Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/21/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche allen Anwesenden im Plenarsaal und auf den Tribünen einen schönen guten Morgen und uns gute Beratungen. Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt es zwei Mitteilungen: zunächst den Hinweis darauf, dass der Kollege Wolfgang Zöller am Montag dieser Woche seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. ({0}) Der Beifall bringt offenkundig die guten Wünsche für die nächsten Lebensjahre nicht nur des Präsidenten, sondern des ganzen Hauses zum Ausdruck. Außerdem müssen wir, bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten können, noch das vom Deutschen Bundestag zu benennende Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung CAESAR wählen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt den Kollegen Uwe Schummer vor. Er ist sogar persönlich anwesend und könnte sich notfalls noch einmal kurz vorstellen. Wird das gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Sind Sie mit seiner Benennung einverstanden? - Dies findet eine breite Zustimmung. Es fängt heute Morgen also gut an. Damit ist interfraktionell vereinbart, dass der Kollege Uwe Schummer in den Stiftungsrat der Stiftung CAESAR einzieht. Im Übrigen haben wir wiederum eine Vereinbarung zwischen den Fraktionen, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Notwendigkeiten einer zukunftsfesten Pflegereform im Verhältnis zu den pflegepolitischen Vorschlägen der Koalition ({1}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation - Drucksache 16/5723 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verfahrensrechte in Strafverfahren in der Europäischen Union - Drucksache 16/5606 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({4}) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Kerstin Andreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses - Drucksache 16/5751 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zu den wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen von Bundeswirtschaftsminister Glos ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Angelika Brunkhorst, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schutz und Nutzung der Meere - Für eine integrierte maritime Politik - Drucksachen 16/4418, 16/5764 Berichterstattung: Abgeordneter Uwe Beckmeyer ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhardt MüllerSönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor dem Kollaps bewahren - Drucksache 16/5738 Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({6}), Omid Nouripour, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken - Drucksache 16/5735 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Für ein Europäisches Kartellamt - Drucksache 16/5360 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 12, 16 b und 29 werden ab- gesetzt. In der Folge werden die Tagesordnungspunkte 13 und 14, 15 und 16, 17 und 18 sowie 19 und 20 jeweils getauscht. Das scheint keine besonderen Irritationen hervorzuru- fen. Auch dazu gibt es offenkundig Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 3 a bis 3 f: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Nicolette Kressl, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Junge Menschen fördern - Ausbildung schaffen und Qualifizierung sichern - Drucksache 16/5730 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({9}), Britta Haßelmann, Brigitte Pothmer, Josef Philip Winkler und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Perspektiven schaffen - Angebot und Struktur der beruflichen Bildung verbessern - Drucksache 16/5732 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({10}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2007 - Drucksache 16/5225 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({11}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({12}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Weiterentwicklung der europäischen Berufsbildungspolitik - zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({13}), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den Europäischen Bildungsraum weiter gestalten - Transparenz und Durchlässigkeit durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens - Drucksachen 16/2996, 16/1063, 16/1127, 16/5760 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Patrick Meinhardt Priska Hinz ({15}) e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({16}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes - Drucksache 16/2540 Präsident Dr. Norbert Lammert Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({17}) - Drucksache 16/5761 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Patrick Meinhardt Priska Hinz ({18}) f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({19}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({20}), Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Neue Wege in der Ausbildung - Strukturen verändern - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2006 - Drucksachen 16/2630, 16/1370, 16/5762 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Patrick Meinhardt Priska Hinz ({21}) Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass die Aussprache zu diesen Vorlagen eineinhalb Stunden dauern soll. - Auch das trifft offenkundig auf Einverständnis. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache zu den aufgeführten Beratungsunterlagen. Das Wort erhält zunächst die Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan. ({22})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erfolgreiche Berufsbildungspolitik ist ein wirksamer Weg zur Sicherung der Zukunftschancen der jungen Generation. Wenn wir von Talenten sprechen, dann meinen wir nicht nur Akademiker. Heute geht es um die Talente, denen wir gerecht werden müssen, aus dem weiten Feld und dem international hoch anerkannten Bereich der beruflichen Bildung in Deutschland. Herzstück der beruflichen Bildung ist die duale Ausbildung, also die Zusammenarbeit von Schulen und Unternehmen, weshalb wir immer, wenn wir von Berufsbildungspolitik sprechen, Leidenschaft in politischen und den damit verbundenen Weichenstellungen brauchen. Aber, meine Damen und Herren, wir brauchen auch Leidenschaft für junge Talente in unseren Unternehmen in Deutschland. Wir müssen alles tun - das haben wir mit dem Ausbildungspakt vereinbart -, damit jeder Jugendliche in Deutschland seine Chance bekommt. ({0}) Es sind bei näherer Betrachtung drei Aufgaben, denen wir uns zu stellen haben: Die erste, bereits genannte Aufgabe - so steht es auch im Koalitionsvertrag; das ist für uns eine ganz bedeutsame Aufgabe, und zwar gerade in Zeiten, in denen Dynamik in der Wirtschaft zu verzeichnen ist - besteht darin, dafür zu sorgen, dass jeder Jugendliche qualifiziert, gebildet und ausgebildet werden kann. Dazu gehören die schulische Bildung als Voraussetzung für die Ausbildung sowie der Einstieg in die Ausbildung und die Perspektive, nach einer qualifizierten Ausbildung Beschäftigung zu bekommen. Zweitens. Berufsbildungspolitik heißt heute auch, dem prognostizierten Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Drittens. Wir müssen Voraussetzungen für europäische Mobilität durch Transparenz und Vergleichbarkeit der Bildungsgänge schaffen. Dazu gibt es den Kopenhagenprozess in der Europäischen Union, der in der Zeit unserer Ratspräsidentschaft weiter vorangetrieben werden konnte. Auch hier gilt: Wir dürfen nicht nur von Mobilität sprechen, wenn es um Studierende geht. Für Auszubildende, gerade in bestimmten Grenzregionen in Deutschland, ist Mobilität ebenso wichtig, um die Chancen, die sich in Europa bieten, auch tatsächlich wahrnehmen zu können. ({1}) Um alle drei Aufgaben gemeinsam zu sehen und um die verschiedenen notwendigen Strategien aufeinander abzustimmen, wird die Bundesregierung unter dem Titel „Jugend, Ausbildung und Arbeit“ im Herbst eine nationale Qualifizierungsinitiative vorlegen, die alle Stufen, nämlich Bildung, Ausbildung und den Übergang in den Arbeitsmarkt, betrifft. Diese Initiative betrifft die Aktivitäten des Bundes, der Länder und der Sozialpartner. Es ist also eine Initiative, die deutlich machen soll, dass viele Akteure gefragt sind, in den nächsten Jahren sehr konsequent eine Weiterentwicklung der Berufsbildungspolitik im engeren und weiteren Sinn zu leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage ist derzeit durchaus differenziert. Schauen wir uns die Zahlen an: Der Berufsbildungsbericht 2007 zeigt auf der einen Seite einen Anstieg der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 4,7 Prozent. Für 2007 sind weitere Steigerungen zu erwarten. Das heißt in einem Satz - das wissen auch alle Insider -: Dynamik auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht Dynamik auf dem Ausbildungsmarkt. Alles, was für den Arbeitsmarkt gut ist, ist auch gut für den Ausbildungsmarkt. ({2}) Der Berufsbildungsbericht zeigt aber auf der anderen Seite, dass derzeit 1,3 Millionen Schulabgänger im Alter bis zu 29 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind. Das ist eine Gruppe, auf die wir uns, beide Koalitionspartner, in besonderer Weise konzentrieren, weil - damit komme ich zum dritten Punkt, der zur Lage gehört - uns schon heute gesagt wird, dass es erste deutliche Anzeichen für einen prognostizierten Fachkräftemangel in den Unternehmen gibt. Wenn das so ist, dann ist es umso wichtiger, diese 1,3 Millionen Menschen in den Blick zu nehmen und ihnen auf unterschiedlichen Wegen, über die wir ja in Beratung sind, eine Chance zu geben. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Die Koalitionsarbeitsgruppe Arbeitsmarkt und der Innovationskreis Berufliche Bildung, das Arbeitsministerium und das Bildungsministerium arbeiten im Bereich der Berufsbildungspolitik und im Bereich des Ausbildungspaktes des Wirtschaftsministeriums außerordentlich gut zusammen. Ich bin überzeugt, wir kommen gerade deshalb gut voran, weil wir in diesen Fragen einen hohen Konsens und eine gute Zusammenarbeit haben. Damit komme ich zu den Maßnahmen und Impulsen im Einzelnen: Erstens haben wir die Möglichkeit - schon zu Beginn der Legislaturperiode eingeführt, sodass uns bereits erste Erfahrungen vorliegen - der Einstiegsqualifizierung geschaffen. Diese entwickeln wir - das ist der zweite Punkt gerade weiter. Wir haben das Bundesinstitut für Berufsbildung beauftragt, in einer Reihe von relevanten Berufsbildern Ausbildungsbausteine zu entwickeln, um Altbewerbern, die in die Gruppe der 1,3 Millionen Schulabgänger ohne Ausbildung fallen, aber auch Ausbildungsabbrechern, die bestimmte Kompetenzen erworben haben und möglicherweise mit einzelnen Ausbildungsbausteinen noch zu einem Abschluss geführt werden können, eine Chance zu geben. Die Einstiegsqualifizierung wird jetzt also strukturelle Unterstützung erhalten. Damit werden den besonders gefährdeten Gruppen neue Möglichkeiten gegeben. Ich nenne drittens das Ausbildungsstrukturprogramm „Jobstarter“. In der Befragung der Bundesregierung war gestern die Situation in den neuen Ländern ein Thema. In das Programm „Jobstarter“ werden 125 Millionen Euro investiert, vor allem in den neuen Ländern und Berlin. Bis 2010 sollen 22 000 betriebsnahe Ausbildungsplätze geschaffen werden. Wir wissen, dass wir hier andere Wege gehen müssen. Das, was in anderen Regionen Deutschlands in einer selbstverständlichen Kooperation zwischen Unternehmen und Schule geschieht, muss hier stärker unterstützt werden: durch Verbundausbildung, überbetriebliche Werkstätten und andere mögliche betriebsnahe Wege. Viertens muss die vorhandene Überspezialisierung in dem Bereich der dualen Ausbildung abgebaut werden. „Dual mit Wahl“ lautet der Vorschlag des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Ich halte ihn für gut. Wir wollen natürlich keine Berufe abschaffen, sondern auf diese Weise die Ausbildung zu Spezialberufen, die nahe beieinanderliegen, bündeln, indem das gemeinsame berufliche Fundament in einer ersten Phase gemeinsam vermittelt wird und die Spezialisierung in der zweiten Phase getrennt erfolgt. Ich sage voraus: Das wird auch in struktureller Hinsicht bedeutsam sein, weil wir, angesichts der Bevölkerungsentwicklung, schon jetzt die Weichen dafür stellen müssen, dass auch in fünf oder zehn Jahren gewährleistet ist, dass in allen Regionen in Deutschland gut ausgebildet werden kann. Deshalb müssen die Verbundausbildung gefördert und die überbetrieblichen Werkstätten stärker in die Erstausbildung hineingenommen werden, damit im Zweifelsfall Ausbildungsbausteine angeboten werden können, die ein Unternehmen vor Ort nicht anbieten kann. Fünftens. Die Zahl der Schulabbrecher muss reduziert werden. Jeder Jugendliche braucht einen Abschluss, eine Qualifikation als Voraussetzung für berufliche Bildung. Das ist mit einem besonderen Appell an die Länder verbunden. Wir sind im Gespräch über konkrete Strategien, um in einem überschaubaren Zeitraum eine Reduzierung der Zahl der Schulabbrecher zu erreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ministerin, gestatten Sie, bevor Sie zum nächsten Thema kommen, noch eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ich dachte, ich müsste schon zum Ende kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, auch das ist richtig. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das ist nicht richtig; ich habe die Uhr im Blick. Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie haben hier verschiedene Strategien genannt. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass Sie darauf zu sprechen kommen, dass es bestimmte Gruppen von Jugendlichen gibt, deren Talente zu fördern nicht ganz so einfach ist. Ich denke an Migrantinnen und Migranten, aber auch an Menschen mit Behinderungen. Können Sie mir vielleicht erklären, wieso die Finanzmittel, die für berufsfördernde Bildungsmaßnahmen ausgegeben werden, in den letzten Jahren kontinuierlich sinken, und können Sie mir zweitens erklären, wieso der relative Anteil an Berufsausbildung für behinderte Menschen im Osten dreimal so hoch ist wie im Westen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Was Migranten angeht, so werde ich gerade heute Nachmittag ein sehr positives Beispiel erleben, indem ich eine große Gruppe türkischstämmiger Abiturienten empfangen werde. Ich rate uns sehr ({0}) - Sie haben von Migranten und Behinderten gesprochen; jetzt bleibe ich zunächst einmal bei der ersten Gruppe -, diese Gruppe der Jugendlichen nicht immer nur als Problemgruppe darzustellen. Wir haben im Dialog mit Unternehmenschefs mit Migrationshintergrund - vor allem die türkischen Wirtschaftsverbände sind dabei angesprochen - 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Dazu gibt es Regionalkonferenzen. Wir wissen, dass diese Unternehmen in den Kreis der Ausbildungsunternehmen aufgenommen werden müssen. Da wird also vieles getan. Im Bereich der Förderung von beruflicher Qualifikation Behinderter hat es Veränderungen gegeben, die nicht allein mit Umschichtungen oder finanziellen Problemen in früheren Jahren zu tun hatten. Da gilt jetzt vielmehr das exakt Gleiche, was ich eben gesagt habe: Auf der Ebene der Länder und im Zusammenwirken mit vielen freien Trägern, die in diesem Bereich engagiert sind, wird man sich auch in diesem Bereich mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre um eine Wende bemühen müssen. Ich habe jetzt keinen exakten Überblick über die entsprechenden Zahlen. Diese will ich aber gerne in meinem Haus aufarbeiten lassen und Ihnen zur Verfügung stellen. ({1}) Der europäische Qualifikationsrahmen ist ein Aspekt, den ich im Zusammenhang mit dem vor der Zwischenfrage von mir genannten Punkt für wichtig halte. Deshalb entwickeln wir auch in Deutschland einen nationalen Qualifikationsrahmen. Der sechste Punkt ist die bessere Verzahnung von Erst- und Weiterbildung. Weiterbildungssparen ist ein erster Schritt und nicht der letzte Schritt. Es werden weitere Schritte folgen. Schließlich zu den benachteiligten Jugendlichen. Wir haben in 75 Berufen in Deutschland zweijährige Bildungsgänge eingerichtet. Es zeigt sich, dass der Einstieg über einen zweijährigen Bildungsgang für viele der richtige Weg ist, um sich weiterzuentwickeln. Meine Position ist: Da, wo nach einem zweijährigem Bildungsgang gewährleistet ist, dass eine Weiterentwicklung hin zu einem dreijährigem möglich ist, sollten wir dies offensiv angehen. Wir sollten dies nicht tun, wenn dies zu Sackgassen für die Jugendlichen führt. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nationale Qualifizierungsinitiative wird uns Gelegenheit geben, Berufsbildungspolitik in Gänze darzustellen, einen Zusammenhang auch zu dem herzustellen, was für junge Leute im Bereich des Arbeitsmarktes wichtig ist. Dies wird uns die Gelegenheit geben, eine strukturelle, konzeptionelle Weiterentwicklung zu leisten. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir sollten in diesen Debatten nicht vergessen, dass die Berufsbildung in Deutschland trotz aller identifizierten Schwächen - Stichwort: Lehrstellenmarkt während vieler Jahre - erfolgreich und die beste Vorbeugung gegen Jugendarbeitslosigkeit ist. Das bestätigt bis heute der europäische Vergleich. Das wird am Interesse anderer Länder deutlich, diesen Bereich des Bildungssystems zu stärken. Ich sage auch: Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir uns angesichts unserer Bevölkerungsentwicklung dauerhaft Gedanken darüber machen müssen, wie wir Talente aus anderen Ländern nach Deutschland holen können. Aber eine Priorität muss sein - auch dazu gibt es Konsens in der Koalition -, Jugendlichen hier in Deutschland eine Chance zu geben, das Potenzial, das wir haben, zu nutzen. Deshalb ist die Berufsbildungspolitik ein wirksamer Weg für die Zukunftschancen der jungen Generation. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Meinhardt für die FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie bekommen auch gleich wieder die richtige Antwort, Herr Tauss. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da der Handel 5 Prozent mehr Ausbildungsplätze anbietet und das Handwerk trotz eines Verlusts von 60 000 Arbeitsplätzen mit einer Steigerung von annähernd 4 Prozent weit über den Bedarf ausbildet, fehlt mir wirklich jedes Verständnis dafür, dass wir in dieser Sitzung heute wiederum den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe beraten, der von der Linken vorgelegt worden ist und aus der Mottenkiste der politischen Ideologie stammt. Wir brauchen so etwas in der Bundesrepublik Deutschland nicht. ({0}) Da die Koalition jetzt ein enormes Problem mit dem Mindestlohn hat, erfindet sie über Nacht einen sogenannten Bonus für ausbildungswillige Betriebe. Das hört sich zunächst einmal gut an. Das wollten Sie auch erreichen. ({1}) Was läuft aber über den Ticker, Herr Kollege Tauss? Auf den Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung soll es einen Rabatt geben. Kleine Einzelheiten wie die Höhe des Rabatts und der Ausbildungsbedarf seien zwar noch nicht geklärt, angesichts der Unterschiede zwischen SPD und CDU, so die Tickermeldung, sei diese Einigung aber bemerkenswert. - Meine Damen und Herren, das einzig Bemerkenswerte ist, dass Sie mit einer so substanzlosen Ankündigung überhaupt an die Öffentlichkeit gehen. ({2}) Ich halte es mit dem DIHK, der Ihnen vorwirft - das steht heute in einer Tickermeldung -, dass der Vorschlag nicht zu Ende gedacht ist. Allein die Ermittlung dessen, was „überdurchschnittlich“ eigentlich konkret heißt, würde zu unendlichen Diskussionen und noch mehr Bürokratie führen. ({3}) Auch ordnungspolitisch ist das Ganze fragwürdig. Wer entscheidet? Etwa die Bundesagentur für Arbeit? Daraus würde sich eine neue Bewilligungsbürokratie entwickeln. Gerade die kleinen Unternehmen würden dadurch benachteiligt. Nein, das ist der falsche Weg. Wir brauchen weniger bürokratische Bevormundung der ausbildungswilligen Betriebe. ({4}) Frau Ministerin, eine gute Bildung ist die Basis für alles. Bildung muss von Anfang an in ein Konzept lebenslangen Lernens eingegliedert sein. In einer liberalen Bürgergesellschaft haben wir dafür zu sorgen, dass jeder entsprechend seinen Fähigkeiten gefördert wird. Das ist unsere Verantwortung. Gerade deswegen können wir nicht hinnehmen, dass jährlich 80 000 Schüler die Hauptschule ohne Abschluss verlassen, dass Jahr für Jahr 250 000 Schüler sitzen bleiben, sich aber trotzdem keine nachhaltige Verbesserung ihrer Leistungen einstellt, dass 160 000 junge Menschen in berufsvorbereitenden Maßnahmen geparkt werden und 240 000 Berufsschüler die Berufsschule ohne Abschluss verlassen. Fast eine Dreiviertelmillion junger Menschen erhält keine optimale Förderung. Das ist für ein Bildungsland wie die Bundesrepublik Deutschland ein nicht hinnehmbarer Zustand. ({5}) Frau Ministerin, deswegen brauchen wir aber keine neue europaweite PISA-Studie für den Bereich der Berufsschulen. Die Schulen kommen aus den Studienerhebungen ja gar nicht mehr heraus. Nicht nur angesichts des Fachkräftemangels muss doch festgestellt werden, dass wir in Deutschland kein Erkenntnisproblem haben, sondern es in diesem Land an der Umsetzung hapert. ({6}) Es gibt eine ganze Reihe von sehr konkreten Aufgaben: Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum dualen System und zur Notwendigkeit der Modernisierung des dualen Systems. Ganz bewusst sage ich hier und heute: Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie auf der europäische Ebene für die volle Anerkennung des dualen Systems und für die volle Anerkennung des Meisters kämpft. ({7}) In einer Pressemeldung vom 12. Juni ist sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, dass noch nicht klar ist, ob der Meisterbrief, der in Deutschland Teil des dualen Ausbildungssystems ist, auf europäischer Ebene voll anerkannt wird. Bis zum 20. Oktober - Stichwort: EURichtlinie zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen - haben wir aber nicht mehr viel Zeit. Das ist eine Hausaufgabe, die diese Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft zu leisten hat. ({8}) Wer der jungen Generation Chancen bieten will, der muss neue Ausbildungsberufe schaffen, der muss neue Wege gehen, aber auch kürzere Ausbildungszeiten vorantreiben. Es ist richtig, dass wir dringend mehr zweijährige Ausbildungsgänge brauchen. Nicht nur in der Autowerkstatt zeigt sich das: Die dreijährige Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker ist inzwischen in allererster Linie auf Realschülern und Gymnasiasten ausgerichtet, während die zweijährige Ausbildung zum Kfz-Servicemechaniker fast ausschließlich von Hauptschülern aufgenommen wird. Wir brauchen also kürzere Ausbildungszeiten in einem neuen, modernisierten, modularen System. Auf diesem Weg müssen wir gemeinsam weiter vorangehen. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Überraschend spät, aber immerhin noch vor Schluss Ihrer Rede, wünscht der Kollege Tauss, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestehe, dass es mich gewundert hätte, wenn keine Zwischenfrage gekommen wäre, Herr Kollege Tauss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Herr Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Meinhardt, für Erkenntnisgewinn engagiere ich mich ohne Ende. ({0}) Deswegen stelle ich an dieser Stelle eine Frage. Sie haben soeben beklagt, dass die Ergebnisse der deutschen Berufsausbildung bis hin zur Meisterausbildung - da gebe ich Ihnen recht - im europäischen System noch nicht so anerkannt werden, wie wir es uns wünschen. Gleichzeitig plädieren Sie jetzt dafür, eine Berufsausbildung light zu machen. Frage: Sind Sie wirklich der Auffassung, dass die Akzeptanz des deutschen Berufsbildungssystems im europäischen Vergleich steigt, wenn wir systematisch auf verkürzte Ausbildungsgänge, die ja möglich sind, setzen? ({1}) Besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass sie sinkt? Diesen Widerspruch müssen Sie auflösen und mir gegebenenfalls erklären.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Tauss, ich sehe den Widerspruch nicht. ({0}) - Nein, nein, ich bin auf der Linie dessen - wenn man auf einer gemeinsamen Linie ist, sollte man das auch sagen -, was die Ministerin hier gerade gesagt hat. ({1}) Wir wollen eine Stärkung der Ausbildungsgänge im Bereich der zweijährigen Ausbildung. Es gibt bereits 75 bzw. 77 dieser Ausbildungsgänge. Ich glaube, Sie und ich sind ein und derselben Meinung, dass wir damit im modularen System noch nicht am Ende sind, dass durchaus noch mehr zweijährige Ausbildungsgänge möglich sind. Hier besteht überhaupt kein Widerspruch. Das Gegenteil ist der Fall: Mit den zweijährigen Ausbildungsgängen schaffen wir genau für die Jugendlichen Ausbildungsmöglichkeiten, denen wir eine zweite Chance eröffnen müssen, und nichts anderes. ({2}) Einen wichtigen Punkt möchte ich an dieser Stelle noch einmal exponiert ansprechen: Die Weiterbildung muss in einem solchen System von nachhaltiger Bedeutung sein. Deswegen halten wir als FDP es für äußerst fragwürdig, dass für ein System des Bildungssparens auf drei Jahre 45 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Sie müssen sich Folgendes vorstellen: 45 Millionen Menschen als Zielgruppe sollen in drei Jahren 45 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Ein Jahr in einer Weiterbildungsmaßnahme ist vorgesehen, und 1 Euro pro Person wird auf drei Jahre verteilt zur Verfügung gestellt. Soll das die neue Weiterbildungsinitiative der Bundesregierung sein? - Das ist ein politisches Armutszeugnis. ({3}) Wir hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler dieser sogenannten Großen Koalition dies merken werden. Wir wollen für jeden jungen Menschen in unserem Bildungssystem eine zweite Chance. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering. ({0})

Franz Müntefering (Minister:in)

Politiker ID: 11001570

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Ihnen zunächst einen Gruß von den Personen draußen in den weißen Zelten bestellen, die uns eingeladen haben, Blut zu spenden. Ich soll Ihnen sagen, Sie möchten vorbeikommen. Ich war heute Morgen schon da und habe Frau Enkelmann getroffen und festgestellt: Das Blut ist kein Stückchen mehr rot als meins. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, darf ich mir eine geschäftsleitende Anmerkung erlauben: Es wäre gut, wenn diejenigen, die ohnehin nicht im Plenarsaal sind, von diesem Angebot vorrangig Gebrauch machten. ({0})

Franz Müntefering (Minister:in)

Politiker ID: 11001570

Ich nehme an, die sitzen alle in ihren Büros und hören zu. Ich lade auch die Besucher auf den Tribünen dazu ein. Man sagte mir, gestern sei eine Prinzessin dagewesen, und sie habe kein blaues Blut gehabt. Kollege Kauder war auch dort. Ich konnte aber nicht sehen, ob sein Blut schwarz ist oder rot. ({0}) Ganz im Ernst - ich will ja nicht ablenken -: Ich finde, dass wir den Frauen und Männern, die heute unsere Gäste sind und die viel ehrenamtliches Engagement investieren, ein Dankeschön sagen sollten. Sie leisten ganz tolle Arbeit. ({1}) Zum Thema. Frau Kollegin Schavan hat es angesprochen, und ich will das noch einmal aufgreifen. Der Antrag, der von den Koalitionsfraktionen vorgelegt worden ist, beinhaltet die Fragen: Was machen wir am Ausbildungsmarkt? Was machen wir für die jungen Menschen insgesamt? Deshalb sind der Wirtschaftsbereich, Arbeit und Soziales sowie Bildung und Forschung in besonderer Weise herausgefordert, ein gemeinsames Konzept zu schaffen. In dem Antrag steht die Herausforderung an uns, an die Koalition, aber auch an die Bundesregierung, unsere Arbeit in diesem Bereich zu konkretisieren und weiter voranzutreiben. Dazu wollen wir in diesem Herbst in aller Deutlichkeit beitragen. Wenn man die Situation junger Menschen in Deutschland mit der in anderen europäischen Ländern vergleicht, kommt man zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland gut aussieht. Die anderen europäischen Länder gucken ziemlich neidisch auf Deutschland. ({2}) Trotzdem dürfen wir nicht zufrieden sein. Bei den unter 20-Jährigen läuft das sehr gut, aber zwischen 20 und 25 ist das schon eine kritische Altersgrenze. Wer da zwei-, drei- oder viermal nicht in den Beruf kommt, nicht in die Ausbildung kommt, gilt schon als zu alt, als Altbewerber und schon ein bisschen als aussortiert. Und deshalb müssen wir uns diesem Komplex insgesamt nähern. Meistens diskutieren wir darüber unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten: Was liegt in unserem Interesse? Was braucht unsere Gesellschaft? Dazu muss man allerdings einen Satz sagen: Jeder einzelne Mensch hat einen Anspruch darauf, Bildung und Ausbildung zu erfahren. Das ist ein Stück Grundlage der Demokratie und der Freiheitsidee überhaupt. ({3}) Jeder Mensch hat das Recht, unabhängig davon, ob es sich heute oder morgen volkswirtschaftlich rechnet, die Chance zu haben, Bildung zu erfahren. Deshalb finde ich die Feststellung in dem vorliegenden Antrag interessant, dass wir die Länder dringend bitten zu veranlassen, dass nicht mehr so viele junge Menschen ohne Abschluss aus den Schulen kommen. Das kann so nämlich nicht bleiben. ({4}) Das richtet sich an die Bildungsministerin, aber auch an den Arbeitsminister und den Wirtschaftsminister. Jungen Leuten, die die Schule mit 16, 17 oder 18 Jahren ohne Abschluss verlassen, zu sagen: „Jetzt organisieren wir für euch soziale Gerechtigkeit“, ist ganz schwer. ({5}) Wir müssen früher anfangen. Deshalb ist die Debatte, die in der Koalition über die Bedeutung der vorschulischen Erziehung geführt wird, sehr wichtig. Hier fängt das Ganze an. Das ist ein Gesamtkomplex, den wir sehen müssen. Wir werden das Problem der Jugendlichen, die auch Schwierigkeiten haben, Ausbildung zu finden und Beruf zu finden, nur lösen können, wenn wir das Ganze im Gesamtkonzept der Bildungspolitik vernünftigerweise angehen. ({6}) Natürlich müssen wir im Interesse der Leistungsfähigkeit unseres Landes alle Potenziale, die wir haben, nutzen und vergrößern. Dazu gehört, im Interesse der jungen Menschen dazu beizutragen - so verstehe ich eine der Anregungen des Antrags -, dass nicht mehr unterschieden wird zwischen den Kindern von Eltern, die Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind, und den Kindern von Eltern, die das nicht sind. ({7}) Es kann doch nicht sein, dass wir bei der Berufsvorbereitung den jungen Menschen zunächst einmal vermitteln: Du gehst zur Arge; denn deine Eltern sind Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Die anderen, deren Eltern Arbeitslosengeld-I-Bezieher oder in normaler Beschäftigung sind, gehen zur BA. ({8}) Das ist für die jungen Menschen nicht gut. Deswegen finde ich gut, was die Koalitionsfraktionen aufgeschrieben haben: dass wir prüfen, dass der ganze Bereich von der Schule über die Berufsvorbereitung bis in die erste Ausbildung, bis in den ersten Job hinein in den Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit kommt, damit es keine Separierung von solchen Jugendlichen mehr gibt, die aus schwierigen Situationen in der Familie heraus auf die Ausbildung zugehen. Das ist ein guter Gedanke, den wir vertiefen sollten. ({9}) Wir müssen uns mehr als bisher mit der Situation der besonders benachteiligten Jugendlichen befassen. Zu diesem Zweck haben wir den Qualifizierungskombi geschaffen. Das ist keine Kleinigkeit. Hier geht es um die Frage, was wir mit den Jugendlichen unter 25 Jahren machen, die eine Ausbildung abgeschlossen haben und danach lange arbeitslos waren oder aber ohne Ausbildung bzw. ohne Ausbildungsstelle dahindümpeln und keine Möglichkeit haben, ins Erwerbsleben einzutreten. Das betrifft die zweite Schwelle, aber auch diejenigen, die von Anfang an gescheitert sind. Mit dem Qualifizierungskombi, mit Eingliederungszuschüssen und anderen Hilfen versucht die Koalition, diesen jungen Menschen eine Chance zu geben, ins Berufsleben hineinzuwachsen, und dafür zu sorgen, dass sie in den Unternehmen eine Qualifizierung erhalten, um sie möglicherweise doch noch ausbildungsfähig zu machen. Es ist eine Lebensweisheit, dass es Früh- und Spätstarter gibt. Mancher, der mit 16 oder 17 Jahren noch nicht in der Lage war, eine Ausbildung zu machen, schafft das vielleicht, wenn er 18 oder 19 Jahre alt ist. Die jungen Menschen haben einen Anspruch auf eine zweite und auf eine dritte Chance. Wir müssen uns gemeinsam dafür einsetzen, das zu organisieren. ({10}) Ich möchte noch einen Satz zu den Paten sagen, die im Antrag erwähnt sind. Ich finde, dass das eine gute Idee ist. In der Regel fangen wir mit der Berufsvorbereitung zu spät an. Junge Menschen, die in der achten, neunten oder zehnten Klasse einer Hauptschule sind, lernen Mathematik nicht mehr vor der Tafel. Wenn die aber Berufspraktika machen können, wenn wir sie an das praktische Leben heranführen wollen, dann wissen sie nach einer Woche genau, was ein Quadratmeter ist. Wir müssen mit ihnen früh darüber sprechen, wo denn ihre Lebenschancen sind. ({11}) Ich will versuchen zu schauen, ob wir nicht einige Tausend Menschen in Deutschland haben, die berufserfahren und hinreichend pädagogisch ausgewiesen oder taBundesminister Franz Müntefering lentiert sind, die diese jungen Menschen früh, in Klasse acht, in Klasse neun, ansprechen und ihnen zeigen, wohin der Weg gehen kann, die diese jungen Menschen begleiten und ihnen eine Chance geben, ins Erwerbsleben, in die Ausbildung hineinzuwachsen, die also ganz praktisch solche Patenschaften übernehmen. Wieso soll es keine 50-jährigen Arbeitslosen oder 60-jährigen Frührentner geben, die so etwas kennen und können, die ein paar Jahre lang fünf oder zehn solcher jungen Leute begleiten und ihnen zeigen, wie sie den Weg finden? Denn diese jungen Leute bekommen von zu Hause oft keinen Impuls für duale Ausbildung, dort weiß man gar nicht um die Möglichkeiten der dualen Ausbildung. Denen müssen wir zeigen, wohin die Reise gehen kann. ({12}) Ich will ein Wort zu der Idee sagen, zu prüfen, ob wir nicht die Arbeitgeber, die überdurchschnittlich ausbilden, belohnen, ob wir ihnen nicht eine Vergünstigung geben. ({13}) Natürlich muss man so etwas möglichst unbürokratisch gestalten. Aber wenn ich mir die Gesamtlage in Deutschland ansehe, muss ich mich schon wundern, dass die Wirtschaft insgesamt so gnädig miteinander umgeht: 25, 30, 35 Prozent strengen sich an und schaffen noch einen Ausbildungsplatz und noch einen, während 60 bis 70 Prozent der Unternehmen mit Ausbildung nichts zu tun haben wollen. Wenn die jungen Leute dann ausgebildet sind, werben sie sie den anderen für zehn Cent mehr ab. Das kann so nicht sein. ({14}) Deshalb sage ich: Diejenigen, die ausbilden, sollten davon einen Vorteil haben. Wenn wir darüber sprechen, wie wir die Arbeitslosenversicherung an dieser Stelle in Zukunft gestalten, sollten wir - ohne dass ich mich jetzt auf Details festlegen wollte - unvoreingenommen darüber sprechen, wie man es erreichen kann, dass diejenigen, die überdurchschnittlich ausbilden, einen Vorteil gegenüber denen bekommen, die das ganze System hinterher ausbeuten. ({15}) Das ist so unvernünftig nicht, und diesen Weg sollten wir zusammen zu gehen versuchen. ({16}) Wir stehen in Europa und in Deutschland vor einer Qualifizierungsproblematik; das wissen wir alle. Schon heute sagen manche Branchen, es fehlten ihnen die Fachkräfte, sie bräuchten eigentlich 20 000 Auszubildende, hätten aber nur 12 000. Weshalb gucken die uns an? Dann sollen die ausbilden! Die Wirtschaft muss wissen, sie kann nicht einfach die schönsten, besten Maschinen kaufen und dann zur Politik kommen und fragen: Wo sind die Leute, die die bedienen können? Sie muss sich rechtzeitig darum kümmern, diese Menschen auszubilden, sie zu qualifizieren. ({17}) Sie muss dafür sorgen, dass wir die Potenziale, die wir in diesem Lande haben, nutzen, damit daraus Gutes werden kann. Ich bedanke mich noch einmal bei den Koalitionsfraktionen. Ich glaube, dass wir in diesem Sommer, in diesem Herbst miteinander - Frau Schavan, Herr Glos und ich und andere aus dem Kabinett sicherlich auch in der Gesamtverantwortung für die jungen Menschen in diesem Land noch einen entscheidenden Schritt tun können. Diese Koalition hat die Chance, in diesen beiden Jahren noch einen entscheidenden Schritt zu machen und die Langzeitarbeitslosigkeit bei den jungen Menschen abzubauen. Keiner soll von der Schule kommend in die Arbeitslosigkeit fallen, und junge Menschen, die später arbeitslos werden, sollen nicht länger als drei Monate draußen sein. Das ist ein Ziel, das wir uns setzen können und das wir auch erreichen können. Dazu bitte ich um Ihre Unterstützung. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass kein Grund zur Selbstbeweihräucherung vorliegt, wie wir sie bisher anhören durften. ({0}) Schauen wir doch einmal, wie sich die Zahlen entwickelt haben: Die Zahl derer, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, ist von 2002 bis heute von 480 000 auf 590 000 gestiegen. In derselben Zeit ist die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze um 100 000 zurückgegangen. Das ist ein riesiges Problem, unter dem jährlich Tausende Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, leiden. ({1}) Da hilft es Ihnen auch nicht weiter, dass Sie die Jugendlichen, die Sie in die Warteschleife schicken, aufgrund eines Tricks einfach nicht mehr mitzählen. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal Jugendliche, die sich in der Warteschleife befinden, besucht haben. Es mag hier und da auch etwas Vernünftiges passieren, aber der 16-jährige Junge, den ich besucht habe, wickelte die ganze Zeit Puppen. Na, der war vielleicht bedient. Das tat er schon den dritten Tag. Trotzdem würde ich ihm kein Baby anvertrauen. Sie müssen verstehen, dass ihm das nicht weiterhilft. Das demütigt ihn. Das ist doch kein Ausbildungsplatz, sondern eine Perspektive ohne Zukunft. ({2}) Ich habe in den letzten Jahren häufig daran gedacht, dass die allgemeine Schulpflicht zum Glück ja schon seit vielen Jahrzehnten besteht. Wann sie eingeführt wurde, ist für die einzelnen Bundesländer unterschiedlich. Stellen Sie sich einmal ernsthaft vor, dass nur die Hälfte unserer Kinder zur Schule ginge und wir vorschlagen würden, dass alle Kinder zur Schule gehen müssen. Dann würden Sie uns sagen: Unbezahlbar, populistisch, gar nicht machbar. - Bei der Schule besteht der große Vorteil, dass das Ob überhaupt nicht mehr zur Debatte steht, sondern nur noch das Wie. Warum bekommen wir es dann nicht hin, dass eine Ausbildung nach Schulabschluss eine völlige Selbstverständlichkeit wird und wir nicht mehr über das Ob, sondern nur noch über das Wie diskutieren? ({3}) Dafür gäbe es eine ganz einfache Möglichkeit. Wir bekommen hier doch zwei Drittel zusammen. Beschließen wir doch einfach, das Grundgesetz zu ändern und hineinzuschreiben, dass jede Abgängerin und jeder Abgänger einer Schule einen Anspruch auf Ausbildung hat! Lassen Sie uns das doch im Grundgesetz verankern! ({4}) Das wollen Sie aber natürlich nicht, weil Sie einen solchen Anspruch nicht wollen. Das ist das Problem. Herr Müntefering, Sie haben von einem Anspruch gesprochen, aber Sie sind nicht bereit, ihn ins Grundgesetz aufzunehmen. Lassen Sie mich noch etwas zu den Kosten sagen. Immer wieder höre ich das Argument: Was das alles kostet! - Es kann ja sein, dass Ausbildung teuer ist, aber ich sage Ihnen: Jugendgefängnisse sind viel teurer. ({5}) Wenn man jungen Leuten keine Perspektive gibt, dann zahlt man immer zu. ({6}) Lassen Sie mich noch etwas sagen, auch wenn Sie das besonders ärgert: In der DDR wurde jede Jugendliche und jeder Jugendliche ausgebildet, wobei die Wirtschaft viel maroder war. Nicht alle bekamen den Beruf, den sie sich wünschten, aber alle bekamen eine Ausbildung. ({7}) Wenn die DDR das bezahlen konnte, dann können Sie mir nicht erklären, dass die reiche Bundesrepublik Deutschland außerstande ist, das zu finanzieren. ({8}) - Ich wusste, dass Sie herumschreien. Nicht einmal auf diesen Punkt können Sie einen objektiven Blick werfen. Wir können die DDR gemeinsam kritisieren, aber akzeptieren Sie doch: Jeder Jugendliche bekam damals einen Ausbildungsplatz. Das ist heute nicht der Fall. Das ist die Wahrheit. ({9}) Die SPD hatte einmal eine gute Idee. Ich erinnere mich, dass ich mit Frau Nahles auf einer Kundgebung gesprochen habe. Damals nannten wir das noch Ausbildungsplatzabgabe, inzwischen sagen wir Ausbildungsplatzumlage. Sie reden vom Bonus. Es wäre doch ganz einfach. Beispiel: Ein Handwerksmeister, der ausbilden könnte, tut das nicht. ({10}) Daneben gibt es einen, der mehr ausbildet, als er braucht. ({11}) Sie haben das ja beschrieben. Wenn es eine Ausbildungsplatzumlage gäbe, müsste der eine etwas bezahlen, was wir dem anderen geben könnten, der mehr ausbildet. ({12}) Zurzeit passiert aber Folgendes: Der eine Handwerksmeister bildet fünf Lehrlinge aus, obwohl er im Anschluss an die Ausbildung nur zwei braucht. Der andere bildet gar nicht aus, stellt sie aber ein, und zwar kostenlos. Das ist doch einfach nicht hinnehmbar und innerhalb der Wirtschaft grob ungerecht. Deshalb: Führen Sie die Ausbildungsplatzumlage ein! ({13}) Zwei Parteien haben das auf ihren Parteitagen beschlossen, nämlich die Grünen und die SPD. Sie haben sieben Jahre lang regiert. Niemand hat Sie daran gehindert, das einzuführen. ({14}) - Nein, nein, nein, nein. - Dann haben Sie ein Gesetz gemacht. ({15}) Herr Müntefering, kurz, bevor es in Kraft treten konnte, hat die Wirtschaft bei Ihnen gebettelt. Sie haben dann gesagt: Na gut, wir setzen es nicht in Kraft, wir machen mit der ewigen Bettelei bei der Wirtschaft, dass sie Ausbildungsplätze bereitstellt, weiter. ({16}) Seit 1990 bin ich mit einer Unterbrechung im Bundestag. Seit 1990 erlebe ich Jahr für Jahr dasselbe - erst war es Kohl, dann Schröder, jetzt Merkel -: Es wurden immer Briefe an die Unternehmen geschrieben, mit der Bitte, noch ein paar Ausbildungsplätze bereitzustellen. Diese gab es dann nicht. Jedes Mal blieben Tausende JuDr. Gregor Gysi gendliche ohne Ausbildung und damit ohne Perspektive und Zukunft. Ich sage Ihnen: Das bezahlen wir teuer. Lassen Sie uns hier einfach einmal die Weichen umstellen und sagen, dass die Ausbildung zur Selbstverständlichkeit und im Grundgesetz festgeschrieben wird. Dann würden wir die Gesellschaft positiv verändern. Danke. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will kurz in Erinnerung rufen, um wen es in unserer heutigen Debatte eigentlich geht. Es geht um 17 400 junge Menschen, die in diesem Ausbildungsjahr keine Ausbildungsstelle bekommen haben. 