Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und gute
Beratungen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es einige Mitteilungen. Es beginnt ganz fröhlich: Der Kollege Dr. Rainer Stinner feierte am 26. Juni seinen
60. Geburtstag, und die Kollegin Helga Kühn-Mengel
feierte am 1. Juli ebenfalls ihren 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu herzlich und
wünsche alles Gute.
({0})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Vereinbarte Debatte
zur vorgesehenen Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning,
Dr. Werner Hoyer, Michael Link ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
EU-Regierungskonferenz schnell zum Erfolg führen
- Drucksache 16/5882 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
EU-Regierungskonferenz - Für eine handlungsfähige und
demokratische EU
- Drucksache 16/5888 ({3})
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Ergebnisse des Dritten Energiegipfels der Bundesregierung
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu der Antwort der Bundesregierung auf die Frage 32 auf
Drucksache 16/5854
({4})
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,
Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
„Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen
- Drucksache 16/5901 ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({5})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer
({6}), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika Bellmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Martin
Dörmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie sichern
- Drucksache 16/5908 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer
({8}), Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({9}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Brunhilde Irber, Gert
Weisskirchen ({10}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen
- Drucksache 16/5907 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({11})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Humboldt-Forum statt Fassadenschloss - Schlossplatz mit Zukunftsorientierung
- Drucksache 16/5922 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12})
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 8 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({13})
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 251 zu Petitionen
- Drucksache 16/5911 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 252 zu Petitionen
- Drucksache 16/5912 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 253 zu Petitionen
- Drucksache 16/5913 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 254 zu Petitionen
- Drucksache 16/5914 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 255 zu Petitionen
- Drucksache 16/5915 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 256 zu Petitionen
- Drucksache 16/5916 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 257 zu Petitionen
- Drucksache 16/5917 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 258 zu Petitionen
- Drucksache 16/5918 -
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 259 zu Petitionen
- Drucksache 16/5919 -
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 260 zu Petitionen
- Drucksache 16/5920 -
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 261 zu Petitionen
- Drucksache 16/5921 ZP 9 Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der
FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums
gemäß § 39 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
- Drucksache 16/5883 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann,
Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof - Sinnvolle
Nachnutzung des Flughafenareals
- Drucksache 16/5897 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({25})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim
Günther ({26}), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und
von überflüssigen Beschränkungen befreien
- Drucksache 16/5609 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({27})
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck
({28}), Volker Beck ({29}), Alexander Bonde, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN sowie der Abgeordneten Michael Link ({30}), Harald Leibrecht, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen aus Belarus
- Drucksache 16/5905 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({31})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD
Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerinnen und Bürger aus Belarus
- Drucksache 16/5909 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({32})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch,
Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Perspektiven für eine sektorale Ausweitung des Emissionshandels sowie für die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmesektor
- Drucksache 16/5610 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({33})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Kerstin
Andreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter
Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses
- Drucksache 16/5751 Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei,
Alexander Bonde, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das würdige Gedenken der Toten in Friedenseinsätzen
braucht eine breite Debatte
- Drucksache 16/5894 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({35})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 17 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
Datenvernichtung bei der Bundeswehr
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 13, 17 a, 22 und 35 a werden abgesetzt. Zum Tagesordnungspunkt 17 b ist eine
Aussprache nicht mehr vorgesehen. Er soll zusammen
mit den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden. Die
Tagesordnungspunkte 12 und 25 werden getauscht. Die
Tagesordnungspunkte 15, 19, 21, 23 und 24 werden jeweils
vorgezogen und nach den Tagesordnungspunkten 25, 14,
16, 18 und 20 aufgerufen. Ich vermute, Sie haben das alles mitgeschrieben,
({36})
sodass über die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte
nun kein Zweifel mehr besteht. Falls noch Orientierungsbedarf besteht, steht das Präsidium für Auskünfte
gerne zur Verfügung. - Ansonsten stelle ich dazu Einvernehmen fest. Dann ist die Tagesordnung mit diesen
Veränderungen so beschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 und
Zusatzpunkt 6:
3 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Aufschwung für Deutschland - Gute Zeiten
entschlossen nutzen
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
„Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen
- Drucksache 16/5901 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos.
({37})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Unsere Wirtschaft steht unter Volldampf.
Deutschland ist wieder Wachstumslokomotive in Europa
geworden. Die Stagnation ist vorbei. Auf den Reformbaustellen gibt es weder hitze- noch kältefrei. Wir müssen nach vorne blicken und diesen Aufschwung stabilisieren.
({0})
Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. Der
Aufschwung muss vor allen Dingen nachhaltig werden.
Wir freuen uns darüber, dass der Wachstumsprozess festen Tritt gefasst hat.
Dieser Wachstumsprozess ist nicht allein auf die
Schubkraft der Weltkonjunktur angewiesen, sondern
trägt inzwischen aus eigener Kraft. In diesem wie auch
im kommenden Jahr kommt der stärkste Wachstumsimpuls von der Binnenwirtschaft. Ich finde, das ist etwas,
was uns Hoffnung gibt, dass wir ein Stück unabhängiger
von Schwankungen der Weltwirtschaft werden.
({1})
In diesem wie auch im kommenden Jahr geht der
stärkste Wachstumsimpuls, wie gesagt, von der Kraft
aus, die die deutsche Wirtschaft auch im Inland wieder
entfaltet. Hinzu kommt, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher wieder mehr Kaufkraft haben und sie auch
nutzen.
Wir kalkulieren vorsichtig. Großmäuligkeit ist zum
Fremdwort geworden. Die Bundesregierung erwartet für
dieses Jahr ein Wachstum von 2,3 Prozent. Ich weiß,
dass andere seriöse Institutionen schon jetzt deutlich höhere Wachstumserwartungen haben. Besser abzuschneiden als angekündigt, ist uns lieber, als den umgekehrten
Weg zu gehen.
({2})
Unsere Zuversicht, dass das Wachstum trotz der Umsatzsteuererhöhung anhält, hat sich erfüllt. Der befürchtete Preisschub ist - gottlob - ausgeblieben. Das sind für
diejenigen, die Schauderszenarien lieben, schlechte
Nachrichten; aber für die Deutschen sind das gute Nachrichten. Diese Nachrichten schmerzen die Untergangspropheten. Heiligendamm war auch deshalb ein so großer Erfolg, Frau Bundeskanzler, weil eine starke
Bundeskanzlerin ihre Gäste als Vertreterin eines wirtschaftlich starken Landes hat empfangen können. Das
gibt uns in der Welt wieder Gewicht.
({3})
Wer im eigenen Land erfolgreich ist, dessen Stimme hat
auch anderswo Gewicht.
Jetzt, wo das Wachstum nicht mehr zu leugnen ist, behaupten Miesmacher, von dem Aufschwung profitierten
nur einige wenige. Auch das ist falsch. Die Wirklichkeit
sieht vollkommen anders aus. Der Aufschwung kommt
überall an. Für die Bundesregierung sage ich in Anlehnung an Ludwig Erhard: Wir erleben den Aufschwung
für alle. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik
gab es so viele Beschäftigte wie heute: fast 40 Millionen.
Der Anstieg an Beschäftigung entfällt übrigens ganz
überwiegend auf sozialversicherungspflichtige, also gute
Vollzeitstellen.
Auch die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Allein in den
letzten zwölf Monaten ist sie um weit über 700 000 zurückgegangen; sie liegt nun bei 3,7 Millionen. Bis Ende
2008 wird die Arbeitslosenzahl auf weniger als
3,5 Millionen sinken. Das wäre dann der tiefste Stand
seit über zehn Jahren.
Das zeigt: Der Aufschwung kommt auch bei den Beschäftigten an. Deren Arbeitsplätze werden nicht zuletzt
aufgrund der Lohnzurückhaltung in den letzten Jahren
erhalten. In den Tarifverhandlungen ist erstmals wieder
ein deutliches reales Plus erreicht worden. Das wird sich
auf den Konsum natürlich positiv auswirken.
({4})
Allerdings werden die Insolvenzverwalter - darüber
freue ich mich - weniger zu tun haben. Ich glaube, dass
wir auch mit dieser Tatsache gut leben können.
Womit wir allerdings nur schwer leben können, ist der
Fachkräftemangel, den es in Deutschland inzwischen
gibt. Das ist etwas, was uns besorgt macht. Obwohl in
Deutschland 20 000 Ingenieure arbeitslos gemeldet sind,
sucht die Wirtschaft händeringend nach Fachkräften.
Das passt nicht zusammen; das bremst den Aufschwung.
Deshalb brauchen wir mehr Investitionen in Bildung, in
Ausbildung, aber auch in Weiterbildung.
({5})
Wir müssen in allererster Linie diejenigen Menschen
weiterbilden und aktivieren, die in unserem Land leben,
die in unserem Land nach Arbeit suchen, und wir müssen ihnen Chancen geben. Außerdem muss selbstverständlich die Frage der gesteuerten Zuwanderung von
Fachkräften aus anderen Ländern auf die Tagesordnung.
Eine solche Zuwanderung lässt sich nicht von heute auf
morgen herbeiführen; deswegen müssen wir die Weichen rechtzeitig stellen. Deutschland muss im globalen
Wettbewerb um die besten Köpfe mithalten können, um
den globalen Wettbewerb besser zu bestehen.
({6})
Damit Deutschland weiter die Nase vorn hat, steigert
die Bundesregierung kontinuierlich die Investitionen in
Forschung und Entwicklung. Das zeigt die gestern beschlossene mittelfristige Finanzplanung. Auch die Länder und die Wirtschaft bleiben aufgerufen, mehr für Forschung und Entwicklung zu tun. Wir alleine als Staat
können das 3-Prozent-Ziel von Lissabon nicht erreichen,
sondern wir brauchen selbstverständlich das Mittun der
Wirtschaft.
Gerade jetzt im Aufschwung gilt es, auf Reformkurs
zu bleiben. Der Aufschwung hat viele Gründe: die gute
Weltkonjunktur, eine zurückhaltende Lohnpolitik und
vor allen Dingen die Anstrengungen der Unternehmungen. Das allein hätte jedoch nicht gereicht, um auf einen
nachhaltigen Wachstumskurs zurückzukehren. Der konsequente Kurs der Großen Koalition - unsere Strategie
mit den drei Elementen Sanieren, Reformieren und Investieren - trägt jetzt Früchte.
({7})
- Ich habe das extra gesagt, damit auch die SPD noch
überzeugter klatschen kann.
({8})
Der Aufschwung ist kein Selbstläufer, sondern muss
wie eine empfindliche Pflanze gepflegt werden. Wie
teuer es wird, wenn der Aufschwung erlahmt, haben wir
in den Jahren 2001 bis 2005 erleben müssen. Trotzdem
gibt es immer welche, die versuchen, das Rad zurückzudrehen. Dem halte ich allerdings Ministerpräsident
Platzeck entgegen, der gesagt hat:
Für mich war der Hauptfehler, dass wir mit den Reformen zu spät begonnen haben.
Darüber hinaus zitiere ich jetzt Herrn Gorbatschow, der
gesagt hat:
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
({9})
Deswegen war es richtig, dass es zu einem Regierungswechsel gekommen ist. Wir fühlen uns dem Aufschwung verpflichtet.
({10})
Wären wir noch später gekommen, dann wären wir jetzt,
um mit den Worten Platzecks zu sprechen, gesellschaftlich und ökonomisch vor der Wand.
Eine Hauptaufgabe muss natürlich die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte sein. Dem hat sich
Kollege Steinbrück nachhaltig gewidmet. Wann, wenn
nicht jetzt, sollten wir sonst das Ziel ausgeglichener öffentlicher Haushalte ins Visier nehmen? Wir werden das
auch erreichen. Das ist möglich.
({11})
Zuerst profitieren die öffentlichen Kassen von der
Konjunktur. Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass es
auch so bleibt. Die Steuer- und Beitragsquellen sprudeln,
doch wächst mit dem Aufschwung der Wirtschaft auch
der Wunsch nach neuen konsumtiven Ausgaben, die mit
Zukunftsgestaltung oft nichts zu tun haben. Ich bin der
Meinung, wir müssen eine Politik betreiben, die dafür
sorgt, dass die Finanzquellen länger sprudeln. Fast täglich kommen neue Forderungen. Diese Forderungen
muss man natürlich in dem Licht sehen, ob wir uns das
alles in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit eine große Rolle
spielt, leisten können. Ich zitiere nun das Bundesfinanzministerium, das in seinem jüngsten Monatsbericht
schreibt:
Das Ziel eines mittelfristig ausgeglichenen Haushalts hat nach wie vor hohe Priorität. Legt man die
jüngste Steuerschätzung zu Grunde, ist dazu eine
weitere Rückführung der Staatsquote unabdingbar.
Ich habe vorhin den Antrag der FDP gelesen. Sie befinden sich offensichtlich ein Stück weit im Einklang mit
dem Bundesfinanzministerium. Ich meine, es ist genau
der richtige Ansatz, um die Staatsfinanzen nachhaltig
auf eine feste Grundlage zu stellen. Denn der Aufschwung muss dem Bürger gehören und nicht dem Staat.
Das ist meine feste Überzeugung.
({12})
Wir müssen die Arbeitnehmer und Betriebe, die hohe
Abgaben und Steuern von ihrem hart verdienten Geld
bezahlen, am Konsolidierungserfolg beteiligen.
({13})
Professor Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut nennt es ein „Gebot der Vernunft, die Entlastung der
Bürger jetzt schnell auf die Tagesordnung zu setzen“. Es
ist und bleibt unser Ziel, die paritätisch finanzierten Beitragssätze zu den Sozialversicherungen unter 40 Prozent
des beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgeltes zu senken. Das ist gelungen, aber das muss immer wieder verteidigt werden. Durch die Arbeitsmarktreformen und
den gegenwärtigen wirtschaftlichen Aufschwung haben
wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von
6,5 auf 4,2 Prozent zurückführen können. Wenn es auf
dem Gebiet weitere Spielräume gibt, müssen wir diese
nutzen.
Der Wirtschaftsaufschwung zeigt eine klare Botschaft: Reformen zahlen sich aus. Die Bundesregierung
ist daher entschlossen, in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode weitere Wege für Wachstum und Arbeitsplätze zu eröffnen. Wir müssen die Unternehmensteuerreform um eine Reform der Erbschaftsteuer und ein
umfassendes Wagnis- und Finanzierungsgesetz ergänzen.
({14})
Die Entwürfe liegen vor.
Als weiteres wichtiges Ziel nenne ich den Bürokratieabbau. Wir haben den Bürokratieabbau in Europa zum
Thema gemacht. Das war fast ein Fremdwort für die
Europäische Kommission. Wir konnten durchsetzen,
dass 25 Prozent der von der EU hervorgerufenen Bürokratiekosten durch Vorschläge und Maßnahmen der
Europäischen Union wieder rückgängig gemacht werden. Wir müssen den Weg bei uns in Deutschland natürlich selbst verstärkt gehen. Wir haben bereits ein Mittelstandsentlastungsgesetz verabschiedet, und ein weiteres
ist im parlamentarischen Prozess.
Wichtig ist auch mehr Wettbewerb, beim Schienenverkehr - im Interesse der Mobilität der Bürgerinnen
und Bürger - und ebenso im europäischen Briefmarkt.
Damit uns in Zukunft schmerzhafte Konsolidierungsprogramme erspart bleiben, brauchen wir zudem eine
wirksame Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte. Sie zu finden, ist Aufgabe der Kommission von
Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen.
Wir sind entschlossen, auch die Mitarbeiterbeteiligung auszubauen. Ich finde, das ist ein richtiger Weg.
Die Arbeitnehmer sollen am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Betriebe spürbar beteiligt werden.
({15})
Das fördert die Streuung des Produktivkapitals und
schafft neue Motivation. Die Entscheidung darüber, wie
dies individuell am besten und am effizientesten erreicht
werden kann, sollte man nach meiner festen Überzeugung in allererster Linie den Tarifpartnern überlassen.
Mein Haus ist dabei, die Förderprogramme für den innovativen Mittelstand einfacher und transparenter zu gestalten.
Auf dem Arbeitsmarkt gilt es, die richtige Balance
zwischen Flexibilität und Sicherheit zu finden. Mit Blick
auf mehr Beschäftigung werden wir Effizienz und Effektivität des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums erhöhen.
Noch etwas braucht unsere Wirtschaft, damit sie weiter auf einem Wachstumspfad bleibt, nämlich eine zuverlässige, kostengünstige und gleichzeitig klimafreundliche Energieversorgung. Darüber haben wir sehr viel
diskutiert,
({16})
auch auf dem Energiegipfel. Die Probleme lassen sich
natürlich am allerbesten im Konsens mit der Wirtschaft
lösen, weil dort diejenigen sind, die die Investitionen dafür tätigen müssen.
({17})
Wir müssen auf der anderen Seite natürlich auch die
Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick behalten.
Damit meine ich nicht nur die industriellen Verbraucher
von Energie, sondern auch die Millionen Haushalte.
Deswegen müssen wir die Energiepreise kritisch beobachten. Ich fühle mich nicht als Bundesminister der
Wirtschaft, sondern als Bundesminister für Wirtschaft,
und das schließt die Verbraucherinnen und Verbraucher
mit ein.
({18})
Wir haben auf diesem Gebiet vieles geschafft, zumindest regierungsseitig. Es war durch die Abwägung vieler
Interessen manchmal natürlich nicht ganz leicht, in der
Regierung die GWB-Novelle, die Kraftwerksnetzanschluss- sowie die Anreizregulierungsverordnung auf
den Weg zu bringen. Gegenwärtig liegt es an Ihnen,
meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie rasch
zum Beispiel die GWB-Novelle umgesetzt wird, die uns
erlaubt, den großen Energieerzeugern oder Strom- und
Gasverteilern stärker auf die Finger zu schauen. Ich halte
das nach wie vor für notwendig und nutze die Gelegenheit, an Sie zu appellieren, die Bremsklötze auf dem Gebiet wegzunehmen.
({19})
- Ich bedanke mich ganz herzlich für die Unterstützung
und nehme alles zurück. Ich bitte um noch stärkere und
noch raschere Unterstützung als bisher.
({20})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Reformagenda bietet trotz aller Fortschritte noch reichlich
Stoff für die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Insofern ist die Arbeit nicht zu Ende.
({21})
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, sich nicht auf
den Lorbeeren des Aufschwungs auszuruhen und den erfolgreichen Reformweg weiterzugehen. Über den Weg
können und müssen wir selbstverständlich streiten, aber
über das Ziel sollten wir uns einig sein: Es geht um die
Menschen in unserem Land. Für deren Wohl zu arbeiten,
dazu lade ich Sie alle ganz herzlich ein.
Vielen Dank.
({22})
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Rainer Brüderle
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaft brummt. Wir haben eine erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung. Darüber freuen wir uns als deutsche
Patrioten.
({0})
Der Aufschwung ist weder den Schwarzen noch den Roten zuzurechnen,
({1})
er ist der Leistung der Menschen zu verdanken.
({2})
Diesen müssen wir sagen: Danke, ihr macht das prima.
Wir möchten euch dabei helfen.
Der Bundeswirtschaftsminister hat richtig erkannt:
Die jetzige Wirtschaftslage muss genutzt werden, um
durch finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmen
langfristig Deutschland auf dem Wachstumspfad zu halten und das Wachstum möglichst noch zu steigern. Haushaltssanierung und Steuersenkungen sind die entscheidenden Mittel dazu.
({3})
Daran, Herr Glos, müssen Sie sich nun messen lassen.
({4})
Ihre heutige Rede beinhaltete ein Stück weit auch
einen Appell in die Koalition hinein, eine vernünftige
Politik zu unterstützen. Ich denke, das ist so ein bisschen
wie bei Harry Potter, der im eigenen Laden gegen das
Übel und die Reformmüdigkeit kämpfen muss. Ich
hoffe, Sie haben die richtige Strategie und nicht bloß
wirkungslose Zaubersprüche ohne Chancen darauf, dass
etwas passiert. Vielmehr müssen konkrete Maßnahmen
Schritt für Schritt umgesetzt werden.
Die Bundesregierung glaubt offensichtlich, angesichts sprudelnder Steuereinnahmen und gefüllter Sozialkassen neue Subventionstatbestände erfinden zu
müssen. Das ist bei Ihren Vorschlägen zur Mitarbeiterbeteiligung bis hin zur Förderung von Energiesparmaßnahmen bei Kühlschränken und Ähnlichem der Fall. Die
Investitionen erreichen nach den Planungen des Finanzministers 2011 einen historischen Tiefstand; sie betragen
dann nur noch 8,2 Prozent des Haushaltsvolumens. Zugleich werden aber die Ausgaben kräftig erhöht, nämlich
um 4,7 Prozent. Sie haben natürlich recht: Dieser Aufschwung darf nicht Anlass sein, die Hände in den Schoß
zu legen, also sozusagen vom Winterschlaf direkt in die
Sommerpause zu gehen. Wir brauchen aber keine neuen
Ausgabenprogramme. Der DIHK-Präsident Braun warnt
davor. Er vermutet, dass der Deutschlandfonds der SPD
ein Modell sei, das dazu beitragen soll, dass die Gewerkschaften zu Heuschrecken werden. Bei den diskutierten
Konzepten ist deswegen sicherlich Vorsicht geboten.
Gute Wirtschaftspolitik besteht darin, die Zeit des
Aufschwungs zu nutzen, um für die Zeit des Abschwungs vorbereitet zu sein.
({5})
Schauen wir uns einmal einzelne Bereiche an.
Arbeitsproduktivität: Die Steigerung betrug 2006
1,9 Prozent. Das ist verglichen mit den Jahren zuvor erfreulich, verglichen mit der Entwicklung in den Vereinigten Staaten oder bei uns in den 90er-Jahren immer
noch bescheiden. Hier muss weiter zugelegt werden. Es
handelt sich übrigens überwiegend um Rationalisierungsinvestitionen. Diese allein werden nicht genügen,
um langfristig bzw. dauerhaft mehr Wohlstand zu entwickeln.
Langfristig Wachstum stimulieren und Wohlstand
entwickeln würden Reformen am Arbeitsmarkt. Herr
Glos fordert zu Recht mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Wenn man das intelligent macht und mehr Einstellungschancen eröffnet, gibt es nicht nur mehr Arbeitsplätze, sondern auch mehr Sicherheit, weil
Angebote vorhanden sind. Sie haben zu Recht oft auf
Dänemark verwiesen. Das ist ein gutes Beispiel. Davon
kann man eine Menge lernen. Hier geschieht aber eher
etwas anderes. Sie gehen nicht daran, den kleinen Betrieben die Angst vor der Einstellung zu nehmen, den Kündigungsschutz zu modernisieren und betriebliche Bündnisse für Arbeit auf den Weg zu bringen.
Für langfristig bessere Wachstumspfade brauchen Sie
ein Klima des Vertrauens. Sie müssen die Unsicherheit
über die weitere Entwicklung nehmen und mehr Berechenbarkeit geben. In der sogenannten Großen Koalition gibt es viele Widersprüche. Der Bundeswirtschaftsminister spricht von flexiblen Arbeitsmärkten, und diese
Regierung führt faktisch Mindestlöhne ein. Das ist ein
inhaltlicher Widerspruch. Was wollen Sie denn - Mindestlöhne oder Flexibilisierung?
({6})
Schwarz-Rot will die Erbschaftsteuer für Unternehmen abschaffen. In der Koalition wird aber laut nachgedacht, ob man diese Abschaffung nicht unterlassen und
die Erbschaftsteuer sogar noch erhöhen sollte. Auch das
gibt keine Klarheit für die Entscheidungen der Wirtschaft.
Zu Recht wollen Sie international wettbewerbsfähige
Unternehmensteuern. Sie bringen aber ein Modell auf
den Weg, das außerordentlich kompliziert ist, sodass Betriebe vor Ort sich fragen: Zahlen wir am Schluss denn
weniger oder mehr Steuern? Das ist kein Beitrag zum
Bürokratieabbau und kein Beitrag zu einer leichteren
Berechenbarkeit.
({7})
Die Bürger sollen privat stärker für ihr Alter vorsorgen. Sie kürzen aber den Sparerfreibetrag; Steuern auf
Kursgewinne werden eingeführt; durch die kräftige
Mehrwertsteuererhöhung haben Sie vielen den für die
verstärkte Altersvorsorge notwendigen Spielraum genommen.
({8})
Jetzt diskutieren Sie, ob Freibeträge für Mitarbeiterbeteiligungen wieder angehoben werden sollen. Das ist die
Methode: Erst nimmt man denjenigen viele Euro weg;
jetzt bekommen sie ein paar Cent zurück und sollen sich
artig bedanken. Machen Sie es doch gleich richtig! Das
ist für mich ein Zickzackkurs, und Zickzack ist nicht
wachstumsfördernd. Deshalb brauchen wir Klarheit.
Viele Bürger sind gar nicht mehr in der Lage, zu übersehen, wie sich die Regelungen der Wirtschaftsgesetze
auswirken, die sie befolgen müssen. Das müsste man
vereinfachen, um es verstehbar und nachvollziehbar zu
machen. Wenn die Steuererklärung nach bestem Wissen
und Gewissen ausgefüllt wird, heißt das noch nicht, dass
sie richtig ist. Kaum einer kann unser Steuerrecht verstehen. Die Bürger unterschreiben ihre Steuererklärung,
können letztlich aber gar nicht nachvollziehen, was sie
unterschreiben. Das müsste man jetzt, wo es wirtschaftlich besser geht, in Ordnung bringen, verstehbar machen
und redemokratisieren, damit die Menschen wieder innerlich dabei sein können.
({9})
Jeder kleine Häuslebauer weiß: Das Dach repariert man
am besten, wenn die Sonne scheint, und nicht, wenn es
regnet. Technisch geht das auch bei Regen. Es ist aber
ungleich schwieriger.
Sie haben einige Maßnahmen zum Bürokratieabbau
beschlossen. Gleichzeitig machen Sie aber Gesetze, die
außerordentlich kompliziert, bürokratisch, unverständlich und intransparent sind. In diesem Zusammenhang
denke ich an das Antidiskriminierungsgesetz, aber auch
an die unsystematische Unternehmensteuerreform, bei
der es keine Rechtsform- und Finanzierungsneutralität
gibt. Damit tragen Sie nicht dazu bei, das Ganze einfacher und verstehbarer zu machen.
({10})
- Zu Recht klatschen Sie, Herr Kollege.
Die Bundesregierung führt die Abgeltungsteuer auf
Kapitalerträge ein. Gleichzeitig belässt sie es bei der
staatlichen Kontoschnüffelei. Sie wird nicht abgeschafft,
obwohl es logisch wäre, bei der Abgeltungsteuer diesen
Unsinn zu lassen und nicht weiter in die Konten der Bürger hinein zu spionieren.
({11})
Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit werden in den Bundeshaushalt umgeleitet, anstatt sie den
Beitragszahlern, denen dieses Geld gehört, zurückzugeben. Auch das ist kein Ansatz, Klarheit zu schaffen.
({12})
Herr Glos hat zu Recht erklärt, dass wir den Aufschwung entschlossen nutzen müssen. Aber bitte nicht
für neue Ausgabenprogramme! Vielmehr müssen Sie die
Weichen richtig stellen, damit der Wachstumspfad wirklich erreicht wird.
Bei der Kranken- und Pflegeversicherung schaffen
Sie, statt auf Kapitaldeckung und damit auf zukunftsfeste Strukturen zu setzen, mit dem Gesundheitsfonds
neue Geldsammelstellen. Zudem gibt es Leistungsausweitungen. Auch das ist ein Herumdoktern am System
und keine klare Politik, die dem eigentlichen Ziel entspricht.
Uns geht es darum, die Balance zwischen Privat und
Staat, zwischen Eigenverantwortung und staatlicher
Gängelung, zwischen Freiheit und Bürokratie zugunsten
von Privat, Eigenverantwortung und Freiheit zu verändern, damit wir zukunftsfähig sind.
({13})
Von der Haushaltskonsolidierung ist auch nichts zu
merken, im Gegenteil: Die Schulden werden in den
nächsten Jahren kräftig weiter aufgebaut. Man nimmt
sich viel Zeit, die Konsolidierung anzugehen.
Ich nenne in diesem Zusammenhang auch den Energiegipfel, zu dem es heute Mittag noch eine Aktuelle
Stunde gibt. Das Kernproblem ist, dass die Wettbewerbsstrukturen nicht richtig funktionieren. Da muss
man ansetzen; das wäre der richtige Weg. Als Ultima
Ratio müsste man auch das Instrument der Entflechtung
in das Kartellrecht einführen; denn ein funktionierender
Wettbewerb sichert eine ausreichende Energieversorgung. Der Handel mit Zertifikaten für Emissionen
schafft Anreize für mehr Umweltschutz und Energieeffizienz. Trauen Sie sich ein bisschen mehr zu, wenn es um
Markt und Freiheit geht. Das würde Fortschritte in
puncto Berechenbarkeit bringen.
({14})
Was wir brauchen, ist mehr Wirtschaftswachstum und
nicht Staatswachstum. Mit rund 5 Prozent Ausgabensteigerung gehen Sie deutlich in Richtung Staatswachstum.
Den Menschen gehört das, was sie erwirtschaften. Die
Dividende des Aufschwungs muss in der Breite bei den
Menschen in Deutschland ankommen: bei den Arbeitnehmern und bei den Selbstständigen. Deshalb brauchen
wir eine umfassende Steuerreform und steuerliche Entlastungen und nicht mehr Belastungen. Das ist das Wichtigste. Herr Glos, Sie haben diesbezüglich völlig recht.
Aber diese Regierung unternimmt nichts. Frau Merkel,
von Glos lernen heißt besser werden.
({15})
Fair wäre es, die Bürger zu entlasten, indem das Geld,
das die drastische Mehrwertsteuererhöhung bringt, an
die Bürger zurückgegeben wird. Fair wäre es, das Geld,
das die Ökosteuer bringt, zurückzugeben. Sie ist mit der
Einführung des Emissionshandels von der Sache her
überflüssig. Das wäre eine vernünftige Richtung.
Herr Minister Glos, wir wollen Ihnen helfen. Deshalb
haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht, der der
Koalition die Gelegenheit bietet, Ihre Politik und Ihr
Konzept „Goldener Schnitt 2012“ zu unterstützen. Unser
Konzept ist noch ambitionierter und noch anspuchsvoller. Aber immerhin weist Ihr Konzept in die richtige
Richtung. Deshalb stellen wir unseren Antrag heute zur
Abstimmung. Wir brauchen eine Steuer- und Abgabensenkung. Wir brauchen Haushaltskonsolidierung.
Wir brauchen mehr Investitionen und weniger staatliche
Konsumausgaben.
Unser Antrag ist Glos pur, ohne Regierungslyrik und
ohne Beamtenarithmetik. Sie, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, haben heute
die Chance, den Wirtschaftsminister zu unterstützen und
festzustellen, dass er richtig handelt und etwas Vernünftiges gesagt hat. Haben Sie den Mut, bei der Abstimmung über diesen Antrag die Hand zu heben! Sie können
für das Land etwas Gutes tun, indem Sie diese vernünftige Denke unterstützen. Mit dieser Abstimmung wird
sich zeigen, ob Sie es ernst meinen mit der Unterstützung einer im Prinzip richtig angelegten Konzeption
oder ob es nur eine Inszenierung Ihrerseits ist oder gar
der Entwurf der Scheidungsurkunde der Großen Koalition der kleinen Trippelschritte.
Heute ist eine Sternstunde des Parlaments. Die Regierungskoalition hat die Chance, eine vernünftige Konzeption zu unterstützen. Haben Sie den Mut dazu! Ich
schaue gerade in Richtung der Wirtschaftspolitiker der
Union, die doch mutige Männer aus Franken, Bayern
und anderen Regionen sind. Heben Sie die Hand, und
unterstützen Sie die Konzeption, die im Prinzip richtig
ist!
({16})
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Ludwig Stiegler.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den
Kollegen Brüderle in den letzten Jahren gehört hat, der
kann erkennen, dass er heute bemerkenswert moderat ist,
weil er gegen den wirtschaftlichen Erfolg der Großen
Koalition nur schlecht anreden kann.
({0})
Ich hätte ihn sehen mögen, wenn er mit seiner Wunschpartnerschaft diesen Erfolg hier hätte feiern können. Er
hätte sich gebläht, bis der Kragen platzt.
({1})
Das wäre sicher der Fall gewesen. Aber so ist es der
Neid der Besitzlosen, die anderen den Erfolg streitig machen wollen. Herr Brüderle, freuen Sie sich mit uns,
dann finden Sie auch Ihre innere Ruhe wieder.
({2})
Der Wirtschaftsminister hat hier mit Recht einen großen Erfolg verkündet. Er hat nicht viel von den Vätern
des Erfolges geredet. Ich hatte ja das Vergnügen, unter
der Leitung von Franz Müntefering von meiner Seite an
den Koalitionsverhandlungen zum Thema Wirtschaft
mit Edmund Stoiber beteiligt zu sein. Michael ist als
Spätberufener nach einiger Zeit hinzugekommen. Er
wollte ursprünglich mehr auf der Ausgabenseite tätig
sein. Er hat dann vorgefunden, was wir zur Wirtschaftspolitik verabredet haben.
Das war ein Beitrag, der den Urknall ermöglicht hat.
Ich erinnere zum Beispiel daran, dass wir in einer Nachtsitzung die Förderung der energetischen GebäudeLudwig Stiegler
sanierung durchgesetzt haben. Herr Brüderle, der von
Ihnen so gescholtene Staat hat allein über die Förderung
der energetischen Gebäudesanierung im Jahre 2006 einen Wachstumsbeitrag von mehr als 1 Prozentpunkt geleistet,
({3})
Hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert, die
Handwerks- und die Bauunternehmen gestützt und die
Investitionen getragen. Hier ist also eine ganze Menge
geschehen.
Ich erinnere an die steuerliche Förderung des
Handwerks. Ich erinnere an die Steuerförderung im
Hinblick auf Investitionen. Kollege Rainer Wend war
dabei. Es war nicht leicht mit der Union; denn sie hatte
bloß den Bierdeckel von Friedrich Merz. Darauf stand
das alles nicht; das muss man einfach sehen. Auf dem
Bierdeckel war zu wenig Platz. Auch in den KirchhofPapieren war nichts zur steuerlichen Förderung des
Handwerks vorgesehen. Insofern war es ein schönes Erlebnis, als Edmund Stoiber und vor allem sein Wirtschaftsminister damals gesagt haben: Gott sei Dank können wir unser altes Gelumpe wegwerfen und zu dieser
neuen Programmatik übergehen. - Es ist Ihr Verdienst,
dass Sie mitgemacht haben. Herzlichen Dank! Der gemeinsame Erfolg ist da.
({4})
Lieber Michael Glos, auf einer Menge sozialdemokratischer Dünger ist dein Weizen gewachsen. Du darfst zwar
ernten und verkaufen; das ist okay. Aber man soll dem
Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden; so
steht es schon in der Bibel.
Nun ist der arme Kerl von Zimmermann beschuldigt
worden, er sei Opfer linkskeynesianischer Umtriebe.
Das ist ein starkes Stück. Michel ist weder links noch
keynesianisch, und Umtriebe macht er zwar, aber auf anderer Ebene.
({5})
Nein, das ist wirklich zu viel. Wer seine Jahresgabe zum
40-jährigen Jubiläum des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes anschaut, der sieht, dass er mit Linkskeynesianismus nichts zu tun hat. Er deutet all das, was wir nachfrageorientiert gemacht haben, in Angebotsmaßnahmen
um. Das würde ich meinem Staatssekretär austreiben.
({6})
Aber immerhin steht einiges in dem von ihm vorgelegten Papier. Er hat den Wert der öffentlichen Investitionen erkannt. Er hat einen neuen Investitionsbegriff.
Wir haben seit langem von Karlsruhe den Auftrag, im
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz den Investitionsbegriff
zu reformieren und darin nicht nur Investitionen in Beton, sondern auch in Bildung, Forschung und Entwicklung vorzusehen. Also, auf geht’s! Packen wir es an, damit wir hier vorankommen und öffentliche Investitionen
nachgeholt werden. Die Botschaft des Stabilitäts- und
Wachstumsgesetzes ist, dass wir eine öffentliche Verantwortung für diesen Bereich haben.
Nun ist viel von der Staatsquote geredet worden. Da
liegen wir im europäischen Vergleich weit unten. Nun ist
aber die Staatsquote - ich habe den entsprechenden
Kommentar von Alex Möller noch einmal nachgelesen kein Wert an sich. Vielmehr ist wichtig, dass wir unsere
öffentlichen Aufgaben erfüllen, Forschung und Entwicklung betreiben, die Energieeffizienz voranbringen und
Investitionen mit hoher Multiplikatorwirkung durchführen.
Herr Brüderle, wir sollten Bürger und Staat nicht in
einen Gegensatz bringen. Wir sind für einen Staat der
Bürger.
({7})
Nur mit den richtigen Rahmenbedingungen können wir
allen die Chancen geben, sich zu entwickeln und zu bilden.
Herr Brüderle hat gemahnt, dass die Bundesagentur
für diejenigen etwas leisten muss, die sie nicht integriert.
Als der Bund Zuschüsse in Milliardenhöhe an die Bundesanstalt gegeben hat, hat kein Mensch von Beitragserhöhungen gesprochen. Man war selig im Nehmen, ist
aber geizig im Geben. Ich finde, da man früher in Zeiten
der Not der Bundesagentur aus dem Bundeshaushalt
mehr als 30 Milliarden hat zukommen lassen, kann man
in Zeiten des Überschusses dem Kaiser geben, was des
Kaisers ist.
({8})
Deshalb geht dieser Angriff fehl.
Ich danke ausdrücklich dem Finanzminister, der zusammen mit dem Wirtschaftsminister eine gestaltende
Haushaltspolitik betreibt und Investitionen begünstigt.
Derzeit brauchen wir noch keine antizyklische Haushaltspolitik. Eine solche dürfen wir auch in Zukunft
nicht betreiben; der Haushalt darf allenfalls neutral sein.
Insgesamt ist aber noch eine ganze Menge zu tun.
Das Entscheidende ist, dass der Aufschwung bei allen ankommt und nicht mit Sozialabbau verbunden ist.
Was haben uns die Professoren und Sachverständigen
gesagt? Ihr müsst den Kündigungsschutz lockern, den
Arbeitsmarkt flexibilisieren und die Rigiditäten aufbrechen. Alle, die das gesagt haben, sind jetzt ganz verzweifelt; denn der Aufschwung ist gekommen, ohne dass wir
Sozialabbau betreiben mussten. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben.
({9})
Daran sieht man, dass stimmt, was die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in ihrem 77. Jahresbericht
geschrieben hat: Volkswirtschaft ist keine exakte Wissenschaft. Das muss man den Professoren entgegenhalten, die ihre ideologischen Vorstellungen mit schönen
Rechenmodellen abgleichen, die am Ende meistens hinten und vorne nicht stimmen. Der beste Computer hilft
nichts, wenn die Parameter falsch gesetzt sind.
Wir wollen Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt; denn
mit Flexibilität haben die Menschen bereits verdammt
viel zu tun. Hier war von weiterer Liberalisierung die
Rede. Lasst uns erst einmal dafür sorgen, dass die Nachfolgeunternehmen der Post ihre Mitarbeiter nach dem
Postgesetz bezahlen und nicht länger versuchen, sich mit
Dumpinglöhnen im Wettbewerb zu behaupten.
({10})
Wir wollen einen Wettbewerb unter Leistungsgesichtspunkten und nicht hinsichtlich der Knechtschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen werden
wir keine Ruhe geben.
({11})
Bevor wir die Liberalisierung weiter vorantreiben, gilt es
die Kollateralschäden der Liberalisierung zu beseitigen.
Der Minister sprach von 40 Millionen Erwerbstätigen, nicht von Beschäftigten; das ist ein kleiner Unterschied. Bei der Zahl der Beschäftigten gibt es einen Zuwachs, der aber - und das ist dramatisch - aus der
Leiharbeit resultiert. Wir wollten die Leiharbeit zwar
aus der Schmuddelecke herausholen - darüber haben wir
schon einmal im Vermittlungsausschuss, quasi in einer
Großen Koalition, verhandelt -; es war aber nicht unsere
Intention, dass die Leiharbeit missbraucht wird, um die
Stammbelegschaften massiv unter Druck zu setzen. Wir
wollten den Unternehmen die notwendige Flexibilität
bieten, aber nicht große Teile der Beschäftigten in Leiharbeits- und damit in unsichere Verhältnisse bringen.
Darüber müssen wir reden.
({12})
- Was Sie da erzählen, ist doch Unsinn.
({13})
Die Auflockerung gibt es aufgrund der Tarifverträge.
Das hatte seinen Grund. Wer einen Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 28 Prozent fordert und damit
1 Million Arbeitsplätze gefährdet, der sollte in einer solchen Debatte still sein.
({14})
Wir werden weiter über das Thema Mindestlohn beraten. Hier gab es einen Ruck. Wir haben einen Sprung nach
vorn gemacht. Uns geht das noch nicht weit genug. Mit
Interesse nehme ich zur Kenntnis, dass Herr Almunia alle
europäischen Staaten mahnt, den Mindestlohn einzuführen.
Die Tarifrunden helfen uns. Der private Verbrauch
spielte im ersten Halbjahr dieses Jahres noch längst nicht
die Rolle, die Michael Glos ihm zugedacht hat. Es wird
der Tarifrunde bedürfen, um die Kaufkraft zu steigern,
um den Schrittwechsel von der Förderung der Binnennachfrage durch Investitionen, Ausrüstungen und Bauten auf eine Förderung durch den privaten Konsum zu
erreichen. Deswegen unterstützen wir es, dass die Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland in den Tarifrunden
angegangen wird.
Zurzeit wird über den Fachkräftemangel diskutiert.
Dazu sage ich: Solange wir 30 000 arbeitslose Ingenieure
haben, erwarte ich von der deutschen Wirtschaft, dass
sie diesen Ingenieurinnen und Ingenieuren, jungen wie
alten, eine Chance gibt, bevor sie sich an den gedeckten
Tischen anderer Länder bedient.
({15})
Das ist unser Auftrag. Jetzt müssen die Hausaufgaben
gemacht werden durch Qualifizierung und Fortbildung.
Jetzt müssen wir vorangehen. Wann, wenn nicht jetzt?
Das ist unsere Hauptaufgabe. Wir dürfen nicht anderswohin flüchten.
Wir haben viele öffentliche Aufträge zu erfüllen.
Energieeffizienz ist ein wichtiger Auftrag. Die energetische Gebäudesanierung war eine ganz wichtige Rahmenbedingung. Dennoch sollten wir uns bewusst sein:
Die Weltwirtschaft ist und bleibt unser Schicksal, dem
wir uns nicht demütig unterwerfen. Wir haben internationalen Einfluss und sollten ihn nutzen. In Fragen der
Währung ist der Rat gefordert. Der Kurs des Euro geht
seit einem Monat schnurstracks in die Höhe. Das bringt
erhebliche Probleme mit sich. Hier ist nicht nur die Europäische Zentralbank gefordert, sondern auch der Rat.
Darauf müssen wir in den internationalen Gesprächen
achten. Jede Tarifrunde und jede Einsparung wird zuschanden, wenn es zu Währungsverwerfungen kommt.
Hier haben wir eine große Aufgabe vor uns.
Wir appellieren an die Europäische Zentralbank, es
mit der Zinspolitik nicht zu übertreiben. Es ist schon einmal ein Aufschwung abgewürgt worden. Das hatte erhebliche Folgen: Arbeitsplätze gingen verloren, es gab
1 Million Konkurse. Das muss man im Auge behalten.
Lasst uns deshalb dagegen ankämpfen!
Wir wollen, dass der Aufschwung allen nützt. Wir
wollen eine solidarische Gesellschaft, mit der wir uns in
der Welt von Morgen behaupten. Dafür brauchen wir gut
qualifizierte Arbeitnehmer, sichere Arbeitsplätze und
Verteilungsgerechtigkeit. Das werden wir gemeinsam
auf den Weg bringen, Herr Bundeswirtschaftsminister.
Wir werden gemeinsam voranschreiten. Herr Brüderle
darf uns von der Seite Beifall klatschen.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort erhält nun Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesminister Glos, ich muss sagen: Der Aufschwung in Deutschland hat eine Spur mehr Elan als Sie.
({0})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das hier etwas mehr
zum Ausdruck bringen.
Herr Stiegler, ich war sehr verwundert, als Sie sich
über den Neid der Besitzlosen aufgeregt haben. Früher
hat die SPD die Interessen der Besitzlosen vertreten.
({1})
Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; das
stimmt. Aber man muss sich einmal ansehen, für wen
sich dieser Aufschwung positiv auswirkt. Was ist denn
von 2000 bis 2006 passiert? Die Einkommen aus Vermögen und Gewinnen sind um 161 Milliarden Euro gestiegen, das heißt um 38 Prozent. Von den 206 Milliarden Euro, die mehr erwirtschaftet worden sind, gingen
161 Milliarden Euro an diese Bevölkerungsgruppe. Sie
macht 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie machen also
einen Aufschwung für 10 Prozent der Bevölkerung;
90 Prozent haben nichts davon. Das ist das eigentliche
Problem.
({2})
Das war in der alten Bundesrepublik Deutschland anders. In den 50er-Jahren, in den 60er-Jahren, in den 70erJahren, selbst in den 80er-Jahren hat ein Aufschwung
immer dazu geführt, dass es auch Rentnerinnen und
Rentnern, Beschäftigten, Kranken etc. besser ging.
Heute kann davon überhaupt keine Rede mehr sein. Mit
dieser Veränderung der Politik müssen wir uns auseinandersetzen.
({3})
Die Veränderung begann mit der Regierung von SPD
und Grünen und setzt sich jetzt in der Großen Koalition
von Union und SPD fort. Das heißt, das galt unter
Schröder und gilt auch jetzt unter Frau Merkel.
Schauen wir uns die einzelnen Gruppen an! In den
letzten zehn Jahren gab es einen Rückgang der Löhne
und Gehälter der abhängig Beschäftigten - ich möchte
Sie daran erinnern - von 5,1 Prozent. Wenn man die
Preissteigerung in Höhe von 10 Prozent berücksichtigt,
macht der Rückgang 6 Prozent aus. In allen anderen Industriegesellschaften - USA, Großbritannien und Frankreich - gab es Lohnsteigerungen. Nur in Deutschland
gab es einen Rückgang von 6 Prozent.
({4})
Schauen wir uns einmal den Aufschwung in diesem Jahr
an! Die neuen Lohnabschlüsse gleichen nicht einmal die
Verluste der letzten zehn Jahre aus. Von Aufschwung
kann in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede
sein.
({5})
Sagen Sie den 50 000 Mitarbeitern der Telekom doch
einmal, dass sie einen Aufschwung erleben! Der Aufschwung besteht darin, dass sie ausgegliedert werden
und pro Woche vier Stunden länger arbeiten müssen,
ohne dafür einen einzigen Cent mehr Lohn zu erhalten.
Das ist unverschämt, und das hat mit Aufschwung nichts
zu tun.
({6})
Nun komme ich auf die Rentnerinnen und Rentner
zu sprechen. Sie hatten seit vier Jahren Nullrunden zu
verzeichnen. Sie wissen ganz genau: In Anbetracht der
Preissteigerungen sind Nullrunden in Wirklichkeit Minusrunden. Nun kam es zu einer Steigerung von „gewaltigen“ 0,54 Prozent. Dem ist gegenüberzustellen, dass die
Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur
Pflegeversicherung steigen werden. Dabei müssen auch
die Mehrwertsteuererhöhung und die Inflationsrate berücksichtigt werden. Wenn man all das einbezieht, stellt
man fest: Für die Rentnerinnen und Rentner kommt wiederum eine Minusrunde heraus, nichts anderes.
({7})
Das ist der Aufschwung für die Rentnerinnen und Rentner.
({8})
Ich möchte noch etwas weiter in die Vergangenheit
blicken. Unter Kanzler Kohl wurde die alte Rentenformel verändert. Nach der alten Rentenformel wurden die
Rentnerinnen und Rentner an Lohnsteigerungen und an
Produktivitätssteigerungen beteiligt. Union und FDP beschlossen damals eine neue Formel. Dann kam eine neue
Regierung unter Kanzler Schröder - damals war Oskar
Lafontaine, wenn ich Sie daran erinnern darf, übrigens
noch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands und Bundesfinanzminister -, und siehe da:
Was beschloss die damalige Koalition? Sie beschloss,
die neue Rentenformel nicht in Kraft treten zu lassen,
sondern es bei der alten Formel zu belassen, um die
Rentnerinnen und Rentner weiterhin an Lohnsteigerungen und Produktivitätssteigerungen zu beteiligen.
({9})
Nachdem etwas Zeit vergangen war, stellte sich Herr
Schröder allerdings hier hin, entschuldigte sich bei
Union und FDP dafür, dass er die neue Kohl’sche Rentenformel zurückgenommen hatte, und führte sie wieder
ein. Seitdem werden die Rentnerinnen und Rentner an
Lohn- und Produktivitätssteigerungen nicht mehr beteiligt.
({10})
Deshalb erleben sie keinen Aufschwung. Korrigieren Sie
das, wenn Sie diesen Zustand ändern wollen!
({11})
- Sie haben etwas geändert. Sie haben dafür gesorgt,
dass man heutzutage noch später als früher Rente bekommt. Dazu kann ich nur sagen: Das ist ja ein toller
Aufschwung!
({12})
Insofern verstehe ich nicht, wie Sie, Herr Stiegler,
darauf kommen, dass hier kein Sozialabbau stattgefunden habe. Lohnkürzungen sind Sozialabbau. Rentenkürzungen sind Sozialabbau. Die Belastungen der Kranken,
die aus Ihren Gesetzen resultieren, sind Sozialabbau. Sie
können doch nicht so tun, als hätte es all das nie gegeben.
({13})
Jetzt frage ich Sie: Gibt es einen Aufschwung für die
Kranken? Die Praxisgebühren und die Zuzahlungen zu
Medikamenten bleiben. Nichts hat sich für die Kranken
verbessert. Selbst die ehemaligen Härtefallregelungen
haben Sie aufgehoben. Wir werden beantragen, dass Sie
die Härtefallregelungen, durch die Patienten von Zuzahlungen befreit werden, in der gleichen Form wie früher
wieder einzuführen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie die
Kranken zumindest insoweit am Aufschwung teilnehmen lassen oder nicht.
({14})
Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zu
sprechen, auf die Zahl, auf die Sie immer stolz hinweisen. Das Schicksal derjenigen, die heute arbeitslos sind,
verbessert sich um keinen Deut. Gibt es eine einzige
Entscheidung von Ihnen, die zur Folge hat, dass die Vermittlung verbessert wird, die Weiterbildungsmöglichkeiten erweitert werden oder die materielle Ausstattung der
Arbeitslosen verbessert wird? Gibt es eine einzige Entscheidung von Ihnen, die dazu führt - das wurde sogar
aus den Reihen der Union gefordert -, dass jemand, der
25 Jahre oder länger in die Arbeitslosenversicherung
eingezahlt hat, auch länger Arbeitslosengeld I bekommt?
Nichts dergleichen! Sie beschließen nicht eine einzige
Verbesserung für Arbeitslose. Deshalb nehmen sie am
Aufschwung nicht teil.
({15})
- Das ist mir klar; dazu sage ich jetzt etwas.
Zum Rückgang der Zahl der Arbeitslosen. Die eine
Hälfte derjenigen, die gegenwärtig beschäftigt sind, arbeitet im Unterschied zu ihrer vorherigen Situation in
Mini- und Midijobs. Keiner von uns würde je einem solchen Job nachgehen; denn dann wären wir nicht mehr in
der Lage, unsere Familien zu versorgen.
({16})
Die andere Hälfte derjenigen, die nun beschäftigt sind,
ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dabei handelt es sich um mehr als 500 000 Personen. Zu den
500 000 Personen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen: Erstens sind unter ihnen viele, die sich in Leiharbeitsverhältnissen befinden. Das ist eine moderne Form der
Sklaverei, die wir überwinden müssen;
({17})
diese Arbeitsverhältnisse drücken übrigens auch auf die
Situation der anderen Beschäftigten. Zweitens werden
viele von ihnen extrem schlecht bezahlt. Sie bekommen
nur 800 oder 900 Euro netto und leben am Existenzminimum. Darauf kann man nicht so stolz sein, wie Sie es
sind.
({18})
- Nein, das habe ich nicht gesagt. Wir sollten uns darum
kümmern, dass die Leute anständig und würdig bezahlt
werden. Führen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von
8 Euro brutto pro Stunde ein! Dann wären wir viele Probleme in Deutschland los.
({19})
Unerfreulich ist außerdem, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen so gut wie gar nicht zurückgegangen
ist. Das sind gerade jene, die Hartz IV beziehen.
({20})
- Es sind rund 2,4 Millionen geblieben, Herr Meyer. Sie
können die Tatsachen hier nicht einfach wegreden.
({21})
Für die haben Sie keine einzige Verbesserung beschlossen.
({22})
Es gibt einen Effekt des Aufschwungs - das ist wahr -:
Die Zahl der ALG-I-Empfänger ist deutlich gesunken.
Die Bundesagentur für Arbeit verfügt daher über
Überschüsse. Nun ist die spannende Frage: Was machen
wir mit diesem Geld? Da streitet sich die Koalition. Die
einen möchten, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt wird; dann wissen wir nachher wieder
nicht, wie wir die Arbeitslosen bezahlen sollen. Herr
Steinbrück schlägt vor, die Überschüsse für den Bundeszuschuss zur Krankenversicherung zu verwenden. Ich
sage: Beides geht nicht. Wir fordern stattdessen, mit den
Überschüssen statt Arbeitslosigkeit Arbeit zu finanzieren. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor,
({23})
und zwar in erster Linie, damit wichtige Tätigkeiten auf
den Gebieten der Ökologie, der Bildung und der Kultur
endlich verrichtet werden, aber auch damit die Arbeitslosigkeit endlich abgebaut werden kann.
({24})
Herr Müntefering hat diesbezüglich einen guten Vorschlag gemacht. Er hat gesagt, er will den Kommunen
Geld geben, damit die Kommunen Leute öffentlich gefördert beschäftigen etc. Wir leugnen nicht, dass dieser
Vorschlag gut ist. Er hat allerdings zwei extreme Schönheitsfehler: Der eine ist, dass Herr Müntefering sagt:
Wer drei Jahre gefördert beschäftigt wurde, bekommt,
wenn er arbeitslos wird, kein Arbeitslosengeld I. Das
müssen Sie korrigieren. Sonst bekommt das wieder einen unmenschlichen Zug.
({25})
Der andere ist, dass er sagt: Das meiste müssen natürlich
die Kommunen bezahlen. Der Bund bezahlt nur das, was
wir bei Hartz IV einsparen. - Auch das ist nicht gerecht.
Der Bund kann sich nicht zulasten der Kommunen aus
seinen Aufgaben herausstehlen.
({26})
Aber die Idee ist vernünftig. Wir brauchen einen solchen, öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.
Dann stellen wir noch die spannende Frage, ob Ostdeutschland von dem Aufschwung etwas hat. Wie sieht
es aus? Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit Ostdeutsche endlich den gleichen Lohn für gleiche Arbeit in
gleicher Arbeitszeit erhalten! Kein einziger Vorschlag
von Ihnen, damit Rentnerinnen und Rentner im Osten
für die gleiche Lebensleistung endlich die gleiche Rente
erhalten! Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit im Osten Deutschlands und in strukturschwachen Regionen
Westdeutschlands die Kommunen Investitionsmittel erhalten, um eigene Wirtschaftskreisläufe in Gang zu setzen!
Menschen im Osten und in strukturschwachen Regionen
spüren vom Aufschwung nichts.
Der Aufschwung, den wir jetzt haben, wird hauptsächlich durch den Export getragen; das festzuhalten ist
wichtig. Die Exporte haben im letzten Jahr um
12,5 Prozent zugenommen, die Exporte nach China und
Russland sogar um etwa 30 Prozent. Übrigens nahmen
die Exporte in die USA erstmalig ab; auch darüber lohnt
es sich nachzudenken. Zugenommen haben auch die Investitionen in Anlagen und Ausrüstung und im Bau.
Aber jetzt kommt das Spannende: Die Steigerung der
Ausgaben für den privaten Konsum in Deutschland liegt
bei 0,4 Prozent; sie findet so gut wie überhaupt nicht
statt. In diesem Jahr wird sie noch niedriger sein, weil im
Januar die Mehrwertsteuererhöhung hinzukam. Nun
müssen Sie wissen, dass vier Fünftel der Unternehmen
in Deutschland von der Binnenkonjunktur leben. Nur ein
Fünftel lebt vom Export und von den anderen Bereichen.
Für vier Fünftel gibt es also keinen oder nur einen geringen Aufschwung. Selbst in der Wirtschaft geht es extrem
ungerecht zu.
({27})
Vier Fünftel der Wirtschaft und die große Mehrheit der
arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung haben vom
Aufschwung wenig oder nichts. Ich nenne Ihnen zwei
Zahlen - die können Sie nicht leugnen -: -
Vielleicht sollten Sie sich auf eine beschränken.
Aber die gehören eng zusammen, Herr Präsident, die
wollen Sie beide hören. Dann schließe ich auch.
({0})
Nein.
Von Januar bis Mai 2007 hatten wir im Einzelhandel
einen „Aufschwung“ von minus 1,5 Prozent, bei großen
Warenhäusern sogar von minus 8,4 Prozent. Das ist die
Realität. Sorgen Sie endlich dafür, dass es einen Aufschwung gibt, der zu mehr Wohlfahrt für die breite
Mehrheit der Bevölkerung führt! Aber das scheinen Sie
konsequent zu verhindern. Das ist Ihr Problem, und deshalb wächst Ihre Akzeptanz nicht, und zwar zu Recht.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Rede, die wir gerade gehört haben, hat deutlich gemacht,
dass es in diesem Land eine Gruppe gibt, die ein Problem mit dem Aufschwung und dem Wachstum, die unser Land und die Menschen erleben, hat: die Linkspopulisten in der deutschen Politik. Sie haben damit ein
Problem, weil ihre Fraktion und ihre Partei politisch
vom Ressentiment leben. Ihre Taktik ist es, Ängste zu
schüren und die Sorgen der Menschen auszunutzen, damit sie parteipolitisches Kapital daraus schlagen können.
({0})
Wenn die Menschen Zuversicht fassen und wieder Vertrauen schöpfen, dann haben sie ein parteipolitisches
Problem. Darum gilt: Gute Zeiten für das Land sind
schlechte Zeiten für die PDS. Das ist ein Grund, weshalb
wir gute Zeiten für dieses Land wollen.
({1})
Das führt mich zur ersten von drei etwas grundsätzlicheren Anmerkungen, die ich machen möchte. Die
erste Frage ist: Welches Wachstum wollen wir? Wir, die
CDU/CSU, sind der Auffassung, dass Wachstum nicht
allein eine ökonomische Größe ist. Wachstum ist kein
Selbstzweck, sondern muss sich als Ziel legitimieren.
Wir wollen Wachstum, wenn und weil es den Menschen
dient. Wir freuen uns über die Entwicklung, die wir derzeit haben, und befördern sie, weil dieses Wachstum
zum Arbeitsplatzwachstum in diesem Land geführt
hat. Das ist das Wichtigste, was Wachstum den Menschen vermittelt, weil es Sinn und Teilhabe bedeutet. Darum mäkeln wir nicht am Arbeitsplatzwachstum herum.
Die Zeitarbeit profitiert ebenfalls vom Arbeitsplatzwachstum, was wir begrüßen. Auch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind besser als Arbeitslosigkeit,
weil sie eine Brücke in den Arbeitsmarkt bedeuten. Gerade für die Schwächeren ist das eine wesentliche Brücke.
({2})
Wir wollen und befördern ökologisches Wachstum.
Das bedeutet, dass wir zur Erreichung wirtschaftlicher
Ziele die Natur immer weniger in Anspruch nehmen dürfen. Wir wollen qualifiziertes Wachstum durch neue
Ideen und Innovationen. Ich betone den Begriff des qualitativen, gesunden Wachstums deshalb, weil wir der
Überzeugung sind, dass wir Wachstum nur dann sichern,
wenn wir es auch wollen. Dann müssen wir aber die Diskreditierung, Ablehnung und Infragestellung des Wachstums als Ziel - wie sie auch in unserem Land in den
70er-Jahren begonnen hat - durch die Einführung eines
Konzeptes für qualifiziertes und gesundes Wachstum
überwinden. Wir brauchen eine solche Definition von
Wachstum und einen neuen Wachstumsbegriff. Gesundes Wachstum ist unser Ziel für unser Land.
({3})
Zweite Bemerkung: Was ist unsere Strategie, um dieses Ziel zu erreichen? Genauer gesagt: Wie sichern wir
unter den Bedingungen der Globalisierung nachhaltiges
Wachstum für unser Land? Ich glaube, dass man dafür
eine Doppelstrategie braucht. Es sind zwei strategische
Ziele, die wir erreichen müssen.
Das erste Ziel lautet: Wir wollen und brauchen für unser Land die besten Wettbewerbsbedingungen. Wir wollen weiter Gewinner der Globalisierung sein. Unser
Land ist ein klassischer Gewinner der Globalisierung,
und wir wollen die Bedingungen schützen, erhalten und
fördern, damit wir weiterhin Gewinner der Globalisierung sein werden.
Das zweite strategische Ziel lautet: Teilhabe der
Schwächeren an diesem Prozess. Es ist kein Automatismus, dass alle davon profitieren, sondern es bedarf der
aktivierenden und brückenbauenden Rolle des Staates,
um die Schwächeren vom Rand in die Mitte zu bekommen.
Das ist unsere Doppelstrategie: Wir wollen Wettbewerb und die Teilhabe der Schwächeren erreichen.
({4})
In Bezug auf den ersten Punkt, den Wettbewerb, muss
die Große Koalition das fortsetzen, was sie begonnen
hat. Es gibt eben auch politische Gründe für den Wachstumsprozess, den wir haben. Wir haben eine Unternehmensteuerreform beschlossen und müssen sie durch eine
Regelung für Wagniskapital fortsetzen; der Bundeswirtschaftsminister hat es angesprochen. Wir haben mit der
Haushaltskonsolidierung begonnen. Das ist aber ein
Prozess, der nicht beendet ist. Es gibt keine Volkswirtschaft, die ohne konsolidierte Staatsfinanzen nachhaltig
erfolgreich ist. Wir haben Sozialreformen in die Wege
geleitet, und wir brauchen weitere Sozialreformen. Wir
haben die Instrumente zum Bürokratieabbau geschaffen.
Jetzt müssen wir die Bürokratie auch abbauen. Darum
sage ich für unsere Fraktion: Wir wollen in dieser Legislaturperiode das Ziel, die Bürokratie bis 2009 messbar
abzubauen, erreichen. Bei diesem Ziel muss es bleiben.
({5})
Zweitens: Teilhabe der Schwächeren. Durch die Globalisierung wurde der Automatismus, den es unter den
Bedingungen des Nationalstaates und der Nationalökonomie noch gab, dass sich nämlich volkswirtschaftliches
Wachstum im Grunde eins zu eins zu einem breiten individuellen Wohlstandswachstum transponiert, aufgelöst.
Unser Land ist Gewinner. Wir haben viele Gewinner.
Globalisierung bedeutet aber auch, dass es Verlierer
und Verluste gibt. Das müssen wir, die wir ein positives
Verhältnis dazu haben, verantwortlich ansprechen, damit
mit den Sorgen und Ängsten, die mit dem Prozess der
Globalisierung verbunden sind, kein Schindluder getrieben wird. Wir müssen denjenigen, die sich durch die
Globalisierung bedroht fühlen, eine Heimat geben; denn
am häufigsten sind es psychologische Verluste. Die Anforderung an Mobilität und Flexibilität, der Verlust von
Berechenbarkeiten, Sicherheiten und Lebensroutinen das macht den Menschen und insbesondere den Schwächeren zu schaffen. Ich finde, auch wir, die CDU/CSU,
müssen dies aussprechen, weil wir die Globalisierung
gestalten wollen. Darum muss das ein Teil unserer Strategie sein.
({6})
Ich möchte das, was Michael Glos gesagt hat, ausdrücklich betonen. Man kann vieles dazu sagen, aber
eines ist das Wichtigste und für diejenigen, die vom
Menschen und seiner Würde ausgehen, auch programmatisch: Mit dieser Strategie wird auf die Befähigung
der Einzelnen gesetzt und in das menschliche Vermögen investiert, damit die Menschen befähigt werden, mit
diesem Prozess klarzukommen. Darum ist die Erziehung
der Kleinen wichtig, und deshalb geht es bei der Betreuung nicht nur um den Aufenthaltsort der Kinder, sondern
auch um die Qualität. Vorschulische Bildung, schulische
Bildung, Qualifikation, Forschung und Wissenschaft das ist der goldene Weg für unser Land, den wir gehen
und befördern müssen.
({7})
Sie haben recht: Wir müssen nicht nur noch besser
werden, wir sind zum Teil auch schlecht, nicht gut genug, und wir genügen den Anforderungen nicht. Ich will
ein Beispiel nennen und formuliere es nicht als Vorwurf,
aber das Problem muss beschrieben werden: Nach dem,
was ich gerade gesagt habe, ist es nicht akzeptabel - ich
stehe nicht an, zu sagen, es ist skandalös -, dass jedes
Jahr nach wie vor fast jeder zehnte Jugendliche in diesem Land die Schule ohne Abschluss verlässt.
({8})
Wir dürfen das nicht hinnehmen, weil wir dadurch Außenseiter in unserer Gesellschaft programmieren. Das ist
nicht akzeptabel.
({9})
Vielleicht darf ich nach theoretischer Beschäftigung
- fast würde ich sagen: trotz praktischer Beschäftigung mit dem Föderalismus sagen: Wenn es sich erweisen
sollte, dass die Länderzuständigkeit dazu führt, dass wir
übergreifende Probleme auf diesem Gebiet nicht lösen,
dann gerät der Föderalismus in unserem Land in eine Legitimationskrise.
({10})
Für mich bedeutet die Konsequenz aber nicht die Abschaffung von Länderkompetenzen, sondern wir appellieren, dass die Länderkompetenzen zur Problemlösung
wahrgenommen werden. Die höchste Form der Wahrnehmung von Länderkompetenzen besteht nicht darin,
nach Bundesgesetzen oder Bundesgeld zu rufen. Wir
wollen auch bei der Wahrnehmung von Kompetenzen
Föderalismus.
({11})
Das gehört zur Wettbewerbsfähigkeit; die Effizienz der
Organisation des Staates ist Teil der Wettbewerbsfähigkeit unseres Staates.
Eine dritte und letzte Bemerkung, die wegen der Zeit
kürzer ausfallen muss, als ich möchte. Eine Wettbewerbsstrategie bzw. eine Wachstumsstrategie für unser
Land kann nie nur national definiert sein, sondern sie
muss eine europäische, eine internationale Dimension
haben. Nach meiner festen Überzeugung stehen wir
diesbezüglich in unserem Land, in Europa und weltweit
am Beginn einer Debatte über Wettbewerb und Protektionismus, in der sich neue Fragen stellen. Es ist auch
nur scheinbar paradox, dass die Globalisierung diese Debatte mit sich bringt, weil die Haltung vieler Menschen
zur Globalisierung ambivalent ist.
Wir freuen uns, nach Jahrzehnten der Selbstverständlichkeiten wieder eine Debatte über Wettbewerb führen
zu können. Unsere Fraktion wird diese Debatte offensiv,
positiv und engagiert führen. Wir werden in dieser Debatte nachweisen können, dass wir der Globalisierung
nicht ausgeliefert sind, sondern dass auch unter den Bedingungen der Globalisierung eine Politik der ordnenden
Gestaltung ebenso nötig wie möglich ist. Nur diejenigen,
die auf Abwehr, Aversion und Angst setzen, sind gestaltungsunfähig zulasten der Schwachen, die auf eine Politik der Gestaltung angewiesen sind.
({12})
Wir werden diese Debatte führen und nachweisen,
dass Wettbewerb nicht nur rational das bessere System
ist, sondern auch in ethischer Hinsicht begründet und
überlegen ist. Es gibt kein System, das besser und mehr
Information und Transparenz ermöglicht, Innovation
schafft und für die Kontrolle und Begrenzung von Macht
sorgt. Auch das entspricht nicht Ihren Vorstellungen und
Erfahrungen.
({13})
Wir wollen Wettbewerb, weil er auch zur Begrenzung
der wirtschaftlichen Macht beiträgt.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme zum letzten Punkt. Wettbewerb bedeutet
nicht Schutzlosigkeit. Protektionismus bedeutet etwas
anderes als Protektion. Der Staat muss Schutz gewähren.
Darin liegen - historisch wie aktuell - der Sinn und der
Grund, warum Staatlichkeit begründet worden ist. Der
Staat kann Schutz gewähren: bei der behutsamen und
differenzierten Kontrolle außereuropäischer, staatlich
gelenkter Direktinvestitionen und beim Schutz des
Rechts auf geistiges Eigentum. Auch in vielen anderen
Fällen hat der Staat in Zeiten der Globalisierung eine aktuelle und vielleicht noch stärkere Schutzfunktion als
früher. Das ist die Herausforderung. Es geht nicht darum, die Globalisierung abzuwehren, sondern darum, in
dem Willen, sie bewältigen und gewinnen zu können,
die Chancen zu nutzen, sie menschlich zu gestalten.
Danke.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribüne hat soeben der Parlamentspräsident der Republik Namibia, Herr Dr. Gurirab, mit seiner Delegation
Platz genommen. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, von denen Sie einigen schon im Laufe Ihres Besuches begegnet sind, begrüße ich Sie sehr herzlich.
({0})
Herr Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie und
Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch in Deutschland zu Gast zu haben. Seit der Unabhängigkeit Ihres
Landes 1990 haben sich freundschaftliche und umfassende Beziehungen zwischen unseren Ländern entwickelt. Dazu haben sicherlich auch die beiden Namibiaentschließungen des Deutschen Bundestags aus den
Jahren 1989 und 2004 beigetragen. Ich habe Ihnen gestern in unserem Gespräch bereits versichert, dass der
Bundestag der Zusammenarbeit unserer Parlamente
große Bedeutung beimisst. Für Ihren Aufenthalt und Ihr
Präsident Dr. Norbert Lammert
weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere
besten Wünsche.
Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der
Kollege Fritz Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Röttgen, Sie haben eine, wie ich finde, erfreulich programmatische Rede gehalten. Insbesondere
freut uns übrigens, dass Sie sich langsam dem Begriff
des qualitativen Wachstums nähern.
({0})
Ich bin gespannt, ob Sie dem Anspruch, den Sie formuliert haben, auch in Bezug auf das Verhältnis von Ökologie und Ökonomie tatsächlich genügen werden.
({1})
Erlauben Sie mir aber eine Feststellung, Herr
Röttgen: Mit den großen Zügen, die die Bundesregierung - insbesondere der Wirtschaftsminister über dessen
Regierungserklärung wir heute diskutieren - macht, haben Ihre Ausführungen nicht viel zu tun.
({2})
Das werde ich jetzt im Einzelnen aufzeigen. Wir haben
uns gewundert, was uns Herr Glos präsentiert hat.
({3})
Das Ganze steht unter der Überschrift „Goldener Schnitt
2012“. Er hat aber nicht näher ausgeführt, was er eigentlich damit meint. Laut Werbebroschüre handelt es sich
dabei um ein Programm, das bis zum Jahr 2012 keine
neuen Schulden, massive Steuer- und Abgabensenkungen sowie Investitionen in Höhe von 70 Milliarden Euro
vorsieht. Das ist das Vorhaben des Wirtschaftsministeriums. Die zugrunde liegenden Annahmen sind ein jährliches Wachstum von 3 Prozent
({4})
und ein Ausgabenwachstum von 2 Prozent innerhalb der
nächsten fünf Jahre. Im nächsten Jahr werden schon
4,9 Prozent erreicht. Das heißt, der Fünfjahresplan ist - so
ist es nun einmal mit Fünfjahresplänen, Herr Glos; da hätten Sie sich bei Herrn Gysi erkundigen können - schon im
ersten Jahr Makulatur, da Sie ihn im Rahmen der Haushaltsaufstellung durch den Bundesfinanzminister nicht
durchhalten.
({5})
Die Menschen sollten einmal Ihre Broschüre lesen.
Dort stehen so schöne Sätze wie folgender: „Staat und
Wirtschaft befinden sich zurzeit in einem Tugendkreislauf.“ Wer das nicht versteht, erfährt, dass das auf Lateinisch „Circulus virtuosus“ heißt. Solche Geschichten erzählt uns dieser Wirtschaftsminister.
({6})
Ich kann im Namen meiner Fraktion dazu nur sagen: Sie
als oberster Tugendbold dieses Tugendkreislaufs, Herr
Wirtschaftsminister, das ist schon ein starkes Stück, das
im Parlament - zu Recht - nur auf Gelächter stoßen
kann.
({7})
Herr Glos, uns ärgert, dass Sie kein Konzept zur Verstetigung des Wachstums vorlegen, das vorausschauend
Bedingungen festlegt, die sicherstellen, dass wir in der
nächsten Konjunkturkrise besser dastehen als in der Vergangenheit. Sie schlagen keine strukturellen Änderungen
vor. Wenn Sie etwas Neues machen wie bei der Kinderbetreuung, dann finanzieren Sie das mit Steuermehreinnahmen aus dem gestiegenen Wachstum, aber nicht
durch den Abbau bestehender Strukturen wie beim Ehegattensplitting, um den Haushalt strukturell zu konsolidieren.
({8})
Was wird denn aus Ihren Programmen, wenn die Konjunktur wieder einbricht? Dann werden die Mittel für Investitionen, Bildung und Kinderbetreuung wieder gestrichen werden müssen. Herr Röttgen, deswegen handelt es
sich um keine nachhaltige Politik - Sie sehen lediglich
zu, dass Sie mit dem zusätzlichen Geld aus dem Wirtschaftsboom schöne Tage verbringen -, sondern um eine
Politik, die nicht auf eine strukturelle Konsolidierung
abzielt.
({9})
Frau Bundeskanzlerin, es wäre notwendig, in einer
Aufschwungphase - dann ist es leichter - die Sozialsysteme in Ordnung zu bringen und weiter zu reformieren,
das heißt, mehr Qualität aus den vorhandenen Mitteln
und unter Beachtung der Lebenschancen künftiger Generationen - auch das bedeutet qualitatives Wachstum herauszuholen. Aber wo sind die großen Reformen? Die
Gesundheitsreform ist Murks. Das haben Sie inzwischen
selber eingesehen. Bei der Pflegeversicherung haben Sie
keine Reform der Struktur, sondern eine Beitragssteigerung beschlossen. Auf Arbeitsmarktreformen, die vor allem die Chancen der Langzeitarbeitslosen, wieder einen
Einstieg zu finden, verbessern, warten wir noch immer.
Und welch ein Theater führen Sie beim Einwanderungsgesetz auf? Herr Glos und Frau Schavan sagen nun, man
müsse Gutqualifizierten die Einwanderung erleichtern.
Aber, Herr Glos, bei der Verschärfung des Einwanderungsgesetzes haben Sie den Mund nicht aufgemacht.
Sie sind damals in die Furche gegangen und haben nichts
in dem Sinn bewegt, wie Sie es aufgeschrieben oder
heute wortreich verkündet haben.
({10})
Was Sie machen, ist zu wenig. Sie wollen zwar den
Aufschwung verlängern, führen aber keine Strukturreformen durch. Soll man diese Reformen während der
nächsten Konjunkturdelle machen, wenn es viel schwieriger ist? Hier vergibt die Große Koalition Chancen.
({11})
Herr Glos, nun komme ich zu dem Punkt, den ich in
Ihrer Politik für völlig unverständlich halte. Sie sind in
der Bundesregierung und der EU der oberste Bremser,
wenn es um ökologische Modernisierung geht, und
zwar auf allen Feldern. Für den Gebäudepass haben Sie
fast zwei Jahre gebraucht. Sie haben ihn so gemacht,
dass er nicht das bringt, was er hätte bringen können.
Frau Bundeskanzlerin, nun wird es wichtig, gerade im
Hinblick auf die Diskussionen auf dem Energiegipfel:
Herr Glos hat noch nicht einmal die Blaupause für ein
Energieeffizienzprogramm in der Schublade, das er bis
Ende Juni bei der EU vorlegen sollte. Er hat gepennt. Er
will gar nicht mehr Energieeffizienz. Das ist jedenfalls
unser Eindruck.
({12})
Ein Gesetz zur regenerativen Wärme? Keine Spur!
Ein Gesetz zur Verbesserung der Kraft-Wärme-Kopplung? Keine Spur! Wer steht mit beiden Beinen auf der
Bremse, wenn es um die für einen effektiven Klimaschutz notwendige Festlegung von Verbrauchsobergrenzen für Fahrzeuge geht? Michel Glos, der Chefinnovator
Deutschlands, was ökologisches Bremsen angeht. Den
Titel haben Sie sich zu Recht verdient.
({13})
Das ist auch kein Wunder: Sie sind gegen Energieeffizienz, weil Sie der Sprecher der großen Energiekonzerne
und insbesondere der Konzerne, die die Laufzeit der
Atomkraftwerke verlängern wollen, im Wirtschaftsministerium sind. Uns erzählen Sie immer etwas von der
tollen, verlässlichen Atomkraft. Schauen Sie einmal auf
das Kraftwerk Krümmel. Was hat man uns vor wenigen
Tagen erzählt? Der Vorfall habe sich nur außerhalb des
Reaktors ereignet. Gestern haben wir erfahren, dass es
zum Druckabfall im Reaktordruckbehälter kam. Dies
wurde noch verschwiegen. Ich würde der Bundesregierung - das geht auch an den Umweltminister - den Rat
geben, einmal die Verlässlichkeit des Betreibers
Vattenfall für Atomkraftwerke nach dem Atomgesetz zu
prüfen und nicht dauernd auf der Bremse zu stehen,
wenn es um neue Fragestellungen geht.
({14})
Ich komme zur Energieeffizienz. Frau Merkel, Sie
haben einen Wirtschaftsminister, der am 24. November 2004, also vor nicht allzu langer Zeit, in diesem
Haus gesagt hat - ich zitiere -:
Mit dem so genannten EEG und Ähnlichem sind im
Grunde Steuern für Spinnereien verbunden, die Ihrer Ideologie entsprechen, die aber an der wirtschaftlichen Wirklichkeit der Welt ein ganzes Stück
vorbeigehen.
Wir haben fast 300 000 neue Arbeitsplätze im Bereich
der erneuerbaren Energien geschaffen.
({15})
Im Rahmen der Effizienzstrategie der Bundeskanzlerin
und der Energieszenarien soll diese Branche weiter
wachsen. Aber der Chefbremser sitzt im Wirtschaftsministerium
({16})
und soll dies jetzt, wie ich gelesen habe, bis Sommer zusammen mit dem Umweltminister ausarbeiten. Frau
Kanzlerin, da haben Sie wirklich den Bock zum Gärtner
gemacht. Herr Glos will gar nicht, dass diese Branche
wächst. Er hält das für Spinnerei. Dazu hätten Sie, Herr
Glos, in Ihrem „goldenen Schnitt“ etwas sagen sollen,
anstatt über Tugend zu philosophieren, wofür Sie meines
Erachtens wahrhaft der Ungeeignetste sind, den die Bundesregierung aufzubieten hat.
({17})
Eine Story war, dass Sie, Herr Glos, uns erzählt haben, Sie seien der oberste Wettbewerbshüter im Sinne
der sozialen Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard. Wir
haben uns einmal angesehen, was Sie, Herr Glos, tatsächlich geleistet haben. Beim Telekommunikationsgesetz haben Sie Ihr ursprüngliches Vorhaben aufgegeben.
Jetzt klagt die EU, damit das, was Sie beschlossen haben, nicht stattfinden kann. In Sachen Bahn haben Sie,
Herr Glos, sich monatelang in den Medien als Wettbewerbshüter dargestellt, aber jetzt sind Sie eingeknickt.
Wenn dem großen Veranstalter Bahn für 18 Jahre das
Netz überlassen werden soll, dann frage ich mich, wo
der Wettbewerbshüter Michel Glos war, als es darum
ging, das Netz, das ich als öffentliches Gut betrachte,
wirklich allen zur Verfügung zu stellen - wieder in der
Furche.
({18})
Jetzt komme ich zu Ihrer Arbeitsweise. Sie machen
einige Monate ein bisschen Wind, schauen, dass Sie ein
bestimmtes Image bekommen, und wenn es hier im
Hause, in der Bundesregierung oder in der EU zum
Schwur kommt, dann geht Michel Glos als Erster in die
Furche und weiß nicht mehr, wovon er geredet hat. Wettbewerbshüter sind Sie mit dieser Politik nicht.
Ich bringe ein weiteres Beispiel.
({19})
Als Wirtschaftsminister sind Sie dafür verantwortlich,
ob die Doharunde - die WTO-Verhandlungen - erfolgreich wird oder nicht. Die Verhandlungen sind jetzt gescheitert. Einer der wesentlichen Gründe dafür war, dass
die Europäer und die Amerikaner nicht in der Lage waren, von der Subventionierung ihrer Agrarexporte abzusehen und so den Entwicklungsländern eine neue
Chance auf dem Weltmarkt zu geben. Wo war der Vorschlag des Wettbewerbshüters Michel Glos an dieser
Stelle? Er hat keinen einzigen gemacht, um die Doharunde flottzumachen.
({20})
Er hat sich hinter den Subventionen für die bayerischen
Großbauern versteckt, aber Wettbewerb hat es nicht
gebracht, was Sie gemacht haben. Sie haben völlig dabei
versagt, einen positiven deutschen Beitrag zur Doharunde zu leisten. Deswegen, so finde ich, haben Ludwig
Erhard, Walter Eucken, Müller-Armack, die Sie als Ihre
Ahnen reklamiert haben, in Ihnen jedenfalls bislang keinen positiven Nachfahren gefunden.
({21})
Der „goldene Schnitt“, den Sie hier vorgelegt haben,
Herr Glos - damit komme ich zum Schluss -,
({22})
ist ein ziemlich großer Mist. Es ist Lyrik, eine Sammlung von Zahlen und Sachen, die sich nicht bestätigt haben. Deswegen haben übrigens der Finanzminister und
die Bundeskanzlerin gesagt, dass sie Ihre Zahlen, nämlich 70 Milliarden Euro zu investieren, die Steuern zu
senken, die Sozialabgaben zu senken und erst 2012 zu
konsolidieren, nicht nachvollziehen können. Sie sind mit
diesem Programm eigentlich auch in der Bundesregierung vollständig auf die Nase gefallen - ich finde, zu
Recht.
({23})
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Dr. Rainer Wend.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten
Sie mir, zunächst auf drei meiner Vorredner einzugehen.
Das ist in einer Debatte ja auch sinnvoll.
Herr Kollege Brüderle, Sie haben zu Beginn der Aussprache gesagt, der Aufschwung sei nicht der Politik zu
verdanken, sondern den Bürgerinnen und Bürgern. Es ist
widersprüchlich, in Zeiten des konjunkturellen Abschwungs die Fehler und Ursachen ausschließlich bei
der Politik zu suchen und in Zeiten des konjunkturellen
Aufschwungs zu behaupten, die Politik habe damit überhaupt nichts zu tun. Was haben Sie, Herr Kollege
Brüderle, eigentlich für ein Demokratieverständnis?
Die demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind die Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürger. Sie sind nichts Fremdes, sie sind kein
Neutrum, sondern die Vertretung der Bürgerinnen und
Bürger. Einen Gegensatz zwischen Bürgern und Politik
zu konstruieren, ist in Wahrheit demokratieschädlich und
falsch, Kollege Brüderle. Dieser Versuch muss deutlich
zurückgewiesen werden.
({0})
Ich möchte gern einige Worte zum Kollegen Gysi sagen. Er hat hier eine Rede gehalten, durch die mir wieder
sehr deutlich geworden ist, warum uns, die Linkspartei
und die Sozialdemokratie, eigentlich Welten trennen.
Erstens. Sie haben gesagt - ich verstehe das, weil es
aus parteitaktischen Gründen geschehen ist -, dieser
Aufschwung sei nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern
angekommen. Meine Erwiderung ist ganz einfach: Wenn
heute 1 Million Menschen mehr in Arbeit sind als vor einem Jahr, dann ist bei diesen Menschen der Aufschwung
angekommen. Der Aufschwung ist nicht nur bei ihnen
angekommen, sondern auch bei denen, die in Arbeit sind
und ein Stück weit weniger Angst um ihren Arbeitsplatz
als früher haben müssen. Ich wiederhole: Auch bei denen ist der Aufschwung angekommen, Kollege Gysi.
({1})
Zweitens. Sie haben sich mit der - dieser Punkt ist
fast noch wichtiger - Veränderung der Rentenformel in
der rot-grünen Koalition auseinandergesetzt. Wer den
Bürgerinnen und Bürgern angesichts der Globalisierung
und der demografischen Entwicklung - ein sich immer
rascher wandelnder Arbeitsmarkt, Variabilität von Investitionen; durch einen Knopfdruck können auf der ganzen
Welt innerhalb von Sekunden Milliardenbeträge verschoben werden; wir leben zum Glück immer länger und
können immer länger Rente in Anspruch nehmen; es
wachsen immer weniger junge Leute nach, die in die
Rentenversicherung einzahlen - verspricht, es könne alles so bleiben, wie es gewesen sei, versündigt sich an
den Menschen. Das Gegenteil ist richtig.
({2})
Wer jetzt keine Reformen der sozialen Sicherungssysteme in Angriff nimmt und darauf verzichtet, eine entsprechende Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben,
wird den Wohlstand für künftige Generationen in Wahrheit verspielen. Weil wir das nicht wollen, glauben wir,
dass die Linkspartei in unserer Republik nicht koalitionsfähig ist.
({3})
Kollege Röttgen, zu Ihrer bemerkenswerten Rede eines aufgeklärten Konservativen: Ich würde mich freuen,
wenn es Ihnen gelänge, mit dieser Positionierung auch
die Kolleginnen und Kollegen in Bayern und BadenWürttemberg zu erreichen. Ich finde, Sie haben mit Ihrem Ansatz völlig recht: Wirtschaftspolitik ist auch
Geldpolitik, ist auch Investitionspolitik, ist auch Haushaltskonsolidierung.
Wirtschaftspolitik ist aber immer auch Gesellschaftspolitik. Was heißt das konkret? Die Wirtschaft kann nur
erfolgreich sein, wenn Bildung erfolgreich vermittelt
wird. Damit meine ich nicht nur - das haben Sie zu
Recht angesprochen - die Bildung im oberen Qualifikationsbereich. Bildung heißt auch, dass die Kinder in unserer Gesellschaft, die in benachteiligten Familien leben,
eine Chance auf Bildung und Ausbildung bekommen,
damit es aufhört, dass in unserer Gesellschaft nur die
studieren können, deren Eltern ihrerseits auch schon studiert haben. Wir wollen, dass sich das ändert. Das muss
man dann konkret machen. Das bedeutet zum Beispiel
Ganztagsschulen, Ganztagsbetreuung und GanztagsDr. Rainer Wend
kindergärten. Deswegen ist es richtig, was die Große
Koalition in diesem Bereich beschlossen hat. Das heißt
aber auch, dass man Kinder nicht schon mit zehn Jahren
selektiert und ihnen sagt: Die einen sind nur gut für die
Hauptschule, und die anderen sind gut für das Gymnasium. - Wir wollen, dass sie zusammen länger erzogen
und individuell besser gefördert werden.
({4})
Wirtschaftspolitik heißt auch, sich die Frage zu stellen, welche menschlichen Ressourcen wir nicht ausreichend ausschöpfen. Hier frage ich: Tun wir eigentlich alles, um den Frauen in unserer Gesellschaft, in der
Wirtschaft die Stellung zu geben, die ihnen zusteht? Wir
leisten es uns, qualifizierte Frauen mit Hochschulabschlüssen, mit guten Ausbildungen im Arbeitsmarkt außen vor zu lassen. Deswegen hat die Koalition recht,
wenn sie die Betreuung von Kindern um der Kinder und
der Mütter willen verbessert, damit sie in unserer Gesellschaft und in unserer Wirtschaft den ihnen zustehenden
Platz gewinnen.
({5})
Wenn das richtig ist, dann frage ich, wie es damit vereinbar ist, einen finanziellen Anreiz dafür zu setzen, dass
die Mütter zu Hause bleiben, anstatt ihre Qualifikationen
in Arbeit zu nutzen. Deswegen, meine ich, ist der Ansatz
der Betreuungsprämie gesellschafts- und wirtschaftspolitisch falsch.
({6})
Wirtschaftspolitik ist Gesellschaftspolitik, aber auch
Umweltpolitik. Denn wie können wir uns angesichts der
Klimakatastrophe eine wirtschaftliche Entwicklung vorstellen, ohne alle Potenziale für Energieeinsparung und
alternative Energien zu nutzen? Ein „Weiter so“ in der
Energiepolitik ist nicht nur klimaschädlich, sondern
auch wirtschaftspolitisch schädlich. Wir brauchen den
ganzheitlichen Ansatz in der Wirtschaftspolitik.
({7})
Meine Damen und Herren, mit den Beispielen versuchte ich, deutlich zu machen, dass der Ansatz des Kollegen Röttgen richtig ist: Wirtschaftspolitik ist auch Gesellschaftspolitik. Dann müssen wir es in dieser Großen
Koalition aber auch bis zum Ende durchdeklinieren und
uns auf den harten Weg machen, diesen richtigen Aussagen die praktische Politik folgen zu lassen. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit, Kollege Röttgen.
({8})
Ich gehe nun auf das Papier von Herrn Glos ein. Wie
geht es jetzt weiter? Die Ökonomen haben recht: In Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs kann man die
größten Fehler machen. Der größte Fehler wäre jetzt, das
Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauszuwerfen.
Deswegen ist der Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers genau der, den wir in dieser Situation brauchen. In Zeiten des Aufschwungs müssen wir die strukturellen Mehreinnahmen für Investitionen nutzen.
Konjunkturelle Mehreinnahmen müssen wir aber für die
Konsolidierung des Haushaltes einsetzen, damit wir in
anderen Zeiten, die zwangsläufig kommen werden, den
Spielraum haben, antizyklische Politik zu machen und
Investitionen in unserem Land zu fördern.
({9})
Denn bei den Investitionen gibt es Nachholbedarf.
({10})
Die Investitionsquote in Deutschland ist derzeit mit
1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nur halb so hoch
wie der EU-Durchschnitt. Das kann auf Dauer nicht so
bleiben. Dies gilt übrigens auch für die Bildungsinvestitionen. Deutschland investiert 4 Prozent des BIP in das
Bildungswesen. 8,3 Prozent investieren beispielsweise
die Dänen. Das ist vorbildlich. Deswegen sage ich Ihnen
als Sozialdemokrat: Haushaltskonsolidierung in guten
Zeiten, aber auch in schlechten Zeiten. Investieren in Infrastruktur und in Bildung ist die Voraussetzung dafür,
dass wir die konjunkturellen Zyklen, die es in unserer
Gesellschaft immer geben wird, möglichst gut im Griff
behalten.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines ansprechen: Arbeitnehmerbeteiligung. Dabei ist sich die Koalition im Ziel einig. Über die Methoden diskutieren wir
noch. Sie sagen: Wer im eigenen Betrieb investiert, bekommt steuerliche Vorteile; die sollen ihn dazu anreizen.
Ich finde, Ihr Vorschlag hat einen großen Vorteil, nämlich die Förderung der Identifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihrem eigenen Betrieb.
Das ist das Gute an diesem Modell.
Dieses Modell hat aber drei Probleme. Problem Nr. 1:
die Portabilität; auf Deutsch: Wie wird es geregelt, wenn
ein Arbeitnehmer den Betrieb verlässt? Problem Nr. 2:
das doppelte Risiko von Arbeitsplatzverlust und Kapitalverlust. Das dritte Problem schließlich: Ihr Modell ist
verdammt teuer, weil viele Steuervorteile damit verbunden sind. Es belastet den Haushalt mit mindestens
1 Milliarde Euro. Wenn das Modell gut angenommen
würde, kostete es sogar noch viel mehr.
Angesichts dieser drei Probleme muss ich sagen: Das
Modell, das wir vorgeschlagen haben, das auf den ersten
Blick nicht so perfekt erscheint, sichert vor Insolvenz, es
hilft den Arbeitnehmern bei einem Betriebswechsel, und
am Ende ist es für den Haushalt, den wir ja konsolidieren
wollen, verträglicher.
Die Große Koalition streitet viel. Das muss auch so
sein, weil wir für die nächsten Wahlen Konkurrenten
bleiben. Wir bekommen zusammen aber auch viel hin,
und darauf können wir gemeinsam stolz sein.
({11})
Nun erhält voraussichtlich zum letzten Mal in diesem
Hause der Kollege Dr. Reinhard Göhner, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
So ist es. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Wend, Sie haben recht: Wir sind uns im
Ziel der Mitarbeiterkapitalbeteiligung einig. Ich finde,
auch Sie haben einen bemerkenswerten Vorschlag vorgelegt - darüber kann man reden -: Arbeitnehmersparzulage erhöhen, einen neuen Investmentfonds schaffen.
Das Problem ist nur, dass das nichts mit Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu tun hat.
({0})
Wir wollen tatsächlich die Beteiligung am eigenen
Unternehmen fördern und so die Motivation erhöhen,
die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem eigenen
Unternehmen und die Beteiligung am Gewinn des eigenen Unternehmens ermöglichen. Wer am Gewinn beteiligt sein will, muss allerdings das Risiko des Verlusts
hinnehmen.
({1})
Ich bin sicher: Wir werden bei gleicher Zielsetzung
- stärkere Mitarbeiterkapitalbeteiligung - auch in dieser
Frage eine Lösung finden.
