Gipfels genau auf diesen Punkt fehlgeht. Ich denke, dass die Botschaft wesentlich komplexer ist. ({0}) Der Energiegipfel hat eines sehr deutlich gemacht: Es gibt eine große Einigkeit sowohl zwischen den beteiligten politischen Kräften als auch der betroffenen Wirtschaft und den Stakeholdern, dass wir eine Energiepolitik brauchen, die zugleich den Zielen Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit verpflichtet ist. Ich glaube, dass das Tagesgeschäft, das ja im Deutschen Bundestag weitergelaufen ist, beweist, dass unsere aktuelle Politik genau diesen Zielen untergeordnet ist. Ich erinnere an drei große Projekte, die wir vorangetrieben haben. Da ist zum einen der Emissionshandel. Im Zuteilungsgesetz ist, wie ich denke, sehr deutlich geworden, dass wir ambitionierte Klima- und Umweltpolitik betreiben, ({1}) dass wir aber gleichzeitig durch die Sicherung auch eines konventionellen Energiemixes dafür sorgen, dass auch die Versorgungssicherheit im Lande gewährleistet bleibt. Auch mit dem energetischen Gebäudesanierungsprogramm erreichen wir die umweltpolitischen Zielsetzungen. Gleichzeitig haben wir im Sinne von Wirtschaftlichkeit, Schaffung von Arbeitsplätzen und Kostensenkungen dafür gesorgt, dass für Arbeitnehmer und Verbraucher eine Menge herausspringt. Das ist, wie ich denke, ein integrierter Ansatz und entspricht auch genau dem Signal, das der Gipfel ausgesendet hat: Diese Art von Politik soll fortgesetzt werden. ({2}) Wir haben das auch im Zusammenhang mit einer Verordnung zur Anreizregulierung getan, die in diesem Fall vom Wirtschaftsministerium erarbeitet worden ist und die ebenfalls zwei Zielen dient: Zum einen sorgt sie dafür, dass die Kosten und damit auch die Preise in diesem Bereich sinken können, zum anderen stellt sie Versorgungssicherheit auf Basis einer hohen Qualität der Netze durch entsprechende Investitionen her. Ein weiteres Signal, das vom Gipfel ausgegangen ist, lautet allerdings auch: Die Hausaufgaben sind noch nicht gemacht. Wir sind erst dabei. ({3}) Wir müssen diesen Kurs fortsetzen. Deswegen ist auch die Verständigung auf die Ziele, die etwa im Bereich der erneuerbaren Energien oder der Energieeffizienz erreicht werden sollen, besonders hervorzuheben. ({4}) Es ging aber nicht nur um Ziele, sondern es wurde auch klar angekündigt, dass das Kabinett bereits im September, also im Frühherbst, konkrete Vorschläge vorlegen wird, die wir dann hier im Parlament zu beraten haben. Insbesondere wird es dabei um ein Paket gehen, in dessen Mittelpunkt die Energieeffizienz steht. Ich nenne hier die Stichworte KWK, Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen, Weiterentwicklung des Gebäudesanierungsprogramms, die Ökodesignrichtlinie und Mindeststandards für elektrische Geräte, Energieberatung und vieles andere mehr. Insbesondere wird es auch um die Umsetzung der europäischen Energiedienstleistungsrichtlinie gehen. Das wird ein großes Paket und stellt damit eine große Herausforderung dar. Aber wenn wir eine Effizienzsteigerung von 3 Prozent jährlich bis zum Jahr 2020 schaffen, dann haben wir, wie ich glaube, einerseits unsere Wirtschaft fit gemacht und andererseits ökologisch ehrgeizige Ziele erreicht. ({5}) Bei diesem Gipfel wurden manche Bedenken ausgeräumt. So hatten die energieintensiven Industrien Besorgnisse geäußert. Es ist aber deutlich geworden, dass sich die Effizienzstrategie nicht in erster Linie an die richtet, die schon Effizienzanstrengungen unternommen haben, sondern dass der Schwerpunkt genau in den Bereichen gesetzt wird, wo noch nicht so viel passiert ist und es deswegen hohe Potenziale gibt. Wir freuen uns auf dieses Effizienzprogramm. Das wird uns, wie ich denke, einen ganz wesentlichen Schritt voranbringen. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Energiegipfel hat in der Tat für Wirbel gesorgt. Dort wurde kräftig ausgeteilt. Da hat sich Rot mit Schwarz angelegt. Da hat Gabriel mit Glos gekämpft. Da waren die Energiekonzerne gegen die Politik. Der Umgangston hat uns einige neue Begriffe beschert. Die einen haben die anderen als Öko-Bolschewisten beschimpft; die anderen haben mit „Wirtschaftsstalinisten“ zurückgekeilt. Das war in der Tat eine „Bereicherung“ der politischen Kultur in diesem Land. Es wurde geholzt. Es war lautstark. Nur eines war es nicht: Es war kein Beitrag zu einer zukunftsfähigen Klima- und Energiepolitik in diesem Land. Das war es nicht, meine Damen und Herren. ({0}) Warum? Ziele sind gut. Aber wenn die entsprechenden Maßnahmen nicht kommen, dann sind Ziele nichts wert. ({1}) Deshalb müssen wir Maßnahmen vorlegen. In diesem Sinne hat der Energiegipfel nichts gebracht - kein Beschluss, keine Maßnahmen, keine neuen Initiativen. ({2}) Für die drängenden Fragen des Klimaschutzes hat dieser Gipfel null und nichts gebracht. Das müssen wir feststellen. ({3}) Lassen Sie mich einmal die einzelnen Punkte durchgehen. Sie haben recht, Herr Pfeiffer; wir müssen die Einzelpunkte in der Tat durchgehen. Der Schwerpunkt dieses Gipfels war Energieeffizienz. Die Bundesregierung spricht von 3 Prozent mehr Energieeffizienz pro Jahr. Auch wir als Grüne halten das für machbar; 3 Prozent sind ehrgeizig, aber durchaus erreichbar. Liebe Damen und Herren von der Großen Koalition, von nichts kommt aber nichts. Herr Hempelmann hat hier so schön erklärt, das große Maßnahmenpaket zur Energieeffizienz komme im Herbst. Herr Hempelmann, da sind Sie schon zu spät; denn tatsächlich hätten Sie genau dieses Maßnahmenkonzept, diesen Aktionsplan, am 30. Juni der EU melden müssen. Und der 30. Juni ist vorbei. ({4}) Sie kommen mit Ihren Hausarbeiten nicht nach. ({5}) Gestern habe ich den Staatssekretär gefragt, warum er diesen Maßnahmenkatalog eigentlich nicht zum 30. Juni an die EU weitergeleitet habe. Darauf hat er gesagt, die meisten anderen Staaten hätten das auch noch nicht gemacht. Das finde ich eine tolle Erklärung. Offensichtlich reicht es der Bundesregierung schon, dass sie nicht Schlusslicht in der EU ist. Ich dachte, Sie wollten beim Klimaschutz immer vorneweg sein. ({6}) Das kriegen Sie aber offensichtlich nicht hin, meine Damen und Herren. ({7}) Die zweite Frage ist der Atomausstieg. Dieser Punkt ist hier ja stark diskutiert worden: Atomausstieg, ja oder nein? Das ist ein Dauerstreit in dieser Koalition. Da muss ich sagen: Solange sich die Bundesregierung nicht eindeutig und klar zum Atomausstieg bekennt, so lange werden Investitionen in erneuerbare Energien und in dezentrale Strukturen verhindert. ({8}) Das ist das Problem. Deshalb sage ich Ihnen: Wir brauchen Planungssicherheit. Planungssicherheit besteht darin, dass das einmal Beschlossene und Zugesagte auch eingehalten werden muss. Das muss die Bundesregierung auch mit vollem Herzen unterstützen. Deshalb: Ja zum Atomausstieg. ({9}) Dann schauen wir uns einmal die Alternative an. Was ist denn mit den alten AKWs? Pünktlich zu jedem Energiegipfel haben wir einen neuen Störfall. In diesem Fall war es Krümmel. Gestern haben wir erfahren, dass es eben nicht, wie Vattenfall gesagt hatte, ein kleiner Störfall war, sondern dass der Reaktor davon betroffen war. Letztes Jahr war es ein Beinahe-GAU im schwedischen Forsmark, 20 Minuten an einem GAU vorbei. Der Chef von Vattenfall hat damals gesagt: Wir müssen uns entschuldigen, weil wir die Sicherheitskultur vernachlässigt haben, weil wir alkoholisierte Mitarbeiter hatten, weil wir falsch verlegte Kabel hatten und weil wir falsch eingestellte Ventile hatten. Meine Damen und Herren, so sieht es mit den alten AKWs aus. So sicher sind die AKWs von Schweden und von Deutschland! Wir wollen aus diesen alten AKWs aussteigen, ({10}) weil wir dieses Sicherheitsrisiko nicht mitmachen können. ({11}) Deshalb sage ich Ihnen, Frau Kopp, und auch den anderen: Wenn Sie behaupten, Laufzeitverlängerungen brächten Preisminderungen für die Verbraucher, dann haben Sie die Wirtschaftspolitik eindeutig nicht verstanden. ({12}) ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich konnte die Durchsage von hier oben aus nicht verhindern. Ich bitte um Verständnis. Frau Kollegin, ich habe Ihre Redezeit angehalten. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass Sie langsam zum Schluss kommen müssen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gestern Brand in Krümmel und in Brunsbüttel und heute im Rechenzentrum des Bundestages. Vielleicht ist es besser, auf dezentrale Systeme umzusteigen. ({0}) Jetzt noch einmal zurück zum Wettbewerb. Die versprochenen Preissenkungen wird es natürlich nicht geben, weil es keinen Wettbewerb gibt. Frau Kopp, auch Sie wissen das. Frau Merkel hat auf dem Energiegipfel einen schweren Fehler gemacht. Sie hat nämlich gesagt: Die eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Energieproduktion - das fordern wir -, wird von der Bundesregierung nicht mehr unterstützt. Sie hat damit den Atomkonzernen auf dem Silbertablett etwas präsentiert, was nicht in Ordnung ist. Damit halten wir an überholten Strukturen fest, wozu die vier großen Energiekonzerne gehören. Das Oligopol bleibt bestehen, was zu unfairen und zu hohen Preisen beiträgt. Wir haben keinen Wettbewerb auf den Energiemärkten. Das ist das Problem für die Verbraucherinnen und Verbraucher. ({1}) Letzte Bemerkung. Wir als Grüne haben anders als die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Darüber werden wir morgen beraten. Ich appelliere an alle Kollegen, dass wir in diesem Sinne gemeinsam nach vorne gehen. Wir müssen den Stillstand überwinden. Wer die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren will, der muss hier und heute Maßnahmen auf den Weg bringen und darf dies nicht auf später verschieben. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Höhn, ich erinnere mich an unsere gemeinsame Düsseldorfer Zeit. Da Sie als Erstes bei diesem Thema beklagen, dass eine lautstarke Auseinandersetzung in der Großen Koalition stattgefunden hat, muss ich Ihnen bei allem Respekt entgegnen, dass Sie noch nie eine Meisterin des leisen Wortes waren. Ihre Bemerkung ist also vor diesem Hintergrund nicht verständlich. Wir haben rechtzeitig gehandelt und den Energiegipfel richtig terminiert; denn er fand nach dem EU- und nach dem G-8-Gipfel statt, die sich zum großen Teil mit den Themen Energie und Klima beschäftigten. Es war einfach klug, diesen Gipfel abzuwarten und den Energiegipfel auf den dort gewonnenen Erkenntnissen aufzubauen. Es war auch klug, auf den Energiegipfel nicht mit fertigen Ergebnissen zu gehen; denn es musste erst einmal eine Basis hergestellt werden, auf der man nun konkret entscheiden kann. Genau das ist der Weg. Dass die Opposition meint, sie könne schneller handeln, ist in Ordnung. Wenn Sie an der Regierung wären, wären Sie möglicherweise noch langsamer. Im Übrigen, Frau Höhn, haben wir vor der Großen Koalition im BMU von Ihren Effizienzstrategien nichts vorgefunden. ({0}) Aus Ihrer Regierungszeit ist dazu nichts vorhanden gewesen. Deswegen sollten Sie sich ein wenig zurückhalten. ({1}) Wir wollen konkrete Maßnahmen ergreifen, die unabhängig davon, ob es eine Zukunft mit oder ohne Kernenergie geben wird, richtig und notwendig sind. Ich bitte, Folgendes zu bedenken: Es gibt unterschiedliche Bewertungen zwischen CDU/CSU und SPD in dieser Frage. Obwohl wir in diesem Punkt unterschiedlicher Meinung sind, sind wir aber nicht so töricht, das, was jetzt getan werden muss, nicht mit aller Kraft in Angriff zu nehmen. Handeln ist das Gebot der Stunde. ({2}) Wer immer sich in dieser Frage bei den Wählern durchsetzt, wird sich erst später entscheiden. Bei einer Verlängerung der Erzeugung von Kernenergie fallen die Anstrengungen, die unternommen werden müssen, vielleicht nicht so schwer wie im Falle ohne Kernenergie. Darum dreht sich die streitige Diskussion, die wir miteinander führen. Die Frage ist nun, wie wir diesen Prozess effizient steuern können. Wir haben uns ein unglaublich ehrgeiziges Ziel gesetzt; da kann einem fast schon schwindelig werden. Wir haben uns eine Effizienzsteigerung um 3 Prozent pro Jahr vorgenommen. Das muss man doch realisieren. Ich behaupte, dies ist das ehrgeizigste Klimaziel eines großen Industriestaates in der Welt. ({3}) Das kann man nur verantworten, wenn an allen Ecken und Enden sorgfältig geschaut wird, wie wir diesen Prozess akkordieren, wie wir ihn unter mehrfachen Effizienzgesichtspunkten steuern. Das ist ein riskantes Unternehmen. Wir können dabei Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland gefährden. ({4}) Deswegen sollten wir mit aller Aufmerksamkeit und hoffentlich möglichst wenig Streit vorgehen. Die Industrie in Deutschland muss weiterhin wettbewerbsfähig produzieren können. Die Verbraucher klagen über steigende Strom- und Energiekosten. Das sind doch Klagen, die wir ernst nehmen. Wie gehen wir damit um? Die eine Antwort lautet: mehr Effizienz beim Stromund Energieeinsatz. Je mehr es uns gelingt - um es einmal einfach zu sagen -, den Strom- und Energieverbrauch zu reduzieren, desto günstiger wird die Rechnung für die Verbraucher. ({5}) - Vorsicht, ich bin noch nicht fertig. Ich denke in Schritten; Sie denken ja immer nur im Ganzen. Das ist der Unterschied. ({6}) Da aber die Preisgestaltung im Rahmen der Energieerzeugung, zum Beispiel bei den regenerativen Energien, teurer wird, wird die Energierechnung für den Verbraucher möglicherweise nicht niedriger ausfallen. Vielmehr wird er durch einen geringeren Verbrauch einen höheren Preis ertragen können, ohne deswegen wirtschaftliche Abläufe zu gefährden. Das ist doch die eigentliche Kernaufgabe, die wir zu lösen haben. Es wird nicht wirklich billiger werden. Wer dies den Menschen sagt, sagt etwas Falsches. Aber Energie wird unendlich viel teurer, wenn wir nicht in gleicher Geschwindigkeit die Energieeffizienz, die Energieproduktivität erhöhen. Das sind die Schlüsselbegriffe, die wir miteinander in Verbindung bringen müssen. Da ist das Wirtschaftsministerium mindestens so gefragt wie das Umweltministerium. Es gibt Anreizsysteme, Verordnungen und Vorschriften. Das ist die eine Gestaltungsmöglichkeit, über die die Politik verfügt. Die andere Gestaltungsmöglichkeit ist jene über die Förderung von Erfindungen, über die technologische Erneuerung unserer Produktionsweisen und Prozessketten, all dessen, was Teil des volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Prozesses ist. Um einmal einen kleinen Unterschied deutlich zu machen, der zwischen den Ansätzen des Umweltministeriums und denen des Wirtschaftsministeriums besteht - vielleicht sehe ich zu große Unterschiede; ich würde mich freuen, wenn es nicht so wäre -: Im Zweifel setzt der Wirtschaftsminister auf die Kunst der Ingenieure. Ich glaube, dass wir die Klimafragen ganz überwiegend mit Ingenieurleistung beherrschen werden können und beherrschen werden müssen. Dies ist die Stunde der Ingenieure. Da muss entwickelt werden, da müssen Innovationen gefunden werden. Da müssen wir die Bildung, die Erziehung und die Forschung an den Universitäten optimieren. Hierzu haben wir eine Serie von Programmpunkten gestartet, die man in einer Redezeit von neun Minuten gar nicht alle vorstellen kann. Das ist der eine wichtige Weg. Dann brauchen wir Steuerungselemente. Darauf kann man nicht ganz verzichten. Hier gibt es keinen ideologischen Streit; das ist eine Frage des Mischungsverhältnisses zwischen den beiden Gestaltungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang ist besonders wichtig: Diese beiden Methoden des Vorgehens müssen miteinander koordiniert werden. Sie müssen widerspruchsfrei zueinander bestehen. Sie müssen wirkungsmächtig sein. Sie müssen auch immer wieder auf Effizienz untersucht werden: Ist die gesetzliche Regelungsmechanik wirklich effizient und zielführend? Ist die ingenieurmäßige Entwicklung effizient und zielführend? Deswegen bleibt in dieser ganzen Debatte die Effizienz der Schlüsselbegriff in jeder Himmelsrichtung. Daran arbeiten wir. Ich denke, das bekommen wir miteinander hin. Wir planen ein wirtschaftlich tragfähiges Energieeffizienzgesetz, eine Rechtsetzung, in der wir Energieeffizienzfragen bündeln wollen. Dazu gehören die Regelungen, die im Rahmen der Umsetzung der EUEnergiedienstleistungsrichtlinie notwendig sind. Wir werden einen Energieeffizienzfonds einrichten, mit dem Energieeffizienzpotenziale bei kleinen und mittleren Unternehmen schneller erschlossen werden sollen. Wir werden die bereits gestartete Exportinitiative im Hinblick auf Energieeffizienz beschleunigen. Damit wollen wir Marktchancen und Absatzmöglichkeiten für deutsche Produkte entwickeln. Das alles gehört dazu. Es ist ein unglaublich komplexer Bereich, in dem wir hier arbeiten. Mit einzelnen und schnellen Schlüssen kommen wir nicht weiter. Ich glaube, eine sorgfältige Abstimmung der Instrumente - einige habe ich genannt - ist jetzt geboten und vernünftig. Dann haben wir Chancen; denn wir starten - das erkennen wir, wenn wir uns in der Welt umsehen - von einem technologisch und regulativ intelligenten Niveau. Auf diesem Niveau können wir im Wettbewerb standhalten. ({7}) - Der eine oder andere schon, Herr Hempelmann. Wir erfinden das Rad ja nicht jeden Tag neu. Auch wir haben hinzugelernt; das ist völlig unstreitig und auch in Ordnung. Es gibt ja keinen Bruch, sondern wir entwickeln uns evolutionär nach vorne. Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wie können wir unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes den Energieverbrauch in Grenzen halten? Wir haben einen konkreten Vorschlag zur Novellierung des Kraft11104 Wärme-Kopplungsgesetzes auf den Tisch gelegt, der sich genau mit diesem Thema beschäftigt und eine Lösung anbietet. Wir sollten die Belastungen, die aus dem EEG und dem KWK-Gesetz resultieren, zusammen betrachten, weil der Verbraucher von beidem betroffen ist. Wir brauchen eine wirtschaftlich sinnvolle und effiziente Ausgestaltung dieser Maßnahmen. Nur so können wir den wirklich anspruchsvollen Klimaschutzzielen gerecht werden und die Belange der Wirtschaft und der Verbraucher beachten. Das ist eine große Aufgabe. Lasst sie uns möglichst gemeinsam anpacken! Herzlichen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich es sehr bemerkenswert finde, dass der für die Energiepolitik zuständige Minister es nicht für nötig hält, hier selbst über den Energiegipfel zu berichten. Herr Schauerte, das geht nicht gegen Sie persönlich, aber das Ministerium fährt hier die B-Besetzung auf, und das ist eine Missachtung des Parlaments. ({0}) Aufgrund der öffentlichen Debatte könnte man vermuten, Herr Gabriel sei zuständig. Mit großem Tamtam haben sich die Minister Gabriel und Glos in den vergangenen Tagen öffentlich untereinander und mit der Wirtschaft gestritten, und zwar in einer Form, die - da muss ich der Kollegin Höhn widersprechen - nicht erfreulich, sondern der Sache abträglich war. Ich finde, dass die beiden Minister PR-Arbeit in eigener Sache betrieben haben, dabei aber in keiner Weise an die Zukunft unseres Landes gedacht haben. ({1}) Bei diesem Gipfel ist rein gar nichts herausgekommen. Das gilt für die Themen Klimaschutz, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Zum wiederholten Male werden uns von der Bundesregierung Überschriften bzw. Ziele präsentiert, aber keine einzige abgestimmte Maßnahme. Auf dem Energiegipfel ist von dieser Koalition kein Problem gelöst worden. Sie sagen, Sie wollen erneuerbare Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung fördern. Rund um den Energiegipfel und auf dem Energiegipfel haben Sie aber nicht gesagt, wie Sie das tun wollen. Sie haben kein Konzept zur Förderung erneuerbarer Wärme auf dem Markt. Sie haben kein Konzept zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Es fehlen auch konkrete Ansätze, beispielsweise wie man unsere solaren Spitzentechnologien in die Entwicklungsländer bringen könnte. Zu all dem hat dieser Energiegipfel nichts als Sprechblasen produziert. ({2}) Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass die beiden Minister, die sich aufführen, als wären sie in einer Soapopera, von der Kanzlerin den Auftrag bekommen haben, sich zusammenzusetzen und gemeinsam ein Konzept auszuarbeiten. Ich frage mich, was Sie in den letzten Monaten getan haben. Spätestens seit dem EU-Gipfel im März - nicht erst seit dem G-8-Gipfel - sind die Hausaufgaben dieser Bundesregierung klar; seitdem ist klar, welche Ziele umgesetzt werden müssen. Sie haben schlichtweg gepennt und sich nur öffentlich auseinandergesetzt. ({3}) Ich möchte auf eine Sache eingehen, die von der Kollegin Höhn angesprochen worden ist, nämlich auf die Sicherheit der Atomkraftwerke. Sie haben gesagt: Pünktlich zu jedem Energiegipfel haben wir einen Störfall. Sie haben dargestellt, dass möglicherweise mehr passiert ist, als zunächst gesagt wurde; das werden die weiteren Untersuchungen zeigen müssen. Sie haben dann - über Schweden zu Deutschland - die Schlussfolgerung gezogen, dass alle Kernkraftwerke in Deutschland nicht sicher betrieben werden können. Frau Höhn, wer war denn der Minister, der in den letzten Jahren die Atomaufsicht hatte? Das war Ihr Kollege Trittin. Wenn es bei diesen Kraftwerken solche Sicherheitsprobleme gibt, wie Sie uns gerade erzählt haben, dann hat er seine Amtspflichten verletzt, weil er sie nicht stillgelegt hat. Wäre es tatsächlich so, hätte er sie stilllegen müssen. ({4}) An die Adresse unseres amtierenden Umweltministers, der auch für die Atomaufsicht zuständig ist, möchte ich sagen: Man kann das nicht so locker handhaben, wie Sie es letzte Woche gemacht haben, und sich als zuständiger Minister in eine Pressekonferenz setzen und sagen: Unsere Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt, aber manchmal knallt und brennt es eben. - An dieser Stelle sage ich: Wenn die Störfälle so ernst sind, dass sie die Sicherheit der Menschen systematisch gefährden, dann müssen Sie diese Kraftwerke stilllegen. Ansonsten dürfen Sie nicht solche Bemerkungen machen, ohne die Fälle vorher untersucht zu haben. ({5}) Auf diesem Energiegipfel gab es eine positive Aussage, nämlich dass die Kanzlerin sich klar dazu bekannt hat, dass wir die CO2-Abscheidetechnologie in Deutschland voranbringen müssen. Das ist wichtig; denn daran hängt die Frage, ob wir die Kohle in Deutschland in Zukunft noch verantwortlich nutzen können. Letztendlich wird dies nur mit der CO2-Abscheidetechnologie gelingen, also dadurch, dass wir Kohlekraftwerke bekommen, die kaum noch CO2 emittieren. Ich finde, das ist ein positiver Fortschritt in dieser Debatte. Aber was hat gestern der Umweltstaatssekretär Müller im Umweltausschuss gemacht? Er hat mit seiner Aussage wieder alles relativiert, indem er darauf hinwies, es müsse geforscht, geprüft und über die Vor- und Nachteile nachgedacht werden. Nein, wir müssen jetzt gemeinsam die Anstrengung unternehmen, dafür zu sorgen, dass wir die Kohle auch in den nächsten Jahrzehnten noch verantwortlich nutzen können. ({6}) Herr Gabriel hat völlig recht: Es ist illusorisch, zu glauben, aus der Kohle und der Kernkraft gleichzeitig aussteigen zu können, wie die Grünen immer wieder behaupten. Vielen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dirk Becker das Wort. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich mich bei der FDP sehr herzlich dafür bedanken, dass Sie die Aktuelle Stunde heute beantragt haben; ({0}) denn Sie geben der Regierungskoalition damit die Gelegenheit, die wirklich erfolgreiche Arbeit, die beim Energiegipfel geleistet wurde, noch einmal zu würdigen. ({1}) Ich will eines sehr deutlich sagen, Frau Kopp und Herr Kauch: Ich finde es abenteuerlich, dass nach dem Energiegipfel Ihr Vertreter der Güteklasse A - er ist heute bei der FDP ebenso wenig anwesend ({2}) vor die Presse getreten ist und verkündet hat, ({3}) dass die FDP enttäuscht sei. Für den Klimaschutz sei nichts erreicht worden, die FDP sei doch die Klimaschutzpartei. Ausgerechnet diese Fraktion ist die einzige, die bei der Selbstverpflichtung der Mitglieder des Deutschen Bundestages, etwas für den Klimaschutz zu tun, nicht mitmacht. Überdenken Sie doch bitte schön einmal Ihr eigenes Handeln! ({4}) Ich möchte zum Urteil der Grünen etwas sagen, Frau Kollegin Höhn. Ich will jetzt niemanden aus dieser Regierung bemühen, ein Urteil über den Energiegipfel abzugeben. Man muss sich aber nur einmal ansehen, was die Umweltverbände nach dem Energiegipfel gesagt haben. Es gab zum Beispiel Interviews mit Vertretern von WWF und BUND. ({5}) Alle haben deutlich gemacht, dass das, was die Bundesregierung beim Energiegipfel erreicht hat, deutlich mehr ist, als sie für möglich gehalten haben. Wenn sie es als Erfolg feiern, dann sollten auch Sie sich das zu eigen machen und den Erfolg anerkennen. ({6}) Wenn Sie selbst in der Regierung wären, würden Sie diese Ergebnisse mit Stolz vertreten. ({7}) Ich nenne einmal einige Eckpunkte. Es gibt ein klares Bekenntnis ({8}) zum 40-Prozent-Ziel. In der Erklärung wurde deutlich betont, dass das 40-Prozent-Ziel für Deutschland gilt. Wir haben weiter eine Effizienzsteigerung um 3 Prozent pro Jahr bis 2020 vereinbart. Das Ziel des Ausbaus im Bereich der erneuerbaren Energien auf 27 Prozent gilt ebenfalls; Sie sind bisher von 20 Prozent ausgegangen. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärenergie soll 16 Prozent betragen. Ein regelmäßiges Monitoring wurde vereinbart, um Jahr für Jahr zu überprüfen, ob wir noch in der Spur sind, um die Ziele zu erreichen. ({9}) - Haben Sie ein bisschen Geduld! Ich habe noch zweieinhalb Minuten Redezeit. Ich werde noch auf die Maßnahmen eingehen. All das hat dazu geführt, dass bis zum Ende der Sommerpause im Kabinett ein Maßnahmenpaket mit der Überschrift „Klimaschutz und Energie“ beraten wird. Es gibt ein Bündel von Maßnahmen. Ich will Ihnen nur drei nennen, weil es sonst den Rahmen meiner Rede sprengen würde. Erstens. Wir werden das Thema Kraft-Wärme-Kopplung im Hinblick auf die Effizienzmaßnahmen explizit aufgreifen. Der Kollege Pfeiffer hat bereits innerhalb der Koalition aufseiten der Union mit uns verhandelt. Ich denke, in den Eckpunkten sind wir uns einig. ({10}) - Es wird nicht gestritten, sondern es wird diskutiert, Frau Höhn. ({11}) Wir werden mit Blick auf die Kraft-Wärme-Kopplung ein ambitioniertes Paket vorlegen. Ebenso werden wir ein Paket erarbeiten, mit dem wir uns intensiv dem Wärmemarkt widmen. Wir alle wissen, dass der Wärmemarkt, was seine energiepolitische Bedeutung angeht, der größte Markt in Deutschland ist. Es wird nicht nur weitere Prüfungen steuerlicher Anreize oder möglicher Verschärfungen der EnEV und der Betriebskostenverordnung geben, sondern auch ein Erneuerbare-WärmeGesetz. Darüber werden wir nach der Sommerpause im Deutschen Bundestag diskutieren. ({12}) Der Bundesumweltminister hat heute den Erfahrungsbericht zum EEG vorgelegt. Ich denke, man kann ohne Wenn und Aber sagen: Das EEG ist eines der erfolgreichsten Gesetze, die der Deutsche Bundestag verabschiedet hat. ({13}) Wir werden dieses erfolgreiche Instrument weiterführen. Ich möchte nur einige Beispiele anführen: Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Zielerreichung für 2010 bereits heute übertroffen ist, sodass wir die Ausbauziele weiter anheben können. Bis heute konnten 45 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. 125 000 Menschen haben durch das EEG einen Job bekommen. - Insgesamt gilt es, diese Instrumente beispielhaft weiterzuentwickeln. An dieser Stelle wären noch viele weitere Effizienzmaßnahmen zu nennen. Wir werden ein Gesamtpaket von Effizienzmaßnahmen entwickeln. Frau Kopp, weil Sie das Thema Atomenergie pushen wollten und mussten, haben Sie das Effizienzziel bis 2020 grundsätzlich infrage gestellt. ({14}) - Ja, ohne Kernenergie. Sie haben es ohne die Kernenergie als unerreichbar bezeichnet. ({15}) Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Bei den Prognosen hinsichtlich der erneuerbaren Energien haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Damals haben viele gesagt: Ihr werdet die Ziele, die ihr euch gesetzt habt, nie erreichen. - Bereits heute wissen wir, dass wir viele unserer Ziele schon übertroffen haben. Ich denke, wenn wir die Technologien im Effizienzbereich in den nächsten zwölf Jahren weiterentwickeln, werden wir unser Ziel erreichen. Wir werden auch in diesem Bereich jährlich nachsteuern und untersuchen, wie unsere Maßnahmen wirken. Ihr Verhalten möchte ich mit einem Zitat von Victor Hugo beschreiben, der da sagte: Die Zukunft hat viele Namen. Für die Zögernden ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte. Für die Mutigen ist sie die Chance. Die Große Koalition wird diese Chance nutzen. Ich danke Ihnen. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was hat uns der Energiegipfel gebracht? Wo stehen wir heute? Man kann es vielleicht so umschreiben: Er hat uns klare Leitlinien in Bezug auf unser Ziel gebracht. Hinsichtlich des Weges sind wir uns in der Großen Koalition weitgehend einig. ({0}) Mit den Unterschieden in den Nuancen sollten wir uns nicht so sehr beschäftigen. Ich möchte mich in den nächsten Minuten auf die Frage konzentrieren, welche Chancen eine zukunftsorientierte Energiepolitik für unser Land bietet. Von Chancen spreche ich deswegen, weil es uns gelingen muss, die Umstellung der deutschen Energiewirtschaft so zu gestalten, dass keine nachteiligen Wirkungen für die Wirtschaft im Allgemeinen und für die guten Ansätze in Richtung Wirtschaftswachstum entstehen. Wir müssen bestimmte Prozesse, die Kosten verursachen, umdrehen. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass neue Technologien auf den Markt gebracht werden, damit wirtschaftlicher Nutzen entsteht. Das ist in den kommenden zwei Jahren die enorme Herausforderung für alle Energie- und Umweltpolitiker der Großen Koalition. Diesen Rahmen hat uns die Bundeskanzlerin in Form von klaren Leitplanken vorgegeben. Ich weiß nicht, wie man auf den Trichter kommen kann zu sagen, dass der Energiegipfel keine griffigen Ergebnisse gebracht habe. Eine Steigerung der Energieeffizienz um 3 Prozent pro Jahr ist nicht nur für die deutsche Ingenieurskunst, sondern auch für die gesamte Gesellschaft eine enorme Herausforderung. Es ist im Übrigen nicht nur für die Ingenieure, sondern auch für die Biologen eine riesige Herausforderung; denn wir werden auf dem Sektor der erneuerbaren Energien mit dem, was wir mittlerweile mittels Biomasse erzeugen können, nicht auskommen. ({1}) Potenziale gibt es genügend. Denken wir nur daran, welche Potenziale wir nutzbar machen würden, wenn es uns gelänge, dass der Austausch der vorhandenen Elektrogeräte - sowohl derer in den privaten Haushalten als auch derer in den Betrieben, in den Produktionsunternehmen - schneller vor sich ginge! ({2}) Denken wir an die Kraft-Wärme-Kopplung, in der natürlich erhebliche Potenziale stecken! Dabei meine ich weniger die Fernwärmeversorgung, sondern das große Potenzial bei der Prozesswärme. Wenn es uns gelingt - wir müssen die Anreize entsprechend setzen -, dass die Industrieunternehmen, die große Mengen Prozesswärme brauchen, diese über Kraft-Wärme-Kopplung bekommen, haben wir schon viel erreicht. ({3}) Oder denken wir an die großen Potenziale bei der Gebäudesanierung! Ich sage in unserer Arbeitsgruppe im Ausschuss regelmäßig mit aller Deutlichkeit: Wir haben immer noch mehr als 20 Millionen Wohnungen in Deutschland, die nicht der Energieeinsparverordnung entsprechen. Angesichts dessen ist es ein sehr positives Ergebnis des Energiegipfels, dass die Mittel für das CO2Gebäudesanierungsprogramm von 1,4 Milliarden auf ungefähr 3 Milliarden Euro erhöht werden. Das ist doch etwas. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass dieser Energiegipfel des Schweißes der Edlen wert war. Ich komme zu den Reduktionszielen hinsichtlich der Mobilität. Ein Ergebnis des Energiegipfels ist, dass angestrebt werden soll, dass Fahrzeuge maximal 130 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen. Das ist eine klare Definition, die für die deutsche Automobilwirtschaft eine große Herausforderung darstellt. Wir müssen, ohne Kollateralschäden zu verursachen, darauf hinarbeiten, dafür zu sorgen, dass dies für Neuwagen im Flottenverbrauch gilt. Ich habe den Eindruck, dass wir mit dem Klimagipfel eine klare Orientierung bekommen haben. Es liegt jetzt am Parlament, es liegt an uns, die Energiepolitik ideologiefrei, an den Fakten orientiert zu einem guten Ergebnis zu führen. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Axel Berg für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen fröhlichen guten Tag, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass das Vorhaben der Kanzlerin auf dem Energiegipfel extrem ambitioniert war. Sie hat versucht, die divergierenden Interessen in der Energiepolitik zu einem langfristigen, nationalen Energiepaket für den Zeitraum bis 2020 zusammenzuschnüren. Das ist ein mutiges, ein wichtiges Vorhaben, schon deswegen, weil wir im Angesicht des Klimawandels handeln müssen; eigentlich hätten wir schon vor 20 Jahren damit anfangen müssen. Trotzdem war dieses Vorhaben von Anfang an fast unmöglich zu erreichen, weil die Interessen einfach zu sehr divergieren. Das war übrigens unter Rot-Grün nicht einfacher. Dass das Ergebnis des Gipfels nicht nur Einigkeit und Harmonie ausstrahlt, ist deshalb nicht verwunderlich. Schön ist wiederum, dass es etliche hoffnungsvolle Ansätze gibt. Lassen Sie mich deswegen kurz auf die öffentliche Diskussion im Vorfeld eingehen. Dabei hat sich ja eines gezeigt, was durchaus interessant ist: Die nuklear-fossile Energiewirtschaft wollte eigentlich gar keine Einigung. Gebetsmühlenartig wurde wiederholt, dass die Szenarien, die das Kanzleramt hatte durchrechnen lassen, nicht machbar seien. Daran zeigte sich ihre wahre Absicht, die da lautet: Business as usual, bloß keine Veränderungen. Die Bundesregierung hat dem widerstanden und sich nicht in die Ecke drängen lassen. Sie hat an den Klimaschutzzielen festgehalten und die Effizienzvorgaben aufrechterhalten. Das ist ein Erfolg, der nicht wegzureden ist. ({0}) Es ist schon fast erpresserisch, dass die Atomkraftwerksbetreiber ihre Gesprächsbereitschaft beim Gipfel unterschwellig davon abhängig machen wollten, dass der Atomausstieg revidiert wird. Genauso verhält es sich mit den permanenten und damit inflationären Drohungen, ins Ausland abzuwandern, nur um den notwendigen Strukturwandel zu umgehen. Diese ewige „business as usual“-Mentalität der großen Versorgungsunternehmen gleicht einem Tanz auf dem Vulkan. Störfälle sind Alltag, auch wenn es erfreulicherweise noch nicht bis zur Kernschmelze kam. Den Müll überlässt man, wie üblich, den nächsten Generationen. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir aus der atomaren Verschwendungswirtschaft herauswollen. ({1}) Dass die Umsetzung ambitionierter Ziele auch in großen Versorgungsunternehmen machbar ist, beweisen zum Beispiel „meine“ wunderbaren Stadtwerke in München; das ist ein riesiger Laden. Sie müssen den Strom aus ihrer Beteiligung am Atomkraftwerk Isar II innerhalb von - soweit ich weiß - 15 Jahren ersetzen. Da geht es um 350 Megawatt; das ist eine große Menge Strom. Diese Leistung werden die Münchener nicht durch Kohle ersetzen. Sie sind dabei, sich alternative Lösungen zu erarbeiten; das finde ich klasse. Dabei kommt den Stadtwerken bei uns in München die Strategie der Stadt entgegen, bis zum Jahr 2020 20 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Das ist ein ambitionierter Weg für eine Großstadt, der aber durchaus machbar ist. Stadtwerke sollen bitte schön auch damit Geld verdienen, ihren Kunden das Sparen schmackhaft zu machen, statt immer nur darüber nachzudenken, wie man ihnen mehr Kilowattstunden verkaufen kann. Wir in München - entschuldigen Sie das Eigenlob versuchen gerade, eine lokale Stromstrategie für unsere Stadt in einem Klimaschutzbündnis hinzubekommen, in dem alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen der Stadt vertreten sind. Solch ein guter Ansatz, der in einer Kommune funktioniert - jedenfalls hoffe ich, dass er funktionieren wird; es sieht aber gut aus -, kann doch auch in einem größeren Maßstab umgesetzt werden; die Systeme sind doch vergleichbar. München versucht, eine Vorreitergroßstadt zu sein, und wird hoffentlich ein gutes Beispiel für andere Städte in Deutschland abgeben. Aber wir haben noch ein Problem: Ständig blockiert die CSU. Ich verstehe das nicht ganz. Wir haben eben Herrn Obermeier gehört; das klang doch alles sehr vernünftig. Warum blockieren dann noch so viele? In München macht die CSU Front gegen die Stadtwerke; sie sollen komplett weg. In den meisten unionsgeführten Städten sind die Stadtwerke schon privatisiert. Damit verliert eine Stadt doch komplett ihren Einfluss und begibt sich freiwillig in die Hand der Kartelle, die hier im Bundestag dann fröhlich beschimpft werden. Im Bayerischen Landtag hat der Fraktionsvorsitzende der CSU, Herrmann, in den vergangen Tagen - während des Energiegipfels! - gesagt, dass es mit der CSU keine Einigung ohne Kernenergie geben wird. Sie erpressen vor lauter Ideologie sogar die eigene Kanzlerin, weil diese sich wiederum an den Koalitionsvertrag hält. Das ist schon eine irre Welt. Im Bund unterminiert die Unionsfraktion auch immer wieder die Klimapolitik der Kanzlerin; wir haben Herrn Dr. Pfeiffer vorhin gehört. Statt das Problem jetzt endlich einmal anzupacken, müssen wir permanent Diskussionen über Laufzeitverlängerungen führen. Die FDP sekundiert dabei und fordert stur Laufzeitverlängerungen. Sie sprechen von Missachtung des Parlaments, obwohl nur vier Leute von der FDP dieser Ansicht sind. Ohne „Staatsknete“, liebe Freunde von der FDP, gäbe es weltweit kein Atomkraftwerk. Sie bekämpfen damit einen langsam entstehenden Markt, als wären Sie von der Sowjetunion ferngesteuert. ({2}) Sie fordern das Gegenteil von Liberalität. Das ist ein krasser Etikettenschwindel. Kriegen Sie sich am besten wieder ein und arbeiten Sie mit! ({3}) Das fände ich prima. Niemand von uns behauptet, dass es einfach wird. Aber ich habe größtes Vertrauen in das Potenzial unseres Landes und unserer Bevölkerung, die riesige Menschheitsherausforderung des Klimawandels endlich in den Griff zu bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, aber auch von der FDP: Lasst uns bitte endlich ambitioniert Rahmenbedingungen setzen, die notwendig sind, um die Klima- und Energiepolitik, wie es die Kanzlerin so schön formuliert, endlich umzusetzen. Es ist höchste Zeit, und wir sollten nicht noch mehr davon verlieren. Abschließend muss ich auch sagen: Wenn es nicht mit den großen Energieversorgern geht, dann müssen wir uns überlegen, wie es ohne sie geht. ({4}) Mir wäre es aber lieber, es ginge mit ihnen. Ich danke Ihnen. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Wanderer ist, der weiß, wie schwierig es ist, den Gipfel eines hohen Berges zu erklimmen. Wenn man oben ist, ist man manchmal ganz außer Puste und muss erst einmal wieder tief Luft holen. Es gibt natürlich sehr verschiedene Wege, wie man einen Gipfel erreichen kann. Genau das hat sich auch bei dem Energiegipfel vor zwei Tagen gezeigt. Eines kann man, wie ich glaube, allerdings nicht tolerieren, nämlich die Wortwahl vor dem Gipfel. Herr Kollege Gabriel, Sie haben den Vorstandsvorsitzenden eines international agierenden deutschen Unternehmens als „Wirtschaftsstalinisten“ bezeichnet. Ich glaube, diese Wortwahl stammt aus der tiefsten Schublade. Wenn Sie vielleicht gar nicht wissen, was ein Stalinist ist, weil Sie noch keinem begegnet sind, dann sollten Sie sich entschuldigen. Wenn Sie aber wissen, was ein Stalinist ist, weil Sie vielleicht doch schon einmal einen getroffen haben, dann sollten Sie sich erst recht entschuldigen. Wenn es in diesem Land nämlich einreißt, dass Leute, die eine andere Meinung vertreten oder vorsichtig auf Probleme hinweisen, als Stalinisten bezeichnet werden, dann sind wir tief gesunken. ({0}) Zum Gipfel selbst. Ich finde es am wichtigsten, dass auf diesem Gipfel das Gleichgewicht zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit betont wurde. Wenn wir dieses Gleichgewicht immer wieder vor Augen haben und darauf setzen, dann wird es in unserem Lande auch zu einer vernünftigen Energiepolitik kommen. Bei der Wirtschaftlichkeit geht es schließlich um den Standort Deutschland und um die heutige, aber auch um die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Es nutzt unserem Land eben nicht unbedingt etwas, wenn wir zwar bei den regenerativen Energien oder bei der Energieeinsparung absolute Weltspitze sind, aber die höchsten Preise zahlen müssen. Bei der Wirtschaftlichkeit geht es darum, das Interesse der Verbraucher - hier geht es vor allem um die soziale Verträglichkeit der Energiepreise - und die Interessen der Wirtschaft im Blick zu behalten. Wenn zwischen den Kosten der einzelnen Szenarien - darauf wurde schon hingewiesen - eine Differenz von 5,3 Milliarden Euro pro Jahr besteht, dann lohnt es sich doch, über die einzelnen Szenarien zu diskutieren; denn das kann niemand aus der Portokasse zahlen. Ich habe gehört und in Pressemeldungen gelesen, dass man zum Beispiel im Bereich der Einspeisevergütungen schon wieder große Umgruppierungen plant. Ich möchte noch einmal deutlich machen: Für uns muss es bei dem Subventionsrahmen, der jetzt besteht, bleiben. Wenn, dann kann man innerhalb dieses Rahmens umrangieren, wie man will, es darf aber zu keinen weiteren Belastungen der Energiepreise kommen. Zwei Dinge, die mich bei dem Energiegipfel sehr erfreut haben, möchte ich noch kurz ansprechen. Das erste Thema ist die Exportinitiative Energieeffizienz. Wir legen großen Wert darauf, unsere Technologien zu exportieren, auch die Kraftwerkstechnologie. Wenn alle Kraftwerke in Russland, China, Indien und sonst wo auf der Welt mindestens den Standard deutscher Kraftwerke hätten, dann wäre mehr für das Klima getan, als wenn wir uns hier über ein Zehntel mehr oder weniger Energieeffizienz unterhalten. ({1}) - Es geht aber um die Exportinitiative Energieeffizienz. Ich denke, ich hatte das deutlich gemacht. Das zweite Thema ist die Energieforschung. Die Aufwendungen für die Energieforschung sind bis 2005 kontinuierlich zurückgegangen. 2005 hatten wir den absoluten Tiefpunkt erreicht. Das Ergebnis ist, dass die Forschung in verschiedenen Technologiebereichen nicht in dem Maße vorangetrieben worden ist, wie es notwendig gewesen wäre. Ich glaube, wenn sich jetzt alle politisch Beteiligten darauf einigen, die Energieforschung voranzutreiben, dann werden wir nicht auf die Kohle verzichten müssen, die 50 Prozent der Stromerzeugung im Grundlastbereich erbringt. Deshalb sind neben allen Beschlüssen, die heute diskutiert worden sind, gerade diese Punkte für mich sehr wichtig. Jetzt gilt es, aus diesen Beschlüssen das Programm zu schneidern, das die Kanzlerin im September vorlegen wird. Der Energiegipfel ist, um das noch einmal deutlich zu machen, kein politisches Entscheidungsgremium. Der Deutsche Bundestag ist das politische Entscheidungsgremium. Deswegen ist es der richtige Weg, dass die Kanzlerin nach der Sommerpause das Energieprogramm für Deutschland vorlegen wird, über das wir dann im Bundestag diskutieren werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort Herrn Bundesminister Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich verfolge, was die Opposition über den Energiegipfel und die Energie- und Klimapolitik sagt, dann kann ich gegenüber den Koalitionsfraktionen nur feststellen, dass wir eigentlich alles richtig gemacht haben müssen. Stellen Sie sich vor, die Opposition hätte uns heute gelobt; das wäre für uns schlimm gewesen. Ich glaube, wir können beruhigt feststellen: Was wir in diesem Bereich machen, gehört zu 100 Prozent auf die Habenseite der Großen Koalition. ({0}) Herzlichen Dank an alle, die uns dabei unterstützt haben! ({1}) - Doch, Frau Höhn, es ist leider - Parlamentsdebatten sollten ja eigentlich auch eine intellektuelle Herausforderung sein - heute sehr einfach, mit Ihnen umzugehen. Ich kann Ihnen berichten, wie zum Beispiel der BUND und die Ökoenergiebranche den Energiegipfel bewerten: Der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Ökoenergiebranche haben die Ergebnisse des Energiegipfels von Bundesregierung und Wirtschaft begrüßt. ({2}) - Die, die Sie sonst hier gerne zitieren, sagen: Das habt ihr gut gemacht; wir kommen voran. - Das ist doch ein Ergebnis, über das Sie sich im Zweifel freuen sollten. ({3}) Sie machen es uns auch deshalb einfach, Frau Höhn, weil Sie nicht mehr inhaltlich argumentieren, sondern sich langsam zu einer professionellen Anscheinserweckerin entwickeln. Denn wenn Sie feststellen, wir würden nichts tun, dann verschweigen Sie die 1,4 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Das ist das Vierfache gegenüber Ihrer Regierungszeit. Sie verschweigen, dass wir die erneuerbare Wärme mit 80 Millionen Euro zusätzlich fördern, dass wir die Mittel für Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbarer Energien verdoppelt und das Zuteilungsgesetz verabschiedet haben. ({4}) - Darauf habe ich gewartet. Sie sagen, auf Druck der Europäischen Union - einverstanden. Wir hatten vorgeschlagen, den CO2-Ausstoß bei uns selber um 48 Millionen Tonnen zu senken. Jetzt sind es 57 Millionen Tonnen geworden. Wissen Sie noch, was Sie geleistet haben? Sie haben nur 2 Millionen Tonnen pro Jahr hinbekommen. ({5}) - Ich weiß, dass Sie das ärgert. Wir haben eine Lernprobe hinter uns. Sie sollten aber auch anerkennen, dass wir es im Gegensatz zu Ihnen geschafft haben und dass es gut ist, dass es jetzt funktioniert. ({6}) - Das ist doch die Wahrheit, Frau Kollegin Höhn. Machen Sie es uns doch nicht nur dadurch so einfach, dass Sie versuchen, alles zu verschweigen, was Sie selber nicht geschafft und was wir erreicht haben. ({7}) - Sie wollten doch wissen, was wir schon getan haben, Frau Höhn. Sie haben uns hier vorgehalten, dass wir nur reden, ohne dass etwas passiert. Jetzt habe ich Ihnen vorgetragen, was wir bereits alles getan haben. Das ist wesentlich mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit zustande gebracht haben. ({8}) - Sie verweisen auf das EEG. Es macht heute richtig Spaß, Frau Höhn. Sie haben im Strombereich das Ziel verfolgt, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent zu erhöhen. ({9}) - Natürlich! Das haben Sie in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen, und Sie können es auch in Ihren Reden nachlesen. Die Große Koalition hat das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien im Strombereich auf 27 Prozent zu erhöhen. Das sind 7 Prozent mehr, als Sie sich zugetraut haben, Frau Höhn. ({10}) Wir haben beim Energiegipfel das Ziel der Bundesregierung beibehalten, den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken. Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit nicht ansatzweise für möglich gehalten. ({11}) Sie ärgern sich doch einzig und allein darüber, Frau Höhn - deswegen rufen Sie ständig dazwischen -, dass die Große Koalition bei diesem zentralen Thema Ihrer Politik mehr zustande bringt, als Sie sich jemals zugetraut haben. ({12}) - Frau Höhn, seien Sie doch nicht so maulig. Wenn Sie so in den Wald hineinrufen, dann gibt es auch eine Antwort, jedenfalls wenn ich die Möglichkeit habe, zu reden. Wir haben die Verdopplung der Energieeffizienz vereinbart. Frau Höhn, wir haben 67 Maßnahmen dazu auf dem Energiegipfel vorgeschlagen. Der Kollege Schauerte hat absolut recht: Es wäre für uns einfacher gewesen, wenn wir die Akten hätten aufmachen und auf Vorschläge der Grünen hätten zurückgreifen können und diese nur hätten einbringen müssen. Aber nichts war da. Erst der Energiegipfel hat entsprechende Vorschläge erarbeitet. So viel zum Thema Energieeffizienz. Nicht nur reden, sondern auch etwas Konkretes auf den Weg bringen, Frau Kollegin Höhn! Das haben wir dort gemacht. ({13}) Wir werden den Kraftwerkspark modernisieren. Wir haben eine ganze Reihe dessen, was wir vereinbart haben, auf dem Energiegipfel durchgesetzt. Vorhin hat mich der Kollege, der für die CDU/CSU gesprochen hat, kritisiert. Aber wenn jemand sagt: „Ich treffe mich nur dann mit der Regierung, wenn sie das macht, was ich von ihr will“, dann - so habe ich es gesagt - argumentiert derjenige wie ein Wirtschaftsstalinist. Das meine ich ganz ernst. Ich nehme übrigens Ihre Argumente ebenfalls ernst. Sie haben einen bestimmten politischen Erfahrungshintergrund und haben vorhin sinngemäß argumentiert: Junge, pass auf; rede nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst! - Das finde ich in Ordnung. Aber nehmen Sie mich bitte beim Wort. Es kann nicht sein, dass Industrievertreter sagen: Wir reden nur dann mit der Regierung, wenn sie macht, was wir wollen. Das geht nicht. ({14}) Übrigens habe ich mich mit Herrn Hambrecht getroffen. Es gab keine Probleme. Wir hatten vier Boxhandschuhe mitgebracht und hatten trotzdem keine blauen Augen. Manchmal ist Politik keine Klosterschule; das ist wohl so. Ich zitiere Erhard Eppler aus dem Jahr 1972: Weil über die Qualität des Lebens wie nie zuvor politisch entschieden werden muss, wird dies eine politische Epoche sein. Es wird gestritten werden um politische und gesellschaftliche Strukturen. Was hier getan werden muss, kann nur ein funktionstüchtiger, ein starker Staat leisten. Ein Staat, der nicht mehr wäre als ein lächerlicher Spielball von Sonderinteressen, würde das Gemeinwohlinteresse nicht wahrnehmen können. Genau darum ging es beim Energiegipfel: nicht Einzelinteressen, sondern das Gemeinwohlinteresse an Versorgungssicherheit, preiswerter Energie und Klimaschutz in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Der Energiegipfel ist deshalb ein Erfolg, weil exakt das das Ergebnis ist: Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass das Gemeinwohlinteresse im Mittelpunkt steht. Das ist der Grund, warum der Energiegipfel ein Erfolg ist. Wir haben uns nicht den Einzelinteressen, die vorher massiv auf uns einprügelten, hingegeben. ({15}) Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Kernenergie machen. Ich glaube, dass das, was der Kollege Schauerte gesagt hat, absolut richtig ist. Es wäre ein riesengroßer Fehler, sich bei einem Teil der Energiepolitik, der umstritten ist, so zu verhalten wie das Kaninchen vor der Schlange, indem wir beim anderen Teil der Energiepolitik, in dem wir viel bewegen können, nichts tun, weil wir uns in einer Frage nicht einig werden. Das umgekehrte Verfahren ist richtig. Genau das wurde beim Energiegipfel gemacht. Wir haben uns um die Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Emissionshandel gekümmert. In diesen Zusammenhang gehören auch die GWB-Novelle und die Regelungen betreffend die Strompreise. Die offene Debatte über die Kernenergie wird sicherlich weitergeführt. Erstaunt hat aber alle, dass die Atomenergie ganze 4 Prozent zum Klimaschutz beiträgt. Wenn wir bei der Energieeffizienz von 3 auf 2 Prozent heruntergegangen wären, hätte uns das 11 Prozent gekostet. An diesem Vergleich sieht man, welche Bedeutung die Energieeffizienz hat und wie relativ gering der Anteil der Kernenergie ist. Jeder kann natürlich an seiner Meinung festhalten. Darüber wird sowieso noch öffentlich beraten. ({16}) - Entschuldigung, Frau Kollegin Kopp, es ist Unfug - wenn ich das so offen sagen darf -, zu behaupten, der Beitrag der Kernenergie im Rahmen der Energiepolitik zum Klimaschutz liege bei 50 Prozent. Sie haben doch auf die Energieszenarien verwiesen und sozusagen mit dem Streit begonnen. Dann müssen Sie aber auch sagen, dass in allen drei Szenarien davon ausgegangen wird, dass der Beitrag der Kernenergie zum Klimaschutz ganze 4 Prozent beträgt, mehr nicht. ({17}) Es macht daher keinen Sinn, die Atomenergiedebatte in den Mittelpunkt zu stellen. ({18}) - Das sagen diejenigen, die in der aktuellen Debatte behaupten, die Kernenergie trage dazu bei, die Strompreise stabil zu halten bzw. zu senken, die aber gleichzeitig die Strompreise erhöhen, obwohl die Kernkraftwerke laufen. Wissen Sie, auch das gehört zur Wahrheit: Wir erleben zurzeit eine Strompreiserhöhung, ohne dass wir alle Klimaschutzziele umgesetzt hätten und ohne dass wir aus der Kernenergie ausgestiegen wären. Das geschieht nur aus einem einzigen Grund, nämlich weil wir zu wenig Wettbewerb auf dem Strommarkt haben. ({19}) Das ist der einzige Grund. Auch da leistet die Große Koalition wesentlich mehr, als vorangegangene Regierungen in diesem Bereich geleistet haben. ({20}) Aus meiner Sicht gehört die Energie- und Klimapolitik ungeachtet der Debatten, die wir sonst manchmal in der Großen Koalition haben, eindeutig auf die Habenseite. Die Fortschritte, die wir machen, sind ein Riesenerfolg. Anders als die Opposition im Deutschen Bundestag respektiert das der Rest der Welt, der über Klimaschutz verhandelt, und sagt: Wir können nicht mehr Mikado spielen. Die Europäer und die Deutschen gehen voran. Jetzt müssen auch wir uns bewegen. Auch das ist ein Erfolg des Energiegipfels. Ich finde, wir können alle miteinander zufrieden sein. Wenn Sie es nicht sind, dann kann ich das verstehen, weil das Ihrer Rolle geschuldet ist. Objektiv aber hat das mit der Realität nichts zu tun. ({21}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({22})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen, unserer Bundeskanzlerin für die Ausrichtung des vergangenen Energiegipfels zu danken. Ich glaube, der Bundesumweltminister hat richtigerweise beschrieben, dass man alle drei Energiegipfel als vollen Erfolg bezeichnen kann. Deshalb stehen diese absolut auf der Habenseite der Großen Koalition. ({0}) Natürlich kann man in Einzelfällen unterschiedlicher Meinung sein; aber ich glaube, wir haben in vielen Bereichen einen tragfähigen Kompromiss erreicht. Gerade was die Energieeffizienz angeht, haben wir sehr viel auf den Weg gebracht. Einige Fragen, über die auch wir in der Großen Koalition uns nicht in jedem einzelnen Punkt einig sind, bleiben offen, müssen aber aus meiner Sicht weiter angegangen werden. Deshalb möchte ich den Minister zumindest darauf hinweisen, dass er, als er über die Strompreise gesprochen hat, zwar absolut richtig in der Beschreibung der Tatsache lag, dass wir zu wenig Wettbewerb haben - dagegen tut die Große Koalition auch etwas; wir sind hier auf dem richtigen Weg, auch wenn wir noch weit von unserem Ziel entfernt sind -, man aber auch festhalten muss, dass der Strompreis heute bereits zu 40 Prozent aus Steuern und Abgaben besteht. Wenn man sich überlegt, wie Klimaschutz in Zukunft erreicht werden kann, dann muss man sicherlich auch bei den erneuerbaren Energien in Zukunft wesentlich mehr wirtschaftliche Aspekte einbeziehen, und man darf sich nicht auf Dauer auf Subventionen verlassen. Das ist auch mein Hinweis an die Grünen. Ich glaube, wenn man die Bilanz zieht, ({1}) was Deutschland seit 1998 im Bereich der erneuerbaren Energien erreicht hat, dann stellt man fest, dass wir mittlerweile Subventionen, wenn man alles zusammenrechnet, in Höhe von 270 Milliarden Euro ausgegeben haben. Das ist doch eine stolze Zahl. Insofern muss man sich überlegen, ob alle Gelder, die in diesem Bereich ausgegeben worden sind, zielgerichtet ausgegeben wurden oder ob nicht eine wirtschaftliche und teilweise effizientere Steuerung notwendig wäre. Die Klimaziele selbst sind nicht aufgrund der hohen Subventionen erreicht worden, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass wir in Ostdeutschland einen Zusammenbruch der Wirtschaft erlebt haben. Das heißt, wir sind von unseren ehrgeizigen Zielen, die wir uns beim Klimaschutz gesetzt haben, noch sehr weit entfernt. Deshalb ist das, was auf den Weg gebracht worden ist - Stichwort: Ausbau der erneuerbaren Energien -, richtig. Aber vor allem im Bereich der Energieeffizienz müssen wir deutlich erfolgreicher werden, als das bisher der Fall war. Ich möchte noch auf das eingehen, was die Linksfraktion gesagt hat. Herr Hill, man hört immer wieder auch von Ihnen, dass die Frage der Höhe der Strompreise auch eine soziale Frage ist. Da haben Sie absolut recht. Es ist wirklich eine Frage, wie Menschen an unserer Gesellschaft teilhaben können, auch wenn sie nur eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten haben. Aber wenn man diese Frage aufwirft, dann muss man sie auch richtig beantworten. Es kann nicht das einzige Ziel von Umwelt- und Energiepolitik sein, die Strompreise weiter anzuheben, indem man weitere Subventionen fordert. Man muss vielmehr versuchen, eine Stabilität der Preise zu erreichen, um dadurch der sozialen Frage gerecht zu werden. ({2}) Vor diesem Hintergrund muss natürlich die Frage gestellt werden: Wie will man die Klimaschutzziele und diese wichtige soziale Frage damit in Übereinstimmung bringen, indem man fordert, sich aus der Nutzung bestimmter Energieträger sukzessive zu verabschieden? Es wird nicht gelingen, sich gleichzeitig aus der Nutzung der Braunkohle und aus der Nutzung der Kernenergie zu verabschieden. Wer dies versucht, wird feststellen, dass dies eine Rechnung ist, die nicht aufgehen wird. Ich glaube, dass wir mit dem Energiegipfel ein Stück weitergekommen sind, was eine realistische Betrachtungsweise der Energiepolitik in unserem Land angeht. Die Frage der Nutzung der Kernkraft wird sich aber auch auf Dauer stellen. Wir sollten weiterhin versuchen, die beiden von mir genannten Ziele zu erreichen. Das wird nur möglich sein, wenn wir an der Nutzung der Kernenergie festhalten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Marco Bülow. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Erstes möchte ich einmal feststellen: Ein Energiegipfel ist dazu da, Leitlinien zu erstellen. Die Entscheidungen werden dann aber natürlich hier im Parlament und im Kabinett getroffen. Wenn die FDP das begriffen hätte, dann wären wir einen Schritt weiter. ({0}) Die Leitlinien, die auf dem Energiegipfel beschlossen worden sind, waren gut, und deswegen glaube ich, dass er ein Erfolg war. Das gilt vor allen Dingen deshalb, weil durch diesen Energiegipfel deutlich gemacht worden ist: Wir wollen jetzt auch national das engagiert angehen, was wir international zu Recht eingefordert haben, und zwar durch den Umweltminister und die Bundeskanzlerin. Das verleiht auch unserem internationalen Engagement einen höheren Stellenwert. Das ist der richtige Weg; diesen Weg müssen wir beschreiten. Ich bin der Kanzlerin und dem Umweltminister sehr dankbar, dass sie diese Position so klargemacht haben. Die SPD wird das natürlich unterstützen. Klar ist aber auch, dass diese Unterstützung bitter nötig ist; denn leider gibt es unionsgeführte Länder - bekanntlich gehört die Kanzlerin der Union an -, die für Sperrfeuer sorgen. Sie versuchen, die guten Ergebnisse - sie sind auch von Ihnen gelobt worden - zu konterkarieren. Das hat zum Beispiel mein Landesvater, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, in den letzten Tagen zu tun versucht. ({1}) Die Instrumente zur Erreichung der angestrebten Ziele liegen auf dem Tisch. Wir haben über viele Bereiche gesprochen. Wir haben über KWK gesprochen; dazu wird es Vorschläge geben. Wir haben unsere Vorschläge schon vor längerem auf den Tisch gelegt. Ich glaube, wir werden da zu einer Einigung kommen. Wir werden das Erneuerbare-Energien-Gesetz fortentwickeln. Wir werden ein Wärmegesetz verabschieden. Außerdem werden wir das erfolgreiche Gebäudesanierungsprogramm fortführen. Darüber hinaus werden wir uns dafür einsetzen, dass die Effizienz auch auf europäischer Ebene insMarco Bülow gesamt gesteigert wird, beispielsweise durch den TopRunner-Ansatz. Wenn wir all die Vorschläge - es sind insgesamt 64; der Minister hat darauf gerade noch einmal hingewiesen wirklich umsetzen, engagiert vortragen und auch auf die europäische Ebene übertragen können, dann werden diese Ziele nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und international erreicht werden können. Das ist noch viel mehr wert, als sie nur in Deutschland zu verfolgen. Deutschland muss deshalb auf diesem Gebiet vorangehen. ({2}) Herr Mißfelder, ich kann mir nicht verkneifen, auf Folgendes hinzuweisen: Sie haben immer noch nicht begriffen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Umlagemodell ist. Es ist also etwas anderes als die Subventionen, die gezahlt werden. ({3}) Schauen Sie sich einmal den Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-Energien-Gesetz an. Darin steht, dass die im Jahre 2006 eingesparten Kosten bei 2 Milliarden Euro liegen. Volkswirtschaftlich gerechnet, liegen die eingesparten Kosten bei über 9 Milliarden Euro. Das ist die Rechnung, die wir aufmachen müssen. Manchmal ist es so, dass der Nutzen von etwas weitaus größer ist als die eingesparten Kosten. Übrigens sind die entstehenden Energiekosten nicht unbedingt identisch mit den Preisen, die die Verbraucher zu zahlen haben. Auch das sollten wir an dieser Stelle vielleicht noch einmal festhalten. ({4}) Damit bin ich beim nächsten Punkt. Ich halte es für sinnvoll, dass wir gemeinsam das umsetzen, worüber zwischen uns in der Großen Koalition Einigkeit besteht. Wir sollten also über das diskutieren, was bis 2020 mit der Atomkraft noch passieren soll. Angeblich werden die dann zu erbringenden Leistungen Mehrkosten in Höhe von 4 Milliarden Euro mit sich bringen. Doch diese Rechnung ist zu einfach. Auch dabei muss man auf ein paar Punkte achten: Erstens. Die erneuerbaren Energien wirken schon jetzt teilweise preisdämpfend. Dies ist vor allen Dingen dann häufig der Fall, wenn Atomkraftwerke ausgeschaltet werden, wenn es im Sommer zu warm ist. Da haben wir eine Preisdämpfung, die leider in diesen 4 Milliarden Euro noch nicht eingerechnet worden ist. Ferner wissen wir, dass Prognosesysteme bei erneuerbaren Energien immer besser werden. Durch die sogenannten Kombinationskraftwerke werden wir es schaffen, auch da grundlastfähig zu sein. Auch das sollte man langsam einmal zur Kenntnis nehmen. Der zweite wichtige Punkt ist Folgender: Wenn wir volkswirtschaftliche Kosten berechnen, dann ist festzustellen, dass die Atomkraft am wenigsten arbeitswirksam ist. Das ist also der Bereich, wo die wenigsten Menschen pro erzeugter Kilowattstunde arbeiten. Auch das ist ein Faktor, den wir bei der Diskussion einmal zur Kenntnis nehmen sollten. Dritter entscheidender Faktor ist: Klar ist doch, die Investoren warten darauf, welche Signale wir setzen. Wenn wir weiter die Signale setzen, dass wir vielleicht doch die Atomkraft länger beibehalten, dann werden sie ihre Gelder, ihre Investitionen nicht in erneuerbare Energien, nicht in Effizienttechnologien stecken. Das Geld fehlt uns dann am Ende, wenn wir abrechnen, ob wir unsere Ziele erreicht haben oder nicht. Wir brauchen diese Investitionen. Ich stelle fest: Die Ziele sind vorgegeben. Ich bin sehr dafür, dass wir gemeinsam in der Großen Koalition das umsetzen, bei dem wir Anknüpfungspunkte haben, bei dem wir uns einig sind, zum Beispiel im Bereich der Effizienz und der erneuerbaren Energien. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Dass es Themen gibt wie die Atomkraft, den Mindestlohn - es gibt sicherlich noch andere Themen -, die wir nicht lösen können, worüber vielleicht die Bürgerinnen und Bürger entscheiden müssen, soll so sein. Ansonsten wäre es vielleicht auch ein bisschen langweilig. Ich kann nur auffordern, dass wir alle Ministerien, nicht nur das Wirtschafts- und das Umweltministerium, und alle Ausschüsse bemühen, Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen, so wie das von der Regierung angegangen worden ist und wie der Gipfel das gezeigt hat. Dann, glaube ich, werden wir unsere Ziele nicht nur ernst nehmen, sondern auch durchsetzen können. Danke schön. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Ulrike Flach, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bundeshaushalts - Drucksache 16/4606 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Otto Fricke das Wort. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bundeshaushalts“, so lautet der Antrag aus dem April diesen Jahres, also weit vor Steuerschätzungen und vor dem nun vom Kabinett beschlossenen Haushalt. Warum haben wir diesen Antrag eingebracht? Ich weiß, Sie werden sagen: Die Ziele, die ihr dort hineingeschrieben habt, sind nicht ehrgeizig genug. Wir haben den Antrag eingebracht, um frühzeitig eine Warnung in Richtung Koalition zu schicken, nicht - wenn die Gelder, die Einnahmen, also das, was der Bürger, die Unternehmen bezahlen, steigen - mit dem Sparen, mit dem Konsolidieren aufzuhören. Was Sie aber gemacht haben - das zeigt der Entwurf -, ist genau das Gegenteil: Sie haben das Sparen vergessen. Sie haben Ihren Ehrgeiz verloren, für den Haushalt des Bundes etwas zu tun. ({0}) Woran kann man eigentlich messen, ob eine Koalition bei der Konsolidierung ehrgeizig ist? Sie werden sagen: Mensch, ihr Miesepeter von der FDP. ({1}) Ihr müsst immer erst die anderen miesmachen. Wir haben doch die Neuverschuldung gesenkt. Ich kann Ihnen und den Bürgern nur sagen: Glauben Sie keinem Politiker, der Ihnen sagt, wir haben die Neuverschuldung gesenkt. Fragen Sie ihn erst einmal, wie viel mehr Geld er euch vorher abgenommen hat, um dann zu sagen, wir haben die Schulden gesenkt. ({2}) Sie haben entgegen Ihren Haushaltsplanungen - wir haben im April noch nicht zu hoffen gewagt, dass die Wirtschaft so gut anspringt; wir sind froh darüber, dass sie es tut - circa 20 Milliarden Euro mehr an Steuern eingenommen. Dann müsste gegenüber der Planung ja auch die Neuverschuldung um ungefähr diese unerwarteten 20 Milliarden Euro heruntergehen. Das passiert aber nicht. Sie senken die Neuverschuldung um 8 Milliarden Euro. Aber wo sind die 12 Milliarden Euro? Diese geben Sie zusätzlich aus. Daran kann man messen, ob Sie bei der Konsolidierung Ehrgeiz haben. Dann kann man noch feststellen: Die Ausgaben erhöhen sich genau um diese 12 Milliarden Euro. ({3}) 12 Milliarden Euro Mehrausgaben im Jahr 2008, das ist Ihre Planung. 12 Milliarden Euro mehr, das ist fast eine Steigerung um 5 Prozent. Sie behaupten zwar, in den nächsten Jahren sinke das wieder auf 1,5 oder 1,4 Prozent und sagen wie weiland Hans Eichel: In Zukunft wird alles besser; wir machen es in kleinen Schritten. Das Merkwürdige ist nur: Sie geben jedes Jahr mehr aus. Ich werde Ihnen gleich noch nachweisen, dass Sie im Jahr 2008 eigentlich sogar noch viel mehr ausgeben und das mit kleinen Tricks ein bisschen umgehen. ({4}) Woran kann man den Ehrgeiz noch messen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition? Man kann ihn daran messen, wie der Bund sich in Zukunft bei der Verschuldung im Vergleich zu den Sozialkassen, im Vergleich zu den Ländern und im Vergleich zu den Kommunen verhält. Was stellen wir fest, seitdem wir die Große Koalition haben? Was stellen wir auch für das Jahr 2008 fest? Die Sozialkassen haben kein Defizit mehr. Die Länder werden, bereinigt, auch kein Defizit mehr haben. Die Kommunen hatten schon im letzten Jahr kein Defizit mehr - es gab Sondereffekte; das will ich nicht bestreiten -, aber sie werden das auch in diesem Jahr erreichen. Der Einzige, der in diesem Staat noch kräftig Schulden macht, ist der Bund. Daran kann man genau sehen, worauf sich Ihr Ehrgeiz richtet. Ihr Ehrgeiz richtet sich darauf, nicht ganz so schlecht zu sein. Aber faktisch sind Sie immer noch das Schlusslicht. Das kann man dem Steuerzahler nicht zumuten. ({5}) Daran, dass das Ausgabenwachstum über dem Wirtschaftswachstum liegt, kann man auch erkennen, dass Sie meinen: Ein bisschen mehr Staat ist doch gar nicht schlecht; wir schenken hier was und schenken da was. Das Schlimme daran ist: Das ist die alte Überlegung, mehr Geld ist bessere Politik. Ich kann dazu nur sagen: Richtiges Geld ist bessere Politik, und das muss eben nicht immer mehr Geld sein. ({6}) Sie werden sagen: In Ihrem Antrag sind Sie doch noch von soundso viel ausgegangen; das ist ehrgeizig, und jenes ist ehrgeizig. Bei dem, was Sie jetzt an Steuermehreinnahmen vom Bürger und von der Wirtschaft bekommen, sollte Ihre erste Überlegung doch sein: Wie kann ich vermeiden, dass ich dem Bürger so viel wegnehme? Wie kann ich vermeiden, dass der Bürger so viel mehr bezahlen muss? Ihre Überlegung ist aber eher: Wie kann ich dem Bürger mehr Geld geben? Denn ich habe es ihm ja faktisch schon genommen. Ihre Denke in der Großen Koalition ist weiterhin davon geprägt, dass für die Haushaltspolitik gilt: Wir brauchen das Geld; denn ohne Geld können wir keine Geschenke machen, und ohne Geschenke werden wir nicht gewählt. ({7}) Zum Stichwort Ehrgeiz ist noch eine Sache wichtig: die Investitionen, ein immer sehr beliebtes Thema. Wir müssen mehr investieren. Heute Morgen haben wir vom Kollegen Stiegler von der SPD gehört, was zu den Investitionen gesagt werde, sei alles ganz falsch; Investitionen in Köpfe, Investitionen in Personal, Investitionen in BAföG, das alles seien Investitionen. Das ist genau falsch. Investitionen sind etwas, was man dann auch hat ({8}) und im Notfall für andere Zwecke einsetzen kann. Der Minister sagte im Haushaltsausschuss: Die Investitionen steigen. Das hört sich gut an. Jeder denkt; Mensch, das ist ja toll. Dann fragt man, wie viel wird denn prozentual mehr ausgegeben, wo doch so viel Geld zusätzlich vom Bürger eingenommen wird, und stellt fest: Merkwürdig, genau das Gegenteil ist der Fall. Ihr Ehrgeiz geht nicht dahin, die Investitionsquote hochzufahren; selbst in guten Zeiten geht die Investitionsquote bei Ihnen runter. Das lässt für die Zukunft Deutschlands Schlimmes ahnen. Im Einzelnen müsste man jetzt eigentlich auf den GKV-Zuschuss eingehen. Da ist etwas verräterisch. Ich empfehle jedem, sich die Kabinettsvorlage einmal genau anzuschauen. In der Kabinettsvorlage gibt diese Regierung bekannt, ({9}) dass sie schlicht nicht weiß, wie sie diesen Zuschuss in Zukunft finanzieren will. Ich weiß, dass auch die Haushälter der beiden großen Fraktionen hier im Bundestag das genauso wenig wissen und sich deswegen über die Vorlage geärgert haben. Faktisch bekommen Sie den GKV-Zuschuss nicht finanziert. Ich bin schon sehr gespannt, was Sie sonst noch an Tricksereien machen. Die U-3-Betreuung, die Betreuung der unter Dreijährigen: ehrgeizig. Sie machen das, weil Ihr blonder Engel gesagt hat: Das ist doch eine gute Sache. Das ist auch eine gute Sache. ({10}) - Zu einer Dame „blonder Engel“ zu sagen, lieber Kollege Kampeter, halte ich für etwas Positives. Wenn Sie das nicht so sehen, würde ich darüber noch einmal nachdenken. Diese Frau sagt: 4 Milliarden Euro mehr. Was macht der Bundesfinanzminister? Er sagt: Das geben wir so nicht, diese 4 Milliarden Euro geben wir noch in 2007 aus. Faktisch sind das Ausgaben, die Sie eigentlich in 2008 tätigen würden. Wenn diese 4 Milliarden Euro in 2008 noch dazukämen - dahin gehören sie -, dann würde aber jeder erkennen, dass Sie in 2007 faktisch weniger Schulden machen als in 2008. Da gilt auf jeden Fall: überhaupt kein Ehrgeiz. ({11}) Ich will dann auch noch kurz auf das Thema Bundesagentur für Arbeit hinweisen. ({12}) Ich habe heute von Herrn Göhner - Kollege Kampeter wird mir zustimmen - eine sehr gute Rede zu diesem Thema gehört. Ich kann nicht Gelder der Beitragszahler, also von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, nehmen, um eine gesamtstaatliche Aufgabe, nämlich die Betreuung von Langzeitarbeitslosen, zu finanzieren. Es kann doch nicht sein, dass Selbstständige, Beamte und Abgeordnete sich nicht vollständig an dieser Finanzierung beteiligen, sondern all das beispielsweise der Bahnmitarbeiter, die Friseurin und andere aufbringen müssen, aber nicht die genannten Gruppen. ({13}) - Ja, der Mehrwertsteuerpunkt. Danke für den Hinweis, Kollege Schneider. ({14}) Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie jetzt zugeben, dass als Erträge aus dem Mehrwertsteuerpunkt 6 Milliarden in die BA hineingeschoben werden und diese dann von der BA für Hartz IV ausgegeben werden. ({15}) Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition: Der aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer kommende Punkt dient nicht der Absenkung der Sozialbeiträge, sondern Ihr Mehrwertsteuerpunkt dient inzwischen der Finanzierung von Hartz IV; zu nichts anderem dient er. ({16}) Ich komme zum Schluss. ({17}) - Das wird Zeit, weil der Kollege Kampeter es kaum erwarten kann, dranzukommen. - Der Minister hat leider gesagt, Komasparen sei völlig falsch. Ich sage dem Minister von hier aus - ich weiß, er hätte heute gerne geredet -: Es geht nicht um Komasparen, es geht um Rehasparen. Das sollten Sie machen, wenn Sie einen ehrgeizigen Weg bei der Konsolidierung der Haushalte einschlagen wollen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Steffen Kampeter für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Charmante Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Antrag der Liberalen vom 7. März 2007. In diesem Antrag werden zwei Dinge gefordert: erstens den Bundeshaushalt mit dem Ziel ausgeglichener Haushalte stärker zu konsolidieren und zweitens den Bundeszuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen anständig zu finanzieren. An sich, Herr Kollege Fricke, hätten Sie für die FDP heute hier erklären müssen, dass durch den Regierungsentwurf vom vergangenen Mittwoch beide zentralen Forderungen der FDP bereits erfüllt und umgesetzt worden sind ({0}) und von daher dieser Antrag gegenstandslos ist. Ich bedanke mich aber auch dafür, dass Sie es nicht getan haben; denn nach der Aktuellen Stunde, in der die Erfolge der Bundesregierung in der Energiepolitik dargelegt wurden, nutzen wir diese Möglichkeit gerne, die bisherigen gemeinsamen Erfolge der unionsgeführten und von der SPD getragenen Großen Koalition in der Haushaltspolitik darzulegen. Das ist ein willkommener Anlass. ({1}) Lassen Sie mich daher festhalten, dass wir im Jahr 2006 im ersten Haushalt, der ein Übergangshaushalt war, aufgrund von Erblasten und schwierigen Rahmenbedingungen mit einer Schuldenaufnahme in Höhe von 27,9 Milliarden Euro und einer vorläufigen Haushaltsführung gestartet sind. ({2}) Im Jahre 2007 hat der Haushalt schon die politische Akzentuierung der Großen Koalition aufgezeigt. Der laufende Haushalt ist ein solider Wachstums- und Konsolidierungshaushalt. Schon im Entwurf war mit 19,6 Milliarden Euro die niedrigste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung vorgesehen. Es ist heute, im Juli, bereits erkennbar, dass wir eine Nettokreditaufnahme in dieser Höhe nicht benötigen werden, dass wir also im laufenden Jahr besser abschneiden werden, als wir es noch im November gehofft hatten. ({3}) Anders gesagt: Die Politik der Union und der SPD, also der Großen Koalition insgesamt, ist so erfolgreich, dass die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr deutlich niedriger liegen wird als veranschlagt. ({4}) Der dritte Etat, den wir jetzt betrachten können, ist der, der am vergangenen Mittwoch vorgestellt worden ist, den wir sehr kritisch, aber zugleich konstruktiv begleiten. Ich meine den Etat für das Jahr 2008. Er weist nicht nur eine noch niedrigere Kreditaufnahme auf - es sind im Entwurf weniger als 13 Milliarden Euro vorgesehen -, sondern in der mittelfristigen Finanzplanung wird für das Jahr 2011 unter realistischen Rahmenbedingungen sogar ein ausgeglichener Haushalt vorgesehen, das heißt ein Haushalt ohne neue Schulden. Dies ist ein historischer Einschnitt. Wir hatten das in diesem Jahrtausend noch nicht und wahrscheinlich das letzte Mal im Jahre 1969. Sie sehen, auf der Habenseite der Großen Koalition steht nicht nur die Klimaschutzpolitik. Auf der Habenseite der Großen Koalition stehen auch eine erfolgreiche Strategie zur Konsolidierung der Haushalte und zur Verringerung neuer Schulden sowie die Perspektive zum Schuldenabbau mit Beginn des nächsten Jahrzehnts. ({5}) Nach 40 Jahren Nettokreditaufnahmepolitik unter den unterschiedlichsten Mehrheitsbedingungen und politischen Verhältnissen soll nun eine Wende eingeleitet werden. Dies werden wir durch kluge politische Entscheidungen absichern. Beim Einbringen des Antrags der FDP im Frühjahr dieses Jahres, die die Haushaltspolitik unter einem kritischen Diktum analysiert, konnte man nicht wissen, dass wir entgegen den bisherigen Planungen, in den nächsten Jahren etwa 80 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen, bis 2011 eine Schuldenaufnahme von insgesamt nur rund 29 Milliarden Euro haben werden - also ungefähr das, was wir allein im Jahre 2006 am Kapitalmarkt netto neu aufgenommen haben. Das sind 50 Milliarden Euro weniger als bisher geplant. Das sind allerdings noch 29 Milliarden Euro Schulden zu viel. ({6}) Wir müssen darauf hinwirken, dass wir diesen Schuldenrahmen durch politische Entscheidungen sowie durch eine kluge Wachstums- und Arbeitsmarktpolitik wie auch bisher nicht ausnutzen. ({7}) Das bedeutet eine erhebliche Verbesserung der entsprechenden Rahmenbedingungen. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass diese Konsolidierungsstrategie mit dem Setzen von politischen Schwerpunkten einhergeht, die deutlich machen, dass Sparen und Konsolidieren auf der einen Seite und Zukunftsgestaltung sowie Investitionen in dieselbe auf der anderen Seite keinen Widerspruch darstellen. Ich weise darauf hin, dass beispielsweise mit diesem Haushalt und dieser mittelfristigen Finanzplanung zentrale Investitionen im Bereich der Entwicklungshilfe vorgenommen werden. ({8}) Wir stehen zu den internationalen Verpflichtungen, die die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist. Wir investieren an dieser Stelle erheblich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. Wenn der Kollege Koppelin sich noch etwas geduldet und mich noch einige Erfolge aufzählen lässt, darf er anschließend gerne seine Zwischenfrage stellen. Wir investieren in den Abbau des Staus auf deutschen Straßen. Wir erweitern die Möglichkeiten für Investitionen in diesem Bereich um über 2 Milliarden Euro. Angesichts der steigenden internationalen Verpflichtungen unserer Bundeswehr ist es gut und richtig, dass wir unsere Investitionen in die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland noch einmal deutlich ausweiten und 2 Milliarden Euro ebenso dort wie auch in Bereiche der inneren Sicherheit investieren. ({0}) Das zeigt, dass sich unsere Konsolidierungsstrategie und kluge Investitionen nicht ausschließen. Der Kollege Koppelin kann dies jetzt gerne positiv kommentieren.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe nur eine Sachfrage, Herr Kollege Kampeter, nachdem Sie von den politischen Schwerpunkten gesprochen haben, die diese Koalition immer aufzeigt. Kann ich die Äußerungen des Finanzministers so verstehen, dass diese politischen Schwerpunkte durch die Frettchen vertreten werden, die an seinem Kleidersaum zerren?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Koppelin, gestern haben wir im Haushaltsauschuss eine biologische Diskussion über das Halten von Frettchen geführt. Dabei ist deutlich geworden, dass das Beißen von Frettchen an Hosenbeinen oder Körperteilen eines Menschen ein Angebot zum Spielen ist. Wir haben festgestellt, dass weder Regierung noch Opposition mit dem Finanzminister zu spielen gedenken. In diesem Sinne haben wir dann im Haushaltsausschuss insgesamt festgestellt, dass im Parlament offenkundig niemand mit diesem Frettchenvergleich gemeint sein kann. Für nähere Erläuterungen zur Biologie und zum Einfluss von Frettchen auf die Haushaltspolitik und die Strategie der Bundesregierung im Hinblick auf die Konsolidierung im nächsten Jahrzehnt bitte ich Sie, eine entsprechende Frage bei Gelegenheit direkt an den Bundesfinanzminister zu richten. Er wird dann sicherlich für Aufklärung sorgen und genauso überzeugend, wie er seine mittelfristige Finanzplanung im Haushaltsausschuss vorgestellt hat, wahrscheinlich auch seinen biologisch-finanzpolitischen Exkurs erläutern können. ({0}) - Es ist sicherlich möglich, dass der Kollege Diller hier im Rahmen einer Kurzintervention noch etwas zur Erläuterung der Frettchenfrage beiträgt. Die Frage der Finanzpolitik ist ja auch mit alkoholischen Dimensionen hinreichend beschrieben worden. Das ist aber nicht Thema dieser Debatte. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen Aspekt hinweisen. Ich habe in einer Zeitung von einer Schuldenuhr gelesen, die in Richtung null läuft. Wir von der Union vertreten die Auffassung, dass es gut und richtig ist, die sinkende Nettokreditaufnahmen optisch deutlich zu machen. Nach meiner Auffassung hat das Bild der Uhr allerdings eine Macke. Wenn sie auf null ist, läuft sie nämlich nicht weiter. Wir wollen aber - das ist der gemeinsam getragene Wille der Großen Koalition - nach Erreichen des Ziels ausgeglichener Haushalte in der nächsten Legislaturperiode perspektivisch Überschüsse zum Abbau der enorm hohen Verschuldung in der Bundesrepublik Deutschland als Investition in die Zukunft nachfolgender Generationen einsetzen. Wir dürfen nämlich den zukünftigen Generationen nicht so hohe Schulden und nicht eine so hohe Zinslast hinterlassen, dass sie keinen Handlungsspielraum mehr haben. Das wäre eine Verletzung der Generationengerechtigkeit. ({1}) Das nächste Ziel nach Erreichen eines ausgeglichenen Haushaltes ist im Geiste des europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes das Produzieren von Überschüssen. Allen, die da sagen, das gehe nicht, entgegne ich: Selbst das Land Berlin, das sich noch vor kurzem im Zusammenhang mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als arm, aber sexy präsentiert hat, ({2}) hat in diesen Tagen Überschüsse in seinem Landeshaushalt angekündigt. Der Bund sollte trotz einer ungleich schwierigeren Ausgangslage und gesetzlich gebundener Ausgabenpositionen den Berlinern hinsichtlich des Ehrgeizes nicht nachstehen. Wir müssen perspektivisch nicht nur an einen Abbau der Neuverschuldung, sondern auch an einen Abbau des Schuldenstandes in den nächsten Jahren denken. Die Große Koalition ist angesichts ihrer Größe befähigt, diese Aufgabe gut zu meistern. ({3}) Der Antrag, über den wir heute debattieren, hat den Titel „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bundeshaushaltes“. Es handelt sich um einen veralteten FDP-Antrag. Denn mangelnden Ehrgeiz kann man uns offensichtlich, wie hinreichend belegt, nicht mehr vorwerfen. Gleichwohl will ich auf einen Punkt im Haushaltsentwurf hinweisen. Mit der Langzeitarbeitslosigkeit gibt es einen besonderen Risikobereich. Im Bereich der Kurzzeitarbeitslosigkeit gibt es zwar eine erfreuliche Entwicklung. Aber es muss noch eine ganze Menge getan werden, um die verabredeten Einsparungen beim Arbeitslosengeld II zu realisieren. Wir werden in diesem Jahr beim ALG II voraussichtlich etwa 23,5 Milliarden Euro ausgeben. Im neuen Regierungsentwurf haben Herr Müntefering und Herr Steinbrück dem Parlament den Vorschlag gemacht, nur noch 21 Milliarden Euro für diesen Bereich auszugeben. Ich verstehe dies als einen Arbeitsauftrag des Kabinetts an die Arbeitsmarktpolitik, durch entsprechende Maßnahmen diese Lücke von 2,5 Milliarden Euro gegenüber dem Istzustand entsprechend zu schließen. Die Erfahrungen des letzten Jahres haben gezeigt, dass auch die sehr gute Konjunktur und die bisherigen Gesetzesänderungen im SGB II nicht zu den erhofften Einsparungen geführt haben. Auch die seit diesem Jahr in Kraft getretene Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose hat nicht ausreichend dazu beigetragen, den Ansätzen des Finanzplanes näher zu kommen. Dies bedeutet, dass wir in der Zukunft weitere politische Schritte zur Umsetzung dessen, was Herr Müntefering und Herr Steinbrück dem Parlament vorschlagen, unternehmen müssen. Der Arbeitsminister, das gesamte Kabinett und das Parlament tragen hierfür die Verantwortung. Ich rechne damit, dass wir uns noch im Herbst mit diesen Dingen beschäftigen werden. Abschließend will ich noch einen Sachverhalt aufgreifen, den der Kollege Fricke angesprochen hat. Es geht um die Finanzierung der Betreuung von unter Dreijährigen. Es ist zwar klar, dass es sich nicht um eine originäre Bundeskompetenz handelt, die zur Folge hat, dass der Bund in diesem Bereich tätig wird. Aber diese Aufgabe ist so groß, dass ich es in der schwierigen finanzpolitischen Situation für ein gutes Angebot des Bundesfinanzministers und der Bundesfamilienministerin halte, den Einstieg in ein flächendeckendes, bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot in einer Größenordnung von bis zu 4 Milliarden Euro zu unterstützen. ({4}) Dass wir ab dem Jahr 2013 zu einer Lösung kommen müssen, die die dauerhafte Finanzierung dieses Einstieges garantiert, ({5}) ist eine Selbstverständlichkeit. Das sichert dauerhaft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Schließlich müssen wir auch über die Ausgestaltung eines sogenannten Betreuungsgeldes ab dem Jahr 2013 nachdenken und entsprechende finanzielle Rahmenbedingungen setzen, um den Familien, die sich gegen eine Betreuungseinrichtung entscheiden und ihre Kinder zu Hause erziehen wollen, ein klares Signal zu geben. Das ist ein differenziertes Angebot, das die Lebenssituation junger Familien berücksichtigt. Ich finde die Art und Weise unangemessen, wie der Kollege Fricke dieses Angebot und die Diskussion darüber zwischen Bund und Ländern schlechtgeredet hat. ({6}) Auch dies gehört eindeutig zur Habenseite der Großen Koalition. Die Opposition kann das durch Mäkelei nicht kleinreden. Die drei Themen - Haushaltspolitik, Klimaschutzpolitik und Familienpolitik - stehen auf der Habenseite der Großen Koalition. Das ist erwähnenswert und ein gutes Signal für Deutschland. Herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich auf den FDP-Antrag zu sprechen komme, kurz ein Wort zu meinem Vorredner. Herr Kampeter, dass aus Ihrem Munde einmal ein Lob für das Land Berlin zu hören ist, ({0}) hat mich fast gerührt. Ich hoffe nicht, dass das als Todeskuss gemeint war. Sollte es so gemeint gewesen sein: Das wird nicht funktionieren. ({1}) Der Antrag der FDP ist FDP pur. Schuldenabbau, koste es, was es wolle, auch wenn die soziale Infrastruktur den Bach runtergeht - das ist das Motto der FDP. Die FDP entwickelt wenig Ehrgeiz, die Arbeitslosigkeit abzubauen, die Armut zu bekämpfen oder die Wissenschaft in unserem Land zu stärken. Das ist rückwärtsgewandt, unsozial und ökonomisch unsinnig. ({2}) Im vorliegenden Antrag wird der Bundesregierung mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bundeshaushaltes vorgeworfen. Wir von den Linken werfen der Bundesregierung vor, dass sie zu wenig Ehrgeiz entwickelt, um die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft zu überwinden. ({3}) Die Bundesregierung verschärft mit ihrer Haushaltspolitik sogar die gespaltene Konjunktur und treibt die Gesellschaft weiter auseinander. Die Konjunktur läuft nur für DAX-Konzerne und deren Vorstände rund; aber sie kommt nicht bei den Telekom-Mitarbeitern und Bahnbeschäftigten, den Familien, Alleinerziehenden, Rentnern, Auszubildenden und Arbeitslosengeldempfängern an. Das ist ungerecht. Dagegen setzen wir uns zur Wehr. ({4}) Stellen Sie sich vor: Das Arbeitslosengeld II ist jetzt erhöht worden, und zwar um ganze 2 Euro pro Monat. Auf einen Tag umgerechnet sind das etwas weniger als 7 Cent. Insgesamt kostet diese Erhöhung des Arbeitslosengeldes II - um die Zahlen einmal ins Verhältnis zu setzen - rund 150 Millionen Euro. Das hört sich zwar viel an, ist aber noch immer weniger als die Kosten für den geplanten Prestigebau des Bundesinnenministers. Dieser soll laut Planung 175 Millionen Euro kosten und wird mit Sicherheit - das wissen wir aus Erfahrung teurer. Das ist eine Schieflage. ({5}) Selbst diese hohe Summe ist immer noch weniger als das, was die Bundesregierung für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausgibt. Diese kosten uns mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr und sind schlecht angelegtes Geld. ({6}) Die Bundesregierung setzt ihre Prioritäten ganz eindeutig, wenn es um die Geldverteilung geht: Erst komDr. Gesine Lötzsch men die Lobbyisten, dann der brave Steuerbürger. Die Steuermehreinnahmen sind kein Ergebnis kluger Politik, sondern erstens Ergebnis der anziehenden Konjunktur und zweitens Ergebnis des dreisten Griffs der Bundesregierung in die Taschen der Bürgerinnen und Bürger. Die Bundesregierung hat doch alles unternommen, um das Anziehen der Konjunktur zu verhindern. Die Mehrwertsteuererhöhung - diese will ich hier herausstellen - ist nicht nur unsozial, weil sie insbesondere diejenigen Menschen trifft, die durch die gespaltene Konjunktur sowieso benachteiligt sind, sondern bremst auch die Konjunktur, wie wir an der zurückhaltenden Binnennachfrage erkennen können. Mein Kollege Dr. Gysi hat das in der Debatte heute Morgen anhand von Zahlen schon belegt. ({7}) Denjenigen, die von der Konjunktur reichlich profitieren, hat der Finanzminister mit der Unternehmensteuerreform das Geld hinterhergeschmissen. Dass die Konjunktur so gut läuft, obwohl die Bundesregierung alles getan hat, um sie hinauszuzögern und zu drosseln, grenzt schon an ein kleines Wunder. ({8}) Jetzt zeigt sich auch, wie unsinnig die verbissene Haushaltskonsolidierungspolitik der Bundesregierung in Zeiten der wirtschaftlichen Krise war. Der Sparkurs der Bundesregierung hat die Krise und das soziale Ungleichgewicht weiter verschärft. Richtig ist der Ansatz, den wir von der Linken vertreten: In Zeiten der wirtschaftlichen Krise darf sich der Staat eben nicht zurückziehen, sondern muss in die soziale, ökologische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Infrastruktur investieren. ({9}) Da in den letzten Jahren der Fehler gemacht wurde, zu wenig in diese Infrastruktur zu investieren, hat sich in unserem Land ein Investitionsstau aufgebaut, der nun aufgelöst werden muss. Ich denke nur an die fehlenden Kindergärten in den westlichen Bundesländern. Es ist ja wirklich ein Trauerspiel, dass fast 60 Jahre nötig waren, um zu erkennen, dass es in diesem Land einen Mangel an Kindergärten gibt und dass das ein Problem ist. Augenscheinlich haben das alle Fraktionen bis auf die FDP, die heute diesen Antrag zum Thema Konsolidierung zur Debatte stellt, verstanden. Ich will auf einen Trugschluss aufmerksam machen. Einige Kollegen hier im Haus meinen, dass sich der Staat jetzt bei den Investitionen zurückhalten könne, da jetzt die Wirtschaft investiere. Angesichts unserer Erfahrungen ist das aber ein riesiger Denkfehler. Die Wirtschaft investiert eben nicht freiwillig in die soziale Infrastruktur; aber wir brauchen gerade diese Investitionen, wenn wir der Enkelgeneration eine Chance geben wollen. Es ist doch blanker Populismus, wenn von den neoliberalen Parteien immer wieder beklagt wird, dass wir unseren Enkeln nur Schulden überlassen. ({10}) Was haben denn unsere Enkel davon, verehrte Kollegen Fricke und Kampeter - nach heftigen Auseinandersetzungen wieder verbündet -, wenn sie zwar keine Schulden, aber gleichzeitig keine Kindergärten, keine Regionalzüge und schlecht ausgestattete Universitäten haben? Ist das ein gutes Erbe? ({11}) Die Bundesregierung muss mehr Ehrgeiz entwickeln, um die Zukunft unserer Kinder und Enkel langfristig zu sichern. ({12}) Ich will kurz andeuten, was wir in den Mittelpunkt der Haushaltsberatungen stellen, welche Anträge wir stellen werden. ({13}) Wir fordern, den öffentlichen Beschäftigungssektor zu fördern - darauf ist Herr Dr. Gysi heute Morgen schon eingegangen -, das Arbeitslosengeld II auf mindestens 420 Euro im Monat zu erhöhen, die Investitionen für die soziale und ökologische Infrastruktur zu erhöhen, die Extragewinne der Energiekonzerne zu besteuern, alternative Energien stärker zu fördern und auf Mehrausgaben für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu verzichten. ({14}) Haushaltskonsolidierung ist kein Selbstzweck. Der Staat muss in der Lage sein, seine Aufgaben zu erfüllen. Immer noch gilt der Satz: Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten. ({15}) Die Linke ist keine Lobbyorganisation für Reiche. Wir treten vielmehr für Gerechtigkeit und Solidarität ein. Wir haben gemerkt, dass viele Menschen in diesem Land das sehr gut finden. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich ganz herzlich bei der FDP dafür, dass sie diesen Antrag im Frühjahr gestellt hat. Er ist, wie Kollege Kampeter schon ausgeführt hat, die Bestätigung des Kabinettsentwurfs für den Haushalt 2008 mit einer Finanzplanung bis 2011 und bietet die Möglichkeit, Carsten Schneider ({0}) heute im Parlament noch einmal darüber zu debattieren und zu sagen: Dieser Antrag ist wirklich sinnlos und ist nicht zu begründen. ({1}) All das, was Sie fordern, basiert nicht auf der Realität. Die wirtschaftliche Lage ist sehr gut. Frau Kollegin Lötzsch, Sie telefonieren zwar gerade, ich möchte Ihnen aber trotzdem sagen, dass ich Ihre Argumentation ein wenig krude fand. Wenn Sie sagen, dass die Entwicklung sehr gut ist und alle ein Verdienst daran haben, nur die Politik nicht, dann ist das stark um die Ecke gedacht. Ich bin zwar der Auffassung, dass man sich nicht zu sehr beweihräuchern sollte, aber dennoch resultiert doch ein Gutteil der wirtschaftlichen Dynamik, die wir verzeichnen können, die auch mittelfristig vorhanden sein wird, wenn man den Konjunkturforschern glauben kann, aus der Politik. Machen Sie uns nicht kleiner, als wir sind. Wir haben Möglichkeiten, und wir haben diese Möglichkeiten genutzt, um zu gestalten. ({2}) Die Ursachen sind vielschichtig: der Reformkurs der vergangenen Jahre - vor allem die Agenda 2010 - und die Verstetigung dieser Politik; Impulse, die die Große Koalition 2005 mit ihrem Programm gegeben hat; die starke Nachfrage - das ist eigentlich Keynes pur -; eine starke Fokussierung auf wirtschaftlich dynamische Bereiche, zum Beispiel Forschung und Entwicklung - wir haben hier intensiv über die Hightechstrategie und die Investitionen in erneuerbare Energien diskutiert. All das hat dazu geführt, dass die Wachstumsrate bei über 2,9 Prozent liegt. Darauf kann man doch stolz sein. Sie haben einen Punkt, der für mich zentral ist, infrage gestellt. Ich weiß nicht, ob es wirklich die Position der PDS ist, dass Schulden gut sind. ({3}) - Sie haben eben gesagt, dass Schulden gut sind. Sie müssten das vielleicht noch einmal erklären; aber im Kern habe ich das so herausgehört. Ich kann Ihnen nur sagen: 2011 wollen wir einen ausgeglichenen Bundeshaushalt haben. Wir wollen mit den Einnahmen, die wir haben, die Ausgaben finanzieren und damit auskommen. Das betrifft nicht die Diskussion, dass die FDP ganz wenig Staat will und die Linke ganz viel. Das ist vielmehr eine Frage der Qualität. Das muss passen. ({4}) Im Konjunkturzyklus muss es einen Ausgleich geben. Seit 1969 - Herr Kampeter hat darauf hingewiesen sind wir in der Situation, dass es immer wieder Verschuldungen gibt. Heute haben wir 3 Milliarden Euro Mehrausgaben für Zinsen aufgrund der Steigerung der Zinsen durch die EZB. ({5}) 2008 sind es 3 Milliarden Euro mehr als 2007. Wir haben 43 Milliarden Euro Zinsausgaben. Das heißt, wenn wir 2011 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen, zahlen wir das immer noch ab. ({6}) Ich teile die Einschätzung, dass wir dann einen Überschuss brauchen, um diese Zahlungen zu reduzieren und mehr Spielräume zu gewinnen. Man muss dann aber auch dafür sorgen, dass es Einnahmen gibt. Sie haben die Gerechtigkeitsfrage aufgeworfen, wer von der Konjunktur profitiert. Wenn ich mir die Abschlüsse der vergangenen Lohnrunden ansehe, dann muss ich sagen, dass sie sehr ordentlich sind. Wir können das als Politiker nicht steuern. Ich finde es gut, dass wir die Tarifautonomie haben; sie scheint ja an diesem Punkt zu funktionieren. ({7}) Ich bitte Sie also, sich das an der Stelle noch einmal genauer anzusehen. Es würde mich freuen, wenn wir uns hinsichtlich der Verschuldung einig werden. Wenn man das Interesse hat, Politik zu gestalten, wenn man den Auftrag zur politischen Gestaltung hat und dieses Land verändern und bestimmen will, dann braucht man dafür natürlich auch öffentliche Mittel. ({8}) Die hat man nur, wenn man auch Einnahmen hat. Das muss ausgeglichen sein. Herr Fricke, Sie haben gesagt, dieser Haushalt sei ganz furchtbar, es gehe zu langsam. ({9}) Gut, ich wünsche mir auch, dass es uns bei den Beratungen gelingt - das wird unser Auftrag sein -, das Ganze noch zu beschleunigen. Ich sehe mich da auf einer Linie mit dem Bundesfinanzminister. Alles, was uns ermöglicht, zügiger zu dem Ziel der Reduzierung der Schulden zu kommen, hilft. Kollege Kampeter hat darauf hingewiesen: In der alten Finanzplanung waren sogar noch 92 Milliarden Euro Schulden bis 2010 vorgesehen. Jetzt sind bis 2011 nur noch 29 Milliarden Euro Schulden vorgesehen. Das erspart uns allein 3 Milliarden Euro Zinsausgaben pro Jahr. Das sind 3 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr mehr zur Verfügung haben, die uns mehr Spielraum geben und die wir auch nicht durch Einnahmeerhöhungen finanzieren müssen. ({10}) Das zeigt: Dieser Haushalt ist zukunftsgewandt. Die Koalition hat dies zu einer politischen Priorität gemacht. Ich sehe mich - ich glaube, dass das auch in der Bevölkerung akzeptiert wird - durch die Meinungsumfragen unterstützt, die man zu diesem Punkt durchaus zurate ziehen kann. Wir werden 2008 eine KreditfinanzieCarsten Schneider ({11}) rungsquote, das heißt die Aufnahme neuer Schulden bezogen auf die Gesamtausgaben, von nur noch 4,6 Prozent haben. Das ist der niedrigste Wert seit 1973. Wir sollten nicht nur die Zinsausgaben in Höhe von 43 Milliarden Euro hinzurechnen - die hatte ich Ihnen genannt -, die wir heute finanzieren müssen und die man früher nicht hatte, sondern man sollte auch die deutsche Einheit beachten, die viele immer wieder vergessen. Wir alle stehen dazu, dass wir diese Ausgaben haben. Sie sind eine besondere Belastung für diese Volkswirtschaft. Wir kriegen das gewuppt. Von daher ist das eine sehr große Leistung, auf die man stolz sein kann. ({12}) Kollege Fricke hat behauptet - ich habe gehört, auch Herr Göhner hätte das heute Morgen gesagt; ({13}) das weiß ich nicht, er wird sich sicher eines Besseren belehren lassen -, wir würden Beitragsmittel der BA verwenden, um den Bundeshaushalt zu sanieren. ({14}) Seit Jahren hatten wir bei der Bundesagentur für Arbeit Defizite, die wir mit Steuergeldern ausgeglichen haben. Wenn wir eine Plus-Minus-Rechnung machen würden, hätten wir dort ein Guthaben, das man zurückzahlen müsste. Das haben wir aber nicht gemacht. Jetzt sind wir in der Situation, dass wir bis 2011 30 Milliarden Euro Steuermittel in die BA zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages geben und dass wir die Verantwortung der Arbeitslosenversicherung - das war die Verabredung bei den Hart-IV-Gesetzen - für die Langzeitarbeitslosigkeit in Rechnung stellen und 20 Milliarden Euro Beitrag zur Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit durch den Eingliederungsbeitrag bezahlt werden. Das heißt, in Summe bleibt der BA ein Überschuss von über 10 Milliarden Euro Steuermitteln. ({15}) Wie das Beitragsmittel sein können, ist mir nicht erklärbar. ({16}) - Herr Kollege Koppelin, Sie haben die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen, um zu erklären, wie Ihre Position zustande kommt. ({17}) Sie ist jedenfalls in diesem Punkt nicht verständlich. ({18}) Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: den angeblichen Aufwuchs der Ausgaben. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn man den um die Steigerungen bei den Postpensionsunterstützungskassen bereinigt ({19}) - für 2008 betragen sie 5 Milliarden Euro -, ({20}) liegt die Steigerungsrate bei 1,2 Prozent. ({21}) Das ist unterhalb der Inflationsrate. ({22}) Das heißt, de facto ist festzustellen, dass die öffentlichen Ausgaben real gesenkt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Carsten Schneider, darf ich Sie fragen: Wer ist eigentlich die BA? Sind das die Beitragszahler, oder ist das irgendein anonymes Gebäude in Nürnberg?