40 000 sind zwar zunächst versorgt worden, suchen aber weiterhin einen regulären Ausbildungsplatz. Des Weiteren gibt es 386 000 Altbewerberinnen und -bewerber aus den Jahren vor 2006, die nach wie vor einen Ausbildungsplatz suchen. Jeder einzelne junge Mensch in diesem Land muss aus unserer Sicht eine qualifizierte Ausbildung bekommen, damit er an unserer Gesellschaft teilhaben kann und sein ökonomisches Auskommen hat. Es gibt aber - das hat die Koalition auch anerkannt - keine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt; zudem gibt es Jugendliche, die besonders benachteiligt sind. Vor allem sind das Jugendliche mit Migrationshintergrund. Das duale System, das im Antrag der Koalition als tragende Säule bezeichnet wird, nimmt inzwischen nur noch weniger als 50 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs auf. Vor dieser Situation stehen wir heute. Der Ausbildungspakt kann nicht alle Probleme lösen. Das hat die Koalition in ihrem Antrag zu Recht festgestellt. Die 60 000 Ausbildungsplätze, die in diesem Jahr geschaffen werden sollen, sind im letzten Jahr schon mit dem alten Pakt übererfüllt worden. Von daher ist dieses Ziel nicht gerade ehrgeizig. Dieser Ausbildungspakt enthält zudem keine Vorgaben hinsichtlich der Förderung von Migranten. Wir führen heute eine Debatte, an der zwei Kabinettsmitglieder beteiligt sind. Insofern könnte man konkrete Ansätze und Lösungsvorschläge für diese Ausbildungsmisere erwarten. ({0}) - Die Analysen waren zwar richtig, aber dem Antrag merkt man nicht an, dass Sie schon zwei Jahre regieren. ({1}) In dem Antrag werden keine Lösungsansätze vorgestellt, die die reale Situation verbessern würden. Herr Müntefering, Sie verweisen auf die Länder, mit denen man ein gemeinsames Konzept erarbeiten müsse. Sie haben seinerzeit für die SPD die Föderalismusreform im Bildungswesen verbockt. ({2}) Jetzt können Sie doch nicht darauf verweisen, dass Bund und Länder gemeinsam in der Verantwortung stehen und ein gemeinsames Konzept erarbeiten müssen. Hören Sie mir damit auf! ({3}) Gestern wurde von der SPD die Nachricht verbreitet, dass besonders ausbildungswillige Betriebe einen Rabatt beim Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung erhalten sollen. Das ist Ihr konkreter Wunsch, den Sie gestern über die Ticker verbreiten ließen. Lassen Sie mich an dieser Stelle aus Ihrem Antrag zitieren: Bei dem Gesamtkonzept sollen … folgende Ansätze auf Umsetzbarkeit geprüft und in möglichem Maße und Umfang einbezogen werden: ({4}) Das ist der Wortlaut, dem dann der Vorschlag folgt, den Betrieben einen Rabatt bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zu gewähren. Bei so viel Selbsttäuschung der SPD finde ich es verwunderlich, ({5}) dass Sie es als Highlight hinausposaunen, dass damit die Ausbildungsplatzsituation verbessert werden soll. ({6}) Der Ansatz zur qualifizierten Stufenausbildung in Ihrem Antrag ist zwar gut, aber wir waren 2005 schon weiter. Die Unionsfraktion stimmte damals dem Antrag der Grünen und der SPD zu, in dem die Stufenausbildung als Ziel formuliert war. Sie regieren seit fast zwei Jahren. Seitdem liegt das Vorhaben auf Halde. Jetzt holen Sie mit Ihrem Antrag diese „olle Kamelle“ wieder hervor. ({7}) Anscheinend sind Ihnen die Innovationsstuhlkreise inzwischen auch etwas zu langsam. Frau Schavan hätte schon längst handeln können. Sie hätte das, was damals beschlossen wurde, durchsetzen und umsetzen können. ({8}) Als eine der wenigen konkreten Maßnahmen in dem langen Antrag wird gefordert, ({9}) Priska Hinz ({10}) dass die Vermittlung in außerbetriebliche Ausbildung nicht mehr zwingend davon abhängen soll, dass Bewerberinnen oder Bewerber vorher mindestens sechs Monate lang in einer Warteschleife waren. Super; klasse! Das haben wir zwar schon länger gefordert, aber jetzt scheinen Sie es umsetzen zu wollen. Aber das gilt nur bis zum Ende des Jahres 2007. Warum wollen Sie diese Vorbedingung überhaupt aufrechterhalten, wenn Frau Ministerin Schavan permanent erklärt: „Wir müssen Warteschleifen beenden“? ({11}) Dann tun Sie es doch! Nehmen Sie diese Vorbedingung aus dem Gesetz heraus! Sie hatten in diesem Frühjahr bereits die Möglichkeit dazu. Das EQJ - ({12}) - Natürlich. Wir haben gefordert, das herauszunehmen. ({13}) - Ja, ich kritisiere, dass diese Ausnahme nur bis 2007 gilt. Das ist der Punkt. ({14}) Sie agieren doch wieder nur halbherzig, meine Damen und Herren von der SPD. ({15}) Die Einstiegsqualifizierung - das EQJ - könnte eine gute Maßnahme sein, wenn sie bestimmten Kriterien unterworfen wäre. Bislang wird das EQJ in der Hauptsache von Schulabgängerinnen und Schulabgängern besucht, die einen höheren Bildungsabschluss oder einen Realschulabschluss haben. Die Zielgruppe der Hauptschüler oder der Jugendlichen ohne Abschluss wird nur im geringen Maße erfasst. ({16}) 50 Prozent gehen während des EQJ nicht in eine Berufsschule. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, dass das EQJ hinterher auf eine Ausbildung anerkannt wird. Sie sollten jetzt einmal die kritisierten Mitnahmeeffekte, die dadurch bei den Betrieben entstehen, ausschalten. Aber was machen Sie? Sie wollen die Maßnahme EQJ - so schlecht, wie sie derzeit noch läuft - als Ermessensspielraum ins Gesetz aufnehmen. Das ist der Vorschlag des Arbeitsministers. Sie wollen eine schlechte Warteschleife jetzt also auch noch gesetzlich normieren. Da sagen wir: Das ist der falsche Weg. Sie müsste zertifiziert und auf Ausbildungsschritte anerkannt werden. ({17}) Dann wäre es eine gute Maßnahme. ({18}) Aber so, wie es jetzt läuft, ist es keine gute Maßnahme. ({19}) Mit Ihrem Kombilohn, Ihrem Qualifizierungszuschuss für jüngere Arbeitnehmer, entsteht wieder eine neue Maßnahme. ({20}) Für ein Jahr sollen Jugendliche in einem Betrieb zu einem Kombilohn beschäftigt werden können, wenn sie dabei einen Qualifizierungsanteil von 15 Prozent erreichen. Hier tritt doch wieder das Problem auf, dass damit Mitnahmeeffekte entstehen. Es ist nicht geklärt, dass die Jugendlichen hinterher ein Zertifikat bekommen. Es ist nicht geklärt, dass sie eine Berufsschule besuchen können. Es ist nicht geklärt, dass sie hinterher in eine Ausbildung übernommen werden. Meine Damen und Herren, auch dies bedeutet die Ausweitung des schlechten Übergangssystems, das allerorten beklagt wird. Damit bekommen wir mehr Altbewerberinnen und Altbewerber, die nicht ausreichend für eine Ausbildung qualifiziert sind. ({21}) Sie können nicht behaupten, dass Ihr Antrag tatsächlich eine Strukturreform oder eine Minimierung des Übergangssystems bedeutet. Im Gegenteil: Es festigt die schlechten Strukturen, die wir im Ausbildungssystem haben. ({22}) Zur Strukturreform. Wir sind in der Diskussion - auch unter den Bildungspolitikern - schon einmal weiter gewesen, was das Übergangssystem angeht - und vor allen Dingen auch, was die Strukturreform angeht. ({23}) Dies ist im Antrag genauso hasenfüßig ausgedrückt, wie Frau Schavan in der Umsetzung ist. In Ihrem Antrag steht wörtlich, es sei Zielsetzung der Bundesregierung, die duale Berufsausbildung zur Deckung des zukünftigen Fachkräftebedarfs unter Beibehaltung des Berufsprinzips und der bundeseinheitlichen Abschlussprüfung zukunftssicher zu fördern. Zu diesem Zweck können auch strukturelle Reformen und verbesserte Übergänge … in Pilotprojekten erprobt werden; ({24}) Meine Damen und Herren, seit zwei Jahren redet ein Innovationskreis der Ministerin über Modularisierung, Zertifizierung, Strukturreform und Anerkennung von Ausbildungsabschnitten in reguläre Ausbildung. Priska Hinz ({25}) ({26}) Es gibt kein Konzept dafür. Es gibt nichts als Presseerklärungen, die Interviews folgen und umgekehrt. Sie müssen schon einmal springen, wenn Sie eine echte Strukturreform wollen! ({27}) In den Diskussionen sind wir doch viel weiter. Wir sind uns doch einig - das sagen wir ganz ausdrücklich -: Wir brauchen innerhalb der Ausbildung eine breite Grundausbildung und dann eine Spezialisierung. Berufsvorbereitende Maßnahmen müssen zertifiziert werden. Die Ausbildung muss bei Beibehaltung des Berufsprinzips modularisiert werden. Nur dann können Ausbildungsabschnitte, die vor einer regulären Ausbildung begonnen wurden, anerkannt werden. Dann haben wir die Anschlussfähigkeit bei der Weiterbildung. Dann ist es möglich, einzelne Ausbildungsabschnitte schneller zu modernisieren. Die Unternehmen beklagen doch dauernd, dass die Ausbildung nicht so schnell reformiert werden kann, wie sich die Berufsbilder ändern. ({28}) - Natürlich sind die Klagen teilweise gerechtfertigt. ({29}) Vor allen Dingen könnten wir dann neue Ausbildungsplätze schaffen; denn bestimmte Betriebe sind so sehr spezialisiert, dass sie eine ganze Ausbildung über drei, dreieinhalb Jahre gar nicht mehr anbieten können. ({30}) Wenn wir stärker modularisierten, könnten sich mehr Betriebe, die sich zurzeit weigern, bereit erklären, einen Teil der Ausbildung zu übernehmen. ({31}) Wir erreichten so eine Flexibilisierung von Lernorten. Das ist in der heutigen Zeit durchaus sinnvoll. ({32}) Wir haben Ihnen in den letzten zwei Jahren in vielen Anträgen umfassende Vorschläge über Migrantenförderung, Genderaspekte, Berufsberatung und -orientierung, Produktionsschulen und sozialpädagogische Begleitung gemacht, Herr Müntefering. Aber Sie haben alle unsere Anträge abgelehnt. In unserem nun vorliegenden Antrag konzentrieren wir uns auf die Beseitigung der Missstände des Übergangssystems - diese habe ich genannt und auf eine Strukturreform, die in diesem Jahr endlich begonnen werden muss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nicht nur die Grünen, sondern vor allen Dingen die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen in diesem Lande werden es Ihnen danken, wenn Sie zumindest diesem unseren Antrag zustimmen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hinz, ich empfehle Ihnen: Erst lesen, dann reden. Alles, was Sie aufgezählt haben, steht in unserem fraktionsübergreifenden Antrag, und zwar Punkt für Punkt. ({0}) - Es ist zwar schön, dass Sie das für uns vortragen. Aber es wäre hilfreich gewesen, darauf hinzuweisen, dass das bereits in Angriff genommen wird. Dann hätten Sie das nicht kritisieren müssen. ({1}) Die berufliche Ausbildung in Deutschland wird gerade im Ausland immer als beispielhaft gelobt. Im Inland nehmen wir dieses Thema insbesondere dann wahr, wenn wir über fehlende Ausbildungsplätze sprechen. Aber die duale Ausbildung ist auch ein Erfolgsmodell. So richtig es ist, darüber zu sprechen, dass es viele gibt, die noch keinen Ausbildungsplatz haben, so richtig ist es auch, darüber zu sprechen, dass wir ein einzigartiges Erfolgssystem in Deutschland haben; denn die duale Ausbildung ermöglicht Auszubildenden gleichermaßen eine solide praktische und berufsnahe Ausbildung in den Betrieben, verbunden mit fachgerechten theoretischen Kenntnissen über das Berufsbild. Herr Gysi, was im Hinblick auf den Ausbildungsmarkt wenig hilft, ist eine komplett undifferenzierte Kritik an den Betrieben, die nicht ausbilden; denn diese Vorwürfe schrecken ab. Sie führen nicht zur Bereitschaft, mehr für junge Leute zu tun. Sie verkennen mit Ihrer Kritik die weltweit anerkannte Qualität der fundierten Berufsausbildung in Deutschland, die sich - das hat der Arbeitsminister bereits erwähnt - in einer im europäischen Vergleich noch immer relativ geringen Jugendarbeitslosigkeit manifestiert. Im Vergleich zum Vorjahr wurde bei den Ausbildungsverträgen ein Plus von 4,7 Prozent erreicht. Das sind 26 000 Ausbildungsplätze Katherina Reiche ({2}) mehr als zuvor, und das ist der höchste Stand seit Bestehen des Ausbildungspaktes. Das ist ein Erfolg. ({3}) Der Anteil an Altbewerbern bei den Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, ist aber spürbar angestiegen. Zum Stichtag 30. September 2006 waren rund 49 500 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Aber es ist den Partnern im Ausbildungspakt in den vergangenen Monaten gelungen, diese Lehrstellenlücke noch einmal deutlich zu verringern. Die Handwerkskammern und die Industrie- und Handelskammern in Deutschland werben erfolgreich in ihren Betrieben um Ausbildungs- und Praktikumsplätze. Dafür sind wir ihnen dankbar. ({4}) Wir haben in der Wirtschaft, im DIHK und in den Kammern verlässliche Partner. Die Kammern unterstützen verstärkt die Pilotinitiative des BMBF im Rahmen der regionalen Umsetzung, damit ausbildungsfähige Jugendliche so schnell wie möglich in die Ausbildung kommen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch eine Ausbildungsbremse ansprechen. Die Besetzung offener Lehrstellen scheitert immer häufiger auch am Bewerber selbst. Die Ausbildungsfähigkeit der Schulabgänger wird von Jahr zu Jahr leider nicht besser, eher schlechter. Die Betriebe sind immer weniger in der Lage, diese Defizite auszugleichen. Hier sind neben den Elternhäusern vor allem die Schulen in der Pflicht. Es muss grundlegende Verbesserungen insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern geben. Mein Appell richtet sich an die Länder, das zu thematisieren. Denn ohne Mathematik und ohne Physik geht es in den zunehmend technischer werdenden Berufen eben nicht. Nach wie vor gilt: von der Schule in die Lehre. 58 Prozent eines Altersjahrgangs durchlaufen die duale Berufsausbildung. Es gibt viele regionale Initiativen. Ich möchte die Initiative der IHK aus meinem Heimatland Brandenburg „Auf die Plätze. Fertig. Zukunft!“ erwähnen. Das sind wichtige Maßnahmen, um jungen Leuten klarzumachen, welche beruflichen Chancen sich eigentlich bieten. Aber hier müssen auch die regionalen Arbeitsagenturen besser werden. Wir haben 350 Berufe in unserem Land. Das ist eine Vielfalt von Berufen für eine Vielfalt von Talenten. Aber nur die wenigsten Jugendlichen - dazu gehören vor allem die, auf die wir zielen - wissen, worum es eigentlich geht und welche Vielfalt und welche Auswahl sie haben. Hier muss es eine noch stärkere Vernetzung geben. Das heißt, wir müssen frühzeitig in die Schulen gehen und informieren, damit wir die Jugendlichen erreichen. ({5}) Die demografische Entwicklung zeigt: Wir müssen uns um jeden Einzelnen bemühen. Wir müssen Talente erkennen und sie gewinnen. Jeder wird gebraucht, und jeder soll sich mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen können. Denn eines gilt: Stärker als früher sorgt das Bildungssystem für die Verteilung von Lebenschancen. Das mag sich banal anhören, hat aber weitreichende Konsequenzen. Ich bin überzeugt, dass es Chancen beinhaltet. Aber dafür braucht es gute Rahmenbedingungen. Somit ist die Modernisierung des Systems der beruflichen Bildung ein wichtiger Punkt. Nicht umsonst hat Annette Schavan gleich nach Amtsantritt dieses Thema ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Sie hat erfolgreich den Innovationskreis berufliche Bildung ins Leben gerufen mit Praktikern aus Wirtschaftsverbänden, Unternehmen, Gewerkschaften, Schulen, Ländern und der Wissenschaft. Die Ziele sind vielfältig. Es geht um Modernisierung und um verbesserte Kooperationsstrukturen zwischen beruflichen Schulen und betrieblicher Ausbildung. Es geht auch um die Stärkung der Benachteiligtenförderung. Aber wir müssen uns auch um junge Erwachsene kümmern, die ohne Schulabschluss oder Ausbildungsabschluss sind. Es gilt dafür Sorge zu tragen, dass wir die Gruppe der Altbewerber beobachten und passgenau mit Angeboten bedienen. Denn Altbewerber ist nicht gleich Altbewerber. Es geht also um eine Gesamtstrategie zur Verzahnung und Optimierung der Förderstrukturen und um den Abbau von Warteschleifen. Ich möchte noch einmal das Ausbildungsprogramm Jobstarter erwähnen. Die Mittel wurden mittlerweile um 25 Millionen Euro auf 125 Millionen Euro angehoben. Das ist ein wichtiges Signal für junge Menschen mit schlechteren Startbedingungen. ({6}) Unser Antrag beinhaltet ein ganz konkretes Maßnahmenpaket, wie wir die Ausbildungs- und Arbeitschancen für Altbewerber und benachteiligte Jugendliche vorantreiben können. Wir setzen vor allem auf die Stufenausbildung und auf Ausbildungsbausteine. Es bleibt unser gemeinsames Ziel, dass jeder ausbildungswillige und ausbildungsfähige Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhält. ({7}) Benjamin Franklin bemerkte einst: Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen. - Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Er hatte recht. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Dirk Niebel ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Qualifikation, Leistungsbereitschaft und die beDirk Niebel gründete Hoffnung auf sozialen Aufstieg sind die Basis für den Wohlstand weiter Bevölkerungsteile. Für Liberale ist auch deshalb Bildung ein Bürgerrecht. Eine gute Bildung führt zu guten Teilhabechancen, zu der Möglichkeit, ein selbstgestaltetes Leben führen und seine Wünsche erfüllen zu können. Eine gute Bildung ist auch ein Wettbewerbsfaktor in einer internationalen Wirtschaft. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns hier nicht nur über Berufsbildung, sondern insgesamt über Bildung unterhalten. ({0}) Ich möchte trotzdem mit der Berufsbildung beginnen. 376 000 junge Menschen waren Ende Mai arbeitslos gemeldet. Wir dürfen und müssen - gerade wir in diesem Hause - uns schon die Frage stellen, warum trotz der guten konjunkturellen Situation der Aufschwung an diesen Jugendlichen und an den Langzeitarbeitslosen vorbeigeht. Das sind die Personengruppen, die offenkundig von der konjunkturellen Situation im Moment am wenigsten profitieren. Man muss sich die Frage stellen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, und welche gegeben sein müssen, damit sie besetzt werden können. ({1}) - Das werde ich Ihnen sagen, Herr Tauss; denn es ist immer gut, wenn auch Sie etwas dazulernen. ({2}) Die Rahmenbedingungen für den Ausbildungsstellenmarkt sind genau die gleichen, die auch am Arbeitsmarkt wirken. Wenn man durch zu viel Regulierung Freiräume einengt, dann wird es schwieriger, Menschen in Beschäftigung, aber auch Menschen in Ausbildung zu bringen. Wir wollen aber dafür sorgen, dass die Menschen eine gute Grundbildung bekommen, damit sie die Möglichkeiten für ihr eigenes Leben nutzen können. Deswegen ist es wichtig, dass der Staat etwas schafft, was Herr Tauss leider bisher noch nicht verstanden hat: Chancengerechtigkeit am Start und nicht Ergebnisgleichheit am Ziel. Das ist das Entscheidende, was wir schaffen müssen. ({3}) Anders formuliert: Der Staat muss dafür sorgen, dass wie bei einem Wettlauf die Läufer zum gleichen Zeitpunkt am Start sind, dass sie die gleichen Startblöcke haben und dass die Laufbahnen gleich lang sind, aber der Staat muss nicht dafür sorgen, dass die Läufer zur gleichen Zeit am Ziel sind. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer politischen Einstellung und unserer politischen Einstellung. ({4}) - Sie können sich zu einer Zwischenfrage melden. Dann werde ich sie beantworten. Ansonsten will ich meine Redezeit nicht mit Ihnen verschwenden, Herr Tauss. ({5}) Nun haben wir die Rede von Herrn Kollegen Gysi hier gehört. Jetzt könnte man meinen, es seien allein die Kommunisten, die eine Ausbildungsplatzumlage fordern würden. Das ist aber mitnichten der Fall. Auch die Sozialdemokraten fordern sie. ({6}) Ich erinnere mich an die Worte Ihrer designierten stellvertretenden Bundesvorsitzenden, Frau Nahles. Sie ist leider nicht hier. Frau Nahles hat in ihrer Funktion als Juso-Bundesvorsitzende einmal gesagt - Zitat -: Wer nicht ausbildet, wird umgelegt. ({7}) Ich sage Ihnen: Wer umgelegt worden ist, kann nicht mehr ausbilden. ({8}) Das Entscheidende ist, dass trotz der konjunkturellen Situation viele Betriebe in Deutschland eine fundamentale Eigenkapitalschwäche haben. Sie werden durch ein Umlagesystem, das die Liquidität der Betriebe zusätzlich einschränkt, Ausbildungsplätze vernichten und nicht zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen. ({9}) Interessant ist es, wenn Sie durch die Republik reisen und mit Betrieben, die ausbilden, und mit solchen, die nicht ausbilden, reden und fragen, warum das so ist. Sie werden feststellen, dass, egal in welcher Region und in welcher Branche Sie sich bewegen, über die geringer gewordene Ausbildungsfähigkeit der jungen Menschen geklagt wird. Nun mag dahingestellt sein, ob die Menschen dümmer oder die Schulen schlechter geworden sind. Eines ist auf jeden Fall klar: Die Berufsbilder sind komplexer geworden. Vergleichen Sie einmal den heutigen Mechatroniker mit dem Mechaniker und dem Elektroniker. Sie werden feststellen, dass die Welt komplizierter geworden ist ({10}) und dass es immer mehr Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, einen Abschluss auf Kammerniveau zu erreichen. Hier ist es zwingend notwendig und eine echte Hilfe nicht nur für die betroffenen jungen Menschen, sondern auch für die Wirtschaft, für die der Fachkräftemangel eine Wachstumsbremse darstellt, über modulare Ausbildung und lebenslanges Lernen den Einstieg in qualifizierte Berufe unterhalb des Kammerniveaus zu schaffen. ({11}) Wenn dann im Beruf, in der Arbeitswelt persönliche Reifung und Kompetenzgewinn hinzukommen, dann muss das nächste Modul daraufgesetzt werden. Das darf nicht nur in der Erstqualifizierung so gesehen werden, sondern im Rahmen lebenslangen Lernens muss man das auch in den Bereich der Weiterbildung einbeziehen. Es ist doch schlechterdings nicht möglich, dass diese Bundesregie10716 rung über die Rente mit 67 redet, aber die letzte Weiterbildung für Arbeitnehmer mit 42 bis 44 Jahren stattfindet. ({12}) Das wird nie funktionieren. Deswegen gehört das zwingend dazu. Bildung ist auch eine staatliche Aufgabe - eine ganz wichtige -, aber nicht nur eine staatliche Aufgabe. Jeder einzelne Mensch muss ein fundamentales Eigeninteresse daran haben, seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und dadurch seine Arbeitsplatzsicherheit zu erhöhen. Deswegen ist Weiterbildung auch eine private Aufgabe, und sie ist eine Aufgabe der Wirtschaft. Weiterbildung führt nämlich dazu, dass die Menschen gegenüber ihren Mitbewerbern im Vorteil sind. Wir werden im internationalen Wettbewerb nur dann erfolgreich bleiben können, wenn wir kompetente und leistungsfähige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben. ({13}) Bildung als Bürgerrecht bedeutet, dass man mit der Vermittlung von Bildung möglichst früh beginnen muss. Deswegen sind wir für Bildungs- und Betreuungsgutscheine, auch im frühkindlichen Bereich. ({14}) - Ja, ja. - Diese Gutscheine führen dazu, dass junge Menschen eine möglichst gute Ausbildung bekommen. Wir wollen mit Betreuungsgutscheinen und Bildungsgutscheinen dafür sorgen, dass Chancengerechtigkeit am Start gewährleistet ist und dass die Wahlfreiheit der Eltern gesichert wird. Das führt auch dazu, dass Familie und Beruf besser miteinander vereinbar sind. Hier sind die Liberalen Vorreiter. Die Rede des Arbeitsministers hat gezeigt - das ist Fakt -, dass unsere Regierung blutarm ist. Es wäre besser, wenn Sie sich mehr um die Probleme der Menschen als um Ihre internen Streitereien kümmerten. Vielen herzlichen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Kressl erhält nun das Wort für die SPDFraktion.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, dass Herr Niebel von der Forderung nach Betreuungsgeld - bildungspolitisch wäre es ein Rückschritt im Vergleich zu dem, was Frau Pieper dann durchgesetzt hat, nämlich die Forderung, tatsächlich in Bildung zu investieren - Abstand genommen hat. Ich finde das erstaunlich. Aber eine gewisse Flexibilität sind wir bei der FDP ja gewohnt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kressl, möchten Sie schon zu diesem frühen Zeitpunkt eine Frage Ihres Vorredners beantworten?

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn der Herr Niebel die Chance braucht, sich zu rechtfertigen, gern.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Kressl, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich von Anfang an für das Gutscheinsystem war und dass es nur in einer Detailfrage, bei der Betreuung durch die eigenen Eltern, einen inhaltlichen Dissens gegeben hat? Ich habe mir sagen lassen, dass man auch in der Sozialdemokratie ab und zu über Inhalte streitet. Es ist schade, dass Sie das offenkundig vergessen haben. Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir Liberale an der Sache arbeiten und uns daher auch auseinandersetzen. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Niebel, ich nehme gern zur Kenntnis, dass Sie während des Bundesparteitags offensichtlich von Teilen Ihrer eigenen Partei davon überzeugt worden sind, dass die Umsetzung Ihres Vorschlags, ein Betreuungsgeld auszuzahlen, bildungspolitisch eine Katastrophe gewesen wäre; denn man hätte Anreize geschaffen, jungen Kindern keine Frühförderung zukommen zu lassen. Wie gesagt, wundere ich mich über Ihre Flexibilität, dies hier als Ihren Vorschlag darzustellen. Wenn Sie dazulernen, dann ist das in Ordnung. ({0}) Wir diskutieren heute über Möglichkeiten und Lösungsansätze, jungen Menschen, die seit mehreren Jahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, mehr Chancen zu eröffnen. Um solche Lösungsansätze tatsächlich auf den Weg zu bringen, muss man als Erstes eine ehrliche Analyse vornehmen. Zu dieser ehrlichen Analyse gehören zwei Punkte: Erstens. Der Ausbildungsmarkt an sich - es ist gut, dass wir das feststellen können - entwickelt sich positiv. ({1}) Im Berufsbildungsbericht wird darauf hingewiesen, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal damit rechnen können, dass es über 600 000 betriebliche Ausbildungsplätze geben wird. Die Zwischenmeldungen der Kammern zeigen, dass die Entwicklung positiv sein wird: bisher 12,7 Prozent mehr Ausbildungsverträge im Handwerk, 9,8 Prozent mehr Ausbildungsverträge bei der IHK. Ich halte es für falsch - ich wende mich an alle Oppositionsparteien -, diese gute Lage schlechtzureden. ({2}) Im Antrag der Grünen steht, dass wir dieses Jahr wieder weniger betriebliche Ausbildungsplätze haben werden. Frau Hinz, Sie beziehen sich wahrscheinlich wider besseres Wissen auf die reine Meldestatistik der BA, obwohl Sie wissen, dass BA-Statistik und tatsächliche Entwicklung seit mehreren Jahren auseinanderklaffen. Ehrlich gesagt, halte ich das für unredlich. Es dient einer sachlichen Diskussion über diese Frage überhaupt nicht. ({3}) Zweitens. Zu dieser ehrlichen Analyse gehört natürlich auch, dass wir uns vor Augen führen müssen, dass seit Ende der 90er-Jahre immer mehr Bewerberinnen und Bewerber auf dem Ausbildungsmarkt sind, die länger als ein Jahr nach einem Ausbildungsplatz suchen. Ich will bewusst nicht den technischen Begriff „Altbewerber“ verwenden, weil es um junge Menschen geht. Dennoch: Von 300 000 Altbewerber im letzten Jahr konnten wieder 170 000 keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden. In der Analyse, die nicht so ganz einfach und schematisch zu machen ist, stellen wir fest: Es ist eine neue Dynamik auf dem Ausbildungsmarkt entstanden. Ich bin sicher, dass der Ausbildungspakt dazu beigetragen hat. Aber es sind auch Zeit und Raum notwendig, um sich über die jungen Menschen Gedanken zu machen, die einen besonderen Förderbedarf haben. Dazu gehört eben auch ein bestimmter Anteil der Altbewerberinnen und Altbewerber. ({4}) In diesem Zusammenhang - ich habe dazu heute Morgen etwas im Ticker gelesen - will ich mich ausdrücklich bei der Wirtschaft und den Unternehmen bedanken, die sich da engagieren. Ich appelliere von dieser Stelle aus aber auch ausdrücklich zum Beispiel an Herrn Braun - er hat heute Morgen die Tatsache, dass es junge Menschen mit Förderbedarf gibt, eine „Qualitätslücke“ genannt -: Ich würde mir wünschen, dieser technische Begriff würde nicht benutzt, ({5}) und wir würden uns gemeinsam mehr Gedanken darüber machen, wie wir diesen jungen Menschen helfen können. Wir schlagen in dem heute vorliegenden Antrag ein sehr konkretes Maßnahmenpaket vor. Auch da täuschen Sie sich, Frau Hinz. Darin sind sehr viele konkrete Maßnahmen aufgeführt. Zum Teil sind sie schon auf den Weg gebracht, zum Teil sind sie noch in der Prüfung. Ich will hier sechs konkrete Punkte nennen, damit Sie nicht behaupten können, das sei nur ein vager Text: Erstens. Wir wollen, dass der Vorschlag des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit - damals unterstützt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern - aufgegriffen wird. ({6}) Unternehmen, die zusätzliche Ausbildungsplätze für benachteiligte junge Menschen schaffen, sollen finanziell unterstützt werden. ({7}) Ich halte das für einen ganz wichtigen und sehr konkreten Schritt. ({8}) - Frau Hinz, Ihre Anträge - um das aufzugreifen - haben sich vor allem auf außerbetriebliche Ausbildungsplätze bezogen. ({9}) Die haben wir, wie ich finde, zu Recht abgelehnt. Hier geht es um betriebliche Ausbildungsplätze. ({10}) Zweitens. Der Einsatz von Paten - Herr Müntefering hat das angesprochen - soll ausgebaut werden. Wenn wir Hauptschülerinnen und Hauptschüler im Besonderen rechtzeitig und frühzeitig begleiten, setzen wir natürlich viel früher an und verbessern die Situation dergestalt, dass wir in Zukunft nicht mehr über so viele Altbewerber reden müssen. Ich bin ganz fest der Überzeugung: Die Begleitung, die individuelle Förderung von jungen Menschen, deren Elternhaus das manchmal nicht leisten kann, ist ein entscheidender Ansatz, um hier zu einer verbesserten Situation zu kommen. ({11}) Drittens. Wir bitten die Bundesregierung zu prüfen, wie überdurchschnittliches Ausbildungsangebot honoriert werden kann, ({12}) auch gerade mit Blick auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das ist noch nicht im Detail durchdacht. Aber hier einen Stein ins Wasser zu werfen, ist spannend. ({13}) Viertens. Wir wollen mit dem Antrag weiter erreichen - das ist uns ganz besonders wichtig -, dass ein besonderes Augenmerk auf die Berufsberatung und die Ausbildungsvermittlung gerichtet wird, ({14}) auch was die Frage der Zusammenführung angeht - auf der einen Seite sind junge Menschen, die Arbeitslosengeld II erhalten, und auf der anderen Seite solche, die von der Bundesagentur betreut werden -; da gibt es eine Schnittstellenproblematik, die im Interesse der jungen Leute gelöst werden muss. Wir wollen ferner, dass auch genau auf die personelle Ausstattung der Berufsberatung geschaut wird; denn hier gilt das Gleiche wie für die Paten: Da rechtzeitig anzusetzen, richtig zu begleiten, gut zu beraten, ist besser, als nachher Berufsvorbereitung zu bezahlen. ({15}) Fünftens. Wir unterstützen ausdrücklich die geplante Pilotinitiative des Bundesbildungsministeriums zur Erprobung von Ausbildungsbausteinen, besonders deshalb - das halte ich für den entscheidenden Punkt -, weil sie ausdrücklich mit der gezielten Förderung von Altbewerbern verbunden wird. ({16}) Da unterscheidet sich das, was Frau Schavan vorhat, von dem, was die FDP einfordert, nämlich eine allgemein niedrigere Qualifikation. ({17}) Wir sind uns in diesem Punkt mit der Union absolut einig. Es geht darum, zum Schluss für die jungen Menschen, die Förderbedarf haben, mehr Qualifikation und eben nicht eine allgemein niedrigere Qualifikation zu erreichen. Ich lege sehr großen Wert darauf, dass wir uns da von der FDP deutlich unterscheiden. ({18}) Das Unterstützen von jungen Menschen, die Förderung brauchen - das ist der sechste konkrete Punkt -, muss vor der Ausbildung ansetzen. Es ist aber auch ganz besonders wichtig, dass das während der Ausbildung weiter fortgesetzt wird. Deshalb haben wir im Antrag auch noch einmal ein besonderes Augenmerk auf die Verstärkung der ausbildungsbegleitenden Hilfen gelegt. Wichtig ist, dass wir diesen Bereich noch einmal verstärkt auch finanziell fördern und unterstützen. Ich appelliere aber auch an alle Unternehmen, einen jungen Mann oder eine junge Frau zu qualifizieren. Häufig wissen sie ja nicht, dass es ausbildungsbegleitende Hilfen gibt, wenn sie einen jungen Menschen mit Förderbedarf einstellen. Das ist aber die Chance, denn damit verbunden sind sozialpädagogische Begleitung oder auch Hilfen in der Theorie für den Fall, dass man sich hier überfordert sieht. Hier können politische Rahmensetzungen und Engagement der Unternehmen ausgezeichnet zusammenspielen. Das ist ein guter Weg; den wollen wir weiter ausbauen. Auch dieser konkrete Vorschlag ist im Antrag enthalten. Es lohnt sich also wirklich, diese jungen Menschen zu unterstützen. ({19}) Diese sechs Punkte stellen nur ausgewählte Beispiele aus dem großen Maßnahmenbündel dar, das wir im vorliegenden Antrag geschnürt haben. Ich bedanke mich ausdrücklich, wie schon gesagt, für die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Koalitionsfraktionen und den Berichterstattern. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass wir alle bei dem Vorhaben, jungen Menschen Chancen zu eröffnen, aus Verantwortung für die jungen Menschen an einem Strang ziehen müssen. Ich appelliere erstens an die Länder und an die Wirtschaft, sich an dieser gemeinsamen Anstrengung zu beteiligen. ({20}) Ich appelliere zweitens ausdrücklich an die Opposition, sich hier von dem Politikritual, alles schlechtzureden, zu verabschieden. Den jungen Menschen ist damit nämlich, wie ich glaube, überhaupt nicht gedient. ({21}) Den jungen Menschen ist damit gedient, wenn wir die heutige Debatte zum Anlass nehmen, gemeinsam zu überlegen, wie wir die Chancen für junge Leute verbessern können. Das wäre ein lohnenswertes Ziel. Bringen Sie deshalb gemeinsam mit uns in den Beratungen dieses Antrages etwas Positives auf den Weg. Vielen Dank. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Cornelia Hirsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kressl, wenn den Jugendlichen irgendetwas ganz sicherlich nicht hilft, dann ist das der Antrag, den Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Union uns heute vorlegen. Man kann das, was Sie da machen, kurz zusammenfassen: Es handelt sich um eine Fortsetzung der bisher wirklich schlechten Berufsbildungspolitik. Sie trampeln auf dem Recht der Jugendlichen auf Ausbildung herum und buckeln vor den Arbeitgebern. ({0}) - Sie brauchen sich jetzt hier gar nicht künstlich aufzuregen. Wir können einfach den Antrag durchgehen. Ich möchte Ihnen drei Punkte nennen, bei denen das offensichtlich wird: Erstens. In diesem Antrag steht wiederum Ihr absolutes Lieblingsinstrument, das jedes Jahr von neuem genannt wird, nämlich der Ausbildungspakt. Ich habe es hier schon wiederholt ausgeführt: Das offensichtlichste Ergebnis von diesem Pakt ist, dass die Ausbildungssituation in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr schlechter geworden ist. ({1}) Sie aber schreiben in Ihrem Antrag: Der Ausbildungspakt hat sich als ein Instrument zur Verbesserung der beruflichen Bildungschancen junger Menschen erwiesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erzählen Sie das einmal den Jugendlichen, die auf der Straße stehen. Sie geben in Ihrem Antrag selber zu, dass mittlerweile 50 Prozent sogenannte Altbewerberinnen und -bewerber sind. Diesen zu erzählen, Ihr Pakt sei ein Erfolg, ist einfach eine Lüge. Das ist auch für die ganz große Mehrheit der Jugendlichen mittlerweile offensichtlich. ({2}) Wir als Linke sagen: Eine freiwillige Selbstverpflichtung und der damit verbundene bloße Appell an die Unternehmen stellen die falsche Grundlage dar. Es muss Schluss gemacht werden mit diesem Pakt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barth?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, können wir machen.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, Sie sagten gerade, die Koalition würde vor den Arbeitgebern buckeln - ich bin jetzt nicht hier, um die Koalition zu verteidigen -, und riefen auf, den jungen Menschen etwas zu erzählen. Ich erzähle nun Folgendes und schließe, Herr Präsident, eine Frage an. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schlage vor, mit der Frage relativ zügig aufzuwarten.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das mache ich. Dann beginne ich mit der Frage. ({0}) Liebe Frau Kollegin, Sie tragen hier einen Anspruch vor und sind selbst, wie ich weiß, Mitglied in einigen Gewerkschaften. Ich möchte Sie nun fragen, wie Sie mir folgende Zahlen erklären wollen: Die IG Metall fordert eine Ausbildungsquote von 7 Prozent. Die DAXUnternehmen in Deutschland bilden mit einer Quote von 4,9 Prozent aus. Die durchschnittliche Ausbildungsquote in Deutschland beträgt 6,5 Prozent, woran der Mittelstand bekanntermaßen einen großen Anteil trägt. Der DGB - das ist eine Zahl aus dem Jahresbericht des DGB hat die stolze Ausbildungsquote von 1,95 Prozent. ({1}) Wir streiten uns jetzt nicht darüber, ob es wünschenswert ist, dass sich junge Menschen beim DGB ausbilden lassen. ({2}) Aber würden Sie nicht meiner Einschätzung folgen, dass es hier ein eklatantes Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Zahlen, die Sie hier vortragen, sind mir nicht bekannt. Darum möchte ich zunächst infrage stellen, ob diese in irgendeiner Form ihre Richtigkeit haben. ({0}) Es ist aber auf jeden Fall richtig, dass die Gewerkschaften eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage einfordern. Dies ist die richtige Grundlage, denn dann ginge es nicht nur um Appelle und Selbstverpflichtungen, sondern um einen Rechtsanspruch, sodass es ein entsprechendes Angebot an Ausbildungsplätzen geben muss. ({1}) Das fordert der DGB ein. Dafür kämpft der DGB. Von daher halte ich Ihr Fingerzeigen auf andere Leute, um damit die Ausbildungsplatzumlage oder das gewerkschaftliche Engagement schlechtzureden, für komplett unangemessen. ({2}) Es bleibt bei unserer Feststellung, dass der Ausbildungspakt die falsche Grundlage ist und dass mit diesem Pakt Schluss sein muss. ({3}) Der zweite Punkt - auch darauf ist bereits heute Morgen eingegangen worden - sind die sogenannten Einstiegsqualifizierungen. Für die Kolleginnen und Kollegen, die hier oben mithören und die Abkürzung nicht kennen: Wenn Frau Hinz von EQJ spricht, dann meint sie die sogenannten Einstiegsqualifizierungen. Es geht darum, dass Jugendlichen nach ihrer Schulausbildung gesagt wird: Ihr bekommt jetzt keinen Ausbildungsplatz, sondern Ihr könnt erst einmal für einige Monate ein Praktikum in einem Unternehmen machen. ({4}) Das hat für die Unternehmen den Vorteil, dass sie sich erst einmal ansehen können, was diejenigen im Einzelnen leisten, um dann zu entscheiden, ob sie sie übernehmen oder nicht. Das Arbeitsministerium hat in der Fragestunde klar zum Ausdruck gebracht, dass es das für sinnvoll, gut, richtig und für nicht verwerflich hält, wenn Jugendliche auf diese Art und Weise erst einmal eine Zeit lang ausprobiert werden. Wir halten das für falsch. Die Linke sagt: Ausbildungsplätze statt Praktika! Darum ist die Aufstockung der Mittel für die Einstiegsqualifizierungen definitiv der falsche Weg. ({5}) In Ihrem Antrag gibt es - drittens - ein neues Instrument - besser als der Rest ist es aber trotzdem nicht -, nämlich den Qualifizierungskombilohn. Auch hierbei geht es um eine Zuwendung an die Arbeitgeberseite, also nicht um eine Unterstützung der Jugendlichen. Die Arbeitgeber bekommen einen Zuschuss dafür, dass sie die Jugendlichen zu Niedrigstlöhnen beschäftigen. Nur ein minimaler Anteil der Jugendlichen geht in Qualifizierungsmaßnahmen. Dieses Instrument führt also nicht zum wirklichen Berufsabschluss. Das heißt, diese Jugendlichen sind dauerhaft im Niedrigstlohnbereich geparkt. Das kann nun wirklich nicht die Lösung der Ausbildungsplatzmisere sein. ({6}) Diese drei Punkte in Ihrem Antrag bilden den Schwerpunkt. Zu allen drei Punkten kann man sagen, dass es falsch ist, das fortzusetzen, was Sie schon vorher falsch gemacht haben, und nun noch einen Punkt draufzugeben. Offensichtlich haben Sie das selber gemerkt, weshalb Sie einen vierten Punkt in den Antrag aufgenommen haben. Das ist nun wirklich ein „Riesenerfolg“. Sie sagen, die Bundesregierung möge bitte ein Konzept entwickeln. Herzlichen Glückwunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sagen Sie doch einmal der jungen Frau, die vor zwei Jahren den Hauptschulabschluss gemacht hat, im ersten Jahr danach komplett auf der Straße stand, im zweiten Jahr in irgendeiner Warteschleife geparkt war, in diesem Jahr wieder unglaublich viele Bewerbungen geschrieben, aber immer noch nichts gefunden hat: „Machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben ja schließlich die Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept zu entwickeln. Alles wird gut.“ Das ist wirklich albern. Auf diese Weise kann man keine erfolgreiche Berufbildungspolitik machen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, da hilft es auch nichts, wenn Sie es als einen großen Erfolg hinstellen, dass Sie eine Hälfte der Ausbildungsplatzumlage untergemogelt haben, indem Unternehmen, die ausbilden, unterstützt werden sollen. Sie haben vergessen, dass der zentrale Teil bei der Ausbildungsplatzumlage der erste Satz ist: Wer nicht ausbildet, soll zahlen. ({8}) Das fällt bei Ihnen einfach weg, wenn Sie diejenigen, die ausbilden, weiter mit Steuermitteln unterstützen wollen. ({9}) Wie Sie mit der Ausbildungsplatzumlage umgegangen sind, ist bekannt. Es gab - darauf ist hingewiesen worden - klare Beschlüsse von den Bundesparteitagen der Grünen und auch der SPD. Herr Tauss, Sie behaupten hier immer wieder, Sie hätten das Gesetz entsprechend beschlossen, und die Ausbildungsplatzumlage sei eingeführt. ({10}) Was Sie hier beschlossen haben, ist ein Gesetz, in dem unter Punkt zwei und drei etwas von einer Ausbildungsplatzumlage steht. ({11}) Aber unter Punkt eins steht: Wenn es gelingt, einen Ausbildungspakt mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft zu schließen, dann kann man auf den ganzen Rest verzichten. - Was dabei herauskommt, ist bekannt, nämlich Ihr Ausbildungspakt, der nicht die zentrale Anforderung, die Ausbildungspflicht der Unternehmen, in den Blick nimmt; aber anders können wir die Ausbildungsmisere nicht lösen. ({12}) Deshalb fordert die Linke - auch wenn es der FDP nicht passt und die SPD sich ein bisschen peinlich berührt anschaut, weil es ursprünglich eigentlich auch ihre Forderung war ({13}) eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage. Dazu haben wir einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt, dem Sie hier zustimmten könnten. Im Ausschuss haben alle Fraktionen außer der Linken konsequent dagegen gestimmt. Sie halten eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage für verkehrt; aber damit könnte ein Schritt auf dem Weg zu einer guten Perspektive für die Jugendlichen in diesem Land gemacht werden. Deshalb bitten wir nach wie vor um Unterstützung. Den ersten Teil haben Sie in Ihrem Antrag schon umgesetzt. Wenn Sie die Ausbildungspflicht der Unternehmen noch hinzunehmen, dann kommen wir hier ein gutes Stück weiter. Danke schön. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollegin Hirsch, noch so jung, aber schon so voller Hass. ({0}) Zur Umlagefinanzierung möchte ich Ihnen nur ein Beispiel nennen: Es gibt sie tariflich vereinbart in der Bauwirtschaft seit den 70er-Jahren. ({1}) Wir wissen, dass der stärkste Ausbildungsplatzabbau in der Bauwirtschaft seit 1998 stattgefunden hat, ({2}) von 110 000 Plätzen auf 40 000 Plätze. Das heißt, eine rein fiskalische Maßnahme wird die Zukunft der Jugend nicht sichern. ({3}) Wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen. Im Berufsbildungsbericht steht, dass 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre keine berufliche Qualifizierung haben. Das sind, politisch betrachtet, die Kinder der FDP, der Union, der Grünen und der Sozialdemokraten, die Kinder der demokratischen Opposition und der Regierung hier im Parlament. Deshalb müssen wir gemeinsam versuchen, ein Bündel an Maßnahmen zu entwickeln, um die Probleme zu lösen. ({4}) Nur wenn die Probleme nicht gelöst werden, haben die Kolleginnen und Kollegen aus der Meckerecke von links außen eine Chance. ({5}) Wenn wir sie lösen, sind wir die starken Kräfte im Parlament und in der Bevölkerung. Der Antrag „Junge Menschen fördern“ durchbricht einen ewigen Kreislauf, der im Frühjahr beginnt: dramatische Zahlen, die sich steigern bis zur parlamentarischen Sommerpause; die einen fordern die Umlagefinanzierung, die anderen wollen die Ausbildungsvergütungen senken. Wenn im September das Ausbildungsjahr endet und ein neues beginnt, folgen Relativierungen, und auf die Schnelle werden Instrumente nachgeschoben. Dieser Antrag enthält, frühzeitig von der Wirtschaft und den Ministerien für Arbeit und Soziales, Bildung und Forschung, Jugend und Familie sowie Union und SPD entwickelt, ein Maßnahmenbündel, das den Berufsberatern, den Schulen, den Auszubildenden und den Betrieben schon vor der parlamentarischen Sommerpause, vor Beginn des Berufsausbildungsjahres vorliegt, sodass sie sicher wissen, auf welche Instrumente sie sich verlassen und bauen können, wenn sie zusätzlich ausbilden. ({6}) Der Ausbildungspakt ist verbessert worden. Eine entscheidende Verbesserung ist, dass auch der drittstärkste Ausbilder in diesem Lande, die freien Berufe, und damit der Bundesverband der Freien Berufe Mitglied im Ausbildungspakt geworden ist. Den stärksten Einbruch bei den Ausbildungsplätzen hatten wir in den letzten beiden Jahren bei den freien Berufen. Sie haben 9 Prozent weniger ausgebildet; im Handwerk, bei der IHK, wurde das aber ansatzweise aufgefangen. Dass jetzt auch die freien Berufe am Ausbildungspakt teilnehmen und unterzeichnet haben, mehr auszubilden, ist ein wichtiges Zeichen, ein wichtiges Signal, dass in diesem Jahr allen Schulabgängern im Rahmen des Ausbildungspaktes eine Qualifizierungsmaßnahme angeboten werden kann. ({7}) Aber der Ausbildungspakt allein wird das Problem der sogenannten Altbewerber nicht lösen können. Es gibt über 300 000 junge Menschen, die vor mehr als einem Jahr aus der Schule entlassen wurden und jetzt auf den Ausbildungsmarkt drängen. Ihnen müssen gezielte Angebote unterbreitet werden. Es ist gut, dass die Wirtschaft im Rahmen des dualen Systems 30 Milliarden Euro in die Ausbildung investiert. In kaum einem anderen Land wird die Wirtschaft mit in die Haftung genommen. Die duale Ausbildung hat eine große Integrationskraft. Bei uns liegt die Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich bei etwa 9 Prozent, in Frankreich bei 24 Prozent und selbst im hochgelobten Finnland bei 19 Prozent. Die betriebliche duale Ausbildung bewirkt also eine große Integrationskraft. Was Ausbildung bedeutet, zeigt der Fachkräftemangel. Angesichts dessen, dass uns heute vonseiten des Institutes der deutschen Wirtschaft vorgerechnet wird, dass Aufträge in Höhe von 3,5 bis 5 Milliarden Euro verloren gehen, weil keine Fachkräfte vorhanden sind, müssen wir alle Kräfte mobilisieren, damit jeder Jugendliche, jeder junge Mensch, jetzt eine Chance bekommt. ({8}) Das vorgelegte Maßnahmenbündel ist auch deswegen sinnvoll, weil die Gruppe der Altbewerber sehr unterschiedlich ist. In meiner Heimatstadt in Willich am linken Niederrhein ({9}) liegt die Arbeitslosigkeit wie in Baden-Württemberg bei 5 Prozent. Aber 30 Kilometer weiter in Duisburg-Marxloh liegt sie bereits bei 16 Prozent. In Bautzen liegt sie bei weit über 20 Prozent. Das heißt, dort, wo wenige Betriebe sind, muss man überbetriebliche bzw. außerbetriebliche Maßnahmen fördern. Deshalb brauchen wir ein Bündel an Maßnahmen. Es gibt keinen Königsweg, indem man meint, alle Probleme mit messianischem Blick nach oben lösen zu können. Entscheidend ist, dass Einstiegspraktika endlich einmal mit Ausbildungsbausteinen verbunden werden, dass wir sagen: Es muss auch qualifiziert werden. Dass immerhin 70 Prozent der Jugendlichen, die ein Einstiegspraktikum machen, anschließend weitervermittelt werden, ({10}) ist ein wesentlicher Fortschritt. Dies zeigt, dass betriebliche Maßnahmen besser sind als Parallelmaßnahmen, die schulisch oder außerbetrieblich entwickelt werden. ({11}) Die Einstiegspraktika sind eine Brückenmaßnahme in die reguläre betriebliche Ausbildung. Zum Bonus für Betriebe. Wenn Betriebe bereit sind, sich aktiv am Abbau der Zahl der Altbewerber von über 300 000 zu beteiligen, wenn sie nachweislich der letzten drei Jahre zusätzlich ausbilden oder anfangen, auszubilden, dann ist es auch richtig, ihnen eine Unterstützung in Form eines Bonus von bis zu 5 000 Euro zukommen zu lassen. Dies ist preiswerter, als eine Parallelmaßnahme zu finanzieren. Dies hat auch eine Brückenfunktion für die betriebliche Ausbildung. ({12}) Wir haben in Deutschland im Zweijahresvergleich 1 Million weniger Arbeitslose. Das sind 1 Million gute Gründe für die Große Koalition. Mit unserem Antrag werden wir dafür sorgen, dass dieser Prozess weitergeht. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege Willi Brase. ({0})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir in der Koalition und im Parlament nicht darüber streiten, was ideologisch vielleicht der richtige Weg wäre, sondern dass wir den jungen Leuten hier und heute eine konkrete Perspektive ermöglichen. ({0}) Mit einer solchen Perspektive machen wir ihnen den Weg frei in eine vernünftige Zukunft. Wir sorgen dafür, dass sie mit daran wirken, dass die Stärke und Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft vorangetrieben werden. Das ist gut. ({1}) Ich will deutlich sagen - das wurde von einigen offensichtlich nicht gelesen, oder sie haben es schon wieder vergessen -: Wenn wir schon jetzt, zu einem Zeitpunkt, wo wir uns mitten im Ausbildungsjahr befinden, für das kommende Ausbildungsjahr mehrere zehntausend Ausbildungsplätze zusätzlich schaffen, dann sind wir - da hat der Kollege Schummer recht - ein ganzes Stück weitergekommen; denn damit bieten wir den jungen Menschen in unserem Land eine Perspektive. ({2}) Über das Problem der Altbewerber haben wir hier diskutiert. Die SPD-Fraktion, die Koalition insgesamt ist dem Bundesarbeitsminister dafür dankbar, dass er den Weg mitgehen will, um die Sache voranzubringen. ({3}) Es gibt junge Leute, die seit mehreren Jahren arbeitslos sind. Der Begriff „langzeitarbeitslose junge Leute“ ist schlecht, beschreibt aber leider einen Zustand. Deswegen sage ich: Es ist richtig, dass wir so etwas wie Qualifizierungskombi auf den Weg bringen. Er resultiert ein Stück weit aus den Erkenntnissen, die wir in dem Programm „Jugend mit Perspektive“ gesammelt haben. Wir sollten nicht vergessen, dass wir damals junge Leute damit aus dem Nirwana geholt und ihnen eine Perspektive gegeben haben. ({4}) Herr Braun vom DIHK hat darauf hingewiesen - Kollegin Kressl hat das eben schon gesagt -, dass es eine Qualitätslücke gibt. ({5}) Ich finde, es macht Sinn, sich kurz zu vergegenwärtigen, was das heißt: Das unterstellt doch, dass viele junge Leute nicht ausbildungsfähig und nicht ausbildungswillig sind. Da fällt mir ein, was wir in meiner Heimat mit Hauptschulabsolventen machen: In der 10. Klasse absolvieren sie freiwillig - 580 Stunden im Jahr, freitagnachmittags, samstagmorgens, sechs Wochen in den Ferien ein Praktikum in Unternehmen und Ausbildungseinrichtungen. 95 Prozent dieser Jugendlichen finden einen Ausbildungsplatz. Angesichts dessen kann ich nur sagen: Lieber Herr Braun, es gibt keine Qualitätslücke, sondern leider immer noch zu wenig betriebliche Ausbildungsplätze. ({6}) Es ist wichtig, dass wir solche Maßnahmen nicht nur in einzelnen Regionen, sondern überall dort, wo das möglich ist, vorantreiben. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Ausbildungsmärkte regionale Märkte sind. Die Debatte wird, um bei den Beispielen von Uwe Schummer zu bleiben, in Bautzen anders zu führen sein als in Willich oder in Siegen-Wittgenstein. ({7}) Die Strukturen sind regional unterschiedlich. Wichtig ist, dass man miteinander redet, sich die Problemfälle anschaut und den jungen Leuten ein konkretes, klares und sauberes Angebot macht. Man darf nicht darauf verweisen, dass irgendwann die Umlagefinanzierung kommt, und den jungen Leuten sagen: Vielleicht bekommst du 2015 einen Ausbildungsplatz. - Dann ist der Jugendliche 30, dann braucht er ihn nicht mehr. ({8}) Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den ich für sehr wichtig halte: die hohe Qualität der betrieblichen Berufsausbildung. In diesem Jahr haben wir erstmals wieder über 600 000 neu eingetragene Ausbildungsverhältnisse. Das war 2000/2001 zum letzten Mal der Fall. Das ist gut so. Wenn die Zahl noch weiter nach oben geht, umso besser. Wenn man sich Untersuchungen über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft anschaut, stellt man fest, worauf sie basiert. Die Wettbewerbsfähigkeit hat demnach nicht nur mit der steuerlichen Situation, der finanziellen Ausstattung der Unternehmen und deren Wettbewerbsbedingungen zu tun, sondern es geht auch um Innovationsfähigkeit und um die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. In diesen Untersuchungen wird festgestellt, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands vor allen Dingen in der hohen Einsatzflexibilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begründet ist. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben eine breite berufliche Qualifikation und haben ihr Handwerk in Arbeits- und Beschäftigungsprozessen erlernt. Der entscheidende Punkt ist, dass wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, die mit unterschiedlichen Fähigkeiten und einer hohen Qualifikation in vielen Unternehmen tätig sein können. Es wäre eine Schande, wenn wir diesen Ansatz durch falsche Modularisierung vorschnell aufgeben würden; denn darunter würde die ganze Gesellschaft leiden. ({9}) Thema Fachkräftemangel. Ich halte es für ebenso wichtig, dass wir nicht zu schnell den Rufen mancher Unternehmen erliegen, die behaupten: Wir haben nicht genügend qualifizierte junge Leute; wir müssen schauen, wie wir sie aus dem Ausland zu uns holen. Solange wir so einen hohen Anteil an Altbewerbern haben, solange wir eine leider noch relativ hohe Anzahl jugendlicher Arbeitsloser haben, bin ich dafür, dass wir diese hier ausbilden, bevor wir einen Schritt außerhalb des Landes gehen und uns von dort Fachkräfte holen. Das wäre der falsche Weg; den sollten wir nicht gehen. ({10}) Zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher. Ja, es ist richtig, sich den Bericht des Bundesrechnungshofes anzusehen. Aber wenn man sich einen Bericht ansieht, muss man auch beachten, wann er erstellt wurde und welches Jahr er zum Inhalt hat. Er betrifft die erste Zeit von EQJ. Wir haben das Programm damals über den Ausbildungspakt auf den Weg gebracht. Heute stellen wir fest, dass wir EQJ ein bisschen verbessern wollen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Ausbildungsbausteine nicht nur in den angedachten Projekten zur Schaffung von Ausbildungsplätzen und Qualifizierung in Betrieben, sondern auch bei EQJ auf den Weg bringen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass junge Leute, die heute in Einstiegsqualifizierungen sind und dort nach dem Modell der Ausbildungsbausteine qualifiziert werden, danach relativ schnell eine Ausbildung - nicht mehr für drei, sondern zweieinhalb Jahre oder entsprechend verkürzt - machen. Das macht Sinn, weil wir Fachkräfte brauchen. Insofern werden wir EQJ an dieser Stelle weiterentwickeln. Der zweite Punkt. Wir wollen, dass nicht zu viele Realschüler oder Gymnasiasten am EQJ-Programm teilnehmen. Wir brauchen EQJ für diejenigen jungen Leute, für die der Weg in die berufliche Qualifizierung ein Stück weit über betriebliche Zugehörigkeit, über betriebliches Lernen führt. Ich denke, dass wird die Regierung in der gebotenen Grundsätzlichkeit und Güte so machen. ({11}) Nicolette Kressl wies darauf hin, dass es richtig ist, die Berufsberatung im Sinne von Berufsorientierung auszuweiten. Wenn Sie in den Berufsbildungsbericht schauen, wenn Sie sich vergegenwärtigen, wie die am meisten besetzten Ausbildungsplätze aussehen und wie wir uns wirtschaftspolitisch weiterentwickeln, dann erkennen Sie eine Differenz. Das heißt, es muss durch mehr Berufsberatung möglich gemacht werden, die Wünsche der jungen Leute - teilweise auch die ihrer Eltern - ein Stück weit breiter zu streuen, damit wir den Nachwuchs, den wir für die wirtschaftliche Entwicklung brauchen, tatsächlich bekommen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass die Berufsberatung ausgeweitet wird. ({12}) Es ist - ich sage das in aller gebotenen Zurückhaltung ein guter Tag, an dem wir den jungen Leuten und den betroffenen Organisationen - von der Bundesagentur für Arbeit bis hin zu den Kammern - sagen, was wir vorhaben, welche Maßnahmen wir auf den Weg bringen werden und wo sie Möglichkeiten haben, die Programme nach dem 30. September oder spätestens nach dem 31. Dezember umzusetzen. Das ist eine entscheidende Verbesserung gegenüber dem, was in vielen Debatten in der Vergangenheit über Ausbildungsplätze und die Zukunft der Jugendlichen gesagt wurde. Lassen Sie uns gemeinsam in diesem Sinne fortfahren. Es ist der richtige Weg. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ilse Aigner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich darauf hinweisen, dass heute auch aus meiner Sicht, sehr geehrter Herr Kollege Brase, ein erfreulicher Tag ist, weil wir weitere gute Nachrichten zu verkünden haben. Die wirtschaftliche Entwicklung ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Die Zahl der Ausbildungsplätze steigt. Wir haben bei der Jugendarbeitslosigkeit einen Rückgang um 30 Prozent. Ich finde, es ist eine sensationelle Botschaft, wenn wir den jungen Menschen sagen können: Wir tun etwas für euch, und es wirkt sich dementsprechend aus. ({0}) Deshalb ist es für uns von der Union immer wichtig, dass die wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben wird. Für alle Bereiche liegen positive Daten vor. Die Wirtschaftskraft steigt. Wir verzeichnen Wachstum. Deshalb werden sich auf dem Ausbildungsmarkt positive Entwicklungstendenzen zeigen. Wir werden aber auch immer wieder darauf drängen, dass wir alle in die Pflicht nehmen, und sie daran erinnern, dass betriebliche Ausbildung das Erste und das Prä ist. Das gilt für alle. Gerade wurden Zahlen vom DGB angezweifelt, die von Kollegen Barth genannt wurden. Mir liegen hier von der Berliner Regierung, aus der Sie, sehr geehrter Herr Gysi, ja nach wenigen Monaten aus der Verantwortung geflüchtet sind, veröffentlichte Zahlen vor. ({1}) Sie fordern eine Ausbildungsquote von 7 Prozent. ({2}) In der Berliner Regierung beträgt die Ausbildungsquote 0,25 Prozent. ({3}) Sie sollten, bevor Sie Forderungen aufstellen, erst einmal Ihrer Pflicht in den Bereichen, in denen Sie Verantwortung tragen, nachkommen. Ich glaube, das wäre ein richtiges Zeichen. ({4}) Zur Qualifizierungsinitiative ist schon sehr viel gesagt worden. Sie wird zwischen allen Ressorts abgestimmt und gebündelt, und das, sehr geehrte Frau Hinz, schon nach zwei Jahren. Bis das Berufsbildungsgesetz verabschiedet wurde, hat es, als Sie an der Regierung waren, sieben Jahre gedauert: Verabschiedet wurde es im Jahre 2005, an die Regierung kamen Sie im Jahre 1998. ({5}) Insofern sind wir wohl doch etwas schneller. Ich denke, das wesentliche Element ist die Bündelung. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen beteiligten Häusern, dass sie ihren Beitrag dazu leisten, eine abgestimmte Initiative auf den Weg zu bringen. Ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen, der mir äußerst wichtig erscheint - dieser Punkt steht auch auf der heutigen Tagesordnung -: auf den europäischen Qualifikationsrahmen. Der Kollege Meinhardt hat bereits darauf hingewiesen, dass die Bedeutung der beruflichen Ausbildung in Deutschland in der Anerkennungsrichtlinie der EU in hohem Maße unterbewertet ist. ({6}) Das geht sogar so weit, dass Meister in die gleiche Stufe wie Angelernte eingruppiert werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Dass es dazu kam, war nur deshalb möglich, weil das System unserer beruflichen Ausbildung von Menschen beurteilt wurde, die damit offensichtlich nichts anfangen konnten und allein an der schulischen Leistung gemessen haben, wie die Ausbildung in Deutschland zu bewerten ist. ({7}) Dies soll mit dem europäischen Qualifikationsrahmen von Grund auf verändert werden. Es sollen acht Leistungs- bzw. Niveaustufen eingeführt werden. Bei der Eingruppierung geht es nicht nur um die Stundenzahl, sondern auch um die Qualifikation, also darum, was deroder diejenige können muss. Das schließt auch die Handlungskompetenz ein, die man sich in den Betrieben aneignen kann und über die man verfügen muss, um in eine bestimmte Stufe eingeordnet zu werden. Das Entscheidende ist, dass nicht irgendeine europäische Institution über die nationalen Regularien entscheidet und die Festlegungen trifft, sondern dass wir in Deutschland selbst einen nationalen Qualifikationsrahmen entwerfen können. Dann können wir entscheiden, in welche Stufe wir unsere Ausbildung einordnen. Das ist ein Quantensprung. Ich hoffe, dass wir hierfür von allen Seiten Unterstützung erfahren werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kann es nicht oft genug sagen - Herr Kollege Schummer hat das bereits angesprochen -: In Deutschland liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 9 Prozent, in Frankreich beträgt sie 25 Prozent. In unserem Land gibt es eine Alternative zum Studium, nämlich die berufliche Ausbildung. Zwei Drittel der jungen Menschen durchlaufen eine berufliche Ausbildung. ({8}) In anderen Ländern gibt es praktisch keine Alternative zum Studium, keine Lehre. Entweder ist man Akademiker, oder man hat keine Ausbildung. Ich finde, unser System ist hervorragend. Viele beneiden uns darum. In vielen anderen Ländern wäre es allerdings gar nicht möglich, ein System wie in Deutschland zu entwickeln und es so auszugestalten, wie es bei uns ausgestaltet ist. Denn Deutschland verfügt im Gegensatz zu manch anderen Ländern über eine Wirtschaft, die fähig ist, auszubilden. Diesen Schatz sollten wir bewahren. Das ist letztlich das, was den Standort Deutschland ausmacht. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Überweisungen und Abstimmungen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5730, 16/5732 und 16/5225 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist so. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Zu Tagesordnungspunkt 3 d liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf der Drucksache 16/5760 vor. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5760, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 16/2996 mit dem Titel „Weiterentwicklung der europäischen Berufsbildungspolitik“ in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1063 mit dem Titel „Den Europäischen Bildungsraum weiter gestalten - Transparenz und Durchlässigkeit durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen stärken“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig so angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1127 mit dem Titel „Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe? Enthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 3 e. Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5761, diesen Gesetzentwurf auf Drucksache 16/2540 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das wird nicht reichen. ({0}) Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Ich stelle in der Feststellung der Mehrheitsverhältnisse breite Übereinstimmung im Hause fest. ({1}) Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. ({2}) Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 3 f. Es geht um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/5762. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Berufsbildungsberichts 2006 auf Drucksache 16/1370 den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2630 mit dem Titel „Neue Wege in der Ausbildung - Strukturen verändern“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ich habe nicht den Eindruck, dass alle den Gegenstand der jetzt stattfindenden Abstimmung auf Anhieb verstanden haben. ({3}) Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab, der unter Bezugnahme auf den Berufsbildungsbericht die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen empfiehlt. ({4}) - Nach dieser bemerkenswerten Protokollerklärung des Kollegen Tauss steht einer unfallfreien Abstimmung eigentlich nichts mehr im Wege. ({5}) Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschus- ses? - Sage ich doch! - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit des Hauses angenommen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk- tes. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes - Drucksache 16/2087 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({6}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({7}), Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Präsident Dr. Norbert Lammert des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze ({8}) - Drucksache 16/3423 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({9}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Martina Bunge, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Vielfalt der Lebensweisen anerkennen und rechtliche Gleichbehandlung homosexueller Paare sicherstellen - Drucksache 16/5184 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({10}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache wiederum anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält als erste Rednerin die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDP-Fraktion. ({11})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gesellschaftliche Freiheit zeigt sich besonders im Umgang mit Menschen anderer Herkunft und mit Menschen, die sich zu ihrer sexuellen Identität bekennen. Das ist gelebte Toleranz. Familien, in denen Kinder von zwei Männern oder von zwei Frauen aufgezogen werden, sind heute nichts Besonderes mehr. Insbesondere nachdem für eingetragene Lebenspartner die Möglichkeit der Stiefkindadoption besteht, ist es an der Zeit, den Familienbegriff den Entwicklungen der letzten Jahre anzupassen. ({0}) Aufgabe der Politik ist es, die unterschiedlichen Formen von Familien, von Verantwortungsgemeinschaften zu akzeptieren und dafür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Ziel von verantwortungsbewusster Politik ist es, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch seinen eigenen Lebensentwurf frei und unabhängig leben kann. ({1}) Die FDP setzt sich seit vielen Jahren für die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen ein. Bereits in der 14. und 15. Legislaturperiode haben wir einen Gesetzentwurf für eine eingetragene Lebenspartnerschaft in den Bundestag eingebracht, und auch in der letzten Legislaturperiode haben wir einen Entwurf von Rot-Grün zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes unterstützt und im Bundesrat dazu beigetragen, dass das Gesetz ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses pünktlich in Kraft treten konnte. ({2}) Wir haben immer zum Ausdruck gebracht, dass der jetzige Rechtszustand - das gilt bis heute - alles andere als befriedigend ist. Für Lebenspartner gibt es nach wie vor ein Ungleichgewicht zwischen Pflichten und Rechten: mehr Pflichten als Rechte. Es bedarf Änderungen im Einkommensteuerrecht, Erbschaftsteuerrecht, Beamtenrecht und Adoptionsrecht. Wir haben es leider auch in der letzten Legislaturperiode bei einer Mehrheit von Rot-Grün nicht hinbekommen - obwohl eine Mehrheit vorhanden war -, hier im Bundestag noch weitere Änderungen vorzulegen. ({3}) Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, bei dem es um das Erbschaftsteuerrecht geht. Dies tun wir nicht, weil wir nicht noch mehr Änderungen wollen - ich habe eben die Bereiche genannt -, sondern weil wir glauben, dass es am ehesten möglich ist, Veränderungen zu erreichen, wenn wir in einzelnen Schritten vorgehen. In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen und durch Beiträge hier im Bundestag - gerade auch von Kollegin Frau Granold von der CDU/CSU - habe ich erfahren, dass der Gesetzgeber sehr wohl ein Stück weit mehr Anpassungen vornehmen muss und dass sehr wohl Gesprächs- und Kompromissbereitschaft besteht. Ich hoffe, dass mit einem solchen schrittweisen Vorgehen jetzt die Chance besteht, hier noch zu weiteren notwendigen Entscheidungen zu kommen. ({4}) Im Grundsatzprogramm der CDU heißt es im einleitenden Kapitel: Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Freiheit … Im Rechtsstaat heißt Gerechtigkeit gleiches Recht für alle. Ich frage Sie: Ist es gerecht, dass zwei Männer oder zwei Frauen, die eine langjährige Beziehung führen, in der sie gemeinsam Verantwortung füreinander haben, nach dem Ableben eines Partners vom Staat wie Fremde behandelt werden? ({5}) Ist es gerecht, dass Lebenspartner, die wie Eheleute gegenseitig unterhaltspflichtig sind, nach dem Ableben eines Partners nur einen Erbschaftsteuerfreibetrag von 5 200 Euro geltend machen können? Ist es gerecht, dass der Staat es nach dem Ableben des einen Partners in keiSabine Leutheusser-Schnarrenberger ner Weise steuerrechtlich berücksichtigt, wenn ein Partner den anderen bei Krankheit und Gebrechen bis zum Tode pflegt und für ihn sorgt und damit gleichzeitig die Solidargemeinschaft entlastet? ({6}) Wir als FDP-Fraktion sagen: Nein. Deshalb fordern wir mit unserem Gesetzentwurf zum Erbschaftsteuerrecht gerade auch im Hinblick auf die Steuerklassen, die persönlichen Freibeträge, den besonderen Versorgungsbeitrag und die vermögensrechtlichen Auswirkungen die gleichen Regelungen wie bei Ehegatten. ({7}) Ich sage deutlich: Das ist für uns ein Schritt zu weiteren notwendigen Änderungen. Gerade in Zeiten, in denen wir immer mehr die Vereinzelung von Menschen beobachten, ist die Stärkung von Verantwortungsgemeinschaften ein wichtiges und bewusstes Zeichen des Staates an die Gesellschaft. Wir wollen heute mit unserem Gesetzentwurf dazu beitragen. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Georg Fahrenschon für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Leutheusser-Schnarrenberger, kennen Sie das Gleichnis von Buridans Esel? In diesem Gleichnis steht ein Esel genau in der Mitte von zwei Heuhaufen. Weil er sich nicht entscheiden kann, von welchem Haufen er nun fressen soll, verhungert er jämmerlich. ({0}) Bei der Erbschaftsteuer geht es Ihnen offensichtlich genauso wie Buridans Esel: Sie wissen nicht, was Sie wollen. Am vergangenen Wochenende haben Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen, den Ländern im Rahmen der Föderalismuskommission II die komplette Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz bei der Erbschaftsteuer zu übertragen. Keine Woche später fordern Sie jetzt schnell eine Gesetzesänderung für eine bundeseinheitliche Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes. Was wollen Sie denn jetzt eigentlich? ({1}) Wollen Sie jetzt eine Gesetzesänderung vornehmen, um dann im Rahmen der Föderalismusreform eventuell wieder nachzusteuern, oder wollen Sie langfristig eine vernünftige und tragfähige Lösung zur künftigen Erbschaftsbesteuerung auch im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts? ({2}) Wenn Sie diese Frage ehrlich beantworten, dann bin ich mir sicher, dass wir zu demselben Ergebnis kommen. Aber die Forderung, gleichgeschlechtliche Lebenspartner erbschaftsteuerlich genauso zu behandeln wie Ehegatten, ist zu kurz gesprungen. Mit der Union, der CDU/CSU, ist das nicht zu machen. ({3}) Denn für die Union haben Ehe und Familie einen besonderen Rang, der sich auch in einer besonderen rechtlichen und steuerrechtlichen Privilegierung niederschlägt. Durch das Inkrafttreten des Gesetzes über die eingetragene Lebenspartnerschaft im Jahr 2001 ist in Deutschland ein rechtlicher Rahmen für gleichgeschlechtliche Beziehungen geschaffen worden. ({4}) Auf Wunsch kann ein gemeinsamer Familienname bestimmt werden. Im Sozialrecht - dazu zählen unter anderem die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung - sowie im Ausländerrecht werden Lebenspartner genauso behandelt wie Eheleute. Bei einer Trennung kann ein Partner vom anderen entsprechend der vorherrschenden Erwerbs- und Vermögenslage angemessenen Unterhalt verlangen. Auch beim Erbrecht bestehen keine Unterschiede mehr. Wir als Union akzeptieren diese Entscheidung, obwohl wir damals mit guten Gründen dagegengestimmt haben. Aber im Kern bleibt die CDU/CSU-Fraktion dabei: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und sind mit nichts vergleichbar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt uns darin Recht. Wir werden sogar aufgefordert, die Privilegierung der Ehe entsprechend zu hinterlegen und keine Abstriche daran vorzunehmen. ({5}) - Das stimmt, lieber Herr Kollege. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 über die Verfassungsmäßigkeit des Lebenspartnerschaftsgesetzes zwar die eingetragene Lebenspartnerschaft als zulässig neben dem Institut der Ehe anerkannt; ausdrücklich wird jedoch darauf verwiesen, dass eine eingetragene Lebenspartnerschaft keine Ehe ist, sondern ein Aliud. Dieser Begriff bedeutet „ein anderes“. Es ist also nicht das Gleiche und schon gar nicht dasselbe. ({6}) Deshalb widersprechen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, da Sie mit Ihrem Vorschlag die grundgesetzlich vorgesehene und auch begründete Privilegierung der Ehe komplett aushebeln.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will nur sichergehen, dass Sie das Urteil ganz gelesen haben, und fragen, ob Sie auch weitere Sätze des Urteils wie den folgenden zur Kenntnis genommen haben: Der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen. Das begründet das Bundesverfassungsgericht mit dem Aliud und sieht an dieser Stelle kein Problem des Abstandsgebots in Bezug auf die Ehe, weil das Lebenspartnerschaftsgesetz ein Aliud zur Ehe ist und insofern denklogisch nicht in Konkurrenz zur Ehe treten kann. Denn die Lebenspartnerschaft bezieht sich auf einen anderen Adressatenkreis, und deshalb wird die Gleichstellung vom Verfassungsgericht ausdrücklich für möglich gehalten. Beim Steuerrecht wird sie angedeutet und womöglich sogar für nötig gehalten. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass alle, die an der heutigen Debatte teilnehmen, das Urteil ganz gelesen haben und wir alle darauf verzichten, das gesamte Urteil vorzulesen. Im Kern bleibt die Problemlage bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns auch mit auf den Weg gegeben, dass wir aufgrund des besonderen Instituts der Ehe ihre Privilegierung sicherstellen müssen. ({0}) - Ich werde Ihnen das gerne zukommen lassen. ({1}) Wir werden dann in Kontakt treten, und ich freue mich darauf, wie Sie in Ihrer Antwort darauf Bezug nehmen. ({2}) Im Kern bleiben wir dabei, Herr Kollege Beck: Wenn wir die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften angleichen und genauso privilegieren wie die Ehe, dann ist die Ehe nicht mehr besonders privilegiert. Das müssen Sie anerkennen. ({3}) Aus diesem Grunde sind wir nicht mehr bereit, bei Ihrem Vorhaben mitzumachen. Ich denke allerdings, das gesamte Hohe Haus begrüßt es, wenn sich Menschen dazu entschließen, füreinander einzustehen und einander Unterhalt zu gewähren gleich in welcher Lebensform das geschieht. Die Ehe - ich kann es nur noch einmal betonen - ist aber ein Wert für zwei Menschen, die auf Dauer füreinander einstehen wollen. Dieses Füreinander ist Grundlage jeder sozialen Gesellschaft. Der Staat schützt daher in Art. 6 unseres deutschen Grundgesetzes die Ehe und die Familie, weil er um diesen speziellen hohen Wert weiß. Dieser hohe Wert kommt zum Beispiel im Ehegattensplitting zum Ausdruck, aber auch in der erbschaftsteuerlichen Regelung. Deshalb ist für CDU und CSU klar: Daran wollen wir auch künftig nichts ändern. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Fremdgehen macht glücklich!“ - so der Titel eines Buches, das Micha Schulze und Christian Scheuß zusammengestellt haben. In diesem Buch fand ich die Lebens- und Liebesgeschichte von Fritz und Josef. Am 1. August 2001, als auch in Köln alle Fernsehkameras schon abgebaut waren und die Presse schöne Bilder über die ersten „Homo-Trauungen“ hatte: Da erklommen, um kurz vor halb vier, zwei … ganz in identisches Weiß gekleidete ältere Herren die Stufen zum Regierungspräsidium. Nach 46 Jahren legalisierten Fritz Schäfer und Josef Fischer ihre „wilde“ und dabei sehr unkonventionelle „Ehe“. Stellen Sie sich das bitte vor! Nach fast 50 Jahren gemeinsam gelebten Lebens haben diese beiden Herren nun endlich - spät, aber nicht zu spät - die Möglichkeit erhalten, in ihrem 71. und 69. Lebensjahr ihre Liebe amtlich anerkennen und beglaubigen zu lassen. An einem solchen Bild wird meines Erachtens deutlich, welch großen Schritt die Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001 bedeutete. Sie führte tatsächlich zu einer neuen Akzeptanz für schwul-lesbisches Leben. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal ein Stück bundesdeutscher Geschichte. Fritz Schäfer und Josef Fischer lernten sich im Februar 1956 kennen und lieben. Davon durfte zu dieser Zeit aber niemand erfahren. Es galten immer noch die §§ 175 und 175 a, und zwar der § 175 in der durch die Faschisten verschärften Form. Coming-out und unzüchtige Handlungen konnten zu Gefängnisstrafen und sozialer Deklassierung führen. Viele Menschen waren davon betroffen. Es dauerte bekanntermaßen sehr lange, bis Juni 1969, ehe im Rahmen der Strafrechtsreform sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern straffrei gestellt wurden. Allerdings war das Schutzalter damals auf 21 Jahre festgelegt, während es bei heterosexuellen Menschen bei 18 Jahren lag. 1988 verschwand der Begriff Homosexuelle aus dem Strafgesetzbuch der DDR. Erst 1994 verabschiedeten wir hier im Bundestag die endgültige Streichung - nach 123 Jahren. Man muss natürlich auch sagen - das darf man nicht vergessen -, dass viele Menschen, die während der Zeit des Faschismus mit rosa Winkel im KZ saßen und vielfach diskriminiert und verfolgt wurden, von der Wiedergutmachung ausgeschlossen waren. 1957 schloss das Bundesentschädigungsgesetz Homosexuelle explizit von der Wiedergutmachung aus. Auch jetzt gibt es immer noch keine materielle Wiedergutmachung. Als Fritz Schäfer und Josef Fischer 1975, nach 15 Jahren, das erste Mal tatsächlich in einer Wohnung zusammenleben wollten, hatten sie bei der Anmietung noch mit etlichen rechtlichen Problemen zu kämpfen. Nun sind sie verheiratet. Nein, sie sind nicht verheiratet. Sie sind verpartnert. Fritz und Josef dürfen ihr Bekenntnis nun zwar öffentlich machen. Sie durften es amtlich besiegeln lassen, aber nicht ohne Wenn und Aber. Sie dürfen dies nur zweiter Klasse. Sehr ernüchtert haben sie festgestellt: Was für uns relevant werden könnte, wäre das Auskunftsrecht im Krankheitsfall oder die Möglichkeit, lebensverlängernde Geräte abzuschalten, wenn man weiß, dass der andere das nicht wollte. Beide sind enttäuscht: Von der Homoehe hätten wir uns mehr erhofft. Du bist zwar erbberechtigt, musst darauf aber Steuern zahlen, als wärst du ein Fremder. Warum stehen verpartnerten Menschen im Erbfall nur 5 200 Euro steuerfrei zu, während Ehegatten bis zu 307 000 Euro steuerfrei zustehen? Warum wird Fritz oder Josef kein Versorgungsfreibetrag gewährt, während Ehegatten einen solchen bis zu einer Höhe von 256 000 Euro nutzen können? Auch der Freibetrag für Hausrat und andere bewegliche Dinge ist bei verpartnerten Menschen um 41 000 Euro niedriger als bei Ehegatten. Das alles können Sie bei einer sehr schönen Postkartenaktion nachlesen, getragen von verschiedenen politischen Kräften, mit dem Titel „Keine halben Sachen! Gleiche Liebe, gleiches Recht“. ({0}) Vor dem Reichstag findet heute eine Demonstration statt, um diesen berechtigten Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ich möchte im Namen meiner Fraktion die Aktivistinnen und Aktivisten herzlich grüßen, die sich aufgemacht haben, uns noch einmal ein bisschen voranzutreiben. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Wir, die Linke, positionieren uns mit unserem Antrag eindeutig. Es ist notwendig, die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft endlich zu vollziehen. Das betrifft das Einkommensteuerrecht, das Schenkungund Erbschaftsteuerrecht, das Beamtenrecht, das Sozialrecht und das Adoptionsrecht. Daraus ergibt sich, dass wir den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen unterstützen, der diese Forderungen detailliert unterlegt, bis auf das Adoptionsrecht. Von den Liberalen liegt uns der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vor. Das heißt, wir haben eine große Schnittmenge. Wenn Sie sich die Postkartenaktion genau anschauen, dann stellen Sie fest, dass die Schwusos sowie die Lesben und Schwulen in der Union das unterstützen. Alles zusammen haben wir in diesem Punkt eigentlich eine Mehrheit im Bundestag. ({1}) Ich glaube, Menschen wie Fritz und Josef interessiert die Koalitionsvereinbarung etwas weniger. Sie möchten vielmehr Klarheit in den Fragen, die sie betreffen. Das ist nur recht und billig. Ich bekenne, dass ich Fritz und Josef nicht persönlich kenne, dass ihre Namen nicht ihre richtigen sind. Ich denke, sie werden heute nicht aus Köln nach Berlin gekommen sein. Aber vielleicht verfolgen sie die Debatte vor dem Fernseher. Beiden geht es gut. Sie werden sicherlich mit der heutigen Debatte Hoffnung schöpfen. Seien Sie versichert: Wir werden unser Möglichstes tun. Nehmen wir als Beispiel die konkreten Umstände, unter denen die Lebenspartnerschaft vollzogen werden kann. Seit dem 1. August 2001 gibt es diese Möglichkeit. In Sachsen hat es hingegen bis zum Oktober 2005 gedauert, bis eine Vereinbarung getroffen wurde, die erlaubt, dass die Zeremonie im Standesamt stattfindet. Nebenbei gesagt: In einzelnen sächsischen Kommunen muss man für die eingetragene Lebenspartnerschaft noch immer mehr Gebühren zahlen, als wenn man die Eheschließung vollzieht. Das ist doch nicht normal. Es ist notwendig, dass wir uns in diesen Punkten verständigen, und zwar vorwärtsweisend. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in unserem Antrag nicht nur die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft fordern, sondern dass wir darüber hinausgehen. Dies kann nur der erste notwendige Schritt sein. Wir müssen weitergehen. Wir müssen zu einer Entprivilegierung der Ehe kommen und ein Konzept erarbeiten, das neue Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt und der Vielfalt der realen Lebensweisen Rechnung trägt. Ehe und Lebenspartnerschaft sind die öffentliche Dokumentation von Verantwortungsübernahme. Aber Verantwortung übernehmen auch andere Menschen. Was ist zum Beispiel mit der alleinstehenden, kinderlosen Dame, die ein Zimmer an eine Studentin vermietet hat, woraus sich eine Wahlverwandtschaft entwickelt? Dieses Verhältnis kann dazu führen, dass die Studentin die ältere Dame im Alter pflegt. Sollen sie sich jetzt verpartnern? Ziehen wir damit die Institution der Ehe und die Lebenspartnerschaft nicht ein wenig in die Lächerlichkeit? Was ist mit einem Bekannten von mir, der seit 20 Jahren in einer glücklichen Partnerschaft lebt? Seine Gefährtin ist arbeitslos geworden und ist nun in Hartz IV. Sie haben geheiratet, weil sie es sich nicht anders leisten können. Denn wenn sie nicht verheiratet wären, wäre sie nicht mitversichert und müsste den Krankenversicherungsbeitrag extra zahlen. Kann es sein, dass Menschen heiraten, um in den Genuss des Ehegattensplittings zu kommen und um den Krankenkassenbeitrag zu sparen? Nein, das kann nicht sein. ({2}) Dieses Durcheinander im Sozial- und Steuerrecht kann man nur aufheben, indem man die Menschen als Individuen innerhalb der Ehe und innerhalb der Lebenspartnerschaft mit eigenen Ansprüchen wahrnimmt und dem auch Rechnung trägt. Einen konkreten Vorschlag machen wir in unserem Antrag zum Erbschaftsteuerrecht, über den wir bereits einmal diskutiert haben und auf den wir noch zurückkommen werden. Ich glaube, wir haben eine große Verantwortung, aber auch die Möglichkeit, das Leben ein Stück fröhlicher zu gestalten, indem wir dafür sorgen, dass Menschen lieben und leben können, wie sie es selbst bestimmen, dass sie Verantwortung übernehmen und sie dabei unterstützt werden, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht. Zur Verdeutlichung, um was es geht, möchte ich mit dem Gedicht „Was es ist“ von Erich Fried schließen: Es ist Unsinn sagt die Vernunft Es ist was es ist sagt die Liebe Es ist Unglück sagt die Berechnung Es ist nichts als Schmerz sagt die Angst Es ist aussichtslos sagt die Einsicht. Es ist was es ist sagt die Liebe Es ist lächerlich sagt der Stolz Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich sagt die Erfahrung Es ist was es ist sagt die Liebe Menschen sollten sich danach entscheiden können frei von Erwägungen im Steuer- oder im Sozialrecht. Ich danke Ihnen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun Frau Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal meinen herzlichen Dank an die Regie von Bundestagspräsidium und Ältestenrat. Wir haben heute die Gelegenheit, drei Gesetzentwürfe von drei Oppositionsparteien auf einmal zu behandeln. Daran können wir sehen, wie sich die Opposition einen Wettlauf um die Gunst der Betroffenen liefert. Aber das ist nicht das, um was es geht. Es geht nicht darum, schöne Anträge zu schreiben, ({0}) zumal nicht zu Gegenständen, die man hätte behandeln können, als man selbst jahrelang an der Regierung war. Es geht vielmehr darum, etwas für die Menschen zu tun. Was man da erreicht, zeigt sich im Bundesgesetzblatt und nirgendwo anders. ({1}) Wir haben bei den Verhandlungen mit der Union im Koalitionsvertrag festgeschrieben: Unsere Gesellschaft ist toleranter geworden. Sie nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie akzeptiert unterschiedliche Lebensentwürfe. Unsere Rechtspolitik wird diese Entwicklung weiter begleiten und fördern. Diese Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag nehmen wir - wie auch den gesamten Vertrag - sehr ernst. Wir haben mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im vergangenen Jahr eindeutig festgestellt, dass auch Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität unzulässig sind. Das betrifft das Arbeitsrecht, aber auch die zivilrechtlichen Massengeschäfte und die privatrechtlichen Versicherungen. Wir haben damit die eindeutige Botschaft ausgesandt: Bei uns herrscht Chancengleichheit. Diese Entscheidung der Koalition ist insbesondere einem Koalitionspartner weiß Gott nicht leichtgefallen. Aber wir haben sie getroffen. Ich habe mich gefreut, dass die Kollegin Granold in diesem Zusammenhang konstatiert hat: Wir leben in einer Zeit, in der sich die Lebensentwürfe geändert haben. Sie begrüßt, wenn sich Menschen dazu entschließen, füreinander einzustehen. Dazu gehört dann auch, dass es eine Gesprächsbereitschaft bei der Union, wenigstens in Teilen der Union, gibt, damit es im Steuer- und Beamtenrecht gegebenenBundesministerin Brigitte Zypries falls zu Verbesserungen für die Lebenspartnerschaften kommen kann. Das hat ein bisschen auch mit den rechtlichen Voraussetzungen zu tun. Den Disput darüber haben wir eben hier verfolgen können. Das hat auch etwas damit zu tun, ob man bereit ist, einen Schritt weiterzugehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Union sagt, dass sie bereit ist, darüber zu reden ({2}) und gegebenenfalls noch zu Ergebnissen zu kommen. Das ist besser, als hier Schaufensterreden zu Anträgen zu halten, von denen jeder weiß, dass es für sie aus naheliegenden Gründen keine Mehrheiten gibt. ({3}) - Nein. Aber es ergibt Sinn, dann Anträge zu stellen, sehr verehrter Herr Westerwelle, wenn man sie durchsetzen kann. - Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben vorhin kritisiert, dass man unter Rot-Grün nicht mehr machen konnte. Ich frage mich, was Sie für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben unter SchwarzGelb gemacht haben. ({4}) Solange Sie in der Regierung waren, gab es keinen einzigen Fortschritt. ({5}) Was hier dargestellt wird, ist sehr an den Haaren herbeigezogen. Wenn man die Gelegenheit hat zu regieren, sollte man sie nutzen. Denken Sie an die Vergangenheit. ({6}) Wir setzen uns - ich als Vertreterin des Justizbereichs ganz besonders - beim Steuer- und beim Beamtenrecht konsequent für die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften ein. Es ist ein besonderes Ärgernis - das sehe ich ganz genauso -, dass Lebenspartner zwar ein gesetzliches Erbrecht und ein gesetzliches Pflichtteilsrecht haben, dass sie steuerrechtlich im Erbfall aber als Fremde behandelt werden. Es ist auch wenig konsequent, dass wir die Lebenspartner zwar in die Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen haben, nicht aber in die Beamtenversorgung. ({7}) Deswegen teile ich die Einschätzung, dass wir den Weg, den wir mit der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft beschritten haben, konsequent weitergehen sollten. ({8}) Es ist nicht so, dass wir in dieser Legislaturperiode neben dem AGG keine weiteren Erfolge erzielt hätten. Wir haben beispielsweise mit der Reform des Personenstandsrechts, die wir im Dezember 2006 verabschiedet haben, eine alte Forderung endlich verwirklicht: Das Standesamt für alle. Das Bundesrecht sieht vor, dass Lebenspartnerschaften künftig genauso wie Ehen in allen Bundesländern vor dem Standesamt geschlossen werden. Es ist Sache der FDP, dafür zu sorgen, dass in den Ländern, in denen sie mitregiert, nicht von diesem Bundesrecht abgewichen wird. ({9}) Das können die Länder nämlich nach der Föderalismusreform. Das ist eine echte Aufgabe zur Verwirklichung der Gleichbehandlung. Mit dieser Regelung des Personenstandsrechts setzen wir das fort, was wir mit dem Lebenspartnerschaftsrecht 2001 begonnen haben. Wir schaffen ein solides rechtliches Fundament, um Lebensentwürfe zu verwirklichen und Diskriminierungen zu verhindern. Dieses solide Fundament muss man, so meine ich wenigstens, im Rahmen der Diskussion über das Adoptionsrecht erschaffen. Wir haben bereits die Stiefkindadoption. Dagegen wird beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Deswegen, so glaube ich, kann auch im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse so leicht niemand sagen, dass man die Adoption von Kindern durch ein lesbisches oder schwules Paar generell erlauben sollte. Einer der Einwände besteht darin, dass die Erziehungssituation so kompliziert ist. Deswegen haben wir jetzt einen Forschungsauftrag erteilt, um wissenschaftliche Erkenntnisse über die Situation in Regenbogenfamilien zu gewinnen. Dieses Forschungsvorhaben wird im Laufe der Legislaturperiode beendet sein. Ich hoffe sehr, dass wir dann eine rationale Debatte auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Forschung führen können. Man muss schon konstatieren, dass es diesbezüglich keine einhellige Überzeugung gibt. Die Ansicht des Herrn Bundespräsidenten, der gesagt hat, dass die Vorbereitung der Kinder auf das Leben auch in Familien von Homosexuellen gelingen kann, wird weiß Gott noch nicht von allen Menschen geteilt. Das europäische Übereinkommen über die Adoption von Kindern haben wir inzwischen geändert. Das heißt, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Adoption durch Lesben und Schwule sind inzwischen auf internationaler Ebene gegeben. Dieses Übereinkommen muss jetzt von Deutschland gezeichnet und ratifiziert werden. Dieses letzte Beispiel zeigt, wie weit wir bei der rechtlichen Gleichstellung von schwulen und lesbischen Menschen schon gekommen sind. Es bedarf, so meine wenigstens ich, keiner symbolischen Debatte mehr, um Tabus zu brechen oder um Weckrufe hören zu lassen. Wir sind längst bei der gesetzgeberischen Kärrnerarbeit angekommen. Das wird sich bei der anstehenden Debatte über das Erbschaftsteuerrecht bald wieder zeigen. Ich persönlich werde mich dafür einsetzen, dass wir auch da an der rechtlichen Gleichstellung schwuler und lesbischer Menschen weiterarbeiten. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Volker Beck für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben zu Recht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erwähnt, in dem vom Bürger verlangt wird, im Rechtsgeschäft niemanden aufgrund seiner sexuellen Identität und anderer Kriterien zu benachteiligen. Wir haben dieses Gesetz zu Recht so ausgestaltet. Ein Gesetzgeber, der solche Gesetze macht, muss sich auch selber an diese Vorgaben halten, und darum geht es heute beim Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz. ({0}) Wir haben 2001 mit der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes einen großen gesellschaftlichen Erfolg für die lesbischen und schwulen Paare erreicht. Das war eine symbolische Aktion der Integration dieser Minderheit in die Gesellschaft. Wir haben ganz viele rechtliche Probleme praktisch gelöst. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Probleme binationaler Lebensgemeinschaften, die ihre Liebe daraufhin überhaupt erst leben konnten. In der zweiten rot-grünen Wahlperiode haben wir dieses Gesetz mit Blick auf die Rentenversicherung und die Krankenversicherung im zustimmungsfreien Bereich verbessert. Außerdem haben wir eine Regelung zur Stiefkindadoption eingeführt. Bei sämtlichen zustimmungspflichtigen Fragen - Beamtenrecht und Steuerrecht - haben wir nichts zustande gebracht. Das, was wir für die Ehe im Erbschaftsteuerrecht, im Einkommensteuerrecht, aber auch bei der Beamtenversorgung bezüglich Hinterbliebenenversorgung und Beihilfeberechtigung des Lebenspartners vorsehen, ist eine Rechtsfolge der ehelichen Unterhaltsverpflichtung. Wir können nicht sagen: Da, wo es uns passt, bei der Sozialhilfe, beim Unterhaltsrecht, nehmen wir die Unterhaltsverpflichtung zur Kenntnis, und zwar zulasten der Lebensgemeinschaften; aber da, wo es ihnen einmal zugute kommt, wo ein Ausgleich für die gesetzliche Verantwortungsübernahme vorgesehen ist, schauen die Betroffenen gänzlich in die Röhre. Das ist nicht fair. ({1}) Nur wer nach der Übernahme bestimmter Pflichten gleiche Rechte hat, wird wirklich gleich behandelt. Der Gesetzgeber hat sich in einen Widerspruch zu seinem gesetzgeberischen Programm begeben, das er sich mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu Recht zu eigen gemacht hat. Von 2001 bis 2005 gab es ständig Fortschritte bei der Gesetzgebung für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. 2001 war Deutschland noch Vorreiter in Europa bei der rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften. Deutschland war das erste große EULand, das ein solches Gesetz auf den Weg gebracht hat. Heute haben uns viele Länder überholt, zum Beispiel - als letztes Land - Tschechien. In Spanien, in den Niederlanden, in Kanada und Südafrika können homosexuelle Paare sogar die Ehe schließen und müssen nicht auf ein Ersatzinstitut, ein Aliud, zurückgreifen. Wir wären schon froh, wenn sich hier im Hohen Haus eine Mehrheit - eigentlich gibt es sie - für die Abschaffung der Benachteiligung auf den verschiedenen Rechtsgebieten fände. Wir haben mit unserem Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz ein Gesetz vorgelegt, durch das all diese Rechtsfragen minutiös abgearbeitet werden. Frau Ministerin, da braucht man nicht mehr viel Kärrnerarbeit zu leisten. Man muss nur sein Herz über die Hürde werfen. Wenn Sie es mit der CDU/CSU nicht zustande bringen, dann treten Sie dafür ein, dass die Abstimmung in der Koalition freigegeben wird. Ich bin sicher, dass viele Kolleginnen und Kollegen der Union bei uns wären. ({2}) Herr Kollege Fahrenschon, was Sie vorhin zu Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes gesagt haben, war die alte Leier der Union. Dasselbe haben Sie uns vor der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes erzählt. Damals haben Sie gesagt, unser Gesetz sei verfassungswidrig. ({3}) Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass Sie unrecht haben: There is no Abstandsgebot. Es gibt keinen Grund, die Lebenspartnerschaften schlechter zu stellen als die Ehe, ({4}) weil sie zwei verschiedene Adressatenkreise haben und weil die Rechtsfolgen, um die es hier geht, Ausfluss des ehelichen bzw. partnerschaftlichen Unterhaltsrechts sind. ({5}) Sie müssen also schon sagen, dass Sie Schwule und Lesben diskriminieren wollen. ({6}) Aber verstecken Sie sich bitte nicht hinter Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz. ({7}) Die Konservativen haben das Urteil nicht zu Ende gelesen. Genauso wenig gelingt es ihnen in der Regel, den Art. 6 zu Ende zu lesen. Der hat nämlich noch einen Absatz 5, und darin geht es um die Gleichberechtigung von ehelichen und, wie man 1949 formulierte, „unehelichen“ Kindern. Das ist ein Auftrag an den Gesetzgeber. Auch in den Lebenspartnerschaften leben Kinder. Wenn Sie diese Familien steuerrechtlich benachteiligen, Volker Beck ({8}) beeinträchtigen Sie auch die Lebenschancen der Kinder, die in diesen Lebensgemeinschaften leben. Deshalb rate ich Ihnen, bald gesetzgeberisch zu handeln, bevor Ihnen Karlsruhe das erneut aufgibt. Sie haben kürzlich mit Ihrer Unterhaltsrechtsnovelle hier im Hohen Hause Schiffbruch erlitten, weil Sie bei der Rangfolge nichteheliche Kinder erneut schlechter behandeln wollten als eheliche. ({9}) Das sieht das Grundgesetz nicht vor. Die von der Ehe geprägte Familie ist nur eine der möglichen Familienformen. Unser Verfassungsgericht musste Sie immer dazu treiben - so bei der Kindschaftsrechtsreform, jetzt bei der Unterhaltsrechtsreform -, auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben zugunsten der Kinder, die nicht die konservative Ideologie widerspiegeln, zu beachten. ({10}) Dass Konservativismus auch anders geht als in der CDU/CSU, erkennt man, wenn man ins Nachbarland Frankreich schaut. Herr Sarkozy und Ségolène Royal hatten einen Disput über die Frage: Was machen wir mit den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften? Frau Royal hat gesagt, sie wolle die Ehe für sie öffnen. Herr Sarkozy hat versprochen, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das einen anderen Namen für das Rechtsinstitut vorsieht, aber rechtlich identische Inhalte hat. Lassen Sie sich einmal von Ihrer französischen Bruderpartei beraten! Vielleicht hilft das bei den Gesprächen, die Sie mit der Justizministerin führen. ({11}) Was im Entwurf Ihres neuen Grundsatzprogramms zu diesen Fragen steht, zeigt das ganze Dilemma Ihrer ideologischen Position auf. Darin heißt es: Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. ({12}) Eine Gleichstellung mit der Ehe zwischen Mann und Frau als Kern der Familie lehnen wir jedoch ebenso ab wie ein Adoptionsrecht für Homosexuelle. ({13}) Ja, was denn nun? Sie können nicht einerseits sagen, wir sind gegen Diskriminierung, und andererseits sagen, Schwule und Lesben wollen wir diskriminieren. Alles andere als Gleichberechtigung ist erneute Diskriminierung. ({14}) In der Gesellschaft sind diese Fragen durch. Sie missbrauchen Ihre Position in der Großen Koalition faktisch dazu, den Fortschritt in dieser Frage zu blockieren. Aber die Lesben und Schwulen in Ihrer eigenen Partei, in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, in der liberalen Partei, in der grünen Partei und in der Linkspartei sind sich einig: Sie wollen gleiche Rechte, sie wollen die steuerrechtliche Gleichstellung, und sie wollen, dass mit der Diskriminierung Schluss gemacht wird. Deshalb gab es heute vor dem Reichstag eine Allparteienallianz. ({15}) Sozusagen draußen vor dem Bundestag ist sie möglich. Es wäre schön, wenn sie auch hier möglich wäre. Ich will Ihnen das einmal zeigen - mit Erlaubnis der Präsidentin selbstverständlich -: Auf dem Plakat steht „Keine halben Sachen“. ({16}) Es ist unterschrieben vom Lesben- und Schwulenverband, vom FDP-Bundesverband, vom grünen Bundesverband, von den schwulen Sozialdemokraten, von den Lesben und Schwulen in der Union und von der Arbeitsgruppe „Queer“ der Linkspartei. So viel Einigkeit ist möglich - außerhalb des Hauses. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass zur Beseitigung von Diskriminierung dieser Menschen auch hier im Bundestag endlich etwas getan wird! Der jetzige Rechtszustand ist einfach nicht zu halten. Wir werden über das Erbschaftsteuerrecht reden. Haben Sie sich einmal überlegt, was das in realen Lebenssituationen bedeutet? Da hat sich ein schwules oder lesbisches Paar eine Eigentumswohnung zusammengespart. Dann stirbt einer vor dem anderen, was im Leben vorkommt. Auf einmal gehört ein ganz großer Teil dieser Eigentumswohnung nicht etwa der buckligen Verwandtschaft - erbberechtigt ist der Partner ja -, sondern dem Finanzamt. Da müssen die Leute ihre Wohnung verkaufen und verlassen, weil das Erbschaftsteuerrecht sie benachteiligt. Ein Ehepaar hat in dieser Situation einen Steuerfreibetrag in Höhe von 563 000 Euro; so viel muss man erst einmal haben. Die Lebenspartner haben gerade einmal einen Steuerfreibetrag in Höhe von 5 200 Euro. Dann kommt der höchste Steuersatz zur Anwendung, den wir im Erbschaftsteuerrecht kennen. Das ist einfach nicht fair. Das ist Enteignung von Staats wegen. So etwas dürften Sie als christlich-demokratische Partei eigentlich nicht weiter zulassen. ({17}) - Das gefällt selbst dem Herrn Westerwelle. Wir allerdings sagen, wir wollen Gleichberechtigung bei der Erbschaftsteuer schaffen, aber die Erbschaftsteuer durchaus belassen und auch größere Erbschaften etwas stärker belasten. Das ist aber ein anderes Thema als die Frage: Darf man im Erbschaftsteuerrecht bestimmte Gruppen dauerhaft anders behandeln bzw. benachteiligen? Diese Benachteiligung ist nicht fair. Sie Volker Beck ({18}) kann keinen Bestand haben. Deshalb fordere ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, auf: Reden Sie ernsthaft mit uns in den Ausschüssen über diese Frage, und überlegen Sie sich einmal, was jenseits des Vorurteils ein vortragbarer Grund für die Aufrechterhaltung des jetzigen Rechtszustandes wäre. ({19}) - Ich glaube, dass Sie intelligent genug sind, Herr Kollege, um festzustellen, dass es einen solchen Grund für die Beibehaltung der jetzigen Rechtslage einfach nicht mehr gibt. Machen Sie deshalb den Weg frei - notfalls durch Freigabe des Abstimmungsverhaltens in der Koalition -, damit sich die gesellschaftliche Mehrheit, die auch im Parlament vorhanden ist, endlich zugunsten der Betroffenen durchsetzen kann. ({20})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich gar nicht bemühen, nachzuzählen, wie oft wir wegen dieser Thematik nun schon hier zusammengekommen sind. Um es gleich vorwegzuschicken - das dürfte keinem neu sein; ich sage es auch ausdrücklich in Richtung unserer Bundesjustizministerin -: Das Vorgehen nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ funktioniert bei dieser Thematik mit der Union sicher nicht. Ein noch Mehr an Gleichstellung zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft wird es mit uns nicht geben. ({0}) Wir akzeptieren die bisherige Gesetzgebung dazu, mehr aber auch nicht. Wir wollen auch eines nicht verkennen - der Kollege Fahrenschon hat es, wie ich finde, schon sehr ausführlich dargestellt -: Es hat sich einiges getan. Am 1. Januar 2005 trat das schon viel zitierte Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts in Kraft. Seither haben wir die weitgehende Anwendung des ehelichen Güter- und Unterhaltsrechts auf die Lebenspartnerschaft, die Einführung des Versorgungsausgleichs, die Einbeziehung der Lebenspartner in die Hinterbliebenenversorgung sowie die Möglichkeit zur Stiefkindadoption. Zu Letzterer liegt - Gott sei Dank, möchte ich sagen - ein Normenkontrollantrag des Freistaates Bayern beim Bundesverfassungsgericht vor. Wir werden noch sehen, wie das Gericht da entscheidet. Also noch einmal: Es hat sich viel getan. Wir als Union haben diese Entwicklungen nicht mitgetragen. Wir tragen insbesondere nach wie vor nicht mit, dass im Gesetz die Möglichkeit zur Stiefkindadoption festgeschrieben wurde; aber wir müssen das notgedrungen so hinnehmen. Alle weiteren Ansätze, die darüber hinausgehen und die insbesondere dazu führen, dass es keinerlei Unterschied mehr zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft geben soll, halten wir für gesellschaftspolitisch verfehlt und außerdem für verfassungswidrig. ({1}) Werfen wir trotzdem einen kurzen Blick auf den Antrag und die zwei Gesetzentwürfe, die vorliegen. Die Damen und Herren der Linken schreiben in ihrem Antrag, sie fänden zwar die eingetragene Lebenspartnerschaft ganz prima, meinen aber, sie sei nun doch der Ehe wieder zu ähnlich, um wirklich gut zu sein. Das verstehe ich intellektuell nicht. Vielleicht entscheiden Sie sich, ob Sie nun eine Angleichung wollen oder nicht, ob Sie etwas ganz anderes wollen oder was auch immer. Aber wahrscheinlich verfahren Sie auch hier nach dem bei Ihnen üblichen Motto: Alles kann, aber nichts muss. ({2}) Liest man dann weiter, stößt man auf die schier wegweisende Feststellung, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft der Lebensweise von zum Beispiel Singles nicht gerecht werde. Wer hätte jetzt das gedacht? Das ist sehr interessant. Vielleicht überarbeiten Sie Ihren Antrag, um logische Brüche zu vermeiden. Dann können wir noch einmal darüber reden. Jedes weitere Wort an dieser Stelle wäre, mit Verlaub, Zeitverschwendung. Die Grünen haben den weitestgehenden Gesetzentwurf vorgelegt. Es war nicht anders zu erwarten, ({3}) dass er mich logischerweise nicht überzeugt. Er ist aber zumindest erheblich intelligenter formuliert als der Antrag der Linken. Und der FDP geht es nur um die Erbschaft- und Schenkungsteuer. ({4}) - Bitte, gerne. Wenn Sie weitere Beratung brauchen, stehe ich zur Verfügung. Lassen Sie mich aber noch einen Punkt herausgreifen, der für uns von ungeheurer Wichtigkeit ist. Die Union hat sich schon in der letzten Legislaturperiode klar gegen die Stiefkindadoption ausgesprochen. Ein noch weitergehendes Adoptionsrecht für homosexuelle Paare kommt für uns definitiv nicht infrage. ({5}) Das Wohl des Kindes - es geht nicht um das Wohl eines schwulen oder lesbischen Paares, sondern einzig und allein um das Wohl des Kindes ({6}) ist für uns in dieser Konstellation in keiner Weise gewährleistet. Daneben - Herr Beck, Sie werden sicherlich gleich versuchen, Urteilsstellen zu finden - gibt es Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, der Ehe und Familie nach wie vor in unveränderter Weise unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt. ({7}) Diese Verfassungsbestimmung enthält nach ständiger Rechtsprechung sowohl ein Grundrecht auf Schutz vor Eingriffen des Staates in die Ehe als auch eine Institutsgarantie der Ehe und - das ist für uns ganz wichtig - eine wertentscheidende Grundsatznorm. Dem fühlen wir uns als Union verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Juli 2002 zwar entschieden, dass das damalige Lebenspartnerschaftsgesetz verfassungsgemäß sei. Es hat aber auch deutlich gemacht - der Kollege Fahrenschon hat es, wie ich finde, in richtiger Art und Weise betont -: Lebenspartnerschaft ist nicht gleich Ehe. ({8}) Es ist etwas anderes. Deswegen ist auch die andere gesetzgeberische Behandlung der Ehe und Lebenspartnerschaft gerechtfertigt. ({9}) - An keiner Stelle des Urteils, Herr Beck, findet sich die Aufforderung des Verfassungsgerichts an den Gesetzgeber, eine völlige Angleichung dieser beiden Lebensformen herbeizuführen. ({10}) - Ich habe alles gelesen, Herr Beck, ich bin dessen mächtig. - Vielmehr hat die Senatsmehrheit erklärt, dass es Aufgabe des Staates ist, einerseits alles zu unterlassen, was die Ehe schädigt, und sie andererseits in geeigneter Weise zu fördern. Sagen Sie mir doch einmal, wie Sie in Zukunft, wenn Sie alles gleichstellen wollen, die Ehe besonders privilegieren und fördern wollen! ({11}) Aber darauf warten wir bei Ihnen lange. Die Ehe ist also etwas Besonderes und deswegen etwas besonders Schützenswertes. Wenn man nun etwas schafft, das einen anderen Namen trägt, aber exakt die gleichen Rechte und Strukturen aufweist, dann entspricht das aus Sicht der Union nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. ({12}) So hat es im Übrigen auch ein nicht ganz unwesentlicher Verfassungsrichter namens Papier in seiner beachtlich abweichenden Meinung zum damaligen Urteil gesehen. Ich meine, diese abweichende Meinung, Herr Beck, können auch Sie nicht ganz ignorieren. Die Begründung für diesen besonderen Schutz der Ehe liegt doch schlicht und ergreifend auf der Hand, auch wenn Sie es nicht gerne hören: Der Verfassungsgeber hat die Ehe deshalb unter eine besondere Schutznorm gefasst, weil eine Ehe zwischen Mann und Frau zumindest die potenzielle Möglichkeit bietet, Kinder zu bekommen. Allein aufgrund dieser von der Natur gegebenen Voraussetzung ist die Ehe exklusiv und deswegen vom Gesetzgeber zu privilegieren. So einfach ist das. ({13}) Kurzum: Wir halten uneingeschränkt am Abstandsgebot zwischen Ehe und allen weiteren Lebensformen fest. Wir akzeptieren und schätzen andere Lebensformen und Lebensentwürfe, aber Gleichmacherei in dieser so entscheidenden gesellschaftspolitischen Frage wollen wir definitiv nicht. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann die Inhalte der Reden der beiden Unionsabgeordneten wie folgt zusammenfassen: jung an Jahren, aber alt im Denken. ({0}) Ich finde es sehr bemerkenswert, dass bisher nur Abgeordnete der CSU gesprochen haben ({1}) - ich weiß, da kommt gleich noch einer - und dass die Rechtspolitiker, die für dieses Thema eigentlich zuständig sind, nämlich Frau Granold und Herr Gehb, heute lieber gleich fehlen. Die Union im Norden dieser Republik wundert sich wahrscheinlich gerade, welches Gesellschaftsbild hier als Position der Union insgesamt verbreitet wird. In Hamburg werden Sie mit den Positionen, die Sie hier vortragen, keine Wahlen gewinnen können. ({2}) Es gibt in diesen Minuten eine Aktion des Lesbenund Schwulenverbandes vor dem Bundestag; der Kollege Beck hat darauf hingewiesen. Der Bundesverband der FDP unterstützt diese Aktion. Ich versichere Ihnen, es gibt nicht nur grüne, sondern auch gelbe Plakate. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Kauder eine kleine Information mit auf den Weg geben. Sie haben gesagt, die sollten lieber Blut spenden. Ich weise Sie darauf hin, dass das in dieser Republik verboten ist. Das Gesundheitsministerium hat eine Richtlinie herausgegeben, nach der Schwule kein Blut spenden dürfen. Auch das können wir gerne einmal politisch besprechen. ({3}) Herr Fahrenschon hat die Frage der Erbschaftsteuerbeschlüsse unseres Parteitages angesprochen. In der Tat, der Parteitag hat die Forderung beschlossen, dass die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder übergeht. Ich habe bisher nicht erkannt, dass die Union dieser Forderung, die eine Zweidrittelmehrheit benötigt, zustimmt. Wenn das ein Angebot war, freuen wir uns darüber. Aber unabhängig davon werden Sie im Herbst noch die Gesetzgebungskompetenz im Bundestag haben. Sie werden eine Erbschaftsteuerreform beschließen. Die Frage ist, mit welchen Inhalten. Vielleicht können Sie über den Baustein, den wir Ihnen diesbezüglich heute vorschlagen, noch einmal nachdenken. ({4}) Am Wochenende ist der Christopher Street Day in Berlin, und viele weitere in der Republik werden folgen. Überall werden die Vertreter der Regierung und der Koalition heucheln, wie sehr sie die Anliegen der Schwulen und Lesben unterstützen. Doch die Wahrheit sehen wir heute, insbesondere vonseiten der Union. Es wurde schon viel über die ungleiche Verteilung der Pflichten und Rechte gesagt. Am ungerechtesten - deshalb bringen wir das heute hier auf den Tisch - ist die Situation im Erbschaftsteuerrecht. Das Erbrecht - Pflichtteil und gesetzliche Erbfolge - ist gleich. Bei der Erbschaftsteuer hingegen bekommen Ehegatten gegenüber eingetragenen Lebenspartnern den 59-fachen Freibetrag. Selbst wenn Sie der Meinung sind, es müsse einen Unterschied geben, muss dieser aber nicht 59-fach sein. Das ist ungerecht. Noch dreister: Der Staat kassiert weniger Erbschaftsteuer, wenn ich etwas von meiner Tante erbe, als wenn ich etwas von meinem eingetragenen Lebenspartner erbe, mit dem ich mein Leben verbracht habe. Wenn ich meinen Lebenspartner bis zum Tode gepflegt habe, werde ich bei der Erbschaftsteuer wie ein Fremder behandelt. Der Kollege Beck hat ausgeführt, was das bedeutet. Es ist eine ganz existenzielle Frage für die Menschen: Können sie beispielsweise in der Wohnung, die sie gemeinsam angeschafft haben, wohnen bleiben? Wenn wir ein Recht haben, das dazu führt, dass jemand nach dem Tod seines Lebenspartners aus der Wohnung herausmuss, nachdem das Paar über Jahrzehnte zusammengelebt hat und der eine den anderen in guten und in schlechten Tagen begleitet hat, dann ist das unanständig. Eine Partei, die sich dem Anstand verpflichtet fühlt, sollte das erkennen. ({5}) Auch in der Hinterbliebenenversorgung kommt es zu absurden Situationen. Wenn der verstorbene Lebenspartner Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung war, dann gibt es eine Hinterbliebenenrente. Wenn er aber Bundesbeamter war, dann gibt es nichts. Jetzt könnte man denken, das habe wieder die Union oder der Bundesrat beschlossen; aber nein, es war der SPD-Innenminister Otto Schily, der in der letzten Wahlperiode eine Angleichung dieses Rechts verhindert hat. Deshalb muss sich auch die SPD fragen, was sie in der letzten Wahlperiode gemacht hat. ({6}) Es gibt immer noch kein gemeinsames Adoptionsrecht. Sie können zwar sagen, eine Adoption von Kindern durch schwule oder lesbische Paare schade dem Kindeswohl. Aber ich würde Ihnen, Frau Raab, einmal empfehlen: Schauen Sie in die einschlägigen erziehungswissenschaftlichen Studien. Sehen Sie sich die Evaluierung der Programme an, die es seit vielen Jahren ermöglichen, dass schwule und lesbische Paare hier in Berlin Pflegeeltern sein können. Sie werden feststellen: Das hat den Kindern nie geschadet.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kauch, ich bin ja bekanntermaßen nicht der engste Freund von Otto Schily gewesen. ({0}) - Das halte auch ich eher für ein Kompliment. - Aber Ehre, wem Ehre gebührt. In diesem Fall gebührt ihm diese Ehre nicht. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das in den Jahren 2000 und 2001 geplante Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz, das auch im Bundesrat beraten wurde, diese rechtlichen Folgen beinhaltete und es leider die mit von der FDP regierten Länder waren, die dieses Gesetz gemeinsam mit CDU- bzw. CSU-regierten Ländern verhindert haben? ({1}) Dies gilt übrigens auch für das sozial-liberal regierte Rheinland-Pfalz. Dies hat also nicht an der SPD gelegen, sondern eher an konservativen Kräften in Ihrer Partei. Ich finde, man sollte auch in solch einer Debatte der Wahrheit die Ehre geben. Volker Beck ({2}) ({3})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Künast, Sie können zetern, wie Sie wollen; aber wir werden die historischen Fakten schon auf den Tisch legen. Die Situation ist inzwischen eine andere. Es gibt das Verfassungsgerichtsurteil, das Sie angeführt haben. ({0}) - Ich beantworte gerade Ihre Frage, Herr Beck. ({1}) - Herr Pronold, möchten Sie vielleicht zuhören? ({2}) Sie haben die entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angeführt. Seitdem ist die Rechtslage klar. 2001 war sie noch nicht klar. Die FDP hat sich immer für die eingetragene Lebenspartnerschaft ausgesprochen. Wir haben uns zu dieser Zeit angesichts der damals unklaren Verfassungslage nur mit der Ausgestaltung auseinandergesetzt. Im Jahr 2004 - das hat die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger bereits gesagt hat die FDP dem Überarbeitungsgesetz nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat zugestimmt. Damals war es in der Tat die SPD, die an dieser Stelle keine Gleichstellung vorgesehen hat. Jetzt komme ich zurück zur Union. Sie sollten sich einmal die einschlägigen Studien anschauen. Vielleicht kommen Sie dann zu dem Ergebnis, dass das, was dort niedergelegt ist, nicht völliger wissenschaftlicher Unsinn ist. Ich frage Sie: Ist es dem Kindeswohl denn tatsächlich zuträglicher, Frau Raab, wenn Kinder im Heim aufwachsen und nicht in einer stabilen Zweierbeziehung, in der sie ein behütetes Heim und Menschen haben, die sich um sie kümmern? Frau Raab, so wie Sie hier argumentieren, geht es doch nur um Ihre verstaubte Ideologie und nicht um das Wohl der Kinder. ({3}) Wir Liberale werden uns mit der Untätigkeit dieser Regierung nicht zufriedengeben. Sie können unsere Anträge im Rechtsausschuss monatlich vertagen, wie Sie das bisher tun, weil Sie keine Entscheidung herbeiführen wollen. Jetzt ist ein weiterer Ausschuss mit unserem Gesetzentwurf befasst. Sie haben neue Chancen. Ich würde mich freuen, wenn sich die Kräfte in der Union, die liberaler sind, in dieser Debatte einmal zu Wort melden würden. Aus unserer Sicht ist es jetzt zunächst einmal an der Zeit, zu praktischen Verbesserungen zu kommen. Deshalb haben wir die Erbschaftsteuer, die das größte Unrecht darstellt, in den Mittelpunkt gestellt. Es ist eine Frage des Anstands von Politik, den Menschen, die Verantwortung füreinander übernehmen, auch die Fairness zu gewähren, die sie verdienen. Unbeschadet des jetzigen Gesetzentwurfes gilt für uns Liberale: Wer gleiche Pflichten hat, muss auch gleiche Rechte haben. Das ist und bleibt unser Ziel bei den Steuern, beim Beamtenrecht und beim Adoptionsrecht. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold für die SPD-Fraktion.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauch, ich glaube, Sie haben gezeigt, worum es in dieser Debatte geht. Es geht darum, die Taten der Länder, in denen man mitregiert, vergessen zu machen, indem man einen Schaufensterantrag einbringt. Es ist eine Inszenierung! Sie haben kein Interesse daran, wirklich etwas voranzubringen. Die FDP hätte nämlich schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu beitragen können, dass das, was der Bundestag zur Zeit von Rot-Grün beschlossen hat, nicht im Bundesrat blockiert wird; schließlich hat sie in einigen Ländern mitregiert. Wenn das, was wir damals vorgelegt haben, heute Gesetz wäre, müssten wir diese Debatte nicht führen; dann wären wir schon weiter. ({0}) Sie sollten hier nicht so scheinheilig tun, wenn Sie das, wofür Sie die Verantwortung tragen, in den Mantel des Schweigens hüllen und nichts dafür tun, dass es besser wird. Vor uns liegt die Reform des Erbschaftsteuerrechts. Da sind erst einmal die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen. Wir werden vermutlich eine ganze Menge machen; eine Kommission ist schon eingesetzt worden. Die SPD will die Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften und Ehen auch im Erbschaftsteuerrecht implementieren. Das haben wir unter Rot-Grün schon versucht, sind damals aber im Bundesrat gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht schreibt in dem Urteil ganz eindeutig - das ist vorhin schon vorgetragen worden -, dass es keinen Grund gibt, die Lebenspartnerschaften nicht genauso zu behandeln wie die Ehe. Das ist keine Schlechterstellung der Ehe. Frau Raab hat gesagt, man dürfe all das nicht zulassen, was die Ehe schädigt. Das klingt zwar schön, aber wenn ich mir die Medienberichterstattung anschaue, klingt das nur lustig. Das soll wahrscheinlich nicht nur für die Gesetzgebung gelten, sondern auch für andere Verhaltensweisen. ({1}) Mir ist wichtig, dass wir zu einer tatsächlichen Gleichbehandlung kommen. Das ist möglich. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass das möglich ist. Seitens der Grünen und der Linkspartei wird uns vorgeschlagen, den Koalitionsvertrag einfach nicht zu berücksichtigen und „richtig“ abzustimmen; dann werde alles gut. Wir hatten aber schon einmal eine Mehrheit im Bundestag, sind damals aber an den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat gescheitert. Es ist also nicht damit getan, im Bundestag für Mehrheiten zu sorgen. Ich gehe davon aus, dass es gelingen wird, weil es in dem vor uns liegenden Prozess so sein wird, wie es bei anderen Themen war, zum Beispiel beim Antidiskriminierungsgesetz - jetzt: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - oder bei der Schulpolitik. Ich schaue einmal nach Bayern: Bis vor wenigen Jahren galten Ganztagsschulen dort als Teufelszeug, und jetzt werden Lobreden darauf gehalten, wenn man eine neue eröffnet. Ich glaube, dass das auch bei der Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften und Ehe so sein wird. Wir werden die Dinge Schritt für Schritt so voranbringen, dass wir nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat eine Mehrheit für die dringend notwendige Gleichstellung haben. Herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Union reden in dieser Debatte nicht nur Abgeordnete aus dem Süden der Republik. Ich komme aus dem schönsten Bundesland Deutschlands, und das heißt Schleswig-Holstein. ({0}) In dieser Debatte geht es wieder einmal um die Frage einer weiteren Annäherung der Rechte der eingetragenen Partnerschaften an die der Ehe. Uns liegen drei unterschiedliche Anträge vor. Die Freien Demokraten wollen bei der anstehenden Erbschaftsteuerrefom einen Schritt in diese Richtung machen. Sie wollen auf diesem Gebiet eine Gleichbehandlung herbeiführen. Die Grünen wollen mit ihrem Antrag im Grunde in allen Bereichen die Gleichbehandlung herstellen. Wenn man den Antrag der Linken genau liest, dann stellt man fest, dass es den Linken darum geht - so heißt es in ihrem Antrag -, „die Privilegierung der Ehe“ ein Stück weit abzubauen. Die gehen also noch einen deutlichen Schritt weiter. Deshalb sage ich gleich zu Beginn dieser Debatte: Wie auch immer Sie die Entwicklung in der Bevölkerung einschätzen, die Ehe ist nach wie vor die häufigste Lebensgemeinschaft. Ich bin sicher: Das wird auch so bleiben. ({1}) Davon müssen wir bei allen unseren Überlegungen ausgehen. ({2}) Ausgangspunkt für die Debatte ist das Gesetz aus dem Jahre 2001, das die eingetragenen Gemeinschaften ermöglicht hat. Wir haben es damals gemeinsam mit den Freien Demokraten abgelehnt. Die rot-grüne Regierung hatte das Gesetz vorgelegt und verabschiedet. Inzwischen hat es in Richtung Annäherung manche Entscheidung durch den Gesetzgeber, aber auch durch höchste Gerichte gegeben. Auch wenn wir diese Entwicklung abgelehnt haben und das in der Debatte immer deutlich zum Ausdruck gebracht haben, ist selbstverständlich auch für uns bindend und wird von uns toleriert, was per Gesetz beschlossen wurde oder vom Verfassungsgericht kommt. Wenn wir uns einmal die Frage stellen, wie weit wir heute bei der Annäherung sind, kann ich der Justizministerin nur zustimmen: Wir sind schon erheblich weit, um das einmal klar zu sagen. Es gibt heute im Wesentlichen in drei Bereichen noch Unterschiede: zum einen im Adoptionsrecht, zum anderen im Beamtenrecht und zu einem erheblichen Umfang im Steuerrecht. Das sind zentrale Bereiche. Wenn wir uns die Rechtslage ansehen - ich bin kein Jurist; ich habe also klaren Menschenverstand -, ({3}) dann sage ich sehr deutlich: Das ist nicht so sehr ein juristisches Problem. ({4}) Ich begründe dies wie folgt. Das Verfassungsgericht gibt uns weitere Möglichkeiten. Das ist für mich unbestritten. Hier gibt es einen politischen Entscheidungsraum. Die Kernfrage ist: Wie weit wollen wir diesen Entscheidungsraum nutzen? Es handelt sich also um eine politische Entscheidung. Das Verfassungsgericht steht uns dabei nicht im Wege, um das klar zu sagen. ({5}) Jetzt müssen wir uns natürlich mit folgender Frage auseinandersetzen: Was ist aus der eingetragenen Lebensgemeinschaft geworden? Es gibt für Deutschland keine verbindlichen Zahlen, wenn ich das richtig sehe. Aber wir können von einer Größenordnung von etwa 10 000 eingetragenen Lebensgemeinschaften ausgehen. Für Berlin wird die Zahl 4 000 veröffentlicht. Für SchlesOtto Bernhardt wig-Holstein liegt die Zahl 170 vor. Also: 10 000 in Deutschland. Wenn wir uns einmal den Kreis der Potenziellen ansehen, die für eine solche Gemeinschaft infrage kommen, dann werden Sie mir zustimmen: Diese 10 000 sind nur ein ganz kleiner Teil, den wir jetzt enorm privilegieren. Dazu können Sie sagen: Jeder kann ja diese Form wählen. ({6}) Wir müssen uns aber die Frage stellen: Gehen wir mit dieser Gemeinschaft, die so wenig genutzt wird, vielleicht an den Empfindungen und an dem, was die Betroffenen wirklich wollen, ein Stück vorbei? ({7}) Wir müssen uns auch immer die Frage stellen: Wie weit ist der gesellschaftliche Kontext in Deutschland? Meine Wahrnehmung ist, dass wir hier im Bundestag schon viel weiter sind als das Empfinden der Bevölkerung. Ich glaube, vielen in der Bevölkerung sind wir schon viel zu weit gegangen, als wir uns sogar in den Grenzbereich Adoption gewagt haben. Das ist mein Eindruck. Ich sage an die FDP: Wenn wir jetzt bei der Erbschaftsteuer die Gleichheit einführten - ich vermute, mit dem Verfassungsgericht bekommen wir dabei keine Probleme -, dann wäre das die erste Öffnung im Steuerrecht. Als Nächstes müsste dann auch das Ehegattensplitting erweitert werden. Dazu sagen Sie: Prima! Okay! ({8}) Ich sage aber: Wir müssen uns genau überlegen, ob wir das wollen. ({9}) Entspricht das dem Diskussionsstand in der Bevölkerung? Ich nehme ihn anders wahr, um das klar zu sagen. Ich meine also: Wer die Tür öffnet, muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Meine Vorredner von der Union haben schon gesagt: Wir sind den bisherigen Weg nicht mit großer Begeisterung gegangen. Wir akzeptieren allerdings, was vereinbart wurde. In den Koalitionsverhandlungen ist über dieses Thema diskutiert worden. Wenn Sie sich den Koalitionsvertrag ansehen, stellen Sie fest: Darin steht zu diesem Thema nichts. Wir sind uns in dieser Frage nämlich nicht einig geworden. Das heißt, im Koalitionsvertrag wird kein Rahmen vorgegeben, um sich in dieser Frage weiter zu bewegen. Ich bin mir allerdings darüber im Klaren, dass die Meinungsbildung und die Diskussionen in der Bevölkerung und in den Parteien fortgesetzt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der FDP ist als einziger sehr aktuell. Wir werden über dieses Thema zu einem späteren Zeitpunkt erneut ernsthaft diskutieren müssen, weil wir noch in diesem Jahr eine Reform des Erbschaftsteuerrechts verabschieden wollen. Nur, ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür in der Union eine Mehrheit gibt; das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich. Wir haben diese Diskussion noch nicht abgeschlossen. Aber ich sage schon jetzt: Ich glaube, die meisten Kollegen aus meiner Fraktion nehmen in ihren Wahlkreisen wahr, dass wir die bestehenden Möglichkeiten schon in erheblichem Umfang ausgeschöpft haben. ({10}) Meiner Einschätzung nach sind sie nicht bereit, noch weiter zu gehen. Ich sage erneut: Unter rechtlichen Gesichtspunkten könnten wir wahrscheinlich weiter gehen; das ist aber nicht das Problem. Es geht um die Frage, ob wir das wollen und ob wir das für richtig halten. Meine Damen und Herren, allen drei Fraktionen, die entweder einen Antrag oder einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, kann ich nur sagen: Wir werden uns an einer konstruktiven Diskussion natürlich beteiligen. Aber unsere Bereitschaft, auf diesem Weg weiter zu gehen, hält sich in engen Grenzen, weil wir nach wie vor davon überzeugt sind - ich wiederhole das -, dass die Ehe die vorherrschende Form des Zusammenlebens ist und dass sie vom Grundgesetz besonders geschützt wird. Dies ist ein Grundsatz unserer politischen Arbeit, zu dem wir auch in Zukunft stehen werden. Herzlichen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Bernhardt, ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass Sie als möglicherweise letzter Redner der Unionsfraktion in dieser Debatte für die CDU das Wort ergriffen haben. Ich finde, Sie haben sehr ehrlich argumentiert. ({0}) Das ist wohltuend. Denn bisher haben die Redner Ihrer Fraktion gesagt: Wir können nicht anders, weil uns das Bundesverfassungsgericht nicht mehr erlaubt. ({1}) Sie haben gerade gesagt: Sie wollen nicht anders, weil das Ihrer Meinung nach nicht den Empfindungen weiter Teile der Bevölkerung entspricht. Das ist schon ein ganz bemerkenswerter Fortschritt. Wenn wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass wir auch vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts mehr machen könnten, wenn wir dies wollten, dann ist das der erste wichtige Fortschritt in dieser Debatte. Wir können nämlich mehr tun. Ich möchte einen Aspekt aufgreifen, der unter anderem vom Kollegen Beck bereits angesprochen worden ist - auch ich habe in diesem Hause bereits mehrfach zu diesem Thema gesprochen -: die Rechtsentwicklung. Der Unterschied der heutigen Debatte zu früheren Debatten ist, dass mittlerweile rechtliche Klarheit besteht. Darauf wollte ich auch Sie, Herr Kollege, hinweisen. Als die Regelung im Jahre 2001 getroffen wurde, gab es sehr unterschiedliche Einschätzungen, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden und ob diese Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde. Auch ich hatte damals übrigens juristische Zweifel, dass die Standesamtslösung beim Bundesverfassungsgericht durchgeht. Jetzt ist die Lage eine andere. Mittlerweile liegt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor. Nun kann man nicht mehr ernsthaft behaupten, man würde die Ehe „abschaffen“, indem man die Diskriminierung von Menschen, die in anderen, nämlich nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben und sich für die eingetragene Partnerschaft entscheiden, aufhebt. Das ist für mich eine politische Frage. Sie sagen: Die Empfindungen der Bevölkerung lassen nicht mehr zu. Ich möchte Ihnen meinen persönlichen Eindruck, der ein anderer ist, schildern: Ich glaube, dass es die allermeisten Menschen in Deutschland nicht als Werteverlust empfinden, wenn zwei Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, sondern als einen ganz klaren Wertegewinn. Die Bevölkerung weiß: Gerade in einer Gesellschaft, in der die Vereinzelung zunimmt, ist es gut, wenn sich Menschen zueinander bekennen und in guten wie in schlechten Zeiten Verantwortung füreinander übernehmen. Daher bin ich der Überzeugung, dass die Mehrheit, die es in dieser Frage in diesem Hause gibt, die Mehrheit in der Bevölkerung widerspiegelt. An die Bürgerinnen und Bürger, die Sorge haben, die sagen: „Das geht uns zu weit!