Diese Debatte wird von zwei Fragen durchzogen:
Wem nutzt dieser Aufschwung? Was ist eigentlich die
Ursache für diesen Aufschwung? Beides sind wichtige
Fragen, weil sich daraus Konsequenzen für die künftige
Politik ableiten lassen.
Mal ehrlich: Wer vor 20 Monaten bei Antritt dieser
Regierung prognostiziert hätte „1 Million weniger Arbeitslose, 600 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtig Beschäftigte,“ - so viele waren es allein in den letzten 12 Monaten - „Senkung des Staatsdefizits von
3,7 auf 1,7 Prozent, doppelt so viele offene Stellen,
100 000 mehr angebotene Ausbildungsplätze“, den hätte
ich für unzurechnungsfähig erklärt.
Warum ist es trotzdem so gekommen? Das ist in der
Tat - darüber sind wir uns völlig einig - nicht allein das
Werk der Regierung. Der Welthandel? Jawohl, das ist
eine wesentliche Ursache. Aber der Welthandel ist auch
von 2001 bis 2005 expandiert,
({2})
als wir in einem Wechsel von Rezession und Stagnation
in unserem Land zugesehen haben, wie andere Länder
hohe Wachstumsraten erreichten und wir in der EU auf
die hinteren Plätze zurückgefallen sind.
({3})
Was also ist eigentlich passiert, dass wir jetzt wieder
eine solide Wachstumsentwicklung haben?
Seit Ludwig Erhard wissen wir: Die Hälfte einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ist Psychologie.
({4})
Der Dreiklang von Sanieren, Reformieren und Investieren war die richtige Stimmungslage, mit der eine neue
Verlässlichkeit und Nüchternheit in die Politik eingezogen sind. Das ist für Marktbeteiligte in einer sozialen
Marktwirtschaft ein Signal, auf dem sich Investitionen
und bessere Zukunftsaussichten aufbauen lassen.
Nachdem hier eine kritische Bemerkung zum Verhältnis von Angebots- und Nachfragepolitik gemacht
wurde, Herr Stiegler, möchte ich doch auf Folgendes
hinweisen: Wenn die klassische Nachfragetheorie, also
die neosozialistische Theorie der Linken zuträfe, müssten wir jetzt Rezession und explodierende Arbeitslosenzahlen haben. Was ist nämlich passiert? Die Löhne sind
in den letzten Jahren - das ist wahr - nur mäßig gestiegen, die Lohnstückkosten sind drei Jahre in Folge gesunken, die Staatsquote und das Staatsdefizit sind gesunken,
die Neuverschuldung wurde halbiert, die Notenbankzinsen steigen. All das sind Umstände, die nach der klassischen Nachfragetheorie eigentlich zu Rezession und
explodierenden Arbeitslosenzahlen führen müssten.
Diese Theorie ist durch die Fakten widerlegt.
Es ist wichtig, daran zu erinnern, was die Politik zum
Aufschwung beigetragen hat, weil wir diese Politik jetzt
fortsetzen müssen. Die Neigung, angesichts voller Kassen und höherer Beschäftigungsquote, also in einem
Aufschwung, wieder andere Pfade einzuschlagen, ist leider nicht zu übersehen.
({5})
Deshalb möchte ich einige Punkte beleuchten.
Erstens. Die moderaten Lohnabschlüsse haben zu
diesem wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen. Das
ist, wie ich glaube, unstreitig; alle Ökonomen sagen das.
In der Konsequenz mögen uns die Politik der Tarifpartner und die Tarifvertragsabschlüsse manchmal nicht gefallen: Den einen sind sie zu hoch, den anderen zu niedrig; den einen sind sie nicht flexibel genug, den anderen
zu locker. Einen Schluss können wir aber aus der Entwicklung der letzten Jahre ziehen: Die Tarif- und Betriebspartner können das allemal besser, als wir Politiker
bzw. der Staat es jemals könnten.
({6})
Zweitens. Zu der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt haben die Arbeitsmarktgesetze der letzten
Jahre ganz sicher beigetragen.
Es ist wahr - damit komme ich zu der Frage, wie es
sich mit dem Nutzen dieser Reformen verhält -: Wir haben in den Vorjahren vielen Menschen viel zugemutet.
Die Arbeitsmarktreformen erschienen zumindest vielen
als Zumutung, zum Beispiel weil wir die Bezugsdauer
für Arbeitslosengeld gekürzt haben. Die Tarifpolitik erschien zumindest vielen als Zumutung, weil es für viele
keine Steigerung des Realeinkommens gab und manche
für das gleiche Geld länger arbeiten mussten. Aber jetzt
stellt sich heraus: Solche Zumutungen bringen Ertrag,
und zwar - das ist meine These bezüglich der Frage,
wem der Aufschwung nutzt - Ertrag für die Schwächsten in unserem Lande, die Arbeitslosen und die Älteren,
deren Beschäftigungsquote in Deutschland jahrelang
sehr niedrig lag. Erfreulicherweise steigt die ErwerbsDr. Reinhard Göhner
quote der älteren Beschäftigten rasant an, und wir haben
350 000 Langzeitarbeitslose weniger.
({7})
Also die schwächste Gruppe, das heißt die Arbeitslosen,
die am schwierigsten einen Arbeitsplatz finden, profitiert. Deshalb kann man ganz eindeutig sagen, die Arbeitsmarktreformen zeigen im jetzigen Aufschwung
positive Auswirkungen gerade bei den Schwächsten in
unserem Lande.
({8})
Das sollte uns ermutigen, den bisherigen arbeitsmarktpolitischen Kurs fortzusetzen, statt in alte Fehler zurückzufallen.
Zu diesem Kurs gehört auch - das hat sich die Große
Koalition von Anfang an klar vorgenommen - die Reduzierung der Abgabenlast. Das Konzept, das Michael
Glos vorgelegt hat, vollzieht hier wirklich einen Goldenen Schnitt und ist damit goldrichtig. Es bleibt richtig,
neben dem Abbau des Defizits als Priorität Nummer eins
und neben der Verstärkung der Investitionen durch Umschichtung die Abgabenlast, also die Lohnnebenkosten
und die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, zu
senken, um Beschäftigung durch Wachstum, wie
Norbert Röttgen richtig abgeleitet hat, zu fördern.
Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,2 Prozent war ein solcher Beitrag zu
mehr Wachstum und Beschäftigung.
({9})
Heute wird die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg
eine mittelfristige Finanzplanung vorlegen, aus der zu
ersehen ist, wie realistisch und nachhaltig, also für mehrere Jahre gesichert, bei gleichzeitigem Aufbau einer allgemeinen Liquiditätsrücklage und einer Rücklage für
Pensionen bzw. einer Vorsorge für künftige Rentenlasten
eine Beitragssenkung um einen vollen Prozentpunkt ist.
Wir können nicht nur auf 3,5 Prozent, sondern sogar
weiter absenken; da bin ich ganz zuversichtlich. Um es
klar zu sagen: Die durch zuviel gezahlte Beiträge entstandenen Überschüsse gehören niemand anderem als
den Beitragszahlern.
({10})
- Herr Stiegler, wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode gemeinsam einen wichtigen Grundsatz festgelegt. Wir wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, versicherungsfremde Leistungen in
Nürnberg durch Steuern finanzieren und dafür 1 Prozent
Mehrwertsteuer in die Kasse geben.
({11})
- Das haben wir in der Tat getan.
Das Gegenteil dieser richtigen Strategie wäre, Beiträge aus der Kasse in Nürnberg in den Bundeshaushalt
umzulenken ({12})
und das auch noch mit der Begründung, eindeutig versicherungsfremde Leistungen durch lohnbezogene Beiträge finanzieren zu wollen.
({13})
Die Erfindung eines Eingliederungsbetrages wäre völlig konträr zu den von uns in der Koalition gemeinsam
formulierten Zielen. Hartz IV ist keine Versicherungsleistung, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
der Grundsicherung. Und Eingliederungsleistungen, die
ja auch für erwerbsfähige Arbeitslose erbracht werden,
die noch nie einen Cent in die Arbeitslosenversicherung
eingezahlt haben, sind so versicherungsfremd, wie es gar
nicht mehr versicherungsfremder sein kann.
Ich plädiere dafür, an der Zielsetzung der Großen
Koalition festzuhalten, die extrem hohen Sozialabgaben
zu senken und zumindest die versicherungsfremden
Leistungen durch Steuern zu finanzieren.
({14})
Das ist der beschlossene Weg in der Krankenversicherung.
({15})
Das war zu Beginn der Koalition unser Weg in der Arbeitslosenversicherung.
Wir sollten jetzt nicht das Gegenteil machen. Wir
sollten die Strategie des Bundeswirtschaftsministers
konsequent umsetzen:
({16})
weiteren Defizitabbau; Investitionen durch Umschichtungen fördern, vor allen Dingen für Forschung und Entwicklung; Abgaben senken; die Sozialversicherung
möglichst weit gehend vom Arbeitsverhältnis entkoppeln und danach Steuersenkungen vornehmen. Das sind
die richtigen Prioritäten.
Diese Strategie ist mit realistischen Zahlen unterfüttert. Bei der Kalkulation wurde ein Wachstum von
1,75 Prozent zugrunde gelegt. Ich habe bis heute niemanden gehört, der diese Rechnung in Zweifel gezogen
hat.
Deshalb glaube ich, dass dies die Strategie ist, die uns
nicht nur mittelfristig weiter auf Wachstum und Beschäftigung hoffen lässt, sondern auch dazu beitragen kann,
dass wir mit der richtigen Psychologie einer verlässlichen, geradlinigen und konsequenten Politik ohne Zickzackkurs auch weiterhin die Marktbeteiligten zu Investitionen, aber auch zu Konsum ermuntern können, um
damit zu mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem
Lande zu kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Schlussbemerkung lautet: Hier macht niemand in wirtschaftspolitischer Wachstumseuphorie. Wir haben wieder Wachstum.
Wir liegen aber unter dem Durchschnitt der Europäischen Union.
({17})
Wir liegen gerade einmal im Durchschnitt des Euroraums. Ich bin ganz sicher: Deutschland kann mehr. Wir
können wieder Lokomotive in der EU werden,
({18})
wenn wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen.
Vielen Dank.
({19})
Lieber Kollege Göhner, da ich in Kenntnis Ihres und
meines Terminkalenders für den heutigen Vormittag davon ausgehe, dass auf diese gerade vorgetragene Rede in
knapper weiterer Frist die Niederlegung Ihres Mandats
folgt, will ich diese Gelegenheit nutzen, Ihnen für eine
außergewöhnlich langjährige Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag und die hier geleistete Arbeit - auch im
Namen der Kolleginnen und Kollegen - ganz herzlich zu
danken.
Ich verbinde das mit dem ausdrücklichen Wunsch und
der Erwartung, dass Sie der Politik ganz gewiss nicht
verloren gehen und an anderer Stelle weiter eifrig daran
mitwirken, dass sich die Hoffnung erfüllt, die Sie am
Schluss formuliert haben: dass dieses Land noch mehr
leisten kann, als es gegenwärtig leistet. Herzlichen Dank
und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!
({0})
Nun erhält die Kollegin Andrea Wicklein für die
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Fakten belegen es: Der wirtschaftliche
Aufschwung ist da - nicht nur im Westen, sondern auch
im Osten unseres Landes -, auch wenn das einige
Leute hier nicht wahrhaben wollen.
({0})
Das Wirtschaftswachstum liegt in den ostdeutschen
Ländern bei rund 3 Prozent und damit über dem gesamtdeutschen Durchschnitt. 200 000 Arbeitslose haben seit
dem vergangenen Jahr wieder eine feste Beschäftigung
im Osten gefunden. Die Kurzzeitarbeitslosigkeit, Herr
Gysi, ist um 20 Prozent und die Langzeitarbeitslosigkeit
ist um 8 Prozent zurückgegangen. Das kann uns noch
nicht zufriedenstellen. Aber das ist viel mehr als nichts.
({1})
Das verarbeitende Gewerbe konnte sogar um
11,6 Prozent zulegen. Die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind voll. In der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie wächst die Zahl der neuen Arbeitsplätze
überproportional. Laut Gesamtmetall ist im Osten die
Zahl der Arbeitslosen innerhalb der vergangenen zwölf
Monate sogar um 32 Prozent zurückgegangen. Die Zahl
der offenen Stellen nahm um 85 Prozent zu. Der Export
entwickelt sich weiter positiv. In wichtigen Wachstumsbranchen legt der Osten deutlich zu, zum Beispiel im
Bereich der erneuerbaren Energien. Ostdeutschland hat
sich zum weltweit führenden Standort der Solarbranche
entwickelt.
({2})
Frankfurt an der Order oder Freiberg in Sachsen sind
beste Beispiele dafür. Es geht vorwärts in Ostdeutschland.
Die gemeinsamen Anstrengungen der letzten Jahre
für den Aufbau Ost zahlen sich aus. Dieser Trend ist ermutigend. Aber die Arbeitslosenquote ist im Osten im
Durchschnitt nach wie vor doppelt so hoch wie im Westen. Hier gibt es also noch viel zu tun.
Es ist aber wichtig, das Positive, das sich im Osten
Deutschlands entwickelt hat, noch besser zu vermarkten.
Ostdeutschland ist ein attraktiver Standort. Investoren
schätzen nicht nur die guten Förderbedingungen und die
moderne Infrastruktur, sondern auch die gut qualifizierten Facharbeiter, die hohe Flexibilität und die gute Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind
beste Voraussetzungen für Investitionen.
Die Standortwerbung für die neuen Länder hat sich
bereits ausgezahlt. Die Standortmarketinggesellschaft
IIC, die bis Ende 2006 für die Investorenwerbung in Ostdeutschland zuständig war, hat eine Investitionssumme
von 4,7 Milliarden Euro eingeworben und damit 21 000
neue Arbeitsplätze in Ostdeutschland geschaffen. Die
Entscheidung war richtig, die IIC und die für die alten
Bundesländer zuständige Gesellschaft zu einer gemeinsamen schlagkräftigen Institution unter dem Namen „Invest in Germany“ zusammenzuführen.
Herr Minister Glos, von der neuen Gesellschaft verspreche ich mir eine noch bessere Positionierung
Deutschlands im internationalen Wettbewerb der besten
Standorte. Das wünsche ich mir für Deutschland insgesamt, aber im besonderen Maße für die ostdeutschen
Bundesländer.
({3})
Trotz der guten Nachrichten aus Ostdeutschland gibt
es zweifelsohne nach wie vor große Herausforderungen.
Ich erinnere an die anhaltende Abwanderung von jungen, gut qualifizierten Menschen, insbesondere von
Frauen, aus den strukturschwachen Regionen. Dieser
Trend verschärft die demografische Entwicklung in vielen Landstrichen Ostdeutschlands zusätzlich und gefährdet dort die Zukunftschancen der Menschen.
Die schon jetzt vorhandene Lücke bei Fachkräften in
vielen Branchen wird durch den wirtschaftlichen Aufschwung noch weiter vergrößert. Die Nachfrage nach
diesen Fachkräften wird steigen. Deshalb sage ich ganz
klar: Die Lohnunterschiede zwischen Ost und West werden vor diesem Hintergrund zu einer Wachstumsbremse.
Gute Fachkräfte gehen dorthin, wo sie für ihre Arbeit gut
bezahlt werden. Wenn also die ostdeutsche Wirtschaft
weiter am Aufschwung teilhaben will, wird sie bei den
Löhnen zulegen und verstärkt aus- und weiterbilden
müssen.
({4})
Die Bundesregierung hat gerade den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands verabschiedet. Das Fazit daraus: Nur innovative Unternehmen
werden Gewinner der Globalisierung sein und sich am
Markt behaupten können. In Ostdeutschland besteht
nach wie vor das Problem, dass es bei den überwiegend
kleinen Unternehmen große Defizite im Bereich von
Forschung und Entwicklung gibt. Kommen in den alten Bundesländern auf 10 000 Erwerbstätige 85 Mitarbeiter aus dem Bereich Forschung und Entwicklung, so
sind es in den ostdeutschen Bundesländern lediglich 46.
Herr Minister, ich hoffe daher sehr, dass Sie beim Umbau der Innovationsprogramme für Ostdeutschland keine
Abstriche machen.
({5})
Ich hoffe, dass die positiven Erfahrungen mit den bewährten Programmen Inno-Watt und NEMO, die wir unter Rot-Grün beschlossen haben, weiter genutzt werden.
Wir brauchen diese Programme, um die Akteure vor Ort
zu vernetzen und den Wissenstransfer in die Regionen
zu unterstützen.
Auch die Anstrengungen für neue Existenzgründungen in Ostdeutschland müssen wir fortsetzen. Es ist daher ausdrücklich zu begrüßen, dass die KfW seit Januar
dieses Jahres die Initiative „Kleiner Mittelstand“ ins Leben gerufen hat. Ich konnte mich bei Gesprächen mit
Banken selber davon überzeugen, dass diese Programme
greifen, nachgefragt werden und von den Hausbanken
aktiv unterstützt werden. So gute Rahmenbedingungen
für Existenzgründer gab es noch nie.
Von großer Bedeutung für Investitionen in den ostdeutschen Bundesländern ist auch die Förderung durch
die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“. Allein von 2004 bis 2006 konnten
Investitionen in Höhe von 27 Milliarden Euro in der gewerblichen Wirtschaft mit Fördermitteln von nur
4,9 Milliarden Euro angestoßen werden. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ist damit eines der erfolgreichsten Förderinstrumente für strukturschwache Regionen in Ost
und West und muss daher auch in Zukunft auf sehr hohem Niveau fortgeführt werden.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einen Aspekt ansprechen. Um die positive Entwicklung in Ostdeutschland fortzuführen, brauchen wir
verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen. Wir diskutieren derzeit über die Föderalismusreform II. Es muss
unser gemeinsames Interesse sein, dass die ostdeutschen
Bundesländer nach 2019 auf eigenen Füßen stehen können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen der Solidarpakt II und der Länderfinanzausgleich erhalten bleiben.
Frau Wicklein!
Ich komme zum Schluss.
Die Fakten sprechen für sich. Der wirtschaftliche
Aufschwung ist da - auch in Ostdeutschland. Es gibt
noch immer sehr viel zu tun. Wir dürfen in unseren Bemühungen nicht locker lassen. Packen wir es gemeinsam
an!
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, dass diese Debatte sehr wichtig gewesen ist, weil
wir uns etwas grundsätzlicher mit der Strategie und dem
Grundgedanken beschäftigt haben - dies gilt insbesondere für die Rede des Kollegen Röttgen; auch Kollege
Wend hat dies getan -, wie wir vorangehen wollen und
wie vernetzt die Bereiche sind, die auf das Einfluss haben, was sich hinterher in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung für alle Menschen als Erfolg niederschlägt.
Im Zusammenhang mit dem Stichwort Arbeitsplätze
ist deutlich zu machen - dies ist hier aufgekommen; Kollege Röttgen hat darauf hingewiesen -, dass Wachstum
kein Selbstzweck ist. Es ist nämlich so: Immer dann,
wenn mehr Menschen in Arbeit kommen - es gibt ja
jetzt einen riesigen Erfolg am Arbeitsmarkt -, dann ist
das nicht nur für die Betroffenen selbst eine sehr wichtige Veränderung, die sie erfahren - nämlich dass sie
wieder Arbeit haben und in Beschäftigung sind -, sondern weit über die Betroffenen hinaus auch für alle diejenigen, die in den vergangenen Jahren Angst hatten, ihren
Arbeitsplatz zu verlieren: Sie verlieren diese Angst nach
und nach.
({0})
Das ist ganz wichtig für den Aspekt, in welcher psychologischen Situation die Arbeitnehmer ihrer Arbeit nachgehen.
Zusätzlich ist dies nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Volkswirtschaft gut. Derjenige, der Arbeit hat, zahlt in die Sozialsysteme ein. Derjenige, der
Laurenz Meyer ({1})
seine Angst verliert, auch von einem Arbeitsplatzverlust
betroffen sein zu können, gibt wieder mehr Geld aus,
statt aus Angst jeden Euro, der übrig ist, für schlechte
Zeiten oder aufgrund dieses Grundgefühls auf die Seite
zu legen. Deswegen ist das, was für den einzelnen Menschen gut ist, immer auch für die Volkswirtschaft gut.
Das ist die eigentliche Philosophie der sozialen Marktwirtschaft. Wir kümmern uns um den Einzelnen, und
wenn es dem Einzelnen gut geht, geht es auch der Volkswirtschaft gut.
({2})
Deswegen ist es wichtig, dass wir die Themen Wachstum, Beschäftigung und Wirtschaftspolitik nicht nur vor
dem Hintergrund von Zahlen diskutieren, sondern die
Vernetzung der einzelnen Bereiche berücksichtigen.
Nehmen Sie das Stichwort - der Kollege Wend hat es
angesprochen - Familienpolitik.
({3})
Das Gesagte gilt auch in diesem Zusammenhang: Wir
müssen den jungen Frauen in unserem Land, von denen
viele gut qualifiziert sind und eine gute Berufsausbildung haben, mehr Wahlmöglichkeiten bieten, damit sie
ihren Beruf nicht aufgeben müssen, weil sie keine aus
ihrer Sicht adäquate, gute Betreuung für ihre Kinder finden.
({4})
- Ich finde es ganz schön krude, wenn Sie dazwischenrufen. Sie haben doch verdammt noch einmal Jahre Zeit
gehabt, etwas zu tun. Sie haben aber nichts getan, und
jetzt maulen Sie rum; das ist doch wirklich unglaublich.
Herr Kuhn, auch Ihr Redebeitrag - qualitatives Wachstum - war wirklich nicht besonders gut. Das muss ich
einmal sagen.
({5})
Wenn wir für die jungen Frauen etwas machen, dann
machen wir nicht nur etwas für die jungen Frauen
- mehr Betreuungsmöglichkeiten, mehr Wahlmöglichkeiten -, sondern auch etwas für das ganze Land, weil
die Volkswirtschaft auf diese gut qualifizierten jungen
Frauen überhaupt nicht verzichten kann - wenn sie denn
mitmachen wollen und im Beruf bleiben wollen.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Schewe-Gerigk zulassen?
Aber natürlich, da ich sie wegen ihrer Maulerei angegriffen habe, darf sie auch fragen.
Wenn es um die richtigen Sachen geht, ist es vernünftig, zu maulen.
Herr Meyer, Sie haben gesagt, es sei wichtig, dass die
gut ausgebildeten Frauen erwerbstätig sind und dass wir
für die Kinderbetreuung sorgen. Da bin ich sofort bei Ihnen. Wie verhält sich das aber zu Ihrem Vorschlag, den
Frauen, die ihre Kinder zu Hause selbst betreuen und
nicht in eine Kinderbetreuung geben - eine - ich sage
einmal - Zuhausebleibprämie oder Herdprämie in Höhe
von 150 Euro zu zahlen? Es ist doch klar, dass jede Frau
mit einem kleinen Einkommen oder eine Hartz-IV-Empfängerin davon absehen wird, ihr Kind in die Kinderbetreuung zu geben, weil sie dann 150 Euro bekommt. Ich
würde gerne Ihre Position dazu kennenlernen.
({0})
Wir werden uns darüber unterhalten, wie das im Einzelnen auszugestalten ist. Der Grundgedanke, der dahintersteht, ist aber völlig klar: Wir wollen den jungen
Frauen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben.
({0})
Politik hat die Entscheidung von jungen Familien, wie
sie sich organisieren, überhaupt nicht zu beeinflussen.
Wir haben aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen,
dass eine Entscheidung in beide Richtungen möglich ist.
Das genau wollen wir. Wir wollen die Entscheidung
möglich machen.
Ich will Ihnen ein Beispiel dazu bringen: Im Rahmen
einer Veranstaltung wurden Unternehmen ausgezeichnet, die in diesem Bereich besonders aktiv waren. Der
Professor einer großen Uni in Bayern, die ausgezeichnet
wurde, berichtete in diesem Zusammenhang von folgender Situation: Die Jahrgangsbesten werden ausgezeichnet, sechs Professoren sitzen auf der Bühne, alles Männer, und die sechs Jahrgangsbesten dieser Universität
sind ausschließlich junge Frauen. Wir möchten, dass
diese jungen Frauen die Entscheidung, ob sie später einen Beruf ausüben und Kinder haben, selbst treffen können. Darum geht es hier, und nicht darum, dass der Staat
Vorgaben macht.
({1})
Hier ist ein Stichwort gefallen, das aus meiner Sicht,
auch von den Kollegen der SPD, insbesondere vom Kollegen Stiegler, viel zu negativ gesehen wird: Zeitarbeit.
Sie haben die Zeitarbeit abqualifiziert und in eine Ecke
gestellt, in die sie aus Sicht der CDU/CSU nicht gehört.
Es gab einen Zuwachs an Zeitarbeitsverhältnissen, weil
die Unternehmen die Zeitarbeit aufgrund des sehr starren
Arbeitsmarktes in Deutschland als Ventil nutzen. So
steuern sie gegen. Aber die Entwicklung zeigt doch
- Herr Stiegler, die Zahlen müssen Sie sich einfach zu
Gemüte führen -, dass der Prozess in vollem Gang ist
und dass gerade die Zeitarbeit der Durchlauferhitzer in
die Unternehmen hinein ist.
Es gab zunächst ein ganz starkes Anwachsen der Zahl
der Zeitarbeitsplätze zu Beginn des konjunkturellen AufLaurenz Meyer ({2})
schwungs, zu Beginn dieser Legislaturperiode. Seit einigen Monaten stagniert die Zahl der Zeitarbeiter. Das
liegt nicht daran, dass keine neuen eingestellt werden,
sondern daran, dass ein Drittel derer, die eingestellt worden sind, inzwischen in Unternehmen angekommen
sind,
({3})
und zwar entweder in denen, in denen sie tätig waren,
oder in anderen. Die Brücke Zeitarbeit hat sich bewährt.
Wir werden deshalb alles tun, um die Beweglichkeit zu
erhalten und die Zeitarbeit weiterhin als den Motor in die
Unternehmen hinein nutzbar zu machen.
({4})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der in
der Diskussion zum Teil eine Rolle gespielt hat. Dies betrifft das Stichwort qualitatives Wachstum und die
Frage, was das eigentlich ist. Darüber, dass wir die Definition von qualitativem Wachstum nicht den Grünen
überlassen, brauchen wir, glaube ich, nicht lange zu reden.
({5})
Ich will auf Folgendes hinweisen - ich glaube, dass wir
in SPD und Union dabei zumindest von der Grundansicht her völlig auf einer Linie sein können -: Qualitatives Wachstum wird häufig verbunden mit Arbeitsplätzen
im Dienstleistungsbereich, mit Arbeitsplätzen in sogenannten weichen Industrien.
Ich will hier klipp und klar für uns sagen: Deutschland ist Industrieland. Deutschland muss Industrieland
bleiben. Wenn Deutschland nicht Industrieland mit modernen Technologien und mit modernen Arbeitsplätzen
in der Industrie bleibt, dann werden wir die ganzen
Dienstleistungsarbeitsplätze nicht finanzieren können.
Deshalb bekennen wir uns zum Industriestandort
Deutschland.
({6})
Das ist in dieser Diskussion wichtig. Denn Industriearbeitsplätze sind in vielen Bereichen in Deutschland gefährdet. Wir müssen jetzt zum Beispiel im Rahmen der
CO2-Problematik hinsichtlich der Aluminiumhütten aufpassen, dass nicht alles, was mit NE-Metallen zu tun hat,
plötzlich bruchstückhaft aus Deutschland verschwindet.
Wir müssen Vorsorge treffen. Wir müssen in allen Politikbereichen darauf achten, dass es nicht zu bruchhaften
Entwicklungen kommt, dass die Entwicklungen stetig
verlaufen und dass wir zu Veränderungen kommen, die
wir wollen. Aber dabei dürfen wir keine Brüche in Kauf
zu nehmen, die Arbeitsplätze gefährden, insbesondere
Industriearbeitsplätze.
Deswegen unser Bekenntnis zum Industrieland:
Deutschland gehört für uns dazu. In den modernen Bereichen müssen wir für moderne Arbeitsplätze sorgen.
Deswegen müssen wir uns als Parlament mit einem Phänomen beschäftigen, das in Deutschland vorherrschend
ist. Dieses Phänomen ist eine Technologie- und Technikfeindlichkeit, die sich auch in der geringen Zahl an Ingenieuren niederschlägt. Wenn Technologie und Technik
in der Politik und auch in der Bevölkerung so schlecht
angesehen sind, dann ist es klar, dass weniger junge
Leute ein Studium ergreifen, das mit diesen Bereichen
zu tun hat und in der Öffentlichkeit nicht so angesehen
ist, und eher ein Studium, durch das man Jurist oder Diplomkaufmann wird.
({7})
Deswegen ist es eine ganz wichtige Voraussetzung, sich
mit dem Grundphänomen zu beschäftigen.
Dies betrifft auch die Steuerpolitik, zum Beispiel versicherungsfremde Leistungen in den sozialen Sicherungssystemen zukünftig stärker aus Steuern zu finanzieren. Diese ganze Vernetzung müssen und wollen wir
sehen. Unter diesen Gesichtspunkten ist eine solche Debatte wie die heutige nicht nur unbedingt notwendig,
sondern wir sollten sie zum Wohl der Menschen in
Deutschland auch fortsetzen, und zwar mit dieser Gesamtkonzeption mit Blick über den Tellerrand der Politikfelder hinaus.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5901 mit dem Ti-
tel: „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Damit ist dieser Antrag abgelehnt bei Zustim-
mung der FDP und Ablehnung des Rests des Hauses.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des
Dopings im Sport
- Drucksache 16/5526 Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses ({0})
- Drucksache 16/5937 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Detlef Parr
Winfried Hermann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther ({2}), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Bekämpfung des Dopings im Sport vorantreiben und Optimierungsmöglichkeiten
ausschöpfen
- zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bekämpfung des Dopings im Sport
- Drucksachen 16/4738, 16/4166, 16/5937 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Detlef Parr
Winfried Hermann
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP und der Fraktion Die Linke vor.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eineinviertel
Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Doping
zerstört die Grundwerte des Sports. Ein unfairer und manipulierter Wettkampf hat auch nichts mehr mit dem
olympischen Gedanken gemeinsam. Doping täuscht die
Mitstreiter im Wettkampf und die Zuschauer und gefährdet nicht zuletzt die Gesundheit der Sportlerinnen und
Sportler.
Wie die jüngsten Dopingbekenntnisse im Radsport
belegen, verläuft die unerlaubte Leistungssteigerung im
Spitzensport zunehmend in organisierten Strukturen.
Diese können nur durch gezielte, auch strafrechtliche
Maßnahmen bekämpft werden. Der Fokus der Medien
liegt beim Doping naturgemäß auf dem Leistungs- und
Spitzensport. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Doping auch im Breitensport bis hin zu
sportlichen Betätigungen im Fitness- und Freizeitbereich
anzutreffen ist. Doping ist damit ein Problem des Sports
insgesamt und bedarf der breit angelegten und gemeinsamen Bekämpfung durch Sport, Politik, Justiz, Wirtschaft, Medien und nicht zuletzt die ganze Gesellschaft.
({0})
Meine Damen und Herren, die Dopingbeichten der
Radsportler sind zu begrüßen. Wo aber bleibt die internationale Diskussion? Findet endlich ein Umdenken der
Sportler statt? Es ist nicht allein damit getan, sich als
Dopingsünder zu outen. Die Fahrer müssen nun auch die
Hintermänner und die Strukturen aufzeigen.
({1})
Die Erklärungen zeigen mir, dass die geplanten Regelungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Bekämpfung des Dopings im Sport richtig sind. Die
Anstrengungen des organisierten Sports allein reichen
nicht aus. Der Staat muss mit seinen Ermittlungsbehörden in den Fällen eingreifen, in denen kriminelles
Unrecht geschieht. Er ist in der Lage, die hinter dem dopenden Sportler verdeckt arbeitenden Netzwerte aufzudecken und zu zerschlagen. Genau hier greifen die von
uns verabredeten und geplanten sowie vom Kabinett bereits im März dieses Jahres verabschiedeten Regelungen.
Zu den Inhalten. Erstens: Strafverschärfungen für
banden- und gewerbsmäßige Dopingstraftaten und Abschöpfung der Vermögensvorteile. Die Erhöhung der
Höchststrafe von heute drei Jahren auf zehn Jahre ist ein
klares Signal.
({2})
Ein Blick ins Strafgesetzbuch zeigt: Eine Höchststrafe
von zehn Jahren ist schon etwas. Das ist zum Beispiel im
Jugendstrafrecht die Höchststrafe für Mord. Mit der Erhöhung der Höchststrafe auf zehn Jahre haben wir wirklich ein Signal gesetzt.
Zweitens: die Nutzung der Telefonüberwachung bei
schweren Dopingdelikten.
Drittens: die Übertragung der Ermittlungsbefugnisse
auf das Bundeskriminalamt.
Viertens: die Verpflichtung zur Aufnahme von Warnhinweisen bei Arzneimitteln, die für Doping geeignet
sind.
Auch die von uns beschlossene Strafbarkeit des Besitzes einer nicht geringen Menge bestimmter Dopingsubstanzen ermöglicht eine wirksamere Strafverfolgung des
Handels mit gefährlichen und häufig verwendeten Dopingmitteln. Damit, lieber Kollege Hermann, können wir
den Trainer, den Betreuer oder den Sportler mit dem
Kofferraum oder Schrank voller Dopingmittel bestrafen,
ohne ihm Handel nachweisen zu müssen.
({3})
Dadurch wird auch der Tatbestand des Handels konkretisiert, wie Sie, lieber Kollege Parr, immer richtig anmerken. Im Übrigen sind wir uns, wie wir gestern im
Ausschuss festgestellt haben, bis auf das Piktogramm
auf der Packung einig, lieber Kollege Parr. Deshalb:
Stellen Sie sich nicht so an, und stimmen Sie unserem
Gesetzentwurf zu!
({4})
Von einem Tatbestand, mit dem der Besitz geringer
Mengen von Dopingmitteln zum Eigengebrauch unter
Strafe gestellt würde, halten wir nichts. Wollen Sie wirklich jeden Pillenschlucker im Fitnessstudio mit Gefängnis bedrohen?
Von parallelen Verfahren - vor dem Sportgericht und
vor einem ordentlichen Gericht - halte ich auch nichts.
Das Sportgericht sperrt sofort für zwei Jahre, und es gilt
Beweislastumkehr. Das ordentliche Gericht urteilt nach
vielen Monaten, vielleicht gibt es sogar einen Freispruch. Das würde auf Dauer die Beweislastumkehr der
Sportgerichtsbarkeit zerstören. Damit würden wir ein
granatenmäßiges Eigentor schießen, wie es Innenminister Schäuble so treffend formulierte.
Auch ein Tatbestand des Sportbetrugs, wie ihn die
Grünen plötzlich so vehement fordern,
({5})
ist schlicht Unsinn. Oberstaatsanwalt Kirkpatrick hat es
Ihnen bei der Anhörung doch erklärt: Selbst wenn man
rechtliche, verfassungsrechtliche und tatsächliche Bedenken hintanstellt, wird kein Richter aufgrund dieses
Tatbestandes verurteilen, weil er dazu negative Proben
aller am Wettkampf beteiligten Sportler bräuchte. Das
funktioniert nicht.
Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Es
funktioniert nicht, zu denken, wir machen nun ein Gesetz, und Doping ist ab morgen kein Problem mehr. So
wird es nicht gehen. Politik und Sport, aber auch die
Sponsoren und die Medien stehen zusammen in der Verantwortung, den Kampf gegen Doping zu führen. Wir
haben über das Gesetz hinaus ein Maßnahmenpaket vorbereitet: Wir werden bei den Beratungen über den Haushaltsplan über die Mittel für die NADA und über die
Mittel für Prävention reden. Wir haben den WADACode unterzeichnet. Wir fordern Schwerpunktstaatsanwaltschaften in den Ländern. Wir wollen mehr Prävention. Wir tun also einiges.
Meine Frage an die Fachleute - an Sportler, Sportwissenschaft und Forschung - lautet: Gibt es heute Sportarten, in denen Weltklasseleistungen und Olympiasiege
nur noch mit Doping erreichbar sind? Wenn ja, welche?
Sollte es solche Sportarten geben, müssen wir unsere
Spitzensportförderung grundsätzlich überdenken. Wir
stehen zu Leistung und Erfolg, aber fördern nur und fordern sauberen, manipulationsfreien Sport.
({6})
Dazu wird unser heute zu verabschiedendes Gesetz einen Beitrag leisten.
Danke schön.
({7})
Der nächste Redner ist der Kollege Detlef Parr für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer
heute und in den letzten Wochen einen Blick in die Zeitungen geworfen oder Fernsehen geschaut hat, könnte
meinen, der Sport in unserem Lande bestünde nur noch
aus Lug und Trug: Doping war und ist das beherrschende Thema und Schlagwort dieser Tage.
Wenn wir über Sport in Deutschland reden, reden wir
aber auch über die 27 Millionen Mitglieder in zigtausenden Vereinen, über annähernd 8 Millionen im Interesse
unserer Gesellschaft und unseres Landes ehrenamtlich
Tätige, dann reden wir über Menschen, denen Sport einfach Spaß macht und die sich bewegen wollen. Niemand
von uns darf in dieser Diskussion dazu beitragen, dass
Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Obhut unserer Vereine geben wollen. Die Vereine haben nach wie vor unser Vertrauen verdient.
Natürlich wird der Breitensport vom Spitzensport erheblich beeinflusst: Wir brauchen Vorbilder wie aus dem
Sommermärchen 2006, die dem Sport neue Impulse geben und dazu auffordern, selbst aktiv zu werden. Deswegen diskutieren wir heute über einen Gesetzentwurf, der
dazu beitragen soll, den Betrügern im Spitzensport endlich das Handwerk zu legen.
Der Bundesregierung ist es gelungen - allerdings
nach einer quälend langen Zeit der Untätigkeit -,
({0})
einen Entwurf mit einer Reihe von richtigen Lösungsansätzen vorzulegen, der, ergänzt durch das Maßnahmenpaket, in vielen Bereichen mit unserem Antrag identisch
ist.
({1})
Das hat uns Klaus Riegert gestern im Sportausschuss
noch bestätigt. Gut, dass er unsere Ideen aus gemeinsamer Oppositionszeit in die Regierung hinübergerettet
hat. Vielen Dank dafür, Klaus!
({2})
In den Sportverbänden ist vieles zur Dopingbekämpfung auf den Weg gebracht worden. Die Sponsoren beginnen, stärker Verantwortung zu übernehmen. Aber
sind wir uns eigentlich an den verschiedenen Stellen unserer Gesellschaft schon klar geworden über gewisse
Mittäterschaften? Über die Folgen von Sensationsgier?
Über falsch gesetzte Anreize für vermeintlich grenzenlose Leistungssteigerungen? Über Rekordmanie und
überzogene Zahlenfixiertheit? - Wir alle: Zuschauer,
Medienvertreter, Sponsoren, Verbandsfunktionäre, Sportgroßveranstalter, Politiker. Wir alle tragen Verantwortung für Fehlentwicklungen, die wir allzu lange hingenommen und durch Wegsehen sogar geduldet haben;
vorweg gab es zudem sieben Jahre rot-grüner Enthaltsamkeit.
({3})
Keiner von uns, Kollegin Dagmar Freitag, darf sich zukünftig unschuldig in sportlichen Höchstleistungen sonnen, ohne dass wir uns vorher in einer Grundsatz11076
debatte darüber einig werden, welche Rolle wir dem
Sport in unserer Leistungsgesellschaft zukünftig beimessen wollen, was wir von ihm erwarten und welche Ansprüche wir an ihn stellen.
({4})
„Schneller, höher, weiter.“ - Die Grenzen sind in vielen Sportarten aber längst erreicht; das sollten wir ehrlich zugeben. Statt den Weg zu ungezügelten Gladiatorenspielen zu bereiten, sollten wir nach einem neuen
Mittelweg suchen zwischen dem genannten olympischen
Motto und Coubertins Feststellung: Die Teilnahme ist
wichtiger als der Sieg.
Der Anstoß zu einer bundesweiten Generaldebatte
muss aus Berlin kommen,
({5})
so wie die gesetzgeberischen Impulse, denen die FDP,
lieber Klaus, gerne als Paket zugestimmt hätte. Aber genau zwei Punkte lassen uns zu einer Stimmenthaltung
kommen. Wir sind nicht dagegen, aber wir werden uns
der Stimme enthalten.
({6})
Der erste Punkt betrifft die Prävention und die Aufklärungsarbeit, die in diesem Gesetzentwurf so gut wie
keine Rolle spielen. Die Anhörung hat jedoch bewiesen,
dass ein wesentlicher Baustein einer effektiven Antidopingpolitik die Prävention bei Kindern und Jugendlichen
sein muss.
Zweitens. Die als genial gefeierte Strafbarkeit des
Sportlers, der im Besitz nicht geringer Mengen von Dopingsubstanzen ist,
({7})
halten wir nach wie vor für überflüssig. In der Praxis
wird sich - das hat die Anhörung auch gezeigt - so gut
wie nichts ändern. Wir bekennen uns zum Grundsatz der
„strict liability“ und zu dem Vorrang der Sportgerichtsbarkeit, die schnell und durchgreifend entscheiden kann.
({8})
Gegen banden- und gewerbsmäßigen Handel muss der
Staat dagegen mit aller Härte vorgehen können; da sind
wir uns wieder einig.
Wir freuen uns auch, dass der Sportbetrug keinen Einzug in den Entwurf gefunden hat. Wer sein Heil - wie in
Bayern und jetzt leider auch bei den Grünen - in „law
and order“ sucht, wird scheitern, wie sucht- und drogenpolitische Strategien in der Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt haben.
({9})
„Law and order“-Denken und staatliche Repressionen
führen nicht zum Ziel. Da ist zu viel CSU drin und zu
wenig FDP.
({10})
Vielmehr wird es in der Zukunft national und international besonders auf unsere Forschungsanstrengungen
ankommen. So wichtig Investitionen in die Verbesserung der Dichte des Kontrollsystems sind, muss es uns
auch gelingen, Nachweismethoden zu entwickeln, die
dem Hase-und-Igel-Spiel ein Ende bereiten. Da macht
mich ein Blick in die Antwort der Bundesregierung auf
unsere kleine Anfrage vom 5. Februar 2007 mit Blick
auf das Stichwort Gendoping allerdings nachdenklich.
Vereinzelte Forschungsaufträge gehen auf das Jahr 2002
zurück. Abschlussberichte liegen noch nicht vor. Aktuelle Initiativen sind nicht aufgeführt. Der runde Tisch
bleibt eine bloße Ankündigung. Diese Anstrengungen
reichen nicht aus. Auf diesem Gebiet müssen wir deutlich an Tempo zulegen.
Ähnlich ist es um Aufklärung und Prävention bestellt.
Dopingprävention ist sicher in der Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung - „Kinder
stark machen“ - gut aufgehoben. Ein Handbuch mit dem
Titel „Gemeinsam gegen die Sucht“ und Unterrichtsmaterialien zum Thema des Medikamentenmissbrauchs
deuten aber darauf hin, dass wir damit unsere Jugendlichen wohl nur sporadisch erreichen. Wir brauchen in den
Schulklassen fünf und zehn dringend eine bundesweite
Kampagne der BZgA in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz und den Sportorganisationen, insbesondere auch auf Länderebene. Wir müssen die Einstellung gegen medizinische Leistungsmanipulationen
schon in jungen Jahren festigen.
Einstellungen werden nicht zuletzt auch von den Medien geprägt. Gerade jetzt darf sich der Journalismus
nicht hinter einem Boykott verstecken. Er muss vielmehr
kritisch berichten und seine investigativen Stärken ausspielen. Hinblicken und Durchblicken ist besser als
Wegblicken. Das sollte auch die Leitlinie unseres weiteren Handelns sein.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({11})
Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, dass heute mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes, den die Regierung und die Koalition hier vorgelegt haben, ein wichtiger Meilenstein
erreicht wird. Man kann nicht verkennen, dass es ein langer, mühsamer und quälender Prozess war, auch in der
öffentlichen Diskussion. Ich finde es aber bemerkenswert, dass wir heute feststellen können, dass nicht nur
diese Regierung und diese Koalition hinter dem GesetzDr. Peter Danckert
entwurf stehen, der heute verabschiedet wird, sondern,
lieber Kollege Parr, auch der organisierte Sport. Die
circa 28 Millionen Menschen, die sich unter dem Dach
des DOSB verbunden haben, haben unserem Vorschlag
zugestimmt.
({0})
Das ist doch ganz bemerkenswert, vor allen Dingen,
wenn man die Diskussion vorher im Auge hat.
Ich hätte mir gewünscht, dass sich die FDP heute
nicht nur enthält, sondern sich vielleicht selber über die
Hürde hilft und hier mitmacht;
({1})
denn wenn der Sport, für den wir ja gemeinsam reden,
das, was wir hier heute verabschieden wollen, akzeptiert,
dann müsste es doch eigentlich auch die FDP, die sich
zumindest mit einigen Persönlichkeiten des DOSB sehr
verbunden fühlt,
({2})
schaffen, das heute mitzutragen. Überlegen Sie doch einmal, ob Sie bei diesem Gesetz nicht zustimmen können!
Lieber Kollege Parr, wenn Sie der Meinung sind, dass
die Besitzstrafbarkeit nicht zu dem führt, was wir uns
vorstellen
({3})
- Sie sagen „Mogelpackung“ -, dann können Sie sagen,
dass das Ihrer Meinung nach nicht funktioniert, und
doch mitmachen.
({4})
Wir werden ja sehen, wozu das Gesetz im Vollzug führen wird.
Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Baustein ist.
Er ist aber nicht ausreichend, um den Kampf gegen Doping insgesamt zu gewinnen. Das ist ja eine endlos lange
Geschichte. Wer sich einmal mit der Historie beschäftigt, der weiß, dass das beim Radrennen Bordeaux-Paris
im Jahre 1886 angefangen hat. Den ersten Todesfall eines Radfahrers gab es aufgrund von Trimethyl. Das ist
eine lange Kette, die bis in die letzten Jahre hineinreicht.
Dabei brauche ich gar nicht an den spektakulären Tod
von Birgit Dressel zu erinnern, der 20 Jahre her ist.
({5})
Es gab immer wieder solch schlimme Ereignisse, die mit
Doping verbunden waren. Das muss doch der Impuls
sein, der uns antreibt und weshalb wir sagen: Wir müssen staatlicherseits alles geben, um in diesem Kampf bestehen zu können.
Ich glaube - damit komme ich wieder auf den Gesetzentwurf zurück -, dass die neue Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes als Ermittlungsbehörde zusammen
mit den Dingen, die Klaus Riegert schon angesprochen
hat, eine wichtige Hilfe ist. Das hat es bisher nicht gegeben. Das ist ein entscheidender Schritt. Ich bin dem Minister sehr dankbar, dass er uns hier geholfen hat; denn
es ist keine Selbstverständlichkeit, an dieser Stelle das
Bundeskriminalamt einzusetzen.
({6})
Dort sitzen Experten, von denen ich glaube, dass sie uns
weiterhelfen.
Wir werden sehen, ob wir die Schwerpunktstaatsanwaltschaften brauchen. Wir haben die Länder aufgefordert, an dieser Stelle auch einen Beitrag zu leisten. Dies
wäre ein Beitrag zur Unterstützung der Ermittlungsarbeit. Wir haben also gute Voraussetzungen geschaffen.
Ich denke, auch durch den Strafrahmen - Klaus
Riegert hat zu Recht darauf hingewiesen - kommen wir
an dieser Stelle weiter, weil es natürlich eine eindeutige
Aussage unseres Parlaments ist, dass das keine Bagatellkriminalität mehr ist, die mit bis zu drei Jahren bestraft
wird, sondern dass der Strafrahmen dem bei Verbrechen
ähnlich ist.
Hierdurch ergibt sich auch ein Ansatz für die Telefonüberwachung. Ich glaube, dass wir mit der Telefonüberwachung auch hinter die Elemente kommen, die für die
Dopingstrukturen verantwortlich sind. Das ist ein Baustein. Es muss am Ende nicht immer notwendig sein,
dass alle bestraft werden. Wir werden ja sehen, wie sich
das beim Vollzug ergibt, Herr Kollege Parr. Ich finde es
aber wichtig, dass wir durch eine Telefonüberwachung,
durch Zeugenvernehmungen und durch Hausdurchsuchungen Ermittlungsergebnisse erzielen,
({7})
also an Informationen herankommen, durch die uns ein
klares Bild über die Strukturen geliefert wird.
({8})
Von daher glaube ich, dass das auch aus diesem Grund
der richtige Weg ist.
Jetzt komme ich zum Stichwort Besitzstrafbarkeit.
Wir haben eine Anhörung durchgeführt, die teilweise bemerkenswert war. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. In
der Anhörung haben wir acht qualifizierte Sachverständige gehört, die acht verschiedene Meinungen vertreten
haben. Wenn sich diese sehr qualifizierten Herrschaften
als Gesetzgeber betätigt hätten, dann hätten sie gar
nichts zustande gebracht. Denn mit acht verschiedenen
Meinungen erzielt man keine Mehrheit im Parlament.
({9})
Wir haben das Machbare erledigt und werden den Gesetzentwurf heute verabschieden. Ich denke, das ist der
richtige Weg.
Es reicht aber noch nicht aus. Ich will an dieser Stelle
ausdrücklich darauf hinweisen - weil ich hin und wieder
dafür kritisiert worden bin, dass ich dem DOSB nicht alles zutraue -, dass auch der DOSB Maßnahmen eingeleitet hat, die den Kampf gegen Doping erleichtern sollen. Ich appelliere deshalb an den DOSB, die zusätzliche
Zahlung von 260 000 Euro, die in diesem Jahr beschlossen ist, zu einer regelmäßigen Leistung zu machen, damit der Beitrag des Sports an dieser Stelle noch deutlicher wird.
Ich finde es sehr gut, dass in dem Kabinettsentwurf,
der gestern beraten wurde, in zweierlei Hinsicht klare Signale gegeben werden. Zum einen soll die Förderung
des Spitzensports deutlich erhöht werden. Dazu sind
wir meines Erachtens verpflichtet, wenn wir in Deutschland Spitzensport wollen. Angesichts der Einsparmaßnahmen ist das ein echtes Signal an den Sport, dass wir
ihm zutrauen, noch mehr zu leisten. Dafür sind zusätzliche finanzielle Mittel nötig, auch um die Trainer - vor
allem diejenigen, die sonst vom Ausland abgeworben
werden - besser bezahlen zu können. Das steht außer
Frage.
Ich bin zum anderen auch sehr dankbar - wenn es
nicht schon im Kabinettsentwurf enthalten wäre, käme
es wahrscheinlich zu einer entsprechenden Initiative der
Koalitionsfraktionen -, dass deutlich mehr Mittel für die
NADA zur Verfügung gestellt werden. Auch das ist
wichtig. Wir waren uns immer darüber einig, dass Handlungsbedarf besteht, wenn sich die Wirtschaft praktisch
nicht an dem Stiftungsmodell beteiligt, zu dem der Bund
insgesamt 7 Millionen Euro beigetragen hat. Wir müssen
vielleicht noch einmal den Gedanken aufgreifen, mit der
Unterstützung der Regierung und vielleicht auch der
Bundeskanzlerin zu versuchen, die Sponsoren dazu zu
bringen, ihren Beitrag zum Stiftungskapital zu leisten.
Es kann nicht sein, dass nur der Staat einen Beitrag dazu
leistet. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt.
Ich denke aber, dass die zusätzlichen Mittel für die
NADA ein richtiger und wichtiger Schritt sind. Denn wir
brauchen eine unabhängige Kontrolleinrichtung, die für
Trainings- und Wettkampfkontrollen und Prävention zuständig ist. Das gehört nämlich zum Auftrag der
NADA, Herr Parr. Mit den zusätzlichen Mitteln von insgesamt 2,8 Millionen Euro bieten wir der NADA die
notwendigen Voraussetzungen. Es handelt sich dabei
nicht um eine einmalige Zahlung; sie ist in der mittelfristigen Planung regelmäßig vorgesehen. Damit hat die
NADA die Möglichkeit, besser zu agieren als bisher. Sie
muss sich personell besser aufstellen. Dafür stellen wir
die notwendigen Mittel bereit. Wenn sich die Sponsoren
ebenfalls beteiligen, dann haben wir auch an dieser
Stelle etwas Wesentliches erreicht und können hoffnungsfroher in die Zukunft schauen.
Der Kampf gegen Doping, der schon 100 Jahre andauert, wird sich noch lange hinziehen. Aber mit dem
Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, mit
der Kabinettsvorlage, der sicherlich auch im Plenum zugestimmt wird, sind wir einen bedeutenden Schritt vorangekommen. Ich bin sehr froh darüber.
Vielen Dank.
({10})
Für die Linke spricht jetzt Katrin Kunert.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste! Nur wer dopt, gewinnt. Nur wer gewinnt, ist in den Medien. Nur wer in den Medien ist,
macht seine Sponsoren glücklich. Nur glückliche Sponsoren geben auch im nächsten Jahr noch frisches Geld.
Wenn dies so zutrifft, wie es Jaksche beschreibt, dann
empfehlen wir dem Veranstalter, die Tour de France abzusagen.
({0})
Die gesamte Gesellschaft watet im Dopingsumpf und
erwartet vom Sportler, den Wettkampf in trockenen
Strümpfen zu absolvieren. In den letzten Monaten wurde
viel darüber diskutiert, wie ein Sportler bestraft werden
könnte, der letztlich doch mit nassen Strümpfen erwischt
wird. Ich finde das scheinheilig.
Das Thema Doping ist uralt. Der erste Dopingtote
wurde vor 115 Jahren beerdigt. Darauf haben Sie bereits
hingewiesen, Herr Danckert. In diesem Jahrhundert wird
dem Publikum immer wieder ein großes Staunen und
Entsetzen präsentiert. Der letzte Höhepunkt war der weinende Zabel vor der Kamera, der eine höhere Einschaltquote hatte als die Tour de France im vergangenen Jahr.
Im Radsport jagt ein Geständnis über Dopingpraktiken das andere. Vom Sportler über Ärzte hin zu einigen
Funktionären fällt das Kartenhaus zusammen. Mancher
schweigt beharrlich, weil ein Geständnis viel Geld kosten würde. Aber bisher wurde nur zugegeben, was offenkundig oder verjährt ist. Lediglich Jaksche bricht sein
Schweigen, für viel Honorar wohlgemerkt. Aber deutlich wird: Es gibt kein Unrechtsbewusstsein. Der eigentliche Skandal ist, dass sich die Geständnisse und Tränen
auch noch super vermarkten lassen. Mediendemokratie
nennt man das. Ich nenne es Sittenverfall.
({1})
Sie werden mir als Abgeordnete der Linken abnehmen
müssen, dass ich mich dem Erstaunen und Entsetzen
nicht anschließen kann.
Ich möchte drei Dinge klarstellen: Erstens. Die Fraktion Die Linke lehnt Doping im Sport konsequent ab.
({2})
- Auch Herr Nešković.
({3})
Zweitens. In der DDR wurde gedopt, ein unrühmliches Kapitel in ihrer Geschichte ohne Wenn und Aber.
({4})
Doch die vielen wissenschaftlichen Studien, die nach
1989 zu diesem Thema durch Steuergelder finanziert
wurden, haben in keiner Weise zur Aufhellung, geschweige denn zu einer besseren Dopingbekämpfung geführt. Das ist absolut inakzeptabel.
({5})
Drittens. Für uns ist die entscheidende Frage, ob es
gelingt, konsequent und transparent alle Hintergründe
des Verhältnisses von Spitzensport zu Doping und die
damit verbundene Gier nach Geld aufzudecken. Hauptdopinggrund sind das Geld und sein Einfluss auf den
Sport. Solange der Kommerz den Sport bestimmt, so
lange wird es Doping geben, behaupte ich.
({6})
Der Profiradsport ist ein Sumpf. Er rangiert beim
Doping noch vor der Leichtathletik, dem Kraftsport
und den nordischen Wintersportarten.
Das sagte ARD-Dopingexperte Seppelt. Hand aufs Herz,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Das wissen wir alle.
Wir wissen auch, dass einige Instrumente im Kampf gegen Doping nur unzureichend greifen. Die alles entscheidende Frage ist: Sehen wir weiter zu? Sind wir sogar machtlos, oder kümmern wir uns endlich um die
Ursachen? Wollen wir an den Symptomen herumdoktern
oder den Erreger bekämpfen?
Der erste Dopingtote hatte die Ermüdungsschwelle
seines Körpers mit Strychnin hinausgeschoben. Heute
verdient die globalisierte Pharmaindustrie Milliarden.
Das große Geld wird nicht nur während des Tour-deFrance-Monats verdient, sondern während des gesamten
Jahres unter anderem in Fitnessstudios zwischen Santiago de Chile und Reykjavik. Im Profisport und auch im
Freizeit- und Amateursport blüht der Handel mit Anabolika, Wachstumshormonen und vielem anderen.
Das weltweit produzierte Epo wird nur zu einem
Fünftel für Kranke benötigt. Warum belegt man den
Handel von Epo nicht mit Sanktionen, beginnend beim
Pharmariesen? Warum belegt man nicht die Produktion
mit Quoten? Während ein Medikament wie Epo über das
notwendige Maß hinaus produziert und missbraucht
wird, sterben Menschen gerade in unterentwickelten
Ländern an Krankheiten, die zu wenig erforscht sind,
weil es hier offensichtlich zu wenig Profit bringt.
({7})
Wir stellen als Fraktion die Grundsatzfrage: Muss der
Leistungssport dem totalen Kommerz unterliegen? Leistungsdruck und das in der Gesellschaft gezeichnete
Bild eines erfolgreichen und dynamischen Menschen mit
überzogenen Ansprüchen an seine Leistungen macht einen Teufelskreis auf, in den viele Menschen geraten.
Süchte entstehen, und die Gesellschaft zahlt die Folgen.
Frau Kollegin Freitag, wenn Sie unseren Gesamtansatz
als Lyrik bezeichnen, dann frage ich mich, welche geistige Nahrung Sie im Allgemeinen zu sich nehmen, wenn
Sie nicht erkennen, dass die Ursachen des Dopings im
Sport auch in der Gesellschaft zu finden sind.
({8})
Doping im Leistungssport ist aber nur die Spitze des
Eisberges. Vom Umfang her sind Medikamentenmissbrauch und Doping im Freizeit- und Amateursport
viel größer als im Leistungssport. Aber das wird vielfach tabuisiert. Im Durchschnitt greifen 200 000 Besucherinnen und Besucher in den Fitnessstudios zu Anabolika und anderen Präparaten. Jährlich werden über
100 Millionen Euro Umsatz mit illegalen Dopingmitteln gemacht. Gewinner ist auch hier die Pharmaindustrie. Sie hat eine starke Lobby. Im aktuellen Drogenund Suchtbericht der Bundesregierung wird davon ausgegangen, dass bis zu 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig sind. Zum ersten Mal wird in diesem
Bericht der Medikamentenmissbrauch im Sport als
Problem erkannt.
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetz, das als
Entwurf vorliegt, Doping jedoch nur im Leistungssport
bekämpfen. Das ist uns zu wenig. Nur weil sich die Öffentlichkeit betrogen fühlt, werden strafrechtliche Sanktionen verschärft. Über medikamentenabhängige Managerinnen und Manager, Lehrerinnen und Lehrer oder
Politikerinnen und Politiker regt sich in der Öffentlichkeit niemand auf. Das wird billigend in Kauf genommen.
({9})
Nicht nur der Leistungssport hat also ein Dopingproblem, sondern die gesamte Gesellschaft.
Die Fraktion Die Linke schlägt in ihrem Entschließungsantrag Maßnahmen vor, die das System des Sports
für die Sportlerinnen und Sportler stärken sollen.
({10})
Die Sportlerinnen und Sportler dürfen nicht als Gegner, sondern müssen als Mitstreiterinnen und Mitstreiter
im Kampf gegen Doping gesehen werden.
Ich möchte an dieser Stelle ein aktuelles Beispiel
bringen. Wir erwarten von unseren Sportlerinnen und
Sportlern, dass sie dopingfrei, also sauber trainieren und
sich an Wettkämpfen beteiligen. Ich finde es daher kontraproduktiv, wenn die Normen für die Teilnahme an
der Leichtathletik-WM so hoch gesetzt werden, dass
einige Sportlerinnen und Sportler sie nicht mehr erfüllen
können. Wir erwarten, dass sie sauber sind, und erhöhen
gleichzeitig die Normen! Wenn wir die Normen zum
Beispiel für diese WM an den derzeitigen Ranglisten orientieren, dann birgt das die Gefahr, dass die sauberen
Leistungen unserer Sportlerinnen und Sportler mit möglicherweise manipulierten Leistungen verglichen werden. Das passt nicht.
({11})
Manche Teilnahme - das muss ich aus eigener Erfahrung
sagen - an wichtigen Wettkämpfen ist schon leistungsfördernd genug, und zwar auf eine gesunde und ehrliche
Art.
Wir schlagen unter anderem die Einführung eines
Athletenpasses vor. Die darin erfassten Daten sollen
zum Beispiel die immer höher werdende Zahl plötzlich
medikamentenbedürftiger Athletinnen und Athleten mit
Ausnahmegenehmigung eindämmen. Bei der letzten
Schwimm-WM in Australien gab es auffällig viele anerkannte Asthmatiker, die ganz legal leistungssteigernde
Asthmamittel einnehmen können. Hier sind in Zukunft
auch und gerade die Ärztinnen und Ärzte gefragt.
Wir halten die Karriereplanung für Sportlerinnen
und Sportler für besonders wichtig. Wer Beruf und Sport
vereinbaren kann oder eine Perspektive nach dem Sport
hat, gerät auch nicht in finanzielle Abhängigkeit von
Siegprämien.
({12})
Eine breite Aufklärungskampagne in Schulen, Vereinen
und bei Wettkämpfen wird das A und O sein.
Die NADA, die in der vergangenen Zeit - gelinde gesagt - finanziell an der kurzen Leine gehalten wurde,
braucht einfach mehr Mittel. Diese müssen grundlegend
aufgestockt werden, damit die NADA effizient und
nachhaltig agieren kann. Die angekündigte Erhöhung im
Haushalt 2008 reicht aus meiner Sicht nicht aus. Eine
zehnprozentige Gewinnabgabe der Pharmakonzerne
wäre ein konsequenter Schritt, meine ich.
Wir wollen erstens eine umfassende Aufklärung aller
Dopingpraktiken in Deutschland und eine Überprüfung
der Strukturen des Sports. Wir wollen zweitens eine Debatte über den Sport in der Gesellschaft. Welchen Sport
wollen wir? Welche Werte verbinden wir mit ihm? Wir
wollen drittens, dass für alle auf internationaler Ebene
gleiche Regeln gelten, das heißt ein Maß für alle. Wer
die Regeln verletzt, ist raus aus dem Spiel. Ebenso wichtig ist die Qualität der Kontrollen zur Einhaltung dieser
Regeln.
Ich danke Ihnen.
({13})
Jetzt spricht Winfried Hermann für das Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf hingewiesen, dass es eine richtig lange Geschichte
des Dopings im Sport gibt, vor allem im Radsport. Es
gibt aber auch eine sehr lange Geschichte des nicht konsequenten Kampfes gegen Doping bei den Sportorganisatoren, in den Sportverbänden und übrigens auch in der
Politik. Das müssen wir selbstkritisch konzedieren. Wir
haben lange, zu lange zugesehen und immer darauf vertraut, dass der Sport das schon selber in den Griff bekommt. Ich halte es für einen Fehler, dass sich die Politik immer nur so viel traut, wie die Spitzenfunktionäre
des Sports der Politik zugestehen.
({0})
- Doch, so ist es auch diesmal wieder.
Die spannende Frage, die wir uns heute stellen müssen, lautet: Ist das, was in den letzten Tagen und Wochen
an Bekenntnissen über Dopingnetzwerke herausgekommen ist, etwas, was mit der neuen Novelle bekämpft
werden kann? Kommt dabei etwas heraus? Da kann man
sagen: Bisher haben sich die Kollegen im Sport nicht
strafbar gemacht. Jaksche sagt ganz offen: Ich gehe mit
meinem Bekenntnis vor jedes Gericht. Das kann er natürlich tun, weil er von keinem Gericht eine Strafe befürchten muss, da er sich nicht strafbar gemacht hat. Das
wäre auch nach der neuen Novelle gar nicht anders.
({1})
Ein Sportler, der sich des Dopings schuldig bekennt,
macht sich nach dem neuen Gesetz wiederum nicht strafbar. Das ist doch die Quintessenz Ihres Gesetzes. So haben Sie doch auch argumentiert.
({2})
Sie haben das Arzneimittelgesetz novelliert und nicht ein
umfassendes Antidopinggesetz vorgelegt. Sie haben ein
seit zehn Jahren erwiesenermaßen schwaches Arzneimittelgesetz - die Kollegen von der SPD werden mir zustimmen; wir haben es immer als eine schwache Methode und als schwaches Werkzeug kritisiert - etwas
gestärkt, Sie haben diesem zahnlosen Tiger zugegebenermaßen ein, zwei Zähne beigefügt, aber aus diesem Instrument kein wirklich bissiges Gesetz gemacht.
({3})
Mit diesem Gesetzentwurf machen Sie einen weiten
Bogen um die Verantwortlichkeit des Sportlers selber.
({4})
Das ist die eigentliche Schwachstelle dieses Gesetzentwurfs. Nicht zuletzt deswegen sagen auch verschiedene
Journalisten: Die Politiker reden zwar groß daher, aber
am Schluss sind sie milde. Dieser Gesetzentwurf ist
reichlich zahm. Wenn er verabschiedet wird, haben wir
kein wirklich scharfes Antidopinggesetz.
({5})
Vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der SPD
betonen, es sei ein Meilenstein, dass der Besitz nicht geringer Mengen von Dopingmitteln strafbar werde. Wir
finden, das ist weiße Salbe; denn der Besitz nicht geringer Mengen ist für diejenigen, die damit handeln, auch
heute schon strafbar.
({6})
Sie werden mit Ihrem Vorgehen die schon heute sichtbare Tendenz verstärken. Sicherlich lesen auch Sie die
entsprechenden Berichte im „Spiegel“ und anderswo, in
denen Sportler beschreiben, wie das ganze System funktioniert. Die Portionen, mit denen Sportler umgehen,
werden zukünftig kleiner sein. Das ist es nämlich.
({7})
Es wird nicht mehr so sein, dass ein Trainer oder ein
Arzt eine große Tasche mit Dopingmitteln dabeihat;
vielmehr wird der Sportler kleine Portionen an Dopingmitteln mitnehmen, weil er sich dadurch nicht strafbar
macht.
({8})
Einer Ihrer Experten hat bei der Anhörung gesagt: Auch
in Zukunft verstößt ein Sportler nicht gegen das Recht,
wenn er etwa bei der Radrennweltmeisterschaft in
Deutschland mit einer Epo-Ampulle um den Hals ins
Ziel fährt; ihm wird nichts passieren, weil das nicht
strafbar ist.
({9})
Genau das ist es. Die Verabschiedung Ihres Gesetzentwurfs wird zu einer Neuproportionierung der dezentralen Dopingmittelvergabe führen, zu nichts anderem.
({10})
Es gibt auch noch offene Fragen: Was ist eigentlich
Blutdoping? Was sind nicht geringe Mengen an Blutdoping? Wie viel Liter Blut dürfen es denn sein?
({11})
Wird es in Zukunft so sein, dass die Beutel zwar nicht
mehr bei Fuentes gelagert werden, sondern dass jeder
Radsportler seine Beutel im eigenen Kühlschrank lagert?
Auch das wird dieses Gesetz nicht erfassen.
({12})
Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit: Sie machen einen weiten Bogen um den Sportler selber. Sie ziehen ihn nicht zur Verantwortung. Sie stricken an der Mär
vom unschuldigen Sportler, der getrieben von Trainern,
Medien und Netzwerken zum Doping greift, weil er
nicht anders kann.
({13})
Natürlich gibt es solche Strukturen, und trotzdem muss
man sagen: Sportler sind erwachsene, verantwortungsfähige Menschen, von denen man erwarten muss, dass sie
darüber entscheiden können, was gut und richtig ist.
Wenn sie die Regeln des Rechts verletzen, dann müssen
sie dafür belangt werden. Das ist das Mindeste.
({14})
Deswegen haben wir nach einer Konstruktion gesucht, die dafür sorgt, dass auch der Sportler - die Zentralfigur im Dopinggeschehen; das muss man einmal
ganz deutlich sagen; auch die Experten haben festgestellt, dass der Sportler der Kern des Geschehens ist belangt wird. Deswegen schlagen wir vor, den Tatbestand des Sportbetrugs in das Wettbewerbsrecht einzuführen. Im modernen Spitzensport geht es um sehr viel
Geld und damit um Betrug des Gegners. Wer manipuliert, versucht, sich Vorteile zu verschaffen. Was wir vorschlagen, soll auf die, wie ich finde, „moderne“ Entwicklung des Dopings in Form von ganz neuen
Netzwerken und Methoden Einfluss nehmen.
({15})
Wir Grünen haben immer gesagt: Wir brauchen nicht
nur eine Novelle des Arzneimittelgesetzes, sondern auch
eine umfassende neue Antidopinggesetzgebung, ein Artikelgesetz, das klar regelt, unter welchen Bedingungen
der saubere Sport gefördert wird. Der Staat sollte sich
eindeutig dazu verpflichten, Aufklärung, Information
und Prävention im Bereich Doping anzubieten. Ich rege
an, das Amt eines Antidopingbeauftragten zu schaffen,
der hier im Bundestag darüber berichtet.
({16})
Wir fordern ein rechtliches Paket, etwa ein Strafrechtspaket. Einige Elemente eines solchen Pakets sind
in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. Wir fordern, dass das Element des Sportbetrugs hinzugenommen wird.
Wir müssen die Wissenschaft, die Forschung und die
Kontrolle fördern, damit sie besser werden und nicht immer hinterherhinken. In Freiburg haben selbst Wissenschaftler und Mediziner staatliche Mittel missbraucht.
Auch das macht deutlich, dass wir im Blick auf die Wissenschaft selbst die Mittelvergabe im Kampf gegen Doping besser kontrollieren müssen.
({17})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Wie Sie gesehen haben, haben wir sehr viel Kritik an
einem unzulänglichen, nicht weit genug gehenden Gesetzentwurf der Großen Koalition geübt. Trotzdem werden wir ihn nicht ablehnen. Er enthält einige Verbesserungen. Es wäre falsch, dagegen zu sein. Wir enthalten
uns, weil das, was erreicht wird, nicht weit genug geht,
denn beim Sportler, der die zentrale Figur ist, wird nicht
angesetzt.
Danke schön.
({0})
Stephan Mayer spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!
Sehr geehrte Kollegen! Die Geständnisse und Enthüllungen der letzten Tage und Wochen über den Dopingmissbrauch im Radsport waren erschreckend und schockierend. Jetzt mag man vielleicht meinen, ich sei naiv oder
zu gutgläubig, da es Dopingfälle im Radsport schon immer gegeben habe; die neue Qualität, die meines Erachtens durch diese jüngsten Dopingbeichten vieler ehemaliger Telekom-Fahrer zutage getreten ist, ist aber, dass es
ein planvolles, kollusives Zusammenwirken im ehemaligen Telekom-Team gab, dass hochprofessionell gearbeitet wurde und dass es eine Selbstverständlichkeit und
teilweise unausgesprochen klar war, dass man dopte.
Dies macht einen fassungslos und vielleicht sogar
sprachlos.
Es wäre jetzt aber falsch, die Sportler, die gedopt haben und dies einräumen, an den Pranger zu stellen. Sie
haben auch nicht verdient, zu Heroen stilisiert zu werden. Es war mit Sicherheit kein großer Ausweis von Heldentum, sich jetzt zu offenbaren, nachdem die meisten
Delikte verjährt sind. Aber es wäre meines Erachtens das
falsche Signal, jetzt daraus den Schluss zu ziehen, dem
Radsport öffentliche Fördermittel zu entziehen und
möglicherweise sogar die öffentlich-rechtliche Berichterstattung über Radsportereignisse wie beispielsweise
die Tour de France einzustellen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Doping ist
eine Krake oder eine Hydra, die zumindest den Profiradsport und möglicherweise auch andere Sportarten fest im
Griff hatte und vielleicht immer noch hat. Ich halte den
Vergleich mit der Hydra insoweit für authentisch, als
sich herausgestellt hat, dass, obwohl es in der jüngsten
Zeit immer wieder neue Ermittlungsmethoden gab und
neue technische Möglichkeiten erfunden wurden, um
dem Dopingmissbrauch zu Leibe zu rücken, immer wieder schnell neue Medikamente entwickelt wurden, um
den Dopingmissbrauch zu verschleiern.
Es muss das Ziel aller Beteiligten sein, dass das, was
dem Radsport derzeit an Glaubwürdigkeitsverlust und
meines Erachtens mittel- und langfristig auch an Bedeutungsverlust widerfährt, anderen Sportarten erspart
bleibt. Es muss unser aller Ziel sein, dass Eltern ihre
Kinder wieder bedenken- und sorglos in Radsport-,
Leichtathletik- und andere Vereine geben können.
({1})
Vor diesem Hintergrund ist das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopingmissbrauchs ein wichtiger Schritt. Man
muss an dieser Stelle ganz klarmachen, für was das
staatliche Gewaltmonopol, für was der Gesetzgeber zuständig ist. Wir sind dafür zuständig, vor allem durch
eine Verschärfung des Strafrechts, den Schutzzweck zu
erfüllen, der uns aufgegeben wurde. Hier muss man eine
ganz klare Aufgabenteilung zwischen dem organisierten
Sport auf der einen Seite und dem Staat auf der anderen
Seite vornehmen. Ich vertraue nach wie vor der Fähigkeit des organisierten Sports, dem Dopingmissbrauch
erfolgreich zu Leibe zu rücken. Es gibt den Strict-liability-Grundsatz und die Beweislastumkehr. Der Sportler
macht sich strafbar, sobald steroide Mittel, Anabolika in
seinem Körper festgestellt werden. Lieber Kollege
Hermann, es stimmt nicht, was Sie sagen. Sie werfen
hier unablässig Nebelkerzen. Wenn der Fall, den Sie geschildert haben, eintritt, wenn also ein Radsportler mit
einer Dopingampulle um den Hals aufgegriffen wird,
dann ist das ein Versuch von Doping und somit strafbar.
Der Sportler wird beim ersten Mal sofort für mindestens
zwei Jahre gesperrt.
({2})
Er kann dann seinen Sport für zwei Jahre nicht ausüben.
({3})
An dieser Stelle muss man darauf hinweisen, was das
schärfste Schwert ist. Das schärfste Schwert ist doch,
wenn der Sportler seine geliebte Sportart nicht ausüben
kann, von der er vielleicht auch finanziell abhängig ist.
({4})
Herr Hermann, Sie betreiben hier reinen Populismus
und werfen Nebelkerzen. Das Gegenteil dessen, was Sie
gesagt haben, ist der Fall. Das schärfste Schwert ist die
Sportgerichtsbarkeit. Die Sportgerichtsbarkeit und die
Sportverbände sind auch in der Verantwortung, und in
dieser Verantwortung müssen wir sie in Zukunft in aller
Deutlichkeit belassen.
({5})
Ich begrüße es sehr, dass es immer mehr Verbände
gibt, zum Beispiel den Internationalen Radsportverband,
die UCI, die ihren Spitzensportlern Selbstverpflichtungen auferlegen. Ich würde mich freuen, wenn auch andere Verbände - ich weiß, der Schwimmsportverband in
Deutschland ist auf dem Weg dorthin; auch die Leichtathletik ist in diesem Bereich tätig - in Form von freiwilligen Selbstverpflichtungen ihren Sportlern klarmachten,
dass sie bestimmte Regularien einhalten müssen.
Auf der anderen Seite muss man auch klarmachen, für
was der Staat zuständig ist, für was er in diesem Fall nur
zuständig ist. Es ist in der deutschen Rechtsordnung nun
einmal so, dass Selbstgefährdung und auch Selbstschädigung straflos sind. Dies gilt auch für Sportler. So
schön es wäre, hier weitergehende Möglichkeiten im
Strafrecht zu schaffen - einer der Sachverständigen hat
von einem Anti-Dealing-Gesetz gesprochen -: Es ist nun
einmal so, dass die Chancengleichheit und die Fairness
im Sport nicht Schutzzweck im Sinne des Strafrechts
Stephan Mayer ({6})
sind. Nur ein solcher Schutzzweck würde dazu anhalten,
die Besitzstrafbarkeit bei Sportlern generell zu implementieren.
Wir schaffen mit diesem neuen Gesetz die Besitzstrafbarkeit bei nicht geringen Mengen, weil dies ganz
deutlich Handel indiziert. Bei internationalem illegalen
Handel von Arzneimitteln, die zum Zwecke des Dopings
verwendet werden, werden endlich auch Ermittlungsbefugnisse für das Bundeskriminalamt geschaffen. Gerade
der Fall des Dopingarztes Fuentes hat in aller Deutlichkeit gezeigt: Doping ist mittlerweile kein nationales Phänomen, Doping ist ein internationales Phänomen.
({7})
Deswegen ist es auch sehr fraglich, ob man nur mit nationalen Regularien und nationalen Normen dem Doping
wirklich langfristig und effizient zu Leibe rücken kann.
Ich würde mich freuen, lieber Kollege Parr, wenn die
FDP diesem sehr wegweisenden und zukunftsgerichteten Gesetzentwurf zustimmen könnte. Ich habe mir Ihren
Entschließungsantrag angesehen und festgestellt: Von
14 Einzelpunkten, die Sie aufführen, werden 13 im Gesetzentwurf verwirklicht. Der einzige Punkt, der nicht
verwirklicht ist, ist Ihr Ansinnen, dass auch auf der
Packung eines Arzneimittels ein Piktogramm aufzudrucken ist, das ausweist, dass das Medikament für Doping
verwendet werden kann. Vielleicht geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und stimmen dem Gesetzentwurf doch
noch zu, nachdem 13 von 14 Punkten Ihres Entschließungsantrages erfüllt sind.
({8})
Wir schaffen erstmals die Besitzstrafbarkeit beim
Sportler oder generell bei Personen, die nicht geringe
Mengen von anabolen Steroiden, Hormonen, wozu auch
Epo-Mittel gehören, bei sich führen, wobei ich der Ehrlichkeit halber klarmachen möchte: Das beste Dopingbekämpfungsgesetz ist wirkungslos, wenn es uns nicht gelingt, eine wirksame Prävention zu betreiben und
entsprechend stringente Kontrollen durchzuführen. Deswegen ist es wichtig, dass die Dopinganalytik und die
Dopingprävention verbessert werden.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang sehr, dass sich
der Bundesinnenminister in den Haushaltsverhandlungen durchsetzen konnte.
({9})
Die Mittel, die insgesamt für den Sport zur Verfügung
stehen, werden deutlich erhöht, nämlich um
20 Millionen Euro. Insbesondere die Mittel, die für die
NADA zur Verfügung stehen, werden deutlich erhöht.
({10})
Eine Steigerung um 1 Million Euro ist hier angedacht.
Das ist ein sehr erfreuliches und sehr mutiges Signal.
Des Weiteren ist vorgesehen, 2 Millionen Euro zusätzlich für Analytik und für Prävention zur Verfügung zu
stellen.
In diesem Zusammenhang muss man natürlich sehen:
Wir haben hier Nachholbedarf. Die Mittel, die der
NADA zur Verfügung stehen, belaufen sich derzeit auf
1,8 Millionen Euro im Jahr. Wenn man einen Blick ins
Nachbarland Frankreich wirft, dann stellt man fest, dass
die dortige Organisation 7 Millionen Euro hat.
({11})
Ich bin der Wirtschaft und insbesondere dem DOSB sehr
dankbar, dass sie sich hier deutlich beteiligen,
({12})
und würde mir wünschen, dass die Erhöhung der Mittel,
die der DOSB für dieses Jahr in Aussicht gestellt hat und
tatsächlich gibt, für die nächsten Jahre sozusagen verstetigt wird, sodass weiterhin Mittel in dieser Höhe zur Verfügung stehen.
({13})
Die Kontrolle ist das Entscheidende. Derzeit werden
8 000 Kontrollen bei ungefähr 9 000 Spitzensportlern
durchgeführt. Bisher waren es hauptsächlich Zufallskontrollen. Wir müssen in Zukunft verstärkt intelligente
Kontrollen, wirklich zielgenaue Kontrollen durchführen,
die sich daran orientieren: Wann wäre es aus Sicht des
Sportlers sozusagen „am vernünftigsten“, zu dopen? Daran muss sich ermessen, wann die Dopingkontrollen
durchgeführt werden.
({14})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Entscheidend ist natürlich auch die Prävention. Gerade in diesem Zusammenhang könnten sich die geständigen ehemaligen Telekom-Fahrer sehr verdient machen,
indem sie in Schulklassen, Sportverbände und Vereine
gehen, um dort entsprechend zu berichten.
({0})
Als letzten Punkt möchte ich noch Folgendes ansprechen: Die vorgesehene Evaluation des Gesetzes in fünf
Jahren ist richtig.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wenn sich aber wirklich herausstellen sollte, dass das
Gesetz nicht greift oder nicht in der Form greift, wie wir
es uns wünschen, muss die Evaluation auch früher möglich sein.
Es ist eine wichtige Etappe, die wir mit diesem Gesetz
zurücklegen. Ob es die Königsetappe ist - um im Jargon
der Tour de France zu sprechen -, wird sich erst in der
Stephan Mayer ({0})
Zukunft erweisen. Auf jeden Fall kann ich nur allen
empfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({1})
Jetzt spricht Joachim Günther für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in der heutigen Debatte über Doping
Vorschläge unterbreiten will, ist man eventuell gut beraten, vorher Fernsehen zu schauen. Man weiß ja nie, wer
gerade welches Geständnis abgelegt hat und wer wen belastet hat.
({0})
Dies sage ich auch vor dem Hintergrund dessen, was
Herr Jaksche vorgetragen hat und dass in zwei Tagen die
Tour de France beginnt. Hoffen wir, dass aus dieser
Richtung nicht noch mehr auf uns zukommt.
Gegenwärtig schlägt alles auf den Radsport ein. Es
wäre aber blauäugig zu glauben, dass in allen anderen
Sportarten, vor allem in Kraft- und Ausdauersportarten,
alles völlig rein, völlig sauber und völlig clean zugeht.
({1})
Vielleicht haben wir uns zu lange vor der Realität geduckt, nach dem Motto, was nicht sein darf, das kann
nicht sein. - Nicht selten gab es in der Vergangenheit
Diskussionen - das wissen wir alle; diese haben wir ja
auch im Sportausschuss geführt -, dass vor allem früher
im Ostblock, in China und anderswo auf dieser Welt gedopt wurde. Richtig ist, dort wurde gedopt; da wird vielleicht auch noch gedopt. Aber ebenso wird in den hochentwickelten Ländern aufgrund des wissenschaftlichen
Standards gedopt, und zwar nicht viel weniger als
anderswo auf der Welt. Bei so manchem 100-MeterLäufern konnte man, wenn man ehrlich ist und sich die
Bilder von Olympia noch einmal vor Augen führt, denken, sie kämen direkt aus einer Muskelfabrik. In der Realität hinken leider die Prüfmethoden meist hinter der
Spitzentechnologie des Dopings hinterher. Dies wurde ja
gerade im Radsport deutlich. Hier wurde ja Blutdoping
zugegeben und dabei deutlich gemacht, dass es in den
ersten Jahren nicht nachzuweisen war. Das darf in Zukunft nicht mehr passieren. Deswegen fordern wir als
FDP zu Recht, mehr in die Antidopingforschung zu geben, um den Antidopingkampf auf Augenhöhe führen zu
können.
({2})
Wir können und müssen einige Rahmenbedingungen
aufstellen, die den normalen und fairen Sport wieder in
die eigentliche Spur zurückbringen. Neben der Forschung müssen auch die Dopingkontrollen verbessert
werden: weg vom Urintest, hin zum Bluttest. Das ist ja
etwas, was 2008 bereits durchgeführt wird. All das
bringt Kosten mit sich; hierfür muss die Finanzierungsbasis der NADA in den kommenden Jahren kontinuierlich ausgebaut werden.
({3})
Es wurde hier richtigerweise schon angemerkt, dass
diese erhöht wurde. Ich bin aber der Überzeugung, dass
wir alle uns auch dafür einsetzen sollten, dass ein bestimmter prozentualer Anteil von allen Sponsoringgeldern ebenfalls der NADA zur Verfügung gestellt wird.
Damit hätten wir eine viel breitere Grundlage und könnten damit viel besser und auch im internationalen Vergleich hochwertiger agieren.
({4})
Es lohnt sich aber auch, über ein paar weitere Grundsätze nachzudenken und sie in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Zählt in der Wirklichkeit denn nur
noch der Sieg? Sind wir, die Öffentlichkeit und die
Presse nicht auch daran beteiligt, dass die Zweiten und
Dritten eines Wettkampfes bereits als Verlierer dargestellt werden? Bei der Tour de France wird der Etappensieger geehrt. Das Ereignis liegt vor uns. Schauen Sie
einmal genau hin: Da gibt es gar kein Podium mehr für
den zweiten und dritten Platz. Gehen wir in Deutschland
mit dem olympischen Gedanken richtig um? Auch
diese Frage muss einmal gestellt werden. Wir selbst sagen doch: Nur wer eine reelle Medaillenchance hat, darf
zur Olympiade fahren.
({5})
Eine offene Diskussion über die Qualifikationskriterien
für Olympische Spiele muss meines Erachtens nach
noch einmal stattfinden und möglich sein.
({6})
Wer von vornherein nur auf Siege setzt, wer alle anderen
Leistungen ausblendet, der darf sich im Endeffekt über
Doping nicht wundern. Auch der Sport muss hier
manchmal wieder zur Normalität zurückkommen.
({7})
In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einen
Blick in die Fernsehübertragungen zu werfen und über
das Sponsoring generell zu sprechen. Fernsehübertragungen, die Wettkämpfe hochspielen, weil Weltrekorde
vorher angekündigt werden oder hohe Geldbeträge für
bestimmte Wettkämpfe eingesetzt werden, um Jahresweltbestleistungen zu erzielen, geben geradezu den
Grund dazu, auf dieses Ereignis hinzudopen. Darüber
sollte gesprochen werden. Sport muss wieder zur
schönsten Nebensache der Welt werden. Ich weiß, das
bekommen wir nicht so einfach hin. Aber es wäre schön,
wenn wir in Zukunft wieder über wahre Sieger und nicht
über den besten Arzt oder den besten Chemiker sprechen
würden.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Fritz
Rudolf Körper das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz vorweg: Doping im
Sport ist Betrug ({0})
Betrug an den sportlichen Mitwettbewerbern, an den Zuschauern, an den Preisverleihern und an denen, die in gutem Glauben den Sport als Vorbild für Disziplin und
Fairness genommen haben. Dopingmissbrauch ist nicht
zu relativieren und nicht zu verharmlosen.
({1})
Doping ist auch nicht nur gesundheitsschädlich. Es kostet im Extrem das Leben und führt zum Tod.
({2})
Es ist viel über die Geschichte gesagt worden. 1886
ist erwähnt worden. Übrigens gab es im Jahre 1967 bei
der Tour de France ein einschneidendes Erlebnis zum
Thema Doping. Bei dieser Tour de France starb der englische Radsportler Tom Simpson an einer Mischung aus
Amphetaminen und Alkohol. Dieses Ereignis hat in der
Frage von Doping und Dopingbekämpfung natürlich einiges ausgelöst. Es kam zur Gründung der medizinischen Kommission des IOC, um die Dopingbekämpfung
voranzutreiben, international zu vereinheitlichen und
den Dopinggebrauch mit Sanktionen zu belegen. Das
war allerdings nicht sehr erfolgreich. Dieses Beispiel
zeigt aber, wie bestimmte Ereignisse Entscheidungen
herbeiführen.
Ich muss zugeben, dass wir hier in Deutschland im
Vergleich zwischen Februar dieses Jahres und heute eine
erheblich unterschiedliche Debattenlage haben. Diejenigen, die im Februar die Notwendigkeit eingefordert haben, in Sachen Dopingbekämpfung etwas zu machen,
sind zum Teil milde belächelt worden. Die Ereignisse
haben ihre eigene Sprache gesprochen.
({3})
Deswegen ist es richtig, dass wir ein Gesetzgebungsvorhaben auf den Weg gebracht haben, bei dem die
Strafbarkeit des Besitzes nicht geringer Mengen bestimmter Dopingmittel im Vordergrund steht. Uns ist immer wieder das Argument entgegengebracht worden, es
gehöre zur grundgesetzlich garantierten Freiheit, sich
den eigenen Körper ruinieren zu dürfen, auch mit Todesfolge. Dieses Argument ist falsch, absurd und nicht akzeptabel.
({4})
Es geht nämlich vom einzelnen Individuum aus und verkennt den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem
Doping angewendet wird.
Die Besitzstrafbarkeit betrifft den Besitz zu Dopingzwecken im Sport. Ziel des Dopens ist die heimliche
Verzerrung der Wettbewerbssituation.
({5})
Der Dopende sucht weder den Rausch noch die Selbstzerstörung. Er will zum Nachteil der Mitwettbewerber
den Sieg in einem gesellschaftlich organisierten Wettbewerb. Damit übt er Druck auf sämtliche Mitbewerber
aus. Zur Wahrung der Chancengleichheit müssen alle
dopen, wenn sie nicht verlieren wollen. Doping ist von
seiner Logik her deshalb kein Einzelphänomen. Doping
führt wegen des auf alle Wettkämpfer ausgeübten
Drucks zwangsläufig zu einem System des allgemeinen
Dopens.
Meine Damen und Herren, die Sturzflut der neuen Erkenntnisse, Enthüllungen und Geständnisse kann nur
den überraschen, der in seiner Wahrnehmung Doping auf
die Selbstschädigung des Einzelsportlers verkürzt hat.
({6})
Was folgt daraus?
({7})
Doping ist nicht nur Selbstschädigung, sondern ein systematischer Zwang zur Schädigung aller Beteiligten. Die
Besitzstrafbarkeit dient daher dem Schutz der Gesundheit sämtlicher Sportler sowohl im Spitzen- als auch im
Breitensport.
({8})
Diesen Zusammenhang herzustellen, ist mir sehr wichtig. Denn die Vorbildfunktion des Spitzensports führt bekanntlich auch im Breitensport zu einer Welle des Arzneimittelmissbrauchs. Schließlich dient die Vorschrift
der Sicherheit des Arzneimittelverkehrs.
Es ist auch ganz wichtig, festzuhalten, dass diese gefundene gesetzliche Regelung nicht im Widerspruch zu
den sportgerichtlichen Sanktionen zu sehen ist. Man
muss wissen, dass die sportgerichtlichen Sanktionen unter anderen Bedingungen ausgesprochen werden. Sie
knüpfen an die positive Probe an. Sie folgen anderen Beweisregeln. Dem Sportler muss nicht ein schuldhafter
Vorsatz nachgewiesen werden. Es gibt andere Strafen:
Ausschluss und Sperren statt Geld- oder Freiheitsstrafen.
Unterschiedliche Resultate der jeweiligen Verfahren sind
möglich und nachvollziehbar. Sie schaden also nicht.
Der Hinweis auf die angebliche Behinderung der
sportgerichtlichen Verfahren war ein Hauptargument,
das uns immer wieder entgegengeschleudert worden ist.
Ich denke, dass das damit ausgeräumt ist.
Die Sportgerichtsbarkeit ist alleine offensichtlich zur
effektiven Bekämpfung des Dopings nicht in der Lage.
({9})
Nur die Staatsanwaltschaft kann mit den ihr vorbehaltenen Ermittlungsmaßnahmen die Hintermänner ausfindig machen.
({10})
Ich denke, das ist ganz wichtig. Die Besitzstrafbarkeit,
Herr Kollege Parr, gibt den Staatsanwaltschaften einen
ersten Anknüpfungspunkt für Ermittlungen. Der Anfangsverdacht kann sich nun auch allein auf den Besitz
gründen. Die Beschränkung auf die nicht geringe
Menge macht die Vorschrift nicht wirkungslos. Die Beschränkung auf die nicht geringe Menge betrifft zwingend nur Anklage und Verurteilung. Der Anfangsverdacht kann im Zusammenhang mit anderen Tatsachen
auch auf den Besitz einer geringen Menge gestützt werden.
({11})
Das muss man hier noch einmal deutlich machen.
Ich bin froh, dass wir diese Regelung gefunden haben. Die Systematik dieses Gesetzentwurfes, nämlich
dass die Stoffe in der Anlage aufgeführt sind und dass es
Veränderungen in der Aufzählung durch Rechtsverordnungen geben kann, gibt uns die Möglichkeit, flexibel zu
handeln. Wir können relativ schnell reagieren.
({12})
Außerdem kann die nicht geringe Menge über eine
Rechtsverordnung definiert werden. Das zeigt die Praktikabilität dieses Gesetzentwurfes.
Ich hoffe, dass wir eine breite Mehrheit finden. Der
Sport hätte es verdient. Er soll weiterhin Vorbildfunktion
insbesondere für unsere Jugend haben.
Herzlichen Dank.
({13})
Jetzt spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Doping muss entschieden bekämpft werden. Darüber gibt es in diesem Haus überhaupt keinen Dissens. Aber dies muss natürlich mit
rechtsstaatlichen Mitteln und mit Mitteln, die vor der
Verfassung unseres Staates bestehen können, geschehen.