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Bundesagentur für Arbeit ist eine öffentliche Einrichtung, die durch Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgeber finanziert wird, ({0}) die zur Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit gezahlt werden; in diesem Fall erhalten sie eine Versicherungsleistung. Darüber hinaus wird die BA durch einen Steuerzuschuss in Höhe von 7 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt finanziert. ({1}) - Natürlich sind das die gleichen Leute. Wir alle sind dieses Land; das ist doch logisch. Da fehlen mir ein wenig die Worte, Herr Koppelin. Ich finde, das ist ziemlich offensichtlich. Wenn wir wollen, dass es in wichtigen Bereichen wie der öffentlichen Daseinsvorsorge, der Forschung, dem sozialem Ausgleich und der Herstellung von Chancengerechtigkeit öffentliche Ausgaben gibt, dann muss man Steuern erheben. Carsten Schneider ({2}) ({3}) Die Steuerquote liegt in Deutschland im internationalen Vergleich mit knapp 22 Prozent im unteren Bereich. Sie hat also eine unterdurchschnittliche Höhe. ({4}) Wenn man die Steuer- und Abgabenquote zusammenrechnet, befindet sich Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Unsere Staatsquote führen wir insgesamt sogar zurück. Den Höhepunkt haben wir im Jahre 1997 erreicht. Nun nähern wir uns in der Finanzplanung wieder einer Staatsquote von 44 bis 45 Prozent. ({5}) Ich finde, das sind große Erfolge der Koalition. Auf diesem guten Weg können wir in die Beratungen gehen. Lassen Sie mich die Situation, in der sich Deutschland befindet, international einordnen: Deutschland ist die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Es wurde viel über den blauen Brief diskutiert, den Deutschland von der EU-Kommission erhalten hat. Dass das Verfahren allerdings von der Kommission eingestellt worden ist, das ist ein bisschen untergegangen. Es gibt kein Verfahren mehr, da Deutschland den veränderten Maastrichtpakt, der ökonomisch vernünftiger ist, eingehalten hat. Im Jahre 2006 hatten wir eine Defizitquote von nur noch 1,7 Prozent. Im Jahre 2007 werden es 0,6 Prozent sein und 2008 nur noch 0,3 Prozent. Im Jahre 2009 werden wir gesamtstaatlich einen Ausgleich zu verzeichnen haben. Ich finde, das alles kann sich sehen lassen. Die gute Politik der Bundesregierung und insbesondere des Bundesfinanzministers hat dazu geführt, dass die Menschen wieder Vertrauen in dieses Land, in sich selbst, aber auch in die öffentlichen Finanzen gewonnen haben. Das ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Damit, Frau Kollegin Lötzsch, hat die Politik sehr viel zu tun. Auf die SPD, aber auch auf die Union können sich die Leute in unserem Land verlassen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Ja, damit rechne ich sogar fast. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist unbestritten gut, dass die wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dazu beitragen, dass die öffentlichen Finanzen eine Entspannung erfahren. ({0}) - Da klatscht sogar die CDU/CSU. - Nicht gut ist allerdings, dass die Große Koalition die Chance - ich würde sogar sagen: die historische Chance - vertut, ({1}) den Bundeshaushalt bis 2009, also noch in dieser Legislaturperiode, auszugleichen. Sie sind sicherlich genauso realistisch wie ich und wissen daher: Man kann sich nicht ganz sicher sein, dass der Aufschwung bis 2011 anhält. ({2}) Unser Maßstab sollte aber sein, dass wir den Haushaltsausgleich bis 2009 realistisch schaffen können, dass das eine historische Chance ist und dass unsere europäischen Nachbarländer in diesen Boomzeiten schon mit Überschüssen wirtschaften. ({3}) Unser Maßstab darf nicht die Angst der Großen Koalition oder von Herrn Steinbrück sein, dass irgendwann einmal ein Ziel, das man sich gesetzt hat, nicht erreicht werden könnte. Genau das, Herr Schneider, machen wir Ihnen zum Vorwurf. Aber ich weiß ja, dass sich Ihre öffentlichen Äußerungen und auch die von Herrn Kampeter mit unseren Forderungen - Haushaltsausgleich bis 2009 - im Wesentlichen decken und diese stützen. ({4}) Ich möchte noch etwas dazu sagen, wo mir der Haushalt, der gestern vorgelegt wurde, gefällt: Ich finde es in Ordnung, dass Sie mit dem Schwerpunkt der Forschungspolitik und mit der Finanzierung der in der Entwicklungszusammenarbeit gegebenen Zusagen - eine ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP bis 2015 - einen globalen, internationalen Ansatz verfolgen. Das finden wir Grünen richtig; ich sage das ausdrücklich. Ich begrüße auch, dass die CDU/CSU verstanden hat - auch wenn sie lange gebraucht hat, um aus ihrer ideologischen Verstellung herauszukommen -, dass eine bessere Kinderbetreuungsinfrastruktur wichtig ist: für das Land, für die Frauen, für die Familien - und für unsere Wirtschaft. Das ist gut. ({5}) Aber hier sieht man eine typische Schwäche der Großen Koalition. Wir Grünen haben vorgerechnet, dass man die Kinderbetreuung finanzieren kann, indem man überflüssige Subventionstatbestände beim Ehegattensplitting abAnja Hajduk schafft. Dann hat man auch eine Lösung für das Länderproblem, die Einrichtungen zu finanzieren. Wir haben gezeigt, wie man durch Umfinanzierung ab sofort die Kinderbetreuung gewährleisten kann, und zwar in einer viel besseren Qualität, als für nächstes Jahr geplant - Sie müssen um Sondervermögen feilschen, müssen auf konjunkturelle Steuermehreinnahmen in diesem Jahr setzen. Das ist eine typische Schlechterlösung der Großen Koalition: Sie können nicht umfinanzieren, Sie können leider nur obendrauf packen. ({6}) Ich komme jetzt im engeren Sinne zur Haushaltspolitik der Großen Koalition. Die Zahlen von Herrn Steinbrück sehen so aus: Die Ausgaben steigen zum nächsten Jahr um 4,7 Prozent. Früher hatten wir Ausgabensteigerungen um 1 Prozent. Man gönnt sich also etwas! ({7}) Ich finde, das ist fahrlässig, wenn man die historische Chance hat, den Haushalt auszugleichen. Man kann es auch anders bebildern: Sie steigern die Ausgaben um 12,7 Milliarden Euro. Das ist ungefähr die Nettokreditaufnahme, die für nächstes Jahr vorgesehen ist. Da kann doch jeder, ohne dass er im Haushaltsausschuss sitzt, schnell erkennen: Im Prinzip könnten wir nächstes oder übernächstes Jahr ohne neue Schulden auskommen. ({8}) Das ist doch ein Ziel, das einfach zu erreichen wäre: mit Disziplin. Das wäre eine Aufgabe, die Sie sich stellen sollten! ({9}) Ich bin Realistin genug, zu sagen: Die günstige wirtschaftliche Entwicklung gibt Ihnen eine bessere Basis, als wir sie unter Rot-Grün hatten, keine Frage. Aber ehrgeizig sind Sie an dieser Stelle nicht. Auch mit Blick auf die Nachbarländer kann ich sagen: Sie vertun hier eine Chance.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne noch einen Gedanken zu Ende führen; dann gerne, Herr Kollege Kampeter. Für 2007 ist geplant, 19,5 Milliarden Euro neue Schulden aufzunehmen. Es gibt, glaube ich, niemanden hier im Haus, der bestreiten wollte, dass es möglich wäre, mit den Steuermehreinnahmen von über 11 Milliarden Euro die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr 2007 auf ungefähr 10 Milliarden Euro zu senken. ({0}) Wenn man jetzt einen Abbaupfad bei der Konsolidierung beschreiben will, kann man doch nicht allen ernstes sagen: Wir wissen schon jetzt, im Sommer, wir brauchen dieses Jahr 10 Milliarden Euro neue Schulden, aber 2008, wo die Wirtschaft genauso gut weiterlaufen soll - so Ihre Annahme -, brauchen wir wieder ein bisschen mehr Schulden. Das passt nicht zusammen, und das zeigt, dass Sie - an dieser Stelle ist der Titel richtig mangelnden Ehrgeiz bei der Konsolidierung haben. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Kampeter, Sie haben das Wort.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hajduk, vor etwa einer Minute haben Sie in Ihrer Rede ausgeführt, dass wir im nächsten Jahr entsprechend dem Regierungsentwurf in Absolutbeträgen ungefähr 12 Milliarden Euro mehr ausgeben wollen. Ist es nicht zutreffend, dass diese Steigerung um 12 Milliarden Euro, wenn man von den etwa 3 Milliarden Euro Zinsen absieht, vor allen Dingen auf einen Ausgabeposten zurückgeht, nämlich auf die 6 Milliarden Euro für die Postpensionskassen? ({0}) - Die sind dauerhaft, Herr Kollege Brinkmann. - Diese 6 Milliarden Euro Mehrausgaben sind also die Konsequenz von politischen Entscheidungen, die unter Ihrer Beteiligung getroffen worden sind und deren Folgen wir als Große Koalition jetzt nachzuvollziehen haben. Muss man deswegen nicht sagen, dass Ihre Kritik an den Mehrausgaben halbherzig ist? Ich lasse es Ihnen nicht durchgehen, sich hier hopplahopp aus der Verantwortung zu stehlen. Ich bitte Sie deshalb in Form dieser Frage, das noch einmal aufzugreifen. ({1})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kampeter, ich leugne überhaupt nicht, dass es manchmal Ausgabenbereiche gibt, die schwerer zu steuern sind oder die man erbt. Aber ist das, was Sie sagen, nicht ein bisschen kleinlich? ({0}) In den beiden Jahren 2006 und 2007 steigen unter der Großen Koalition die Ausgaben im Haushalt zusammengenommen um fast 18 Milliarden Euro. Durch Steuererhöhungen und guten Subventionsabbau - der endlich einmal geklappt hat - haben Sie in zwei Jahren 37 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Ist es dann bei einem Haushalt von insgesamt 270 Milliarden Euro nicht ein bisschen kleinlich, zu sagen, dass Sie diese 6 Milliarden Euro nicht anders aussteuern oder kompensieren können? ({1}) Ich erhalte meine Kritik aufrecht. Wenn Sie diesen kleinen Bereich herausgreifen, gebe ich zu, dass es da auch ein kleines bisschen Erblast gibt. Aber Sie haben durch die gute konjunkturelle Entwicklung Steuerungsmöglichkeiten im zweistelligen Milliardenbereich. Diese vergeben Sie einfach. Deshalb komme ich zu derselben Konsequenz: Sie sind nicht ehrgeizig und in einem sehr wichtigen Bereich nicht verlässlich. ({2}) Ich komme jetzt zu zwei weiteren Punkten, die ich noch anmerken möchte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, dass wir dies jetzt genug diskutiert haben, Herr Kampeter. Wir setzen das dann im September fort. Sie kommen auf die Postunterstützungskassen bestimmt noch dreimal zurück. ({0}) Ich komme jetzt zum Arbeitsmarkt. Kollege Schneider hat gesagt, dass noch über 10 Milliarden Euro an Überschüssen bei der Bundesagentur für Arbeit bleiben werden. Ich kann Ihnen nur zurufen: Hätten Sie sich doch in diesem Punkt ruhig einmal gegen die CDU durchgesetzt! Es ist klar, dass die Bundesagentur für Arbeit das Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung definitiv nicht braucht. Sie schonen damit Angela Merkel, die die 6 Milliarden Euro weiter in die Bundesagentur für Arbeit hineinpumpt, und ziehen jetzt auf anderer Ebene 5 Milliarden Euro wieder ab. Daran kann man sehen, dass es zur Senkung der Lohnnebenkosten struktureller Arbeitsmarktreformen bedurfte, die wir mit der rot-grünen Koalition unter ziemlich starken Belastungen durchgeführt haben. Das Mehrwertsteuergeld in der Bundesagentur ist überflüssig. Wenn man für Haushaltsklarheit, Haushaltswahrheit und Transparenz ist, würde man das auch zugeben und diesbezüglich nicht so kleinmütig sein. ({1}) Ganz zum Schluss möchte ich Folgendes sagen, womit ich sicherlich nicht allein stehe: ({2}) Wenn Sie in den letzten Tagen die Kommentierungen der Haushaltspolitik und des Haushaltsentwurfes für 2008 aufmerksam gelesen haben, dann haben Sie zur Kenntnis genommen, dass es besser wird, als wir gedacht haben. Aber Sie haben in den Kommentaren auch lesen können, dass es keinen Grund zur Überheblichkeit bei der Großen Koalition gibt. Manche - wie heute die „Financial Times“ - sagen, der Bundesfinanzminister profitiere von der Gnade der späten Ernennung; dazu will ich gar nichts weiter sagen. Aber Überheblichkeit ist nicht am Platz. Es müsste vielmehr eine schlichte finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitische Wahrheit stärker berücksichtigt werden: In guten konjunkturellen Zeiten muss man sanieren, und zwar so, dass man für die Zukunft und für den Fall vorsorgt, dass die Konjunktur wieder kippt. ({3}) Das leisten Sie viel zu wenig. Deswegen bin ich froh, dass wir vom Bündnis 90/Die Grünen Ihnen in dieser Woche einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes und der Bundeshaushaltsordnung zuleiten. Damit soll eine Schuldenbremse eingeführt werden, die sicherstellt, dass in konjunkturell guten Zeiten Überschüsse erwirtschaftet werden und in konjunkturell schlechten Zeiten Defizite zulässig sind. Ihre Haushaltspolitik hält einer solchen Schuldenbremse nicht stand. Ich sehe aber mit Sympathie, dass auch der Finanzminister weiß, dass er eigentlich eine solche Schuldenbremse bräuchte. Ich hoffe, dass wir in der Föderalismuskommission II und bei den Haushaltsberatungen in diesem Herbst in diesem Punkt weiterkommen. ({4}) Wir Grüne haben dazu eine Initiative vorgelegt. Ich bin gespannt, wie Sie die bewerten und ob Sie da mitziehen. Schönen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Georg Fahrenschon das Wort. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Dinge sind am Ende der Debatte klar: Erstens. Vor dem Hintergrund des gestern im Kabinett verabschiedeten Haushaltsplans für das kommende Jahr ist der Antrag der FDP nicht mehr der aktuellste. Er ist durch die erfolgreiche Arbeit des Bundeskabinetts quasi überholt. Zweitens. Wir sind Ihnen trotzdem dankbar, weil Sie uns - passend zur letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause - die Gelegenheit geben, noch einmal die drei wesentlichen und guten Meldungen bzw. Nachrichten deutlich herauszuarbeiten: Erstens. Das Defizitverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland ist endgültig eingestellt worden. Die Europäische Union bestätigt damit den finanzpolitischen Kurs der Großen Koalition. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass wir die notwendige Reduzierung bzw. Rückführung des Defizits ein Jahr vor der uns gesetzten Frist erreicht haben. Und das ist gut so. ({0}) Zweitens. Wir arbeiten mit voller Kraft daran, die Nettokreditaufnahmen zu reduzieren. Im Jahr 2006 haben wir sie im Vergleich zum Plan schon um 10 Milliarden Euro zurückgeführt, und wir werden weiter fortschreiten. Der Ausblick auf das kommende Jahr mit knapp 13 Milliarden Euro und auf die darauf fortfolgenden Jahre ist entsprechend positiv. Liebe Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen selber, dass wir an dieser Stelle der mittelfristigen Finanzplanung noch auf die kommende Steuerschätzung warten müssen, um den Daten für die kommenden Jahre eine entsprechende Grundierung zu geben. Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt mit Wunschzahlen zu operieren. Es macht viel mehr Sinn, die Steuerschätzung abzuwarten und dann entsprechend zu korrigieren. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Fahrenschon, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk?