“, sollten wir aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger uns wenden und ihnen sagen: Die Ehe, die Familie steht unter dem besonderen Schutz des Staates, und niemand will das ändern. Aber es ist nicht schlecht, wenn gleichzeitig andere, in unserer modernen Zeit neu entstandene Lebensgemeinschaften den Respekt des Staates bekommen, den auch sie verdie-nen - weil Menschen ganz persönlich füreinander Verantwortung übernehmen. Ich glaube, die Hinwendung des Menschen zum Menschen entspricht auch Ihrem Menschenbild. Wir sollten dann am gesellschaftlichen Fortschritt arbeiten und nicht meinen, da sei nicht mehr drin! ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Beitrag von Herrn Kauch war klar, warum wir uns heute zu so prominenter Zeit und mehr als 90 Minuten lang diesem Thema widmen. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, es geht Ihnen nicht um die Sache, sondern darum, dass am Wochenende Christopher-Street-Day-Veranstaltungen stattfinden und dass sich die FDP mit großen Plakaten als Kämpfer für die Rechte der Lesben und Schwulen darstellen will. Solche Schaufensteranträge werden wir hier nicht durchgehen lassen, Herr Kauch. ({0}) Ihre Vorwürfe an uns Sozialdemokraten lasse ich mir nicht gefallen. Ich war nämlich bei dem Gesetzgebungsverfahren in der 14. und der 15. Legislaturperiode dabei und habe mitbekommen, wie Sie - der Kollege Westerwelle hat es angesprochen - hier im Bundestag gegen dieses Gesetz gestimmt haben und wie Sie dafür gesorgt haben, dass auch im Bundesrat dagegen gestimmt wurde; wie Sie sich an einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt haben. All das, was in diesen Anträgen steht - mit Ausnahme der Volladop-tion -, wäre längst Realität, wäre längst Gesetzeslage, wenn Sie es damals nicht verhindert hätten. Das stand nämlich im ursprünglichen Gesamtentwurf alles drin. Wir haben es dann aufsplitten müssen, weil es auch an der FDP gescheitert ist. Ich finde, das muss deutlich gesagt werden. ({1}) Wenn jetzt der Kollege Westerwelle sagt: „Wir wollten erst einmal schauen, ob das mit dem Bundesverfassungsgericht klappt, ob das verfassungsgemäß ist“, muss ich sagen: Ein bisschen mehr Mut in der Politik darf es schon sein! Man kann doch nicht jedes Mal abwarten, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt. ({2}) Wir sind doch dafür da, Entwicklungen aufzunehmen und politisch zu gestalten; wir sind nicht dafür da, lediglich das nachzuvollziehen, was uns die Richter aus Karlsruhe vorgeben. Da haben wir ein anderes Politikverständnis und hatten es auch schon damals. Vielleicht sind wir schon damals näher an den Leuten dran gewesen als Sie. Ich finde, das muss einmal gesagt werden, damit hier nicht der Eindruck entsteht, die FDP sei schon immer dafür gewesen und würde das Ganze unterstützen. Nein, Sie sind aufgesprungen, als Rot-Grün den Weg bereitet hat. Ein weiterer Punkt, Herr Kauch: Wenn Sie heute tatsächlich mit Leib und Seele dabei sind und dieses Anliegen unterstützen wollen, dann frage ich mich, wieso beispielsweise in einem Land wie Baden-Württemberg, wo die FDP immerhin mit in der Regierung sitzt, Menschen, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen wollen, heute noch zum Landratsamt oder zur Stadtverwaltung gehen müssen und nicht, wie in anderen Ländern, zum Standesamt. Da könnten Sie doch einmal Ihren Einfluss geltend machen! Spielen Sie das doch einmal den Kollegen zu, damit die da, wo sie es können, all das, was Sie hier fordern, entsprechend umsetzen! ({3}) Des Weiteren muss ich sagen, ich bin heute sehr überrascht über den Verlauf der Debatte in Bezug auf die Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der CSU. Da waren wir aber schon deutlich weiter; das ist auch angesprochen worden. Die Kolleginnen, die ansonsten zu diesem Thema reden und die entsprechenden Berichterstatterinnen sind, sind heute nicht einmal anwesend. Ich kann mir gut vorstellen, warum: weil sie sich für die Einstellung, die zumindest bei den ersten beiden Debattenbeiträgen zum Ausdruck gekommen ist, wahrscheinlich schämen. ({4}) Frau Granold hat in den beiden Reden zu dieser Debatte, die sie in den letzten Jahren gehalten hat, klargemacht, dass sehr wohl etwas zu machen ist, dass man die Hinweise aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Steuerrecht, in Bezug auf Beamtenrecht aufgreifen will. Bei der Adoption ist das etwas anderes; ich glaube, da braucht es tatsächlich noch eine umfassende Diskussion. Wir waren, wie gesagt, viel weiter. Deswegen bin ich verwundert und frage mich: Wohin geht die Reise bei der Union? Werden sich die konservativen Kräfte durchsetzen, wie sie es beim Unterhaltsrecht versucht haben? Ich weiß nicht, wie da die Mehrheitsverhältnisse sind. Ich kann nur sagen: Halten Sie sich an das, was Sie in mehreren Beiträgen versprochen haben daran werden Sie gemessen! Diese Debatte haben wir mittlerweile im Halbjahresrhythmus; aber das ist gut: Von der Wiederholung lernt man. Das hat man auch bei Ihnen von der FDP gesehen: Irgendwann hat es Früchte getragen. Vielleicht klappt es ja auch bei der Union. Deswegen kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie uns wirklich noch einmal sachlich darüber sprechen, wie die Lebenssituation dieser Menschen aussieht. Es gibt eine Ungleichbehandlung. Es kann nicht sein, dass man akzeptiert, dass Menschen Pflichten füreinander übernehmen und über Jahre hinweg bereit sind, das zu tun, ihnen aber entsprechende Rechte versagt. Ich finde, diese Ungleichbehandlung liegt so offensichtlich auf der Hand, dass man nicht einfach mit dem Hinweis darüber hinweggehen kann, dass die Ehe doch etwas anderes ist. Natürlich ist die Ehe etwas anderes. Das soll sie auch bleiben. Kein Mensch will das ändern. Wir wollen aber nicht, dass Menschen, die Verantwortung füreinander übernommen und das durch eine eingetragene Lebenspartnerschaft zum Ausdruck gebracht haben, weiterhin ihrer Rechte beraubt werden. Diese Rechte stehen ihnen zu. Zumindest für die Sozialdemokraten kann ich sagen: Wir werden weiter an diesem Thema arbeiten, weil wir wollen, dass es hier zu einer Gleichbehandlung und gerechten Behandlung kommt; denn nur darum geht es. Es geht um keine Privilegierung, es geht um keine Abschaffung und es geht um keine Einschränkung der Ehe. Es geht nur darum, dass Menschen, die Verantwortung füreinander übernommen haben, diese Rechte zugestanden bekommen. Deswegen werden wir hier weiter bohren. Das wird kein einfacher Weg. Das sind wir gewohnt. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Vielleicht kommen wir am Ende doch zu einem guten Ergebnis. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Komischerweise hat sich heute in dieser Debatte sehr viel auch um die FDP gedreht. Ich habe mich gefragt, woran das eigentlich liegen könnte. Das liegt natürlich zum einen daran, dass Sie Ihre Meinung im Laufe der gesamten Entwicklung mehrfach geändert haben. Zum anderen hängt das auch damit zusammen, dass wir immer wieder versuchen, die FDP ernst zu nehmen. ({0}) Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Angenommen, wir nehmen die FDP ernst und schaffen die Erbschaftsteuer ab. Dann brauchen wir auch kein Erbschaftsteuerrecht mehr. Dieses Recht würde es dann nicht mehr geben. Wenn wir die FDP weiter ernst nehmen, dann würden wir die Kompetenz hinsichtlich dieses Rechts, das es dann nicht mehr gibt, in die Länder verweisen. Gleichzeitig würden wir ungerechte Freibetragsregelungen anpassen. Das wäre natürlich ein Problem. Wir könnten auch zuerst die Freibetragsregelungen ändern, dann die Kompetenz in die Länder geben und anschließend das Gesetz abschaffen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte erst zu Ende vortragen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Heißt das, dass Sie grundsätzlich keine Zwischenfrage zulassen?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, aber ich glaube, es ist immer gut, wenn man Widersprüchlichkeiten aufzeigt. Ich wollte vermeiden, Lothar Binding ({0}) dass die Widersprüchlichkeiten dadurch konterkariert werden, dass man die Darlegung der logischen Folge dieser in sich widersprüchlichen Konsequenzen stört. Wir könnten ja auch sagen, dass wir die Kompetenz erst in die Länder geben und dann das Recht auf Bundesebene abschaffen, um hinterher den Vorschlag zu machen, uns die Freibetragsregelungen anzuschauen. Genau daran erkennt man, dass Herr Fahrenschon mit seinem schönen Eselbeispiel sehr recht hat und dass wir deshalb nicht auf diese Fährte kommen sollten. Das würde nämlich genau zu dem führen, was Sie heute auch wieder reklamieren: Sie wollen die angebliche Untätigkeit der Regierung überwinden, geben sich damit aber nicht zufrieden. Ich glaube, man merkt sehr schön, dass man nicht gleichzeitig Beschleuniger und Bremser sein kann. Das zeigt auch eine gewisse Unehrlichkeit. Umso wichtiger war es Herrn Westerwelle wahrscheinlich, in dieser Debatte das Wort Ehrlichkeit zu benutzen. ({1}) In den Anträgen der Opposition geht es um zwei fachliche Schwerpunkte: Erstens geht es um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 2002 hinsichtlich der erbschaftsteuerlichen Unterschiede zwischen Ehepartnern und Lebenspartnern, zweitens geht es um die Beschlussfassung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 hinsichtlich der Bewertungsunterschiede unterschiedlicher Vermögensarten. Ich glaube, dass das auch die beiden Dinge sind, die wir angehen müssen. Daraus ergibt sich auch etwas hinsichtlich der Arbeitsfolgen. Im ersten Schritt hat man nämlich zunächst die Bewertungsgesetze zu ändern, um überhaupt herauszufinden, worauf man eine Erbschaftsteuer erhebt; denn dort gibt es heute fundamentale Probleme hinsichtlich der Fragen, was ein Betriebsvermögen ist, was ein Grundvermögen ist und wie es bewertet wird und wie man land- und forstwirtschaftliches Vermögen definiert. Beim Kapitalvermögen ist es etwas einfacher, weil das heute schon anhand des Verkehrswertes ermittelt wird. Erst im zweiten Schritt, nachdem also diese Bewertungsfragen geklärt wurden, lohnt es sich, über die Anpassung des Erbschaftsteuerrechts in allen anderen Fällen nachzudenken. Erst in dieser Phase lohnt es sich auch, Spezialfälle, wie die Freibeträge bei eingetragenen Lebenspartnerschaften, zu regeln. Ich glaube, dass es auch klug ist, so vorzugehen. Apropos Beschleunigen des Regierungshandelns: Heute ist tatsächlich ein guter Tag; denn heute tagt im Bundesrat der Finanzausschuss. Im Anschluss daran tagt die Finanzministerkonferenz der Länder. Gerade heute wird die Arbeitsgruppe der 16 Länder, die sich mit diesen Bewertungsfragen befasst, der FMK ihre ersten Vorschläge zu einer soliden erbschaftsteuerlichen Regelung der Bemessungsgrundlage vorlegen. Ich glaube, dass heute ein guter Tag ist, um dieses Thema zu diskutieren. Aber man sollte sich auf diesen Schwerpunkt beschränken, statt beliebig alles mit einzubeziehen, was einem dazu einfällt. Wie wir wissen, führt die weitgehende Übernahme der Steuerbilanzwerte bei der Bewertung von Betriebsvermögen systematisch an einer korrekten Lösung vorbei. ({2}) Wenn wir im Gesetzentwurf eine systematische Fehlbewertung zugrunde legen, dann widerspricht das einer vernünftigen Steuergesetzgebung. Differenzen zwischen dem Verkehrswert eines Wirtschaftsguts und seinem niedrigeren Buchwert müssen gesetzlich abgebildet und aufgefangen werden. Ähnlich komplex stellt sich die Rechtslage bei bebauten Grundstücken dar. Denn das Ertragswertverfahren, das wir mit einem Einheitsvervielfältiger versehen, führt ebenfalls systematisch zu ungerechten Bewertungszusammenhängen. Auch das muss überwunden werden. Wenn wir unser Ziel quasi systematisch verfehlen, dann wird deutlich, wie komplex die Aufgabe ist, die wir den Ländern übertragen haben. Noch komplizierter wird es bei Erbbaurechten und mit Erbbaurechten belasteten Grundstücken. Denn der Grundbesitz wird auch hier mit einem konstanten Faktor von 18,6 bewertet. ({3}) Auch damit wird das Ziel systematisch verfehlt. Die Regelung führt an einer gerechten Besteuerung vorbei. Auf die unbebauten Grundstücke will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Sie wundern sich und regen sich auf, aber Sie müssen Verständnis dafür haben, dass ich als Finanzpolitiker rede und mich deshalb mit der Erbschaftsteuer befasse. Unsere Rechtspolitiker haben die anderen Sachverhalte bereits hinreichend beleuchtet. ({4}) Ich konzentriere mich im Regelfall auf die Themen, in denen ich mich etwas auskenne. Ich glaube, es ist auch klug, dazu Stellung zu nehmen. ({5}) Noch komplizierter verhält es sich bei den Anteilen an Kapitalgesellschaften, bei denen es die zu schätzenden, nicht börsennotierten Anteile zu beachten gilt. Auch dabei reicht gegenwärtig die Rechtsgrundlage nicht aus. Deshalb glaube ich, dass wir gut beraten sind, uns mit diesen Themen auseinanderzusetzen und uns mit den Vorschlägen der Arbeitsgruppe zur Schaffung der gesetzlichen und strukturellen Voraussetzungen für eine kluge zukünftige Erbschaftsteuerregelung zu befassen. Ich glaube, dann können wir alle weiteren Probleme in diesem Kontext lösen. Schönen Dank. Lothar Binding ({6}) ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Michael Kauch.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, da Sie leider keine Zwischenfrage zugelassen haben, möchte ich Ihnen - weil Sie die FDP ernst nehmen, wie Sie gesagt haben ({0}) auf diesem Wege mitteilen, welche Beschlüsse wir auf dem Bundesparteitag gefasst haben. Wir haben erstens beschlossen, dass wir die Gesetzgebungskompetenz für die Erbschaftsteuer auf die Länder übertragen wollen. Dazu ist eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Parlaments notwendig. Zweitens ist ein Änderungsantrag abgelehnt worden, in dem die Abschaffung der Erbschaftsteuer gefordert wurde. Drittens wird die FDP-Bundestagsfraktion in Anbetracht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die für eine Reform der Erbschaftsteuer genutzt werden soll, eigene Vorschläge zur Erbschaftsteuerreform vorlegen. Dazu gehören viele Punkte. Sie haben schon einige angesprochen. Dazu gehört aber auch das Thema, über das wir heute schon gesprochen haben. - So viel zur Klarstellung, was die FDP möchte. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, wollen Sie etwas erwidern?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich verzichte.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dann schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen16/2087, 16/3423 und 16/5184 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos- sen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 d sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 c auf: 33 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/5551 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Deutsches Mobilfunk Forschungsprogramm fortsetzen - Drucksache 16/4762 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Überregulierung in der Sport- und Freizeitschifffahrt verhindern - Drucksache 16/5269 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Tourismus d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bodo Ramelow, Ulla Jelpke, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Überwachung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz beenden - Drucksache 16/5455 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss ZP2a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation - Drucksache 16/5723 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarren10744 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt berger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verfahrensrechte in Strafverfahren in der Europäischen Union - Drucksache 16/5606 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Kerstin Andreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses - Drucksache 16/5751 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist auch das so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 34 a bis o auf. Dabei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 34 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes - Drucksache 16/5338 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({7}) - Drucksache 16/5739 Berichterstattung: Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp Dr. Marlies Volkmer Dr. Kirsten Tackmann Ulrike Höfken Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5739, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5338 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf auch in der dritten Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ablösung des Abfallverbringungsgesetzes und zur Änderung weiterer Rechtsvorschriften - Drucksachen 16/5384, 16/5614 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) - Drucksache 16/5767Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Gerd Bollmann Horst Meierhofer Sylvia Kotting-Uhl Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5767, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/5384 und 16/5614 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 34 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften ({9}) ({10}) vom 23. Mai 2005 - Drucksache 16/5387 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({11}) - Drucksache 16/5651 Berichterstattung: Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5651, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5387 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung angenommen. Tagesordnungspunkt 34 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Freihafens Bremen - Drucksache 16/5580 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({12}) - Drucksache 16/5750 Berichterstattung: Abgeordneter Ortwin Runde Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5750, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5580 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 34 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Horst Friedrich ({14}), Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schienenanbindung des Jade-Weser-Ports sicherstellen - Drucksachen 16/2091, 16/3670 Berichterstattung: Abgeordneter Enak Ferlemann Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3670, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2091 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkte 34 f bis 34 o: Das sind die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 34 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 232 zu Petitionen - Drucksache 16/5637 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 232 ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 34 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 233 zu Petitionen - Drucksache 16/5638 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 233 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 34 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 234 zu Petitionen - Drucksache 16/5639 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 234 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 34 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 235 zu Petitionen - Drucksache 16/5640 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 235 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 j: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 236 zu Petitionen - Drucksache 16/5641 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 236 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 237 zu Petitionen - Drucksache 16/5642 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 237 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 238 zu Petitionen - Drucksache 16/5643 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 238 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 34 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 239 zu Petitionen - Drucksache 16/5644 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 239 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 240 zu Petitionen - Drucksache 16/5645 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 240 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 241 zu Petitionen - Drucksache 16/5646 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 241 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Damit kommen wir zum Zusatzpunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zu den wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen von Bundeswirtschaftsminister Glos Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion das Wort. ({25})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeswirtschaftsminister hat mit seinem Papier „Goldener Schnitt 2012“ die Zeichen der Zeit im Kern richtig erkannt. ({0}) Die derzeitige gute wirtschaftliche Entwicklung erfordert es, dass wir steuerliche Entlastungen und Haushaltssanierungen vornehmen. Man muss es nur schneller machen. Haushaltssanierung und steuerliche Entlastung - Stichwort Steuerreform - sind zwei Seiten einer Medaille. Jetzt müssen auch die Arbeitnehmer und die Selbstständigen durch eine einfache, gerechte und niedrigere Steuer eine Entlastung erfahren. Sie dürfen nicht mit einer Fata Morgana jenseits der nächsten Bundestagswahl vertröstet werden. Jetzt muss man entsprechende Maßnahmen anpacken, weil die wirtschaftliche Entwicklung dies jetzt hergibt. ({1}) Unser Goldener Schnitt ist, die eine Hälfte der Steuermehreinnahmen zur Steuersenkung und die andere Hälfte zur Haushaltssanierung zu verwenden, und zwar jetzt und nicht in ferner Zukunft. Herr Glos hat recht: Die Sozialabgaben müssen reduziert werden. Aber die Große Koalition macht das Gegenteil. Sie müsste zur Entlastung bei den Lohnnebenkosten die sozialen Sicherungssysteme intelligenter, zukunftsfähiger und effizienter organisieren. Aber genau das tut sie nicht; sie erhöht nur die Beiträge. Man kann daher nur mahnend feststellen: Die Regierung schafft es noch nicht einmal bei guter Konjunktur, eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten in nennenswertem Umfang auf den Weg zu bringen. Äußerste Vorsicht ist bei dem geboten, was Herr Glos fordert, nämlich ein Programm für zusätzliche Ausgaben, quasi ein Investitionsprogramm. Wir haben kein Ausgabenproblem; wir haben ein Strukturproblem auf der Ausgabenseite. Die Schwerpunkte sind falsch gesetzt. Die Investitionen wurden zu wenig vorangebracht; man geht nicht an die Subventionen und an den Konsumsektor heran. Deshalb muss es auf der Ausgabenseite eine Umstrukturierung geben. Man sollte aber nicht an eine Steigerung der Ausgaben denken. Hier liegt der Bundeswirtschaftsminister falsch. ({2}) Aber immerhin hat Minister Glos eine Zielmarke gesetzt. Es ist eine Art Selbstverpflichtung, die er öffentlich kundgetan hat. Daran wird man ihn noch messen müssen. Bloße Ankündigungen helfen nicht weiter. Es bedarf der konkreten Umsetzung. Man darf nicht bei Handlungsanweisungen stehen bleiben, die erst in 30 Jahren gelten. Jetzt muss angepackt werden. Herr Glos spricht in seinem Papier davon, dass ein Tugendkreislauf eingeleitet werden soll. Für Tugend kann es nie zu früh sein. Er soll ruhig schon einmal anfangen, in Tugend die Strukturen zu verändern, damit es gibt, was wir brauchen, nämlich ein auf Dauer höheres Wachstum und eine wirtschaftliche Dynamik, die langfristig angelegt ist und unser Land voranbringt. Herr Glos will mit seinem Konzept dem Kabinett eine Art Keuschheitsgürtel gegen falsche politische Empfängnis anlegen. Seine Kollegen verweigern sich aber offenbar. Man hört, dass die Kanzlerin dagegen ist. Die SPD betrachtet das Papier als Provokation, und die CDU/CSU ist damit beschäftigt, ihre angebliche Verhinderung des Mindestlohns zu feiern, obwohl sie ihn durch die Hintertür einführt. Sie sollten sich mit den Kernüberlegungen von Herrn Glos, die - ich wiederhole es - richtig sind, beschäftigen. Es muss aber mehr sein als eine Medieninszenierung. ({3}) Es muss eine Umsetzung erfolgen - und zwar jetzt -, sonst wird aus seinem goldenen Schnitt schnell eine goldene Ananas. Die Überlegungen sind also richtig. Die Regierung weigert sich aber, wirtschaftspolitischen Sachverstand walten zu lassen. ({4}) Das ist leider so. Deshalb muss der Wirtschaftsminister auf den Tisch hauen. Franken gelten als mutige Menschen. Ich wünsche ihm den Mut, nicht nur Papiere in die Öffentlichkeit zu bringen, sondern sie auch umzusetzen. Gemessen werden Sie an den Taten. ({5}) Auch für Christdemokraten gilt: Diejenigen, die das nicht schaffen, erreichen das Himmelsreich nicht. ({6}) Herr Andres, Sie verstehen es anscheinend nicht; es ist immer das Gleiche. Sie sollten einmal nachlesen, was Ihr Kollege Glos geschrieben hat. Das ist im Kern richtig. Er muss es nun umsetzen. Wenn Sie ihn dabei unterstützten, würden Sie etwas Vernünftiges tun. ({7}) Dann hätte ich großen Respekt vor Ihnen. Aber ich fürchte, Sie weigern sich wie immer, das Richtige zu tun. Ich gebe die Hoffnung nicht auf: Irgendwann beugen auch Sie sich der Wahrheit. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brüderle, ich kann nachempfinden, dass das für Sie verdammt schwierig ist: Da kommt etwas auf den Tisch, was Sie eigentlich ganz gut finden, und dann sollen Sie immer noch daran herumkritisieren. Es ist klar, dass Ihnen das schwerfällt. Sie sprachen vorhin von der goldenen Ananas. Ich habe den Eindruck, Sie haben vorhin extra in eine Zitrone gebissen, damit Sie überhaupt so ein Gesicht hingekriegt haben. ({0}) Worum geht es eigentlich wirklich bei dem, was hier vorliegt? Ich finde, es ist gut, dass wir uns vor dem Hintergrund der Vorschläge von Michael Glos einmal grundsätzlich und, wie ich hoffe, nicht nur heute, sondern über längere Zeit mit der Frage beschäftigen: Wie können wir das, was wir angefangen haben, was Teil der Koalitionsvereinbarung und Teil der Genshagener Beschlüsse ist, verstetigen und dafür Sorge tragen, dass die Entwicklung, die sich im Wachstum der Volkswirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt und bei den öffentlichen Finanzen zeigt, fortsetzt und nicht eine konjunkturell bedingte Episode bleibt? Herr Brüderle, ich bitte Sie, an der Stelle ganz ernsthaft nachzudenken; das meine ich keinesfalls polemisch. Wir müssen darüber nachdenken, wann zusätzliche Maßnahmen greifen müssen. Für welche Zeitpunkte müssen wir Überlegungen anstellen? Genau darum geht es. Wir haben jetzt eine gute wirtschaftliche Entwicklung. In Genshagen ist übrigens beschlossen worden, mit öffentlichen Investitionsprogrammen Forschung und Entwicklung zu fördern. Darauf möchte ich Sie aufmerksam machen. An anderer Stelle begrüßen Sie das, und hier kritisieren Sie es. Sie haben das Papier von Michael Glos doch sicher gelesen; das unterstelle ich zumindest. ({1}) Laurenz Meyer ({2}) Darin schlägt er eine Ausgabensteigerung von 0,1 Prozent vor. Wenn wir 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für den Bereich Forschung und Entwicklung ausgeben wollen, dann ist das nur möglich, wenn wir ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum und steigende Steuereinnahmen verzeichnen können. Darauf ist die Aussage ausdrücklich bezogen. Wenn die Einnahmen steigen, dann können auch die Ausgaben steigen, wenn wir nicht unglaubwürdig werden wollen. Es ist übrigens eine Riesenaufgabe für unsere Haushälter hier im Bundestag, daran mitzuwirken und diese Erwartungen zu erfüllen. Wir sind sehr dafür, dass die entsprechenden Vorgaben eingehalten werden. ({3}) Michael Glos schlägt vor, den Prozess zu verstetigen. Wir müssen zusätzliche Entlastungen bei den Beiträgen zur Sozialversicherung erreichen. Wir haben immer den Zusammenhang zwischen sinkender Arbeitslosigkeit, mehr Beschäftigung, Mehreinnahmen in den sozialen Sicherungssystemen und Steuermehreinnahmen betont. Es zeigt sich, dass der Vorrang für Arbeit, den wir immer wieder gepredigt haben und der immer wieder von verschiedenen Leuten infrage gestellt wurde, der entscheidende Faktor schlechthin ist. Die beste Sozialpolitik besteht darin, die Menschen in Arbeit zu bringen, und die beste Finanzpolitik ist das darüber hinaus auch noch. Das gilt es zu beachten. ({4}) Wir sollten über eines grundsätzlich in diesem Haus über die Parteigrenzen hinweg weiter diskutieren. Michael Glos sagt, dass wir in den Jahren ab 2010 Steuersenkungen vornehmen und den Menschen zurückgeben müssen, was ihnen insbesondere durch die Inflation genommen wird. Ich bin im Prinzip dafür, dass man eine Anpassungsklausel in unser Steuerrecht einführt. ({5}) - Ich bin dafür, dass wir über eine Indexierung reden, ({6}) weil in unserem System inflationsbedingt dauerhafte Steuererhöhungen angelegt sind. Das ist eine Sache, die wir nicht für gut halten können, wenn wir den Leuten nicht ständig mehr Steuern abverlangen wollen. Das ist völlig klar. Ich glaube, dass wir in diesem Parlament über einen Punkt einmal grundsätzlich reden sollten, nämlich über die richtige Reihenfolge. Ich persönlich bin dafür, dass wir zunächst darüber sprechen, die versicherungsfremden Leistungen nicht mehr über die Sozialversicherungssysteme, sondern über Steuern zu finanzieren. ({7}) - Natürlich. Diese Frage wird im dem Glos-Papier implizit behandelt. Es ist die Rede davon, dass man die Sozialabgaben senken will. ({8}) Ich glaube, dass das die richtige Reihenfolge wäre. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den Beiträgen zu den sozialen Sicherungssystemen und dem Wirtschaftswachstum. Wir sind auf dem richtigen Weg: Wachstum, mehr Beschäftigung, mehr öffentliche Ausgaben in den Bereichen Forschung und Entwicklung - dort werden die Weichen für die Zukunft gestellt - und weitere Reformen. Dadurch haben wir einen Prozess in Gang gesetzt, den wir über diese Wahlperiode hinaus verstetigen müssen, wenn wir für unsere Bevölkerung das Beste erreichen wollen. Das hat Michael Glos vorgetragen, nicht mehr und nicht weniger. Das ist aus meiner Sicht völlig unstrittig. Wir sollten uns alle mit den Einzelheiten beschäftigen, wenn wir uns für die Menschen dieses Landes einsetzen. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Dr. Herbert Schui für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebhaber politischer Lyrik kommen bei Minister Glos’ Papier „Goldener Schnitt 2012“ auf ihre Kosten. Bis 2012 wollen Sie mit einem imaginären Koalitionspartner einen „Tugendzirkel“ in Gang setzen; Staat und Wirtschaft befänden sich schon jetzt in einem „Tugendkreislauf“. Denken wir dagegen ganz traditionell weiter in Wirtschafts- und nicht in Tugendkreisläufen, dann kommen wir zu folgenden Schlüssen: Die Konjunkturzyklen in Deutschland haben eine Länge von sieben bis zehn Jahren. Der letzte Zyklus von 1993 bis 2003 war außergewöhnlich lang. Was wird geschehen, wenn der nächste Tiefpunkt schon 2010 eintritt, der Abschwung also bereits im Herbst 2008 einsetzt? Loslegen wollen Sie im kommenden Jahr mit einer Verringerung des Staatsanteils am Bruttoinlandsprodukt. Welche tugendsame Koalition soll das beschließen? Die Staatsausgaben für die Infrastruktur, also die öffentlichen Investitionen, und für die Berufsausbildung sollen trotz der Senkung dieses Anteils steigen. Folglich müssen die Ausgaben für den öffentlichen Dienst und für Soziales allgemein erheblich gekürzt werden. „Entlastungen, z. B. im Bereich der sozialen Vorsorge“ sind in Ihrem Papier „Goldener Schnitt 2012“ ausdrücklich vorgesehen. Es stellt sich die Frage, ob das familien- und kinderpolitische Programm von Frau von der Leyen ungeschoren bleibt. Ein Investitionsprogramm legen Sie bei dieser Gelegenheit allerdings nicht vor. Sie planen vielmehr eine in jeder Beziehung unsoziale Haushaltskonsolidierung. ({0}) Sie wird die Armen ärmer machen und die Hilfsbedürftigen noch weniger versorgen. Diese Methode der Haushaltskonsolidierung wird das Wirtschaftswachstum abbremsen - das ist der entscheidende Punkt -; denn wenn Sie die Staatsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt absenken, dann fehlt es an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Damit arbeitet Ihre Politik darauf hin, dass der Konjunkturabschwung tatsächlich schon nach sieben Jahren einsetzt, also im Herbst 2008. Die Arbeitslosigkeit nimmt dann wieder zu. Wollen Sie in dieser Lage tatsächlich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung absenken? ({1}) Schließlich sind mehr Arbeitslose zu versorgen. Werden Sie dann das Arbeitslosengeld absenken? Ich traue Ihnen das zu. ({2}) Die Frage ist nur, ob Ihr Koalitionspartner das mitmacht, weil er sich an schlechte Umfrageergebnisse vielleicht bereits restlos gewöhnt hat, weil ihn also im Grunde genommen nichts mehr erschüttern kann. Im Jahr 2009 wollen Sie die Sozialabgaben um 1,75 Prozentpunkte senken. Das bedeutet: Wer im Monat brutto 3 500 Euro verdient, der hat dann monatlich netto rund 30 Euro mehr. Wird er aber arbeitslos oder geht er in Rente, dann hat er weniger, weil die Sozialkassen eben kein Geld haben. ({3}) - Ich habe von „eindreiviertel Prozent“ gelesen. Aber kleiden Sie das bitte in eine Frage, damit mir die Redezeit nicht flöten geht! ({4}) Wer aber Unternehmer ist und 100 Leute beschäftigt, spart jeden Monat 3 000 Euro Sozialabgaben. Ihre Rechnung ist jetzt, dass die Beschäftigten sich für 30 Euro im Monat dafür einsetzen, dass ein Unternehmer mit 100 Leuten eine Entlastung von 3 000 Euro im Monat erfährt. - Ich hoffe sehr, dass sich da niemand einseifen lässt. Überhaupt - letzter Punkt - haben Sie eine wirklich merkwürdige Theorie. Sie schreiben: Günstige Steuern schaffen Arbeitsanreize - gerade für die Fach- und Führungskräfte und die mittelständische Wirtschaft, die im Kern die wirtschaftliche Dynamik mitverantworten. Damit behaupten Sie, Fach- und Führungskräfte sowie die mittelständischen Unternehmer hätten bei geringem Einkommen weniger Anreiz, zu arbeiten. Und umgekehrt: Viele Leute verdienen 3 Euro in der Stunde oder - allgemein gesagt - viel weniger als den von uns, von der Linken, geforderten gesetzlichen Mindestlohn. Da behaupten Sie offenbar, dass ein geringer Lohn den Arbeitsanreiz nicht senkt; sonst würden Sie den gesetzlichen Mindestlohn ja befürworten. Weiter: Wenn wegen Hartz IV vor allem die vormaligen Bezieher von Arbeitslosenhilfe auf halbe Rationen gesetzt werden, dann nennen Sie das „Anreizverbesserungen am Arbeitsmarkt“. Damit behaupten Sie: Die Arbeitsbereitschaft der einen Gruppe nimmt bei höherem Einkommen offenbar zu, die Arbeitsbereitschaft der anderen nimmt bei höherem Einkommen ab.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin sofort am Schluss. - Worin sehen Sie den Grund für diesen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden Gruppen? Welche sozialwissenschaftliche Theorie haben Sie dafür? ({0}) Ich bin sicher: Wenn Sie bei den Geistes- und Sozialwissenschaften weiter kürzen, dann werden Sie erreichen, dass nur noch Ihre Theorie vorkommt. Danke. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Rainer Wend für die SPD-Fraktion.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Schauerte, ich weiß nicht, ob Sie oder Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon den Mut hatten, dem Bundeswirtschaftsminister die öffentlichen Reaktionen auf sein Papier vorzulegen. ({0}) Vielleicht beginnen wir mit den positiven Äußerungen. Positiv haben sich die FDP und namentlich der Kollege Brüderle geäußert. Herr Brüderle hat heute noch einmal gesagt: Das Papier ist in den Kernüberlegungen richtig; das bewegt sich in eine vernünftige Richtung. ({1}) Parallel dazu hat Die Linke durch Gesine Lötzsch erklärt: Glos nimmt Kurs auf Die Linke. ({2}) Es ist richtig, dass der Wirtschaftsminister ein Investitionsprogramm fordert. Die Bundesrepublik ist im internationalen Vergleich im Rückstand damit. Der Bundesminister übernimmt damit eine alte Forderung der Linken. - Oder: Es ist gut, dass der Wirtschaftsminister vor allem die unteren Einkommensgruppen entlasten will. Auch das ist eine alte Forderung der Linken. ({3}) Herr Staatssekretär, ich glaube, der Bundeswirtschaftsminister muss sich Gedanken machen, wenn ein Papier gleichzeitig von der FDP und von der Linkspartei gelobt wird. Dafür kann es nur zwei Erklärungen geben. Die eine Erklärung ist: Eine der beiden Fraktionen hat es verpasst, die inhaltliche Tiefe dieses Papiers richtig zu erfassen. ({4}) Die andere Erklärung ist: Das Papier enthält so viele Pirouetten, dass es für viele politische Meinungsträger in diesem Saal möglich ist, es zu unterstützen. - Ich will einmal offenlassen, welche Erklärung zutrifft. ({5}) So viel zu den Befürwortern. Jetzt zu den Gegnern. Ich habe gelesen, gestern Abend habe Merkel in der Koalitionsrunde unmissverständlich klargemacht, was sie von Glos’ Wachstumskonzept halte: Nichts. - Das ist, finde ich, unfair, Herr Staatssekretär. Dem, der von Tugendzirkel spricht, der vom Goldenen Schnitt spricht, kann man doch nicht sagen, dass man von einem solchen Papier gar nichts hält. Deshalb würde ich dem Bundeswirtschaftsminister gerne ein bisschen entgegenkommen, nachdem ich drei ideologische Punkte aufgegriffen habe, die ich nicht teile. Erster Punkt. Der Bundeswirtschaftsminister erklärt, die Erfolge, die wir gegenwärtig bei der Wirtschaftspolitik zu verzeichnen haben, seien ausschließlich auf angebotspolitische Maßnahmen zurückzuführen. Das überrascht mich. Wir haben damals in den Koalitionsverhandlungen - ich war ja dabei - auf Drängen von SPD und CSU ein 25-Milliarden-Euro-Programm für Investitionen in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen, unter anderem für Häusersanierung, was im Handwerk viele Arbeitsplätze geschaffen hat. Das als eine angebotspolitische Maßnahme zu bezeichnen, wäre ja wohl gänzlich absurd. Das ist ein klassisches Beispiel für eine nachfragepolitische Maßnahme. ({6}) Wenn wir uns von ideologischer Argumentation wegbewegen, stellen wir fest: Die Erfolge, die wir zurzeit zu verzeichnen haben, resultieren, soweit sie überhaupt auf politische Maßnahmen zurückzuführen sind, aus einer Kombination von Angebots- und Nachfragepolitik. Dabei sollten wir bleiben und nicht wieder alte ideologische Gräben ausheben. ({7}) Zweiter Punkt: Staatsquote. Der Bundeswirtschaftsminister fordert wieder einmal, wir müssten die Staatsquote weiter reduzieren. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir im Vergleich aller EU-Länder inzwischen an fünftletzter Stelle bei der Staatsquote liegen, also bereits Erfolge im Sinne des Wirtschaftsministers erzielt haben. Es stellt sich aber die Frage, ob es wirklich einen automatischen Zusammenhang zwischen der Höhe der Staatsquote und der Höhe des Wirtschaftswachstums gibt. So gibt es durchaus Länder mit einer hohen Staatsquote und einem hohen Wirtschaftswachstum wie auch Länder mit niedriger Staatsquote und niedrigem Wirtschaftswachstum. Die Höhe der Staatsquote zu einem erstrangigen Faktor bei der Wirtschaftspolitik zu machen, halten wir Sozialdemokraten nach wie vor für verfehlt. Dritter Punkt: Steuern und Abgaben. Ja, wer wünscht sich nicht niedrigere? Senkungen werden sicherheitshalber erst für die nächste Legislaturperiode angekündigt. Aber hier ist doch eine Schwerpunktsetzung gefragt, meine Damen und Herren: Was wollen wir in erster Linie? Wir Sozialdemokraten wollen in erster Linie zwei Dinge: Das Erste ist Haushaltskonsolidierung. Was für ein Erfolg der Großen Koalition wäre es, wenn wir am Ende dieser Legislaturperiode sagen könnten, wir müssen keinen einzigen Euro für neue Schulden mehr aufnehmen; unser Staatshaushalt ist ausgeglichen. Das wäre ein großer wirtschaftspolitischer Erfolg, der bei uns hohen Vorrang genießt. ({8}) Das Zweite ist die Stärkung von Zukunftsinvestitionen. Hier greift, wie ich finde, Herr Glos etwas Richtiges auf. Wir stehen in der EU an drittletzter Stelle in Bezug auf die Ausgaben für Bildung im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt und an vorletzter Stelle in Bezug auf die Investitionen. Deswegen sagen wir: Lasst uns, bevor wir den Bürgerinnen und Bürgern für die nächste Legislaturperiode wieder viel versprechen, erst einmal den Haushalt konsolidieren und die Gelder, die uns dann noch als Spielraum bleiben, für Zukunftsinvestitionen ausgeben. Das ist eine vernünftige Politik. Wenn der Bundeswirtschaftsminister das vorher mit uns besprochen hätte, hätten wir ihm das auch erklärt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Kerstin Andreae, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wend, Sie haben gesagt, der Bundeswirtschaftsminister müsse sich Gedanken machen, wenn sowohl die FDP als auch Die Linke sein Konzept loben. Ich glaube eher, der Bundeswirtschaftsminister muss sich Gedanken machen, wenn der Koalitionspartner in einer derartigen Art und Weise, unter anderem mit den Worten „gänzlich absurd“, einen Vorschlag aus dem Wirtschaftsministerium kommentiert und beurteilt. ({0}) Das lässt wirklich tief blicken, was den Zustand der Großen Koalition angeht. Ich befürchte, dass da noch einiges auf uns zukommt. ({1}) Tatsächlich finden auch wir es erstaunlich, was aus dem Hause Glos kommt. Wenn man die letzten anderthalb Jahre überblickt, erstaunt man noch mehr über die Ankündigungen und Vorschläge, mit denen der Minister Glos immer wieder losgezogen ist, die er aber letztlich nicht durchsetzen konnte. Was, bitte, ist in den letzten anderthalb Jahren tatsächlich aus dem Wirtschaftsministerium gekommen und wurde umgesetzt? Es wurde der Vorschlag gemacht, die Einkommensteuer zu senken; tatsächlich ist die Mehrwertsteuer erhöht worden. Es wurde klar gesagt, das Wirtschaftsministerium stehe zur Abschaffung des Briefmonopols; es steht nicht dazu. Es wurde versucht, sich gegen Tiefensee beim Börsengang der Bahn zu stellen. Das funktionierte nicht. Es wurde die Mittelstandslücke bei der Unternehmensteuerreform angesprochen. Wir haben sie genau so umgesetzt. Im Bereich der Abgeltungsteuer sind Änderungen vorgeschlagen worden. Sie sind nicht durchgesetzt worden. Wir müssen konstatieren, dass die Vorschläge aus dem Wirtschaftministerium - manche sind gut, manche sind nicht gut - nicht durchsetzungsfähig sind, dass die Koalition dem Wirtschaftsminister Glos keine Rückendeckung gibt. ({2}) Einige Punkte aus dem Programm unterstützen wir ja. Es ist richtig, die Defizite abzubauen. Aber fangen Sie beim Bundeshaushalt an. Unter den jetzigen Bedingungen könnten Sie den Bundeshaushalt bis zum Jahr 2009 ausgleichen. Aber was erleben wir? - Wir erleben den absurden Zusammenhang von Ankündigung, Anspruch und Wirklichkeit. Jedes Ressort des Kabinetts hat tolle Vorschläge für weitere Ausgaben. Fangen Sie beim Bundeshaushalt an. Den können Sie bis 2009 ausgleichen. Das wäre ein realistisches Ziel. Die gesamtstaatliche Betrachtung ist richtig, aber der Bundeshaushalt ist der eigentliche Defizittreiber. Fangen Sie hier an. ({3}) Der zweite Punkt, den Sie in dem Konzept vorschlagen, bezieht sich auf die Belastung durch Steuern und Abgaben. Die Mehrwertsteuer habe ich bereits angesprochen. Es ist immer gut, zu sagen, man wolle die Steuern senken. Das kommt gut an und freut die Leute. De facto haben Sie mit der Mehrwertsteuererhöhung eine der größten Steuererhöhungen auf den Weg gebracht. Sie kündigen immer wieder Steuersenkungen an und machen das Gegenteil. Sie kündigen Abgabensenkungen an und machen das Gegenteil. Ich bin nicht der Meinung, dass im Augenblick die Zeit für Steuersenkungen ist. Verstehen Sie mich da nicht falsch. Dieser Meinung bin ich nicht. ({4}) Ich will nur darauf hinweisen, dass auf der einen Seite angekündigt und auf der anderen Seite etwas ganz anderes gemacht wird. Wir glauben, Konsolidierung und Investitionen sind der richtige Weg. Deswegen möchte ich auf diesen dritten Punkt zu sprechen kommen: Sie sagen, Sie wollen den Anteil öffentlicher Investitionen erhöhen, und wollen Prioritäten setzen. Das ist ein bisschen verschwiemelt, das heißt, Sie wollen nicht nur in Beton, sondern auch in Bildung und berufliche Förderung investieren. Wir erkennen immer wieder, dass Sie sehr viel mehr in den Bereich des Straßenbaus und der Infrastruktur investieren, anstatt wirklich in Bildung und Forschung zu investieren. Dies fänden wir richtig. Investieren Sie in Bildung und Forschung. Hier sind wir weit hinten dran. Hier müssen wir die Prioritäten setzen. Wir müssen unseren Standort als Wissensökonomie ausbauen. Das ist unser Kapital, unsere Ressource. Mit Blick auf den Fachkräftemangel, der auf uns zukommt, ist es ganz wichtig, dass wir in Bildung und Forschung investieren. Die 70 Milliarden Euro, die Sie in dem Programm ansprechen, sind eine Luftbuchung, das sind ungedeckte Schecks. Ich finde es sehr erstaunlich, dass Sie bis zum Jahre 2012 eine Wachstumsrate von 3 Prozent anlegen. Das lässt zunächst einmal jegliche ökonomische, konjunkturelle Grundvoraussetzung außer Acht. Über diesen langen Zeitraum können Sie überhaupt nicht kalkulieren, was die Wachstumsrate angeht. Das funktioniert nicht. Wenn wir als Rot-Grün das gemacht hätten, wenn wir es gewagt hätten, über einen solchen Zeitraum in dieser Größenordnung Wachstumsraten anzusetzen, dann hätte ich Ihre Rede hören wollen. ({5}) Ich habe bereits erwähnt, dass Sie keine Rückendeckung haben. Wir haben gerade vom Kollegen Wend geschildert bekommen, dass die SPD nicht dahintersteht. Gleichlautende Meldungen gab es ja heute auch von der Kanzlerin und vom Finanzministerium. Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der - das verblüfft mich - immer wieder fehlt: Wenn man heute Wirtschaftspolitik bespricht, sich Gedanken darüber macht, wie die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes vonstatten gehen soll, dann muss man zwingend die Ökologie mit berücksichtigen. Mich erstaunt es immer wieder, dass Sie ein Programm bis zum Jahr 2012 auflegen, eine Perspektive aufzeigen, sich aber keine Gedanken darüber machen, was es eigentlich heißt, jährlich ein dreiprozentiges Wachstum zugrunde zu legen. Was ist der Preis, der für dieses Wachstum gezahlt wird? Wie kommen wir hin zu einem ressourcenschonenden Wirtschaften? Wie kommen wir hin zu einer vom Wachstum unabhängigeren Wirtschaft, damit wir nicht in die Knie gehen, wenn es einmal nicht so gut läuft? Wie schaffen wir es, von endlichen Ressourcen unabhängiger zu werden? Wie bekommen wir die Energiewende hin? Wir sagen: Eine gesunde ökonomische Entwicklung schaffen Sie nur mit einer gesunden ökologischen Entwicklung. Jedes Wirtschaftsprogramm, das heute geschrieben wird, muss die Ökologie mit berücksichtigen, denn sonst greift es zu kurz und sonst nehmen Sie die wichtigen notwendigen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht mehr an. Deswegen können wir, was dieses Programm aus dem Hause Glos angeht, nur sagen: Es ist eine Ankündigung, es ist nicht seriös gerechnet, und vor allem lässt es den entscheidenden Punkt der Ökologie außer Acht. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Andreae, Sie wollten hier darstellen, dass es keine Rückendeckung für Michael Glos gibt. Falscher kann man die Situation eigentlich nicht einschätzen, als Sie das gemacht haben. ({0}) Deutschland ist Gipfelstürmer beim wirtschaftlichen Wachstum, und Michel Glos ist der Bergführer des Aufschwungs; das muss man hier festhalten. ({1}) Damit nicht genug: Mit dem Programm, das er vorgelegt hat - konsolidieren, investieren und die Bürger entlasten -, ist für alle deutlich geworden - das zeigen auch die Reaktionen der Menschen vor Ort -, dass Michel Glos der wirtschaftliche und finanzpolitische Vordenker dieser Bundesregierung ist. Auch das muss man festhalten. Lieber Kollege Wend, ich muss hier auch auf Sie eingehen. Wir sind ja zurzeit in einer gemeinsamen Koalition. ({2}) Der Kollege Poß hat in den Medien verkünden lassen, dass es sich hier unter Umständen um eine „Provokation des sozialdemokratischen Regierungspartners“ handeln könnte. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie sich jetzt schon von guten Ideen provozieren lassen, dann wird es in den nächsten Wochen vielleicht noch schwer für Sie, denn Sie müssen mit weiteren guten Ideen aus der Union rechnen. Aber wir werden damit zurechtkommen. Ihr Kollege hat auch gesagt: „warme Worte, falsche Versprechungen und ungedeckte Schecks“. Ich bin heute gnädig mit Ihnen, weil wir in einer gemeinsamen Koalition sind. Aber wer sieben Jahre Rot-Grün erlebt hat, weiß, was ungedeckte Schecks, warme Worte und falsche Versprechungen sind. ({3}) Herr Brüderle, der Grund für eine Aktuelle Stunde über dieses Thema erschließt sich mir auch nach Ihrer Rede ehrlich gesagt noch nicht ganz. Sie haben den Wirtschaftsminister mehr gelobt als kritisiert. Vielleicht war es ein kleiner Versuch einer Bewerbungsrede als Parlamentarischer Staatssekretär bei Minister Glos; ({4}) aber ich bin mir nicht ganz sicher. In früheren Aussagen bezüglich unserer Politik, gerade nach Genshagen, haben Sie deutlich gemacht, dass wir die Konjunktur abwürgen und das kleine Pflänzchen Wachstum niedertreten würden und dass sich bei unserem Wirtschaftsprogramm nichts mehr entwickeln würde. Die Geschichte hat gezeigt, dass Sie da vollkommen falsch gelegen haben. Das Investitionsprogramm der Bundesregierung, die Mittelstandsförderung und auch die Reduzierung der Lohnnebenkosten ({5}) sind für den Aufschwung, den die Menschen in Deutschland heute erleben, zum großen Teil verantwortlich. Das ist das, was Wirtschaftsminister Glos in der Bundesregierung durchgesetzt hat. ({6}) Auf dieser Basis will der Wirtschaftsminister weiterarbeiten. Konsolidieren, investieren und entlasten ({7}) heißt natürlich auch, die Probleme in der jetzigen Zeit zu lösen, statt sie auf die Zukunft und die nächste Generation zu verschieben. Das ist ein entscheidender Punkt, den man sich merken muss. Die Menschen haben früher immer gern gesagt: Ich will, dass es meinen Kindern einmal besser geht. - Der Leitgedanke des Papiers von Michel Glos ist, dass wir die bestehenden Probleme heute angehen und lösen, statt sie auf die Zukunft zu verschieben. Es ist notwendig, sie in der Gegenwart zu lösen, damit wir eine bessere Zukunft für die Generation unserer Kinder erwirtschaften können. Dafür stehen die Vorschläge von Michel Glos: öffentliche Verschuldung abbauen, Steuern und Abgaben dauerhaft senken und öffentliche Investitionen erhöhen. Ich kann nicht verstehen, wenn Kolleginnen und Kollegen sagen, das sei aber beim aktuellen Regierungshandeln nicht festzustellen. Wir sind dabei, die Verschuldung abzubauen; das ist hier deutlich dargestellt worden. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen. Das hat Michel Glos eingefordert. ({8}) Wir sind dabei, die Lohnnebenkosten zu senken. Wir haben dies bei der Arbeitslosenversicherung bewiesen. Wir haben sehr deutlich klargemacht, welche Wirkungen das auf das Wirtschaftswachstum und auf die Beschäftigung hat. Diesen Weg wollen wir weiter beschreiten. In allen Beschlüssen, die zurzeit getroffen werden, steht deutlich: Öffentliche Investitionen werden erhöht. - Auch Michel Glos fordert das weiterhin ein. Deswegen ist sein Programm ein echtes Zukunftsprogramm. Deswegen ist es ein Programm, das über die jetzige Wahlperiode hinausreicht. Deswegen ist es ein Programm, das die Wählerinnen und Wähler bestätigen werden. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dobrindt, es wäre ja schön, wenn Herr Glos als Bergführer die Verschuldung abbauen würde. Nur, diese Regierung kann froh sein, wenn sie überhaupt die Neuverschuldung in den Griff bekommt; das ist doch der Punkt. Sie machen den Bürgern vor, Sie würden an die Verschuldung herangehen und sie nach unten drücken. In Wirklichkeit kämpfen Sie aber jeden Tag gegen die verschiedenen Ansprüche der Minister - diese sind übrigens Ihre eigenen - und müssen dafür sorgen, dass die Neuverschuldung, das, was neu aufgenommen wird, endlich auf null zurückgefahren wird. So stelle ich mir einen Bergführer nicht vor - und offensichtlich auch die gesamte Regierung nicht, wenn ich die Resonanz dazu so höre. ({0}) Wenn es ein Wort gibt, welches auf Herrn Glos besser zutrifft als die Bezeichnung „Bergführer“, dann ist es das Stichwort „Beständigkeit“. Er hat in den letzten Monaten - da stimme ich Ihnen, Frau Andreae, völlig zu - in dieser Koalition immer wieder als Brandbombenwerfer gewirkt. ({1}) - Das hat jetzt einen großen Erfolg bei Ihnen hervorgerufen - das freut mich -, führt aber nicht so richtig zum Ziel. - Diesmal ist es ein 70-Milliarden-Programm mit kräftigen Investitionsspritzen und einem eleganten Schwung von der qualitativen Haushaltssanierung, Herr Staatssekretär Diller, die Herr Steinbrück uns immer vorträgt, zur reinen Ausnutzung der derzeit guten Konjunktur und nichts anderes. Es geht hier nicht um einen qualitativen Schritt, den ich von einem Wirtschaftsminister erwarten würde, sondern darum, dass Sie etwas ausnutzen, was Ihnen sozusagen von selbst in die Kassen fließt. ({2}) Dass die Kanzlerin das für unvereinbar mit den Etatplänen für 2008 und der Finanzplanung bis 2011 hält, ist nun wirklich nicht verwunderlich. Unsere Priorität - das haben wir Liberale in den letzten Monaten immer wieder klargemacht - muss in der qualitativen Sanierung liegen. Gerade dann, wenn es uns gut geht, gerade dann, wenn die Konjunktur sprudelt, müssen wir dafür sorgen, dass der Haushalt endlich ins Reine kommt. Denn wann sonst wollen Sie dies tun? Das ist doch genau der Punkt. Der Glos’sche Tugendkreislauf - boomende Wirtschaft, steigende Steuereinnahmen, sinkende Schulden und damit wachsende Gestaltungsspielräume - entbehrt vor diesem Hintergrund, in der derzeitigen Konstellation, jeglicher Realität. ({3}) Haushalt sanieren, Lohn- und Einkommensteuer senken und oben drauf mehr investieren, das ist in dieser politischen Konstellation nicht machbar. Das wäre übrigens auch mit uns nicht machbar, lieber Herr Schauerte. Ich kann Herrn Müntefering eigentlich nur zustimmen, der in diesem Zusammenhang von einem sehr theoretischen Impuls gesprochen hat. Ich bin einmal gespannt, wie er das in den nächsten Koalitionsgesprächen umsetzt. 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben, hat Herr Glos vorgeschlagen. Bei dieser Konjunktur sind das bis 2010 75 Milliarden Euro; denn wir haben ja eine nach oben gehende Konjunktur. Vor ein paar Jahren waren es noch deutlich weniger. Das ist haushalterisch - das muss man an dieser Stelle sagen absolut illusorisch und hat mit dem schönen Goldenen Schnitt absolut nichts zu tun. Herr Steinbrück, auf den ich mich an dieser Stelle beziehen möchte, hat das sehr richtig als kein aktuelles Regierungshandeln bezeichnet. ({4}) Wenn Sie denn schon etwas Gutes tun wollen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dann bleiben Sie doch bei seinen ursprünglichen Vorschlägen. Er hat ja einmal ganz gut angefangen: erst den Haushalt sanieren und dann die Bürger entlasten; das hat auch Rainer Brüderle eben vorgetragen. Jetzt macht er einen schönen Sprung, greift den Bürgern in die Tasche und meint, er müsse ihnen noch etwas schenken. Lassen Sie den Leuten doch das Geld! Dann boomt auch die Wirtschaft. Das war bisher eigentlich immer die Politik der CDU/CSU. ({5}) Es ist für mich etwas neu, dass wir an dieser Stelle von der SPD hören müssen, wie man solider mit Steuergeldern umgeht. Seit zehn Monaten leben wir übrigens mit der Umsetzung Ihres ersten Versuches - lassen Sie mich diesen kleinen Schlenker in diesem Zusammenhang noch machen -, Arbeitsplätze im wissensorientierten Bereich zu schaffen: mit der Hightechstrategie. Ich will an dieser Stelle die Antwort der Bundesbildungs- und -forschungsministerin zitieren, die auf unsere Frage, ob überhaupt schon ein Erfolg zu merken ist und ob die Arbeitsplätze, die mit solchen Investitionsprogrammen geschaffen werden sollen, schon bestehen, klipp und klar gesagt hat: Dies ist nicht messbar. Nun setzt Minister Glos ein Programm auf, das messbare Erfolge hervorbringen soll. Nein, so geht das nicht. Dieses Perspektivpapier, das mit der Kanzlerin Gott sei Dank nicht abgestimmt war, wird ein Flop werden; davon gehen wir aus. Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas sagen: Da ich schon etwas länger in der Politik bin, erinnere ich mich sehr gut an ein anderes Perspektivpapier, und zwar von jemandem aus unseren Reihen, von Graf Lambsdorff. Nun kann man zwar sagen, dass Michel Glos Meilen oder sogar Lichtjahre von Graf Lambsdorff entfernt ist; es ist aber wieder einmal so, dass an einer entscheidenden Stelle der deutschen Geschichte plötzlich ein Papier auf den Tisch gelegt wird und man davon ausgehen muss, dass es eine Bedeutung hat. Hier ist ein Signal gegeben worden. Seitdem dieses Papier auf dem Tisch liegt, können wir die Stunden dieser Koalition zählen. Darüber sind wir erfreut. Das einzig gute Signal ist: Deutschland braucht eine neue Bundesregierung. Ich denke, das Perspektivpapier war ein guter Schritt dahin. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, welche unterschiedlichen Stellungnahmen, Erklärungen, Interpretationsversuche und Deutungen vorgebracht und welche historischen Zusammenhänge hergestellt werden, wenn der Wirtschaftsminister einen Brief an die Abgeordneten schickt, in dem er ein Modell für eine in der gegenwärtigen Situation vernünftige Kombination aus Wirtschafts- und Finanzpolitik vorstellt. ({0}) Er schickt dieses Papier zu einem Zeitpunkt, wo wir seit 18 Monaten an der Regierung sind. Wir haben 1 Million Arbeitslose weniger, 1 Million Beschäftigte mehr als zu Beginn, die Zahl der offenen Stellen hat sich verdoppelt, die Zahl der Pleiten ist um ein Viertel zurückgegangen, ({1}) die Staatsquote ist von 47 auf 45 Prozent gesunken, die Nettoneuverschuldung ist kraftvoll zurückgeführt worden und das Staatsdefizit ist von 3,7 Prozent auf 1,7 Prozent gesenkt worden; all das nach 18 Monaten. ({2}) Erstmals ist ein Staatsdefizit von null möglich; es ist in greifbarer Nähe. Die Steuereinnahmen sprudeln kräftig, und zwar nicht, weil wir widersprüchlich gehandelt haben, Frau Andreae, sondern, weil wir vor der Wahl gesagt haben, dass wir die Mehrwertsteuer erhöhen. Diesen Mut hat noch keine Partei in einem Wahlkampf gehabt. Das hätte uns fast das Leben gekostet. Wir haben es getan, weil es notwendig und richtig war. ({3}) Der Bundesfinanzminister hat unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, den Haushalt zu konsolidieren und einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Davon gibt es überhaupt kein Abweichen. ({4}) Über diese Priorität brauchen wir nicht zu diskutieren. Es steht fest, dass die Konsolidierung der Staatsfinanzen höchste Priorität hat. Erstmals können wir einen Bundeshaushalt mit null Verschuldung erreichen. Einige Sachverständige sagen, das sei schon 2009 möglich, andere sagen, es sei 2010 möglich. Ich hoffe, dass es so früh wie möglich der Fall sein wird. Darüber sollten wir nicht groß diskutieren. Es ist klar, dass das Priorität hat. Jetzt komme ich zu der entscheidenden Veränderung, über die wir uns unterhalten müssen. Hohe Steuereinnahmen und volle Kassen der Sozialversicherungssysteme führen in diesem unserem Lande stets zu neuen Begehrlichkeiten. ({5}) Die Begehrlichkeiten wachsen schneller als die Einnahmen. ({6}) Dass diese Situation so schnell eintreten würde, haben wir zu Beginn unserer Regierungszeit nicht geglaubt. Der Turnaround kam schneller als angekündigt. Dass wir weitergekommen sind, als wir am Anfang gedacht haben, stellen Sie fest, wenn Sie sich unsere Planungen und Zusagen ansehen. Da ist es absolut legitim und geboten zu überlegen, mit welcher Strategie man ein Signal aussenden kann, damit die neuen Gestaltungsmöglichkeiten nicht zerfleddert werden, nicht in neue Programme umgegossen werden, sondern man hart an der Linie bleibt. Damit befasst sich dieses Modell in besonderem Maße; das sollte man bitte nicht verkennen. Es gibt einen zweiten Ansatz. Wir erklären ja im Zusammenhang mit diesem Modell, wie man mit der elenden, wachsenden Staatsverschuldung endlich einmal ins Reine kommen kann. Das ist eine Sorge, die viele Bürger umtreibt. Ich glaube, da müssen wir Vertrauen dahin gehend signalisieren, dass wir das beherrschen können. ({7}) Wenn Sie sich das Modell einmal anschauen, dann sehen Sie, dass es zu diesem Punkt eine klare und gute Botschaft gibt. Dort steht, dass es möglich ist, in einem überschaubaren Zeitraum von fünf oder sechs Jahren - je nachdem, welche Zahlen wir dem Modell zugrunde leParl. Staatssekretär Hartmut Schauerte gen - von einer Staatsverschuldung in Höhe von 67 Prozent auf etwa 60 Prozent zu kommen. Das wäre ein enorm wichtiges Signal. Wir müssen dies den Bürgern kommunizieren, damit das Vertrauen in die Stabilität unseres Gemeinwesens wieder wachsen kann. Das ist eine wichtige Voraussetzung für einen anhaltend guten konjunkturellen und wirtschaftlichen Verlauf. ({8}) Genau das will Michel Glos mit dem Papier erreichen. Wir wollen den Begehrlichkeiten nicht nachgeben. Wir wollen sagen: Wir müssen die Schuldenrückführung und die intelligenten Investitionen und Umschichtungen in den Haushalten konsequent gestalten. Da sind wir doch völlig einer Meinung. Man kann sich jetzt vielleicht über das Zustandekommen des Papiers ärgern. Hätte man es erst im Kabinett vorlegen sollen? Hätte es der Finanzminister schreiben sollen? Möglicherweise wäre dann aus dem Wirtschaftsressort Widerstand gekommen. Möglicherweise gibt es da ganz viele Elemente. Ich bin nur nicht gefragt worden. In der Sache sehe ich den Widerspruch, der hier zum Teil künstlich geschaffen wird, nicht. ({9}) Die Prioritäten heißen: erstens, weiter konsolidieren; zweitens mehr investieren - vor allem durch richtige Prioritätensetzungen in den Haushalten bei Bund und Ländern; das kann man auch strukturelle Konsolidierung nennen; die kommt immer wieder vor in unseren gemeinsamen Papieren - und drittens, Abgaben und Steuern senken. Dabei gibt es keinen Widerspruch. Wir werden einige Steuern umschichten, um Abgaben senken zu können. Die Diskussion darüber läuft ja zum Beispiel in der Gesundheitspolitik. Das ist unvermeidbar. Aber trotzdem: Wenn Gestaltungsräume da sind, wollen wir Aufgaben des Staates nicht aufblähen, sondern wir wollen sie zurückführen und die Mittel, die frei werden, den Bürgern zurückgeben, entweder in Form von Abgabensenkungen oder Steuersenkungen. Ich gebe Laurenz Meyer völlig recht: Für die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze in Deutschland hat die Abgabensenkung Vorrang vor der Steuersenkung. ({10}) Aber deswegen verzichte ich doch nicht einfach auf das Gestaltungselement Steuersenkung. ({11}) Auf welcher Ebene diskutieren wir hier eigentlich miteinander? Die Reihenfolge ist auch da klar. Das vorgelegte Modell beruht auf Wachstumsannahmen und Annahmen für die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung. Das sind keine neuen Zahlen; das sind die Zahlen der Finanzplanung. Sie sind realistisch. Wir nehmen ein Wachstum von nominal 3 Prozent an. Das ist ein reales Wachstum von 1,75 Prozent. ({12}) Wir gehen davon aus, dass wir aufgrund unserer guten Position im Wettbewerb - oder aus welchen Gründen auch immer - ein etwas stärkeres Wachstum erwarten dürfen. Wir wollen dafür arbeiten. Dann sind wir bei Reformen. In dem Modell spielt das keine Rolle. ({13}) - Entschuldigen Sie einmal, das ist nicht die Kernaussage des Papiers. Es ist so schon lang genug! Ich hätte es mir lieber kürzer gewünscht. ({14}) - Entschuldigen Sie einmal, es macht doch keinen Sinn, jetzt zusätzlich all das hineinzuschreiben, was man auch noch hätte schreiben können. In aller Klarheit: Das sind ausgesprochen realistische Daten. Wir sprechen von einer Ausgabenlinie für den Gesamtstaat von 2 Prozent. Das ist für eine Planung realistisch und immerhin höher als die erwartete Inflationsrate. Darin ist Wachstum enthalten. Wir sind bisher einheitlich davon ausgegangen, dass das staatliche Ausgabeverhalten nicht überproportional zum Wachstum organisiert werden soll. Das soll doch so bleiben. Nichts anderes steht in dem Papier. Das ist eine der Annahmen. Ich komme zum Punkt. Das Modell ist seriös gerechnet. Es ist plausibel. Es zeigt - das habe ich schon gesagt zum Beispiel hinsichtlich der Staatsverschuldung ein Bild, das für die Menschen nachvollziehbar ist. Dadurch sehen sie: Ich muss mir keine Sorgen machen, was mit meiner Rente und meinem Ersparten passiert. ({15}) Diese Regierung geht die Staatsverschuldung an. Das kann man mit einem solchen Modell erläutern. Es zeigt einen realistischen, wünschenswerten und vor allen Dingen notwendigen Weg, um unser Land in eine nachhaltig stabile Zukunft zu führen. Wer ein besseres Modell zur Erklärung dieser Zusammenhänge hat, ist herzlich gebeten, es vorzustellen. Wir würden gerne mit Ihnen über eine Optimierung des Modells und über seine verschiedenen Stellschrauben diskutieren. Warum nicht? Dieses Modell steht jetzt als Werkstück in der politischen Debatte. Es lohnt sich, sich weiter damit zu beschäftigen. Was die Beteiligung an dieser Debatte heute angeht: Wir haben hier schon Debatten über wirtschaftspolitische Themen geführt, die noch wichtiger waren. Aber damals war die Beteiligung deutlich schlechter. ({16}) Daran zeigt sich: Ganz offensichtlich haben wir bei vielen von Ihnen den richtigen Punkt getroffen, der Sie daran erinnert hat, dass es wichtig ist, offen und in Modellen über Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Ortwin Runde, SPDFraktion. ({0})

Ortwin Runde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sollte die Dinge des Lebens, erst recht in so heißschwülen Tagen wie diesen, mit Humor nehmen. Dazu hat der Bundeswirtschaftsminister einen besonderen Beitrag geleistet. Ein besonderes Amüsement bietet dabei der Gedanke, die Wirtschaft lasse sich in einer Art Tugendkreislauf bewegen. Bundesminister Glos führt in seinem Brief für die Altsprachler unter uns freundlicherweise eine lateinische Bezeichnung an, die ein regelrechter Pointentreiber ist: Ein Circulus virtuosus soll das, was er in der deutschen Wirtschaft anstrebt, sein. Da liegt der Circulus vitiosus, der Zirkelschluss, nicht nur grammatikalisch ziemlich nahe. Die letzten Intellektuellen, die entdeckt haben wollten, dass sich gesellschaftliche Prozesse in Kreisläufen vollziehen, waren die deutschen Romantiker um 1820. Wenn man das weiß, kann man diese Überhöhung im Brief des Bundeswirtschaftsministers mit einem Augenzwinkern mal als starken Verweis auf die tief konservative Struktur seines Denkens begreifen, mal als Tribut an seine fränkische Heimat, von der die Straße der Romantik nicht sehr weit entfernt ist, mal als Honneurs an den bayerischen Ministerpräsidenten in der Warteschleife, der ja auch aus dieser romantischen Ecke, aus Franken, kommt. ({0}) Dass die FDP beim Goldenen Schnitt leuchtende Augen bekommt, ist nachvollziehbar, ({1}) aber nur, wenn man den Goldenen Schnitt nicht historisch betrachtet, sondern wenn man an den Schnitter denkt, der etwas für seine Klientel einfährt. ({2}) Das war Herrn Brüderle deutlich anzusehen. Herr Schauerte sagte, Herr Glos hätte das Papier auch selbst schreiben können. Hätte er es selbst geschrieben, hätte er vielleicht ein anderes Bild gewählt, nämlich das von der Josephslegende, also das von den sieben mageren und den sieben fetten Jahren. Das hätte ihn dann vielleicht sogar auf eine makroökonomisch richtigere Spur gebracht, als es die Anleihe bei der Romantik getan hat. ({3}) Wir müssen feststellen: Wir befinden uns gegenwärtig in den sieben fetten Jahren. Ich glaube, es liegt nicht nahe, 70 Milliarden Euro auszugeben, wenn man weiß, dass nach sieben fetten Jahren - es sei denn, man hängt dem Glauben des immerwährenden Aufschwungs an in aller Regel sieben magere Jahre folgen. ({4}) Wenn man in den sieben fetten Jahren 70 Milliarden Euro ausgibt, wie viel will man dann in den sieben mageren Jahren ausgeben? Bei diesem Beispiel wäre Herrn Glos, einem alten Müller, deutlich geworden, dass es viel klüger ist, in den fetten Jahren mehr Geld für die kommenden mageren Jahre zurückzulegen. Das wäre auch unter makroökonomischen Gesichtspunkten der naheliegende Ansatz gewesen. Die Debatten, die wir führen, sind ja teilweise miteinander verzahnt: die Debatte über die Schuldenbremse und die Diskussion, die wir im Rahmen der Föderalismusreform über die Staatsverschuldung führen. Jeder, der sich die Fakten ansieht, wird feststellen, dass Deutschland kein Ausgabenproblem hat, Herr Brüderle, ({5}) sondern dass Deutschland in der gesamten Zeit nach der Wiedervereinigung ein Einnahmeproblem hatte. Dieses Einnahmeproblem hat zu der hohen Staatsverschuldung geführt. Wir sind, was die Ausgabenseite angeht, in den letzten Jahren Weltmeister gewesen: Wir hatten die niedrigsten Ausgabenquoten in den öffentlichen Haushalten. Damit lagen wir noch vor der Schweiz. Das muss man bei solchen Verschuldungsdebatten immer bedenken. Insofern ist die Ankündigung von Entlastung als viertem Punkt, als Annex, als Anhängsel an das, was die Regierungspolitik ist, konjunkturpolitisch und auch vom Denkansatz her ein Stück weit verfehlt, und es wäre gut, wenn Herr Glos die Bilder mehr seinen christlichen Ursprüngen entlehnt hätte und sich etwas in der Disziplin der Dame geübt hätte. Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Werter Herr Kollege Runde, Sie sprachen von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren. Die sieben mageren Jahre hatten wir: unter Rot-Grün, sie liegen hinter uns. ({0}) Zwei der sieben fetten Jahre, Frau Kollegin Andreae, haben jetzt begonnen. Wir befinden uns auf dem richtigen Weg. ({1}) Deswegen ist es richtig, jetzt von einem „goldenen Schnitt“ zu sprechen und darüber nachzudenken, welche Visionen wir für die Zukunft haben. Es macht doch keinen Sinn, in der Situation, die wir jetzt haben, nicht in die Zukunft zu denken. Ich finde es richtig, dass Michel Glos eine Planung bis zum Jahr 2012 machen will. Das ist die Aufgabe des Wirtschaftsministers. Das Wort „goldener Schnitt“, Sectio aurea, kommt aus der Architektur und bezeichnet das Verhältnis zweier Größen zueinander, sozusagen die richtige Proportion. ({2}) Diese richtige Proportion hat Michel Glos in seinem Papier gefunden: Erstens. Dauerhafte Vermeidung von Defiziten in öffentlichen Haushalten. Ich denke, wir sind uns einig, das es nicht so weitergehen kann, dass wir eine Politik nach dem Motto „Kinder haften für ihre Eltern“ machen und dass unsere Kinder irgendwann für die Schulden, die wir machen, weil wir nicht in der Lage sind, unsere Probleme jetzt zu lösen, aufkommen müssen. Das kann so nicht weitergehen, das müssen wir ändern. ({3}) Zweitens. Erhöhung der öffentlichen Investitionen. Natürlich brauchen wir Investitionen der öffentlichen Hand, vor allen Dingen in Bildung und Forschung, aber auch in Hardware: Wir brauchen auch mehr Investitionen in die Infrastruktur. Ich habe mir vom ADAC die Zahlen besorgt: Die Deutschen stehen im Jahr 67 Stunden im Stau und vergeuden dabei 14 Milliarden Liter Sprit. Da müssten Sie als Grüne als Allererste sagen: „Verdammt noch mal, da müssen ein paar vernünftige Straßen gebaut werden, damit sich das bessert!“ ({4}) - Wir haben erhebliche Investitionen in die Schiene: jedes Jahr 2,5 Milliarden Euro. Das müsste Ihnen bekannt sein. ({5}) Drittens. Senkung der Lohnzusatzkosten. Jeder von uns hier im Saal weiß: Eine Senkung der Lohnzusatzkosten um 1 Prozentpunkt bedeutet 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze. ({6}) Wir müssen die Lohnzusatzkosten senken, wo immer wir das können. Ich bin unbedingt dafür, dass wir die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung um mehr als die 0,3 Prozentpunkte, die der Koalitionsbeschluss vom Montag vorsieht, senken. 0,3 Prozentpunkte sind zu wenig. ({7}) Ich habe mir die Zahlen aus Nürnberg besorgt: Im letzten Jahr hatten wir einen Überschuss von 11 Milliarden Euro. Für dieses Jahr war mit einem Minus von 4,3 Milliarden Euro gerechnet worden. Nun geht es dieses Jahr bereits in Richtung eines Plus von 6 Milliarden Euro. Das heißt, wir haben durchaus Spielraum für eine deutlichere Senkung der Beiträge, wir können in die Größenordnung von 3,5 Prozentpunkten kommen. Ich würde es als einen gewaltigen Erfolg der Großen Koalition betrachten, wenn es uns gelingt, die Lohnzusatzkosten allein bei der Arbeitslosenversicherung innerhalb von zwei Jahren von 6,5 auf 3,5 Prozentpunkte zu senken. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Es ist richtig, wenn Michel Glos in seinem Papier schreibt - ich möchte zitieren -: Auch der Bund muss bei Forschung und Entwicklung … mehr tun, damit sein Haushalt nicht allein von sozialer Umverteilung geprägt ist, sondern sich Wachstums- und Beschäftigungszielen unterordnet. Genau das müssen wir tun: Investitionen in Forschung und Entwicklung, Investitionen in die Bildung, Investitionen in diese Ressourcen. Das bedeutet nämlich, dass wir Deutschland voranbringen. Wir haben in Deutschland keine Ölquellen; wir haben keine Natural Resources, wie das so schön heißt. Die Kohle können wir gleich vergessen. Es kostet uns jedes Jahr 2,5 Milliarden Euro, sie aus dem Boden zu bekommen. Gott sei Dank hat diese Koalition hier einen vernünftigen Weg des Ausstiegs gefunden. Wir haben nur eine Ressource, nämlich die Köpfe unserer Menschen. Das sind die Unternehmer in Deutschland, die innovativ sind und bleiben müssen, damit die Exportfähigkeit unseres Landes weiter gegeben ist. Gott sei Dank ist das so. Durch die neuesten Zahlen, die Sie heute und gestern in den Zeitungen lesen konnten, wird gezeigt, dass es weiter aufwärts geht - auch beim Export. Wir sind nach wie vor Exportweltmeister. Wir haben eine Reihe von guten Forschern. Die Zahlen der Patentanmeldungen gehen nach oben; auch das ist eine positive Botschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere jungen Menschen eine vernünftige Ausbildung erhalten, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen können. Dafür müssen Gelder in die Hand genommen werden. Das ist wichtig. Deswegen sind die Wege, die Michel Glos hier aufgezeigt hat, richtig. Wir sollten ihn dabei möglichst alle gemeinsam unterstützen. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Edelgard Bulmahn, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte ja versucht sein, zu sagen: Die Philosophen haben ihn nur unterschiedlich interpretiert. ({0}) Lassen Sie uns aber mit der Realität auseinandersetzen. Die Konjunktur in unserem Land befindet sich im Aufschwung. Dies kann und muss uns zuversichtlich stimmen. Gerade dadurch wird von der Politik aber ein konsequentes und zielgerichtetes Handeln gefordert, um die Früchte dieses Erfolges auch für die Zukunft zu erhalten. ({1}) Es reicht nicht aus, einfach nur von einem anhaltenden Wirtschaftswachstum zu träumen. Unsere Politik muss es erstens sein, dafür zu sorgen, dass dieses Wirtschaftswachstum, das wir jetzt haben, wirklich langfristig stabil ist. ({2}) Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass alle Menschen von diesem Wirtschaftswachstum profitieren. Wenn uns dies gelingt, dann wäre das tatsächlich ein ganz wesentlicher und wichtiger Erfolg der Großen Koalition. ({3}) Wir haben heute ein gutes Wirtschaftswachstum. Das liegt vor allen Dingen daran, dass wir eine gute Balance zwischen Angebot auf der einen Seite und Nachfrage auf der anderen Seite gefunden haben. Wir wissen: Nur dann, wenn die Menschen Geld in der Tasche haben, profitieren auch die Unternehmen - gerade die kleinen und mittleren - davon. Dazu gehört, dass die Menschen für ihre Arbeit auch vernünftig und gut bezahlt werden. ({4}) Das gilt gerade für diejenigen, die zurzeit mit Hungerlöhnen abgespeist werden. Wir als Koalition haben hier eine wichtige und schwierige Aufgabe vor uns, die wir noch nicht gelöst haben. Wir haben zwar einen Schritt gemacht, aber wir haben sie noch nicht gelöst. Wir werden sie in den kommenden Monaten und Jahren aber lösen müssen. ({5}) Dazu gehört aber auch, dass wir die Sozialversicherungsbeiträge weiterhin stabil halten. Wir haben sie leicht gesenkt und müssen sie jetzt stabil halten. Dazu gehört schließlich eine solide und vernünftige Finanz- und Steuerpolitik. Ich finde, das, was wir hier erreicht haben, dass nämlich unser Staatshaushalt endlich wieder auf festem Boden steht, sollten wir nicht durch einseitige Positionierungen wieder kleinreden, sondern wir sollten alles dafür tun, dass wir das auch erhalten. Darauf, dass wir die Sorgen der vielen Menschen ernst nehmen müssen, haben meine Vorredner ja hingewiesen. Wir wissen, dass zu einem langfristigen Wachstum schließlich auch eine solide Haushaltspolitik gehört. ({6}) Deshalb will ich das noch einmal ausdrücklich unterstreichen: Das ist notwendig, und entsprechend werden wir auch in Zukunft handeln. ({7}) Da das so ist, müssen wir uns allerdings auch gemeinsam die Frage stellen, ob Wünsche tatsächlich die Basis für seriöses Regierungshandeln sein können. Lassen Sie mich hierzu noch auf zwei Punkte eingehen. In dem Positionspapier wird behauptet, die verbesserte Wirtschaftslage der letzten Monate sei das Ergebnis einer konsequenten Angebotspolitik. ({8}) Wir haben in den Koalitionsverhandlungen gemeinsam beschlossen - auch wenn der Kollege Wend zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die SPD und vor allen Dingen die CSU darauf gedrängt haben -, ein 25-Milliarden-Investitionsprogramm durchzuführen. Der Finanzminister hat zu Recht darauf gedrungen und auch dafür gesorgt, dass dieses Programm umgesetzt wurde, weil es notwendig war, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das ist uns auch gelungen. ({9}) Deshalb war es richtig, dass wir diesen Schritt gegangen sind, durch ein großes Investitionsprogramm den so dringend benötigten Wirtschaftsaufschwung auch auf dem Binnenmarkt zu erreichen. Exportweltmeister sind wir seit vielen Jahren. Wir wissen aber, dass ein stabiles Wirtschaftswachstum zu wackeln beginnt, wenn es sozusagen nur auf einem Bein steht. Wir brauchen ein stabiles Wirtschaftswachstum, das auf beiden Beinen steht. Daher ist die Stärkung des Binnenmarktes ein wichtiger Schritt, den wir auch in den kommenden Jahren tun werden und tun müssen. Sicherlich werden auch Sie von der FDP das leisten können, was in den USA schon längst geschafft wurde. Die starren ideologischen Vorstellungen, die alleinige dogmatische Betonung der Angebotspolitik sind dort längst ad acta gelegt worden. Selbst die politischen Erben Reagans haben sich davon getrennt. Auch Sie sollten das endlich tun, meine Damen und Herren von der FDP. ({10}) Wenn wir auch weiterhin ein stärkeres und stabiles Wachstum des Binnenmarktes wollen, dann müssen wir die bereits begonnenen Investitionen verstärken - das werden wir auch tun -, um ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu erreichen. An die Adresse der Grünen gerichtet will ich darauf hinweisen, dass rund 10 Milliarden Euro aus dem großen Investitionsprogramm in den Klimaschutz und die energetische Gebäudesanierung fließen. Das ist ein sehr wichtiges Programm, von dem viele kleine und mittlere Unternehmen profitieren. ({11}) Aber auch diejenigen, die ihre monatliche Energiekostenrechnung senken konnten, profitieren davon. Das Programm kommt also beiden Seiten zugute. Wir werden es fortsetzen. Dies ist ein wichtiger Investitionsbereich. Die Industrie profitiert von unseren Investitionen in regenerative Energien. Auch diese werden wir fortsetzen. Alles in allem brauchen wir eine qualitativ gute Infrastruktur. Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, den ich ausdrücklich in den Mittelpunkt stellen will. Bei vielen Fragen, über die wir uns streiten, ist eines klar: Stabiles wirtschaftliches Wachstum hängt heute nicht von der Regulierung oder Deregulierung des Arbeitsmarktes ab. Das geht aus allen wissenschaftlichen Untersuchungen hervor. Es hängt auch nicht von der Höhe der Staatsquote ab.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es hängt allein davon ab, ob es uns gelingt, in die Köpfe der Menschen zu investieren. Deswegen ist das 6-Milliarden-Euro-Programm richtig. Es reicht aber bei weitem nicht aus.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Da wir im Vergleich zu anderen wichtigen OECD-Ländern viel zu wenig in Bildung investieren, müssen wir zu einer Umkehr kommen. Ich weiß, dass das nicht einfach ist, weil der Bund auf diesem Gebiet wenig Handlungsmöglichkeiten hat. Aber das ist die Schlüsselaufgabe, vor der wir stehen. Wir sollten versuchen, sie gemeinsam zu bewältigen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, der eine oder andere in der Regierungskoalition hätte sich zu diesem Zeitpunkt - wir regieren seit 18 Monaten gemeinsam - fragen sollen: Wo kommen wir her? Wo sind wir heute? Wo wollen wir hin? Wir kommen von 5 Millionen Arbeitslosen und einem Haushaltsdefizit von über 3 Prozent; das Wirtschaftswachstum tendierte mehrere Jahre gegen null. Heute erzielen wir nicht vorhergesehene Steuermehreinnahmen. ({0}) Der Finanzplanungsrat prognostiziert uns die Möglichkeit, schon vor dem nächsten Haushaltsplan eine schwarze Null zu erreichen. Drei Länder haben das bereits erreicht: Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. In dieser Debatte wird die Gesamtverantwortung, die Bund, Länder und Kommunen bei der Finanz- und Haushaltspolitik haben, völlig außen vor gelassen. ({1}) Herr Kollege Brüderle, diese Koalition kann die Akzente nicht falsch gesetzt haben. Schauen Sie sich nur einmal die neuen Bundesländer an. Ich habe vor einigen Monaten hier gesagt, dass wir keine abgekoppelte Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung haben. Die Entwicklung verläuft in West und in Ost parallel. Das besagen alle Zahlen. Daher kann es nicht falsch gewesen sein, die Investitionszulage in den neuen Bundesländern zu verlängern und die Wirtschaftsförderung um 42 Millionen Euro aufzustocken. Die ERP- und KfW-Programme wurden in den letzten zwei Jahren um 66 Prozent mehr in Anspruch genommen. ({2}) Frau Kollegin Andreae, wenn man von Ökonomie und Ökologie redet, ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm doch das allerbeste Beispiel. ({3}) Manche Beiträge haben mich ein bisschen an das Motto „Lyrik, Jazz und Prosa“ erinnert, Herr Kollege Wend und Herr Kollege Runde. Für die Technologieund Wirtschaftsprogramme ist das Bundeswirtschaftsministerium verantwortlich, für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm das Bundesverkehrs- bzw. das Bundesbauministerium. ({4}) Wir sollten unsere gemeinsamen Erfolge nicht schlechtreden, sondern eine positive Bilanz ziehen. Das sollten wir alle miteinander tun. ({5}) In Bezug auf das Glos-Papier werden hier teilweise Legenden gebildet, die so überhaupt nicht haltbar sind. Dort steht - ich zitiere wörtlich -: Zeitlichen Vorrang hat in jedem Fall der Defizitabbau. Solange die öffentlichen Haushalte sich zu Lasten der Zukunft zusätzlich verschulden, um laufende Ausgaben zu finanzieren, sind höhere Ausgaben oder Steuer- und Abgabenentlastungen nicht verantwortbar und auch nicht zweckmäßig. Die Schulden von heute müssten durch zusätzliche Zinsausgaben in der Zukunft finanziert werden und reduzierten damit künftige Handlungsspielräume. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Sätzen ist doch nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen. Das ist doch der richtige politische Ansatz. Ich habe hier vier Programme angeführt. Wir müssen uns an dieser Stelle doch Gedanken für die Zukunft machen. Nehmen wir einmal die Technologieprogramme; Frau Kollegin Bulmahn ist darauf eingegangen. Wie können wir sie noch effizienter gestalten? Wie können wir sie ausbauen? Das ist in dieser Situation doch das eigentlich Entscheidende. Hier müssten wir miteinander tätig werden. ({6}) FuE, Verkehrsinfrastruktur, Investitionen in die Köpfe das ist nach meinem Dafürhalten in der Tat das Gebot der Stunde. Ich sage Ihnen aber auch eines, meine sehr verehrten Damen und Herren: Herr Kollege Schui, es lohnt sich normalerweise nicht, auf Sie einzugehen. Wer wie Sie behauptet, wer Sozialabgaben senke, sorge für Mehreinnahmen bei den Unternehmern, der entfacht eine Neiddebatte. ({7}) Wir müssen uns für diesen Bereich schon Gedanken machen. Ich stimme mit dem Kollegen Laurenz Meyer völlig darin überein, dass wir eine Debatte über die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen führen müssen. Das Senken von Sozialabgaben senkt nämlich die Arbeitskosten und stärkt den Standort Deutschland, bringt aber insbesondere mehr Geld ins Portemonnaie gerade der einkommensschwachen Gruppen. Bei 1 000 Euro brutto macht 1 Prozent weniger 10 Euro mehr im Portemonnaie, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({8}) Wenn wir das miteinander in Einklang bringen, können wir, glaube ich, nächstes Jahr über eine Arbeitslosenzahl von deutlich unter 3 Millionen reden. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Frau Kollegin Ute Berg von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Rehberg, ich hätte es gut gefunden, wenn Sie am Anfang Ihrer Rede die Erfolge, die in der Arbeitsmarkt- und der Wirtschaftspolitik in der Tat zu verzeichnen sind, nicht für sich reklamiert hätten, sondern fairerweise auch das Vorspiel erwähnt hätten, ({0}) das tatsächlich vonseiten der rot-grünen Regierung stattgefunden hat. Dieser Hinweis hätte dazugehört. Das wäre anständig gewesen. ({1}) Aber zurück zu Wirtschaftsminister Michael Glos. Er ist ja immer wieder für Überraschungen gut. Unabgestimmte Vorstöße werden allmählich zu seinem Markenzeichen. Ein Qualitätssiegel ist das allerdings nicht. Die Überraschung in dieser Woche ist sein wirtschafts- und finanzpolitisches „Grundsatzpapier“. Es basiert - das wurde hier schon mehrfach gesagt - auf der irrigen Annahme, dass die Erfolge bei Wachstum und Beschäftigung, die es wirklich gibt und auf die wir alle stolz sind, nur einer konsequenten angebotsorientierten Wirtschaftspolitik geschuldet sind. Wie das eben von Edelgard Bulmahn erwähnte 25-Milliarden-Euro-Programm, mit dem die Große Koalition gestartet ist und das sehr segensreich auf Wachstum und Beschäftigung gewirkt hat und noch wirkt, in dieses Angebotsschema passt, erschließt sich mir allerdings nicht. ({2}) Meiner Fraktion ist klar, dass wir beides brauchen: Reformen auf der Angebotsseite und Reformen, die zu steigender Nachfrage führen. Zur von Herrn Glos geforderten Senkung der Staatsquote und zu weiteren Steuer- und Abgabensenkungen haben meine Kollegen schon einiges gesagt. Deswegen brauche ich das nicht weiter zu vertiefen. ({3}) Ich möchte mich daher besonders auf das für unser Land existenziell wichtige Thema Zukunftsinvestitionen konzentrieren, ({4}) die ohne soliden Finanzrahmen nicht machbar sind, nämlich Investitionen in Bildung, Forschung und Technologie. Das unterstreicht Herr Glos zwar. Aber er sagt leider nicht, woher er das Geld neben allem anderen, was er auch noch vorhat, nehmen will. Der Minister schreibt in seinem neunseitigen Papier dazu kurz, dass die öffentlichen Investitionen in Bildung und berufliche Fähigkeiten erhöht werden müssen. ({5}) Damit hat er natürlich recht. Darin sind wir uns alle einig. So investiert Deutschland beispielsweise ganze 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Bildung. Nur die Slowakei und Griechenland geben im europäischen Vergleich dafür noch weniger aus. Die Dänen hingegen setzen dafür - um eine andere Vergleichszahl zu nennen 8,3 Prozent des BIP ein. Unstrittig ist: Wir müssen die Qualität unseres Bildungswesens verbessern. Das ist nicht nur, aber auch eine Frage des Geldes. Investitionen in diesen Bereich müssen also absolute Priorität haben. Hier liegen wir auf einer Linie. Ein wichtiger Punkt, der zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, ist in diesem Zusammenhang das Fehlen qualifizierter Fachkräfte. Schon im vergangenen Jahr fehlten laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung 48 000 Ingenieure. Die Wirtschaftsleistung wurde so um 3,5 Milliarden Euro gedrückt. Der Fachkräftemangel wird also zu einer direkten Gefahr für den Boom. Unternehmen aus fast allen Bereichen klagen darüber, dass ihr Geschäft ausgebremst wird. Verstärkte Anstrengungen im Ausbildungs- und Weiterbildungsbereich sind also aktive Wirtschaftspolitik. Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung müssen wir uns - das wurde schon erwähnt - noch enorm anstrengen; das ist unstrittig. Wenn wir es tatsächlich schaffen wollen, bis 2010 zusätzlich 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung auszugeben, dann gilt auch hier die Devise „Nicht kleckern, sondern klotzen“. Unser Augenmerk als Wirtschaftspolitiker muss besonders auf dem Technologiesektor liegen, für den das Wirtschaftsministerium originär zuständig ist. Wir müssen alles daransetzen, dass marktfähige Produkte in den Markt integriert werden und sich dort halten. Auf die Wirtschaft allein können wir uns in diesem Zusammenhang nicht verlassen. Wir müssen verstärkt darauf hinwirken, dass die Wirtschaft weiterhin zwei Drittel der F-und-E-Ausgaben übernimmt, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Das ist auch für den Arbeitsmarkt der Zukunft entscheidend. Gerade Firmen, die viel für Forschung und Entwicklung tun, sorgen für Beschäftigung und bringen den Standort Deutschland voran. ({6}) Ich würde mich freuen, wenn sich der Wirtschaftsminister etwas stärker um die Herausforderungen, die er jetzt stemmen muss, kümmerte, statt in einem sehr spekulativen Papier, in dem zum Beispiel Haushaltsrisiken gar nicht aufgeführt sind, der erstaunten Öffentlichkeit zu erklären, dass er es schaffen kann, gleichzeitig den Gesamthaushalt zu konsolidieren, die staatlichen Investitionen zu steigern sowie Steuern und Abgaben weiter zu senken. ({7}) Nach der Lektüre seines Papiers hat man jedenfalls den Eindruck, endlich den Erfinder der eierlegenden Wollmilchsau ausfindig gemacht zu haben. Das Konzeptpapier des Wirtschaftsministers hält leider nicht das, was er verspricht. Aber was ist auch von einem Papier zu halten, das zunächst über die Medien lanciert und dann erst den Ministerkollegen und den Wirtschaftspolitikern der eigenen Koalition präsentiert wird? Die Kanzlerin hatte darauf die passende Antwort, nämlich: nichts.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. Es wäre schön, wenn Herr Glos mehr Teamgeist bewiesen, sich abgestimmt hätte und in der Regierung als Mannschaftsspieler aufgetreten wäre. So wäre sicher ein schlüssigeres Konzept entstanden, hinter dem sich dann vielleicht alle Koalitionäre hätten versammeln können. Aber wieder einmal hat er eine Chance vertan. Alleingänge à la Glos können diese Regierung, diese Koalition und dieses Land nicht länger verkraften. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz ({2}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien ({3}) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 - Drucksachen 16/5600, 16/5753 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Detlef Dzembritzki Monika Knoche Marieluise Beck ({4}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/5763 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Carsten Schneider ({6}) Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP sowie der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Staatsminister Gernot Erler.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird seit dem 26. März um einen Konsens über den zukünftigen Status des Kosovo gerungen. Grundlage dieser Bemühungen ist die Empfehlung des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari. Die Beratungen gestalten sich schwierig. Bisher ist es nicht gelungen, Russland für das vorgelegte Statuspapier zu gewinnen, sodass wir keine vernünftige Alternative sehen. Die Bundesregierung setzt sich nachdrücklich für eine baldige Sicherheitsratsresolution zur Zukunft des Kosovo ein als Ablösung der Resolution 1244 aus dem Jahr 1999. Aber noch ist kein Ergebnis absehbar. Möglicherweise gibt es weitere mehrmonatige Verhandlungen. Das führt - wenig überraschend - im Kosovo selbst zu Reaktionen der Frustration und der Nervosität. Vor diesem Hintergrund entscheidet der Bundestag heute über die Fortsetzung des deutschen Beitrages zu der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo, abgekürzt KFOR. Man braucht, so glaube ich, nicht besonders zu betonen, wie wichtig gerade jetzt die Sicherheit und die Stabilität sind, die von der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo garantiert werden. KFOR wird weiter gebraucht, und KFOR braucht den deutschen Beitrag; denn wir stellen das bedeutendste Kontingent für die Schutzmacht. Das Ziel der internationalen Gemeinschaft, die Grundlagen für dauerhaften Frieden und dauerhafte Demokratie in der Region zu schaffen, die eine Präsenz internationaler militärischer Kräfte nicht länger erforderlich machen, bleibt unverändert bestehen. Gleichzeitig gilt es, ein mögliches Sicherheitsvakuum durch eine vorschnelle Reduzierung der internationalen Präsenz zu vermeiden. ({0}) Eine Truppenreduzierung oder Mandatsveränderung wäre in der jetzigen delikaten Phase der Verhandlungen über eine UN-Resolution in New York das falsche Signal und könnte negative Auswirkungen auf den politischen Prozess im Kosovo und auf die Stabilität der gesamten Region haben. ({1}) Gerade jetzt ist es wichtig, Kontinuität bei der internationalen Truppenpräsenz zu signalisieren. Deshalb hat die Bundesregierung dem Bundestag einen Antrag zur zunächst inhaltlich unveränderten Fortschreibung der deutschen Beteiligung an KFOR zur konstitutiven Zustimmung vorgelegt. Wir hoffen nach wie vor auf eine zeitnahe Verabschiedung einer neuen Resolution des UN-Sicherheitsrates für das Kosovo. Im Vorschlag des UN-Vermittlers Ahtisaari ist auch eine Übergangsphase von 120 Tagen vorgesehen, während derer das alte UN-Mandat aus Resolution 1244 weiter gelten soll. Da die Geltung des Bundestagsmandats an die Fortgeltung eines Sicherheitsratsmandats geknüpft ist, bedeutet das, dass diese Übergangsfrist zeitlichen Spielraum für die eventuell notwendige Anpassung des Mandats an eine neue Sicherheitsratsresolution geben würde. Dieses neue Mandat würde dann selbstverständlich erneut dem Bundestag zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Eines bleibt klar: Deutschland wird gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft die Menschen in der Region auf dem Weg zu nachhaltigem Frieden im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Perspektive begleiten. ({2}) Wir stehen zu den Zusagen, die von der Europäischen Union erstmals 2003 gemacht und danach immer wieder bestätigt wurden. In diesem Zusammenhang freuen wir uns darüber, dass die jüngsten Fortschritte Serbiens bei der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien es der EU erlauben, die seit Mai 2006 ausgesetzten Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen seit dem 13. Juni fortzuführen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung. Dies ist eine wichtige Entscheidung für die Menschen im Kosovo sowie in der ganzen Region. Diese Entscheidung ist auch wichtig als Zeichen der Unterstützung für den Auftrag, den unsere Soldatinnen und Soldaten in einer schwierigen Zeit vor Ort in einer von allen Seiten anerkannten Weise hervorragend erfüllen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile nun Kollegen Rainer Stinner, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gleich vorweg: Wir, die FDP-Fraktion, werden heute dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, weil es aus unserer Sicht völlig unverantwortlich wäre, in der jetzigen kritischen Situation etwas an dem Mandat zu ändern. ({0}) Wir befinden uns vor einer wichtigen Weichenstellung im Kosovo. Ich habe seit Monaten vor einem Horrorszenario gewarnt und bin dafür hier und auch woanders abgewatscht worden. Aber das Horrorszenario ist nahe davor, einzutreten. Was passiert nämlich, wenn es keine UN-Resolution gibt, die Vereinigten Staaten, wie von Bush in Tirana angedeutet, ({1}) eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo anerkennen würden und einige europäische Staaten dem folgen würden und einige nicht? Es gibt bisher keine Aussagen darüber, wie die deutsche Bundesregierung in diesem Falle handeln darf. Ganz im Gegenteil: Auf wiederholte Nachfragen und Beschreibungen dieses Szenarios habe ich von der Bundesregierung immer eher ausweichende, schönfärberische Antworten nach dem Motto bekommen: Na ja, wird schon irgendwie klappen. ({2}) Das heißt, es galt bisher das Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das ist die Position der Bundesregierung. Das reicht zum heutigen Zeitpunkt nicht aus; ({3}) denn sowohl durch die Rede von Bush als auch durch den neuen Kontext, den die Russen durch die Putin-Rede hergestellt haben, ist das Kosovo nicht mehr isoliert zu sehen; er ist vielmehr Teil einer gesamtrussischen Außen- und Sicherheitspolitik. ({4}) Deshalb, so glaube ich, müssen wir heute hier klare Antworten auf klar zu formulierende Fragen bekommen. Eine Denkpause hilft da nicht weiter. Denn eine Denkpause wäre eher eine Pause vom Denken und nicht eine Pause zum Denken. Es ist genug gedacht worden. Wir müssen jetzt handeln. ({5}) In aller Bescheidenheit darf ich Ihnen sagen, dass meine Fraktion vor dreieinhalb Jahren den Vorschlag gemacht hat, das Problem des Status des Kosovo zu europäisieren, einen stärkeren europäischen Footprint, wie man so schön sagt, anzubringen. ({6}) Wir wären heute gemeinsam besser dran, wenn Sie damals diesen Antrag nicht abgelehnt hätten. Aber das ist Geschichte. ({7}) - Herr Kauder, auch Sie können klüger werden. Das schließe ich auch bei Ihrer Fraktion nicht aus. ({8}) In unserem heutigen Entschließungsantrag stellen wir vier Forderungen: Erstens. Wir erwarten von der Bundesregierung - sie hat das zugesagt, aber der Bundestag sollte es bestätigen -, dass weiterhin aktiv für den Ahtisaari-Vorschlag geworben wird. Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung auf, eine gemeinsame europäische Position zu definieren. Ich stimme Ihrer Aussage, Herr Staatsminister, zu, dass Sie und die Bundesregierung daran aktiv gearbeitet haben. Das kritisieren wir überhaupt nicht. Wir möchten allerdings deutlich machen, wie wichtig genau diese Frage für die Funktionsfähigkeit einer Europäischen Außenund Sicherheitspolitik ist und welche negativen Auswirkungen es hätte, wenn es nicht gelänge, eine gemeinsame europäische Position zu entwickeln. ({9}) Die europäische Politik wäre dann leider - das ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit leider noch nicht angekommen - ein Scherbenhaufen. Wie können wir Europäer glauben, dazu in der Lage zu sein, weltweit Verantwortung wahrzunehmen, wenn wir noch nicht einmal in der Lage sind, in Europa gemeinsam zu handeln? Ich glaube, bei diesen beiden Punkten herrscht hier im Hause weitestgehend Einigkeit. Wir fordern darüber hinaus - das sind die Forderungen drei und vier - zwei weitere Klarstellungen von der Bundesregierung - diese Klarstellungen sind politisch bedeutsam, und ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung darauf einlässt -: Drittens. Wir fordern eine klare, eindeutige Aussage, dass die Bundesrepublik Deutschland eine einseitige und unkonditionierte Selbstständigkeitserklärung des Kosovo nicht anerkennen wird. ({10}) Konditionierungen sind bei dem, was Herr Ahtisaari tut, ganz wichtig. Es ist völlig undenkbar, dass der Kosovo ohne jede Konditionierung hinsichtlich der Minderheitenrechte und der großalbanischen Idee in die Unabhängigkeit entlassen wird. Wir müssen dafür sorgen, dass das klar ist. Ich fordere die Bundesregierung auf, hierzu eindeutig Stellung zu nehmen. Das wäre übrigens auch ein Signal an andere europäische Staaten. ({11}) Viertens. Wir erwarten hier und heute eine Klarstellung, was den Einsatz deutscher KFOR-Soldaten betrifft. Diesem Einsatz stimmen wir, wie ich eingangs gesagt habe, zu. Wenn dieses Szenario eintritt, was heißt das dann für unsere deutschen KFOR-Soldaten? Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo wäre ein Bruch der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats, die wiederum die Basis für die Existenz und für die Stationierung deutscher Soldaten ist. Was sollen deutsche Soldaten dann tun? Sollen sie die kosovarische Regierung festnehmen? Sollen sie vielleicht sogar - um es einmal auf die Spitze zu treiben - den amerikanischen Botschafter festnehmen? ({12}) Oder aber wäre durch einen solchen Schritt die völkerrechtliche Legitimierung unseres Einsatzes dahin? Müsste das nicht automatisch den Rückzug deutscher Soldaten bedeuten? ({13}) Ich finde, die Öffentlichkeit und vor allen Dingen unsere deutschen Soldaten, die im Kosovo stationiert sind, haben ein Anrecht darauf, von der Bundesregierung zu erfahren, für wie hoch sie die Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieses Szenarios hält. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Fragen werden Ihnen nicht nur von uns als FDP, sondern auch von Bürgern in Ihren Wahlkreisen und auch von Soldatinnen und Soldaten gestellt. Daher rechnen wir heute selbstverständlich mit einer großen Zustimmung dieses Hauses. Ich bedanke mich ganz herzlich. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als nächster Redner hat Kollege Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So wie es aussieht, geht von dieser Parlamentsdebatte ein sehr klares Signal an die internationale Öffentlichkeit und auch an unsere Soldatinnen und Soldaten im Kosovo aus: Die weit überwiegende Mehrheit dieses Hauses, auch die CDU/CSU-Fraktion, unterstützt den Antrag der Bundesregierung. Gerade weil die Situation im Augenblick schwierig ist - der Herr Staatsminister hat auf die Beratungen im Sicherheitsrat hingewiesen -, halte ich nichts davon, alle möglichen hypothetischen Fragen und hypothetischen Antworten hier mit der Emphase zu erörtern, wie das mein Vorredner getan hat. ({0}) Wir sollten klar Position zu dem beziehen, was anliegt. Es ist wichtig, sich an die Anfänge zu erinnern. Als der Einsatz deutscher Streitkräfte im Kosovo begann, gab es kein Mandat der Vereinten Nationen. Diesem Einsatz ging eine schwere Entscheidung voraus. Ich erinnere an die Aussage des damaligen Außenministers Fischer - ich zitiere -: Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz. Ich halte von solchen historischen Vergleichen nicht so viel. Ich schließe mich im Rückblick mehr der Bewertung von Wolfgang Schäuble an, der damals gesagt hat: Worum es geht, ist, Morden zu verhindern und zu helfen, daß der Friede so rasch wie möglich überall in Europa, auch in Jugoslawien und vor allem im Kosovo, wiederhergestellt wird … daß eine Tragödie für Hunderttausende von Menschen so rasch wie möglich beendet wird. Darum … geht es. Den Terror, das Leid, die Massengräber, die Vergewaltigungen, die über eine Million Flüchtlinge - dieses Elend hat der KFOR-Einsatz im Kosovo beendet. Das sollten wir als Erstes festhalten. ({1}) Wenn man eine Mandatsverlängerung beschließt, muss man auch eine Zwischenbilanz ziehen und fragen: Wie weit sind wir jetzt gekommen? Die Europäische Union hat eine solche Bilanz gezogen. Sie beschreibt die Sicherheitslage als ruhig, aber nicht stabil. Es gibt FortRuprecht Polenz schritte bei der Aufgabenübertragung auf die Institutionen der Selbstverwaltung. Allerdings wird auch kritisch angemerkt, die Verwaltung sei überbesetzt und wenig leistungsfähig, Nepotismus herrsche vor, die Justiz sei nicht unabhängig, die Zahl unbearbeiteter Fälle wachse, es gebe große Defizite bei der Korruptionsbekämpfung, und das Verhältnis zwischen Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben sei nach wie vor spannungsgeladen. Diese Defizite beim Wiederaufbau sind nach meiner festen Überzeugung allerdings auch - nicht nur, aber auch Folge der ungeklärten Statusfrage. Nehmen Sie das Beispiel der Flüchtlingsrückkehr! Der Bürgermeister einer Gemeinde entscheidet sich, mit Zuschüssen der internationalen Gemeinschaft 50 Häuser für rückkehrwillige Serben zu bauen, und setzt das um. Die Serben kommen dann aber nicht, weil sie sich noch unsicher fühlen oder aus welchen Gründen auch immer. Die Häuser stehen leer. Der Geldgeber fragt: Was ist jetzt eigentlich mit unserem Geld? Die Albaner fragen: Können nicht wir jetzt in diese Häuser einziehen? - Da haben Sie nur einen kleinen Eindruck von den Problemen, die die ungeklärte Statusfrage aufwirft. Ein anderer Fall: Bei einer Investitionsförderung für neue Arbeitsplätze, etwa auch für rückkehrwillige Serben, kann der gleiche Effekt entstehen. Es wird die Ansiedlung einer Hühnerfarm gefördert, und die serbischen Arbeitskräfte, für die sie eigentlich gebaut wird, bleiben aus. Also: Vieles hängt von der Statusfrage ab. Erst wenn die geklärt ist, weiß jeder, woran er in Zukunft sein wird. Nicht zuletzt hängen natürlich auch all die Investitionen des Auslandes, die das Land dringend braucht, sehr stark von der Klarheit in der Statusfrage ab. Deshalb wird eine Entscheidung über den Status auch bei der weiteren Verbesserung der politischen und demokratischen Standards helfen. Der Herr Staatsminister hat die Vorschläge des UNSondervermittlers Ahtisaari bereits skizziert. Es ist im Grunde die Politik als Kunst des Möglichen, die diesen Vorschlägen zugrunde liegt. Ideallösungen gibt es nicht. Man kann sich nur - das muss man nüchtern anerkennen über schlechte und weniger schlechte Lösungen unterhalten. Jetzt sollten wir als Bundestag schon klar sagen, dass der Weg zu einer Statusänderung über den UN-Sicherheitsrat führen muss. ({2}) Das ist die gemeinsame Position der Europäischen Union. Wir sind jetzt mit einer Weigerung Russlands konfrontiert. Russland sagt: Wir stimmen nur einer Lösung zu, die zwischen den Serben und den Kosovo-Albanern einvernehmlich verhandelt ist, der also beide Seiten zustimmen. - Weil die serbische Seite der Unabhängigkeit nie zustimmen wird und Priština weniger als der Unabhängigkeit die Unterschrift nicht geben wird, bedeutet die russische Position eine dauerhafte Verfestigung des Status quo. Das ist nicht akzeptabel. Das müssen wir auch den russischen Partnern klarmachen. Die Art und Weise, wie Russland sich bei diesem Problem verhält, hat zwingend Rückschlüsse darauf zur Folge, wie Russland sein Verhältnis zur Europäischen Union sieht. Daran können wir nicht vorbei. Die USA engagieren sich mit uns bei KFOR als Hauptpartner. Auch von ihnen erwarten wir, dass sie keine einseitigen Schritte unternehmen und dass sie diese Gemeinschaft nicht aufkündigen. Wir erwarten ein entsprechendes Einwirken der Bundesregierung auf unsere amerikanischen Partner. Last, but not least: Priština bleibt auch nach einer Statusänderung ganz entscheidend auf die Hilfe der Europäischen Union angewiesen. Deshalb erwarten wir von den Verantwortlichen in Priština, dass sie einseitige Schritte unterlassen; denn diese würden die Lage schlechter und komplizierter machen. Das könnte sich wie der Funke an einem Pulverfass auswirken. Auch dieser Appell an Priština muss von unserer Debatte heute hier ausgehen. ({3}) Natürlich bleibt die KFOR-Präsenz in dieser sensiblen und kritischen Phase unabdingbar. Die jetzige Rechtsgrundlage - völkerrechtlich einwandfrei - ist die Sicherheitsratsresolution 1244. Es ist klar, dass bei einer Veränderung eine rechtzeitige neue Befassung des Bundestages erfolgen muss. Es ist genauso klar, dass der Bundeswehreinsatz in jedem Fall und zu jedem Zeitpunkt eine eindeutige rechtliche Grundlage haben muss. All das sicherzustellen, ist die Aufgabe der Bundesregierung. Ich bin überzeugt, dass das gelingen kann, und danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Polenz, sehen Sie, so verschieden können die Auffassungen sein: Während wir der Meinung sind, Russland bewegt sich auf dem Boden des internationalen Völkerrechts, verlangen Sie, dass Russland die kosovarische Position, die sich jenseits der völkerrechtlichen Position bewegt, anerkennt. Grundsätzlich verschiedener kann man an die Problematik wohl gar nicht herangehen. ({0}) Ich sehe auch die großen Widersprüche, die Ungereimtheiten und sogar Sinnverkehrungen, die in der heute dargelegten Position der Regierung zum Ausdruck gekommen sind. Ignorieren Sie doch bitte nicht die ungeheuer großen rechtlichen, politischen, menschenrechtlichen, aber auch staatsrechtlichen Fragen, die wir im europäischen Kontext zu spüren bekommen werden, wenn wir hier eine Position vertreten würden, die der Sezession des Kosovo das Wort redet. Die Regierung kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien dieser Position zustimmen, wenn gleichzeitig klar ist, dass der Ahtisaari-Plan gescheitert ist. Die Bundesregierung - Herr Erler, Sie haben es deutlich gesagt - will unbedingt zeitnah eine neue UN-Resolution. Aber welche Rechtsgrundlage sollte damit geschaffen werden? Die müsste sich doch von der der Resolution 1244 unterscheiden. ({1}) Dabei ist uns doch klar, dass eine neue Resolution völkerrechtlich gar nichts anderes zu leisten vermag, als ebenso wie die Resolution 1244 darauf zu bestehen, dass beide Seiten, Kosovo und Serbien, sich einvernehmlich einigen. Das ist doch die Grundlage, auf der verhandelt werden muss. ({2}) Nichts ist also klar, aber Sie wollen weiter Soldaten hinschicken. Für uns ist das irgendwie eine paradoxe Situation. ({3}) Sie können nicht erwarten, dass wir dem einfach zustimmen. Sie sagen ja selbst, dass nach wie vor die UN-Resolution 1244 gilt. Gerade diese sollte doch eine neue Nachkriegsordnung schaffen. ({4}) Dabei wurde in den vergangenen acht Jahren im Hinblick auf dieses Ziel nahezu nichts erreicht. Sie wissen das genau. Sie selber sprechen doch von der Allmacht der UÇK, von der Allmacht der nationalistischen albanischen Bestrebungen, von der Kriminalität, der Korruption und dem Frauenhandel, für den das Kosovo eine wichtige Drehscheibe ist; ganz abgesehen von den hohen sozialen Problemen, die in diesem Land bestehen, weil keine wirtschaftliche Entwicklung stattfindet. Wohin ist all das Geld geflossen, das die Jahre über investiert worden ist? ({5}) Genau diese Situation aber hat der Ahtisaari-Plan zu manifestieren versucht, indem er auf eine faktische Unabhängigkeit hin orientiert war. Wie kann eine neue UNResolution das notwendige beidseitige Einverständnis herstellen, wenn allenthalben davon gesprochen wird, es solle die Unabhängigkeit des Kosovo erreicht werden? Wir erwarten von der Bundesregierung auf jeden Fall, dass sie - ebenso argumentiert ja auch die FDP - keiner einseitigen Unabhängigkeitserklärung zustimmt. Das darf Deutschland nicht tun. ({6}) Wir sind der Auffassung, dass nach wie vor Chancen für eine Neuaufnahme der Verhandlungen bestehen. Das geht natürlich nicht so, wie Präsident Sarkozy es in Heiligendamm dargestellt hat, als er die Absicht äußerte, einfach 120 Tage weiterzuverhandeln und dann auf Basis der bisherigen Intention weiterzumachen. Wir sind vielmehr der Meinung, dass es richtig und wichtig ist, Neuverhandlungen aufzunehmen und seitens der UN eine Neuzusammensetzung der Kontaktgruppe herzustellen, in der alle Mitglieder des Sicherheitsrates vertreten sind. Das wäre eine neue Initiative. Wir im Auswärtigen Ausschuss sprechen ja auch darüber, dass sich in Europa eine international - selbst bis nach Südafrika hoch beachtete Entwicklung abspielt. Es kann letztlich nichts anderes herauskommen als die territoriale Integrität und ein hoher Grad an Autonomie des Kosovo. Nun noch ein Wort zum KFOR-Mandat. Welches Szenario würde entstehen? - Es käme infolge einer unilateralen Unabhängigkeitserklärung und einzelstaatlichen Anerkennungen des Staates Kosovo dennoch so, dass die UN-Resolution 1244 gelten würde. Die dort stationierten Soldaten müssten die Resolution 1244 dann gegen die neue Regierung im Kosovo durchsetzen, unter Umständen mit gewaltsamen Mitteln. ({7}) Was für eine Logik! Man hat gegen Jugoslawien einen Krieg geführt, um die Multiethnizität sicherzustellen, und müsste jetzt auf der Seite Serbiens auf der Basis der Resolution 1244 gegen Kosovo vorgehen. Was ist das für eine Logik, was würde das für eine Problematik heraufbeschwören? ({8}) Stünde ein solches Szenario an - ich bin der Auffassung, hier müssten wir alle einer Meinung sein -, müssten die deutschen Truppen sofort abgezogen werden, damit sie nicht in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt werden. Warum wollen Sie jetzt die Soldaten in eine so hochgradig ungeklärte Situation hineinschicken, wo nicht klar ist, auf welcher neuen internationalen völkerrechtlichen Grundlage Sie dann agieren wollen? Das halten wir für paradox. Einer solchen Politik können wir nicht zustimmen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Marieluise Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hätte diese Position Macht, dann würde das den Abzug der KFOR-Truppen in einer Situation höchster Angespanntheit zwischen den Serben und den Kosovo-Albanern bedeuten. ({0}) Marieluise Beck ({1}) Das heißt, man würde in Kauf nehmen, dass morgen vor Ort kriegerische und gewaltsame Auseinandersetzungen stattfinden. ({2}) Die Truppen, die durch die UN mandatiert dort eine höchst brisante und gefährliche Situation beruhigen, sollen gehen, damit freies Feld für Nationalismus, Extremismus und Gewaltexzesse entsteht. Das kommt heraus, wenn wir Ihre Vorschläge, Frau Knoche, die Sie heute gemacht haben, konsequent zu Ende denken. ({3}) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird der Verlängerung des KFOR-Mandats zustimmen. ({4}) Um es noch einmal klar zu sagen: Diese Entscheidung bewegt sich auf völkerrechtlich glasklarem Boden, nämlich der UN-Resolution 1244. ({5}) Ich möchte kurz daran erinnern, womit wir es zu tun haben. Es geht um Geschichte und damit um Menschen und nicht um irgendwelche Soldaten und Institutionen, die man auf dem Papier hin- und herschieben kann. Unter den Augen der OSZE hat die jugoslawische Armee innerhalb von wenigen Tagen 170 000 Albaner vertrieben - das sind im Übrigen fast 10 Prozent der kosovoalbanischen Bevölkerung -, und der Sicherheitsrat war handlungsunfähig. Damit gab es in der Tat ein völkerrechtliches Dilemma. Die UN-Charta setzt zwei Aufgaben, nämlich das Verbot eines Angriffskrieges, aber auch das Gebot zum Schutz der Menschenrechte. ({6}) Zwischen diesen beiden völkerrechtlichen Setzungen war zu entscheiden. ({7}) Ich bin übrigens sehr froh, dass die Mütter von Srebrenica vor den Internationalen Gerichtshof gezogen sind, um genau diese Frage klären zu lassen: Wie ist es mit der Verantwortung der internationalen Völkergemeinschaft, einzugreifen und aktiv zu werden, wenn Gewalt gegen die Menschen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord stattfinden? Das ist die von Kofi Annan uns sehr zu Recht mitgegebene „responsibility to protect“, die im Völkerrecht der UN weiterentwickelt werden muss. ({8}) Wir wissen, dass wir es in Darfur faktisch mit einer sehr ähnlichen Situation zu tun haben. - Heute kann man sagen, dass Ahtisaari quasi vor der Quadratur des Kreises stand angesichts der Aufgabe, eine Lösung zu finden, die dem Völkerrecht entspricht und die gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht des kosovarischen Volkes - und zwar nachdem Vertreibung und Übergriffe durch die, im Grunde eigene, Staatsmacht stattgefunden hatten - und das Recht Serbiens auf territoriale Integrität sichert. Auch das ist ein Dilemma, das es zu bewältigen galt. Eine erzwungene Abspaltung ist keine gute Lösung; aber Krieg ist eine noch schlechtere. Wir brauchen also - da sind wir uns einig - eine neue UN-Resolution. Wir sehen, dass der Druck im Kessel wächst. In der Tat muss man auch an die Bundesregierung die Frage richten: Wie waren die Ergebnisse der Abstimmungen in der Kontaktgruppe, die Ahtisaari auf den Weg der Kompromisssuche mitbekommen hat? Was waren die Rahmenbedingungen? Wer hatte wem zugestimmt, und wo war nicht zugestimmt worden? Denn wir müssen uns doch heute fragen: Was will Russland? Wie kann es passieren, dass im letzten Moment in nicht abgesprochener Weise gehandelt wird? Denn Russland ist ganz offensichtlich bereit, die Abkühlung des Verhältnisses zur Europäischen Union auf dem Rücken der Kosovo-Albaner auszutragen, während auf der anderen Seite Präsident Bush in unverantwortlicher Weise in Tirana einseitige Schritte vorschlägt. Beide Seiten handeln unverantwortlich. Auch das muss hier gesagt werden. ({9}) Der Deutsche Bundestag muss deutlich machen, dass - das hat auch Herr Polenz eben hervorgehoben - dieses Haus bei einer Änderung der Geschäftsgrundlage neu entscheiden muss. Das KFOR-Mandat gilt nur in Verbindung mit der UN-Resolution 1244. ({10}) Ein kurzer Satz noch an uns selber. Seit Miloševic’ Rede auf dem Amselfeld 1989 hat sich das Problem Kosovo vor unseren Augen entfaltet, von Jahr zu Jahr mehr. Europa war nicht handlungsfähig. Die Großmächte USA und Russland haben ihre Rivalität auf dem Rücken des Kosovo ausgetragen. Der UN-Sicherheitsrat war gelähmt. Wir wissen, dass es Nationalismus auf beiden Seiten gibt. Wir wissen auch, dass die Opfer nicht vor Fehlern und Verbrechen gefeit sind. Aber wir dürfen dem Nationalismus nicht nachgeben. Serbien muss verstehen, dass es umdenken muss, und die ehemalige Minderheit der Kosovo-Albaner muss verstehen, dass Minderheiten im eigenen Land Rechte haben müssen. Schönen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Uta Zapf, SPD-Fraktion.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Stinner, Sie sind so ungestüm, und deshalb schießen Sie immer ein bisschen über das Ziel hinaus. ({0}) Ich denke, die Abfolge der geschichtlichen Ereignisse bis hin zu dem Ahtisaari-Plan und zu dem, was die Europäische Union im Rahmen dieses Ahtisaari-Planes bereits als Planung vorgelegt hat, was vom Gipfel in Thessaloniki bis zum heutigen EU-Gipfel immer wieder bestätigt wird, entspricht durchaus Ihrem Anliegen - wenn es Ihnen vielleicht auch ein bisschen zu langsam ging -: Es geht um eine europäische Perspektive und um eine europäische Verantwortung. Also brauchen Sie jetzt niemanden zu kritisieren und schlechtzumachen. Ich finde allerdings, dass eine einseitige, unkonditionierte Anerkennung des Kosovo - eine solche brauchen Sie eigentlich überhaupt nicht zu erwähnen; alle Redner haben das bisher so gesehen - über den Horizont des Denkens hinausgeht. Eine solche Anerkennung kann nicht infrage kommen. Sie haben es sich dann aber wieder zu leicht gemacht - denn wir befinden uns ja in einer Catch-22-Situation, in einer Zwickmühle; völkerrechtlich gesehen verlängern wir heute auf der Grundlage der Resolution 1244 das Mandat für das Kosovo; das, was Herr Polenz gesagt hat, gilt selbstverständlich -: Ich halte es für nicht richtig, dass manche leugnen, Frau Knoche, dass der UN-Sicherheitsrat in der Lage sei, eine neue Legitimationsgrundlage für eine andere Lösung im Kosovo zu finden und auszusprechen. Denn in der Resolution 1244 steht ausdrücklich, dass eine Lösung gefunden werden soll. Die Völkergemeinschaft war sich einig: Dies kann nicht der Status quo ante sein. ({1}) Wir haben in der Tat sehr lange damit zugebracht, eine Lösung zu finden, die wir alle für gut halten. Warum halten wir sie für gut, Frau Knoche? Erstens sind in ihr die Minderheitenrechte ausdrücklich und sehr gut verankert. Zweitens werden die serbischen Kulturgüter geschützt. Drittens ist das, was den Kosovaren - viele von uns meinen, mit Recht - als unzumutbar erscheint, nämlich unter der Ägide von Serbien zu bleiben, ausgeschlossen. Gleichzeitig ist aber eine überwachte Souveränität vorgesehen. Das heißt, es gibt einen Übergangsprozess im Hinblick auf eine gute Entwicklung. Wenn der Prozess nach allen Seiten gut verläuft, dann entsteht hier eine Region, die wir an die Werte Europas heranführen und in der sich die einzelnen Teilnehmerstaaten ganz bestimmt nicht mehr die Köpfe einhauen. ({2}) Ich möchte uns gegenüber noch zwei Dinge kritisch anmerken. Ich glaube, wir hatten zwei Fehleinschätzungen. Eine Fehleinschätzung bezog sich auf Serbien. Von Serbien haben wir gedacht, dass es mit einer aufoktroyierten Lösung schon leben könne, dass man ihm nur genügend anbieten müsse. ({3}) Aber wir haben unterschätzt, dass es eine ganze Reihe von Empfindlichkeiten und gesellschaftlichen Spannungen zwischen denjenigen gibt, die Reformen wollen, und denjenigen, die radikal-nationalistisch rückwärtsgewandt sind. Da hat es ganz offensichtlich nicht ausgereicht, dass wir Serbien trotz nicht ganz ausreichender Compliance, also trotz nicht ausreichender Übereinstimmung mit den Forderungen des Tribunals, PfP, also eine Partnerschaft für den Frieden und damit eine Annäherung an die NATO, angeboten und die Verhandlungen im Rahmen des Stabilitätsabkommens wieder aufgenommen haben. Serbien fühlt sich als Verlierer. Ich fordere uns auf, noch einmal darüber nachzudenken, wie wir dieses Gefühl vermeiden können, welche Zuwendung wir geben müssen, damit die Serben selber spüren: Europa ist etwas Positives, das unsere Lebensbedingungen voranbringt und uns nicht nur ein Drittel unseres Territoriums wegnimmt. ({4}) Eine zweite Fehleinschätzung ist - ein bisschen klang es bei Herrn Polenz an; aber ich setze den Akzent etwas anders -: Warum haben wir geglaubt, dass Russland im Rahmen der Kontaktgruppe am Ende den Ahtisaari-Plan im Sicherheitsrat ohne Veto passieren lassen würde? Plötzlich kommt sukzessive ein Bündel an Motiven auf den Tisch, sodass wir merken, dass Russland auch diese Möglichkeit nutzt, um zu zeigen: Russland ist noch immer ein Staat, der auch in Europa mitzureden hat. Es ist eine große Macht. Es ist weiterhin eine Weltmacht und lässt sich in seinen Interessen zum Beispiel in Bezug auf die Raketenabwehr, die KSE-Verträge, darauf, dass wir mehr und mehr Staaten in die NATO aufnehmen, und in Bezug auf andere Fragen der internationalen Staatengemeinschaft, wie zum Beispiel die Kosovofrage, nicht übergehen. Ich glaube, es ist kein Wunder, dass wir noch nicht zu einem strategischen Abkommen zwischen der EU und Russland gekommen sind; dafür ist das Verhältnis zwischen der EU und Russland noch nicht gut genug. Wir sollten die Frist, die jetzt möglicherweise für Verhandlungen eingeräumt wird, nutzen, um diese beiden Felder zu bearbeiten. Wir können nicht hoffen, dass Serbien von sich aus sagt: Jawohl, es ist alles prima. Wir können aber auch nicht verlangen, dass die Kosovaren von sich aus sagen: Na ja, dann eben nicht. Es kann nicht sein, dass sich alle weigern, sich auf neue Verhandlungen einzulassen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß. Jetzt kommt mein letzter Satz. Eines ist sicher: Wir müssen eine neue, legitime Grundlage für das schaffen, was die internationale Staatengemeinschaft im Kosovo tut. Wir wollen nämlich nicht, dass diese Region im Chaos versinkt, sondern wir wollen zur Stabilität in dieser Region beitragen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beteiligung der Bundeswehr am KFOREinsatz im Kosovo erfolgt auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Diese Resolution ist zwar wie das auf ihr beruhende Bundestagsmandat unbefristet, die Bundesregierung hat sich aber gegenüber dem Deutschen Bundestag verpflichtet, jährlich vor den Deutschen Bundestag zu treten, um eine Verlängerung zu erbitten, wenn eine Fraktion dies verlangt. Im Bundeskabinett haben wir am 13. Juni den diesbezüglichen Beschluss gefasst. Heute bitten wir das Parlament um Zustimmung zur Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der NATO-geführten Mission KFOR, weil diese Mission für die Stabilität und die friedliche Entwicklung gerade in der jetzigen Situation im Kosovo notwendig ist. ({0}) Wir befinden uns mitten im Entscheidungsprozess hinsichtlich der Statusfrage; das wurde schon angesprochen. Deshalb ist es notwendig, dass wir jetzt keine falschen Signale setzen. Im Rahmen der Verhandlungen haben wir unser Kontingent teilweise durch Reservekräfte verstärkt, damit diese Statusverhandlungen in einer friedlichen und stabilen Situation stattfinden können. Hier ist vorhin gesagt worden, dass sich im Kosovo nichts getan habe. Dazu muss ich deutlich sagen: Wer so etwas sagt, ist in der letzten Zeit offensichtlich nicht im Kosovo gewesen. ({1}) Erstens. Es gibt eine durchaus stabile und friedliche Entwicklung. Zweitens. Ich habe selten ein Land gesehen, in dem so viele neue Häuser gebaut werden. Es gibt ferner eine positive Entwicklung im wirtschaftlichen Bereich. Die Zukunftsperspektive hängt aber davon ab, dass die Statusfrage positiv gelöst wird. Deshalb gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, um genau diesen Prozess zu einem guten Ende zu führen. Wir haben sowohl im Rahmen der Konferenz der europäischen Verteidigungsminister als auch im Rahmen der Konferenz der NATO-Verteidigungsminister in der letzten Woche einstimmig unterstrichen, dass wir den Ahtisaari-Vorschlag für eine gute Grundlage für die Lösung der Statusfrage durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen halten. Herr Ahtisaari, der in der vergangenen Woche die Manfred-Wörner-Medaille erhalten hat, hat uns gegenüber noch einmal versichert, wie wichtig es für den Prozess ist, dass die NATO und die Europäische Union diese Position gemeinsam unterstützen. So tragen sie zu einer friedlichen und guten Lösung der Statusfrage bei. ({2}) Ich denke, jetzt sind drei Dinge erforderlich: Erstens. Wir müssen die Diskussion auf allen Ebenen intensivieren, um eine positive Lösung erreichen zu können. Das beinhaltet auch Gespräche mit Serbien. Die NATO hat Serbien jetzt „Partnership for Peace“ angeboten. Ich denke, wir müssen auch über die europäische Perspektive nachdenken. Wir müssen unseren Beitrag leisten, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Zweitens. Ich denke, es gilt, alles daranzusetzen, dass hier unilaterale Schritte unterlassen werden. Herr Kollege Stinner, ich habe die herzliche Bitte: Wir sollten von unserer Warte aus keine Diskussion über unilaterale Schritte führen. Das würde ein völlig falsches Signal senden. Wir brauchen eine multilaterale, eine gemeinsame Lösung. Denn andere Lösungen würden nur in eine falsche, schlechte Entwicklung im Kosovo führen. ({3}) Vielleicht gibt es nach dem Gespräch am 1. und 2. Juli dieses Jahres der Präsidenten in Maine noch eine weitere Perspektive. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass die Lösung nicht allzu lange auf sich warten lässt. Denn eine alsbaldige Lösung ist - das ist auch die Beurteilung unseres kommandierenden Generals Kather vor Ort - im Interesse einer friedlichen Entwicklung von Bedeutung. Drittens. Herr Ahtisaari hat gesagt: Auch wenn wir eine Statuslösung haben, brauchen wir eine Übergangszeit von vier Monaten. Wir brauchen dann auf jeden Fall noch weitere sechs Monate für den Einsatz von KFOR. Ich denke, wir brauchen darüber hinaus auch den Einsatz von KFOR zur Unterstützung der Entwicklung im Kosovo. Das will ich hier deutlich sagen. Denn dann ist die Überführung in die Polizei- und Rechtsstaatsmission der Europäischen Union und die weitere Ausbildung beispielsweise der Sicherheitskräfte im Kosovo vorgesehen, damit der Kosovo nachher in der Lage ist, in eigener Verantwortung für seine Sicherheit und damit für eine friedliche Entwicklung im Land zu sorgen. Wir haben jetzt rund 2 200 Soldaten im Kosovo. Sie leisten, wie ich finde, einen hervorragenden Einsatz. Wenn Sie mit den Soldaten in Prizren oder Priština in die Stadt gehen, dann merken Sie, wie die Bevölkerung sie positiv aufnimmt, wie sie freudig darauf reagiert, dass unsere Soldaten diesen Beitrag leisten. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandates. Denn es ist im Hinblick auf Stabilität und eine friedliche Entwicklung im Kosovo wichtig. Es ist aber auch wichtig zur Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten, die im Interesse unserer Sicherheit, aber auch im Interesse einer friedlichen Entwicklung in Europa einen bedeutenden Beitrag leisten. Besten Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Kollege Gerd Höfer, SPD-Fraktion, das Wort.