Es ist daher wichtig, noch einmal auf die Besitzstrafbarkeit zu sprechen zu kommen. Ich habe eine völlig
andere Überzeugung als Sie, Herr Kollege Körper.
Selbstverständlich kann und muss die Sportgerichtsbarkeit jeden Konsum und jeden Besitz von Doping ahnden. Das sollte sie viel konsequenter als bisher tun. Dazu
braucht sie aber Mittel und Möglichkeiten. Das Strafrecht kann und darf das nicht.
({0})
In der Anhörung gab es unterschiedliche Auffassungen; Kollege Danckert - er sitzt dort hinten - hat es angesprochen. Aber in einem Punkt, lieber Herr Kollege
Danckert, waren sich die Sachverständigen in der Mehrheit schon einig. Ich will einen von ihnen zitieren - Professor Dr. Jahn, Richter am Oberlandesgericht -:
Selbstgefährdende und selbstverletzende Verhaltensweisen einer frei verantwortlich handelnden
Person, die die Tragweite ihrer Handlungen überblickt, dürfen als solche
- ich betone: als solche nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Dies entspräche nicht dem Menschenbild des GG und wäre
verfassungswidrig.
Herr Kollege Körper, in Ihrem Beitrag sind Sie über
Ihren Gesetzentwurf hinausgegangen.
({1})
Denn Sie sehen darin ja keine Besitzstrafbarkeit vor
- für diese haben Sie sich hier sehr engagiert -, weil Sie
erkannt haben, dass das nicht geht. Aber die gleichen
verfassungsrechtlichen Probleme haben Sie natürlich
beim Besitz nicht geringer Mengen von Dopingmitteln.
Deswegen steht in Ihrem Gesetzentwurf, die Intention
der Strafbarkeit sei nicht deswegen gegeben, weil sie auf
den Konsum gerichtet ist, sondern deswegen, weil sie
auf die Verbreitung gerichtet ist.
({2})
- Das ist richtig. - Aber damit ist Ihr Vorschlag nur ein
Placebo; denn schon das Verbreiten, Verabreichen und
Weitergeben von Dopingmitteln ist ja strafbar.
({3})
So wie im Drogenrecht der Drogenhändler, der mit
1 Kilogramm Drogen in der Tasche erwischt wird, nicht
wegen des Besitzes, sondern wegen des Handeltreibens
verurteilt wird, so kann auch heute schon derjenige Arzt,
der einen Koffer voller Drogen in seinem Arztschrank
hat, nicht wegen Besitzes, sondern wegen der Abgabe
und des Inverkehrbringens verurteilt werden.
({4})
Ihr Angebot ist also ein reines Placebo. Sie handeln damit nach außen und glauben, Sie würden Aktivität entfalten, tun es aber in Wirklichkeit nicht.
Im Gegensatz dazu ist unser Vorschlag, der Vorschlag
des Sportbetrugs, die richtige Antwort auf Ihren ersten
Satz, Herr Kollege Körper: Jawohl, Doping ist Betrug.
Da, wo die Triebfeder für Doping Geld ist, wo es um
wirtschaftliche Werte geht, ist die Möglichkeit gegeben,
mit einer Strafvorschrift im Sinne des Sportbetrugs vorJerzy Montag
zugehen. Das ist der Vorschlag der Grünen. Wir wären
froh gewesen, Sie hätten diesen Vorschlag aufgenommen.
({5})
Jetzt spricht der Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte heute unterscheidet sich, wie ich finde, sehr positiv
von manchen Beiträgen in der ersten Lesung. Dies zeigt,
dass die zügige Beratung des Gesetzentwurfes, für die
ich mich bedanke, offensichtlich bei allen in diesem
Hause dazu geführt hat, dass wir die Tragweite und die
Tiefe dieses Problems noch deutlicher spüren und dass
wir, wenn wir ehrlich sind - gerade die letzten Beiträge,
auch mit dem juristischen Argumenten, von Herrn
Körper und Herrn Montag zeigen dies -, niemals eine
hundertprozentige Lösung finden werden, übrigens auch
nicht mit noch so vielen Forschungsmitteln, Herr Kollege Günther. Die Menschheitsgeschichte ist ein ewiger
Wettlauf zwischen solchen, die Gesetze verletzen wollen
und denjenigen, die versuchen, sie einzuhalten. Der freiheitliche Staat läuft hinterher und nicht voraus; das ist so
gewollt.
Deswegen ist es gut, dass wir uns darauf verständigt
haben: Der Staat allein - die Staatsanwaltschaften, die
Strafverfolgungsbehörden, der Gesetzgeber - kann und
wird dieses Problem nicht lösen. Er braucht vielmehr die
Unterstützung derjenigen, die im Sport Verantwortung
tragen. Deswegen ist es richtig und gut, dass wir dies gemeinsam machen, deswegen ist diese Partnerschaft
keine Kumpanei, sondern das richtige Verständnis einer
freiheitlichen Lebens- und Gesellschaftsordnung.
({0})
Die einfachen Lösungen sind alle gefährlich.
Frau Kollegin Kunert, Sie haben für die Linksfraktion
gesagt, das Übermaß des Kommerzes verursache das.
Es gab und gibt auf der Welt Sportsysteme, die gar nicht
viel mit Kommerz zu tun haben, die staatlich gelenkt
sind. Man kann aber nicht behaupten, dass in diesen Systemen nicht gedopt worden sei.
({1})
Ich sage das ganz zurückhaltend, weil die andere Seite
manchmal genauso zu Überheblichkeiten neigt. Ursache
ist nicht allein der Kommerz. Der ist zwar auch mit ursächlich, aber man kann beim besten Willen nicht sagen,
dass in staatlich gelenkten Systemen, in denen es nicht
um den Kommerz ging, nicht gedopt wurde. Das ist
nämlich nicht wahr. Vielleicht ist die Neigung des Menschen nach Maßlosigkeit die Ursache. Das können wir
nicht durch einen totalitären Staat, durch kein staatliches
System lösen, sondern nur durch die Wahrnehmung von
Freiheit, also Verantwortung. Der Staat muss den Rahmen setzen. Das tun wir in dem Maße, wie es möglich
ist, aber genau in dem Zusammenwirken von Staat und
Sport.
Herr Kollege Körper, ich habe Ihnen ganz aufmerksam zugehört; Sie sprachen vom Druck. Sie haben gesagt, wenn einer dopt, müssen es die anderen auch.
Wenn der Kollege Danckert in seiner anwaltlichen Tätigkeit als Verteidiger damit befasst wäre, könnte er Ihre
Argumentation aufgreifen und sagen: Allenfalls der
Erste, der jemals gedopt hat, kann strafrechtlich belangt
werden; alle anderen haben gewissermaßen nur darauf
reagiert. Sie haben fast ein strafrechtliches Entschuldigungsargument geliefert.
Herr Kollege Montag, deswegen ist es wichtig, dass
der Sport selber sanktioniert; Stichwort „strict liability“.
Das funktioniert. Weil es kein harmloses Alltagsdelikt
ist, sondern hochkriminell, brauchen wir ergänzend die
Vernetzung. Deswegen brauchen wir die Ausdehnung
des Strafrahmens, deswegen die Zuständigkeit des
Bundeskriminalamtes und der Einsatz des ganzen Instrumentariums, auch um Kommunikationsstrukturen zu
überwachen. Wir brauchen auch die Telekommunikationsüberwachung und die Möglichkeit, in Räume einzudringen. Wir müssen die Informationen auch entsprechend vernetzen. Ich sage das mit Blick auf andere
Debatten, die wir im Bereich der Innenpolitik noch führen wollen. Wir müssen das ganze Instrumentarium einsetzen, um diese hochkriminellen Strukturen bekämpfen
zu können.
Die Sportler, die Teil dieses Systems sind, sind von
diesem Strafrahmen erfasst, auch strafrechtlich. Der
Sportler wird nicht privilegiert. Wenn er Teil des Systems ist, ist auch er Täter. Die Einbeziehung des Sportlers ist notwendig.
Ich möchte eine weitere Bemerkung machen. Der
Kollege Riegert hat am Anfang der Debatte eine sehr bedenkenswerte Frage aufgeworfen, die wir aber nicht beantworten können, sondern die der Sport selbst, auch auf
internationaler Ebene, beantworten muss. Wenn man berücksichtigt, welch kleine Rolle Doping auf der Tagung
des Internationalen Olympischen Komitees gespielt hat,
weiß man, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.
Klaus Riegert hat gefragt: Gibt es Sportarten, in denen
man ohne den missbräuchlichen Einsatz von leistungsfördernden Mitteln, also ohne Doping, gar nicht in der
Weltspitze mithalten kann? Wenn es die gibt, müssen wir
daraus Konsequenzen ziehen.
Wir können das nicht definieren, nicht als Gesetzgeber und nicht als Politiker. Auch in diesem Zusammenhang brauchen wir die Zusammenarbeit mit denen, die
im Sport Verantwortung tragen. Wahr ist: Wenn das
Prinzip des Wettbewerbs im Sport, im Leistungssport
diffamiert wird, weil das nur noch Schmu ist, weil es nur
noch Missbrauch gibt und er nur noch gesundheitsschädlich ist, dann verliert der Sport das Großartige, was ihn
ausmacht und was er bewahren muss. Die freiheitliche
Organisationsform des Sportes kann das viel besser gewährleisten als jedes staatlich gelenkte System.
({2})
Ich bin mir mit den Verantwortlichen im deutschen
Sport, auch im deutschen Radsport, auch mit dem Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer, völlig einig. In
diesem Jahr findet die Straßenweltmeisterschaft in
Stuttgart statt. Wir werden die Tour de France und alles,
was damit zu tun hat, genau beobachten. Die Straßenweltmeisterschaft in Stuttgart bietet eine Möglichkeit für
einen Neuanfang - das ist vielleicht die letzte Chance für
den professionellen Radsport -, eine Möglichkeit, den
Sport mit unserer Hilfe aus diesem Sumpf zu befreien.
Die Politik kann das nicht alleine leisten. Bund, Land
und die Stadt Stuttgart sind da in enger Abstimmung.
Wir stimmen uns auch mit den Verantwortlichen des
Radsportes ab. Ich werde am Montag mit den Präsidenten des deutschen und des internationalen Radsportes
sprechen. Nein. Das ist die letzte Chance. Darüber muss
man reden. Ich weiß noch gar nicht, ob wir das hinreichend sicherstellen können. Deswegen sage ich ganz
klar: Wir werden sehr genau beobachten, was während
der Tour de France passiert. Das ist das letzte große internationale Ereignis vor der Straßenweltmeisterschaft.
Danach werden wir entscheiden. Das muss jeder wissen.
Es wäre jammerschade.
Ich sage Ihnen voraus: Die Debatte konzentriert sich
im Augenblick zu sehr auf den Radsport. Das ist notwendig und richtig. Aber es sollte niemand glauben, dass
sie sich auf den Radsport beschränkt. Deswegen machen
wir die strengen Untersuchungen in allen Bereichen,
denn Steuergelder können wir dafür nicht einsetzen. Da
sind wir uns alle einig.
Deswegen bedanke ich mich. Ich glaube, diese Debatte zeigt, dass wir mit dem Gesetzentwurf, den wir
heute verabschieden, nicht alle Probleme lösen. Das
kann der Gesetzgeber nie. Aber er kann einen wichtigen
Beitrag leisten und klarmachen: Wir geben das Großartige im Sport nicht auf. Wir vertrauen darauf, dass freiheitliche Gesellschaften, die wissen, dass es hundertprozentige Lösungen nicht gibt, besser in der Lage sind,
Missstände zu korrigieren, und dass der Prozess von try
and error auch da funktioniert.
Deswegen ermutigen wir den Sportler und nehmen
ihm seine Verantwortung nicht weg, indem wir sagen,
dass wir das jetzt allein machen. Denn das können wir
nicht. Wir leisten vielmehr unseren Beitrag und fordern
das andere ein. Wir werden mit diesem Problem noch
weiter zu tun haben.
Herzlichen Dank.
({3})
Jetzt spricht Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Trotz aller Kritik aus den Reihen der Opposition: Wir
leiten mit dem heutigen Gesetzentwurf durchaus einen
Paradigmenwechsel ein. Heute ist es so - das sage ich
insbesondere in Richtung der Fraktion der Grünen -,
dass man den Dealer, das heißt den Besitzer von unerlaubten Substanzen, mehr oder weniger auf frischer Tat
ertappen muss. Herr Kollege Montag, nur als Beispiel
der Fall Springstein. Herr Springstein ist nicht verurteilt
worden, weil man bei ihm zu Hause Dopingsubstanzen
gefunden hat, und zwar in einer erheblichen Menge, er
ist verurteilt worden aufgrund der nachgewiesenen Abgabe von Dopingsubstanzen an Minderjährige. Es ist
nicht richtig, dass Sie sagen: Der Besitz allein ist heute
schon strafbar. Nein, Sie müssen die Personen beim
Handel, bei der Weitergabe, beim Inverkehrbringen, erwischen. Das ist der entscheidende Unterschied. Ich
denke, Sie sollten sich einfach einmal das SpringsteinUrteil zu Gemüte führen. Dann sind wir an dieser Stelle
einer Meinung.
Dieser Gesetzentwurf ist ein Fortschritt. Es soll an
dieser Stelle ruhig noch einmal erwähnt werden: Auch
die Grünen - gemessen an der ungeheuren Zahl ihrer öffentlichen Erklärungen zu diesem Thema sind sie ja die
vermeintlich größten und besten Dopingbekämpfer aller
Zeiten - sehen in ihrem Antrag keine Form einer Besitzstrafbarkeit vor. Kollege Hermann musste einräumen,
dass das in dieser Fraktion nicht mehrheitsfähig war.
Daraus folgt: Diese Regelung, die - auch das soll einmal erwähnt werden - übrigens die Koalitionsfraktionen
in den Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht
haben, wäre mit Ihrer Fraktion, Herr Kollege Hermann,
definitiv nicht machbar gewesen. Von daher täte ein wenig mehr Bescheidenheit bei der Bewertung unserer
Maßnahmen gut.
({0})
Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die NADA werfen. Nennen wir sie ein Sorgenkind, das nach wie vor
nicht aus dem Gröbsten heraus ist.
({1})
Aber ein Neuanfang ist in Sicht. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe - ich betone das an dieser Stelle ausdrücklich -, die Arbeit der NADA zu unterstützen. Der
Bund wird in den kommenden Jahren wesentlich mehr
Geld zur Finanzierung der NADA bereitstellen, obwohl
- das ist an dieser Stelle nicht unwichtig - es eigentlich
nicht die originäre Aufgabe des Bundes ist, hier eine Art
institutionelle Förderung aufzubauen. Aber der unbestrittenen Notwendigkeit folgend stellen wir uns dieser
Aufgabe in Zeiten, in denen andere weiterhin vornehme
Zurückhaltung üben oder sich ihrer Einmalzahlungen
rühmen.
Schlussendlich muss die NADA die Aufgaben, die ihr
übertragen sind, auch leisten können. Wir werden nach
Kräften dazu beitragen, dass sie dies auch zukünftig
kann.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenden wir uns
einmal der medizinischen Abteilung des Sports zu. Was
ist eigentlich die Aufgabe von Ärzten? Volkstümlich
ausgedrückt besteht sie darin, Krankheiten zu heilen,
aber auch darin, Krankheiten nach Möglichkeit zu verhindern. An dieser Stelle frage ich: Kann man als Arzt
die aktive Teilnahme an der Verabreichung von Dopingsubstanzen, ohne den Eid des Hippokrates zu verletzen,
guten Gewissens damit begründen, dass man diese Widerwärtigkeiten nur deshalb medizinisch begleitet, um
beispielsweise Spätfolgen unkontrollierten Dopings zu
verhindern, dass man also angeblich sogar etwas Gutes
tut? Wir sagen dazu ganz eindeutig Nein.
Jüngste Stellungnahmen von Medizinern und Dopern
legen diese unerträgliche Lesart allerdings nahe. Doping
und Beihilfe widersprechen zutiefst dem ärztlichen Berufsethos. Daher ist zu überlegen - das ist eine Anregung -, ob sich dies nicht auch in der Musterberufsordnung der Ärzte widerspiegeln sollte. Damit sich Hausund Fachärzte, die Athleten im Krankheitsfall bestimmte
Arzneimittel verschreiben, nicht länger auf Unwissenheit berufen können, ist es auch richtig, dass Warnhinweise nicht nur in die Beipackzettel, sondern auch in die
sogenannten Fachinformationen aufgenommen werden.
({3})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit der
Lippenbekenntnisse ist vorbei. Gefragt ist ein grundlegender Mentalitätswechsel in Sport, Politik und Gesellschaft.
Was ist Erfolg? Welcher Sportler, welche Sportlerin
ist in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung erfolgreich? Saubere Sportler von heute sehen sich Fabelrekorden aus längst vergangenen testfreien Dopingzeiten ausgesetzt. Die Sportler wissen, dass sie diese Leistungen
vermutlich nie erreichen, geschweige denn verbessern
können. Ähnliches gilt für manche Qualifikationsnormen, die für die Teilnahme an Weltmeisterschaften oder
Olympischen Spielen zu erreichen sind. Ist ein Sportler,
der eine solche Qualifikationsnorm knapp verfehlt, ein
Versager? Wir sagen: Nein.
({4})
Wer eine Qualifikation nur um wenige Zentimeter
oder Bruchteile von Sekunden verpasst, gehört jedenfalls nach unserem Verständnis immer noch zur erweiterten Weltspitze.
({5})
- Ich freue mich über Ihren Beifall, Herr Kollege. - Solchen Leistungen gebührt Respekt und Anerkennung.
Oder doch nicht? Sind solche Athleten bestenfalls reif
für Dorfsportfeste? Wenn ich Aussagen aus den Reihen
der FDP richtig interpretiere, muss ich feststellen, dass
Sie eindeutig dieser Auffassung sind.
({6})
Herr Kollege Parr, das schlichte Infragestellen bestimmter Normen haben Sie mit folgendem Hinweis abgebügelt - ich zitiere -: Die Befürworter geringerer Normen
sollten konsequenterweise ganz auf eine Entsendung von
Athleten verzichten und sich auf Dorfsportfeste konzentrieren.
({7})
Lieber Herr Kollege, sauberen Athletinnen und Athleten,
die hart für ihre Ziele - bei manchen.sind es sogar noch
Träume - trainieren, müssen solche Bemerkungen wie
blanker Hohn vorkommen.
({8})
Noch ein Wort zur Kollegin Kunert. Frau Kunert,
nach wie vor steht die öffentliche Äußerung Ihres Fraktionsmitgliedes Nešković im Raum, dass Dopingmittel
einfach freigegeben werden sollten. Solange Sie das
nicht widerrufen und sich nicht öffentlich davon distanzieren, müssen Sie es uns nachsehen, dass wir Ihren Antrag als Lyrik bezeichnen. Wenn Ihnen diese Bezeichnung nicht passt, Frau Kollegin, kann ich ihn auch
inhaltsleer nennen; vielleicht gefällt Ihnen dieser Ausdruck besser.
({9})
Die vorgelegten Regelungen sind besser und gehen
weiter als all das, was bislang im Gesetz steht. Wir hoffen gemeinsam, dass alle an der Dopingbekämpfung beteiligten Institutionen und Personen den Ernst der Lage
erkannt haben.
({10})
Sollten wir nämlich zu der Erkenntnis kommen - dazu
brauchen wir vermutlich keine fünf Jahre -, dass die
Staatsanwaltschaften ihre Ermittlungen weiterhin - lassen Sie es mich so sagen - mit großer Zurückhaltung betreiben, kommen sehr schnell neue Stichworte auf die
Tagesordnung der politischen Diskussion.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Bevor ich die Debatte schließe, gebe ich das Wort zu
einer Kurzintervention der Kollegin Kunert für die Fraktion Die Linke.
Frau Kollegin Freitag, ich habe hier für die Fraktion
Die Linke zu unserem Entschließungsantrag gesprochen.
Wenn Sie sich wegen Wortäußerungen oder Wortmeldungen oder wegen eines Interviews mit dem Kollegen
Nešković auseinandersetzen wollen, können Sie das
gerne tun. Aber ich bin nicht seine persönliche Spreche11090
rin. Wie gesagt: Dieser Antrag ist ein Mehrheitsbeschluss der Fraktion; insofern muss ich hier für niemanden sprechen.
({0})
Zur Antwort, Frau Freitag, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin, es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass Sie diese öffentliche Äußerung, die Ende Mai in der „Welt“ nachzulesen war - ich
glaube, es war der 27. Mai -, abtun, dass Sie tun, als ob
es sie nie gegeben hätte. Was spricht dagegen, Frau Kollegin, dass sich die Fraktion Die Linke öffentlich von
dieser unsäglichen, menschenverachtenden Äußerung
des Linke-Abgeordneten Nešković distanziert? Auf
diese Frage, Frau Kollegin Kunert, habe ich bis heute
keine Antwort bekommen, auch von Ihnen nicht.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport.
Der Sportausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5937, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/5526 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
16/5938? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Änderungsantrag bei Zustimmung von Bündnis 90/
Die Grünen und Gegenstimmen im übrigen Haus abge-
lehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung
durch die Koalition, Gegenstimmen durch Die Linke
und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und FDP an-
genommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz-
entwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis wie zuvor angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge ab.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP auf
Drucksache 16/5942? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung
durch die FDP, Gegenstimmen der Koalition und Enthal-
tung bei Der Linken und Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/5941? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist
bei Zustimmung durch Die Linke, Gegenstimmen durch
die Koalition und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grü-
nen und FDP ebenfalls abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Sportausschusses auf Drucksache 16/5937
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4738 mit dem Titel
„Bekämpfung des Dopings im Sport vorantreiben und
Optimierungsmöglichkeiten ausschöpfen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zu-
stimmung durch die Koalition, Gegenstimmen der FDP
und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke angenommen.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/4166 mit dem Titel „Be-
kämpfung des Dopings im Sport“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alition und der FDP und Gegenstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen, bei Enthaltung der Fraktion Die Linke an-
genommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 35 b bis 35 f
sowie die Zusatzpunkte 7 a bis 7 c auf:
35 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({0}), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mehr Park- und Stellplätze für Lkw auf Bundesautobahnen
- Drucksache 16/5278 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({2}), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neues Verkehrssicherheitskonzept für Bundesautobahn 12 zusammen mit dem Land
Brandenburg umsetzen
- Drucksache 16/5611 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
d) Beratung des Antrags des Abgeordneten Patrick
Döring, Hans-Michael Goldmann, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Toxische Rückstände in Transport-Containern - Herausforderung für Arbeits- und Verbrauchersicherheit
- Drucksache 16/5612 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Rainder Steenblock, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizieren
- Drucksache 16/5777 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike
Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Deutsche Kolumbien-Politik auf die Stärkung
ziviler Friedensinitiativen und der sozialen,
demokratischen und Menschenrechte ausrichten
- Drucksache 16/5678 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 7a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer ({7}), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Rainer Wend, Martin Dörmann, Dr. Ditmar
Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie
sichern
- Drucksache 16/5908 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig
Fischer ({9}), Eckart von Klaeden, Anke
Eymer ({10}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Brunhilde Irber, Gert Weisskirchen ({11}),
Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen
- Drucksache 16/5907 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({12})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Humboldt-Forum statt Fassadenschloss Schlossplatz mit Zukunftsorientierung
- Drucksache 16/5922 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13})
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 r,
die Zusatzpunkte 8 a bis 8 k sowie den Tagesordnungspunkt 17 b. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36 a:
Beratung der Fünften Beschlussempfehlung und
des Berichts des Wahlprüfungsausschusses
zu 27 gegen die Gültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen
- Drucksache 16/5700 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Es ist verabredet, dass der
Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses das Wort zur
Berichterstattung erhalten soll. Herr Kollege Strobl, Sie
haben das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie entscheiden heute über die Fünfte Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses. Sie
betrifft 27 von ursprünglich 195 gegen die Gültigkeit der
Bundestagswahl 2005 eingelegte Wahleinsprüche. Wenn
Sie der Empfehlung des Ausschusses folgen und die Einsprüche zurückweisen, ist die Wahlprüfung für die
Thomas Strobl ({0})
16. Wahlperiode abgeschlossen, jedenfalls im Hinblick
auf den Deutschen Bundestag. Denn in einigen Fällen,
über die der Deutsche Bundestag bereits entschieden hat,
haben die Einspruchsführer von ihrem Recht Gebrauch
gemacht, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen.
Gegenstand dieser Verfahren sind die Kandidatur von
Mitgliedern der WASG auf den Landeslisten der Linkspartei, der Einsatz von elektronischen Wahlgeräten, die
Nachwahl in Dresden im Oktober des Wahljahres und
schließlich die im Zusammenhang mit Überhangmandaten auftretende Besonderheit des sogenannten negativen
Stimmengewichts, das - vereinfacht gesagt - bedeutet,
dass man der Partei seiner Wahl unter Umständen dadurch schaden kann, dass man ihr seine Zweitstimme
gibt.
Weitere bedeutende Themen der Wahlprüfung waren zum einen die Verwechslung der Stimmzettel bei der
Versendung der Briefwahlunterlagen an die Wähler der
beiden Dortmunder Wahlkreise, die zur Ungültigkeit der
betroffenen Stimmen geführt hat. Zum anderen war die
Kritik vieler Einspruchsführer, dass bei der vorgezogenen Neuwahl 2005 genauso viele Unterstützungsunterschriften für Wahlvorschläge beizubringen waren wie
bei einer regulären Bundestagswahl, ein Thema.
Diese Auflistung von Themen macht deutlich, was
das Kennzeichen der Wahlprüfung der 16. Wahlperiode
war: nicht so sehr eine große Zahl von Einsprüchen, dafür aber eine Vielzahl diffiziler Rechtsfragen mit weitreichenden Folgen. Wäre zum Beispiel in der Kandidatur
von WASG-Mitgliedern auf den Listen der Linkspartei
ein Wahlfehler gesehen worden, hätte dies unweigerlich
die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag und Neuwahlen zur Folge gehabt.
Vor diesem Hintergrund ist die sachliche Atmosphäre,
die bei den Beratungen im Ausschuss herrschte, ebenso
hervorzuheben wie die Tatsache, dass im Hinblick auf
das Ergebnis der Entscheidungen durchweg Konsens bestand. Dissens gab es lediglich im Hinblick auf die verfahrensmäßige Behandlung einiger Einsprüche. Bei einigen großen Themen - wie der Nachwahl in Dresden
und den Listen der Linkspartei - hielt es die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen für unangemessen, die jeweiligen Einsprüche ohne öffentliche mündliche Verhandlung
zurückzuweisen.
Sie hätte der Bedeutung dieser Einsprüche gern durch
eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beteiligung der Einspruchsführer Rechnung getragen. Für die
Ausschussmehrheit indessen war ausschlaggebend, dass
zwar schwierige Rechtsfragen zu entscheiden waren, in
tatsächlicher Hinsicht jedoch kein weiterer Aufklärungsbedarf bestand. Ferner hätte eine mündliche Verhandlung zu einer Verzögerung der Entscheidung des Bundestags geführt, was letztlich nicht im Interesse der
Einspruchsführer gelegen hätte.
Aus diesen Gründen wurde auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Die Rechtsgrundlage hierfür bildet
§ 6 des Wahlprüfungsgesetzes, wonach von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, wenn der
Einspruch offensichtlich unbegründet ist. Dabei konnte
sich die Ausschussmehrheit, auf die seit der 8. Wahlperiode praktizierte und vom Bundesverfassungsgericht
gebilligte Auslegung des Wahlprüfungsgesetzes stützen.
Gleichwohl bestand im Ausschuss Einigkeit darüber,
dass es grundsätzlich unbefriedigend ist, auch rechtlich
komplexe Fälle als offensichtlich unbegründet einzustufen.
Nicht nur bei juristischen Laien - seien es Einspruchsführer
oder Teile der interessierten Öffentlichkeit - können so
Missverständnisse und Irritationen hervorgerufen werden.
Deshalb hat der Wahlprüfungsausschuss eine fraktionsübergreifende Initiative zur Änderung der einschlägigen
Bestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes angeregt und
auch ausformuliert. Künftig soll in Anlehnung an die für
das Bundesverfassungsgericht geltenden Bestimmungen
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eine mündliche
Verhandlung nur noch dann durchgeführt werden, wenn
davon eine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten
ist.
Ich plädiere übrigens dafür, dass wir diesen gemeinsam gefundenen Text konsequent im Deutschen Bundestag einbringen und eine Änderung des Wahlprüfungsgesetzes in diesen Punkten rasch herbeiführen.
Damit ist eine weitere wesentliche Funktion der
Wahlprüfung angesprochen. Zum einen und zuvörderst
geht es natürlich darum, die rechtmäßige Zusammensetzung des Parlaments zu prüfen. Zum anderen geht
es aber auch darum, die bei dieser Prüfung gewonnenen
Erfahrungen für eine Verbesserung des geltenden Rechts
und seiner Anwendung nutzbar zu machen.
Diesem Anliegen dienen die in der Beschlussempfehlung enthaltenen und an die Bundesregierung gerichteten
Prüfbitten. Wie Sie sehen, werden dort die bedeutenden
Themen der Wahlprüfung erneut aufgegriffen, diesmal
jedoch mit Blickrichtung auf künftige Wahlen. De lege
ferenda wollen wir so zu Verbesserungen unseres Wahlrechts und der Wahlrechtspraxis beitragen.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich mich bei
den Kolleginnen und Kollegen im Wahlprüfungsausschuss für die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit herzlich bedanken.
Ich bitte Sie, der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zuzustimmen.
Besten Dank.
({1})
Der Beifall macht deutlich, dass das gesamte Haus für
die Arbeit des Ausschusses dankbar ist.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf
Drucksache 16/5700. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das
ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung
einstimmig angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/5943. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Koalition
und der FDP sowie bei Enthaltung durch Die Linke abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 36 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes
- Drucksache 16/1991 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 16/5924 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Michael Hartmann ({1})
Hartfried Wolff ({2})
Silke Stokar von Neuforn
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5924, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/1991 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalition, die FDP
und das Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen
durch die Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen vom
13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen
- Drucksache 16/5336 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 16/5935 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({4})
Jörg van Essen
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5935, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5336 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des VN-Übereinkommens vom
13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen
- Drucksache 16/5334 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 16/5936 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({6})
Jörg van Essen
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5936, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5334 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung und einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Europäischen Übereinkommen vom
26. Mai 2000 über die internationale Beförderung von gefährlichen Gütern auf Binnenwasserstraßen ({7})
- Drucksache 16/5389 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({8})
- Drucksache 16/5789 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5789, dem Gesetzentwurf der Bundes11094
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
regierung auf Drucksache 16/5389 anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen
bitte die Hand heben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 f:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 22. April 2005 zur Änderung
des Übereinkommens vom 11. Oktober 1973 zur
Errichtung des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage
- Drucksache 16/5577 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({9})
- Drucksache 16/5773 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5773, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5577 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Es gibt keine Enthaltungen und keine
Gegenstimmen. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10}) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Neunundsiebzigste Verordnung zur Änderung
der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 16/5328, 16/5487 Nr. 2.1, 16/5709 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 16/5709, die Aufhebung der Verordnung
nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung des gesamten
Hauses ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Landwirtschaftliche Krankenversicherung ab
2009 weiter an Bundesmitteln zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung beteiligen
- Drucksachen 16/5427, 16/5892 Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Waltraud Wolff ({12})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5892, den Antrag auf
Drucksache 16/5427 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition und
ohne Enthaltungen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({13})
Übersicht 7
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 16/5756 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 36 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 242 zu Petitionen
- Drucksache 16/5741 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 243 zu Petitionen
- Drucksache 16/5742 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Enthaltung durch Bündnis 90/Die
Grünen und bei Zustimmung aller übrigen Fraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 244 zu Petitionen
- Drucksache 16/5743 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 245 zu Petitionen
- Drucksache 16/5744 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 246 zu Petitionen
- Drucksache 16/5745 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die FDP und Zustimmung der übrigen Fraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 247 zu Petitionen
- Drucksache 16/5746 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 248 zu Petitionen
- Drucksache 16/5747 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zustimmung der übrigen Kolleginnen und Kollegen angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 249 zu Petitionen
- Drucksache 16/5748 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch
Koalition und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen durch die Linke und die FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 250 zu Petitionen
- Drucksache 16/5749 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung
durch die Koalition und Ablehnung durch die Opposition angenommen.
Zusatzpunkt 8 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 251 zu Petitionen
- Drucksache 16/5911 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 8 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 252 zu Petitionen
- Drucksache 16/5912 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 253 zu Petitionen
- Drucksache 16/5913 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen und bei Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 8 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 254 zu Petitionen
- Drucksache 16/5914 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 8 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 255 zu Petitionen
- Drucksache 16/5915 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die FDP und sonstiger Zustimmung angenommen.
Zusatzpunkt 8 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 256 zu Petitionen
- Drucksache 16/5916 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Sammelübersicht ist bei Enthaltung durch
die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen ange-
nommen.1)
Zusatzpunkt 8 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 257 zu Petitionen
- Drucksache 16/5917 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der üb-
rigen Fraktionen angenommen.
1) Siehe Anlage 2
Zusatzpunkt 8 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 258 zu Petitionen
- Drucksache 16/5918 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 8 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 259 zu Petitionen
- Drucksache 16/5919 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen der
Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen.
Zusatzpunkt 8 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 260
zu Petitionen
- Drucksache 16/5920 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung der
Koalition, bei Gegenstimmen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Zusatzpunkt 8 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 261
zu Petitionen
- Drucksache 16/5921 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung der
Koalition und bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 b:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl,
Kristina Köhler ({9}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den
Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Maik
Reichel, Klaus Uwe Benneter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes
- Drucksache 16/5239 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10})
- Drucksache 16/5923
Abgeordnetete Kristina Köhler ({0})
Maik Reichel
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5923, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/5239 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung der Koalition und der FDP und bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich bitte erheben. - Gegenstimmen - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher angenommen.
Zusatzpunkt 9:
Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Wissenschaftlichen
Beratungsgremiums gemäß § 39 a des StasiUnterlagen-Gesetzes
- Drucksache 16/5883 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
daher gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 16/5883? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Wahlvorschlag einstimmig angenommen.
Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Ergebnisse des Dritten Energiegipfels der
Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Angesichts der großen Bedeutung der Energiepolitik für
unseren Wirtschaftsstandort und für die Verbraucher im
Land ist es, so glaube ich, notwendig, auf den Energiegipfel, der vor zwei Tagen stattgefunden hat, zurückzublicken und zu schauen, was er gebracht hat. Die hohen
Ziele wie Klimaschutz, Energiesparen und Energieeffizienz mit all den Zahlen, die dort genannt und vereinbart
wurden und die wir als FDP-Bundestagsfraktion vom
Grundsatz her unterstützen, bleiben schlicht und ergreifend unerreichbar und unbezahlbar, wenn wichtige Instrumente für die Umsetzung dieser Ziele schlicht außer
Acht gelassen werden.
({0})
Ich nenne als Beispiel den Energiemix und eine Zahl.
Es ist vereinbart worden, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr
2020 um bis zu 40 Prozent zu senken. Dies ist, um das
ganz klar zu sagen, ohne den Einsatz der Kernenergie
nicht erreichbar, utopisch.
({1})
Die Folgen dieses Ausstiegs aus der Kernenergie werden der vermehrte Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken, damit ein erhöhter CO2-Ausstoß, erhöhte Energiekosten für Verbraucher und Unternehmen und eine
vermehrte Abhängigkeit von Importen sein. Diese negativen Folgen sind vor dem Hintergrund zu betrachten,
dass die Kanzlerin sehr richtig an dem Dreierkanon festgehalten hat, der aus Klimaschutz, Bezahlbarkeit von
Energie, also Wirtschaftlichkeit, und Versorgungssicherheit besteht. Sie hat interessanterweise drei Szenarien
durchrechnen lassen und diese mit Zahlen belegt. Ich
nenne nur zwei. Aus den Studien geht hervor, dass durch
den Verzicht des Einsatzes der Kernenergie bis 2020
Mehrkosten von etwa 5 Milliarden Euro entstehen werden.
Zweitens geht aus der Studie hervor, dass bei einem
50-prozentigen Anteil der Versteigerung von Emissionszertifikaten ab 2013 wohl nur noch Gaskraftwerke gebaut
werden. Das ist das Gegenteil von Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, und es ist das Gegenteil einer Minderung
der Importabhängigkeit des Standortes Deutschland.
({2})
Sie müssen die Frage beantworten, wie Sie diese Defizite beseitigen wollen.
({3})
In der Wirtschaftsdebatte heute Morgen spielte auch
die Investitionstätigkeit in Deutschland eine Rolle.
1,3 Prozent des BIP werden in Deutschland investiert.
Das ist die Hälfte des EU-Durchschnitts. Heute Morgen
wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass der Standort
Deutschland mehr Investitionen braucht. Ich wiederhole:
Das ist richtig. Für mehr Investitionen brauchen wir,
liebe Mitglieder der rot-schwarzen Koalition, Investitionssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen.
Vergessen Sie nicht: In Kraftwerke kann man auch außerhalb des Standortes Deutschland investieren. Das
heißt, wir geraten auch in Versorgungsdefizite, wenn wir
nicht aufpassen und die drei Ziele, die ich eben genannt
habe, tatsächlich zueinanderführen.
Ich bemängele ganz ausdrücklich, dass die Kanzlerin
den offenkundigen Konflikt zwischen den Ministern
Gabriel und Glos einfach nur moderiert hat. Sie hat aufgegeben, sie hat resigniert, und sie hat nicht das umgesetzt, was eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre: darauf
zu drängen, dass hier ein in sich konsistentes Energieprogramm tatsächlich aufgelegt wird.
({4})
Was die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke angeht, hätte ich mir mehr Engagement und Ideenreichtum gewünscht. Wir schlagen in einem Antrag,
über den im weiteren Verlauf der Sitzung debattiert werden wird, in Bezug auf die Steuervorteile, die sich durch
kürzere Abschreibungszeiten für Kernkraftwerksbetreiber ergeben haben, vor, dass die Kernkraftwerksbetreiber freiwillig vereinbaren, eine bestimmte Summe, nämlich ihren Steuervorteil, in eine Stiftung einzuzahlen,
durch die Energieforschung befördert wird. Zudem sollte
auf der anderen Seite ermöglicht werden, dass kostengünstig erzeugte Energie verkauft werden kann, sodass
beispielsweise Stadtwerke besonders günstige Energie
kaufen können.
({5})
All das wäre zugunsten der Verbraucher und auch der
Unternehmen an unserem Standort. Wir müssen unsere
Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das ist absolut erforderlich.
Summa summarum bleibt für mich festzustellen: Dies
war ein Gipfel der Orientierungslosigkeit und der Unverbindlichkeit. In der Energiepolitik hat er uns nicht weitergebracht.
Danke sehr.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Kopp, ich muss Ihnen widersprechen, wenn Sie sagen, der Gipfel habe nichts gebracht oder er sei durch Orientierungslosigkeit geprägt
gewesen.
({0})
Auf dem Gipfel sind in der Tat keine Beschlüsse gefasst
worden. Das war aber auch nicht die Aufgabe eines
solchen Energiegipfels. Das Parlament und die Bundesregierung sollten für sich in Anspruch nehmen, das
Energieprogramm für Deutschland zu gestalten. Der
Energiegipfel hat wichtige Hinweise gegeben, wie wir
dieses Energieprogramm und die Energiezukunft
Deutschlands und Europas gestalten können.
Durch diesen Gipfel ist eine Basis geschaffen worden,
auf der wir aufbauen können. Wir sollten in der Tat einmal bei den Fakten verweilen; manchmal hilft nämlich
das Betrachten der Fakten beim Nachdenken über das
Handeln. Diesbezüglich sollte insbesondere unser Koalitionspartner ein bisschen aufpassen.
({1})
Wir haben eindeutig drei Szenarien. Wir haben zum einen das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Szenario.
Es bedeutet, dass wir alle Anstrengungen zur Stärkung
der Energieeffizienz, also zum Einsparen von Energie,
unternehmen. Darüber sind wir uns wahrscheinlich alle
in diesem Hause einig.
({2})
Ob wir das ambitionierte Ziel, 3 Prozent des bisherigen
Energieverbrauchs einzusparen, erreichen, wird sich zeigen. Aber die bisherigen 0,9 Prozent sind eindeutig zu
wenig. Das Ziel muss es sein, die 3 Prozent zu erreichen,
um bis 2020 zu einer Einsparung in einer Größenordnung von 15 bis 20 Prozent zu kommen.
Des Weiteren sagt dieses Szenario: Wir wollen wie
bisher die erneuerbaren Energien ausbauen. Das bedeutet sehr dynamische Wachstumsraten mit zunehmenden
Lösungsbeiträgen sowohl für den Klimaschutz, für die
Wirtschaftlichkeit als auch für die Versorgungssicherheit. Aber es sagt auch, dass wir, wie politisch beschlossen und gesetzlich verankert, bis 2020 aus der Kernenergie aussteigen.
Das zweite Szenario ist, aus der Kernenergie auszusteigen, die Energieeffizienz genauso zu steigern und die
erneuerbaren Energien massiv auszubauen, und zwar so
massiv wie möglich.
Das dritte Szenario ist: Wir bauen die erneuerbaren
Energien massiv aus, wir verbessern die Energieeffizienz, und wir verlängern die Laufzeit der Kernkraftwerke.
Das sind die drei Szenarien. Das sind die Fakten.
Adam Riese lässt sich dort nicht betrügen. Was ist das
Ergebnis? Wir können unsere Klimaschutzziele international und national erreichen. Unser nationaler Beitrag
von 40 Prozent wird nicht nur erreicht, sondern sogar
mit 45 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2020
übererfüllt. Dies erreichen wir aber nur mit dem Szenario drei, indem wir also die Laufzeit der Kernkraftwerke
verlängern.
({3})
Das heißt, wir können das Klimaschutzziel nicht nur
erfüllen, sondern sogar übererfüllen, und das sogar wirtschaftlich. Wir erreichen nämlich mit diesem Szenario
geringere Kosten - Frau Kopp hat die Zahl genannt -,
und zwar in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro
pro Jahr. Jeder hier - auch der Bundesumweltminister appelliert, dass man für den Verbraucher und den Wettbewerb etwas tun möge. Hier können wir etwas für die
Verbraucher und den Wettbewerb tun. Mit diesem Szenario entlasten wir nämlich die Energieverbraucher, also
die Haushalte, die Menschen und die Wirtschaft, in einer
Größenordnung von 6 Prozent.
({4})
während wir bei den anderen Szenarien von einem Anstieg um 5 Prozent ausgehen.
Last, but not least leisten wir auch einen Beitrag zur
Versorgungssicherheit, denn wenn wir die erneuerbaren
Energien massiv ausbauen - Beispiel ist jetzt die Stromerzeugung -, dann können wir 30 bis 35 Prozent erreiDr. Joachim Pfeiffer
chen, und wenn wir die Kernenergie weiterlaufen lassen,
dann sind es auch 30 Prozent. So erreichen wir dann
70 Prozent CO2-freie Stromproduktion, und die Importabhängigkeit wird nicht erhöht - das geschieht bei allen
anderen Szenarien -, sondern sie wird sogar noch reduziert.
Lassen Sie uns die richtigen Schlüsse ziehen, und
zwar nicht ideologisch, sondern klar sachorientiert! An
erster Stelle steht die Energieeinsparung. Zweitens. Wir
brauchen heute und in Zukunft einen Energiemix. Die
Mischung macht’s nämlich. Drittens - darüber wurde bis
jetzt zu wenig gesprochen; das ist auch ein eindeutiges
Ergebnis des Gipfels - können wir eine Win-win-Situation bei der Erfüllung unserer Ziele beim Klimaschutz
und im Wirtschaftsbereich nicht nur für Deutschland,
sondern für die ganze Welt schaffen, indem wir nämlich
die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands sowohl bei der Stromerzeugung - sei es bei den erneuerbaren Energien, wo wir sehr gut aufgestellt sind, sei es
durch Clean-Coal-Technologie, die vielleicht ab 2020
auch wirtschaftlich zur Verfügung steht - als auch im
Gebäudebereich mit Einsparungen, Wärmedämmung
und anderen Dingen sowie im Transportbereich nutzen.
Mit dieser Strategie können wir ohne Ideologie nicht nur
in Deutschland Klimaschutz betreiben und einen weltweiten Beitrag leisten, sondern wir können auch noch etwas für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts tun
sowie Arbeitsplätze und eine gute Zukunft für Deutschland schaffen. Packen wir es also an!
({5})
Der nächste Redner ist der Kollege Hans-Kurt Hill für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Drei Gipfeltreffen - und die Bundesregierung ist wieder
da, wo sie 2005 schon einmal war. Das ist das Ergebnis
des dritten Gipfels. Man ist keinen Deut weitergekommen. Was vor fast zwei Jahren im Koalitionsvertrag verabredet wurde, wollen Sie jetzt angehen. Wer das glaubt,
wird selig.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen währenddessen
für die Strom- und Gasrechnungen immer tiefer in die
Tasche greifen. Und was macht die Bundesregierung?
Sie lässt sich von den Bossen der Energiekonzerne an
der Nase herumführen. Wir müssen miterleben, wie sich
die Minister Glos und Gabriel fast wöchentlich in die
Haare geraten, anstatt endlich Energiepolitik umzusetzen.
({0})
Ein genauer Blick in das Koalitionspapier zeigt, dass
mit dieser Regierung kein Energiekonzept machbar ist.
Ich zitiere aus Ihrem Koalitionsvertrag:
Deutschland braucht ein energiepolitisches Gesamtkonzept, das eine Vorsorgestrategie im Hinblick auf weltweit knapper werdende fossile Ressourcen beinhaltet.
Was bedeutet das? Durch zunehmende Ressourcenknappheit - neben rasant steigenden Energiepreisen vor allem internationale Konflikte und Kriege. In die
wird Deutschland zunehmend hineingezogen, und das ist
schlecht.
Für Konfliktprävention sehe ich bei der Bundesregierung keine Priorität. Nach dem Verteidigungsweißbuch
2006 will die Bundesregierung auf nationaler Ebene Sicherheitsvorsorge durch präventives Handeln gewährleisten. Dabei sollen auch - hört, hört! - militärische
Mittel bis hin zu bewaffneten Einsätzen einbezogen
werden. Bei den G 8 und auf EU-Ebene zielt die Bundesregierung darauf ab, bestehende Märkte und die vorhandenen Energiestrukturen zu schützen. Dazu sollen
vorrangig bilaterale Beziehungen zu Förder- und Durchleitungsländern verstärkt werden, um den Zugang zu
fossilen Ressourcen zu sichern. Das alles ist das Gegenteil von Friedenspolitik. Das ist aggressiv und gefährlich.
({1})
Außerdem heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle
am Atomkonsens nicht rütteln. Was erleben wir hier?
Täglich das Gegenteil, so auch heute Morgen.
({2})
Die Energiestrategie soll nun auf Grundlage eines Gutachtens entstehen, das die Bundesregierung beim Kölner
Energie-Institut in Auftrag gab. Allerdings basiert das
Papier auf sehr einseitigen Annahmen. Die Klimaschutzziele und eine sichere Versorgung sind danach - welch
eine Überraschung! - am besten mit der Atomenergie erreichbar. Dabei wurden die enormen Kosten und Gefahren der Atomenergienutzung aber komplett ausgeklammert.
Einziger Rettungsanker für Minister Gabriel ist die
Festlegung, die Energieeffizienz bis 2020 zu verdoppeln.
Nur dann wird das erreicht, was die Regierung plant,
nämlich ohne die Atomkraft auszukommen.
Bei den erneuerbaren Energien lebt die Große Koalition völlig an der Realität vorbei. Dies erklärt auch, warum die Zukunftsenergien beim Gipfel am sogenannten
Katzentisch abgefrühstückt wurden. Die Vorgaben aus
dem Koalitionsvertrag für das Jahr 2010 sind bereits
jetzt von der Branche übertroffen worden. Im Interesse
der Verbraucherinnen und Verbraucher fordere ich Sie
auf, endlich zu handeln und nicht den Stillstand zu regieren.
({3})
Für die Linke ist der Weg klar:
Erstens. Wir wollen die Energiewende, sozial fair und
ökologisch.
({4})
Zweitens. Deshalb setzen wir auf die clevere Nutzung
von Strom, Wärme und Kraftstoffen sowie den Ausbau
der erneuerbaren Energien.
Drittens. Das schafft Beschäftigung, Klimaschutz und
bezahlbare Energie aus heimischer Produktion.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Rolf Hempelmann für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Hill, namentlich verkörpern Sie geradezu den Energiegipfel der Linken. Die fünf Minuten
haben aber auch gereicht, um all das darzustellen, was
Ihnen zu dem Thema einfällt. Selbst das, was Sie an Kritik geäußert haben, zum Beispiel in Richtung erneuerbarer Energien, ist so weit von den Realitäten entfernt, dass
man sich von dieser Seite nicht ernsthaft damit befassen
muss.
Bei der FDP hat man den Eindruck, als sei sozusagen
das Kernthema bzw. die Kernessenz dieses Gipfels, dass
es unbedingt notwendig ist, die Laufzeit der Kernkraftwerke zu verlängern. Wer den Gipfel ein wenig verfolgt
hat und die Verlautbarungen aus dem Gipfel heraus
kennt, der wird sofort erkennen, dass die Reduzierung
der Botschaft dieses Gipfels genau auf diesen Punkt
fehlgeht. Ich denke, dass die Botschaft wesentlich komplexer ist.
({0})
Der Energiegipfel hat eines sehr deutlich gemacht: Es
gibt eine große Einigkeit sowohl zwischen den beteiligten
politischen Kräften als auch der betroffenen Wirtschaft
und den Stakeholdern, dass wir eine Energiepolitik brauchen, die zugleich den Zielen Umweltverträglichkeit,
Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit verpflichtet ist. Ich glaube, dass das Tagesgeschäft, das ja im
Deutschen Bundestag weitergelaufen ist, beweist, dass
unsere aktuelle Politik genau diesen Zielen untergeordnet ist.
Ich erinnere an drei große Projekte, die wir vorangetrieben haben. Da ist zum einen der Emissionshandel. Im
Zuteilungsgesetz ist, wie ich denke, sehr deutlich geworden, dass wir ambitionierte Klima- und Umweltpolitik
betreiben,
({1})
dass wir aber gleichzeitig durch die Sicherung auch eines konventionellen Energiemixes dafür sorgen, dass
auch die Versorgungssicherheit im Lande gewährleistet
bleibt.
Auch mit dem energetischen Gebäudesanierungsprogramm erreichen wir die umweltpolitischen Zielsetzungen.
Gleichzeitig haben wir im Sinne von Wirtschaftlichkeit,
Schaffung von Arbeitsplätzen und Kostensenkungen dafür gesorgt, dass für Arbeitnehmer und Verbraucher eine
Menge herausspringt. Das ist, wie ich denke, ein integrierter Ansatz und entspricht auch genau dem Signal,
das der Gipfel ausgesendet hat: Diese Art von Politik
soll fortgesetzt werden.
({2})
Wir haben das auch im Zusammenhang mit einer Verordnung zur Anreizregulierung getan, die in diesem Fall
vom Wirtschaftsministerium erarbeitet worden ist und
die ebenfalls zwei Zielen dient: Zum einen sorgt sie dafür, dass die Kosten und damit auch die Preise in diesem
Bereich sinken können, zum anderen stellt sie Versorgungssicherheit auf Basis einer hohen Qualität der Netze
durch entsprechende Investitionen her.
Ein weiteres Signal, das vom Gipfel ausgegangen ist,
lautet allerdings auch: Die Hausaufgaben sind noch nicht
gemacht. Wir sind erst dabei.
({3})
Wir müssen diesen Kurs fortsetzen. Deswegen ist auch
die Verständigung auf die Ziele, die etwa im Bereich der
erneuerbaren Energien oder der Energieeffizienz erreicht
werden sollen, besonders hervorzuheben.
({4})
Es ging aber nicht nur um Ziele, sondern es wurde
auch klar angekündigt, dass das Kabinett bereits im September, also im Frühherbst, konkrete Vorschläge vorlegen wird, die wir dann hier im Parlament zu beraten haben. Insbesondere wird es dabei um ein Paket gehen, in
dessen Mittelpunkt die Energieeffizienz steht. Ich nenne
hier die Stichworte KWK, Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen, Weiterentwicklung des Gebäudesanierungsprogramms, die Ökodesignrichtlinie und Mindeststandards für elektrische Geräte, Energieberatung und
vieles andere mehr. Insbesondere wird es auch um die
Umsetzung der europäischen Energiedienstleistungsrichtlinie gehen. Das wird ein großes Paket und stellt damit eine große Herausforderung dar. Aber wenn wir eine
Effizienzsteigerung von 3 Prozent jährlich bis zum Jahr
2020 schaffen, dann haben wir, wie ich glaube, einerseits
unsere Wirtschaft fit gemacht und andererseits ökologisch ehrgeizige Ziele erreicht.
({5})
Bei diesem Gipfel wurden manche Bedenken ausgeräumt. So hatten die energieintensiven Industrien Besorgnisse geäußert. Es ist aber deutlich geworden, dass
sich die Effizienzstrategie nicht in erster Linie an die
richtet, die schon Effizienzanstrengungen unternommen
haben, sondern dass der Schwerpunkt genau in den Bereichen gesetzt wird, wo noch nicht so viel passiert ist
und es deswegen hohe Potenziale gibt. Wir freuen uns
auf dieses Effizienzprogramm. Das wird uns, wie ich
denke, einen ganz wesentlichen Schritt voranbringen.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Höhn für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Energiegipfel hat in der Tat für Wirbel gesorgt. Dort
wurde kräftig ausgeteilt. Da hat sich Rot mit Schwarz
angelegt. Da hat Gabriel mit Glos gekämpft. Da waren
die Energiekonzerne gegen die Politik. Der Umgangston
hat uns einige neue Begriffe beschert. Die einen haben
die anderen als Öko-Bolschewisten beschimpft; die anderen haben mit „Wirtschaftsstalinisten“ zurückgekeilt.
Das war in der Tat eine „Bereicherung“ der politischen Kultur in diesem Land. Es wurde geholzt. Es war
lautstark. Nur eines war es nicht: Es war kein Beitrag zu
einer zukunftsfähigen Klima- und Energiepolitik in diesem Land. Das war es nicht, meine Damen und Herren.
({0})
Warum? Ziele sind gut. Aber wenn die entsprechenden
Maßnahmen nicht kommen, dann sind Ziele nichts wert.
({1})
Deshalb müssen wir Maßnahmen vorlegen. In diesem
Sinne hat der Energiegipfel nichts gebracht - kein Beschluss, keine Maßnahmen, keine neuen Initiativen.
({2})
Für die drängenden Fragen des Klimaschutzes hat dieser
Gipfel null und nichts gebracht. Das müssen wir feststellen.
({3})
Lassen Sie mich einmal die einzelnen Punkte durchgehen. Sie haben recht, Herr Pfeiffer; wir müssen die
Einzelpunkte in der Tat durchgehen.
Der Schwerpunkt dieses Gipfels war Energieeffizienz. Die Bundesregierung spricht von 3 Prozent mehr
Energieeffizienz pro Jahr. Auch wir als Grüne halten das
für machbar; 3 Prozent sind ehrgeizig, aber durchaus erreichbar.
Liebe Damen und Herren von der Großen Koalition,
von nichts kommt aber nichts. Herr Hempelmann hat
hier so schön erklärt, das große Maßnahmenpaket zur
Energieeffizienz komme im Herbst. Herr Hempelmann,
da sind Sie schon zu spät; denn tatsächlich hätten Sie genau dieses Maßnahmenkonzept, diesen Aktionsplan, am
30. Juni der EU melden müssen. Und der 30. Juni ist
vorbei.
({4})
Sie kommen mit Ihren Hausarbeiten nicht nach.
({5})
Gestern habe ich den Staatssekretär gefragt, warum er
diesen Maßnahmenkatalog eigentlich nicht zum 30. Juni
an die EU weitergeleitet habe. Darauf hat er gesagt, die
meisten anderen Staaten hätten das auch noch nicht gemacht. Das finde ich eine tolle Erklärung. Offensichtlich
reicht es der Bundesregierung schon, dass sie nicht
Schlusslicht in der EU ist. Ich dachte, Sie wollten beim
Klimaschutz immer vorneweg sein.
({6})
Das kriegen Sie aber offensichtlich nicht hin, meine Damen und Herren.
({7})
Die zweite Frage ist der Atomausstieg. Dieser Punkt
ist hier ja stark diskutiert worden: Atomausstieg, ja oder
nein? Das ist ein Dauerstreit in dieser Koalition. Da
muss ich sagen: Solange sich die Bundesregierung nicht
eindeutig und klar zum Atomausstieg bekennt, so lange
werden Investitionen in erneuerbare Energien und in dezentrale Strukturen verhindert.
({8})
Das ist das Problem. Deshalb sage ich Ihnen: Wir
brauchen Planungssicherheit. Planungssicherheit besteht darin, dass das einmal Beschlossene und Zugesagte
auch eingehalten werden muss. Das muss die Bundesregierung auch mit vollem Herzen unterstützen. Deshalb:
Ja zum Atomausstieg.
({9})
Dann schauen wir uns einmal die Alternative an. Was
ist denn mit den alten AKWs? Pünktlich zu jedem Energiegipfel haben wir einen neuen Störfall. In diesem Fall
war es Krümmel. Gestern haben wir erfahren, dass es
eben nicht, wie Vattenfall gesagt hatte, ein kleiner Störfall war, sondern dass der Reaktor davon betroffen war.
Letztes Jahr war es ein Beinahe-GAU im schwedischen
Forsmark, 20 Minuten an einem GAU vorbei. Der Chef
von Vattenfall hat damals gesagt: Wir müssen uns entschuldigen, weil wir die Sicherheitskultur vernachlässigt
haben, weil wir alkoholisierte Mitarbeiter hatten, weil
wir falsch verlegte Kabel hatten und weil wir falsch eingestellte Ventile hatten.
Meine Damen und Herren, so sieht es mit den alten
AKWs aus. So sicher sind die AKWs von Schweden und
von Deutschland! Wir wollen aus diesen alten AKWs
aussteigen,
({10})
weil wir dieses Sicherheitsrisiko nicht mitmachen können.
({11})
Deshalb sage ich Ihnen, Frau Kopp, und auch den anderen: Wenn Sie behaupten, Laufzeitverlängerungen
brächten Preisminderungen für die Verbraucher, dann
haben Sie die Wirtschaftspolitik eindeutig nicht verstanden.
({12})
({13})
Ich konnte die Durchsage von hier oben aus nicht verhindern. Ich bitte um Verständnis.
Frau Kollegin, ich habe Ihre Redezeit angehalten. Ich
mache aber darauf aufmerksam, dass Sie langsam zum
Schluss kommen müssen.
Gestern Brand in Krümmel und in Brunsbüttel und
heute im Rechenzentrum des Bundestages. Vielleicht ist
es besser, auf dezentrale Systeme umzusteigen.
({0})
Jetzt noch einmal zurück zum Wettbewerb. Die versprochenen Preissenkungen wird es natürlich nicht geben, weil es keinen Wettbewerb gibt. Frau Kopp, auch
Sie wissen das. Frau Merkel hat auf dem Energiegipfel
einen schweren Fehler gemacht. Sie hat nämlich gesagt:
Die eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Energieproduktion - das fordern wir -, wird von der Bundesregierung nicht mehr unterstützt. Sie hat damit den
Atomkonzernen auf dem Silbertablett etwas präsentiert,
was nicht in Ordnung ist. Damit halten wir an überholten
Strukturen fest, wozu die vier großen Energiekonzerne
gehören. Das Oligopol bleibt bestehen, was zu unfairen
und zu hohen Preisen beiträgt. Wir haben keinen Wettbewerb auf den Energiemärkten. Das ist das Problem für
die Verbraucherinnen und Verbraucher.
({1})
Letzte Bemerkung. Wir als Grüne haben anders als
die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt.
Darüber werden wir morgen beraten. Ich appelliere an
alle Kollegen, dass wir in diesem Sinne gemeinsam nach
vorne gehen. Wir müssen den Stillstand überwinden.
Wer die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren will,
der muss hier und heute Maßnahmen auf den Weg bringen und darf dies nicht auf später verschieben.
Vielen Dank.
({2})
Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Frau Höhn, ich erinnere mich an
unsere gemeinsame Düsseldorfer Zeit. Da Sie als Erstes
bei diesem Thema beklagen, dass eine lautstarke Auseinandersetzung in der Großen Koalition stattgefunden
hat, muss ich Ihnen bei allem Respekt entgegnen, dass
Sie noch nie eine Meisterin des leisen Wortes waren.
Ihre Bemerkung ist also vor diesem Hintergrund nicht
verständlich.
Wir haben rechtzeitig gehandelt und den Energiegipfel richtig terminiert; denn er fand nach dem EU- und
nach dem G-8-Gipfel statt, die sich zum großen Teil mit
den Themen Energie und Klima beschäftigten. Es war
einfach klug, diesen Gipfel abzuwarten und den Energiegipfel auf den dort gewonnenen Erkenntnissen aufzubauen. Es war auch klug, auf den Energiegipfel nicht mit
fertigen Ergebnissen zu gehen; denn es musste erst einmal eine Basis hergestellt werden, auf der man nun konkret entscheiden kann. Genau das ist der Weg.
Dass die Opposition meint, sie könne schneller handeln, ist in Ordnung. Wenn Sie an der Regierung wären,
wären Sie möglicherweise noch langsamer. Im Übrigen,
Frau Höhn, haben wir vor der Großen Koalition im
BMU von Ihren Effizienzstrategien nichts vorgefunden.
({0})
Aus Ihrer Regierungszeit ist dazu nichts vorhanden gewesen. Deswegen sollten Sie sich ein wenig zurückhalten.
({1})
Wir wollen konkrete Maßnahmen ergreifen, die unabhängig davon, ob es eine Zukunft mit oder ohne Kernenergie geben wird, richtig und notwendig sind. Ich
bitte, Folgendes zu bedenken: Es gibt unterschiedliche
Bewertungen zwischen CDU/CSU und SPD in dieser
Frage. Obwohl wir in diesem Punkt unterschiedlicher
Meinung sind, sind wir aber nicht so töricht, das, was
jetzt getan werden muss, nicht mit aller Kraft in Angriff
zu nehmen. Handeln ist das Gebot der Stunde.
({2})
Wer immer sich in dieser Frage bei den Wählern durchsetzt, wird sich erst später entscheiden. Bei einer Verlängerung der Erzeugung von Kernenergie fallen die Anstrengungen, die unternommen werden müssen,
vielleicht nicht so schwer wie im Falle ohne Kernenergie. Darum dreht sich die streitige Diskussion, die wir
miteinander führen. Die Frage ist nun, wie wir diesen
Prozess effizient steuern können.
Wir haben uns ein unglaublich ehrgeiziges Ziel gesetzt; da kann einem fast schon schwindelig werden. Wir
haben uns eine Effizienzsteigerung um 3 Prozent pro
Jahr vorgenommen. Das muss man doch realisieren. Ich
behaupte, dies ist das ehrgeizigste Klimaziel eines großen Industriestaates in der Welt.
({3})
Das kann man nur verantworten, wenn an allen Ecken
und Enden sorgfältig geschaut wird, wie wir diesen Prozess akkordieren, wie wir ihn unter mehrfachen Effizienzgesichtspunkten steuern. Das ist ein riskantes
Unternehmen. Wir können dabei Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland gefährden.
({4})
Deswegen sollten wir mit aller Aufmerksamkeit und
hoffentlich möglichst wenig Streit vorgehen.
Die Industrie in Deutschland muss weiterhin wettbewerbsfähig produzieren können. Die Verbraucher klagen
über steigende Strom- und Energiekosten. Das sind doch
Klagen, die wir ernst nehmen. Wie gehen wir damit um?
Die eine Antwort lautet: mehr Effizienz beim Stromund Energieeinsatz. Je mehr es uns gelingt - um es einmal einfach zu sagen -, den Strom- und Energieverbrauch zu reduzieren, desto günstiger wird die Rechnung
für die Verbraucher.
({5})
- Vorsicht, ich bin noch nicht fertig. Ich denke in Schritten; Sie denken ja immer nur im Ganzen. Das ist der
Unterschied.
({6})
Da aber die Preisgestaltung im Rahmen der Energieerzeugung, zum Beispiel bei den regenerativen Energien, teurer wird, wird die Energierechnung für den Verbraucher möglicherweise nicht niedriger ausfallen.
Vielmehr wird er durch einen geringeren Verbrauch einen höheren Preis ertragen können, ohne deswegen wirtschaftliche Abläufe zu gefährden. Das ist doch die eigentliche Kernaufgabe, die wir zu lösen haben. Es wird
nicht wirklich billiger werden. Wer dies den Menschen
sagt, sagt etwas Falsches. Aber Energie wird unendlich
viel teurer, wenn wir nicht in gleicher Geschwindigkeit
die Energieeffizienz, die Energieproduktivität erhöhen.
Das sind die Schlüsselbegriffe, die wir miteinander in
Verbindung bringen müssen.
Da ist das Wirtschaftsministerium mindestens so gefragt wie das Umweltministerium. Es gibt Anreizsysteme, Verordnungen und Vorschriften. Das ist die eine
Gestaltungsmöglichkeit, über die die Politik verfügt. Die
andere Gestaltungsmöglichkeit ist jene über die Förderung von Erfindungen, über die technologische Erneuerung unserer Produktionsweisen und Prozessketten, all
dessen, was Teil des volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Prozesses ist.
Um einmal einen kleinen Unterschied deutlich zu machen, der zwischen den Ansätzen des Umweltministeriums und denen des Wirtschaftsministeriums besteht
- vielleicht sehe ich zu große Unterschiede; ich würde
mich freuen, wenn es nicht so wäre -: Im Zweifel setzt
der Wirtschaftsminister auf die Kunst der Ingenieure. Ich
glaube, dass wir die Klimafragen ganz überwiegend mit
Ingenieurleistung beherrschen werden können und beherrschen werden müssen. Dies ist die Stunde der Ingenieure. Da muss entwickelt werden, da müssen Innovationen gefunden werden. Da müssen wir die Bildung, die
Erziehung und die Forschung an den Universitäten optimieren. Hierzu haben wir eine Serie von Programmpunkten gestartet, die man in einer Redezeit von neun
Minuten gar nicht alle vorstellen kann. Das ist der eine
wichtige Weg.
Dann brauchen wir Steuerungselemente. Darauf kann
man nicht ganz verzichten. Hier gibt es keinen ideologischen Streit; das ist eine Frage des Mischungsverhältnisses zwischen den beiden Gestaltungsmöglichkeiten. In
diesem Zusammenhang ist besonders wichtig: Diese beiden Methoden des Vorgehens müssen miteinander koordiniert werden. Sie müssen widerspruchsfrei zueinander
bestehen. Sie müssen wirkungsmächtig sein. Sie müssen
auch immer wieder auf Effizienz untersucht werden: Ist
die gesetzliche Regelungsmechanik wirklich effizient
und zielführend? Ist die ingenieurmäßige Entwicklung
effizient und zielführend? Deswegen bleibt in dieser
ganzen Debatte die Effizienz der Schlüsselbegriff in jeder Himmelsrichtung. Daran arbeiten wir. Ich denke, das
bekommen wir miteinander hin.
Wir planen ein wirtschaftlich tragfähiges Energieeffizienzgesetz, eine Rechtsetzung, in der wir Energieeffizienzfragen bündeln wollen. Dazu gehören die
Regelungen, die im Rahmen der Umsetzung der EUEnergiedienstleistungsrichtlinie notwendig sind. Wir
werden einen Energieeffizienzfonds einrichten, mit dem
Energieeffizienzpotenziale bei kleinen und mittleren Unternehmen schneller erschlossen werden sollen. Wir
werden die bereits gestartete Exportinitiative im Hinblick auf Energieeffizienz beschleunigen. Damit wollen
wir Marktchancen und Absatzmöglichkeiten für deutsche Produkte entwickeln. Das alles gehört dazu. Es ist
ein unglaublich komplexer Bereich, in dem wir hier arbeiten.
Mit einzelnen und schnellen Schlüssen kommen wir
nicht weiter. Ich glaube, eine sorgfältige Abstimmung
der Instrumente - einige habe ich genannt - ist jetzt geboten und vernünftig. Dann haben wir Chancen; denn
wir starten - das erkennen wir, wenn wir uns in der Welt
umsehen - von einem technologisch und regulativ intelligenten Niveau. Auf diesem Niveau können wir im
Wettbewerb standhalten.
({7})
- Der eine oder andere schon, Herr Hempelmann. Wir
erfinden das Rad ja nicht jeden Tag neu. Auch wir haben
hinzugelernt; das ist völlig unstreitig und auch in Ordnung. Es gibt ja keinen Bruch, sondern wir entwickeln
uns evolutionär nach vorne.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wie
können wir unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes
den Energieverbrauch in Grenzen halten? Wir haben einen konkreten Vorschlag zur Novellierung des Kraft11104
Wärme-Kopplungsgesetzes auf den Tisch gelegt, der
sich genau mit diesem Thema beschäftigt und eine Lösung anbietet. Wir sollten die Belastungen, die aus dem
EEG und dem KWK-Gesetz resultieren, zusammen betrachten, weil der Verbraucher von beidem betroffen ist.
Wir brauchen eine wirtschaftlich sinnvolle und effiziente
Ausgestaltung dieser Maßnahmen. Nur so können wir
den wirklich anspruchsvollen Klimaschutzzielen gerecht
werden und die Belange der Wirtschaft und der Verbraucher beachten. Das ist eine große Aufgabe. Lasst sie uns
möglichst gemeinsam anpacken!
Herzlichen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich es
sehr bemerkenswert finde, dass der für die Energiepolitik zuständige Minister es nicht für nötig hält, hier selbst
über den Energiegipfel zu berichten. Herr Schauerte, das
geht nicht gegen Sie persönlich, aber das Ministerium
fährt hier die B-Besetzung auf, und das ist eine Missachtung des Parlaments.
({0})
Aufgrund der öffentlichen Debatte könnte man vermuten, Herr Gabriel sei zuständig. Mit großem Tamtam
haben sich die Minister Gabriel und Glos in den vergangenen Tagen öffentlich untereinander und mit der Wirtschaft gestritten, und zwar in einer Form, die - da muss
ich der Kollegin Höhn widersprechen - nicht erfreulich,
sondern der Sache abträglich war. Ich finde, dass die beiden Minister PR-Arbeit in eigener Sache betrieben haben, dabei aber in keiner Weise an die Zukunft unseres
Landes gedacht haben.
({1})
Bei diesem Gipfel ist rein gar nichts herausgekommen. Das gilt für die Themen Klimaschutz, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Zum wiederholten Male
werden uns von der Bundesregierung Überschriften bzw.
Ziele präsentiert, aber keine einzige abgestimmte Maßnahme. Auf dem Energiegipfel ist von dieser Koalition
kein Problem gelöst worden. Sie sagen, Sie wollen erneuerbare Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung fördern. Rund um den Energiegipfel und auf dem Energiegipfel haben Sie aber nicht gesagt, wie Sie das tun
wollen. Sie haben kein Konzept zur Förderung erneuerbarer Wärme auf dem Markt. Sie haben kein Konzept
zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Es fehlen
auch konkrete Ansätze, beispielsweise wie man unsere
solaren Spitzentechnologien in die Entwicklungsländer
bringen könnte. Zu all dem hat dieser Energiegipfel
nichts als Sprechblasen produziert.
({2})
Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass die beiden Minister, die sich aufführen, als wären sie in einer
Soapopera, von der Kanzlerin den Auftrag bekommen
haben, sich zusammenzusetzen und gemeinsam ein Konzept auszuarbeiten. Ich frage mich, was Sie in den letzten Monaten getan haben. Spätestens seit dem EU-Gipfel im März - nicht erst seit dem G-8-Gipfel - sind die
Hausaufgaben dieser Bundesregierung klar; seitdem ist
klar, welche Ziele umgesetzt werden müssen. Sie haben
schlichtweg gepennt und sich nur öffentlich auseinandergesetzt.
({3})
Ich möchte auf eine Sache eingehen, die von der Kollegin Höhn angesprochen worden ist, nämlich auf die Sicherheit der Atomkraftwerke. Sie haben gesagt: Pünktlich zu jedem Energiegipfel haben wir einen Störfall. Sie
haben dargestellt, dass möglicherweise mehr passiert ist,
als zunächst gesagt wurde; das werden die weiteren Untersuchungen zeigen müssen. Sie haben dann - über
Schweden zu Deutschland - die Schlussfolgerung gezogen, dass alle Kernkraftwerke in Deutschland nicht sicher betrieben werden können. Frau Höhn, wer war denn
der Minister, der in den letzten Jahren die Atomaufsicht
hatte? Das war Ihr Kollege Trittin. Wenn es bei diesen
Kraftwerken solche Sicherheitsprobleme gibt, wie Sie
uns gerade erzählt haben, dann hat er seine Amtspflichten verletzt, weil er sie nicht stillgelegt hat. Wäre es tatsächlich so, hätte er sie stilllegen müssen.
({4})
An die Adresse unseres amtierenden Umweltministers, der auch für die Atomaufsicht zuständig ist, möchte
ich sagen: Man kann das nicht so locker handhaben, wie
Sie es letzte Woche gemacht haben, und sich als zuständiger Minister in eine Pressekonferenz setzen und sagen:
Unsere Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt,
aber manchmal knallt und brennt es eben. - An dieser
Stelle sage ich: Wenn die Störfälle so ernst sind, dass sie
die Sicherheit der Menschen systematisch gefährden,
dann müssen Sie diese Kraftwerke stilllegen. Ansonsten
dürfen Sie nicht solche Bemerkungen machen, ohne die
Fälle vorher untersucht zu haben.
({5})
Auf diesem Energiegipfel gab es eine positive Aussage, nämlich dass die Kanzlerin sich klar dazu bekannt
hat, dass wir die CO2-Abscheidetechnologie in Deutschland voranbringen müssen. Das ist wichtig; denn daran
hängt die Frage, ob wir die Kohle in Deutschland in Zukunft noch verantwortlich nutzen können. Letztendlich
wird dies nur mit der CO2-Abscheidetechnologie gelingen, also dadurch, dass wir Kohlekraftwerke bekommen,
die kaum noch CO2 emittieren. Ich finde, das ist ein
positiver Fortschritt in dieser Debatte. Aber was hat gestern der Umweltstaatssekretär Müller im Umweltausschuss gemacht? Er hat mit seiner Aussage wieder alles
relativiert, indem er darauf hinwies, es müsse geforscht,
geprüft und über die Vor- und Nachteile nachgedacht
werden. Nein, wir müssen jetzt gemeinsam die Anstrengung unternehmen, dafür zu sorgen, dass wir die Kohle
auch in den nächsten Jahrzehnten noch verantwortlich
nutzen können.
({6})
Herr Gabriel hat völlig recht: Es ist illusorisch, zu glauben, aus der Kohle und der Kernkraft gleichzeitig aussteigen zu können, wie die Grünen immer wieder behaupten.
Vielen Dank.
({7})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dirk
Becker das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst darf ich mich bei der FDP sehr herzlich dafür
bedanken, dass Sie die Aktuelle Stunde heute beantragt
haben;
({0})
denn Sie geben der Regierungskoalition damit die Gelegenheit, die wirklich erfolgreiche Arbeit, die beim Energiegipfel geleistet wurde, noch einmal zu würdigen.
({1})
Ich will eines sehr deutlich sagen, Frau Kopp und
Herr Kauch: Ich finde es abenteuerlich, dass nach dem
Energiegipfel Ihr Vertreter der Güteklasse A - er ist
heute bei der FDP ebenso wenig anwesend ({2})
vor die Presse getreten ist und verkündet hat,
({3})
dass die FDP enttäuscht sei. Für den Klimaschutz sei
nichts erreicht worden, die FDP sei doch die Klimaschutzpartei. Ausgerechnet diese Fraktion ist die einzige,
die bei der Selbstverpflichtung der Mitglieder des Deutschen Bundestages, etwas für den Klimaschutz zu tun,
nicht mitmacht. Überdenken Sie doch bitte schön einmal
Ihr eigenes Handeln!
({4})
Ich möchte zum Urteil der Grünen etwas sagen, Frau
Kollegin Höhn. Ich will jetzt niemanden aus dieser Regierung bemühen, ein Urteil über den Energiegipfel abzugeben. Man muss sich aber nur einmal ansehen, was
die Umweltverbände nach dem Energiegipfel gesagt haben. Es gab zum Beispiel Interviews mit Vertretern von
WWF und BUND.
({5})
Alle haben deutlich gemacht, dass das, was die Bundesregierung beim Energiegipfel erreicht hat, deutlich mehr
ist, als sie für möglich gehalten haben. Wenn sie es als
Erfolg feiern, dann sollten auch Sie sich das zu eigen
machen und den Erfolg anerkennen.
({6})
Wenn Sie selbst in der Regierung wären, würden Sie
diese Ergebnisse mit Stolz vertreten.
({7})
Ich nenne einmal einige Eckpunkte. Es gibt ein klares
Bekenntnis
({8})
zum 40-Prozent-Ziel. In der Erklärung wurde deutlich
betont, dass das 40-Prozent-Ziel für Deutschland gilt.
Wir haben weiter eine Effizienzsteigerung um 3 Prozent
pro Jahr bis 2020 vereinbart. Das Ziel des Ausbaus im
Bereich der erneuerbaren Energien auf 27 Prozent gilt
ebenfalls; Sie sind bisher von 20 Prozent ausgegangen.
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärenergie soll 16 Prozent betragen. Ein regelmäßiges Monitoring wurde vereinbart, um Jahr für Jahr zu überprüfen,
ob wir noch in der Spur sind, um die Ziele zu erreichen.
({9})
- Haben Sie ein bisschen Geduld! Ich habe noch zweieinhalb Minuten Redezeit. Ich werde noch auf die Maßnahmen eingehen.
All das hat dazu geführt, dass bis zum Ende der Sommerpause im Kabinett ein Maßnahmenpaket mit der
Überschrift „Klimaschutz und Energie“ beraten wird. Es
gibt ein Bündel von Maßnahmen. Ich will Ihnen nur drei
nennen, weil es sonst den Rahmen meiner Rede sprengen würde.
Erstens. Wir werden das Thema Kraft-Wärme-Kopplung im Hinblick auf die Effizienzmaßnahmen explizit
aufgreifen. Der Kollege Pfeiffer hat bereits innerhalb der
Koalition aufseiten der Union mit uns verhandelt. Ich
denke, in den Eckpunkten sind wir uns einig.
({10})
- Es wird nicht gestritten, sondern es wird diskutiert,
Frau Höhn.
({11})
Wir werden mit Blick auf die Kraft-Wärme-Kopplung
ein ambitioniertes Paket vorlegen. Ebenso werden wir
ein Paket erarbeiten, mit dem wir uns intensiv dem Wärmemarkt widmen. Wir alle wissen, dass der Wärmemarkt, was seine energiepolitische Bedeutung angeht,
der größte Markt in Deutschland ist. Es wird nicht nur
weitere Prüfungen steuerlicher Anreize oder möglicher
Verschärfungen der EnEV und der Betriebskostenverordnung geben, sondern auch ein Erneuerbare-WärmeGesetz. Darüber werden wir nach der Sommerpause im
Deutschen Bundestag diskutieren.
({12})
Der Bundesumweltminister hat heute den Erfahrungsbericht zum EEG vorgelegt. Ich denke, man kann ohne
Wenn und Aber sagen: Das EEG ist eines der erfolgreichsten Gesetze, die der Deutsche Bundestag verabschiedet hat.
({13})
Wir werden dieses erfolgreiche Instrument weiterführen.
Ich möchte nur einige Beispiele anführen: Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Zielerreichung für
2010 bereits heute übertroffen ist, sodass wir die Ausbauziele weiter anheben können. Bis heute konnten
45 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
125 000 Menschen haben durch das EEG einen Job bekommen. - Insgesamt gilt es, diese Instrumente beispielhaft weiterzuentwickeln. An dieser Stelle wären noch
viele weitere Effizienzmaßnahmen zu nennen. Wir werden ein Gesamtpaket von Effizienzmaßnahmen entwickeln.
Frau Kopp, weil Sie das Thema Atomenergie pushen
wollten und mussten, haben Sie das Effizienzziel bis
2020 grundsätzlich infrage gestellt.
({14})
- Ja, ohne Kernenergie. Sie haben es ohne die Kernenergie als unerreichbar bezeichnet.
({15})
Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Bei den Prognosen
hinsichtlich der erneuerbaren Energien haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Damals haben viele gesagt:
Ihr werdet die Ziele, die ihr euch gesetzt habt, nie erreichen. - Bereits heute wissen wir, dass wir viele unserer
Ziele schon übertroffen haben. Ich denke, wenn wir die
Technologien im Effizienzbereich in den nächsten zwölf
Jahren weiterentwickeln, werden wir unser Ziel erreichen. Wir werden auch in diesem Bereich jährlich nachsteuern und untersuchen, wie unsere Maßnahmen wirken.
Ihr Verhalten möchte ich mit einem Zitat von Victor
Hugo beschreiben, der da sagte:
Die Zukunft hat viele Namen. Für die Zögernden ist
sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie
das Unbekannte. Für die Mutigen ist sie die
Chance.
Die Große Koalition wird diese Chance nutzen.
Ich danke Ihnen.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was hat uns der Energiegipfel gebracht? Wo stehen
wir heute? Man kann es vielleicht so umschreiben: Er
hat uns klare Leitlinien in Bezug auf unser Ziel gebracht.
Hinsichtlich des Weges sind wir uns in der Großen Koalition weitgehend einig.
({0})
Mit den Unterschieden in den Nuancen sollten wir uns
nicht so sehr beschäftigen.
Ich möchte mich in den nächsten Minuten auf die
Frage konzentrieren, welche Chancen eine zukunftsorientierte Energiepolitik für unser Land bietet. Von
Chancen spreche ich deswegen, weil es uns gelingen
muss, die Umstellung der deutschen Energiewirtschaft
so zu gestalten, dass keine nachteiligen Wirkungen für
die Wirtschaft im Allgemeinen und für die guten Ansätze in Richtung Wirtschaftswachstum entstehen. Wir
müssen bestimmte Prozesse, die Kosten verursachen,
umdrehen. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen,
dass neue Technologien auf den Markt gebracht werden,
damit wirtschaftlicher Nutzen entsteht. Das ist in den
kommenden zwei Jahren die enorme Herausforderung
für alle Energie- und Umweltpolitiker der Großen Koalition.
Diesen Rahmen hat uns die Bundeskanzlerin in Form
von klaren Leitplanken vorgegeben. Ich weiß nicht, wie
man auf den Trichter kommen kann zu sagen, dass der
Energiegipfel keine griffigen Ergebnisse gebracht habe.
Eine Steigerung der Energieeffizienz um 3 Prozent pro
Jahr ist nicht nur für die deutsche Ingenieurskunst, sondern auch für die gesamte Gesellschaft eine enorme Herausforderung. Es ist im Übrigen nicht nur für die Ingenieure, sondern auch für die Biologen eine riesige
Herausforderung; denn wir werden auf dem Sektor der
erneuerbaren Energien mit dem, was wir mittlerweile
mittels Biomasse erzeugen können, nicht auskommen.
({1})
Potenziale gibt es genügend. Denken wir nur daran,
welche Potenziale wir nutzbar machen würden, wenn es
uns gelänge, dass der Austausch der vorhandenen Elektrogeräte - sowohl derer in den privaten Haushalten als
auch derer in den Betrieben, in den Produktionsunternehmen - schneller vor sich ginge!
({2})
Denken wir an die Kraft-Wärme-Kopplung, in der natürlich erhebliche Potenziale stecken! Dabei meine ich weniger die Fernwärmeversorgung, sondern das große
Potenzial bei der Prozesswärme. Wenn es uns gelingt
- wir müssen die Anreize entsprechend setzen -, dass
die Industrieunternehmen, die große Mengen Prozesswärme brauchen, diese über Kraft-Wärme-Kopplung bekommen, haben wir schon viel erreicht.
({3})
Oder denken wir an die großen Potenziale bei der Gebäudesanierung! Ich sage in unserer Arbeitsgruppe im
Ausschuss regelmäßig mit aller Deutlichkeit: Wir haben
immer noch mehr als 20 Millionen Wohnungen in
Deutschland, die nicht der Energieeinsparverordnung
entsprechen. Angesichts dessen ist es ein sehr positives
Ergebnis des Energiegipfels, dass die Mittel für das CO2Gebäudesanierungsprogramm von 1,4 Milliarden auf
ungefähr 3 Milliarden Euro erhöht werden. Das ist doch
etwas. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass dieser
Energiegipfel des Schweißes der Edlen wert war.
Ich komme zu den Reduktionszielen hinsichtlich der
Mobilität. Ein Ergebnis des Energiegipfels ist, dass angestrebt werden soll, dass Fahrzeuge maximal
130 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen. Das ist eine
klare Definition, die für die deutsche Automobilwirtschaft eine große Herausforderung darstellt. Wir müssen, ohne Kollateralschäden zu verursachen, darauf hinarbeiten, dafür zu sorgen, dass dies für Neuwagen im
Flottenverbrauch gilt.
Ich habe den Eindruck, dass wir mit dem Klimagipfel
eine klare Orientierung bekommen haben. Es liegt jetzt
am Parlament, es liegt an uns, die Energiepolitik ideologiefrei, an den Fakten orientiert zu einem guten Ergebnis
zu führen.
Herzlichen Dank.
({4})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Axel Berg für die
SPD-Fraktion.
({0})
Einen fröhlichen guten Tag, Frau Präsidentin, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass das Vorhaben der Kanzlerin auf dem Energiegipfel extrem ambitioniert war. Sie hat versucht, die divergierenden Interessen in der Energiepolitik zu einem langfristigen,
nationalen Energiepaket für den Zeitraum bis 2020 zusammenzuschnüren. Das ist ein mutiges, ein wichtiges
Vorhaben, schon deswegen, weil wir im Angesicht des
Klimawandels handeln müssen; eigentlich hätten wir
schon vor 20 Jahren damit anfangen müssen. Trotzdem
war dieses Vorhaben von Anfang an fast unmöglich zu
erreichen, weil die Interessen einfach zu sehr divergieren. Das war übrigens unter Rot-Grün nicht einfacher.
Dass das Ergebnis des Gipfels nicht nur Einigkeit und
Harmonie ausstrahlt, ist deshalb nicht verwunderlich.
Schön ist wiederum, dass es etliche hoffnungsvolle
Ansätze gibt. Lassen Sie mich deswegen kurz auf die öffentliche Diskussion im Vorfeld eingehen. Dabei hat sich
ja eines gezeigt, was durchaus interessant ist: Die nuklear-fossile Energiewirtschaft wollte eigentlich gar
keine Einigung. Gebetsmühlenartig wurde wiederholt,
dass die Szenarien, die das Kanzleramt hatte durchrechnen lassen, nicht machbar seien. Daran zeigte sich ihre
wahre Absicht, die da lautet: Business as usual, bloß
keine Veränderungen. Die Bundesregierung hat dem widerstanden und sich nicht in die Ecke drängen lassen. Sie
hat an den Klimaschutzzielen festgehalten und die Effizienzvorgaben aufrechterhalten. Das ist ein Erfolg, der
nicht wegzureden ist.
({0})
Es ist schon fast erpresserisch, dass die Atomkraftwerksbetreiber ihre Gesprächsbereitschaft beim Gipfel
unterschwellig davon abhängig machen wollten, dass
der Atomausstieg revidiert wird. Genauso verhält es sich
mit den permanenten und damit inflationären Drohungen, ins Ausland abzuwandern, nur um den notwendigen
Strukturwandel zu umgehen. Diese ewige „business as
usual“-Mentalität der großen Versorgungsunternehmen
gleicht einem Tanz auf dem Vulkan. Störfälle sind Alltag, auch wenn es erfreulicherweise noch nicht bis zur
Kernschmelze kam. Den Müll überlässt man, wie üblich,
den nächsten Generationen. Das ist der Hauptgrund,
weshalb wir aus der atomaren Verschwendungswirtschaft herauswollen.
({1})
Dass die Umsetzung ambitionierter Ziele auch in großen Versorgungsunternehmen machbar ist, beweisen
zum Beispiel „meine“ wunderbaren Stadtwerke in München; das ist ein riesiger Laden. Sie müssen den Strom
aus ihrer Beteiligung am Atomkraftwerk Isar II innerhalb von - soweit ich weiß - 15 Jahren ersetzen. Da geht
es um 350 Megawatt; das ist eine große Menge Strom.
Diese Leistung werden die Münchener nicht durch
Kohle ersetzen. Sie sind dabei, sich alternative Lösungen
zu erarbeiten; das finde ich klasse.
Dabei kommt den Stadtwerken bei uns in München
die Strategie der Stadt entgegen, bis zum Jahr 2020
20 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Das ist ein ambitionierter Weg für
eine Großstadt, der aber durchaus machbar ist. Stadtwerke sollen bitte schön auch damit Geld verdienen,
ihren Kunden das Sparen schmackhaft zu machen, statt
immer nur darüber nachzudenken, wie man ihnen mehr
Kilowattstunden verkaufen kann.
Wir in München - entschuldigen Sie das Eigenlob versuchen gerade, eine lokale Stromstrategie für unsere
Stadt in einem Klimaschutzbündnis hinzubekommen, in
dem alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen der Stadt
vertreten sind. Solch ein guter Ansatz, der in einer Kommune funktioniert - jedenfalls hoffe ich, dass er funktionieren wird; es sieht aber gut aus -, kann doch auch in
einem größeren Maßstab umgesetzt werden; die Systeme
sind doch vergleichbar. München versucht, eine Vorreitergroßstadt zu sein, und wird hoffentlich ein gutes Beispiel für andere Städte in Deutschland abgeben.
Aber wir haben noch ein Problem: Ständig blockiert
die CSU. Ich verstehe das nicht ganz. Wir haben eben
Herrn Obermeier gehört; das klang doch alles sehr vernünftig. Warum blockieren dann noch so viele? In München macht die CSU Front gegen die Stadtwerke; sie sollen komplett weg. In den meisten unionsgeführten
Städten sind die Stadtwerke schon privatisiert. Damit
verliert eine Stadt doch komplett ihren Einfluss und begibt sich freiwillig in die Hand der Kartelle, die hier im
Bundestag dann fröhlich beschimpft werden.
Im Bayerischen Landtag hat der Fraktionsvorsitzende
der CSU, Herrmann, in den vergangen Tagen - während
des Energiegipfels! - gesagt, dass es mit der CSU keine
Einigung ohne Kernenergie geben wird. Sie erpressen
vor lauter Ideologie sogar die eigene Kanzlerin, weil
diese sich wiederum an den Koalitionsvertrag hält. Das
ist schon eine irre Welt. Im Bund unterminiert die
Unionsfraktion auch immer wieder die Klimapolitik der
Kanzlerin; wir haben Herrn Dr. Pfeiffer vorhin gehört.
Statt das Problem jetzt endlich einmal anzupacken,
müssen wir permanent Diskussionen über Laufzeitverlängerungen führen. Die FDP sekundiert dabei und fordert stur Laufzeitverlängerungen. Sie sprechen von
Missachtung des Parlaments, obwohl nur vier Leute von
der FDP dieser Ansicht sind. Ohne „Staatsknete“, liebe
Freunde von der FDP, gäbe es weltweit kein Atomkraftwerk. Sie bekämpfen damit einen langsam entstehenden
Markt, als wären Sie von der Sowjetunion ferngesteuert.
({2})
Sie fordern das Gegenteil von Liberalität. Das ist ein
krasser Etikettenschwindel. Kriegen Sie sich am besten
wieder ein und arbeiten Sie mit!
({3})
Das fände ich prima. Niemand von uns behauptet, dass
es einfach wird. Aber ich habe größtes Vertrauen in das
Potenzial unseres Landes und unserer Bevölkerung, die
riesige Menschheitsherausforderung des Klimawandels
endlich in den Griff zu bekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, aber
auch von der FDP: Lasst uns bitte endlich ambitioniert
Rahmenbedingungen setzen, die notwendig sind, um die
Klima- und Energiepolitik, wie es die Kanzlerin so
schön formuliert, endlich umzusetzen. Es ist höchste
Zeit, und wir sollten nicht noch mehr davon verlieren.
Abschließend muss ich auch sagen: Wenn es nicht mit
den großen Energieversorgern geht, dann müssen wir
uns überlegen, wie es ohne sie geht.
({4})
Mir wäre es aber lieber, es ginge mit ihnen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Nächster Redner ist nun der Kollege Andreas
Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Wanderer
ist, der weiß, wie schwierig es ist, den Gipfel eines hohen Berges zu erklimmen. Wenn man oben ist, ist man
manchmal ganz außer Puste und muss erst einmal wieder
tief Luft holen.
Es gibt natürlich sehr verschiedene Wege, wie man einen Gipfel erreichen kann. Genau das hat sich auch bei
dem Energiegipfel vor zwei Tagen gezeigt. Eines kann
man, wie ich glaube, allerdings nicht tolerieren, nämlich
die Wortwahl vor dem Gipfel. Herr Kollege Gabriel, Sie
haben den Vorstandsvorsitzenden eines international
agierenden deutschen Unternehmens als „Wirtschaftsstalinisten“ bezeichnet. Ich glaube, diese Wortwahl stammt
aus der tiefsten Schublade. Wenn Sie vielleicht gar nicht
wissen, was ein Stalinist ist, weil Sie noch keinem begegnet sind, dann sollten Sie sich entschuldigen. Wenn
Sie aber wissen, was ein Stalinist ist, weil Sie vielleicht
doch schon einmal einen getroffen haben, dann sollten
Sie sich erst recht entschuldigen. Wenn es in diesem
Land nämlich einreißt, dass Leute, die eine andere Meinung vertreten oder vorsichtig auf Probleme hinweisen,
als Stalinisten bezeichnet werden, dann sind wir tief gesunken.