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne. ({0}) - An dieser Stelle.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass Ihr Finanzminister, Herr Steinbrück, nicht so sehr auf die Zahlen der Steuerschätzung angewiesen ist, sondern dass er gerne noch eigene Schätzungen vornimmt und diese Zahlen dann in seine Finanzplanung und den Haushalt einbaut? Das steht in einem gewissen Widerspruch zu der Äußerung, die Sie gerade gemacht haben.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber liebe Frau Kollegin, Ihnen ist doch auch bekannt, dass wir nach dem Beschluss des Kabinetts gleich in der ersten Woche nach der Sommerpause hier im Parlament mit den Arbeiten am Haushaltsplan starten werden und dass wir als Parlament in guter Tradition - bei uns liegt nämlich das Budgetrecht gegenüber der Regierung - die Steuerschätzung abwarten und dann entsprechend korrigieren werden. ({0}) Die dritte gute Nachricht lautet, dass infolge der Konsolidierungsmaßnahmen der Großen Koalition und damit infolge richtiger Politik, mit der die Weichen gleichzeitig auf Wachstum und Beschäftigung sowie auf Konsolidierung gestellt wurden, das gesamtstaatliche Defizit mittlerweile auf nur noch ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken ist. Binnen zwei Jahren haben wir das strukturelle Defizit Deutschlands von über 3 Prozent auf nur noch ein halbes Prozent absenken können. Das heißt nicht, dass wir hier aufhören, aber das heißt, dass die richtige Politik zu guten Ergebnissen geführt hat. ({1}) Angesichts eines Schuldenbergs in Höhe von nach wie vor unvorstellbaren 1 500 Milliarden Euro müssen wir aber weiterarbeiten. Wir können nicht stehen bleiben. Aufgrund der guten konjunkturellen Lage dürfen wir nicht bis 2011 mit einem ausgeglichenen Haushalt warten, sondern wir wollen ihn so schnell, so passend und so tragfähig wie möglich erreichen. ({2}) Dabei gilt für uns einerseits eine strikte Ausgabendisziplin, andererseits glauben wir, dass es bei einem Anhalten des konjunkturellen Aufschwungs möglich ist, noch im laufenden Jahrzehnt, also vor dem Jahre 2011, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen; denn nur dadurch können wir - der Freistaat Bayern macht es uns in diesem Jahr doch bereits erfolgreich vor - endlich die Schaufel in die Hand nehmen und damit beginnen, den Schuldenberg abzubauen. ({3}) Wir laufen Gefahr, dass uns hier die Zeit davonläuft. ({4}) Der vorgelegte Entwurf enthält bereits zwei bemerkenswerte Alarmzeichen: Erstens. Der Anstieg der Zinsausgaben um 2,6 Milliarden Euro. ({5}) Dies ist zwar noch überschaubar, bedeutet aber - das muss uns umtreiben -, dass wir im kommenden Jahr 42,2 Milliarden Euro nicht für politische Maßnahmen zur Verfügung haben, ({6}) sondern für die Zinsen der bereits in der Vergangenheit vom Bund aufgetürmten Schulden aufwenden müssen. ({7}) Zum anderen muss uns beschäftigen, dass trotz real steigender Investitionsausgaben die Investitionsquote im Bundeshaushalt am Ende des Planungszeitraums bei nur noch 8,2 Prozent liegt. Nicht nur, aber insbesondere aufgrund dieser beiden Alarmzeichen liegt noch viel Arbeit vor uns. Arbeit bedeutet insbesondere, zu sparen und die Konsolidierung weiter voranzubringen. Denn solide Staatsfinanzen und eine nachhaltige Konsolidierung sind kein Selbstzweck. Sie sind unumgängliche Voraussetzung zur Wiedergewinnung von haushaltspolitischen Spielräumen, die wir zur Finanzierung wichtiger Zukunftsinvestitionen und zur weiteren Rückführung der Steuerbelastung dringend brauchen. ({8}) Zudem sind sie wichtige Voraussetzungen für eine Steigerung von Wachstum und Beschäftigung. ({9}) Denn am Ende wird das Wachstum durch Sparen gefördert. Umgekehrt gilt, dass ohne ein erhöhtes Wirtschaftswachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht gelingen können. Hierfür werden wir in den anstehenden parlamentarischen Beratungen genügend Zeit haben, und wir werden uns auch den nötigen Raum nehmen. Wir sind entschlossen, den Weg der Tugend, den Bundesminister Michael Glos klar beschrieben hat, zu unterstützen. ({10}) Dieser Weg sieht vor, erstens die Defizite in den öffentlichen Haushalten über den Konjunkturzyklus dauerhaft und vollständig zu vermeiden, um damit die öffentliche Verschuldung Schritt für Schritt abzubauen. Zweitens soll die Belastung durch Steuern und Abgaben gesenkt werden; denn wir müssen jetzt die Gelegenheit nutzen, den Beitrag zur Konsolidierung, den die Bürger in diesem Land geleistet haben, in besseren Zeiten wieder zurückzugeben. Drittens wollen wir öffentliche Investitionen vor allem in Bildung, aber auch in Innovationen erhöhen; denn darin liegt unsere Zukunft. Nur so kann es uns gelingen, den Schuldenberg in absehbarer Zeit abzutragen. Herzlichen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernhard Brinkmann das Wort.

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was den mangelnden Ehrgeiz angeht, hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass die Steilvorlage vom März dieses Jahres von den Freien Demokraten noch rechtzeitig zurückgezogen wird. Das ist leider nicht der Fall. Darum möchte ich gerne im zweiten Teil meiner Rede auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Zu Beginn will ich aber auf das eingehen, was die Kollegin Lötzsch und ihre Fraktion in den letzten Wochen und Monaten ständig zum Besten gegeben haben. Sie machen mit Ihren Ausführungen den Menschen weis, dass die Probleme, die bei der Telekom und der Deutschen Bahn bestehen, an uns und die positiven Zeichen in der Wirtschaftsentwicklung, auf dem Arbeitsmarkt und auch in der Haushalts- und Finanzpolitik an den Menschen vorbeigehen. Ich habe in diesem Zusammenhang eine herzliche Bitte. Tun Sie doch nicht so, als könnten die Bundesregierung oder dieses Hohe Haus durch Beschlüsse dafür sorgen, dass die Probleme bei der Telekom und der Deutschen Bahn AG so gelöst werden, wie Sie es gerne hätten, geschweige denn, dass der Staat in der Lage wäre, durch seine Haushalts- und Finanzpolitik Geleitschutz zu geben. Damit machen Sie den Menschen etwas vor. ({0}) Das würde - wenn überhaupt - nur kurzfristig zum Erfolg führen. In welchem Maße das schiefgehen kann, haben wir bis zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes erlebt. ({1}) Was den Ehrgeiz angeht, ist es in der Tat gut, wenn man ihn hat. Übertriebener Ehrgeiz führt aber nicht immer zu dem Ziel, das man erreichen möchte, Herr Kollege Fricke. ({2}) Ich habe in Ihrer Rede vermisst, dass Sie neben den angesprochenen Punkten, wo man auf der Ausgabeseite sparen oder Einschnitte vornehmen kann, auch das Lied von weiteren Steuersenkungen gesungen haben. ({3}) Dieses Lied singen Sie anscheinend nicht mehr. Zumindest in diesem Bereich scheinen Sie zu einer anderen Überzeugung gekommen zu sein. Ich erkläre hier ganz deutlich, dass sich der im Herbst 2005 begonnene Dreiklang von Reformieren, Investieren und Konsolidieren als sehr erfolgreich erwiesen hat und dass wir zumindest einen bestimmten Anteil an dieser erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland haben. ({4}) Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, dann sind die Politiker schuld. Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, dann ist die Wirtschaft alleine verantwortlich. Ich glaube, in der Mitte liegt die Wahrheit. Wir sollten uns jedenfalls darüber freuen, dass die Arbeitslosigkeit seit November Bernhard Brinkmann ({5}) 2005 jeden Monat zurückgeht, und das quer durch alle Bereiche. Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit sind Erfolge zu verzeichnen. Ich füge hinzu: Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass jemand, der arbeiten geht, am Ende des Monats so viel nach Hause bringen muss, dass er davon sich und seine Familie ernähren kann. ({6}) - Frau Kollegin Lötzsch, mit dem gesetzlichen Mindestlohn werden wir uns noch eine bestimmte Zeit auseinandersetzen. Ich habe nur den Eindruck, dass Sie hier versuchen, kurzfristig politische Erfolge zu erzielen, genauso wie in anderen Punkten. Ich sage Ihnen schon jetzt: Das wird Ihnen auch hier nicht gelingen. Was die Steigerung der Ausgaben angeht, möchte ich drei Bereiche ansprechen; die anderen wurden zum größten Teil schon erwähnt. Erster Punkt. Ich glaube, niemand in diesem Hohen Haus wird ernsthaft bestreiten, dass weitere Ausgaben für Bildung und Forschung richtig sind. Hier zu sparen, wäre falsch. ({7}) Demzufolge sollten wir es im Rahmen der Haushaltsberatungen, die nach der Sommerpause beginnen, auch nicht tun. Der zweite Punkt betrifft die Bundeswehr. Wir alle wissen - vielleicht bis auf die linke Seite dieses Hauses, die die Friedenseinsätze und die humanitären Einsätze der Bundeswehr massiv kritisiert -, dass hier etwas getan werden muss. Die ständig steigende Präsenz bei Hilfsmaßnahmen im Ausland und humanitären Maßnahmen zur Sicherung des Friedens erfordert erhöhte Ausgaben. Deshalb muss man bereit sein, dafür mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, von der Sanierung der Liegenschaften der Bundeswehr im Lande ganz zu schweigen. Auch da muss noch einiges passieren. Der dritte Punkt betrifft die Infrastruktur. Alle wollen möglichst gute Straßen, insbesondere gute Autobahnen, gute Schienenwege und gute Wasserwege. Dass die Bundesregierung dafür mehr Mittel in den Bundeshaushalt 2008 eingestellt hat, ist eine richtige und für jeden nachvollziehbare Entscheidung. Für einen ausgeglichenen Haushalt, also seit vielen Jahrzehnten zum ersten Mal den Punkt zu erreichen, an dem sich Einnahmen und Ausgaben wieder decken, ist das Jahr 2011 angepeilt. Wenn es früher geht, sollten wir es in Angriff nehmen. Allerdings ist angesichts des ehrgeizigen Ziels, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, ein größerer Zeitraum besser, als sich letztendlich zu verheben. Der Kollege Schneider hat darauf hingewiesen - Frau Kollegin Hajduk ist leider nicht mehr da -, dass man unser Land nicht eins zu eins mit den europäischen Nachbarländern vergleichen darf, wenn es um Haushaltskonsolidierung und Erzielung von Überschüssen geht. Es ist besonders wichtig, in dieser Debatte darauf hinzuweisen, dass wir, unsere Volkswirtschaft und alle anderen, die dazu beitragen, seit 1990 Sonderkosten für die deutsche Einheit und Kosten für den Solidarpakt II bis 2019 zu finanzieren haben. Das leistet keine andere Volkswirtschaft, weder in Europa noch auf der Welt. Auf diese Leistung sollten wir - völlig zu Recht - sehr stolz sein. ({8}) Die wachsende Wirtschaft und die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt bestätigen die erfolgreiche Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen. Eine erste Rendite zeichnet sich nun ab. Wir haben damit eine historische Chance, den Haushalt zukunftsgerecht auszurichten und erstmals nach über 40 Jahren den Schuldenberg nicht weiter wachsen zu lassen, sondern abzubauen. Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam nutzen. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten bei den Beratungen im Haushaltsausschuss noch die Möglichkeit haben, das eine oder andere zu verändern. Wir unterstützen den Finanzminister bei seinen Bemühungen und bedanken uns, dass der Bundeshaushalt 2008 die bisher erzielten Erfolge festigt und fortschreibt. Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von der FDP, was die Produktion von Papier angeht. Wir haben bei den letzten Haushaltsberatungen immer erlebt, dass der Kollege Fricke oder der Kollege Koppelin mit einem Riesenbuch hier vorne aufgetreten sind und dieses als Sparbuch bezeichnet haben. Um nicht missverstanden zu werden: Das war nicht das Sparbuch, das wir alle kennen und das in der Regel ein Guthaben hat, sondern das war das Sparbuch, um Haushaltskonsolidierung zu betreiben, ({9}) auf der Ausgabeseite zu sparen und massive Einschnitte vorzunehmen. Selbst das, was Sie mit dem großen Berg an Papier und dem dicken Buch hier vorgelegt haben - um das einmal deutlich zu machen -, hätte nicht dazu geführt, dass wir in 2006/2007, geschweige denn in den Jahren danach - warten wir einmal ab, was im Jahr 2008 kommt -, zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt gekommen wären. ({10}) Frau Kollegin Flach, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zum Schluss machen. Wer mehr als vier Jahrzehnte an dem Aufbau dieses Schuldenberges maßgeblich beteiligt war, ({11}) sollte sich, was den Ehrgeiz angeht, auf der Ausgabeseite Einschnitte vorzunehmen, ein wenig zurückhalten. Damit meine ich die Freie Demokratische Partei. Sie waren einmal mit uns und einmal mit der Union zusammen, aber Sie waren eigentlich immer dabei, als die Schulden gemacht worden sind, übrigens auch bei der falschen Finanzierung der deutschen Einheit 1990. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4606 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? ({0}) Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos- sen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007 und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 16/5823 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten JohannHenrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD IKT 2020: Gezielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien ({2}) - Drucksache 16/5900 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({4}), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Innovationsfähigkeit stärken durch Bildungsund Forschungsoffensive - Drucksache 16/5899 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute Morgen nach der Regierungserklärung von Herrn Kollegen Glos über den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland diskutiert. Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands bestätigt: Die deutsche Wirtschaft befindet sich auf einem klaren Expansionskurs. Er behandelt die Faktoren, die bedeutsam sind, um die Innovationskraft in Deutschland als Grundlage für anhaltende wirtschaftliche Entwicklung zu stärken, und er beschreibt Stärken und Schwächen. Er beschreibt erstens - lassen Sie mich insgesamt sieben Punkte aufgreifen -, in welchen Bereichen Potenzial noch besser genutzt werden kann, zum Beispiel durch die stärkere Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien etwa in den Bereichen der Dienstleistungen neuer Medien, im Bereich von E-Health und Logistik. Das sind drei besondere Bereiche, die Niederschlag in der von der Bundesregierung vor wenigen Monaten veröffentlichten Strategie IKT 2020 finden, die als Treiber für Innovation wirken soll und deshalb auf Anwendungen von Informations- und Kommunikationstechnologie ausgerichtet ist. Zweitens beschreibt der TLF die starke Position Deutschlands und deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten der Technologiegüter. Es wird nicht nur auf eine Zahl hingewiesen, die schon aus den letzten Jahren bekannt ist, wonach 65 Prozent der deutschen Unternehmen zu den innovativen Unternehmen gehören, sondern es wird auch von einer weiter steigenden Zahl der Patentanmeldungen und davon gesprochen, dass im Jahr 2005 forschungsintensive Industriewaren im Wert von 428,3 Milliarden Euro exportiert wurden und Deutschland damit der Welt größter Technologieexporteur noch vor den USA und Japan ist. Als ein herausragendes Beispiel für erfolgreiche Entwicklung in den vergangenen Jahren wird das Beispiel der Umwelttechnologie genannt, das jetzt wieder im Kontext unserer Debatten über Energieforschung und den positiven Einfluss auf den Energiewandel eine große Rolle spielt. Drittens. Man blickt natürlich - das ist die große politische Aufgabe, vor der wir stehen - auf, wie es so schön heißt, Aufhol-Länder wie China, Indien oder die Tigerstaaten, die mit ihren Investitionen in Forschung und Entwicklung, mit ihrer Präsenz in der Wissenschaftsgesellschaft, etwa im Bereich der wissenschaftlichen Publikationen, oder mit ihrer Präsenz auf dem Gebiet des Handels mit Spitzentechnologien große Fortschritte erzielt haben. Viertens. Eines der Hauptthemen dieses Berichtes wie der Berichte der Vorjahre ist die Notwendigkeit, in ForBundesministerin Dr. Annette Schavan schung und Entwicklung ausreichend zu investieren. Das ist eine Bestätigung des 3-Prozent-Ziels. Ich bin sehr zufrieden damit, dass wir bei den jetzt abgeschlossenen Beratungen über den Haushalt 2008 zwischen dem Finanzministerium und dem Forschungsministerium Konsens darüber erzielen konnten, dass bei einem steigenden BIP auch steigende Ausgaben notwendig sind. Wir werden in diesem und in den folgenden Haushalten eine Steigerung erleben, die dem neuen BIP gerecht wird. Wir werden dem 3-Prozent-Ziel wieder etwas näherkommen. Die Bundesregierung steht über alle Ressorts hinweg zum 3-Prozent-Ziel. ({0}) Fünftens. Welche Instrumente sind zur Förderung von Forschung und Entwicklung geeignet? Die Diskussion darüber ist bei uns bereits eröffnet. Wichtig ist die Förderung exzellenter Forschungsinstitutionen. Wir können stolz sein - wir sollten es auch in diesem Hause sagen - auf Tausende Forscherinnen und Forscher in MaxPlanck-Instituten, in Helmholtz-Instituten, in Leibniz-Instituten und an unseren Universitäten. ({1}) Institutionelle Förderung ist wichtig. Diese Forscherinnen und Forscher tun viel für unser Land. Ein weiterer großer Bereich, in dem wir in dieser Legislaturperiode enorm zugelegt haben, sind die Projektfördermittel. Viele dieser Mittel fließen in die Hightechstrategie. Es stellt sich außerdem die Frage, wie wir mit guten Erfahrungen in anderen Ländern, in denen der Grundsatz „Steuerpolitik ist Innovationspolitik“, umgehen. Unsere Aufgabe in den nächsten Jahren wird sein, Ausschau zu halten, wo sich welches zusätzliche Instrument als wirksam erwiesen hat, wo der Instrumentenkasten durch zusätzliche Instrumente im Bereich der Steuergesetzgebung zu erweitern ist. Meine persönliche Überzeugung ist: Die Erweiterung des Instrumentenkastens wird in Deutschland und in Europa notwendig sein, um die 3 Prozent und weitere Ziele zu erreichen. ({2}) Deshalb muss dieses Gespräch zu Erfolgen führen. Sechstens. In diesen Tagen nach der Vorlage des OECD-Berichtes wird dieser wichtige Punkt öffentlich offensiv diskutiert: der Fachkräftemangel. Die demografische Entwicklung in Deutschland ist dabei der eine relevante Faktor. Der andere relevante Faktor ist: Je dynamischer die Wirtschaft sich entwickelt, umso mehr Arbeitsplätze werden geschaffen, umso mehr geht die Arbeitslosigkeit glücklicherweise zurück. Was den Bereich der neu geschaffenen Arbeitsplätze angeht, ist der Anteil der hochqualifizierten Kräfte immer größer. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen: im Zusammenhang mit Bildung, Ausbildung, mit der Reduzierung der Studienabbrecherquoten. Wir brauchen klare Strukturen der Studiengänge. Das geht bis hin zur Weiterbildung als Teil von Personalentwicklungskonzepten in unseren Unternehmen. Es war richtig, die Novelle des Zuwanderungsgesetzes - sie wird morgen im Bundesrat beraten - zu verabschieden. Dieses Gesetz enthält wichtige Fortschritte für ausländische Studierende. Sie können hier künftig beruflich einsteigen. Außerdem enthält dieses Gesetz wichtige Fortschritte für ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie haben mich gefragt: Warum stimmen Sie dem zu? Ich stimme dem zu, weil diese Fortschritte zustande kommen müssen. Wir können damit nicht länger warten. Punkte, die noch strittig sind, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten innerhalb der Koalition und zwischen Regierung und Parlament diskutieren. Mein Hauptsatz zu dem Ganzen lautet: Auch Deutschland muss Interesse an Talenten aus aller Welt haben, Deutschland muss für Talente aus aller Welt attraktiv sein. ({3}) Siebtens. Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit in Deutschland bestätigt: Das Konzept der Hightechstrategie empfiehlt ausdrücklich, dass Wissenschaft und Wirtschaft nahe beieinander sind, natürliche Partner sind, dass forschungspolitische Zukunftskonzepte ganz klar darauf ausgerichtet sein müssen, dass sich das, was aus exzellenter Grundlagenforschung an Möglichkeiten, Erkenntnissen, Wissen zur Verfügung gestellt wird, auch in der Wertschöpfungskette entfalten und umsetzen lässt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Forschungsunion ist gleichsam die Institutionalisierung dieser Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist die Institutionalisierung von Innovationsallianzen, die wir wollen. Ich bin froh, dass auch auf der Ebene der Europäischen Union zunehmend neue Instrumente entstehen, um diese natürliche Partnerschaft zwischen Unternehmen einerseits und Forschungsinstitutionen andererseits zuwege zu bringen. ({4}) Die Instrumente, die wir zu Beginn der Legislaturperiode gewählt haben, die Hightechstrategie, die Einführung der Forschungsprämie fokussiert auf kleine und mittelständische Unternehmen, der jetzt vorbereitete Spitzenclusterwettbewerb, die 17 Innovationsstrategien, die deutliche Erhöhung der Investitionen für Forschung und Entwicklung, wirken sich aus und werden einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die jetzt erreichte wirtschaftliche Dynamik anhält. Deshalb sage ich herzlichen Dank allen in der Koalition, im Parlament und in der Regierung, die zu diesem Innovationskurs beigetragen haben. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst die gute Nachricht: Nicht nur im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands, sondern auch in einer jüngst veröffentlichten Studie von Ernst & Young zum Standort 2007 wird Deutschland als der führende Wirtschaftsstandort in Europa anerkannt, aber auch international auf Platz vier hinter China, den USA und Indien gesehen. ({0}) International tätige Unternehmen sehen bei den Top-10Standorten für Forschung und Entwicklung und für den Hauptsitz des Unternehmens Deutschland auf Platz zwei, jeweils hinter den USA. Das ist zunächst einmal die gute Botschaft. Deutschland ist auf Expansionskurs. Wir haben in der Tat Wachstum. Für Wirtschaftswachstum brauchen wir mehr Investitionen in Bildung und Forschung. Aber wo Licht ist, ist eben auch Schatten, Frau Ministerin. Ich frage mich: Welche Spielräume hat die Bundesregierung geschaffen, um diesen Aufschwung zu unterstützen? Sie nennen hier die Hightechstrategie als Kernaussage für die Wachstumsstrategie der Bundesregierung. Ich kann Ihnen nur von unserer Seite aus sagen: Die Hightechstrategie bleibt ein Sammelsurium von Forschungsprogrammen und Forschungsprojekten. ({1}) Wir brauchen aber in Deutschland wie in anderen europäischen Staaten das Bekenntnis zur Technologieführerschaft auf internationaler, auch auf europäischer Ebene. ({2}) Hier vermisse ich die Leitthemen, auf die Sie sich auch haushaltspolitisch konzentrieren. Für die FDP sind das erstens, wie es die Bundeskanzlerin während der EU-Ratspräsidentschaft richtig gesagt hat, die Energieund Klimaforschung, zweitens die Gesundheits- und Umweltforschung und drittens die Informations- und Kommunikationstechnologie. Wie sieht es denn mit der haushaltspolitischen Verstärkung aus, meine Damen und Herren? Sie nennen zu Recht das 3-Prozent-Ziel, also das Ziel, 3 Prozent des BIP für Forschung auszugeben. Sie gehen aber bei Ihren Berechnungen immer noch vom alten Bruttoinlandsprodukt aus. Deswegen werden wir, wenn wir nicht mehr Kraftanstrengungen anstellen, dieses 3-Prozent-Ziel in Deutschland nicht erreichen können. Wie sieht denn die Struktur des Haushalts im Gesamtetat aus? Der Anteil des Einzelplans 30 - Bildung und Forschung - am Gesamthaushalt beträgt genau 3,2 Prozent, der des Einzelplans für Arbeit und Soziales fast die Hälfte. Das sind nicht die richtigen Prioritätensetzungen, wie wir sie uns für die Zukunft in Deutschland eigentlich vorstellen. ({3}) Die eigentliche soziale Herausforderung des 21. Jahrhunderts liegt ohne Zweifel in einer exzellenten Bildungs- und Forschungspolitik. Die demografische Entwicklung und der Fachkräftemangel fordern von uns mehr Investitionen in Bildung und Forschung, als wir bisher gehabt haben. Wir müssen da noch an Tempo zulegen. Nehmen wir als Beispiel doch einmal unsere europäischen Nachbarn! Frau Ministerin, in Großbritannien werden die Forschungsinvestitionen von Unternehmen mit bis zu 150 Prozent gefördert; sie können steuerlich abgesetzt werden. Sie haben ein Energieforschungsprogramm angekündigt, das bis 2011 laufen und einen Umfang von 2 Milliarden Euro haben soll. Wir haben die Energieforschung bisher jährlich mit 500 Millionen Euro gefördert. Großbritannien hat gemeinsam mit der Wirtschaft einen Energieforschungsfonds gegründet, in den 1 Milliarde Pfund einfließen. ({4}) Wo sind die Anreize, die Sie für die Energiewirtschaft setzen? Wir haben Ihnen vorgeschlagen, eine Stiftung für Energieforschung ins Leben zu rufen, paketweise Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern und den Großteil der Erträge in einen Stiftungsfonds für Energieforschung fließen zu lassen, um die Investitionen in diesen Wachstumsbereich zu erhöhen. Die Deutschen sind laut OECD-Studie zu alt und zu wenig gebildet. Auch das kommt im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zum Ausdruck. Wir müssen da zulegen. Wir haben zu wenig Akademiker. Wir müssen bei der Bildung besser werden. Wir müssen bei der Mobilität im eigenen Land besser werden. Immer noch sind Schulabschlüsse und auch Hochschulabschlüsse unter den Bundesländern nicht gegenseitig anerkannt. ({5}) Vor allen Dingen müssen wir natürlich auch dafür sorgen, dass der Fachkräftemangel nicht zur Wachstumsbremse in Deutschland wird. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, Frau Ministerin: Da haben Sie eine Entwicklung verschlafen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Pieper, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen; sonst sprechen Sie auf Kosten der Redezeit der Kollegin Flach.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir haben im Juni die Ausländerrechtsreform verabschiedet. Sie haben die Chance dieser Reform nicht dafür genutzt, dass mehr Hochqualifizierte nach Deutschland kommen können. Jetzt wird es eine Bundesratsinitiative auch unserer Länder geben. ({0}) Wir werden diese Initiative unterstützen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege René Röspel das Wort. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schade, Frau Pieper, Sie fingen so gut an mit dem berechtigten Lob für die Situation in Deutschland - die Selbstkritik haben wir noch vor uns; die werden wir auch üben -, und dann verfielen Sie leider wieder in das übliche Mäkeln und Schwarzmalen. ({0}) Wenn Sie einmal in den Bericht hineingeschaut hätten - er ist wirklich schön bunt gedruckt, und man findet viele gute Statistiken -, dann hätten Sie gesehen, dass zu der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung die Investitionen in Forschung und Entwicklung zurückgegangen sind, gesenkt worden sind, am Boden lagen. ({1}) Erst wir haben es geschafft, die Investitionen seit wenigen Jahren, langsam genug, wieder nach oben zu fahren. Man kann zwar die Situation bemängeln, aber der Blick zurück und das Fassen an die eigene Nase sind mitunter sinnvoll und auch lehrreich. Wir diskutieren heute über den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007. Deutschland ist zum vierten Mal hintereinander Exportweltmeister. Frau Ministerin hat zu Recht gesagt: Forschungsintensive Industriewaren im Volumen von 428 Milliarden Euro sind im Jahr 2005 aus Deutschland in andere Länder geliefert worden. Damit sind wir Technologieexporteur Nummer eins in der Welt. Die Unternehmen, die viel in Forschung und Entwicklung investieren, die sogenannten F-und-E-intensiven Wirtschaftszweige, sind der wesentliche Träger unseres Produktionswachstums. Deutschland ist gut bei den klassischen Industriezweigen Automobilbau, Chemie, Maschinenbau. Wir haben aber nur eine ausgeglichene Handelsbilanz - das ist natürlich per se nicht schlecht - bei den Spitzentechnologien in anderen Bereichen. Da haben wir deutlichen Nachholbedarf. Der Kollege Tauss wird gleich über die Initiative der Koalitionsfraktionen zu Informations- und Kommunikationstechnologien - da müssen wir wirklich viel machen - berichten. Ein Kapitel des Berichts bezieht sich auf die Umweltwirtschaft, ein sicherlich wichtiger Faktor: Rund 5 Prozent aller Unternehmen in Deutschland befassen sich mit Umwelttechnik und Umwelttechnologien; 4,8 Prozent der gesamten Industrieproduktion und drei Viertel aller wissens- und forschungsintensiven Unternehmen entstammen diesem Bereich. Nach Auskunft des Berichts sind diese Unternehmen überdurchschnittlich innovativ. Deutschland besitzt im Bereich der Umwelttechnologie einen Weltmarktanteil von 16 Prozent; damit sind wir größter Exporteur von Umwelttechnologiegütern vor den USA. Trotzdem verläuft die Entwicklung der Branche - das steht ja auch im Bericht - schleppend. Sie könnte deutlich besser laufen. Dynamische Komponenten im Umweltbereich gibt es allein im Bereich Klimaschutz - das seit neuem, seitdem die Diskussion zu Recht aufgenommen worden ist - und im Bereich regenerative Energien. In letzterem Bereich ist unser Anteil am Welthandel seit der Jahrtausendwende deutlich gestiegen und steigt weiterhin. Das ist übrigens ein gutes Beispiel für staatliche Lenkungs- und Regulierungsmaßnahmen. Das Erneuerbare-EnergienGesetz, unter Rot-Grün geschaffen, ist - das wird deutlich im Bericht hervorgehoben - nicht nur gut für Klima und Umwelt. Dass wir in erneuerbare Energien, in Solarund Windenergie investiert haben, ist auch gut für die Wirtschaft und damit für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. ({2}) Dennoch bleibt eine Vielzahl an Fragen offen. Wenn man sich den Anteil der Investitionen in Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt anschaut - das wird auch im Bericht ausgeführt -, so stellt man fest, dass wir hinter anderen Ländern hinterherhinken. Schweden, Finnland, Japan, Korea, die Schweiz und die USA investieren deutlich mehr in Forschung und Entwicklung als Deutschland. Trotzdem sind wir Exportweltmeister. Es ist zwar gut, mehr Investitionen in FuE zu tätigen, es müssen aber auch andere Parameter eine Rolle spielen, weil allein die Investitionen in Forschung und Entwicklung demnach nicht dazu führen können, dass man Exportweltmeister wird. Auf dem Forum Bildung der SPD vor einigen Wochen hat Professor Bosch vom Institut für Arbeit und Qualifizierung der Universität Duisburg-Essen einen interessanten Vortrag gehalten. Er hat gesagt - ich darf zitieren -: Das Geheimnis unserer Wettbewerbsstärke liegt in der Diffusion von Innovation durch die enge Kooperation von Entwicklern und qualifizierten Machern. Was heißt das? Das heißt zum Beispiel, dass in den USA und Großbritannien die mittlere Führungsebene in den Unternehmen von gut ausgebildeten Ingenieuren oder Wissenschaftlern, die an der Universität gelernt haben, besetzt wird. Diese haben profunde Kenntnis in theoretischen Fragen. In den deutschen Unternehmen ist das häufig anders: In der mittleren Führungsebene finden sich hochqualifizierte Meister und Techniker, die gut ausgebildet sind und eine lange Erfahrung haben. Das sind die Macher, die Projekte umsetzen können. ({3}) Das heißt, wenn wir an dieser Stelle von Technologieförderung und Leistungsfähigkeit reden, dürfen wir uns nicht allein auf die Investitionen in Forschung und Entwicklung konzentrieren, sondern wir müssten eigentlich diesen Bericht zusammen mit dem Bundesbericht Forschung und dem Nationalen Bildungsbericht zusammen diskutieren, weil das ein Gesamtpaket ist und eine Gesamtbetrachtung notwendig ist. ({4}) Wichtig ist nämlich, dass gut ausgebildete Fachkräfte von der Universität und solche aus dem dualen Berufsbildungssystem, für das Deutschland steht, zusammenkommen und zusammenarbeiten. Verantwortung dafür tragen gleichermaßen die Unternehmen und die Politik. Die Unternehmen haben die Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, damit möglichst viele junge Menschen - einige sind ja auch hier bei der Debatte anwesend - eine Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu finden und anschließend einen Beruf zu ergreifen, ({5}) und vielleicht auch noch die Chance bekommen, sich weiterzuqualifizieren und gute Meisterinnen und Meister sowie Technikerinnen und Techniker zu werden - genau die brauchen wir nämlich in der mittleren Führungsebene - oder ein Studium aufzunehmen. Dafür, jungen Leuten ein Studium zu ermöglichen, trägt im Wesentlichen die Politik die Verantwortung. Das läuft leider nicht in allen Bundesländern gut. In meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen, CDU/FDPregiert, wird von der Abschaffung der Grundschulbezirke bis zur Einführung von Studiengebühren die Ausbildungsauslese leider verschärft. Das heißt, die Möglichkeiten für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien bis hin zu Familien aus der Mittelschicht, ein Studium aufzunehmen, verschlechtern sich deutlich. ({6}) Aufgrund der schon vorliegenden Anmeldezahlen, Frau Flach, lassen sich schon Vergleiche anstellen: Die Zahl der Studienanfänger in NRW ist um 3,9 Prozent zurückgegangen. Das Talent zählt immer weniger und der Geldbeutel immer mehr. Für uns von der SPD bleibt dagegen klar: Wir wollen mehr Ausbildung in den Betrieben als wesentlichen Bestandteil unseres Systems. Wir wollen mehr Bildung für alle von Anfang an. Deswegen haben wir frühkindliche Bildung und Förderung auf den Weg gebracht und für einen Ausbau von Ganztagsschulangeboten gesorgt. Wir haben das höhere BAföG durchgesetzt und werden daran festhalten, damit Bildung eben nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt. ({7}) Wir werden uns auch für das Meister-BAföG einsetzen. Ich bin froh, dass in dem Bericht diese Gesamtbetrachtung nachvollzogen wird. Dort steht nämlich - dieses kurze Zitat sei mir erlaubt -: Langfristig sollte ein deutlich höherer Anteil der Schülerinnen und Schüler zur Studienberechtigung ausgebildet werden, was allerdings einen grundlegenden Wandel des deutschen Bildungssystems nötig macht: ({8}) eine Abkehr von der bisher auf Auslese ausgerichteten Bildungsphilosophie … zur größtmöglichen Förderung. Das ist erforderlich, damit wir kein einziges Talent - unabhängig davon, aus welchem Elternhaus es kommt liegen lassen. ({9}) Wenn wir in die Menschen investieren, investieren wir in die Technologieförderung. Beste Bildung heißt beste Technologie. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will gern zugeben, dass Berichtslektüre nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Der Technologiebericht war aber schon im letzten Jahr sehr interessant und ist es auch in diesem Jahr. Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere Sicht nicht gut entwickelt - das war der Alarmsatz des vorherigen Berichtes. Offensichtlich hat sich die Einsicht verbreitet, dass es so nicht weiterlaufen kann. Forschungs- und Innovationspolitik sind gewissermaßen aus den Puschen gekommen. Jetzt hat man sich Hightechlaufschuhe hingestellt. Der jetzige Bericht honoriert das auch. Er zeigt aber zugleich, wo auch diese Schuhe Blasen verursachen können. Manche dieser Kritiken kommt mir sehr bekannt vor. Wir haben das hier schon sehr oft vorgetragen. ({0}) - Darüber können wir gerne einmal reden. Davon verstehe ich eine ganze Menge. Erstens wird in dem Bericht das Verhältnis von staatlichen zu privatwirtschaftlichen Forschungsausgaben untersucht. Den wachsenden öffentlichen Ausgaben steht keine vergleichbare Entwicklung bei den FuEAusgaben der Unternehmen gegenüber. Im Gegenteil: Man beobachtet die Tendenz, dass die Unternehmen eigene Ausgaben mindern, indem sie öffentliche Fördermittel in Anspruch nehmen. Das ist eine absurde Entwicklung, der Einhalt geboten werden muss. Zweitens wird in dem Bericht kritisiert, dass der Löwenanteil öffentlicher Fördermittel bereits boomenden Großunternehmen gewährt wird. In diesem Zusammenhang werden Unternehmen aus der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, der Chemie, der Informations- und Kommunikationstechnik sowie der Logistik genannt. Sie werden sich erinnern, dass genau diese Unternehmen hervorragende Exportwerte erzielen. Das heißt also nichts weiter, als dass man fette Kröten noch fetter macht und dass die öffentliche Förderung an anderen, viel notwendigeren Stellen letztlich auf zu schmalen Füßen steht. Drittens sollen laut Bericht innovative kleine und mittelständische Unternehmen ins Zentrum der Förderung gerückt werden. Ich bin den Verfassern des Berichts an dieser Stelle überaus dankbar. Sie sagen nämlich etwas, was wir uns hier nie trauen dürfen: dass die Unternehmensteuerreform für genau diese Unternehmensgruppe keine Impulse für eigenständige FuE-Aktivitäten setzen wird. ({1}) - Prima; dann sind wir ja schon zu zweit. - Deshalb muss der Wissenstransfer zu innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen konsequent stimuliert werden. Vor allen Dingen müssen auch die Startbedingungen für innovative Unternehmensgründungen verbessert werden. Als Instrumente werden in dem Bericht unter anderem Wagniskapital und die Forschungsprämie untersucht. So erhalten Wissenschaftseinrichtungen mit der Forschungsprämie zusätzliche Gelder auf ihre Einnahmen aus Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft. Sie bekommen also sozusagen den Blubb in den Spinat. Dort liegt aber nicht das Hauptproblem. Darauf habe ich schon oft hingewiesen. Der Bericht bestätigt das endlich. Dort heißt es nämlich - ich zitiere -: Insgesamt gilt, dass die Forschungsprämie nicht an einer ausgemachten Schwachstelle der Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperation ansetzt. Die Linke hält es für sinnvoll, die Forschungsprämie auf innovative kleine und mittelständische Unternehmen auszudehnen. Dabei wollen wir auch die gemeinnützigen Forschungs-GmbHs im Osten einbeziehen, die einen Großteil der Industrieforschung betreiben. Nun ist diese Position endlich im Haushalt vermerkt. Sie nennt sich dort Forschungsprämie II und soll mit 76 Millionen Euro und weiteren Steigerungen in den Folgejahren ausgestattet werden. Das freut mich. Steter Tropfen höhlt den Stein; er hat Erfolg. Einen vierten Problemkreis, der im Bericht angesprochen wird, könnte man eigentlich auf eine tibetanische Gebetsmühle schreiben: Fachkräftemangel, Fachkräftemangel, Fachkräftemangel. Seit Jahren wird darüber geredet. Aus eigener Erfahrung kenne ich entsprechende Debatten aus meiner Zeit als Landtagsabgeordnete; aber auch im Bundestag ist dieses Thema schon längere Zeit aktuell. In diesem Punkt ist der Bericht mit Aussagen aus den Vorgängerberichten deckungsgleich. Diese Fehlentwicklung reißt natürlich große Löcher in den Hightechbereich dieses Landes. Kehren wir noch einmal zu dem Bild aus dem Sportbereich zurück: Wir haben sehr gute Sportschuhe und hervorragende Wettkampfstätten. Aber was fehlt, sind die Spitzensportler. So verpufft die ganze Investition. In dem Bericht werden auch Gründe genannt, die der Linken ausgesprochen bekannt vorkommen: Die Abbrecherquoten an den Hochschulen sind dramatisch hoch. Das ist die logische Konsequenz einer verfehlten und unterfinanzierten Studienreform. ({2}) Die Studiengebühren, so steht es im Bericht, schrecken Studienbewerberinnen und Studienbewerber ab. Das haben auch wir schon mehrfach gesagt. ({3}) Dass es in dem Bericht ebenso gesehen wird, sollte endlich Anlass sein, einmal umzusteuern. Ebenso kontraproduktiv wirken schlechte Studienbedingungen und natürlich auch zusätzliche Zulassungsbeschränkungen der Hochschulen. Hochschulpakt und Exzellenzinitiative als Gegenmaßnahmen der Bundesregierung reichen gemäß dem Bericht in dieser Form nicht aus. Der Bericht besagt auch noch - das ist ein sehr schöner Satz, Herr Röspel, den Sie herausgesucht haben; ich habe ihn mir über den Spiegel gehängt -, dass das Prinzip der Auslese verlassen werden muss, um eine größtmögliche individuelle Förderung einzuräumen. ({4}) Das gehört natürlich alles zu dem Kanon, mehr Fachkräfte auszubilden. Was können Sie wirklich ändern? Sie können in diesem Hause nicht wirklich etwas ändern, weil Sie sich im vergangenen Jahr mit der Föderalismusreform alle Instrumente selber aus der Hand geschlagen haben. Sie müssen jetzt versuchen, zusammen mit den Ländern ein Wissenschaftsförderprogramm aufzulegen - Sie müssen sozusagen darum bitten, dass man das gemeinsam macht -, damit man an diesem Punkt entsprechende Ausgaben tätigen kann und damit endlich der Fachkräfte- und Akademikermangel konsequent angegangen werden kann. Was lehrt uns dieser Bericht insgesamt? Er lehrt uns, dass staatliche Bildung, Forschungs- und Technologiepolitik zusammengehören und dass man daraus keinen Flickenteppich machen darf, weil die angestrebten Ziele komplex sind. ({5}) Nur so - ich will ausdrücklich daran erinnern, weil es um Steuergelder geht - kann ein echter Mehrwert für unsere Gesellschaft entstehen: mehr Beschäftigung, gesicherte soziale Lebensverhältnisse und Minimierung des Ressourceneinsatzes. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht, über den wir heute diskutieren, zeigt sehr deutlich, dass die Grundlage für die technologische Leistungsfähigkeit in Bildung, Ausbildung und der Qualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern liegt. Auch ich habe mir diesen vorhin schon mehrmals zitierten Satz des Berichts zu Gemüte geführt, ({0}) dass wir einen Wandel im deutschen Bildungssystem brauchen. Das wird der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben. Ich finde, das sollte vor allen Dingen die CDU einmal beherzigen. ({1}) Das mehrgliedrige Schulsystem ist eine echte Innovationsbremse. ({2}) Das steht in allen Studien. Auch alle Wirtschaftsinstitute werden Ihnen das bestätigen. ({3}) Nicht nur die Zahl der fehlenden Ausbildungsplätze und die Tatsache, dass ein Konzept zur Weiterbildung bislang fehlt, sondern auch der Anteil der Studienberechtigten lässt zu wünschen übrig. Hier muss mehr getan werden, um dem drohenden Fachkräftemangel in unserem Land zu begegnen. Ich muss feststellen, dass auch die SPD dem nichts entgegenzusetzen hat; denn die Koalition entfernt sich immer mehr von dem Ziel, eine Anfängerquote von 40 Prozent zu erreichen. Die Quote liegt mittlerweile unter 35 Prozent. Auch das schwächt die Leistungsfähigkeit dieses Landes. ({4}) - Sie sind doch mit in der Bundesregierung, oder nicht? Dem müssen Sie doch entgegenwirken. Was tun Sie denn gegen den Mangel an Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Ausbildungsgängen und Berufen? Auch hier ist keine Strategie zu sehen. Wir wissen doch: In allen Bereichen der wissenschaftlichen Forschung sind Frauen unterrepräsentiert. Frau Schavan, Sie müssen die Vergabe von Fördergeldern endlich daran knüpfen, dass Stellen mit Frauen besetzt werden. Frauen gehören zu dem Potenzial, das für die technologische Leistungsfähigkeit auch in der Wissenschaft in Deutschland wichtig ist. Da müssen Sie endlich mehr tun, als immer nur Sonntagsreden zu halten. ({5}) Kritisiert wird in dem vorliegenden Bericht auch der Mangel an Zuzug von ausländischen qualifizierten Fachkräften; darauf sind Sie ja kurz eingegangen, Frau Schavan. Sie haben mit dem Zuwanderungsgesetz nichts verbessert. Die ausländischen Studierenden werden künftig nur für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Diese Regelung führt zu einem hohen bürokratischen und finanziellen Aufwand, zeigt aber auch, dass ausländische Studierende hier nicht willkommen sind. ({6}) Dass die Forschungsorganisationen verpflichtet werden, die Kosten für eine eventuelle Abschiebung der exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aus dem Ausland nach Deutschland geholt wurden, zu zahlen, ist doch ein Rückschritt und kein Fortschritt. Das ist doch kein Willkommensgruß für ausländische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. ({7}) Im Übrigen haben Sie, Frau Schavan, mit Ihrer namentlichen Abstimmung über diesen Gesetzentwurf die Absenkung der Einkommensgrenze für Höherqualifizierte verhindert, um anschließend, nämlich eine Woche später, auf jeder Pressebühne lauthals zu verkünden, dass Sie das eigentlich ganz anders wollen. Dafür hätten Sie vorher lauthals im Kabinett werben sollen. Sie hätten in den Ausschuss kommen und unserem Antrag zustimmen sollen. Sie hätten vorher in der Koalition dafür kämpfen sollen und sollten nicht hinterher sagen: Jetzt bin ich eigentlich dafür, dass das Gesetz noch einmal verändert wird. - Wir wissen doch, dass das in den nächsten Jahren nicht erfolgen wird. ({8}) Das ist ein absurdes Spiel, was Sie hier vorführen. Auch zeigt sich, dass die Bundesregierung in den einzelnen Bereichen das Leistungspotenzial noch nicht ausgeschöpft hat - auch nicht durch entsprechende Förderinstrumente. Ich nenne zum Beispiel die Umwelttechnik. Da gibt es immer noch jede Menge ineffektiver Energieforschungsförderung. Zum Beispiel werden Millionen Euro durch falsche Planung und Verzögerungen beim Bau des Kernfusionsreaktors in Greifswald in den Sand gesetzt. ({9}) Sie begreifen anscheinend trotz des Energiegipfels immer noch nicht, dass wir eine Bildungs- und Forschungsinitiative im Bereich der erneuerbaren Energien brauchen und nicht auf Atomenergie setzen sollten. ({10}) Wahrscheinlich haben Sie die Debatte zur Energieforschung auf die Nachtstunden gesetzt, damit die Reden Priska Hinz ({11}) hierzu zu Protokoll gegeben werden können und nicht wieder vor dem versammelten Hause ein Streit in der Koalition ausbricht. ({12}) Wir dagegen fordern in unserem Antrag, dass das Marktanreizprogramm zu einem Innovationsprogramm umgestaltet wird. Es muss auch für die Bereiche Strom und Mobilität geöffnet werden, damit die Entwicklung einer nachhaltigen Energiegewinnung und alternativer Antriebssysteme im gesamten Verkehrsbereich gefördert werden kann. Davon können dann vor allen Dingen kleine und mittlere Unternehmen mit ihren Fachkräften profitieren. Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, Herr Tauss, auf Ihre IKT-Strategie. ({13}) In Ihrem Antrag erklären Sie die IKT zum wichtigsten Innovationsmotor. ({14}) - Sie sind die Nummer eins; so steht es in Ihrem Antrag. - Dann behaupten Sie doch tatsächlich, dass ein wichtiges Element der IuK-Politik der Großen Koalition die Förderung der Exzellenzinitiative ist. Wen wollen Sie hier eigentlich für dumm verkaufen? ({15}) Die Exzellenzinitiative ist so gestaltet, dass die Bundesregierung und auch die Koalition keinen Einfluss darauf nehmen können, welche Cluster und welche Forschungsfelder von der Jury ausgewählt werden. ({16}) Dann zu sagen: „Das ist Bestandteil unserer Forschungsförderstrategie“, ist mehr als peinlich. ({17}) Das steht in Ihrem Antrag. Sie sollten ihn vielleicht einmal genauer lesen, bevor Sie ihn unterschreiben. Das Schönreden geht weiter: Sie brüsten sich damit, dass der funktionierende Wettbewerb in Deutschland zu einer ausgezeichneten Kommunikationsinfrastruktur führt. Das stimmt leider nicht. Im Gegenteil: Deutschland hinkt hinsichtlich des Breitbandausbaus im Vergleich mit den anderen europäischen Staaten weit hinterher. Insbesondere beim DSL-Ausbau steht Deutschland schlecht da. Noch schlimmer ist aber, dass die Regierungsfraktionen ebendiesen funktionierenden Wettbewerb durch das neue Telekommunikationsgesetz verhindern. Wenn die Telekom von der Regulierung ausgeschlossen wird, fördert das den Wettbewerb nicht, sondern verhindert ihn. Das ist keine gute Botschaft für den Standort Deutschland. ({18}) Sie sollten unseren Antrag nutzen, um Ihre Regierungspolitik zu verbessern. Setzen Sie hinsichtlich der Qualifizierungsstrategie für Ausbildung und in den Zukunftsfeldern Energie, IuK-Technologie, Nanotechnologie und Weiße Biotechnologie auf die von uns benannten Anreize, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Dann werden wir die technologische Leistungsfähigkeit tatsächlich nachhaltig ausbauen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hinz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie unserem Antrag zu; dann sieht der nächste Bericht noch besser aus. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ilse Aigner für die Unionsfraktion. ({0})