({0})
Zum Gipfel selbst. Ich finde es am wichtigsten, dass
auf diesem Gipfel das Gleichgewicht zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit betont wurde. Wenn wir dieses Gleichgewicht
immer wieder vor Augen haben und darauf setzen, dann
wird es in unserem Lande auch zu einer vernünftigen
Energiepolitik kommen.
Bei der Wirtschaftlichkeit geht es schließlich um den
Standort Deutschland und um die heutige, aber auch um
die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Es nutzt unserem
Land eben nicht unbedingt etwas, wenn wir zwar bei den
regenerativen Energien oder bei der Energieeinsparung
absolute Weltspitze sind, aber die höchsten Preise zahlen
müssen. Bei der Wirtschaftlichkeit geht es darum, das
Interesse der Verbraucher - hier geht es vor allem um die
soziale Verträglichkeit der Energiepreise - und die Interessen der Wirtschaft im Blick zu behalten.
Wenn zwischen den Kosten der einzelnen Szenarien
- darauf wurde schon hingewiesen - eine Differenz von
5,3 Milliarden Euro pro Jahr besteht, dann lohnt es sich
doch, über die einzelnen Szenarien zu diskutieren; denn
das kann niemand aus der Portokasse zahlen. Ich habe
gehört und in Pressemeldungen gelesen, dass man zum
Beispiel im Bereich der Einspeisevergütungen schon
wieder große Umgruppierungen plant. Ich möchte noch
einmal deutlich machen: Für uns muss es bei dem Subventionsrahmen, der jetzt besteht, bleiben. Wenn, dann
kann man innerhalb dieses Rahmens umrangieren, wie
man will, es darf aber zu keinen weiteren Belastungen
der Energiepreise kommen.
Zwei Dinge, die mich bei dem Energiegipfel sehr erfreut haben, möchte ich noch kurz ansprechen. Das erste
Thema ist die Exportinitiative Energieeffizienz. Wir
legen großen Wert darauf, unsere Technologien zu exportieren, auch die Kraftwerkstechnologie. Wenn alle
Kraftwerke in Russland, China, Indien und sonst wo auf
der Welt mindestens den Standard deutscher Kraftwerke
hätten, dann wäre mehr für das Klima getan, als wenn
wir uns hier über ein Zehntel mehr oder weniger Energieeffizienz unterhalten.
({1})
- Es geht aber um die Exportinitiative Energieeffizienz.
Ich denke, ich hatte das deutlich gemacht.
Das zweite Thema ist die Energieforschung. Die Aufwendungen für die Energieforschung sind bis 2005
kontinuierlich zurückgegangen. 2005 hatten wir den absoluten Tiefpunkt erreicht. Das Ergebnis ist, dass die
Forschung in verschiedenen Technologiebereichen nicht
in dem Maße vorangetrieben worden ist, wie es notwendig gewesen wäre.
Ich glaube, wenn sich jetzt alle politisch Beteiligten
darauf einigen, die Energieforschung voranzutreiben,
dann werden wir nicht auf die Kohle verzichten müssen,
die 50 Prozent der Stromerzeugung im Grundlastbereich
erbringt. Deshalb sind neben allen Beschlüssen, die
heute diskutiert worden sind, gerade diese Punkte für
mich sehr wichtig. Jetzt gilt es, aus diesen Beschlüssen
das Programm zu schneidern, das die Kanzlerin im September vorlegen wird.
Der Energiegipfel ist, um das noch einmal deutlich zu
machen, kein politisches Entscheidungsgremium. Der
Deutsche Bundestag ist das politische Entscheidungsgremium. Deswegen ist es der richtige Weg, dass die Kanzlerin nach der Sommerpause das Energieprogramm für
Deutschland vorlegen wird, über das wir dann im Bundestag diskutieren werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort
Herrn Bundesminister Sigmar Gabriel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
ich verfolge, was die Opposition über den Energiegipfel
und die Energie- und Klimapolitik sagt, dann kann ich
gegenüber den Koalitionsfraktionen nur feststellen, dass
wir eigentlich alles richtig gemacht haben müssen. Stellen Sie sich vor, die Opposition hätte uns heute gelobt;
das wäre für uns schlimm gewesen.
Ich glaube, wir können beruhigt feststellen: Was wir
in diesem Bereich machen, gehört zu 100 Prozent auf die
Habenseite der Großen Koalition.
({0})
Herzlichen Dank an alle, die uns dabei unterstützt haben!
({1})
- Doch, Frau Höhn, es ist leider - Parlamentsdebatten
sollten ja eigentlich auch eine intellektuelle Herausforderung sein - heute sehr einfach, mit Ihnen umzugehen.
Ich kann Ihnen berichten, wie zum Beispiel der BUND
und die Ökoenergiebranche den Energiegipfel bewerten:
Der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Ökoenergiebranche haben die Ergebnisse des Energiegipfels von
Bundesregierung und Wirtschaft begrüßt.
({2})
- Die, die Sie sonst hier gerne zitieren, sagen: Das habt
ihr gut gemacht; wir kommen voran. - Das ist doch ein
Ergebnis, über das Sie sich im Zweifel freuen sollten.
({3})
Sie machen es uns auch deshalb einfach, Frau Höhn,
weil Sie nicht mehr inhaltlich argumentieren, sondern
sich langsam zu einer professionellen Anscheinserweckerin entwickeln. Denn wenn Sie feststellen, wir würden nichts tun, dann verschweigen Sie die 1,4 Milliarden
Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Das
ist das Vierfache gegenüber Ihrer Regierungszeit. Sie
verschweigen, dass wir die erneuerbare Wärme mit
80 Millionen Euro zusätzlich fördern, dass wir die Mittel
für Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbarer
Energien verdoppelt und das Zuteilungsgesetz verabschiedet haben.
({4})
- Darauf habe ich gewartet. Sie sagen, auf Druck der Europäischen Union - einverstanden. Wir hatten vorgeschlagen, den CO2-Ausstoß bei uns selber um 48 Millionen Tonnen zu senken. Jetzt sind es 57 Millionen Tonnen
geworden. Wissen Sie noch, was Sie geleistet haben? Sie
haben nur 2 Millionen Tonnen pro Jahr hinbekommen.
({5})
- Ich weiß, dass Sie das ärgert.
Wir haben eine Lernprobe hinter uns. Sie sollten aber
auch anerkennen, dass wir es im Gegensatz zu Ihnen geschafft haben und dass es gut ist, dass es jetzt funktioniert.
({6})
- Das ist doch die Wahrheit, Frau Kollegin Höhn. Machen Sie es uns doch nicht nur dadurch so einfach, dass
Sie versuchen, alles zu verschweigen, was Sie selber
nicht geschafft und was wir erreicht haben.
({7})
- Sie wollten doch wissen, was wir schon getan haben,
Frau Höhn. Sie haben uns hier vorgehalten, dass wir nur
reden, ohne dass etwas passiert. Jetzt habe ich Ihnen vorgetragen, was wir bereits alles getan haben. Das ist wesentlich mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit zustande
gebracht haben.
({8})
- Sie verweisen auf das EEG. Es macht heute richtig
Spaß, Frau Höhn. Sie haben im Strombereich das Ziel
verfolgt, den Anteil der erneuerbaren Energien auf
20 Prozent zu erhöhen.
({9})
- Natürlich! Das haben Sie in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen, und Sie können es auch in Ihren Reden nachlesen. Die Große Koalition hat das Ziel, den
Anteil der erneuerbaren Energien im Strombereich auf
27 Prozent zu erhöhen. Das sind 7 Prozent mehr, als Sie
sich zugetraut haben, Frau Höhn.
({10})
Wir haben beim Energiegipfel das Ziel der Bundesregierung beibehalten, den CO2-Ausstoß gegenüber 1990
um 40 Prozent zu senken. Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit nicht ansatzweise für möglich gehalten.
({11})
Sie ärgern sich doch einzig und allein darüber, Frau
Höhn - deswegen rufen Sie ständig dazwischen -, dass
die Große Koalition bei diesem zentralen Thema Ihrer
Politik mehr zustande bringt, als Sie sich jemals zugetraut haben.
({12})
- Frau Höhn, seien Sie doch nicht so maulig. Wenn Sie
so in den Wald hineinrufen, dann gibt es auch eine Antwort, jedenfalls wenn ich die Möglichkeit habe, zu reden.
Wir haben die Verdopplung der Energieeffizienz
vereinbart. Frau Höhn, wir haben 67 Maßnahmen dazu
auf dem Energiegipfel vorgeschlagen. Der Kollege
Schauerte hat absolut recht: Es wäre für uns einfacher
gewesen, wenn wir die Akten hätten aufmachen und auf
Vorschläge der Grünen hätten zurückgreifen können und
diese nur hätten einbringen müssen. Aber nichts war da.
Erst der Energiegipfel hat entsprechende Vorschläge erarbeitet. So viel zum Thema Energieeffizienz. Nicht nur
reden, sondern auch etwas Konkretes auf den Weg bringen, Frau Kollegin Höhn! Das haben wir dort gemacht.
({13})
Wir werden den Kraftwerkspark modernisieren. Wir
haben eine ganze Reihe dessen, was wir vereinbart haben, auf dem Energiegipfel durchgesetzt. Vorhin hat
mich der Kollege, der für die CDU/CSU gesprochen hat,
kritisiert. Aber wenn jemand sagt: „Ich treffe mich nur
dann mit der Regierung, wenn sie das macht, was ich
von ihr will“, dann - so habe ich es gesagt - argumentiert derjenige wie ein Wirtschaftsstalinist. Das meine
ich ganz ernst. Ich nehme übrigens Ihre Argumente
ebenfalls ernst. Sie haben einen bestimmten politischen
Erfahrungshintergrund und haben vorhin sinngemäß argumentiert: Junge, pass auf; rede nicht von Dingen, von
denen du nichts verstehst! - Das finde ich in Ordnung.
Aber nehmen Sie mich bitte beim Wort. Es kann nicht
sein, dass Industrievertreter sagen: Wir reden nur dann
mit der Regierung, wenn sie macht, was wir wollen. Das geht nicht.
({14})
Übrigens habe ich mich mit Herrn Hambrecht getroffen.
Es gab keine Probleme. Wir hatten vier Boxhandschuhe
mitgebracht und hatten trotzdem keine blauen Augen.
Manchmal ist Politik keine Klosterschule; das ist wohl
so.
Ich zitiere Erhard Eppler aus dem Jahr 1972:
Weil über die Qualität des Lebens wie nie zuvor
politisch entschieden werden muss, wird dies eine
politische Epoche sein. Es wird gestritten werden
um politische und gesellschaftliche Strukturen. Was
hier getan werden muss, kann nur ein funktionstüchtiger, ein starker Staat leisten. Ein Staat, der
nicht mehr wäre als ein lächerlicher Spielball von
Sonderinteressen, würde das Gemeinwohlinteresse
nicht wahrnehmen können.
Genau darum ging es beim Energiegipfel: nicht Einzelinteressen, sondern das Gemeinwohlinteresse an
Versorgungssicherheit, preiswerter Energie und Klimaschutz in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Der
Energiegipfel ist deshalb ein Erfolg, weil exakt das das
Ergebnis ist: Die Bundesregierung hat dafür gesorgt,
dass das Gemeinwohlinteresse im Mittelpunkt steht. Das
ist der Grund, warum der Energiegipfel ein Erfolg ist.
Wir haben uns nicht den Einzelinteressen, die vorher
massiv auf uns einprügelten, hingegeben.
({15})
Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Kernenergie
machen. Ich glaube, dass das, was der Kollege Schauerte
gesagt hat, absolut richtig ist. Es wäre ein riesengroßer
Fehler, sich bei einem Teil der Energiepolitik, der umstritten ist, so zu verhalten wie das Kaninchen vor der
Schlange, indem wir beim anderen Teil der Energiepolitik, in dem wir viel bewegen können, nichts tun, weil wir
uns in einer Frage nicht einig werden. Das umgekehrte
Verfahren ist richtig. Genau das wurde beim Energiegipfel gemacht. Wir haben uns um die Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau der erneuerbaren Energien und
den Emissionshandel gekümmert. In diesen Zusammenhang gehören auch die GWB-Novelle und die Regelungen betreffend die Strompreise. Die offene Debatte über
die Kernenergie wird sicherlich weitergeführt. Erstaunt
hat aber alle, dass die Atomenergie ganze 4 Prozent zum
Klimaschutz beiträgt. Wenn wir bei der Energieeffizienz
von 3 auf 2 Prozent heruntergegangen wären, hätte uns
das 11 Prozent gekostet. An diesem Vergleich sieht man,
welche Bedeutung die Energieeffizienz hat und wie relativ gering der Anteil der Kernenergie ist.
Jeder kann natürlich an seiner Meinung festhalten.
Darüber wird sowieso noch öffentlich beraten.
({16})
- Entschuldigung, Frau Kollegin Kopp, es ist Unfug
- wenn ich das so offen sagen darf -, zu behaupten, der
Beitrag der Kernenergie im Rahmen der Energiepolitik
zum Klimaschutz liege bei 50 Prozent. Sie haben doch
auf die Energieszenarien verwiesen und sozusagen mit
dem Streit begonnen. Dann müssen Sie aber auch sagen,
dass in allen drei Szenarien davon ausgegangen wird,
dass der Beitrag der Kernenergie zum Klimaschutz
ganze 4 Prozent beträgt, mehr nicht.
({17})
Es macht daher keinen Sinn, die Atomenergiedebatte in
den Mittelpunkt zu stellen.
({18})
- Das sagen diejenigen, die in der aktuellen Debatte behaupten, die Kernenergie trage dazu bei, die Strompreise
stabil zu halten bzw. zu senken, die aber gleichzeitig die
Strompreise erhöhen, obwohl die Kernkraftwerke laufen.
Wissen Sie, auch das gehört zur Wahrheit: Wir erleben zurzeit eine Strompreiserhöhung, ohne dass wir alle
Klimaschutzziele umgesetzt hätten und ohne dass wir
aus der Kernenergie ausgestiegen wären. Das geschieht
nur aus einem einzigen Grund, nämlich weil wir zu wenig Wettbewerb auf dem Strommarkt haben.
({19})
Das ist der einzige Grund. Auch da leistet die Große Koalition wesentlich mehr, als vorangegangene Regierungen in diesem Bereich geleistet haben.
({20})
Aus meiner Sicht gehört die Energie- und Klimapolitik ungeachtet der Debatten, die wir sonst manchmal in
der Großen Koalition haben, eindeutig auf die Habenseite. Die Fortschritte, die wir machen, sind ein Riesenerfolg. Anders als die Opposition im Deutschen Bundestag respektiert das der Rest der Welt, der über
Klimaschutz verhandelt, und sagt: Wir können nicht
mehr Mikado spielen. Die Europäer und die Deutschen
gehen voran. Jetzt müssen auch wir uns bewegen. Auch das ist ein Erfolg des Energiegipfels. Ich finde, wir
können alle miteinander zufrieden sein. Wenn Sie es
nicht sind, dann kann ich das verstehen, weil das Ihrer
Rolle geschuldet ist. Objektiv aber hat das mit der Realität nichts zu tun.
({21})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({22})
Das Wort hat nun der Kollege Philipp Mißfelder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen, unserer Bundeskanzlerin für die Ausrichtung des vergangenen Energiegipfels zu danken. Ich
glaube, der Bundesumweltminister hat richtigerweise
beschrieben, dass man alle drei Energiegipfel als vollen
Erfolg bezeichnen kann. Deshalb stehen diese absolut
auf der Habenseite der Großen Koalition.
({0})
Natürlich kann man in Einzelfällen unterschiedlicher
Meinung sein; aber ich glaube, wir haben in vielen Bereichen einen tragfähigen Kompromiss erreicht. Gerade
was die Energieeffizienz angeht, haben wir sehr viel auf
den Weg gebracht. Einige Fragen, über die auch wir in
der Großen Koalition uns nicht in jedem einzelnen Punkt
einig sind, bleiben offen, müssen aber aus meiner Sicht
weiter angegangen werden. Deshalb möchte ich den Minister zumindest darauf hinweisen, dass er, als er über
die Strompreise gesprochen hat, zwar absolut richtig in
der Beschreibung der Tatsache lag, dass wir zu wenig
Wettbewerb haben - dagegen tut die Große Koalition
auch etwas; wir sind hier auf dem richtigen Weg, auch
wenn wir noch weit von unserem Ziel entfernt sind -,
man aber auch festhalten muss, dass der Strompreis
heute bereits zu 40 Prozent aus Steuern und Abgaben besteht. Wenn man sich überlegt, wie Klimaschutz in Zukunft erreicht werden kann, dann muss man sicherlich
auch bei den erneuerbaren Energien in Zukunft wesentlich mehr wirtschaftliche Aspekte einbeziehen, und man
darf sich nicht auf Dauer auf Subventionen verlassen.
Das ist auch mein Hinweis an die Grünen. Ich glaube,
wenn man die Bilanz zieht,
({1})
was Deutschland seit 1998 im Bereich der erneuerbaren
Energien erreicht hat, dann stellt man fest, dass wir mittlerweile Subventionen, wenn man alles zusammenrechnet, in Höhe von 270 Milliarden Euro ausgegeben haben. Das ist doch eine stolze Zahl. Insofern muss man
sich überlegen, ob alle Gelder, die in diesem Bereich
ausgegeben worden sind, zielgerichtet ausgegeben wurden oder ob nicht eine wirtschaftliche und teilweise effizientere Steuerung notwendig wäre.
Die Klimaziele selbst sind nicht aufgrund der hohen
Subventionen erreicht worden, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass wir in Ostdeutschland einen
Zusammenbruch der Wirtschaft erlebt haben. Das heißt,
wir sind von unseren ehrgeizigen Zielen, die wir uns
beim Klimaschutz gesetzt haben, noch sehr weit entfernt. Deshalb ist das, was auf den Weg gebracht worden
ist - Stichwort: Ausbau der erneuerbaren Energien -,
richtig. Aber vor allem im Bereich der Energieeffizienz
müssen wir deutlich erfolgreicher werden, als das bisher
der Fall war.
Ich möchte noch auf das eingehen, was die Linksfraktion gesagt hat. Herr Hill, man hört immer wieder auch
von Ihnen, dass die Frage der Höhe der Strompreise
auch eine soziale Frage ist. Da haben Sie absolut recht.
Es ist wirklich eine Frage, wie Menschen an unserer Gesellschaft teilhaben können, auch wenn sie nur eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten haben. Aber wenn
man diese Frage aufwirft, dann muss man sie auch richtig beantworten. Es kann nicht das einzige Ziel von Umwelt- und Energiepolitik sein, die Strompreise weiter anzuheben, indem man weitere Subventionen fordert. Man
muss vielmehr versuchen, eine Stabilität der Preise zu
erreichen, um dadurch der sozialen Frage gerecht zu
werden.
({2})
Vor diesem Hintergrund muss natürlich die Frage gestellt werden: Wie will man die Klimaschutzziele und
diese wichtige soziale Frage damit in Übereinstimmung
bringen, indem man fordert, sich aus der Nutzung bestimmter Energieträger sukzessive zu verabschieden? Es
wird nicht gelingen, sich gleichzeitig aus der Nutzung
der Braunkohle und aus der Nutzung der Kernenergie zu
verabschieden. Wer dies versucht, wird feststellen, dass
dies eine Rechnung ist, die nicht aufgehen wird. Ich
glaube, dass wir mit dem Energiegipfel ein Stück weitergekommen sind, was eine realistische Betrachtungsweise der Energiepolitik in unserem Land angeht. Die
Frage der Nutzung der Kernkraft wird sich aber auch auf
Dauer stellen. Wir sollten weiterhin versuchen, die beiden von mir genannten Ziele zu erreichen. Das wird nur
möglich sein, wenn wir an der Nutzung der Kernenergie
festhalten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Marco Bülow.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Als Erstes möchte ich einmal feststellen: Ein Energiegipfel ist dazu da, Leitlinien zu erstellen. Die Entscheidungen werden dann aber natürlich hier im Parlament
und im Kabinett getroffen. Wenn die FDP das begriffen
hätte, dann wären wir einen Schritt weiter.
({0})
Die Leitlinien, die auf dem Energiegipfel beschlossen
worden sind, waren gut, und deswegen glaube ich, dass
er ein Erfolg war. Das gilt vor allen Dingen deshalb, weil
durch diesen Energiegipfel deutlich gemacht worden ist:
Wir wollen jetzt auch national das engagiert angehen,
was wir international zu Recht eingefordert haben, und
zwar durch den Umweltminister und die Bundeskanzlerin. Das verleiht auch unserem internationalen Engagement einen höheren Stellenwert. Das ist der richtige
Weg; diesen Weg müssen wir beschreiten.
Ich bin der Kanzlerin und dem Umweltminister sehr
dankbar, dass sie diese Position so klargemacht haben.
Die SPD wird das natürlich unterstützen. Klar ist aber
auch, dass diese Unterstützung bitter nötig ist; denn leider gibt es unionsgeführte Länder - bekanntlich gehört
die Kanzlerin der Union an -, die für Sperrfeuer sorgen.
Sie versuchen, die guten Ergebnisse - sie sind auch von
Ihnen gelobt worden - zu konterkarieren. Das hat zum
Beispiel mein Landesvater, Ministerpräsident Jürgen
Rüttgers, in den letzten Tagen zu tun versucht.
({1})
Die Instrumente zur Erreichung der angestrebten
Ziele liegen auf dem Tisch. Wir haben über viele Bereiche gesprochen. Wir haben über KWK gesprochen; dazu
wird es Vorschläge geben. Wir haben unsere Vorschläge
schon vor längerem auf den Tisch gelegt. Ich glaube, wir
werden da zu einer Einigung kommen. Wir werden das
Erneuerbare-Energien-Gesetz fortentwickeln. Wir werden ein Wärmegesetz verabschieden. Außerdem werden wir das erfolgreiche Gebäudesanierungsprogramm
fortführen. Darüber hinaus werden wir uns dafür einsetzen, dass die Effizienz auch auf europäischer Ebene insMarco Bülow
gesamt gesteigert wird, beispielsweise durch den TopRunner-Ansatz.
Wenn wir all die Vorschläge - es sind insgesamt 64; der
Minister hat darauf gerade noch einmal hingewiesen wirklich umsetzen, engagiert vortragen und auch auf die
europäische Ebene übertragen können, dann werden
diese Ziele nicht nur in Deutschland, sondern auch in
Europa und international erreicht werden können. Das
ist noch viel mehr wert, als sie nur in Deutschland zu
verfolgen. Deutschland muss deshalb auf diesem Gebiet
vorangehen.
({2})
Herr Mißfelder, ich kann mir nicht verkneifen, auf
Folgendes hinzuweisen: Sie haben immer noch nicht begriffen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Umlagemodell ist. Es ist also etwas anderes als die Subventionen, die gezahlt werden.
({3})
Schauen Sie sich einmal den Erfahrungsbericht zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz an. Darin steht, dass die im
Jahre 2006 eingesparten Kosten bei 2 Milliarden Euro liegen. Volkswirtschaftlich gerechnet, liegen die eingesparten Kosten bei über 9 Milliarden Euro. Das ist die Rechnung, die wir aufmachen müssen. Manchmal ist es so,
dass der Nutzen von etwas weitaus größer ist als die eingesparten Kosten. Übrigens sind die entstehenden Energiekosten nicht unbedingt identisch mit den Preisen, die
die Verbraucher zu zahlen haben. Auch das sollten wir an
dieser Stelle vielleicht noch einmal festhalten.
({4})
Damit bin ich beim nächsten Punkt. Ich halte es für
sinnvoll, dass wir gemeinsam das umsetzen, worüber
zwischen uns in der Großen Koalition Einigkeit besteht.
Wir sollten also über das diskutieren, was bis 2020 mit
der Atomkraft noch passieren soll. Angeblich werden
die dann zu erbringenden Leistungen Mehrkosten in
Höhe von 4 Milliarden Euro mit sich bringen. Doch
diese Rechnung ist zu einfach. Auch dabei muss man auf
ein paar Punkte achten:
Erstens. Die erneuerbaren Energien wirken schon
jetzt teilweise preisdämpfend. Dies ist vor allen Dingen
dann häufig der Fall, wenn Atomkraftwerke ausgeschaltet werden, wenn es im Sommer zu warm ist. Da haben
wir eine Preisdämpfung, die leider in diesen 4 Milliarden
Euro noch nicht eingerechnet worden ist.
Ferner wissen wir, dass Prognosesysteme bei erneuerbaren Energien immer besser werden. Durch die sogenannten Kombinationskraftwerke werden wir es schaffen, auch da grundlastfähig zu sein. Auch das sollte man
langsam einmal zur Kenntnis nehmen.
Der zweite wichtige Punkt ist Folgender: Wenn wir
volkswirtschaftliche Kosten berechnen, dann ist festzustellen, dass die Atomkraft am wenigsten arbeitswirksam ist. Das ist also der Bereich, wo die wenigsten Menschen pro erzeugter Kilowattstunde arbeiten. Auch das
ist ein Faktor, den wir bei der Diskussion einmal zur
Kenntnis nehmen sollten.
Dritter entscheidender Faktor ist: Klar ist doch, die
Investoren warten darauf, welche Signale wir setzen.
Wenn wir weiter die Signale setzen, dass wir vielleicht
doch die Atomkraft länger beibehalten, dann werden sie
ihre Gelder, ihre Investitionen nicht in erneuerbare Energien, nicht in Effizienttechnologien stecken. Das Geld
fehlt uns dann am Ende, wenn wir abrechnen, ob wir unsere Ziele erreicht haben oder nicht. Wir brauchen diese
Investitionen.
Ich stelle fest: Die Ziele sind vorgegeben. Ich bin sehr
dafür, dass wir gemeinsam in der Großen Koalition das
umsetzen, bei dem wir Anknüpfungspunkte haben, bei
dem wir uns einig sind, zum Beispiel im Bereich der Effizienz und der erneuerbaren Energien. Darauf sollten
wir uns konzentrieren. Dass es Themen gibt wie die
Atomkraft, den Mindestlohn - es gibt sicherlich noch
andere Themen -, die wir nicht lösen können, worüber
vielleicht die Bürgerinnen und Bürger entscheiden müssen, soll so sein. Ansonsten wäre es vielleicht auch ein
bisschen langweilig. Ich kann nur auffordern, dass wir
alle Ministerien, nicht nur das Wirtschafts- und das Umweltministerium, und alle Ausschüsse bemühen, Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen, so wie das
von der Regierung angegangen worden ist und wie der
Gipfel das gezeigt hat. Dann, glaube ich, werden wir unsere Ziele nicht nur ernst nehmen, sondern auch durchsetzen können.
Danke schön.
({5})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Koppelin, Ulrike Flach, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung
des Bundeshaushalts
- Drucksache 16/4606 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Otto Fricke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des
Bundeshaushalts“, so lautet der Antrag aus dem April
diesen Jahres, also weit vor Steuerschätzungen und vor
dem nun vom Kabinett beschlossenen Haushalt. Warum
haben wir diesen Antrag eingebracht? Ich weiß, Sie werden sagen: Die Ziele, die ihr dort hineingeschrieben
habt, sind nicht ehrgeizig genug. Wir haben den Antrag
eingebracht, um frühzeitig eine Warnung in Richtung
Koalition zu schicken, nicht - wenn die Gelder, die Einnahmen, also das, was der Bürger, die Unternehmen bezahlen, steigen - mit dem Sparen, mit dem Konsolidieren aufzuhören. Was Sie aber gemacht haben - das zeigt
der Entwurf -, ist genau das Gegenteil: Sie haben das
Sparen vergessen. Sie haben Ihren Ehrgeiz verloren, für
den Haushalt des Bundes etwas zu tun.
({0})
Woran kann man eigentlich messen, ob eine Koalition
bei der Konsolidierung ehrgeizig ist? Sie werden sagen:
Mensch, ihr Miesepeter von der FDP.
({1})
Ihr müsst immer erst die anderen miesmachen. Wir haben doch die Neuverschuldung gesenkt. Ich kann Ihnen
und den Bürgern nur sagen: Glauben Sie keinem Politiker, der Ihnen sagt, wir haben die Neuverschuldung gesenkt. Fragen Sie ihn erst einmal, wie viel mehr Geld er
euch vorher abgenommen hat, um dann zu sagen, wir haben die Schulden gesenkt.
({2})
Sie haben entgegen Ihren Haushaltsplanungen - wir
haben im April noch nicht zu hoffen gewagt, dass die
Wirtschaft so gut anspringt; wir sind froh darüber, dass
sie es tut - circa 20 Milliarden Euro mehr an Steuern
eingenommen. Dann müsste gegenüber der Planung ja
auch die Neuverschuldung um ungefähr diese unerwarteten 20 Milliarden Euro heruntergehen. Das passiert
aber nicht. Sie senken die Neuverschuldung um
8 Milliarden Euro. Aber wo sind die 12 Milliarden
Euro? Diese geben Sie zusätzlich aus. Daran kann man
messen, ob Sie bei der Konsolidierung Ehrgeiz haben.
Dann kann man noch feststellen: Die Ausgaben erhöhen sich genau um diese 12 Milliarden Euro.
({3})
12 Milliarden Euro Mehrausgaben im Jahr 2008, das ist
Ihre Planung. 12 Milliarden Euro mehr, das ist fast eine
Steigerung um 5 Prozent. Sie behaupten zwar, in den
nächsten Jahren sinke das wieder auf 1,5 oder 1,4 Prozent und sagen wie weiland Hans Eichel: In Zukunft
wird alles besser; wir machen es in kleinen Schritten.
Das Merkwürdige ist nur: Sie geben jedes Jahr mehr aus.
Ich werde Ihnen gleich noch nachweisen, dass Sie im
Jahr 2008 eigentlich sogar noch viel mehr ausgeben und
das mit kleinen Tricks ein bisschen umgehen.
({4})
Woran kann man den Ehrgeiz noch messen, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Koalition? Man kann ihn
daran messen, wie der Bund sich in Zukunft bei der Verschuldung im Vergleich zu den Sozialkassen, im Vergleich zu den Ländern und im Vergleich zu den Kommunen verhält. Was stellen wir fest, seitdem wir die Große
Koalition haben? Was stellen wir auch für das Jahr 2008
fest? Die Sozialkassen haben kein Defizit mehr. Die
Länder werden, bereinigt, auch kein Defizit mehr haben.
Die Kommunen hatten schon im letzten Jahr kein Defizit
mehr - es gab Sondereffekte; das will ich nicht bestreiten -, aber sie werden das auch in diesem Jahr erreichen.
Der Einzige, der in diesem Staat noch kräftig Schulden
macht, ist der Bund. Daran kann man genau sehen, worauf sich Ihr Ehrgeiz richtet. Ihr Ehrgeiz richtet sich darauf, nicht ganz so schlecht zu sein. Aber faktisch sind
Sie immer noch das Schlusslicht. Das kann man dem
Steuerzahler nicht zumuten.
({5})
Daran, dass das Ausgabenwachstum über dem Wirtschaftswachstum liegt, kann man auch erkennen, dass
Sie meinen: Ein bisschen mehr Staat ist doch gar nicht
schlecht; wir schenken hier was und schenken da was.
Das Schlimme daran ist: Das ist die alte Überlegung,
mehr Geld ist bessere Politik. Ich kann dazu nur sagen:
Richtiges Geld ist bessere Politik, und das muss eben
nicht immer mehr Geld sein.
({6})
Sie werden sagen: In Ihrem Antrag sind Sie doch
noch von soundso viel ausgegangen; das ist ehrgeizig,
und jenes ist ehrgeizig. Bei dem, was Sie jetzt an Steuermehreinnahmen vom Bürger und von der Wirtschaft bekommen, sollte Ihre erste Überlegung doch sein: Wie
kann ich vermeiden, dass ich dem Bürger so viel wegnehme? Wie kann ich vermeiden, dass der Bürger so viel
mehr bezahlen muss? Ihre Überlegung ist aber eher: Wie
kann ich dem Bürger mehr Geld geben? Denn ich habe
es ihm ja faktisch schon genommen. Ihre Denke in der
Großen Koalition ist weiterhin davon geprägt, dass für
die Haushaltspolitik gilt: Wir brauchen das Geld; denn
ohne Geld können wir keine Geschenke machen, und
ohne Geschenke werden wir nicht gewählt.
({7})
Zum Stichwort Ehrgeiz ist noch eine Sache wichtig:
die Investitionen, ein immer sehr beliebtes Thema. Wir
müssen mehr investieren. Heute Morgen haben wir vom
Kollegen Stiegler von der SPD gehört, was zu den Investitionen gesagt werde, sei alles ganz falsch; Investitionen
in Köpfe, Investitionen in Personal, Investitionen in
BAföG, das alles seien Investitionen. Das ist genau
falsch. Investitionen sind etwas, was man dann auch hat
({8})
und im Notfall für andere Zwecke einsetzen kann.
Der Minister sagte im Haushaltsausschuss: Die Investitionen steigen. Das hört sich gut an. Jeder denkt;
Mensch, das ist ja toll. Dann fragt man, wie viel wird
denn prozentual mehr ausgegeben, wo doch so viel Geld
zusätzlich vom Bürger eingenommen wird, und stellt
fest: Merkwürdig, genau das Gegenteil ist der Fall. Ihr
Ehrgeiz geht nicht dahin, die Investitionsquote hochzufahren; selbst in guten Zeiten geht die Investitionsquote
bei Ihnen runter. Das lässt für die Zukunft Deutschlands
Schlimmes ahnen.
Im Einzelnen müsste man jetzt eigentlich auf den
GKV-Zuschuss eingehen. Da ist etwas verräterisch. Ich
empfehle jedem, sich die Kabinettsvorlage einmal genau
anzuschauen. In der Kabinettsvorlage gibt diese Regierung bekannt,
({9})
dass sie schlicht nicht weiß, wie sie diesen Zuschuss in
Zukunft finanzieren will. Ich weiß, dass auch die Haushälter der beiden großen Fraktionen hier im Bundestag
das genauso wenig wissen und sich deswegen über die
Vorlage geärgert haben. Faktisch bekommen Sie den
GKV-Zuschuss nicht finanziert. Ich bin schon sehr gespannt, was Sie sonst noch an Tricksereien machen.
Die U-3-Betreuung, die Betreuung der unter Dreijährigen: ehrgeizig. Sie machen das, weil Ihr blonder Engel
gesagt hat: Das ist doch eine gute Sache. Das ist auch
eine gute Sache.
({10})
- Zu einer Dame „blonder Engel“ zu sagen, lieber Kollege Kampeter, halte ich für etwas Positives. Wenn Sie
das nicht so sehen, würde ich darüber noch einmal nachdenken.
Diese Frau sagt: 4 Milliarden Euro mehr. Was macht
der Bundesfinanzminister? Er sagt: Das geben wir so
nicht, diese 4 Milliarden Euro geben wir noch in 2007
aus. Faktisch sind das Ausgaben, die Sie eigentlich in
2008 tätigen würden. Wenn diese 4 Milliarden Euro in
2008 noch dazukämen - dahin gehören sie -, dann
würde aber jeder erkennen, dass Sie in 2007 faktisch weniger Schulden machen als in 2008. Da gilt auf jeden
Fall: überhaupt kein Ehrgeiz.
({11})
Ich will dann auch noch kurz auf das Thema Bundesagentur für Arbeit hinweisen.
({12})
Ich habe heute von Herrn Göhner - Kollege Kampeter
wird mir zustimmen - eine sehr gute Rede zu diesem
Thema gehört. Ich kann nicht Gelder der Beitragszahler,
also von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, nehmen, um
eine gesamtstaatliche Aufgabe, nämlich die Betreuung
von Langzeitarbeitslosen, zu finanzieren. Es kann doch
nicht sein, dass Selbstständige, Beamte und Abgeordnete
sich nicht vollständig an dieser Finanzierung beteiligen,
sondern all das beispielsweise der Bahnmitarbeiter, die
Friseurin und andere aufbringen müssen, aber nicht die
genannten Gruppen.
({13})
- Ja, der Mehrwertsteuerpunkt. Danke für den Hinweis,
Kollege Schneider.
({14})
Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie jetzt zugeben,
dass als Erträge aus dem Mehrwertsteuerpunkt 6 Milliarden in die BA hineingeschoben werden und diese
dann von der BA für Hartz IV ausgegeben werden.
({15})
Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition: Der aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer kommende Punkt dient nicht der Absenkung der
Sozialbeiträge, sondern Ihr Mehrwertsteuerpunkt dient
inzwischen der Finanzierung von Hartz IV; zu nichts anderem dient er.
({16})
Ich komme zum Schluss.
({17})
- Das wird Zeit, weil der Kollege Kampeter es kaum erwarten kann, dranzukommen. - Der Minister hat leider
gesagt, Komasparen sei völlig falsch. Ich sage dem
Minister von hier aus - ich weiß, er hätte heute gerne geredet -: Es geht nicht um Komasparen, es geht um
Rehasparen. Das sollten Sie machen, wenn Sie einen
ehrgeizigen Weg bei der Konsolidierung der Haushalte
einschlagen wollen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({18})
Nächster Redner ist nun der Kollege Steffen
Kampeter für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Charmante Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Antrag der Liberalen vom 7. März 2007. In diesem Antrag
werden zwei Dinge gefordert: erstens den Bundeshaushalt mit dem Ziel ausgeglichener Haushalte stärker zu
konsolidieren und zweitens den Bundeszuschuss an die
gesetzlichen Krankenkassen anständig zu finanzieren.
An sich, Herr Kollege Fricke, hätten Sie für die FDP
heute hier erklären müssen, dass durch den Regierungsentwurf vom vergangenen Mittwoch beide zentralen
Forderungen der FDP bereits erfüllt und umgesetzt worden sind
({0})
und von daher dieser Antrag gegenstandslos ist.
Ich bedanke mich aber auch dafür, dass Sie es nicht
getan haben; denn nach der Aktuellen Stunde, in der die
Erfolge der Bundesregierung in der Energiepolitik
dargelegt wurden, nutzen wir diese Möglichkeit gerne,
die bisherigen gemeinsamen Erfolge der unionsgeführten und von der SPD getragenen Großen Koalition in der
Haushaltspolitik darzulegen. Das ist ein willkommener
Anlass.
({1})
Lassen Sie mich daher festhalten, dass wir im Jahr
2006 im ersten Haushalt, der ein Übergangshaushalt war,
aufgrund von Erblasten und schwierigen Rahmenbedingungen mit einer Schuldenaufnahme in Höhe von
27,9 Milliarden Euro und einer vorläufigen Haushaltsführung gestartet sind.
({2})
Im Jahre 2007 hat der Haushalt schon die politische
Akzentuierung der Großen Koalition aufgezeigt. Der
laufende Haushalt ist ein solider Wachstums- und Konsolidierungshaushalt. Schon im Entwurf war mit
19,6 Milliarden Euro die niedrigste Neuverschuldung
seit der Wiedervereinigung vorgesehen. Es ist heute, im
Juli, bereits erkennbar, dass wir eine Nettokreditaufnahme in dieser Höhe nicht benötigen werden, dass wir
also im laufenden Jahr besser abschneiden werden, als
wir es noch im November gehofft hatten.
({3})
Anders gesagt: Die Politik der Union und der SPD, also
der Großen Koalition insgesamt, ist so erfolgreich, dass
die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr deutlich niedriger liegen wird als veranschlagt.
({4})
Der dritte Etat, den wir jetzt betrachten können, ist
der, der am vergangenen Mittwoch vorgestellt worden
ist, den wir sehr kritisch, aber zugleich konstruktiv begleiten. Ich meine den Etat für das Jahr 2008. Er weist
nicht nur eine noch niedrigere Kreditaufnahme auf - es
sind im Entwurf weniger als 13 Milliarden Euro vorgesehen -, sondern in der mittelfristigen Finanzplanung
wird für das Jahr 2011 unter realistischen Rahmenbedingungen sogar ein ausgeglichener Haushalt vorgesehen,
das heißt ein Haushalt ohne neue Schulden. Dies ist ein
historischer Einschnitt. Wir hatten das in diesem Jahrtausend noch nicht und wahrscheinlich das letzte Mal im
Jahre 1969.
Sie sehen, auf der Habenseite der Großen Koalition
steht nicht nur die Klimaschutzpolitik. Auf der Habenseite der Großen Koalition stehen auch eine erfolgreiche
Strategie zur Konsolidierung der Haushalte und zur Verringerung neuer Schulden sowie die Perspektive zum
Schuldenabbau mit Beginn des nächsten Jahrzehnts.
({5})
Nach 40 Jahren Nettokreditaufnahmepolitik unter den
unterschiedlichsten Mehrheitsbedingungen und politischen Verhältnissen soll nun eine Wende eingeleitet werden. Dies werden wir durch kluge politische Entscheidungen absichern.
Beim Einbringen des Antrags der FDP im Frühjahr
dieses Jahres, die die Haushaltspolitik unter einem kritischen Diktum analysiert, konnte man nicht wissen, dass
wir entgegen den bisherigen Planungen, in den nächsten
Jahren etwa 80 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen,
bis 2011 eine Schuldenaufnahme von insgesamt nur
rund 29 Milliarden Euro haben werden - also ungefähr
das, was wir allein im Jahre 2006 am Kapitalmarkt netto
neu aufgenommen haben. Das sind 50 Milliarden Euro
weniger als bisher geplant. Das sind allerdings noch
29 Milliarden Euro Schulden zu viel.
({6})
Wir müssen darauf hinwirken, dass wir diesen Schuldenrahmen durch politische Entscheidungen sowie
durch eine kluge Wachstums- und Arbeitsmarktpolitik
wie auch bisher nicht ausnutzen.
({7})
Das bedeutet eine erhebliche Verbesserung der entsprechenden Rahmenbedingungen.
Ferner ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen,
dass diese Konsolidierungsstrategie mit dem Setzen von
politischen Schwerpunkten einhergeht, die deutlich
machen, dass Sparen und Konsolidieren auf der einen
Seite und Zukunftsgestaltung sowie Investitionen in dieselbe auf der anderen Seite keinen Widerspruch darstellen. Ich weise darauf hin, dass beispielsweise mit diesem
Haushalt und dieser mittelfristigen Finanzplanung zentrale Investitionen im Bereich der Entwicklungshilfe
vorgenommen werden.
({8})
Wir stehen zu den internationalen Verpflichtungen, die
die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist. Wir investieren an dieser Stelle erheblich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich. Wenn der Kollege Koppelin sich
noch etwas geduldet und mich noch einige Erfolge aufzählen lässt, darf er anschließend gerne seine Zwischenfrage stellen.
Wir investieren in den Abbau des Staus auf deutschen
Straßen. Wir erweitern die Möglichkeiten für Investitionen in diesem Bereich um über 2 Milliarden Euro.
Angesichts der steigenden internationalen Verpflichtungen unserer Bundeswehr ist es gut und richtig, dass
wir unsere Investitionen in die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland noch einmal deutlich ausweiten und 2 Milliarden Euro ebenso dort wie
auch in Bereiche der inneren Sicherheit investieren.
({0})
Das zeigt, dass sich unsere Konsolidierungsstrategie
und kluge Investitionen nicht ausschließen.
Der Kollege Koppelin kann dies jetzt gerne positiv
kommentieren.
Ich habe nur eine Sachfrage, Herr Kollege Kampeter,
nachdem Sie von den politischen Schwerpunkten gesprochen haben, die diese Koalition immer aufzeigt.
Kann ich die Äußerungen des Finanzministers so verstehen, dass diese politischen Schwerpunkte durch die
Frettchen vertreten werden, die an seinem Kleidersaum
zerren?
Herr Kollege Koppelin, gestern haben wir im Haushaltsauschuss eine biologische Diskussion über das Halten von Frettchen geführt. Dabei ist deutlich geworden,
dass das Beißen von Frettchen an Hosenbeinen oder
Körperteilen eines Menschen ein Angebot zum Spielen
ist. Wir haben festgestellt, dass weder Regierung noch
Opposition mit dem Finanzminister zu spielen gedenken. In diesem Sinne haben wir dann im Haushaltsausschuss insgesamt festgestellt, dass im Parlament offenkundig niemand mit diesem Frettchenvergleich gemeint
sein kann.
Für nähere Erläuterungen zur Biologie und zum Einfluss von Frettchen auf die Haushaltspolitik und die Strategie der Bundesregierung im Hinblick auf die Konsolidierung im nächsten Jahrzehnt bitte ich Sie, eine
entsprechende Frage bei Gelegenheit direkt an den Bundesfinanzminister zu richten. Er wird dann sicherlich für
Aufklärung sorgen und genauso überzeugend, wie er
seine mittelfristige Finanzplanung im Haushaltsausschuss vorgestellt hat, wahrscheinlich auch seinen biologisch-finanzpolitischen Exkurs erläutern können.
({0})
- Es ist sicherlich möglich, dass der Kollege Diller hier
im Rahmen einer Kurzintervention noch etwas zur Erläuterung der Frettchenfrage beiträgt. Die Frage der Finanzpolitik ist ja auch mit alkoholischen Dimensionen
hinreichend beschrieben worden. Das ist aber nicht
Thema dieser Debatte.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf
einen anderen Aspekt hinweisen. Ich habe in einer Zeitung von einer Schuldenuhr gelesen, die in Richtung null
läuft. Wir von der Union vertreten die Auffassung, dass
es gut und richtig ist, die sinkende Nettokreditaufnahmen optisch deutlich zu machen. Nach meiner Auffassung hat das Bild der Uhr allerdings eine Macke. Wenn
sie auf null ist, läuft sie nämlich nicht weiter. Wir wollen
aber - das ist der gemeinsam getragene Wille der Großen Koalition - nach Erreichen des Ziels ausgeglichener
Haushalte in der nächsten Legislaturperiode perspektivisch Überschüsse zum Abbau der enorm hohen Verschuldung in der Bundesrepublik Deutschland als Investition in die Zukunft nachfolgender Generationen
einsetzen. Wir dürfen nämlich den zukünftigen Generationen nicht so hohe Schulden und nicht eine so hohe
Zinslast hinterlassen, dass sie keinen Handlungsspielraum mehr haben. Das wäre eine Verletzung der Generationengerechtigkeit.
({1})
Das nächste Ziel nach Erreichen eines ausgeglichenen
Haushaltes ist im Geiste des europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes das Produzieren von Überschüssen. Allen, die da sagen, das gehe nicht, entgegne ich:
Selbst das Land Berlin, das sich noch vor kurzem im Zusammenhang mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als arm, aber sexy präsentiert hat,
({2})
hat in diesen Tagen Überschüsse in seinem Landeshaushalt angekündigt. Der Bund sollte trotz einer ungleich
schwierigeren Ausgangslage und gesetzlich gebundener
Ausgabenpositionen den Berlinern hinsichtlich des Ehrgeizes nicht nachstehen. Wir müssen perspektivisch
nicht nur an einen Abbau der Neuverschuldung, sondern
auch an einen Abbau des Schuldenstandes in den nächsten Jahren denken. Die Große Koalition ist angesichts
ihrer Größe befähigt, diese Aufgabe gut zu meistern.
({3})
Der Antrag, über den wir heute debattieren, hat den
Titel „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des
Bundeshaushaltes“. Es handelt sich um einen veralteten
FDP-Antrag. Denn mangelnden Ehrgeiz kann man uns
offensichtlich, wie hinreichend belegt, nicht mehr vorwerfen.
Gleichwohl will ich auf einen Punkt im Haushaltsentwurf hinweisen. Mit der Langzeitarbeitslosigkeit gibt
es einen besonderen Risikobereich. Im Bereich der
Kurzzeitarbeitslosigkeit gibt es zwar eine erfreuliche
Entwicklung. Aber es muss noch eine ganze Menge getan werden, um die verabredeten Einsparungen beim
Arbeitslosengeld II zu realisieren. Wir werden in diesem
Jahr beim ALG II voraussichtlich etwa 23,5 Milliarden
Euro ausgeben. Im neuen Regierungsentwurf haben Herr
Müntefering und Herr Steinbrück dem Parlament den
Vorschlag gemacht, nur noch 21 Milliarden Euro für diesen Bereich auszugeben. Ich verstehe dies als einen Arbeitsauftrag des Kabinetts an die Arbeitsmarktpolitik,
durch entsprechende Maßnahmen diese Lücke von
2,5 Milliarden Euro gegenüber dem Istzustand entsprechend zu schließen.
Die Erfahrungen des letzten Jahres haben gezeigt,
dass auch die sehr gute Konjunktur und die bisherigen
Gesetzesänderungen im SGB II nicht zu den erhofften
Einsparungen geführt haben. Auch die seit diesem Jahr
in Kraft getretene Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose hat nicht ausreichend dazu beigetragen, den Ansätzen des Finanzplanes näher zu kommen. Dies bedeutet, dass wir in der Zukunft weitere
politische Schritte zur Umsetzung dessen, was Herr
Müntefering und Herr Steinbrück dem Parlament vorschlagen, unternehmen müssen. Der Arbeitsminister, das
gesamte Kabinett und das Parlament tragen hierfür die
Verantwortung. Ich rechne damit, dass wir uns noch im
Herbst mit diesen Dingen beschäftigen werden.
Abschließend will ich noch einen Sachverhalt aufgreifen, den der Kollege Fricke angesprochen hat. Es
geht um die Finanzierung der Betreuung von unter
Dreijährigen. Es ist zwar klar, dass es sich nicht um
eine originäre Bundeskompetenz handelt, die zur Folge
hat, dass der Bund in diesem Bereich tätig wird. Aber
diese Aufgabe ist so groß, dass ich es in der schwierigen
finanzpolitischen Situation für ein gutes Angebot des
Bundesfinanzministers und der Bundesfamilienministerin halte, den Einstieg in ein flächendeckendes, bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot in einer Größenordnung von bis zu 4 Milliarden Euro zu unterstützen.
({4})
Dass wir ab dem Jahr 2013 zu einer Lösung kommen
müssen, die die dauerhafte Finanzierung dieses Einstieges garantiert,
({5})
ist eine Selbstverständlichkeit. Das sichert dauerhaft die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Schließlich müssen wir auch über die Ausgestaltung
eines sogenannten Betreuungsgeldes ab dem Jahr 2013
nachdenken und entsprechende finanzielle Rahmenbedingungen setzen, um den Familien, die sich gegen eine
Betreuungseinrichtung entscheiden und ihre Kinder zu
Hause erziehen wollen, ein klares Signal zu geben. Das
ist ein differenziertes Angebot, das die Lebenssituation
junger Familien berücksichtigt. Ich finde die Art und
Weise unangemessen, wie der Kollege Fricke dieses Angebot und die Diskussion darüber zwischen Bund und
Ländern schlechtgeredet hat.
({6})
Auch dies gehört eindeutig zur Habenseite der Großen
Koalition. Die Opposition kann das durch Mäkelei nicht
kleinreden.
Die drei Themen - Haushaltspolitik, Klimaschutzpolitik und Familienpolitik - stehen auf der Habenseite
der Großen Koalition. Das ist erwähnenswert und ein
gutes Signal für Deutschland.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bevor ich auf den FDP-Antrag zu sprechen
komme, kurz ein Wort zu meinem Vorredner. Herr
Kampeter, dass aus Ihrem Munde einmal ein Lob für das
Land Berlin zu hören ist,
({0})
hat mich fast gerührt. Ich hoffe nicht, dass das als Todeskuss gemeint war. Sollte es so gemeint gewesen sein:
Das wird nicht funktionieren.
({1})
Der Antrag der FDP ist FDP pur. Schuldenabbau,
koste es, was es wolle, auch wenn die soziale Infrastruktur den Bach runtergeht - das ist das Motto der FDP. Die
FDP entwickelt wenig Ehrgeiz, die Arbeitslosigkeit abzubauen, die Armut zu bekämpfen oder die Wissenschaft
in unserem Land zu stärken. Das ist rückwärtsgewandt,
unsozial und ökonomisch unsinnig.
({2})
Im vorliegenden Antrag wird der Bundesregierung
mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bundeshaushaltes vorgeworfen. Wir von den Linken werfen der
Bundesregierung vor, dass sie zu wenig Ehrgeiz entwickelt, um die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft
zu überwinden.
({3})
Die Bundesregierung verschärft mit ihrer Haushaltspolitik sogar die gespaltene Konjunktur und treibt die Gesellschaft weiter auseinander. Die Konjunktur läuft nur
für DAX-Konzerne und deren Vorstände rund; aber sie
kommt nicht bei den Telekom-Mitarbeitern und Bahnbeschäftigten, den Familien, Alleinerziehenden, Rentnern,
Auszubildenden und Arbeitslosengeldempfängern an.
Das ist ungerecht. Dagegen setzen wir uns zur Wehr.
({4})
Stellen Sie sich vor: Das Arbeitslosengeld II ist jetzt
erhöht worden, und zwar um ganze 2 Euro pro Monat.
Auf einen Tag umgerechnet sind das etwas weniger als
7 Cent. Insgesamt kostet diese Erhöhung des Arbeitslosengeldes II - um die Zahlen einmal ins Verhältnis zu
setzen - rund 150 Millionen Euro. Das hört sich zwar
viel an, ist aber noch immer weniger als die Kosten für
den geplanten Prestigebau des Bundesinnenministers.
Dieser soll laut Planung 175 Millionen Euro kosten und
wird mit Sicherheit - das wissen wir aus Erfahrung teurer. Das ist eine Schieflage.
({5})
Selbst diese hohe Summe ist immer noch weniger als
das, was die Bundesregierung für Auslandseinsätze der
Bundeswehr ausgibt. Diese kosten uns mehr als
1 Milliarde Euro pro Jahr und sind schlecht angelegtes
Geld.
({6})
Die Bundesregierung setzt ihre Prioritäten ganz eindeutig, wenn es um die Geldverteilung geht: Erst komDr. Gesine Lötzsch
men die Lobbyisten, dann der brave Steuerbürger. Die
Steuermehreinnahmen sind kein Ergebnis kluger Politik,
sondern erstens Ergebnis der anziehenden Konjunktur
und zweitens Ergebnis des dreisten Griffs der Bundesregierung in die Taschen der Bürgerinnen und Bürger.
Die Bundesregierung hat doch alles unternommen, um
das Anziehen der Konjunktur zu verhindern. Die Mehrwertsteuererhöhung - diese will ich hier herausstellen - ist nicht nur unsozial, weil sie insbesondere diejenigen Menschen trifft, die durch die gespaltene Konjunktur sowieso benachteiligt sind, sondern bremst auch
die Konjunktur, wie wir an der zurückhaltenden Binnennachfrage erkennen können. Mein Kollege Dr. Gysi hat
das in der Debatte heute Morgen anhand von Zahlen
schon belegt.
({7})
Denjenigen, die von der Konjunktur reichlich profitieren, hat der Finanzminister mit der Unternehmensteuerreform das Geld hinterhergeschmissen. Dass die
Konjunktur so gut läuft, obwohl die Bundesregierung alles getan hat, um sie hinauszuzögern und zu drosseln,
grenzt schon an ein kleines Wunder.
({8})
Jetzt zeigt sich auch, wie unsinnig die verbissene
Haushaltskonsolidierungspolitik der Bundesregierung in
Zeiten der wirtschaftlichen Krise war. Der Sparkurs der
Bundesregierung hat die Krise und das soziale Ungleichgewicht weiter verschärft. Richtig ist der Ansatz, den wir
von der Linken vertreten: In Zeiten der wirtschaftlichen
Krise darf sich der Staat eben nicht zurückziehen, sondern muss in die soziale, ökologische, wirtschaftliche
und wissenschaftliche Infrastruktur investieren.
({9})
Da in den letzten Jahren der Fehler gemacht wurde,
zu wenig in diese Infrastruktur zu investieren, hat sich in
unserem Land ein Investitionsstau aufgebaut, der nun
aufgelöst werden muss. Ich denke nur an die fehlenden
Kindergärten in den westlichen Bundesländern. Es ist
ja wirklich ein Trauerspiel, dass fast 60 Jahre nötig waren, um zu erkennen, dass es in diesem Land einen Mangel an Kindergärten gibt und dass das ein Problem ist.
Augenscheinlich haben das alle Fraktionen bis auf die
FDP, die heute diesen Antrag zum Thema Konsolidierung zur Debatte stellt, verstanden.
Ich will auf einen Trugschluss aufmerksam machen.
Einige Kollegen hier im Haus meinen, dass sich der
Staat jetzt bei den Investitionen zurückhalten könne, da
jetzt die Wirtschaft investiere. Angesichts unserer Erfahrungen ist das aber ein riesiger Denkfehler. Die Wirtschaft investiert eben nicht freiwillig in die soziale Infrastruktur; aber wir brauchen gerade diese Investitionen,
wenn wir der Enkelgeneration eine Chance geben wollen. Es ist doch blanker Populismus, wenn von den neoliberalen Parteien immer wieder beklagt wird, dass wir
unseren Enkeln nur Schulden überlassen.
({10})
Was haben denn unsere Enkel davon, verehrte Kollegen
Fricke und Kampeter - nach heftigen Auseinandersetzungen wieder verbündet -, wenn sie zwar keine Schulden, aber gleichzeitig keine Kindergärten, keine Regionalzüge und schlecht ausgestattete Universitäten haben?
Ist das ein gutes Erbe?
({11})
Die Bundesregierung muss mehr Ehrgeiz entwickeln,
um die Zukunft unserer Kinder und Enkel langfristig zu
sichern.
({12})
Ich will kurz andeuten, was wir in den Mittelpunkt
der Haushaltsberatungen stellen, welche Anträge wir
stellen werden.
({13})
Wir fordern, den öffentlichen Beschäftigungssektor zu
fördern - darauf ist Herr Dr. Gysi heute Morgen schon
eingegangen -, das Arbeitslosengeld II auf mindestens
420 Euro im Monat zu erhöhen, die Investitionen für die
soziale und ökologische Infrastruktur zu erhöhen, die
Extragewinne der Energiekonzerne zu besteuern, alternative Energien stärker zu fördern und auf Mehrausgaben für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu verzichten.
({14})
Haushaltskonsolidierung ist kein Selbstzweck. Der
Staat muss in der Lage sein, seine Aufgaben zu erfüllen.
Immer noch gilt der Satz: Nur Reiche können sich einen
armen Staat leisten.
({15})
Die Linke ist keine Lobbyorganisation für Reiche. Wir
treten vielmehr für Gerechtigkeit und Solidarität ein. Wir
haben gemerkt, dass viele Menschen in diesem Land das
sehr gut finden.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich ganz herzlich bei der FDP dafür, dass sie
diesen Antrag im Frühjahr gestellt hat. Er ist, wie Kollege Kampeter schon ausgeführt hat, die Bestätigung des
Kabinettsentwurfs für den Haushalt 2008 mit einer
Finanzplanung bis 2011 und bietet die Möglichkeit,
Carsten Schneider ({0})
heute im Parlament noch einmal darüber zu debattieren
und zu sagen: Dieser Antrag ist wirklich sinnlos und ist
nicht zu begründen.
({1})
All das, was Sie fordern, basiert nicht auf der Realität.
Die wirtschaftliche Lage ist sehr gut. Frau Kollegin
Lötzsch, Sie telefonieren zwar gerade, ich möchte Ihnen
aber trotzdem sagen, dass ich Ihre Argumentation ein
wenig krude fand. Wenn Sie sagen, dass die Entwicklung sehr gut ist und alle ein Verdienst daran haben, nur
die Politik nicht, dann ist das stark um die Ecke gedacht.
Ich bin zwar der Auffassung, dass man sich nicht zu sehr
beweihräuchern sollte, aber dennoch resultiert doch ein
Gutteil der wirtschaftlichen Dynamik, die wir verzeichnen können, die auch mittelfristig vorhanden sein wird,
wenn man den Konjunkturforschern glauben kann, aus
der Politik. Machen Sie uns nicht kleiner, als wir sind.
Wir haben Möglichkeiten, und wir haben diese Möglichkeiten genutzt, um zu gestalten.
({2})
Die Ursachen sind vielschichtig: der Reformkurs der
vergangenen Jahre - vor allem die Agenda 2010 - und
die Verstetigung dieser Politik; Impulse, die die Große
Koalition 2005 mit ihrem Programm gegeben hat; die
starke Nachfrage - das ist eigentlich Keynes pur -; eine
starke Fokussierung auf wirtschaftlich dynamische Bereiche, zum Beispiel Forschung und Entwicklung - wir
haben hier intensiv über die Hightechstrategie und die
Investitionen in erneuerbare Energien diskutiert. All das
hat dazu geführt, dass die Wachstumsrate bei über
2,9 Prozent liegt. Darauf kann man doch stolz sein.
Sie haben einen Punkt, der für mich zentral ist, infrage gestellt. Ich weiß nicht, ob es wirklich die Position
der PDS ist, dass Schulden gut sind.
({3})
- Sie haben eben gesagt, dass Schulden gut sind. Sie
müssten das vielleicht noch einmal erklären; aber im
Kern habe ich das so herausgehört.
Ich kann Ihnen nur sagen: 2011 wollen wir einen ausgeglichenen Bundeshaushalt haben. Wir wollen mit
den Einnahmen, die wir haben, die Ausgaben finanzieren und damit auskommen. Das betrifft nicht die Diskussion, dass die FDP ganz wenig Staat will und die Linke
ganz viel. Das ist vielmehr eine Frage der Qualität. Das
muss passen.
({4})
Im Konjunkturzyklus muss es einen Ausgleich geben.
Seit 1969 - Herr Kampeter hat darauf hingewiesen sind wir in der Situation, dass es immer wieder Verschuldungen gibt. Heute haben wir 3 Milliarden Euro Mehrausgaben für Zinsen aufgrund der Steigerung der Zinsen
durch die EZB.
({5})
2008 sind es 3 Milliarden Euro mehr als 2007. Wir haben 43 Milliarden Euro Zinsausgaben. Das heißt, wenn
wir 2011 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen, zahlen wir das immer noch ab.
({6})
Ich teile die Einschätzung, dass wir dann einen Überschuss brauchen, um diese Zahlungen zu reduzieren und
mehr Spielräume zu gewinnen. Man muss dann aber
auch dafür sorgen, dass es Einnahmen gibt.
Sie haben die Gerechtigkeitsfrage aufgeworfen, wer
von der Konjunktur profitiert. Wenn ich mir die Abschlüsse der vergangenen Lohnrunden ansehe, dann
muss ich sagen, dass sie sehr ordentlich sind. Wir können das als Politiker nicht steuern. Ich finde es gut, dass
wir die Tarifautonomie haben; sie scheint ja an diesem
Punkt zu funktionieren.
({7})
Ich bitte Sie also, sich das an der Stelle noch einmal genauer anzusehen. Es würde mich freuen, wenn wir uns
hinsichtlich der Verschuldung einig werden. Wenn man
das Interesse hat, Politik zu gestalten, wenn man den
Auftrag zur politischen Gestaltung hat und dieses Land
verändern und bestimmen will, dann braucht man dafür
natürlich auch öffentliche Mittel.
({8})
Die hat man nur, wenn man auch Einnahmen hat. Das
muss ausgeglichen sein.
Herr Fricke, Sie haben gesagt, dieser Haushalt sei
ganz furchtbar, es gehe zu langsam.
({9})
Gut, ich wünsche mir auch, dass es uns bei den Beratungen gelingt - das wird unser Auftrag sein -, das Ganze
noch zu beschleunigen. Ich sehe mich da auf einer Linie
mit dem Bundesfinanzminister. Alles, was uns ermöglicht, zügiger zu dem Ziel der Reduzierung der Schulden
zu kommen, hilft.
Kollege Kampeter hat darauf hingewiesen: In der
alten Finanzplanung waren sogar noch 92 Milliarden
Euro Schulden bis 2010 vorgesehen. Jetzt sind bis 2011
nur noch 29 Milliarden Euro Schulden vorgesehen. Das
erspart uns allein 3 Milliarden Euro Zinsausgaben pro
Jahr. Das sind 3 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr mehr
zur Verfügung haben, die uns mehr Spielraum geben und
die wir auch nicht durch Einnahmeerhöhungen finanzieren müssen.
({10})
Das zeigt: Dieser Haushalt ist zukunftsgewandt. Die
Koalition hat dies zu einer politischen Priorität gemacht.
Ich sehe mich - ich glaube, dass das auch in der Bevölkerung akzeptiert wird - durch die Meinungsumfragen
unterstützt, die man zu diesem Punkt durchaus zurate
ziehen kann. Wir werden 2008 eine KreditfinanzieCarsten Schneider ({11})
rungsquote, das heißt die Aufnahme neuer Schulden bezogen auf die Gesamtausgaben, von nur noch 4,6 Prozent haben. Das ist der niedrigste Wert seit 1973.
Wir sollten nicht nur die Zinsausgaben in Höhe von
43 Milliarden Euro hinzurechnen - die hatte ich Ihnen
genannt -, die wir heute finanzieren müssen und die man
früher nicht hatte, sondern man sollte auch die deutsche
Einheit beachten, die viele immer wieder vergessen. Wir
alle stehen dazu, dass wir diese Ausgaben haben. Sie
sind eine besondere Belastung für diese Volkswirtschaft.
Wir kriegen das gewuppt. Von daher ist das eine sehr
große Leistung, auf die man stolz sein kann.
({12})
Kollege Fricke hat behauptet - ich habe gehört, auch
Herr Göhner hätte das heute Morgen gesagt;
({13})
das weiß ich nicht, er wird sich sicher eines Besseren belehren lassen -, wir würden Beitragsmittel der BA verwenden, um den Bundeshaushalt zu sanieren.
({14})
Seit Jahren hatten wir bei der Bundesagentur für Arbeit
Defizite, die wir mit Steuergeldern ausgeglichen haben.
Wenn wir eine Plus-Minus-Rechnung machen würden,
hätten wir dort ein Guthaben, das man zurückzahlen
müsste. Das haben wir aber nicht gemacht. Jetzt sind
wir in der Situation, dass wir bis 2011 30 Milliarden
Euro Steuermittel in die BA zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages geben und dass wir die Verantwortung der Arbeitslosenversicherung - das war die
Verabredung bei den Hart-IV-Gesetzen - für die Langzeitarbeitslosigkeit in Rechnung stellen und 20 Milliarden Euro Beitrag zur Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit durch den Eingliederungsbeitrag bezahlt
werden. Das heißt, in Summe bleibt der BA ein Überschuss von über 10 Milliarden Euro Steuermitteln.
({15})
Wie das Beitragsmittel sein können, ist mir nicht erklärbar.
({16})
- Herr Kollege Koppelin, Sie haben die Möglichkeit,
eine Zwischenfrage zu stellen, um zu erklären, wie Ihre
Position zustande kommt.
({17})
Sie ist jedenfalls in diesem Punkt nicht verständlich.
({18})
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: den angeblichen Aufwuchs der Ausgaben. Das Gegenteil ist
der Fall: Wenn man den um die Steigerungen bei den
Postpensionsunterstützungskassen bereinigt
({19})
- für 2008 betragen sie 5 Milliarden Euro -,
({20})
liegt die Steigerungsrate bei 1,2 Prozent.
({21})
Das ist unterhalb der Inflationsrate.
({22})
Das heißt, de facto ist festzustellen, dass die öffentlichen
Ausgaben real gesenkt werden.
Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Koppelin?
Bitte sehr.
Lieber Herr Carsten Schneider, darf ich Sie fragen:
Wer ist eigentlich die BA? Sind das die Beitragszahler,
oder ist das irgendein anonymes Gebäude in Nürnberg?
Die Bundesagentur für Arbeit ist eine öffentliche Einrichtung, die durch Beiträge der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und der Arbeitgeber finanziert wird,
({0})
die zur Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit gezahlt werden; in diesem Fall erhalten sie eine Versicherungsleistung. Darüber hinaus wird die BA durch einen
Steuerzuschuss in Höhe von 7 Milliarden Euro aus dem
Bundeshaushalt finanziert.
({1})
- Natürlich sind das die gleichen Leute. Wir alle sind
dieses Land; das ist doch logisch. Da fehlen mir ein wenig die Worte, Herr Koppelin. Ich finde, das ist ziemlich
offensichtlich. Wenn wir wollen, dass es in wichtigen
Bereichen wie der öffentlichen Daseinsvorsorge, der
Forschung, dem sozialem Ausgleich und der Herstellung
von Chancengerechtigkeit öffentliche Ausgaben gibt,
dann muss man Steuern erheben.
Carsten Schneider ({2})
({3})
Die Steuerquote liegt in Deutschland im internationalen Vergleich mit knapp 22 Prozent im unteren Bereich.
Sie hat also eine unterdurchschnittliche Höhe.
({4})
Wenn man die Steuer- und Abgabenquote zusammenrechnet, befindet sich Deutschland im internationalen
Vergleich im Mittelfeld. Unsere Staatsquote führen wir
insgesamt sogar zurück. Den Höhepunkt haben wir im
Jahre 1997 erreicht. Nun nähern wir uns in der Finanzplanung wieder einer Staatsquote von 44 bis 45 Prozent.
({5})
Ich finde, das sind große Erfolge der Koalition. Auf diesem guten Weg können wir in die Beratungen gehen.
Lassen Sie mich die Situation, in der sich Deutschland befindet, international einordnen: Deutschland ist
die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Es
wurde viel über den blauen Brief diskutiert, den
Deutschland von der EU-Kommission erhalten hat. Dass
das Verfahren allerdings von der Kommission eingestellt
worden ist, das ist ein bisschen untergegangen. Es gibt
kein Verfahren mehr, da Deutschland den veränderten
Maastrichtpakt, der ökonomisch vernünftiger ist, eingehalten hat. Im Jahre 2006 hatten wir eine Defizitquote
von nur noch 1,7 Prozent. Im Jahre 2007 werden es
0,6 Prozent sein und 2008 nur noch 0,3 Prozent. Im
Jahre 2009 werden wir gesamtstaatlich einen Ausgleich
zu verzeichnen haben. Ich finde, das alles kann sich sehen lassen.
Die gute Politik der Bundesregierung und insbesondere des Bundesfinanzministers hat dazu geführt, dass
die Menschen wieder Vertrauen in dieses Land, in sich
selbst, aber auch in die öffentlichen Finanzen gewonnen
haben. Das ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Damit, Frau Kollegin Lötzsch, hat die
Politik sehr viel zu tun. Auf die SPD, aber auch auf die
Union können sich die Leute in unserem Land verlassen.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
- Ja, damit rechne ich sogar fast.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es ist unbestritten gut, dass die wirtschaftliche
Entwicklung und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
dazu beitragen, dass die öffentlichen Finanzen eine Entspannung erfahren.
({0})
- Da klatscht sogar die CDU/CSU. - Nicht gut ist allerdings, dass die Große Koalition die Chance - ich würde
sogar sagen: die historische Chance - vertut,
({1})
den Bundeshaushalt bis 2009, also noch in dieser Legislaturperiode, auszugleichen.
Sie sind sicherlich genauso realistisch wie ich und
wissen daher: Man kann sich nicht ganz sicher sein, dass
der Aufschwung bis 2011 anhält.
({2})
Unser Maßstab sollte aber sein, dass wir den Haushaltsausgleich bis 2009 realistisch schaffen können, dass das
eine historische Chance ist und dass unsere europäischen Nachbarländer in diesen Boomzeiten schon mit
Überschüssen wirtschaften.
({3})
Unser Maßstab darf nicht die Angst der Großen Koalition oder von Herrn Steinbrück sein, dass irgendwann
einmal ein Ziel, das man sich gesetzt hat, nicht erreicht
werden könnte. Genau das, Herr Schneider, machen wir
Ihnen zum Vorwurf. Aber ich weiß ja, dass sich Ihre öffentlichen Äußerungen und auch die von Herrn
Kampeter mit unseren Forderungen - Haushaltsausgleich bis 2009 - im Wesentlichen decken und diese
stützen.
({4})
Ich möchte noch etwas dazu sagen, wo mir der Haushalt, der gestern vorgelegt wurde, gefällt: Ich finde es in
Ordnung, dass Sie mit dem Schwerpunkt der Forschungspolitik und mit der Finanzierung der in der Entwicklungszusammenarbeit gegebenen Zusagen - eine
ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP bis 2015 - einen
globalen, internationalen Ansatz verfolgen. Das finden
wir Grünen richtig; ich sage das ausdrücklich.
Ich begrüße auch, dass die CDU/CSU verstanden hat
- auch wenn sie lange gebraucht hat, um aus ihrer ideologischen Verstellung herauszukommen -, dass eine bessere Kinderbetreuungsinfrastruktur wichtig ist: für
das Land, für die Frauen, für die Familien - und für unsere Wirtschaft. Das ist gut.
({5})
Aber hier sieht man eine typische Schwäche der Großen
Koalition. Wir Grünen haben vorgerechnet, dass man die
Kinderbetreuung finanzieren kann, indem man überflüssige Subventionstatbestände beim Ehegattensplitting abAnja Hajduk
schafft. Dann hat man auch eine Lösung für das Länderproblem, die Einrichtungen zu finanzieren. Wir haben
gezeigt, wie man durch Umfinanzierung ab sofort die
Kinderbetreuung gewährleisten kann, und zwar in einer
viel besseren Qualität, als für nächstes Jahr geplant - Sie
müssen um Sondervermögen feilschen, müssen auf konjunkturelle Steuermehreinnahmen in diesem Jahr setzen.
Das ist eine typische Schlechterlösung der Großen Koalition: Sie können nicht umfinanzieren, Sie können leider nur obendrauf packen.
({6})
Ich komme jetzt im engeren Sinne zur Haushaltspolitik der Großen Koalition. Die Zahlen von Herrn
Steinbrück sehen so aus: Die Ausgaben steigen zum
nächsten Jahr um 4,7 Prozent. Früher hatten wir Ausgabensteigerungen um 1 Prozent. Man gönnt sich also etwas!
({7})
Ich finde, das ist fahrlässig, wenn man die historische
Chance hat, den Haushalt auszugleichen. Man kann es
auch anders bebildern: Sie steigern die Ausgaben um
12,7 Milliarden Euro. Das ist ungefähr die Nettokreditaufnahme, die für nächstes Jahr vorgesehen ist. Da kann
doch jeder, ohne dass er im Haushaltsausschuss sitzt,
schnell erkennen: Im Prinzip könnten wir nächstes oder
übernächstes Jahr ohne neue Schulden auskommen.
({8})
Das ist doch ein Ziel, das einfach zu erreichen wäre: mit
Disziplin. Das wäre eine Aufgabe, die Sie sich stellen
sollten!
({9})
Ich bin Realistin genug, zu sagen: Die günstige wirtschaftliche Entwicklung gibt Ihnen eine bessere Basis,
als wir sie unter Rot-Grün hatten, keine Frage. Aber ehrgeizig sind Sie an dieser Stelle nicht. Auch mit Blick auf
die Nachbarländer kann ich sagen: Sie vertun hier eine
Chance.
Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich würde gerne noch einen Gedanken zu Ende führen; dann gerne, Herr Kollege Kampeter.
Für 2007 ist geplant, 19,5 Milliarden Euro neue
Schulden aufzunehmen. Es gibt, glaube ich, niemanden
hier im Haus, der bestreiten wollte, dass es möglich
wäre, mit den Steuermehreinnahmen von über 11 Milliarden Euro die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr 2007
auf ungefähr 10 Milliarden Euro zu senken.
({0})
Wenn man jetzt einen Abbaupfad bei der Konsolidierung beschreiben will, kann man doch nicht allen ernstes sagen: Wir wissen schon jetzt, im Sommer, wir brauchen dieses Jahr 10 Milliarden Euro neue Schulden, aber
2008, wo die Wirtschaft genauso gut weiterlaufen soll
- so Ihre Annahme -, brauchen wir wieder ein bisschen
mehr Schulden. Das passt nicht zusammen, und das
zeigt, dass Sie - an dieser Stelle ist der Titel richtig mangelnden Ehrgeiz bei der Konsolidierung haben.
({1})
Herr Kollege Kampeter, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Hajduk, vor etwa einer Minute haben
Sie in Ihrer Rede ausgeführt, dass wir im nächsten Jahr
entsprechend dem Regierungsentwurf in Absolutbeträgen ungefähr 12 Milliarden Euro mehr ausgeben wollen.
Ist es nicht zutreffend, dass diese Steigerung um
12 Milliarden Euro, wenn man von den etwa
3 Milliarden Euro Zinsen absieht, vor allen Dingen auf
einen Ausgabeposten zurückgeht, nämlich auf die
6 Milliarden Euro für die Postpensionskassen?
({0})
- Die sind dauerhaft, Herr Kollege Brinkmann. - Diese
6 Milliarden Euro Mehrausgaben sind also die Konsequenz von politischen Entscheidungen, die unter Ihrer
Beteiligung getroffen worden sind und deren Folgen wir
als Große Koalition jetzt nachzuvollziehen haben. Muss
man deswegen nicht sagen, dass Ihre Kritik an den
Mehrausgaben halbherzig ist? Ich lasse es Ihnen nicht
durchgehen, sich hier hopplahopp aus der Verantwortung zu stehlen. Ich bitte Sie deshalb in Form dieser
Frage, das noch einmal aufzugreifen.
({1})
Herr Kollege Kampeter, ich leugne überhaupt nicht,
dass es manchmal Ausgabenbereiche gibt, die schwerer
zu steuern sind oder die man erbt. Aber ist das, was Sie
sagen, nicht ein bisschen kleinlich?
({0})
In den beiden Jahren 2006 und 2007 steigen unter der
Großen Koalition die Ausgaben im Haushalt zusammengenommen um fast 18 Milliarden Euro. Durch Steuererhöhungen und guten Subventionsabbau - der endlich
einmal geklappt hat - haben Sie in zwei Jahren
37 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Ist es dann bei einem Haushalt von insgesamt 270 Milliarden Euro nicht
ein bisschen kleinlich, zu sagen, dass Sie diese
6 Milliarden Euro nicht anders aussteuern oder kompensieren können?
({1})
Ich erhalte meine Kritik aufrecht. Wenn Sie diesen kleinen Bereich herausgreifen, gebe ich zu, dass es da auch
ein kleines bisschen Erblast gibt. Aber Sie haben durch
die gute konjunkturelle Entwicklung Steuerungsmöglichkeiten im zweistelligen Milliardenbereich. Diese
vergeben Sie einfach. Deshalb komme ich zu derselben
Konsequenz: Sie sind nicht ehrgeizig und in einem sehr
wichtigen Bereich nicht verlässlich.
({2})
Ich komme jetzt zu zwei weiteren Punkten, die ich
noch anmerken möchte.
Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich glaube, dass wir dies jetzt genug diskutiert haben,
Herr Kampeter. Wir setzen das dann im September fort.
Sie kommen auf die Postunterstützungskassen bestimmt
noch dreimal zurück.
({0})
Ich komme jetzt zum Arbeitsmarkt. Kollege
Schneider hat gesagt, dass noch über 10 Milliarden Euro
an Überschüssen bei der Bundesagentur für Arbeit
bleiben werden. Ich kann Ihnen nur zurufen: Hätten Sie
sich doch in diesem Punkt ruhig einmal gegen die CDU
durchgesetzt! Es ist klar, dass die Bundesagentur für Arbeit das Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung definitiv
nicht braucht. Sie schonen damit Angela Merkel, die die
6 Milliarden Euro weiter in die Bundesagentur für Arbeit hineinpumpt, und ziehen jetzt auf anderer Ebene
5 Milliarden Euro wieder ab. Daran kann man sehen,
dass es zur Senkung der Lohnnebenkosten struktureller
Arbeitsmarktreformen bedurfte, die wir mit der rot-grünen Koalition unter ziemlich starken Belastungen durchgeführt haben. Das Mehrwertsteuergeld in der Bundesagentur ist überflüssig. Wenn man für Haushaltsklarheit,
Haushaltswahrheit und Transparenz ist, würde man das
auch zugeben und diesbezüglich nicht so kleinmütig
sein.
({1})
Ganz zum Schluss möchte ich Folgendes sagen, womit ich sicherlich nicht allein stehe:
({2})
Wenn Sie in den letzten Tagen die Kommentierungen
der Haushaltspolitik und des Haushaltsentwurfes für
2008 aufmerksam gelesen haben, dann haben Sie zur
Kenntnis genommen, dass es besser wird, als wir gedacht haben. Aber Sie haben in den Kommentaren auch
lesen können, dass es keinen Grund zur Überheblichkeit
bei der Großen Koalition gibt. Manche - wie heute die
„Financial Times“ - sagen, der Bundesfinanzminister
profitiere von der Gnade der späten Ernennung; dazu
will ich gar nichts weiter sagen. Aber Überheblichkeit ist
nicht am Platz. Es müsste vielmehr eine schlichte finanz-,
haushalts- und wirtschaftspolitische Wahrheit stärker berücksichtigt werden: In guten konjunkturellen Zeiten
muss man sanieren, und zwar so, dass man für die Zukunft und für den Fall vorsorgt, dass die Konjunktur
wieder kippt.
({3})
Das leisten Sie viel zu wenig. Deswegen bin ich froh,
dass wir vom Bündnis 90/Die Grünen Ihnen in dieser
Woche einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes und der Bundeshaushaltsordnung zuleiten. Damit
soll eine Schuldenbremse eingeführt werden, die sicherstellt, dass in konjunkturell guten Zeiten Überschüsse erwirtschaftet werden und in konjunkturell
schlechten Zeiten Defizite zulässig sind. Ihre Haushaltspolitik hält einer solchen Schuldenbremse nicht stand.
Ich sehe aber mit Sympathie, dass auch der Finanzminister weiß, dass er eigentlich eine solche Schuldenbremse
bräuchte. Ich hoffe, dass wir in der Föderalismuskommission II und bei den Haushaltsberatungen in diesem
Herbst in diesem Punkt weiterkommen.
({4})
Wir Grüne haben dazu eine Initiative vorgelegt. Ich
bin gespannt, wie Sie die bewerten und ob Sie da mitziehen.
Schönen Dank.
({5})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Georg
Fahrenschon das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Dinge
sind am Ende der Debatte klar:
Erstens. Vor dem Hintergrund des gestern im Kabinett
verabschiedeten Haushaltsplans für das kommende Jahr
ist der Antrag der FDP nicht mehr der aktuellste. Er ist
durch die erfolgreiche Arbeit des Bundeskabinetts quasi
überholt.
Zweitens. Wir sind Ihnen trotzdem dankbar, weil Sie
uns - passend zur letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause - die Gelegenheit geben, noch einmal die drei
wesentlichen und guten Meldungen bzw. Nachrichten
deutlich herauszuarbeiten:
Erstens. Das Defizitverfahren der Europäischen
Kommission gegen Deutschland ist endgültig eingestellt
worden. Die Europäische Union bestätigt damit den finanzpolitischen Kurs der Großen Koalition. Dabei ist
besonders bemerkenswert, dass wir die notwendige Reduzierung bzw. Rückführung des Defizits ein Jahr vor
der uns gesetzten Frist erreicht haben. Und das ist gut so.
({0})
Zweitens. Wir arbeiten mit voller Kraft daran, die
Nettokreditaufnahmen zu reduzieren. Im Jahr 2006 haben wir sie im Vergleich zum Plan schon um
10 Milliarden Euro zurückgeführt, und wir werden weiter fortschreiten. Der Ausblick auf das kommende Jahr
mit knapp 13 Milliarden Euro und auf die darauf fortfolgenden Jahre ist entsprechend positiv. Liebe Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen selber, dass wir an dieser Stelle
der mittelfristigen Finanzplanung noch auf die kommende Steuerschätzung warten müssen, um den Daten
für die kommenden Jahre eine entsprechende Grundierung zu geben. Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt mit
Wunschzahlen zu operieren. Es macht viel mehr Sinn,
die Steuerschätzung abzuwarten und dann entsprechend
zu korrigieren.
({1})
Kollege Fahrenschon, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk?
Ja, gerne.
({0})
- An dieser Stelle.
Sehr geehrter Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass
Ihr Finanzminister, Herr Steinbrück, nicht so sehr auf die
Zahlen der Steuerschätzung angewiesen ist, sondern dass
er gerne noch eigene Schätzungen vornimmt und diese
Zahlen dann in seine Finanzplanung und den Haushalt
einbaut? Das steht in einem gewissen Widerspruch zu
der Äußerung, die Sie gerade gemacht haben.
Aber liebe Frau Kollegin, Ihnen ist doch auch bekannt, dass wir nach dem Beschluss des Kabinetts gleich
in der ersten Woche nach der Sommerpause hier im Parlament mit den Arbeiten am Haushaltsplan starten werden und dass wir als Parlament in guter Tradition - bei
uns liegt nämlich das Budgetrecht gegenüber der Regierung - die Steuerschätzung abwarten und dann entsprechend korrigieren werden.
({0})
Die dritte gute Nachricht lautet, dass infolge der Konsolidierungsmaßnahmen der Großen Koalition und damit infolge richtiger Politik, mit der die Weichen gleichzeitig auf Wachstum und Beschäftigung sowie auf
Konsolidierung gestellt wurden, das gesamtstaatliche
Defizit mittlerweile auf nur noch ein halbes Prozent des
Bruttoinlandsprodukts gesunken ist. Binnen zwei Jahren
haben wir das strukturelle Defizit Deutschlands von über
3 Prozent auf nur noch ein halbes Prozent absenken können. Das heißt nicht, dass wir hier aufhören, aber das
heißt, dass die richtige Politik zu guten Ergebnissen geführt hat.
({1})
Angesichts eines Schuldenbergs in Höhe von nach
wie vor unvorstellbaren 1 500 Milliarden Euro müssen
wir aber weiterarbeiten. Wir können nicht stehen bleiben. Aufgrund der guten konjunkturellen Lage dürfen
wir nicht bis 2011 mit einem ausgeglichenen Haushalt
warten, sondern wir wollen ihn so schnell, so passend
und so tragfähig wie möglich erreichen.
({2})
Dabei gilt für uns einerseits eine strikte Ausgabendisziplin, andererseits glauben wir, dass es bei einem
Anhalten des konjunkturellen Aufschwungs möglich ist,
noch im laufenden Jahrzehnt, also vor dem Jahre 2011,
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen; denn
nur dadurch können wir - der Freistaat Bayern macht es
uns in diesem Jahr doch bereits erfolgreich vor - endlich
die Schaufel in die Hand nehmen und damit beginnen,
den Schuldenberg abzubauen.
({3})
Wir laufen Gefahr, dass uns hier die Zeit davonläuft.
({4})
Der vorgelegte Entwurf enthält bereits zwei bemerkenswerte Alarmzeichen:
Erstens. Der Anstieg der Zinsausgaben um 2,6 Milliarden Euro.
({5})
Dies ist zwar noch überschaubar, bedeutet aber - das
muss uns umtreiben -, dass wir im kommenden Jahr
42,2 Milliarden Euro nicht für politische Maßnahmen
zur Verfügung haben,
({6})
sondern für die Zinsen der bereits in der Vergangenheit
vom Bund aufgetürmten Schulden aufwenden müssen.
({7})
Zum anderen muss uns beschäftigen, dass trotz real
steigender Investitionsausgaben die Investitionsquote
im Bundeshaushalt am Ende des Planungszeitraums bei
nur noch 8,2 Prozent liegt.
Nicht nur, aber insbesondere aufgrund dieser beiden
Alarmzeichen liegt noch viel Arbeit vor uns. Arbeit bedeutet insbesondere, zu sparen und die Konsolidierung
weiter voranzubringen. Denn solide Staatsfinanzen und
eine nachhaltige Konsolidierung sind kein Selbstzweck.
Sie sind unumgängliche Voraussetzung zur Wiedergewinnung von haushaltspolitischen Spielräumen, die wir
zur Finanzierung wichtiger Zukunftsinvestitionen
und zur weiteren Rückführung der Steuerbelastung
dringend brauchen.
({8})
Zudem sind sie wichtige Voraussetzungen für eine
Steigerung von Wachstum und Beschäftigung.
({9})
Denn am Ende wird das Wachstum durch Sparen gefördert. Umgekehrt gilt, dass ohne ein erhöhtes Wirtschaftswachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und die
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht gelingen können. Hierfür werden wir in den anstehenden parlamentarischen Beratungen genügend Zeit haben, und
wir werden uns auch den nötigen Raum nehmen.
Wir sind entschlossen, den Weg der Tugend, den Bundesminister Michael Glos klar beschrieben hat, zu unterstützen.
({10})
Dieser Weg sieht vor, erstens die Defizite in den öffentlichen Haushalten über den Konjunkturzyklus dauerhaft
und vollständig zu vermeiden, um damit die öffentliche
Verschuldung Schritt für Schritt abzubauen. Zweitens
soll die Belastung durch Steuern und Abgaben gesenkt
werden; denn wir müssen jetzt die Gelegenheit nutzen,
den Beitrag zur Konsolidierung, den die Bürger in diesem Land geleistet haben, in besseren Zeiten wieder zurückzugeben. Drittens wollen wir öffentliche Investitionen vor allem in Bildung, aber auch in Innovationen
erhöhen; denn darin liegt unsere Zukunft. Nur so kann es
uns gelingen, den Schuldenberg in absehbarer Zeit abzutragen.
Herzlichen Dank.
({11})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernhard
Brinkmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was den mangelnden Ehrgeiz angeht, hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass die Steilvorlage vom März dieses Jahres
von den Freien Demokraten noch rechtzeitig zurückgezogen wird. Das ist leider nicht der Fall. Darum möchte
ich gerne im zweiten Teil meiner Rede auf den einen
oder anderen Punkt eingehen.
Zu Beginn will ich aber auf das eingehen, was die
Kollegin Lötzsch und ihre Fraktion in den letzten Wochen und Monaten ständig zum Besten gegeben haben.
Sie machen mit Ihren Ausführungen den Menschen
weis, dass die Probleme, die bei der Telekom und der
Deutschen Bahn bestehen, an uns und die positiven Zeichen in der Wirtschaftsentwicklung, auf dem Arbeitsmarkt und auch in der Haushalts- und Finanzpolitik an
den Menschen vorbeigehen.
Ich habe in diesem Zusammenhang eine herzliche
Bitte. Tun Sie doch nicht so, als könnten die Bundesregierung oder dieses Hohe Haus durch Beschlüsse dafür
sorgen, dass die Probleme bei der Telekom und der
Deutschen Bahn AG so gelöst werden, wie Sie es gerne
hätten, geschweige denn, dass der Staat in der Lage
wäre, durch seine Haushalts- und Finanzpolitik Geleitschutz zu geben. Damit machen Sie den Menschen etwas
vor.
({0})
Das würde - wenn überhaupt - nur kurzfristig zum
Erfolg führen. In welchem Maße das schiefgehen kann,
haben wir bis zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes erlebt.
({1})
Was den Ehrgeiz angeht, ist es in der Tat gut, wenn
man ihn hat. Übertriebener Ehrgeiz führt aber nicht immer zu dem Ziel, das man erreichen möchte, Herr Kollege Fricke.
({2})
Ich habe in Ihrer Rede vermisst, dass Sie neben den angesprochenen Punkten, wo man auf der Ausgabeseite
sparen oder Einschnitte vornehmen kann, auch das Lied
von weiteren Steuersenkungen gesungen haben.
({3})
Dieses Lied singen Sie anscheinend nicht mehr. Zumindest in diesem Bereich scheinen Sie zu einer anderen
Überzeugung gekommen zu sein.
Ich erkläre hier ganz deutlich, dass sich der im Herbst
2005 begonnene Dreiklang von Reformieren, Investieren und Konsolidieren als sehr erfolgreich erwiesen hat
und dass wir zumindest einen bestimmten Anteil an dieser erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik in
Deutschland haben.
({4})
Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, dann sind die Politiker schuld. Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, dann ist
die Wirtschaft alleine verantwortlich. Ich glaube, in der
Mitte liegt die Wahrheit. Wir sollten uns jedenfalls
darüber freuen, dass die Arbeitslosigkeit seit November
Bernhard Brinkmann ({5})
2005 jeden Monat zurückgeht, und das quer durch alle
Bereiche. Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit und der
Jugendarbeitslosigkeit sind Erfolge zu verzeichnen. Ich
füge hinzu: Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass jemand, der arbeiten geht, am Ende des Monats
so viel nach Hause bringen muss, dass er davon sich und
seine Familie ernähren kann.
({6})
- Frau Kollegin Lötzsch, mit dem gesetzlichen Mindestlohn werden wir uns noch eine bestimmte Zeit auseinandersetzen. Ich habe nur den Eindruck, dass Sie hier
versuchen, kurzfristig politische Erfolge zu erzielen, genauso wie in anderen Punkten. Ich sage Ihnen schon
jetzt: Das wird Ihnen auch hier nicht gelingen.
Was die Steigerung der Ausgaben angeht, möchte
ich drei Bereiche ansprechen; die anderen wurden zum
größten Teil schon erwähnt. Erster Punkt. Ich glaube,
niemand in diesem Hohen Haus wird ernsthaft bestreiten, dass weitere Ausgaben für Bildung und Forschung
richtig sind. Hier zu sparen, wäre falsch.
({7})
Demzufolge sollten wir es im Rahmen der Haushaltsberatungen, die nach der Sommerpause beginnen, auch
nicht tun.
Der zweite Punkt betrifft die Bundeswehr. Wir alle
wissen - vielleicht bis auf die linke Seite dieses Hauses,
die die Friedenseinsätze und die humanitären Einsätze
der Bundeswehr massiv kritisiert -, dass hier etwas getan werden muss. Die ständig steigende Präsenz bei
Hilfsmaßnahmen im Ausland und humanitären Maßnahmen zur Sicherung des Friedens erfordert erhöhte Ausgaben. Deshalb muss man bereit sein, dafür mehr Mittel
zur Verfügung zu stellen, von der Sanierung der Liegenschaften der Bundeswehr im Lande ganz zu schweigen.
Auch da muss noch einiges passieren.
Der dritte Punkt betrifft die Infrastruktur. Alle wollen
möglichst gute Straßen, insbesondere gute Autobahnen,
gute Schienenwege und gute Wasserwege. Dass die Bundesregierung dafür mehr Mittel in den Bundeshaushalt
2008 eingestellt hat, ist eine richtige und für jeden nachvollziehbare Entscheidung.
Für einen ausgeglichenen Haushalt, also seit vielen
Jahrzehnten zum ersten Mal den Punkt zu erreichen, an
dem sich Einnahmen und Ausgaben wieder decken, ist
das Jahr 2011 angepeilt. Wenn es früher geht, sollten wir
es in Angriff nehmen. Allerdings ist angesichts des ehrgeizigen Ziels, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, ein größerer Zeitraum besser, als sich letztendlich
zu verheben.
Der Kollege Schneider hat darauf hingewiesen - Frau
Kollegin Hajduk ist leider nicht mehr da -, dass man unser Land nicht eins zu eins mit den europäischen Nachbarländern vergleichen darf, wenn es um Haushaltskonsolidierung und Erzielung von Überschüssen geht. Es ist
besonders wichtig, in dieser Debatte darauf hinzuweisen,
dass wir, unsere Volkswirtschaft und alle anderen, die
dazu beitragen, seit 1990 Sonderkosten für die deutsche Einheit und Kosten für den Solidarpakt II bis 2019
zu finanzieren haben. Das leistet keine andere Volkswirtschaft, weder in Europa noch auf der Welt. Auf diese
Leistung sollten wir - völlig zu Recht - sehr stolz sein.
({8})
Die wachsende Wirtschaft und die Erfolge auf dem
Arbeitsmarkt bestätigen die erfolgreiche Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen.
Eine erste Rendite zeichnet sich nun ab. Wir haben damit
eine historische Chance, den Haushalt zukunftsgerecht
auszurichten und erstmals nach über 40 Jahren den
Schuldenberg nicht weiter wachsen zu lassen, sondern
abzubauen. Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam
nutzen. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten bei den Beratungen im Haushaltsausschuss noch die
Möglichkeit haben, das eine oder andere zu verändern.
Wir unterstützen den Finanzminister bei seinen Bemühungen und bedanken uns, dass der Bundeshaushalt
2008 die bisher erzielten Erfolge festigt und fortschreibt.
Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von
der FDP, was die Produktion von Papier angeht. Wir haben bei den letzten Haushaltsberatungen immer erlebt,
dass der Kollege Fricke oder der Kollege Koppelin mit
einem Riesenbuch hier vorne aufgetreten sind und dieses
als Sparbuch bezeichnet haben. Um nicht missverstanden zu werden: Das war nicht das Sparbuch, das wir alle
kennen und das in der Regel ein Guthaben hat, sondern
das war das Sparbuch, um Haushaltskonsolidierung zu
betreiben,
({9})
auf der Ausgabeseite zu sparen und massive Einschnitte
vorzunehmen. Selbst das, was Sie mit dem großen Berg
an Papier und dem dicken Buch hier vorgelegt haben
- um das einmal deutlich zu machen -, hätte nicht dazu
geführt, dass wir in 2006/2007, geschweige denn in den
Jahren danach - warten wir einmal ab, was im Jahr 2008
kommt -, zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt gekommen wären.
({10})
Frau Kollegin Flach, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zum Schluss machen. Wer mehr als vier Jahrzehnte an dem Aufbau dieses Schuldenberges maßgeblich beteiligt war,
({11})
sollte sich, was den Ehrgeiz angeht, auf der Ausgabeseite Einschnitte vorzunehmen, ein wenig zurückhalten.
Damit meine ich die Freie Demokratische Partei. Sie waren einmal mit uns und einmal mit der Union zusammen,
aber Sie waren eigentlich immer dabei, als die Schulden
gemacht worden sind, übrigens auch bei der falschen
Finanzierung der deutschen Einheit 1990.
Vielen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4606 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? ({0})
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007 und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 16/5823 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten JohannHenrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, René
Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
IKT 2020: Gezielte Forschungsförderung für
zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologien ({2})
- Drucksache 16/5900 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz ({4}), Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Innovationsfähigkeit stärken durch Bildungsund Forschungsoffensive
- Drucksache 16/5899 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Dr. Annette Schavan.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben
heute Morgen nach der Regierungserklärung von Herrn
Kollegen Glos über den wirtschaftlichen Aufschwung in
Deutschland diskutiert. Der Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands bestätigt: Die deutsche
Wirtschaft befindet sich auf einem klaren Expansionskurs. Er behandelt die Faktoren, die bedeutsam sind, um
die Innovationskraft in Deutschland als Grundlage für
anhaltende wirtschaftliche Entwicklung zu stärken, und
er beschreibt Stärken und Schwächen.
Er beschreibt erstens - lassen Sie mich insgesamt sieben Punkte aufgreifen -, in welchen Bereichen Potenzial
noch besser genutzt werden kann, zum Beispiel durch
die stärkere Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien etwa in den Bereichen der Dienstleistungen neuer Medien, im Bereich von E-Health und
Logistik. Das sind drei besondere Bereiche, die Niederschlag in der von der Bundesregierung vor wenigen Monaten veröffentlichten Strategie IKT 2020 finden, die
als Treiber für Innovation wirken soll und deshalb auf
Anwendungen von Informations- und Kommunikationstechnologie ausgerichtet ist.
Zweitens beschreibt der TLF die starke Position
Deutschlands und deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten der Technologiegüter. Es wird nicht nur auf
eine Zahl hingewiesen, die schon aus den letzten Jahren
bekannt ist, wonach 65 Prozent der deutschen Unternehmen zu den innovativen Unternehmen gehören, sondern
es wird auch von einer weiter steigenden Zahl der Patentanmeldungen und davon gesprochen, dass im Jahr 2005
forschungsintensive Industriewaren im Wert von
428,3 Milliarden Euro exportiert wurden und Deutschland damit der Welt größter Technologieexporteur noch
vor den USA und Japan ist. Als ein herausragendes Beispiel für erfolgreiche Entwicklung in den vergangenen
Jahren wird das Beispiel der Umwelttechnologie genannt, das jetzt wieder im Kontext unserer Debatten über
Energieforschung und den positiven Einfluss auf den
Energiewandel eine große Rolle spielt.
Drittens. Man blickt natürlich - das ist die große politische Aufgabe, vor der wir stehen - auf, wie es so schön
heißt, Aufhol-Länder wie China, Indien oder die Tigerstaaten, die mit ihren Investitionen in Forschung und
Entwicklung, mit ihrer Präsenz in der Wissenschaftsgesellschaft, etwa im Bereich der wissenschaftlichen
Publikationen, oder mit ihrer Präsenz auf dem Gebiet
des Handels mit Spitzentechnologien große Fortschritte
erzielt haben.
Viertens. Eines der Hauptthemen dieses Berichtes wie
der Berichte der Vorjahre ist die Notwendigkeit, in ForBundesministerin Dr. Annette Schavan
schung und Entwicklung ausreichend zu investieren.
Das ist eine Bestätigung des 3-Prozent-Ziels. Ich bin
sehr zufrieden damit, dass wir bei den jetzt abgeschlossenen Beratungen über den Haushalt 2008 zwischen dem
Finanzministerium und dem Forschungsministerium
Konsens darüber erzielen konnten, dass bei einem steigenden BIP auch steigende Ausgaben notwendig sind.
Wir werden in diesem und in den folgenden Haushalten
eine Steigerung erleben, die dem neuen BIP gerecht
wird. Wir werden dem 3-Prozent-Ziel wieder etwas näherkommen. Die Bundesregierung steht über alle Ressorts hinweg zum 3-Prozent-Ziel.
({0})
Fünftens. Welche Instrumente sind zur Förderung von
Forschung und Entwicklung geeignet? Die Diskussion
darüber ist bei uns bereits eröffnet. Wichtig ist die Förderung exzellenter Forschungsinstitutionen. Wir können stolz sein - wir sollten es auch in diesem Hause sagen - auf Tausende Forscherinnen und Forscher in MaxPlanck-Instituten, in Helmholtz-Instituten, in Leibniz-Instituten und an unseren Universitäten.
({1})
Institutionelle Förderung ist wichtig. Diese Forscherinnen und Forscher tun viel für unser Land.
Ein weiterer großer Bereich, in dem wir in dieser Legislaturperiode enorm zugelegt haben, sind die Projektfördermittel. Viele dieser Mittel fließen in die Hightechstrategie.
Es stellt sich außerdem die Frage, wie wir mit guten
Erfahrungen in anderen Ländern, in denen der Grundsatz
„Steuerpolitik ist Innovationspolitik“, umgehen. Unsere
Aufgabe in den nächsten Jahren wird sein, Ausschau zu
halten, wo sich welches zusätzliche Instrument als wirksam erwiesen hat, wo der Instrumentenkasten durch zusätzliche Instrumente im Bereich der Steuergesetzgebung zu erweitern ist. Meine persönliche Überzeugung
ist: Die Erweiterung des Instrumentenkastens wird in
Deutschland und in Europa notwendig sein, um die
3 Prozent und weitere Ziele zu erreichen.
({2})
Deshalb muss dieses Gespräch zu Erfolgen führen.
Sechstens. In diesen Tagen nach der Vorlage des
OECD-Berichtes wird dieser wichtige Punkt öffentlich
offensiv diskutiert: der Fachkräftemangel. Die demografische Entwicklung in Deutschland ist dabei der
eine relevante Faktor. Der andere relevante Faktor ist: Je
dynamischer die Wirtschaft sich entwickelt, umso mehr
Arbeitsplätze werden geschaffen, umso mehr geht die
Arbeitslosigkeit glücklicherweise zurück. Was den Bereich der neu geschaffenen Arbeitsplätze angeht, ist der
Anteil der hochqualifizierten Kräfte immer größer. Wir
müssen alle Möglichkeiten nutzen: im Zusammenhang
mit Bildung, Ausbildung, mit der Reduzierung der Studienabbrecherquoten. Wir brauchen klare Strukturen der
Studiengänge. Das geht bis hin zur Weiterbildung als
Teil von Personalentwicklungskonzepten in unseren Unternehmen.
Es war richtig, die Novelle des Zuwanderungsgesetzes - sie wird morgen im Bundesrat beraten - zu verabschieden. Dieses Gesetz enthält wichtige Fortschritte für
ausländische Studierende. Sie können hier künftig beruflich einsteigen. Außerdem enthält dieses Gesetz wichtige Fortschritte für ausländische Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler. Sie haben mich gefragt: Warum
stimmen Sie dem zu? Ich stimme dem zu, weil diese
Fortschritte zustande kommen müssen. Wir können damit nicht länger warten. Punkte, die noch strittig sind,
werden wir in den nächsten Wochen und Monaten innerhalb der Koalition und zwischen Regierung und Parlament diskutieren. Mein Hauptsatz zu dem Ganzen lautet:
Auch Deutschland muss Interesse an Talenten aus aller
Welt haben, Deutschland muss für Talente aus aller Welt
attraktiv sein.
({3})
Siebtens. Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit in Deutschland bestätigt: Das Konzept der
Hightechstrategie empfiehlt ausdrücklich, dass Wissenschaft und Wirtschaft nahe beieinander sind, natürliche
Partner sind, dass forschungspolitische Zukunftskonzepte ganz klar darauf ausgerichtet sein müssen, dass
sich das, was aus exzellenter Grundlagenforschung an
Möglichkeiten, Erkenntnissen, Wissen zur Verfügung
gestellt wird, auch in der Wertschöpfungskette entfalten
und umsetzen lässt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die
Forschungsunion ist gleichsam die Institutionalisierung
dieser Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist die Institutionalisierung von Innovationsallianzen, die wir wollen. Ich bin froh, dass auch auf der
Ebene der Europäischen Union zunehmend neue Instrumente entstehen, um diese natürliche Partnerschaft zwischen Unternehmen einerseits und Forschungsinstitutionen andererseits zuwege zu bringen.
({4})
Die Instrumente, die wir zu Beginn der Legislaturperiode gewählt haben, die Hightechstrategie, die Einführung der Forschungsprämie fokussiert auf kleine und
mittelständische Unternehmen, der jetzt vorbereitete
Spitzenclusterwettbewerb, die 17 Innovationsstrategien,
die deutliche Erhöhung der Investitionen für Forschung
und Entwicklung, wirken sich aus und werden einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die jetzt erreichte
wirtschaftliche Dynamik anhält. Deshalb sage ich herzlichen Dank allen in der Koalition, im Parlament und in
der Regierung, die zu diesem Innovationskurs beigetragen haben.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Pieper für die
FDP-Fraktion.
({0})
Nein. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst die gute Nachricht: Nicht nur im Bericht
zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands,
sondern auch in einer jüngst veröffentlichten Studie von
Ernst & Young zum Standort 2007 wird Deutschland als
der führende Wirtschaftsstandort in Europa anerkannt,
aber auch international auf Platz vier hinter China, den
USA und Indien gesehen.
({0})
International tätige Unternehmen sehen bei den Top-10Standorten für Forschung und Entwicklung und für den
Hauptsitz des Unternehmens Deutschland auf Platz
zwei, jeweils hinter den USA. Das ist zunächst einmal
die gute Botschaft. Deutschland ist auf Expansionskurs.
Wir haben in der Tat Wachstum. Für Wirtschaftswachstum brauchen wir mehr Investitionen in Bildung und
Forschung.
Aber wo Licht ist, ist eben auch Schatten, Frau Ministerin. Ich frage mich: Welche Spielräume hat die Bundesregierung geschaffen, um diesen Aufschwung zu unterstützen? Sie nennen hier die Hightechstrategie als
Kernaussage für die Wachstumsstrategie der Bundesregierung. Ich kann Ihnen nur von unserer Seite aus sagen: Die Hightechstrategie bleibt ein Sammelsurium von
Forschungsprogrammen und Forschungsprojekten.
({1})
Wir brauchen aber in Deutschland wie in anderen europäischen Staaten das Bekenntnis zur Technologieführerschaft auf internationaler, auch auf europäischer Ebene.
({2})
Hier vermisse ich die Leitthemen, auf die Sie sich
auch haushaltspolitisch konzentrieren. Für die FDP sind
das erstens, wie es die Bundeskanzlerin während der
EU-Ratspräsidentschaft richtig gesagt hat, die Energieund Klimaforschung, zweitens die Gesundheits- und
Umweltforschung und drittens die Informations- und
Kommunikationstechnologie.
Wie sieht es denn mit der haushaltspolitischen Verstärkung aus, meine Damen und Herren? Sie nennen zu
Recht das 3-Prozent-Ziel, also das Ziel, 3 Prozent des
BIP für Forschung auszugeben. Sie gehen aber bei Ihren
Berechnungen immer noch vom alten Bruttoinlandsprodukt aus. Deswegen werden wir, wenn wir nicht mehr
Kraftanstrengungen anstellen, dieses 3-Prozent-Ziel in
Deutschland nicht erreichen können.
Wie sieht denn die Struktur des Haushalts im Gesamtetat aus? Der Anteil des Einzelplans 30 - Bildung und
Forschung - am Gesamthaushalt beträgt genau 3,2 Prozent, der des Einzelplans für Arbeit und Soziales fast die
Hälfte. Das sind nicht die richtigen Prioritätensetzungen,
wie wir sie uns für die Zukunft in Deutschland eigentlich
vorstellen.
({3})
Die eigentliche soziale Herausforderung des 21. Jahrhunderts liegt ohne Zweifel in einer exzellenten Bildungs- und Forschungspolitik. Die demografische Entwicklung und der Fachkräftemangel fordern von uns
mehr Investitionen in Bildung und Forschung, als wir
bisher gehabt haben. Wir müssen da noch an Tempo zulegen.
Nehmen wir als Beispiel doch einmal unsere europäischen Nachbarn! Frau Ministerin, in Großbritannien
werden die Forschungsinvestitionen von Unternehmen
mit bis zu 150 Prozent gefördert; sie können steuerlich
abgesetzt werden. Sie haben ein Energieforschungsprogramm angekündigt, das bis 2011 laufen und einen Umfang von 2 Milliarden Euro haben soll. Wir haben die
Energieforschung bisher jährlich mit 500 Millionen Euro
gefördert. Großbritannien hat gemeinsam mit der Wirtschaft einen Energieforschungsfonds gegründet, in den
1 Milliarde Pfund einfließen.
({4})
Wo sind die Anreize, die Sie für die Energiewirtschaft
setzen? Wir haben Ihnen vorgeschlagen, eine Stiftung
für Energieforschung ins Leben zu rufen, paketweise
Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern und den
Großteil der Erträge in einen Stiftungsfonds für Energieforschung fließen zu lassen, um die Investitionen in
diesen Wachstumsbereich zu erhöhen.
Die Deutschen sind laut OECD-Studie zu alt und zu
wenig gebildet. Auch das kommt im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zum Ausdruck. Wir müssen da zulegen. Wir haben zu wenig Akademiker. Wir
müssen bei der Bildung besser werden. Wir müssen bei
der Mobilität im eigenen Land besser werden. Immer
noch sind Schulabschlüsse und auch Hochschulabschlüsse unter den Bundesländern nicht gegenseitig anerkannt.
({5})
Vor allen Dingen müssen wir natürlich auch dafür sorgen, dass der Fachkräftemangel nicht zur Wachstumsbremse in Deutschland wird. Dazu kann ich Ihnen nur
sagen, Frau Ministerin: Da haben Sie eine Entwicklung
verschlafen.
Kollegin Pieper, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss
kommen; sonst sprechen Sie auf Kosten der Redezeit der
Kollegin Flach.
Wir haben im Juni die Ausländerrechtsreform verabschiedet. Sie haben die Chance dieser Reform nicht
dafür genutzt, dass mehr Hochqualifizierte nach
Deutschland kommen können. Jetzt wird es eine Bundesratsinitiative auch unserer Länder geben.
({0})
Wir werden diese Initiative unterstützen.
({1})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege René
Röspel das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Schade, Frau Pieper, Sie fingen so gut an mit
dem berechtigten Lob für die Situation in Deutschland
- die Selbstkritik haben wir noch vor uns; die werden
wir auch üben -, und dann verfielen Sie leider wieder in
das übliche Mäkeln und Schwarzmalen.
({0})
Wenn Sie einmal in den Bericht hineingeschaut hätten
- er ist wirklich schön bunt gedruckt, und man findet
viele gute Statistiken -, dann hätten Sie gesehen, dass zu
der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung die Investitionen in
Forschung und Entwicklung zurückgegangen sind, gesenkt worden sind, am Boden lagen.
({1})
Erst wir haben es geschafft, die Investitionen seit wenigen Jahren, langsam genug, wieder nach oben zu fahren.
Man kann zwar die Situation bemängeln, aber der Blick
zurück und das Fassen an die eigene Nase sind mitunter
sinnvoll und auch lehrreich.
Wir diskutieren heute über den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007.
Deutschland ist zum vierten Mal hintereinander Exportweltmeister. Frau Ministerin hat zu Recht gesagt: Forschungsintensive Industriewaren im Volumen von
428 Milliarden Euro sind im Jahr 2005 aus Deutschland
in andere Länder geliefert worden. Damit sind wir Technologieexporteur Nummer eins in der Welt. Die Unternehmen, die viel in Forschung und Entwicklung
investieren, die sogenannten F-und-E-intensiven Wirtschaftszweige, sind der wesentliche Träger unseres Produktionswachstums.
Deutschland ist gut bei den klassischen Industriezweigen Automobilbau, Chemie, Maschinenbau. Wir
haben aber nur eine ausgeglichene Handelsbilanz - das
ist natürlich per se nicht schlecht - bei den Spitzentechnologien in anderen Bereichen. Da haben wir deutlichen
Nachholbedarf. Der Kollege Tauss wird gleich über die
Initiative der Koalitionsfraktionen zu Informations- und
Kommunikationstechnologien - da müssen wir wirklich
viel machen - berichten.
Ein Kapitel des Berichts bezieht sich auf die Umweltwirtschaft, ein sicherlich wichtiger Faktor: Rund
5 Prozent aller Unternehmen in Deutschland befassen
sich mit Umwelttechnik und Umwelttechnologien;
4,8 Prozent der gesamten Industrieproduktion und drei
Viertel aller wissens- und forschungsintensiven Unternehmen entstammen diesem Bereich. Nach Auskunft
des Berichts sind diese Unternehmen überdurchschnittlich innovativ. Deutschland besitzt im Bereich der Umwelttechnologie einen Weltmarktanteil von 16 Prozent;
damit sind wir größter Exporteur von Umwelttechnologiegütern vor den USA. Trotzdem verläuft die Entwicklung der Branche - das steht ja auch im Bericht - schleppend. Sie könnte deutlich besser laufen.
Dynamische Komponenten im Umweltbereich gibt es
allein im Bereich Klimaschutz - das seit neuem, seitdem
die Diskussion zu Recht aufgenommen worden ist - und
im Bereich regenerative Energien. In letzterem Bereich
ist unser Anteil am Welthandel seit der Jahrtausendwende deutlich gestiegen und steigt weiterhin. Das ist
übrigens ein gutes Beispiel für staatliche Lenkungs- und
Regulierungsmaßnahmen. Das Erneuerbare-EnergienGesetz, unter Rot-Grün geschaffen, ist - das wird deutlich im Bericht hervorgehoben - nicht nur gut für Klima
und Umwelt. Dass wir in erneuerbare Energien, in Solarund Windenergie investiert haben, ist auch gut für die
Wirtschaft und damit für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
({2})
Dennoch bleibt eine Vielzahl an Fragen offen. Wenn
man sich den Anteil der Investitionen in Forschung und
Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt anschaut - das
wird auch im Bericht ausgeführt -, so stellt man fest,
dass wir hinter anderen Ländern hinterherhinken.
Schweden, Finnland, Japan, Korea, die Schweiz und die
USA investieren deutlich mehr in Forschung und Entwicklung als Deutschland. Trotzdem sind wir Exportweltmeister.
Es ist zwar gut, mehr Investitionen in FuE zu tätigen,
es müssen aber auch andere Parameter eine Rolle spielen, weil allein die Investitionen in Forschung und Entwicklung demnach nicht dazu führen können, dass man
Exportweltmeister wird. Auf dem Forum Bildung der
SPD vor einigen Wochen hat Professor Bosch vom Institut für Arbeit und Qualifizierung der Universität Duisburg-Essen einen interessanten Vortrag gehalten. Er hat
gesagt - ich darf zitieren -: Das Geheimnis unserer
Wettbewerbsstärke liegt in der Diffusion von Innovation
durch die enge Kooperation von Entwicklern und qualifizierten Machern.
Was heißt das? Das heißt zum Beispiel, dass in den
USA und Großbritannien die mittlere Führungsebene
in den Unternehmen von gut ausgebildeten Ingenieuren
oder Wissenschaftlern, die an der Universität gelernt haben, besetzt wird. Diese haben profunde Kenntnis in
theoretischen Fragen. In den deutschen Unternehmen ist
das häufig anders: In der mittleren Führungsebene finden sich hochqualifizierte Meister und Techniker, die gut
ausgebildet sind und eine lange Erfahrung haben. Das
sind die Macher, die Projekte umsetzen können.
({3})
Das heißt, wenn wir an dieser Stelle von Technologieförderung und Leistungsfähigkeit reden, dürfen wir uns
nicht allein auf die Investitionen in Forschung und Entwicklung konzentrieren, sondern wir müssten eigentlich
diesen Bericht zusammen mit dem Bundesbericht Forschung und dem Nationalen Bildungsbericht zusammen
diskutieren, weil das ein Gesamtpaket ist und eine Gesamtbetrachtung notwendig ist.
({4})
Wichtig ist nämlich, dass gut ausgebildete Fachkräfte
von der Universität und solche aus dem dualen Berufsbildungssystem, für das Deutschland steht, zusammenkommen und zusammenarbeiten. Verantwortung dafür
tragen gleichermaßen die Unternehmen und die Politik.
Die Unternehmen haben die Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, damit möglichst viele junge Menschen - einige sind ja auch hier bei der Debatte anwesend - eine Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu
finden und anschließend einen Beruf zu ergreifen,
({5})
und vielleicht auch noch die Chance bekommen, sich
weiterzuqualifizieren und gute Meisterinnen und Meister
sowie Technikerinnen und Techniker zu werden - genau
die brauchen wir nämlich in der mittleren Führungsebene - oder ein Studium aufzunehmen. Dafür, jungen
Leuten ein Studium zu ermöglichen, trägt im Wesentlichen die Politik die Verantwortung.
Das läuft leider nicht in allen Bundesländern gut. In
meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen, CDU/FDPregiert, wird von der Abschaffung der Grundschulbezirke bis zur Einführung von Studiengebühren die Ausbildungsauslese leider verschärft. Das heißt, die Möglichkeiten für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien bis hin
zu Familien aus der Mittelschicht, ein Studium aufzunehmen, verschlechtern sich deutlich.
({6})
Aufgrund der schon vorliegenden Anmeldezahlen, Frau
Flach, lassen sich schon Vergleiche anstellen: Die Zahl
der Studienanfänger in NRW ist um 3,9 Prozent zurückgegangen. Das Talent zählt immer weniger und der
Geldbeutel immer mehr.
Für uns von der SPD bleibt dagegen klar: Wir wollen
mehr Ausbildung in den Betrieben als wesentlichen Bestandteil unseres Systems. Wir wollen mehr Bildung für
alle von Anfang an. Deswegen haben wir frühkindliche
Bildung und Förderung auf den Weg gebracht und für einen Ausbau von Ganztagsschulangeboten gesorgt. Wir
haben das höhere BAföG durchgesetzt und werden daran
festhalten, damit Bildung eben nicht vom Geldbeutel der
Eltern abhängt.
({7})
Wir werden uns auch für das Meister-BAföG einsetzen.
Ich bin froh, dass in dem Bericht diese Gesamtbetrachtung nachvollzogen wird. Dort steht nämlich - dieses kurze Zitat sei mir erlaubt -:
Langfristig sollte ein deutlich höherer Anteil der
Schülerinnen und Schüler zur Studienberechtigung
ausgebildet werden, was allerdings einen grundlegenden Wandel des deutschen Bildungssystems nötig macht:
({8})
eine Abkehr von der bisher auf Auslese ausgerichteten Bildungsphilosophie … zur größtmöglichen
Förderung.
Das ist erforderlich, damit wir kein einziges Talent - unabhängig davon, aus welchem Elternhaus es kommt liegen lassen.
({9})
Wenn wir in die Menschen investieren, investieren wir in
die Technologieförderung. Beste Bildung heißt beste
Technologie.
Vielen Dank.
({10})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dr. Petra Sitte das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
gern zugeben, dass Berichtslektüre nicht unbedingt zu
meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Der Technologiebericht war aber schon im letzten Jahr sehr interessant
und ist es auch in diesem Jahr.
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere
Sicht nicht gut entwickelt - das war der Alarmsatz des
vorherigen Berichtes. Offensichtlich hat sich die Einsicht verbreitet, dass es so nicht weiterlaufen kann. Forschungs- und Innovationspolitik sind gewissermaßen aus
den Puschen gekommen. Jetzt hat man sich Hightechlaufschuhe hingestellt.
Der jetzige Bericht honoriert das auch. Er zeigt aber
zugleich, wo auch diese Schuhe Blasen verursachen
können. Manche dieser Kritiken kommt mir sehr bekannt vor. Wir haben das hier schon sehr oft vorgetragen.
({0})
- Darüber können wir gerne einmal reden. Davon verstehe ich eine ganze Menge.
Erstens wird in dem Bericht das Verhältnis von
staatlichen zu privatwirtschaftlichen Forschungsausgaben untersucht. Den wachsenden öffentlichen Ausgaben steht keine vergleichbare Entwicklung bei den FuEAusgaben der Unternehmen gegenüber. Im Gegenteil:
Man beobachtet die Tendenz, dass die Unternehmen eigene Ausgaben mindern, indem sie öffentliche Fördermittel in Anspruch nehmen. Das ist eine absurde Entwicklung, der Einhalt geboten werden muss.
Zweitens wird in dem Bericht kritisiert, dass der Löwenanteil öffentlicher Fördermittel bereits boomenden
Großunternehmen gewährt wird. In diesem Zusammenhang werden Unternehmen aus der Automobilindustrie,
dem Maschinenbau, der Chemie, der Informations- und
Kommunikationstechnik sowie der Logistik genannt. Sie
werden sich erinnern, dass genau diese Unternehmen
hervorragende Exportwerte erzielen. Das heißt also
nichts weiter, als dass man fette Kröten noch fetter
macht und dass die öffentliche Förderung an anderen,
viel notwendigeren Stellen letztlich auf zu schmalen Füßen steht.
Drittens sollen laut Bericht innovative kleine und
mittelständische Unternehmen ins Zentrum der Förderung gerückt werden. Ich bin den Verfassern des Berichts an dieser Stelle überaus dankbar. Sie sagen nämlich etwas, was wir uns hier nie trauen dürfen: dass die
Unternehmensteuerreform für genau diese Unternehmensgruppe keine Impulse für eigenständige FuE-Aktivitäten setzen wird.
({1})
- Prima; dann sind wir ja schon zu zweit. - Deshalb
muss der Wissenstransfer zu innovativen kleinen und
mittelständischen Unternehmen konsequent stimuliert
werden. Vor allen Dingen müssen auch die Startbedingungen für innovative Unternehmensgründungen verbessert werden.
Als Instrumente werden in dem Bericht unter anderem Wagniskapital und die Forschungsprämie untersucht. So erhalten Wissenschaftseinrichtungen mit der
Forschungsprämie zusätzliche Gelder auf ihre Einnahmen aus Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft. Sie bekommen also sozusagen den Blubb in den Spinat.
Dort liegt aber nicht das Hauptproblem. Darauf habe
ich schon oft hingewiesen. Der Bericht bestätigt das endlich. Dort heißt es nämlich - ich zitiere -: Insgesamt gilt,
dass die Forschungsprämie nicht an einer ausgemachten
Schwachstelle der Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperation ansetzt.
Die Linke hält es für sinnvoll, die Forschungsprämie
auf innovative kleine und mittelständische Unternehmen
auszudehnen. Dabei wollen wir auch die gemeinnützigen Forschungs-GmbHs im Osten einbeziehen, die einen
Großteil der Industrieforschung betreiben. Nun ist diese
Position endlich im Haushalt vermerkt. Sie nennt sich
dort Forschungsprämie II und soll mit 76 Millionen Euro
und weiteren Steigerungen in den Folgejahren ausgestattet werden. Das freut mich. Steter Tropfen höhlt den
Stein; er hat Erfolg.
Einen vierten Problemkreis, der im Bericht angesprochen wird, könnte man eigentlich auf eine tibetanische
Gebetsmühle schreiben: Fachkräftemangel, Fachkräftemangel, Fachkräftemangel. Seit Jahren wird darüber
geredet. Aus eigener Erfahrung kenne ich entsprechende
Debatten aus meiner Zeit als Landtagsabgeordnete; aber
auch im Bundestag ist dieses Thema schon längere Zeit
aktuell. In diesem Punkt ist der Bericht mit Aussagen
aus den Vorgängerberichten deckungsgleich. Diese Fehlentwicklung reißt natürlich große Löcher in den Hightechbereich dieses Landes.
Kehren wir noch einmal zu dem Bild aus dem Sportbereich zurück: Wir haben sehr gute Sportschuhe und
hervorragende Wettkampfstätten. Aber was fehlt, sind
die Spitzensportler. So verpufft die ganze Investition.
In dem Bericht werden auch Gründe genannt, die der
Linken ausgesprochen bekannt vorkommen: Die Abbrecherquoten an den Hochschulen sind dramatisch hoch.
Das ist die logische Konsequenz einer verfehlten und unterfinanzierten Studienreform.
({2})
Die Studiengebühren, so steht es im Bericht, schrecken
Studienbewerberinnen und Studienbewerber ab. Das haben auch wir schon mehrfach gesagt.
({3})
Dass es in dem Bericht ebenso gesehen wird, sollte endlich Anlass sein, einmal umzusteuern.
Ebenso kontraproduktiv wirken schlechte Studienbedingungen und natürlich auch zusätzliche Zulassungsbeschränkungen der Hochschulen. Hochschulpakt und
Exzellenzinitiative als Gegenmaßnahmen der Bundesregierung reichen gemäß dem Bericht in dieser Form nicht
aus. Der Bericht besagt auch noch - das ist ein sehr
schöner Satz, Herr Röspel, den Sie herausgesucht haben;
ich habe ihn mir über den Spiegel gehängt -, dass das
Prinzip der Auslese verlassen werden muss, um eine
größtmögliche individuelle Förderung einzuräumen.
({4})
Das gehört natürlich alles zu dem Kanon, mehr Fachkräfte auszubilden.
Was können Sie wirklich ändern? Sie können in diesem Hause nicht wirklich etwas ändern, weil Sie sich im
vergangenen Jahr mit der Föderalismusreform alle Instrumente selber aus der Hand geschlagen haben. Sie
müssen jetzt versuchen, zusammen mit den Ländern ein
Wissenschaftsförderprogramm aufzulegen - Sie müssen
sozusagen darum bitten, dass man das gemeinsam macht -,
damit man an diesem Punkt entsprechende Ausgaben tätigen kann und damit endlich der Fachkräfte- und Akademikermangel konsequent angegangen werden kann.
Was lehrt uns dieser Bericht insgesamt? Er lehrt uns,
dass staatliche Bildung, Forschungs- und Technologiepolitik zusammengehören und dass man daraus keinen
Flickenteppich machen darf, weil die angestrebten Ziele
komplex sind.
({5})
Nur so - ich will ausdrücklich daran erinnern, weil es
um Steuergelder geht - kann ein echter Mehrwert für unsere Gesellschaft entstehen: mehr Beschäftigung, gesicherte soziale Lebensverhältnisse und Minimierung des
Ressourceneinsatzes.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht, über den wir heute diskutieren, zeigt sehr deutlich,
dass die Grundlage für die technologische Leistungsfähigkeit in Bildung, Ausbildung und der Qualifizierung
von Nachwuchswissenschaftlern liegt. Auch ich habe
mir diesen vorhin schon mehrmals zitierten Satz des Berichts zu Gemüte geführt,
({0})
dass wir einen Wandel im deutschen Bildungssystem
brauchen. Das wird der Bundesregierung ins Stammbuch
geschrieben. Ich finde, das sollte vor allen Dingen die
CDU einmal beherzigen.
({1})
Das mehrgliedrige Schulsystem ist eine echte Innovationsbremse.
({2})
Das steht in allen Studien. Auch alle Wirtschaftsinstitute
werden Ihnen das bestätigen.
({3})
Nicht nur die Zahl der fehlenden Ausbildungsplätze
und die Tatsache, dass ein Konzept zur Weiterbildung
bislang fehlt, sondern auch der Anteil der Studienberechtigten lässt zu wünschen übrig. Hier muss mehr getan werden, um dem drohenden Fachkräftemangel in unserem Land zu begegnen. Ich muss feststellen, dass auch
die SPD dem nichts entgegenzusetzen hat; denn die Koalition entfernt sich immer mehr von dem Ziel, eine Anfängerquote von 40 Prozent zu erreichen. Die Quote
liegt mittlerweile unter 35 Prozent. Auch das schwächt
die Leistungsfähigkeit dieses Landes.
({4})
- Sie sind doch mit in der Bundesregierung, oder nicht?
Dem müssen Sie doch entgegenwirken.
Was tun Sie denn gegen den Mangel an Frauen in
technischen und naturwissenschaftlichen Ausbildungsgängen und Berufen? Auch hier ist keine Strategie zu sehen. Wir wissen doch: In allen Bereichen der wissenschaftlichen Forschung sind Frauen unterrepräsentiert.
Frau Schavan, Sie müssen die Vergabe von Fördergeldern endlich daran knüpfen, dass Stellen mit Frauen besetzt werden. Frauen gehören zu dem Potenzial, das für
die technologische Leistungsfähigkeit auch in der Wissenschaft in Deutschland wichtig ist. Da müssen Sie
endlich mehr tun, als immer nur Sonntagsreden zu halten.
({5})
Kritisiert wird in dem vorliegenden Bericht auch der
Mangel an Zuzug von ausländischen qualifizierten
Fachkräften; darauf sind Sie ja kurz eingegangen, Frau
Schavan. Sie haben mit dem Zuwanderungsgesetz nichts
verbessert. Die ausländischen Studierenden werden
künftig nur für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Diese Regelung führt zu einem hohen bürokratischen und finanziellen Aufwand, zeigt aber auch, dass
ausländische Studierende hier nicht willkommen sind.
({6})
Dass die Forschungsorganisationen verpflichtet werden,
die Kosten für eine eventuelle Abschiebung der exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die
aus dem Ausland nach Deutschland geholt wurden, zu
zahlen, ist doch ein Rückschritt und kein Fortschritt. Das
ist doch kein Willkommensgruß für ausländische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
({7})
Im Übrigen haben Sie, Frau Schavan, mit Ihrer namentlichen Abstimmung über diesen Gesetzentwurf die
Absenkung der Einkommensgrenze für Höherqualifizierte verhindert, um anschließend, nämlich eine Woche
später, auf jeder Pressebühne lauthals zu verkünden,
dass Sie das eigentlich ganz anders wollen. Dafür hätten
Sie vorher lauthals im Kabinett werben sollen. Sie hätten
in den Ausschuss kommen und unserem Antrag zustimmen sollen. Sie hätten vorher in der Koalition dafür
kämpfen sollen und sollten nicht hinterher sagen: Jetzt
bin ich eigentlich dafür, dass das Gesetz noch einmal
verändert wird. - Wir wissen doch, dass das in den
nächsten Jahren nicht erfolgen wird.
({8})
Das ist ein absurdes Spiel, was Sie hier vorführen.
Auch zeigt sich, dass die Bundesregierung in den einzelnen Bereichen das Leistungspotenzial noch nicht
ausgeschöpft hat - auch nicht durch entsprechende Förderinstrumente. Ich nenne zum Beispiel die Umwelttechnik. Da gibt es immer noch jede Menge ineffektiver
Energieforschungsförderung. Zum Beispiel werden Millionen Euro durch falsche Planung und Verzögerungen
beim Bau des Kernfusionsreaktors in Greifswald in den
Sand gesetzt.
({9})
Sie begreifen anscheinend trotz des Energiegipfels immer noch nicht, dass wir eine Bildungs- und Forschungsinitiative im Bereich der erneuerbaren Energien brauchen und nicht auf Atomenergie setzen sollten.
({10})
Wahrscheinlich haben Sie die Debatte zur Energieforschung auf die Nachtstunden gesetzt, damit die Reden
Priska Hinz ({11})
hierzu zu Protokoll gegeben werden können und nicht
wieder vor dem versammelten Hause ein Streit in der
Koalition ausbricht.
({12})
Wir dagegen fordern in unserem Antrag, dass das
Marktanreizprogramm zu einem Innovationsprogramm
umgestaltet wird. Es muss auch für die Bereiche Strom
und Mobilität geöffnet werden, damit die Entwicklung
einer nachhaltigen Energiegewinnung und alternativer
Antriebssysteme im gesamten Verkehrsbereich gefördert
werden kann. Davon können dann vor allen Dingen
kleine und mittlere Unternehmen mit ihren Fachkräften
profitieren.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen, Herr Tauss, auf Ihre IKT-Strategie.
({13})
In Ihrem Antrag erklären Sie die IKT zum wichtigsten
Innovationsmotor.
({14})
- Sie sind die Nummer eins; so steht es in Ihrem Antrag. - Dann behaupten Sie doch tatsächlich, dass ein
wichtiges Element der IuK-Politik der Großen Koalition die Förderung der Exzellenzinitiative ist. Wen wollen Sie hier eigentlich für dumm verkaufen?
({15})
Die Exzellenzinitiative ist so gestaltet, dass die Bundesregierung und auch die Koalition keinen Einfluss darauf
nehmen können, welche Cluster und welche Forschungsfelder von der Jury ausgewählt werden.
({16})
Dann zu sagen: „Das ist Bestandteil unserer Forschungsförderstrategie“, ist mehr als peinlich.
({17})
Das steht in Ihrem Antrag. Sie sollten ihn vielleicht einmal genauer lesen, bevor Sie ihn unterschreiben.
Das Schönreden geht weiter: Sie brüsten sich damit,
dass der funktionierende Wettbewerb in Deutschland zu
einer ausgezeichneten Kommunikationsinfrastruktur führt.
Das stimmt leider nicht. Im Gegenteil: Deutschland hinkt
hinsichtlich des Breitbandausbaus im Vergleich mit den
anderen europäischen Staaten weit hinterher. Insbesondere beim DSL-Ausbau steht Deutschland schlecht da.
Noch schlimmer ist aber, dass die Regierungsfraktionen
ebendiesen funktionierenden Wettbewerb durch das neue
Telekommunikationsgesetz verhindern. Wenn die Telekom von der Regulierung ausgeschlossen wird, fördert
das den Wettbewerb nicht, sondern verhindert ihn. Das ist
keine gute Botschaft für den Standort Deutschland.
({18})
Sie sollten unseren Antrag nutzen, um Ihre Regierungspolitik zu verbessern. Setzen Sie hinsichtlich der
Qualifizierungsstrategie für Ausbildung und in den Zukunftsfeldern Energie, IuK-Technologie, Nanotechnologie und Weiße Biotechnologie auf die von uns benannten
Anreize, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Dann werden wir die technologische Leistungsfähigkeit tatsächlich nachhaltig ausbauen können.
Kollegin Hinz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Stimmen Sie unserem Antrag zu; dann sieht der
nächste Bericht noch besser aus.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ilse Aigner für die Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erst vor wenigen Wochen konnten
wir über den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2006 diskutieren. Das war leider etwas spät.
Heute aber diskutieren wir über den fast druckfrischen
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2007.
({0})
Ich begrüße das als ein Zeichen dafür, dass die technologische Entwicklung in diesem Land von diesem Haus,
der Koalition und der Bundesregierung als wichtig erachtet wird.
Der Bericht befasst sich allerdings im Wesentlichen
mit der Vergangenheit. Sehr geehrte Frau Hinz, die Kritik bezieht sich auf die Zeit, in der Sie mit Verantwortung getragen haben. Auch das sollte man einmal sagen.
Wichtig ist aber, dass der Bericht auch Zukunftsfragen berücksichtigt. Zum Beispiel geht er auf Aspekte
unserer Hightechstrategie ein und bewertet es als positiv, dass wir uns um die Rahmenbedingungen für Forschung und Innovation kümmern. Wir wissen, dass das
zwingend notwendig ist; denn die anderen Länder holen
auf. Sie investieren nicht nur massiv in Forschung und
Entwicklung, sondern haben meist auch günstigere Rahmenbedingungen, insbesondere was die Lohnnebenkosten und die Lohnstückkosten betrifft. Wie lange das ihr
einziger Vorteil sein wird, ist fraglich. Ich glaube, sie
werden auch in den anderen Bereichen aufholen. In diesem Hause sind wir uns einig, dass wir den Wettlauf um
die billigsten Löhne nicht gewinnen werden und auch
nicht gewinnen wollen.
({1})
Wir sollten uns aber auch darüber einig sein, dass wir um
den Teil, den wir teurer sind, auch besser sein müssen.
Vielleicht müssen wir in manchen Bereichen einfach nur
schneller und etwas mutiger sein.
Deutschland ist ein Land mit einem unwahrscheinlichen Ideenreichtum. Das zeigen die nach wie vor hervorragenden Patente, die angemeldet werden. Ob und
wie die Zahl der Patentanmeldungen gesteigert werden
kann, ist eine wichtige Frage. Noch viel wichtiger ist
aber die Frage, wie wir die Patente schnellstmöglich in
erfolgreiche Produkte umsetzen können.
Der Bericht geht auch auf die gerade verabschiedete
Unternehmensteuerreform ein. Einerseits wird anerkannt - das halte ich nach wie vor für wichtig -, dass die
gesenkten Steuersätze auch in den Bereichen Forschung
und Entwicklung positive Impulse mit sich bringen. Andererseits sieht es der Bericht als problematisch an, dass
die Gegenfinanzierungsmaßnahmen insbesondere im
Bereich der innovativen Unternehmen nicht nur positive
Auswirkungen haben. Das haben wir in der Debatte bereits angesprochen. Wir begrüßen, dass zeitgleich der
Entwurf eines Wagniskapitalgesetzes eingebracht werden soll, das genau diese Probleme aufgreift und ausbessert.
({2})
Ich glaube, dass sich die Mitglieder unserer Arbeitsgruppe in diesem Bereich noch mehr vorstellen können.
Mehr war allerdings nicht möglich. Umso mehr möchte
ich mich bei den Verhandlungsführern der Unionsfraktion bedanken, dass sie gerade hier wesentliche Verbesserungen der ursprünglichen Eckpunkte des Wagniskapitalgesetzes erreicht haben. Das ist mit Sicherheit ein
Schritt in die richtige Richtung.
({3})
Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
Deutschlands enthält erstmals ein eigenes Kapitel zur
Leistungsfähigkeit unserer Umweltwirtschaft. Ich denke,
das ist aus guten Gründen so. Denn der gesamte Bereich
der Umwelttechnologien gehört zu den Zugpferden unserer Wirtschaft. Wir sind hier Exportweltmeister und
wollen es auch bleiben.
({4})
Der Klimawandel ist eine riesige technologische Herausforderung. Die Kompetenz unserer Wirtschaft auf
diesem Gebiet ist daher weltweit gefragter denn je. Die
Deutsche Bank hat gerade eine Studie mit dem Titel
„Manche mögen’s heiß!“ herausgegeben. Darin wird untersucht, welche Branchen vom Klimawandel profitieren
können. Dies sind natürlich in erster Linie CO2-freie
oder CO2-arme Energietechnologien und ein großer Teil
der Umwelttechnologien.
Ich will aber ausdrücklich hinzufügen: Hier geht es
nicht nur um wirtschaftliche Exportchancen. Die hohe
Kompetenz unserer Wissenschaft und Wirtschaft bringt
auch eine besondere Verantwortung mit sich. Weil wir es
können, müssen wir eine internationale Schrittmacherfunktion bei der Begrenzung des Klimawandels und seiner Folgen übernehmen.
In dem Bericht wird allerdings auch ein Absinken der
FuE-Projektförderung im Umweltbereich im Berichtszeitraum konstatiert, also deutlich in der Vergangenheit.
Ich glaube, das können wir uns nicht leisten.
({5})
Die Ministerin mit ihrem Haus hat deutliche Zeichen gesetzt. In den vergangenen Haushalten wurden und in den
nächsten Haushalten werden die Mittel für die Projektförderung deutlich aufgestockt.
Unsere Unternehmen müssen immer neue Lösungen
anbieten können. Dazu brauchen sie Unterstützung. Es
gibt noch viele Beispiele, gerade im Umweltbereich. In
dieser Woche, in der der Energiegipfel stattgefunden hat,
sind wichtige Zeichen gesetzt worden.
Es gibt viel zu tun. Wir packen es auch an. Wir wollen
mit unserer Ministerin und unseren Arbeitsgruppen die
Forschung und Entwicklung für eine gute Zukunft nach
vorne treiben.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Zahlenwerk macht die Defizite der deutschen
technologischen Leistungsfähigkeit der letzten Jahre
wieder einmal sehr klar.
({0})
Erstens. In der rot-grünen Regierungszeit, lieber Herr
Tauss, sind wir dem 3-Prozent-Ziel nicht wesentlich nähergekommen, obwohl Sie deutlich mehr als vorher ausgegeben haben.
({1})
Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben jetzt eine etwas
bessere Situation. Sie, Frau Schavan, geben mehr aus.
Aber, wie wir gestern im Haushaltausschuss besprochen
haben, gibt es auch in Ihren Reihen eine ganze Reihe
von Personen, die fest davon überzeugt sind, dass wir
das 3-Prozent-Ziel trotzdem nicht erreichen werden. An
dieser Stelle möchte ich Herrn Röspel auf Folgendes
hinweisen: Es ist immer einfach, zu sagen, dass vorher
alles schlecht war.
({2})
In den 80er-Jahren waren wir schon bei 2,9 Prozent,
übrigens unter einem liberalen Bildungsminister. Das
sage ich zu Ihrer Erinnerung.
({3})
- Dreimal.
Zweitens. Der Zugang von jungen FuE-Unternehmen
zu Wagniskapital ist im internationalen Vergleich mangelhaft. Das, was Sie unter Rot-Grün geboten haben, war
nicht gewaltig. Bei Ihnen, Frau Schavan, wird es besser.
Aber es bleibt ein massives Manko.
Drittens. Die Absolventenquoten - darüber wurde
vorhin schon viel geredet - an den deutschen Hochschulen waren zu gering. Die Abbrecherquoten an Schulen
und Hochschulen waren zu hoch. Hier sehen wir definitiv keinen Fortschritt. Ich glaube auch nicht, Frau
Schavan, dass die Qualifizierungsoffensive im Herbst
viel helfen wird. Ich denke, das ist der falsche Weg.
({4})
Übrigens, lieber Herr Tauss, nicht die liberale Partei,
sondern die Stiftung Marktwirtschaft
({5})
hat vor wenigen Tagen erklärt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes verschlechtere sich zwar
nur langsam, aber dennoch gebe es Anzeichen dafür,
dass Deutschland seinen Vorsprung bei der technologischen Leistungsfähigkeit zunehmend verliert bzw. teilweise verloren hat. Ich glaube nicht, dass ein solcher
Satz in irgendeiner Weise das belegt, was Sie gerade versucht haben, uns klarzumachen. Es geht offensichtlich
nicht besser, sondern stagniert bzw. wird schlechter.
({6})
Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen, dass wir
mehr ausgeben sollen. Frau Schavan, wir haben darüber
schon sehr oft ziemlich ausführlich diskutiert. Sie haben
Probleme, uns zu belegen, dass dadurch, dass Sie zugegebenermaßen mehr Geld investieren - wir finden es
gut, dass Sie das tun -, tatsächlich neue Arbeitsplätze
entstehen. Darüber hinaus haben Sie Schwierigkeiten
mit der Statistik. Das ist allerdings Ihr Problem; ich
hoffe, Sie können es lösen.
Sie haben uns in diesem Hause und andernorts immer
wieder gesagt, dass Sie durch Ihre Aktion 1,5 Millionen
zusätzliche Arbeitsplätze im wissensbasierten Bereich
schaffen wollen. Daran sind Sie zu messen. Ich hoffe,
dass Sie dieses Ziel erreichen. Auch wir wollen natürlich, dass so viele Arbeitsplätze entstehen. Aber wir können einfach nicht glauben, dass Sie dieses Ziel durch die
Maßnahmen, die Sie bisher auf den Weg gebracht haben,
erreichen werden.
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf das
Thema Wagniskapital zurückkommen. Herr Professor
Riesenhuber hat uns bereits erklärt, dass all das ganz toll
sei.
({8})
Aber wie Sie wissen, sehen Ihre eigenen Leute das nicht
so. An dieser Stelle möchte ich Herrn Meister zitieren,
der gesagt hat, es sei „schade, dass eine Einigung mit der
SPD nur für den Teilbereich des Wagniskapitals erzielt
werden konnte.“ Offensichtlich habe sich der Finanzminister „nicht gegen die linken Kräfte seiner Partei und
Fraktion durchsetzen können.“
({9})
Lieber Herr Riesenhuber, ich wäre froh gewesen,
wenn es anders gekommen wäre. Aber wir sind in
Deutschland nach wie vor nicht in der Lage, vor allem
die jungen und innovativen Unternehmen zu stützen. Ich
wäre auch froh gewesen, wenn Sie an dieser Stelle dem
Antrag der Grünen gefolgt wären. Die Grünen haben das
Problem nämlich richtig erfasst. Daher werden wir ihnen
an dieser Stelle folgen. Der Schwerpunkt muss bei Forschung und Entwicklung gesetzt werden.
Das, was Sie, Frau Schavan - offensichtlich gemeinsam mit Finanzminister Steinbrück -, machen, ist Folgendes: Sie stützen vor allen Dingen die mittelständische Wirtschaft. Das ist ein honoriges Ziel. Im Prinzip
ist dagegen nichts einzuwenden.
({10})
Aber die technologische Leistungsfähigkeit unseres Landes werden Sie dadurch nicht exzessiv steigern.
({11})
Zum Abschluss möchte ich noch auf das Zuwanderungsgesetz zu sprechen kommen. Hier nützt blühende
Rhetorik wenig. Sie werden Ihre Anstrengungen deutlich erhöhen müssen. Bereits am Freitag dieser Woche
könnten Sie das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat über
die Länder, in denen Sie regieren, entsprechend verändern.
({12})
Unsere Unterstützung hätten Sie. Ich glaube, das würde
unserem Standort insgesamt sehr nützen.
({13})
Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Vorbe11138
Swen Schulz ({0})
reitung auf meine Rede fiel mir ein, dass ich im
Jahre 2003 meine erste Rede im Deutschen Bundestag
gehalten habe.
({1})
Das Thema meiner damaligen Rede war der Bericht zur
technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Ich
möchte jetzt nicht in Erinnerungen an die guten alten rotgrünen Zeiten schwelgen, obwohl das sicherlich Spaß
machen würde.
({2})
Vielmehr möchte ich auf etwas hinweisen, was ich in
meiner damaligen Rede gesagt habe - an dieser Stelle
möchte ich mich ausnahmsweise einmal selbst zitieren -:
Im Technologiebericht nimmt der Bereich Bildung
diesmal zu Recht einen Schwerpunkt ein; denn
schließlich stellt das Bildungssystem das Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit dar.
({3})
- Ja, damit hatte ich schon damals recht.
({4})
Im weiteren Verlauf meiner Rede sagte ich etwas über
die damalige Opposition; das lasse ich jetzt weg.
({5})
Dann geht es wie folgt weiter:
Der Bericht beschreibt insbesondere im Bereich der
Hochqualifizierten einen deutlichen Mangel, der zu
erheblichen Problemen führen wird, wenn wir nicht
energisch gegensteuern.
({6})
In der Tat: Wo ich recht habe, habe ich recht.
Im Ernst: Das Thema Fachkräftemangel war schon
zum damaligen Zeitpunkt, im Jahre 2003, nicht neu. In
jedem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
der letzten Jahre wurde dieses Problem beschrieben, und
zwar als immer drängender. Die Botschaft lautete: Wir
müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, damit
wir nicht abgehängt werden, damit wir unsere Volkswirtschaft weiterentwickeln können und damit wir auch gesellschaftlich vorankommen. Das kommt übrigens auch
in anderen Studien klar zum Ausdruck.
In der letzten Woche haben wir im Ausschuss über die
Ergebnisse einer Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung zur Zukunft der Arbeit diskutiert. In dieser
Studie wurde ganz deutlich ein doppeltes Dilemma beschrieben: Einerseits gibt immer weniger Tätigkeiten für
Geringqualifizierte, und andererseits fehlen immer mehr
Hochqualifizierte.
Jetzt hat die Bundesbildungsministerin einen Vorstoß
gemacht, um den Zuzug ausländischer Fachkräfte zu
erleichtern. Frau Ministerin, ich finde das gut, weil Sie
damit ein Thema ansprechen, das für die politische
Rechte schwierig ist. Allerdings stellt sich die grundlegende Frage, was getan wird, um das Bildungswesen in
Deutschland so zu verbessern, dass ein Fachkräftemangel gar nicht erst entsteht.
({7})
Denn es ist klar: Dieses Problem ist hausgemacht.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Der Bund
- Rot-Grün und nun die Große Koalition - hat Erhebliches geleistet, und wir haben noch viel vor: vorschulische Bildung und Betreuung. Das Ganztagsschulprogramm war ein Erfolg.
({8})
Es gibt den Hochschulpakt. Wir verbessern das BAföG,
ergreifen Initiativen zur Förderung der Aus- und Weiterbildung und vieles mehr. Der Bundeshaushalt für Bildung und Forschung ist seit 1998 stark angestiegen.
Auch im Entwurf für 2008 sind kräftige Zuwächse vorgesehen. Doch wir dürfen im Tempo nicht nachlassen,
wir müssen weiter zulegen. Wir müssen aber auch sehen:
Die Bundesregierung, der Bundestag kann das nicht alleine schaffen - dazu benötigen wir die Bundesländer
und natürlich auch die Wirtschaft.
({9})
Es ist doch aberwitzig, dass viele Unternehmen jahrelang ihren Ausbildungspflichten nicht nachkommen und
nun von der Politik verlangen, sie möge den Weg freimachen für die erleichterte Anwerbung von ausländischen Fachkräften.
({10})
Ich meine, wir sollten das nur zulassen, wenn die Wirtschaft im Gegenzug verpflichtet wird, sich endlich selbst
ausreichend um Aus- und Weiterbildung zu kümmern.
({11})
Im Bericht wird von der realen Gefahr eines massiven
Unterangebots an akademischen Fachkräften gesprochen, und es wird als kurzfristige Maßnahme, gewissermaßen zur Überbrückung aktueller Engpässe, die
Erleichterung der Beschäftigung ausländischer Fachkräfte vorgeschlagen. Vor allem aber hebt der Bericht
auf langfristig wirkende Maßnahmen in Deutschland ab:
Ein deutlich höherer Anteil der Ausländer, die an deutschen Hochschulen einen Abschluss machen, sollen in
Deutschland gehalten werden. Wir haben ja ausländische Studierende, aber eher zu wenige als zu viele. Erst
investieren wir in ihre Bildung, dann schicken wir viele
von ihnen wieder weg - das ist Unsinn.
({12})
Swen Schulz ({13})
In dem Bericht wird darüber hinaus gefordert, die Abbrecherquoten an den Hochschulen zu senken. Zitat:
Dazu sind mehr Mittel für die Lehre notwendig. - Richtig: Wir müssen in die Qualität der Lehre investieren.
Die Studierendenquote - auch das steht im Bericht muss erhöht werden. Dafür muss das Studium attraktiver
gemacht werden, und es darf keine unnötigen Zugangsbeschränkungen geben.
({14})
Wir brauchen den Ausbau der Kapazitäten. Der Hochschulpakt ist ein guter Auftakt; aber es muss schnell einen Hochschulpakt II mit ausreichenden Mitteln und
Planungssicherheit für den bedarfsgerechten Ausbau der
Studienplätze geben.
({15})
Völlig zu Recht werden in dem Bericht vor allem die
Länder in der Pflicht gesehen - sie wollen das ja auch so.
Das trifft insbesondere für den nächsten Punkt zu: Es
müssen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler die Studienberechtigung erhalten. Im Bericht steht einiges zu
diesem Thema. Mehrere meiner Vorrednerinnen und
Vorredner haben bereits von Seite 8 zitiert. Ich will jetzt
aus einer anderen Seite zitieren: „Dazu ist allerdings ein
grundlegender Wandel des deutschen Bildungssystems
nötig, das seine bisherige Bildungsphilosophie der Auslese zu einer fördernden wandeln müsste.“ - Das hört
sich an wie ein Beschluss des SPD-Parteitages;
({16})
aber das ist original der Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007.
Um aber mehr SPD hineinzuwürzen, gehe ich noch
auf die Chancengleichheit ein: Gestern haben wir im
Ausschuss gehört, dass über 90 Prozent der Kinder von
Eltern mit akademischer Vorbildung studieren, aber nur
17 Prozent der Arbeiterkinder. Was für eine Ungleichheit! Was für eine soziale Ungerechtigkeit und was für
ein volkswirtschaftlicher Irrsinn!
({17})
Darum kämpfen wir Sozialdemokraten für das BaföG,
und darum sind wir gegen Studiengebühren: weil sie
finanzielle Hürden aufbauen, die insbesondere die sozial
Schwachen treffen. Dieser Weg, der in vielen Ländern
beschritten wird, ist falsch.
({18})
Kollege Schulz, das war eigentlich ein schöner
Schlusssatz.
Vielleicht noch ein letzter Satz: Der Bund hat eine
Menge gemacht und wird mehr machen müssen; doch
Wirtschaft und Länder müssen mitmachen. In diesem
Sinne wäre es sinnvoll - auch darüber steht im Bericht
einiges -, sich die Verteilung der Aufgaben zwischen
Bund und Ländern anzuschauen. Bildung und Wissenschaft müssen endlich als Gemeinschaftsaufgabe begriffen werden. Dann klappt das auch mit der technologischen Leistungsfähigkeit!
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Flach, es war wieder ein Vergnügen, Ihnen zuzuhören. Sie haben freundlicherweise das Originalzitat von
Michael Meister, auf das Sie sich bezogen haben, vorgelegt:
Unionsfraktionsvize Meister ist ernüchtert, es sei
„schade“,
- so sagt Herr Meister „dass eine Einigung mit der SPD nur für den Teilbereich des Wagniskapitals erzielt werden konnte.“
Beim Wagniskapital haben wir also eine Einigung,
richtig?
({0})
Das Wagniskapital - das haben Sie ja angesprochen liegt uns gemeinsam am Herzen, und den Grünen, siehe
den Antrag, auch.
({1})
Im Hinblick auf diesen ist es hier zu einer nächtlichen
Stunde zu einer lediglich virtuellen Debatte gekommen;
die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Aber immerhin
sind es bemerkenswerte Texte. Wir sind uns einig, dass
wir das wollen, sollen und können.
({2})
Und siehe da: Michael Meister und die Unionsfraktion kamen im herzlichen Zusammenwirken mit dem
Finanzminister - SPD - zu einer glanzvollen Einigung,
über die Michael Meister mit Stolz berichtet.
({3})
Man kann das jetzt im Einzelnen niederbrechen.
({4})
- Wenn sie etwas fragen ist das gut.
Kollegin Flach, Sie haben das Wort.
Lieber Kollege Riesenhuber, Herr Meister hegt zu
Recht die Befürchtung, dass mit den Linken dieser Großen Koalition das so, wie er sich es vorstellt, nicht
durchzusetzen sei.
({0})
Wenn Sie diesen Artikel, der zu recht mit den schönen
Worten „ein Papiertiger“ überschrieben ist, richtig interpretieren, sehen Sie, dass es diesbezüglich eine tiefe
Kluft zwischen Rot und Schwarz gibt. Wenn ich Ihnen
diese Frage stelle, gehe ich davon aus, dass Sie so etwas
gerne wollen. Nur sind Sie leider an den Herrschaften
von der SPD da drüben gescheitert.
Das ist natürlich eine sehr unangenehme Frage.
({0})
Frau Flach, der Artikel - vielen Dank für das Papier - ist
überschrieben mit dem Titel „,Private-Equity-Gesetz‘
ein Papiertiger“. Und jetzt erlauben Sie mir einmal, dass
ich zur Sache spreche.
Private Equity und Wagniskapital sind zwei völlig
verschiedene Welten. Private Equity hat die wesentliche Aufgabe - das ist seine Chance und macht es auch
manchmal unbeliebt -, in existierenden Unternehmen
verborgene Werte zu heben. Das kann in der Bilanz sein,
das können stille Rücklagen sein. Das kann auch eine
mangelnde Effizienz in der Organisation sein. Es kann
auch eine Blindheit für neue Märkte sein. Es kann auch
das Risiko sein, dass man einfach irgendwelche neuen
Techniken übersehen hat. Darum geht es bei Private
Equity. Private Equity hebt Werte, die in Firmen schlummern. Manchmal geht es da blutig zu, wie wir alle wissen.
Aber was ist Wagniskapital? Wagniskapital schafft
Werte neu. Wagniskapital setzt Geld in Ideen um und
macht dann, wenn es gelungen ist, aus diesem neuen
Wissen Geld. Das ist Wagniskapital. Das ist also eine
völlig andere Geschichte. Ich sehe keine dringende Notwendigkeit, Private-Equity-Gesellschaften mit Liebe
steuerlich zu fördern.
({1})
Aber ich sehe eine dringende Notwendigkeit, Wagniskapitalgesellschaften dort, wo neues Wissen in die Märkte
kommen soll, wo junge Unternehmer und Wissenschaftler ermutigt werden sollen, in jeder Weise zu fördern,
weil wir in Deutschland eine Entwicklung hatten, die in
hohem Maße problematisch ist.
({2})
Die Zahl der Unternehmensgründungen geht zurück,
der Wagniskapitalmarkt ist rückläufig, die Zahl der
Gründungen von Fonds ist zurückgegangen, und die Dynamik dieser ganzen Landschaft hat abgenommen. Wir
haben rechtliche Rahmenbedingungen, die wir schrittweise aufarbeiten müssen. Dann kommt der Finanzminister in seiner Weisheit und Güte und sagt, er akzeptiere Steuerausfälle in Höhe von 500 Millionen Euro für
diese Präferenz für Wagniskapitalunternehmen. Gut, das
sind „Finanzminster-Dollar“. Wie die sich dann in der
realen Welt darstellen, wird man sehen. Jedenfalls ist in
den Verhandlungen wesentlich mehr als das erreicht
worden, was sich das Finanzministerium ursprünglich
überlegt hatte.
({3})
Das ist eine großartige Leistung dieser Koalition und ihrer glänzenden Abgeordneten auf beiden Seiten des Hauses, die hier in einer klugen Weise die Wirklichkeit verbessert haben.
({4})
Ich freue mich, dass der Konsens hier, je länger ich rede,
immer größer wird. Ich bin gerne bereit, das auch noch
weiter zu verstärken.
({5})
Wir haben das mit den zwei Welten also geklärt.
Jetzt möchte ich aber doch noch auf einen Satz von
Frau Schavan zu sprechen kommen, den ich sehr beeindruckend finde. Sehr verehrte Frau Ministerin, wenn ich
das richtig notiert habe, dann haben Sie gesagt, dass Sie
mit dem Finanzminister eine grundsätzliche Einigung
dergestalt haben, dass die Forschungshaushalte - diese
befinden sich ja nicht nur bei Ihnen - wegen des 3-Prozent-Ziels - die 6 Prozent kommen danach - schrittweise mit dem Wirtschaftswachstum wachsen sollen.
Liebe Freunde, diese Aussage sollten wir alle in unseren
Herzen bewahren und möglichst in jeder Debatte hier
einbringen und nutzen. Diese Aussage ist von großem
Wert.
({6})
Wer bin ich, an der Aussage unseres vorzüglichen
Finanzministers zweifeln zu wollen? Ich nehme das hier
als Grundsatz. Dann kommen wir zu interessanten Folgerungen. Wir kommen nämlich zu der Folgerung, dass
es in den vergangenen Jahren hier eine Stagnation gab.
Ich will jetzt nicht die Diskussion darüber aufgreifen,
wer wann wie wenig getan hat. Ich könnte das natürlich
tun. Die Zahlen in dem wunderbaren Bericht enden in
der Regel bei 2005. Damals haben wir gerade angefangen zu regieren.
({7})
Bis dahin war die Sache ein wenig spröde. Die Wachstumsraten in der Wirtschaft und im Staatshaushalt waren mäßig. Das lag halt daran, dass Sie mit den Grünen
regieren mussten. Dadurch wurde die ganze Sache so
furchtbar schwierig.
({8})
Seitdem wir zusammen sind, wachsen die Forschungsaufgaben. Wir haben das 6-Milliarden-EuroProgramm, und die Ausgaben im jetzt vorliegenden
Haushalt für 2008 liegen noch über den Zahlen in der
mittelfristigen Finanzplanung des letzten Jahres.
({9})
- Entschuldigung, aber ich kann nicht gleichzeitig hören
und reden. - Allein in den Haushalten der Ministerien
für Wirtschaft und Technologie sowie für Bildung und
Forschung steigen sie um 220 Millionen Euro. Das
heißt, wir sind hier auf einem guten Weg.
Ich muss jetzt leider eine ganz andere Rede als die
halten, die ich mir überlegt habe.
({10})
Frau Schavan, ein anderer Punkt ist, dass Sie in dem
Kontext auch darüber gesprochen haben, dass wir uns
unseren Instrumentenkasten ansehen müssen. Ich finde
den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit ungemein anregend. In dem ganzen Bericht gibt es kein
Kapitel, das ausführlicher dargestellt und leidenschaftlicher angesprochen wird als das Kapitel über die steuerliche Förderung von Forschung.
Es wird hier aufgeführt, was andere Länder tun, dass
die OECD dafür ist, dass die meisten OECD-Staaten das
tun, und dass die Europäische Union uns das empfiehlt.
Es wird hier aber nicht darauf hingewiesen, dass die
Bundesregierung das auch in das Unternehmensteuerreformgesetz geschrieben hat, dass auch wir die steuerliche Forschungsförderung prüfen wollen.
Das ist ein fantastisches Instrument.
({11})
Es wirkt sich weit in den Mittelstand hinein aus. Bürokratie und Anträge sind dafür nicht nötig. Man braucht
keine Innovationen zu verzögern, weil ein Rechtsanspruch darauf besteht. Es ist voll einplanbar. Wenn ich
mich als kleiner bzw. mittelständischer Unternehmer
entschließe, einen Forscher zusätzlich einzustellen, dann
weiß ich, was das bedeutet.
Wir können von anderen lernen; denn andere Länder
setzen auf dieses Instrument. In Großbritannien ist es bereits novelliert worden. Der Instrumentenkasten ist erprobt und überprüfbar. Wir wollen ihn nicht übertragen
nicht kopieren, sondern kapieren. Die ganze Vielfalt, die
wir in unseren Forschungsprogrammen haben, in der
Hightechstrategie, in den 17 Projektfeldern, in der ganzen Fülle von Querschnittsfragen vom E-Government
über die innovative Einkaufsstrategie bis hin zum Schutz
des geistigen Eigentums - all dies bleibt erhalten und
geht in eine Gesamtstrategie ein. Es wird nicht beschädigt. Mit der steuerlichen Forschungsförderung kommt
aber die Chance hinzu, dass in einer Zeit, in der es für
den Staat immer schwieriger wird, vorherzusagen, wo
Neues entsteht, jeder, der will, ohne Bürokratie schnell
und maßgenau in die Forschung gehen kann.
Kollege Riesenhuber, wir haben nur einen beschränkten Instrumentenkasten, aber das Leuchten besagt, dass
Sie Ihre Redezeit überschritten haben.
Das Leuchten stört mich.
Ich weiß, dass Sie das stört. Aber es stört Sie offensichtlich nicht genug. Sie müssen bitte zum Schluss
kommen.
Ja gut, dann tue ich das. Trotzdem bleibt es irritierend.
Wir haben die Chance, den Schwung und die Dynamik in einer offenen Welt, in der wir die Zukunft nicht
vorhersagen können - denn sie muss von den Unternehmern und Wissenschaftlern erfunden werden -, zu beschleunigen. Wenn wir das Vorhaben mit unserer Ministerin Frau Schavan, unserem Minister Michael Glos und
unserem fantastischen Koalitionspartner SPD richtig anlegen,
({0})
dann werden wir mit Unternehmergeist und Entschlossenheit - wenn auch manchmal mit unterschiedlichen
Akzenten - im demütigen Dienst der Politik für
Deutschlands Zukunft erreichen, dass Wissenschaft,
Wirtschaft und alle, die etwas Neues schaffen wollen,
fröhlich und entschlossen die Zukunft gestalten können.
Darauf arbeiten wir hin.
({1})
Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege Jörg
Tauss.
({0})
Es ist ein Gerücht, dass heute die Redezeiten dem Lebensalter entsprechend berechnet werden. Aber nachdem Sie nun schon als fantastischer Koalitionspartner
angekündigt wurden, möchte ich dem Hohen Hause
nicht vorenthalten, dass Sie heute Ihren Geburtstag mit
uns verbringen. Ich gratuliere Ihnen im Namen des gesamten Hauses.
({1})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich dachte schon,
ich hätte 54 Minuten Redezeit; aber das scheint nicht der
Fall zu sein.
Vielleicht kann Ihr Koalitionspartner helfen. Die Instrumente sind schließlich bekannt.
Herzlichen Dank.
Ich bin nach der Liebeserklärung des Koalitionspartners regelrecht gerührt. Kollege Riesenhuber, es gibt in
der Tat Themen, die wir schon in den Koalitionsverhandlungen gemeinsam auf den Weg gebracht haben.
Der Korrektheit halber muss man aber darauf hinweisen,
dass man nicht alles, was man sich vorstellt und was
wünschenswert wäre, auch sofort bei den Finanzpolitikern durchsetzt, die verständlicherweise Gestaltungsmissbräuche befürchten. Das ist auch der Hintergrund
dafür, dass wir über Private Equity diskutieren, Frau
Flach.
({0})
Es gibt sicherlich sehr viele positive Beispiele, es gibt
aber auch die sogenannten Heuschrecken. In meinem
Wahlkreis gibt es eine Reihe von hochinteressanten innovativen Betrieben, die durch den Einsatz solcher Gesellschaften ihrer wertvollen Teile beraubt wurden und
anschließend nicht mehr so innovativ waren, wie es ihnen möglich gewesen wäre.
({1})
- Sie meinen nur die Guten. Das ist klar. Darauf können
wir uns sicherlich einigen.
({2})
Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen. Erstens
will ich wiederholen - in der Pädagogik sind Wiederholungen sehr wichtig -, dass unser selektives Schulsystem einen Großteil der Verantwortung dafür trägt, dass
wir nicht alle Begabungen in unserem Land erschließen.
Darin sind wir uns noch nicht ganz einig, Frau Ministerin. Aber auch in diesem Punkt nähern wir uns schrittweise an. Wir sind uns aber sicherlich einig, dass es darum geht, alle Begabungen zu erschließen. Wo unser
dreigliedriges Schulsystem dem im Wege steht, sollten
die Länder über Änderungen nachdenken.
({3})
Zweitens. Sie haben die Exzellenzinitiative im Zusammenhang mit IKT - darauf komme ich noch zu sprechen - kritisiert, Frau Kollegin Hinz. Die Exzellenzinitiative ist zwar nicht staatlich beeinflusst, aber wir haben
die Universitäten in der Breite angesprochen. Insofern
ist es kein Widerspruch, dass über die Exzellenzinitiative
gerade auch im Bereich der IKT-Technologien Graduate
Schools im Bereich Aachen, in Karlsruhe, Erlangen und
München gefördert werden.
({4})
Deshalb ist gerade in diesem Bereich eine Stärkung zu
verzeichnen. Das ist nicht verwunderlich.
Frau Kollegin Flach, Sie haben die KMUs angesprochen und meinten, wir sollten die KMUs nicht überbetonen. Das verstehe ich nicht ganz. Diese Auffassung teile
ich nicht, wenn ich Sie an dieser Stelle richtig verstanden habe; denn das war ein kritischer Punkt in der alten
Forschungsförderung. Wir hatten immer Krach - weniger mit Herrn Riesenhuber als mit seinem Nachfolger
Herrn Rüttgers -, weil die Großbetriebe sehr stark gefördert wurden.
({5})
- Stellen Sie eine Zwischenfrage wie beim Kollegen
Riesenhuber! Tun Sie mir den Gefallen! Dann kann ich
das noch länger ausführen.
Das Problem bei der technologischen Leistungsfähigkeit ist, dass der Anteil kleiner und mittlerer Betriebe bei
Forschung und Entwicklung in Deutschland zu gering
ist. Das ist der Hintergrund, warum wir beispielsweise
nach einem solchen Instrument wie der Forschungsprämie Ausschau gehalten haben. Der Anteil der kleinen
und mittleren Unternehmen wurde gerade im Technologiebereich erhöht.
Kollege Riesenhuber, gerade wenn man Vergleiche
bei der steuerlichen Förderung zieht, dann darf man
nicht vergessen, dass es hier um zwei Seiten ein und derselben Medaille geht. Es gibt viele sinnvolle Instrumente. Wir haben das Instrument der Projektförderung,
das andere Länder in vergleichbarer Form nicht kennen.
Ich möchte nicht das eine gegen das andere ausspielen.
Aber im Hinblick auf die Formulierung des gesellschaftlichen Bedarfs - hier haben wir positive Anreize gesetzt;
ich nenne als Beispiele die Nanotechnologie und die
Mikrosystemtechnologie - waren wir es - nicht die
Wirtschaft oder das private Kapital -, die in der Forschungspolitik Schwerpunkte gesetzt haben. Kollege
Brüderle, ein solches Beispiel mag Ihnen vielleicht zeigen, dass nicht alles, was vom Staat kommt, von Übel
ist. Ohne Staat gäbe es übrigens noch nicht einmal das
Internet. Solche positiven Beispiele mögen Marktwirtschaftsradikalen wie Ihnen als Erleichterung dienen.
({6})
- Richtig. Ich sage doch gar nicht, dass alles, was aus
den USA kommt, von Übel ist. Bei uns in Europa wurde
das Web entwickelt, genauso wie viele andere Dinge.
Nun komme ich zu ein paar anderen Punkten, die bereits angesprochen wurden. Der Kollege Schulz hat als
Beispiel den Fachkräftemangel genannt. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Ich warne davor - das habe ich
zum Teil den Medien entnommen -, Qualifizierung und
Fachkräfteanwerbung als Gegensatz aufzufassen. Richtig ist aber in der Tat, dass zuallererst die Wirtschaft und
die Bundesländer ihre Hausaufgaben zu erfüllen haben,
auch wenn wir beispielsweise über Ausländerinnen und
Ausländer reden.
({7})
Wir hätten exzellente ausländische Fachkräfte bereits im
Land, wenn gehandelt worden wäre. Wir haben sehr
viele zugewanderte junge Menschen. In BadenWürttemberg und insbesondere in Berlin beispielsweise
gibt es Schulen, bei denen der Anteil der Kinder ausländischer Herkunft bzw. mit Migrationshintergrund
50 Prozent und mehr beträgt. Aber bei den Universitäten
liegt der Anteil nur noch bei 8 Prozent. Das heißt, wir
verschenken hier ein riesengroßes Potenzial an Zuwanderern, die bereits hier sind. Aber wir müssen das eine
tun und dürfen das andere nicht lassen. Wir müssen qualifizieren und Fachkräfte, die spitze sind, ins Land holen.
Darüber müssen wir diskutieren.
Kollege Tauss, gestatten Sie sozusagen in allerletzter
Sekunde eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Ja, bitte eine umfangreiche, Frau Flach.
Bitte, Kollegin Flach.
Da Sie heute Geburtstag haben, Herr Tauss, will ich
Ihnen die Freude machen. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die SPD beim Ausländerrecht der FDP
näher steht, als ich das gerade von Ihnen höre. Was sagen Sie denn zu den Aussagen eines Vorstandsmitgliedes
des Rates für Migration, der von einem inhumanen Ausländerrecht spricht und sagt, in der Gesamtbilanz laufe
alles auf eine verbesserte Abwehr weiterer Zuwanderung
hinaus? Ich kann das mit Ihren positiven Worten nicht in
Einklang bringen.
Liebe Kollegin Flach, unabhängig davon, dass ich das
vollständige Zitat nicht kenne - der Kollege Riesenhuber
hat es vielleicht zur Verfügung -,
({0})
gibt es in Deutschland sozusagen die lebenslange Lüge,
wir seien kein Einwanderungsland. Tatsächlich sind wir
ein Einwanderungsland. Wir gingen an vielen Stellen
mit denjenigen, die eingewandert sind, nicht gut um. Wir
haben die Chancen und Potenziale der Eingewanderten
vertan, und zwar in verschiedener Hinsicht. Das ist Fakt.
Wir brauchen hier keine Schuldzuweisungen vorzunehmen.
Ich freue mich über die Beschlüsse der SPD, die - genauso wie in anderen Einwanderungsländern - ein
Punktesystem vorsieht. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen schauen, wo wir in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung Hochqualifizierte
brauchen. Ich weiß nicht, ob Sie in der Debatte zugegen
waren, aber ich bin froh, dass Herr Schäuble und Frau
Schavan ganz konkret gesagt haben: In diesem Bereich
sehen wir Handlungsbedarf; darüber müssen wir weiter
reden. In diesem Punkt wollen wir mitwirken.
({1})
- Wie Sie wissen, ist der Fortschritt manchmal eine
Schnecke. Hier gibt es sicherlich noch weiteren Diskussionsbedarf.
Wie Sie wissen, betreibt die Landesregierung von Baden-Württemberg, an der Sie beteiligt sind, die reaktionärste Politik. Deswegen ist die Frau Ministerin von
Baden-Württemberg weggegangen. Wäre sie Ministerpräsidentin geworden, wäre die Politik viel weniger
reaktionär.
Aber das ist ein ganz anderes Thema. Ich hoffe, ich
schade Ihnen jetzt nicht, Frau Schavan.
({2})
Ich freue mich darauf, dass Baden-Württemberg ein
Motor im Bundesrat wird.
({3})
- Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen.
Etwas habe ich nicht verstanden, Frau Pieper. Ich
setze mich heute arg mit der FDP auseinander. Vielleicht
ist das wichtig, um Vorurteile zu überwinden, liebe Frau
Pieper. Sie haben kritisiert, dass wir 17 Felder hätten und
dass kein Schwerpunkt gesetzt würde. Mein Gott, dann
sagen Sie uns doch bitte ganz deutlich, auf welches der
17 Felder, die wir im Rahmen der Hightechstrategie fördern, Sie verzichten wollen. Wir sind ein Exportland und
decken die gesamte Breite der Exporte ab. Deswegen
müssen wir versuchen, auf vielen Feldern Spitzentechnologien zu entwickeln und Spitze zu werden.
Ein Bereich ist eben die Informations- und Kommunikationstechnologie. Finnland hat nur ein einziges
Feld: Informations- und Kommunikationstechnologie.
Die Finnen haben gesagt: Wir wollen bei der Informations- und Kommunikationstechnologie Nummer eins
werden. Dort ist auch noch eine einschlägige Firma ansässig. Das können wir in Deutschland nicht machen. Zu
sagen, wir wollen nur auf einem Feld stark sein - diese
Strategie nutzt Finnland -, nutzt uns nichts. Deswegen
ist es gut, dass einer dieser Bereiche, über die wir reden,
die Informations- und Kommunikationstechnologie ist.
Das ist eines der wichtigsten Teile dieses Programms.
Vielleicht können wir, da ich keine Redezeit mehr habe,
dazu eine eigene Debatte anberaumen.
({4})
Das wäre lohnend.
Ich kann nur sagen: In diesem Bereich gibt es viel zu
tun. Denken Sie an den heutigen Schwelbrand im Deutschen Bundestag! Wir sind von unseren Computern abgehängt. Im Grunde genommen ist das eine Schande.
Ein bisschen Schwelbrand, und schon funktionieren die
Computer nicht mehr.
Wir setzen also die Schwerpunkte auf die Informations- und Kommunikationstechnologie, auf die Sicherheitsforschung und auf kleine und mittlere Unternehmen, liebe Kollegin Flach, die innovativ sind und
Software entwickeln. Das sind Entwicklungen, die wir
brauchen. Frau Hinz, das ist eine Treibkraft auch für den
Maschinenbau, im Fahrzeugbau und in vielen anderen
Bereichen. Deswegen ist das ein richtiger Schwerpunkt.
Ich glaube, wir sollten nicht über diesen Schwerpunkt
mäkeln, sondern froh sein, dass wir ihn haben.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5823, 16/5900 und 16/5899 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in
der Informationsgesellschaft
- Drucksache 16/1828 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 16/5939 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Hans-Joachim Otto ({2}), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Die Modernisierung des Urheberrechts muss
fortgesetzt werden
- Drucksachen 16/262, 16/5939 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der heutigen Beratung und Abstimmung bringen wir ein
wichtiges Projekt endlich an sein Ziel. Wir modernisieren das Urheberrecht und wir machen es fit für das digitale Zeitalter. Mit dieser Reform sorgen wir auch für einen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern und
Nutzern geschützter Werke, und wir schaffen ein Gesetz,
das die Selbstregulierung stärkt.
Es war kein einfaches Projekt. Beim Urheberrecht
geht es um geistiges Eigentum, und dabei geht es auch
um viel Geld. Alle Betroffenen haben deshalb mit großer
Verve für ihre jeweiligen Interessen geworben. Das ist
völlig in Ordnung. Ich bin gleichwohl froh, dass es uns
gelungen ist, einen Kompromiss zu finden, von dem ich
hoffe, dass alle Seiten damit gut werden leben können.
Drei Aspekte waren in den letzten Monaten ganz besonders umstritten. Der erste Aspekt ist die Pauschalvergütung.
Es bleibt mit diesem Gesetz dabei, dass die Privatkopie eines Werkes auch in der digitalen Welt erlaubt ist.
Als Ausgleich dafür gibt es für den Urheber weiterhin
die sogenannte Pauschalvergütung. Wie hoch diese Vergütung ist, werden die Beteiligten künftig selber festlegen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Bisher hatte dies
der Gesetzgeber festgelegt. Man muss allerdings hinzufügen, dass sich auf diesem Gebiet seit 1985 nichts mehr
geändert hat. Dieser Paradigmenwechsel entspricht aber
den allgemeinen wirtschaftlichen Strukturen in unserem
Land. Ich hoffe, dass mit seiner Hilfe auch auf den immer rasanter werdenden technischen Fortschritt schneller reagiert werden kann, als das bisher möglich ist.
Urheber und Geräteindustrie werden sich bei diesen
Verhandlungen auf Augenhöhe begegnen. Es gibt keine
Obergrenze für die Vergütung. Trotzdem muss sie natürlich in einem angemessenen Verhältnis zum Preis des
Gerätes oder des Speichermediums stehen. Das steht so
ausdrücklich im Gesetz. Man wird deshalb auf einen
CD-Rohling für wenige Cent keine Vergütung von mehreren Euro erheben können.
Die Beteiligten sind jetzt aufgefordert, sich zu einigen. Sie müssen den Freiraum der Selbstregulierung nutzen. Es wird am Anfang sicherlich nicht einfach sein,
sich nach einer über mehrere Jahre kontrovers geführten
Debatte auf einmal an einen Verhandlungstisch zu setzen. Ich habe deshalb bei verschiedenen Moderationsgesprächen, die ich in der vergangenen Zeit geführt habe,
schon angeboten, dass das BMJ dabei als Moderator zur
Verfügung steht. Ich möchte dieses Angebot hier gern
erneuern.
Ein zweiter wichtiger Punkt sind die künftigen Nutzungsarten. In Zukunft ist es erlaubt, dass Urheber und
Verwerter auch einen Vertrag über solche Nutzungsarten
abschließen, die bei Vertragsschluss noch unbekannt
sind. Das hört sich futuristisch an, ist aber eine wichtige
Regelung; denn damit wird es leichter, die Werke auch
in neuen Medien auf den Markt zu bringen. Hätte es das
schon früher gegeben, dann wäre es heute nicht so
schwierig, eine alte Theateraufführung auch auf DVD
anzubieten. Wir haben aber auch bei diesem Punkt die
Belange der Urheber im Blick behalten, und wir haben
festgelegt, dass der Verwerter den Urheber informieren
muss, wenn er eine neue Art der Nutzung des Werkes
plant, und dass der Urheber ein Widerrufsrecht hat.
Der dritte Aspekt betrifft die zeitgemäße Nutzung von
geschützten Werken in Bibliotheken. Dabei geht es um
sogenannte elektronische Leseplätze und um den digitalen Versand von Kopien auf Bestellung. Für all das gibt
es jetzt erstmals überhaupt eine gesetzliche Grundlage.
Wir achten auch da auf den gerechten Interessenausgleich. Der Gesetzgeber darf den Verlagen durch das Gesetz das Onlinegeschäft nicht kaputt machen. Das wäre
wirtschaftspolitisch ein falsches Signal, und rechtlich
wäre es zudem nicht vertretbar.
Auch wenn es vonseiten des organisierten Wissenschaftsbetriebes manchmal vergessen worden ist: Es
geht auch hier um geistiges Eigentum, und das ist verfassungsrechtlich geschützt.
({0})
Durch diesen Gesetzentwurf wird ein Ausgleich zwischen den Wissenschaftlern als Autoren und den Wissenschaftlern als Lesern geschaffen.
Im Urheberrecht sind alle Seiten aufeinander angewiesen. Ohne Urheber gibt es nichts zu verwerten, und
ohne Verwerter wäre jedes Stück ein Unikat. Unsere Reform des Urheberrechts wird meiner Meinung nach beiden Seiten gerecht. Sie ist ein fairer Kompromiss. Sie
schafft ein modernes Recht, und sie ist der gute Abschluss einer langen Debatte.
Ich möchte mich bei all denjenigen hier im Hause, die
insbesondere in den letzten Monaten daran mitgewirkt
haben, dass dieser Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause verabschiedet werden kann, recht herzlich bedanken, namentlich bei den beiden Berichterstattern der Koalition.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ein kleiner Dank an
die FDP-Fraktion wäre schon angemessen gewesen.
({0})
Wir haben in dieses wirklich umfangreiche und sehr
schwierige Gesetzgebungsverfahren eine sehr konstruktive und sehr zielorientierte Mitarbeit eingebracht.
({1})
Ich freue mich sehr, dass es im Rahmen dieser sehr
langwierigen und sehr schwierigen Gespräche doch zu
grundlegenden Änderungen am Regierungsentwurf gekommen ist. Von daher kann man dieses Gesetz, wie wir
es heute beschließen werden, als ein Parlamentsgesetz
bezeichnen.
In den Kernpunkten haben wir trotz des schwierigen
Weges einen fairen Ausgleich zwischen den Beteiligten,
nämlich zwischen den Urhebern und Rechteinhabern auf
der einen Seite und den Nutzern, nämlich den Verbrauchern, auf der anderen Seite, gefunden. Das ist ja immer
die Kernaufgabe des Urheberrechts, und zwar eine Daueraufgabe. Schon heute wissen wir: Das Urheberrecht
wird uns in dieser Legislaturperiode auch weiter beschäftigen. Wir haben noch offene Punkte genannt und
schon einen weiteren Gesetzentwurf zur Durchsetzung
von Ansprüchen, die ein Urheber hat, vorliegen.
Frau Ministerin, Sie haben eben einen Themenkomplex genannt, der eigentlich mit am schwierigsten zu regeln war, nämlich die Neuregelung der Vergütung der
Privatkopien in der Form einer Abgabe auf die Geräte.
Derzeit wird dies vom Staat durch eine Verordnung festgelegt. Diese Vergütung ist seit Jahrzehnten nicht erhöht
worden. Denn es gibt für einen Minister oder eine Ministerin keine unangenehmere Aufgabe, als einseitig Preise
festzusetzen. Dabei kann man es natürlich niemandem
recht machen. Von daher sind Sie bestimmt froh, dass
gerade wir als FDP-Fraktion den Paradigmenwechsel
hin zu einer Verhandlungslösung wollten.
Frau Ministerin, Sie haben einen Punkt - ich verstehe
es aus Ihrer Sicht natürlich - hier nicht angesprochen,
den ich einbringen muss. Dass wir uns auf den neuen
Weg der Verhandlung zwischen Vertretern der Geräteindustrie und der Verwertungsgesellschaften verständigen konnten, liegt daran, dass die ursprüngliche Vorgabe, eine Deckelung bei der Festsetzung der Abgaben,
nämlich 5 Prozent des Gerätepreises, vorzunehmen, im
Konsens herausgenommen wurde. Ich habe für die FDP
immer gesagt: Das ist für uns einer der wichtigen
Punkte. Denn man kann nicht auf Augenhöhe verhandeln, wenn eine Seite schon am Anfang in eine schwierigere Situation gebracht wird. Deshalb sage ich: Mit der
Einigung, hier eine grundlegende Änderung vorzunehmen, dass nämlich künftig die tatsächliche Nutzung die
Grundlage für die Berechnung und damit für die Verhandlung sein soll, war aus Sicht der FDP-Fraktion der
Weg offen zu einem weitergehenden Kompromiss.
Wir sind froh - das war kein Kernpunkt der Verhandlung -, dass die Bagatellklausel schon im Vorfeld des
Gesetzgebungsverfahrens gestrichen worden ist. Gerade
bei geringfügigen Verletzungen bietet das geltende
Recht sehr wohl alle Möglichkeiten, dass es hier nicht zu
einer Verurteilung kommt. Wir alle beklagen doch den
Bedeutungsverlust, den das geistige Eigentum, das Urheberrecht, das, was Kreative, was Künstler schaffen, in
der Öffentlichkeit erlitten haben. Dem würden wir mit
einer Bagatellklausel natürlich noch einmal Vorschub
leisten.
({2})
Dann möchte ich auf die unbekannten Nutzungsarten
zu sprechen kommen. Sie können dazu führen, dass
wichtige Bestände, geschaffene Werte, Güter, die bisher
nicht zugänglich gewesen sind, in einer neueren Form,
wie man sie vielleicht vor vielen Jahren nicht kannte, mit
den modernen technologischen Möglichkeiten zugänglich werden. Das ist gut für die Nutzer, die Urheber, die
Künstler, die Kreativen, für die, die die Rechte haben.
Es war für alle gemeinsam richtig, die Hürden aus
dem geltenden Urheberrecht zu nehmen. Deshalb haben
wir uns von Anfang an dafür eingesetzt. Da war ja der
Regierungsentwurf auf dem richtigen Weg, zum Beispiel
bei der Widerspruchsregelung bei Verhandlungen,
nämlich dass es, wenn ein Urheber widersprechen
möchte, zu einer anderen Form von Verwertung kommt,
zu einer Form, die man bisher nicht kannte. Dies wird
der Sachlage gerecht. Wir haben aber auch berücksichtigen müssen, dass gerade im Bereich der Filmwerke mit
sehr vielen Urhebern und Rechteinhabern eine einfache
Widerspruchsregelung in das Gesetz nicht Eingang finden kann; denn das würde es unmöglich machen, zu einer Verwertung im Interesse von Urhebern, von Verwertern und besonders von Nutzern zu kommen. Es findet
also auch in dieser Beziehung ein guter und angemessener Interessenausgleich statt.
Ich sage denjenigen, denen das nicht passt und nicht
weit genug geht: Niemand darf ein geistiges Werk entstellen, auch nicht bei einer neuen Nutzungsart oder anderen Formen der Verwertung, etwa auf einer DVD, die
es vor 20 oder 30 Jahren ja noch nicht gegeben hat. Deshalb braucht niemand Angst zu haben, dass zum Beispiel
ein Film verfälscht wird. Das ist eine Regelung, die
wirklich für alle Beteiligten zufriedenstellend ist.