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erst vor wenigen Wochen konnten wir über den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2006 diskutieren. Das war leider etwas spät. Heute aber diskutieren wir über den fast druckfrischen Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2007. ({0}) Ich begrüße das als ein Zeichen dafür, dass die technologische Entwicklung in diesem Land von diesem Haus, der Koalition und der Bundesregierung als wichtig erachtet wird. Der Bericht befasst sich allerdings im Wesentlichen mit der Vergangenheit. Sehr geehrte Frau Hinz, die Kritik bezieht sich auf die Zeit, in der Sie mit Verantwortung getragen haben. Auch das sollte man einmal sagen. Wichtig ist aber, dass der Bericht auch Zukunftsfragen berücksichtigt. Zum Beispiel geht er auf Aspekte unserer Hightechstrategie ein und bewertet es als positiv, dass wir uns um die Rahmenbedingungen für Forschung und Innovation kümmern. Wir wissen, dass das zwingend notwendig ist; denn die anderen Länder holen auf. Sie investieren nicht nur massiv in Forschung und Entwicklung, sondern haben meist auch günstigere Rahmenbedingungen, insbesondere was die Lohnnebenkosten und die Lohnstückkosten betrifft. Wie lange das ihr einziger Vorteil sein wird, ist fraglich. Ich glaube, sie werden auch in den anderen Bereichen aufholen. In diesem Hause sind wir uns einig, dass wir den Wettlauf um die billigsten Löhne nicht gewinnen werden und auch nicht gewinnen wollen. ({1}) Wir sollten uns aber auch darüber einig sein, dass wir um den Teil, den wir teurer sind, auch besser sein müssen. Vielleicht müssen wir in manchen Bereichen einfach nur schneller und etwas mutiger sein. Deutschland ist ein Land mit einem unwahrscheinlichen Ideenreichtum. Das zeigen die nach wie vor hervorragenden Patente, die angemeldet werden. Ob und wie die Zahl der Patentanmeldungen gesteigert werden kann, ist eine wichtige Frage. Noch viel wichtiger ist aber die Frage, wie wir die Patente schnellstmöglich in erfolgreiche Produkte umsetzen können. Der Bericht geht auch auf die gerade verabschiedete Unternehmensteuerreform ein. Einerseits wird anerkannt - das halte ich nach wie vor für wichtig -, dass die gesenkten Steuersätze auch in den Bereichen Forschung und Entwicklung positive Impulse mit sich bringen. Andererseits sieht es der Bericht als problematisch an, dass die Gegenfinanzierungsmaßnahmen insbesondere im Bereich der innovativen Unternehmen nicht nur positive Auswirkungen haben. Das haben wir in der Debatte bereits angesprochen. Wir begrüßen, dass zeitgleich der Entwurf eines Wagniskapitalgesetzes eingebracht werden soll, das genau diese Probleme aufgreift und ausbessert. ({2}) Ich glaube, dass sich die Mitglieder unserer Arbeitsgruppe in diesem Bereich noch mehr vorstellen können. Mehr war allerdings nicht möglich. Umso mehr möchte ich mich bei den Verhandlungsführern der Unionsfraktion bedanken, dass sie gerade hier wesentliche Verbesserungen der ursprünglichen Eckpunkte des Wagniskapitalgesetzes erreicht haben. Das ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung. ({3}) Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands enthält erstmals ein eigenes Kapitel zur Leistungsfähigkeit unserer Umweltwirtschaft. Ich denke, das ist aus guten Gründen so. Denn der gesamte Bereich der Umwelttechnologien gehört zu den Zugpferden unserer Wirtschaft. Wir sind hier Exportweltmeister und wollen es auch bleiben. ({4}) Der Klimawandel ist eine riesige technologische Herausforderung. Die Kompetenz unserer Wirtschaft auf diesem Gebiet ist daher weltweit gefragter denn je. Die Deutsche Bank hat gerade eine Studie mit dem Titel „Manche mögen’s heiß!“ herausgegeben. Darin wird untersucht, welche Branchen vom Klimawandel profitieren können. Dies sind natürlich in erster Linie CO2-freie oder CO2-arme Energietechnologien und ein großer Teil der Umwelttechnologien. Ich will aber ausdrücklich hinzufügen: Hier geht es nicht nur um wirtschaftliche Exportchancen. Die hohe Kompetenz unserer Wissenschaft und Wirtschaft bringt auch eine besondere Verantwortung mit sich. Weil wir es können, müssen wir eine internationale Schrittmacherfunktion bei der Begrenzung des Klimawandels und seiner Folgen übernehmen. In dem Bericht wird allerdings auch ein Absinken der FuE-Projektförderung im Umweltbereich im Berichtszeitraum konstatiert, also deutlich in der Vergangenheit. Ich glaube, das können wir uns nicht leisten. ({5}) Die Ministerin mit ihrem Haus hat deutliche Zeichen gesetzt. In den vergangenen Haushalten wurden und in den nächsten Haushalten werden die Mittel für die Projektförderung deutlich aufgestockt. Unsere Unternehmen müssen immer neue Lösungen anbieten können. Dazu brauchen sie Unterstützung. Es gibt noch viele Beispiele, gerade im Umweltbereich. In dieser Woche, in der der Energiegipfel stattgefunden hat, sind wichtige Zeichen gesetzt worden. Es gibt viel zu tun. Wir packen es auch an. Wir wollen mit unserer Ministerin und unseren Arbeitsgruppen die Forschung und Entwicklung für eine gute Zukunft nach vorne treiben. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDPFraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Zahlenwerk macht die Defizite der deutschen technologischen Leistungsfähigkeit der letzten Jahre wieder einmal sehr klar. ({0}) Erstens. In der rot-grünen Regierungszeit, lieber Herr Tauss, sind wir dem 3-Prozent-Ziel nicht wesentlich nähergekommen, obwohl Sie deutlich mehr als vorher ausgegeben haben. ({1}) Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben jetzt eine etwas bessere Situation. Sie, Frau Schavan, geben mehr aus. Aber, wie wir gestern im Haushaltausschuss besprochen haben, gibt es auch in Ihren Reihen eine ganze Reihe von Personen, die fest davon überzeugt sind, dass wir das 3-Prozent-Ziel trotzdem nicht erreichen werden. An dieser Stelle möchte ich Herrn Röspel auf Folgendes hinweisen: Es ist immer einfach, zu sagen, dass vorher alles schlecht war. ({2}) In den 80er-Jahren waren wir schon bei 2,9 Prozent, übrigens unter einem liberalen Bildungsminister. Das sage ich zu Ihrer Erinnerung. ({3}) - Dreimal. Zweitens. Der Zugang von jungen FuE-Unternehmen zu Wagniskapital ist im internationalen Vergleich mangelhaft. Das, was Sie unter Rot-Grün geboten haben, war nicht gewaltig. Bei Ihnen, Frau Schavan, wird es besser. Aber es bleibt ein massives Manko. Drittens. Die Absolventenquoten - darüber wurde vorhin schon viel geredet - an den deutschen Hochschulen waren zu gering. Die Abbrecherquoten an Schulen und Hochschulen waren zu hoch. Hier sehen wir definitiv keinen Fortschritt. Ich glaube auch nicht, Frau Schavan, dass die Qualifizierungsoffensive im Herbst viel helfen wird. Ich denke, das ist der falsche Weg. ({4}) Übrigens, lieber Herr Tauss, nicht die liberale Partei, sondern die Stiftung Marktwirtschaft ({5}) hat vor wenigen Tagen erklärt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes verschlechtere sich zwar nur langsam, aber dennoch gebe es Anzeichen dafür, dass Deutschland seinen Vorsprung bei der technologischen Leistungsfähigkeit zunehmend verliert bzw. teilweise verloren hat. Ich glaube nicht, dass ein solcher Satz in irgendeiner Weise das belegt, was Sie gerade versucht haben, uns klarzumachen. Es geht offensichtlich nicht besser, sondern stagniert bzw. wird schlechter. ({6}) Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen, dass wir mehr ausgeben sollen. Frau Schavan, wir haben darüber schon sehr oft ziemlich ausführlich diskutiert. Sie haben Probleme, uns zu belegen, dass dadurch, dass Sie zugegebenermaßen mehr Geld investieren - wir finden es gut, dass Sie das tun -, tatsächlich neue Arbeitsplätze entstehen. Darüber hinaus haben Sie Schwierigkeiten mit der Statistik. Das ist allerdings Ihr Problem; ich hoffe, Sie können es lösen. Sie haben uns in diesem Hause und andernorts immer wieder gesagt, dass Sie durch Ihre Aktion 1,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze im wissensbasierten Bereich schaffen wollen. Daran sind Sie zu messen. Ich hoffe, dass Sie dieses Ziel erreichen. Auch wir wollen natürlich, dass so viele Arbeitsplätze entstehen. Aber wir können einfach nicht glauben, dass Sie dieses Ziel durch die Maßnahmen, die Sie bisher auf den Weg gebracht haben, erreichen werden. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf das Thema Wagniskapital zurückkommen. Herr Professor Riesenhuber hat uns bereits erklärt, dass all das ganz toll sei. ({8}) Aber wie Sie wissen, sehen Ihre eigenen Leute das nicht so. An dieser Stelle möchte ich Herrn Meister zitieren, der gesagt hat, es sei „schade, dass eine Einigung mit der SPD nur für den Teilbereich des Wagniskapitals erzielt werden konnte.“ Offensichtlich habe sich der Finanzminister „nicht gegen die linken Kräfte seiner Partei und Fraktion durchsetzen können.“ ({9}) Lieber Herr Riesenhuber, ich wäre froh gewesen, wenn es anders gekommen wäre. Aber wir sind in Deutschland nach wie vor nicht in der Lage, vor allem die jungen und innovativen Unternehmen zu stützen. Ich wäre auch froh gewesen, wenn Sie an dieser Stelle dem Antrag der Grünen gefolgt wären. Die Grünen haben das Problem nämlich richtig erfasst. Daher werden wir ihnen an dieser Stelle folgen. Der Schwerpunkt muss bei Forschung und Entwicklung gesetzt werden. Das, was Sie, Frau Schavan - offensichtlich gemeinsam mit Finanzminister Steinbrück -, machen, ist Folgendes: Sie stützen vor allen Dingen die mittelständische Wirtschaft. Das ist ein honoriges Ziel. Im Prinzip ist dagegen nichts einzuwenden. ({10}) Aber die technologische Leistungsfähigkeit unseres Landes werden Sie dadurch nicht exzessiv steigern. ({11}) Zum Abschluss möchte ich noch auf das Zuwanderungsgesetz zu sprechen kommen. Hier nützt blühende Rhetorik wenig. Sie werden Ihre Anstrengungen deutlich erhöhen müssen. Bereits am Freitag dieser Woche könnten Sie das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat über die Länder, in denen Sie regieren, entsprechend verändern. ({12}) Unsere Unterstützung hätten Sie. Ich glaube, das würde unserem Standort insgesamt sehr nützen. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPDFraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Vorbe11138 Swen Schulz ({0}) reitung auf meine Rede fiel mir ein, dass ich im Jahre 2003 meine erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten habe. ({1}) Das Thema meiner damaligen Rede war der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Ich möchte jetzt nicht in Erinnerungen an die guten alten rotgrünen Zeiten schwelgen, obwohl das sicherlich Spaß machen würde. ({2}) Vielmehr möchte ich auf etwas hinweisen, was ich in meiner damaligen Rede gesagt habe - an dieser Stelle möchte ich mich ausnahmsweise einmal selbst zitieren -: Im Technologiebericht nimmt der Bereich Bildung diesmal zu Recht einen Schwerpunkt ein; denn schließlich stellt das Bildungssystem das Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit dar. ({3}) - Ja, damit hatte ich schon damals recht. ({4}) Im weiteren Verlauf meiner Rede sagte ich etwas über die damalige Opposition; das lasse ich jetzt weg. ({5}) Dann geht es wie folgt weiter: Der Bericht beschreibt insbesondere im Bereich der Hochqualifizierten einen deutlichen Mangel, der zu erheblichen Problemen führen wird, wenn wir nicht energisch gegensteuern. ({6}) In der Tat: Wo ich recht habe, habe ich recht. Im Ernst: Das Thema Fachkräftemangel war schon zum damaligen Zeitpunkt, im Jahre 2003, nicht neu. In jedem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit der letzten Jahre wurde dieses Problem beschrieben, und zwar als immer drängender. Die Botschaft lautete: Wir müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, damit wir nicht abgehängt werden, damit wir unsere Volkswirtschaft weiterentwickeln können und damit wir auch gesellschaftlich vorankommen. Das kommt übrigens auch in anderen Studien klar zum Ausdruck. In der letzten Woche haben wir im Ausschuss über die Ergebnisse einer Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung zur Zukunft der Arbeit diskutiert. In dieser Studie wurde ganz deutlich ein doppeltes Dilemma beschrieben: Einerseits gibt immer weniger Tätigkeiten für Geringqualifizierte, und andererseits fehlen immer mehr Hochqualifizierte. Jetzt hat die Bundesbildungsministerin einen Vorstoß gemacht, um den Zuzug ausländischer Fachkräfte zu erleichtern. Frau Ministerin, ich finde das gut, weil Sie damit ein Thema ansprechen, das für die politische Rechte schwierig ist. Allerdings stellt sich die grundlegende Frage, was getan wird, um das Bildungswesen in Deutschland so zu verbessern, dass ein Fachkräftemangel gar nicht erst entsteht. ({7}) Denn es ist klar: Dieses Problem ist hausgemacht. Damit keine Missverständnisse entstehen: Der Bund - Rot-Grün und nun die Große Koalition - hat Erhebliches geleistet, und wir haben noch viel vor: vorschulische Bildung und Betreuung. Das Ganztagsschulprogramm war ein Erfolg. ({8}) Es gibt den Hochschulpakt. Wir verbessern das BAföG, ergreifen Initiativen zur Förderung der Aus- und Weiterbildung und vieles mehr. Der Bundeshaushalt für Bildung und Forschung ist seit 1998 stark angestiegen. Auch im Entwurf für 2008 sind kräftige Zuwächse vorgesehen. Doch wir dürfen im Tempo nicht nachlassen, wir müssen weiter zulegen. Wir müssen aber auch sehen: Die Bundesregierung, der Bundestag kann das nicht alleine schaffen - dazu benötigen wir die Bundesländer und natürlich auch die Wirtschaft. ({9}) Es ist doch aberwitzig, dass viele Unternehmen jahrelang ihren Ausbildungspflichten nicht nachkommen und nun von der Politik verlangen, sie möge den Weg freimachen für die erleichterte Anwerbung von ausländischen Fachkräften. ({10}) Ich meine, wir sollten das nur zulassen, wenn die Wirtschaft im Gegenzug verpflichtet wird, sich endlich selbst ausreichend um Aus- und Weiterbildung zu kümmern. ({11}) Im Bericht wird von der realen Gefahr eines massiven Unterangebots an akademischen Fachkräften gesprochen, und es wird als kurzfristige Maßnahme, gewissermaßen zur Überbrückung aktueller Engpässe, die Erleichterung der Beschäftigung ausländischer Fachkräfte vorgeschlagen. Vor allem aber hebt der Bericht auf langfristig wirkende Maßnahmen in Deutschland ab: Ein deutlich höherer Anteil der Ausländer, die an deutschen Hochschulen einen Abschluss machen, sollen in Deutschland gehalten werden. Wir haben ja ausländische Studierende, aber eher zu wenige als zu viele. Erst investieren wir in ihre Bildung, dann schicken wir viele von ihnen wieder weg - das ist Unsinn. ({12}) Swen Schulz ({13}) In dem Bericht wird darüber hinaus gefordert, die Abbrecherquoten an den Hochschulen zu senken. Zitat: Dazu sind mehr Mittel für die Lehre notwendig. - Richtig: Wir müssen in die Qualität der Lehre investieren. Die Studierendenquote - auch das steht im Bericht muss erhöht werden. Dafür muss das Studium attraktiver gemacht werden, und es darf keine unnötigen Zugangsbeschränkungen geben. ({14}) Wir brauchen den Ausbau der Kapazitäten. Der Hochschulpakt ist ein guter Auftakt; aber es muss schnell einen Hochschulpakt II mit ausreichenden Mitteln und Planungssicherheit für den bedarfsgerechten Ausbau der Studienplätze geben. ({15}) Völlig zu Recht werden in dem Bericht vor allem die Länder in der Pflicht gesehen - sie wollen das ja auch so. Das trifft insbesondere für den nächsten Punkt zu: Es müssen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler die Studienberechtigung erhalten. Im Bericht steht einiges zu diesem Thema. Mehrere meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben bereits von Seite 8 zitiert. Ich will jetzt aus einer anderen Seite zitieren: „Dazu ist allerdings ein grundlegender Wandel des deutschen Bildungssystems nötig, das seine bisherige Bildungsphilosophie der Auslese zu einer fördernden wandeln müsste.“ - Das hört sich an wie ein Beschluss des SPD-Parteitages; ({16}) aber das ist original der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007. Um aber mehr SPD hineinzuwürzen, gehe ich noch auf die Chancengleichheit ein: Gestern haben wir im Ausschuss gehört, dass über 90 Prozent der Kinder von Eltern mit akademischer Vorbildung studieren, aber nur 17 Prozent der Arbeiterkinder. Was für eine Ungleichheit! Was für eine soziale Ungerechtigkeit und was für ein volkswirtschaftlicher Irrsinn! ({17}) Darum kämpfen wir Sozialdemokraten für das BaföG, und darum sind wir gegen Studiengebühren: weil sie finanzielle Hürden aufbauen, die insbesondere die sozial Schwachen treffen. Dieser Weg, der in vielen Ländern beschritten wird, ist falsch. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schulz, das war eigentlich ein schöner Schlusssatz.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht noch ein letzter Satz: Der Bund hat eine Menge gemacht und wird mehr machen müssen; doch Wirtschaft und Länder müssen mitmachen. In diesem Sinne wäre es sinnvoll - auch darüber steht im Bericht einiges -, sich die Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern anzuschauen. Bildung und Wissenschaft müssen endlich als Gemeinschaftsaufgabe begriffen werden. Dann klappt das auch mit der technologischen Leistungsfähigkeit! Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber für die Unionsfraktion. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Flach, es war wieder ein Vergnügen, Ihnen zuzuhören. Sie haben freundlicherweise das Originalzitat von Michael Meister, auf das Sie sich bezogen haben, vorgelegt: Unionsfraktionsvize Meister ist ernüchtert, es sei „schade“, - so sagt Herr Meister „dass eine Einigung mit der SPD nur für den Teilbereich des Wagniskapitals erzielt werden konnte.“ Beim Wagniskapital haben wir also eine Einigung, richtig? ({0}) Das Wagniskapital - das haben Sie ja angesprochen liegt uns gemeinsam am Herzen, und den Grünen, siehe den Antrag, auch. ({1}) Im Hinblick auf diesen ist es hier zu einer nächtlichen Stunde zu einer lediglich virtuellen Debatte gekommen; die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Aber immerhin sind es bemerkenswerte Texte. Wir sind uns einig, dass wir das wollen, sollen und können. ({2}) Und siehe da: Michael Meister und die Unionsfraktion kamen im herzlichen Zusammenwirken mit dem Finanzminister - SPD - zu einer glanzvollen Einigung, über die Michael Meister mit Stolz berichtet. ({3}) Man kann das jetzt im Einzelnen niederbrechen. ({4}) - Wenn sie etwas fragen ist das gut.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Flach, Sie haben das Wort.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Riesenhuber, Herr Meister hegt zu Recht die Befürchtung, dass mit den Linken dieser Großen Koalition das so, wie er sich es vorstellt, nicht durchzusetzen sei. ({0}) Wenn Sie diesen Artikel, der zu recht mit den schönen Worten „ein Papiertiger“ überschrieben ist, richtig interpretieren, sehen Sie, dass es diesbezüglich eine tiefe Kluft zwischen Rot und Schwarz gibt. Wenn ich Ihnen diese Frage stelle, gehe ich davon aus, dass Sie so etwas gerne wollen. Nur sind Sie leider an den Herrschaften von der SPD da drüben gescheitert.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist natürlich eine sehr unangenehme Frage. ({0}) Frau Flach, der Artikel - vielen Dank für das Papier - ist überschrieben mit dem Titel „,Private-Equity-Gesetz‘ ein Papiertiger“. Und jetzt erlauben Sie mir einmal, dass ich zur Sache spreche. Private Equity und Wagniskapital sind zwei völlig verschiedene Welten. Private Equity hat die wesentliche Aufgabe - das ist seine Chance und macht es auch manchmal unbeliebt -, in existierenden Unternehmen verborgene Werte zu heben. Das kann in der Bilanz sein, das können stille Rücklagen sein. Das kann auch eine mangelnde Effizienz in der Organisation sein. Es kann auch eine Blindheit für neue Märkte sein. Es kann auch das Risiko sein, dass man einfach irgendwelche neuen Techniken übersehen hat. Darum geht es bei Private Equity. Private Equity hebt Werte, die in Firmen schlummern. Manchmal geht es da blutig zu, wie wir alle wissen. Aber was ist Wagniskapital? Wagniskapital schafft Werte neu. Wagniskapital setzt Geld in Ideen um und macht dann, wenn es gelungen ist, aus diesem neuen Wissen Geld. Das ist Wagniskapital. Das ist also eine völlig andere Geschichte. Ich sehe keine dringende Notwendigkeit, Private-Equity-Gesellschaften mit Liebe steuerlich zu fördern. ({1}) Aber ich sehe eine dringende Notwendigkeit, Wagniskapitalgesellschaften dort, wo neues Wissen in die Märkte kommen soll, wo junge Unternehmer und Wissenschaftler ermutigt werden sollen, in jeder Weise zu fördern, weil wir in Deutschland eine Entwicklung hatten, die in hohem Maße problematisch ist. ({2}) Die Zahl der Unternehmensgründungen geht zurück, der Wagniskapitalmarkt ist rückläufig, die Zahl der Gründungen von Fonds ist zurückgegangen, und die Dynamik dieser ganzen Landschaft hat abgenommen. Wir haben rechtliche Rahmenbedingungen, die wir schrittweise aufarbeiten müssen. Dann kommt der Finanzminister in seiner Weisheit und Güte und sagt, er akzeptiere Steuerausfälle in Höhe von 500 Millionen Euro für diese Präferenz für Wagniskapitalunternehmen. Gut, das sind „Finanzminster-Dollar“. Wie die sich dann in der realen Welt darstellen, wird man sehen. Jedenfalls ist in den Verhandlungen wesentlich mehr als das erreicht worden, was sich das Finanzministerium ursprünglich überlegt hatte. ({3}) Das ist eine großartige Leistung dieser Koalition und ihrer glänzenden Abgeordneten auf beiden Seiten des Hauses, die hier in einer klugen Weise die Wirklichkeit verbessert haben. ({4}) Ich freue mich, dass der Konsens hier, je länger ich rede, immer größer wird. Ich bin gerne bereit, das auch noch weiter zu verstärken. ({5}) Wir haben das mit den zwei Welten also geklärt. Jetzt möchte ich aber doch noch auf einen Satz von Frau Schavan zu sprechen kommen, den ich sehr beeindruckend finde. Sehr verehrte Frau Ministerin, wenn ich das richtig notiert habe, dann haben Sie gesagt, dass Sie mit dem Finanzminister eine grundsätzliche Einigung dergestalt haben, dass die Forschungshaushalte - diese befinden sich ja nicht nur bei Ihnen - wegen des 3-Prozent-Ziels - die 6 Prozent kommen danach - schrittweise mit dem Wirtschaftswachstum wachsen sollen. Liebe Freunde, diese Aussage sollten wir alle in unseren Herzen bewahren und möglichst in jeder Debatte hier einbringen und nutzen. Diese Aussage ist von großem Wert. ({6}) Wer bin ich, an der Aussage unseres vorzüglichen Finanzministers zweifeln zu wollen? Ich nehme das hier als Grundsatz. Dann kommen wir zu interessanten Folgerungen. Wir kommen nämlich zu der Folgerung, dass es in den vergangenen Jahren hier eine Stagnation gab. Ich will jetzt nicht die Diskussion darüber aufgreifen, wer wann wie wenig getan hat. Ich könnte das natürlich tun. Die Zahlen in dem wunderbaren Bericht enden in der Regel bei 2005. Damals haben wir gerade angefangen zu regieren. ({7}) Bis dahin war die Sache ein wenig spröde. Die Wachstumsraten in der Wirtschaft und im Staatshaushalt waren mäßig. Das lag halt daran, dass Sie mit den Grünen regieren mussten. Dadurch wurde die ganze Sache so furchtbar schwierig. ({8}) Seitdem wir zusammen sind, wachsen die Forschungsaufgaben. Wir haben das 6-Milliarden-EuroProgramm, und die Ausgaben im jetzt vorliegenden Haushalt für 2008 liegen noch über den Zahlen in der mittelfristigen Finanzplanung des letzten Jahres. ({9}) - Entschuldigung, aber ich kann nicht gleichzeitig hören und reden. - Allein in den Haushalten der Ministerien für Wirtschaft und Technologie sowie für Bildung und Forschung steigen sie um 220 Millionen Euro. Das heißt, wir sind hier auf einem guten Weg. Ich muss jetzt leider eine ganz andere Rede als die halten, die ich mir überlegt habe. ({10}) Frau Schavan, ein anderer Punkt ist, dass Sie in dem Kontext auch darüber gesprochen haben, dass wir uns unseren Instrumentenkasten ansehen müssen. Ich finde den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit ungemein anregend. In dem ganzen Bericht gibt es kein Kapitel, das ausführlicher dargestellt und leidenschaftlicher angesprochen wird als das Kapitel über die steuerliche Förderung von Forschung. Es wird hier aufgeführt, was andere Länder tun, dass die OECD dafür ist, dass die meisten OECD-Staaten das tun, und dass die Europäische Union uns das empfiehlt. Es wird hier aber nicht darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung das auch in das Unternehmensteuerreformgesetz geschrieben hat, dass auch wir die steuerliche Forschungsförderung prüfen wollen. Das ist ein fantastisches Instrument. ({11}) Es wirkt sich weit in den Mittelstand hinein aus. Bürokratie und Anträge sind dafür nicht nötig. Man braucht keine Innovationen zu verzögern, weil ein Rechtsanspruch darauf besteht. Es ist voll einplanbar. Wenn ich mich als kleiner bzw. mittelständischer Unternehmer entschließe, einen Forscher zusätzlich einzustellen, dann weiß ich, was das bedeutet. Wir können von anderen lernen; denn andere Länder setzen auf dieses Instrument. In Großbritannien ist es bereits novelliert worden. Der Instrumentenkasten ist erprobt und überprüfbar. Wir wollen ihn nicht übertragen nicht kopieren, sondern kapieren. Die ganze Vielfalt, die wir in unseren Forschungsprogrammen haben, in der Hightechstrategie, in den 17 Projektfeldern, in der ganzen Fülle von Querschnittsfragen vom E-Government über die innovative Einkaufsstrategie bis hin zum Schutz des geistigen Eigentums - all dies bleibt erhalten und geht in eine Gesamtstrategie ein. Es wird nicht beschädigt. Mit der steuerlichen Forschungsförderung kommt aber die Chance hinzu, dass in einer Zeit, in der es für den Staat immer schwieriger wird, vorherzusagen, wo Neues entsteht, jeder, der will, ohne Bürokratie schnell und maßgenau in die Forschung gehen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Riesenhuber, wir haben nur einen beschränkten Instrumentenkasten, aber das Leuchten besagt, dass Sie Ihre Redezeit überschritten haben.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Leuchten stört mich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich weiß, dass Sie das stört. Aber es stört Sie offensichtlich nicht genug. Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja gut, dann tue ich das. Trotzdem bleibt es irritierend. Wir haben die Chance, den Schwung und die Dynamik in einer offenen Welt, in der wir die Zukunft nicht vorhersagen können - denn sie muss von den Unternehmern und Wissenschaftlern erfunden werden -, zu beschleunigen. Wenn wir das Vorhaben mit unserer Ministerin Frau Schavan, unserem Minister Michael Glos und unserem fantastischen Koalitionspartner SPD richtig anlegen, ({0}) dann werden wir mit Unternehmergeist und Entschlossenheit - wenn auch manchmal mit unterschiedlichen Akzenten - im demütigen Dienst der Politik für Deutschlands Zukunft erreichen, dass Wissenschaft, Wirtschaft und alle, die etwas Neues schaffen wollen, fröhlich und entschlossen die Zukunft gestalten können. Darauf arbeiten wir hin. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege Jörg Tauss. ({0}) Es ist ein Gerücht, dass heute die Redezeiten dem Lebensalter entsprechend berechnet werden. Aber nachdem Sie nun schon als fantastischer Koalitionspartner angekündigt wurden, möchte ich dem Hohen Hause nicht vorenthalten, dass Sie heute Ihren Geburtstag mit uns verbringen. Ich gratuliere Ihnen im Namen des gesamten Hauses. ({1})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich dachte schon, ich hätte 54 Minuten Redezeit; aber das scheint nicht der Fall zu sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vielleicht kann Ihr Koalitionspartner helfen. Die Instrumente sind schließlich bekannt.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. Ich bin nach der Liebeserklärung des Koalitionspartners regelrecht gerührt. Kollege Riesenhuber, es gibt in der Tat Themen, die wir schon in den Koalitionsverhandlungen gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Der Korrektheit halber muss man aber darauf hinweisen, dass man nicht alles, was man sich vorstellt und was wünschenswert wäre, auch sofort bei den Finanzpolitikern durchsetzt, die verständlicherweise Gestaltungsmissbräuche befürchten. Das ist auch der Hintergrund dafür, dass wir über Private Equity diskutieren, Frau Flach. ({0}) Es gibt sicherlich sehr viele positive Beispiele, es gibt aber auch die sogenannten Heuschrecken. In meinem Wahlkreis gibt es eine Reihe von hochinteressanten innovativen Betrieben, die durch den Einsatz solcher Gesellschaften ihrer wertvollen Teile beraubt wurden und anschließend nicht mehr so innovativ waren, wie es ihnen möglich gewesen wäre. ({1}) - Sie meinen nur die Guten. Das ist klar. Darauf können wir uns sicherlich einigen. ({2}) Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen. Erstens will ich wiederholen - in der Pädagogik sind Wiederholungen sehr wichtig -, dass unser selektives Schulsystem einen Großteil der Verantwortung dafür trägt, dass wir nicht alle Begabungen in unserem Land erschließen. Darin sind wir uns noch nicht ganz einig, Frau Ministerin. Aber auch in diesem Punkt nähern wir uns schrittweise an. Wir sind uns aber sicherlich einig, dass es darum geht, alle Begabungen zu erschließen. Wo unser dreigliedriges Schulsystem dem im Wege steht, sollten die Länder über Änderungen nachdenken. ({3}) Zweitens. Sie haben die Exzellenzinitiative im Zusammenhang mit IKT - darauf komme ich noch zu sprechen - kritisiert, Frau Kollegin Hinz. Die Exzellenzinitiative ist zwar nicht staatlich beeinflusst, aber wir haben die Universitäten in der Breite angesprochen. Insofern ist es kein Widerspruch, dass über die Exzellenzinitiative gerade auch im Bereich der IKT-Technologien Graduate Schools im Bereich Aachen, in Karlsruhe, Erlangen und München gefördert werden. ({4}) Deshalb ist gerade in diesem Bereich eine Stärkung zu verzeichnen. Das ist nicht verwunderlich. Frau Kollegin Flach, Sie haben die KMUs angesprochen und meinten, wir sollten die KMUs nicht überbetonen. Das verstehe ich nicht ganz. Diese Auffassung teile ich nicht, wenn ich Sie an dieser Stelle richtig verstanden habe; denn das war ein kritischer Punkt in der alten Forschungsförderung. Wir hatten immer Krach - weniger mit Herrn Riesenhuber als mit seinem Nachfolger Herrn Rüttgers -, weil die Großbetriebe sehr stark gefördert wurden. ({5}) - Stellen Sie eine Zwischenfrage wie beim Kollegen Riesenhuber! Tun Sie mir den Gefallen! Dann kann ich das noch länger ausführen. Das Problem bei der technologischen Leistungsfähigkeit ist, dass der Anteil kleiner und mittlerer Betriebe bei Forschung und Entwicklung in Deutschland zu gering ist. Das ist der Hintergrund, warum wir beispielsweise nach einem solchen Instrument wie der Forschungsprämie Ausschau gehalten haben. Der Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen wurde gerade im Technologiebereich erhöht. Kollege Riesenhuber, gerade wenn man Vergleiche bei der steuerlichen Förderung zieht, dann darf man nicht vergessen, dass es hier um zwei Seiten ein und derselben Medaille geht. Es gibt viele sinnvolle Instrumente. Wir haben das Instrument der Projektförderung, das andere Länder in vergleichbarer Form nicht kennen. Ich möchte nicht das eine gegen das andere ausspielen. Aber im Hinblick auf die Formulierung des gesellschaftlichen Bedarfs - hier haben wir positive Anreize gesetzt; ich nenne als Beispiele die Nanotechnologie und die Mikrosystemtechnologie - waren wir es - nicht die Wirtschaft oder das private Kapital -, die in der Forschungspolitik Schwerpunkte gesetzt haben. Kollege Brüderle, ein solches Beispiel mag Ihnen vielleicht zeigen, dass nicht alles, was vom Staat kommt, von Übel ist. Ohne Staat gäbe es übrigens noch nicht einmal das Internet. Solche positiven Beispiele mögen Marktwirtschaftsradikalen wie Ihnen als Erleichterung dienen. ({6}) - Richtig. Ich sage doch gar nicht, dass alles, was aus den USA kommt, von Übel ist. Bei uns in Europa wurde das Web entwickelt, genauso wie viele andere Dinge. Nun komme ich zu ein paar anderen Punkten, die bereits angesprochen wurden. Der Kollege Schulz hat als Beispiel den Fachkräftemangel genannt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich warne davor - das habe ich zum Teil den Medien entnommen -, Qualifizierung und Fachkräfteanwerbung als Gegensatz aufzufassen. Richtig ist aber in der Tat, dass zuallererst die Wirtschaft und die Bundesländer ihre Hausaufgaben zu erfüllen haben, auch wenn wir beispielsweise über Ausländerinnen und Ausländer reden. ({7}) Wir hätten exzellente ausländische Fachkräfte bereits im Land, wenn gehandelt worden wäre. Wir haben sehr viele zugewanderte junge Menschen. In BadenWürttemberg und insbesondere in Berlin beispielsweise gibt es Schulen, bei denen der Anteil der Kinder ausländischer Herkunft bzw. mit Migrationshintergrund 50 Prozent und mehr beträgt. Aber bei den Universitäten liegt der Anteil nur noch bei 8 Prozent. Das heißt, wir verschenken hier ein riesengroßes Potenzial an Zuwanderern, die bereits hier sind. Aber wir müssen das eine tun und dürfen das andere nicht lassen. Wir müssen qualifizieren und Fachkräfte, die spitze sind, ins Land holen. Darüber müssen wir diskutieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Tauss, gestatten Sie sozusagen in allerletzter Sekunde eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte eine umfangreiche, Frau Flach.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Kollegin Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da Sie heute Geburtstag haben, Herr Tauss, will ich Ihnen die Freude machen. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die SPD beim Ausländerrecht der FDP näher steht, als ich das gerade von Ihnen höre. Was sagen Sie denn zu den Aussagen eines Vorstandsmitgliedes des Rates für Migration, der von einem inhumanen Ausländerrecht spricht und sagt, in der Gesamtbilanz laufe alles auf eine verbesserte Abwehr weiterer Zuwanderung hinaus? Ich kann das mit Ihren positiven Worten nicht in Einklang bringen.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Flach, unabhängig davon, dass ich das vollständige Zitat nicht kenne - der Kollege Riesenhuber hat es vielleicht zur Verfügung -, ({0}) gibt es in Deutschland sozusagen die lebenslange Lüge, wir seien kein Einwanderungsland. Tatsächlich sind wir ein Einwanderungsland. Wir gingen an vielen Stellen mit denjenigen, die eingewandert sind, nicht gut um. Wir haben die Chancen und Potenziale der Eingewanderten vertan, und zwar in verschiedener Hinsicht. Das ist Fakt. Wir brauchen hier keine Schuldzuweisungen vorzunehmen. Ich freue mich über die Beschlüsse der SPD, die - genauso wie in anderen Einwanderungsländern - ein Punktesystem vorsieht. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen schauen, wo wir in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung Hochqualifizierte brauchen. Ich weiß nicht, ob Sie in der Debatte zugegen waren, aber ich bin froh, dass Herr Schäuble und Frau Schavan ganz konkret gesagt haben: In diesem Bereich sehen wir Handlungsbedarf; darüber müssen wir weiter reden. In diesem Punkt wollen wir mitwirken. ({1}) - Wie Sie wissen, ist der Fortschritt manchmal eine Schnecke. Hier gibt es sicherlich noch weiteren Diskussionsbedarf. Wie Sie wissen, betreibt die Landesregierung von Baden-Württemberg, an der Sie beteiligt sind, die reaktionärste Politik. Deswegen ist die Frau Ministerin von Baden-Württemberg weggegangen. Wäre sie Ministerpräsidentin geworden, wäre die Politik viel weniger reaktionär. Aber das ist ein ganz anderes Thema. Ich hoffe, ich schade Ihnen jetzt nicht, Frau Schavan. ({2}) Ich freue mich darauf, dass Baden-Württemberg ein Motor im Bundesrat wird. ({3}) - Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen. Etwas habe ich nicht verstanden, Frau Pieper. Ich setze mich heute arg mit der FDP auseinander. Vielleicht ist das wichtig, um Vorurteile zu überwinden, liebe Frau Pieper. Sie haben kritisiert, dass wir 17 Felder hätten und dass kein Schwerpunkt gesetzt würde. Mein Gott, dann sagen Sie uns doch bitte ganz deutlich, auf welches der 17 Felder, die wir im Rahmen der Hightechstrategie fördern, Sie verzichten wollen. Wir sind ein Exportland und decken die gesamte Breite der Exporte ab. Deswegen müssen wir versuchen, auf vielen Feldern Spitzentechnologien zu entwickeln und Spitze zu werden. Ein Bereich ist eben die Informations- und Kommunikationstechnologie. Finnland hat nur ein einziges Feld: Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Finnen haben gesagt: Wir wollen bei der Informations- und Kommunikationstechnologie Nummer eins werden. Dort ist auch noch eine einschlägige Firma ansässig. Das können wir in Deutschland nicht machen. Zu sagen, wir wollen nur auf einem Feld stark sein - diese Strategie nutzt Finnland -, nutzt uns nichts. Deswegen ist es gut, dass einer dieser Bereiche, über die wir reden, die Informations- und Kommunikationstechnologie ist. Das ist eines der wichtigsten Teile dieses Programms. Vielleicht können wir, da ich keine Redezeit mehr habe, dazu eine eigene Debatte anberaumen. ({4}) Das wäre lohnend. Ich kann nur sagen: In diesem Bereich gibt es viel zu tun. Denken Sie an den heutigen Schwelbrand im Deutschen Bundestag! Wir sind von unseren Computern abgehängt. Im Grunde genommen ist das eine Schande. Ein bisschen Schwelbrand, und schon funktionieren die Computer nicht mehr. Wir setzen also die Schwerpunkte auf die Informations- und Kommunikationstechnologie, auf die Sicherheitsforschung und auf kleine und mittlere Unternehmen, liebe Kollegin Flach, die innovativ sind und Software entwickeln. Das sind Entwicklungen, die wir brauchen. Frau Hinz, das ist eine Treibkraft auch für den Maschinenbau, im Fahrzeugbau und in vielen anderen Bereichen. Deswegen ist das ein richtiger Schwerpunkt. Ich glaube, wir sollten nicht über diesen Schwerpunkt mäkeln, sondern froh sein, dass wir ihn haben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5823, 16/5900 und 16/5899 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft - Drucksache 16/1828 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 16/5939 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Hans-Joachim Otto ({2}), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Modernisierung des Urheberrechts muss fortgesetzt werden - Drucksachen 16/262, 16/5939 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Beratung und Abstimmung bringen wir ein wichtiges Projekt endlich an sein Ziel. Wir modernisieren das Urheberrecht und wir machen es fit für das digitale Zeitalter. Mit dieser Reform sorgen wir auch für einen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern und Nutzern geschützter Werke, und wir schaffen ein Gesetz, das die Selbstregulierung stärkt. Es war kein einfaches Projekt. Beim Urheberrecht geht es um geistiges Eigentum, und dabei geht es auch um viel Geld. Alle Betroffenen haben deshalb mit großer Verve für ihre jeweiligen Interessen geworben. Das ist völlig in Ordnung. Ich bin gleichwohl froh, dass es uns gelungen ist, einen Kompromiss zu finden, von dem ich hoffe, dass alle Seiten damit gut werden leben können. Drei Aspekte waren in den letzten Monaten ganz besonders umstritten. Der erste Aspekt ist die Pauschalvergütung. Es bleibt mit diesem Gesetz dabei, dass die Privatkopie eines Werkes auch in der digitalen Welt erlaubt ist. Als Ausgleich dafür gibt es für den Urheber weiterhin die sogenannte Pauschalvergütung. Wie hoch diese Vergütung ist, werden die Beteiligten künftig selber festlegen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Bisher hatte dies der Gesetzgeber festgelegt. Man muss allerdings hinzufügen, dass sich auf diesem Gebiet seit 1985 nichts mehr geändert hat. Dieser Paradigmenwechsel entspricht aber den allgemeinen wirtschaftlichen Strukturen in unserem Land. Ich hoffe, dass mit seiner Hilfe auch auf den immer rasanter werdenden technischen Fortschritt schneller reagiert werden kann, als das bisher möglich ist. Urheber und Geräteindustrie werden sich bei diesen Verhandlungen auf Augenhöhe begegnen. Es gibt keine Obergrenze für die Vergütung. Trotzdem muss sie natürlich in einem angemessenen Verhältnis zum Preis des Gerätes oder des Speichermediums stehen. Das steht so ausdrücklich im Gesetz. Man wird deshalb auf einen CD-Rohling für wenige Cent keine Vergütung von mehreren Euro erheben können. Die Beteiligten sind jetzt aufgefordert, sich zu einigen. Sie müssen den Freiraum der Selbstregulierung nutzen. Es wird am Anfang sicherlich nicht einfach sein, sich nach einer über mehrere Jahre kontrovers geführten Debatte auf einmal an einen Verhandlungstisch zu setzen. Ich habe deshalb bei verschiedenen Moderationsgesprächen, die ich in der vergangenen Zeit geführt habe, schon angeboten, dass das BMJ dabei als Moderator zur Verfügung steht. Ich möchte dieses Angebot hier gern erneuern. Ein zweiter wichtiger Punkt sind die künftigen Nutzungsarten. In Zukunft ist es erlaubt, dass Urheber und Verwerter auch einen Vertrag über solche Nutzungsarten abschließen, die bei Vertragsschluss noch unbekannt sind. Das hört sich futuristisch an, ist aber eine wichtige Regelung; denn damit wird es leichter, die Werke auch in neuen Medien auf den Markt zu bringen. Hätte es das schon früher gegeben, dann wäre es heute nicht so schwierig, eine alte Theateraufführung auch auf DVD anzubieten. Wir haben aber auch bei diesem Punkt die Belange der Urheber im Blick behalten, und wir haben festgelegt, dass der Verwerter den Urheber informieren muss, wenn er eine neue Art der Nutzung des Werkes plant, und dass der Urheber ein Widerrufsrecht hat. Der dritte Aspekt betrifft die zeitgemäße Nutzung von geschützten Werken in Bibliotheken. Dabei geht es um sogenannte elektronische Leseplätze und um den digitalen Versand von Kopien auf Bestellung. Für all das gibt es jetzt erstmals überhaupt eine gesetzliche Grundlage. Wir achten auch da auf den gerechten Interessenausgleich. Der Gesetzgeber darf den Verlagen durch das Gesetz das Onlinegeschäft nicht kaputt machen. Das wäre wirtschaftspolitisch ein falsches Signal, und rechtlich wäre es zudem nicht vertretbar. Auch wenn es vonseiten des organisierten Wissenschaftsbetriebes manchmal vergessen worden ist: Es geht auch hier um geistiges Eigentum, und das ist verfassungsrechtlich geschützt. ({0}) Durch diesen Gesetzentwurf wird ein Ausgleich zwischen den Wissenschaftlern als Autoren und den Wissenschaftlern als Lesern geschaffen. Im Urheberrecht sind alle Seiten aufeinander angewiesen. Ohne Urheber gibt es nichts zu verwerten, und ohne Verwerter wäre jedes Stück ein Unikat. Unsere Reform des Urheberrechts wird meiner Meinung nach beiden Seiten gerecht. Sie ist ein fairer Kompromiss. Sie schafft ein modernes Recht, und sie ist der gute Abschluss einer langen Debatte. Ich möchte mich bei all denjenigen hier im Hause, die insbesondere in den letzten Monaten daran mitgewirkt haben, dass dieser Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause verabschiedet werden kann, recht herzlich bedanken, namentlich bei den beiden Berichterstattern der Koalition. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der FDP-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ein kleiner Dank an die FDP-Fraktion wäre schon angemessen gewesen. ({0}) Wir haben in dieses wirklich umfangreiche und sehr schwierige Gesetzgebungsverfahren eine sehr konstruktive und sehr zielorientierte Mitarbeit eingebracht. ({1}) Ich freue mich sehr, dass es im Rahmen dieser sehr langwierigen und sehr schwierigen Gespräche doch zu grundlegenden Änderungen am Regierungsentwurf gekommen ist. Von daher kann man dieses Gesetz, wie wir es heute beschließen werden, als ein Parlamentsgesetz bezeichnen. In den Kernpunkten haben wir trotz des schwierigen Weges einen fairen Ausgleich zwischen den Beteiligten, nämlich zwischen den Urhebern und Rechteinhabern auf der einen Seite und den Nutzern, nämlich den Verbrauchern, auf der anderen Seite, gefunden. Das ist ja immer die Kernaufgabe des Urheberrechts, und zwar eine Daueraufgabe. Schon heute wissen wir: Das Urheberrecht wird uns in dieser Legislaturperiode auch weiter beschäftigen. Wir haben noch offene Punkte genannt und schon einen weiteren Gesetzentwurf zur Durchsetzung von Ansprüchen, die ein Urheber hat, vorliegen. Frau Ministerin, Sie haben eben einen Themenkomplex genannt, der eigentlich mit am schwierigsten zu regeln war, nämlich die Neuregelung der Vergütung der Privatkopien in der Form einer Abgabe auf die Geräte. Derzeit wird dies vom Staat durch eine Verordnung festgelegt. Diese Vergütung ist seit Jahrzehnten nicht erhöht worden. Denn es gibt für einen Minister oder eine Ministerin keine unangenehmere Aufgabe, als einseitig Preise festzusetzen. Dabei kann man es natürlich niemandem recht machen. Von daher sind Sie bestimmt froh, dass gerade wir als FDP-Fraktion den Paradigmenwechsel hin zu einer Verhandlungslösung wollten. Frau Ministerin, Sie haben einen Punkt - ich verstehe es aus Ihrer Sicht natürlich - hier nicht angesprochen, den ich einbringen muss. Dass wir uns auf den neuen Weg der Verhandlung zwischen Vertretern der Geräteindustrie und der Verwertungsgesellschaften verständigen konnten, liegt daran, dass die ursprüngliche Vorgabe, eine Deckelung bei der Festsetzung der Abgaben, nämlich 5 Prozent des Gerätepreises, vorzunehmen, im Konsens herausgenommen wurde. Ich habe für die FDP immer gesagt: Das ist für uns einer der wichtigen Punkte. Denn man kann nicht auf Augenhöhe verhandeln, wenn eine Seite schon am Anfang in eine schwierigere Situation gebracht wird. Deshalb sage ich: Mit der Einigung, hier eine grundlegende Änderung vorzunehmen, dass nämlich künftig die tatsächliche Nutzung die Grundlage für die Berechnung und damit für die Verhandlung sein soll, war aus Sicht der FDP-Fraktion der Weg offen zu einem weitergehenden Kompromiss. Wir sind froh - das war kein Kernpunkt der Verhandlung -, dass die Bagatellklausel schon im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen worden ist. Gerade bei geringfügigen Verletzungen bietet das geltende Recht sehr wohl alle Möglichkeiten, dass es hier nicht zu einer Verurteilung kommt. Wir alle beklagen doch den Bedeutungsverlust, den das geistige Eigentum, das Urheberrecht, das, was Kreative, was Künstler schaffen, in der Öffentlichkeit erlitten haben. Dem würden wir mit einer Bagatellklausel natürlich noch einmal Vorschub leisten. ({2}) Dann möchte ich auf die unbekannten Nutzungsarten zu sprechen kommen. Sie können dazu führen, dass wichtige Bestände, geschaffene Werte, Güter, die bisher nicht zugänglich gewesen sind, in einer neueren Form, wie man sie vielleicht vor vielen Jahren nicht kannte, mit den modernen technologischen Möglichkeiten zugänglich werden. Das ist gut für die Nutzer, die Urheber, die Künstler, die Kreativen, für die, die die Rechte haben. Es war für alle gemeinsam richtig, die Hürden aus dem geltenden Urheberrecht zu nehmen. Deshalb haben wir uns von Anfang an dafür eingesetzt. Da war ja der Regierungsentwurf auf dem richtigen Weg, zum Beispiel bei der Widerspruchsregelung bei Verhandlungen, nämlich dass es, wenn ein Urheber widersprechen möchte, zu einer anderen Form von Verwertung kommt, zu einer Form, die man bisher nicht kannte. Dies wird der Sachlage gerecht. Wir haben aber auch berücksichtigen müssen, dass gerade im Bereich der Filmwerke mit sehr vielen Urhebern und Rechteinhabern eine einfache Widerspruchsregelung in das Gesetz nicht Eingang finden kann; denn das würde es unmöglich machen, zu einer Verwertung im Interesse von Urhebern, von Verwertern und besonders von Nutzern zu kommen. Es findet also auch in dieser Beziehung ein guter und angemessener Interessenausgleich statt. Ich sage denjenigen, denen das nicht passt und nicht weit genug geht: Niemand darf ein geistiges Werk entstellen, auch nicht bei einer neuen Nutzungsart oder anderen Formen der Verwertung, etwa auf einer DVD, die es vor 20 oder 30 Jahren ja noch nicht gegeben hat. Deshalb braucht niemand Angst zu haben, dass zum Beispiel ein Film verfälscht wird. Das ist eine Regelung, die wirklich für alle Beteiligten zufriedenstellend ist. ({3}) Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann, ist einer, der für manche Fraktionen, gerade für die Koalitionsfraktionen, mit der schwierigste war: Wie findet man den Ausgleich zwischen den Interessen von Bibliotheken an Universitäten oder Hochschulen, die mit einem Buch am liebsten Hunderttausende von Studenten versorgen wollen, und den Interessen derjenigen, die diese wissenschaftlichen Werke oder Beiträge erstellen und verwerten? Auch Verlage müssen rechnen. Sie können nicht im Hinblick darauf, dass es um wissenschaftlich wichtige Arbeiten geht, auf Rechte verzichten. Sie müssen sehen, dass ihr Verlag am Leben bleibt. Von daher war der Kompromiss gut und richtig, nämlich festzulegen: Auch der Zugang zu den Werken in einer Bibliothek wird mit davon abhängig gemacht, wie viele Bücher diese Bibliothek hat und wie viele den Inhalt an Leseplätzen digitalisiert nutzen wollen. Wir haben eine Flexibilitätsklausel eingebaut. In der Begründung wird dazu etwas ausgeführt. Diese Regelung wird auch dem Ansturm in den Universitäten auf neue Werke gerecht werden. Die Juristen würden sagen: Mit einem Palandt kann man nicht das ganze juristische Semester versorgen. Das geht nicht. Das gilt genauso für andere Bereiche. ({4}) - Den hat jeder von uns im Büro. Es gibt nicht nur ein einziges Exemplar im Bundestag. Es ging um den Kopienversand. Frau Ministerin, da teile ich Ihre Einschätzung. Ich habe Ihren Ansatz in den nicht leichten Verhandlungen unterstützt. Jetzt wird eine Grundlage dafür geschaffen, dass Bibliotheken unter bestimmten Voraussetzungen elektronische Kopien versenden können. Das wäre ohne diese Regelung in der Form künftig nicht mehr zulässig gewesen. Jetzt wird also eine sichere Rechtsgrundlage geschaffen. Die bisherige Praxis hätte in der Form nicht fortgesetzt werden können. ({5}) Zum Schluss bedanke ich mich sehr, auch für die Unterstützung aus dem Ministerium bei diesen Beratungen, und sage klar: Wenn der Dritte Korb aufgemacht wird, ({6}) haben wir neben vielen anderen Punkten noch ein wichtiges Thema: die Kabelweitersendung. Die Regelung versteht kein Mensch. Dabei wollen wir zu besseren und angemessenen Regelungen kommen. ({7}) Recht herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Günter Krings, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wenn generell gilt, was wir schon oft erfahren haben: „Kein Gesetz verlässt den Deutschen Bundestag so, wie es hineingekommen ist“, so gilt das in ganz besonderem Maße für dieses Urheberrechtsänderungsgesetz. Im Vorfeld haben wir als Unionsfraktion zusammen mit unserem Staatsminister Neumann bereits maßgeblich dafür gesorgt, dass die sogenannte Bagatellklausel aus dem Gesetzentwurf genommen wird. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren zusammen mit dem Koalitionspartner und anderen Fraktionen, namentlich der FDP, dafür gesorgt, dass die Begrenzung der GeräteabDr. Günter Krings gabe auf 5 Prozent so nicht kommt, dass die Einstiegsschwelle, von der an überhaupt Abgaben erhoben werden dürfen, eben nicht bei 10 Prozent liegt. Wir stärken die Rechte des Urhebers, wie bereits angesprochen, auch bei unbekannten Nutzungsarten, ohne dass wir von der Idee, dass man auch Altinhalte auf neuen Formaten zugänglich machen muss, Abschied genommen hätten. Zuletzt - um nur vier Beispiele zu nennen - haben wir im Bereich von Wissenschaft und Bildung dafür gesorgt - das ist § 52 b -, dass die neue Schranke nur in abgeschwächter Form Geltung erhält. Ein Buch, das in einer Bibliothek nur einmal vorhanden ist, darf man nicht dutzendfach zugänglich machen. Diese umfassenden Änderungen belegen: Das Parlament hat bei diesem Gesetz seine Rolle als Gesetzgeber ganz besonders ernst genommen. Das BMJ - das will ich ausdrücklich dankend erwähnen - hat mit umfangreichen Vorarbeiten den Weg bereitet. Dafür vielen Dank an die Ministerin und an die Mitarbeiter, die hier zahlreich vertreten sind. Das waren umfassende, zeitraubende und oft schwierige Vorarbeiten. Allerdings ist auch klar: Der Gesetzgeber bleibt das Parlament. Das ist, wie ich finde, übrigens auch ein wichtiges Signal an alle Lobbyisten, die dieses Gesetzgebungsverfahren mit großem Interesse verfolgt haben. ({0}) Dieses Signal geht insbesondere von der Entscheidung bezüglich der 5-Prozent-Klausel aus. Das möchte ich ganz deutlich sagen. Diese Formel geht ja nicht auf sachliche Erwägungen während der Vorarbeiten zurück, sondern auf eine Zusage von Altkanzler Schröder. So viel Wahrheit muss hier erlaubt sein. Die Entscheidung dagegen ist somit ein gutes Signal, welches deutlich macht, dass auch ein Bundeskanzler nicht über die Gesetzgebungsarbeit des Deutschen Bundestages disponieren kann. ({1}) Ich bin übrigens froh, dass entsprechende Versuche bei unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht erfolgreich waren, sondern sie an der Stelle standhaft geblieben ist. Jedenfalls hat mich kein Anruf aus dem Kanzleramt mit der Aufforderung erreicht, hier müsse man noch etwas ändern. Ich bin auch froh, dass die neue Bundesregierung offenbar stärker die volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsmöglichkeiten erkannt hat, die in urheberrechtlichen Maßnahmen für die Kreativwirtschaft insgesamt liegen. Deutschland lebt nicht nur von Hardwareverkäufen, sondern eben auch von den Inhalten, die auf dieser Hardware transportiert werden. Ich will allerdings auch betonen, um Besorgnisse ein wenig auszuräumen: Wir haben durchaus einen Kompromiss gesucht, der auch die Interessen der Geräte- und Lehrmedienhersteller berücksichtigt. Im Gesetz ist nach wie vor die klare Aussage enthalten, dass diese vor unzumutbaren Belastungen geschützt werden, und im Entschließungsantrag ist noch einmal deutlich gemacht worden, dass wir auch von den Verwertungsgesellschaften erwarten, dass sie so moderate Vergütungssätze fordern, dass es nicht zu einer Verlagerung des Handels ins Ausland kommt. Die ominöse 5-Prozent-Klausel wäre jedoch keine geeignete Methode gewesen, um das zu erreichen. Sie ist systemfremd. Der Urheber hat einen Anspruch auf Entschädigung. Wenn er vom Gesetzgeber die Pflicht aufgegeben bekommt, Eingriffe in sein Urheberrecht zu dulden, dann muss er nach dem alten Grundsatz „Dulde und liquidiere“ auch liquidieren können. Er darf dann bei den Kompensationszahlungen für die Nutzung seines geistigen Eigentums nicht Opfer der Preispolitik der Industrie werden. Ich sage aber an die Adressen der Verwertungsgesellschaften und anderer Verwerter von Urheberrechten auch ganz deutlich: Eine Pauschalabgabe kann langfristig nicht die Lösung und die Antwort auf die Probleme sein. Jeder, der jetzt meint, sich auf den Regelungen zur Pauschalabgabe ausruhen zu können, muss wissen, dass auf lange Sicht jedenfalls kein Weg an digitalen Rechtemanagementsystemen und Ähnlichem vorbeigeht. Auf Dauer muss das Urheberrecht dafür sorgen, dass das geistige Eigentum seinen Gegenwert selbst erwirtschaften kann. Ich verhehle nicht, dass ich persönlich eine gewisse Skepsis habe, ob die Verhandlungslösung, die wir heute einführen, funktioniert. Ich hoffe das aber und bin deshalb bereit, das auszuprobieren. Wenn aber wirklich Verwertungsgesellschaften und die Verbände der Gerätehersteller verhandeln sollen, dann dürfen wir nicht - das ist eben schon gesagt worden - einerseits einem der Verhandlungspartner eine Eisenkugel ans Bein binden und andererseits erwarten, dass auf Augenhöhe und gleichberechtigt verhandelt wird. Falls das Ganze nicht funktionieren soll - das sage ich ganz deutlich -, falls die Verhandlungen zu jahrelanger Rechtsunsicherheit führen sollten, dann muss der Bundestag die Sätze wieder selbst festlegen. Nach meiner Auffassung ist die Tatsache, dass seit 1985 keine Anpassung erfolgt ist, weniger ein Beweis für ein schlechtes Gesetz als vielmehr ein Beleg für den Kleinmut aller Gesetzgebungsakteure. Da schließe ich alle ein, vom Bundestag bis zum Justizministerium. Ich persönlich habe durchaus noch Vertrauen in die Fähigkeit zu schnellen Handlungen und Reaktionen von Bundestag und Justizministerium. Ich hätte mir gewünscht, dass die Justizministerin mit etwas mehr Selbstvertrauen an diese Frage herangegangen wäre. Wir probieren es nun aber einmal auf die eben dargestellte Weise. Für die Union, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist geistiges Eigentum eine wesentliche Grundlage für Wohlstand und Freiheit in unserer Gesellschaft. Das gilt gerade auch für die moderne Informationsgesellschaft. Unsere Volkswirtschaft lebt insbesondere von den Leistungen der Kreativen in unserem Lande. Die haben auch Anspruch auf den entsprechenden Schutz. ({2}) Es reicht nicht aus, die Wahrung der Rechte von geistigem Eigentum nur im Ausland anzumahnen. Es reicht nicht aus, den Blick nach China, Indonesien oder Indien zu richten und von diesen Ländern einen besseren Schutz geistigen Eigentums einzufordern. Zugleich müssen wir hier in Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Ein wichtiger Testfall wird nach der Sommerpause kommen. Dann geht es um die Umsetzung der sogenannten Durchsetzungsrichtlinie. Hier wird es zum Schwur kommen und sich herausstellen, ob die Bekenntnisse zum Schutz geistigen Eigentums Lippenbekenntnisse waren oder ob wir an der Stelle tatsächlich wirksameren Schutz wollen. Die Durchsetzungsrichtlinie trifft bekanntlich die gesamte Bandbreite des geistigen Eigentums. Das Justizministerium bleibt mit seinen Vorschlägen meines Erachtens am unteren Rand der europarechtlichen Vorgaben, will aber zusätzlich diese Richtlinie mit einer Regelung befrachten, die eigentlich ins Anwaltsgebührenrecht gehört. Die Union plädiert hier für einen wirksamen Schutz des geistigen Eigentums, also für mehr als nur einen Schutz auf dem Papier des Gesetzblattes. Das Beispiel anderer EU-Mitgliedstaaten sollte uns zu denken geben. Sie haben nämlich einen wirksamen Auskunftsanspruch eingeführt, der dafür sorgen wird, dass der Rechteinhaber seine Rechte auch erfolgreich geltend machen kann. Warum ist das so wichtig? Warum ist auch die Fortentwicklung des Urheberrechtes in dieser Frage so wichtig? Neben der Schwarzarbeit ist heute nach meiner Einschätzung die Internetpiraterie eines der wichtigsten Probleme für und einer der wichtigsten Angriffe auf unsere Volkswirtschaft in Deutschland. Nehmen wir einmal die Musikbranche. Auf einen einzigen Kauf eines Musikstücks im Internet kommen 14 illegale Downloads. Das hat wirtschaftliche Folgen. Die jährlichen Verluste gehen schon gegen eine halbe Milliarde Euro. Jeder zehnte Arbeitsplatz in dieser Branche ist seit 2003 verloren gegangen. Ähnliches droht der Filmbranche; es betrifft sie teilweise schon jetzt. Ein Beispiel: Wir alle erinnern uns noch an den Film „Good Bye, Lenin!“, der übrigens nicht von Hollywood, sondern von deutschen Regisseuren, Schauspielern und Produzenten produziert worden ist. Er war einer der erfolgreichsten Filme der letzten Jahre in Deutschland überhaupt. Aufgrund seines Erfolges hatten sich alle Beteiligten ausgerechnet, dass man beim DVD-Verkauf noch einmal - auch zu Recht - Geld verdienen können müsste. Weit gefehlt! Bevor die erste DVD überhaupt in den Handel gekommen ist, gab es schon 770 000 illegale Downloads. Zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Film noch nicht im Handel erhältlich ist, kann ein Download nicht aus Versehen geschehen. Das sind wissentliche und willentliche Urheberrechtsverletzungen, gegen die wir vorgehen müssen. ({3}) Wichtig und gut - vielleicht nur nicht ausreichend ist daher, dass wir jetzt in § 53 die Klarstellung vornehmen, dass ein Download aus offensichtlich illegalen Quellen keine zulässige Privatkopie ist. Wichtig ist auch, dass wir im Vorfeld - ich habe es gesagt - die Bagatellklausel aus dem Gesetzentwurf entfernt haben. Es wäre ein verheerendes Signal gewesen, wenn der Staat gesagt hätte: „Das ist alles eigentlich verboten“ und wenn er dann mit großem Augenzwinkern hinzugefügt hätte: Es ist nicht so schlimm. Macht ruhig weiter! - Diese Art der Kapitulation des Rechtsstaates wird es mit der Union auch künftig nicht geben. Ich bin froh, dass es das auch mit der SPD-Fraktion nicht geben wird. Dafür, dass sie uns hier zugestimmt hat, bedanke ich mich. Wir haben sicherlich noch nicht alles getan. Dass auch der Gesetzentwurf noch einige Punkte offenlässt, will ich nicht verhehlen. Ich bin sicher, dass der Gesetzgeber des Jahres 1965 sich Privatkopien in der heutigen Form so noch nicht vorgestellt hat - sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Heute geht es eigentlich nicht mehr um Kopieren, sondern um Klonen einfach, schnell, ohne Qualitätsverlust und billig. Deswegen müssen wir die verworrene Rechtslage auch in einem nächsten Korb klarer machen. Die heutige verworrene Rechtslage nutzt dem Dreisten, der die Grenze austestet. Der Ehrliche ist hier leider der Dumme. Deswegen sind in einem nächsten Korb - auch im Interesse der Verbraucher und ihrer Rechtssicherheit - klare Grenzziehungen notwendig. Lassen Sie mich hier drei Punkte nennen. Erstens. Kopie nur vom Original. Das ist eine sehr vernünftige und von uns seit längerem erhobene Forderung. Zweitens. Wir sollten uns die Begründung zum § 52 b des Gesetzentwurfes zum Vorbild nehmen und die Anzahl der zulässigen Privatkopien auf einen bestimmten Höchstwert begrenzen. Drittens. Vor allem sollten wir uns bemühen, das Problem der intelligenten Aufnahmetechniken relativ rasch in den Griff zu bekommen. Derzeit kann man mithilfe einer Software Tausende von Internetradiostationen abhören und auf diese Art und Weise sehr leicht und fast kostenlos so viele Musikstücke, wie man möchte, auf seinen eigenen Rechner herunterladen. Funktional ist das nichts anderes als eine illegale Musiktauschbörse. Dem müssen wir Einhalt gebieten. Allerdings brauchen wir auch noch Aufklärungsarbeit - das hat das Gesetzgebungsverfahren gezeigt - in Richtung des Bereichs Wissenschaft und Bildung. Wie ich mit Bedauern zur Kenntnis genommen habe, sehen einige Professoren das Urheberrecht offenbar eher als Bedrohung denn als Chance, obwohl gerade die Wissenschaftler von dem geistigen Eigentum und für das geistige Eigentum leben. ({4}) Genauso wenig, wie man erwarten kann, dass ein Privatmann ein Grundstück kostenlos für eine Universität zur Verfügung stellt, nur weil man dort einen wichtigen Hörsaal bauen will, wird man erwarten können, dass Urheber kostenlos ihr geistiges Eigentum für die Wissenschaft zur Verfügung stellen. Dieser Freibier-Mentalität müssen wir Einhalt gebieten. ({5}) Faktum ist nun einmal, dass die meisten Wissenschaftler nicht nur auf der eigenen Homepage publizieren möchten, sondern auch bei einem Verlag. Deshalb kann wissenschaftsfreundliches Urheberrecht gar nichts anderes heißen als auch wissenschaftsverlagsfreundliches Urheberrecht. Nahezu die gesamte Wissenschaftslandschaft ist staatlich dominiert. Da tut ein privatrechtlich organisierter Tupfer ganz gut. Daher bin ich froh, dass wir - auch in Zusammenarbeit mit den Bildungspolitikern; an dieser Stelle haben wir uns aufeinander zu bewegt; das will ich ausdrücklich sagen - einen vernünftigen Ausgleich der Interessen gefunden haben. Damit verhindern wir eine schleichende Verstaatlichung der Wissenschaftsverlage. Das ist einer der größten Erfolge. ({6}) Abschließend möchte ich den Fraktionen, die mitgewirkt haben, meinen Dank aussprechen. Ich bedanke mich vor allem bei dem Koordinator der Berichterstatterrunden, Herrn Manzewski, der dies mit sehr viel Umsicht und Kenntnis getan hat. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei der FDP, insbesondere bei Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ({7}) die bis zum Schluss dabeigeblieben ist. Das ist eine Standhaftigkeit, die die Grünen leider nicht an den Tag gelegt haben. Sie sind auf der Zielgeraden ausgeschert. Das wird vielleicht beim nächsten Mal besser. Heute ist nicht der Schlusspunkt im Urheberrecht. Wir fassen zwar einen Beschluss zum Zweiten Korb. Wir haben heute aber zugleich im Rechtsausschuss einen Entschließungsantrag aufgelegt, der die Richtung für den Dritten Korb weist. Es geht um viele wichtige Fragen, beispielsweise um die Kabelweitersendung und intelligente Aufnahmetechniken. Auch für die nächsten Schritte im Urheberrecht gilt: Das Urheberrecht braucht vielleicht bisweilen die Kreativität des Gesetzgebers; vor allem aber brauchen die Kreativen das Urheberrecht. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat das Wort Kollegin Petra Sitte, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren! Ich will es gleich an den Anfang meiner Rede stellen: Die Linke wird dem sogenannten Zweiten Korb der Urheberrechtsnovelle nicht zustimmen. ({0}) Wie in diesem Hause üblich, haben auch wir Verhandlungswillen signalisiert. Auch wir wollten, dass das Urheberrecht den unterschiedlichsten Interessen Rechnung trägt: angefangen von den Urhebern über die Verlage und Verwertungsgesellschaften bis hin zu den Verbrauchern sowie Nutzern in Bildung und Wissenschaft. Dies jedoch leistet aus unserer Sicht der Zweite Korb aus mehreren Gründen nicht. Der erste Grund betrifft die Urhebervergütung. In einer Zeit, in der die Entwicklung von Medien und Medienträgern eine unglaubliche Umschlagsgeschwindigkeit hat, in der Inhalte im Internet so schnell verfügbar sind und heute nicht absehbar ist, wie und in welchem Format beispielsweise ein Zeitschriftenartikel später genutzt werden kann, muss sich der Gesetzgeber um den Schutz des geistigen Eigentums kümmern. Er muss dafür Sorge tragen, dass die Kreativen in diesem Land, also die Urheber und Urheberinnen, ihr Auskommen haben. Immerhin hat es Änderungen am ursprünglichen Gesetzentwurf gegeben. Dieser sah im Falle der Abgabe auf Kopiergeräte und Ähnliches noch vor, dass die Vergütungen an Gerätepreise gekoppelt werden sollten. Dies aber - das können wir in jedem Elektronikmarkt beobachten - wäre mit einem ständigen Sinken der Vergütungen verbunden gewesen. Die Einkommensspirale wäre für die Urheber und Urheberinnen nach unten offen gewesen. Dass das nun nicht kommen soll, finden wir richtig. Aber auch die neue Regelung vollzieht, mit Verlaub gesagt, ebenjenen Systemwechsel. Statt Vergütungssätze pauschal und fest zu regeln, sollen Urheber und Verwerter bzw. die Geräteindustrie gemeinsam eine vertragliche Lösung finden. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht der Vertragspartner wird aber auch hier zu einer Schlechterstellung der Urheber und Urheberinnen führen. Das war bereits Gegenstand der Rede der Ministerin. Auch Herr Krings hat auf Probleme im Zusammenhang mit dieser Regelung hingewiesen. Die gleichen Folgen hat die Streichung des § 31 Abs. 4 dieses Gesetzes. Danach ist es nun nicht mehr verboten, Nutzungsrechte für Nutzungsarten einzuräumen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bekannt sind. Das heißt also, ich kann im Zweifelsfall unter Druck gesetzt werden, ein Recht zu übertragen, dessen wirtschaftlichen Wert ich nicht einschätzen kann. An jedem neuen Medium kann sich die Verwertungsindustrie so künftig eine goldene Nase verdienen. Die Linke findet, dass sich auch nach vielen Jahren Diskussion über das Urheberrecht an der ursprünglichen Aufgabe, bei der der Umstand beachtet werden muss, dass Urheber schutzbedürftig sind, nichts geändert hat. Wir wollen, dass die bisherige Schutznorm des Gesetzes erhalten bleibt. Der zweite Grund, warum der Zweite Korb aus Sicht der Linken nicht zustimmungsfähig ist, betrifft die Inte11150 ressen von Wissenschaft und Bildung. Wir haben darüber gestern im Ausschuss noch einmal intensiv geredet. Der Entwurf, über den wir abzustimmen haben, trägt offiziell den Titel - ich erinnere daran - „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“. Wir haben den Eindruck, dass man die Informationsgesellschaft irgendwie aus den Augen verloren hat. In den letzten Jahren wurden an den Hochschulen über 4 Millionen lokale Netzwerke eingerichtet. Unibibliotheken wurden von jedem Arbeitsplatz auf dem Hochschulcampus virtuell zugänglich. Mit dem Zweiten Korb werden nun genau diese Investitionen in den Onlinezugriff zunichte gemacht. Das heißt, künftig müssen Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wieder in die Bibliothek wackeln. Das ist doch wohl kein Fortschritt. Die Linke sagt, dass das Wissen zu den Nutzern kommen muss, nicht umgekehrt. Schneller Wissenszugang ist immerhin das A und O einer modernen Informationsgesellschaft. Deshalb sind wir für eine - wohlgemerkt - campusweite Nutzung. Außerdem hinkt der Gesetzentwurf selbst den EUDebatten hinterher. Anders als im Gesetzentwurf schlägt die EU-Kommission nämlich ein Open-Access-Modell vor. Das heißt: Öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse dürfen nicht privatisiert werden; sie sollen frei zugänglich sein. Leser sind doch auch Steuerzahler und sollten als solche nicht doppelt zur Kasse gebeten werden. Genau das würde aber passieren, wenn sie das gewonnene Wissen allein in gekauften Zeitschriften und Büchern nachlesen könnten. Auch der Kopienversand durch öffentliche Bibliotheken ist aus unserer Sicht nicht ausreichend geregelt. Der Kopienversand für Schüler, Studierende und Forschende soll sich an den im Geschäftsverkehr geltenden Bedingungen orientieren. Das bedeutet doch ehrlich gesagt nichts anderes, als dass es zu einer Verteuerung des Wissenszugangs kommen wird. Wir wollen aber gerade nicht, dass es zusätzliche Preisbarrieren gibt und es zu einer Verteuerung des Wissens kommt. ({1}) Mein dritter und letzter Einwand betrifft die Privatkopie. Sie ist nach wie vor nicht durchsetzungsfest im Sinne der Verbraucher geregelt. Vielmehr nehmen technische Schutzmaßnahmen der Anbieter immer mehr zu, während der Datenschutz der Nutzer auf der anderen Seite immer mehr abnimmt. Der Schutz von Verbraucherdaten vor unzulässiger Weitergabe an die Anbieter von Internetdiensten gehört nach Auffassung der Linken sehr wohl zu den Aufgaben des Gesetzgebers. Schließlich - es ist klar, dass ich das hier noch einmal anspreche - kritisieren wir die fehlende Bagatellklausel. Natürlich kann Strafrecht immer nur Ultima Ratio sein. Gerade weil wir keine Kriminalisierung der Schulhöfe wollen, wäre ein Strafausschließungsgrund im Bagatellbereich echt angesagt gewesen. Das, meine Damen und Herren, sind im Wesentlichen die Gründe, weshalb wir dem Zweiten Korb nicht zustimmen werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Jerzy Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es heute mit einem Zwischenergebnis bei der Reform des Urheberrechts zu tun. Zwischenergebnis deswegen, weil viele Probleme nicht gelöst sind, weil wir ganz sicher in Zukunft durch die technische Entwicklung neue Herausforderungen meistern werden müssen, aber auch weil Notwendiges nicht oder falsch gelöst worden ist. Zwischenergebnis bedeutet auch Zwischenbilanz. Die fällt aus unserer Sicht nicht eindeutig aus. Das Gesetz kennt Licht und Schatten und hat vor allem etliche Löcher hinsichtlich der Regelungen. Ich will zuerst die positiven Dinge erwähnen. Die Änderung der Pauschalvergütung ist ein Fortschritt. Wir sind weg von dem etatistischen Modell. Die Parteien des Verfahrens zur Festlegung der Pauschalvergütung können miteinander verhandeln. Die Bundesregierung - das ist schon angesprochen worden - hat die eine Seite aber mit Hand- und Fußfesseln in die Verhandlungen geschickt. Lieber Herr Kollege Krings, so billig kommen Sie nicht davon. Ich kenne in Ihrer Koalitionsvereinbarung keine Regelung, die besagt, dass die Anweisungen des alten Bundeskanzlers für Sie weiterhin gelten. Diese Hand- und Fußfesseln waren nämlich Bestandteil des Gesetzentwurfs Ihrer Bundesregierung. Es bedurfte der gemeinsamen Kraft auch der Oppositionsparteien, diese Fuß- und Handfesseln loszuwerden. ({0}) Wir haben in diesem Gesetzentwurf zum ersten Mal eine Regelung zum Open Content. Der Urheber behält ein einfaches Verwertungsrecht; das ist so festgehalten. Wir haben neue Schranken zugunsten von Bildung und Wissenschaft. Das ist ein ganz gewichtiger Fortschritt. Auch bei den unbekannten Nutzungsarten ist ein Fortschritt erzielt worden. Dieser Fortschritt wurde aber erst durch die Arbeit des Parlaments, insbesondere der Opposition, möglich. Die Opposition hat dafür gesorgt, dass die Urheber - Frau Sitte hat völlig recht: sie sind die Schwächeren - vor Beginn der Verwertung die Möglichkeit zum Widerspruch haben. Erst dadurch haben sie eine starke Position. Diese Änderung, dieses Widerspruchsrecht haben wir im Parlament aber erst erstreiten müssen. Damit komme ich zur Kritik. Erstens. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben die Filmschaffenden schlechter behandelt als andere Urheber und Künstler. Sie haben sie sehr effektiv diskriminiert. ({1}) In Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der SPD sage ich: Wir haben in dieser Sache vor einigen Tagen ein Schreiben des Bundesverbandes Regie erhalten. Ich erlaube mir, einige Sätze daraus zu zitieren: Seit es Film gibt, seit 1892, haben alle Gesetzgeber, ob sie in ihrer Mehrheit konservativ, liberal oder sozial waren, Filmurheber wie andere Urheber geschützt. Wir bitten Sie, den heutigen Gesetzgeber, dringend, diese Tradition fortzusetzen. Verhindern Sie bitte unsere faktische Enteignung. Meine Damen und Herren von der SPD, die Namen, die unter diesem Schreiben stehen, sind interessant; sie sind Ihnen aus so manchen Künstlerinitiativen zur Unterstützung der SPD und des früheren Bundeskanzlers Schröder sehr gut bekannt: Margarethe von Trotta, Volker Schlöndorff und Hark Bohm. Sie behandeln sie so, dass sie sich als von Ihnen enteignet ansehen. ({2}) Ich komme zum zweiten Kritikpunkt. Elektronische Leseplätze sind zum ersten Mal gesetzlich geregelt. Das ist gut und richtig. Aber warum soll es sie nicht auch in Schulen und Hochschulinstituten geben, warum nicht in allen öffentlich zugänglichen Bildungseinrichtungen? Natürlich wären es dann mehr geworden. Aber das wäre doch nicht schlecht, sondern gut. ({3}) Wir hätten dann überlegen müssen, ob die eine oder die andere Institution unter die Regelung fällt. Das wäre mir aber lieber gewesen als Ihr ängstlicher, kleiner, erster Schritt in diese Richtung. Warum gibt es eigentlich nur so viele Leseplätze wie Buchexemplare? Warum wird das nicht dem Bedarf der Nutzerinnen und Nutzer angepasst? Das wäre eine faire Lösung gewesen. ({4}) - Nein, lieber Kollege. Wir hätten natürlich zugestimmt, wenn Sie die Vergütung entsprechend angepasst hätten. ({5}) Sie greifen zu dem falschen Mittel und begrenzen so die Zukunft in der Bildungslandschaft. Das wird von uns heftig kritisiert.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, auch wenn dieser Gesetzentwurf in erster Linie von der Großen Koalition getragen wird, muss ich sagen, dass Sie mich etwas verwirren. ({0}) Sie haben eben aus einem Brief vorgelesen, in dem von der Enteignung der Filmschaffenden die Rede ist. In diesem Zusammenhang haben Sie Margarethe von Trotta und andere genannt. Eine Minute später aber sprachen Sie davon, dass in Universitäten, Schulen und Bibliotheken ein unbegrenzter Zugang zu digitalen Dokumenten zulässig sein sollte. Halten Sie das nicht für eine Enteignung der Urheber? ({1})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Otto, es verwundert mich, dass Sie verwundert sind. ({0}) Ich kann das aber erklären, und zwar in einer Art und Weise, dass auch Sie es verstehen werden. ({1}) Lieber Kollege Otto, das Urheberrecht ist ein allgemeines, absolutes Recht, das gegen jedermann gilt. Das gilt auch für das Urheberrecht am geistigen Eigentum. Das soll nach meiner Meinung auch so bleiben. Aber kein Eigentumsrecht gilt absolut. ({2}) In einer Gesellschaft wie der, in der wir leben, müssen sich alle Eigentumsrechte Schranken zugunsten anderer gemeinwohlverpflichteten Institutionen gefallen lassen. Der positive Aspekt dieses Gesetzentwurfs ist, dass es eine neue Schranke des Urheberrechts gibt, und zwar zugunsten von Bildung, Forschung und Wissenschaft. Diese neue Schranke ist notwendig, aber sie muss zukunftsgerichtet sein. Deswegen wollen wir, dass so viele Leseplätze in öffentlichen Einrichtungen, zum Beispiel Hochschulinstituten, installiert werden, wie die Nutzerinnen und Nutzer, die Studentinnen und Studenten sie für ihr Studium benötigen. Das ist keine Enteignung; denn ich plädiere dafür, dass eine angemessene Vergütung gezahlt wird. Sie aber lehnen die Schranke offensichtlich insgesamt ab. Daher müssen Sie sich gefallen lassen, gefragt zu werden, warum Sie bei der Förderung von Bildung, Forschung und Wissenschaft so mickrig sind. ({3}) Ich komme zum dritten Kritikpunkt. Er betrifft den elektronischen Kopienversand. Dies ist ebenfalls eine neue Schranke, und das ist gut und richtig so. Aber es hätte auch hier eines fairen Ausgleichs der Interessen beider Seiten bedurft. Es geht einerseits um das Interesse der Verlage - auch kleiner Wissenschaftsverlage -, andererseits um das Interesse der Studentinnen und Studenten, Kopien auf einem Wege zu erhalten, der ihren ökonomischen Umständen angemessen ist, so wie es heute in einem juristischen Graubereich schon lange stattfindet. Wir haben darum gekämpft und gerungen. Wir haben mit Ihnen darüber diskutiert, ob wir nicht auch soziale und bildungspolitische Aspekte in den Begriff der Angemessenheit implementieren können. Aber nein, Sie haben nur die wirtschaftlichen Aspekte angesprochen. Dazu sage ich Ihnen: Wenn in diesem Bereich Angemessenheit nur bedeutet, dass die Regelung für die Verlage angemessen ist, aber nicht für die Studentinnen und Studenten, dann bin ich eher dafür, dass das Verlagsprivileg fällt. Vierter Kritikpunkt - wieder an die SPD gewandt -: Wir haben den Bruch eines Versprechens zu konstatieren. Sie haben beim Ersten Korb des Urheberrechts versprochen, dass wir uns beim Zweiten Korb des Urheberrechts für eine durchsetzungsstarke digitale Privatkopie für redliche Nutzer starkmachen werden. ({4}) Diese Position haben Sie verlassen; Sie sind vor der Union in die Knie gegangen. Wir wissen, dass wir in diesem Hause mit der Forderung nach einer durchsetzungsstarken Privatkopie alleine dastehen. Aber wir wissen auch: Draußen, in der Gesellschaft ist das ganz anders. Wir werden deshalb auch in Zukunft dafür streiten, dass es eine solche durchsetzungsstarke Privatkopie gibt. ({5}) Das gilt in gleicher Weise für die Bagatellklausel. Natürlich ist es richtig und notwendig, im Bagatellbereich das Strafrecht zurückzudrängen. Der zivilrechtliche Schutz der Urheber bleibt ja weiterhin erhalten. Dass Sie auf die Schulhöfe Staatsanwälte und Polizisten schicken wollen, ({6}) ist vielleicht aus Ihrer Sicht eine vernünftige Lösung, für die Jugend aber nicht. Wir sagen Ihnen: Der Gesetzentwurf weist Licht und Schatten auf. Wir können ihm aufgrund seiner Fehler nicht zustimmen. Wir wollen ihn aber auch nicht ablehnen, weil er gute, in die Zukunft weisende Elemente enthält. Deswegen werden wir uns in der Schlussabstimmung enthalten. Die Debatte über das Urheberrecht geht weiter. Die Grünen werden weiter dabei sein. Danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Jörg Tauss das Wort, damit er an seinem Geburtstag unablässig reden darf. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe vorhin schon gefragt, Herr Präsident, ob das Lebensalter am Tag des Geburtstags der Redezeit entspricht. Dann hätte ich die Gelegenheit, auf viel mehr einzugehen, als in den vier Minuten Redezeit, die ich jetzt habe. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal recht herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Recht, dass wir - ich habe jetzt zwei Hüte auf: einen aus dem Bereich Kultur und Medien, einen anderen aus dem Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung - noch einige Anmerkungen zu diesem Thema machen können. Vielleicht können wir auch die eine oder andere Verwirrung, die aufgekommen ist, lieber Kollege Otto und lieber Kollege Montag, klären. Zunächst einmal zum Wegfall der Bagatellklausel. Ich denke, wir sollten hier ein bisschen abrüsten. Ich sehe hier weder den Untergang des Abendlandes, den die Wirtschaft als Popanz aufgebaut hat, noch eine Kriminalisierung der Schulhöfe. Es gibt immer noch Staatsanwälte, die auf vernünftige Weise abwägen. Allerdings gibt es ein Problem, dem wir uns zuwenden müssen; das würde ich auch der FDP empfehlen. Ich bin der Justizministerin sehr dankbar, dass sie die Abmahnungen zu einem Thema macht. Wir laufen nämlich Gefahr, dass es im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung erstmals möglich wird, dass öffentlich und eigentlich nur für Strafrechtszwecke gesammelte Daten Privaten überlassen werden. ({0}) Dadurch könnte es geschehen - Kollege Otto hört jetzt bitte weg -, dass eine Goldgräbermentalität hervorgerufen wird und der eine oder andere in Form von Abmahnungen und Rechtsanwaltsgebühren, die nicht in Ordnung sind, Tausende von Jugendlichen zur Kasse bittet. ({1}) Über dieses Thema müssen wir aber diskutieren, wenn es um Abmahnungen geht. Aus kultur- und medienpolitischer Sicht begrüßen wir viele in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen ausdrücklich. Wir haben nach der Anhörung und nach einem sehr intensiven Austausch mit vielen Künstlerinnen und Künstlern, mit Kulturschaffenden und Kreativen wichtige Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf im Gespräch mit unseren Kollegen Rechtspolitikern angeregt und letztlich auch in den vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen. Die unbekannten Nutzungsarten sind ein wesentlicher Punkt. In der Tat ist es eine wichtige Frage in der Informationsgesellschaft, was geschieht, wenn aufgrund der technischen Entwicklung neue Nutzungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zum Zeitpunkt der Schaffung eines Werkes noch nicht absehbar waren. Ich glaube, hier haben wir eine gute Lösung hinbekommen. Die Vergütungspflicht ist von allen Rednerinnen und Rednern und auch von der Kollegin Zypries angesprochen worden. Wichtige Stichworte sind in diesem Zusammenhang der doppelte Flaschenhals und die Tauglichkeit der Geräte als Basis der Vergütung. 5 Prozent des Gerätepreises als Urhebervergütung ist eine problematische Regelung. Aber auch hier haben wir eine, wie ich denke, ordentliche Regelung getroffen. Die Industrie kritisiert diesen Kompromiss; das bedaure ich sehr. Da die Urheber die Befürchtung hatten, in erheblichem Maße Einkommen zu verlieren, hatte ich die Industrie gebeten, den Urhebern zu signalisieren, dass sie mit dieser Regelung nicht bezweckt, die Vergütungen der Urheber in den Keller zu fahren, sondern dass die Vergütungen in der bisherigen Höhe beibehalten bzw. fortentwickelt werden sollen. Dieses Signal ist leider über Monate hinweg ausgeblieben. Deshalb ist dieses Problem entstanden. Auf merkwürdige Anzeigenkampagnen wie die, die derzeit in der einen oder anderen Computerzeitschrift zu finden ist - dort heißt es unter anderem, dass ein Drucker jetzt 300 Euro mehr kostet und der Bundestag daran schuld sei -, sollte man verzichten. Solche Albernheiten sollte man besser unterlassen. Hier geht es um etwas anderes. Die Industrie hat sich hiermit keinen Gefallen getan. ({2}) Nun zum Film. Hier gibt es in der Tat einige Aspekte, die beobachtet werden müssen; sie sind auch im zur Abstimmung stehenden Entschließungsantrag enthalten. Allerdings muss ich mit einer gewissen Kritik in Richtung der Vertreter des Films sagen - das ist bei solchen Gesetzgebungsverfahren immer ein Problem -: Die Urheber haben uns immer etwas völlig anderes erzählt als die Produzenten. Produzenten ohne Künstler gibt es nicht, und Künstler können nicht ohne Produzenten arbeiten. Ich hätte mir daher gewünscht, dass die Vertreter des Films mit einer Stimme gesprochen hätten. Wenn das nicht möglich ist und man im Nachhinein mit einem Kompromiss nicht zufrieden ist, hat man natürlich ein kleines Problem. Was Bildung, Wissenschaft und Forschung angeht, glaube ich in der Tat, dass es hier ein paar Missverständnisse gibt. Lieber Kollege Krings, beim Thema Open Access geht es um die Frage, wie wir mit öffentlich geschaffenen Mitteln umgehen: Kann es sein, dass wir das Wissen in Bibliotheken schaffen, es anschließend an Verlage weitergeben und es dann für viel Geld zurückkaufen? Als ich diese Fragen einmal auf einer Buchmesse gestellt habe, wurde ich dort als Internetkommunist beschimpft. Das ist nicht der richtige Weg, um dieses Problem zu lösen. Kollege Krings, die deutsche UNESCO-Kommission hat zu diesem Thema ein Büchlein herausgegeben, in dem auch ein wichtiger Beitrag von mir enthalten ist. Lesen Sie doch einmal nach, was in diesem Buch zum Thema Open Access steht. ({3}) Das richtet sich nicht gegen die Verlage. Hier geht es allenfalls gegen die Verlage, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und miserable Geschäftsmodelle aus der Vergangenheit haben. ({4}) Die modernen Verlage wissen: Das ist eine Riesenchance, die wir durch das Urheberrecht allerdings nicht beeinträchtigen dürfen. Daher, Frau Ministerin, werden wir anregen, in einem Dritten Korb des Urheberrechts mit Blick auf Bildung und Wissenschaft erneut sorgfältig über das eine oder andere Problem nachzudenken. Ich bedanke mich für die guten Diskussionen mit den Kolleginnen und Kollegen Rechtspolitikern. Die noch offenen Fragen in den Bereichen Film, Wissenschaft und Forschung werden wir nicht nur beobachten. Wir werden unsere Bemühungen weiterhin bündeln, um zu positiven Ergebnissen zu kommen. - Wie ich sehe, habe ich meine Redezeit bereits überzogen. Ich bedanke mich für das Zuhören. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die überzogene Redezeit war ein Geburtstagsgeschenk an Sie. Ich erteile das Wort Kollegen Carsten Müller, CDU/ CSU-Fraktion.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Vorredner haben es schon gesagt: Es war tatsächlich ein außergewöhnlich zeitraubender Prozess, dieses wichtige Vorhaben zu einem, wenn auch nicht ganz guten, so doch gut vertretbaren Ende zu bringen. Mir sei an dieser Stelle gestattet zu sagen: Ich finde es schon merkwürdig, dass ausgerechnet die Linksfraktion hier mit markigen Worten auffällt, ({0}) deren Hauptberichterstatter im federführenden Ausschuss, im Rechtsausschuss, wie mir glaubwürdig versichert wird, überwiegend durch Abwesenheit geglänzt haben und die sich auch an den Erörterungen im Ausschuss für Bildung und Forschung nur pro forma beteiligt hat. Ihre Einwände sind also nicht wirklich ernst zu nehmen. In einer Zeit, in der die technische Entwicklung immer schneller wird, müssen wir stets auch das Urheberrecht anpassen. Lange, schwierige Verhandlungen haben Carsten Müller ({1}) schließlich zu einem Ergebnis geführt, das den digitalen Fragestellungen Rechnung trägt. Digitale Fragestellungen können nicht analog beantwortet werden. Wir haben in den letzten Wochen noch gute Fortschritte für Bildung und Forschung erzielt. Im Wesentlichen greifen wir die Forderung auf, die sich in der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft manifestiert hat. Darüber hinaus greifen wir eine wesentliche Forderung des Koalitionsvertrages auf. Dort ist die Rede von einem wissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheberrecht. ({2}) Wir werden dieser wichtigen Forderung mit dem heutigen Vorschlag und den entsprechenden Anträgen durchaus gerecht. An dieser Stelle sei mir erlaubt, anzumerken: „Wissenschaftsfreundlich“ heißt nicht in erster Linie „wissenschaftsverlagsfreundlich“. ({3}) Wenn sich ein Vertreter eines Wissenschaftsverlages für den Urheber im materiellen Sinne hält, unterliegt er demselben Irrtum wie der Flugzeugführer, der sich für einen Vogel hält. Wir müssen also in erster Linie die Interessen der Urheber im materiellen Sinne wahren, und das ist uns in Teilen gelungen. ({4}) Die Große Koalition greift auf, dass Wissenschaft und Forschung neben einer nennenswerten finanziellen Ausstattung günstige Rahmenbedingungen brauchen. Ich möchte einige der aus bildungspolitischer Sicht wichtigen Ergebnisse darstellen: Der Kopienversand auf Bestellung ist jetzt zulässig, er ist kodifiziert und meines Erachtens gut verträglich geregelt. Der Kopienversand kann in dem Moment ohne Weiteres erfolgen, wenn ein Onlineangebot von Verlagen nicht offensichtlich und nicht zu angemessenen Konditionen zu erhalten ist. Das trägt den wesentlichen Forderungen Rechnung. ({5}) Darüber hinaus ist es uns gelungen, eine praktikable Regelung für elektronische Leseplätze in den Gesetzentwurf einfließen zu lassen. Die Begründung zu lesen, sei jedem anempfohlen. Hier besteht nämlich nicht das Problem, das der Kollege Montag an die Wand gemalt hat. Unsere Lösung ist veritabel. In einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen werden die wichtigen Punkte aufgegriffen, die zur Lösung in einem Dritten Korb anstehen. Ich bin mir sicher, dass wir in einer vergleichbar kooperativen Zusammenarbeit mit den Rechtspolitikern auch hier zu guten Lösungen kommen werden. ({6}) Wir sollten unseren Blick einmal über die Grenzen Deutschlands hinausschweifen lassen und uns anschauen, wie es zum Beispiel mit dem Crown Copyright in anderen Ländern funktioniert, damit öffentlich finanzierte Forschung und Erkenntnisse nicht wieder teuer mit Steuergeldern eingekauft werden müssen. Wir schließen heute eine Etappe ab und beginnen mit den Vorbereitungen für die nächste Etappe, für den Dritten Korb: für das Urheberrecht im Bereich Bildung und Wissenschaft. Ich freue mich schon heute auf die kooperative Zusammenarbeit mit den Kollegen vom Rechtsausschuss, mit den Kollegen vom Koalitionspartner. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Dirk Manzewski, SPDFraktion. ({0})