({3})
Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann,
ist einer, der für manche Fraktionen, gerade für die Koalitionsfraktionen, mit der schwierigste war: Wie findet
man den Ausgleich zwischen den Interessen von Bibliotheken an Universitäten oder Hochschulen, die mit einem Buch am liebsten Hunderttausende von Studenten
versorgen wollen, und den Interessen derjenigen, die
diese wissenschaftlichen Werke oder Beiträge erstellen
und verwerten? Auch Verlage müssen rechnen. Sie können nicht im Hinblick darauf, dass es um wissenschaftlich wichtige Arbeiten geht, auf Rechte verzichten. Sie
müssen sehen, dass ihr Verlag am Leben bleibt.
Von daher war der Kompromiss gut und richtig, nämlich festzulegen: Auch der Zugang zu den Werken in einer Bibliothek wird mit davon abhängig gemacht, wie
viele Bücher diese Bibliothek hat und wie viele den Inhalt an Leseplätzen digitalisiert nutzen wollen. Wir haben eine Flexibilitätsklausel eingebaut. In der Begründung wird dazu etwas ausgeführt. Diese Regelung wird
auch dem Ansturm in den Universitäten auf neue Werke
gerecht werden. Die Juristen würden sagen: Mit einem
Palandt kann man nicht das ganze juristische Semester
versorgen. Das geht nicht. Das gilt genauso für andere
Bereiche.
({4})
- Den hat jeder von uns im Büro. Es gibt nicht nur ein
einziges Exemplar im Bundestag.
Es ging um den Kopienversand. Frau Ministerin, da
teile ich Ihre Einschätzung. Ich habe Ihren Ansatz in den
nicht leichten Verhandlungen unterstützt. Jetzt wird eine
Grundlage dafür geschaffen, dass Bibliotheken unter bestimmten Voraussetzungen elektronische Kopien versenden können. Das wäre ohne diese Regelung in der Form
künftig nicht mehr zulässig gewesen. Jetzt wird also eine
sichere Rechtsgrundlage geschaffen. Die bisherige Praxis hätte in der Form nicht fortgesetzt werden können.
({5})
Zum Schluss bedanke ich mich sehr, auch für die Unterstützung aus dem Ministerium bei diesen Beratungen,
und sage klar: Wenn der Dritte Korb aufgemacht wird,
({6})
haben wir neben vielen anderen Punkten noch ein wichtiges Thema: die Kabelweitersendung. Die Regelung
versteht kein Mensch. Dabei wollen wir zu besseren und
angemessenen Regelungen kommen.
({7})
Recht herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Günter Krings, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Wenn generell gilt, was wir schon oft
erfahren haben: „Kein Gesetz verlässt den Deutschen
Bundestag so, wie es hineingekommen ist“, so gilt das in
ganz besonderem Maße für dieses Urheberrechtsänderungsgesetz. Im Vorfeld haben wir als Unionsfraktion
zusammen mit unserem Staatsminister Neumann bereits
maßgeblich dafür gesorgt, dass die sogenannte Bagatellklausel aus dem Gesetzentwurf genommen wird. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren zusammen mit dem Koalitionspartner und anderen Fraktionen, namentlich der
FDP, dafür gesorgt, dass die Begrenzung der GeräteabDr. Günter Krings
gabe auf 5 Prozent so nicht kommt, dass die Einstiegsschwelle, von der an überhaupt Abgaben erhoben werden dürfen, eben nicht bei 10 Prozent liegt. Wir stärken
die Rechte des Urhebers, wie bereits angesprochen, auch
bei unbekannten Nutzungsarten, ohne dass wir von der
Idee, dass man auch Altinhalte auf neuen Formaten zugänglich machen muss, Abschied genommen hätten.
Zuletzt - um nur vier Beispiele zu nennen - haben wir
im Bereich von Wissenschaft und Bildung dafür gesorgt
- das ist § 52 b -, dass die neue Schranke nur in abgeschwächter Form Geltung erhält. Ein Buch, das in einer
Bibliothek nur einmal vorhanden ist, darf man nicht dutzendfach zugänglich machen.
Diese umfassenden Änderungen belegen: Das Parlament hat bei diesem Gesetz seine Rolle als Gesetzgeber
ganz besonders ernst genommen. Das BMJ - das will ich
ausdrücklich dankend erwähnen - hat mit umfangreichen Vorarbeiten den Weg bereitet. Dafür vielen Dank
an die Ministerin und an die Mitarbeiter, die hier zahlreich vertreten sind. Das waren umfassende, zeitraubende und oft schwierige Vorarbeiten.
Allerdings ist auch klar: Der Gesetzgeber bleibt das
Parlament. Das ist, wie ich finde, übrigens auch ein
wichtiges Signal an alle Lobbyisten, die dieses Gesetzgebungsverfahren mit großem Interesse verfolgt haben.
({0})
Dieses Signal geht insbesondere von der Entscheidung
bezüglich der 5-Prozent-Klausel aus. Das möchte ich
ganz deutlich sagen. Diese Formel geht ja nicht auf sachliche Erwägungen während der Vorarbeiten zurück, sondern auf eine Zusage von Altkanzler Schröder. So viel
Wahrheit muss hier erlaubt sein. Die Entscheidung dagegen ist somit ein gutes Signal, welches deutlich macht,
dass auch ein Bundeskanzler nicht über die Gesetzgebungsarbeit des Deutschen Bundestages disponieren
kann.
({1})
Ich bin übrigens froh, dass entsprechende Versuche bei
unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht erfolgreich waren, sondern sie an der Stelle standhaft geblieben ist. Jedenfalls hat mich kein Anruf aus dem Kanzleramt mit der Aufforderung erreicht, hier müsse man noch
etwas ändern.
Ich bin auch froh, dass die neue Bundesregierung offenbar stärker die volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsmöglichkeiten erkannt hat, die in urheberrechtlichen Maßnahmen für die Kreativwirtschaft insgesamt
liegen. Deutschland lebt nicht nur von Hardwareverkäufen, sondern eben auch von den Inhalten, die auf dieser
Hardware transportiert werden.
Ich will allerdings auch betonen, um Besorgnisse ein
wenig auszuräumen: Wir haben durchaus einen Kompromiss gesucht, der auch die Interessen der Geräte- und
Lehrmedienhersteller berücksichtigt. Im Gesetz ist nach
wie vor die klare Aussage enthalten, dass diese vor unzumutbaren Belastungen geschützt werden, und im Entschließungsantrag ist noch einmal deutlich gemacht worden, dass wir auch von den Verwertungsgesellschaften
erwarten, dass sie so moderate Vergütungssätze fordern,
dass es nicht zu einer Verlagerung des Handels ins Ausland kommt. Die ominöse 5-Prozent-Klausel wäre jedoch keine geeignete Methode gewesen, um das zu erreichen. Sie ist systemfremd. Der Urheber hat einen
Anspruch auf Entschädigung. Wenn er vom Gesetzgeber die Pflicht aufgegeben bekommt, Eingriffe in sein
Urheberrecht zu dulden, dann muss er nach dem alten
Grundsatz „Dulde und liquidiere“ auch liquidieren können. Er darf dann bei den Kompensationszahlungen für
die Nutzung seines geistigen Eigentums nicht Opfer der
Preispolitik der Industrie werden.
Ich sage aber an die Adressen der Verwertungsgesellschaften und anderer Verwerter von Urheberrechten
auch ganz deutlich: Eine Pauschalabgabe kann langfristig nicht die Lösung und die Antwort auf die Probleme
sein. Jeder, der jetzt meint, sich auf den Regelungen zur
Pauschalabgabe ausruhen zu können, muss wissen, dass
auf lange Sicht jedenfalls kein Weg an digitalen Rechtemanagementsystemen und Ähnlichem vorbeigeht. Auf
Dauer muss das Urheberrecht dafür sorgen, dass das
geistige Eigentum seinen Gegenwert selbst erwirtschaften kann.
Ich verhehle nicht, dass ich persönlich eine gewisse
Skepsis habe, ob die Verhandlungslösung, die wir heute
einführen, funktioniert. Ich hoffe das aber und bin deshalb bereit, das auszuprobieren. Wenn aber wirklich Verwertungsgesellschaften und die Verbände der Gerätehersteller verhandeln sollen, dann dürfen wir nicht - das ist
eben schon gesagt worden - einerseits einem der Verhandlungspartner eine Eisenkugel ans Bein binden und
andererseits erwarten, dass auf Augenhöhe und gleichberechtigt verhandelt wird. Falls das Ganze nicht funktionieren soll - das sage ich ganz deutlich -, falls die
Verhandlungen zu jahrelanger Rechtsunsicherheit führen
sollten, dann muss der Bundestag die Sätze wieder selbst
festlegen.
Nach meiner Auffassung ist die Tatsache, dass seit
1985 keine Anpassung erfolgt ist, weniger ein Beweis
für ein schlechtes Gesetz als vielmehr ein Beleg für den
Kleinmut aller Gesetzgebungsakteure. Da schließe ich
alle ein, vom Bundestag bis zum Justizministerium. Ich
persönlich habe durchaus noch Vertrauen in die Fähigkeit zu schnellen Handlungen und Reaktionen von Bundestag und Justizministerium. Ich hätte mir gewünscht,
dass die Justizministerin mit etwas mehr Selbstvertrauen
an diese Frage herangegangen wäre. Wir probieren es
nun aber einmal auf die eben dargestellte Weise.
Für die Union, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist geistiges Eigentum eine wesentliche Grundlage
für Wohlstand und Freiheit in unserer Gesellschaft. Das
gilt gerade auch für die moderne Informationsgesellschaft. Unsere Volkswirtschaft lebt insbesondere von
den Leistungen der Kreativen in unserem Lande. Die haben auch Anspruch auf den entsprechenden Schutz.
({2})
Es reicht nicht aus, die Wahrung der Rechte von geistigem Eigentum nur im Ausland anzumahnen. Es reicht
nicht aus, den Blick nach China, Indonesien oder Indien
zu richten und von diesen Ländern einen besseren
Schutz geistigen Eigentums einzufordern. Zugleich müssen wir hier in Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Ein wichtiger Testfall wird nach der Sommerpause
kommen. Dann geht es um die Umsetzung der sogenannten Durchsetzungsrichtlinie. Hier wird es zum
Schwur kommen und sich herausstellen, ob die Bekenntnisse zum Schutz geistigen Eigentums Lippenbekenntnisse waren oder ob wir an der Stelle tatsächlich wirksameren Schutz wollen.
Die Durchsetzungsrichtlinie trifft bekanntlich die gesamte Bandbreite des geistigen Eigentums. Das Justizministerium bleibt mit seinen Vorschlägen meines Erachtens am unteren Rand der europarechtlichen
Vorgaben, will aber zusätzlich diese Richtlinie mit einer
Regelung befrachten, die eigentlich ins Anwaltsgebührenrecht gehört. Die Union plädiert hier für einen wirksamen Schutz des geistigen Eigentums, also für mehr als
nur einen Schutz auf dem Papier des Gesetzblattes. Das
Beispiel anderer EU-Mitgliedstaaten sollte uns zu denken geben. Sie haben nämlich einen wirksamen Auskunftsanspruch eingeführt, der dafür sorgen wird, dass
der Rechteinhaber seine Rechte auch erfolgreich geltend
machen kann.
Warum ist das so wichtig? Warum ist auch die Fortentwicklung des Urheberrechtes in dieser Frage so wichtig? Neben der Schwarzarbeit ist heute nach meiner Einschätzung die Internetpiraterie eines der wichtigsten
Probleme für und einer der wichtigsten Angriffe auf unsere Volkswirtschaft in Deutschland.
Nehmen wir einmal die Musikbranche. Auf einen einzigen Kauf eines Musikstücks im Internet kommen 14 illegale Downloads. Das hat wirtschaftliche Folgen. Die
jährlichen Verluste gehen schon gegen eine halbe Milliarde Euro. Jeder zehnte Arbeitsplatz in dieser Branche
ist seit 2003 verloren gegangen.
Ähnliches droht der Filmbranche; es betrifft sie teilweise schon jetzt. Ein Beispiel: Wir alle erinnern uns
noch an den Film „Good Bye, Lenin!“, der übrigens
nicht von Hollywood, sondern von deutschen Regisseuren, Schauspielern und Produzenten produziert worden
ist. Er war einer der erfolgreichsten Filme der letzten
Jahre in Deutschland überhaupt. Aufgrund seines Erfolges hatten sich alle Beteiligten ausgerechnet, dass man
beim DVD-Verkauf noch einmal - auch zu Recht - Geld
verdienen können müsste.
Weit gefehlt! Bevor die erste DVD überhaupt in den
Handel gekommen ist, gab es schon 770 000 illegale
Downloads. Zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Film noch
nicht im Handel erhältlich ist, kann ein Download nicht
aus Versehen geschehen. Das sind wissentliche und willentliche Urheberrechtsverletzungen, gegen die wir vorgehen müssen.
({3})
Wichtig und gut - vielleicht nur nicht ausreichend ist daher, dass wir jetzt in § 53 die Klarstellung vornehmen, dass ein Download aus offensichtlich illegalen
Quellen keine zulässige Privatkopie ist.
Wichtig ist auch, dass wir im Vorfeld - ich habe es gesagt - die Bagatellklausel aus dem Gesetzentwurf entfernt haben. Es wäre ein verheerendes Signal gewesen,
wenn der Staat gesagt hätte: „Das ist alles eigentlich verboten“ und wenn er dann mit großem Augenzwinkern
hinzugefügt hätte: Es ist nicht so schlimm. Macht ruhig
weiter! - Diese Art der Kapitulation des Rechtsstaates
wird es mit der Union auch künftig nicht geben. Ich bin
froh, dass es das auch mit der SPD-Fraktion nicht geben
wird. Dafür, dass sie uns hier zugestimmt hat, bedanke
ich mich.
Wir haben sicherlich noch nicht alles getan. Dass
auch der Gesetzentwurf noch einige Punkte offenlässt,
will ich nicht verhehlen. Ich bin sicher, dass der Gesetzgeber des Jahres 1965 sich Privatkopien in der heutigen
Form so noch nicht vorgestellt hat - sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Heute geht es eigentlich nicht mehr um Kopieren, sondern um Klonen einfach, schnell, ohne Qualitätsverlust und billig.
Deswegen müssen wir die verworrene Rechtslage auch
in einem nächsten Korb klarer machen. Die heutige verworrene Rechtslage nutzt dem Dreisten, der die Grenze
austestet. Der Ehrliche ist hier leider der Dumme. Deswegen sind in einem nächsten Korb - auch im Interesse der
Verbraucher und ihrer Rechtssicherheit - klare Grenzziehungen notwendig. Lassen Sie mich hier drei Punkte
nennen.
Erstens. Kopie nur vom Original. Das ist eine sehr
vernünftige und von uns seit längerem erhobene Forderung.
Zweitens. Wir sollten uns die Begründung zum § 52 b
des Gesetzentwurfes zum Vorbild nehmen und die Anzahl der zulässigen Privatkopien auf einen bestimmten
Höchstwert begrenzen.
Drittens. Vor allem sollten wir uns bemühen, das Problem der intelligenten Aufnahmetechniken relativ rasch
in den Griff zu bekommen. Derzeit kann man mithilfe
einer Software Tausende von Internetradiostationen abhören und auf diese Art und Weise sehr leicht und fast
kostenlos so viele Musikstücke, wie man möchte, auf
seinen eigenen Rechner herunterladen. Funktional ist
das nichts anderes als eine illegale Musiktauschbörse.
Dem müssen wir Einhalt gebieten.
Allerdings brauchen wir auch noch Aufklärungsarbeit
- das hat das Gesetzgebungsverfahren gezeigt - in Richtung des Bereichs Wissenschaft und Bildung. Wie ich
mit Bedauern zur Kenntnis genommen habe, sehen einige Professoren das Urheberrecht offenbar eher als Bedrohung denn als Chance, obwohl gerade die Wissenschaftler von dem geistigen Eigentum und für das
geistige Eigentum leben.
({4})
Genauso wenig, wie man erwarten kann, dass ein Privatmann ein Grundstück kostenlos für eine Universität
zur Verfügung stellt, nur weil man dort einen wichtigen
Hörsaal bauen will, wird man erwarten können, dass Urheber kostenlos ihr geistiges Eigentum für die Wissenschaft zur Verfügung stellen. Dieser Freibier-Mentalität
müssen wir Einhalt gebieten.
({5})
Faktum ist nun einmal, dass die meisten Wissenschaftler nicht nur auf der eigenen Homepage publizieren möchten, sondern auch bei einem Verlag. Deshalb
kann wissenschaftsfreundliches Urheberrecht gar nichts
anderes heißen als auch wissenschaftsverlagsfreundliches Urheberrecht.
Nahezu die gesamte Wissenschaftslandschaft ist
staatlich dominiert. Da tut ein privatrechtlich organisierter Tupfer ganz gut. Daher bin ich froh, dass wir - auch
in Zusammenarbeit mit den Bildungspolitikern; an dieser Stelle haben wir uns aufeinander zu bewegt; das will
ich ausdrücklich sagen - einen vernünftigen Ausgleich
der Interessen gefunden haben. Damit verhindern wir
eine schleichende Verstaatlichung der Wissenschaftsverlage. Das ist einer der größten Erfolge.
({6})
Abschließend möchte ich den Fraktionen, die mitgewirkt haben, meinen Dank aussprechen. Ich bedanke
mich vor allem bei dem Koordinator der Berichterstatterrunden, Herrn Manzewski, der dies mit sehr viel Umsicht und Kenntnis getan hat. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei der FDP, insbesondere bei Frau
Leutheusser-Schnarrenberger,
({7})
die bis zum Schluss dabeigeblieben ist. Das ist eine
Standhaftigkeit, die die Grünen leider nicht an den Tag
gelegt haben. Sie sind auf der Zielgeraden ausgeschert.
Das wird vielleicht beim nächsten Mal besser.
Heute ist nicht der Schlusspunkt im Urheberrecht.
Wir fassen zwar einen Beschluss zum Zweiten Korb.
Wir haben heute aber zugleich im Rechtsausschuss einen
Entschließungsantrag aufgelegt, der die Richtung für
den Dritten Korb weist. Es geht um viele wichtige Fragen, beispielsweise um die Kabelweitersendung und intelligente Aufnahmetechniken. Auch für die nächsten
Schritte im Urheberrecht gilt: Das Urheberrecht braucht
vielleicht bisweilen die Kreativität des Gesetzgebers; vor
allem aber brauchen die Kreativen das Urheberrecht.
Vielen Dank.
({8})
Nun hat das Wort Kollegin Petra Sitte, Fraktion Die
Linke.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich will es gleich an den
Anfang meiner Rede stellen: Die Linke wird dem sogenannten Zweiten Korb der Urheberrechtsnovelle nicht
zustimmen.
({0})
Wie in diesem Hause üblich, haben auch wir Verhandlungswillen signalisiert. Auch wir wollten, dass das
Urheberrecht den unterschiedlichsten Interessen Rechnung trägt: angefangen von den Urhebern über die Verlage und Verwertungsgesellschaften bis hin zu den Verbrauchern sowie Nutzern in Bildung und Wissenschaft.
Dies jedoch leistet aus unserer Sicht der Zweite Korb aus
mehreren Gründen nicht.
Der erste Grund betrifft die Urhebervergütung. In
einer Zeit, in der die Entwicklung von Medien und Medienträgern eine unglaubliche Umschlagsgeschwindigkeit hat, in der Inhalte im Internet so schnell verfügbar
sind und heute nicht absehbar ist, wie und in welchem
Format beispielsweise ein Zeitschriftenartikel später genutzt werden kann, muss sich der Gesetzgeber um den
Schutz des geistigen Eigentums kümmern. Er muss dafür Sorge tragen, dass die Kreativen in diesem Land, also
die Urheber und Urheberinnen, ihr Auskommen haben.
Immerhin hat es Änderungen am ursprünglichen Gesetzentwurf gegeben. Dieser sah im Falle der Abgabe
auf Kopiergeräte und Ähnliches noch vor, dass die Vergütungen an Gerätepreise gekoppelt werden sollten.
Dies aber - das können wir in jedem Elektronikmarkt
beobachten - wäre mit einem ständigen Sinken der Vergütungen verbunden gewesen. Die Einkommensspirale
wäre für die Urheber und Urheberinnen nach unten offen
gewesen. Dass das nun nicht kommen soll, finden wir
richtig. Aber auch die neue Regelung vollzieht, mit Verlaub gesagt, ebenjenen Systemwechsel. Statt Vergütungssätze pauschal und fest zu regeln, sollen Urheber
und Verwerter bzw. die Geräteindustrie gemeinsam eine
vertragliche Lösung finden. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht der Vertragspartner wird aber auch hier zu
einer Schlechterstellung der Urheber und Urheberinnen
führen. Das war bereits Gegenstand der Rede der Ministerin. Auch Herr Krings hat auf Probleme im Zusammenhang mit dieser Regelung hingewiesen.
Die gleichen Folgen hat die Streichung des § 31
Abs. 4 dieses Gesetzes. Danach ist es nun nicht mehr
verboten, Nutzungsrechte für Nutzungsarten einzuräumen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch
nicht bekannt sind. Das heißt also, ich kann im Zweifelsfall unter Druck gesetzt werden, ein Recht zu übertragen,
dessen wirtschaftlichen Wert ich nicht einschätzen kann.
An jedem neuen Medium kann sich die Verwertungsindustrie so künftig eine goldene Nase verdienen. Die
Linke findet, dass sich auch nach vielen Jahren Diskussion über das Urheberrecht an der ursprünglichen Aufgabe, bei der der Umstand beachtet werden muss, dass
Urheber schutzbedürftig sind, nichts geändert hat. Wir
wollen, dass die bisherige Schutznorm des Gesetzes erhalten bleibt.
Der zweite Grund, warum der Zweite Korb aus Sicht
der Linken nicht zustimmungsfähig ist, betrifft die Inte11150
ressen von Wissenschaft und Bildung. Wir haben darüber gestern im Ausschuss noch einmal intensiv geredet. Der Entwurf, über den wir abzustimmen haben, trägt
offiziell den Titel - ich erinnere daran - „Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der
Informationsgesellschaft“. Wir haben den Eindruck,
dass man die Informationsgesellschaft irgendwie aus den
Augen verloren hat.
In den letzten Jahren wurden an den Hochschulen
über 4 Millionen lokale Netzwerke eingerichtet. Unibibliotheken wurden von jedem Arbeitsplatz auf dem
Hochschulcampus virtuell zugänglich. Mit dem Zweiten
Korb werden nun genau diese Investitionen in den
Onlinezugriff zunichte gemacht. Das heißt, künftig müssen Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wieder in die Bibliothek wackeln. Das ist
doch wohl kein Fortschritt. Die Linke sagt, dass das
Wissen zu den Nutzern kommen muss, nicht umgekehrt.
Schneller Wissenszugang ist immerhin das A und O einer modernen Informationsgesellschaft. Deshalb sind
wir für eine - wohlgemerkt - campusweite Nutzung.
Außerdem hinkt der Gesetzentwurf selbst den EUDebatten hinterher. Anders als im Gesetzentwurf schlägt
die EU-Kommission nämlich ein Open-Access-Modell
vor. Das heißt: Öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse dürfen nicht privatisiert werden; sie sollen frei zugänglich sein. Leser sind doch auch Steuerzahler und
sollten als solche nicht doppelt zur Kasse gebeten werden. Genau das würde aber passieren, wenn sie das gewonnene Wissen allein in gekauften Zeitschriften und
Büchern nachlesen könnten.
Auch der Kopienversand durch öffentliche Bibliotheken ist aus unserer Sicht nicht ausreichend geregelt.
Der Kopienversand für Schüler, Studierende und Forschende soll sich an den im Geschäftsverkehr geltenden
Bedingungen orientieren. Das bedeutet doch ehrlich gesagt nichts anderes, als dass es zu einer Verteuerung des
Wissenszugangs kommen wird. Wir wollen aber gerade
nicht, dass es zusätzliche Preisbarrieren gibt und es zu
einer Verteuerung des Wissens kommt.
({1})
Mein dritter und letzter Einwand betrifft die Privatkopie. Sie ist nach wie vor nicht durchsetzungsfest im
Sinne der Verbraucher geregelt. Vielmehr nehmen technische Schutzmaßnahmen der Anbieter immer mehr zu,
während der Datenschutz der Nutzer auf der anderen
Seite immer mehr abnimmt. Der Schutz von Verbraucherdaten vor unzulässiger Weitergabe an die Anbieter
von Internetdiensten gehört nach Auffassung der Linken
sehr wohl zu den Aufgaben des Gesetzgebers.
Schließlich - es ist klar, dass ich das hier noch einmal
anspreche - kritisieren wir die fehlende Bagatellklausel.
Natürlich kann Strafrecht immer nur Ultima Ratio sein.
Gerade weil wir keine Kriminalisierung der Schulhöfe
wollen, wäre ein Strafausschließungsgrund im Bagatellbereich echt angesagt gewesen.
Das, meine Damen und Herren, sind im Wesentlichen
die Gründe, weshalb wir dem Zweiten Korb nicht zustimmen werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jerzy Montag,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
es heute mit einem Zwischenergebnis bei der Reform
des Urheberrechts zu tun. Zwischenergebnis deswegen,
weil viele Probleme nicht gelöst sind, weil wir ganz sicher in Zukunft durch die technische Entwicklung neue
Herausforderungen meistern werden müssen, aber auch
weil Notwendiges nicht oder falsch gelöst worden ist.
Zwischenergebnis bedeutet auch Zwischenbilanz. Die
fällt aus unserer Sicht nicht eindeutig aus. Das Gesetz
kennt Licht und Schatten und hat vor allem etliche Löcher hinsichtlich der Regelungen.
Ich will zuerst die positiven Dinge erwähnen. Die Änderung der Pauschalvergütung ist ein Fortschritt. Wir
sind weg von dem etatistischen Modell. Die Parteien des
Verfahrens zur Festlegung der Pauschalvergütung können miteinander verhandeln. Die Bundesregierung - das
ist schon angesprochen worden - hat die eine Seite aber
mit Hand- und Fußfesseln in die Verhandlungen geschickt. Lieber Herr Kollege Krings, so billig kommen
Sie nicht davon. Ich kenne in Ihrer Koalitionsvereinbarung keine Regelung, die besagt, dass die Anweisungen
des alten Bundeskanzlers für Sie weiterhin gelten. Diese
Hand- und Fußfesseln waren nämlich Bestandteil des
Gesetzentwurfs Ihrer Bundesregierung. Es bedurfte der
gemeinsamen Kraft auch der Oppositionsparteien, diese
Fuß- und Handfesseln loszuwerden.
({0})
Wir haben in diesem Gesetzentwurf zum ersten Mal
eine Regelung zum Open Content. Der Urheber behält
ein einfaches Verwertungsrecht; das ist so festgehalten.
Wir haben neue Schranken zugunsten von Bildung und
Wissenschaft. Das ist ein ganz gewichtiger Fortschritt.
Auch bei den unbekannten Nutzungsarten ist ein Fortschritt erzielt worden. Dieser Fortschritt wurde aber erst
durch die Arbeit des Parlaments, insbesondere der Opposition, möglich. Die Opposition hat dafür gesorgt,
dass die Urheber - Frau Sitte hat völlig recht: sie sind
die Schwächeren - vor Beginn der Verwertung die Möglichkeit zum Widerspruch haben. Erst dadurch haben sie
eine starke Position. Diese Änderung, dieses Widerspruchsrecht haben wir im Parlament aber erst erstreiten
müssen.
Damit komme ich zur Kritik. Erstens. Meine Damen
und Herren von der Koalition, Sie haben die Filmschaffenden schlechter behandelt als andere Urheber und
Künstler. Sie haben sie sehr effektiv diskriminiert.
({1})
In Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der SPD
sage ich: Wir haben in dieser Sache vor einigen Tagen
ein Schreiben des Bundesverbandes Regie erhalten. Ich
erlaube mir, einige Sätze daraus zu zitieren:
Seit es Film gibt, seit 1892, haben alle Gesetzgeber,
ob sie in ihrer Mehrheit konservativ, liberal oder sozial waren, Filmurheber wie andere Urheber geschützt. Wir bitten Sie, den heutigen Gesetzgeber,
dringend, diese Tradition fortzusetzen. Verhindern
Sie bitte unsere faktische Enteignung.
Meine Damen und Herren von der SPD, die Namen,
die unter diesem Schreiben stehen, sind interessant; sie
sind Ihnen aus so manchen Künstlerinitiativen zur Unterstützung der SPD und des früheren Bundeskanzlers
Schröder sehr gut bekannt: Margarethe von Trotta,
Volker Schlöndorff und Hark Bohm. Sie behandeln sie
so, dass sie sich als von Ihnen enteignet ansehen.
({2})
Ich komme zum zweiten Kritikpunkt. Elektronische
Leseplätze sind zum ersten Mal gesetzlich geregelt. Das
ist gut und richtig. Aber warum soll es sie nicht auch in
Schulen und Hochschulinstituten geben, warum nicht in
allen öffentlich zugänglichen Bildungseinrichtungen?
Natürlich wären es dann mehr geworden. Aber das wäre
doch nicht schlecht, sondern gut.
({3})
Wir hätten dann überlegen müssen, ob die eine oder die
andere Institution unter die Regelung fällt. Das wäre mir
aber lieber gewesen als Ihr ängstlicher, kleiner, erster
Schritt in diese Richtung.
Warum gibt es eigentlich nur so viele Leseplätze wie
Buchexemplare? Warum wird das nicht dem Bedarf der
Nutzerinnen und Nutzer angepasst? Das wäre eine faire
Lösung gewesen.
({4})
- Nein, lieber Kollege. Wir hätten natürlich zugestimmt,
wenn Sie die Vergütung entsprechend angepasst hätten.
({5})
Sie greifen zu dem falschen Mittel und begrenzen so die
Zukunft in der Bildungslandschaft. Das wird von uns
heftig kritisiert.
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?
Aber gerne.
Herr Kollege, auch wenn dieser Gesetzentwurf in erster Linie von der Großen Koalition getragen wird, muss
ich sagen, dass Sie mich etwas verwirren.
({0})
Sie haben eben aus einem Brief vorgelesen, in dem von
der Enteignung der Filmschaffenden die Rede ist. In diesem Zusammenhang haben Sie Margarethe von Trotta
und andere genannt. Eine Minute später aber sprachen
Sie davon, dass in Universitäten, Schulen und Bibliotheken ein unbegrenzter Zugang zu digitalen Dokumenten
zulässig sein sollte. Halten Sie das nicht für eine Enteignung der Urheber?
({1})
Lieber Kollege Otto, es verwundert mich, dass Sie
verwundert sind.
({0})
Ich kann das aber erklären, und zwar in einer Art und
Weise, dass auch Sie es verstehen werden.
({1})
Lieber Kollege Otto, das Urheberrecht ist ein allgemeines, absolutes Recht, das gegen jedermann gilt. Das
gilt auch für das Urheberrecht am geistigen Eigentum.
Das soll nach meiner Meinung auch so bleiben. Aber
kein Eigentumsrecht gilt absolut.
({2})
In einer Gesellschaft wie der, in der wir leben, müssen
sich alle Eigentumsrechte Schranken zugunsten anderer
gemeinwohlverpflichteten Institutionen gefallen lassen.
Der positive Aspekt dieses Gesetzentwurfs ist, dass es
eine neue Schranke des Urheberrechts gibt, und zwar
zugunsten von Bildung, Forschung und Wissenschaft.
Diese neue Schranke ist notwendig, aber sie muss zukunftsgerichtet sein. Deswegen wollen wir, dass so viele
Leseplätze in öffentlichen Einrichtungen, zum Beispiel
Hochschulinstituten, installiert werden, wie die Nutzerinnen und Nutzer, die Studentinnen und Studenten sie
für ihr Studium benötigen. Das ist keine Enteignung;
denn ich plädiere dafür, dass eine angemessene Vergütung gezahlt wird. Sie aber lehnen die Schranke offensichtlich insgesamt ab. Daher müssen Sie sich gefallen
lassen, gefragt zu werden, warum Sie bei der Förderung
von Bildung, Forschung und Wissenschaft so mickrig
sind.
({3})
Ich komme zum dritten Kritikpunkt. Er betrifft den
elektronischen Kopienversand. Dies ist ebenfalls eine
neue Schranke, und das ist gut und richtig so. Aber es
hätte auch hier eines fairen Ausgleichs der Interessen
beider Seiten bedurft. Es geht einerseits um das Interesse
der Verlage - auch kleiner Wissenschaftsverlage -, andererseits um das Interesse der Studentinnen und Studenten, Kopien auf einem Wege zu erhalten, der ihren ökonomischen Umständen angemessen ist, so wie es heute
in einem juristischen Graubereich schon lange stattfindet. Wir haben darum gekämpft und gerungen. Wir haben mit Ihnen darüber diskutiert, ob wir nicht auch soziale und bildungspolitische Aspekte in den Begriff der
Angemessenheit implementieren können. Aber nein, Sie
haben nur die wirtschaftlichen Aspekte angesprochen.
Dazu sage ich Ihnen: Wenn in diesem Bereich Angemessenheit nur bedeutet, dass die Regelung für die Verlage
angemessen ist, aber nicht für die Studentinnen und Studenten, dann bin ich eher dafür, dass das Verlagsprivileg
fällt.
Vierter Kritikpunkt - wieder an die SPD gewandt -:
Wir haben den Bruch eines Versprechens zu konstatieren. Sie haben beim Ersten Korb des Urheberrechts versprochen, dass wir uns beim Zweiten Korb des Urheberrechts für eine durchsetzungsstarke digitale Privatkopie
für redliche Nutzer starkmachen werden.
({4})
Diese Position haben Sie verlassen; Sie sind vor der
Union in die Knie gegangen. Wir wissen, dass wir in diesem Hause mit der Forderung nach einer durchsetzungsstarken Privatkopie alleine dastehen. Aber wir wissen
auch: Draußen, in der Gesellschaft ist das ganz anders.
Wir werden deshalb auch in Zukunft dafür streiten, dass
es eine solche durchsetzungsstarke Privatkopie gibt.
({5})
Das gilt in gleicher Weise für die Bagatellklausel.
Natürlich ist es richtig und notwendig, im Bagatellbereich das Strafrecht zurückzudrängen. Der zivilrechtliche Schutz der Urheber bleibt ja weiterhin erhalten. Dass
Sie auf die Schulhöfe Staatsanwälte und Polizisten schicken wollen,
({6})
ist vielleicht aus Ihrer Sicht eine vernünftige Lösung, für
die Jugend aber nicht.
Wir sagen Ihnen: Der Gesetzentwurf weist Licht und
Schatten auf. Wir können ihm aufgrund seiner Fehler
nicht zustimmen. Wir wollen ihn aber auch nicht ablehnen, weil er gute, in die Zukunft weisende Elemente enthält. Deswegen werden wir uns in der Schlussabstimmung enthalten.
Die Debatte über das Urheberrecht geht weiter. Die
Grünen werden weiter dabei sein.
Danke.
({7})
Ich erteile Kollegen Jörg Tauss das Wort, damit er an
seinem Geburtstag unablässig reden darf.
({0})
Ich habe vorhin schon gefragt, Herr Präsident, ob das
Lebensalter am Tag des Geburtstags der Redezeit entspricht. Dann hätte ich die Gelegenheit, auf viel mehr
einzugehen, als in den vier Minuten Redezeit, die ich
jetzt habe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal
recht herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen
aus dem Bereich Recht, dass wir - ich habe jetzt zwei
Hüte auf: einen aus dem Bereich Kultur und Medien, einen anderen aus dem Bereich Bildung, Wissenschaft und
Forschung - noch einige Anmerkungen zu diesem
Thema machen können. Vielleicht können wir auch die
eine oder andere Verwirrung, die aufgekommen ist, lieber Kollege Otto und lieber Kollege Montag, klären.
Zunächst einmal zum Wegfall der Bagatellklausel.
Ich denke, wir sollten hier ein bisschen abrüsten. Ich
sehe hier weder den Untergang des Abendlandes, den
die Wirtschaft als Popanz aufgebaut hat, noch eine Kriminalisierung der Schulhöfe. Es gibt immer noch Staatsanwälte, die auf vernünftige Weise abwägen.
Allerdings gibt es ein Problem, dem wir uns zuwenden müssen; das würde ich auch der FDP empfehlen. Ich
bin der Justizministerin sehr dankbar, dass sie die Abmahnungen zu einem Thema macht. Wir laufen nämlich
Gefahr, dass es im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung erstmals möglich wird, dass öffentlich und eigentlich nur für Strafrechtszwecke gesammelte Daten Privaten überlassen werden.
({0})
Dadurch könnte es geschehen - Kollege Otto hört jetzt
bitte weg -, dass eine Goldgräbermentalität hervorgerufen wird und der eine oder andere in Form von Abmahnungen und Rechtsanwaltsgebühren, die nicht in Ordnung sind, Tausende von Jugendlichen zur Kasse bittet.
({1})
Über dieses Thema müssen wir aber diskutieren, wenn
es um Abmahnungen geht.
Aus kultur- und medienpolitischer Sicht begrüßen wir
viele in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen
ausdrücklich. Wir haben nach der Anhörung und nach
einem sehr intensiven Austausch mit vielen Künstlerinnen und Künstlern, mit Kulturschaffenden und Kreativen
wichtige Änderungen gegenüber dem ursprünglichen
Gesetzentwurf im Gespräch mit unseren Kollegen
Rechtspolitikern angeregt und letztlich auch in den vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen.
Die unbekannten Nutzungsarten sind ein wesentlicher Punkt. In der Tat ist es eine wichtige Frage in der
Informationsgesellschaft, was geschieht, wenn aufgrund
der technischen Entwicklung neue Nutzungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zum Zeitpunkt der Schaffung eines Werkes noch nicht absehbar waren. Ich
glaube, hier haben wir eine gute Lösung hinbekommen.
Die Vergütungspflicht ist von allen Rednerinnen und
Rednern und auch von der Kollegin Zypries angesprochen worden. Wichtige Stichworte sind in diesem Zusammenhang der doppelte Flaschenhals und die Tauglichkeit der Geräte als Basis der Vergütung. 5 Prozent
des Gerätepreises als Urhebervergütung ist eine problematische Regelung. Aber auch hier haben wir eine, wie
ich denke, ordentliche Regelung getroffen.
Die Industrie kritisiert diesen Kompromiss; das bedaure ich sehr. Da die Urheber die Befürchtung hatten, in
erheblichem Maße Einkommen zu verlieren, hatte ich
die Industrie gebeten, den Urhebern zu signalisieren,
dass sie mit dieser Regelung nicht bezweckt, die Vergütungen der Urheber in den Keller zu fahren, sondern dass
die Vergütungen in der bisherigen Höhe beibehalten
bzw. fortentwickelt werden sollen. Dieses Signal ist leider über Monate hinweg ausgeblieben. Deshalb ist dieses Problem entstanden. Auf merkwürdige Anzeigenkampagnen wie die, die derzeit in der einen oder anderen
Computerzeitschrift zu finden ist - dort heißt es unter
anderem, dass ein Drucker jetzt 300 Euro mehr kostet
und der Bundestag daran schuld sei -, sollte man verzichten. Solche Albernheiten sollte man besser unterlassen. Hier geht es um etwas anderes. Die Industrie hat
sich hiermit keinen Gefallen getan.
({2})
Nun zum Film. Hier gibt es in der Tat einige Aspekte,
die beobachtet werden müssen; sie sind auch im zur Abstimmung stehenden Entschließungsantrag enthalten.
Allerdings muss ich mit einer gewissen Kritik in Richtung der Vertreter des Films sagen - das ist bei solchen
Gesetzgebungsverfahren immer ein Problem -: Die Urheber haben uns immer etwas völlig anderes erzählt als
die Produzenten. Produzenten ohne Künstler gibt es
nicht, und Künstler können nicht ohne Produzenten arbeiten. Ich hätte mir daher gewünscht, dass die Vertreter
des Films mit einer Stimme gesprochen hätten. Wenn
das nicht möglich ist und man im Nachhinein mit einem
Kompromiss nicht zufrieden ist, hat man natürlich ein
kleines Problem.
Was Bildung, Wissenschaft und Forschung angeht,
glaube ich in der Tat, dass es hier ein paar Missverständnisse gibt. Lieber Kollege Krings, beim Thema Open
Access geht es um die Frage, wie wir mit öffentlich geschaffenen Mitteln umgehen: Kann es sein, dass wir das
Wissen in Bibliotheken schaffen, es anschließend an
Verlage weitergeben und es dann für viel Geld zurückkaufen? Als ich diese Fragen einmal auf einer Buchmesse gestellt habe, wurde ich dort als Internetkommunist beschimpft. Das ist nicht der richtige Weg, um
dieses Problem zu lösen.
Kollege Krings, die deutsche UNESCO-Kommission
hat zu diesem Thema ein Büchlein herausgegeben, in
dem auch ein wichtiger Beitrag von mir enthalten ist.
Lesen Sie doch einmal nach, was in diesem Buch zum
Thema Open Access steht.
({3})
Das richtet sich nicht gegen die Verlage. Hier geht es allenfalls gegen die Verlage, die die Zeichen der Zeit nicht
erkannt haben und miserable Geschäftsmodelle aus der
Vergangenheit haben.
({4})
Die modernen Verlage wissen: Das ist eine Riesenchance, die wir durch das Urheberrecht allerdings nicht
beeinträchtigen dürfen. Daher, Frau Ministerin, werden
wir anregen, in einem Dritten Korb des Urheberrechts
mit Blick auf Bildung und Wissenschaft erneut sorgfältig
über das eine oder andere Problem nachzudenken.
Ich bedanke mich für die guten Diskussionen mit den
Kolleginnen und Kollegen Rechtspolitikern. Die noch
offenen Fragen in den Bereichen Film, Wissenschaft und
Forschung werden wir nicht nur beobachten. Wir werden
unsere Bemühungen weiterhin bündeln, um zu positiven
Ergebnissen zu kommen. - Wie ich sehe, habe ich meine
Redezeit bereits überzogen.
Ich bedanke mich für das Zuhören.
({5})
Die überzogene Redezeit war ein Geburtstagsgeschenk an Sie.
Ich erteile das Wort Kollegen Carsten Müller, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Vorredner haben es schon gesagt: Es war tatsächlich ein außergewöhnlich zeitraubender Prozess, dieses wichtige
Vorhaben zu einem, wenn auch nicht ganz guten, so
doch gut vertretbaren Ende zu bringen.
Mir sei an dieser Stelle gestattet zu sagen: Ich finde es
schon merkwürdig, dass ausgerechnet die Linksfraktion
hier mit markigen Worten auffällt,
({0})
deren Hauptberichterstatter im federführenden Ausschuss, im Rechtsausschuss, wie mir glaubwürdig versichert wird, überwiegend durch Abwesenheit geglänzt
haben und die sich auch an den Erörterungen im Ausschuss für Bildung und Forschung nur pro forma beteiligt hat. Ihre Einwände sind also nicht wirklich ernst zu
nehmen.
In einer Zeit, in der die technische Entwicklung immer schneller wird, müssen wir stets auch das Urheberrecht anpassen. Lange, schwierige Verhandlungen haben
Carsten Müller ({1})
schließlich zu einem Ergebnis geführt, das den digitalen
Fragestellungen Rechnung trägt. Digitale Fragestellungen können nicht analog beantwortet werden. Wir haben
in den letzten Wochen noch gute Fortschritte für Bildung
und Forschung erzielt. Im Wesentlichen greifen wir die
Forderung auf, die sich in der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft manifestiert hat.
Darüber hinaus greifen wir eine wesentliche Forderung
des Koalitionsvertrages auf. Dort ist die Rede von einem
wissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheberrecht.
({2})
Wir werden dieser wichtigen Forderung mit dem heutigen Vorschlag und den entsprechenden Anträgen durchaus gerecht.
An dieser Stelle sei mir erlaubt, anzumerken: „Wissenschaftsfreundlich“ heißt nicht in erster Linie „wissenschaftsverlagsfreundlich“.
({3})
Wenn sich ein Vertreter eines Wissenschaftsverlages für
den Urheber im materiellen Sinne hält, unterliegt er
demselben Irrtum wie der Flugzeugführer, der sich für
einen Vogel hält. Wir müssen also in erster Linie die Interessen der Urheber im materiellen Sinne wahren, und
das ist uns in Teilen gelungen.
({4})
Die Große Koalition greift auf, dass Wissenschaft und
Forschung neben einer nennenswerten finanziellen Ausstattung günstige Rahmenbedingungen brauchen. Ich
möchte einige der aus bildungspolitischer Sicht wichtigen Ergebnisse darstellen: Der Kopienversand auf Bestellung ist jetzt zulässig, er ist kodifiziert und meines
Erachtens gut verträglich geregelt. Der Kopienversand
kann in dem Moment ohne Weiteres erfolgen, wenn ein
Onlineangebot von Verlagen nicht offensichtlich und
nicht zu angemessenen Konditionen zu erhalten ist. Das
trägt den wesentlichen Forderungen Rechnung.
({5})
Darüber hinaus ist es uns gelungen, eine praktikable Regelung für elektronische Leseplätze in den Gesetzentwurf einfließen zu lassen. Die Begründung zu lesen, sei
jedem anempfohlen. Hier besteht nämlich nicht das Problem, das der Kollege Montag an die Wand gemalt hat.
Unsere Lösung ist veritabel.
In einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen werden die wichtigen Punkte aufgegriffen, die zur
Lösung in einem Dritten Korb anstehen. Ich bin mir sicher, dass wir in einer vergleichbar kooperativen Zusammenarbeit mit den Rechtspolitikern auch hier zu guten
Lösungen kommen werden.
({6})
Wir sollten unseren Blick einmal über die Grenzen
Deutschlands hinausschweifen lassen und uns anschauen, wie es zum Beispiel mit dem Crown Copyright
in anderen Ländern funktioniert, damit öffentlich finanzierte Forschung und Erkenntnisse nicht wieder teuer
mit Steuergeldern eingekauft werden müssen.
Wir schließen heute eine Etappe ab und beginnen mit
den Vorbereitungen für die nächste Etappe, für den Dritten Korb: für das Urheberrecht im Bereich Bildung und
Wissenschaft. Ich freue mich schon heute auf die kooperative Zusammenarbeit mit den Kollegen vom Rechtsausschuss, mit den Kollegen vom Koalitionspartner.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Dirk Manzewski, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eingestehen - Sie
können sich das nach den heutigen Reden vielleicht vorstellen -, dass ich mir bei diesem Gesetzgebungsverfahren häufig gewünscht habe, dass im Bundestag nur
Rechtspolitiker sitzen.
({0})
Denn dann wäre vermutlich vieles einfacher gewesen.
({1})
Gerade beim Urheberrecht muss man jedoch akzeptieren, dass dem nicht so ist, weil gerade in diesem Bereich viele unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen.
({2})
Es gibt neben uns Rechtspolitikern unsere Verbraucher-,
Bildungs-, Medien- und natürlich auch Wirtschaftspolitiker. Jeder von diesen Kolleginnen und Kollegen geht mit
einer völlig anderen Grundhaltung an das Thema Urheberrecht heran. Das erfordert Kompromisse von allen,
und zwar schon innerhalb der einzelnen Fraktionen.
Deshalb freut es mich ganz besonders, dass es uns bei
diesem schwierigen Thema wieder einmal zumindest
teilweise gelungen ist, überfraktionell einen Konsens zu
erreichen.
({3})
Wir sind dem Vorschlag der Ministerin gefolgt, im
Bereich der Pauschalvergütung einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Die Parteien sollen sich künftig
grundsätzlich zusammensetzen und die Abgaben individuell aushandeln. Ich persönlich hätte - ähnlich wie der
Kollege Krings; das zu sagen, muss schon erlaubt sein einen anderen Lösungsweg bevorzugt, und zwar durch
Modernisierung und dauernde Fortschreibung der bisher
hierfür maßgeblichen Anlage.
({4})
Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass
schon heute, soweit es die digitale Technik betrifft, die
Anlage veraltet ist und sich die Parteien schon jetzt zusammensetzen und die entsprechenden Abgaben individuell aushandeln. Zudem bleibt - auch das ist nicht ganz
unwichtig - dem Ministerium ein erheblicher Arbeitsaufwand erspart. Frau Ministerin, ich mag auch gar nicht
daran denken, was für ein Einfluss von außen jeweils auf
Sie eingewirkt hätte, wenn Sie diese Anlage fortzuschreiben hätten.
Wir haben im Übrigen mit dem Entschließungsantrag
unter anderem deutlich gemacht, dass wir, sollten sich
unsere Erwartungen in Bezug auf schnellere Vereinbarungen nicht erfüllen, gegebenenfalls wieder zum alten
System zurückkehren müssen. Nur folgerichtig war es
mit Blick auf den Paradigmenwechsel dann - das hat
Kollege Krings angesprochen -, sowohl die angedachte
Eingangshürde - der nennenswerte Umfang - als auch
den oberen Flaschenhals - die 5-Prozent-Klausel - zu
streichen. Denn zum einen finde ich es unbillig, den Parteien zwar einerseits die Vereinbarungshoheit zu übertragen, diese dann aber andererseits für eine Seite gleich
zweifach einzuschränken. Zum anderen wäre es nicht
gerecht, die Urheber die Geiz-ist-geil-Mentalität von
Gesellschaft und Wirtschaft ausbaden zu lassen. Wenn
ich sehe, dass ein Kopierer, der heute 100 000 Kopien
schafft und 200 Euro kostet, morgen bereits das Doppelte an Leistung erbringt und nur noch halb so teuer ist,
dann weiß ich ganz genau, wohin die Reise für die Urheber und die Pauschalabgabe gegangen wäre. Das kann
von uns nicht gewollt sein.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch drei
kurze Sätze zur Bitkom sagen, die gerade den Untergang
des Abendlandes anmahnt und der Bevölkerung weiszumachen versucht, dass die Geräte unheimlich teuer werden würden.
Erstens: Das Pauschalvergütungssystem auf Geräte
gibt es schon seit ewigen Zeiten. Es tritt insoweit keine
Veränderung für die Geräteindustrie ein. Zweitens:
Durch die Streichung von Eingangshürde und oberem
Flaschenhals streichen wir nur die angedachten Besserstellungen für die Geräteindustrie. Wir halten damit den
bestehenden Status quo aufrecht, ändern also nichts.
Drittens: Trotz des Pauschalvergütungssystems in
Deutschland haben wir sehr niedrige Gerätepreise, wenn
nicht gar die niedrigsten in Europa. Das macht deutlich,
dass die Kritik der Bitkom aus der Luft gegriffen ist.
Wir haben uns darauf verständigt, dass von nun an Verträge über noch unbekannte Nutzungsarten zulässig sein
sollen. Das ist sachgerecht und entspricht den Bedürfnissen der heutigen Zeit. Wir haben jedoch Wert darauf gelegt, dass das Widerrufsrecht bei Neuverträgen auch ein
solches darstellt und nicht leer läuft. Bei Altverträgen haben wir durch Veränderungen sichergestellt, dass für die
Nutzung auch Vergütung fließt. Bei Bildung und Forschung haben wir Zugeständnisse gemacht. Anders als
bisher können in öffentlichen Bibliotheken, Museen und
Archiven Bestände aus diesen Einrichtungen eingeschränkt an elektronischen Leseplätzen wiedergegeben
werden. Frau Dr. Sitte, auch wenn das teilweise heute so
vorgehalten wird, ist das nicht zulässig. Insoweit ist das
eine Verbesserung. Zudem ermöglichen wir zur Veranschaulichung des Unterrichts und der wissenschaftlichen
Forschung den elektronischen Kopienversand auf Bestellung, soweit die Verlage nicht offensichtlich und zu angemessenen Bedingungen ein entsprechendes Angebot
selbst anbieten.
Ich bin mir durchaus bewusst - das ist hier heute ja
auch deutlich geworden -, dass für den Bereich Bildung
und Forschung eine noch höhere Erwartungshaltung bestand. Soweit es den Kopienversand betrifft, waren
unsere Möglichkeiten aber durch die entsprechende
europäische Richtlinie und durch während des Gesetzgebungsverfahrens geäußerte Bedenken der Europäischen
Kommission stark eingeschränkt.
Ich halte die Kritik, mit der ein wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht angemahnt wird, für nicht berechtigt. Ich kann zwar durchaus nachvollziehen, dass
sich mancher Hochschulrektor oder -professor angesichts immer geringer werdender Zuweisungen mehr
Freiräume bei der Nutzung des geistigen Eigentums gewünscht hätte. Seien wir aber doch einmal ganz ehrlich:
Das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang liegt
doch klar auf der Hand und ist leider bislang noch nicht
genannt worden. Es wird immer wieder propagiert, wie
wichtig Bildung und Forschung sind - insbesondere die
Bundesländer liefern sich hier geradezu einen Wettstreit -,
doch kosten dürfen Bildungsinhalte offensichtlich nichts
mehr. Die fehlende Finanzausstattung der Hochschulen
durch die Länder kann doch nicht zulasten der Urheber
gehen.
({5})
Hier ist vorgetragen worden, dass es gegebenenfalls
möglich wäre, etwas mit Lizenzverträgen zu machen.
Auch das ist heute schon möglich. Natürlich kann sich
eine Universität, wenn sie Geld in die Hand nimmt,
eins a ausstatten. An dem Geld scheitert es aber eben.
Ich finde, in einem Land wie Deutschland, das wie kein
anderes auf die Köpfe seiner Menschen angewiesen ist,
darf geistiges Eigentum nicht verscherbelt werden;
denn wenn es sich nicht mehr lohnt, geistiges Eigentum
zu publizieren und zu entwickeln, dann wird das letztendlich auch zulasten von Bildung und Forschung gehen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Bildungspolitikern zugesichert, dass wir insbesondere die
Problematik des sogenannten Zweitverwertungsrechts
im Rahmen des Dritten Korbs behandeln werden. Dazu,
liebe Bildungspolitiker der Koalition, stehen wir auch.
Lassen Sie mich noch ganz kurz auf die Problematik
der Bagatellklausel eingehen. Der Kollege Krings hat es
angesprochen - ich sehe das genauso -: Wir haben in unserer Gesellschaft das große Problem, den Menschen die
Bedeutung des geistigen Eigentums klarzumachen.
({7})
Insbesondere bei der Nutzung des Internets sind viele
leider der falschen Auffassung, dass sämtliche dort vorgefundenen Inhalte frei und vor allen Dingen kostenlos
zur Verfügung stehen.
({8})
Ich glaube, wir würden ein fatales Zeichen setzen,
wenn wir einerseits zwar die illegale Nutzung und Verbreitung verbieten, andererseits aber verlauten lassen
würden, dass ein verbotswidriger Umgang in dem Zusammenhang sanktionslos bleibt. Ich meine, bei der illegalen Nutzung - davon rede ich, Kollege Montag - würden alle Dämme brechen.
Im Übrigen kann ich Ihnen auch versichern, dass es
zu keiner Kriminalisierung der Schulhöfe kommen wird;
denn eines muss man einmal deutlich sagen: Dieses Verbot gilt schon jetzt.
({9})
Mir ist nicht bekannt, dass es insoweit zu einer Kriminalisierung der Schulhöfe gekommen ist,
({10})
eben auch deshalb nicht, weil die Staatsanwaltschaften
hier mit dem gebotenen Augenmaß vorgehen.
Kollege Montag, ich finde es auch ganz merkwürdig,
dass man den Diebstahl geistigen Eigentums sanktionslos, die unerlaubte Telefonwerbung aber bußgeldbewehrt
stellen möchte. Ich habe ja nichts gegen Letzteres; aber
Sie müssen mir einmal erklären, welche Verhältnismäßigkeit hier noch besteht. Was kommt als Nächstes? Sollen wir demnächst auch das Graffitisprühen straflos stellen, weil wir ansonsten die Schulhöfe kriminalisieren
würden?
Ich verstehe Sie wirklich nicht mehr. Offensichtlich
haben die Rechtspolitiker innerhalb der Partei der Grünen nichts mehr zu sagen und werden nicht mehr ernst
genommen. Ich nehme Sie jedenfalls nicht mehr ernst.
Ich finde es auch sehr verwunderlich, dass Sie die Urheber gegenüber der Geräteindustrie zwar hochleben lassen, dass Ihnen aber dann, wenn es die Bildung oder die
Verbraucher betrifft, geistiges Eigentum offensichtlich
überhaupt nichts mehr wert ist.
({11})
Lassen Sie mich abschließend aber versöhnlich werden. Ich möchte mich bei allen für die gute Zusammenarbeit bedanken,
({12})
insbesondere bei Ihnen, Frau Kollegin LeutheusserSchnarrenberger, und natürlich auch bei meinem Kollegen Günter Krings von der Union und seinem Mitarbeiter; auch er sollte hier einmal erwähnt werden. Ganz besonders bedanke ich mich bei Frau Dr. Pakuscher und
Herrn Dr. Henrichs vom BMJ und auch bei der Ministerin,
({13})
die versucht hat, jeden Termin - selbst innerhalb der Koalition; das muss man wirklich so deutlich sagen - persönlich wahrzunehmen.
Kollege Montag, selbst bei Ihnen möchte ich mich bedanken;
({14})
denn bis zur heutigen Rede habe ich Ihre Argumentation
ganz gut nachvollziehen können.
({15})
Ich weiß auch ganz genau, dass es nicht an Ihnen gelegen hat, dass es mit Ihrer Fraktion zu keinem Konsens
gekommen ist.
Zur Linkspartei lassen Sie mich noch Folgendes sagen:
({16})
Frau Kollegin Dr. Sitte, Sie haben hier dargelegt, dass
Sie Verhandlungswillen gezeigt haben. Ich weiß, dass
ich mit Ihnen jetzt möglicherweise die falsche Person
treffe. Wir haben nach der Anhörung sehr viele Gespräche geführt. An dem ersten Gespräch, in dem wir
die Anhörung ausgewertet haben, hat noch Frau
Dr. Jochimsen teilgenommen. Zu all den wichtigen Gesprächen danach ist trotz Einladung und versuchter Einbindung niemand von Ihnen mehr gekommen.
({17})
Sie haben Ihre Referenten geschickt, die deutlich gemacht haben, dass sie nicht aussagefähig sind. Auch
wenn ich, wie gesagt, weiß, dass ich mit Ihnen die falsche Person treffe - vielleicht hätte man sich von Anfang
an einigen sollen, dass Sie das Thema übernehmen finde ich insofern die Kritik nicht ganz berechtigt. Wenn
heute Herr Nešković gesprochen hätte,
({18})
hätte ich diese Kritik als Frechheit bezeichnet.
Gleichwohl glaube ich, dass heute ein guter Tag für
das Urheberrecht ist, und möchte mich bei Ihnen allen
dafür bedanken.
Danke schön.
({19})
Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Geis, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Tauss, ich gratuliere Ihnen zum Geburtstag.
({0})
- Ich habe nur vier Minuten Redezeit und bitte um Verständnis, dass ich nicht im Einzelnen auf Ihre Zwischenrufe eingehen kann.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir verabschieden heute einen sehr
großen und wichtigen Gesetzentwurf, der einen langen
Vorlauf hat. Schon 1965 wurde in der Begründung des
Urheberrechtsgesetzes auf die Notwendigkeit eines Urhebervertragsrechts hingewiesen, das 2002 geschaffen
wurde.
Inzwischen hat man vor allen Dingen aufgrund der
sagenhaften Entwicklung im Bereich der digitalen Technologie festgestellt, dass das Urheberrecht europaweit
geschützt werden muss. Deswegen wurde eine Richtlinie
erlassen, die 2003 bei uns umgesetzt worden ist. Wir waren uns schon damals beim Korb 1 darüber im Klaren,
dass wir einen zweiten Korb brauchen, weil im Korb 1
nicht alle Probleme gelöst werden konnten.
Wir brauchen bald auch einen dritten Korb, um neu
auftretende Probleme zu regeln. Es ist ein langer Weg
der Reformen, um dem geistigen Eigentum gerecht zu
werden.
Ich kann nicht auf alle Fragen eingehen, aber ich
möchte auf einen wichtigen Punkt eingehen, den der Gesetzentwurf zum Inhalt hat und der gerade auf unserer
Zielgeraden in der letzten Woche noch eine Rolle gespielt hat: Es geht um die Vergütung von Privatkopien.
Es wurde bereits angesprochen, wie diese Frage in
dem Gesetzentwurf geregelt wird. Für uns stellt sich immer noch die Frage, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
ob es richtig war, es den Parteien - den Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und den Herstellern auf
der anderen Seite - zu überlassen, die Vergütung der Urheber auszuhandeln. Ob das im Interesse der Urheber
liegt, muss sich noch herausstellen. Die Urheber sind gegen diese Regelung, weil sie befürchten, dass sie bei
manchen Produkten Jahre brauchen, um ein vernünftiges
Ergebnis zu erzielen, und vielleicht sogar die Gerichte
einschreiten müssen. Dies muss abgewartet werden.
Herr Krings hat schon angedeutet, dass wir in diesem
Fall korrigierend eingreifen müssen.
({2})
Im Zusammenhang mit der Vergütung gibt es aber ein
weiteres Problem, das die Nutzung von Privatkopien in
einem nicht nennenswerten Umfang betrifft. Auch wenn
man davon ausgeht, dass in diesen Fällen nicht unbedingt eine Vergütung verlangt werden muss, können wir
auch in diesem Punkt nicht nachgeben. Wir müssen den
Menschen klarmachen, dass es hierbei um Eigentumsrechte bzw. um verfassungsrechtlich geschützte Rechte
geht, die genauso zu achten sind wie andere Eigentumsrechte. Deswegen ist der Begriff „nennenswerter Umfang“ zu Recht gestrichen worden.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die
5-Prozent-Klausel. Diese besagt, dass die Urheber zwar
frei miteinander verhandeln können, aber nur bis zu einer Grenze von 5 Prozent des Kaufpreises der Geräte.
Die Urheber haben von Anfang an darauf hingewiesen
- das haben wir in vielen Gesprächen erfahren -, dass
die Preise für die Kopiergeräte immer weiter sinken und
dass deshalb bei Einführung der 5-Prozent-Klausel bei
niedrigen Preisen für die Urheber letzten Endes nichts
mehr übrig bleibt. Dies wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass die Verbreitung von PCs inzwischen viel
weiter vorangeschritten ist als früher. All dies gliche das
aber nicht aus. Deswegen haben wir uns entschlossen,
die 5-Prozent-Obergrenze zu streichen; ich meine: zu
Recht. Das ist richtig und liegt im Interesse der Urheber.
Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken anfügen. § 53 des Urheberrechtsgesetzes stellt nun klar, dass
eine Kopie dann rechtswidrig ist, wenn sie von einer zu
Unrecht oder verbotswidrig in das Netz eingestellten
Werkkopie stammt. Diese Klarstellung scheint mir wichtig zu sein, weil dies den Verwertungsgesellschaften,
aber auch den Filmgesellschaften die Möglichkeit gibt,
stärker als bisher ihre Rechte zu verteidigen.
Ich bedanke mich und hoffe sehr, dass dieses Gesetz
einen Beitrag zu einem stärkeren Schutz des geistigen
Eigentums leistet.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5939, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/1828 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand11158
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen der Linksfraktion, zwei oder drei Gegenstimmen
aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und
sonstiger Enthaltung der Fraktion der Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.
Dazu liegen mir persönliche Erklärungen der Kollegen Bettin, Deligöz, Gehring, Göring-Eckardt, Roth
({0}) und Haßelmann vor.1)
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung
angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen
angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5972? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ent-
schließungsantrag ist bei Zustimmung der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/5944? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5971? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion der Grü-
nen und mit den Stimmen des ganzen Hauses im Übri-
gen abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 16/5939
fort, Tagesordnungspunkt 7 b. Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 16/262 mit dem Titel „Die Modernisierung des Ur-
heberrechts muss fortgesetzt werden“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion der FDP angenommen.
1) Anlage 3
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der LINKEN
Nachhaltiger Schutz der Meeresumwelt
- Drucksachen 16/3069, 16/4782 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
nunmehr zwölf Jahren hat die Bundesregierung eine
Große Anfrage der SPD zum Zustand der Meere beantwortet. Die Antwort war schockierend: Die Ozeane waren vielerorts leergefischt. Im Zuge der Debatte über die
EU-Meeresstrategie-Richtlinie hat nun die Linke um
Auskunft gebeten. Zunächst einmal herzlichen Dank an
die Referentinnen und Referenten der beteiligten Ministerien für die sorgfältige Beantwortung.
Was hat sich nun seit 1995 getan? Es gibt einige wenige positive Signale. So wird beispielsweise der Pazifiklachs bei Alaska gut bewirtschaftet. In einem vernünftigen Zustand befindet sich dort auch der Seelachs.
Erholt hat sich zudem das Heringsvorkommen in Nordund Ostsee. Dennoch ist die Bilanz der Eingriffe in die
Meereswelt katastrophal. In den letzten 100 Jahren sind
die Bestände vieler Fischarten um fast 90 Prozent zurückgegangen. Es ist schizophren: Während Millionen
Tonnen wertvoller Meerestiere als Beifänge ungenutzt
und tot über Bord gehen, sitzen Millionen von Küstenbewohnern in Afrika vor leeren Tellern. Die Trawler der
Industriestaaten fischen ihnen die Meere leer, legal und
illegal. Allein der illegale Fang weltweit wird auf einen
Wert zwischen 4 und 9 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Illegal wird auch vor unserer Haustür gefischt. Im östlichen Teil der Ostsee befindet sich der Dorschbestand
auf einem historischen Tiefstand, heißt es.
({0})
Schätzungen zufolge werden bis zu 45 Prozent mehr
Dorsche an Land gebracht, als es die offiziellen Zahlen
hergeben.
({1})
Dennoch werden die Dorschfangquoten durch den EUFischereiministerrat seit Jahren deutlich höher angesetzt,
als von Wissenschaftlern empfohlen. Ich sage Ihnen:
Das muss endlich ein Ende haben.
({2})
In der Nordsee haben in den vergangenen Jahren neben
dem Kabeljau auch die Nordseescholle und die NordseeEva Bulling-Schröter
seezunge stark gelitten. Vom Großen Thunfisch dürften
im Mittelmeer und im Ostatlantik legal eigentlich nur
32 000 Tonnen jährlich gefangen werden. Real ist es
rund das Doppelte. Auch hier sind es vor allem europäische Fischereiunternehmen, die die Bestände für Sushibars in Tokio oder Berlin-Mitte plündern.
Weil die Meere der Nordhalbkugel vielerorts leergefischt sind, fahren Fangflotten in den Süden. Hier räumen sie die einst üppigen Fischgründe aus, insbesondere
an den flachen Küsten Westafrikas. So rauben die Industrieschiffe den Kleinbauern in Ghana oder dem Senegal
die wichtigsten Proteinlieferanten für ihre Familien. Die
Flotten wandern nicht nur in den Süden, sondern auch in
die Tiefe. Leider konnten sich Union und SPD seinerzeit
in ihrem Antrag zu dem Thema nicht zu einer klaren
Forderung nach einem Moratorium für die zerstörerische
Grundschleppnetzfischerei durchringen.
({3})
Wenn wir der Meeresumwelt helfen wollen, die im
Übrigen auch durch die Versauerung infolge der CO2Emissionen gestresst ist, so müssen wir die Weltmeere
als Ökosystem begreifen. Das muss auch der Geist der
neuen EU-Meeresschutz-Richtlinie sein. Die Forderungen der Linken dazu finden Sie in unserem Entschließungsantrag. Zudem müssten mehr Wissenschaftler und
Umweltorganisationen in Fischereiaufsichtsgremien sitzen. Schließlich muss weltweit die Anzahl der Fangschiffe verringert werden. Greenpeace und andere fordern seit langem, Meeresschutzgebiete einzurichten, in
denen Fischerei und Rohstoffabbau verboten werden.
Konkrete Vorschläge gibt es für Nord- und Ostsee sowie
für die außereuropäischen Meere. Die Bundesregierung
scheint dazu gar keine Haltung zu haben. Das ist sehr
schade. Dieses kurzsichtige Herangehen schadet nicht
nur der Umwelt und dem Tourismus, sondern auch der
Fischerei. Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Beispielsweise in Neuseeland waren die Fischer einst die
stärksten Gegner, als es darum ging, Meeresschutzgebiete einzurichten. Nunmehr gehören die Fischer zu den
Verteidigern dieser ökologischen Oasen; denn die dort
rasant anwachsenden Bestände besiedeln auch das umgebende Meer. Die Refugien sind also nicht nur Eckpfeiler im modernen Schutz der Ökosysteme, sondern auch
Wirtschaftsfaktoren. Umweltschutz und zugleich volle
Netze - was wollen wir mehr?
Angesichts dessen ist es vollkommen unverständlich,
dass lediglich 0,01 Prozent der Meeresfläche Schutzgebiete sind. Benötigt werden zwischen 30 und 50 Prozent.
Solange Sie hier nichts ändern, bleibt ein nachhaltiger
Meeresschutz leider Illusion. Tun Sie also bitte etwas,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Franz-Josef
Holzenkamp, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Deutschland waren 2005 etwa 43 000 Menschen
allein in der Fischerei, in der fischverarbeitenden Industrie und in der Fischgastronomie beschäftigt. Wenn man
die gesamte maritime Industrie berücksichtigt, dann
stellt man fest, dass wir von über 220 000 Arbeitsplätzen
- dazu gehören die Bereiche Hafen, Zulieferindustrie
usw. - sprechen. An dieser Stelle wird immer wieder
Kritik geäußert; daher möchte ich deutlich machen, dass
es hier um die Arbeitsplätze vieler Menschen geht. Die
maritime Wirtschaft ist für uns, für diese Koalition und
für die Union sowieso, ein wichtiger Wirtschaftszweig,
auf den wir nicht verzichten können und wollen und den
wir unterstützen.
({0})
Die Meere stellen nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit eine wichtige wirtschaftliche Ressource dar.
Die Ozeane und Meere verbinden mehr denn je Kontinente und Länder, sei es durch die weltweite Nutzung
der Fischressourcen, als Transportweg oder durch den
Tourismus. Nicht zu vernachlässigen sind die Energiereserven unter den Ozeanen, aber auch die künftig noch
weiter in den Mittelpunkt rückende Nutzung der Windenergie in den Offshorewindparks. Kurz gesagt, die
Ozeane und Meere tragen wesentlich zu unserem Wohlstand bei.
({1})
Gerade deshalb kommt dem ökologisch nachhaltigen
Schutz der Meere eine enorme Bedeutung zu. Wir können es uns nicht leisten, diese einmalige und weltweit
größte Ökolandschaft zu vernachlässigen. Wir sprechen
über 70 Prozent unserer Erdoberfläche. Wir sprechen
über den Lebensraum zahlloser Tiere und Lebewesen.
Wenn wir von unseren Meeren reden, dann sprechen wir
über einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag zur
Stabilität unseres Klimas.
({2})
Trotzdem oder gerade deshalb gilt für uns der Grundsatz „Schutz nur durch Nutzung“. Niemand hat etwas
von einem ökologischen Raubbau an der Ressource
Meer.
({3})
Ich betone aber auch: Es nützt den Menschen, die ihren
Lebensunterhalt durch die Meere verdienen, nichts,
wenn wir einen einseitig verengten Blick ausschließlich
auf die Ökologie werfen. Ich zitiere aus der Antwort der
Bundesregierung:
Ziel ist es, für die Arten und die Lebensräume einen
günstigen Erhaltungszustand zu erreichen. Menschliche Nutzungen, die die Arten und Habitate schädigen und/oder zerstören können, sind im Schutzgebiet nach vorheriger sorgfältiger Prüfung und
Abwägung von ökologischen, ökonomischen und
sozialen Gesichtspunkten zu regulieren und gegebenenfalls auszuschließen.
Meine Damen und Herren, nur so geht es: in gleichberechtigter Abwägung aller Punkte.
({4})
Wie wichtig der Bundesregierung die nachhaltige Sicherung der Meeresumwelt ist, das kann man auf den
46 Seiten nachlesen, auf denen die Bundesregierung ausführlich die Große Anfrage der Linken beantwortet hat.
Wir debattieren heute aber nicht nur über den Umweltschutz, sondern auch über den nachgeschobenen
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Dieser hat
- das muss ich leider so deutlich sagen - die übliche
Stoßrichtung. Ich zitiere einen kleinen Punkt aus dem
Antrag - das macht die Einseitigkeit deutlich Allerdings hat die ökonomische Sichtweise klar das
Primat.
Immer wieder die böse Wirtschaft. Ich sage dazu noch
einmal: Ohne eine ordentlich funktionierende Ökonomie
gibt es auch keine funktionierende Ökologie.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Eva Bulling-Schröter?
Ja, gerne.
Danke schön - Ich würde gerne von Ihnen wissen,
wie Sie zu Meeresschutzgebieten stehen. Ich habe das in
meiner Rede noch einmal ausgeführt und auf Erfahrungen anderer Länder - es sind ja nicht so viele - hingewiesen, dass durch die Bewahrung der Umwelt, durch
den zeitweiligen Verzicht auf das Fischen, sich wieder
Fische ansammeln und dadurch die Wirtschaft gestärkt
werden kann.
Sie sprechen von Ökonomie und Ökologie. Wir brauchen zuerst die Ökonomie; aber es ist nicht nachhaltig,
alle Fische aus dem Meer herauszufischen. Dann gibt es
nämlich keine mehr. Ich würde also gerne wissen, wie
Sie zu den Schutzstandards stehen. Hierzu gibt es ja gute
Erfahrungen und wissenschaftliche Berechnungen. Ist
das nicht sinnvoll?
Vielen Dank für die Frage. Wir als Union, als Koalition stehen selbstverständlich absolut positiv zu Schutzgebieten. Wenn jedoch ein Schutzgebiet eingerichtet
wird, dann muss man das in Abwägung aller bekannten
Parameter tun. Das ist der entscheidende Punkt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich nenne ein Beispiel, die
Elbe. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die
Wasserqualität erheblich verbessert. Etwa 110 Fischarten können heute registriert werden; damals waren es um
die 80. Ich erlaube mir die Aussage: Ich glaube, auch die
Fische sind nicht gerade Anhänger des Sozialismus gewesen.
Ich mache es kurz: Wir lehnen Ihren Entschließungsantrag ab. Er ist unbrauchbar und nicht zielführend.
Doch zurück zum Umweltschutz für die Meere: Wie
bereits dargestellt - ich gehe damit auch auf die Frage
ein -, nützt uns die einseitige Betrachtung des Meeresumweltschutzes nichts. Hier müssen Verknüpfungen zu
allen maritimen Bereichen gezogen werden. Mit dem
Grünbuch zur künftigen Meerespolitik aus dem vergangenen Jahr hat die EU hierzu einen wichtigen Schritt
getan. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat mit der europäischen Konferenz über die künftige Meerespolitik
der EU im Mai dieses Jahres den Konsultationsprozess
hierzu maßgeblich begleitet.
({1})
Der Schutz der Meere ist ein elementarer Bereich des
Grünbuches. So schreibt die Kommission zu Recht:
Eine gesunde Meeresumwelt ist die unerlässliche
Voraussetzung für die Nutzung des vollen Potenzials der Meere. Die Verschlechterung der Meeresumwelt mindert das Potenzial des Meeres als
Grundlage der Beschäftigung.
Die Antworten der Bundesregierung zeigen auch - hier
sind wir sicherlich einer Meinung -, dass es Licht, aber
auch viel Schatten gibt, dass es einfach Handlungsnotwendigkeiten gibt, die zu Verbesserungen führen müssen.
Es bleibt festzuhalten, dass sich weltweit viele wirtschaftlich genutzte Fischbestände durch Überfischung in
einem schlechten Zustand befinden. Auch wichtige Bestände der EU wurden so in den vergangenen Jahrzehnten teilweise stark dezimiert. Deswegen ist die Bestandserhaltung ein wesentliches Ziel der gemeinsamen
Fischereipolitik der EU, aber auch der Politik Deutschlands. So konnte erreicht werden, dass sich einzelne Arten wieder erholt haben. Andere Arten wie Kabeljau und
Dorsch - die Beispiele sind genannt worden und auch in
der Vorlage zu lesen - haben sich nicht wieder erholt.
Doch einschneidende Maßnahmen sind für viele Fischer
nicht einfach zu verkraften. Man fragt sich: Wie sollen
sie es verkraften?
An dieser Stelle auch einmal mein Dank an die
Fischer für die konstruktive Zusammenarbeit!
({2})
Holger Ortel, wir führen eine intensive Auseinandersetzung mit der Fischereiwirtschaft und versuchen so, gemeinsam zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Den Kolleginnen und Kollegen von den Linken rate
ich: Gehen Sie zu den Ost- und Nordseefischern! Erklären Sie ihnen den kompletten Fangstopp für Dorsch und
Kabeljau! Besprechen Sie mit ihnen dann aber auch, wovon sie ihre Familien ernähren sollen, was mit den Familienbetrieben wird und wie das überhaupt funktionieren
soll!
({3})
So funktioniert es nicht.
Ich möchte mich bei der Bundesregierung ausdrücklich dafür bedanken, dass sie sich im Rat für einen sinnvollen Ausgleich zwischen sozioökonomischen und ökologischen Interessen einsetzt.
({4})
Ich möchte auf ein weiteres Thema kurz eingehen,
nämlich den Klimawandel. Durch die klimatischen Veränderungen werden auch unsere Meere als Ökosysteme
erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb müssen
wir den Klimaschutz weiter vorantreiben. Auch hier sind
wir als Koalition in Europa sehr gut unterwegs. Wir haben die EU-Klimaziele formuliert. Das sind sehr ambitionierte Ziele. Hier sind wir wirklich gut unterwegs. Als
Deutsche wollen wir die anderen Europäer ja auch noch
überholen.
Deshalb bin ich sehr zufrieden darüber, dass die Bundeskanzlerin - das möchte ich hier auch deutlich sagen mit großartiger Unterstützung durch unseren Außenminister auf dem G-8-Gipfel große Fortschritte beim
Klimaschutz erreicht hat - bei aller Kritik von der Opposition. Es gibt einen klaren Auftrag der UNO.
Die Koalition zeigt sich handlungsfähig. Im Ausschuss ist von Mundwerkern und Handwerkern geredet
worden. Hier handelt es sich um Handwerker. Wir sind
aktiv unterwegs. Wir nehmen den Schutz der Meere
ernst. Wir wollen notwendige Ziele erreichen. Aber all
das funktioniert nur bei einem internationalen Ansatz,
bei Einbeziehung aller Beteiligten an der gesamten maritimen Wirtschaft und vor allen Dingen bei der Arbeit
nach dem Motto: Schutz durch Nutzung.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Bulling-Schröter, Ihre Große Anfrage kam
reichlich spät. Sie galoppieren etwas hinterher. Alle anderen Fraktionen haben bereits umfangreiche Anträge
zur Meeresumwelt vorgelegt. Sie haben das Versäumnis
jetzt teilweise wettzumachen versucht, indem Sie Ihren
Entschließungsantrag hinterhergeschoben haben; auf
den komme ich nachher noch zu sprechen.
Von der Intonation der Fragen in der Großen Anfrage
her habe ich den Eindruck, als wenn Greenpeace Ihnen
so manche Frage direkt in die Feder diktiert hat
({0})
Ich will das hier nicht weiter kommentieren.
Gut ist allerdings - ich will auch etwas Gutes sagen -,
dass Sie für diese Debatte doch noch einen recht akzeptablen Platz auf der Tagesordnung erreichen konnten.
Das gibt mir und allen die Möglichkeit, hier die Probleme des Meeresschutzes anzusprechen, und das will
ich jetzt natürlich auch tun.
({1})
Ganz willkommen ist mir natürlich, dass ich noch einmal ausdrücklich auf unseren Antrag hinweisen kann,
der folgenden Titel hat: Schutz und Nutzung der Meere Für eine integrierte maritime Politik.
({2})
Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an
dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, dass morgen unter dem Tagesordnungspunkt 29 ein weiterer hervorragender FDP-Antrag zur Debatte ansteht, nämlich
zu den Zukunftschancen des Ostseeraums. Ich bitte Sie,
zahlreich zugegen zu sein.
({3})
Jetzt aber zu unseren Vorstellungen. Auch wir Liberale sehen in einer verantwortungsvollen Nutzung der
Meere eine Herausforderung für Gesamteuropa. Das ist
klar. Wir wollen aber auf der einen Seite den Schutz der
Meere und auf der anderen Seite zugleich eine verantwortungsvolle Entwicklung der maritimen Wirtschaft. Ich denke, das ist eine herausragende Aufgabe,
der wir uns mit voller Kraft stellen sollten. Wir sehen
hier insbesondere Zukunftschancen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass 40 Prozent der Wirtschaftskraft Europas in den küstennahen Gebieten bzw.
den Meeresgebieten erwirtschaftet werden. Das ist keine
geringe Zahl. Wir müssen deshalb darauf schauen, dass
wir das eine wie das andere schaffen. Außerdem wollen
wir, dass die verschiedenen maritimen Sektoren verknüpft werden und wir zu einer integrierten Meerespolitik kommen. Das ist unser Ansatz. Das können Sie auch
in unserem Antrag umfassend nachlesen.
({4})
Ich denke, wir alle haben die Probleme auf dem
Schirm. Auch wir haben in unserem Antrag die Probleme und die Umwelteinflüsse beschrieben und im
Rahmen eines Maßnahmenpaketes Vorschläge gemacht,
wie eine ökologisch und ökonomisch gesunde Zukunft
der Meere gestaltet werden kann. Wir glauben, dass die
Erhaltung der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt
der Meeresgebiete, verstanden als Schutz der gemeinsamen natürlichen Ressourcen, Bestandteil einer verantwortungsvollen, generationenübergreifenden Politik ist.
Da sind wir ganz auf Ihrer Seite; das wollen auch wir.
Wir müssen uns darüber hinaus dafür einsetzen, dass
das europäische Grünbuch noch mehr Bezug auf den
Schutz der Meere nimmt, insbesondere auch auf den
Schutz von Fischpopulationen. Ich möchte aber jetzt
nicht im Einzelnen auf die verschiedenen Fischarten eingehen. Das würde zu weit führen; so viel Zeit habe ich
nicht.
({5})
- Schade? Also auf die kommunistischen Fische kann
ich jetzt hier nicht eingehen.
({6})
Es ist auch unser Anliegen, dass wir uns dafür einsetzen, dass wir eine Meeresschutzrichtlinie bekommen,
die die richtigen Zielvorgaben und die richtigen Handlungsimpulse gibt, also sozusagen eine Navigationsvorgabe darstellt.
An dieser Stelle möchte ich auch auf das schauen,
was derzeitiger Stand ist. Es sind einige Erfolge beim
Schutz der Meere zu verzeichnen. Negativbeispiele sind
aber die noch immer zu hohen Nährstoff- und Schwermetalleinträge, die Belastungen durch die Schifffahrt,
Offshore-Nutzungen verschiedenster Art, die Überfischung einzelner Fischarten und die Auswirkungen des
Klimawandels.
So richtig und so umfassend Ihr Entschließungsantrag
teilweise ist, so muss ich doch sagen, dass sich die FDP
Ihrer Haltung nicht anschließen kann, weil Sie der Entwicklung der maritimen Wirtschaft und der Anwendung
neuer Technologien zu kritisch gegenüberstehen. Das
halten wir für nicht zukunftsgerichtet. Daher werden wir
Ihrem Antrag nicht zustimmen können.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Nun hat Kollege Holger Ortel, SPD-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst einmal auf unsere Präsidentschaft in Europa und auf das, was unser Minister für
Landwirtschaft und Fischerei vor drei Wochen in
Luxemburg erreicht hat, zurückkommen. Peter Bleser
würde sagen: Ein guter Tag für Deutschland.
({0})
Als Norddeutscher hänge ich das etwas tiefer, aber man
kann wirklich sagen: Ein gutes Ergebnis für unsere
Fischer.
({1})
Herr Staatssekretär, ich würde Sie bitten, dem Minister den Dank der norddeutschen Fischer auszurichten;
vor allem natürlich auch Ihren Mitarbeitern im Hause,
die ja viel zum Gelingen des Agrar- und Fischereirates in
Luxemburg beigetragen haben. Herzlichen Dank dafür!
Ich möchte auf einige Zahlen, die Sie, Frau BullingSchröter und Herr Holzenkamp schon genannt haben,
noch etwas genauer eingehen. Der Pro-Kopf-Verbrauch
an Fisch liegt in Deutschland zurzeit bei etwa 15,5 Kilogramm. Er hat sich damit in den letzten vier Jahren von
12,4 auf 15,5 Kilogramm erhöht. Das ist gut. Fisch ist
nämlich ein gesundes und bekömmliches Lebensmittel.
Das gilt vor allen Dingen für eine Gesellschaft, die immer älter wird und dabei gesund leben will. Nun passen
Sie einmal auf: Nur 18 Prozent unseres Fischbedarfs
fangen wir noch selber. Das entspricht 300 000 Tonnen
bei einem Bedarf von gut 2 Millionen Tonnen. Was wir
selber dem Meer entnehmen, ist also gar nicht so viel. Außerdem muss erwähnt werden, dass wir von den 2,1 Millionen Tonnen, die wir verbrauchen, 800 000 Tonnen als
Fisch- und Fischereiprodukte exportieren. Im Übrigen
hat Herr Kollege Holzenkamp recht, wenn er auf die
43 000 Arbeitsplätze in der Fischerei, in der verarbeitenden Industrie, im Handel usw. hinweist.
Sie tun so, als seien wir daran beteiligt, die Meere
leerzufischen. Sie müssen wissen, dass unter deutscher
Flagge gerade einmal zehn hochseegängige Schiffe fahren. Das ist unser direkter Einfluss. In diese Ecke können
Sie die deutschen Fischerinnen und Fischer mit Ihrer
Anfrage also nicht stellen - die Sie ja zu einem Drittel
aus einer Anfrage der SPD von vor zehn Jahren abgeschrieben haben.
({2})
Das macht auch nichts; ich bin darüber nicht böse. Ich
will das überhaupt nicht beklagen, Frau Kollegin, wenn
es denn dazu dient, Ihr Grundwissen in Sachen Fischerei
zu vervollständigen. Dazu ist diese Anfrage ja gut. Für
diejenigen, die sich mit dem Thema Fischerei auskennen, hat sie aber nichts Neues gebracht; auch das will ich
hier sagen.
Die Fischbestände von Dorsch, Seezunge, Scholle
und Hering und Seelachs sind bekannt. Sie sind nicht
überall sehr hoch. Man muss auch etwas tun. Erlauben
Sie mir dazu folgende Anmerkungen. Das in Luxemburg
jetzt neu und erfolgreich verhandelte Dorschmanagement ist auch ein Ergebnis von guter Praxis, von nachhaltiger Fischerei. Das BACOMA-Netz mit seinen Selektionsfenstern hat wesentlich dazu beigetragen, dass in
Luxemburg so entschieden werden konnte.
Nichtsdestotrotz muss über das Abkommen „Dorsch
in der Ostsee“ vielleicht noch einmal nachgedacht werden. Wenn ich Bornholm als Grenze zwischen östlicher
und westlicher Ostsee nehme - es gibt auch für die Ostsee so etwas wie ein Schengenabkommen -, ist festzustellen, dass 30 bis 40 Prozent der Fische über diese
künstliche Dorschgrenze hinweg wandern. Vielleicht
sollte man auch mit den Quoten zumindest zu 10 Prozent
von Ost nach West und von West nach Ost gehen können. Ich denke, das käme der Praxis schon ziemlich
nahe.
Ich begrüße ausdrücklich die verstärkte Fischereikontrolle in der äußersten und östlichen Ostsee. Wir
wissen, dass es sich bei 30 bis 40 Prozent der dort gefangenen Fische um Blackfish handelt, also um Fisch, der
der illegalen Fischerei zuzurechnen ist. Darauf wird
Brüssel - übrigens auch aufgrund eines Beschlusses aus
Luxemburg - aber gut reagieren. Brüssel muss sozialverträgliche Möglichkeiten finden, um den Flottenabbau
bei unseren östlichen Nachbarn zu beschleunigen.
({3})
Die Fischbestände in unseren Gewässern und darüber hinaus haben sich in den letzten zehn Jahren unterschiedlich entwickelt. Die pelagischen Arten sind in den
letzten zehn Jahren relativ stabil auf dem gleichen Niveau geblieben. Dem Hering in der Nordsee geht es gar
nicht so gut. Das liegt ohne Frage am Fischereidruck,
aber auch an den klimatischen Veränderungen. Mit den
letzten zwei Jahrgängen hatten wir auch Probleme bezüglich der Ernährung. Es fehlt eine Planktonart. Das hat
sicherlich etwas mit der Erwärmung zu tun. Auch hier
muss die Fischereiforschung noch gut nacharbeiten. Die
Makrele hat ebenfalls ihre Probleme.
Mit dem Rotbarsch in den nördlichen Gewässern südlich von Island sieht es im Grunde gut aus. Unser Hochseefischer, der dort Rotbarsch fängt, spricht nicht nur
von Rotbarsch, sondern sogar von Marzipanschweinen;
so gesund und so groß sind die Fische. Ich denke, das
zeugt auch von einem guten Bestand.
({4})
Noch ein Beispiel - da sind sich alle, die mit Fischerei
zu tun haben, einig -: Discards sind ein Problem. Ich
hätte keine Sorgen, wenn wir uns darauf verständigen
könnten, bei vielen Fischarten in Zukunft die Discards
auf die Quoten anzurechnen. Ich halte dies für richtig.
Das kann man allerdings nicht bei allen Fischarten machen.
In der Praxis ist das bei unseren kleinen Küstenfischern, die Sie in Ihrer Anfrage gar nicht erwähnt haben,
schwer durchzuführen. 250 Krabbenkutter in Niedersachsen gibt es für Sie gar nicht. Sie sind in Niedersachsen und Schleswig-Holstein aber ein Stück Identität.
({5})
Meines Erachtens sollten Sie mehr auf solche Dinge eingehen, die vor unserer Haustür passieren.
Ich frage mich auch: Warum haben Sie beim Thema
Fischerei unsere überalterte Küstenflotte nicht erwähnt,
deren Schiffe teilweise über 30 Jahre alt sind? Warum
haben Sie nichts zu den Problemen gesagt, die es in der
Ausbildung zum Fischwirt gibt?
({6})
Auch diese sollten Sie berücksichtigen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ja, ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Die Anfrage diente nur dazu, Sie daran zu erinnern,
was Fischerei eigentlich bedeutet und wie es um die Fische bestellt ist. Ihr Entschließungsantrag kommt nun
wirklich aus der Flachwasserzone.
({0})
Ein Vorgänger von Herrn Seehofer hätte heute zu Ihnen
gesagt: Wenn Sie mittags Eisbein essen, dann sind Sie
abends noch kein Polarforscher.
Herzlichen Dank.
({1})
Nun erteile ich Kollegin Nicole Maisch, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit ich Mitglied dieses Hauses bin, habe ich
eines sehr oft gehört, nämlich dass Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch sind. Das habe ich zum Beispiel
auch von der FDP gehört. Dies ist sicherlich nicht falsch,
aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn richtig ist:
Ohne Ökologie gibt es keine Ökonomie.
({0})
Eine gesunde Umwelt und die Schonung natürlicher
Ressourcen sind Voraussetzung für nachhaltige wirtschaftliche Prosperität. Um im Duktus des Kollegen
Holzenkamp zu bleiben: Keinen Nutzen ohne Schutz.
Oder - das kann selbst ich als Kind des Binnenlandes sagen -: Wo keine Fische sind, kann man keine fangen.
({1})
Meine Fraktion hat sich aktiv in die Diskussion zum
Grünbuch Europäische Meerespolitik eingeschaltet. Wir
haben Stellungnahmen eingespeist. Darin wird auch
deutlich, was der Unterschied zwischen grüner Politik
und zum Beispiel der Politik der FDP ist. Wir fordern,
dass nachhaltiger Meeresschutz, also Natur- und Umweltschutz, das Leitprinzip und nicht nur eine Säule der
Meerespolitik ist. Integrierte Meerespolitik ist richtig.
Denn wirtschaftliche Interessen müssen in die Meerespolitik integriert werden. Aber die Leitlinie ist für uns
der Meeresschutz.
({2})
Hier hat sich die Bundesregierung in den letzten Monaten nicht nur mit Ruhm bekleckert. Die Kanzlerin hat
auf der Bremer Konferenz sehr kluge Worte gesagt; das
hat mir sehr gut gefallen. Noch besser hätte es uns aber
gefallen, wenn den Worten auch Taten gefolgt wären.
Die Anfrage der Linken ist bei aller Kampfrhetorik,
({3})
die man vielleicht kritisieren kann, insofern sehr gut, als
sie uns Auskunft darüber gibt, wie schlecht es um unsere
Meere bestellt ist. Ich will Ihnen am Beispiel einer
Fischart die Problematik kurz durchdeklinieren. Der Kabeljau, gestern noch Fischstäbchen auf Ihrem Teller, ist
heute bereits mehr oder weniger Rote-Liste-fähig. Hier
sehen wir wieder: ohne Ökologie keine Ökonomie; wo
keine Fische sind, kann man, wie gesagt, keine fangen.
({4})
Anderes Thema: Schiffsverkehr. Darauf ist die Linke
leider nicht in ausreichendem Maße eingegangen. Emissionen und Lärm im Bereich des Schiffsverkehrs sind
eine massive Belastung für die Meeresumwelt. In diesem Bereich muss nachgebessert werden und muss mehr
getan werden, um beispielsweise Meeressäuger zu
schützen.
Ein weiteres großes Thema sind die Schadstoffeinträge aus der Landwirtschaft. Trotz internationaler
Abkommen können wir nicht verhindern, dass Düngemittel und Pestizide in die Gewässer fließen. Was in den
Flüssen landet, landet schlussendlich im Meer und auch
in dem Fisch, den Sie und ich gerne essen.
Es besteht dringender Handlungsbedarf über Sektorengrenzen hinweg. Wir brauchen einen guten Umweltzustand der Meere bis 2012. Aber der kommt natürlich
nicht von selbst. Da muss man etwas tun.
({5})
Das Meer ist ein hochkomplexer und schutzwürdiger
Naturraum und eben nicht primär eine Ressource. Wer
das Meer nur als Ressource und eben nicht als schutzwürdigen Naturraum sieht, der wird es auch nicht nachhaltig bewirtschaften können und der wird auf Dauer
kein Geld damit verdienen können. Es ist eine relativ
einfache Rechnung: Wer die Natur zerstört, zahlt dafür natürlich auch finanziell.
Bezüglich des Schutzes der Meere wird von der FDP
oft gesagt, dass die CO2-Abscheidung eine tolle Sache
ist. Dieser Meinung bin ich nicht. Ich denke auch nicht,
dass sie bald kommen wird. Aber sollte es irgendwann
möglich sein, diese Technologie zu verwenden, dann ist
die Tiefsee nicht der richtige Endlagerraum für das abgeschiedene CO2. Ich denke, wer so etwas sagt, sollte sich
fragen, wie ernst es ihm mit dem Meeresschutz ist.
({6})
Ein letzter Punkt. 2008 wird Deutschland das Gastgeberland der COP 9 sein. Ich denke, das wäre ein guter
Anlass, eine gute Gelegenheit, um auf das Thema biologische Vielfalt in den marinen Lebensräumen aufmerksam zu machen und dieses Thema auf die Agenda zu setzen.
Sie haben jetzt die Möglichkeit, unsere Meere zu
schützen, damit auch die nachfolgenden Generationen
sie noch nützen können. Ich denke, dem Antrag der Linken kann man, auch wenn man die Rhetorik schlecht findet, trotzdem zustimmen.
({7})
Kollegin Maisch, das war Ihre erste Rede im Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für
Ihre weitere Arbeit!
({0})
Nun hat sich schon Kollege Heinz Schmitt am Mikrofon eingefunden, deswegen muss ich ihm wohl das Wort
geben.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe neue Kollegin Frau Maisch, ich darf
mich den Glückwünschen ganz herzlich anschließen und
hoffe auf weitere gute Reden von Ihnen in den nächsten
Jahren - vielleicht sogar einmal gemeinsam auf der Regierungsbank.
({0})
- Herr Bleser, eine neue Kollegin muss man einmal ein
bisschen motivieren.
Es geht heute um den Antrag der Linken zum Thema
Meeresschutz. Ich muss sagen, dass die Erkenntnisse,
die wir heute aus Ihrem Antrag und aus den Folgerungen
Ihrer Großen Anfrage gewonnen haben, so weltbewegend nicht sind. Allerdings hat der Antrag auch etwas
Positives: Wir erfahren vieles über die aktuellen Bestände, von der Scholle bis zur Makrele. Von daher wissen wir, wie sich einzelne Arten entwickelt haben und ob
eine Zunahme der Bestände, eine Abnahme der Bestände oder ein Verschwinden von ganzen Beständen
und Fischarten festzustellen war. Von daher kann man
dem Antrag durchaus etwas Aktuelles abgewinnen. Die
Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind aber wirklich
nicht so sensationell. Vieles, was Sie aus Ihren neuen Erkenntnissen schließen, ist bereits in reale Politik umgesetzt worden.
({1})
Es geht heute auch darum, was wir hinsichtlich der
Fischereipolitik und hinsichtlich der Meerespolitik auf
europäischer Ebene unternehmen. Im Jahr 2006 hat die
Kommission unter der Überschrift „Eine europäische Vision für Ozeane und Meere“ ein Grünbuch vorgestellt.
Vorrangiges Ziel dieses Grünbuches ist es, die Nutzung
der Meere in Einklang mit dem Schutz der Meere zu
bringen. Daher bekommt das Grünbuch noch eine weitere, ökologische Säule: Die thematische Strategie für
den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt und die
Meeresstrategierichtlinie werden in das Grünbuch mit
einfließen; das haben wir von den Vorrednern schon gehört.
Heinz Schmitt ({2})
Gerade das Beispiel Weltmeere zeigt - viele haben
das bestätigt -, wie abhängig wirtschaftliche Aktivitäten
von natürlichen Ressourcen, von einer intakten Umwelt
sind. Herr Kollege Holzenkamp, Sie haben sehr deutlich
beschrieben, welche Arbeitsplätze an den Weltmeeren
hängen und welche große wirtschaftliche Bedeutung die
maritime Wirtschaft für uns hat. Wir brauchen aber auch
eine intakte Umwelt; denn - Kollegin Maisch von
Bündnis 90/Die Grünen hat es gesagt - ohne Fische gibt
es keine Fischereiwirtschaft und ohne saubere Küsten
auch keinen Tourismus. Diese Paare gehören zusammen.
So einfach ist also das Verhältnis zwischen Nutzung und
Schutz der Meere. Deswegen steht im Grünbuch:
Eine gesunde Meeresumwelt ist unerlässliche Voraussetzung für die Nutzung des vollen Potenzials
der Meere.
Das hört sich selbstverständlich an. Die Praxis sieht
aber leider anders aus: Wir haben Überfischung, wir haben enormen Beifang von Meeressäugern, wir haben die
Grundnetzfischerei, wir haben eine Überdüngung, Verlärmung und Vermüllung der Meere. Das ist heute noch
die Realität. Hinzu kommen - als wäre das alles noch
nicht bedrohlich genug - die Erwärmung und Versauerung der Meere durch den Klimawandel. Deshalb ist es
wichtig, dass wir - das war heute auch gemeinsamer Tenor - unseren Beitrag zum nachhaltigen Schutz dieser
belasteten, übernutzten und empfindlichen Ökosysteme
leisten, damit sie regenerieren können und wieder eine
größere Artenvielfalt erreicht wird. Die Nutzung der
Meere muss also intelligenter und nachhaltiger werden.
({3})
Die Regierung tut vieles. Die Beschlüsse, die vorgestern
zum Klimaschutz gefasst wurden, sind natürlich auch
praktizierter Meeresschutz. Ich habe versucht, das aufzuzeigen.
Wir müssen uns darum kümmern, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung realisiert wird. Wir brauchen eine
bessere Überwachung der Fangquoten und eine Bekämpfung der illegalen Fischerei. Außerdem brauchen
wir mehr Forschung und mehr Daten zur Meeresumwelt.
Durch die heutige Diskussion werden wir angehalten,
uns über den Schutz der Meere noch mehr Gedanken zu
machen. Wir müssen vieles auf den Weg bringen.
Ich teile Ihr Engagement für den Erhalt eines guten
Zustandes unserer Meere. Ich teile auch Ihre Ansicht,
dass die Meere einen Wert an sich darstellen. In der Gesellschaft darf nicht alles in Euro, Dollar oder Yen bewertet werden. Die Schönheit und die Vielfalt der Meere
sind ein Wert an sich, den es zu erhalten gilt. Es geht
nicht nur um die wirtschaftliche Nutzung.
({4})
Ich teile aber nicht Ihre Einschätzung, der Meeresschutz würde einseitig den wirtschaftlichen Interessen
geopfert. Dafür gibt es sehr viele gute Beispiele. Deswegen müssen wir Ihren Antrag aus inhaltlichen Gründen
ablehnen. Ich empfehle Ihnen - vielleicht nutzen Sie dafür die Sommerpause -, die Bremer Erklärung zur
künftigen Meerespolitik der EU zu lesen. In dieser Erklärung sind sehr viele gute Ansätze enthalten, wie die
Ziele, über die wir uns alle eigentlich einig sind, erreicht
werden können.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Deshalb kann ich sagen, viele Forderungen Ihres Entschließungsantrags befinden sich bereits in guten Händen und sind auf gutem Wege. Wir müssen Ihren Antrag
ablehnen, weil vieles, was Sie fordern, bereits realisiert
wurde. Vor allen Dingen ist der einseitige Angriff, hier
stünden nur wirtschaftliche Interessen im Vordergrund,
nicht zu halten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen weiterhin eine interessante Diskussion.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5973.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts
- Drucksache 16/3945 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 16/5862 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Bernhard Brinkmann ({1})
Sevim Dağdelen
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich
diejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, den Saal
zu verlassen, damit die anderen der Debatte ungestört
folgen können.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär
Alfred Hartenbach.
Herr Präsident! Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs hat Frau Bundesministerin Zypries, die Sie
übrigens herzlich grüßen lässt - sie hat andere wichtige
Aufgaben, lieber Uwe -, gesagt: Der 1. Januar 2008 soll
ein guter Tag für alle Menschen werden, die eine Versicherung abgeschlossen haben. Heute kann ich Ihnen sagen: Der 1. Januar 2008 wird ein guter Tag für alle Versicherungsnehmer.
({0})
- Ich danke euch für den Beifall, liebe Freunde. - Wir
werden dann ein modernes Versicherungsvertragsgesetz
haben.
Die Versicherungsnehmer werden dann erstens
gründlicher informiert, zweitens haben sie mehr Rechte,
und drittens bekommen sie bei Lebensversicherungen
mehr Geld. Vor allem bei der Lebensversicherung
bringt das neue Gesetz wichtige Verbesserungen. Wir
schreiben den Anspruch auf Überschussbeteiligung als
Regelfall im Gesetz fest und bestimmen, dass dabei auch
die stillen Reserven einer Versicherung berücksichtigt
werden.
In Zukunft gibt es auch klare Regeln für die Berechnung des Rückkaufwertes. Außerdem werden die Abschlusskosten auf fünf Jahre verteilt. Das wird dazu führen, dass es beim sogenannten Frühstorno einen höheren
Rückkaufwert gibt. Wer also nach zwei Jahren kündigt,
geht in Zukunft nicht mehr leer aus, weil seine Beiträge
nicht mehr vollständig von den Kosten aufgezehrt werden.
Das neue Gesetz stärkt den Verbraucherschutz auch
über die Lebensversicherungen hinaus. Wir sorgen im
gesamten Versicherungsrecht für mehr Transparenz. Verbraucher werden künftig besser beraten und informiert,
und zwar vor Abschluss eines Versicherungsvertrags.
Das sogenannte Policenmodell, bei dem der Versicherungsnehmer erst nachträglich die maßgeblichen Informationen erhält, wird abgeschafft. Keine Sorge, lieber
Bernhard, die Versicherungsvertreter werden künftig
nicht mit einem Kleinlastwagen durch die Gegend fahren müssen. Sie haben alle Informationen auf ihrem Laptop; da bin ich mir sicher.
({1})
- Ich weiß.
Die Verbraucher sollen auch erfahren, was sie ein bestimmter Vertrag kostet. Vor allem bei der Lebensversicherung müssen die Abschluss- und Vertriebskosten
in Zukunft vor Vertragsabschluss offengelegt werden.
Das schafft Klarheit über Rendite und Kosten, und dadurch kann man die Lebensversicherung mit anderen
Kapitalanlageformen besser vergleichen.
Abschaffen werden wir mit dieser Reform das sogenannte Alles-oder-nichts-Prinzip. Verletzt der Versicherungsnehmer künftig seine Vertragspflichten grob fahrlässig, wird geprüft, wie schwer das Verschulden des
Versicherten wirklich wiegt. Nur um diesen Anteil kann
die Versicherung ihre Leistungen kürzen.
Ein wichtiger Zugewinn an Verbraucherschutz ist
auch der neue Direktanspruch des Geschädigten bei
Pflichtversicherungen. Zugegeben: Wir hätten gern etwas mehr gehabt, aber die Beratungen haben mich überzeugt. Es bleibt also jetzt dabei: Wenn ein Schädiger
nicht greifbar oder insolvent ist, dann hat der Geschädigte keine Chance, von ihm Ersatz zu verlangen, und
das, obwohl für den Schadensfall Versicherungsschutz
besteht. In diesen Fällen kann er künftig direkt vom Versicherer Schadenersatz verlangen. Wir kennen einen Direktanspruch ja schon bei der Kfz-Haftpflichtversicherung. Dieses Modell übertragen wir jetzt auf die Fälle
der Insolvenz oder Abwesenheit des Schädigers.
Nach nur fünf Monaten parlamentarischer Beratung
können wir heute ein großes Reformwerk abschließen.
Diese rasche Gesetzgebung war möglich, weil wir dieses
Projekt mit einer Expertenkommission gründlich vorbereitet haben. Wir bekommen jetzt ein modernes Versicherungsrecht mit mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit.
Das ist ein großer Gewinn. Das alte Versicherungsvertragsrecht hat hundert Jahre durchgehalten, Herr
Wanderwitz. Ob das neue so lange hält, wissen wir nicht.
Aber wir wollen uns darum bemühen.
Ich darf mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum
Abschluss sehr herzlich bedanken, zunächst einmal bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Justiz, die hier ganz gespannt sitzen und darauf warten, zu erfahren, was heute dabei herauskommt.
({2})
Ich denke, sie haben eine gründliche und gute Vorarbeit
geleistet. Ich darf mich auch sehr herzlich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern aller Parteien
- leider kann ich die Linksfraktion bzw. die PDS hierbei
nicht einschließen - bedanken. Ich darf folgende Personen ein bisschen hervorheben - ich hoffe, die anderen
sind mir deswegen nicht böse -: Herrn Wanderwitz, den
Fachmann Brinkmann und vor allen Dingen Dirk
Manzewski, der mit ruhiger Hand, wie das bei Sozialdemokraten so üblich ist,
({3})
durch alle Fährnisse dieser Beratungen geführt hat. Dabei sind wir zu einem guten Schluss gekommen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Mechthild Dyckmans
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
es gleich vorwegzunehmen: Gerne hätte ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in Übereinstimmung mit
möglichst allen Fraktionen heute zugestimmt.
({0})
Aber die Umsetzung der von meiner Fraktion strikt abgelehnten Gesundheitsreform mit ihren verfassungsrechtlich äußerst bedenklichen Regelungen zur Einführung
eines Basistarifs für private Krankenversicherungen
- diese Regelungen wurden in letzter Minute durch
Art. 11 des Gesetzentwurfs eingefügt ({1})
macht es meiner Fraktion unmöglich, diesem Gesetzentwurf heute zuzustimmen.
({2})
Dies ist umso bedauerlicher, als der Gesetzentwurf in
weiten Teilen zu begrüßen und zu unterstützen ist. Es
wurde dringend Zeit, ein 99 Jahre altes Gesetz zu modernisieren und es den heutigen Gegebenheiten anzupassen.
Gerade der Schutz der Versicherungsnehmer und damit
der Verbraucher musste gestärkt werden. Auch die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesgerichtshofes war notwendig.
Lange und heftig wurde von Anfang an über die Abschaffung des Policenmodells diskutiert. Für die einen
war nicht nachvollziehbar, weshalb dem Verbraucher im
Versicherungsrecht anders als bei Vertragsabschlüssen in
allen anderen Bereichen die notwendigen Informationen
erst nach Vertragsabschluss zusammen mit der Police
zukommen sollten. Für die anderen war nicht einsichtig,
weshalb ein Modell, das in der Praxis zu keinen großen
Schwierigkeiten geführt hat, verändert werden sollte.
Letztendlich war uns allen aber klar, dass wir die
Vorgaben der EU zu beachten haben. Das von der EUKommission gegen Deutschland angestrengte Vertragsverletzungsverfahren birgt eine so große Rechtsunsicherheit für die bereits laufenden Verträge, dass es verantwortungslos gewesen wäre, das Policenmodell
beizubehalten.
({3})
Wie Sie sehen, sind wir mit vielen Punkten einverstanden.
Nun zu einigen kritischen Punkten. Für meine Fraktion ist es nicht haltbar, dass künftig der genaue Inhalt
der vorvertraglichen Informationen vom Bundesjustizministerium durch eine Rechtsverordnung festgelegt
werden soll. Ich bin der Ansicht, dass es Sache des Gesetzgebers ist, die künftig mitzuteilenden Informationen
selber in concreto festzulegen, da es sich hierbei um
grundlegende gesetzgeberische Vorgaben handelt. Es
kann und darf uns nicht egal sein, welche konkreten Informationen den Versicherten vor Vertragsabschluss
übermittelt werden müssen, damit diese eigenverantwortlich ihre Entscheidung für oder gegen eine Versicherung fällen können.
Machen wir es doch so: Fügen wir dem Versicherungsvertragsgesetz eine Anlage wie die zu § 48 b des
Versicherungsvertragsgesetzes bei. 2004 war eine solche
vom Parlament beschlossene Anlage noch möglich. Das
hätten wir uns auch in diesem Fall gewünscht.
Kritisch sehen wir auch die neuen Regelungen zum
Direktanspruch. Ursprünglich hatte die Bundesregierung vorgeschlagen, den Geschädigten in allen Pflichtversicherungen einen Direktanspruch gegen die Versicherung des Schädigers einzuräumen. Begründet wurde
dies mit dem bereits im geltenden Recht vorgesehenen
Direktanspruch in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Bei
anderen Pflichtversicherungen - hier sind insbesondere
die Berufshaftpflichtversicherungen bestimmter selbstständiger Berufe zu nennen - sind allerdings sowohl die
Schadensumstände als auch die Rahmenbedingungen
völlig andere. Im Übrigen gilt: Wenn es nicht nötig ist,
eine Vorschrift zu erlassen, ist es nötig, keine Vorschrift
zu erlassen.
({4})
Den Vertretern des Bundesministeriums der Justiz
war es in den Berichterstattergesprächen nicht möglich,
uns wenigstens eine Handvoll Fälle zu präsentieren, in
denen ein Direktanspruch nötig gewesen wäre. Auch
wenn der Direktanspruch nach der deutlichen Kritik, die
in den Beratungen geäußert wurde, nun auf die Fälle der
Insolvenz und des unbekannten Aufenthalts des Schädigers reduziert wurde - Herr Hartenbach hat darauf hingewiesen -, konnte uns auch insoweit kein wirkliches
Bedürfnis nach einem Direktanspruch nachgewiesen
werden.
Leider ist die Koalition in dieser Frage vor dem Bundesjustizministerium eingeknickt.
({5})
Es wäre besser gewesen, meine Herren, Sie wären bei
Ihrer eindeutig geäußerten generellen Ablehnung des Direktanspruchs geblieben. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass dieses Gesetz ein Meilenstein in der Geschichte
des Versicherungsvertragsrechts ist.
({6})
Viele Veränderungen werden sich aber erst im Laufe seiner Umsetzung zeigen.
Damit bin ich beim letzten Punkt meiner Kritik: Die
im Gesetzentwurf vorgesehene Frist, innerhalb derer die
Versicherungswirtschaft dies umsetzen muss, ist zu
knapp bemessen.
({7})
Die bestehenden Verträge - es handelt sich hierbei, wie
wir alle wissen, um circa 430 Millionen Verträge; allein
94 Millionen davon sind Lebensversicherungen - müssen laut Gesetzentwurf bis zum 31. Dezember 2008 auf
die neuen Regelungen umgestellt worden sein. Dies ist
unseres Erachtens nicht zu schaffen; für diese Mammutaufgabe scheinen uns zwei Jahre notwendig, aber auch
angemessen.
({8})
Die genannten Kritikpunkte wären für uns alleine
kein zwingender Grund gewesen, dieses Gesetz abzulehnen. Es liegt an der Umsetzung der Gesundheitsreform
in diesem Gesetzentwurf, die es uns unmöglich macht,
dem heute zuzustimmen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
1. Februar haben wir in erster Lesung über das heute abzuschließende Gesetzgebungsverfahren debattiert. Kollege Staatssekretär Hartenbach hat schon gesagt: Wir
haben in einer relativ kurzen Zeit umfängliche parlamentarische Beratungen hinter uns gebracht, unter anderem
eine Expertenanhörung, die aus meiner Sicht erheblich
zur Erhellung beigetragen hat.
Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass wir zum
einen eine umfangreiche und gute Zuarbeit der für das
Versicherungsvertragsgesetz eingesetzten Expertenkommission hatten und zum anderen einen bereits sehr
guten Entwurf vom BMJ vorgelegt bekamen. Von daher
möchte ich den Mitgliedern der Kommission ebenso wie
den Beamten im BMJ, den Experten aus der Anhörung
und nicht zuletzt den Berichterstatterkollegen an dieser
Stelle danken. Da in einer Koalition durchaus einmal erwähnt werden sollte, wo es ausgesprochen gut funktioniert hat, möchte ich mich insbesondere beim Kollegen
Manzewski bedanken, der an vielen Stellen für die
Rechtspolitik der SPD Verantwortung übernimmt.
Das heute zu beschließende Gesetz ist ein mutiges
Gesetz; auch das ist schon gesagt worden. Es hat sich
nicht mehr gelohnt, das Gesetz, das fast hundert Jahre alt
war, weiter zu verbessern. Wir haben es gewagt, es komplett neu zu machen. Das Leitbild des Verbrauchers ist
mittlerweile ein anderes als das von 1908: Heute ist der
Verbraucher eigenverantwortlich und selbstbestimmt.
Der Interessenausgleich zwischen Versicherten und Versicherungen, aber auch zwischen den verschiedenen Interessen innerhalb der Versichertengemeinschaft ist
heute anders und prägt dieses Gesetz.
Wir bringen damit heute ein weiteres - das Urheberrecht ist heute schon besprochen worden - gewichtiges
rechts- und verbraucherpolitisches Vorhaben der Bundesregierung in den Hafen. Wir tun dies deutlich vor
dessen Inkrafttreten zum 1. Januar 2008 und geben damit der Versicherungswirtschaft die notwendige Zeit zur
Vorbereitung.
({0})
Vieles hat Kollege Staatssekretär Hartenbach schon
gesagt, und Richtiges muss man nicht wiederholen.
Hinzu kommt, dass noch zwei Kollegen für meine Fraktion sprechen und auf den einen oder anderen Punkt eingehen werden, sodass ich mich auf einige wenige Punkte
beschränken möchte. Denn es gab doch manche Veränderungen am vorliegenden Entwurf, von denen ich einige für die Union in Anspruch nehme.
Zum einen gibt es Veränderungen - die ich für Verbesserungen halte - rund um § 169. Ich habe schon in
meiner ersten Rede vor diesem Hohen Hause gesagt,
dass ich Rückwirkungen auf Bestandsverträge im Bereich der Lebensversicherungen für kein gutes Zeichen
halte. Wir haben natürlich Änderungsbedarf: gemäß der
höchstrichterlichen Rechtsprechung; das ist völlig klar.
Uns ist aufgegeben worden, diese Veränderungen in
2008 umzusetzen. Aber Bedarf, in bestehende Verträge
einzugreifen, haben wir nie gesehen. Deswegen freut es
uns, dass in dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf
in diesem Bereich keine Rückwirkungen mehr vorhanden sind. Das bedeutet für die Versicherten und für die
Versicherer - sprich: für beide Vertragspartner -: Was
abgeschlossen worden ist, behält Gültigkeit; es finden
keine rückwirkenden Eingriffe in Kalkulationen und in
Verträge statt. Das ist für mich ein gewichtiger Punkt.
({1})
Die Unionsfraktion hat sich zudem - nicht als einzige,
aber auch - dagegen gewandt, einen generellen Direktanspruch einzuführen. Ich glaube, wir sind mit den beiden kleinen Erweiterungen - wir sind also weit entfernt
von einem generellen Direktanspruch in den Pflichtversicherungen -, die ich für sinnvoll erachte, Frau Kollegin
Dyckmans, und derentwegen wir dem auch zustimmen
werden, auf einem guten Weg, was die Pflichtversicherungen betrifft.
Schließlich möchte ich in der Kürze der Zeit noch das
Recht der privaten Krankenversicherungen ansprechen.
Wir haben, was den Datenschutz betrifft, höchstrichterliche Rechtsprechung umzusetzen. Es muss jedem möglich sein, Einzeleinwilligungen in die Übermittlung von
Gesundheitsdaten zu geben; diese Möglichkeit ist gefordert. Der ursprüngliche Entwurf des BMJ sah vor,
dass das zum Regelfall wird. Wir haben jetzt eine
Änderung, wonach es zumindest zwei nebeneinander
stehende Alternativen gibt: auf der einen Seite die Einzeleinwilligung, auf der anderen Seite die weiterhin mögliche pauschale Einwilligung zu Vertragsbeginn oder der
jederzeitige Wechsel zwischen diesen beiden Möglichkeiten während der Vertragslaufzeit.
Ganz besonders liegt mir am Herzen, dass der, der bestellt, auch bezahlen muss. Die Versicherungsnehmer,
die das wünschen, müssen also die Mehrkosten selbst
tragen und nicht der Teil der Versichertengemeinschaft,
der das für sich nicht in Anspruch nimmt.
Ich finde es sehr bedauerlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP, dass bei all der Zustimmung an
einem relativ kleinen Punkt das Haar in der Suppe gesucht wird.
({2})
Es war ein zentraler Punkt bei der Gesundheitsreform.
({3})
Es gab dazu eine Abstimmung in diesem Hause. Wenn
man etwas, das schon im Gesetzblatt steht, inhaltsgleich
in ein anderes Gesetz überträgt, kann man sich natürlich
so verhalten, wie Sie es getan haben. Das ist Ihr gutes
Recht. Aber es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden,
wenn Sie wie die Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen mit uns - bei allen Kritikpunkten und ähnlich,
wie es beim Urheberrecht gang und gäbe ist - einen breiten Konsens gesucht und gefunden hätten und sich zur
Zustimmung durchgerungen hätten.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Fraktion Die Linke begrüßt viele Neuerungen, die in
dem Gesetzentwurf zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes verankert sind. Diese gehen zum Teil auf
die jahrelange Vorarbeit der Kommission zur Reform
des Versicherungsvertragsgesetzes zurück. Die Reform
führt zu einigen grundlegenden und überfälligen Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie
müssen besser beraten und informiert werden, das Allesoder-Nichts-Prinzip wird endlich aufgegeben, und das
Policenmodell entfällt.
Wichtiger ist noch, dass nunmehr die Inhaber von Lebensversicherungen endlich zur Hälfte an den stillen
Reserven beteiligt werden sollen, die mit ihrem Vermögen und dem Vermögen anderer Versicherter erwirtschaftet wurden. Zwar halten wir eine 50-prozentige Beteiligung für zu gering, ich gestehe aber, dass wir von
der Bundesregierung auch nicht mehr erwartet haben.
Denn selbst diesen verhältnismäßig bescheidenen finanziellen Zugewinn für die Bürgerinnen und Bürger
musste erst das Bundesverfassungsgericht erzwingen.
({0})
Bekanntermaßen verteilt die momentane Mehrheit
dieses Hauses Geschenke in der Regel lieber an die großen Unternehmen. Damit wären wir bei der Kritik, die
zu üben leider Anlass besteht. Ich möchte drei Punkte
ansprechen.
Erstens. Der Entwurf koppelt den Umfang der Beratungspflicht des Versicherers an die Höhe der Prämien,
die der Versicherungsnehmer leistet. Dies ist jedoch bei
Haftpflichtversicherungen extrem gefährlich. Bei diesen
sind in der Regel nur verhältnismäßig geringe Prämien
zu leisten. Aber gerade bei dieser Art der Versicherung
kann eine oberflächliche Beratung existenzgefährdende
Folgen haben. Wenn der Versicherungsnehmer erst nachträglich merkt, dass er falsch versichert ist, zahlt er dann
nämlich im Extremfall ein Leben lang.
Zweitens. Hat der Versicherungsnehmer eine ihm obliegende Vertragspflicht verletzt, wird vermutet, er habe
dies grob fahrlässig getan. Dies verstößt meines Erachtens gegen die allgemeine Systematik des Zivilrechts.
Wenn der Versicherungsnehmer beispielsweise eine Frist
nicht gewahrt hat, muss er beweisen, sich nicht dümmer
angestellt zu haben, als die Polizei erlaubt. Dieser Nachweis dürfte ihm naturgemäß oftmals gar nicht möglich
sein, was zur Folge hat, dass der Versicherer die Versicherungsleistung beachtlich kürzen kann. Hierdurch
werden Versicherer geradezu ermutigt, pauschal grobe
Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers zu behaupten
und nur einen Bruchteil der von ihnen geschuldeten Versicherungsleistung zu zahlen.
Drittens. Unterlässt der Versicherer die Belehrung
über das Widerrufsrecht, muss er richtigerweise hinnehmen, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag prinzipiell unbefristet widerrufen kann. Allerdings muss der Versicherer die Prämie dann nur für
das erste Versicherungsjahr zurückzahlen. Im Bereich
der kapitalbildenden Versicherungen wird aber niemand
die Versicherung widerrufen, wenn er die gezahlten Prämien nicht zurückbekommt. Diese Beschränkung der
Rückzahlungspflicht ist Unsinn oder eine gewollte faktische Einschränkung des Widerrufsrechts auf den Zeitraum von einem Jahr. In jedem Fall widerspricht sie der
Rechtsprechung des EuGH.
({1})
An diesen Punkten hat sich die Große Koalition bewusst für die Lobby der Versicherungsunternehmen und
gegen die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher entschieden.
({2})
- Das ist einfach so.
Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt hinweisen, bei dem ich an ein Versehen glaube. Vielleicht
hören Sie mir zu.
({3})
Ich hoffe, dass ich hier auch zu Ihnen durchdringen
kann.
({4})
Beantragt der Versicherungsnehmer eine Versicherung, aber der Versicherer stellt einen abweichenden
Versicherungsschein aus, dann hat der Versicherungsnehmer die Möglichkeit, zu widersprechen. Auf die Änderungen und auf das Widerspruchsrecht muss der Versicherer hinweisen. Tut er dies nicht, dann gilt der Vertrag
als mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsnehmers geschlossen. Diese Vorschrift führt in der Regel zu
angemessenen Ergebnissen. Allerdings - darauf möchte
ich Sie hinweisen - sind durchaus Fälle denkbar, in denen diese Vorschrift zu Rechtsfolgen führt, die der verbraucherfreundlichen Intention der Norm widersprechen.
Hat der Versicherungsnehmer über die gesamte Vertragslaufzeit die höheren Prämien nach den Vorgaben
des Versicherungsscheins gezahlt und hat er nach diesem
auch einen Anspruch auf höhere Zahlungen des Versicherers, so wird durch den bestehenden § 5 Abs. 3 des
Versicherungsvertragsgesetzes bewirkt, dass der Versicherungsnehmer trotz Zahlung der höheren Prämie nur
die niedrigere Versicherungsleistung verlangen kann.
Das ist widersprüchlich und ungerecht. Ich gehe davon
aus, dass Sie das mit Ihrem Gesetzentwurf nicht wollen.
({5})
Diesen und die weiteren Mängel des Gesetzes können
Sie relativ einfach beseitigen. Wir haben Ihnen für die
heutige abschließende Beratung einen Änderungsantrag
unterbreitet. Dies ist einer der Punkte. Ich fordere Sie
auf, unserem Änderungsantrag zu folgen. Ansonsten
können wir dem Gesetzentwurf heute leider nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Gesetz, das wir heute fast alle gemeinsam reformieren
- wir bringen die Reform zu Ende -, ist noch vom Deutschen Kaiser und König von Preußen vor genau 100 Jahren verordnet worden.
In dieser Zeit hat sich ein enormer Änderungsbedarf
ergeben. Die Praxis hat in den Jahrzehnten nicht auf den
Gesetzgeber gewartet, sondern in der Praxis und in der
freien Rechtschöpfung wurden viele Institute im Versicherungsrecht entwickelt, zum Beispiel zur vorläufigen
Deckungszusage und zum Bereich der Berufsunfähigkeit. Wir ziehen mit der Gesetzesänderung jetzt nach.
Sie kommt spät, aber sie ist äußerst intensiv vorbereitet
worden. Nun kommt sie, und ich glaube, dass das für die
Millionen Menschen, die mit Versicherungen zu tun haben, die also Kunden von Versicherungsgesellschaften
sind, ein enormer Fortschritt ist.
Ich will drei große Punkte erwähnen:
Erstens. Die Kollegen der Koalition haben in den Beratungen erkennbar immer so getan, als ob sie damit gar
nicht sehr zufrieden sind, erklären das jetzt aber zu einem großen Punkt. Ich bekenne mich: Ich finde das
Ende des Policenmodells richtig gut.
Ich glaube, in der heutigen Welt ist es nicht mehr richtig, dass man den Bürgerinnen und Bürgern zumutet,
dass sie Verträge abschließen und den Inhalt erst hinterher zugeschickt bekommen. Es wird natürlich bürokratische Probleme geben, die die Versicherungswirtschaft zu
lösen haben wird. Ich finde es aber in Ordnung, dass der
Grundsatz, dass man erst liest und zur Kenntnis nimmt
und dann unterschreibt, endlich auch so im Gesetz steht.
Zweitens ist auch die Aufgabe des Alles-oder-nichtsPrinzips - bei Vertragsstörungen also vernünftig und angemessen zu reagieren und nicht immer gleich mit der
Beendigung des Vertrags oder der Auflösung aller Ansprüche zu drohen - aus meiner Sicht in Ordnung.
Drittens sind auch die weitreichenden Informationsund Beratungspflichten, die im Gesetzentwurf implementiert sind, ein großer Pluspunkt. Mit diesem Gesetzentwurf ist der Versicherungskunde zwar immer noch
kein König; er ist aber auch kein Bettler mehr.
Wir Grüne haben zuerst in der Regierung und jetzt in
der Opposition bei den Beratungen des Gesetzentwurfs
mitgearbeitet. Wir haben uns eingebracht und Vorschläge gemacht, mit denen wir uns zum Teil auch
durchsetzen konnten. Wir tragen die Reform mit und
werden dem Gesetzentwurf zustimmen.
Ich will in der Kürze der Zeit allerdings auch einige
kritische Punkte anmerken. Der Direktanspruch in der
Pflichtversicherung ist eingeschränkt worden; auch
Staatssekretär Hartenbach hat das mit einem Unterton
des Bedauerns festgestellt. Ich glaube allerdings nicht,
dass das ein herausragender Punkt ist, der uns zu einer
Ablehnung zwingen müsste. Denn die Ausnahmen, die
jetzt vorgesehen sind, sind ein kleiner Schritt nach
vorne. Ich kann nichts Schlimmes daran finden, dass der
Versicherte dann, wenn er Schwierigkeiten hat, den
Schädiger in Haftung zu nehmen, einen Direktanspruch
bei der Versicherung geltend machen kann.
({0})
- Auch dann, wenn er ihn nicht kennt, kann er den Direktanspruch geltend machen.
({1})
Genau das sind die beiden Ausnahmen, die beibehalten
worden sind.
Dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Beratungspflicht zwei Bedingungen unterliegt, haben wir in den
Beratungen gerügt. Wir meinen, dass eine Bedingung
ausreichen würde. Es bleibt abzuwarten, wie sich das in
der Praxis entwickelt. Denn dass der Vertreter der Versicherung, bevor er überhaupt in die Beratung eintritt, einseitig in seiner Sphäre eine Entscheidung treffen kann,
ob er beraten muss oder will, und - wenn er zu der Überzeugung kommt, eine Beratung durchzuführen - in einer
zweiten Stufe dem Versicherten anbieten kann, darauf zu
verzichten, wenn er einen Revers unterschreibt, dass er
die Haftung übernimmt, ist meines Erachtens ein Schritt
zu viel.
Auch die Frage der Beweislast ist kritisch zu sehen.
Es ist zwar ein Vorteil gegenüber der jetzigen Rechtslage, dass wir nun bei grober Fahrlässigkeit eine Aufteilung des Schadens erreichen können. Aber wer dann die
Beweislast trägt, ist immer noch anders geregelt als im
allgemeinen Zivilrecht. Wenn es dabei zu Problemen
kommt, werden wir uns nicht erst in 100 Jahren, sondern
früher damit befassen müssen.
Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung. Es
war unschön, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, die Regelung zur privaten Krankenversicherung so spät und nur im Rahmen der letzten Unterlagen in den Gesetzentwurf übertragen haben. Aber,
liebe Kollegen von der FDP, die Tatsache, dass Sie und
wir dagegen waren, kann doch kein Grund sein, gegen
den Entwurf des Versicherungsvertragsgesetzes zu stimmen.
({2})
Dies ist eine absolut inhaltsgleiche Übertragung eines
geltenden Gesetzes, das uns nicht gefällt. Ich finde, in
diesem Zusammenhang reicht, was ich jetzt zu Protokoll
geben werde: Ich erkläre für die Grünen, dass die Zustimmung zum Versicherungsvertragsgesetzentwurf
nicht implizit als Zustimmung zu dem Gesetzentwurf gedeutet werden kann, den wir damals abgelehnt haben.
Damit soll es genug sein. Ich glaube, das reicht.
({3})
Wir sollten dem Gesetzentwurf allseitig unsere Zustimmung geben.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Manzewski von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Freunde der Rechtspolitik! Als sich die Bundesregierung
des VVG angenommen hat, hat sich sehr schnell die Erkenntnis durchgesetzt, dass punktuelle Änderungen oder
Ergänzungen nicht mehr ausreichen, sondern dass eine
Gesamtreform notwendig ist.
Mein Dank gilt daher zunächst dem BMJ und seinen
Mitarbeitern, namentlich Herrn Schäfer und Herrn
Schöfisch. Denn bereits die Diskussion mit den betroffenen Kreisen und die Anhörung haben gezeigt, dass uns
ein meiner Auffassung nach hervorragender Gesetzentwurf vorgelegt worden ist.
Die Gewinner dieses Gesetzes werden eindeutig - das
muss man so deutlich sagen, Herr Kollege Montag und
Frau Kollegin Dr. Höll - die Verbraucherinnen und
Verbraucher unseres Landes sein. Lassen Sie mich dies
kurz konkretisieren.
Erstens. Durch die Abschaffung des Policenmodells
und die neugestalteten §§ 6 und 7 des VVG wird es keinen anderen Bereich geben, in dem die Verbraucher bereits vor Vertragsschluss derart umfassende Informationen und Beratungen über den Vertragsgegenstand
erhalten.
Zweitens. Dies wird - sozusagen als Nebeneffekt dazu führen, dass den Verbrauchern im Streitfall auch
die Beweisführung erleichtert wird.
Drittens. Da der Versicherungsnehmer grundsätzlich
nur noch ihm bekannte Umstände anzeigen muss, nach
denen der Versicherer zuvor in Textform gefragt hat,
liegt das Risiko einer Fehleinschätzung in der Frage, ob
nun ein bestimmter Umstand für das Versicherungsverhältnis wichtig gewesen ist oder nicht, nicht mehr bei
den Versicherungsnehmern, sondern bei den Versicherern.
Viertens. In bestimmten Fällen, wenn der Aufenthalt
des Schädigers unbekannt ist oder über sein Vermögen
das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wird der Verbraucher - das wurde bereits angesprochen - sogar einen
Direktanspruch gegen die Versicherung des Schädigers
erhalten. Das ist ein Fortschritt; das kann man nicht wegdiskutieren.
Fünftens. Soweit der Versicherungsnehmer bislang
gezwungen war, seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung binnen sechs Monaten geltend zu machen, wird
diese im Grunde genommen einseitige Verkürzung der
Verjährungsfrist zulasten der Versicherungsnehmer wegfallen.
Sechstens. Das Alles-oder-nichts-Prinzip wird wegfallen. Das bedeutet - für diejenigen, die sich nicht auskennen -, dass der Versicherungsnehmer künftig selbst
bei grob fahrlässigem Verhalten, abgestuft nach der
Schwere seines Verschuldens, Leistungen erhält. Das ist
neu und gut für den Verbraucher.
Siebtens. Bei der Lebensversicherung wird der Versicherungsnehmer künftig mittels einer Modellrechnung
vorab darüber informiert werden, welche Leistungen ihn
realistischerweise erwarten werden.
Achtens. Der Versicherungsnehmer wird zukünftig
richtigerweise an den stillen Reserven der Versicherung
beteiligt werden.
Neuntens. Der Rückkaufswert der Lebensversicherung wird künftig nicht mehr nach dem Zeitwert, sondern nach dem Deckungskapital der Versicherung und
damit nach einer feststehenden Größe berechnet werden.
Zehntens. Die Abschlusskosten der Lebensversicherung werden auf die ersten fünf Jahre verteilt, sodass der
Rückkaufswert von Lebensversicherungen in diesen ersten fünf Jahren höher ausfallen wird.
Elftens. Wird der Versicherungsvertrag im Laufe des
Versicherungsjahres gekündigt, muss der Versicherungsnehmer die Prämie künftig nur bis zu diesem Zeitpunkt
und nicht mehr bis zum Ende der Versicherungsperiode
zahlen.
Zwölftens. Künftig können alle Versicherungsverträge unabhängig vom Vertriebsweg und ohne Angaben
von Gründen binnen zwei Wochen - bei Lebensversicherungen binnen 30 Tage - widerrufen werden.
Kollege Montag, angesichts dessen kann ich durchaus
verstehen, dass man diesem Gesetzentwurf zustimmen
muss, trotz aller Bedenken, die möglicherweise noch bestehen.
Lassen Sie mich deutlich machen, dass ich persönlich
durchaus weiterhin mit dem Policenmodell hätte leben
können. Die Begründung lautet ganz einfach: Es hat sich
bewährt, während sich das neue System erst einspielen
muss. Es wäre aber zu befürchten gewesen - Kollegin
Dyckmans hat es angesprochen -, dass uns die Beibehaltung auf EU-Ebene um die Ohren gehauen worden wäre,
sodass ich insoweit gerne unseren Verbraucherschützern
entgegengekommen bin.
Auch der Direktanspruch in der jetzigen Form sowie
die Abkehr vom Alles-oder-nichts-Prinzip stellen für
mich - das sage ich deutlich - Kompromisse dar. Soweit
kritisiert wird, dass der Direktanspruch im ursprünglichen Entwurf noch weiter gefasst war, bleibt anzumerken, dass wir in der Koalition davon ausgegangen sind,
dass dies zu erheblichen Mehrkosten für die Gemeinschaft der Versicherten geführt hätte. Das kann man
kaum als verbraucherfreundlich bezeichnen.
Soweit die FDP rügt - genauso wie die Grünen -,
dass ihr die Einfügung der Vorschriften zur Umsetzung
der Gesundheitsreform zu spät mitgeteilt worden seien,
bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei lediglich um deren inhaltsgleiche Übernahme handelt. Im Übrigen, Frau
Kollegin Dyckmans, lagen zwischen Übersendung und
der Sitzung des Rechtsausschusses viereinhalb Tage.
Damit war genügend Zeit zur Kontrolle. Wir kennen
ganz andere Gesetzgebungsverfahren, in denen Sie tatsächlich ein oder zwei Tage vorher damit konfrontiert
werden. Hier kann ich die Kritik durchaus verstehen.
Wenn aber insbesondere ein Wochenende dazwischen
liegt, bleibt eigentlich genügend Zeit. Frau Kollegin, zumindest bis zum heutigen Tag hätte man die Kontrolle
vornehmen und wenigstens jetzt im Plenum zustimmen
können.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen und mich abschließend bei den Verbraucherschützern der Koalition,
namentlich bei Frau Klöckner und Herrn Zöllmer, bei
meinem Kollegen Bernhard Brinkmann von der SPD sowie bei den Kollegen Wanderwitz und Flosbach von der
CDU/CSU für die sehr konstruktive Zusammenarbeit
bedanken. Wir haben sehr viele Termine gemeinsam
wahrgenommen, um zu diesem Ergebnis zu kommen.
Ich glaube - das mache ich ganz deutlich, Frau Klöckner -,
dass heute ein guter Tag für die Verbraucherinnen und
Verbraucher in unserem Lande ist.
Frau Kollegin Dr. Höll, lassen Sie mich abschließend
Kritik äußern - darüber haben wir schon vorhin im Rahmen der Debatte über das Urheberrecht gesprochen -:
Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts war für die Rechtspolitik das wichtigste Vorhaben
in diesem Jahr. Ich meine, die Reform des Versicherungsvertragsrechts war von seinem Umfang her das
zweitwichtigste Vorhaben in diesem Jahr. Sie waren bei
den Beratungen nicht dabei. Ich glaube, Sie sind nicht
die federführende Berichterstatterin im Rechtsausschuss;
vielleicht treffe ich mit meiner Kritik die Falsche. Ich
empfinde es aber als eine ziemliche Frechheit, dass sich
mittlerweile bei Ihnen eingebürgert hat - klären Sie das
bitte einmal in Ihrer Fraktion -, dass kein Abgeordneter
Ihrer Fraktion zu den zahlreichen Berichterstattergesprächen, zu denen wir einladen, erscheint, sondern nur noch
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht aussagefähig
sind. Vielleicht hätten wir doch ein paar Bedenken Ihrerseits aufnehmen können.
({0})
Vielleicht wären Sie dann bereit gewesen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bei jedem Gesetz
gibt es auch hier unterschiedliche Interessenlagen und
unterschiedliche Betroffene. In diesem Fall sind es die
Versicherer und die Versicherten. Ich bin wie mein Vorredner, Herr Manzewski, der Meinung, dass wir eine
gute Balance zwischen denen, die Versicherungen anbieten und vertreiben, und den Versicherungsnehmern gefunden haben. Dass es auf beiden Seiten immer Extrembeispiele des Missbrauchs, der Bürokratie und des
Nichtverstehens gibt, ist sicherlich klar. Das ist so in einer Demokratie und dort, wo es unterschiedliche Interessen gibt.
Ich bin der Meinung, eine Reform ist nur dann sinnvoll, wenn nachher etwas Besseres herauskommt als das,
was man vorher hatte. Wenn man diesen Maßstab anlegt,
dann ist die Große Koalition sehr zu loben;
({0})
denn es kommt in der Tat etwas Besseres heraus. In
100 Jahren haben sich die Bedingungen, die Anforderungen an die Verbraucher und auch die Angebote immens verändert. Das Informationsbedürfnis der Verbraucher ist größer geworden, und umgekehrt muss auch der
Versicherungsmarkt anders reagieren. Wenn man die Beratungszeit von fünf Monaten in Relation zu diesen
100 Jahren setzt, dann sieht das Ergebnis relativ gut aus.
Auch ich war etwas enttäuscht über die Bedenken der
Linksfraktion. Ich habe im Ausschuss nie etwas von den
Verbraucherschützern gehört. Ich finde, das ist eine
schlechte parlamentarische Vorgehensweise.
({1})
Parlamentarische Debatte heißt, dass man sich zu der
Zeit einbringt, in der man noch gestalten kann. Das haben Sie leider nicht getan.
({2})
- Sie haben eine Frage, und die lasse ich gerne zu.
Frau Kollegin Höll, bitte schön.
Frau Kollegin Klöckner, auf den eben geäußerten
Vorwurf der nicht ausreichenden Teilnahme kann ich
jetzt nicht eingehen. Würden Sie mir trotzdem zustimmen, dass das nichtsdestoweniger die anderen Mitglieder des Hauses nicht davon befreit, sich mit inhaltlichen
Vorschlägen auseinanderzusetzen und zu sehen - deswegen habe ich einen Punkt bewusst herausgegriffen -, ob
vielleicht ein Fehler vorliegt, der gerade bei einem umfangreichen Gesetzesvorhaben durchaus passieren kann?
Wir alle wissen aus langer parlamentarischer Erfahrung,
dass Nachbesserungen
({0})
manchmal noch in letzter Minute gut und wichtig sind.
Mir ist Ihr Hinweis zu wenig. Ich erwarte schon eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Frau Dr. Höll, wir haben von Ihnen eine inhaltliche
Auseinandersetzung erwartet. Das, was Sie heute präsentieren, ist eine populistische Auseinandersetzung;
denn Sie erwarten, dass wir uns in der heutigen abschließenden Beratung mit Ihren Argumenten inhaltlich auseinandersetzen, obwohl Sie sie vorher, als genau dafür
Raum war, nicht geäußert haben. Das ist Populismus.
({0})
Wir, die Union, aber auch die Koalitionspartner, haben ein ganz klares Bild vom Verbraucherschutz: Für
uns ist der informierte, mündige Verbraucher das Leitbild. Daher mussten wir mit dem Gesetz zur Reform des
Versicherungsvertragsrechts nachbessern. Die Informationspflicht, die Informationshinweise, die Transparenz
sind für uns die Voraussetzung dafür, dass ein Verbraucher überhaupt mündig entscheiden kann. Insofern unterstütze ich es ausdrücklich, dass gerade das Policenmodell weggefallen ist. Das Policenmodell war einmalig
in Europa. Policenmodell heißt, dass sämtliche Unterlagen dem Versicherten, sprich: dem Verbraucher, erst
nach Unterzeichnung des Versicherungsvertrags zugestellt werden. Der Verbraucher hat etwas unterschrieben,
und die notwendigen Informationen wurden ihm später
zugesandt.
Es mag in der Praxis so gewesen sein, dass die meisten Verbraucher nie in diese Unterlagen - häufig allzu
dicke Papiere - geschaut haben. Dennoch muss die Logik stimmen, und da ist der Verbraucher gefragt. Ich
finde es richtig, dass zuerst die Informationen und die
Unterlagen vorliegen müssen, bevor ein Versicherungsvertrag unterschrieben wird. Das bewahrt den eigenständigen Verbraucher aber natürlich nicht davor, selbst in
diese Unterlagen zu schauen.
Wir haben die notwendigen Rahmenbedingungen gesetzt. Mehr kann der Staat auch nicht leisten. Jetzt sind
die Verbraucherinnen und Verbraucher gefordert. Sie
müssen jetzt nicht mehr die Katze im Sack kaufen. Es gibt
auch die Möglichkeit, dass die Unterlagen per E-Mail
zugestellt werden bzw. dass man sie sich aus dem Internet herunterladen kann. Das ist praxisgerecht und sehr
pragmatisch.
Im Zusammenhang mit der Informationspflicht begrüße ich sehr, dass die Beratungspflichten eingehalten
werden müssen. Eine fahrlässige Nichtberatung oder
Falschberatung kann letztlich auch zu einem Schadenersatz führen. Wer grob fahrlässig gehandelt hat, wer einen
Beratungsfehler begangen hat oder wer seine Versicherten nicht darüber aufgeklärt hat, dass es eine Beratungspflicht gibt, wird für seine Nachlässigkeit aufkommen
müssen. Auch das hat etwas mit Verantwortung und mit
Vertrauen in die Branche zu tun.
Da wir praktisch veranlagt sind und Bürokratie abbauen möchten, haben die Bundesregierung und wir Koalitionsfraktionen auf Folgendes Wert gelegt: Wenn sich
Versicherer und Versicherter darüber einig sind, dass
schon genügend Informationen vorhanden sind oder dass
eine Versicherung schnell abgeschlossen werden muss,
dann kann auf die Erfüllung der Informationspflicht
- Stichwort „Zusendung der entsprechenden Dokumente“ - verzichtet werden.
Ich finde es sehr gut, dass die Verbraucher künftig
ohne Angabe von Gründen widerrufen können: bei Lebensversicherungen bis 30 Tage nach Abschluss, bei allen anderen Versicherungsverträgen mit einer Frist von
14 Tagen. Dadurch wird man der Tragweite dieser Versicherungen gerecht. Das Abschließen einer Lebensversicherung hat natürlich eine andere Dimension als das Abschließen kleinerer Versicherungen.
Stichwort „Alles-oder-nichts-Prinzip“: Wie die Kollegen schon erwähnt haben, ist die komplette Leistungsverweigerung nur noch bei vorsätzlichen Handlungen
möglich. Was die vorzeitige Kündigung angeht - das
war uns wichtig; schließlich mussten wir dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Folge leisten -, so ist nun geregelt, dass letztlich nicht das ganze Geld, das der Versicherte bis zur Kündigung eingezahlt hat, weg ist.
Abschließend möchte ich in dieser ganzen Diskussion
noch eines erwähnen: Verbraucher sind wir alle. Verbraucher sind auch diejenigen, die in einer Versicherung
verbleiben, und nicht nur diejenigen, die eine Versicherung kündigen. Ich bin wirklich sehr froh, dass wir
diesen Gesetzentwurf heute verabschieden. Dadurch
kommt es zu mehr Transparenz, zu mehr Wettbewerb
und zu mehr Eigenverantwortung, und das ist zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
Ich möchte allen, die am Zustandekommen dieses Gesetzentwurfs mitgearbeitet haben, herzlich danken.
({1})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Manzewski, besonders freue ich mich
über die Anwesenheit der Kollegen aus dem Finanzbereich und aus dem Verbraucherschutzbereich. Auch ich
möchte sie hier herzlich begrüßen.
Nach der Lektüre dessen, was in der heutigen Presse
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts steht,
möchte ich darauf hinweisen, dass die Versicherungswirtschaft und auch die Verbraucherschützer die Novelle
dieses Gesetzes außerordentlich begrüßen. Das ist nicht
nur ein gutes Zeichen, sondern zeigt auch, dass wir bei
den Auseinandersetzungen um dieses Gesetz einen fairen Ausgleich zwischen der Versicherungswirtschaft und
den Verbrauchern geschaffen haben. Insofern ist das ein
großer Erfolg für diese Koalition.
({0})
Seit dem ersten Referentenentwurf sind bereits anderthalb Jahre vergangen. Insofern gibt es schon eine
längere Diskussion zu diesem Thema. Ich bin selbst erstaunt, wie unterschiedlich auch wir in der eigenen Partei als Verbraucherschützer, Juristen und Wirtschaftler
dieses Thema betrachten. Dennoch bin ich froh, dass wir
zusammengefunden und alle Beteiligten unter einen Hut
bekommen haben.
Ich möchte nun ein Thema aufgreifen, das seit
25 Jahren in dieser gesamten Debatte eine große Rolle
gespielt hat, nämlich die stillen Reserven, die ja insbesondere in Lebensversicherungsverträgen in Form von
Immobilien, Beteiligungen, Aktien oder festverzinslichen Wertpapieren enthalten sind. Seit 25 Jahren streiten
sich Verbraucher und Versicherungsunternehmen, wem
diese stillen Reserven gehören: den Versicherten, den
Kunden oder dem Versicherungsunternehmen und deren
Aktionären?
Im ersten Entwurf des vergangenen Jahres sollten
noch 50 Prozent dieser stillen Reserven innerhalb von
zwei Jahren jedem einzelnen Vertrag zugeordnet werden. Die wirtschaftliche Folge wäre gewesen, dass die
Versicherungsunternehmen ihre gesamten Schwankungsmöglichkeiten, die ja existieren, nicht mehr hätten
ausgleichen können, dass man sogar die Immobilien,
Aktien oder Wertpapiere hätte verkaufen müssen, um die
stillen Reserven zu realisieren und den Verträgen zuzuordnen.
Insofern war es ein großer Erfolg, dass wir im Rahmen der Beratungen zwar an der 50-prozentigen Beteiligung der Verbraucher festgehalten, aber die Lösung gefunden haben, dass die stillen Reserven erst nach Ablauf
des Vertrages zugeordnet werden, also entweder am
Ende der normalen Laufzeit oder vorher bei vorzeitiger
Kündigung. Das hat den einfachen Vorteil, dass dies genau zu kalkulieren ist. Das betrifft jährlich nur jeden
20. Vertrag. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, die
wir erst vor kurzem geändert haben - wir haben ja auch
eine Diskussion über die stillen Reserven im Zusammenhang mit den festverzinslichen Wertpapieren geführt -,
machen nicht das große Problem aus, weil sie letztendlich beibehalten werden und das Unternehmen bei einem
Stresstest immer in der Lage ist, die Leistungen zu erfüllen. Lebensversicherungen oder Rentenprodukte sind ja
Garantieprodukte, und der Verbraucher ist darauf angewiesen, dass diese Leistungen nicht nur versprochen,
sondern deren Erbringung auch eingehalten wird.
({1})
Es ist auch ein Erfolg - Herr Wanderwitz hat darauf
hingewiesen -, dass wir nicht in bestehende Verträge
eingegriffen haben. Man hätte die Rückkaufswerte
durchaus auch anders berechnen können. Das hätte aber
die wirtschaftliche Folge gehabt, dass bei den Versicherungsunternehmen eine Rückstellung in Höhe von bis zu
10 Milliarden Euro - von dieser Größenordnung spricht
man - neu gebildet worden wäre. Dies wäre nicht zulasten der Versicherungsunternehmen, sondern zulasten der
Überschussbeteiligung anderer Verbraucher gegangen.
Die einen hätten einen höheren Rückkaufswert und die
anderen ein bis zwei Jahre keine Überschussbeteiligung
bekommen. Insofern bin ich froh, dass wir die Verbraucher davon entlasten konnten.
Herr Montag und einige andere Redner haben auf das
Policenmodell hingewiesen; auch ich möchte die letzten
Sekunden meiner Redezeit darauf verwenden. Wer die
Anhörung miterlebt und alle Experten gehört hat, der hat
vernommen, dass man insgesamt der Meinung war, dass
das deutsche Policenmodell das richtige Modell ist; denn
es funktioniert. Die EU-Vorgaben zwingen uns aber
letztendlich dazu, etwas anderes umzusetzen. Deswegen
tun wir das auch. Ich weise darauf hin: Für den Verbraucher ist wichtig, dass wir mit der VersicherungsverKlaus-Peter Flosbach
mittlerrichtlinie die Pflicht zur Dokumentation des Beratungsprotokolls eingeführt haben.
({2})
Auch wenn dem Verbraucher die Unterlagen noch vor
Unterzeichnung des Vertrages überreicht werden, wird
er sie niemals lesen können. Das Kleingedruckte wurde
ja bisher mit der Police zugesandt; das war das Policenmodell. Er hatte dann - je nach Sachversicherung oder
Lebensversicherung - 14 oder 30 Tage Zeit, dieses zu
überprüfen oder vom Vertrag zurückzutreten.
Ich möchte insgesamt feststellen: Dieses Gesetz ist
gelungen. Wir von der Koalition können auf dieses Gesetz stolz sein. Über diesen Erfolg sollten wir uns freuen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Reform des Versicherungsvertragsrechts. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5862, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/3945 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/5940? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-
Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmverhältnis angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/5974. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Regie-
rungsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der
FDP-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Schutz von Mensch und Umwelt bei Freiset-
zungsexperimenten gewährleisten
- Drucksachen 16/4556, 16/5755 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, Undine Kurth
({2}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen auf dem Gelände des Instituts für
Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung
in Gatersleben
- Drucksachen 16/4904, 16/5893 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich
wiederum diejenigen, die der Aussprache nicht folgen
wollen, den Plenarsaal zu verlassen, damit die anderen
der Aussprache folgen können.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Dr. Max Lehmer von der CDU/CSUFraktion.
({3})
Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär!
Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Uns liegen heute zwei Anträge der Fraktion der
Grünen vor, über die wir eigentlich schon monatelang
ausgiebig diskutiert haben
({0})
und zu denen es - ich könnte es mit einem Satz sagen bis heute wirklich keine einzige neue Erkenntnis gibt.
({1})
Damit könnte ich meine Rede eigentlich schon wieder
beenden.
({2})
Aber nun habe ich mir die Mühe gemacht, noch einmal
alles zu recherchieren, und darum trage ich das jetzt
auch vor.
Der vorliegende Antrag auf Drucksache 16/4904
wurde bereits am 10. Mai im Plenum behandelt und hat
auch den ELV-Ausschuss schon wiederholt beschäftigt,
Frau Vorsitzende,
({3})
und das - ich sage es noch einmal -, obwohl es wirklich
keine neuen Erkenntnisse gibt. Ich habe keine gefunden
und andere auch nicht.
Ich gehe zunächst einmal auf Gatersleben ein. Dazu
habe ich mich bereits in der Debatte im Mai umfänglich
geäußert. Bei diesem Antrag geht es um zwei verschiedene Freisetzungsversuche, zum einen mit Weizen und
zum anderen mit Erbsen. Beide sind durch das BVL genehmigt. Der entscheidende Punkt dabei ist: Der Leiter
der angeblich betroffenen Genbank, der neulich im Ausschuss Rede und Antwort gestanden hat, Professor
Graner, sieht keinerlei Risiko für die pflanzengenetischen Ressourcen dieser Genbank, die im Übrigen auch
wir für schützenswert halten.
Auch das BVL kam in seiner der Genehmigung vorausgegangenen Sicherheitsbewertung zu dem Schluss,
dass von dem Freisetzungsversuch keine schädlichen
Einflüsse auf Menschen und Tiere sowie die Umwelt zu
erwarten sind. Trotzdem sind vorsorglich zusätzliche
Sicherheitsmaßnahmen verfügt worden, die Sie alle kennen. Das Leibniz-Institut und das BVL haben entsprechende Vorsichtsmaßnahmen vorgeschrieben. Gleichzeitig wurden Stellungnahmen des - das betone ich unabhängigen Wissenschaftler- und Sachverständigengremiums der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit und der Biologischen Bundesanstalt für
Land- und Forstwirtschaft in die Entscheidung einbezogen. Darüber hinaus wurde das BVL auch durch die
fachliche Stellungnahme des Landes Sachsen-Anhalt unterstützt.
Ich halte also als Fazit noch einmal fest: Von der Freisetzung gehen nach Erkenntnissen aller Wissenschaftler
und Experten, auch aller unabhängigen, keine Risiken
aus, weder für die Genbank noch sonst irgendwie für
Mensch, Tier und Umwelt.
({4})
Nun zum zweiten Antrag zur Sicherheit bei den Freisetzungsversuchen. Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht,
wenn Sie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt in Ihrem Antrag oberste Priorität einräumen. Das
war und ist auch unsere Prämisse, und zwar ohne Wenn
und Aber.
({5})
Es ist aber ausdrücklich festzuhalten, dass praktisch alle
in Ihrem Antrag geforderten Sicherheitsmaßnahmen bereits Inhalt der geltenden Zulassungsrichtlinien sind, und
zwar ausnahmslos. Es ist selbstverständlich, dass bei der
Freisetzung von GVO-Pflanzen diese nicht in die Nahrungs- und Futterkette gelangen sollen. Das wollen
selbstverständlich auch wir. Das gilt besonders auch für
Pflanzen zur Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen und Industrierohstoffen, den sogenannten PMPs
oder PMIs. Auf die will ich kurz eingehen.
Sie verschweigen in Ihrem Antrag, dass der Nutzen
von PMP für Menschen und Tiere gegenüber den genveränderten Pflanzen der ersten Generation, mit denen
wir es bisher zu tun hatten, sehr viel deutlicher in den
Vordergrund treten wird und auch tritt. PMPs und PMIs
sind vielversprechende Nutzungsmöglichkeiten der Grünen Gentechnik. Das möchte ich hier ausdrücklich anführen. So werden zum Beispiel bei aktuellen Freisetzungsversuchen an der Universität Rostock
Kartoffellinien angebaut, die Eiweiße für die Herstellung
von Impfstoffen gegen Cholera, Durchfallerkrankungen
und eine Kaninchenseuche enthalten. Dieser Nutzen
muss natürlich bei den Risikobetrachtungen in die
Waagschale geworfen werden. Die in Ihrem Antrag formulierte Aussage:
Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe produzieren
({6}), ist generell
stark risikobehaftet,
ist so pauschal einfach falsch.
({7})
Hier ist eine Prüfung wie bei allen anderen GVOs
auch von Fall zu Fall erforderlich. An den entsprechenden Zulassungsrichtlinien wird sich da nichts ändern,
auch nicht bei denen für PMPs. Diese Prüfung muss in
der Praxis nach den geltenden strengen Zulassungs- und
Anbauregelungen für die Herstellung von biopharmazeutischen Wirkstoffen selbstverständlich durchgeführt
werden. Das BVL entscheidet in jedem Einzelfall nach
der Befragung der unabhängigen Experten von BfR,
Robert Koch-Institut, BfN und BBA über einen Freisetzungsversuch. Erst wenn eine Gefahr auszuschließen ist,
erfolgt die Genehmigung. Das alles sind Binsenweisheiten und ist längst bekannt. Es steht in dem Gesetz, das
Rot-Grün verabschiedet hat.
({8})
Sie verschweigen ebenfalls, obwohl der TAB-Bericht es
eindeutig festhält, dass die Wirkstoffe bei PMPs wesentlich leichter wieder abbaubar sind als andere. Zudem
wird es zu einem routinemäßigen Anbau, so vermute ich,
von biotechnologisch hergestellten Heilpflanzen im
freien Feld kaum kommen; denn die bereits geltenden
Vorschriften für die Herstellung biopharmazeutischer
Wirkstoffe zum Schutze der Patienten lassen dies nicht
zu.
Um die Qualität und Sicherheit zu garantieren, werden biotechnologisch gezüchtete Pflanzen immer nur
dazu eingesetzt werden, große Mengen von Vor- oder
Zwischenstufen von Wirkstoffen zu produzieren. Diese
Stoffe haben nicht die Wirksamkeit der Endprodukte und
können deshalb auch unter denselben Bedingungen wie
andere biotechnologisch veränderte Pflanzen angebaut
werden.
Ihr Antrag enthält einen zweiseitigen Katalog von
Forderungen an die Bundesregierung, der mit den üblichen Verhinderungs- und Behinderungsstrategien
der Forschung im Bereich der Grünen Gentechnik gespickt ist. Sie scheuen sich im zweiten Antrag auch
nicht, noch einmal das Thema Gatersleben aufzunehmen, auf das ich eben bereits eingegangen bin.
Fazit: Alles in allem enthält der Antrag nichts, was
wir von Ihnen nicht schon seit Monaten kennen würden.
Es wird Sie daher nicht überraschen, dass wir auch diesen Antrag ablehnen.
Beide Anträge wie auch alle mir bisher von Ihnen bekannten Äußerungen und Stellungnahmen zu diesem
Themenkomplex reihen sich ein in die offensichtlich
praktizierte Strategie der rigorosen Ablehnung der Grünen Gentechnologie. Dies ist umso bemerkenswerter, da
Sie ja bei der Entstehung des Gentechnikgesetzes selbst
aktiv mitgewirkt haben. Diese Strategie halten wir für
völlig falsch und nicht zielführend im Sinne einer notwendigen, wissenschaftsbasierten Abwägungsstrategie.
Wie bei allen anderen Technologien müssen wir auch bei
der Grünen Gentechnik verantwortungsvoll Chancen
und Risiken gegenüberstellen.
Wir haben bisher einen sehr mühsamen und nicht
übereilten Diskussionsprozess erlebt und an vielen Stellen Vorschläge für einen noch höheren Anforderungsstandard für die anstehende Novellierung des Gentechnikgesetzes gemacht. Hierzu darf ich zum Schluss noch
einige Punkte nennen.
Bundesminister Seehofer hat einen gründlichen Dialog mit allen beteiligten Interessensgruppen geführt. Die
Fragen der Sicherheit und der Haftung wurden jeweils
intensiv bearbeitet. Der Anbauabstand wurde auf
150 Meter angehoben. Wir haben die Haftungsfragen
nochmals gründlich abgeklärt. Wir treten für eine volle
Transparenz ein, indem wir eine vollständige prozessorientierte Kennzeichnung verlangen. Außerdem fordern
wir einen EU-einheitlichen Saatgut-Schwellenwert.
Wir sind also intensiv dabei, konstruktive Lösungen
zu finden. In dieser Richtung werden wir konsequent
weiterarbeiten.
Vielen herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel HappachKasan von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Lehmer, wie immer kann ich Ihren fachlichen Ausführungen nur zustimmen.
({0})
Ihrer Bewertung der Umsetzung des Gentechnikgesetzes
kann ich hingegen nicht zustimmen. Ich finde es ziemlich hanebüchen, dass Sie es in Ihrer Regierungszeit immer noch nicht geschafft haben, einen Entwurf eines
Gentechnikgesetzes vorzulegen. Dies ist möglich.
({1})
Wir von der FDP-Fraktion haben im Januar dieses Jahres
einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Meines
Erachtens ist es an der Zeit, dass Sie ebenfalls damit herüberkommen. Ein solcher Entwurf war für die Zeit vor
der Sommerpause versprochen, ist aber noch immer
nicht auf dem Weg. Ob Sie es bis zur nächsten Sitzung
des Bundesrates am 21. September dieses Jahres schaffen, bezweifle ich mit Ihnen.
Der britische EU-Kommissar für Außenhandel Peter
Mandelson forderte kürzlich eine bessere Debatte über
gentechnisch veränderte Organismen. Ich meine, dass er
recht hat. Die Bewertung der Anträge der Grünen durch
Herrn Lehmer zeigt, dass wir keine gute Debatte über
die Gentechnik haben. Die gegenwärtige Debatte ist unwürdig. Sie erinnert an die Zeit der Hexenverbrennung.
Nichts anderes ist das, was Sie hier veranstalten.
({2})
Dazu möchte ich einige Beispiele aus der jüngeren
Diskussion nennen. Erstes Beispiel: Erinnern wir uns an
Amflora. Im Dezember 2006 lobte Bundesminister
Gabriel die umweltfreundliche gentechnisch veränderte
Kartoffelsorte Amflora hier im Plenum. Es ging um die
Zulassung dieser Stärkekartoffel zur industriellen Verwendung. Die Regierung stimmte im Regelungsausschuss ebenfalls der Zulassung zu. Jetzt, im Juli 2007,
wird auf Betreiben desselben Umweltministers die Verschiebung der Abstimmung über die Zulassung beantragt.
Das verstehe, wer will. Es geht allein um den industriellen Rohstoff Stärkekartoffel. Diese Regierung hat keinen Kompass, Herr Lehmer.
({3})
Zweites Beispiel - im Agrarausschuss haben wir darüber diskutiert -: In den USA wird über ein Bienensterben berichtet. Deutsche Gentechnik- und Mobilfunkgegner wissen sofort per Ferndiagnose die Ursache.
Es konnten nur die ihnen verhassten Technologien sein,
unabhängig davon, ob diese in den betroffenen Regionen
überhaupt genutzt werden. Die Ursachen des Bienensterbens in den USA sind erwiesenermaßen andere. Den
deutschen Bienen - das ist die gute Nachricht - geht es
hervorragend. Das heißt, niemand in dieser Diskussion
hat sich jemals um Bienen gekümmert. Allen ging es darum, Gründe für die Ablehnung der Gentechnik zu finden, und nichts anderes.
Drittes Beispiel: Der Bt-Mais MON 863 erhielt am
24. Juni 2005 seine Zulassung als Tierfutter. Der damalige Umweltminister Trittin hatte zugestimmt. 2006
wurde dieser Mais als Lebensmittel zugelassen. Die Sicherheitsbewertung war durch das Robert Koch-Institut
vorgenommen worden, die positive Bewertung in der
Folge von der EFSA, dem BfR, dem BVL und der französischen Regierung. Die Grünen fordern aufgrund angeblich neuer Erkenntnisse ein Einfuhrverbot. Warum
eigentlich? Die aktuellsten Erkenntnisse berücksichtigen
Sie doch nicht, liebe Grüne. Das sind nämlich die Erfahrungen der Landwirte und der Verbraucher.
Welchen Sinn macht es, eine Fütterungsstudie aus
dem Jahr 2003 immer wieder neu durchzukauen, obwohl
die Praxis keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass mit
dem Mais etwas nicht in Ordnung ist? Das ist genau so,
als würden Sie die Statikberechnungen Ihres Wohnhauses alle drei Monate noch einmal nachrechnen. Das tun
Sie garantiert nicht.
({4})
Viertes Beispiel: Die Bundesregierung stellte am
11. April dieses Jahres fest: Die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass die Sicherheit der in der EU für den
Anbau und den Import zugelassenen transgenen Sorten
gegeben ist. Zwei Wochen später wird vom BVL ein Erlass zum Monitoring des Anbaus von MON 810 im Jahr
2008 herausgegeben. Warum gibt es eigentlich im April
2007 einen solchen Erlass? Das BVL bewertet die im eigenen Erlass zitierte Literatur kritisch und kommt zu
dem Schluss: Besondere Anforderungen hinsichtlich des
Risikomanagements von MON 810 bestehen aus Sicht
des BVL nicht.
Die „Welt“ berichtet darüber, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit habe den Erlass auf Weisung des Ministeriums herausgegeben. Herr
Minister Seehofer, es gab dafür keine Notwendigkeit.
Die Fachbehörde musste entgegen ihrer eigenen fachlichen Einschätzung nach Ihrer Pfeife tanzen. Das gab es
übrigens schon einmal, nämlich zu Künasts Zeiten.
Die vier Beispiele zeigen: EU-Kommissar Mandelson
hat recht. Wir brauchen eine bessere Debatte. Er mahnt
die Industrie, das Thema besser zu kommunizieren, und
er kritisiert die Mitgliedsländer, die Angst haben oder
nicht in der Lage sind, dieses Thema ihren Bürgerinnen
und Bürgern zu vermitteln.
({5})
Die Bundesregierung wäre in der Lage, die Debatte
über Grüne Gentechnik besser zu gestalten. Aber sie will
es nicht. Minister Seehofer empfindet die sachliche Auseinandersetzung über die Gentechnik als störend für
seine Bewerbung um den Vorsitz der CSU.
({6})
Die „Welt“ schreibt hierzu:
Seehofer hat nicht geschworen, CSU-Chef zu werden, sondern dem Wohl des Landes zu dienen.
Herr Minister, walten Sie Ihres Amtes!
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
Zweifel ernst nehmen heißt auch, Aufklärungsarbeit zu
leisten und nicht unbegründete Ängste zu verstärken.
Der Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsversuchen ist in Deutschland gewährleistet. Daher ist der
Antrag überflüssig. Die Gendatenbank in Gatersleben ist
durch die Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen in keiner Weise beeinträchtigt. Auch
dieser Antrag ist überflüssig.
Wir brauchen eine bessere Debatte, wie Mandelson
sie fordert. Aber dazu werden Partner gebraucht. Wer
sind diese Partner? Das können Unternehmen, Wissenschaftler, Institute der Ressortforschung und Wissenschaftsorganisationen sein. Verschiedene überregionale
Zeitungen engagieren sich. Der Bundesumweltminister,
der die Stärkekartoffel heute so und morgen so bewertet,
ist kein Partner für eine gute Debatte. Auch der Bundeslandwirtschaftsminister, der sich vorrangig in populistischer Weise um Stimmen in Bayern bemüht, ist kein
Partner. Die Regierung ist in ihrer Zerstrittenheit ebenfalls kein Partner und die Regierungskoalition - bis auf
einige wenige - auch nicht.
Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ihrer politischen Führungsaufgabe gerecht zu werden und eine
sachliche Aufklärung über die vielfältigen, weltweit
nachgewiesenen großen Chancen der Grünen Gentechnik zu organisieren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschäftigen uns heute abschließend mit dem Antrag der
Grünen „Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten“. Ich möchte klarstellen, dass dieser Schutz nach wie vor unser oberstes Ziel
ist. Dennoch können wir das grundsätzliche Misstrauen
gegenüber Freisetzungsexperimenten und gegenüber den
gesetzlichen Regelungen, nach denen sie durchgeführt
werden, nicht teilen. Wir lehnen deshalb den Antrag ab.
Was wir aber durchaus kritisch sehen, ist der Anbau
von gentechnisch veränderten Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe produzieren. Der Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung hat deutlich gemacht,
dass Freisetzungen solcher Pflanzen generell stark risikobehaftet sind. Arzneistoffe stellen uns im Falle eines
Austrags in die Umwelt vor völlig neue Probleme, denen
das derzeitige Zulassungsverfahren für GVO-Pflanzen
bzw. Risikobewertung und Risikomanagement nicht gerecht werden.
Hinzu kommt, dass das Risiko solcher Freisetzungen
im Missverhältnis zum Nutzen steht; denn bei Arzneimitteln ist schließlich eine höchst genaue Dosierung erElvira Drobinski-Weiß
forderlich. Diese Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit ist bei den sogenannten PMPs nicht gegeben. Das
haben wir auch im Ausschussbericht kritisch angemerkt
und eine Risiken-Nutzen-Analyse gefordert. Wir werden
auf den Prüfstand stellen müssen, ob und wie die rechtlichen Grundlagen und die Sicherheitsmaßnahmen solchen neuen Anforderungen Rechnung tragen können.
Die Empfehlung des Sachverständigenrates für Umweltfragen, dass solche transgenen Pflanzen nur in geschlossenen Systemen und unter kontrollierten Bedingungen eingesetzt werden sollten, muss ernst genommen
werden, wenn man dem Vorsorgegrundsatz entsprechen
will. Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflichtet.
Auch in Zukunft werden wir im Bereich Grüne Gentechnik mit immer neuen Fragestellungen konfrontiert
werden. Dazu gehört zum Beispiel der Klimawandel mit
seinen Auswirkungen auf die Risikoabschätzung. Ein
aktuelles Beispiel dafür findet sich in Nordrhein-Westfalen. Dort werden auf einer Freisetzungsfläche am Standort Werne schon seit mehreren Jahren Freisetzungen
mit der Monsanto-Maissorte NK 603 durchgeführt.
Einem Bericht der Umweltverwaltung des Regierungsbezirks Arnsberg ist zu entnehmen, dass es dort aufgrund des milden Winters erstmalig zu Durchwuchsmais
aus dem Vorjahr gekommen ist, und zwar - ich zitiere „in erheblichem Umfang“. In dem Schreiben vom
21. Juni 2007 an das Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen wird die Befürchtung geäußert, dass
diese Problematik auch an anderen Maisfreisetzungsstandorten im gesamten Bundesgebiet von Bedeutung
sein kann. Das birgt - wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden - Risiken für die Koexistenz mit konventionellem und ökologischem Anbau in der Umgebung.
({0})
In Werne wird der Durchwuchsmais derzeit auf der gesamten Fläche aufwendig von Hand entfernt. Ob weitere
Standorte betroffen sind, ist derzeit noch nicht bekannt.
Insgesamt aber macht dieses Beispiel die Schwierigkeiten der Risikoabschätzung deutlich. Die Bedingungen
für den Einsatz der Grünen Gentechnik werden durch
viele Faktoren, auch durch den Klimawandel, beeinflusst. Milde Winter, starke Stürme, extreme Regenfälle der Klimawandel ist zwar in aller Munde, findet aber
bisher wenig Berücksichtigung bei der Sicherheitsbewertung von GVO. Deshalb tun Vorsorge und vorausschauende Regelungen beim Umgang mit der Gentechnik not.
Wer diese Einschätzung teilt, befindet sich in sehr guter Gesellschaft. Ich zitiere:
Oberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechts muss
der Schutz von Mensch und Umwelt bleiben. Wenn
sich Landwirte für die Grüne Gentechnik entscheiden, darf das keine Nachteile für die Verbraucher
oder die Landwirte in der Nachbarschaft haben,
({1})
die sich gegen diese Technik entschieden haben.
Die Wahlfreiheit der Verbraucher und die Koexistenz der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen
müssen gewährleistet bleiben. Hier sehe ich immer
noch ungeklärte Fragen. Die Grundvoraussetzung
für glaubwürdige Wahlfreiheit ist Transparenz: Alle
Betroffenen - Landwirte wie Verbraucher - haben
ein berechtigtes Interesse daran, umfassend informiert zu werden, wenn sie es mit gentechnisch veränderten Pflanzen oder den daraus gewonnenen
Produkten zu tun bekommen. Und schließlich sollten wir in diesem Zusammenhang auch ein besonderes Augenmerk auf die möglichen Folgen richten, die sich aus einer marktbeherrschenden
Stellung einzelner Saatgutunternehmen ergeben
können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Auszug
aus der Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler vom
28. Juni anlässlich des Deutschen Bauerntags in Bamberg. Ich kann mich diesen Ausführungen nur anschließen; ich denke, Sie auch.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der letzten Woche reiste der Bund Naturschutz mit Initiativen, die der Gentechnik sehr kritisch gegenüberstehen, durch die deutschen Lande und hat Podiumsdiskussionen an den jeweiligen Standorten der wichtigen
Politikerinnen und Politiker der Koalition - also denjenigen, die entscheiden und mitreden - initiiert. Auch in unserem Wahlkreis, Herr Seehofer, also in Ingolstadt, gab
es eine solche Podiumsdiskussion. Leider hatten Sie
keine Zeit, was ich sehr schade fand.
({0})
- Natürlich für alle. - Die Diskussion, an der unter anderem Bienenzüchter und Biobauern teilnahmen, zeigte
noch einmal, dass viele Mitbürgerinnen und Mitbürger
der Grünen Gentechnik sehr kritisch gegenüberstehen.
Im „Donaukurier“ gab es dann einen Artikel mit der
Überschrift „Gentechnik und Seehofer in der Kritik“.
Auf dem Bild zu diesem Artikel sieht man einen Imker,
der schreibt: Koexistenz - wir fliegen 14 km2. Was damit gemeint ist, wissen wir.
Herr Seehofer, ich rate Ihnen: Nehmen Sie die Kritik
ernst. Es waren sehr viele Leute da, die sich sehr interessiert gezeigt haben. Es waren nicht nur unsere Wähler
oder die der Grünen anwesend, sondern auch Ihre Wähler. Ihre Wähler erwarten etwas.
Ingolstadt hat sich nicht ohne Grund zur gentechnikfreien Zone erklärt, übrigens mit der Mehrheit der CSU.
In Bayern gibt es immer mehr gentechnikfreie Zonen.
Die Bevölkerung sieht, dass die Gentechnik große Gefahren birgt. Diese Risiken will sie natürlich nicht eingehen.
Hier ist gesagt worden, Horst Seehofer habe sich mit
relevanten Gruppen befasst. Das stimmt. Er hat auch mit
dem Abt von Plankstetten diskutiert, der jetzt der Bischof von Eichstätt ist. Auch er ist der Meinung, dass
das Gentechnikgesetz nicht liberalisiert werden darf. Ich
meine, Horst Seehofer sollte sich diese Kritik zu Herzen
nehmen und dem Herrn Bischof endlich Folge leisten.
({1})
Es wurde auch über die Frage diskutiert, wie sich die
SPD entscheiden würde. Die Kolleginnen und Kollegen
aus den Naturschutzverbänden und viele kritische Bürgerinnen und Bürger haben mir den Auftrag gegeben, Ihnen noch einmal zu sagen: Bleiben Sie standhaft, setzen
Sie sich für eine gentechnikfreie Landschaft, für eine
wirkliche Wahlfreiheit und für Transparenz ein. Dafür
hätten Sie eine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Auch
die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher
würde hinter Ihnen stehen.
Zu den Anträgen der Grünen möchte ich sagen: Wir
können allen Anträgen zustimmen. Wir unterstützen
diese Anträge.
({2})
Die Bevölkerung fragt sich, warum Freisetzungsversuche gemacht werden sollen, warum ein solches Risiko
überhaupt eingegangen werden soll. Sie wissen, was alles schiefgehen kann. Was schiefgehen kann, zeigte uns
im letzten Jahr der Reis LL 601, der in den USA auf Versuchsfeldern angebaut und in die ganze Welt verschleppt
wurde. Es gab Rückrufaktionen.
So etwas wollen wir nicht. Wir wollen eine vernünftige Haftung. Überall gilt: Wer den Schaden verursacht
hat, muss auch dafür haften. Warum soll das beim Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen nicht gelten? Das ist
für mich überhaupt keine Frage. Wir wollen eine vernünftige Abstandsregelung. Über die Koexistenz werden
breite Diskussionen geführt.
Herr Seehofer, die Mehrheit der Bevölkerung will
diese Gentechnik nicht. Wir wollen gesunde Nahrungsmittel. Bitte berücksichtigen Sie, was die Bevölkerung
wirklich will, und handeln Sie entsprechend.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube eigentlich nicht, dass der Kollege
Dr. Lehmer bewusst die Unwahrheit sagt. Vielleicht sollten Sie aber eine kritischere Distanz zu dem haben, was
man Ihnen aufschreibt. Sie haben gesagt, Frau Künast
habe keine Abstandsregeln vorgelegt, aber Sie hätten
eine Abstandsregel geschaffen - das sei gute fachliche
Praxis -, nach der der Abstand 150 Meter betragen
muss.
({0})
Herr Dr. Lehmer und sehr geehrte Kollegen von der
CDU/CSU, ich muss Sie - auch Frau Happach-Kasan
hat das getan - darauf hinweisen: Dieses Gesetz gibt es
überhaupt noch nicht. Es gibt überhaupt keine Regeln
für den Abstand. Im Gegensatz zu Rot-Grün haben Sie
aber den kommerziellen Anbau von MON 810 zugelassen. Das heißt, Sie haben etwas zugelassen, aber keine
rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, was gute fachliche Praxis wäre. Das ist ein Unding.
({1})
Sie müssen sich gefallen lassen, dass man die Qualität
Ihrer Politik an Ihren Aussagen misst:
Auch die Forschung erfolgt immer nach dem obersten Prinzip des Schutzes von Mensch und Umwelt.
Hier werden keine, auch nicht die geringsten Risiken von Mensch und Umwelt eingegangen.
Rede von Horst Seehofer im Deutschen Bundestag am
28. Februar dieses Jahres.
Heute muss man deutlich sagen, dass die Forschung
von der Gentechnikindustrie aufgrund der Genehmigungspraxis als trojanisches Pferd instrumentalisiert
werden kann.
({2})
Was derzeit an Experimenten mit gentechnisch veränderten Pflanzen genehmigt wird, ist ein Affront gegen
Umwelt- und Verbraucherschutz. Erwähnt wurden schon
die Pharmaerbsen in der Genbank in Gatersleben, die
Pharmakartoffeln an der Uni Rostock und Experimente
mit gentechnisch veränderten Pflanzen mitten in Naturschutzgebieten. Die Einwände der Bürger und Bürgerinnen werden einfach vom Tisch gewischt, und Umweltminister Gabriel befindet sich offensichtlich im
Tiefschlaf.
({3})
Auskreuzungen aus diesen Experimenten mit
Pharmapflanzen, die die Kollegin Drobinski-Weiß
schon erwähnt hat, gelangen in unsere Lebensmittel und
gefährden Gesundheit und Umwelt. Die kontaminierten
Lebensmittel sind nicht mehr verkehrsfähig. Wirtschaftlicher Schaden droht in erheblichem Ausmaß. Das hat
zum Beispiel der Skandal um den Genreis, der ja auch
aus einem Forschungsfeld in den USA hervorgegangen
ist, gezeigt. Dieses Experiment von Bayer/Aventis hat
einen Schaden in Höhe von weit mehr als 10 Millionen
Euro verursacht. Wo sitzen Sie da? Wer von Ihnen übernimmt dafür die Haftung? In den USA sagt man inzwischen, dass es allein durch diesen Fall Folgeschäden in
Höhe von über 100 Millionen gibt. Wir haben zahlreiche
Hinweise darauf und Beweise dafür, dass aus diesen
Freisetzungsexperimenten immer wieder Auskreuzungen vonstatten gehen, die Sie nicht im Mindesten beherrschen können und die Industrie ganz offensichtlich auch
nicht.
({4})
Statt eine solche Gefährdung zu unterbinden, fordert
die Industrie nun die Legalisierung solcher Verseuchungen gegen geltendes EU-Recht, und Sie klatschen auch
noch Beifall. Bis an den Rand der Legalität reizt das
BVL die Grenzen des Gentechnikgesetzes aus, zum
Beispiel mit der Genehmigung von Amflora. Inzwischen
ist das Gentechnikgesetz 17 Jahre alt. Bisher ist noch
niemand auf die Idee gekommen, eine 155 Hektar große
Fläche als Experimentierfeld zu bezeichnen. Jetzt wird
der Zweck eines Forschungsexperimentes auch noch so
umdefiniert, dass es nicht mehr der Forschung, geschweige denn der biologischen Sicherheitsforschung
dient, sondern rein kommerziellen Zwecken: damit die
BASF für die nächste Saison Kartoffelpflanzmaterial gewinnen kann.
Sie haben also Ansätze und Anlass, das Gentechnikgesetz zu verbessern - nicht in dem Sinne, wie Sie es in
den Eckpunkten gemacht haben, sondern tatsächlich.
Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag vor
allem auf, derartige Freisetzungsexperimente gemäß den
Vorschlägen des TAB zu unterbinden. Wir fordern, dass
gentechnisch veränderte Pflanzen, die pharmazeutische
Wirkstoffe produzieren, nicht in die Umwelt freigesetzt
werden dürfen. Experimente mit gentechnisch veränderten Organismen, die keine Zulassung als Lebensmittel
haben, dürfen grundsätzlich nicht ungeschützt im Freiland stattfinden, siehe Imker, die genau dieses Problem
haben. Die Klagen zeigen auf, dass es Rechtslücken und
Handlungsbedarf gibt. Es muss eine Datenbank eingerichtet werden, in der die Referenzmaterialien und Nachweismethoden hinterlegt werden, damit Kontaminationen überhaupt entdeckt werden können. Stoppen Sie
diese Genexperimente in Gatersleben! Denn auch wenn
der Forschungsleiter dies gerne hätte, übernimmt er
nicht die persönliche Haftung.
Es muss sichergestellt werden, dass Wissenschaftler
nicht an Forschungsprojekten beteiligt sind, die sie später im Rahmen der Zulassung begutachten. Generell
sollte die Unabhängigkeit dieser Wissenschaftler gewährleistet werden. Denn ich denke, wir sind inzwischen
in einer Situation, in der die Freiheit der Forschung auf
diesem Gebiet kaum noch gegeben ist.
Danke schön.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe, wie sicherlich viele andere auch, den
TAB-Bericht, also den Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, zu transgenen Pflanzen der 2. und 3. Generation, also gentechnisch veränderter Pflanzen, mit Interesse gelesen und
muss sagen: Die Autorinnen und Autoren haben eine
vernünftige Analyse abgeliefert. Sie ist in vielen Fällen
gut begründet und nachvollziehbar.
Viele dieser Forderungen sind ja in den grünen Antrag aufgenommen worden. Deswegen kann ich ihn an
diesen Stellen inhaltlich gar nicht ablehnen. Die Forderung, dass zum Beispiel gentechnisch veränderte Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe, also fast Arzneimittel oder Arzneimittel, enthalten oder produzieren,
nicht freigesetzt werden sollen, entspricht der TAB-Forderung, dass so etwas erst im geschlossenen System, das
heißt im Glashaus, stattfinden sollte. Dies ist anders als
bei der normalen Pharmaproduktion. Wer je in einem
Pharmabetrieb war, weiß, dass dort absolut standardisierte, kontrollierbare, nachvollziehbare und unveränderliche Produktionsbedingungen herrschen müssen, damit
eine Reinheit und absolute Qualität des Produkts gewährleistet sind.
Anders sieht es auf einem normalen Feld aus. Jeder
Gärtner und jede Landwirtin weiß: Je nach Wetter, Niederschlagsmenge, Trockenheit, Bodenbeschaffenheit,
Klima, Sturm und anderen klimatischen Bedingungen
bekommt man kleine oder große bzw. saure oder süße
Äpfel und eine gute oder eine schlechte Ernte. Die äußeren Bedingungen sind nicht kontrollierbar und nicht vom
Menschen beeinflussbar. Welche Folgen es hat, wenn
man sensible Stoffe innerhalb von gentechnisch veränderten Pflanzen ausbringt, steht noch in den Sternen
bzw. ist zumindest nicht eindeutig belegt.
({0})
Im Jahr 2007, also in diesem Jahr, ist eine Studie von
Nguyen und Jehle erschienen. Beide Autoren haben einige Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen bzw.
mit BT-Mais untersucht. Diese Pflanzen haben selbst Insektengift produziert. Selbst bei Pflanzen, die sich auf
demselben Acker befanden, haben sie völlig unterschiedliche Konzentrationen des Insektengiftes festgestellt.
({1})
Das ist durch die Ergebnisse der jüngsten von Greenpeace finanzierten Studie bestätigt worden. Man kann
diese Studie befürworten oder ablehnen. Auf jeden Fall
aber war sie viel breiter angelegt, was die Zahl der Proben angeht, und sie war, wie ich glaube, wissenschaftlich
deutlich fundierter. In dieser Studie zeigen sich eklatante
Unterschiede zwischen den einzelnen Pflanzen, sogar
bis zu hundertfache Unterschiede in der Konzentration
des produzierten Insektengiftes.
Das kann man auf unterschiedliche klimatische Verhältnisse, unterschiedliche Bodenverhältnisse oder sonstige Gründe zurückführen. Dafür kann man aber auch
die unterschiedliche Beschaffenheit der Pflanzen verantwortlich machen. Das Problem ist schlicht und einfach
- ich war sehr überrascht, dass ich, als ich dieser Frage
nachging, zu diesem Ergebnis kam -, dass es keine harmonisierten und standardisierten Methoden zur Bewertung gentechnisch veränderter Pflanzen gibt.
Das erste Beispiel, das ich anführen möchte, ist der
berühmte MON 863. Dabei handelt es sich um gentechnisch veränderten Mais, der für seine Zulassung an Ratten verfüttert worden ist. Der Hersteller Monsanto sagte,
dass kein Risiko bestehe. Das ist von der zuständigen europäischen Behörde zunächst bestätigt worden. Dann
gab es eine Studie französischer Forscher, die dieselben
Daten genau untersucht und große Unterschiede festgestellt haben, die ich persönlich beim Lesen der Veröffentlichung habe nachvollziehen können. Wenn solch
große Unterschiede und Abweichungen zwischen den
einzelnen Ratten und den Kontrollgruppen als normal
angesehen werden - sie waren sehr deutlich -, dann
muss man sich fragen, warum Tierversuche überhaupt
durchgeführt werden.
Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, hat das Ganze erneut analysiert und sagt
jetzt, dass es keine Probleme gibt und dass kein Risiko
besteht. Es existieren also unterschiedliche Bewertungsmethoden, die nicht standardisiert sind.
Das zweite Beispiel - es ist heute schon angeführt
worden - ist die gentechnisch veränderte Kartoffel Amflora. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sagt, dass sie ungefährlich ist. Die Europäische Arzneimittelagentur hingegen hält Teile dieser Kartoffel für
bedenklich, schlicht und einfach, weil sie Antibiotikaresistenzgene enthält, die zumindest problematisch sein
könnten.