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eingestehen - Sie können sich das nach den heutigen Reden vielleicht vorstellen -, dass ich mir bei diesem Gesetzgebungsverfahren häufig gewünscht habe, dass im Bundestag nur Rechtspolitiker sitzen. ({0}) Denn dann wäre vermutlich vieles einfacher gewesen. ({1}) Gerade beim Urheberrecht muss man jedoch akzeptieren, dass dem nicht so ist, weil gerade in diesem Bereich viele unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen. ({2}) Es gibt neben uns Rechtspolitikern unsere Verbraucher-, Bildungs-, Medien- und natürlich auch Wirtschaftspolitiker. Jeder von diesen Kolleginnen und Kollegen geht mit einer völlig anderen Grundhaltung an das Thema Urheberrecht heran. Das erfordert Kompromisse von allen, und zwar schon innerhalb der einzelnen Fraktionen. Deshalb freut es mich ganz besonders, dass es uns bei diesem schwierigen Thema wieder einmal zumindest teilweise gelungen ist, überfraktionell einen Konsens zu erreichen. ({3}) Wir sind dem Vorschlag der Ministerin gefolgt, im Bereich der Pauschalvergütung einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Die Parteien sollen sich künftig grundsätzlich zusammensetzen und die Abgaben individuell aushandeln. Ich persönlich hätte - ähnlich wie der Kollege Krings; das zu sagen, muss schon erlaubt sein einen anderen Lösungsweg bevorzugt, und zwar durch Modernisierung und dauernde Fortschreibung der bisher hierfür maßgeblichen Anlage. ({4}) Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass schon heute, soweit es die digitale Technik betrifft, die Anlage veraltet ist und sich die Parteien schon jetzt zusammensetzen und die entsprechenden Abgaben individuell aushandeln. Zudem bleibt - auch das ist nicht ganz unwichtig - dem Ministerium ein erheblicher Arbeitsaufwand erspart. Frau Ministerin, ich mag auch gar nicht daran denken, was für ein Einfluss von außen jeweils auf Sie eingewirkt hätte, wenn Sie diese Anlage fortzuschreiben hätten. Wir haben im Übrigen mit dem Entschließungsantrag unter anderem deutlich gemacht, dass wir, sollten sich unsere Erwartungen in Bezug auf schnellere Vereinbarungen nicht erfüllen, gegebenenfalls wieder zum alten System zurückkehren müssen. Nur folgerichtig war es mit Blick auf den Paradigmenwechsel dann - das hat Kollege Krings angesprochen -, sowohl die angedachte Eingangshürde - der nennenswerte Umfang - als auch den oberen Flaschenhals - die 5-Prozent-Klausel - zu streichen. Denn zum einen finde ich es unbillig, den Parteien zwar einerseits die Vereinbarungshoheit zu übertragen, diese dann aber andererseits für eine Seite gleich zweifach einzuschränken. Zum anderen wäre es nicht gerecht, die Urheber die Geiz-ist-geil-Mentalität von Gesellschaft und Wirtschaft ausbaden zu lassen. Wenn ich sehe, dass ein Kopierer, der heute 100 000 Kopien schafft und 200 Euro kostet, morgen bereits das Doppelte an Leistung erbringt und nur noch halb so teuer ist, dann weiß ich ganz genau, wohin die Reise für die Urheber und die Pauschalabgabe gegangen wäre. Das kann von uns nicht gewollt sein. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch drei kurze Sätze zur Bitkom sagen, die gerade den Untergang des Abendlandes anmahnt und der Bevölkerung weiszumachen versucht, dass die Geräte unheimlich teuer werden würden. Erstens: Das Pauschalvergütungssystem auf Geräte gibt es schon seit ewigen Zeiten. Es tritt insoweit keine Veränderung für die Geräteindustrie ein. Zweitens: Durch die Streichung von Eingangshürde und oberem Flaschenhals streichen wir nur die angedachten Besserstellungen für die Geräteindustrie. Wir halten damit den bestehenden Status quo aufrecht, ändern also nichts. Drittens: Trotz des Pauschalvergütungssystems in Deutschland haben wir sehr niedrige Gerätepreise, wenn nicht gar die niedrigsten in Europa. Das macht deutlich, dass die Kritik der Bitkom aus der Luft gegriffen ist. Wir haben uns darauf verständigt, dass von nun an Verträge über noch unbekannte Nutzungsarten zulässig sein sollen. Das ist sachgerecht und entspricht den Bedürfnissen der heutigen Zeit. Wir haben jedoch Wert darauf gelegt, dass das Widerrufsrecht bei Neuverträgen auch ein solches darstellt und nicht leer läuft. Bei Altverträgen haben wir durch Veränderungen sichergestellt, dass für die Nutzung auch Vergütung fließt. Bei Bildung und Forschung haben wir Zugeständnisse gemacht. Anders als bisher können in öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven Bestände aus diesen Einrichtungen eingeschränkt an elektronischen Leseplätzen wiedergegeben werden. Frau Dr. Sitte, auch wenn das teilweise heute so vorgehalten wird, ist das nicht zulässig. Insoweit ist das eine Verbesserung. Zudem ermöglichen wir zur Veranschaulichung des Unterrichts und der wissenschaftlichen Forschung den elektronischen Kopienversand auf Bestellung, soweit die Verlage nicht offensichtlich und zu angemessenen Bedingungen ein entsprechendes Angebot selbst anbieten. Ich bin mir durchaus bewusst - das ist hier heute ja auch deutlich geworden -, dass für den Bereich Bildung und Forschung eine noch höhere Erwartungshaltung bestand. Soweit es den Kopienversand betrifft, waren unsere Möglichkeiten aber durch die entsprechende europäische Richtlinie und durch während des Gesetzgebungsverfahrens geäußerte Bedenken der Europäischen Kommission stark eingeschränkt. Ich halte die Kritik, mit der ein wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht angemahnt wird, für nicht berechtigt. Ich kann zwar durchaus nachvollziehen, dass sich mancher Hochschulrektor oder -professor angesichts immer geringer werdender Zuweisungen mehr Freiräume bei der Nutzung des geistigen Eigentums gewünscht hätte. Seien wir aber doch einmal ganz ehrlich: Das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang liegt doch klar auf der Hand und ist leider bislang noch nicht genannt worden. Es wird immer wieder propagiert, wie wichtig Bildung und Forschung sind - insbesondere die Bundesländer liefern sich hier geradezu einen Wettstreit -, doch kosten dürfen Bildungsinhalte offensichtlich nichts mehr. Die fehlende Finanzausstattung der Hochschulen durch die Länder kann doch nicht zulasten der Urheber gehen. ({5}) Hier ist vorgetragen worden, dass es gegebenenfalls möglich wäre, etwas mit Lizenzverträgen zu machen. Auch das ist heute schon möglich. Natürlich kann sich eine Universität, wenn sie Geld in die Hand nimmt, eins a ausstatten. An dem Geld scheitert es aber eben. Ich finde, in einem Land wie Deutschland, das wie kein anderes auf die Köpfe seiner Menschen angewiesen ist, darf geistiges Eigentum nicht verscherbelt werden; denn wenn es sich nicht mehr lohnt, geistiges Eigentum zu publizieren und zu entwickeln, dann wird das letztendlich auch zulasten von Bildung und Forschung gehen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Bildungspolitikern zugesichert, dass wir insbesondere die Problematik des sogenannten Zweitverwertungsrechts im Rahmen des Dritten Korbs behandeln werden. Dazu, liebe Bildungspolitiker der Koalition, stehen wir auch. Lassen Sie mich noch ganz kurz auf die Problematik der Bagatellklausel eingehen. Der Kollege Krings hat es angesprochen - ich sehe das genauso -: Wir haben in unserer Gesellschaft das große Problem, den Menschen die Bedeutung des geistigen Eigentums klarzumachen. ({7}) Insbesondere bei der Nutzung des Internets sind viele leider der falschen Auffassung, dass sämtliche dort vorgefundenen Inhalte frei und vor allen Dingen kostenlos zur Verfügung stehen. ({8}) Ich glaube, wir würden ein fatales Zeichen setzen, wenn wir einerseits zwar die illegale Nutzung und Verbreitung verbieten, andererseits aber verlauten lassen würden, dass ein verbotswidriger Umgang in dem Zusammenhang sanktionslos bleibt. Ich meine, bei der illegalen Nutzung - davon rede ich, Kollege Montag - würden alle Dämme brechen. Im Übrigen kann ich Ihnen auch versichern, dass es zu keiner Kriminalisierung der Schulhöfe kommen wird; denn eines muss man einmal deutlich sagen: Dieses Verbot gilt schon jetzt. ({9}) Mir ist nicht bekannt, dass es insoweit zu einer Kriminalisierung der Schulhöfe gekommen ist, ({10}) eben auch deshalb nicht, weil die Staatsanwaltschaften hier mit dem gebotenen Augenmaß vorgehen. Kollege Montag, ich finde es auch ganz merkwürdig, dass man den Diebstahl geistigen Eigentums sanktionslos, die unerlaubte Telefonwerbung aber bußgeldbewehrt stellen möchte. Ich habe ja nichts gegen Letzteres; aber Sie müssen mir einmal erklären, welche Verhältnismäßigkeit hier noch besteht. Was kommt als Nächstes? Sollen wir demnächst auch das Graffitisprühen straflos stellen, weil wir ansonsten die Schulhöfe kriminalisieren würden? Ich verstehe Sie wirklich nicht mehr. Offensichtlich haben die Rechtspolitiker innerhalb der Partei der Grünen nichts mehr zu sagen und werden nicht mehr ernst genommen. Ich nehme Sie jedenfalls nicht mehr ernst. Ich finde es auch sehr verwunderlich, dass Sie die Urheber gegenüber der Geräteindustrie zwar hochleben lassen, dass Ihnen aber dann, wenn es die Bildung oder die Verbraucher betrifft, geistiges Eigentum offensichtlich überhaupt nichts mehr wert ist. ({11}) Lassen Sie mich abschließend aber versöhnlich werden. Ich möchte mich bei allen für die gute Zusammenarbeit bedanken, ({12}) insbesondere bei Ihnen, Frau Kollegin LeutheusserSchnarrenberger, und natürlich auch bei meinem Kollegen Günter Krings von der Union und seinem Mitarbeiter; auch er sollte hier einmal erwähnt werden. Ganz besonders bedanke ich mich bei Frau Dr. Pakuscher und Herrn Dr. Henrichs vom BMJ und auch bei der Ministerin, ({13}) die versucht hat, jeden Termin - selbst innerhalb der Koalition; das muss man wirklich so deutlich sagen - persönlich wahrzunehmen. Kollege Montag, selbst bei Ihnen möchte ich mich bedanken; ({14}) denn bis zur heutigen Rede habe ich Ihre Argumentation ganz gut nachvollziehen können. ({15}) Ich weiß auch ganz genau, dass es nicht an Ihnen gelegen hat, dass es mit Ihrer Fraktion zu keinem Konsens gekommen ist. Zur Linkspartei lassen Sie mich noch Folgendes sagen: ({16}) Frau Kollegin Dr. Sitte, Sie haben hier dargelegt, dass Sie Verhandlungswillen gezeigt haben. Ich weiß, dass ich mit Ihnen jetzt möglicherweise die falsche Person treffe. Wir haben nach der Anhörung sehr viele Gespräche geführt. An dem ersten Gespräch, in dem wir die Anhörung ausgewertet haben, hat noch Frau Dr. Jochimsen teilgenommen. Zu all den wichtigen Gesprächen danach ist trotz Einladung und versuchter Einbindung niemand von Ihnen mehr gekommen. ({17}) Sie haben Ihre Referenten geschickt, die deutlich gemacht haben, dass sie nicht aussagefähig sind. Auch wenn ich, wie gesagt, weiß, dass ich mit Ihnen die falsche Person treffe - vielleicht hätte man sich von Anfang an einigen sollen, dass Sie das Thema übernehmen finde ich insofern die Kritik nicht ganz berechtigt. Wenn heute Herr Nešković gesprochen hätte, ({18}) hätte ich diese Kritik als Frechheit bezeichnet. Gleichwohl glaube ich, dass heute ein guter Tag für das Urheberrecht ist, und möchte mich bei Ihnen allen dafür bedanken. Danke schön. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Geis, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Tauss, ich gratuliere Ihnen zum Geburtstag. ({0}) - Ich habe nur vier Minuten Redezeit und bitte um Verständnis, dass ich nicht im Einzelnen auf Ihre Zwischenrufe eingehen kann. ({1}) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute einen sehr großen und wichtigen Gesetzentwurf, der einen langen Vorlauf hat. Schon 1965 wurde in der Begründung des Urheberrechtsgesetzes auf die Notwendigkeit eines Urhebervertragsrechts hingewiesen, das 2002 geschaffen wurde. Inzwischen hat man vor allen Dingen aufgrund der sagenhaften Entwicklung im Bereich der digitalen Technologie festgestellt, dass das Urheberrecht europaweit geschützt werden muss. Deswegen wurde eine Richtlinie erlassen, die 2003 bei uns umgesetzt worden ist. Wir waren uns schon damals beim Korb 1 darüber im Klaren, dass wir einen zweiten Korb brauchen, weil im Korb 1 nicht alle Probleme gelöst werden konnten. Wir brauchen bald auch einen dritten Korb, um neu auftretende Probleme zu regeln. Es ist ein langer Weg der Reformen, um dem geistigen Eigentum gerecht zu werden. Ich kann nicht auf alle Fragen eingehen, aber ich möchte auf einen wichtigen Punkt eingehen, den der Gesetzentwurf zum Inhalt hat und der gerade auf unserer Zielgeraden in der letzten Woche noch eine Rolle gespielt hat: Es geht um die Vergütung von Privatkopien. Es wurde bereits angesprochen, wie diese Frage in dem Gesetzentwurf geregelt wird. Für uns stellt sich immer noch die Frage, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ob es richtig war, es den Parteien - den Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und den Herstellern auf der anderen Seite - zu überlassen, die Vergütung der Urheber auszuhandeln. Ob das im Interesse der Urheber liegt, muss sich noch herausstellen. Die Urheber sind gegen diese Regelung, weil sie befürchten, dass sie bei manchen Produkten Jahre brauchen, um ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen, und vielleicht sogar die Gerichte einschreiten müssen. Dies muss abgewartet werden. Herr Krings hat schon angedeutet, dass wir in diesem Fall korrigierend eingreifen müssen. ({2}) Im Zusammenhang mit der Vergütung gibt es aber ein weiteres Problem, das die Nutzung von Privatkopien in einem nicht nennenswerten Umfang betrifft. Auch wenn man davon ausgeht, dass in diesen Fällen nicht unbedingt eine Vergütung verlangt werden muss, können wir auch in diesem Punkt nicht nachgeben. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass es hierbei um Eigentumsrechte bzw. um verfassungsrechtlich geschützte Rechte geht, die genauso zu achten sind wie andere Eigentumsrechte. Deswegen ist der Begriff „nennenswerter Umfang“ zu Recht gestrichen worden. Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die 5-Prozent-Klausel. Diese besagt, dass die Urheber zwar frei miteinander verhandeln können, aber nur bis zu einer Grenze von 5 Prozent des Kaufpreises der Geräte. Die Urheber haben von Anfang an darauf hingewiesen - das haben wir in vielen Gesprächen erfahren -, dass die Preise für die Kopiergeräte immer weiter sinken und dass deshalb bei Einführung der 5-Prozent-Klausel bei niedrigen Preisen für die Urheber letzten Endes nichts mehr übrig bleibt. Dies wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass die Verbreitung von PCs inzwischen viel weiter vorangeschritten ist als früher. All dies gliche das aber nicht aus. Deswegen haben wir uns entschlossen, die 5-Prozent-Obergrenze zu streichen; ich meine: zu Recht. Das ist richtig und liegt im Interesse der Urheber. Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken anfügen. § 53 des Urheberrechtsgesetzes stellt nun klar, dass eine Kopie dann rechtswidrig ist, wenn sie von einer zu Unrecht oder verbotswidrig in das Netz eingestellten Werkkopie stammt. Diese Klarstellung scheint mir wichtig zu sein, weil dies den Verwertungsgesellschaften, aber auch den Filmgesellschaften die Möglichkeit gibt, stärker als bisher ihre Rechte zu verteidigen. Ich bedanke mich und hoffe sehr, dass dieses Gesetz einen Beitrag zu einem stärkeren Schutz des geistigen Eigentums leistet. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5939, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/1828 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand11158 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen der Linksfraktion, zwei oder drei Gegenstimmen aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und sonstiger Enthaltung der Fraktion der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Dazu liegen mir persönliche Erklärungen der Kollegen Bettin, Deligöz, Gehring, Göring-Eckardt, Roth ({0}) und Haßelmann vor.1) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzu- nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs- antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5972? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ent- schließungsantrag ist bei Zustimmung der FDP-Fraktion gegen die Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/5944? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5971? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie- ßungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion der Grü- nen und mit den Stimmen des ganzen Hauses im Übri- gen abgelehnt. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 16/5939 fort, Tagesordnungspunkt 7 b. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa- che 16/262 mit dem Titel „Die Modernisierung des Ur- heberrechts muss fortgesetzt werden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen. 1) Anlage 3 Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Nachhaltiger Schutz der Meeresumwelt - Drucksachen 16/3069, 16/4782 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor nunmehr zwölf Jahren hat die Bundesregierung eine Große Anfrage der SPD zum Zustand der Meere beantwortet. Die Antwort war schockierend: Die Ozeane waren vielerorts leergefischt. Im Zuge der Debatte über die EU-Meeresstrategie-Richtlinie hat nun die Linke um Auskunft gebeten. Zunächst einmal herzlichen Dank an die Referentinnen und Referenten der beteiligten Ministerien für die sorgfältige Beantwortung. Was hat sich nun seit 1995 getan? Es gibt einige wenige positive Signale. So wird beispielsweise der Pazifiklachs bei Alaska gut bewirtschaftet. In einem vernünftigen Zustand befindet sich dort auch der Seelachs. Erholt hat sich zudem das Heringsvorkommen in Nordund Ostsee. Dennoch ist die Bilanz der Eingriffe in die Meereswelt katastrophal. In den letzten 100 Jahren sind die Bestände vieler Fischarten um fast 90 Prozent zurückgegangen. Es ist schizophren: Während Millionen Tonnen wertvoller Meerestiere als Beifänge ungenutzt und tot über Bord gehen, sitzen Millionen von Küstenbewohnern in Afrika vor leeren Tellern. Die Trawler der Industriestaaten fischen ihnen die Meere leer, legal und illegal. Allein der illegale Fang weltweit wird auf einen Wert zwischen 4 und 9 Milliarden US-Dollar geschätzt. Illegal wird auch vor unserer Haustür gefischt. Im östlichen Teil der Ostsee befindet sich der Dorschbestand auf einem historischen Tiefstand, heißt es. ({0}) Schätzungen zufolge werden bis zu 45 Prozent mehr Dorsche an Land gebracht, als es die offiziellen Zahlen hergeben. ({1}) Dennoch werden die Dorschfangquoten durch den EUFischereiministerrat seit Jahren deutlich höher angesetzt, als von Wissenschaftlern empfohlen. Ich sage Ihnen: Das muss endlich ein Ende haben. ({2}) In der Nordsee haben in den vergangenen Jahren neben dem Kabeljau auch die Nordseescholle und die NordseeEva Bulling-Schröter seezunge stark gelitten. Vom Großen Thunfisch dürften im Mittelmeer und im Ostatlantik legal eigentlich nur 32 000 Tonnen jährlich gefangen werden. Real ist es rund das Doppelte. Auch hier sind es vor allem europäische Fischereiunternehmen, die die Bestände für Sushibars in Tokio oder Berlin-Mitte plündern. Weil die Meere der Nordhalbkugel vielerorts leergefischt sind, fahren Fangflotten in den Süden. Hier räumen sie die einst üppigen Fischgründe aus, insbesondere an den flachen Küsten Westafrikas. So rauben die Industrieschiffe den Kleinbauern in Ghana oder dem Senegal die wichtigsten Proteinlieferanten für ihre Familien. Die Flotten wandern nicht nur in den Süden, sondern auch in die Tiefe. Leider konnten sich Union und SPD seinerzeit in ihrem Antrag zu dem Thema nicht zu einer klaren Forderung nach einem Moratorium für die zerstörerische Grundschleppnetzfischerei durchringen. ({3}) Wenn wir der Meeresumwelt helfen wollen, die im Übrigen auch durch die Versauerung infolge der CO2Emissionen gestresst ist, so müssen wir die Weltmeere als Ökosystem begreifen. Das muss auch der Geist der neuen EU-Meeresschutz-Richtlinie sein. Die Forderungen der Linken dazu finden Sie in unserem Entschließungsantrag. Zudem müssten mehr Wissenschaftler und Umweltorganisationen in Fischereiaufsichtsgremien sitzen. Schließlich muss weltweit die Anzahl der Fangschiffe verringert werden. Greenpeace und andere fordern seit langem, Meeresschutzgebiete einzurichten, in denen Fischerei und Rohstoffabbau verboten werden. Konkrete Vorschläge gibt es für Nord- und Ostsee sowie für die außereuropäischen Meere. Die Bundesregierung scheint dazu gar keine Haltung zu haben. Das ist sehr schade. Dieses kurzsichtige Herangehen schadet nicht nur der Umwelt und dem Tourismus, sondern auch der Fischerei. Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Beispielsweise in Neuseeland waren die Fischer einst die stärksten Gegner, als es darum ging, Meeresschutzgebiete einzurichten. Nunmehr gehören die Fischer zu den Verteidigern dieser ökologischen Oasen; denn die dort rasant anwachsenden Bestände besiedeln auch das umgebende Meer. Die Refugien sind also nicht nur Eckpfeiler im modernen Schutz der Ökosysteme, sondern auch Wirtschaftsfaktoren. Umweltschutz und zugleich volle Netze - was wollen wir mehr? Angesichts dessen ist es vollkommen unverständlich, dass lediglich 0,01 Prozent der Meeresfläche Schutzgebiete sind. Benötigt werden zwischen 30 und 50 Prozent. Solange Sie hier nichts ändern, bleibt ein nachhaltiger Meeresschutz leider Illusion. Tun Sie also bitte etwas, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Franz-Josef Holzenkamp, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Deutschland waren 2005 etwa 43 000 Menschen allein in der Fischerei, in der fischverarbeitenden Industrie und in der Fischgastronomie beschäftigt. Wenn man die gesamte maritime Industrie berücksichtigt, dann stellt man fest, dass wir von über 220 000 Arbeitsplätzen - dazu gehören die Bereiche Hafen, Zulieferindustrie usw. - sprechen. An dieser Stelle wird immer wieder Kritik geäußert; daher möchte ich deutlich machen, dass es hier um die Arbeitsplätze vieler Menschen geht. Die maritime Wirtschaft ist für uns, für diese Koalition und für die Union sowieso, ein wichtiger Wirtschaftszweig, auf den wir nicht verzichten können und wollen und den wir unterstützen. ({0}) Die Meere stellen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine wichtige wirtschaftliche Ressource dar. Die Ozeane und Meere verbinden mehr denn je Kontinente und Länder, sei es durch die weltweite Nutzung der Fischressourcen, als Transportweg oder durch den Tourismus. Nicht zu vernachlässigen sind die Energiereserven unter den Ozeanen, aber auch die künftig noch weiter in den Mittelpunkt rückende Nutzung der Windenergie in den Offshorewindparks. Kurz gesagt, die Ozeane und Meere tragen wesentlich zu unserem Wohlstand bei. ({1}) Gerade deshalb kommt dem ökologisch nachhaltigen Schutz der Meere eine enorme Bedeutung zu. Wir können es uns nicht leisten, diese einmalige und weltweit größte Ökolandschaft zu vernachlässigen. Wir sprechen über 70 Prozent unserer Erdoberfläche. Wir sprechen über den Lebensraum zahlloser Tiere und Lebewesen. Wenn wir von unseren Meeren reden, dann sprechen wir über einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag zur Stabilität unseres Klimas. ({2}) Trotzdem oder gerade deshalb gilt für uns der Grundsatz „Schutz nur durch Nutzung“. Niemand hat etwas von einem ökologischen Raubbau an der Ressource Meer. ({3}) Ich betone aber auch: Es nützt den Menschen, die ihren Lebensunterhalt durch die Meere verdienen, nichts, wenn wir einen einseitig verengten Blick ausschließlich auf die Ökologie werfen. Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung: Ziel ist es, für die Arten und die Lebensräume einen günstigen Erhaltungszustand zu erreichen. Menschliche Nutzungen, die die Arten und Habitate schädigen und/oder zerstören können, sind im Schutzgebiet nach vorheriger sorgfältiger Prüfung und Abwägung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten zu regulieren und gegebenenfalls auszuschließen. Meine Damen und Herren, nur so geht es: in gleichberechtigter Abwägung aller Punkte. ({4}) Wie wichtig der Bundesregierung die nachhaltige Sicherung der Meeresumwelt ist, das kann man auf den 46 Seiten nachlesen, auf denen die Bundesregierung ausführlich die Große Anfrage der Linken beantwortet hat. Wir debattieren heute aber nicht nur über den Umweltschutz, sondern auch über den nachgeschobenen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Dieser hat - das muss ich leider so deutlich sagen - die übliche Stoßrichtung. Ich zitiere einen kleinen Punkt aus dem Antrag - das macht die Einseitigkeit deutlich Allerdings hat die ökonomische Sichtweise klar das Primat. Immer wieder die böse Wirtschaft. Ich sage dazu noch einmal: Ohne eine ordentlich funktionierende Ökonomie gibt es auch keine funktionierende Ökologie.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eva Bulling-Schröter?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön - Ich würde gerne von Ihnen wissen, wie Sie zu Meeresschutzgebieten stehen. Ich habe das in meiner Rede noch einmal ausgeführt und auf Erfahrungen anderer Länder - es sind ja nicht so viele - hingewiesen, dass durch die Bewahrung der Umwelt, durch den zeitweiligen Verzicht auf das Fischen, sich wieder Fische ansammeln und dadurch die Wirtschaft gestärkt werden kann. Sie sprechen von Ökonomie und Ökologie. Wir brauchen zuerst die Ökonomie; aber es ist nicht nachhaltig, alle Fische aus dem Meer herauszufischen. Dann gibt es nämlich keine mehr. Ich würde also gerne wissen, wie Sie zu den Schutzstandards stehen. Hierzu gibt es ja gute Erfahrungen und wissenschaftliche Berechnungen. Ist das nicht sinnvoll?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Frage. Wir als Union, als Koalition stehen selbstverständlich absolut positiv zu Schutzgebieten. Wenn jedoch ein Schutzgebiet eingerichtet wird, dann muss man das in Abwägung aller bekannten Parameter tun. Das ist der entscheidende Punkt. ({0}) Meine Damen und Herren, ich nenne ein Beispiel, die Elbe. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die Wasserqualität erheblich verbessert. Etwa 110 Fischarten können heute registriert werden; damals waren es um die 80. Ich erlaube mir die Aussage: Ich glaube, auch die Fische sind nicht gerade Anhänger des Sozialismus gewesen. Ich mache es kurz: Wir lehnen Ihren Entschließungsantrag ab. Er ist unbrauchbar und nicht zielführend. Doch zurück zum Umweltschutz für die Meere: Wie bereits dargestellt - ich gehe damit auch auf die Frage ein -, nützt uns die einseitige Betrachtung des Meeresumweltschutzes nichts. Hier müssen Verknüpfungen zu allen maritimen Bereichen gezogen werden. Mit dem Grünbuch zur künftigen Meerespolitik aus dem vergangenen Jahr hat die EU hierzu einen wichtigen Schritt getan. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat mit der europäischen Konferenz über die künftige Meerespolitik der EU im Mai dieses Jahres den Konsultationsprozess hierzu maßgeblich begleitet. ({1}) Der Schutz der Meere ist ein elementarer Bereich des Grünbuches. So schreibt die Kommission zu Recht: Eine gesunde Meeresumwelt ist die unerlässliche Voraussetzung für die Nutzung des vollen Potenzials der Meere. Die Verschlechterung der Meeresumwelt mindert das Potenzial des Meeres als Grundlage der Beschäftigung. Die Antworten der Bundesregierung zeigen auch - hier sind wir sicherlich einer Meinung -, dass es Licht, aber auch viel Schatten gibt, dass es einfach Handlungsnotwendigkeiten gibt, die zu Verbesserungen führen müssen. Es bleibt festzuhalten, dass sich weltweit viele wirtschaftlich genutzte Fischbestände durch Überfischung in einem schlechten Zustand befinden. Auch wichtige Bestände der EU wurden so in den vergangenen Jahrzehnten teilweise stark dezimiert. Deswegen ist die Bestandserhaltung ein wesentliches Ziel der gemeinsamen Fischereipolitik der EU, aber auch der Politik Deutschlands. So konnte erreicht werden, dass sich einzelne Arten wieder erholt haben. Andere Arten wie Kabeljau und Dorsch - die Beispiele sind genannt worden und auch in der Vorlage zu lesen - haben sich nicht wieder erholt. Doch einschneidende Maßnahmen sind für viele Fischer nicht einfach zu verkraften. Man fragt sich: Wie sollen sie es verkraften? An dieser Stelle auch einmal mein Dank an die Fischer für die konstruktive Zusammenarbeit! ({2}) Holger Ortel, wir führen eine intensive Auseinandersetzung mit der Fischereiwirtschaft und versuchen so, gemeinsam zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Den Kolleginnen und Kollegen von den Linken rate ich: Gehen Sie zu den Ost- und Nordseefischern! Erklären Sie ihnen den kompletten Fangstopp für Dorsch und Kabeljau! Besprechen Sie mit ihnen dann aber auch, wovon sie ihre Familien ernähren sollen, was mit den Familienbetrieben wird und wie das überhaupt funktionieren soll! ({3}) So funktioniert es nicht. Ich möchte mich bei der Bundesregierung ausdrücklich dafür bedanken, dass sie sich im Rat für einen sinnvollen Ausgleich zwischen sozioökonomischen und ökologischen Interessen einsetzt. ({4}) Ich möchte auf ein weiteres Thema kurz eingehen, nämlich den Klimawandel. Durch die klimatischen Veränderungen werden auch unsere Meere als Ökosysteme erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb müssen wir den Klimaschutz weiter vorantreiben. Auch hier sind wir als Koalition in Europa sehr gut unterwegs. Wir haben die EU-Klimaziele formuliert. Das sind sehr ambitionierte Ziele. Hier sind wir wirklich gut unterwegs. Als Deutsche wollen wir die anderen Europäer ja auch noch überholen. Deshalb bin ich sehr zufrieden darüber, dass die Bundeskanzlerin - das möchte ich hier auch deutlich sagen mit großartiger Unterstützung durch unseren Außenminister auf dem G-8-Gipfel große Fortschritte beim Klimaschutz erreicht hat - bei aller Kritik von der Opposition. Es gibt einen klaren Auftrag der UNO. Die Koalition zeigt sich handlungsfähig. Im Ausschuss ist von Mundwerkern und Handwerkern geredet worden. Hier handelt es sich um Handwerker. Wir sind aktiv unterwegs. Wir nehmen den Schutz der Meere ernst. Wir wollen notwendige Ziele erreichen. Aber all das funktioniert nur bei einem internationalen Ansatz, bei Einbeziehung aller Beteiligten an der gesamten maritimen Wirtschaft und vor allen Dingen bei der Arbeit nach dem Motto: Schutz durch Nutzung. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst, FDP-Fraktion. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Bulling-Schröter, Ihre Große Anfrage kam reichlich spät. Sie galoppieren etwas hinterher. Alle anderen Fraktionen haben bereits umfangreiche Anträge zur Meeresumwelt vorgelegt. Sie haben das Versäumnis jetzt teilweise wettzumachen versucht, indem Sie Ihren Entschließungsantrag hinterhergeschoben haben; auf den komme ich nachher noch zu sprechen. Von der Intonation der Fragen in der Großen Anfrage her habe ich den Eindruck, als wenn Greenpeace Ihnen so manche Frage direkt in die Feder diktiert hat ({0}) Ich will das hier nicht weiter kommentieren. Gut ist allerdings - ich will auch etwas Gutes sagen -, dass Sie für diese Debatte doch noch einen recht akzeptablen Platz auf der Tagesordnung erreichen konnten. Das gibt mir und allen die Möglichkeit, hier die Probleme des Meeresschutzes anzusprechen, und das will ich jetzt natürlich auch tun. ({1}) Ganz willkommen ist mir natürlich, dass ich noch einmal ausdrücklich auf unseren Antrag hinweisen kann, der folgenden Titel hat: Schutz und Nutzung der Meere Für eine integrierte maritime Politik. ({2}) Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, dass morgen unter dem Tagesordnungspunkt 29 ein weiterer hervorragender FDP-Antrag zur Debatte ansteht, nämlich zu den Zukunftschancen des Ostseeraums. Ich bitte Sie, zahlreich zugegen zu sein. ({3}) Jetzt aber zu unseren Vorstellungen. Auch wir Liberale sehen in einer verantwortungsvollen Nutzung der Meere eine Herausforderung für Gesamteuropa. Das ist klar. Wir wollen aber auf der einen Seite den Schutz der Meere und auf der anderen Seite zugleich eine verantwortungsvolle Entwicklung der maritimen Wirtschaft. Ich denke, das ist eine herausragende Aufgabe, der wir uns mit voller Kraft stellen sollten. Wir sehen hier insbesondere Zukunftschancen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass 40 Prozent der Wirtschaftskraft Europas in den küstennahen Gebieten bzw. den Meeresgebieten erwirtschaftet werden. Das ist keine geringe Zahl. Wir müssen deshalb darauf schauen, dass wir das eine wie das andere schaffen. Außerdem wollen wir, dass die verschiedenen maritimen Sektoren verknüpft werden und wir zu einer integrierten Meerespolitik kommen. Das ist unser Ansatz. Das können Sie auch in unserem Antrag umfassend nachlesen. ({4}) Ich denke, wir alle haben die Probleme auf dem Schirm. Auch wir haben in unserem Antrag die Probleme und die Umwelteinflüsse beschrieben und im Rahmen eines Maßnahmenpaketes Vorschläge gemacht, wie eine ökologisch und ökonomisch gesunde Zukunft der Meere gestaltet werden kann. Wir glauben, dass die Erhaltung der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt der Meeresgebiete, verstanden als Schutz der gemeinsamen natürlichen Ressourcen, Bestandteil einer verantwortungsvollen, generationenübergreifenden Politik ist. Da sind wir ganz auf Ihrer Seite; das wollen auch wir. Wir müssen uns darüber hinaus dafür einsetzen, dass das europäische Grünbuch noch mehr Bezug auf den Schutz der Meere nimmt, insbesondere auch auf den Schutz von Fischpopulationen. Ich möchte aber jetzt nicht im Einzelnen auf die verschiedenen Fischarten eingehen. Das würde zu weit führen; so viel Zeit habe ich nicht. ({5}) - Schade? Also auf die kommunistischen Fische kann ich jetzt hier nicht eingehen. ({6}) Es ist auch unser Anliegen, dass wir uns dafür einsetzen, dass wir eine Meeresschutzrichtlinie bekommen, die die richtigen Zielvorgaben und die richtigen Handlungsimpulse gibt, also sozusagen eine Navigationsvorgabe darstellt. An dieser Stelle möchte ich auch auf das schauen, was derzeitiger Stand ist. Es sind einige Erfolge beim Schutz der Meere zu verzeichnen. Negativbeispiele sind aber die noch immer zu hohen Nährstoff- und Schwermetalleinträge, die Belastungen durch die Schifffahrt, Offshore-Nutzungen verschiedenster Art, die Überfischung einzelner Fischarten und die Auswirkungen des Klimawandels. So richtig und so umfassend Ihr Entschließungsantrag teilweise ist, so muss ich doch sagen, dass sich die FDP Ihrer Haltung nicht anschließen kann, weil Sie der Entwicklung der maritimen Wirtschaft und der Anwendung neuer Technologien zu kritisch gegenüberstehen. Das halten wir für nicht zukunftsgerichtet. Daher werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können. Danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Holger Ortel, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Holger Ortel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst einmal auf unsere Präsidentschaft in Europa und auf das, was unser Minister für Landwirtschaft und Fischerei vor drei Wochen in Luxemburg erreicht hat, zurückkommen. Peter Bleser würde sagen: Ein guter Tag für Deutschland. ({0}) Als Norddeutscher hänge ich das etwas tiefer, aber man kann wirklich sagen: Ein gutes Ergebnis für unsere Fischer. ({1}) Herr Staatssekretär, ich würde Sie bitten, dem Minister den Dank der norddeutschen Fischer auszurichten; vor allem natürlich auch Ihren Mitarbeitern im Hause, die ja viel zum Gelingen des Agrar- und Fischereirates in Luxemburg beigetragen haben. Herzlichen Dank dafür! Ich möchte auf einige Zahlen, die Sie, Frau BullingSchröter und Herr Holzenkamp schon genannt haben, noch etwas genauer eingehen. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Fisch liegt in Deutschland zurzeit bei etwa 15,5 Kilogramm. Er hat sich damit in den letzten vier Jahren von 12,4 auf 15,5 Kilogramm erhöht. Das ist gut. Fisch ist nämlich ein gesundes und bekömmliches Lebensmittel. Das gilt vor allen Dingen für eine Gesellschaft, die immer älter wird und dabei gesund leben will. Nun passen Sie einmal auf: Nur 18 Prozent unseres Fischbedarfs fangen wir noch selber. Das entspricht 300 000 Tonnen bei einem Bedarf von gut 2 Millionen Tonnen. Was wir selber dem Meer entnehmen, ist also gar nicht so viel. Außerdem muss erwähnt werden, dass wir von den 2,1 Millionen Tonnen, die wir verbrauchen, 800 000 Tonnen als Fisch- und Fischereiprodukte exportieren. Im Übrigen hat Herr Kollege Holzenkamp recht, wenn er auf die 43 000 Arbeitsplätze in der Fischerei, in der verarbeitenden Industrie, im Handel usw. hinweist. Sie tun so, als seien wir daran beteiligt, die Meere leerzufischen. Sie müssen wissen, dass unter deutscher Flagge gerade einmal zehn hochseegängige Schiffe fahren. Das ist unser direkter Einfluss. In diese Ecke können Sie die deutschen Fischerinnen und Fischer mit Ihrer Anfrage also nicht stellen - die Sie ja zu einem Drittel aus einer Anfrage der SPD von vor zehn Jahren abgeschrieben haben. ({2}) Das macht auch nichts; ich bin darüber nicht böse. Ich will das überhaupt nicht beklagen, Frau Kollegin, wenn es denn dazu dient, Ihr Grundwissen in Sachen Fischerei zu vervollständigen. Dazu ist diese Anfrage ja gut. Für diejenigen, die sich mit dem Thema Fischerei auskennen, hat sie aber nichts Neues gebracht; auch das will ich hier sagen. Die Fischbestände von Dorsch, Seezunge, Scholle und Hering und Seelachs sind bekannt. Sie sind nicht überall sehr hoch. Man muss auch etwas tun. Erlauben Sie mir dazu folgende Anmerkungen. Das in Luxemburg jetzt neu und erfolgreich verhandelte Dorschmanagement ist auch ein Ergebnis von guter Praxis, von nachhaltiger Fischerei. Das BACOMA-Netz mit seinen Selektionsfenstern hat wesentlich dazu beigetragen, dass in Luxemburg so entschieden werden konnte. Nichtsdestotrotz muss über das Abkommen „Dorsch in der Ostsee“ vielleicht noch einmal nachgedacht werden. Wenn ich Bornholm als Grenze zwischen östlicher und westlicher Ostsee nehme - es gibt auch für die Ostsee so etwas wie ein Schengenabkommen -, ist festzustellen, dass 30 bis 40 Prozent der Fische über diese künstliche Dorschgrenze hinweg wandern. Vielleicht sollte man auch mit den Quoten zumindest zu 10 Prozent von Ost nach West und von West nach Ost gehen können. Ich denke, das käme der Praxis schon ziemlich nahe. Ich begrüße ausdrücklich die verstärkte Fischereikontrolle in der äußersten und östlichen Ostsee. Wir wissen, dass es sich bei 30 bis 40 Prozent der dort gefangenen Fische um Blackfish handelt, also um Fisch, der der illegalen Fischerei zuzurechnen ist. Darauf wird Brüssel - übrigens auch aufgrund eines Beschlusses aus Luxemburg - aber gut reagieren. Brüssel muss sozialverträgliche Möglichkeiten finden, um den Flottenabbau bei unseren östlichen Nachbarn zu beschleunigen. ({3}) Die Fischbestände in unseren Gewässern und darüber hinaus haben sich in den letzten zehn Jahren unterschiedlich entwickelt. Die pelagischen Arten sind in den letzten zehn Jahren relativ stabil auf dem gleichen Niveau geblieben. Dem Hering in der Nordsee geht es gar nicht so gut. Das liegt ohne Frage am Fischereidruck, aber auch an den klimatischen Veränderungen. Mit den letzten zwei Jahrgängen hatten wir auch Probleme bezüglich der Ernährung. Es fehlt eine Planktonart. Das hat sicherlich etwas mit der Erwärmung zu tun. Auch hier muss die Fischereiforschung noch gut nacharbeiten. Die Makrele hat ebenfalls ihre Probleme. Mit dem Rotbarsch in den nördlichen Gewässern südlich von Island sieht es im Grunde gut aus. Unser Hochseefischer, der dort Rotbarsch fängt, spricht nicht nur von Rotbarsch, sondern sogar von Marzipanschweinen; so gesund und so groß sind die Fische. Ich denke, das zeugt auch von einem guten Bestand. ({4}) Noch ein Beispiel - da sind sich alle, die mit Fischerei zu tun haben, einig -: Discards sind ein Problem. Ich hätte keine Sorgen, wenn wir uns darauf verständigen könnten, bei vielen Fischarten in Zukunft die Discards auf die Quoten anzurechnen. Ich halte dies für richtig. Das kann man allerdings nicht bei allen Fischarten machen. In der Praxis ist das bei unseren kleinen Küstenfischern, die Sie in Ihrer Anfrage gar nicht erwähnt haben, schwer durchzuführen. 250 Krabbenkutter in Niedersachsen gibt es für Sie gar nicht. Sie sind in Niedersachsen und Schleswig-Holstein aber ein Stück Identität. ({5}) Meines Erachtens sollten Sie mehr auf solche Dinge eingehen, die vor unserer Haustür passieren. Ich frage mich auch: Warum haben Sie beim Thema Fischerei unsere überalterte Küstenflotte nicht erwähnt, deren Schiffe teilweise über 30 Jahre alt sind? Warum haben Sie nichts zu den Problemen gesagt, die es in der Ausbildung zum Fischwirt gibt? ({6}) Auch diese sollten Sie berücksichtigen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Holger Ortel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Ende, Herr Präsident. Die Anfrage diente nur dazu, Sie daran zu erinnern, was Fischerei eigentlich bedeutet und wie es um die Fische bestellt ist. Ihr Entschließungsantrag kommt nun wirklich aus der Flachwasserzone. ({0}) Ein Vorgänger von Herrn Seehofer hätte heute zu Ihnen gesagt: Wenn Sie mittags Eisbein essen, dann sind Sie abends noch kein Polarforscher. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun erteile ich Kollegin Nicole Maisch, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit ich Mitglied dieses Hauses bin, habe ich eines sehr oft gehört, nämlich dass Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch sind. Das habe ich zum Beispiel auch von der FDP gehört. Dies ist sicherlich nicht falsch, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn richtig ist: Ohne Ökologie gibt es keine Ökonomie. ({0}) Eine gesunde Umwelt und die Schonung natürlicher Ressourcen sind Voraussetzung für nachhaltige wirtschaftliche Prosperität. Um im Duktus des Kollegen Holzenkamp zu bleiben: Keinen Nutzen ohne Schutz. Oder - das kann selbst ich als Kind des Binnenlandes sagen -: Wo keine Fische sind, kann man keine fangen. ({1}) Meine Fraktion hat sich aktiv in die Diskussion zum Grünbuch Europäische Meerespolitik eingeschaltet. Wir haben Stellungnahmen eingespeist. Darin wird auch deutlich, was der Unterschied zwischen grüner Politik und zum Beispiel der Politik der FDP ist. Wir fordern, dass nachhaltiger Meeresschutz, also Natur- und Umweltschutz, das Leitprinzip und nicht nur eine Säule der Meerespolitik ist. Integrierte Meerespolitik ist richtig. Denn wirtschaftliche Interessen müssen in die Meerespolitik integriert werden. Aber die Leitlinie ist für uns der Meeresschutz. ({2}) Hier hat sich die Bundesregierung in den letzten Monaten nicht nur mit Ruhm bekleckert. Die Kanzlerin hat auf der Bremer Konferenz sehr kluge Worte gesagt; das hat mir sehr gut gefallen. Noch besser hätte es uns aber gefallen, wenn den Worten auch Taten gefolgt wären. Die Anfrage der Linken ist bei aller Kampfrhetorik, ({3}) die man vielleicht kritisieren kann, insofern sehr gut, als sie uns Auskunft darüber gibt, wie schlecht es um unsere Meere bestellt ist. Ich will Ihnen am Beispiel einer Fischart die Problematik kurz durchdeklinieren. Der Kabeljau, gestern noch Fischstäbchen auf Ihrem Teller, ist heute bereits mehr oder weniger Rote-Liste-fähig. Hier sehen wir wieder: ohne Ökologie keine Ökonomie; wo keine Fische sind, kann man, wie gesagt, keine fangen. ({4}) Anderes Thema: Schiffsverkehr. Darauf ist die Linke leider nicht in ausreichendem Maße eingegangen. Emissionen und Lärm im Bereich des Schiffsverkehrs sind eine massive Belastung für die Meeresumwelt. In diesem Bereich muss nachgebessert werden und muss mehr getan werden, um beispielsweise Meeressäuger zu schützen. Ein weiteres großes Thema sind die Schadstoffeinträge aus der Landwirtschaft. Trotz internationaler Abkommen können wir nicht verhindern, dass Düngemittel und Pestizide in die Gewässer fließen. Was in den Flüssen landet, landet schlussendlich im Meer und auch in dem Fisch, den Sie und ich gerne essen. Es besteht dringender Handlungsbedarf über Sektorengrenzen hinweg. Wir brauchen einen guten Umweltzustand der Meere bis 2012. Aber der kommt natürlich nicht von selbst. Da muss man etwas tun. ({5}) Das Meer ist ein hochkomplexer und schutzwürdiger Naturraum und eben nicht primär eine Ressource. Wer das Meer nur als Ressource und eben nicht als schutzwürdigen Naturraum sieht, der wird es auch nicht nachhaltig bewirtschaften können und der wird auf Dauer kein Geld damit verdienen können. Es ist eine relativ einfache Rechnung: Wer die Natur zerstört, zahlt dafür natürlich auch finanziell. Bezüglich des Schutzes der Meere wird von der FDP oft gesagt, dass die CO2-Abscheidung eine tolle Sache ist. Dieser Meinung bin ich nicht. Ich denke auch nicht, dass sie bald kommen wird. Aber sollte es irgendwann möglich sein, diese Technologie zu verwenden, dann ist die Tiefsee nicht der richtige Endlagerraum für das abgeschiedene CO2. Ich denke, wer so etwas sagt, sollte sich fragen, wie ernst es ihm mit dem Meeresschutz ist. ({6}) Ein letzter Punkt. 2008 wird Deutschland das Gastgeberland der COP 9 sein. Ich denke, das wäre ein guter Anlass, eine gute Gelegenheit, um auf das Thema biologische Vielfalt in den marinen Lebensräumen aufmerksam zu machen und dieses Thema auf die Agenda zu setzen. Sie haben jetzt die Möglichkeit, unsere Meere zu schützen, damit auch die nachfolgenden Generationen sie noch nützen können. Ich denke, dem Antrag der Linken kann man, auch wenn man die Rhetorik schlecht findet, trotzdem zustimmen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Maisch, das war Ihre erste Rede im Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für Ihre weitere Arbeit! ({0}) Nun hat sich schon Kollege Heinz Schmitt am Mikrofon eingefunden, deswegen muss ich ihm wohl das Wort geben. ({1})

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe neue Kollegin Frau Maisch, ich darf mich den Glückwünschen ganz herzlich anschließen und hoffe auf weitere gute Reden von Ihnen in den nächsten Jahren - vielleicht sogar einmal gemeinsam auf der Regierungsbank. ({0}) - Herr Bleser, eine neue Kollegin muss man einmal ein bisschen motivieren. Es geht heute um den Antrag der Linken zum Thema Meeresschutz. Ich muss sagen, dass die Erkenntnisse, die wir heute aus Ihrem Antrag und aus den Folgerungen Ihrer Großen Anfrage gewonnen haben, so weltbewegend nicht sind. Allerdings hat der Antrag auch etwas Positives: Wir erfahren vieles über die aktuellen Bestände, von der Scholle bis zur Makrele. Von daher wissen wir, wie sich einzelne Arten entwickelt haben und ob eine Zunahme der Bestände, eine Abnahme der Bestände oder ein Verschwinden von ganzen Beständen und Fischarten festzustellen war. Von daher kann man dem Antrag durchaus etwas Aktuelles abgewinnen. Die Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind aber wirklich nicht so sensationell. Vieles, was Sie aus Ihren neuen Erkenntnissen schließen, ist bereits in reale Politik umgesetzt worden. ({1}) Es geht heute auch darum, was wir hinsichtlich der Fischereipolitik und hinsichtlich der Meerespolitik auf europäischer Ebene unternehmen. Im Jahr 2006 hat die Kommission unter der Überschrift „Eine europäische Vision für Ozeane und Meere“ ein Grünbuch vorgestellt. Vorrangiges Ziel dieses Grünbuches ist es, die Nutzung der Meere in Einklang mit dem Schutz der Meere zu bringen. Daher bekommt das Grünbuch noch eine weitere, ökologische Säule: Die thematische Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt und die Meeresstrategierichtlinie werden in das Grünbuch mit einfließen; das haben wir von den Vorrednern schon gehört. Heinz Schmitt ({2}) Gerade das Beispiel Weltmeere zeigt - viele haben das bestätigt -, wie abhängig wirtschaftliche Aktivitäten von natürlichen Ressourcen, von einer intakten Umwelt sind. Herr Kollege Holzenkamp, Sie haben sehr deutlich beschrieben, welche Arbeitsplätze an den Weltmeeren hängen und welche große wirtschaftliche Bedeutung die maritime Wirtschaft für uns hat. Wir brauchen aber auch eine intakte Umwelt; denn - Kollegin Maisch von Bündnis 90/Die Grünen hat es gesagt - ohne Fische gibt es keine Fischereiwirtschaft und ohne saubere Küsten auch keinen Tourismus. Diese Paare gehören zusammen. So einfach ist also das Verhältnis zwischen Nutzung und Schutz der Meere. Deswegen steht im Grünbuch: Eine gesunde Meeresumwelt ist unerlässliche Voraussetzung für die Nutzung des vollen Potenzials der Meere. Das hört sich selbstverständlich an. Die Praxis sieht aber leider anders aus: Wir haben Überfischung, wir haben enormen Beifang von Meeressäugern, wir haben die Grundnetzfischerei, wir haben eine Überdüngung, Verlärmung und Vermüllung der Meere. Das ist heute noch die Realität. Hinzu kommen - als wäre das alles noch nicht bedrohlich genug - die Erwärmung und Versauerung der Meere durch den Klimawandel. Deshalb ist es wichtig, dass wir - das war heute auch gemeinsamer Tenor - unseren Beitrag zum nachhaltigen Schutz dieser belasteten, übernutzten und empfindlichen Ökosysteme leisten, damit sie regenerieren können und wieder eine größere Artenvielfalt erreicht wird. Die Nutzung der Meere muss also intelligenter und nachhaltiger werden. ({3}) Die Regierung tut vieles. Die Beschlüsse, die vorgestern zum Klimaschutz gefasst wurden, sind natürlich auch praktizierter Meeresschutz. Ich habe versucht, das aufzuzeigen. Wir müssen uns darum kümmern, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung realisiert wird. Wir brauchen eine bessere Überwachung der Fangquoten und eine Bekämpfung der illegalen Fischerei. Außerdem brauchen wir mehr Forschung und mehr Daten zur Meeresumwelt. Durch die heutige Diskussion werden wir angehalten, uns über den Schutz der Meere noch mehr Gedanken zu machen. Wir müssen vieles auf den Weg bringen. Ich teile Ihr Engagement für den Erhalt eines guten Zustandes unserer Meere. Ich teile auch Ihre Ansicht, dass die Meere einen Wert an sich darstellen. In der Gesellschaft darf nicht alles in Euro, Dollar oder Yen bewertet werden. Die Schönheit und die Vielfalt der Meere sind ein Wert an sich, den es zu erhalten gilt. Es geht nicht nur um die wirtschaftliche Nutzung. ({4}) Ich teile aber nicht Ihre Einschätzung, der Meeresschutz würde einseitig den wirtschaftlichen Interessen geopfert. Dafür gibt es sehr viele gute Beispiele. Deswegen müssen wir Ihren Antrag aus inhaltlichen Gründen ablehnen. Ich empfehle Ihnen - vielleicht nutzen Sie dafür die Sommerpause -, die Bremer Erklärung zur künftigen Meerespolitik der EU zu lesen. In dieser Erklärung sind sehr viele gute Ansätze enthalten, wie die Ziele, über die wir uns alle eigentlich einig sind, erreicht werden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb kann ich sagen, viele Forderungen Ihres Entschließungsantrags befinden sich bereits in guten Händen und sind auf gutem Wege. Wir müssen Ihren Antrag ablehnen, weil vieles, was Sie fordern, bereits realisiert wurde. Vor allen Dingen ist der einseitige Angriff, hier stünden nur wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, nicht zu halten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen weiterhin eine interessante Diskussion. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5973. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts - Drucksache 16/3945 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 16/5862 Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Bernhard Brinkmann ({1}) Sevim Dağdelen Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich diejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, den Saal zu verlassen, damit die anderen der Debatte ungestört folgen können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Präsident! Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs hat Frau Bundesministerin Zypries, die Sie übrigens herzlich grüßen lässt - sie hat andere wichtige Aufgaben, lieber Uwe -, gesagt: Der 1. Januar 2008 soll ein guter Tag für alle Menschen werden, die eine Versicherung abgeschlossen haben. Heute kann ich Ihnen sagen: Der 1. Januar 2008 wird ein guter Tag für alle Versicherungsnehmer. ({0}) - Ich danke euch für den Beifall, liebe Freunde. - Wir werden dann ein modernes Versicherungsvertragsgesetz haben. Die Versicherungsnehmer werden dann erstens gründlicher informiert, zweitens haben sie mehr Rechte, und drittens bekommen sie bei Lebensversicherungen mehr Geld. Vor allem bei der Lebensversicherung bringt das neue Gesetz wichtige Verbesserungen. Wir schreiben den Anspruch auf Überschussbeteiligung als Regelfall im Gesetz fest und bestimmen, dass dabei auch die stillen Reserven einer Versicherung berücksichtigt werden. In Zukunft gibt es auch klare Regeln für die Berechnung des Rückkaufwertes. Außerdem werden die Abschlusskosten auf fünf Jahre verteilt. Das wird dazu führen, dass es beim sogenannten Frühstorno einen höheren Rückkaufwert gibt. Wer also nach zwei Jahren kündigt, geht in Zukunft nicht mehr leer aus, weil seine Beiträge nicht mehr vollständig von den Kosten aufgezehrt werden. Das neue Gesetz stärkt den Verbraucherschutz auch über die Lebensversicherungen hinaus. Wir sorgen im gesamten Versicherungsrecht für mehr Transparenz. Verbraucher werden künftig besser beraten und informiert, und zwar vor Abschluss eines Versicherungsvertrags. Das sogenannte Policenmodell, bei dem der Versicherungsnehmer erst nachträglich die maßgeblichen Informationen erhält, wird abgeschafft. Keine Sorge, lieber Bernhard, die Versicherungsvertreter werden künftig nicht mit einem Kleinlastwagen durch die Gegend fahren müssen. Sie haben alle Informationen auf ihrem Laptop; da bin ich mir sicher. ({1}) - Ich weiß. Die Verbraucher sollen auch erfahren, was sie ein bestimmter Vertrag kostet. Vor allem bei der Lebensversicherung müssen die Abschluss- und Vertriebskosten in Zukunft vor Vertragsabschluss offengelegt werden. Das schafft Klarheit über Rendite und Kosten, und dadurch kann man die Lebensversicherung mit anderen Kapitalanlageformen besser vergleichen. Abschaffen werden wir mit dieser Reform das sogenannte Alles-oder-nichts-Prinzip. Verletzt der Versicherungsnehmer künftig seine Vertragspflichten grob fahrlässig, wird geprüft, wie schwer das Verschulden des Versicherten wirklich wiegt. Nur um diesen Anteil kann die Versicherung ihre Leistungen kürzen. Ein wichtiger Zugewinn an Verbraucherschutz ist auch der neue Direktanspruch des Geschädigten bei Pflichtversicherungen. Zugegeben: Wir hätten gern etwas mehr gehabt, aber die Beratungen haben mich überzeugt. Es bleibt also jetzt dabei: Wenn ein Schädiger nicht greifbar oder insolvent ist, dann hat der Geschädigte keine Chance, von ihm Ersatz zu verlangen, und das, obwohl für den Schadensfall Versicherungsschutz besteht. In diesen Fällen kann er künftig direkt vom Versicherer Schadenersatz verlangen. Wir kennen einen Direktanspruch ja schon bei der Kfz-Haftpflichtversicherung. Dieses Modell übertragen wir jetzt auf die Fälle der Insolvenz oder Abwesenheit des Schädigers. Nach nur fünf Monaten parlamentarischer Beratung können wir heute ein großes Reformwerk abschließen. Diese rasche Gesetzgebung war möglich, weil wir dieses Projekt mit einer Expertenkommission gründlich vorbereitet haben. Wir bekommen jetzt ein modernes Versicherungsrecht mit mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit. Das ist ein großer Gewinn. Das alte Versicherungsvertragsrecht hat hundert Jahre durchgehalten, Herr Wanderwitz. Ob das neue so lange hält, wissen wir nicht. Aber wir wollen uns darum bemühen. Ich darf mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss sehr herzlich bedanken, zunächst einmal bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Justiz, die hier ganz gespannt sitzen und darauf warten, zu erfahren, was heute dabei herauskommt. ({2}) Ich denke, sie haben eine gründliche und gute Vorarbeit geleistet. Ich darf mich auch sehr herzlich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern aller Parteien - leider kann ich die Linksfraktion bzw. die PDS hierbei nicht einschließen - bedanken. Ich darf folgende Personen ein bisschen hervorheben - ich hoffe, die anderen sind mir deswegen nicht böse -: Herrn Wanderwitz, den Fachmann Brinkmann und vor allen Dingen Dirk Manzewski, der mit ruhiger Hand, wie das bei Sozialdemokraten so üblich ist, ({3}) durch alle Fährnisse dieser Beratungen geführt hat. Dabei sind wir zu einem guten Schluss gekommen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Mechthild Dyckmans von der FDP-Fraktion. ({0})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorwegzunehmen: Gerne hätte ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in Übereinstimmung mit möglichst allen Fraktionen heute zugestimmt. ({0}) Aber die Umsetzung der von meiner Fraktion strikt abgelehnten Gesundheitsreform mit ihren verfassungsrechtlich äußerst bedenklichen Regelungen zur Einführung eines Basistarifs für private Krankenversicherungen - diese Regelungen wurden in letzter Minute durch Art. 11 des Gesetzentwurfs eingefügt ({1}) macht es meiner Fraktion unmöglich, diesem Gesetzentwurf heute zuzustimmen. ({2}) Dies ist umso bedauerlicher, als der Gesetzentwurf in weiten Teilen zu begrüßen und zu unterstützen ist. Es wurde dringend Zeit, ein 99 Jahre altes Gesetz zu modernisieren und es den heutigen Gegebenheiten anzupassen. Gerade der Schutz der Versicherungsnehmer und damit der Verbraucher musste gestärkt werden. Auch die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes war notwendig. Lange und heftig wurde von Anfang an über die Abschaffung des Policenmodells diskutiert. Für die einen war nicht nachvollziehbar, weshalb dem Verbraucher im Versicherungsrecht anders als bei Vertragsabschlüssen in allen anderen Bereichen die notwendigen Informationen erst nach Vertragsabschluss zusammen mit der Police zukommen sollten. Für die anderen war nicht einsichtig, weshalb ein Modell, das in der Praxis zu keinen großen Schwierigkeiten geführt hat, verändert werden sollte. Letztendlich war uns allen aber klar, dass wir die Vorgaben der EU zu beachten haben. Das von der EUKommission gegen Deutschland angestrengte Vertragsverletzungsverfahren birgt eine so große Rechtsunsicherheit für die bereits laufenden Verträge, dass es verantwortungslos gewesen wäre, das Policenmodell beizubehalten. ({3}) Wie Sie sehen, sind wir mit vielen Punkten einverstanden. Nun zu einigen kritischen Punkten. Für meine Fraktion ist es nicht haltbar, dass künftig der genaue Inhalt der vorvertraglichen Informationen vom Bundesjustizministerium durch eine Rechtsverordnung festgelegt werden soll. Ich bin der Ansicht, dass es Sache des Gesetzgebers ist, die künftig mitzuteilenden Informationen selber in concreto festzulegen, da es sich hierbei um grundlegende gesetzgeberische Vorgaben handelt. Es kann und darf uns nicht egal sein, welche konkreten Informationen den Versicherten vor Vertragsabschluss übermittelt werden müssen, damit diese eigenverantwortlich ihre Entscheidung für oder gegen eine Versicherung fällen können. Machen wir es doch so: Fügen wir dem Versicherungsvertragsgesetz eine Anlage wie die zu § 48 b des Versicherungsvertragsgesetzes bei. 2004 war eine solche vom Parlament beschlossene Anlage noch möglich. Das hätten wir uns auch in diesem Fall gewünscht. Kritisch sehen wir auch die neuen Regelungen zum Direktanspruch. Ursprünglich hatte die Bundesregierung vorgeschlagen, den Geschädigten in allen Pflichtversicherungen einen Direktanspruch gegen die Versicherung des Schädigers einzuräumen. Begründet wurde dies mit dem bereits im geltenden Recht vorgesehenen Direktanspruch in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Bei anderen Pflichtversicherungen - hier sind insbesondere die Berufshaftpflichtversicherungen bestimmter selbstständiger Berufe zu nennen - sind allerdings sowohl die Schadensumstände als auch die Rahmenbedingungen völlig andere. Im Übrigen gilt: Wenn es nicht nötig ist, eine Vorschrift zu erlassen, ist es nötig, keine Vorschrift zu erlassen. ({4}) Den Vertretern des Bundesministeriums der Justiz war es in den Berichterstattergesprächen nicht möglich, uns wenigstens eine Handvoll Fälle zu präsentieren, in denen ein Direktanspruch nötig gewesen wäre. Auch wenn der Direktanspruch nach der deutlichen Kritik, die in den Beratungen geäußert wurde, nun auf die Fälle der Insolvenz und des unbekannten Aufenthalts des Schädigers reduziert wurde - Herr Hartenbach hat darauf hingewiesen -, konnte uns auch insoweit kein wirkliches Bedürfnis nach einem Direktanspruch nachgewiesen werden. Leider ist die Koalition in dieser Frage vor dem Bundesjustizministerium eingeknickt. ({5}) Es wäre besser gewesen, meine Herren, Sie wären bei Ihrer eindeutig geäußerten generellen Ablehnung des Direktanspruchs geblieben. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass dieses Gesetz ein Meilenstein in der Geschichte des Versicherungsvertragsrechts ist. ({6}) Viele Veränderungen werden sich aber erst im Laufe seiner Umsetzung zeigen. Damit bin ich beim letzten Punkt meiner Kritik: Die im Gesetzentwurf vorgesehene Frist, innerhalb derer die Versicherungswirtschaft dies umsetzen muss, ist zu knapp bemessen. ({7}) Die bestehenden Verträge - es handelt sich hierbei, wie wir alle wissen, um circa 430 Millionen Verträge; allein 94 Millionen davon sind Lebensversicherungen - müssen laut Gesetzentwurf bis zum 31. Dezember 2008 auf die neuen Regelungen umgestellt worden sein. Dies ist unseres Erachtens nicht zu schaffen; für diese Mammutaufgabe scheinen uns zwei Jahre notwendig, aber auch angemessen. ({8}) Die genannten Kritikpunkte wären für uns alleine kein zwingender Grund gewesen, dieses Gesetz abzulehnen. Es liegt an der Umsetzung der Gesundheitsreform in diesem Gesetzentwurf, die es uns unmöglich macht, dem heute zuzustimmen. Danke schön. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Februar haben wir in erster Lesung über das heute abzuschließende Gesetzgebungsverfahren debattiert. Kollege Staatssekretär Hartenbach hat schon gesagt: Wir haben in einer relativ kurzen Zeit umfängliche parlamentarische Beratungen hinter uns gebracht, unter anderem eine Expertenanhörung, die aus meiner Sicht erheblich zur Erhellung beigetragen hat. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass wir zum einen eine umfangreiche und gute Zuarbeit der für das Versicherungsvertragsgesetz eingesetzten Expertenkommission hatten und zum anderen einen bereits sehr guten Entwurf vom BMJ vorgelegt bekamen. Von daher möchte ich den Mitgliedern der Kommission ebenso wie den Beamten im BMJ, den Experten aus der Anhörung und nicht zuletzt den Berichterstatterkollegen an dieser Stelle danken. Da in einer Koalition durchaus einmal erwähnt werden sollte, wo es ausgesprochen gut funktioniert hat, möchte ich mich insbesondere beim Kollegen Manzewski bedanken, der an vielen Stellen für die Rechtspolitik der SPD Verantwortung übernimmt. Das heute zu beschließende Gesetz ist ein mutiges Gesetz; auch das ist schon gesagt worden. Es hat sich nicht mehr gelohnt, das Gesetz, das fast hundert Jahre alt war, weiter zu verbessern. Wir haben es gewagt, es komplett neu zu machen. Das Leitbild des Verbrauchers ist mittlerweile ein anderes als das von 1908: Heute ist der Verbraucher eigenverantwortlich und selbstbestimmt. Der Interessenausgleich zwischen Versicherten und Versicherungen, aber auch zwischen den verschiedenen Interessen innerhalb der Versichertengemeinschaft ist heute anders und prägt dieses Gesetz. Wir bringen damit heute ein weiteres - das Urheberrecht ist heute schon besprochen worden - gewichtiges rechts- und verbraucherpolitisches Vorhaben der Bundesregierung in den Hafen. Wir tun dies deutlich vor dessen Inkrafttreten zum 1. Januar 2008 und geben damit der Versicherungswirtschaft die notwendige Zeit zur Vorbereitung. ({0}) Vieles hat Kollege Staatssekretär Hartenbach schon gesagt, und Richtiges muss man nicht wiederholen. Hinzu kommt, dass noch zwei Kollegen für meine Fraktion sprechen und auf den einen oder anderen Punkt eingehen werden, sodass ich mich auf einige wenige Punkte beschränken möchte. Denn es gab doch manche Veränderungen am vorliegenden Entwurf, von denen ich einige für die Union in Anspruch nehme. Zum einen gibt es Veränderungen - die ich für Verbesserungen halte - rund um § 169. Ich habe schon in meiner ersten Rede vor diesem Hohen Hause gesagt, dass ich Rückwirkungen auf Bestandsverträge im Bereich der Lebensversicherungen für kein gutes Zeichen halte. Wir haben natürlich Änderungsbedarf: gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung; das ist völlig klar. Uns ist aufgegeben worden, diese Veränderungen in 2008 umzusetzen. Aber Bedarf, in bestehende Verträge einzugreifen, haben wir nie gesehen. Deswegen freut es uns, dass in dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf in diesem Bereich keine Rückwirkungen mehr vorhanden sind. Das bedeutet für die Versicherten und für die Versicherer - sprich: für beide Vertragspartner -: Was abgeschlossen worden ist, behält Gültigkeit; es finden keine rückwirkenden Eingriffe in Kalkulationen und in Verträge statt. Das ist für mich ein gewichtiger Punkt. ({1}) Die Unionsfraktion hat sich zudem - nicht als einzige, aber auch - dagegen gewandt, einen generellen Direktanspruch einzuführen. Ich glaube, wir sind mit den beiden kleinen Erweiterungen - wir sind also weit entfernt von einem generellen Direktanspruch in den Pflichtversicherungen -, die ich für sinnvoll erachte, Frau Kollegin Dyckmans, und derentwegen wir dem auch zustimmen werden, auf einem guten Weg, was die Pflichtversicherungen betrifft. Schließlich möchte ich in der Kürze der Zeit noch das Recht der privaten Krankenversicherungen ansprechen. Wir haben, was den Datenschutz betrifft, höchstrichterliche Rechtsprechung umzusetzen. Es muss jedem möglich sein, Einzeleinwilligungen in die Übermittlung von Gesundheitsdaten zu geben; diese Möglichkeit ist gefordert. Der ursprüngliche Entwurf des BMJ sah vor, dass das zum Regelfall wird. Wir haben jetzt eine Änderung, wonach es zumindest zwei nebeneinander stehende Alternativen gibt: auf der einen Seite die Einzeleinwilligung, auf der anderen Seite die weiterhin mögliche pauschale Einwilligung zu Vertragsbeginn oder der jederzeitige Wechsel zwischen diesen beiden Möglichkeiten während der Vertragslaufzeit. Ganz besonders liegt mir am Herzen, dass der, der bestellt, auch bezahlen muss. Die Versicherungsnehmer, die das wünschen, müssen also die Mehrkosten selbst tragen und nicht der Teil der Versichertengemeinschaft, der das für sich nicht in Anspruch nimmt. Ich finde es sehr bedauerlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass bei all der Zustimmung an einem relativ kleinen Punkt das Haar in der Suppe gesucht wird. ({2}) Es war ein zentraler Punkt bei der Gesundheitsreform. ({3}) Es gab dazu eine Abstimmung in diesem Hause. Wenn man etwas, das schon im Gesetzblatt steht, inhaltsgleich in ein anderes Gesetz überträgt, kann man sich natürlich so verhalten, wie Sie es getan haben. Das ist Ihr gutes Recht. Aber es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden, wenn Sie wie die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen mit uns - bei allen Kritikpunkten und ähnlich, wie es beim Urheberrecht gang und gäbe ist - einen breiten Konsens gesucht und gefunden hätten und sich zur Zustimmung durchgerungen hätten. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke begrüßt viele Neuerungen, die in dem Gesetzentwurf zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes verankert sind. Diese gehen zum Teil auf die jahrelange Vorarbeit der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes zurück. Die Reform führt zu einigen grundlegenden und überfälligen Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie müssen besser beraten und informiert werden, das Allesoder-Nichts-Prinzip wird endlich aufgegeben, und das Policenmodell entfällt. Wichtiger ist noch, dass nunmehr die Inhaber von Lebensversicherungen endlich zur Hälfte an den stillen Reserven beteiligt werden sollen, die mit ihrem Vermögen und dem Vermögen anderer Versicherter erwirtschaftet wurden. Zwar halten wir eine 50-prozentige Beteiligung für zu gering, ich gestehe aber, dass wir von der Bundesregierung auch nicht mehr erwartet haben. Denn selbst diesen verhältnismäßig bescheidenen finanziellen Zugewinn für die Bürgerinnen und Bürger musste erst das Bundesverfassungsgericht erzwingen. ({0}) Bekanntermaßen verteilt die momentane Mehrheit dieses Hauses Geschenke in der Regel lieber an die großen Unternehmen. Damit wären wir bei der Kritik, die zu üben leider Anlass besteht. Ich möchte drei Punkte ansprechen. Erstens. Der Entwurf koppelt den Umfang der Beratungspflicht des Versicherers an die Höhe der Prämien, die der Versicherungsnehmer leistet. Dies ist jedoch bei Haftpflichtversicherungen extrem gefährlich. Bei diesen sind in der Regel nur verhältnismäßig geringe Prämien zu leisten. Aber gerade bei dieser Art der Versicherung kann eine oberflächliche Beratung existenzgefährdende Folgen haben. Wenn der Versicherungsnehmer erst nachträglich merkt, dass er falsch versichert ist, zahlt er dann nämlich im Extremfall ein Leben lang. Zweitens. Hat der Versicherungsnehmer eine ihm obliegende Vertragspflicht verletzt, wird vermutet, er habe dies grob fahrlässig getan. Dies verstößt meines Erachtens gegen die allgemeine Systematik des Zivilrechts. Wenn der Versicherungsnehmer beispielsweise eine Frist nicht gewahrt hat, muss er beweisen, sich nicht dümmer angestellt zu haben, als die Polizei erlaubt. Dieser Nachweis dürfte ihm naturgemäß oftmals gar nicht möglich sein, was zur Folge hat, dass der Versicherer die Versicherungsleistung beachtlich kürzen kann. Hierdurch werden Versicherer geradezu ermutigt, pauschal grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers zu behaupten und nur einen Bruchteil der von ihnen geschuldeten Versicherungsleistung zu zahlen. Drittens. Unterlässt der Versicherer die Belehrung über das Widerrufsrecht, muss er richtigerweise hinnehmen, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag prinzipiell unbefristet widerrufen kann. Allerdings muss der Versicherer die Prämie dann nur für das erste Versicherungsjahr zurückzahlen. Im Bereich der kapitalbildenden Versicherungen wird aber niemand die Versicherung widerrufen, wenn er die gezahlten Prämien nicht zurückbekommt. Diese Beschränkung der Rückzahlungspflicht ist Unsinn oder eine gewollte faktische Einschränkung des Widerrufsrechts auf den Zeitraum von einem Jahr. In jedem Fall widerspricht sie der Rechtsprechung des EuGH. ({1}) An diesen Punkten hat sich die Große Koalition bewusst für die Lobby der Versicherungsunternehmen und gegen die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher entschieden. ({2}) - Das ist einfach so. Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt hinweisen, bei dem ich an ein Versehen glaube. Vielleicht hören Sie mir zu. ({3}) Ich hoffe, dass ich hier auch zu Ihnen durchdringen kann. ({4}) Beantragt der Versicherungsnehmer eine Versicherung, aber der Versicherer stellt einen abweichenden Versicherungsschein aus, dann hat der Versicherungsnehmer die Möglichkeit, zu widersprechen. Auf die Änderungen und auf das Widerspruchsrecht muss der Versicherer hinweisen. Tut er dies nicht, dann gilt der Vertrag als mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsnehmers geschlossen. Diese Vorschrift führt in der Regel zu angemessenen Ergebnissen. Allerdings - darauf möchte ich Sie hinweisen - sind durchaus Fälle denkbar, in denen diese Vorschrift zu Rechtsfolgen führt, die der verbraucherfreundlichen Intention der Norm widersprechen. Hat der Versicherungsnehmer über die gesamte Vertragslaufzeit die höheren Prämien nach den Vorgaben des Versicherungsscheins gezahlt und hat er nach diesem auch einen Anspruch auf höhere Zahlungen des Versicherers, so wird durch den bestehenden § 5 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes bewirkt, dass der Versicherungsnehmer trotz Zahlung der höheren Prämie nur die niedrigere Versicherungsleistung verlangen kann. Das ist widersprüchlich und ungerecht. Ich gehe davon aus, dass Sie das mit Ihrem Gesetzentwurf nicht wollen. ({5}) Diesen und die weiteren Mängel des Gesetzes können Sie relativ einfach beseitigen. Wir haben Ihnen für die heutige abschließende Beratung einen Änderungsantrag unterbreitet. Dies ist einer der Punkte. Ich fordere Sie auf, unserem Änderungsantrag zu folgen. Ansonsten können wir dem Gesetzentwurf heute leider nicht zustimmen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag vom Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz, das wir heute fast alle gemeinsam reformieren - wir bringen die Reform zu Ende -, ist noch vom Deutschen Kaiser und König von Preußen vor genau 100 Jahren verordnet worden. In dieser Zeit hat sich ein enormer Änderungsbedarf ergeben. Die Praxis hat in den Jahrzehnten nicht auf den Gesetzgeber gewartet, sondern in der Praxis und in der freien Rechtschöpfung wurden viele Institute im Versicherungsrecht entwickelt, zum Beispiel zur vorläufigen Deckungszusage und zum Bereich der Berufsunfähigkeit. Wir ziehen mit der Gesetzesänderung jetzt nach. Sie kommt spät, aber sie ist äußerst intensiv vorbereitet worden. Nun kommt sie, und ich glaube, dass das für die Millionen Menschen, die mit Versicherungen zu tun haben, die also Kunden von Versicherungsgesellschaften sind, ein enormer Fortschritt ist. Ich will drei große Punkte erwähnen: Erstens. Die Kollegen der Koalition haben in den Beratungen erkennbar immer so getan, als ob sie damit gar nicht sehr zufrieden sind, erklären das jetzt aber zu einem großen Punkt. Ich bekenne mich: Ich finde das Ende des Policenmodells richtig gut. Ich glaube, in der heutigen Welt ist es nicht mehr richtig, dass man den Bürgerinnen und Bürgern zumutet, dass sie Verträge abschließen und den Inhalt erst hinterher zugeschickt bekommen. Es wird natürlich bürokratische Probleme geben, die die Versicherungswirtschaft zu lösen haben wird. Ich finde es aber in Ordnung, dass der Grundsatz, dass man erst liest und zur Kenntnis nimmt und dann unterschreibt, endlich auch so im Gesetz steht. Zweitens ist auch die Aufgabe des Alles-oder-nichtsPrinzips - bei Vertragsstörungen also vernünftig und angemessen zu reagieren und nicht immer gleich mit der Beendigung des Vertrags oder der Auflösung aller Ansprüche zu drohen - aus meiner Sicht in Ordnung. Drittens sind auch die weitreichenden Informationsund Beratungspflichten, die im Gesetzentwurf implementiert sind, ein großer Pluspunkt. Mit diesem Gesetzentwurf ist der Versicherungskunde zwar immer noch kein König; er ist aber auch kein Bettler mehr. Wir Grüne haben zuerst in der Regierung und jetzt in der Opposition bei den Beratungen des Gesetzentwurfs mitgearbeitet. Wir haben uns eingebracht und Vorschläge gemacht, mit denen wir uns zum Teil auch durchsetzen konnten. Wir tragen die Reform mit und werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Ich will in der Kürze der Zeit allerdings auch einige kritische Punkte anmerken. Der Direktanspruch in der Pflichtversicherung ist eingeschränkt worden; auch Staatssekretär Hartenbach hat das mit einem Unterton des Bedauerns festgestellt. Ich glaube allerdings nicht, dass das ein herausragender Punkt ist, der uns zu einer Ablehnung zwingen müsste. Denn die Ausnahmen, die jetzt vorgesehen sind, sind ein kleiner Schritt nach vorne. Ich kann nichts Schlimmes daran finden, dass der Versicherte dann, wenn er Schwierigkeiten hat, den Schädiger in Haftung zu nehmen, einen Direktanspruch bei der Versicherung geltend machen kann. ({0}) - Auch dann, wenn er ihn nicht kennt, kann er den Direktanspruch geltend machen. ({1}) Genau das sind die beiden Ausnahmen, die beibehalten worden sind. Dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Beratungspflicht zwei Bedingungen unterliegt, haben wir in den Beratungen gerügt. Wir meinen, dass eine Bedingung ausreichen würde. Es bleibt abzuwarten, wie sich das in der Praxis entwickelt. Denn dass der Vertreter der Versicherung, bevor er überhaupt in die Beratung eintritt, einseitig in seiner Sphäre eine Entscheidung treffen kann, ob er beraten muss oder will, und - wenn er zu der Überzeugung kommt, eine Beratung durchzuführen - in einer zweiten Stufe dem Versicherten anbieten kann, darauf zu verzichten, wenn er einen Revers unterschreibt, dass er die Haftung übernimmt, ist meines Erachtens ein Schritt zu viel. Auch die Frage der Beweislast ist kritisch zu sehen. Es ist zwar ein Vorteil gegenüber der jetzigen Rechtslage, dass wir nun bei grober Fahrlässigkeit eine Aufteilung des Schadens erreichen können. Aber wer dann die Beweislast trägt, ist immer noch anders geregelt als im allgemeinen Zivilrecht. Wenn es dabei zu Problemen kommt, werden wir uns nicht erst in 100 Jahren, sondern früher damit befassen müssen. Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung. Es war unschön, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, die Regelung zur privaten Krankenversicherung so spät und nur im Rahmen der letzten Unterlagen in den Gesetzentwurf übertragen haben. Aber, liebe Kollegen von der FDP, die Tatsache, dass Sie und wir dagegen waren, kann doch kein Grund sein, gegen den Entwurf des Versicherungsvertragsgesetzes zu stimmen. ({2}) Dies ist eine absolut inhaltsgleiche Übertragung eines geltenden Gesetzes, das uns nicht gefällt. Ich finde, in diesem Zusammenhang reicht, was ich jetzt zu Protokoll geben werde: Ich erkläre für die Grünen, dass die Zustimmung zum Versicherungsvertragsgesetzentwurf nicht implizit als Zustimmung zu dem Gesetzentwurf gedeutet werden kann, den wir damals abgelehnt haben. Damit soll es genug sein. Ich glaube, das reicht. ({3}) Wir sollten dem Gesetzentwurf allseitig unsere Zustimmung geben. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Manzewski von der SPD-Fraktion.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde der Rechtspolitik! Als sich die Bundesregierung des VVG angenommen hat, hat sich sehr schnell die Erkenntnis durchgesetzt, dass punktuelle Änderungen oder Ergänzungen nicht mehr ausreichen, sondern dass eine Gesamtreform notwendig ist. Mein Dank gilt daher zunächst dem BMJ und seinen Mitarbeitern, namentlich Herrn Schäfer und Herrn Schöfisch. Denn bereits die Diskussion mit den betroffenen Kreisen und die Anhörung haben gezeigt, dass uns ein meiner Auffassung nach hervorragender Gesetzentwurf vorgelegt worden ist. Die Gewinner dieses Gesetzes werden eindeutig - das muss man so deutlich sagen, Herr Kollege Montag und Frau Kollegin Dr. Höll - die Verbraucherinnen und Verbraucher unseres Landes sein. Lassen Sie mich dies kurz konkretisieren. Erstens. Durch die Abschaffung des Policenmodells und die neugestalteten §§ 6 und 7 des VVG wird es keinen anderen Bereich geben, in dem die Verbraucher bereits vor Vertragsschluss derart umfassende Informationen und Beratungen über den Vertragsgegenstand erhalten. Zweitens. Dies wird - sozusagen als Nebeneffekt dazu führen, dass den Verbrauchern im Streitfall auch die Beweisführung erleichtert wird. Drittens. Da der Versicherungsnehmer grundsätzlich nur noch ihm bekannte Umstände anzeigen muss, nach denen der Versicherer zuvor in Textform gefragt hat, liegt das Risiko einer Fehleinschätzung in der Frage, ob nun ein bestimmter Umstand für das Versicherungsverhältnis wichtig gewesen ist oder nicht, nicht mehr bei den Versicherungsnehmern, sondern bei den Versicherern. Viertens. In bestimmten Fällen, wenn der Aufenthalt des Schädigers unbekannt ist oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wird der Verbraucher - das wurde bereits angesprochen - sogar einen Direktanspruch gegen die Versicherung des Schädigers erhalten. Das ist ein Fortschritt; das kann man nicht wegdiskutieren. Fünftens. Soweit der Versicherungsnehmer bislang gezwungen war, seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung binnen sechs Monaten geltend zu machen, wird diese im Grunde genommen einseitige Verkürzung der Verjährungsfrist zulasten der Versicherungsnehmer wegfallen. Sechstens. Das Alles-oder-nichts-Prinzip wird wegfallen. Das bedeutet - für diejenigen, die sich nicht auskennen -, dass der Versicherungsnehmer künftig selbst bei grob fahrlässigem Verhalten, abgestuft nach der Schwere seines Verschuldens, Leistungen erhält. Das ist neu und gut für den Verbraucher. Siebtens. Bei der Lebensversicherung wird der Versicherungsnehmer künftig mittels einer Modellrechnung vorab darüber informiert werden, welche Leistungen ihn realistischerweise erwarten werden. Achtens. Der Versicherungsnehmer wird zukünftig richtigerweise an den stillen Reserven der Versicherung beteiligt werden. Neuntens. Der Rückkaufswert der Lebensversicherung wird künftig nicht mehr nach dem Zeitwert, sondern nach dem Deckungskapital der Versicherung und damit nach einer feststehenden Größe berechnet werden. Zehntens. Die Abschlusskosten der Lebensversicherung werden auf die ersten fünf Jahre verteilt, sodass der Rückkaufswert von Lebensversicherungen in diesen ersten fünf Jahren höher ausfallen wird. Elftens. Wird der Versicherungsvertrag im Laufe des Versicherungsjahres gekündigt, muss der Versicherungsnehmer die Prämie künftig nur bis zu diesem Zeitpunkt und nicht mehr bis zum Ende der Versicherungsperiode zahlen. Zwölftens. Künftig können alle Versicherungsverträge unabhängig vom Vertriebsweg und ohne Angaben von Gründen binnen zwei Wochen - bei Lebensversicherungen binnen 30 Tage - widerrufen werden. Kollege Montag, angesichts dessen kann ich durchaus verstehen, dass man diesem Gesetzentwurf zustimmen muss, trotz aller Bedenken, die möglicherweise noch bestehen. Lassen Sie mich deutlich machen, dass ich persönlich durchaus weiterhin mit dem Policenmodell hätte leben können. Die Begründung lautet ganz einfach: Es hat sich bewährt, während sich das neue System erst einspielen muss. Es wäre aber zu befürchten gewesen - Kollegin Dyckmans hat es angesprochen -, dass uns die Beibehaltung auf EU-Ebene um die Ohren gehauen worden wäre, sodass ich insoweit gerne unseren Verbraucherschützern entgegengekommen bin. Auch der Direktanspruch in der jetzigen Form sowie die Abkehr vom Alles-oder-nichts-Prinzip stellen für mich - das sage ich deutlich - Kompromisse dar. Soweit kritisiert wird, dass der Direktanspruch im ursprünglichen Entwurf noch weiter gefasst war, bleibt anzumerken, dass wir in der Koalition davon ausgegangen sind, dass dies zu erheblichen Mehrkosten für die Gemeinschaft der Versicherten geführt hätte. Das kann man kaum als verbraucherfreundlich bezeichnen. Soweit die FDP rügt - genauso wie die Grünen -, dass ihr die Einfügung der Vorschriften zur Umsetzung der Gesundheitsreform zu spät mitgeteilt worden seien, bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei lediglich um deren inhaltsgleiche Übernahme handelt. Im Übrigen, Frau Kollegin Dyckmans, lagen zwischen Übersendung und der Sitzung des Rechtsausschusses viereinhalb Tage. Damit war genügend Zeit zur Kontrolle. Wir kennen ganz andere Gesetzgebungsverfahren, in denen Sie tatsächlich ein oder zwei Tage vorher damit konfrontiert werden. Hier kann ich die Kritik durchaus verstehen. Wenn aber insbesondere ein Wochenende dazwischen liegt, bleibt eigentlich genügend Zeit. Frau Kollegin, zumindest bis zum heutigen Tag hätte man die Kontrolle vornehmen und wenigstens jetzt im Plenum zustimmen können. Lassen Sie mich zum Schluss kommen und mich abschließend bei den Verbraucherschützern der Koalition, namentlich bei Frau Klöckner und Herrn Zöllmer, bei meinem Kollegen Bernhard Brinkmann von der SPD sowie bei den Kollegen Wanderwitz und Flosbach von der CDU/CSU für die sehr konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Wir haben sehr viele Termine gemeinsam wahrgenommen, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Ich glaube - das mache ich ganz deutlich, Frau Klöckner -, dass heute ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Lande ist. Frau Kollegin Dr. Höll, lassen Sie mich abschließend Kritik äußern - darüber haben wir schon vorhin im Rahmen der Debatte über das Urheberrecht gesprochen -: Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts war für die Rechtspolitik das wichtigste Vorhaben in diesem Jahr. Ich meine, die Reform des Versicherungsvertragsrechts war von seinem Umfang her das zweitwichtigste Vorhaben in diesem Jahr. Sie waren bei den Beratungen nicht dabei. Ich glaube, Sie sind nicht die federführende Berichterstatterin im Rechtsausschuss; vielleicht treffe ich mit meiner Kritik die Falsche. Ich empfinde es aber als eine ziemliche Frechheit, dass sich mittlerweile bei Ihnen eingebürgert hat - klären Sie das bitte einmal in Ihrer Fraktion -, dass kein Abgeordneter Ihrer Fraktion zu den zahlreichen Berichterstattergesprächen, zu denen wir einladen, erscheint, sondern nur noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht aussagefähig sind. Vielleicht hätten wir doch ein paar Bedenken Ihrerseits aufnehmen können. ({0}) Vielleicht wären Sie dann bereit gewesen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bei jedem Gesetz gibt es auch hier unterschiedliche Interessenlagen und unterschiedliche Betroffene. In diesem Fall sind es die Versicherer und die Versicherten. Ich bin wie mein Vorredner, Herr Manzewski, der Meinung, dass wir eine gute Balance zwischen denen, die Versicherungen anbieten und vertreiben, und den Versicherungsnehmern gefunden haben. Dass es auf beiden Seiten immer Extrembeispiele des Missbrauchs, der Bürokratie und des Nichtverstehens gibt, ist sicherlich klar. Das ist so in einer Demokratie und dort, wo es unterschiedliche Interessen gibt. Ich bin der Meinung, eine Reform ist nur dann sinnvoll, wenn nachher etwas Besseres herauskommt als das, was man vorher hatte. Wenn man diesen Maßstab anlegt, dann ist die Große Koalition sehr zu loben; ({0}) denn es kommt in der Tat etwas Besseres heraus. In 100 Jahren haben sich die Bedingungen, die Anforderungen an die Verbraucher und auch die Angebote immens verändert. Das Informationsbedürfnis der Verbraucher ist größer geworden, und umgekehrt muss auch der Versicherungsmarkt anders reagieren. Wenn man die Beratungszeit von fünf Monaten in Relation zu diesen 100 Jahren setzt, dann sieht das Ergebnis relativ gut aus. Auch ich war etwas enttäuscht über die Bedenken der Linksfraktion. Ich habe im Ausschuss nie etwas von den Verbraucherschützern gehört. Ich finde, das ist eine schlechte parlamentarische Vorgehensweise. ({1}) Parlamentarische Debatte heißt, dass man sich zu der Zeit einbringt, in der man noch gestalten kann. Das haben Sie leider nicht getan. ({2}) - Sie haben eine Frage, und die lasse ich gerne zu.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höll, bitte schön.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Klöckner, auf den eben geäußerten Vorwurf der nicht ausreichenden Teilnahme kann ich jetzt nicht eingehen. Würden Sie mir trotzdem zustimmen, dass das nichtsdestoweniger die anderen Mitglieder des Hauses nicht davon befreit, sich mit inhaltlichen Vorschlägen auseinanderzusetzen und zu sehen - deswegen habe ich einen Punkt bewusst herausgegriffen -, ob vielleicht ein Fehler vorliegt, der gerade bei einem umfangreichen Gesetzesvorhaben durchaus passieren kann? Wir alle wissen aus langer parlamentarischer Erfahrung, dass Nachbesserungen ({0}) manchmal noch in letzter Minute gut und wichtig sind. Mir ist Ihr Hinweis zu wenig. Ich erwarte schon eine inhaltliche Auseinandersetzung.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Dr. Höll, wir haben von Ihnen eine inhaltliche Auseinandersetzung erwartet. Das, was Sie heute präsentieren, ist eine populistische Auseinandersetzung; denn Sie erwarten, dass wir uns in der heutigen abschließenden Beratung mit Ihren Argumenten inhaltlich auseinandersetzen, obwohl Sie sie vorher, als genau dafür Raum war, nicht geäußert haben. Das ist Populismus. ({0}) Wir, die Union, aber auch die Koalitionspartner, haben ein ganz klares Bild vom Verbraucherschutz: Für uns ist der informierte, mündige Verbraucher das Leitbild. Daher mussten wir mit dem Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts nachbessern. Die Informationspflicht, die Informationshinweise, die Transparenz sind für uns die Voraussetzung dafür, dass ein Verbraucher überhaupt mündig entscheiden kann. Insofern unterstütze ich es ausdrücklich, dass gerade das Policenmodell weggefallen ist. Das Policenmodell war einmalig in Europa. Policenmodell heißt, dass sämtliche Unterlagen dem Versicherten, sprich: dem Verbraucher, erst nach Unterzeichnung des Versicherungsvertrags zugestellt werden. Der Verbraucher hat etwas unterschrieben, und die notwendigen Informationen wurden ihm später zugesandt. Es mag in der Praxis so gewesen sein, dass die meisten Verbraucher nie in diese Unterlagen - häufig allzu dicke Papiere - geschaut haben. Dennoch muss die Logik stimmen, und da ist der Verbraucher gefragt. Ich finde es richtig, dass zuerst die Informationen und die Unterlagen vorliegen müssen, bevor ein Versicherungsvertrag unterschrieben wird. Das bewahrt den eigenständigen Verbraucher aber natürlich nicht davor, selbst in diese Unterlagen zu schauen. Wir haben die notwendigen Rahmenbedingungen gesetzt. Mehr kann der Staat auch nicht leisten. Jetzt sind die Verbraucherinnen und Verbraucher gefordert. Sie müssen jetzt nicht mehr die Katze im Sack kaufen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass die Unterlagen per E-Mail zugestellt werden bzw. dass man sie sich aus dem Internet herunterladen kann. Das ist praxisgerecht und sehr pragmatisch. Im Zusammenhang mit der Informationspflicht begrüße ich sehr, dass die Beratungspflichten eingehalten werden müssen. Eine fahrlässige Nichtberatung oder Falschberatung kann letztlich auch zu einem Schadenersatz führen. Wer grob fahrlässig gehandelt hat, wer einen Beratungsfehler begangen hat oder wer seine Versicherten nicht darüber aufgeklärt hat, dass es eine Beratungspflicht gibt, wird für seine Nachlässigkeit aufkommen müssen. Auch das hat etwas mit Verantwortung und mit Vertrauen in die Branche zu tun. Da wir praktisch veranlagt sind und Bürokratie abbauen möchten, haben die Bundesregierung und wir Koalitionsfraktionen auf Folgendes Wert gelegt: Wenn sich Versicherer und Versicherter darüber einig sind, dass schon genügend Informationen vorhanden sind oder dass eine Versicherung schnell abgeschlossen werden muss, dann kann auf die Erfüllung der Informationspflicht - Stichwort „Zusendung der entsprechenden Dokumente“ - verzichtet werden. Ich finde es sehr gut, dass die Verbraucher künftig ohne Angabe von Gründen widerrufen können: bei Lebensversicherungen bis 30 Tage nach Abschluss, bei allen anderen Versicherungsverträgen mit einer Frist von 14 Tagen. Dadurch wird man der Tragweite dieser Versicherungen gerecht. Das Abschließen einer Lebensversicherung hat natürlich eine andere Dimension als das Abschließen kleinerer Versicherungen. Stichwort „Alles-oder-nichts-Prinzip“: Wie die Kollegen schon erwähnt haben, ist die komplette Leistungsverweigerung nur noch bei vorsätzlichen Handlungen möglich. Was die vorzeitige Kündigung angeht - das war uns wichtig; schließlich mussten wir dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Folge leisten -, so ist nun geregelt, dass letztlich nicht das ganze Geld, das der Versicherte bis zur Kündigung eingezahlt hat, weg ist. Abschließend möchte ich in dieser ganzen Diskussion noch eines erwähnen: Verbraucher sind wir alle. Verbraucher sind auch diejenigen, die in einer Versicherung verbleiben, und nicht nur diejenigen, die eine Versicherung kündigen. Ich bin wirklich sehr froh, dass wir diesen Gesetzentwurf heute verabschieden. Dadurch kommt es zu mehr Transparenz, zu mehr Wettbewerb und zu mehr Eigenverantwortung, und das ist zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Ich möchte allen, die am Zustandekommen dieses Gesetzentwurfs mitgearbeitet haben, herzlich danken. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Manzewski, besonders freue ich mich über die Anwesenheit der Kollegen aus dem Finanzbereich und aus dem Verbraucherschutzbereich. Auch ich möchte sie hier herzlich begrüßen. Nach der Lektüre dessen, was in der heutigen Presse zur Reform des Versicherungsvertragsrechts steht, möchte ich darauf hinweisen, dass die Versicherungswirtschaft und auch die Verbraucherschützer die Novelle dieses Gesetzes außerordentlich begrüßen. Das ist nicht nur ein gutes Zeichen, sondern zeigt auch, dass wir bei den Auseinandersetzungen um dieses Gesetz einen fairen Ausgleich zwischen der Versicherungswirtschaft und den Verbrauchern geschaffen haben. Insofern ist das ein großer Erfolg für diese Koalition. ({0}) Seit dem ersten Referentenentwurf sind bereits anderthalb Jahre vergangen. Insofern gibt es schon eine längere Diskussion zu diesem Thema. Ich bin selbst erstaunt, wie unterschiedlich auch wir in der eigenen Partei als Verbraucherschützer, Juristen und Wirtschaftler dieses Thema betrachten. Dennoch bin ich froh, dass wir zusammengefunden und alle Beteiligten unter einen Hut bekommen haben. Ich möchte nun ein Thema aufgreifen, das seit 25 Jahren in dieser gesamten Debatte eine große Rolle gespielt hat, nämlich die stillen Reserven, die ja insbesondere in Lebensversicherungsverträgen in Form von Immobilien, Beteiligungen, Aktien oder festverzinslichen Wertpapieren enthalten sind. Seit 25 Jahren streiten sich Verbraucher und Versicherungsunternehmen, wem diese stillen Reserven gehören: den Versicherten, den Kunden oder dem Versicherungsunternehmen und deren Aktionären? Im ersten Entwurf des vergangenen Jahres sollten noch 50 Prozent dieser stillen Reserven innerhalb von zwei Jahren jedem einzelnen Vertrag zugeordnet werden. Die wirtschaftliche Folge wäre gewesen, dass die Versicherungsunternehmen ihre gesamten Schwankungsmöglichkeiten, die ja existieren, nicht mehr hätten ausgleichen können, dass man sogar die Immobilien, Aktien oder Wertpapiere hätte verkaufen müssen, um die stillen Reserven zu realisieren und den Verträgen zuzuordnen. Insofern war es ein großer Erfolg, dass wir im Rahmen der Beratungen zwar an der 50-prozentigen Beteiligung der Verbraucher festgehalten, aber die Lösung gefunden haben, dass die stillen Reserven erst nach Ablauf des Vertrages zugeordnet werden, also entweder am Ende der normalen Laufzeit oder vorher bei vorzeitiger Kündigung. Das hat den einfachen Vorteil, dass dies genau zu kalkulieren ist. Das betrifft jährlich nur jeden 20. Vertrag. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, die wir erst vor kurzem geändert haben - wir haben ja auch eine Diskussion über die stillen Reserven im Zusammenhang mit den festverzinslichen Wertpapieren geführt -, machen nicht das große Problem aus, weil sie letztendlich beibehalten werden und das Unternehmen bei einem Stresstest immer in der Lage ist, die Leistungen zu erfüllen. Lebensversicherungen oder Rentenprodukte sind ja Garantieprodukte, und der Verbraucher ist darauf angewiesen, dass diese Leistungen nicht nur versprochen, sondern deren Erbringung auch eingehalten wird. ({1}) Es ist auch ein Erfolg - Herr Wanderwitz hat darauf hingewiesen -, dass wir nicht in bestehende Verträge eingegriffen haben. Man hätte die Rückkaufswerte durchaus auch anders berechnen können. Das hätte aber die wirtschaftliche Folge gehabt, dass bei den Versicherungsunternehmen eine Rückstellung in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro - von dieser Größenordnung spricht man - neu gebildet worden wäre. Dies wäre nicht zulasten der Versicherungsunternehmen, sondern zulasten der Überschussbeteiligung anderer Verbraucher gegangen. Die einen hätten einen höheren Rückkaufswert und die anderen ein bis zwei Jahre keine Überschussbeteiligung bekommen. Insofern bin ich froh, dass wir die Verbraucher davon entlasten konnten. Herr Montag und einige andere Redner haben auf das Policenmodell hingewiesen; auch ich möchte die letzten Sekunden meiner Redezeit darauf verwenden. Wer die Anhörung miterlebt und alle Experten gehört hat, der hat vernommen, dass man insgesamt der Meinung war, dass das deutsche Policenmodell das richtige Modell ist; denn es funktioniert. Die EU-Vorgaben zwingen uns aber letztendlich dazu, etwas anderes umzusetzen. Deswegen tun wir das auch. Ich weise darauf hin: Für den Verbraucher ist wichtig, dass wir mit der VersicherungsverKlaus-Peter Flosbach mittlerrichtlinie die Pflicht zur Dokumentation des Beratungsprotokolls eingeführt haben. ({2}) Auch wenn dem Verbraucher die Unterlagen noch vor Unterzeichnung des Vertrages überreicht werden, wird er sie niemals lesen können. Das Kleingedruckte wurde ja bisher mit der Police zugesandt; das war das Policenmodell. Er hatte dann - je nach Sachversicherung oder Lebensversicherung - 14 oder 30 Tage Zeit, dieses zu überprüfen oder vom Vertrag zurückzutreten. Ich möchte insgesamt feststellen: Dieses Gesetz ist gelungen. Wir von der Koalition können auf dieses Gesetz stolz sein. Über diesen Erfolg sollten wir uns freuen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts. Der Rechts- ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5862, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 16/3945 in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/5940? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP- Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- nommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- sache 16/5974. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Regie- rungsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Frak- tion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Schutz von Mensch und Umwelt bei Freiset- zungsexperimenten gewährleisten - Drucksachen 16/4556, 16/5755 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Max Lehmer Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, Undine Kurth ({2}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Keine Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen auf dem Gelände des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben - Drucksachen 16/4904, 16/5893 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Max Lehmer Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich wiederum diejenigen, die der Aussprache nicht folgen wollen, den Plenarsaal zu verlassen, damit die anderen der Aussprache folgen können. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Max Lehmer von der CDU/CSUFraktion. ({3})