({2})
Es fehlen also eindeutige und standardisierte Bewertungsmethoden. Deswegen können wir keine wissenschaftlich fundierte und politisch vernünftige Antwort
auf die Frage nach dem Risiko geben.
Dass wir mit dieser Einschätzung nicht allein sind,
wird an verschiedenen Stellungnahmen deutlich, in denen die Forderung aufgestellt wurde, endlich solche
Standards zu entwickeln. So fordert der Verein Deutscher Ingenieure, sicherlich nicht für seine Radikalität
bekannt, in seinen Richtlinien zur Beachtung der ökologischen Auswirkungen von gentechnisch veränderten
Organismen ein standardisiertes Vorgehen zur Vergleichbarkeit durch mehrere Institutionen über Ländergrenzen
hinweg.
Im VDI-Handbuch Biotechnologie Band 1 vom Oktober 2006 heißt es:
Die Dokumentation der Messgrößen, Erhebungsintervalle und Erhebungsorte muss standardisiert
werden und in einer idealerweise zentralen Meterdatenbank erfolgen.
Vor diesem Hintergrund halte ich zumindest die Freisetzung dieser Pflanzen für problematisch. Wir Sozialdemokraten werden uns weiter dafür einsetzen, dass der
Schutz der Verbraucher und die Koexistenz in Deutschland möglich sind.
Herr Präsident, erlauben Sie mir, zum Schluss eine
persönliche Bemerkung an den Kollegen Dr. Patziorek
zu richten, und zwar nicht nur von Westfale zu Westfale
und von Schalker zu Schalker:
({3})
Ich habe unsere Zusammenarbeit in den letzten Jahren
trotz aller inhaltlichen Unterschiede als sehr angenehm
und fair empfunden und wünsche Ihnen für Ihr neues
Amt als Regierungspräsident im schönen Münster alles
Gute und eine glückliche Hand.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Schutz von Mensch
und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5755, den Antrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4556
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und des Bündnisses 90/
Die Grünen angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Titel „Keine Freisetzung von gentechnisch veränderten
Pflanzen auf dem Gelände des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5893, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4904 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen Koalitionsfraktionen und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation
- Drucksache 16/5723 Zweite und dritte Beratung des von Fraktionen
der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der
Verbraucherinformation
- Drucksache 16/5404 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})
- Drucksache 16/5928 Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Heinen
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Höfken
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Ursula Heinen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden
heute sozusagen zum zweiten Mal in zweiter und dritter
Lesung das Verbraucherinformationsgesetz. Ich habe ein
klein bisschen das Gefühl, es handelt sich hier um eine,
ich will einmal sagen, Neverending Story, Julia,
({0})
um eine Geschichte, die nicht zu einem Ende kommt.
Aber wir sind vorsichtig optimistisch, dass wir mit dem
jetzigen Verbraucherinformationsgesetz einen guten
Schritt machen zu mehr Information für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
({1})
Vor fast genau einem Jahr, am 29. Juni 2006, haben
wir dieses Gesetz schon einmal verabschiedet. Der Bundespräsident hatte formale Einwendungen, was die
Übertragung von Aufgaben vom Bund auf Länder und
Kommunen anging - das ist seit der Föderalismusreform
in dieser Form nicht mehr möglich. Das Gesetz ist jetzt
in einem langen Prozess so verändert worden, dass es
jetzt die Möglichkeit gibt, dass die Länder ihre Aufgabe,
an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzugeben, auf die Lebensmittelüberwachungsbehörden der
Kommunen übertragen.
Als es um die Überarbeitung des Verbraucherinformationsgesetzes ging, gab es eine ganze Reihe neuer Begehrlichkeiten und neuer Ideen, haben die Leute gesagt:
Nutzen wir dies und machen wir das Gesetz noch einmal
ganz neu! - Wir haben uns in der Koalition dagegen entschieden, dieses Gesetz komplett neu zu machen, aus
dem einfachen Grund, dass es jetzt an der Zeit ist, dass
gehandelt wird, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher wenigstens zum 1. Januar des nächsten Jahres
Zugang zu Informationen über Lebensmittel bekommen,
und damit es jetzt keine neue Anhörungen, neue Diskussionsrunden, neue Arbeitskreise etc. gibt.
({2})
Wir hatten schon im vergangenen Jahr einen Entschließungsantrag verabschiedet, der besagt, dass wir
das Gesetz zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten evaluieren wollen, um festzustellen, wie es in der Praxis funktioniert. Wir in Deutschland haben ja außer vereinzelten
Informationsfreiheitsgesetzen der Länder, die sich auch
auf Lebensmittel beziehen, im Grunde keine Erfahrungen mit einem solchen Gesetz; wir betreten also ein
Stück weit Neuland. Wir wollen natürlich auch sehen,
wie sich die Unternehmen weiter verhalten, ob sie von
sich aus Informationen über Produkte geben. Ich denke,
es ist jetzt vernünftiger, zwei Jahre der tatsächlichen Anwendung nach dem Inkrafttreten abzuwarten und dann
im Lichte konkreter praktischer Erfahrungen zu sehen,
wo das Gesetz richtig funktioniert und wo man, was die
Unternehmen angeht, noch einmal etwas verändern
muss. Dazu brauchen wir aber zunächst diese praktische
Erfahrung.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten mit
diesem Gesetz erstmals einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Zugang zu Informationen im Bereich des Lebens- und Futtermittelrechts, die bei den Behörden vorhanden sind. Zu diesem Anwendungsbereich möchte
ich noch etwas sagen, weil in der Diskussion kritisch angemerkt wurde, dass er viel zu kurz greife und noch viel
mehr Bereiche berücksichtigt werden müssten. Das Gesetz betrifft aber nicht nur den engeren Bereich der
Lebensmittel, sondern auch Kosmetika und Bedarfsgegenstände wie Bekleidung, Spielwaren, Lebensmittelverpackungen, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und Waschmittel sowie alles, was mit der Haut oder den
Schleimhäuten tatsächlich in Berührung kommt. Es gibt
also einen sehr breiten Anwendungsbereich.
({3})
Unter anderem aus Baden-Württemberg ist die Anregung
einer Ausweitung des Verbraucherinformationsgesetzes
auf andere problematische Sachgebiete - beispielsweise
die Geräte- und Produktsicherheit - gekommen. Wir werden in den nächsten zwei Jahren erleben, wie die Verbraucherinnen und Verbraucher speziell zu diesen Bereichen Fragen haben werden. Dann werden wir schauen,
ob eine weitere Ausweitung überhaupt möglich ist,
zumal das Produktsicherheitsgesetz und andere Verordnungen in diesem Bereich schon gelten und einen gewissen Schutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher
geben.
Ein zweiter sehr wichtiger Punkt, den wir mit diesem
Gesetz umsetzen, ist eine Verpflichtung, die wir nach
dem Gammelfleischskandal eingegangen sind: die Verschärfung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches. Die Vorschrift ist im Hinblick auf die
Informationstätigkeit von Behörden zu verschärfen:
Wenn riskante Dinge geschehen, wenn gesundheitsgefährdende Produkte auf dem Markt sind, müssen die Namen von Produkten tatsächlich genannt werden können,
und die Behörden dürfen nicht wie in der Vergangenheit
Sorge haben müssen, dass sie, wenn sie einen Namen gegebenenfalls zu früh herausgeben, sofort schadenersatzpflichtig sind. Ein süddeutsches Land hat damit einmal
sehr teure Erfahrungen gemacht. Auch dies ist eine vernünftige Änderung.
({4})
Ich will noch einmal kurz auf den Bundesrat zu sprechen kommen, der in seiner ersten Beratung zum Verbraucherinformationsgesetz sehr fröhlich verschiedene
Änderungsanträge gestellt hat. Wir waren aber sehr froh
- nicht wahr, Elvira Drobinski-Weiß! -, in der Anhörung
zu hören, dass es sich eigentlich gar nicht um Änderungsanträge handelt, sondern lediglich um - ich zitiere
den Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen - „Anregungen“ für den Bundesgesetzgeber, die man in der Diskussion vielleicht berücksichtigen kann. Dass der Bundesrat das tatsächlich nur als Anregungen betrachtet hat,
sah man schon daran, dass der einzige Änderungsantrag,
der aus diesem Gesetz ein durch die Länderkammer zustimmungspflichtiges Gesetz gemacht hätte, von den
Bundesländern abgelehnt worden ist. Letztlich wollten
also auch die Bundesländer, dass wir dieses Gesetz
schnell zu einem guten Ende bringen.
Lassen Sie uns dieses Gesetz in diesem Sinne heute
mit einer überwältigenden Mehrheit - davon gehe ich
aus, wenn ich die Kolleginnen und Kollegen hier sehe in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Es ist dann
wieder einmal ein guter Tag für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland, weil sie bessere Informationen bekommen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
Goldmann von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In einem Punkt hat Frau Heinen sicherlich
recht: Es war ein weiter Weg, bis wir nun zu einer Gesetzesverabschiedung kommen.
({0})
Aber dieses Gesetz hat den Namen nicht verdient, den es
als Überschrift trägt.
({1})
- So kann man sich vertun, wenn man nicht richtig zuhört, Frau Heinen. Wir haben im Vermittlungsausschuss
und in anderen Gremien mehrere Male zusammengesessen. Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass wir
kein Gesetz wollten. Wir wollten nur ein Gesetz mit
Qualität.
({2})
Wir wollten ein Gesetz, das auf eine wesentlich breitere
Basis gestellt wurde.
Sie haben es selbst angesprochen: Aus den Ländern
kommt schon der Vorwurf des Etikettenschwindels. Wir
müssen doch ganz ehrlich sein: Mit diesem Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes bezieht sich im
Kern einzig und allein auf den Bereich der Lebensmittel.
Die ganzen Bereiche der Dienstleistungen, der technischen Produkte, der Chemikalien und der Werkzeuge
werden durch diesen Gesetzentwurf nicht berücksichtigt.
Deswegen steht dieser Gesetzentwurf auf schwachen
Beinen. Das wissen alle, die sich mit diesem Gesetzentwurf intensiv beschäftigen.
Der enge Anwendungsbereich dieses Gesetzes
bringt ein weiteres Problem mit sich: Er kommt nämlich
in Konflikt mit den bereits vorhandenen gesetzlich verankerten Rechten auf Informationszugang. Liebe Frau
Heinen, Sie waren bei der Anhörung auch dabei. Der
Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Herr Peter Schaar, hat deutlich gesagt, dass
der wichtige Bereich des freien Informationszugangs für
die Betroffenen immer komplexer und intransparenter
wird. Er hat gefragt, ob ein solches Gesetz ein gutes Gesetz wäre. Ich will die Antwort geben. Sie muss lauten:
Nein, es wäre ein schlechtes Gesetz.
({3})
Hinsichtlich des Informationszugangs - das wissen
Sie auch - droht dem Verbraucher durch das Verbraucherinformationsgesetz eindeutig ein Rückschritt. In dem
Gesetzentwurf stehen nämlich mindestens 15 verschiedene Gründe, aus denen die Auskunft seitens der Behörde verweigert werden kann.
({4})
Das heißt, wenn der Verbraucher bei der Behörde nachfragt, wird er demnächst eine Überraschung erleben. Er
wird nämlich an sehr vielen Stellen überhaupt keine Verbraucherinformationen bekommen. Auch das ist ein weiterer gravierender Mangel des Gesetzentwurfes.
Es kommt noch etwas anderes hinzu: Im Gesetzentwurf gibt es auch eine erhebliche Unklarheit, und zwar
dahin gehend, was eigentlich ein Betriebsgeheimnis ist.
Ich verstehe nicht, warum Sie nicht daraus gelernt haben, wie die Dinge im Informationsfreiheitsgesetz definiert sind. Darin steht: Ein Betriebsgeheimnis ist ein Betriebsgeheimnis. - In diesem Gesetzentwurf steht aber,
dass auch Dinge, die einem Betriebsgeheimnis ähnlich
sind, von einem Unternehmen als Betriebsgeheimnis definiert werden können. Der Begriff des Betriebsgeheimnisses ist rechtlich völlig klar und abgegrenzt. Durch die
Formulierung, die Sie in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, weiten Sie diesen Begriff unzulässig
aus. Auch das wird dazu führen, dass der Verbraucher,
wenn er seine Informationsrechte in Anspruch nehmen
will, überrascht sein wird.
({5})
Deswegen bin ich der Meinung, dass der Gesetzentwurf
auch an dieser Stelle nicht sehr glücklich formuliert
wurde.
({6})
Es gibt ein weiteres Problem, das uns auch bekannt
ist. Wir haben in der Anhörung davon gehört. Diejenigen, die Erfahrung mit dem Informationsfreiheitsgesetz
gemacht haben - in den einzelnen Bundesländern gibt es
im Grunde genommen schon Verbraucherinformationsgesetze -, kennen das auch. Das Problem lautet, wie kostenträchtig der Informationsanspruch des Bürgers ist.
Auch hierzu ist die Forderung ganz eindeutig: Es muss
auch für finanzschwächere Bürgerinnen und Bürger
möglich sein, diesen Informationsanspruch für sich geltend zu machen.
Das ist in Ihrem Gesetzentwurf aber nicht vorgesehen, sondern in Ihrem Gesetzentwurf steht im Grunde
genommen, dass die Kosten, die entstehen und die der
Verbraucher zu tragen hat, abgedeckt werden müssen.
Das wird dazu führen, dass sich sehr viele Verbraucher
- ganz normale Menschen - die Durchsetzung dieses
Informationsanspruches nicht leisten können und dass
dieser Informationsanspruch im Grunde genommen für
Verbände und Organisationen eingeführt wird, die möglicherweise auch andere Interessen haben. Das muss
man ganz deutlich sagen: Diese möchten sich möglicherweise Informationen verschaffen, um sie in einer Wettbewerbssituation mit anderen Anbietern zum Nachteil
von diesen zu nutzen. Ich finde, das ist ein wirklich gravierender Mangel dieses Gesetzentwurfes.
({7})
- Nein, das ist kein Killerargument. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf so angelegt. Das wissen Sie auch. Deswegen
gab es ja auch die Anregung aus dem Bundesrat, in diesem Bereich Nachbesserungen vorzunehmen. Sie haben
diese in Ihren Gesetzentwurf schlicht nicht aufgenommen.
Wir haben uns die Mühe gemacht, diese Dinge, die
wir hier kritisieren, in einen meiner Meinung nach guten
Entschließungsantrag einzubringen. In ihm steht ganz
eindeutig: Wir brauchen eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches. Wir brauchen keine Verschlechterung
der Verbraucherrechte. Wir brauchen Kostenfreiheit für
Auskünfte im Bereich der Gefahren für Gesundheit und
Sicherheit des einzelnen Bürgers. Wir brauchen eine
Obergrenze bei den Gebühren.
Ich denke, wenn Sie diesen Dingen zustimmen würden, dann könnte man aus diesem meiner Meinung nach
sehr schwachen Gesetzentwurf noch etwas machen. Das
werden Sie aber leider nicht tun. Sie beschließen heute
einen Gesetzentwurf, der weder Fisch noch Fleisch ist
und von dem Sie genau wissen, dass er von allen ernstzunehmenden Organisationen und Verbänden kritisiert
wird und viele enttäuschen wird. Das finde ich bedauerlich.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Entwurf
des VIG kann man in der Tat feststellen - Ulla Heinen
hat es schon gesagt; ich sage es noch einmal auf
Deutsch, Julia -: Endlich wird die unendliche Geschichte beendet - jedenfalls vorläufig.
({0})
Wir werden heute hoffentlich zum letzten Mal über
den vorliegenden Entwurf des Verbraucherinformationsgesetzes reden. Aber die Geschichte hat auch eine Fortsetzung. Wir werden wieder über das Thema reden,
wenn wir - wie beschlossen; Ulla Heinen hat schon darauf hingewiesen - die in der Praxis mit dem Gesetz gemachten Erfahrungen auswerten.
Die SPD steht weiterhin für eine Ausweitung des Informationsanspruchs der Verbraucherinnen und Verbraucher auch gegenüber den Unternehmen und die Einbeziehung aller Produkte und Dienstleistungen.
({1})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist ein sehr
wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz gemacht.
({2})
Das haben durchweg alle Experten einschließlich unserer kritischsten Kritiker bei unserer Anhörung am
13. Juni bestätigt.
({3})
- Sie haben aus der Anhörung den falschen Schluss gezogen.
Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht
auf Information. Das VIG sieht hierbei deutliche Verbesserungen vor und verleiht den Interessen der Konsumenten mehr Gewicht. Die Behörden werden verpflichtet, die Öffentlichkeit bei Verstößen gegen das geltende
Lebensmittelrecht zu informieren. Das wurde auf Druck
der SPD mit einer Verschärfung der im Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuch ursprünglich vorgesehenen
Kannregelung erreicht. Hier gilt jetzt eine Sollregelung.
Insgesamt werden die Pflichten und Möglichkeiten
der Behörden zur Information der Öffentlichkeit über
Missstände im Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfsgegenständebereich ausgeweitet. Außerdem können sich
Verbraucherinnen und Verbraucher künftig selbst bei den
Behörden informieren, auch dann, wenn keine Rechtsverstöße vorliegen. Das, denke ich, ist ein enormer
Schritt. Im Diskussionsprozess zu diesem Gesetzentwurf
haben wir stets Offenheit für Vorschläge signalisiert, die
die Ansprüche der Verbraucher stärken.
({4})
Die jüngst im Bundesrat geforderten Änderungen allerdings sind wohl eher als Störfeuer zu werten, Ulla.
({5})
Ich sehe das weniger als Anregung denn als ernstgemeinte Vorschläge.
Der von Baden-Württemberg eingebrachte Vorschlag
- ich beziehe mich auf Verbraucherschutzminister
Hauk -, nach dem Unternehmen Auskunft über Namen
und Adressen der Nachfragenden erhalten können sollten, kann nur der Abschreckung dienen. Verbraucherschutzminister Hauk setzt sich gerne öffentlich für mehr
Transparenz ein. Dieser Vorschlag macht aber, denke
ich, deutlich, dass es dabei eher um transparente Verbraucher für die Unternehmen als um Transparenz für
die Verbraucher zu gehen scheint.
Auch die Einschränkung des Informationsrechts bei
nicht mehr auf dem Markt befindlichen Produkten ist
nicht tragbar. Ein starkes Stück war, denke ich, auch der
Vorschlag von Sachsen, dass Auskünfte über Rechtsverstöße für Verbraucher kostenpflichtig sein sollen.
Solchen Verschlechterungen für die Verbraucherinnen
und Verbraucher erteilen wir eine klare Absage. Das
VIG muss endlich verabschiedet werden. Für uns ist dieses Gesetz ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu
einem transparenten Markt.
Wir werden dafür sorgen, dass weitere Schritte folgen. Das haben wir in unserem Entschließungsantrag
aufgezeigt, den wir bereits in der ersten Runde mit dem
Gesetzentwurf eingebracht haben. Wir wollen, dass auch
die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern wahrnimmt und sie informiert.
({6})
- Das tut sie eben nicht. ({7})
Denn bei den Unternehmen liegen alle Daten vor, die
eine bewusste Auswahl ermöglichen und eine eigenverantwortliche Marktteilnahme gewährleisten. Wir wollen
auf der Basis der Evaluierung die Aufnahme weiterer
Produkte und Dienstleistungen in den Geltungsbereich
des Gesetzes erreichen.
Der Entschließungsantrag sieht die Dokumentation
und Auswertung der Erfahrungen mit dem Gesetz vor.
Damit werden wir zum Beispiel beobachten können, ob
und, wenn ja, aus welchen Gründen Informationen verweigert wurden, wie sich die Kosten entwickeln und wie
lange die Bearbeitung der Auskunftsanliegen dauert.
Wenn diese Auswertung Fehlentwicklungen offenbart,
werden wir mit gesetzlichen Maßnahmen gegensteuern.
({8})
Die Unternehmen sind aufgefordert, eigene Initiativen zu ergreifen und Zugang zu den bei ihnen vorhandenen Informationen zu gewähren. Auch wenn sich der
Dachverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft noch
sträubt, gibt es von zunehmend mehr Unternehmen
Signale der Bereitschaft; denn immer mehr wird dies
von seriösen Anbietern als Wettbewerbsvorteil erkannt.
Missstände auf dem Markt lassen sich nur durch
Transparenz und Rückverfolgbarkeit eindämmen.
({9})
Der transparente Markt ist notwendig. Niemand wird
diese Entwicklung auf Dauer verhindern können. Wir erwarten Vorschläge. Sollte sich die Wirtschaft hier nicht
bewegen, werden wir auf gesetzliche Maßnahmen dringen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Tag
hätte die Große Koalition einen verbraucherpolitischen
Meilenstein setzen können. Ich betone: hätte. Denn der
Gesetzentwurf, den uns die Koalition hier zur Entscheidung vorlegt, ist höchstens ein Stolperstein. Dieses
Gesetz ist kein modernes VerbraucherinformationsgeKarin Binder
setz, sondern ein Bürokratiebeschaffungsprogramm. Es
schreibt für die Informationsbeschaffung einen bürokratischen Aufwand fest, der für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in keinem Verhältnis zum Ergebnis
steht. Wenn ich im Supermarkt wissen will, ob die Paprika an der Gemüsetheke pestizidbelastet sind, dann
möchte ich nicht erst einen Antrag bei der örtlichen Lebensmittelkontrolle stellen.
({0})
Das kann und soll der Händler mir bitte schön selber sagen.
({1})
Mündige Verbraucherinnen und Verbraucher müssen Zugang zu den Informationen haben, der ihnen
die bewusste Auswahl von Produkten und Dienstleistungen ermöglichen und eine eigenverantwortliche Marktteilnahme gewährleistet.
Informationen sind am ehesten bei den Unternehmen selbst erhältlich. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten daher die Möglichkeit des Zugangs
zu diesen Informationen bekommen. Dies gilt für
Lebensmittel, sonstige Produkte und Dienstleistungen gleichermaßen.
Genauso ist es. Das ist auch meine Meinung. Aber das
sind nicht meine Worte. Diese Sätze stammen aus dem
Entschließungsantrag 16/2035, den uns die Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen im letzten Jahr
vorgelegt haben.
({2})
Warum haben Sie diese Erkenntnis aus dem Jahr 2006
nicht in dem neuen Gesetzentwurf umgesetzt? Mit unserem Entschließungsantrag unterstützen wir diese Forderungen sogar. Aber Sie haben die Entscheidung des Bundespräsidenten leider nicht als Chance genutzt, im
zweiten Anlauf einen besseren Gesetzentwurf vorzulegen.
({3})
Sie legen uns jetzt wieder eine Ansammlung von politischen Halbherzigkeiten, Schlupflöchern und Informationsbegrenzungen vor. Sie machen sich schon wieder
willfährig zum Anwalt von Wirtschaftsinteressen. Sie
ignorieren auch dieses Mal die zahlreichen und berechtigten Einwände von Verbraucherorganisationen und Datenschützern.
({4})
Ist das nun Halsstarrigkeit, Ignoranz oder Arroganz?
({5})
Nicht nur wir wollen, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher die Informationen bekommen, die sie interessieren und die sie benötigen, ganz gleich, ob es sich
dabei um Lebensmittel, technische Geräte oder um Arzneimittel handelt oder ob jemand Informationen zu
Finanzdienstleistungen oder Pflegediensten braucht.
Selbstverständlich müssen die Informationen von dort
kommen, wo sie am leichtesten, am umfangreichsten
und nicht zuletzt am schnellsten verfügbar sind: von den
Unternehmern und den Dienstleistern direkt, und
zwar ohne Einschränkungen mit Hinweis auf vermeintliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder sonstige
wettbewerbsrelevante Informationen.
Verbraucherinnen und Verbraucher sollen eigenverantwortlich und selbstbestimmt ihre Entscheidungen
treffen können. Dazu müssen wir ihnen die Voraussetzungen schaffen. Ein Verbraucherinformationsgesetz,
das diesen Namen auch verdient, müsste deshalb ein umfassendes Recht auf Information absichern.
({6})
Es müsste den kostenfreien Zugang zu Informationen sichern und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber Wirtschaft und Verwaltung stärken.
Aber das tut der vorliegende Entwurf nicht. Deshalb
werden wir diesem Informationsbehinderungsgesetz
nicht zustimmen.
({7})
Wir sehen mit Spannung der Evaluierung entgegen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Kollegen und
Kolleginnen! Angesichts der Aussage von allen Seiten,
dass dieses Gesetz eigentlich schon wieder novelliert
werden sollte, kann man eigentlich kaum jemandem erklären, warum es heute in dieser Form verabschiedet
wird, außer damit, dass Sie diese dauernde Auseinandersetzung nicht mehr aushalten können.
({0})
Aber das ist nun einmal die Aufgabe einer Regierung.
Man muss nun befürchten, dass das vorgelegte „Verbraucherinformationsgesetz“ - man muss das in Anführungsstriche setzen - sogar die bisherigen Rechte auf Information in Bund und Ländern noch einschränkt. Das
kann kaum der Anspruch des Gesetzes sein. Das haben
auf jeden Fall die Fachleute in der Anhörung zuletzt bestätigt.
({1})
Zudem erzeugen Sie eine unglaubliche Bürokratie durch
die schwammigen Formulierungen und die vorhandenen
Gesetzeslücken. Der Anwendungsbereich ist zu klein
- das hat der Kollege Goldmann schon ausführlich ausgeführt -, die Ausschlussgründe sind zu vielfältig, die
Antwortfristen zu lang. Aber vor allem bleibt der Gesetzentwurf ein Geheimniskrämereigesetz. Es gibt nicht
nur keinen Informationsanspruch gegenüber den Unternehmen, auch gegenüber den Behörden besteht zum
Beispiel bei Finanzdienstleistungen usw. kein Informationsanspruch. Finanzskandale wie den bei der sogenannten Göttinger Gruppe wird es also auch in Zukunft
geben. Schauen Sie in die „Süddeutsche Zeitung“ von
heute! Das wäre ein Handlungsfeld für ein Verbraucherinformationsgesetz gewesen.
Die ungewöhnlich hohen Schutzwälle bei sogenannten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bilden einen
weiteren Riegel. Ich frage mich wirklich, auf welcher
Rechtsgrundlage Formulierungen wie die über sonstige
wettbewerbsrelevante Informationen beruhen und wie
die Überprüfung stattfinden soll. Der Vollzug dieses Gesetzes wird sicher ein einziges Chaos. Die Unternehmen sind weitestgehend geschützt. Sie dürfen ungeprüft
selbst bestimmen, was ein Geschäftsgeheimnis ist. Verbraucherinteressen werden nicht einmal abgewogen, wie
das bei anderen Gesetzen der Fall ist.
Ein Unding ist auch, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher durch Gebühren regelrecht abgehalten
werden, Informationen nachzufragen. Eine Gebührenobergrenze gibt es nicht, und hohe Finanzbelastungen
drohen dem, der Auskunft begehrt. Tatsächlich ist es
fraglich, wie zu verstehen ist, dass eine Kostendeckung
zu erreichen ist. Eine Ausnahme stellen Auskunftsverpflichtungen in den Fällen dar, in denen ein Rechtsbruch
vorliegt. Das können ein Verbraucher und eine Verbraucherin schließlich vorher nicht wissen, übrigens auch die
Presse nicht. Man bleibt auf hohen Gebühren sitzen,
wenn sich herausstellt, dass die Pestizidbelastung eines
Lebensmittels gerade an der Grenze war oder das Unternehmen keinen direkten Rechtsbruch begangen hat. Wer
bezahlt die Gebühren dann? Das ist eine unsoziale Regelung, die eine hohe Hürde für den Auskunftsbegehrenden darstellt.
({2})
Lange Wartezeiten - auch das noch - von etwa drei Monaten müssen in Kauf genommen werden. Es ist in der
Anhörung vorgeschlagen worden, die unverzügliche Bearbeitung in das Gesetz aufzunehmen. Nach drei Monaten - dieses Gesetz bezieht sich vor allem auf Lebensmittel - ist die Ware längst verzehrt.
Die Erreichung des Ziels von Minister Seehofer, den
Verbraucherinnen und Verbrauchern ein scharfes
Schwert bei Gammelfleischskandalen zu verschaffen, ist
gescheitert. Ob billige Importe in deutsches Edelfleisch
umbenannt werden oder Gammelfleisch, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, in frische Supermarktware
umetikettiert wird - der Verbraucher wird auch in Zukunft kaum etwas mit dem Verbraucherinformationsgesetz verhindern können und wir auch nicht. Sämtliche
Vorschläge der Grünen und auch anderer Fraktionen, den
Gesetzentwurf zu verbessern, werden ignoriert. Dieses
Gesetz ist eine Mogelpackung, und offensichtlich fehlt
der Bundesregierung der politische Wille, für mehr Verbraucherrechte zu sorgen.
Danke.
({3})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Zeiten der rot-grünen Koalition haben wir kein Verbraucherinformationsgesetz zustande gebracht. Jetzt, in dieser
Regierungskonstellation, sind wir so weit.
({0})
Ich denke, dies wird ein guter Abend. Schön, dass auch
Sie, Herr Minister Seehofer, noch anwesend sind.
Wir haben uns gestern im Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit einer repräsentativen Umfrage der Verbraucherzentralen und des
Bundesinstituts für Risikobewertung zu cholesterinsenkenden Lebensmitteln befasst. Meine Damen und Herren, die Sie heute Abend hier anwesend sind, wenn Sie in
den Supermarkt gehen, dann stoßen Sie auf cholesterinsenkende Lebensmittel wie bestimmte Milch-, Joghurtund Margarinesorten.
Das Ergebnis dieser Umfrage war ganz eindeutig:
Viele Leute nehmen diese Lebensmittel zu sich, obwohl
es gar nicht nötig ist. Besonders bedenklich ist, dass es
Menschen gibt, die cholesterinsenkende Lebensmittel zu
sich nehmen, ohne Rücksprache mit ihrem Arzt gehalten
zu haben. Diese Menschen nehmen starke Nebenwirkungen in Kauf; zum Beispiel wird die Zellstabilität beeinträchtigt.
({1})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen, Herr
Goldmann.
({2})
Es kann vorkommen, dass die Vitamin-A-Aufspaltung
nicht mehr gewährleistet ist. Der Verzehr dieser Produkte hat keine vorbeugende Wirkung. Es reicht nicht
aus, dass auf den Verpackungen Hinweise gegeben werden.
Das Ergebnis dieser Umfrage wundert mich eigentlich überhaupt nicht; denn die Werbespots für cholesterinsenkende Lebensmittel, zum Beispiel für bestimmte
Margarinesorten, vermitteln genau zwei Informationen:
Waltraud Wolff ({3})
Sieben von zehn Menschen haben einen erhöhten Cholesterinspiegel,
({4})
und man kann ihn durch den Verzehr dieser Lebensmittel
senken. Ganz abgesehen davon, ob Medizin überhaupt
ins Lebensmittelregal gehört, steht doch fest: Das sind
keine Lifestyle-Produkte, und man sollte sie auch nicht
so bewerben dürfen.
({5})
Warum führe ich das alles an? Ich führe das an, weil
es der letzte Verbraucher und die letzte Verbraucherin
verstehen sollen und weil dieses Thema den Kern der
Auseinandersetzung über das Verbraucherinformationsgesetz genau trifft.
({6})
Wer gibt denn die Infos? Welche Informationen brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher, und wer
entscheidet über die Informationen? Die Verbraucher bis
jetzt jedenfalls nicht! Mit der Verabschiedung des Verbraucherinformationsgesetzes wird sich das - nach einem langen Kampf - ändern.
Die Wirtschaft ist angesprochen worden. In unserer
letzten Anhörung forderte ein Vertreter des Bundes für
Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, die Belange
der Wirtschaft zu berücksichtigen. Schauen Sie sich die
Versionen an! Hinter uns liegt ein langer Diskussionsprozess. Klar ist doch: Wenn Unternehmen wollen, dass
sie es sind, die informieren, dann heißt das, dass sie es
sind, die die Kontrolle über die Informationen ausüben
wollen. Die Forderung war: Freiwillige Information und
Produktkennzeichnung reichen aus. Was dabei herauskommt, lässt sich daran zeigen, wie wir jetzt mit den
cholesterinsenkenden Lebensmitteln konfrontiert werden.
Wir brauchen das Verbraucherinformationsgesetz. Die
Verbraucher wollen sich allein, also selbstständig, informieren - sie wollen nicht nur informiert werden -, und
genau diesem Bedürfnis werden wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs gerecht. Dieses Gesetz ist
ein erster guter Baustein. Weitere gute Bausteine werden
folgen. Gehen Sie diesen Schritt mit uns! Auch die Opposition sollte sich das noch einmal überlegen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation.
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5928, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/5723 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5977? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
bei Gegenstimmen der FDP mit den Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5975? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den
Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5976? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU
und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5928 fort. Unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 10 auf:
25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Rzepka, Ingo Schmitt ({1}), Monika Grütters
und weiterer Abgeordneter
Flugverkehrskonzept für den Großraum Berlin überprüfen - Flughafen Berlin-Tempelhof
offenhalten
- Drucksache 16/4813 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Wolfgang Wieland, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof Sinnvolle Nachnutzung des Flughafenareals
- Drucksache 16/5897 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Peter Rzepka, CDU/CSU-Fraktion.
({4})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich meine Ausführungen zu unserem Gruppenantrag mit den Worten des ehemaligen
Bundeskanzlers Helmut Schmidt beginnen:
Berlin sollte Tempelhof nicht aufgeben. Die Hauptstadt der Republik darf jetzt die große und letzte
Chance nicht verpassen, einen bundesweit einmaligen Standortvorteil zu nutzen: einen Flughafen in
unmittelbarer Nähe der Innenstadt.
({0})
Über 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, zahllose Prominente aus Wirtschaft, Politik und Kultur,
Helmut Kohl, ein weiterer ehemaliger Bundeskanzler,
({1})
ein ehemaliger Bundespräsident, Wirtschaftsverbände
und Mitglieder der gegenwärtigen Bundesregierung,
Herr Kollege, teilen diese Beurteilung des ehemaligen
Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Ein Volksbegehren ist
mit mehr als 35 000 Unterschriften in Berlin eingeleitet
worden.
Helmut Schmidt hat den Kern der Tempelhof-Debatte
getroffen: Es geht um eine optimale Anbindung von Regierungs- und Parlamentsviertel an den Flugverkehr sowie um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze für Berlin.
({2})
Die Deutsche Bahn, Luftfahrtunternehmen und weitere private Investoren haben solide geplante und finanziell abgesicherte Konzepte für eines der modernsten
ambulanten Gesundheitszentren der Welt vorgelegt und
halten dieses Angebot aufrecht.
({3})
Der Berliner Senat dagegen bereitet die Schließung und
Entwidmung des legendären Stadtflughafens vor,
({4})
ein Vorgang, der weltweit Unverständnis auslöst.
({5})
Der erste Zivilflughafen in der Geschichte, die Mutter
aller Flughäfen, ein Architektursymbol mit weltweiter
Ausstrahlung,
({6})
soll seiner eigentlichen Funktion beraubt werden. Ein
wichtiger Standortvorteil für die zukünftige wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung der Hauptstadt soll aufgegeben werden.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wieland?
Ich habe nur sehr wenig Zeit; vielleicht zum Schluss
noch.
({0})
Die Berliner Politik hält damit an einer Entscheidung
fest, die längst überholt ist.
({1})
Es ist weder sachlich noch rechtlich geboten, Tempelhof
zum jetzigen Zeitpunkt zu schließen.
({2})
Das Bundesverwaltungsgericht hat im März 2006 festgestellt, dass es keine Rechtspflicht gibt, Tempelhof vor
Eröffnung von BBI zu schließen.
({3})
Ob ein Offenhalten über diesen Zeitpunkt hinaus die
Planrechtfertigung für BBI gefährden würde, wie der
Berliner Senat behauptet, wird von namhaften Gutachtern und Rechtswissenschaftlern bestritten. Eine abPeter Rzepka ({4})
schließende Klärung dieser Rechtsfrage, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit die Offenhaltung des Flughafens
Tempelhof ermöglichen würde, will der Berliner Senat
mit seinem voreiligen Handeln verhindern.
Ebenso fragwürdig wie die Argumente für eine
Schließung sind die Nachnutzungskonzepte der Tempelhof-Gegner. Die zuständige Berliner Senatorin will
ein Wiesenmeer mit ein wenig Bebauung und vielen
Grünflächen.
({5})
Realisierbare Pläne für die Nutzung der riesigen Immobilie ohne Start- und Landebahnen sind nicht vorhanden.
({6})
Es ist doch lächerlich, meine Damen und Herren von der
SPD-Fraktion, dass sich der Berliner Senat an die Berliner Öffentlichkeit wendet und um Vorschläge dazu bittet,
({7})
was mit diesem Areal passieren soll, nachdem man angeblich bereits seit elf Jahren dessen Entwidmung als
Flughafen plant.
({8})
Im Gegensatz dazu geht man bei allen ernsthaften planerisch und finanziell abgesicherten Projekten für die Zukunft des Areals davon aus, dass die Start- und Landebahnen bestehen bleiben müssen.
Ohne hier noch einmal alle für den Innenstadtflughafen sprechenden Gründe zu nennen
({9})
- sie sind in der Begründung zu unserem Gruppenantrag
enthalten -: Tempelhof hat seine Existenzberechtigung
zumindest für die Zeit der Errichtung von BBI, aber meines Erachtens auch darüber hinaus.
({10})
Die zusätzlichen Start- und Landebahnen sowie Stellflächen für kleinere Maschinen sind eine sinnvolle Ergänzung zum geplanten Single-Airport in Schönefeld.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ihr politisches Gewicht einzusetzen, um nicht wiedergutzumachende Schäden vom Standort Berlin abzuwenden.
({11})
Das kann im Rahmen der anstehenden Verhandlungen
zur Hauptstadtfinanzierung geschehen. Die Bundesregierung hat auch die Möglichkeit - das ist der wesentliche Punkt -, durch die Verlegung von Teilen der Flugbereitschaft nach Tempelhof die Offenhaltung rechtlich
eindeutig abzusichern,
({12})
damit die Entwidmung des Flughafens nicht dazu führt,
dass ab Tempelhof niemals wieder geflogen werden
kann, und damit das Entstehen einer großen innerstädtischen Brache im Eigentum des Bundes und in unmittelbarer Nähe zum Regierungsviertel verhindert wird, die
zudem den Steuerzahler noch viele Millionen kosten
würde.
({13})
Die Zeit wird knapp. Aber es ist noch nicht zu spät.
Bundestag und Bundesregierung müssen jetzt handeln.
Wir haben die Möglichkeit dazu.
Herr Kollege, ich möchte Sie an Ihre Redezeit erinnern. Ihre Zeit ist nicht nur knapp; sie ist schon überschritten.
({0})
Ich komme zum Schluss.
Wer jetzt nicht handelt, trägt die Mitverantwortung
für eine unumkehrbare Entwicklung, die wir schon in
wenigen Jahren bitter bereuen werden.
({0})
Es geht um die Zukunft unserer Hauptstadt Berlin.
({1})
Tempelhof muss offen bleiben.
({2})
Für diejenigen, die den Flughafen nicht kennen - ({3})
Herr Kollege, Sie haben nicht mehr die Möglichkeit
zu einer Demonstration.
({0})
Außerdem, Herr Kollege, ist es in diesem Hohen Hause
üblich, dass Sie die Präsidentin fragen, wenn Sie Plakate
hochhalten oder sonst etwas demonstrieren wollen.
({1})
Frau Präsidentin, es geht um - 11192
({0})
Herr Kollege!
({0})
Danke schön.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Rzepka hat es ja schon ganz gut begründet,
warum der Flughafen Tempelhof offen bleiben muss und
warum die Gegenargumente falsch sind. Ich möchte das
Ganze eher einmal politisch bewerten; denn das Vorgehen des Berliner Senats und der ihn tragenden Koalition
ist wirklich in mehrfacher Hinsicht unanständig.
So läuft derzeit ein Volksbegehren. Bereits in der ersten Stufe gab es mehr als 10 000 Unterschriften, also
mehr als an und für sich benötigt werden. Weil der Senat
fürchtet, dass in der zweiten Stufe ein überzeugendes Ergebnis zustande kommt, will er vorher Fakten schaffen.
({0})
Deshalb werden die Initiatoren dieses Volksbegehrens ich bin der Vertrauensmann dieses Volksbegehrens,
wenn ich das einmal sagen darf - das auch zu einer Abstimmung über diese Art der Behandlung des Souveräns,
des Bürgers, machen.
({1})
Wenn der Souverän so brüskiert wird, dann ist das unanständig.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat gerade im Zusammenhang mit der Waldschlösschenbrücke in Dresden
klargestellt, wie wichtig die Politik den Bürger in solchen Fragen zu nehmen hat.
({3})
Die Anwohner sind im Übrigen, wie verschiedene repräsentative Umfragen gezeigt haben, mehrheitlich für
die Offenhaltung. Alle Argumente, die angeblich zum
Schutz der Anwohner dort vorgebracht werden, sind also
falsch. Die Anwohner selbst sagen, der Straßenverkehr
ist ihr Problem. Wenn der Flughafen zugemacht wird
und die Fläche dort bebaut wird, entsteht mehr Straßenverkehr, und dadurch wird diese Belastung noch größer.
({4})
Wenn sich die Grünen mit ihrer Idee durchsetzen, dort
Events stattfinden zu lassen, haben die Nachbarn da, wo
jetzt ein Nachtflugverbot besteht, nachts große Events
und die Love Parade zu ertragen.
({5})
Gute Nacht, liebe Nachbarn, kann ich nur sagen, wenn
so etwas durchkommt.
({6})
Dann wird nichts aus dem angeblichen Schutz der Anwohner.
({7})
Der nächste Punkt, der auch unanständig ist, ist die
damit verbundene Kostenüberwälzung auf den Bund.
({8})
- Regen Sie sich doch nicht so auf! - Die Investoren haben angeboten, zu 100 Prozent die Finanzierung zu übernehmen. Wenn der Flughafen geschlossen wird, muss
der Bund alle Kosten übernehmen. Dabei geht es jedes
Jahr um Kosten in Höhe von zig Millionen allein für die
Reinigung, die bauliche Unterhaltung und anderes. Es ist
schlicht unanständig, das einfach so zu machen, meine
Damen und Herren.
({9})
Die Verwertungsinteressen für die Gebäude, für die Immobilien würden damit weiter geschädigt. Herr Diller,
dass Sie so etwas gutheißen können, kann ich mir nicht
vorstellen. Die Bundesregierung müsste doch dazu auch
endlich einmal etwas sagen, insbesondere vonseiten des
Finanzministeriums, statt nur interessiert zuzuschauen.
({10})
Durch diesen Überraschungscoup des Senats kommt
es auch noch zu einer Begrenzung der Möglichkeiten für
den Bund, das Gebäude zu nutzen.
({11})
Wenn der Flughafen einmal geschlossen ist, verehrter
Kollege Wieland, dann kann dort auch die Flugbereitschaft nicht mehr stationiert werden. Die Bundeswehr
will ja erst noch prüfen, ob sie dort hingehen will oder
nicht. Diese Möglichkeit wäre dann vertan.
Deshalb ist das insgesamt in dieser Form einfach unanständig.
({12})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wieland.
Aber natürlich, ich freue mich darauf.
Herr Kollege Königshaus, Sie sprachen im Zusammenhang mit der Schließung von Tempelhof von einem
Überraschungscoup. Der Kollege Rzepka berief sich auf
Helmut Kohl. Erinnere ich mich denn richtig, dass in einem sogenannten Konsensbeschluss zu der Zeit, als
Helmut Kohl mit Schwarz-Gelb regierte, von den Herren
Diepgen, Wissmann und Stolpe festgelegt wurde, dass
erstens Berlin Brandenburg International in Schönefeld
gebaut wird und dass zweitens - das steht in demselben
Beschluss - die beiden innerstädtischen Flughäfen als
Verkehrsflughäfen stillgelegt werden? Erinnere ich mich
richtig, dass das als Junktim in diesem Beschluss steht,
oder ist hier jetzt irgendetwas plötzlich vom Himmel gefallen?
({0})
Herr Kollege, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir
Gelegenheit geben, das noch einmal in Erinnerung zu rufen und auch in der Abfolge darzustellen.
Diesen Konsensbeschluss gab es.
({0})
Der Konsensbeschluss ging davon aus, dass man inzwischen schon von diesem Flughafen BBI starten und landen könnte.
({1})
Genau das war der zeitliche Horizont, meine Damen und
Herren. Seitdem ist wirklich nicht nur Wasser die Spree,
sondern auch den Rhein und anderswo heruntergeflossen. Jetzt haben wir eine andere Situation.
({2})
Deshalb müssen wir uns mit dieser Frage noch einmal
neu befassen.
Unabhängig davon, ob wir jetzt einen Verkehrsflughafen schließen, müssen wir uns über die weitere Nutzung dieser Fläche unterhalten.
Deshalb geht es an dieser Stelle nicht nur um die Nutzung als Verkehrsflughafen, sondern auch um das, was
die heute hier anwesenden Investoren dazu angeboten
haben - nämlich keine Nutzung als Verkehrsflughafen,
sondern eine Sondernutzung. Dabei handelt es sich um
eine weitere Möglichkeit, die dieser Beschluss kaputtmacht. Deshalb sollten Sie hier keine Legenden bilden,
meine Damen und Herren.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Rzepka?
Mit noch größerer Freude. Bitte.
Herr Kollege, teilen Sie meine Auffassung, dass sich
der Konsensbeschluss von 1996 auf die Schließung
Tempelhofs als Verkehrsflughafen bezog und keineswegs auf die Schließung für die allgemeine Luftfahrt
und für die von uns beiden angesprochene Flugbereitschaft des Bundes? Teilen Sie des Weiteren meine Auffassung, dass man nach elf Jahren möglicherweise auch
klüger werden kann, was der Kollege Wieland für sich
vielleicht nicht in Anspruch nimmt?
({0})
Geben Sie mir bitte Gelegenheit, Ihnen zu antworten,
lieber Kollege. Ich bin sehr froh, dass Sie diesen Punkt
noch einmal ansprechen. Genau das hatte ich gesagt.
Deshalb teile ich natürlich Ihre Auffassung.
Es ist aber in der Tat richtig, dass wir uns auch noch
einmal über genau diese Abfolge unterhalten müssen;
denn inzwischen hat sich die Situation insgesamt - da
haben Sie völlig recht - massiv verändert.
Dieser Beschluss ist auch deshalb so schädlich für
Berlin, weil er ein negatives Beispiel gibt. Dabei denke
ich zum einen an die Bürger, die sehen, dass ihr Volksbegehren einfach weggewischt wird.
({0})
Das ist ein schöner Umgang für Demokraten! Zum anderen geht es in einer Stadt, die so dringend Investitionen
benötigt, aber auch nicht, dass die potenziellen Investoren so schäbig abgemeiert werden - mit diskriminierenden Äußerungen
({1})
nach dem Motto: Da kommen ein paar Leute von Disney
und wollen dort irgendetwas bauen.
Zu diesen Leuten gehört auch die Deutsche Bahn.
({2})
Bei ihnen handelt es sich um Investoren, die mehrere
hundert Millionen Euro investieren wollten. Es ist in der
Tat wichtig, das im Auge zu behalten.
({3})
Wenn wir solche Chancen vergeben, werden wir überhaupt keine Chancen mehr bekommen. - Insofern gebe
ich Ihnen recht.
Herr Kollege, mir liegt jetzt noch eine Zwischenfrage
vor, und zwar vom Kollegen Lamers.
Ich bin beglückt über die viele Redezeit, die mir heute
gegeben wird.
Herr Kollege, wären Sie bereit, mir zuzustimmen,
dass der Flughafen Berlin-Tempelhof nicht nur für Berlin, sondern zum Beispiel auch für die Metropolregion
Rhein-Neckar, aus der ich komme, von großer Bedeutung ist,
({0})
dass das alles zerstört wird, wenn dieser Flughafen zu einem Zeitpunkt geschlossen wird, zu dem BBI noch
lange nicht in Betrieb genommen worden ist,
({1})
und dass es Ausdruck höchster Ignoranz ist, diesen tollen Flughafen zu schließen?
Ich teile Ihre Bewertung. Das ist in der Tat eine
schreckliche Herangehensweise.
({0})
- Ich bin gefragt worden. Daher muss ich das jetzt noch
einmal feststellen. In der Tat teile ich diese Bewertung.
Wie soll Herr Paziorek denn dann nach Münster kommen? Wie soll Herr Lamers dann nach Rhein-Neckar
kommen? Wie soll man nach Basel kommen, wenn dieser Flughafen geschlossen wird?
({1})
Dann sind nämlich nicht nur die neuen Kapazitäten noch
gar nicht da, sondern es werden - da haben Sie völlig
recht - in der Zwischenzeit wegen der Bauarbeiten auch
noch Kapazitäten in Schönefeld stillgelegt. Wir werden
dort eine weitere Start- und Landebahn verlieren. Zu diesem Zeitpunkt die Kapazitäten in Tempelhof zu schließen, ist schlichtweg unverantwortlich.
({2})
Insofern gebe ich Ihnen da völlig recht.
({3})
Ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass die
schäbige Behandlung, die die Investoren in diesem Fall
erfahren haben, auch auf andere Investoren abschreckend wirkt. Hier tut man das, obwohl ein sehr solide
durchgerechnetes Projekt vorliegt.
Ich freue mich sehr, dass mir die heute anwesenden
Investoren - Herr Charrabé ist für die Investorengruppe
da; auch die Deutsche Bahn ist hier vertreten - in einem
gerade geführten Gespräch noch einmal bestätigt haben,
dass sie weiterhin als Investoren zur Verfügung stehen,
wenn der Flughafen tatsächlich so nutzbar ist, wie es das
Projekt vorsieht.
Alles Gegenteilige, was hier behauptet wird, ist
schlichtweg falsch und Stimmungsmache.
({4})
Nein, die Investoren sind hier und stehen zur Fahne. Sie
stehen zu dem Projekt, meine Damen und Herren.
({5})
Es gibt keinen Grund, diesen einmaligen Standortvorteil für die Stadt und die Region Berlin aufzugeben. Es
ist auch noch nicht zu spät. Wenn die Bundesregierung
wirklich Interesse hat, hier auch die Interessen des Bundes zu wahren und eine wirklich schäbige Überwälzung
von Kosten auf den Bund - für dessen Kasse sind wir ja
verantwortlich - zu vermeiden, muss sie jetzt diese
Chance ergreifen.
Die Klagefrist endet morgen in einer Woche, also am
Freitag, dem 13. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, sich die Option für die Stationierung der Flugbereitschaft offenzuhalten. Auch wenn die Klagefrist abgelaufen sein sollte, weil die Bundesregierung vermutlich
nicht aus der Hüfte kommt, ist noch lange nicht alles
verloren; denn niemand hindert beispielsweise den Berliner Senat daran, solche Beschlüsse hinterher aufzuheben.
({6})
Es ist ja nicht auszuschließen, dass ein Wunder geschieht
und dass selbst der rot-rote Senat auf einmal Einsicht
zeigt und die Möglichkeiten zum Offenhalten von Tempelhof von neuem ergreift.
({7})
Viele Chancen stehen hier auf dem Spiel. Gehen Sie
noch einmal in sich!
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich bin absolut sicher: Wenn wir uns mit diesen Anträgen befassen
und zu einer übereinstimmenden Auffassung gelangen,
({8})
dann werden wir feststellen - davon bin ich überzeugt -,
dass wir diesen Flughafen offenhalten und die Chancen
nutzen müssen, die sich hier bieten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich gebe das Wort der Kollegin Petra Merkel, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, ein bisschen
Sachlichkeit in die Debatte hineinzubringen, obwohl das
schwerfällt.
({0})
In dieser Debatte wird sichtbar, dass einige Kollegen, die
immer schon gemeinsam über dieses Thema diskutiert
haben, ihre Rollen kennen. Das ist mir noch ein bisschen
fremd.
({1})
Wir diskutieren über einen Gruppenantrag - das ist
relativ ungewöhnlich -, der zum Inhalt hat, den Flughafen Tempelhof nicht zu schließen. Die beabsichtigte
Schließung hängt natürlich mit dem Bau des Großflughafens Berlin Brandenburg International zusammen.
Darauf muss man einmal verweisen; es geht nämlich
nicht ausschließlich um Tempelhof. Wie schwierig der
Bau eines Großflughafens ist, haben wir noch alle in Erinnerung. Der letzte Großflughafen ist in München gebaut worden. Dieser Bau hat 22 Jahre gedauert. Beim
Flughafen Berlin Brandenburg International muss und
wird diese Bauzeit unterboten werden.
Was ist in den letzten Jahren passiert? Schauen wir
einmal zurück. Vor elf Jahren, also 1996, gab es den Beschluss zum Ausbau von Schönefeld zum BBI. Ich kann
mich noch gut daran erinnern, dass ich damals nicht
wollte, dass in Schönefeld der Großflughafen gebaut
wird.
({2})
Ich war ebenso wie die SPD und die Grünen für Sperenberg. Wir haben uns dann in einem Kompromiss darauf
geeinigt, dass wir auf Wunsch der CDU nach Schönefeld
gehen, also nicht nach weit außerhalb, sondern vor die
Tore der Stadt. Herr Schmitt, Sie können sich daran erinnern. 1999, also drei Jahre später, reichte die Flughafen
Berlin-Schönefeld GmbH den Planfeststellungsantrag
ein. 2003 war der Beginn der bauvorbereitenden Maßnahmen. 2005 erfolgte der Planfeststellungsbeschluss
zum BBI. 2006 genehmigte das Bundesverwaltungsgericht den Ausbau des Flughafens Schönefeld. 2007 war
endlich Baubeginn.
Wir diskutieren jetzt über die Auswirkungen eines
Konsensbeschlusses von 1996. Elf Jahre nach dem Beschluss wollen Sie wieder von vorne anfangen und alles
infrage stellen.
({3})
Wollen Sie wirklich durch neue Klagewellen den Bau
des Großflughafens Schönefeld verzögern? Das kann
doch nicht Ihr Interesse sein.
({4})
In diesem Konsensbeschluss wurden auch die Auswirkungen auf den Flughafen Tempelhof entschieden.
Mit Genehmigung der Präsidentin zitiere ich:
Nach Vorliegen der gerichtlich überprüften und
rechtskräftigen Planfeststellung für den Singlestandort Schönefeld wird der Verkehrsflughafen
Tempelhof geschlossen.
({5})
Das haben damals alle unterschrieben. Grundlage für die
Planfeststellung war also: Für einen citynahen Flughafen
Schönefeld werden die Flughäfen Tegel und Tempelhof
geschlossen.
({6})
Ich sage es noch einmal, damit es allen ganz klar ist:
Dieser Konsensbeschluss war die Grundlage aller Planungen. Er bleibt es auch.
({7})
Wichtig zu wissen, ist: Dieser Konsensbeschluss
wurde herbeigeführt - auch das wurde eben erwähnt und beschlossen von Bundesverkehrsminister
Wissmann, CDU, Berlins Regierenden Bürgermeister
Diepgen, CDU, und Brandenburgs Ministerpräsident
Stolpe, SPD.
({8})
Wichtig zu wissen, ist: Tegel, Tempelhof und Schönefeld
werden betrieben von Berlin, Brandenburg und dem
Bund.
({9})
Der Bund ist also sowohl an den Entscheidungen in Tegel als auch in Tempelhof und Schönefeld aktiv beteiligt.
Das Bundesverkehrsministerium und das Bundesministerium für Finanzen sind unsere Bundesvertreter in dieser Gesellschaft. Ich bin mir sicher, dass die Entscheidungen, die von dieser Flughafengesellschaft auch im
Interesse des Bundes getroffen werden, von den Vertretern dieser Gesellschaft gemeinsam getroffen werden.
Ich kann mir vorstellen, dass der Bund das Areal des
Flughafens Tempelhof mit der großen Liegenschaft und
mit dem Gebäude optimal vermarkten will. Das muss er
auch; darauf werden wir achten.
({10})
Petra Merkel ({11})
Ich klammere dabei einmal aus, dass der Bund in Bezug
auf dieses Areal mit Berlin im Streit liegt, und zwar wegen des Reichsvermögens.
({12})
Stand der Dinge ist jedenfalls, dass der Großflughafen
in der jetzigen Planungsphase baureif ist und Sie wieder
von vorne anfangen wollen.
({13})
Sollen wir uns jetzt wirklich wieder damit auseinandersetzen, dass vor elf Jahren Herr Diepgen, Herr
Wissmann und Herr Stolpe den politischen Entschluss
gefällt haben, einen stadtnahen Flughafen in Schönefeld
zu bauen, und dass sie damit einhergehend die Schließung von Tegel und Tempelhof beschlossen haben?
Wir haben damals alle darüber diskutiert; das ist nicht
im stillen Kämmerlein passiert. Einige von uns haben
das damals an anderer Stelle getan. Ich kann mich sehr
gut erinnern: Herr Ingo Schmitt, Sie waren damals als
Staatssekretär im Land Berlin unter anderem für den
Verkehr zuständig und haben an der Entscheidung, Tempelhof zu schließen, mitgewirkt.
({14})
Ich halte eine erneute Diskussion darüber nicht für sinnvoll.
Ich sage noch ganz kurz etwas zu dem Thema Volksbegehren, das hier eben aufgeflammt ist. Das Ziel des
Volksbegehrens ist der Weiterbetrieb Tempelhofs als
Verkehrsflughafen. Sie als CDU-Politiker haben die
Leute hinters Licht geführt.
({15})
Wenn es überhaupt ein Ergebnis geben kann, dann nur
unterhalb des Konsensbeschlusses. Sie wissen ganz genau, dass das nicht zu erreichen ist.
({16})
Die Frage, wie man es hinbekommen könnte, Tempelhof für die Flugbereitschaft zu nutzen, war übrigens
im Wahlkampfjahr 2006 in Berlin ein Thema. Ich weiß,
dass sich sowohl Angela Merkel als auch Klaus
Wowereit inständig darüber unterhalten haben, ob das
eine Möglichkeit wäre. Damals hat weder Wowereit
noch Merkel gesagt, dass es geht.
({17})
Die Bundeswehr hat gesagt: Das geht nicht.
({18})
Der Flughafen Tempelhof ist viel zu klein, die Landebahnen reichen nicht aus. - Angela Merkel hat sich an
dem Punkt auch nicht weiter durchgesetzt. Sie hat erkannt, dass das an dieser Stelle nicht geht.
Zu der Frage der Investoren. Investoren sind in Berlin an jeder Stelle herzlich willkommen, auch was das
Areal des Flughafens Tempelhof angeht,
({19})
aber nicht unter der Bedingung, dass dieser Flughafen
geöffnet bleibt.
({20})
Das ist die Grundbedingung; damit müsste man sich auseinandersetzen.
Tatsache ist: BBI wird gebaut, Tempelhof wird folgerichtig nach dem Beschluss von 1996 im nächsten Jahr
geschlossen.
({21}) [CDU/CSU]:
Warum jetzt schon? - Hans-Michael
Goldmann [FDP]: Warum jetzt?)
- Weil Tempelhof bei Planreife des Flughafens BBI geschlossen werden kann. Das ist der Beschluss von 1996.
({22})
- Genau, weil wir den Beschluss haben.
({23})
- Wir haben alle Erfahrungen, wie wir mit einer großen
Bürgerbeteiligung umgehen.
({24})
Es sind Klagen noch und nöcher gerade in Bezug auf den
Großflughafen Berlin Brandenburg International anhängig gewesen. Es gibt Gerichtsentscheidungen. Es gibt
jetzt die Möglichkeit, zu bauen. Wir haben wirklich alle
- auch auf Bundesseite - ein Interesse daran, dass das
Großprojekt nicht gefährdet wird; davon bin ich überzeugt.
({25})
Ich bin froh, dass die Passierzahlen steigen; denn das
zeigt, dass wir einen großen, konkurrenzfähigen Flughafen brauchen. Die Hauptstadt der Bundesrepublik und
größte Stadt Deutschlands braucht auch weite Flugverbindungen. Wenn man sich ansieht, wie die Flugpläne
derzeit aussehen, dann mag man nicht glauben, was man
sieht. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir den Flughafen Berlin Brandenburg International bekommen.
Der Flughafen Schönefeld ist ein Großbauprojekt. In
der Region Brandenburg stärkt es die Wirtschaftskraft.
40 000 neue Arbeitsplätze werden durch den Bau des
Großflughafens geschaffen. Der Bund kann sich darüber
nur freuen.
Petra Merkel ({26})
Als Haushälterin sage ich auch etwas zu den Zahlen.
Der Flughafen Schönefeld ist das größte Infrastrukturprojekt in Ostdeutschland; ein Investitionsvolumen von
insgesamt 2 Milliarden Euro ist wirklich nicht von
Pappe. Der Bund wird für die Verkehrsanbindung circa
476 Millionen Euro ausgeben und als Gesellschafter
circa 110 Millionen Euro tragen. Der Bund muss und
wird als Teil der Flughafengesellschaft den Bau des
Flughafens Schönefeld aktiv begleiten. Aber nicht nur
das. Wir Mitglieder des Deutschen Bundestages, die wir
im Rechnungsprüfungsausschuss sind, haben ein Auge
darauf, wie die Nutzung von Tempelhof nach dem Ende
des Flugbetriebes aussehen könnte.
({27})
Meine Kollegen und ich konnten übrigens sogar die
BImA, unsere Bundesimmobilienvermarkter, davon
überzeugen, dass der Standort Tempelhof sehr wohl für
Büro- und Verwaltungsräume - sogar auf ministerieller
Ebene - geeignet ist.
({28})
Jetzt steht fest, dass Bundesbehörden dort einziehen
könnten. Somit ist die BImA aufgefordert, sich um eine
Vermarktungsstrategie zu kümmern. Darüber möchte ich
gerne mit Ihnen diskutieren. Ich glaube, es ist sinnvoller,
darüber zu debattieren, als über einen Antrag, der chancenlos ist.
Es ist durchaus möglich, das Areal von Tempelhof zu
entwickeln, nach dem Motto: Alter Flughafen - neues
Leben. Das ist eine gemeinsame Aufgabe des Bundes
und des Landes Berlin.
Frau Kollegin!
Ich weiß, dass uns viele in der Republik und im Ausland darum beneiden, dass man diese Stadt an bestimmten Punkten von innen heraus neu entwickeln kann.
Frau Kollegin!
Dazu gehört auch das Flughafenareal Berlin-Tempelhof.
Schönen Dank.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Roland Claus, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist sicher gut, dass wir über die Probleme von
Tempelhof reden. Um keine falschen Erwartungen zu
wecken, sage ich gleich: Ihren Gruppenantrag lehnt die
Fraktion Die Linke ab. Ein Satz in Ihrem Antrag hat aber
hundertprozentige Gültigkeit:
Ein tragfähiges Konzept für die Nachnutzung …
gibt es nicht.
Wir wollen darauf verweisen, dass der 1996 gefundene Konsens, der im Übrigen von allen im Abgeordnetenhaus und im Bundestag vertretenen Kräften mitgetragen wurde,
({0})
erst die Planungsvoraussetzungen für den Flughafen
Berlin Brandenburg International in Schönefeld geschaffen hat. Alle Gründe, die zu dem Beschluss von 1996
führten, gelten auch heute noch.
Ich muss gestehen, dass ich mich ein bisschen über
die Autorinnen und Autoren des Antrages gewundert
habe. Da treffe ich auf so aktive Verfechter der Marktwirtschaft wie Michael Meister, Friedrich Merz, Hans
Michelbach, Dirk Niebel und Hermann Otto Solms. Und
was fordern sie von mir? Sie fordern von mir die Aufrechterhaltung eines defizitären Unternehmens.
({1})
Die gleichen Kollegen, die ansonsten nicht müde werden, gegen sogenannte Subventionstatbestände zu kämpfen, fordern nichts anderes als die Fortsetzung eines
Subventionstatbestandes. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Königshaus?
Die gestatte ich ihm, ja.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Defizite
nicht aus dem Flugbetrieb, sondern aus den Immobilien
resultieren? Die Immobilien bleiben bekanntlich dort,
unabhängig davon, ob dort Flugbetrieb abgewickelt
wird. Wenn die Mieteinnahmen und andere Verwertungseinnahmen aus dem Flugbetrieb und aus flugbetriebsnahen Geschäften entfallen, wird es insgesamt
noch teurer. Das Problem ist nur, dass der Eigentümer,
nämlich der Bund, diese Kosten tragen muss. Ist Ihnen
das bekannt?
Mir sind die Berechnungen, die Sie hier vortragen,
sehr wohl bekannt.
({0})
Ich komme im Laufe meiner Ausführungen auch noch
darauf zu sprechen.
({1})
- Ich muss mich nicht korrigieren. Das werden Sie merken.
Ich bleibe dabei, dass es sich um ein defizitäres Unternehmen handelt, dessen Existenz Sie fortsetzen wollen. Im Übrigen möchte ich Ihnen und der FDP insgesamt sagen: Ihr Verhalten in dieser Debatte offenbart mir
eines: Allzu viel unverhohlener Lobbyismus schadet
dem Parlament, meine Herren.
({2})
Herr Kollege Claus, der Kollege Rzepka möchte
ebenfalls eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte ein Argument vortragen, das Ihre Frage,
Herr Kollege, vielleicht schon beantwortet.
Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben den Eindruck,
dass Sie Ihren Antrag selbst nicht richtig ernst nehmen.
Das will ich Ihnen erklären. Sie sind 106 Antragstellerinnen und Antragsteller. Hätten Sie es geschafft, dass
diese 106 Kolleginnen und Kollegen jetzt im Hause anwesend sind, hätten Sie eine Mehrheit gehabt, mit der
Sie eine Sofortabstimmung hätten durchsetzen können.
Dann hätten Sie Ihren Beschluss selbst durchbringen
können. Das haben Sie offenbar versäumt oder gar nicht
gewollt.
({0})
Wir sind für eine zukunftsfähige und gegen eine rückwärtsgewandte Lösung. Meine Fraktion schlägt Ihnen
hier nicht zum ersten Mal vor, das Areal von Tempelhof
für den Umzug der in Bonn verbliebenen Regierungsteile nach Berlin zu nutzen. Wir sprechen hier nicht von
einer Nähe zum Regierungsviertel; Tempelhof wäre
quasi ein Kernbestandteil des Regierungsviertels. Das ist
eine zukunftsfähige Nachnutzungslösung. Damit würden wir nicht wie Sie die Schlachten der Vergangenheit
führen.
({1})
- Auch dazu haben wir vor kurzem etwas gesagt. Sie haben ein bisschen das Recht verwirkt, das hier zu kritisieren, da Sie entsprechende Anträge, die im Haus vorgelegen haben, abgelehnt haben.
Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage
des Kollegen Rzepka?
Ja.
Herr Kollege, vonseiten der FDP sind Sie ja schon
darauf hingewiesen worden, dass die Verluste des Flughafens Tempelhof aus den Immobilien resultieren. Diese
Verluste werden in Zukunft der Bund und der deutsche
Steuerzahler zu tragen haben. Deshalb frage ich Sie in
diesem Zusammenhang, ob Ihnen bekannt ist, dass die
Investoren - einschließlich der Deutschen Bahn AG als
Betreiber - die Zusage gemacht haben, sowohl den Flugbetrieb als auch die Immobilie zu übernehmen, sodass
schon heute die öffentliche Hand, sei es das Land Berlin
oder der Bund, von den Defiziten befreit worden wäre,
während sie jetzt noch jahrelang vom Steuerzahler zu
tragen sein werden.
({0})
Ich würde jetzt dem Redner die Chance geben, diese
Frage zu beantworten.
Da Sie nicht die Einzigen waren, die heute mit dem
Hauptinvestor gesprochen haben - auch ich habe mit
ihm telefoniert -, kann ich Ihnen durchaus sagen, dass
mir diese Konzepte bekannt sind. Ich sehe sehr wohl
eine Möglichkeit, Investoren, die sich anbieten, im Sinne
des Vorschlages, den wir Ihnen machen - Komplettumzug der Regierung auf dieses Areal -, konstruktiv zu
beteiligen. Meine Gespräche in dieser Richtung waren
durchaus konstruktiv. Aber an eine wirklich sinnvolle,
ökonomische Nutzung mit dem Minikonzept, dem Flugkonzept, das sie jetzt vorlegen, glauben wir nicht.
({0})
Dass das Vorhaben - jetzt komme ich zum Bund -,
Tempelhof in dieser Weise umzugestalten, nicht billig
ist, ist allen klar. Aber auch eine Nichtnachnutzung käme
den Bund teuer zu stehen. Ich fordere uns deshalb auf,
einmal über diese Chance nachzudenken. Es gibt keine
europäische Hauptstadt, die über ein so großes innerstädtisches Areal verfügt. Hier haben wir Gestaltungsmöglichkeiten.
({1})
Ich finde es etwas daneben, wenn Sie hier ausschließlich den Berliner Senat angreifen. Wir sprechen nämlich
über ein Problem, das zu vier Fünfteln Eigentum des
Bundes und zu einem Fünftel Eigentum Berlins ist. Das
Begehren Berlins, über das Grundstück zu verfügen, ist
gerade auf dem Rechtswege abgewiesen worden.
Bund und Berlin werden an der Nachnutzung nicht
vorbeikommen. Wir suchen die Lösung in der Zukunft
und nicht in der Vergangenheit. Lassen Sie uns deshalb
über unseren Vorschlag nachdenken und nicht über Vorschläge aus dem vorigen Jahrhundert.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
man nicht aus Berlin kommt, sondern diese Debatte unter fachpolitischen Gesichtspunkten aus der Ferne und
mit einer gewissen Distanz verfolgt, dann muss man ein
wenig grinsen; denn diese Diskussion hat etwas außerordentlich Provinzielles.
({0})
Es hat lange gedauert, bis Berlin in dieser Frage eine
politische Entscheidung getroffen hat. Aber dann kam es
zu einem wirklich breiten und überparteilichen Konsens,
an dem auch die Parlamente beteiligt waren. Ihre Parteien waren damals sogar Träger dieser Entwicklung.
Man hat sich darauf verständigt, dass Berlin einen neuen
Flughafen bekommen und in Zukunft nur einen einzigen
Flughafen haben soll und dass die beiden anderen stadtnahen Flughäfen aufgegeben werden. Das war der Konsens.
({1})
Ich sage Ihnen ganz offen: Uns Grünen ist es damals
nicht leicht gefallen, dem zuzustimmen; denn der Standort und das Konzept waren nicht optimal. Es war aber
offenkundig, dass die stadtnahen Flughäfen Tegel und
Tempelhof hochproblematisch sind, weil sie die Anwohner belästigen und riskant sind. Es gibt auf der Welt nur
wenige Flughäfen, die so nah an Häusern gebaut sind
und wo die Flugzeuge so knapp an den Häusern entlangfliegen. Dieses Risiko war zu beseitigen. Das war damals übrigens die Ansicht breiter Teile der Berliner Bevölkerung. Das war sogar für einen Schwaben sichtbar.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Königshaus?
Nein. Es würde mir zwar Spaß machen, ihm zu antworten. Aber ich sehe nicht ein, dass wir diese Debatte
unnötig verlängern.
({0})
Wir haben uns damals gemeinsam für den Flughafen
BBI ausgesprochen. Ihre Parteien haben dem zugestimmt. Das war und ist sinnvoll. Jetzt, Jahre später, wollen Sie das gesamte Verfahren wieder aufrollen und es
gefährden. Sie sagen, dass Sie die Entscheidung vorübergehend offenhalten wollen. Aber Ihr eigentliches
Ziel ist, den Flughafen dauerhaft für Spezialinteressen
zu nutzen.
Damit bin ich bei einem wichtigen Stichwort: Wenn
man sich die Liste Ihrer Unterstützer ansieht, stellt man
fest, dass es Ihnen letztendlich nicht darum geht, der Bevölkerung einen netten, kleinen und stadtnahen Flughafen zur Verfügung zu stellen.
({1})
Wer sind denn Ihre Unterstützer? Es handelt sich um einige Leute aus Berlin, die heute ganz groß herausgekommen sind, und um einige Provinzabgeordnete, die die
Flugverbindungen nach Mannheim oder Karlsruhe nutzen müssen und deswegen schnell bei Ihnen unterschrieben haben. So war das.
({2})
Aber, lieber Kollege aus Mannheim, lieber Nutzer des
Mannheimer Flughafens, können Sie sich vorstellen,
dass es eines schönen Tages sogar eine Flugverbindung
von Mannheim nach Berlin-Schönefeld geben wird?
Dann wären auch Ihre Bedürfnisse befriedigt.
({3})
Sie sprechen von Konzepten, die sich angeblich tragen, und sagen, der Flughafen würde sich rechnen. Den
vermeintlichen Zusagen von Investoren glauben Sie
ohne Zahlengrundlage und ohne Konzept. Das ist Berliner Provinzpolitik.
({4})
Da kommt ein Investor dahergelaufen, legt Ihnen ein
paar schöne Zahlen vor, und Sie glauben ihm sofort.
({5})
Tatsache ist: Alle Konzepte, die vorgelegt wurden, haben sich nicht getragen. Die Konzepte waren nicht stadtverträglich. Wir brauchen in Tempelhof einen Neuanfang. Wir brauchen ein Umgestaltungskonzept, das
zur Stadt, zu ihren Bezirken und zu ihren Anwohnern
passt. Dieses Konzept muss gewährleisten, dass möglichst viel Grünfläche erhalten bleibt. Außerdem müssen
eine behutsame Bebauung und eine positive Entwicklung im Bereich des Gewerbes sichergestellt sein. Auch
die historischen Gebäude müssen im Sinne Ihrer Initiative berücksichtigt werden.
Bei Ihrer Initiative handelt es sich um eine Veranstaltung von Nostalgikern - das kann ich verstehen - und älteren Herren; Sie haben sie zitiert. Im Sinne einer solch
nostalgischen Veranstaltung wäre es durchaus korrekt,
aus dem Gebäudeteil des Flughafens Tempelhof ein
Luftfahrtmuseum zu machen. Dort könnten Sie in jeder
Sitzungswoche vorbeigehen, bevor Sie dann aber bitte
schön mit dem Zug oder der S-Bahn weiterfahren.
Vielen Dank.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ingo
Schmitt, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Ich glaube, auch dann würden Sie das noch nicht verstehen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Heute ist viel über die Vergangenheit gesprochen
worden, ohne dabei ernsthaft in die Zukunft zu schauen.
({0})
Es wurde aus einem Beschluss aus dem Jahre 1996 zitiert, in dem von ganz anderen Verfahrensvoraussetzungen und völlig anderen Passagierzahlen die Rede war.
({1})
Es hieß, dass man heute nicht mehr ernsthaft darüber reden dürfe, dass sich die Stadt möglicherweise weiterentwickelt bzw. anders als erwartet entwickelt habe.
Was das Segment des Flugverkehrs betrifft, hat sie
sich erfreulich entwickelt. Berlin hat, was die Zahl der
Fluggäste angeht, einen jährlichen Zuwachs von 6 bis
7 Prozent zu verzeichnen. Im Jahre 2007 werden es
19 Millionen Fluggäste sein.
({2})
- Frau Merkel, hören Sie mir erst einmal zu. Sie waren
sachlich; ich bin jetzt auch sehr sachlich. - Sie wollen
Tempelhof unbedingt vor Inbetriebnahme des BBI
schließen, und zwar ohne Not; denn es gibt kein rechtliches Problem.
({3})
Das ist völlig daneben. Das ist überzogen, das ist reine
Ideologie.
({4})
- Warten Sie! Zu Ihnen komme ich noch.
Reden wir nun über die Zeit, wenn der BBI endlich
den Betrieb aufgenommen hat. Es wurden Argumente finanzieller Art genannt. Heute wissen wir alle: Nicht der
Flugbetrieb von Tempelhof ist defizitär, sondern die Immobilie; das ist mehrfach angesprochen worden.
({5})
Dann wurden rechtliche Argumente ins Feld geführt.
Heute wissen wir, dass es rechtlich gesehen keine große
Problematik darstellt, wenn Tempelhof mit eingeschränktem Flugbetrieb - nicht als Verkehrsflughafen,
sondern als Landeplatz mit bestimmten Sonderfunktionen - offen bleibt. Das heißt, weder finanzielle noch
rechtliche Argumente sind geeignet, diesen Flughafen
ohne Not zu schließen.
({6})
Es ist schon Helmut Schmidt zitiert worden, der gesagt hat: Das ist ein einmaliger Standortvorteil. - Auch
die Berliner Wirtschaft ist zitiert worden, allen voran die
IHK. Ich möchte gerne zwei Drittel bzw. drei Viertel - je
nach Meinungsumfrage - der Berliner hier zitieren. Sie
sagen, sie möchten, dass dieser Flughafen erhalten
bleibt, dass die Chancen, die dieser Flughafen bietet,
weiterhin genutzt werden.
({7})
Es kann doch nicht richtig sein, dass der Senat, der erst
vor kurzem mit großem Trara erklärt hat, die Bürger
sollten mehr Rechte bekommen, es solle mehr Volksbegehren und mehr Volksentscheide geben, angesichts eines Volksbegehrens, das ihm nicht passt, im Vorfeld des
Volksentscheids sagt: Wie die Berlinerinnen und Berliner entscheiden, interessiert mich nicht; ich versuche,
der Meinung der Berliner durch die kalte Küche mit einem Entwidmungsverfahren zuvorzukommen. - Es fällt
mir schwer, zu glauben, dass ein Senat ein solches Demokratieverständnis haben kann und einen solchen Umgang mit Wählerinnen und Wählern praktiziert.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wieland, obwohl Sie schon am Ende Ihrer Redezeit angelangt sind?
Von Herrn Wieland nehme ich gerne Zwischenfragen
entgegen.
Lieber Kollege Schmitt, Sie wollten eigentlich nach
vorne schauen, haben aber dennoch Ihren Namensvetter,
den Altkanzler, zitiert.
({0})
Wenn Tempelhof als Verkehrsflughafen für die Berlinerinnen und Berliner so identitätsbildend ist, wie kam es
dann, dass unter Eberhard Diepgen ebendieser Verkehrsflughafen in den 80er-Jahren bereits geschlossen war,
sodass wir das Vergnügen hatten, dort in einer großen
Halle Ronald Reagan zu empfangen, und Volker Hassemer
dort zur 750-Jahr-Feier von Berlin Riesenfeuerwerke hat
veranstalten lassen können? Wie können Sie hier diese
Nostalgietour reiten und auch noch mit einer Volksbefragung kommen, obwohl Sie selber diesen Flughafen
schon stillgelegt hatten?
({1})
- Ach, das ist doch alles Demagogie!
Verehrter Herr Kollege Wieland, wenn Sie so weit zurückgehen, werden Sie sich erinnern, dass damals eine
andere Situation in Berlin bestand: Es gab West-Berlin.
({0})
Damals gab es etwa 4 bis 5 Millionen Fluggäste. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir hier ein Wachstum
verzeichnen können, das wesentlich höher ist.
({1})
Frau Präsidentin, darf ich die Frage beantworten?
Herr Kollege Wieland, überwiegend hat der Kollege
Schmitt das Wort.
({0})
Auch als wir 1996 den Konsensbeschluss gefasst haben, hatten wir wesentlich geringere Wachstumsraten.
Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir Anschluss an internationale Wachstumsraten gefunden haben.
({0})
Deswegen brauchen wir die gesamte Kapazität, die momentan in Berlin vorhanden ist.
({1})
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, auch wenn Sie das
nicht zur Kenntnis nehmen wollen!
Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen.
({2})
- Klatschen Sie nicht zu früh! - Ihr Regierender Bürgermeister Wowereit hat schon im Herbst in Karlsruhe eine
erste Klatsche bekommen. Ich sage Ihnen voraus: Er
wird bei diesem Thema die zweite bekommen.
({3})
Ich sage Ihnen noch eines: Tempelhof wird leben.
({4})
Tempelhof wird als Flughafen leben. Die Berlinerinnen
und Berliner werden anschließend sagen: Und das ist
auch gut so!
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/4813 und 16/5897 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
({0})
- Frau Kollegin Schewe-Gerigk, uns hier oben ist nicht
bekannt, dass die Grünen die Sofortabstimmung beantragt haben. Aber wenn Sie das jetzt an dieser Stelle beantragen, dann lasse ich schlicht und ergreifend darüber
abstimmen,
({1})
ob die Überweisung in die Ausschüsse so gewollt ist.
({2})
Wer ist für die Überweisung in die Ausschüsse? - Das ist
die Mehrheit. Wer ist dagegen? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten JohannHenrich Krummacher, Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz ({4}), Jörg Tauss, René
Röspel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Geistes- und Sozialwissenschaften stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften
stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissenschaften verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Kai Gehring, Priska Hinz ({6}), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Geistes- und Sozialwissenschaften in
Forschung und Lehre fördern
- Drucksachen 16/4161, 16/4153, 16/4154, 16/4406,
16/5931 Berichterstattung:
Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher
Swen Schulz ({7})
Patrick Meinhardt
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Krista Sager
Die Kollegen Johann-Henrich Krummacher, Swen
Schulz, Patrick Meinhardt sowie die Kolleginnen
Dr. Petra Sitte und Krista Sager haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 16/5931. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 16/4161 mit dem Titel „Geis-
tes- und Sozialwissenschaften stärken“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Enthaltung der
Fraktionen der FDP und der Linken bei Gegenstimmen
der Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 16/4153 mit dem Titel „Geistes-, Sozial- und Kul-
turwissenschaften stärken“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU
bei Gegenstimmen von FDP und Enthaltung der Frak-
tion Die Linke angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4154 mit dem Ti-
tel „Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissen-
schaften verbessern“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung vom
Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/4406 mit dem Titel „Die Geistes- und Sozial-
wissenschaften in Forschung und Lehre fördern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegen-
stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktion Die Linke und der Fraktion der FDP ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte und
der Fraktion der LINKEN
Für die zügige Vorlage eines qualifizierten Be-
richts über die Lage der Ausländerinnen und
Ausländer in Deutschland
- Drucksache 16/5788 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt.
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.
({8})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In § 94 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes heißt es:
Die Beauftragte erstattet dem Deutschen Bundestag
mindestens alle zwei Jahre einen Bericht über die
Lage der Ausländer in Deutschland.
Das hätte im Juni 2007 der Fall sein müssen. Ende
April 2007 teilte die Integrationsbeauftragte jedoch dem
Bundestagspräsidenten mit, dass der Bericht erst im ersten Quartal 2008 vorgelegt wird. Wenn Migrantinnen
und Migranten oder Flüchtlinge so leichtfertig gegen die
ihnen auferlegten gesetzlichen Pflichten verstoßen würden, wie Frau Böhmer es tut, müssten sie mit harten
Sanktionen rechnen. Von Nichtdeutschen fordern Sie immer Rechtstreue, aber selbst setzen Sie sich leichtfertig
über das Gesetz hinweg.
Sie haben bereits im Oktober letzten Jahres die Verschiebung des Lageberichts im Alleingang beschlossen.
Nicht nur das: Sie haben auch noch mitbeschlossen, dass
dieses Vorgehen dem Bundestag erst im April dieses
Jahres mitzuteilen ist. Sie betrachten den Deutschen
Bundestag offenkundig als eine bloße Abnickmaschine,
die das Regierungsgeschäft nicht stören soll. Ich finde
dies einfach nur skandalös.
({0})
Als Grund für die Verschiebung des Lageberichts verweist die Integrationsbeauftragte auf den Nationalen
Aktionsplan Integration. Fachlich nachvollziehbar
wäre es aber gewesen, erst einen wissenschaftlich fundierten Lagebericht vorzulegen und dann einen Aktionsplan zu erarbeiten. Genau das will die Regierung aber
nicht. Kritische Nachfragen sind nicht erwünscht, wenn
Bundeskanzlerin Merkel den Nationalen Aktionsplan Integration nächste Woche vorstellen wird. Da passt es anscheinend auch nicht, kurz vor dem Integrationsgipfel
die Versäumnisse einer ausgrenzenden Integrations- und
Flüchtlingspolitik aufarbeiten zu müssen; denn durch einen kritischen und problemorientierten Bericht über die
Lage von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen in Deutschland würde vor allem eines deutlich werden: Die Integrationspolitik der letzten Jahre ist weit davon entfernt, soziale Chancengleichheit für alle
Menschen hier herzustellen. Eine wirkliche Kehrtwende in der Integrationspolitik würde eben mehr erfordern, als einfach nur ein paar unverbindliche Maßnahmen und Ziele in einen Aktionsplan hineinzuschreiben.
Lieber inszeniert die Bundesregierung einen Gipfel
nach dem anderen. Die Beteiligung von Migrantenorganisationen wurde dabei auch medial immer groß herausgestellt. Auf gleicher Augenhöhe sollte geredet werden.
Man wollte miteinander reden. Dabei haben all diese Organisationen einen Maulkorb bekommen. Über aufenthaltsrechtliche Regelungen und über die Integration von
geduldeten Flüchtlingen sowie Menschen ohne Aufenthaltsrecht durften in den Arbeitsgruppen des Integrationsgipfels keine Empfehlungen abgegeben werden.
Gleiches galt auch für das Thema der politischen Rechte.
Während es zum bürgerschaftlichen Engagement eine
Arbeitsgruppe gegeben hat, durfte das kommunale
Wahlrecht für Angehörige von Drittstaaten überhaupt
nicht thematisiert werden.
Zur gleichen Zeit, als Sie die Arbeitsgruppen noch bei
Kaffee und Keksen über Integration debattieren ließen,
stellte die Große Koalition mit den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die Weichen für die zukünftige Integrationspolitik: Sanktionen statt Angebote,
Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe in die Grundrechte, wie das Recht
auf Familie, statt Ausbau von Rechten.
Kritik war nicht erwünscht. Der Dialog auf gleicher
Augenhöhe war eine Farce und ist es auch noch. Deshalb
ist es auch kein Wunder, dass die Organisationen keinen
Sinn mehr in der Teilnahme in der nächsten Woche sehen und mit einem Ausstieg drohen.
Die bisherigen Berichte über die Lage von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen in Deutschland
waren der Regierung offenkundig zu kritisch. Aus dem
Vermerk vom Oktober aus dem Hause Böhmer geht hervor, dass der zukünftige Bericht nicht mehr wissenschaftlich abwägend ausfallen soll. Er soll ergebnisorientiert gestaltet werden. Und wer bestimmt das
Ergebnis? Frau Böhmer selbst.
Die von Ihnen angestrebte Veränderung des Lageberichts illustriert eben auch den Wandel, für den Frau
Böhmer steht, nämlich die Umwandlung des Amtes einer Beauftragten für Migrantinnen und Migranten in das
Amt einer Staatsministerin, die vor allem für die Belange der Regierung ist - notfalls auch gegen die Belange der Migrantinnen und Migranten. Erst vor drei
Wochen hat die Integrationsbeauftragte ein Gesetz begrüßt und für gut befunden, das massiv in die Rechte von
Migrantinnen und Migranten eingreift.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Nationale Integrationsplan, der uns in der nächsten Woche
präsentiert wird, steht auf tönernen Füßen. Er wird von
unverbindlichen Handlungsempfehlungen und auch Zielen geprägt sein und sehr selektiv ausfallen. Dazu passt,
dass Sie uns die Vorlage eines fundierten Berichts zur
Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland
bewusst verweigern wollen. Ich kann Sie nur auffordern,
diesen Bericht so zügig wie möglich vorzulegen.
Deswegen haben wir, Die Linke, eine Sofortabstimmung beantragt. Eine Überweisung dieses Antrages in
die Ausschüsse wäre einfach nur eine Fortsetzung der
Verzögerungstaktik. Es hat überhaupt keinen Sinn und
Zweck, einen solchen Antrag in die Ausschüsse zu überweisen. Wir beantragen die Sofortabstimmung, weil wir
der Auffassung sind, dass der Bericht fällig ist.
Danke.
({1})
Die Kollegen Reinhard Grindel, Sebastian Edathy,
Josef Winkler sowie die Kollegin Sibylle Laurischk und
die Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Wir kommen zum Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/5788 mit dem Titel „Für die zügige Vorlage eines qualifizierten Berichts über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Innenausschuss
und mitberatend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales, an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend sowie an den Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe. Die Abstimmung über den Antrag auf
Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor.
Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist die Überweisung so beschlossen, und zwar mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 16/5788 nicht ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatzpunkt 11 auf:
19 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Blank, Dirk Fischer ({1}), Dr. Klaus W.
Lippold, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Annette Faße, Hans-Joachim Hacker, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Attraktivität des Wassertourismus und des
Wassersports stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick
Döring, Hans-Michael Goldmann, Detlef Parr,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch-
land erleichtern
- Drucksachen 16/5416, 16/4061, 16/5770 -2)
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
Patrick Döring
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Joachim Günther ({2}), Miriam Gruß,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sportschifffahrt und Wassersport wirksam
fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien
- Drucksache 16/5609 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
2) Anlage 4
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Die Kolleginnen Renate Blank, Annette Faße,
Dorothée Menzner, Nicole Maisch sowie der Kollege
Patrick Döring haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5770 die Annahme des
Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/5416 mit dem Titel „Attraktivität des
Wassertourismus und des Wassersports stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke
angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5770 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4061 mit
dem Titel „Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland erleichtern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke,
der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen.
Zusatzpunkt 11. Interfraktionell wird Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 16/5609 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr
Chancengerechtigkeit und Gender-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung
- Drucksache 16/5898 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen Anette Hübinger, Gesine Multhaupt,
Dr. Petra Sitte, Krista Sager sowie der Kollege Uwe
Barth haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5898 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung sowie zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwi-
1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt.
2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
schen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003
zwischen der Europäischen Union und den
Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Vereinigten Staaten von Amerika
über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem
Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006
zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika sowie zu dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen
- Drucksache 16/4377 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 16/5825 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({6})
Joachim Stünker
Mechthild Dyckmans
Jerzy Montag
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Die Kollegen
Siegfried Kauder, Joachim Stünker, Jerzy Montag sowie
der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach
und die Kolleginnen Petra Pau und Mechthild Dyckmans
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
den Abkommen zwischen der Europäischen Union und
den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung
und über Rechtshilfe sowie zu den Verträgen zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen
und die Auslieferung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5825,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/4377 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Beratung mit demselben Stimmenverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/5978. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schäffler, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen aus dem Entschädigungsfall
Phoenix Kapitaldienst GmbH
- Drucksache 16/5786 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Die Kollegen Klaus-Peter Flosbach, Dr. Hans-Ulrich
Krüger, Frank Schäffler und Dr. Axel Troost sowie die
Kollegin Christine Scheel haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5786 an den Finanzausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({7})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2005 - Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes
({8}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
des Bundes ({9})
- Drucksachen 16/1122, 16/3200, 16/5774 Berichterstattung:
Abgeordneter Bernhard Brinkmann ({10})
Die Kollegen Hans-Joachim Fuchtel und Bernhard
Brinkmann sowie die Kolleginnen Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Gesine Lötzsch und Anja Hajduk haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Haushaltsausschusses auf Druck-
sache 16/5774 zu dem Antrag des Bundesministeriums
der Finanzen auf Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2005 und zu den Bemerkungen des
1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
Bundesrechnungshofes 2006, Drucksachen 16/1122 und
16/3200. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
schlägt der Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlas-
tung für das Haushaltsjahr 2005 vor. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,
a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundeshaus-
haltspläne die Feststellungen des Haushaltsausschusses zu
den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu befol-
gen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit
unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Aus-
schusses einzuleiten oder fortzuführen und c) die Be-
richtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe
Verwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungen
gewährleistet ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hau-
ses angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({11}), Klaus Ernst, Dr. Martina
Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Keine Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Unfallversicherung
- Drucksache 16/5616 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die gesetzliche Unfallversicherung leistungsstark und zukunftssicher gestalten
- Drucksache 16/5896 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Die Kollegen Gerald Weiß, Wolfgang Grotthaus,
Heinz-Peter Haustein, Volker Schneider und Markus
Kurth sowie der Parlamentarische Staatssekretär Franz
Thönnes haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5616 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf
Drucksache 16/5896 soll zur federführenden Beratung
an den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mit-
beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo-
3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
gie und an den Ausschuss für Gesundheit überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer ({15}), Dr. Martina
Krogmann, Hans-Joachim Fuchtel, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dr. Rainer
Wend, Dr. h. c. Susanne Kastner, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offener
Dokumentenstandards und offener Dokumen-
tenaustauschformate fördern
- Drucksachen 16/5602, 16/5927 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Martin Zeil
Die Kolleginnen Dr. Martina Krogmann, Ulla Lötzer
und Grietje Bettin sowie die Kollegen Dr. Uwe Küster
und Martin Zeil haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD mit dem Titel „Den Wettbewerb stärken, den
Einsatz offener Dokumentenstandards und offener
Dokumentenaustauschformate fördern“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5927, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 16/5602 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen von der Fraktion
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der FDP angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 12 und 13 auf:
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({16}), Volker Beck ({17}),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Michael Link ({18}), Harald Leibrecht, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen
aus Belarus
- Drucksache 16/5905 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({19})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerinnen und Bürger aus Belarus
- Drucksache 16/5909 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({20})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Die Kollegen Manfred Grund und Norman Paech so-
wie die Kolleginnen Uta Zapf, Cornelia Pieper und
Marieluise Beck haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5905 und 16/5909 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Gudrun Kopp, Michael Kauch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Deutschland, Energieland der Zukunft Energieforschung und Wettbewerb stärken
- Drucksache 16/5729 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({21})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Die Kollegen Axel Fischer, Dieter Grasedieck,
Michael Link, Hans-Kurt Hill und Hans-Josef Fell haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5729 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
({22})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Juli 2007, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen schönen
Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.