Dr. Max Lehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegen heute zwei Anträge der Fraktion der Grünen vor, über die wir eigentlich schon monatelang ausgiebig diskutiert haben ({0}) und zu denen es - ich könnte es mit einem Satz sagen bis heute wirklich keine einzige neue Erkenntnis gibt. ({1}) Damit könnte ich meine Rede eigentlich schon wieder beenden. ({2}) Aber nun habe ich mir die Mühe gemacht, noch einmal alles zu recherchieren, und darum trage ich das jetzt auch vor. Der vorliegende Antrag auf Drucksache 16/4904 wurde bereits am 10. Mai im Plenum behandelt und hat auch den ELV-Ausschuss schon wiederholt beschäftigt, Frau Vorsitzende, ({3}) und das - ich sage es noch einmal -, obwohl es wirklich keine neuen Erkenntnisse gibt. Ich habe keine gefunden und andere auch nicht. Ich gehe zunächst einmal auf Gatersleben ein. Dazu habe ich mich bereits in der Debatte im Mai umfänglich geäußert. Bei diesem Antrag geht es um zwei verschiedene Freisetzungsversuche, zum einen mit Weizen und zum anderen mit Erbsen. Beide sind durch das BVL genehmigt. Der entscheidende Punkt dabei ist: Der Leiter der angeblich betroffenen Genbank, der neulich im Ausschuss Rede und Antwort gestanden hat, Professor Graner, sieht keinerlei Risiko für die pflanzengenetischen Ressourcen dieser Genbank, die im Übrigen auch wir für schützenswert halten. Auch das BVL kam in seiner der Genehmigung vorausgegangenen Sicherheitsbewertung zu dem Schluss, dass von dem Freisetzungsversuch keine schädlichen Einflüsse auf Menschen und Tiere sowie die Umwelt zu erwarten sind. Trotzdem sind vorsorglich zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen verfügt worden, die Sie alle kennen. Das Leibniz-Institut und das BVL haben entsprechende Vorsichtsmaßnahmen vorgeschrieben. Gleichzeitig wurden Stellungnahmen des - das betone ich unabhängigen Wissenschaftler- und Sachverständigengremiums der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit und der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in die Entscheidung einbezogen. Darüber hinaus wurde das BVL auch durch die fachliche Stellungnahme des Landes Sachsen-Anhalt unterstützt. Ich halte also als Fazit noch einmal fest: Von der Freisetzung gehen nach Erkenntnissen aller Wissenschaftler und Experten, auch aller unabhängigen, keine Risiken aus, weder für die Genbank noch sonst irgendwie für Mensch, Tier und Umwelt. ({4}) Nun zum zweiten Antrag zur Sicherheit bei den Freisetzungsversuchen. Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, wenn Sie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt in Ihrem Antrag oberste Priorität einräumen. Das war und ist auch unsere Prämisse, und zwar ohne Wenn und Aber. ({5}) Es ist aber ausdrücklich festzuhalten, dass praktisch alle in Ihrem Antrag geforderten Sicherheitsmaßnahmen bereits Inhalt der geltenden Zulassungsrichtlinien sind, und zwar ausnahmslos. Es ist selbstverständlich, dass bei der Freisetzung von GVO-Pflanzen diese nicht in die Nahrungs- und Futterkette gelangen sollen. Das wollen selbstverständlich auch wir. Das gilt besonders auch für Pflanzen zur Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen und Industrierohstoffen, den sogenannten PMPs oder PMIs. Auf die will ich kurz eingehen. Sie verschweigen in Ihrem Antrag, dass der Nutzen von PMP für Menschen und Tiere gegenüber den genveränderten Pflanzen der ersten Generation, mit denen wir es bisher zu tun hatten, sehr viel deutlicher in den Vordergrund treten wird und auch tritt. PMPs und PMIs sind vielversprechende Nutzungsmöglichkeiten der Grünen Gentechnik. Das möchte ich hier ausdrücklich anführen. So werden zum Beispiel bei aktuellen Freisetzungsversuchen an der Universität Rostock Kartoffellinien angebaut, die Eiweiße für die Herstellung von Impfstoffen gegen Cholera, Durchfallerkrankungen und eine Kaninchenseuche enthalten. Dieser Nutzen muss natürlich bei den Risikobetrachtungen in die Waagschale geworfen werden. Die in Ihrem Antrag formulierte Aussage: Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe produzieren ({6}), ist generell stark risikobehaftet, ist so pauschal einfach falsch. ({7}) Hier ist eine Prüfung wie bei allen anderen GVOs auch von Fall zu Fall erforderlich. An den entsprechenden Zulassungsrichtlinien wird sich da nichts ändern, auch nicht bei denen für PMPs. Diese Prüfung muss in der Praxis nach den geltenden strengen Zulassungs- und Anbauregelungen für die Herstellung von biopharmazeutischen Wirkstoffen selbstverständlich durchgeführt werden. Das BVL entscheidet in jedem Einzelfall nach der Befragung der unabhängigen Experten von BfR, Robert Koch-Institut, BfN und BBA über einen Freisetzungsversuch. Erst wenn eine Gefahr auszuschließen ist, erfolgt die Genehmigung. Das alles sind Binsenweisheiten und ist längst bekannt. Es steht in dem Gesetz, das Rot-Grün verabschiedet hat. ({8}) Sie verschweigen ebenfalls, obwohl der TAB-Bericht es eindeutig festhält, dass die Wirkstoffe bei PMPs wesentlich leichter wieder abbaubar sind als andere. Zudem wird es zu einem routinemäßigen Anbau, so vermute ich, von biotechnologisch hergestellten Heilpflanzen im freien Feld kaum kommen; denn die bereits geltenden Vorschriften für die Herstellung biopharmazeutischer Wirkstoffe zum Schutze der Patienten lassen dies nicht zu. Um die Qualität und Sicherheit zu garantieren, werden biotechnologisch gezüchtete Pflanzen immer nur dazu eingesetzt werden, große Mengen von Vor- oder Zwischenstufen von Wirkstoffen zu produzieren. Diese Stoffe haben nicht die Wirksamkeit der Endprodukte und können deshalb auch unter denselben Bedingungen wie andere biotechnologisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Ihr Antrag enthält einen zweiseitigen Katalog von Forderungen an die Bundesregierung, der mit den üblichen Verhinderungs- und Behinderungsstrategien der Forschung im Bereich der Grünen Gentechnik gespickt ist. Sie scheuen sich im zweiten Antrag auch nicht, noch einmal das Thema Gatersleben aufzunehmen, auf das ich eben bereits eingegangen bin. Fazit: Alles in allem enthält der Antrag nichts, was wir von Ihnen nicht schon seit Monaten kennen würden. Es wird Sie daher nicht überraschen, dass wir auch diesen Antrag ablehnen. Beide Anträge wie auch alle mir bisher von Ihnen bekannten Äußerungen und Stellungnahmen zu diesem Themenkomplex reihen sich ein in die offensichtlich praktizierte Strategie der rigorosen Ablehnung der Grünen Gentechnologie. Dies ist umso bemerkenswerter, da Sie ja bei der Entstehung des Gentechnikgesetzes selbst aktiv mitgewirkt haben. Diese Strategie halten wir für völlig falsch und nicht zielführend im Sinne einer notwendigen, wissenschaftsbasierten Abwägungsstrategie. Wie bei allen anderen Technologien müssen wir auch bei der Grünen Gentechnik verantwortungsvoll Chancen und Risiken gegenüberstellen. Wir haben bisher einen sehr mühsamen und nicht übereilten Diskussionsprozess erlebt und an vielen Stellen Vorschläge für einen noch höheren Anforderungsstandard für die anstehende Novellierung des Gentechnikgesetzes gemacht. Hierzu darf ich zum Schluss noch einige Punkte nennen. Bundesminister Seehofer hat einen gründlichen Dialog mit allen beteiligten Interessensgruppen geführt. Die Fragen der Sicherheit und der Haftung wurden jeweils intensiv bearbeitet. Der Anbauabstand wurde auf 150 Meter angehoben. Wir haben die Haftungsfragen nochmals gründlich abgeklärt. Wir treten für eine volle Transparenz ein, indem wir eine vollständige prozessorientierte Kennzeichnung verlangen. Außerdem fordern wir einen EU-einheitlichen Saatgut-Schwellenwert. Wir sind also intensiv dabei, konstruktive Lösungen zu finden. In dieser Richtung werden wir konsequent weiterarbeiten. Vielen herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel HappachKasan von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lehmer, wie immer kann ich Ihren fachlichen Ausführungen nur zustimmen. ({0}) Ihrer Bewertung der Umsetzung des Gentechnikgesetzes kann ich hingegen nicht zustimmen. Ich finde es ziemlich hanebüchen, dass Sie es in Ihrer Regierungszeit immer noch nicht geschafft haben, einen Entwurf eines Gentechnikgesetzes vorzulegen. Dies ist möglich. ({1}) Wir von der FDP-Fraktion haben im Januar dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Meines Erachtens ist es an der Zeit, dass Sie ebenfalls damit herüberkommen. Ein solcher Entwurf war für die Zeit vor der Sommerpause versprochen, ist aber noch immer nicht auf dem Weg. Ob Sie es bis zur nächsten Sitzung des Bundesrates am 21. September dieses Jahres schaffen, bezweifle ich mit Ihnen. Der britische EU-Kommissar für Außenhandel Peter Mandelson forderte kürzlich eine bessere Debatte über gentechnisch veränderte Organismen. Ich meine, dass er recht hat. Die Bewertung der Anträge der Grünen durch Herrn Lehmer zeigt, dass wir keine gute Debatte über die Gentechnik haben. Die gegenwärtige Debatte ist unwürdig. Sie erinnert an die Zeit der Hexenverbrennung. Nichts anderes ist das, was Sie hier veranstalten. ({2}) Dazu möchte ich einige Beispiele aus der jüngeren Diskussion nennen. Erstes Beispiel: Erinnern wir uns an Amflora. Im Dezember 2006 lobte Bundesminister Gabriel die umweltfreundliche gentechnisch veränderte Kartoffelsorte Amflora hier im Plenum. Es ging um die Zulassung dieser Stärkekartoffel zur industriellen Verwendung. Die Regierung stimmte im Regelungsausschuss ebenfalls der Zulassung zu. Jetzt, im Juli 2007, wird auf Betreiben desselben Umweltministers die Verschiebung der Abstimmung über die Zulassung beantragt. Das verstehe, wer will. Es geht allein um den industriellen Rohstoff Stärkekartoffel. Diese Regierung hat keinen Kompass, Herr Lehmer. ({3}) Zweites Beispiel - im Agrarausschuss haben wir darüber diskutiert -: In den USA wird über ein Bienensterben berichtet. Deutsche Gentechnik- und Mobilfunkgegner wissen sofort per Ferndiagnose die Ursache. Es konnten nur die ihnen verhassten Technologien sein, unabhängig davon, ob diese in den betroffenen Regionen überhaupt genutzt werden. Die Ursachen des Bienensterbens in den USA sind erwiesenermaßen andere. Den deutschen Bienen - das ist die gute Nachricht - geht es hervorragend. Das heißt, niemand in dieser Diskussion hat sich jemals um Bienen gekümmert. Allen ging es darum, Gründe für die Ablehnung der Gentechnik zu finden, und nichts anderes. Drittes Beispiel: Der Bt-Mais MON 863 erhielt am 24. Juni 2005 seine Zulassung als Tierfutter. Der damalige Umweltminister Trittin hatte zugestimmt. 2006 wurde dieser Mais als Lebensmittel zugelassen. Die Sicherheitsbewertung war durch das Robert Koch-Institut vorgenommen worden, die positive Bewertung in der Folge von der EFSA, dem BfR, dem BVL und der französischen Regierung. Die Grünen fordern aufgrund angeblich neuer Erkenntnisse ein Einfuhrverbot. Warum eigentlich? Die aktuellsten Erkenntnisse berücksichtigen Sie doch nicht, liebe Grüne. Das sind nämlich die Erfahrungen der Landwirte und der Verbraucher. Welchen Sinn macht es, eine Fütterungsstudie aus dem Jahr 2003 immer wieder neu durchzukauen, obwohl die Praxis keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass mit dem Mais etwas nicht in Ordnung ist? Das ist genau so, als würden Sie die Statikberechnungen Ihres Wohnhauses alle drei Monate noch einmal nachrechnen. Das tun Sie garantiert nicht. ({4}) Viertes Beispiel: Die Bundesregierung stellte am 11. April dieses Jahres fest: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Sicherheit der in der EU für den Anbau und den Import zugelassenen transgenen Sorten gegeben ist. Zwei Wochen später wird vom BVL ein Erlass zum Monitoring des Anbaus von MON 810 im Jahr 2008 herausgegeben. Warum gibt es eigentlich im April 2007 einen solchen Erlass? Das BVL bewertet die im eigenen Erlass zitierte Literatur kritisch und kommt zu dem Schluss: Besondere Anforderungen hinsichtlich des Risikomanagements von MON 810 bestehen aus Sicht des BVL nicht. Die „Welt“ berichtet darüber, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit habe den Erlass auf Weisung des Ministeriums herausgegeben. Herr Minister Seehofer, es gab dafür keine Notwendigkeit. Die Fachbehörde musste entgegen ihrer eigenen fachlichen Einschätzung nach Ihrer Pfeife tanzen. Das gab es übrigens schon einmal, nämlich zu Künasts Zeiten. Die vier Beispiele zeigen: EU-Kommissar Mandelson hat recht. Wir brauchen eine bessere Debatte. Er mahnt die Industrie, das Thema besser zu kommunizieren, und er kritisiert die Mitgliedsländer, die Angst haben oder nicht in der Lage sind, dieses Thema ihren Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln. ({5}) Die Bundesregierung wäre in der Lage, die Debatte über Grüne Gentechnik besser zu gestalten. Aber sie will es nicht. Minister Seehofer empfindet die sachliche Auseinandersetzung über die Gentechnik als störend für seine Bewerbung um den Vorsitz der CSU. ({6}) Die „Welt“ schreibt hierzu: Seehofer hat nicht geschworen, CSU-Chef zu werden, sondern dem Wohl des Landes zu dienen. Herr Minister, walten Sie Ihres Amtes! ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Zweifel ernst nehmen heißt auch, Aufklärungsarbeit zu leisten und nicht unbegründete Ängste zu verstärken. Der Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsversuchen ist in Deutschland gewährleistet. Daher ist der Antrag überflüssig. Die Gendatenbank in Gatersleben ist durch die Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen in keiner Weise beeinträchtigt. Auch dieser Antrag ist überflüssig. Wir brauchen eine bessere Debatte, wie Mandelson sie fordert. Aber dazu werden Partner gebraucht. Wer sind diese Partner? Das können Unternehmen, Wissenschaftler, Institute der Ressortforschung und Wissenschaftsorganisationen sein. Verschiedene überregionale Zeitungen engagieren sich. Der Bundesumweltminister, der die Stärkekartoffel heute so und morgen so bewertet, ist kein Partner für eine gute Debatte. Auch der Bundeslandwirtschaftsminister, der sich vorrangig in populistischer Weise um Stimmen in Bayern bemüht, ist kein Partner. Die Regierung ist in ihrer Zerstrittenheit ebenfalls kein Partner und die Regierungskoalition - bis auf einige wenige - auch nicht. Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ihrer politischen Führungsaufgabe gerecht zu werden und eine sachliche Aufklärung über die vielfältigen, weltweit nachgewiesenen großen Chancen der Grünen Gentechnik zu organisieren. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß von der SPD-Fraktion.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschäftigen uns heute abschließend mit dem Antrag der Grünen „Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten“. Ich möchte klarstellen, dass dieser Schutz nach wie vor unser oberstes Ziel ist. Dennoch können wir das grundsätzliche Misstrauen gegenüber Freisetzungsexperimenten und gegenüber den gesetzlichen Regelungen, nach denen sie durchgeführt werden, nicht teilen. Wir lehnen deshalb den Antrag ab. Was wir aber durchaus kritisch sehen, ist der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe produzieren. Der Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung hat deutlich gemacht, dass Freisetzungen solcher Pflanzen generell stark risikobehaftet sind. Arzneistoffe stellen uns im Falle eines Austrags in die Umwelt vor völlig neue Probleme, denen das derzeitige Zulassungsverfahren für GVO-Pflanzen bzw. Risikobewertung und Risikomanagement nicht gerecht werden. Hinzu kommt, dass das Risiko solcher Freisetzungen im Missverhältnis zum Nutzen steht; denn bei Arzneimitteln ist schließlich eine höchst genaue Dosierung erElvira Drobinski-Weiß forderlich. Diese Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit ist bei den sogenannten PMPs nicht gegeben. Das haben wir auch im Ausschussbericht kritisch angemerkt und eine Risiken-Nutzen-Analyse gefordert. Wir werden auf den Prüfstand stellen müssen, ob und wie die rechtlichen Grundlagen und die Sicherheitsmaßnahmen solchen neuen Anforderungen Rechnung tragen können. Die Empfehlung des Sachverständigenrates für Umweltfragen, dass solche transgenen Pflanzen nur in geschlossenen Systemen und unter kontrollierten Bedingungen eingesetzt werden sollten, muss ernst genommen werden, wenn man dem Vorsorgegrundsatz entsprechen will. Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflichtet. Auch in Zukunft werden wir im Bereich Grüne Gentechnik mit immer neuen Fragestellungen konfrontiert werden. Dazu gehört zum Beispiel der Klimawandel mit seinen Auswirkungen auf die Risikoabschätzung. Ein aktuelles Beispiel dafür findet sich in Nordrhein-Westfalen. Dort werden auf einer Freisetzungsfläche am Standort Werne schon seit mehreren Jahren Freisetzungen mit der Monsanto-Maissorte NK 603 durchgeführt. Einem Bericht der Umweltverwaltung des Regierungsbezirks Arnsberg ist zu entnehmen, dass es dort aufgrund des milden Winters erstmalig zu Durchwuchsmais aus dem Vorjahr gekommen ist, und zwar - ich zitiere „in erheblichem Umfang“. In dem Schreiben vom 21. Juni 2007 an das Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen wird die Befürchtung geäußert, dass diese Problematik auch an anderen Maisfreisetzungsstandorten im gesamten Bundesgebiet von Bedeutung sein kann. Das birgt - wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden - Risiken für die Koexistenz mit konventionellem und ökologischem Anbau in der Umgebung. ({0}) In Werne wird der Durchwuchsmais derzeit auf der gesamten Fläche aufwendig von Hand entfernt. Ob weitere Standorte betroffen sind, ist derzeit noch nicht bekannt. Insgesamt aber macht dieses Beispiel die Schwierigkeiten der Risikoabschätzung deutlich. Die Bedingungen für den Einsatz der Grünen Gentechnik werden durch viele Faktoren, auch durch den Klimawandel, beeinflusst. Milde Winter, starke Stürme, extreme Regenfälle der Klimawandel ist zwar in aller Munde, findet aber bisher wenig Berücksichtigung bei der Sicherheitsbewertung von GVO. Deshalb tun Vorsorge und vorausschauende Regelungen beim Umgang mit der Gentechnik not. Wer diese Einschätzung teilt, befindet sich in sehr guter Gesellschaft. Ich zitiere: Oberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechts muss der Schutz von Mensch und Umwelt bleiben. Wenn sich Landwirte für die Grüne Gentechnik entscheiden, darf das keine Nachteile für die Verbraucher oder die Landwirte in der Nachbarschaft haben, ({1}) die sich gegen diese Technik entschieden haben. Die Wahlfreiheit der Verbraucher und die Koexistenz der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen müssen gewährleistet bleiben. Hier sehe ich immer noch ungeklärte Fragen. Die Grundvoraussetzung für glaubwürdige Wahlfreiheit ist Transparenz: Alle Betroffenen - Landwirte wie Verbraucher - haben ein berechtigtes Interesse daran, umfassend informiert zu werden, wenn sie es mit gentechnisch veränderten Pflanzen oder den daraus gewonnenen Produkten zu tun bekommen. Und schließlich sollten wir in diesem Zusammenhang auch ein besonderes Augenmerk auf die möglichen Folgen richten, die sich aus einer marktbeherrschenden Stellung einzelner Saatgutunternehmen ergeben können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Auszug aus der Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler vom 28. Juni anlässlich des Deutschen Bauerntags in Bamberg. Ich kann mich diesen Ausführungen nur anschließen; ich denke, Sie auch. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Woche reiste der Bund Naturschutz mit Initiativen, die der Gentechnik sehr kritisch gegenüberstehen, durch die deutschen Lande und hat Podiumsdiskussionen an den jeweiligen Standorten der wichtigen Politikerinnen und Politiker der Koalition - also denjenigen, die entscheiden und mitreden - initiiert. Auch in unserem Wahlkreis, Herr Seehofer, also in Ingolstadt, gab es eine solche Podiumsdiskussion. Leider hatten Sie keine Zeit, was ich sehr schade fand. ({0}) - Natürlich für alle. - Die Diskussion, an der unter anderem Bienenzüchter und Biobauern teilnahmen, zeigte noch einmal, dass viele Mitbürgerinnen und Mitbürger der Grünen Gentechnik sehr kritisch gegenüberstehen. Im „Donaukurier“ gab es dann einen Artikel mit der Überschrift „Gentechnik und Seehofer in der Kritik“. Auf dem Bild zu diesem Artikel sieht man einen Imker, der schreibt: Koexistenz - wir fliegen 14 km2. Was damit gemeint ist, wissen wir. Herr Seehofer, ich rate Ihnen: Nehmen Sie die Kritik ernst. Es waren sehr viele Leute da, die sich sehr interessiert gezeigt haben. Es waren nicht nur unsere Wähler oder die der Grünen anwesend, sondern auch Ihre Wähler. Ihre Wähler erwarten etwas. Ingolstadt hat sich nicht ohne Grund zur gentechnikfreien Zone erklärt, übrigens mit der Mehrheit der CSU. In Bayern gibt es immer mehr gentechnikfreie Zonen. Die Bevölkerung sieht, dass die Gentechnik große Gefahren birgt. Diese Risiken will sie natürlich nicht eingehen. Hier ist gesagt worden, Horst Seehofer habe sich mit relevanten Gruppen befasst. Das stimmt. Er hat auch mit dem Abt von Plankstetten diskutiert, der jetzt der Bischof von Eichstätt ist. Auch er ist der Meinung, dass das Gentechnikgesetz nicht liberalisiert werden darf. Ich meine, Horst Seehofer sollte sich diese Kritik zu Herzen nehmen und dem Herrn Bischof endlich Folge leisten. ({1}) Es wurde auch über die Frage diskutiert, wie sich die SPD entscheiden würde. Die Kolleginnen und Kollegen aus den Naturschutzverbänden und viele kritische Bürgerinnen und Bürger haben mir den Auftrag gegeben, Ihnen noch einmal zu sagen: Bleiben Sie standhaft, setzen Sie sich für eine gentechnikfreie Landschaft, für eine wirkliche Wahlfreiheit und für Transparenz ein. Dafür hätten Sie eine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Auch die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher würde hinter Ihnen stehen. Zu den Anträgen der Grünen möchte ich sagen: Wir können allen Anträgen zustimmen. Wir unterstützen diese Anträge. ({2}) Die Bevölkerung fragt sich, warum Freisetzungsversuche gemacht werden sollen, warum ein solches Risiko überhaupt eingegangen werden soll. Sie wissen, was alles schiefgehen kann. Was schiefgehen kann, zeigte uns im letzten Jahr der Reis LL 601, der in den USA auf Versuchsfeldern angebaut und in die ganze Welt verschleppt wurde. Es gab Rückrufaktionen. So etwas wollen wir nicht. Wir wollen eine vernünftige Haftung. Überall gilt: Wer den Schaden verursacht hat, muss auch dafür haften. Warum soll das beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nicht gelten? Das ist für mich überhaupt keine Frage. Wir wollen eine vernünftige Abstandsregelung. Über die Koexistenz werden breite Diskussionen geführt. Herr Seehofer, die Mehrheit der Bevölkerung will diese Gentechnik nicht. Wir wollen gesunde Nahrungsmittel. Bitte berücksichtigen Sie, was die Bevölkerung wirklich will, und handeln Sie entsprechend. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken von Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube eigentlich nicht, dass der Kollege Dr. Lehmer bewusst die Unwahrheit sagt. Vielleicht sollten Sie aber eine kritischere Distanz zu dem haben, was man Ihnen aufschreibt. Sie haben gesagt, Frau Künast habe keine Abstandsregeln vorgelegt, aber Sie hätten eine Abstandsregel geschaffen - das sei gute fachliche Praxis -, nach der der Abstand 150 Meter betragen muss. ({0}) Herr Dr. Lehmer und sehr geehrte Kollegen von der CDU/CSU, ich muss Sie - auch Frau Happach-Kasan hat das getan - darauf hinweisen: Dieses Gesetz gibt es überhaupt noch nicht. Es gibt überhaupt keine Regeln für den Abstand. Im Gegensatz zu Rot-Grün haben Sie aber den kommerziellen Anbau von MON 810 zugelassen. Das heißt, Sie haben etwas zugelassen, aber keine rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, was gute fachliche Praxis wäre. Das ist ein Unding. ({1}) Sie müssen sich gefallen lassen, dass man die Qualität Ihrer Politik an Ihren Aussagen misst: Auch die Forschung erfolgt immer nach dem obersten Prinzip des Schutzes von Mensch und Umwelt. Hier werden keine, auch nicht die geringsten Risiken von Mensch und Umwelt eingegangen. Rede von Horst Seehofer im Deutschen Bundestag am 28. Februar dieses Jahres. Heute muss man deutlich sagen, dass die Forschung von der Gentechnikindustrie aufgrund der Genehmigungspraxis als trojanisches Pferd instrumentalisiert werden kann. ({2}) Was derzeit an Experimenten mit gentechnisch veränderten Pflanzen genehmigt wird, ist ein Affront gegen Umwelt- und Verbraucherschutz. Erwähnt wurden schon die Pharmaerbsen in der Genbank in Gatersleben, die Pharmakartoffeln an der Uni Rostock und Experimente mit gentechnisch veränderten Pflanzen mitten in Naturschutzgebieten. Die Einwände der Bürger und Bürgerinnen werden einfach vom Tisch gewischt, und Umweltminister Gabriel befindet sich offensichtlich im Tiefschlaf. ({3}) Auskreuzungen aus diesen Experimenten mit Pharmapflanzen, die die Kollegin Drobinski-Weiß schon erwähnt hat, gelangen in unsere Lebensmittel und gefährden Gesundheit und Umwelt. Die kontaminierten Lebensmittel sind nicht mehr verkehrsfähig. Wirtschaftlicher Schaden droht in erheblichem Ausmaß. Das hat zum Beispiel der Skandal um den Genreis, der ja auch aus einem Forschungsfeld in den USA hervorgegangen ist, gezeigt. Dieses Experiment von Bayer/Aventis hat einen Schaden in Höhe von weit mehr als 10 Millionen Euro verursacht. Wo sitzen Sie da? Wer von Ihnen übernimmt dafür die Haftung? In den USA sagt man inzwischen, dass es allein durch diesen Fall Folgeschäden in Höhe von über 100 Millionen gibt. Wir haben zahlreiche Hinweise darauf und Beweise dafür, dass aus diesen Freisetzungsexperimenten immer wieder Auskreuzungen vonstatten gehen, die Sie nicht im Mindesten beherrschen können und die Industrie ganz offensichtlich auch nicht. ({4}) Statt eine solche Gefährdung zu unterbinden, fordert die Industrie nun die Legalisierung solcher Verseuchungen gegen geltendes EU-Recht, und Sie klatschen auch noch Beifall. Bis an den Rand der Legalität reizt das BVL die Grenzen des Gentechnikgesetzes aus, zum Beispiel mit der Genehmigung von Amflora. Inzwischen ist das Gentechnikgesetz 17 Jahre alt. Bisher ist noch niemand auf die Idee gekommen, eine 155 Hektar große Fläche als Experimentierfeld zu bezeichnen. Jetzt wird der Zweck eines Forschungsexperimentes auch noch so umdefiniert, dass es nicht mehr der Forschung, geschweige denn der biologischen Sicherheitsforschung dient, sondern rein kommerziellen Zwecken: damit die BASF für die nächste Saison Kartoffelpflanzmaterial gewinnen kann. Sie haben also Ansätze und Anlass, das Gentechnikgesetz zu verbessern - nicht in dem Sinne, wie Sie es in den Eckpunkten gemacht haben, sondern tatsächlich. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag vor allem auf, derartige Freisetzungsexperimente gemäß den Vorschlägen des TAB zu unterbinden. Wir fordern, dass gentechnisch veränderte Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe produzieren, nicht in die Umwelt freigesetzt werden dürfen. Experimente mit gentechnisch veränderten Organismen, die keine Zulassung als Lebensmittel haben, dürfen grundsätzlich nicht ungeschützt im Freiland stattfinden, siehe Imker, die genau dieses Problem haben. Die Klagen zeigen auf, dass es Rechtslücken und Handlungsbedarf gibt. Es muss eine Datenbank eingerichtet werden, in der die Referenzmaterialien und Nachweismethoden hinterlegt werden, damit Kontaminationen überhaupt entdeckt werden können. Stoppen Sie diese Genexperimente in Gatersleben! Denn auch wenn der Forschungsleiter dies gerne hätte, übernimmt er nicht die persönliche Haftung. Es muss sichergestellt werden, dass Wissenschaftler nicht an Forschungsprojekten beteiligt sind, die sie später im Rahmen der Zulassung begutachten. Generell sollte die Unabhängigkeit dieser Wissenschaftler gewährleistet werden. Denn ich denke, wir sind inzwischen in einer Situation, in der die Freiheit der Forschung auf diesem Gebiet kaum noch gegeben ist. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe, wie sicherlich viele andere auch, den TAB-Bericht, also den Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, zu transgenen Pflanzen der 2. und 3. Generation, also gentechnisch veränderter Pflanzen, mit Interesse gelesen und muss sagen: Die Autorinnen und Autoren haben eine vernünftige Analyse abgeliefert. Sie ist in vielen Fällen gut begründet und nachvollziehbar. Viele dieser Forderungen sind ja in den grünen Antrag aufgenommen worden. Deswegen kann ich ihn an diesen Stellen inhaltlich gar nicht ablehnen. Die Forderung, dass zum Beispiel gentechnisch veränderte Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe, also fast Arzneimittel oder Arzneimittel, enthalten oder produzieren, nicht freigesetzt werden sollen, entspricht der TAB-Forderung, dass so etwas erst im geschlossenen System, das heißt im Glashaus, stattfinden sollte. Dies ist anders als bei der normalen Pharmaproduktion. Wer je in einem Pharmabetrieb war, weiß, dass dort absolut standardisierte, kontrollierbare, nachvollziehbare und unveränderliche Produktionsbedingungen herrschen müssen, damit eine Reinheit und absolute Qualität des Produkts gewährleistet sind. Anders sieht es auf einem normalen Feld aus. Jeder Gärtner und jede Landwirtin weiß: Je nach Wetter, Niederschlagsmenge, Trockenheit, Bodenbeschaffenheit, Klima, Sturm und anderen klimatischen Bedingungen bekommt man kleine oder große bzw. saure oder süße Äpfel und eine gute oder eine schlechte Ernte. Die äußeren Bedingungen sind nicht kontrollierbar und nicht vom Menschen beeinflussbar. Welche Folgen es hat, wenn man sensible Stoffe innerhalb von gentechnisch veränderten Pflanzen ausbringt, steht noch in den Sternen bzw. ist zumindest nicht eindeutig belegt. ({0}) Im Jahr 2007, also in diesem Jahr, ist eine Studie von Nguyen und Jehle erschienen. Beide Autoren haben einige Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen bzw. mit BT-Mais untersucht. Diese Pflanzen haben selbst Insektengift produziert. Selbst bei Pflanzen, die sich auf demselben Acker befanden, haben sie völlig unterschiedliche Konzentrationen des Insektengiftes festgestellt. ({1}) Das ist durch die Ergebnisse der jüngsten von Greenpeace finanzierten Studie bestätigt worden. Man kann diese Studie befürworten oder ablehnen. Auf jeden Fall aber war sie viel breiter angelegt, was die Zahl der Proben angeht, und sie war, wie ich glaube, wissenschaftlich deutlich fundierter. In dieser Studie zeigen sich eklatante Unterschiede zwischen den einzelnen Pflanzen, sogar bis zu hundertfache Unterschiede in der Konzentration des produzierten Insektengiftes. Das kann man auf unterschiedliche klimatische Verhältnisse, unterschiedliche Bodenverhältnisse oder sonstige Gründe zurückführen. Dafür kann man aber auch die unterschiedliche Beschaffenheit der Pflanzen verantwortlich machen. Das Problem ist schlicht und einfach - ich war sehr überrascht, dass ich, als ich dieser Frage nachging, zu diesem Ergebnis kam -, dass es keine harmonisierten und standardisierten Methoden zur Bewertung gentechnisch veränderter Pflanzen gibt. Das erste Beispiel, das ich anführen möchte, ist der berühmte MON 863. Dabei handelt es sich um gentechnisch veränderten Mais, der für seine Zulassung an Ratten verfüttert worden ist. Der Hersteller Monsanto sagte, dass kein Risiko bestehe. Das ist von der zuständigen europäischen Behörde zunächst bestätigt worden. Dann gab es eine Studie französischer Forscher, die dieselben Daten genau untersucht und große Unterschiede festgestellt haben, die ich persönlich beim Lesen der Veröffentlichung habe nachvollziehen können. Wenn solch große Unterschiede und Abweichungen zwischen den einzelnen Ratten und den Kontrollgruppen als normal angesehen werden - sie waren sehr deutlich -, dann muss man sich fragen, warum Tierversuche überhaupt durchgeführt werden. Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, hat das Ganze erneut analysiert und sagt jetzt, dass es keine Probleme gibt und dass kein Risiko besteht. Es existieren also unterschiedliche Bewertungsmethoden, die nicht standardisiert sind. Das zweite Beispiel - es ist heute schon angeführt worden - ist die gentechnisch veränderte Kartoffel Amflora. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sagt, dass sie ungefährlich ist. Die Europäische Arzneimittelagentur hingegen hält Teile dieser Kartoffel für bedenklich, schlicht und einfach, weil sie Antibiotikaresistenzgene enthält, die zumindest problematisch sein könnten. ({2}) Es fehlen also eindeutige und standardisierte Bewertungsmethoden. Deswegen können wir keine wissenschaftlich fundierte und politisch vernünftige Antwort auf die Frage nach dem Risiko geben. Dass wir mit dieser Einschätzung nicht allein sind, wird an verschiedenen Stellungnahmen deutlich, in denen die Forderung aufgestellt wurde, endlich solche Standards zu entwickeln. So fordert der Verein Deutscher Ingenieure, sicherlich nicht für seine Radikalität bekannt, in seinen Richtlinien zur Beachtung der ökologischen Auswirkungen von gentechnisch veränderten Organismen ein standardisiertes Vorgehen zur Vergleichbarkeit durch mehrere Institutionen über Ländergrenzen hinweg. Im VDI-Handbuch Biotechnologie Band 1 vom Oktober 2006 heißt es: Die Dokumentation der Messgrößen, Erhebungsintervalle und Erhebungsorte muss standardisiert werden und in einer idealerweise zentralen Meterdatenbank erfolgen. Vor diesem Hintergrund halte ich zumindest die Freisetzung dieser Pflanzen für problematisch. Wir Sozialdemokraten werden uns weiter dafür einsetzen, dass der Schutz der Verbraucher und die Koexistenz in Deutschland möglich sind. Herr Präsident, erlauben Sie mir, zum Schluss eine persönliche Bemerkung an den Kollegen Dr. Patziorek zu richten, und zwar nicht nur von Westfale zu Westfale und von Schalker zu Schalker: ({3}) Ich habe unsere Zusammenarbeit in den letzten Jahren trotz aller inhaltlichen Unterschiede als sehr angenehm und fair empfunden und wünsche Ihnen für Ihr neues Amt als Regierungspräsident im schönen Münster alles Gute und eine glückliche Hand. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5755, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4556 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und des Bündnisses 90/ Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Keine Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen auf dem Gelände des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5893, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4904 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation - Drucksache 16/5723 Zweite und dritte Beratung des von Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation - Drucksache 16/5404 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) - Drucksache 16/5928 Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Heinen Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Ursula Heinen von der CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute sozusagen zum zweiten Mal in zweiter und dritter Lesung das Verbraucherinformationsgesetz. Ich habe ein klein bisschen das Gefühl, es handelt sich hier um eine, ich will einmal sagen, Neverending Story, Julia, ({0}) um eine Geschichte, die nicht zu einem Ende kommt. Aber wir sind vorsichtig optimistisch, dass wir mit dem jetzigen Verbraucherinformationsgesetz einen guten Schritt machen zu mehr Information für die Verbraucherinnen und Verbraucher. ({1}) Vor fast genau einem Jahr, am 29. Juni 2006, haben wir dieses Gesetz schon einmal verabschiedet. Der Bundespräsident hatte formale Einwendungen, was die Übertragung von Aufgaben vom Bund auf Länder und Kommunen anging - das ist seit der Föderalismusreform in dieser Form nicht mehr möglich. Das Gesetz ist jetzt in einem langen Prozess so verändert worden, dass es jetzt die Möglichkeit gibt, dass die Länder ihre Aufgabe, an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzugeben, auf die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Kommunen übertragen. Als es um die Überarbeitung des Verbraucherinformationsgesetzes ging, gab es eine ganze Reihe neuer Begehrlichkeiten und neuer Ideen, haben die Leute gesagt: Nutzen wir dies und machen wir das Gesetz noch einmal ganz neu! - Wir haben uns in der Koalition dagegen entschieden, dieses Gesetz komplett neu zu machen, aus dem einfachen Grund, dass es jetzt an der Zeit ist, dass gehandelt wird, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher wenigstens zum 1. Januar des nächsten Jahres Zugang zu Informationen über Lebensmittel bekommen, und damit es jetzt keine neue Anhörungen, neue Diskussionsrunden, neue Arbeitskreise etc. gibt. ({2}) Wir hatten schon im vergangenen Jahr einen Entschließungsantrag verabschiedet, der besagt, dass wir das Gesetz zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten evaluieren wollen, um festzustellen, wie es in der Praxis funktioniert. Wir in Deutschland haben ja außer vereinzelten Informationsfreiheitsgesetzen der Länder, die sich auch auf Lebensmittel beziehen, im Grunde keine Erfahrungen mit einem solchen Gesetz; wir betreten also ein Stück weit Neuland. Wir wollen natürlich auch sehen, wie sich die Unternehmen weiter verhalten, ob sie von sich aus Informationen über Produkte geben. Ich denke, es ist jetzt vernünftiger, zwei Jahre der tatsächlichen Anwendung nach dem Inkrafttreten abzuwarten und dann im Lichte konkreter praktischer Erfahrungen zu sehen, wo das Gesetz richtig funktioniert und wo man, was die Unternehmen angeht, noch einmal etwas verändern muss. Dazu brauchen wir aber zunächst diese praktische Erfahrung. Die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten mit diesem Gesetz erstmals einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Zugang zu Informationen im Bereich des Lebens- und Futtermittelrechts, die bei den Behörden vorhanden sind. Zu diesem Anwendungsbereich möchte ich noch etwas sagen, weil in der Diskussion kritisch angemerkt wurde, dass er viel zu kurz greife und noch viel mehr Bereiche berücksichtigt werden müssten. Das Gesetz betrifft aber nicht nur den engeren Bereich der Lebensmittel, sondern auch Kosmetika und Bedarfsgegenstände wie Bekleidung, Spielwaren, Lebensmittelverpackungen, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und Waschmittel sowie alles, was mit der Haut oder den Schleimhäuten tatsächlich in Berührung kommt. Es gibt also einen sehr breiten Anwendungsbereich. ({3}) Unter anderem aus Baden-Württemberg ist die Anregung einer Ausweitung des Verbraucherinformationsgesetzes auf andere problematische Sachgebiete - beispielsweise die Geräte- und Produktsicherheit - gekommen. Wir werden in den nächsten zwei Jahren erleben, wie die Verbraucherinnen und Verbraucher speziell zu diesen Bereichen Fragen haben werden. Dann werden wir schauen, ob eine weitere Ausweitung überhaupt möglich ist, zumal das Produktsicherheitsgesetz und andere Verordnungen in diesem Bereich schon gelten und einen gewissen Schutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher geben. Ein zweiter sehr wichtiger Punkt, den wir mit diesem Gesetz umsetzen, ist eine Verpflichtung, die wir nach dem Gammelfleischskandal eingegangen sind: die Verschärfung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches. Die Vorschrift ist im Hinblick auf die Informationstätigkeit von Behörden zu verschärfen: Wenn riskante Dinge geschehen, wenn gesundheitsgefährdende Produkte auf dem Markt sind, müssen die Namen von Produkten tatsächlich genannt werden können, und die Behörden dürfen nicht wie in der Vergangenheit Sorge haben müssen, dass sie, wenn sie einen Namen gegebenenfalls zu früh herausgeben, sofort schadenersatzpflichtig sind. Ein süddeutsches Land hat damit einmal sehr teure Erfahrungen gemacht. Auch dies ist eine vernünftige Änderung. ({4}) Ich will noch einmal kurz auf den Bundesrat zu sprechen kommen, der in seiner ersten Beratung zum Verbraucherinformationsgesetz sehr fröhlich verschiedene Änderungsanträge gestellt hat. Wir waren aber sehr froh - nicht wahr, Elvira Drobinski-Weiß! -, in der Anhörung zu hören, dass es sich eigentlich gar nicht um Änderungsanträge handelt, sondern lediglich um - ich zitiere den Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen - „Anregungen“ für den Bundesgesetzgeber, die man in der Diskussion vielleicht berücksichtigen kann. Dass der Bundesrat das tatsächlich nur als Anregungen betrachtet hat, sah man schon daran, dass der einzige Änderungsantrag, der aus diesem Gesetz ein durch die Länderkammer zustimmungspflichtiges Gesetz gemacht hätte, von den Bundesländern abgelehnt worden ist. Letztlich wollten also auch die Bundesländer, dass wir dieses Gesetz schnell zu einem guten Ende bringen. Lassen Sie uns dieses Gesetz in diesem Sinne heute mit einer überwältigenden Mehrheit - davon gehe ich aus, wenn ich die Kolleginnen und Kollegen hier sehe in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Es ist dann wieder einmal ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland, weil sie bessere Informationen bekommen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt hat Frau Heinen sicherlich recht: Es war ein weiter Weg, bis wir nun zu einer Gesetzesverabschiedung kommen. ({0}) Aber dieses Gesetz hat den Namen nicht verdient, den es als Überschrift trägt. ({1}) - So kann man sich vertun, wenn man nicht richtig zuhört, Frau Heinen. Wir haben im Vermittlungsausschuss und in anderen Gremien mehrere Male zusammengesessen. Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass wir kein Gesetz wollten. Wir wollten nur ein Gesetz mit Qualität. ({2}) Wir wollten ein Gesetz, das auf eine wesentlich breitere Basis gestellt wurde. Sie haben es selbst angesprochen: Aus den Ländern kommt schon der Vorwurf des Etikettenschwindels. Wir müssen doch ganz ehrlich sein: Mit diesem Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes bezieht sich im Kern einzig und allein auf den Bereich der Lebensmittel. Die ganzen Bereiche der Dienstleistungen, der technischen Produkte, der Chemikalien und der Werkzeuge werden durch diesen Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Deswegen steht dieser Gesetzentwurf auf schwachen Beinen. Das wissen alle, die sich mit diesem Gesetzentwurf intensiv beschäftigen. Der enge Anwendungsbereich dieses Gesetzes bringt ein weiteres Problem mit sich: Er kommt nämlich in Konflikt mit den bereits vorhandenen gesetzlich verankerten Rechten auf Informationszugang. Liebe Frau Heinen, Sie waren bei der Anhörung auch dabei. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Herr Peter Schaar, hat deutlich gesagt, dass der wichtige Bereich des freien Informationszugangs für die Betroffenen immer komplexer und intransparenter wird. Er hat gefragt, ob ein solches Gesetz ein gutes Gesetz wäre. Ich will die Antwort geben. Sie muss lauten: Nein, es wäre ein schlechtes Gesetz. ({3}) Hinsichtlich des Informationszugangs - das wissen Sie auch - droht dem Verbraucher durch das Verbraucherinformationsgesetz eindeutig ein Rückschritt. In dem Gesetzentwurf stehen nämlich mindestens 15 verschiedene Gründe, aus denen die Auskunft seitens der Behörde verweigert werden kann. ({4}) Das heißt, wenn der Verbraucher bei der Behörde nachfragt, wird er demnächst eine Überraschung erleben. Er wird nämlich an sehr vielen Stellen überhaupt keine Verbraucherinformationen bekommen. Auch das ist ein weiterer gravierender Mangel des Gesetzentwurfes. Es kommt noch etwas anderes hinzu: Im Gesetzentwurf gibt es auch eine erhebliche Unklarheit, und zwar dahin gehend, was eigentlich ein Betriebsgeheimnis ist. Ich verstehe nicht, warum Sie nicht daraus gelernt haben, wie die Dinge im Informationsfreiheitsgesetz definiert sind. Darin steht: Ein Betriebsgeheimnis ist ein Betriebsgeheimnis. - In diesem Gesetzentwurf steht aber, dass auch Dinge, die einem Betriebsgeheimnis ähnlich sind, von einem Unternehmen als Betriebsgeheimnis definiert werden können. Der Begriff des Betriebsgeheimnisses ist rechtlich völlig klar und abgegrenzt. Durch die Formulierung, die Sie in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, weiten Sie diesen Begriff unzulässig aus. Auch das wird dazu führen, dass der Verbraucher, wenn er seine Informationsrechte in Anspruch nehmen will, überrascht sein wird. ({5}) Deswegen bin ich der Meinung, dass der Gesetzentwurf auch an dieser Stelle nicht sehr glücklich formuliert wurde. ({6}) Es gibt ein weiteres Problem, das uns auch bekannt ist. Wir haben in der Anhörung davon gehört. Diejenigen, die Erfahrung mit dem Informationsfreiheitsgesetz gemacht haben - in den einzelnen Bundesländern gibt es im Grunde genommen schon Verbraucherinformationsgesetze -, kennen das auch. Das Problem lautet, wie kostenträchtig der Informationsanspruch des Bürgers ist. Auch hierzu ist die Forderung ganz eindeutig: Es muss auch für finanzschwächere Bürgerinnen und Bürger möglich sein, diesen Informationsanspruch für sich geltend zu machen. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf aber nicht vorgesehen, sondern in Ihrem Gesetzentwurf steht im Grunde genommen, dass die Kosten, die entstehen und die der Verbraucher zu tragen hat, abgedeckt werden müssen. Das wird dazu führen, dass sich sehr viele Verbraucher - ganz normale Menschen - die Durchsetzung dieses Informationsanspruches nicht leisten können und dass dieser Informationsanspruch im Grunde genommen für Verbände und Organisationen eingeführt wird, die möglicherweise auch andere Interessen haben. Das muss man ganz deutlich sagen: Diese möchten sich möglicherweise Informationen verschaffen, um sie in einer Wettbewerbssituation mit anderen Anbietern zum Nachteil von diesen zu nutzen. Ich finde, das ist ein wirklich gravierender Mangel dieses Gesetzentwurfes. ({7}) - Nein, das ist kein Killerargument. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf so angelegt. Das wissen Sie auch. Deswegen gab es ja auch die Anregung aus dem Bundesrat, in diesem Bereich Nachbesserungen vorzunehmen. Sie haben diese in Ihren Gesetzentwurf schlicht nicht aufgenommen. Wir haben uns die Mühe gemacht, diese Dinge, die wir hier kritisieren, in einen meiner Meinung nach guten Entschließungsantrag einzubringen. In ihm steht ganz eindeutig: Wir brauchen eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches. Wir brauchen keine Verschlechterung der Verbraucherrechte. Wir brauchen Kostenfreiheit für Auskünfte im Bereich der Gefahren für Gesundheit und Sicherheit des einzelnen Bürgers. Wir brauchen eine Obergrenze bei den Gebühren. Ich denke, wenn Sie diesen Dingen zustimmen würden, dann könnte man aus diesem meiner Meinung nach sehr schwachen Gesetzentwurf noch etwas machen. Das werden Sie aber leider nicht tun. Sie beschließen heute einen Gesetzentwurf, der weder Fisch noch Fleisch ist und von dem Sie genau wissen, dass er von allen ernstzunehmenden Organisationen und Verbänden kritisiert wird und viele enttäuschen wird. Das finde ich bedauerlich. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß von der SPD-Fraktion. ({0})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Entwurf des VIG kann man in der Tat feststellen - Ulla Heinen hat es schon gesagt; ich sage es noch einmal auf Deutsch, Julia -: Endlich wird die unendliche Geschichte beendet - jedenfalls vorläufig. ({0}) Wir werden heute hoffentlich zum letzten Mal über den vorliegenden Entwurf des Verbraucherinformationsgesetzes reden. Aber die Geschichte hat auch eine Fortsetzung. Wir werden wieder über das Thema reden, wenn wir - wie beschlossen; Ulla Heinen hat schon darauf hingewiesen - die in der Praxis mit dem Gesetz gemachten Erfahrungen auswerten. Die SPD steht weiterhin für eine Ausweitung des Informationsanspruchs der Verbraucherinnen und Verbraucher auch gegenüber den Unternehmen und die Einbeziehung aller Produkte und Dienstleistungen. ({1}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist ein sehr wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz gemacht. ({2}) Das haben durchweg alle Experten einschließlich unserer kritischsten Kritiker bei unserer Anhörung am 13. Juni bestätigt. ({3}) - Sie haben aus der Anhörung den falschen Schluss gezogen. Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf Information. Das VIG sieht hierbei deutliche Verbesserungen vor und verleiht den Interessen der Konsumenten mehr Gewicht. Die Behörden werden verpflichtet, die Öffentlichkeit bei Verstößen gegen das geltende Lebensmittelrecht zu informieren. Das wurde auf Druck der SPD mit einer Verschärfung der im Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuch ursprünglich vorgesehenen Kannregelung erreicht. Hier gilt jetzt eine Sollregelung. Insgesamt werden die Pflichten und Möglichkeiten der Behörden zur Information der Öffentlichkeit über Missstände im Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfsgegenständebereich ausgeweitet. Außerdem können sich Verbraucherinnen und Verbraucher künftig selbst bei den Behörden informieren, auch dann, wenn keine Rechtsverstöße vorliegen. Das, denke ich, ist ein enormer Schritt. Im Diskussionsprozess zu diesem Gesetzentwurf haben wir stets Offenheit für Vorschläge signalisiert, die die Ansprüche der Verbraucher stärken. ({4}) Die jüngst im Bundesrat geforderten Änderungen allerdings sind wohl eher als Störfeuer zu werten, Ulla. ({5}) Ich sehe das weniger als Anregung denn als ernstgemeinte Vorschläge. Der von Baden-Württemberg eingebrachte Vorschlag - ich beziehe mich auf Verbraucherschutzminister Hauk -, nach dem Unternehmen Auskunft über Namen und Adressen der Nachfragenden erhalten können sollten, kann nur der Abschreckung dienen. Verbraucherschutzminister Hauk setzt sich gerne öffentlich für mehr Transparenz ein. Dieser Vorschlag macht aber, denke ich, deutlich, dass es dabei eher um transparente Verbraucher für die Unternehmen als um Transparenz für die Verbraucher zu gehen scheint. Auch die Einschränkung des Informationsrechts bei nicht mehr auf dem Markt befindlichen Produkten ist nicht tragbar. Ein starkes Stück war, denke ich, auch der Vorschlag von Sachsen, dass Auskünfte über Rechtsverstöße für Verbraucher kostenpflichtig sein sollen. Solchen Verschlechterungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher erteilen wir eine klare Absage. Das VIG muss endlich verabschiedet werden. Für uns ist dieses Gesetz ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu einem transparenten Markt. Wir werden dafür sorgen, dass weitere Schritte folgen. Das haben wir in unserem Entschließungsantrag aufgezeigt, den wir bereits in der ersten Runde mit dem Gesetzentwurf eingebracht haben. Wir wollen, dass auch die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern wahrnimmt und sie informiert. ({6}) - Das tut sie eben nicht. ({7}) Denn bei den Unternehmen liegen alle Daten vor, die eine bewusste Auswahl ermöglichen und eine eigenverantwortliche Marktteilnahme gewährleisten. Wir wollen auf der Basis der Evaluierung die Aufnahme weiterer Produkte und Dienstleistungen in den Geltungsbereich des Gesetzes erreichen. Der Entschließungsantrag sieht die Dokumentation und Auswertung der Erfahrungen mit dem Gesetz vor. Damit werden wir zum Beispiel beobachten können, ob und, wenn ja, aus welchen Gründen Informationen verweigert wurden, wie sich die Kosten entwickeln und wie lange die Bearbeitung der Auskunftsanliegen dauert. Wenn diese Auswertung Fehlentwicklungen offenbart, werden wir mit gesetzlichen Maßnahmen gegensteuern. ({8}) Die Unternehmen sind aufgefordert, eigene Initiativen zu ergreifen und Zugang zu den bei ihnen vorhandenen Informationen zu gewähren. Auch wenn sich der Dachverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft noch sträubt, gibt es von zunehmend mehr Unternehmen Signale der Bereitschaft; denn immer mehr wird dies von seriösen Anbietern als Wettbewerbsvorteil erkannt. Missstände auf dem Markt lassen sich nur durch Transparenz und Rückverfolgbarkeit eindämmen. ({9}) Der transparente Markt ist notwendig. Niemand wird diese Entwicklung auf Dauer verhindern können. Wir erwarten Vorschläge. Sollte sich die Wirtschaft hier nicht bewegen, werden wir auf gesetzliche Maßnahmen dringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Fraktion Die Linke. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Tag hätte die Große Koalition einen verbraucherpolitischen Meilenstein setzen können. Ich betone: hätte. Denn der Gesetzentwurf, den uns die Koalition hier zur Entscheidung vorlegt, ist höchstens ein Stolperstein. Dieses Gesetz ist kein modernes VerbraucherinformationsgeKarin Binder setz, sondern ein Bürokratiebeschaffungsprogramm. Es schreibt für die Informationsbeschaffung einen bürokratischen Aufwand fest, der für die Verbraucherinnen und Verbraucher in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht. Wenn ich im Supermarkt wissen will, ob die Paprika an der Gemüsetheke pestizidbelastet sind, dann möchte ich nicht erst einen Antrag bei der örtlichen Lebensmittelkontrolle stellen. ({0}) Das kann und soll der Händler mir bitte schön selber sagen. ({1}) Mündige Verbraucherinnen und Verbraucher müssen Zugang zu den Informationen haben, der ihnen die bewusste Auswahl von Produkten und Dienstleistungen ermöglichen und eine eigenverantwortliche Marktteilnahme gewährleistet. Informationen sind am ehesten bei den Unternehmen selbst erhältlich. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten daher die Möglichkeit des Zugangs zu diesen Informationen bekommen. Dies gilt für Lebensmittel, sonstige Produkte und Dienstleistungen gleichermaßen. Genauso ist es. Das ist auch meine Meinung. Aber das sind nicht meine Worte. Diese Sätze stammen aus dem Entschließungsantrag 16/2035, den uns die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen im letzten Jahr vorgelegt haben. ({2}) Warum haben Sie diese Erkenntnis aus dem Jahr 2006 nicht in dem neuen Gesetzentwurf umgesetzt? Mit unserem Entschließungsantrag unterstützen wir diese Forderungen sogar. Aber Sie haben die Entscheidung des Bundespräsidenten leider nicht als Chance genutzt, im zweiten Anlauf einen besseren Gesetzentwurf vorzulegen. ({3}) Sie legen uns jetzt wieder eine Ansammlung von politischen Halbherzigkeiten, Schlupflöchern und Informationsbegrenzungen vor. Sie machen sich schon wieder willfährig zum Anwalt von Wirtschaftsinteressen. Sie ignorieren auch dieses Mal die zahlreichen und berechtigten Einwände von Verbraucherorganisationen und Datenschützern. ({4}) Ist das nun Halsstarrigkeit, Ignoranz oder Arroganz? ({5}) Nicht nur wir wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die Informationen bekommen, die sie interessieren und die sie benötigen, ganz gleich, ob es sich dabei um Lebensmittel, technische Geräte oder um Arzneimittel handelt oder ob jemand Informationen zu Finanzdienstleistungen oder Pflegediensten braucht. Selbstverständlich müssen die Informationen von dort kommen, wo sie am leichtesten, am umfangreichsten und nicht zuletzt am schnellsten verfügbar sind: von den Unternehmern und den Dienstleistern direkt, und zwar ohne Einschränkungen mit Hinweis auf vermeintliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder sonstige wettbewerbsrelevante Informationen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen eigenverantwortlich und selbstbestimmt ihre Entscheidungen treffen können. Dazu müssen wir ihnen die Voraussetzungen schaffen. Ein Verbraucherinformationsgesetz, das diesen Namen auch verdient, müsste deshalb ein umfassendes Recht auf Information absichern. ({6}) Es müsste den kostenfreien Zugang zu Informationen sichern und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber Wirtschaft und Verwaltung stärken. Aber das tut der vorliegende Entwurf nicht. Deshalb werden wir diesem Informationsbehinderungsgesetz nicht zustimmen. ({7}) Wir sehen mit Spannung der Evaluierung entgegen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Angesichts der Aussage von allen Seiten, dass dieses Gesetz eigentlich schon wieder novelliert werden sollte, kann man eigentlich kaum jemandem erklären, warum es heute in dieser Form verabschiedet wird, außer damit, dass Sie diese dauernde Auseinandersetzung nicht mehr aushalten können. ({0}) Aber das ist nun einmal die Aufgabe einer Regierung. Man muss nun befürchten, dass das vorgelegte „Verbraucherinformationsgesetz“ - man muss das in Anführungsstriche setzen - sogar die bisherigen Rechte auf Information in Bund und Ländern noch einschränkt. Das kann kaum der Anspruch des Gesetzes sein. Das haben auf jeden Fall die Fachleute in der Anhörung zuletzt bestätigt. ({1}) Zudem erzeugen Sie eine unglaubliche Bürokratie durch die schwammigen Formulierungen und die vorhandenen Gesetzeslücken. Der Anwendungsbereich ist zu klein - das hat der Kollege Goldmann schon ausführlich ausgeführt -, die Ausschlussgründe sind zu vielfältig, die Antwortfristen zu lang. Aber vor allem bleibt der Gesetzentwurf ein Geheimniskrämereigesetz. Es gibt nicht nur keinen Informationsanspruch gegenüber den Unternehmen, auch gegenüber den Behörden besteht zum Beispiel bei Finanzdienstleistungen usw. kein Informationsanspruch. Finanzskandale wie den bei der sogenannten Göttinger Gruppe wird es also auch in Zukunft geben. Schauen Sie in die „Süddeutsche Zeitung“ von heute! Das wäre ein Handlungsfeld für ein Verbraucherinformationsgesetz gewesen. Die ungewöhnlich hohen Schutzwälle bei sogenannten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bilden einen weiteren Riegel. Ich frage mich wirklich, auf welcher Rechtsgrundlage Formulierungen wie die über sonstige wettbewerbsrelevante Informationen beruhen und wie die Überprüfung stattfinden soll. Der Vollzug dieses Gesetzes wird sicher ein einziges Chaos. Die Unternehmen sind weitestgehend geschützt. Sie dürfen ungeprüft selbst bestimmen, was ein Geschäftsgeheimnis ist. Verbraucherinteressen werden nicht einmal abgewogen, wie das bei anderen Gesetzen der Fall ist. Ein Unding ist auch, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher durch Gebühren regelrecht abgehalten werden, Informationen nachzufragen. Eine Gebührenobergrenze gibt es nicht, und hohe Finanzbelastungen drohen dem, der Auskunft begehrt. Tatsächlich ist es fraglich, wie zu verstehen ist, dass eine Kostendeckung zu erreichen ist. Eine Ausnahme stellen Auskunftsverpflichtungen in den Fällen dar, in denen ein Rechtsbruch vorliegt. Das können ein Verbraucher und eine Verbraucherin schließlich vorher nicht wissen, übrigens auch die Presse nicht. Man bleibt auf hohen Gebühren sitzen, wenn sich herausstellt, dass die Pestizidbelastung eines Lebensmittels gerade an der Grenze war oder das Unternehmen keinen direkten Rechtsbruch begangen hat. Wer bezahlt die Gebühren dann? Das ist eine unsoziale Regelung, die eine hohe Hürde für den Auskunftsbegehrenden darstellt. ({2}) Lange Wartezeiten - auch das noch - von etwa drei Monaten müssen in Kauf genommen werden. Es ist in der Anhörung vorgeschlagen worden, die unverzügliche Bearbeitung in das Gesetz aufzunehmen. Nach drei Monaten - dieses Gesetz bezieht sich vor allem auf Lebensmittel - ist die Ware längst verzehrt. Die Erreichung des Ziels von Minister Seehofer, den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein scharfes Schwert bei Gammelfleischskandalen zu verschaffen, ist gescheitert. Ob billige Importe in deutsches Edelfleisch umbenannt werden oder Gammelfleisch, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, in frische Supermarktware umetikettiert wird - der Verbraucher wird auch in Zukunft kaum etwas mit dem Verbraucherinformationsgesetz verhindern können und wir auch nicht. Sämtliche Vorschläge der Grünen und auch anderer Fraktionen, den Gesetzentwurf zu verbessern, werden ignoriert. Dieses Gesetz ist eine Mogelpackung, und offensichtlich fehlt der Bundesregierung der politische Wille, für mehr Verbraucherrechte zu sorgen. Danke. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Waltraud Wolff, SPD-Fraktion. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Zeiten der rot-grünen Koalition haben wir kein Verbraucherinformationsgesetz zustande gebracht. Jetzt, in dieser Regierungskonstellation, sind wir so weit. ({0}) Ich denke, dies wird ein guter Abend. Schön, dass auch Sie, Herr Minister Seehofer, noch anwesend sind. Wir haben uns gestern im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit einer repräsentativen Umfrage der Verbraucherzentralen und des Bundesinstituts für Risikobewertung zu cholesterinsenkenden Lebensmitteln befasst. Meine Damen und Herren, die Sie heute Abend hier anwesend sind, wenn Sie in den Supermarkt gehen, dann stoßen Sie auf cholesterinsenkende Lebensmittel wie bestimmte Milch-, Joghurtund Margarinesorten. Das Ergebnis dieser Umfrage war ganz eindeutig: Viele Leute nehmen diese Lebensmittel zu sich, obwohl es gar nicht nötig ist. Besonders bedenklich ist, dass es Menschen gibt, die cholesterinsenkende Lebensmittel zu sich nehmen, ohne Rücksprache mit ihrem Arzt gehalten zu haben. Diese Menschen nehmen starke Nebenwirkungen in Kauf; zum Beispiel wird die Zellstabilität beeinträchtigt. ({1}) - Ich komme gleich darauf zu sprechen, Herr Goldmann. ({2}) Es kann vorkommen, dass die Vitamin-A-Aufspaltung nicht mehr gewährleistet ist. Der Verzehr dieser Produkte hat keine vorbeugende Wirkung. Es reicht nicht aus, dass auf den Verpackungen Hinweise gegeben werden. Das Ergebnis dieser Umfrage wundert mich eigentlich überhaupt nicht; denn die Werbespots für cholesterinsenkende Lebensmittel, zum Beispiel für bestimmte Margarinesorten, vermitteln genau zwei Informationen: Waltraud Wolff ({3}) Sieben von zehn Menschen haben einen erhöhten Cholesterinspiegel, ({4}) und man kann ihn durch den Verzehr dieser Lebensmittel senken. Ganz abgesehen davon, ob Medizin überhaupt ins Lebensmittelregal gehört, steht doch fest: Das sind keine Lifestyle-Produkte, und man sollte sie auch nicht so bewerben dürfen. ({5}) Warum führe ich das alles an? Ich führe das an, weil es der letzte Verbraucher und die letzte Verbraucherin verstehen sollen und weil dieses Thema den Kern der Auseinandersetzung über das Verbraucherinformationsgesetz genau trifft. ({6}) Wer gibt denn die Infos? Welche Informationen brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher, und wer entscheidet über die Informationen? Die Verbraucher bis jetzt jedenfalls nicht! Mit der Verabschiedung des Verbraucherinformationsgesetzes wird sich das - nach einem langen Kampf - ändern. Die Wirtschaft ist angesprochen worden. In unserer letzten Anhörung forderte ein Vertreter des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, die Belange der Wirtschaft zu berücksichtigen. Schauen Sie sich die Versionen an! Hinter uns liegt ein langer Diskussionsprozess. Klar ist doch: Wenn Unternehmen wollen, dass sie es sind, die informieren, dann heißt das, dass sie es sind, die die Kontrolle über die Informationen ausüben wollen. Die Forderung war: Freiwillige Information und Produktkennzeichnung reichen aus. Was dabei herauskommt, lässt sich daran zeigen, wie wir jetzt mit den cholesterinsenkenden Lebensmitteln konfrontiert werden. Wir brauchen das Verbraucherinformationsgesetz. Die Verbraucher wollen sich allein, also selbstständig, informieren - sie wollen nicht nur informiert werden -, und genau diesem Bedürfnis werden wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs gerecht. Dieses Gesetz ist ein erster guter Baustein. Weitere gute Bausteine werden folgen. Gehen Sie diesen Schritt mit uns! Auch die Opposition sollte sich das noch einmal überlegen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5928, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5723 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5977? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der FDP mit den Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5975? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5976? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5928 fort. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 10 auf: 25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Rzepka, Ingo Schmitt ({1}), Monika Grütters und weiterer Abgeordneter Flugverkehrskonzept für den Großraum Berlin überprüfen - Flughafen Berlin-Tempelhof offenhalten - Drucksache 16/4813 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof Sinnvolle Nachnutzung des Flughafenareals - Drucksache 16/5897 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Rzepka, CDU/CSU-Fraktion. ({4})

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich meine Ausführungen zu unserem Gruppenantrag mit den Worten des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt beginnen: Berlin sollte Tempelhof nicht aufgeben. Die Hauptstadt der Republik darf jetzt die große und letzte Chance nicht verpassen, einen bundesweit einmaligen Standortvorteil zu nutzen: einen Flughafen in unmittelbarer Nähe der Innenstadt. ({0}) Über 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, zahllose Prominente aus Wirtschaft, Politik und Kultur, Helmut Kohl, ein weiterer ehemaliger Bundeskanzler, ({1}) ein ehemaliger Bundespräsident, Wirtschaftsverbände und Mitglieder der gegenwärtigen Bundesregierung, Herr Kollege, teilen diese Beurteilung des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Ein Volksbegehren ist mit mehr als 35 000 Unterschriften in Berlin eingeleitet worden. Helmut Schmidt hat den Kern der Tempelhof-Debatte getroffen: Es geht um eine optimale Anbindung von Regierungs- und Parlamentsviertel an den Flugverkehr sowie um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze für Berlin. ({2}) Die Deutsche Bahn, Luftfahrtunternehmen und weitere private Investoren haben solide geplante und finanziell abgesicherte Konzepte für eines der modernsten ambulanten Gesundheitszentren der Welt vorgelegt und halten dieses Angebot aufrecht. ({3}) Der Berliner Senat dagegen bereitet die Schließung und Entwidmung des legendären Stadtflughafens vor, ({4}) ein Vorgang, der weltweit Unverständnis auslöst. ({5}) Der erste Zivilflughafen in der Geschichte, die Mutter aller Flughäfen, ein Architektursymbol mit weltweiter Ausstrahlung, ({6}) soll seiner eigentlichen Funktion beraubt werden. Ein wichtiger Standortvorteil für die zukünftige wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung der Hauptstadt soll aufgegeben werden. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieland?

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nur sehr wenig Zeit; vielleicht zum Schluss noch. ({0}) Die Berliner Politik hält damit an einer Entscheidung fest, die längst überholt ist. ({1}) Es ist weder sachlich noch rechtlich geboten, Tempelhof zum jetzigen Zeitpunkt zu schließen. ({2}) Das Bundesverwaltungsgericht hat im März 2006 festgestellt, dass es keine Rechtspflicht gibt, Tempelhof vor Eröffnung von BBI zu schließen. ({3}) Ob ein Offenhalten über diesen Zeitpunkt hinaus die Planrechtfertigung für BBI gefährden würde, wie der Berliner Senat behauptet, wird von namhaften Gutachtern und Rechtswissenschaftlern bestritten. Eine abPeter Rzepka ({4}) schließende Klärung dieser Rechtsfrage, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof ermöglichen würde, will der Berliner Senat mit seinem voreiligen Handeln verhindern. Ebenso fragwürdig wie die Argumente für eine Schließung sind die Nachnutzungskonzepte der Tempelhof-Gegner. Die zuständige Berliner Senatorin will ein Wiesenmeer mit ein wenig Bebauung und vielen Grünflächen. ({5}) Realisierbare Pläne für die Nutzung der riesigen Immobilie ohne Start- und Landebahnen sind nicht vorhanden. ({6}) Es ist doch lächerlich, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, dass sich der Berliner Senat an die Berliner Öffentlichkeit wendet und um Vorschläge dazu bittet, ({7}) was mit diesem Areal passieren soll, nachdem man angeblich bereits seit elf Jahren dessen Entwidmung als Flughafen plant. ({8}) Im Gegensatz dazu geht man bei allen ernsthaften planerisch und finanziell abgesicherten Projekten für die Zukunft des Areals davon aus, dass die Start- und Landebahnen bestehen bleiben müssen. Ohne hier noch einmal alle für den Innenstadtflughafen sprechenden Gründe zu nennen ({9}) - sie sind in der Begründung zu unserem Gruppenantrag enthalten -: Tempelhof hat seine Existenzberechtigung zumindest für die Zeit der Errichtung von BBI, aber meines Erachtens auch darüber hinaus. ({10}) Die zusätzlichen Start- und Landebahnen sowie Stellflächen für kleinere Maschinen sind eine sinnvolle Ergänzung zum geplanten Single-Airport in Schönefeld. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ihr politisches Gewicht einzusetzen, um nicht wiedergutzumachende Schäden vom Standort Berlin abzuwenden. ({11}) Das kann im Rahmen der anstehenden Verhandlungen zur Hauptstadtfinanzierung geschehen. Die Bundesregierung hat auch die Möglichkeit - das ist der wesentliche Punkt -, durch die Verlegung von Teilen der Flugbereitschaft nach Tempelhof die Offenhaltung rechtlich eindeutig abzusichern, ({12}) damit die Entwidmung des Flughafens nicht dazu führt, dass ab Tempelhof niemals wieder geflogen werden kann, und damit das Entstehen einer großen innerstädtischen Brache im Eigentum des Bundes und in unmittelbarer Nähe zum Regierungsviertel verhindert wird, die zudem den Steuerzahler noch viele Millionen kosten würde. ({13}) Die Zeit wird knapp. Aber es ist noch nicht zu spät. Bundestag und Bundesregierung müssen jetzt handeln. Wir haben die Möglichkeit dazu.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich möchte Sie an Ihre Redezeit erinnern. Ihre Zeit ist nicht nur knapp; sie ist schon überschritten. ({0})

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Wer jetzt nicht handelt, trägt die Mitverantwortung für eine unumkehrbare Entwicklung, die wir schon in wenigen Jahren bitter bereuen werden. ({0}) Es geht um die Zukunft unserer Hauptstadt Berlin. ({1}) Tempelhof muss offen bleiben. ({2}) Für diejenigen, die den Flughafen nicht kennen - ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie haben nicht mehr die Möglichkeit zu einer Demonstration. ({0}) Außerdem, Herr Kollege, ist es in diesem Hohen Hause üblich, dass Sie die Präsidentin fragen, wenn Sie Plakate hochhalten oder sonst etwas demonstrieren wollen. ({1})

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, es geht um - 11192 ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege! ({0})

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Rzepka hat es ja schon ganz gut begründet, warum der Flughafen Tempelhof offen bleiben muss und warum die Gegenargumente falsch sind. Ich möchte das Ganze eher einmal politisch bewerten; denn das Vorgehen des Berliner Senats und der ihn tragenden Koalition ist wirklich in mehrfacher Hinsicht unanständig. So läuft derzeit ein Volksbegehren. Bereits in der ersten Stufe gab es mehr als 10 000 Unterschriften, also mehr als an und für sich benötigt werden. Weil der Senat fürchtet, dass in der zweiten Stufe ein überzeugendes Ergebnis zustande kommt, will er vorher Fakten schaffen. ({0}) Deshalb werden die Initiatoren dieses Volksbegehrens ich bin der Vertrauensmann dieses Volksbegehrens, wenn ich das einmal sagen darf - das auch zu einer Abstimmung über diese Art der Behandlung des Souveräns, des Bürgers, machen. ({1}) Wenn der Souverän so brüskiert wird, dann ist das unanständig. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht hat gerade im Zusammenhang mit der Waldschlösschenbrücke in Dresden klargestellt, wie wichtig die Politik den Bürger in solchen Fragen zu nehmen hat. ({3}) Die Anwohner sind im Übrigen, wie verschiedene repräsentative Umfragen gezeigt haben, mehrheitlich für die Offenhaltung. Alle Argumente, die angeblich zum Schutz der Anwohner dort vorgebracht werden, sind also falsch. Die Anwohner selbst sagen, der Straßenverkehr ist ihr Problem. Wenn der Flughafen zugemacht wird und die Fläche dort bebaut wird, entsteht mehr Straßenverkehr, und dadurch wird diese Belastung noch größer. ({4}) Wenn sich die Grünen mit ihrer Idee durchsetzen, dort Events stattfinden zu lassen, haben die Nachbarn da, wo jetzt ein Nachtflugverbot besteht, nachts große Events und die Love Parade zu ertragen. ({5}) Gute Nacht, liebe Nachbarn, kann ich nur sagen, wenn so etwas durchkommt. ({6}) Dann wird nichts aus dem angeblichen Schutz der Anwohner. ({7}) Der nächste Punkt, der auch unanständig ist, ist die damit verbundene Kostenüberwälzung auf den Bund. ({8}) - Regen Sie sich doch nicht so auf! - Die Investoren haben angeboten, zu 100 Prozent die Finanzierung zu übernehmen. Wenn der Flughafen geschlossen wird, muss der Bund alle Kosten übernehmen. Dabei geht es jedes Jahr um Kosten in Höhe von zig Millionen allein für die Reinigung, die bauliche Unterhaltung und anderes. Es ist schlicht unanständig, das einfach so zu machen, meine Damen und Herren. ({9}) Die Verwertungsinteressen für die Gebäude, für die Immobilien würden damit weiter geschädigt. Herr Diller, dass Sie so etwas gutheißen können, kann ich mir nicht vorstellen. Die Bundesregierung müsste doch dazu auch endlich einmal etwas sagen, insbesondere vonseiten des Finanzministeriums, statt nur interessiert zuzuschauen. ({10}) Durch diesen Überraschungscoup des Senats kommt es auch noch zu einer Begrenzung der Möglichkeiten für den Bund, das Gebäude zu nutzen. ({11}) Wenn der Flughafen einmal geschlossen ist, verehrter Kollege Wieland, dann kann dort auch die Flugbereitschaft nicht mehr stationiert werden. Die Bundeswehr will ja erst noch prüfen, ob sie dort hingehen will oder nicht. Diese Möglichkeit wäre dann vertan. Deshalb ist das insgesamt in dieser Form einfach unanständig. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieland.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber natürlich, ich freue mich darauf.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Königshaus, Sie sprachen im Zusammenhang mit der Schließung von Tempelhof von einem Überraschungscoup. Der Kollege Rzepka berief sich auf Helmut Kohl. Erinnere ich mich denn richtig, dass in einem sogenannten Konsensbeschluss zu der Zeit, als Helmut Kohl mit Schwarz-Gelb regierte, von den Herren Diepgen, Wissmann und Stolpe festgelegt wurde, dass erstens Berlin Brandenburg International in Schönefeld gebaut wird und dass zweitens - das steht in demselben Beschluss - die beiden innerstädtischen Flughäfen als Verkehrsflughäfen stillgelegt werden? Erinnere ich mich richtig, dass das als Junktim in diesem Beschluss steht, oder ist hier jetzt irgendetwas plötzlich vom Himmel gefallen? ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir Gelegenheit geben, das noch einmal in Erinnerung zu rufen und auch in der Abfolge darzustellen. Diesen Konsensbeschluss gab es. ({0}) Der Konsensbeschluss ging davon aus, dass man inzwischen schon von diesem Flughafen BBI starten und landen könnte. ({1}) Genau das war der zeitliche Horizont, meine Damen und Herren. Seitdem ist wirklich nicht nur Wasser die Spree, sondern auch den Rhein und anderswo heruntergeflossen. Jetzt haben wir eine andere Situation. ({2}) Deshalb müssen wir uns mit dieser Frage noch einmal neu befassen. Unabhängig davon, ob wir jetzt einen Verkehrsflughafen schließen, müssen wir uns über die weitere Nutzung dieser Fläche unterhalten. Deshalb geht es an dieser Stelle nicht nur um die Nutzung als Verkehrsflughafen, sondern auch um das, was die heute hier anwesenden Investoren dazu angeboten haben - nämlich keine Nutzung als Verkehrsflughafen, sondern eine Sondernutzung. Dabei handelt es sich um eine weitere Möglichkeit, die dieser Beschluss kaputtmacht. Deshalb sollten Sie hier keine Legenden bilden, meine Damen und Herren. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Rzepka?

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit noch größerer Freude. Bitte.

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, teilen Sie meine Auffassung, dass sich der Konsensbeschluss von 1996 auf die Schließung Tempelhofs als Verkehrsflughafen bezog und keineswegs auf die Schließung für die allgemeine Luftfahrt und für die von uns beiden angesprochene Flugbereitschaft des Bundes? Teilen Sie des Weiteren meine Auffassung, dass man nach elf Jahren möglicherweise auch klüger werden kann, was der Kollege Wieland für sich vielleicht nicht in Anspruch nimmt? ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geben Sie mir bitte Gelegenheit, Ihnen zu antworten, lieber Kollege. Ich bin sehr froh, dass Sie diesen Punkt noch einmal ansprechen. Genau das hatte ich gesagt. Deshalb teile ich natürlich Ihre Auffassung. Es ist aber in der Tat richtig, dass wir uns auch noch einmal über genau diese Abfolge unterhalten müssen; denn inzwischen hat sich die Situation insgesamt - da haben Sie völlig recht - massiv verändert. Dieser Beschluss ist auch deshalb so schädlich für Berlin, weil er ein negatives Beispiel gibt. Dabei denke ich zum einen an die Bürger, die sehen, dass ihr Volksbegehren einfach weggewischt wird. ({0}) Das ist ein schöner Umgang für Demokraten! Zum anderen geht es in einer Stadt, die so dringend Investitionen benötigt, aber auch nicht, dass die potenziellen Investoren so schäbig abgemeiert werden - mit diskriminierenden Äußerungen ({1}) nach dem Motto: Da kommen ein paar Leute von Disney und wollen dort irgendetwas bauen. Zu diesen Leuten gehört auch die Deutsche Bahn. ({2}) Bei ihnen handelt es sich um Investoren, die mehrere hundert Millionen Euro investieren wollten. Es ist in der Tat wichtig, das im Auge zu behalten. ({3}) Wenn wir solche Chancen vergeben, werden wir überhaupt keine Chancen mehr bekommen. - Insofern gebe ich Ihnen recht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, mir liegt jetzt noch eine Zwischenfrage vor, und zwar vom Kollegen Lamers.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin beglückt über die viele Redezeit, die mir heute gegeben wird.

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wären Sie bereit, mir zuzustimmen, dass der Flughafen Berlin-Tempelhof nicht nur für Berlin, sondern zum Beispiel auch für die Metropolregion Rhein-Neckar, aus der ich komme, von großer Bedeutung ist, ({0}) dass das alles zerstört wird, wenn dieser Flughafen zu einem Zeitpunkt geschlossen wird, zu dem BBI noch lange nicht in Betrieb genommen worden ist, ({1}) und dass es Ausdruck höchster Ignoranz ist, diesen tollen Flughafen zu schließen?

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich teile Ihre Bewertung. Das ist in der Tat eine schreckliche Herangehensweise. ({0}) - Ich bin gefragt worden. Daher muss ich das jetzt noch einmal feststellen. In der Tat teile ich diese Bewertung. Wie soll Herr Paziorek denn dann nach Münster kommen? Wie soll Herr Lamers dann nach Rhein-Neckar kommen? Wie soll man nach Basel kommen, wenn dieser Flughafen geschlossen wird? ({1}) Dann sind nämlich nicht nur die neuen Kapazitäten noch gar nicht da, sondern es werden - da haben Sie völlig recht - in der Zwischenzeit wegen der Bauarbeiten auch noch Kapazitäten in Schönefeld stillgelegt. Wir werden dort eine weitere Start- und Landebahn verlieren. Zu diesem Zeitpunkt die Kapazitäten in Tempelhof zu schließen, ist schlichtweg unverantwortlich. ({2}) Insofern gebe ich Ihnen da völlig recht. ({3}) Ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass die schäbige Behandlung, die die Investoren in diesem Fall erfahren haben, auch auf andere Investoren abschreckend wirkt. Hier tut man das, obwohl ein sehr solide durchgerechnetes Projekt vorliegt. Ich freue mich sehr, dass mir die heute anwesenden Investoren - Herr Charrabé ist für die Investorengruppe da; auch die Deutsche Bahn ist hier vertreten - in einem gerade geführten Gespräch noch einmal bestätigt haben, dass sie weiterhin als Investoren zur Verfügung stehen, wenn der Flughafen tatsächlich so nutzbar ist, wie es das Projekt vorsieht. Alles Gegenteilige, was hier behauptet wird, ist schlichtweg falsch und Stimmungsmache. ({4}) Nein, die Investoren sind hier und stehen zur Fahne. Sie stehen zu dem Projekt, meine Damen und Herren. ({5}) Es gibt keinen Grund, diesen einmaligen Standortvorteil für die Stadt und die Region Berlin aufzugeben. Es ist auch noch nicht zu spät. Wenn die Bundesregierung wirklich Interesse hat, hier auch die Interessen des Bundes zu wahren und eine wirklich schäbige Überwälzung von Kosten auf den Bund - für dessen Kasse sind wir ja verantwortlich - zu vermeiden, muss sie jetzt diese Chance ergreifen. Die Klagefrist endet morgen in einer Woche, also am Freitag, dem 13. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, sich die Option für die Stationierung der Flugbereitschaft offenzuhalten. Auch wenn die Klagefrist abgelaufen sein sollte, weil die Bundesregierung vermutlich nicht aus der Hüfte kommt, ist noch lange nicht alles verloren; denn niemand hindert beispielsweise den Berliner Senat daran, solche Beschlüsse hinterher aufzuheben. ({6}) Es ist ja nicht auszuschließen, dass ein Wunder geschieht und dass selbst der rot-rote Senat auf einmal Einsicht zeigt und die Möglichkeiten zum Offenhalten von Tempelhof von neuem ergreift. ({7}) Viele Chancen stehen hier auf dem Spiel. Gehen Sie noch einmal in sich! Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich bin absolut sicher: Wenn wir uns mit diesen Anträgen befassen und zu einer übereinstimmenden Auffassung gelangen, ({8}) dann werden wir feststellen - davon bin ich überzeugt -, dass wir diesen Flughafen offenhalten und die Chancen nutzen müssen, die sich hier bieten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Petra Merkel, SPDFraktion. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, ein bisschen Sachlichkeit in die Debatte hineinzubringen, obwohl das schwerfällt. ({0}) In dieser Debatte wird sichtbar, dass einige Kollegen, die immer schon gemeinsam über dieses Thema diskutiert haben, ihre Rollen kennen. Das ist mir noch ein bisschen fremd. ({1}) Wir diskutieren über einen Gruppenantrag - das ist relativ ungewöhnlich -, der zum Inhalt hat, den Flughafen Tempelhof nicht zu schließen. Die beabsichtigte Schließung hängt natürlich mit dem Bau des Großflughafens Berlin Brandenburg International zusammen. Darauf muss man einmal verweisen; es geht nämlich nicht ausschließlich um Tempelhof. Wie schwierig der Bau eines Großflughafens ist, haben wir noch alle in Erinnerung. Der letzte Großflughafen ist in München gebaut worden. Dieser Bau hat 22 Jahre gedauert. Beim Flughafen Berlin Brandenburg International muss und wird diese Bauzeit unterboten werden. Was ist in den letzten Jahren passiert? Schauen wir einmal zurück. Vor elf Jahren, also 1996, gab es den Beschluss zum Ausbau von Schönefeld zum BBI. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich damals nicht wollte, dass in Schönefeld der Großflughafen gebaut wird. ({2}) Ich war ebenso wie die SPD und die Grünen für Sperenberg. Wir haben uns dann in einem Kompromiss darauf geeinigt, dass wir auf Wunsch der CDU nach Schönefeld gehen, also nicht nach weit außerhalb, sondern vor die Tore der Stadt. Herr Schmitt, Sie können sich daran erinnern. 1999, also drei Jahre später, reichte die Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH den Planfeststellungsantrag ein. 2003 war der Beginn der bauvorbereitenden Maßnahmen. 2005 erfolgte der Planfeststellungsbeschluss zum BBI. 2006 genehmigte das Bundesverwaltungsgericht den Ausbau des Flughafens Schönefeld. 2007 war endlich Baubeginn. Wir diskutieren jetzt über die Auswirkungen eines Konsensbeschlusses von 1996. Elf Jahre nach dem Beschluss wollen Sie wieder von vorne anfangen und alles infrage stellen. ({3}) Wollen Sie wirklich durch neue Klagewellen den Bau des Großflughafens Schönefeld verzögern? Das kann doch nicht Ihr Interesse sein. ({4}) In diesem Konsensbeschluss wurden auch die Auswirkungen auf den Flughafen Tempelhof entschieden. Mit Genehmigung der Präsidentin zitiere ich: Nach Vorliegen der gerichtlich überprüften und rechtskräftigen Planfeststellung für den Singlestandort Schönefeld wird der Verkehrsflughafen Tempelhof geschlossen. ({5}) Das haben damals alle unterschrieben. Grundlage für die Planfeststellung war also: Für einen citynahen Flughafen Schönefeld werden die Flughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen. ({6}) Ich sage es noch einmal, damit es allen ganz klar ist: Dieser Konsensbeschluss war die Grundlage aller Planungen. Er bleibt es auch. ({7}) Wichtig zu wissen, ist: Dieser Konsensbeschluss wurde herbeigeführt - auch das wurde eben erwähnt und beschlossen von Bundesverkehrsminister Wissmann, CDU, Berlins Regierenden Bürgermeister Diepgen, CDU, und Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe, SPD. ({8}) Wichtig zu wissen, ist: Tegel, Tempelhof und Schönefeld werden betrieben von Berlin, Brandenburg und dem Bund. ({9}) Der Bund ist also sowohl an den Entscheidungen in Tegel als auch in Tempelhof und Schönefeld aktiv beteiligt. Das Bundesverkehrsministerium und das Bundesministerium für Finanzen sind unsere Bundesvertreter in dieser Gesellschaft. Ich bin mir sicher, dass die Entscheidungen, die von dieser Flughafengesellschaft auch im Interesse des Bundes getroffen werden, von den Vertretern dieser Gesellschaft gemeinsam getroffen werden. Ich kann mir vorstellen, dass der Bund das Areal des Flughafens Tempelhof mit der großen Liegenschaft und mit dem Gebäude optimal vermarkten will. Das muss er auch; darauf werden wir achten. ({10}) Petra Merkel ({11}) Ich klammere dabei einmal aus, dass der Bund in Bezug auf dieses Areal mit Berlin im Streit liegt, und zwar wegen des Reichsvermögens. ({12}) Stand der Dinge ist jedenfalls, dass der Großflughafen in der jetzigen Planungsphase baureif ist und Sie wieder von vorne anfangen wollen. ({13}) Sollen wir uns jetzt wirklich wieder damit auseinandersetzen, dass vor elf Jahren Herr Diepgen, Herr Wissmann und Herr Stolpe den politischen Entschluss gefällt haben, einen stadtnahen Flughafen in Schönefeld zu bauen, und dass sie damit einhergehend die Schließung von Tegel und Tempelhof beschlossen haben? Wir haben damals alle darüber diskutiert; das ist nicht im stillen Kämmerlein passiert. Einige von uns haben das damals an anderer Stelle getan. Ich kann mich sehr gut erinnern: Herr Ingo Schmitt, Sie waren damals als Staatssekretär im Land Berlin unter anderem für den Verkehr zuständig und haben an der Entscheidung, Tempelhof zu schließen, mitgewirkt. ({14}) Ich halte eine erneute Diskussion darüber nicht für sinnvoll. Ich sage noch ganz kurz etwas zu dem Thema Volksbegehren, das hier eben aufgeflammt ist. Das Ziel des Volksbegehrens ist der Weiterbetrieb Tempelhofs als Verkehrsflughafen. Sie als CDU-Politiker haben die Leute hinters Licht geführt. ({15}) Wenn es überhaupt ein Ergebnis geben kann, dann nur unterhalb des Konsensbeschlusses. Sie wissen ganz genau, dass das nicht zu erreichen ist. ({16}) Die Frage, wie man es hinbekommen könnte, Tempelhof für die Flugbereitschaft zu nutzen, war übrigens im Wahlkampfjahr 2006 in Berlin ein Thema. Ich weiß, dass sich sowohl Angela Merkel als auch Klaus Wowereit inständig darüber unterhalten haben, ob das eine Möglichkeit wäre. Damals hat weder Wowereit noch Merkel gesagt, dass es geht. ({17}) Die Bundeswehr hat gesagt: Das geht nicht. ({18}) Der Flughafen Tempelhof ist viel zu klein, die Landebahnen reichen nicht aus. - Angela Merkel hat sich an dem Punkt auch nicht weiter durchgesetzt. Sie hat erkannt, dass das an dieser Stelle nicht geht. Zu der Frage der Investoren. Investoren sind in Berlin an jeder Stelle herzlich willkommen, auch was das Areal des Flughafens Tempelhof angeht, ({19}) aber nicht unter der Bedingung, dass dieser Flughafen geöffnet bleibt. ({20}) Das ist die Grundbedingung; damit müsste man sich auseinandersetzen. Tatsache ist: BBI wird gebaut, Tempelhof wird folgerichtig nach dem Beschluss von 1996 im nächsten Jahr geschlossen. ({21}) [CDU/CSU]: Warum jetzt schon? - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warum jetzt?) - Weil Tempelhof bei Planreife des Flughafens BBI geschlossen werden kann. Das ist der Beschluss von 1996. ({22}) - Genau, weil wir den Beschluss haben. ({23}) - Wir haben alle Erfahrungen, wie wir mit einer großen Bürgerbeteiligung umgehen. ({24}) Es sind Klagen noch und nöcher gerade in Bezug auf den Großflughafen Berlin Brandenburg International anhängig gewesen. Es gibt Gerichtsentscheidungen. Es gibt jetzt die Möglichkeit, zu bauen. Wir haben wirklich alle - auch auf Bundesseite - ein Interesse daran, dass das Großprojekt nicht gefährdet wird; davon bin ich überzeugt. ({25}) Ich bin froh, dass die Passierzahlen steigen; denn das zeigt, dass wir einen großen, konkurrenzfähigen Flughafen brauchen. Die Hauptstadt der Bundesrepublik und größte Stadt Deutschlands braucht auch weite Flugverbindungen. Wenn man sich ansieht, wie die Flugpläne derzeit aussehen, dann mag man nicht glauben, was man sieht. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir den Flughafen Berlin Brandenburg International bekommen. Der Flughafen Schönefeld ist ein Großbauprojekt. In der Region Brandenburg stärkt es die Wirtschaftskraft. 40 000 neue Arbeitsplätze werden durch den Bau des Großflughafens geschaffen. Der Bund kann sich darüber nur freuen. Petra Merkel ({26}) Als Haushälterin sage ich auch etwas zu den Zahlen. Der Flughafen Schönefeld ist das größte Infrastrukturprojekt in Ostdeutschland; ein Investitionsvolumen von insgesamt 2 Milliarden Euro ist wirklich nicht von Pappe. Der Bund wird für die Verkehrsanbindung circa 476 Millionen Euro ausgeben und als Gesellschafter circa 110 Millionen Euro tragen. Der Bund muss und wird als Teil der Flughafengesellschaft den Bau des Flughafens Schönefeld aktiv begleiten. Aber nicht nur das. Wir Mitglieder des Deutschen Bundestages, die wir im Rechnungsprüfungsausschuss sind, haben ein Auge darauf, wie die Nutzung von Tempelhof nach dem Ende des Flugbetriebes aussehen könnte. ({27}) Meine Kollegen und ich konnten übrigens sogar die BImA, unsere Bundesimmobilienvermarkter, davon überzeugen, dass der Standort Tempelhof sehr wohl für Büro- und Verwaltungsräume - sogar auf ministerieller Ebene - geeignet ist. ({28}) Jetzt steht fest, dass Bundesbehörden dort einziehen könnten. Somit ist die BImA aufgefordert, sich um eine Vermarktungsstrategie zu kümmern. Darüber möchte ich gerne mit Ihnen diskutieren. Ich glaube, es ist sinnvoller, darüber zu debattieren, als über einen Antrag, der chancenlos ist. Es ist durchaus möglich, das Areal von Tempelhof zu entwickeln, nach dem Motto: Alter Flughafen - neues Leben. Das ist eine gemeinsame Aufgabe des Bundes und des Landes Berlin.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß, dass uns viele in der Republik und im Ausland darum beneiden, dass man diese Stadt an bestimmten Punkten von innen heraus neu entwickeln kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dazu gehört auch das Flughafenareal Berlin-Tempelhof. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Roland Claus, Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher gut, dass wir über die Probleme von Tempelhof reden. Um keine falschen Erwartungen zu wecken, sage ich gleich: Ihren Gruppenantrag lehnt die Fraktion Die Linke ab. Ein Satz in Ihrem Antrag hat aber hundertprozentige Gültigkeit: Ein tragfähiges Konzept für die Nachnutzung … gibt es nicht. Wir wollen darauf verweisen, dass der 1996 gefundene Konsens, der im Übrigen von allen im Abgeordnetenhaus und im Bundestag vertretenen Kräften mitgetragen wurde, ({0}) erst die Planungsvoraussetzungen für den Flughafen Berlin Brandenburg International in Schönefeld geschaffen hat. Alle Gründe, die zu dem Beschluss von 1996 führten, gelten auch heute noch. Ich muss gestehen, dass ich mich ein bisschen über die Autorinnen und Autoren des Antrages gewundert habe. Da treffe ich auf so aktive Verfechter der Marktwirtschaft wie Michael Meister, Friedrich Merz, Hans Michelbach, Dirk Niebel und Hermann Otto Solms. Und was fordern sie von mir? Sie fordern von mir die Aufrechterhaltung eines defizitären Unternehmens. ({1}) Die gleichen Kollegen, die ansonsten nicht müde werden, gegen sogenannte Subventionstatbestände zu kämpfen, fordern nichts anderes als die Fortsetzung eines Subventionstatbestandes. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Königshaus?

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die gestatte ich ihm, ja.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Defizite nicht aus dem Flugbetrieb, sondern aus den Immobilien resultieren? Die Immobilien bleiben bekanntlich dort, unabhängig davon, ob dort Flugbetrieb abgewickelt wird. Wenn die Mieteinnahmen und andere Verwertungseinnahmen aus dem Flugbetrieb und aus flugbetriebsnahen Geschäften entfallen, wird es insgesamt noch teurer. Das Problem ist nur, dass der Eigentümer, nämlich der Bund, diese Kosten tragen muss. Ist Ihnen das bekannt?

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mir sind die Berechnungen, die Sie hier vortragen, sehr wohl bekannt. ({0}) Ich komme im Laufe meiner Ausführungen auch noch darauf zu sprechen. ({1}) - Ich muss mich nicht korrigieren. Das werden Sie merken. Ich bleibe dabei, dass es sich um ein defizitäres Unternehmen handelt, dessen Existenz Sie fortsetzen wollen. Im Übrigen möchte ich Ihnen und der FDP insgesamt sagen: Ihr Verhalten in dieser Debatte offenbart mir eines: Allzu viel unverhohlener Lobbyismus schadet dem Parlament, meine Herren. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Claus, der Kollege Rzepka möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte ein Argument vortragen, das Ihre Frage, Herr Kollege, vielleicht schon beantwortet. Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben den Eindruck, dass Sie Ihren Antrag selbst nicht richtig ernst nehmen. Das will ich Ihnen erklären. Sie sind 106 Antragstellerinnen und Antragsteller. Hätten Sie es geschafft, dass diese 106 Kolleginnen und Kollegen jetzt im Hause anwesend sind, hätten Sie eine Mehrheit gehabt, mit der Sie eine Sofortabstimmung hätten durchsetzen können. Dann hätten Sie Ihren Beschluss selbst durchbringen können. Das haben Sie offenbar versäumt oder gar nicht gewollt. ({0}) Wir sind für eine zukunftsfähige und gegen eine rückwärtsgewandte Lösung. Meine Fraktion schlägt Ihnen hier nicht zum ersten Mal vor, das Areal von Tempelhof für den Umzug der in Bonn verbliebenen Regierungsteile nach Berlin zu nutzen. Wir sprechen hier nicht von einer Nähe zum Regierungsviertel; Tempelhof wäre quasi ein Kernbestandteil des Regierungsviertels. Das ist eine zukunftsfähige Nachnutzungslösung. Damit würden wir nicht wie Sie die Schlachten der Vergangenheit führen. ({1}) - Auch dazu haben wir vor kurzem etwas gesagt. Sie haben ein bisschen das Recht verwirkt, das hier zu kritisieren, da Sie entsprechende Anträge, die im Haus vorgelegen haben, abgelehnt haben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Rzepka?

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, vonseiten der FDP sind Sie ja schon darauf hingewiesen worden, dass die Verluste des Flughafens Tempelhof aus den Immobilien resultieren. Diese Verluste werden in Zukunft der Bund und der deutsche Steuerzahler zu tragen haben. Deshalb frage ich Sie in diesem Zusammenhang, ob Ihnen bekannt ist, dass die Investoren - einschließlich der Deutschen Bahn AG als Betreiber - die Zusage gemacht haben, sowohl den Flugbetrieb als auch die Immobilie zu übernehmen, sodass schon heute die öffentliche Hand, sei es das Land Berlin oder der Bund, von den Defiziten befreit worden wäre, während sie jetzt noch jahrelang vom Steuerzahler zu tragen sein werden. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich würde jetzt dem Redner die Chance geben, diese Frage zu beantworten.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da Sie nicht die Einzigen waren, die heute mit dem Hauptinvestor gesprochen haben - auch ich habe mit ihm telefoniert -, kann ich Ihnen durchaus sagen, dass mir diese Konzepte bekannt sind. Ich sehe sehr wohl eine Möglichkeit, Investoren, die sich anbieten, im Sinne des Vorschlages, den wir Ihnen machen - Komplettumzug der Regierung auf dieses Areal -, konstruktiv zu beteiligen. Meine Gespräche in dieser Richtung waren durchaus konstruktiv. Aber an eine wirklich sinnvolle, ökonomische Nutzung mit dem Minikonzept, dem Flugkonzept, das sie jetzt vorlegen, glauben wir nicht. ({0}) Dass das Vorhaben - jetzt komme ich zum Bund -, Tempelhof in dieser Weise umzugestalten, nicht billig ist, ist allen klar. Aber auch eine Nichtnachnutzung käme den Bund teuer zu stehen. Ich fordere uns deshalb auf, einmal über diese Chance nachzudenken. Es gibt keine europäische Hauptstadt, die über ein so großes innerstädtisches Areal verfügt. Hier haben wir Gestaltungsmöglichkeiten. ({1}) Ich finde es etwas daneben, wenn Sie hier ausschließlich den Berliner Senat angreifen. Wir sprechen nämlich über ein Problem, das zu vier Fünfteln Eigentum des Bundes und zu einem Fünftel Eigentum Berlins ist. Das Begehren Berlins, über das Grundstück zu verfügen, ist gerade auf dem Rechtswege abgewiesen worden. Bund und Berlin werden an der Nachnutzung nicht vorbeikommen. Wir suchen die Lösung in der Zukunft und nicht in der Vergangenheit. Lassen Sie uns deshalb über unseren Vorschlag nachdenken und nicht über Vorschläge aus dem vorigen Jahrhundert. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man nicht aus Berlin kommt, sondern diese Debatte unter fachpolitischen Gesichtspunkten aus der Ferne und mit einer gewissen Distanz verfolgt, dann muss man ein wenig grinsen; denn diese Diskussion hat etwas außerordentlich Provinzielles. ({0}) Es hat lange gedauert, bis Berlin in dieser Frage eine politische Entscheidung getroffen hat. Aber dann kam es zu einem wirklich breiten und überparteilichen Konsens, an dem auch die Parlamente beteiligt waren. Ihre Parteien waren damals sogar Träger dieser Entwicklung. Man hat sich darauf verständigt, dass Berlin einen neuen Flughafen bekommen und in Zukunft nur einen einzigen Flughafen haben soll und dass die beiden anderen stadtnahen Flughäfen aufgegeben werden. Das war der Konsens. ({1}) Ich sage Ihnen ganz offen: Uns Grünen ist es damals nicht leicht gefallen, dem zuzustimmen; denn der Standort und das Konzept waren nicht optimal. Es war aber offenkundig, dass die stadtnahen Flughäfen Tegel und Tempelhof hochproblematisch sind, weil sie die Anwohner belästigen und riskant sind. Es gibt auf der Welt nur wenige Flughäfen, die so nah an Häusern gebaut sind und wo die Flugzeuge so knapp an den Häusern entlangfliegen. Dieses Risiko war zu beseitigen. Das war damals übrigens die Ansicht breiter Teile der Berliner Bevölkerung. Das war sogar für einen Schwaben sichtbar.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Königshaus?

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Es würde mir zwar Spaß machen, ihm zu antworten. Aber ich sehe nicht ein, dass wir diese Debatte unnötig verlängern. ({0}) Wir haben uns damals gemeinsam für den Flughafen BBI ausgesprochen. Ihre Parteien haben dem zugestimmt. Das war und ist sinnvoll. Jetzt, Jahre später, wollen Sie das gesamte Verfahren wieder aufrollen und es gefährden. Sie sagen, dass Sie die Entscheidung vorübergehend offenhalten wollen. Aber Ihr eigentliches Ziel ist, den Flughafen dauerhaft für Spezialinteressen zu nutzen. Damit bin ich bei einem wichtigen Stichwort: Wenn man sich die Liste Ihrer Unterstützer ansieht, stellt man fest, dass es Ihnen letztendlich nicht darum geht, der Bevölkerung einen netten, kleinen und stadtnahen Flughafen zur Verfügung zu stellen. ({1}) Wer sind denn Ihre Unterstützer? Es handelt sich um einige Leute aus Berlin, die heute ganz groß herausgekommen sind, und um einige Provinzabgeordnete, die die Flugverbindungen nach Mannheim oder Karlsruhe nutzen müssen und deswegen schnell bei Ihnen unterschrieben haben. So war das. ({2}) Aber, lieber Kollege aus Mannheim, lieber Nutzer des Mannheimer Flughafens, können Sie sich vorstellen, dass es eines schönen Tages sogar eine Flugverbindung von Mannheim nach Berlin-Schönefeld geben wird? Dann wären auch Ihre Bedürfnisse befriedigt. ({3}) Sie sprechen von Konzepten, die sich angeblich tragen, und sagen, der Flughafen würde sich rechnen. Den vermeintlichen Zusagen von Investoren glauben Sie ohne Zahlengrundlage und ohne Konzept. Das ist Berliner Provinzpolitik. ({4}) Da kommt ein Investor dahergelaufen, legt Ihnen ein paar schöne Zahlen vor, und Sie glauben ihm sofort. ({5}) Tatsache ist: Alle Konzepte, die vorgelegt wurden, haben sich nicht getragen. Die Konzepte waren nicht stadtverträglich. Wir brauchen in Tempelhof einen Neuanfang. Wir brauchen ein Umgestaltungskonzept, das zur Stadt, zu ihren Bezirken und zu ihren Anwohnern passt. Dieses Konzept muss gewährleisten, dass möglichst viel Grünfläche erhalten bleibt. Außerdem müssen eine behutsame Bebauung und eine positive Entwicklung im Bereich des Gewerbes sichergestellt sein. Auch die historischen Gebäude müssen im Sinne Ihrer Initiative berücksichtigt werden. Bei Ihrer Initiative handelt es sich um eine Veranstaltung von Nostalgikern - das kann ich verstehen - und älteren Herren; Sie haben sie zitiert. Im Sinne einer solch nostalgischen Veranstaltung wäre es durchaus korrekt, aus dem Gebäudeteil des Flughafens Tempelhof ein Luftfahrtmuseum zu machen. Dort könnten Sie in jeder Sitzungswoche vorbeigehen, bevor Sie dann aber bitte schön mit dem Zug oder der S-Bahn weiterfahren. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingo Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003842, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, auch dann würden Sie das noch nicht verstehen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Heute ist viel über die Vergangenheit gesprochen worden, ohne dabei ernsthaft in die Zukunft zu schauen. ({0}) Es wurde aus einem Beschluss aus dem Jahre 1996 zitiert, in dem von ganz anderen Verfahrensvoraussetzungen und völlig anderen Passagierzahlen die Rede war. ({1}) Es hieß, dass man heute nicht mehr ernsthaft darüber reden dürfe, dass sich die Stadt möglicherweise weiterentwickelt bzw. anders als erwartet entwickelt habe. Was das Segment des Flugverkehrs betrifft, hat sie sich erfreulich entwickelt. Berlin hat, was die Zahl der Fluggäste angeht, einen jährlichen Zuwachs von 6 bis 7 Prozent zu verzeichnen. Im Jahre 2007 werden es 19 Millionen Fluggäste sein. ({2}) - Frau Merkel, hören Sie mir erst einmal zu. Sie waren sachlich; ich bin jetzt auch sehr sachlich. - Sie wollen Tempelhof unbedingt vor Inbetriebnahme des BBI schließen, und zwar ohne Not; denn es gibt kein rechtliches Problem. ({3}) Das ist völlig daneben. Das ist überzogen, das ist reine Ideologie. ({4}) - Warten Sie! Zu Ihnen komme ich noch. Reden wir nun über die Zeit, wenn der BBI endlich den Betrieb aufgenommen hat. Es wurden Argumente finanzieller Art genannt. Heute wissen wir alle: Nicht der Flugbetrieb von Tempelhof ist defizitär, sondern die Immobilie; das ist mehrfach angesprochen worden. ({5}) Dann wurden rechtliche Argumente ins Feld geführt. Heute wissen wir, dass es rechtlich gesehen keine große Problematik darstellt, wenn Tempelhof mit eingeschränktem Flugbetrieb - nicht als Verkehrsflughafen, sondern als Landeplatz mit bestimmten Sonderfunktionen - offen bleibt. Das heißt, weder finanzielle noch rechtliche Argumente sind geeignet, diesen Flughafen ohne Not zu schließen. ({6}) Es ist schon Helmut Schmidt zitiert worden, der gesagt hat: Das ist ein einmaliger Standortvorteil. - Auch die Berliner Wirtschaft ist zitiert worden, allen voran die IHK. Ich möchte gerne zwei Drittel bzw. drei Viertel - je nach Meinungsumfrage - der Berliner hier zitieren. Sie sagen, sie möchten, dass dieser Flughafen erhalten bleibt, dass die Chancen, die dieser Flughafen bietet, weiterhin genutzt werden. ({7}) Es kann doch nicht richtig sein, dass der Senat, der erst vor kurzem mit großem Trara erklärt hat, die Bürger sollten mehr Rechte bekommen, es solle mehr Volksbegehren und mehr Volksentscheide geben, angesichts eines Volksbegehrens, das ihm nicht passt, im Vorfeld des Volksentscheids sagt: Wie die Berlinerinnen und Berliner entscheiden, interessiert mich nicht; ich versuche, der Meinung der Berliner durch die kalte Küche mit einem Entwidmungsverfahren zuvorzukommen. - Es fällt mir schwer, zu glauben, dass ein Senat ein solches Demokratieverständnis haben kann und einen solchen Umgang mit Wählerinnen und Wählern praktiziert. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieland, obwohl Sie schon am Ende Ihrer Redezeit angelangt sind?

Ingo Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003842, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von Herrn Wieland nehme ich gerne Zwischenfragen entgegen.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Schmitt, Sie wollten eigentlich nach vorne schauen, haben aber dennoch Ihren Namensvetter, den Altkanzler, zitiert. ({0}) Wenn Tempelhof als Verkehrsflughafen für die Berlinerinnen und Berliner so identitätsbildend ist, wie kam es dann, dass unter Eberhard Diepgen ebendieser Verkehrsflughafen in den 80er-Jahren bereits geschlossen war, sodass wir das Vergnügen hatten, dort in einer großen Halle Ronald Reagan zu empfangen, und Volker Hassemer dort zur 750-Jahr-Feier von Berlin Riesenfeuerwerke hat veranstalten lassen können? Wie können Sie hier diese Nostalgietour reiten und auch noch mit einer Volksbefragung kommen, obwohl Sie selber diesen Flughafen schon stillgelegt hatten? ({1}) - Ach, das ist doch alles Demagogie!

Ingo Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003842, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Wieland, wenn Sie so weit zurückgehen, werden Sie sich erinnern, dass damals eine andere Situation in Berlin bestand: Es gab West-Berlin. ({0}) Damals gab es etwa 4 bis 5 Millionen Fluggäste. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir hier ein Wachstum verzeichnen können, das wesentlich höher ist. ({1}) Frau Präsidentin, darf ich die Frage beantworten?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Wieland, überwiegend hat der Kollege Schmitt das Wort. ({0})

Ingo Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003842, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch als wir 1996 den Konsensbeschluss gefasst haben, hatten wir wesentlich geringere Wachstumsraten. Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir Anschluss an internationale Wachstumsraten gefunden haben. ({0}) Deswegen brauchen wir die gesamte Kapazität, die momentan in Berlin vorhanden ist. ({1}) Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, auch wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen! Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen. ({2}) - Klatschen Sie nicht zu früh! - Ihr Regierender Bürgermeister Wowereit hat schon im Herbst in Karlsruhe eine erste Klatsche bekommen. Ich sage Ihnen voraus: Er wird bei diesem Thema die zweite bekommen. ({3}) Ich sage Ihnen noch eines: Tempelhof wird leben. ({4}) Tempelhof wird als Flughafen leben. Die Berlinerinnen und Berliner werden anschließend sagen: Und das ist auch gut so! ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4813 und 16/5897 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. ({0}) - Frau Kollegin Schewe-Gerigk, uns hier oben ist nicht bekannt, dass die Grünen die Sofortabstimmung beantragt haben. Aber wenn Sie das jetzt an dieser Stelle beantragen, dann lasse ich schlicht und ergreifend darüber abstimmen, ({1}) ob die Überweisung in die Ausschüsse so gewollt ist. ({2}) Wer ist für die Überweisung in die Ausschüsse? - Das ist die Mehrheit. Wer ist dagegen? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten JohannHenrich Krummacher, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz ({4}), Jörg Tauss, René Röspel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Geistes- und Sozialwissenschaften stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissenschaften verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die Geistes- und Sozialwissenschaften in Forschung und Lehre fördern - Drucksachen 16/4161, 16/4153, 16/4154, 16/4406, 16/5931 Berichterstattung: Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher Swen Schulz ({7}) Patrick Meinhardt Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Krista Sager Die Kollegen Johann-Henrich Krummacher, Swen Schulz, Patrick Meinhardt sowie die Kolleginnen Dr. Petra Sitte und Krista Sager haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung auf Drucksache 16/5931. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4161 mit dem Titel „Geis- tes- und Sozialwissenschaften stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Enthaltung der Fraktionen der FDP und der Linken bei Gegenstimmen der Grünen angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ableh- nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa- che 16/4153 mit dem Titel „Geistes-, Sozial- und Kul- turwissenschaften stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen von FDP und Enthaltung der Frak- tion Die Linke angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4154 mit dem Ti- tel „Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissen- schaften verbessern“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/4406 mit dem Titel „Die Geistes- und Sozial- wissenschaften in Forschung und Lehre fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegen- stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion der FDP ange- nommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte und der Fraktion der LINKEN Für die zügige Vorlage eines qualifizierten Be- richts über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland - Drucksache 16/5788 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die 1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt. Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. ({8})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In § 94 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes heißt es: Die Beauftragte erstattet dem Deutschen Bundestag mindestens alle zwei Jahre einen Bericht über die Lage der Ausländer in Deutschland. Das hätte im Juni 2007 der Fall sein müssen. Ende April 2007 teilte die Integrationsbeauftragte jedoch dem Bundestagspräsidenten mit, dass der Bericht erst im ersten Quartal 2008 vorgelegt wird. Wenn Migrantinnen und Migranten oder Flüchtlinge so leichtfertig gegen die ihnen auferlegten gesetzlichen Pflichten verstoßen würden, wie Frau Böhmer es tut, müssten sie mit harten Sanktionen rechnen. Von Nichtdeutschen fordern Sie immer Rechtstreue, aber selbst setzen Sie sich leichtfertig über das Gesetz hinweg. Sie haben bereits im Oktober letzten Jahres die Verschiebung des Lageberichts im Alleingang beschlossen. Nicht nur das: Sie haben auch noch mitbeschlossen, dass dieses Vorgehen dem Bundestag erst im April dieses Jahres mitzuteilen ist. Sie betrachten den Deutschen Bundestag offenkundig als eine bloße Abnickmaschine, die das Regierungsgeschäft nicht stören soll. Ich finde dies einfach nur skandalös. ({0}) Als Grund für die Verschiebung des Lageberichts verweist die Integrationsbeauftragte auf den Nationalen Aktionsplan Integration. Fachlich nachvollziehbar wäre es aber gewesen, erst einen wissenschaftlich fundierten Lagebericht vorzulegen und dann einen Aktionsplan zu erarbeiten. Genau das will die Regierung aber nicht. Kritische Nachfragen sind nicht erwünscht, wenn Bundeskanzlerin Merkel den Nationalen Aktionsplan Integration nächste Woche vorstellen wird. Da passt es anscheinend auch nicht, kurz vor dem Integrationsgipfel die Versäumnisse einer ausgrenzenden Integrations- und Flüchtlingspolitik aufarbeiten zu müssen; denn durch einen kritischen und problemorientierten Bericht über die Lage von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen in Deutschland würde vor allem eines deutlich werden: Die Integrationspolitik der letzten Jahre ist weit davon entfernt, soziale Chancengleichheit für alle Menschen hier herzustellen. Eine wirkliche Kehrtwende in der Integrationspolitik würde eben mehr erfordern, als einfach nur ein paar unverbindliche Maßnahmen und Ziele in einen Aktionsplan hineinzuschreiben. Lieber inszeniert die Bundesregierung einen Gipfel nach dem anderen. Die Beteiligung von Migrantenorganisationen wurde dabei auch medial immer groß herausgestellt. Auf gleicher Augenhöhe sollte geredet werden. Man wollte miteinander reden. Dabei haben all diese Organisationen einen Maulkorb bekommen. Über aufenthaltsrechtliche Regelungen und über die Integration von geduldeten Flüchtlingen sowie Menschen ohne Aufenthaltsrecht durften in den Arbeitsgruppen des Integrationsgipfels keine Empfehlungen abgegeben werden. Gleiches galt auch für das Thema der politischen Rechte. Während es zum bürgerschaftlichen Engagement eine Arbeitsgruppe gegeben hat, durfte das kommunale Wahlrecht für Angehörige von Drittstaaten überhaupt nicht thematisiert werden. Zur gleichen Zeit, als Sie die Arbeitsgruppen noch bei Kaffee und Keksen über Integration debattieren ließen, stellte die Große Koalition mit den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die Weichen für die zukünftige Integrationspolitik: Sanktionen statt Angebote, Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe in die Grundrechte, wie das Recht auf Familie, statt Ausbau von Rechten. Kritik war nicht erwünscht. Der Dialog auf gleicher Augenhöhe war eine Farce und ist es auch noch. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die Organisationen keinen Sinn mehr in der Teilnahme in der nächsten Woche sehen und mit einem Ausstieg drohen. Die bisherigen Berichte über die Lage von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen in Deutschland waren der Regierung offenkundig zu kritisch. Aus dem Vermerk vom Oktober aus dem Hause Böhmer geht hervor, dass der zukünftige Bericht nicht mehr wissenschaftlich abwägend ausfallen soll. Er soll ergebnisorientiert gestaltet werden. Und wer bestimmt das Ergebnis? Frau Böhmer selbst. Die von Ihnen angestrebte Veränderung des Lageberichts illustriert eben auch den Wandel, für den Frau Böhmer steht, nämlich die Umwandlung des Amtes einer Beauftragten für Migrantinnen und Migranten in das Amt einer Staatsministerin, die vor allem für die Belange der Regierung ist - notfalls auch gegen die Belange der Migrantinnen und Migranten. Erst vor drei Wochen hat die Integrationsbeauftragte ein Gesetz begrüßt und für gut befunden, das massiv in die Rechte von Migrantinnen und Migranten eingreift. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Nationale Integrationsplan, der uns in der nächsten Woche präsentiert wird, steht auf tönernen Füßen. Er wird von unverbindlichen Handlungsempfehlungen und auch Zielen geprägt sein und sehr selektiv ausfallen. Dazu passt, dass Sie uns die Vorlage eines fundierten Berichts zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland bewusst verweigern wollen. Ich kann Sie nur auffordern, diesen Bericht so zügig wie möglich vorzulegen. Deswegen haben wir, Die Linke, eine Sofortabstimmung beantragt. Eine Überweisung dieses Antrages in die Ausschüsse wäre einfach nur eine Fortsetzung der Verzögerungstaktik. Es hat überhaupt keinen Sinn und Zweck, einen solchen Antrag in die Ausschüsse zu überweisen. Wir beantragen die Sofortabstimmung, weil wir der Auffassung sind, dass der Bericht fällig ist. Danke. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Kollegen Reinhard Grindel, Sebastian Edathy, Josef Winkler sowie die Kollegin Sibylle Laurischk und die Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5788 mit dem Titel „Für die zügige Vorlage eines qualifizierten Berichts über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Innenausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales, an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist die Überweisung so beschlossen, und zwar mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 16/5788 nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatzpunkt 11 auf: 19 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer ({1}), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch- land erleichtern - Drucksachen 16/5416, 16/4061, 16/5770 -2) Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Patrick Döring ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther ({2}), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien - Drucksache 16/5609 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) Innenausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus 1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. 2) Anlage 4 Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Die Kolleginnen Renate Blank, Annette Faße, Dorothée Menzner, Nicole Maisch sowie der Kollege Patrick Döring haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5770 die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5416 mit dem Titel „Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5770 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4061 mit dem Titel „Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland erleichtern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Zusatzpunkt 11. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5609 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gender-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung - Drucksache 16/5898 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Kolleginnen Anette Hübinger, Gesine Multhaupt, Dr. Petra Sitte, Krista Sager sowie der Kollege Uwe Barth haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5898 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung sowie zur Mitberatung an den Aus- schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwi- 1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt. 2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. schen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie zu dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen - Drucksache 16/4377 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5}) - Drucksache 16/5825 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({6}) Joachim Stünker Mechthild Dyckmans Jerzy Montag Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Die Kollegen Siegfried Kauder, Joachim Stünker, Jerzy Montag sowie der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach und die Kolleginnen Petra Pau und Mechthild Dyckmans haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3) Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu den Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung und über Rechtshilfe sowie zu den Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Auslieferung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5825, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- sache 16/4377 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- men von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstim- men der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter 3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Beratung mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5978. Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bünd- nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Schäffler, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Konsequenzen aus dem Entschädigungsfall Phoenix Kapitaldienst GmbH - Drucksache 16/5786 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Die Kollegen Klaus-Peter Flosbach, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Frank Schäffler und Dr. Axel Troost sowie die Kollegin Christine Scheel haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5786 an den Finanzausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({7}) - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2005 - Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes ({8}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ({9}) - Drucksachen 16/1122, 16/3200, 16/5774 Berichterstattung: Abgeordneter Bernhard Brinkmann ({10}) Die Kollegen Hans-Joachim Fuchtel und Bernhard Brinkmann sowie die Kolleginnen Dr. Claudia Winterstein, Dr. Gesine Lötzsch und Anja Hajduk haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Haushaltsausschusses auf Druck- sache 16/5774 zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2005 und zu den Bemerkungen des 1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. 2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. Bundesrechnungshofes 2006, Drucksachen 16/1122 und 16/3200. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt der Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlas- tung für das Haushaltsjahr 2005 vor. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufordern, a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundeshaus- haltspläne die Feststellungen des Haushaltsausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu befol- gen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Aus- schusses einzuleiten oder fortzuführen und c) die Be- richtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungen gewährleistet ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hau- ses angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({11}), Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Keine Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Unfallversicherung - Drucksache 16/5616 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die gesetzliche Unfallversicherung leistungsstark und zukunftssicher gestalten - Drucksache 16/5896 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Die Kollegen Gerald Weiß, Wolfgang Grotthaus, Heinz-Peter Haustein, Volker Schneider und Markus Kurth sowie der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5616 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/5896 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mit- beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo- 3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner gie und an den Ausschuss für Gesundheit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer ({15}), Dr. Martina Krogmann, Hans-Joachim Fuchtel, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dr. Rainer Wend, Dr. h. c. Susanne Kastner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offener Dokumentenstandards und offener Dokumen- tenaustauschformate fördern - Drucksachen 16/5602, 16/5927 - Berichterstattung: Abgeordneter Martin Zeil Die Kolleginnen Dr. Martina Krogmann, Ulla Lötzer und Grietje Bettin sowie die Kollegen Dr. Uwe Küster und Martin Zeil haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offener Dokumentenstandards und offener Dokumentenaustauschformate fördern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5927, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5602 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 12 und 13 auf: ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({16}), Volker Beck ({17}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Michael Link ({18}), Harald Leibrecht, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen aus Belarus - Drucksache 16/5905 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({19}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerinnen und Bürger aus Belarus - Drucksache 16/5909 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({20}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Die Kollegen Manfred Grund und Norman Paech so- wie die Kolleginnen Uta Zapf, Cornelia Pieper und Marieluise Beck haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5905 und 16/5909 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Gudrun Kopp, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Deutschland, Energieland der Zukunft Energieforschung und Wettbewerb stärken - Drucksache 16/5729 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({21}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Die Kollegen Axel Fischer, Dieter Grasedieck, Michael Link, Hans-Kurt Hill und Hans-Josef Fell haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5729 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. ({22}) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Juli 2007, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.