Gerd Höfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesverteidigungsminister hat die Bitte ausgesprochen, der Verlängerung des Mandats im Kosovo zuzustimmen. Dieser Bitte wird die SPD-Fraktion entsprechen. Er hat eine Randbemerkung gemacht, auf die ich gerne zurückkomme. Er hat gesagt, dass viele über das Kosovo reden, aber nur wenige schon einmal dort gewesen sind. Ich war seit 1999 sehr oft dort, das letzte Mal vor sechs Wochen. Zu den Kosten. Diese wurden heute in der Berichterstattung in den Zeitungen etwas übermächtig dargestellt. Es gibt keinen Grund, im Deutschen Bundestag die Kosten der Verlängerung des Mandats um ein Jahr, die auf zwei Haushaltsjahre verteilt sind, nicht zu nennen. Sie sind mit 154 Millionen Euro veranschlagt. Wenn man diese 154 Millionen Euro streichen würde, dann wären im Kosovo keine deutschen und auch keine anderen Soldaten mehr. Wie das Szenario dort dann aussehen würde, haben die Vorredner zum Teil schon beschrieben, obwohl Wahrheit und Realität auf der äußersten linken Seite dieses Hauses nicht wahrgenommen werden. Wahrheit und Realität sind - man kann sie aus bestimmten Zahlen, die in der Presse immer wieder falsch wiedergegeben werden, ableiten -: Wir haben einmal mit einem Idealmandat von 8 500 Soldaten begonnen. Die größte Stärke, die von der Bundesrepublik Deutschland jemals entsendet worden ist, waren 6 440. Ich berichtige den Bundesverteidigungsminister ungern, aber nach meinen Daten ist es so, dass zurzeit 2 167 Soldatinnen und Soldaten im Kosovo sind. Das ist eine Differenz von 3 Soldatinnen und Soldaten; das werden wir aber noch auseinanderdividieren können. Das heißt, schon allein an der Zahl der Soldatinnen und Soldaten kann man einen Fortschritt feststellen. Ich habe vor sechs Wochen mit General Kather gesprochen. General Kather soll hier nicht seiner Nationalität beraubt werden. Er ist Deutscher, aber er ist im Auftrag der KFOR, der NATO dort. Die Soldatinnen und Soldaten, die schon zwei- oder dreimal im Kosovo waren, sagen: Die Art und Weise, wie man dort miteinander umgeht, hat sich eindeutig verändert. Der Stab von General Kather hat klar zum Ausdruck gebracht: Das, was im Jahre 2004 passiert ist und seinen Niederschlag darin gefunden hat, dass sich der Verteidigungsausschuss in einen Untersuchungsausschuss umgewandelt hat, könne und werde sich so nicht wiederholen. Der Ansatz, bestimmte Probleme kriegerisch zu lösen, ist zurzeit auf keiner der beiden Seiten, weder bei den Kosovaren noch bei den Serben, vorhanden. Dass in der „delikaten Phase“, wie sie der Kollege Erler bezeichnet hat, kleinere Demonstrationen oder Unruhen nicht auszuschließen sind, wissen die im Rahmen von KFOR Verantwortlichen. Sie wissen darauf auch in einer Art und Weise zu reagieren, die den Grundsätzen des Peacekeeping sehr nahe kommt. Ich denke, es ist viel zu kurz gesprungen, die Anwesenheit der Soldatinnen und Soldaten aus den verschiedensten Nationen nur auf haushalterische Gründe zurückzuführen. Dafür gibt es auch andere Gründe. Im Zusammenhang mit dem, was dort geschehen ist, habe ich, als ich in Belgrad und im Kosovo war, eines festgestellt - das hat mich verblüfft -: Die Serben sagen, sie brauchten ihr Territorium, und das Kosovo gehöre dazu. Von der Bevölkerung haben sie allerdings überhaupt nicht gesprochen. Ich hatte das Gefühl, sie wollen das Territorium, aber nicht die Bevölkerung. Die Serben haben mir gesagt: Für die Sicherheit sorgt die NATO, und die Flüchtlingsfragen klärt die EU. Wir erwarten, bis zum Jahre 2008 zu Verhandlungen über einen Beitritt zur EU aufgefordert zu werden, und im Jahre 2012 wollen wir mit Sicherheit Mitglied der EU sein. Die Kosovaren haben mir gesagt: Wir sind vorbereitet. Wir haben eine eigene Regierung. Es ist sogar ein britischer Generalmajor im Kosovo, der dort quasi den Verteidigungsminister darstellt. Die Kosovaren denken: Wenn wir frei und selbstständig sind, wird sich schon während des ungefähr 120 Tage dauernden Monitorings alles zum Guten wenden. Dann wird die EU für die Schaffung geeigneter Strukturen und für die Behebung der noch vorhandenen Defizite zahlen. Daran wird deutlich: Beide Seiten sind zurzeit in bestimmten Bereichen äußerst naiv. Da sowohl die Serben als auch die Kosovaren ein sehr großes Bestreben haben, in die EU aufgenommen zu werden, habe ich zu beiden Seiten gesagt: Tut doch so, als wärt ihr bereits Mitglieder der EU. Überlegt euch einmal, was ihr tun müsstet, um die Standards, deren Einhaltung die EU verlangt, zu erreichen. Fangt bitte an, in dieser Reihenfolge zu denken. Ihr wollt im Jahre 2012 Mitglieder der EU werden. Im Jahre 2012 bestünde dann Freizügigkeit zwischen Serbien und dem Kosovo, egal welcher Status vorhanden ist. Darüber hinaus stünde die Rückführung der Flüchtlinge an. Außerdem wäre zu klären, wie Minderheiten zu behandeln sind. All das wäre kein Problem. Ihr müsst allerdings mit diesem Gedanken beginnen. Sonst funktioniert das nicht. Ohne die Zustimmung der Bevölkerung beider Teile des Landes, der Serben und der Kosovaren, wird das nicht funktionieren. Ich hoffe - das ist mir bei meinen Besuchen gesagt worden -: Egal wie die Statusfrage geklärt wird, die KFOR-Truppen sind vorbereitet, das Mandat so lange nach den Grundsätzen des Peacekeeping fortzuführen, bis eine neue Resolution verabschiedet wurde. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses auf Drucksache 16/5753 zu dem An- trag der Bundesregierung auf Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksache 16/5600 zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Zu dieser namentlichen Abstim- mung liegt eine schriftliche Erklärung der Kollegin Petra Hinz vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Es fehlt noch ein Schriftführer von der Opposition. Ich eröffne die Abstimmung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5778? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt. - Die Linke hat nicht abgelehnt. - Also, ich revidiere: Die Fraktion Die Linke hat abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/5779? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c sowie Zusatzpunkt 4 auf: 6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer ({0}), Dirk Fischer ({1}), Eck- hardt Rehberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten 1) Anlage 2 Uwe Beckmeyer, Dr. Margrit Wetzel, Dr. Rainer Wend, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine zukunftsgerichtete europäische Mee- respolitik - Drucksache 16/5731 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer ({3}), Eckhardt Rehberg, Wolfgang Börnsen ({4}), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Garrelt Duin, Dr. Rainer Wend, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken - Drucksachen 16/4423, 16/5437 - Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Marieluise Beck ({5}), Volker Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine nachhaltige und umfassende Meerespolitik für die Europäische Union - Drucksache 16/5428 ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Angelika Brunkhorst, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schutz und Nutzung der Meere - Für eine integrierte maritime Politik - Drucksachen 16/4418, 16/5764 Berichterstattung: Abgeordneter Uwe Beckmeyer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Kollegen Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion. ({8})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Manche werden fragen, was ein Grünbuch Meerespolitik soll. Seit einem Jahr liegt das Grünbuch zur Beratung im Deutschen Bundestag. Durch das Grünbuch wurde bewirkt, dass sich über das Parlament, den Deutschen Bundestag, hinaus auch die Landesparlamente und der Bundesrat in vielfältiger Art und Weise mit dem Ansatz der Europäischen Kommission befasst haben, die Meerespo10772 litik zum ersten Mal nicht nur sektoral zu betrachten. Das heißt, die Schiffbauindustrie, der Seeverkehr, der Küstenschutz, die Offshorefischerei und die Meeresumwelt wurden nicht separat, sondern mit einem integrativen Ansatz betrachtet. Deswegen, glaube ich, ist es wichtig und gut, dass der Deutsche Bundestag eine eigene Stellungnahme erarbeitet hat, was zeitlich leider erst nach der Bremer Konferenz möglich war, die ich als sehr erfolgreich bezeichne - ich bin hier den Kolleginnen und Kollegen der SPD für die schnelle und konstruktive Zusammenarbeit ganz ausdrücklich dankbar -, und dass wir auch noch einmal unterstrichen haben, dass wir erst durch diesen ganzheitlichen Ansatz, also diese ganzheitliche Betrachtung der Ozeane und Meere, nicht nur die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte, sondern zugleich auch die ökologischen Aspekte sehen. Dies muss ein Dreiklang sein: wirtschaftlich, sozial und ökologisch. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum haben Meere und Ozeane in Deutschland möglicherweise nicht die Aufmerksamkeit - sie stehen nicht so im Fokus wie in Großbritannien, Spanien, Portugal oder Frankreich? Ich glaube, dass dem einen oder anderen gar nicht klar ist, dass zum Beispiel 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union an den Küsten erzeugt werden, dass durch 400 000 Beschäftigte in der maritimen Wirtschaft in Deutschland 54 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung erbracht werden - das ist fast das Dreifache wie in der Luft- und Raumfahrtindustrie - und dass 95 Prozent des interkontinentalen Warenverkehrs über den Seeweg erfolgen. Ich sage ganz ausdrücklich, dass ich sehr froh darüber bin, dass neben unserer Stellungnahme zum Grünbuch auch der Antrag „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“ verabschiedet werden soll. Ich will noch auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Man kann in der Kürze von fünf Minuten nicht alle Aspekte ansprechen. Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir uns gerade in der Nord- und in der Ostsee - in zwei relativ kleinen Meeren - zunehmend mehr dem Thema Schiffssicherheit widmen müssen. Ich nenne einige Stichworte und sage das sehr drastisch und ausdrücklich: Die Schrott- und Seelenverkäufer - Stichwort: Einhüllentanker - gehören runter von den Weltmeeren. Schrott gehört auf den Müll. ({1}) - Herr Kollege Steenblock, das kann man tun. Ich habe das bewusst überspitzt gesagt: Schrott gehört auf den Müll. - Daneben nenne ich die Lotsenpflicht für die Kadetrinne, feste Seerouten für Öltanker und andere gefährliche Schiffe, Einführung des Weitbereichsradars. Wir müssen auch über ein internationales Küstenzonenmanagement reden und die Nutzungskonflikte nicht nur national, sondern auch international lösen. Wir brauchen eine integrierte Meeresforschung. Wir sind Technologieführer zum Beispiel im Schiffbau und haben durch effiziente Schiffsantriebstechniken die Chance, sehr stark dafür zu sorgen, dass die Energieeffizienz auf den Schiffen steigt. Schließlich nenne ich auch das Thema Cleanship-Entsorgung. Auch hier können und sollten wir mit deutscher Technologie ganz einfach nach vorne schreiten. Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Dinge anfügen. Ich denke, wir sollten alle gemeinsam - hier sind nicht nur die Küstenländer gefordert - den Stellenwert maritimer Technologien nach vorne stellen. Es kann nicht sein, dass der Umfang der maritimen Technologien nur 0,4 Prozent gegenüber den Raumfahrttechnologien und nur 0,75 Prozent gegenüber den Energietechnologien ausmacht. Wenn wir diese ganzheitliche Betrachtung wirklich ernst meinen, dann müssen wir in diesem Bereich auch mehr investieren. Ich will zum Schluss einen Satz aus dem Grünbuch zitieren: „Die Eindämmung des Klimawandels ist für den Schutz unserer Wirtschaft entscheidend.“ Wer unseren Antrag als unausgewogen kritisiert, den bitte ich: Lesen Sie ihn von vorne bis hinten durch! Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 5 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo, Drucksachen 16/5600 und 16/5753, bekannt: Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 515, mit Nein haben gestimmt 58, Enthaltungen 3. Die Beschlussempfehlung und damit der Antrag der Bundesregierung sind angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 515 nein: 58 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Renate Blank Peter Bleser Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({1}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({9}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({10}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({11}) Stefan Müller ({12}) Bernward Müller ({13}) Bernd Neumann ({14}) Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Andreas Schmidt ({17}) Ingo Schmitt ({18}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({20}) Gerald Weiß ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({22}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({23}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Bernhard Brinkmann ({24}) Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({25}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({26}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Iris Hoffmann ({27}) Frank Hofmann ({28}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({29}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({30}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({31}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({32}) Michael Müller ({33}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({34}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({35}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({36}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({37}) Silvia Schmidt ({38}) Heinz Schmitt ({39}) Carsten Schneider ({40}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({41}) Swen Schulz ({42}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({43}) Lydia Westrich Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({44}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({45}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({46}) Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({47}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({48}) Markus Löning Horst Meierhofer Jan Mücke Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({49}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({50}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({51}) Volker Beck ({52}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({53}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({54}) Monika Lazar Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({55}) Omid Nouripour Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Silke Stokar von Neuforn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({56}) Willy Wimmer ({57}) SPD Gregor Amann Petra Hinz ({58}) FDP Jürgen Koppelin DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kersten Naumann Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({59}) Volker Schneider ({60}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Hans-Christian Ströbele Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Enthaltung CDU/CSU Dr. Wolf Bauer FDP BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Irmingard Schewe-Gerigk Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion. ({61})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht interessiert es auch die Zuhörer: Es geht heute um zwei Anträge. Ein Antrag trägt den Titel „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“. In dem anderen Antrag geht es um das Grünbuch der Europäischen Kommission „Die künftige Meerespolitik der EU“. Nicht jeder weiß, was ein Grünbuch ist. ({0}) - Es ist gut, dass Sie das wissen. Das freut mich. - Auf europäischer Ebene werden aus Grünbüchern Weißbücher entwickelt, die sich dann in Gesetzen und Verordnungen niederschlagen. Dabei muss man gut aufpassen, dass die maritimen Interessen so zum Tragen kommen, wie wir es uns wünschen. Das machen die FDP und auch ich persönlich, seit ich die Aufgabe des Sprechers für diesen Bereich wahrnehme. Wir haben über 50 parlamentarische Initiativen eingebracht. Dabei war uns immer wichtig, gleiche Wettbewerbschancen zu schaffen. Sie erinnern sich sicherlich an den Kampf um die Tonnagesteuer. Des Weiteren geht es uns um den Meeres- und Küstenschutz, um die Schiffssicherheit und um eine leistungsfähige Wasserund Schifffahrtsverwaltung, die ihre Aufgaben erfüllen kann. Sie nimmt gerade in dieser Zeit besondere Aufgaben wahr, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Realisierung des Jade-Weser-Portes in Wilhelmshaven. Ein weiterer wichtiger Punkt ist aus unserer Sicht der aktivierende Staat. Das bedeutet, dass möglichst viele Aufgaben des Staates an Private übertragen werden. Auch darüber können wir noch sprechen, wenn es um Rettungskonzepte geht. Außerdem geht es uns um eine bedarfsgerechte Infrastruktur. Wir werden dem Antrag zur Stärkung der maritimen Wirtschaft zustimmen, weil wir uns in dieses Vorhaben eingebunden sehen und weil wir es für klug halten, die in einzelnen Punkten erzielte Übereinstimmung auch gemeinsam zum Ausdruck zu bringen. ({1}) Wir werden uns bei Ihrem Antrag zum Grünbuch der Stimme enthalten, Herr Rehberg, obwohl auch dieser Antrag viele wichtige Punkte enthält. Es ist aber ein bisschen blamabel, Herr Rehberg ({2}) - doch, Herr Rehberg; es ist blamabel -, wenn Sie darauf hinweisen, dass das Vorhaben seit einem Jahr auf dem Weg ist. Ich weiß, dass die Konferenz in Bremen nicht ein Jahr zurückliegt, sondern später war. Sie haben aber erst zwei Tage vor der Abstimmung im Parlament, am Dienstagabend, eine Vorlage eingebracht, die ich im Übrigen in vielen Bereichen für sehr qualifiziert halte. Ich habe sie intensiv gelesen. ({3}) - Warum verzichten Sie dann auf eine Beratung im Ausschuss, Herr Rehberg? Warum sind Sie mit Ihrer Leistungsfähigkeit als Große Koalition nicht in der Lage, ein geordnetes Verfahren auf den Weg zu bringen, bei dem wir dann gemeinsam feststellen könnten, dass wir auch mit dem Grünbuch auf einem guten Weg sind? Ihren Vorschlägen kann man inhaltlich in vielen Punkten zustimmen, aber der Verfahrensweg, den Sie beschritten haben, ist eine Blamage für Ihre Arbeit. ({4}) Lassen Sie mich einige Punkte ansprechen, die uns sicherlich gemeinsam am Herzen liegen und die auch die Staatssekretärin beim Deutschen Seeschifffahrtstag in Emden und der Herr Bundespräsident angesprochen haben. Es gibt Personalprobleme, was die Qualifikation derjenigen angeht, die auf den Schiffen beschäftigt sind. Das ist kein neues Phänomen. Wir haben schon 1990 im Ausschuss für Häfen und Schifffahrt des Niedersächsischen Landtags Klagen darüber gehört, dass Personal in diesem Bereich unterqualifiziert ist. Daraus erwachsen Sicherheitsprobleme auf den Seewegen. Ich glaube, dass wir gemeinsam Anstrengungen unternehmen müssen, um hierbei Verbesserungen zu erreichen. Das gilt auch für die Länder. Ich finde es gut, dass in Niedersachsen - auch durch die Seefahrtsschule in Leer und mit Ihrer Unterstützung, Herr Duin - erreicht wurde, dass sich die Reeder engagieren, damit qualifizierter Nachwuchs gesichert werden kann. Dann können wir auch ernst machen mit dem Zurückflaggen der Schiffe, die bis jetzt zum Teil im Ausland registriert sind. In Bezug auf die Realisierung des Schiffbaus in Deutschland haben wir nach wie vor ein Problem. Das Problem der Zinsschranke ist für das eine oder andere Werftunternehmen auch im Zuge der Beratungen zur Unternehmensteuerreform nicht bereinigt worden. Ich habe gehört, dass es in diesem Zusammenhang ein Omnibusgesetz geben soll, das manches einsammeln will, was in diesem Bereich falsch gelaufen ist. Ich bitte Sie noch einmal, sehr genau darauf zu achten, dass man gerade Unternehmen, die hohe kreditfinanzierte Investitionen auf den Weg bringen, nicht das Wasser abgräbt; denn das wäre jammerschade. ({5}) Heute ist ja ein Jubeltag. Endlich ist die Notfallschlepper-Ausschreibung auf den Weg gebracht. ({6}) - Dazu können wir uns gerne selbst gratulieren, liebe Kollegen. Aber warum haben Sie so lange dafür gebraucht? Mir ist auch wirklich schleierhaft, warum die Verwaltung in diesem Bereich einiges vereumelt hat. Lassen Sie uns jetzt aber froh und glücklich sein. Hoffentlich kommen die Schlepper dann auch nach den Ansprüchen, die wir gestellt haben, die wir in diesem Bereich vielleicht ein bisschen mehr Ahnung haben als der eine oder andere Verwaltungsbeamte. Es ist gut, dass das jetzt auf den Weg gebracht ist; denn nichts ist für unsere Meere so schlimm wie Unsicherheit und Gefährdung durch Schiffsunfälle. Das haben wir erlebt. Jeder, der Leistungsfähigkeit im Hafenbereich will, will auch auf den Zufahrtswegen und auf den Binnenwasserstraßen Sicherheit haben. Wer die Deutsche Bucht ein bisschen kennt, der weiß, dass Sicherheit dort eine der größten Herausforderungen ist; denn ansonsten ist der Nationalpark Wattenmeer - demnächst wahrscheinlich sogar Weltnaturerbe - überhaupt nicht mit unseren Vorstellungen von der Nutzung der Häfen und der Nutzung der Chancen in den Häfen in Einklang zu bringen. Die europäische Ebene geht jetzt mit dem Grünbuch in bestimmte Bereiche hinein. Das begrüße ich sehr. Diesen integrativen Ansatz haben Sie auch zum Ausdruck gebracht, Herr Rehberg. Ich bin ebenfalls dafür, dass wir Raumordnungspläne auflegen und sagen: Das ist unsere europäische Zielsetzung. Ich bin aber strikt dagegen, dass die europäische Ebene bestimmt, welcher Hafen übernationale Bedeutung hat und welcher Hafen möglicherweise nur nationale Bedeutung hat. Einen solchen Eingriff der europäischen Ebene in unsere Gestaltungsmöglichkeiten sollten wir auf jeden Fall abwenden. ({7}) - Sie haben ihn nicht abgewendet. In Ihrem Antrag steht, dass das auf den Weg gebracht werden soll. Bisher haben Sie gar nichts abgewendet, Herr Rehberg. Auch an anderen Stellen - zum Beispiel bei ILO-Vereinbarungen - haben Sie die Dinge nicht so auf den Weg gebracht, wie Sie es hier eben darzustellen versucht haben. Wir können uns sehr gerne über gemeinsame Schritte in diesem Bereich einigen. Ich biete das noch einmal ausdrücklich an. Der maritime Bereich eignet sich dafür, dass wir uns gemeinsam aufstellen; denn er ist extrem chancenreich. Ich bin dafür, dass wir diese Dinge gemeinsam abklären. Allerletzter Punkt: Das gilt zum Beispiel auch für den Fischfang. Ich bin froh darüber, dass es dort jetzt - auch mit Unterstützung des Bundesministeriums, auch durch Herrn Minister Seehofer - zu Verbesserungen kommt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Goldmann!

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir müssen klipp und klar sagen: Die Überfischung ist nicht hinzunehmen. Gemeinsam kriegen wir es aber hin. Ich hoffe, dass wir in diesen Fragen weiterhin an einem Strang ziehen können. Herzlichen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich gebe dem Kollegen Uwe Beckmeyer, SPD-Fraktion, das Wort.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Wort vorweg zu Herrn Goldmann: Dieser Antrag des Deutschen Bundestages ist heute eine Premiere. Wir wenden uns als Deutscher Bundestag nämlich zum ersten Mal direkt an die Europäische Kommission. Das ist in dieser Frage auch absolut angemessen, denke ich. Natürlich erwartet der Deutsche Bundestag von der Bundesregierung, dass sie diesen Beschluss auch an die Europäische Kommission weiterleitet. Wir haben in diesem klaren Text auch zum Ausdruck gebracht, welche besonderen Erwartungen wir an die Diskussion haben, die sich auf der europäischen Ebene an das Grünbuch anschließt. Wir wollen nicht, dass es - wie Sie es in Ihrem Antrag teilweise formuliert haben - in diesem Prozess zu weiter gehenden Kompetenzverlagerungen kommt. ({0}) - An die EU. ({1}) - Nein. ({2}) Wir sind der festen Überzeugung: Einiges muss konsolidiert, zusammengeführt und abgestimmt werden. Dies soll auch erfolgen. ({3}) Dabei sollte Folgendes nicht außer Acht gelassen werden: Verlagerungen von wichtigen Entscheidungen an die EU sind - auch nach dem Subsidiaritätsprinzip nicht einfach hinzunehmen. Wir haben in Europa 27 Kommissare und entsprechende Aufgabenfelder. Wenn nun ein neues Aufgabenfeld kreiert werden soll, dann müssen wir aufpassen, dass wir unsere nationalen und landespolitischen Handlungsspielräume behalten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Beckmeyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Frau Präsidentin. ({0}) Lieber Herr Goldmann, zum Verfahren selbst: Der Antrag Ihrer Fraktion ist eigentlich ein Reflex auf eine Konferenz, die schon fast ein Jahr zurückliegt. Wir vertreten in unserem Koalitionsantrag Positionen, die deutlich machen, was wir von der Europäischen Kommission erwarten. ({1}) Wir wollen zeigen, dass die Meerespolitik und der maritime Sektor insgesamt für Europa und insbesondere für Deutschland eine große Bedeutung haben, und zwar auf den verschiedenen ökonomischen Feldern, nicht nur im Außenhandel, im Seehandel, in der Hafenwirtschaft und der maritimen Wirtschaft. Es gibt Hunderttausende Arbeitsplätze, die davon direkt abhängig sind, und eine vielfache Zahl mehr, die davon indirekt abhängig sind. Das machen die im Grünbuch aufgezeigten Schwerpunktthemen deutlich. Wenn es um Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit, Forschung und Innovation sowie das Leben an der Küste und die gemeinsame Verantwortung für die Meere geht, müssen wir gemeinschaftlich handeln. Richtig ist: Kaum ein anderer Wirtschaftszweig muss sich in gleichem Maße im globalen Wettbewerb behaupten wie der maritime Sektor. Insofern ist es wichtig, unsere Konkurrenzfähigkeit auf internationaler Ebene zu sichern, indem wir bisher isoliert betrachtete einzelstaatliche Politiken künftig stärker miteinander verzahnen und gemeinsam vorantreiben. Die Europäische Union kann uns hier helfen. Dafür ist sie weltweit in den entsprechenden Gremien tätig. Sie ist die Instanz, die die jeweiligen nationalen Interessenlagen vertreten muss. In den Bereichen Seeverkehr, Schiffbautechnik, Offshore-Energien und maritime Dienstleistungen sind wir auf einem guten Wege. Hier ist Europa hilfreich. Wir brauchen in der Frage, wie wir uns national aufstellen und wie wir ökonomische Interessen durchsetzen können, im Hinblick auf die Menschen sowie die Arbeitsplätze und die Dienstleister an der Küste abgestimmte Strategien. Diese müssen unser Politikverständnis und unsere Gestaltungskraft widerspiegeln. Wir betreiben Politik vor Ort. Das ist wichtig. Wir wollen mit einer solchen Politik unsere Stärken stärken. Das ist der entscheidende Punkt. Den Europaskeptikern, die kritisch fragen, ob wir überhaupt Meerespolitik betreiben müssen, sage ich: Ja. Einige sagen, Deutschland sei ein - das habe ich erst gelernt - Kurzküstenstaat. Das stimmt aber nicht; denn mathematisch gesehen ist Küste ohnehin ein fraktales Gebilde und insofern unendlich. Das ist sicherlich nur Mathematik. Aber man darf nicht vergessen, dass an der Küste Menschen leben. Wenn man sich die Karte Europas anschaut, dann stellt man fest, dass Europa eine große Halbinsel ist, umgeben von Wasser, und zwar von Mittelmeer, Nordostatlantik und Ostsee, dem Baltischen Meer. Und wir sind mitten drin. Wir sollten gemeinschaftlich alles tun - das haben auch wir in der Koalition verabredet -, dass die genannten Bereiche eine Zukunft haben und dass die Profilbildung, die Spezialisierung und das Schaffen von Netzwerken auf diesem Gebiet unterstützt werden. Insofern ist der Plan der Europäischen Kommission hinsichtlich der Zukunft und des Clusterings, der dazu dient, Synergien zu verstärken, der richtige Ansatz. Die deutschen Seehäfen verfolgen diese Strategie. Sie sind hier zu einem großen Erfolg gekommen. Ich habe die Hoffnung, dass wir - auch mit Unterstützung der Europäischen Kommission - die enormen Zukunftspotenziale, die wir auf diesen Feldern haben, ausschöpfen werden. Das ist unsere Aufgabe. Wir bitten Brüssel, sich hier einzubringen, den Informationsaustausch zu verbessern und unsere Interessen international zu vertreten. Alle politischen Seiten sollten sich bemühen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Beckmeyer, ich bin schon erstaunt und auch ein bisschen traurig darüber, dass Sie das Angebot der FDP, in dieser Frage zusammenzuarbeiten, sozusagen mit Füßen treten. Angesichts der Tatsache, dass Bremen und Niedersachsen - in Niedersachsen haben wir eine CDU/FDP-geführte Landesregierung ({0}) gemeinsam den Jade-Weser-Port auf den Weg bringen, mit dem Bremer Interessen berührt werden, finde ich Ihr Verhalten nicht sehr geschickt. Angesichts der Tatsache, dass wir gemeinsam versuchen, an der Elbe eine Lösung zu finden, die der Metropole und dem Seehafenstandort Hamburg gerecht wird, bedaure ich sehr, dass Sie hier mit Unterstellungen arbeiten. Weil Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, möchte ich Sie an dieser Stelle herzlich bitten, mir die Frage zu beantworten, an welcher Stelle der FDPAntrag Kompetenzen auf die europäische Ebene zum Nachteil nationaler Interessen verlagern will. Das werden Sie an keiner einzigen Stelle finden. Wir sind nämlich für Ausgewogenheit. Ich will noch etwas zu den Häfen sagen, die auch Sie angesprochen haben. Herr Kollege Beckmeyer, ich gehe davon aus, dass Sie das Grünbuch intensiv studiert haben. Es liegt schon lange Zeit vor. Aber es ist nicht richtig, dass sich unser Antrag auf das Jahr davor bezieht. In Ihrer schönen Hansestadt haben wir zu diesem Bereich eine Maritime Konferenz durchgeführt und einen entsprechenden Antrag vorgelegt, der Ihnen seit langem bekannt ist. Sie wissen doch hoffentlich genauso gut wie ich, dass die Häfen nicht im Grünbuch aufgenommen wurden. Oder ist Ihnen das entgangen? Sie wissen doch, dass die europäische Ebene nach dem Desaster, das wir bei Port Package zweimal erlebt haben, die Häfen ausgespart hat. Sie bringen mit Ihrem Antrag zum Ausdruck, dass Sie die Häfen in eigener Regie betreiben wollen. Sie wollen also genau das, was Sie uns unterstellen. Denn in Ihrem Antrag heißt es auf Seite 6: „... dass es keine europäische Politik der Konzentration auf wenige ‚mainports’ gibt“. Weil ich Sie in dieser Frage in meinen Ausführungen unterstützt habe, weiß ich also wirklich nicht, was Ihre Unterstellungen sollen, wir würden den Grundvorstellungen kluger maritimer Politik mit unserem Antrag entgegenstehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Beckmeyer, bitte.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Goldmann, ich antworte Ihnen wie folgt: Erstens. Die Maritime Konferenz in Bremen, von der Sie gesprochen haben, fand vor zweieinhalb Jahren statt. ({0}) - Die letzte Maritime Konferenz hat in Hamburg stattgefunden. ({1}) Was in Bremen stattgefunden hat, war eine Anhörung zum Grünbuch der Europäischen Kommission. ({2}) Daran habe ich teilgenommen und einen Arbeitskreis geleitet. Insofern weiß ich schon, wovon ich rede. ({3}) Zweitens. Wenn ich Ihren Antrag richtig gelesen habe, dann fordern Sie die Gründung einer maritimen Agentur, ({4}) die mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet ist. Man muss da genau unterscheiden und aufpassen, was man tut. Wir unterstützen die auf Brüsseler Ebene vorhandenen Tendenzen, in Europa quasi einen Aufgabenklau vorzunehmen, nicht. Die Kommissare sollen sich vielmehr auf ihre Aufgaben konzentrieren und ihre Arbeitsfelder entsprechend abgrenzen. Was national zu entwickeln ist und was national zu erledigen ist, bleibt auch zukünftig auf nationaler Ebene. ({5}) Zum Thema Häfen, Herr Goldmann. Ich weiß, was Hafenpolitik ist. Sie sprechen von einer Konzentration auf Mainports. Dabei wissen Sie ganz genau, dass die Seehafenpolitik in unserem Land eine Mainport-Strategie nicht zulässt. Denn eine Mainport-Strategie wird in der Szene als eine Strategie zugunsten von Rotterdam und Antwerpen verstanden. ({6}) Wir haben in Deutschland klipp und klar gesagt, eine solche Konzentration werden wir nicht mitmachen. Wir wollen unter anderem, dass Hamburg, die bremischen Häfen und zukünftig auch Wilhelmshaven im Fokus stehen. Jetzt zu den nachgelagerten Häfen mit vielfältigen Feederfunktionen: Die brauchen wir alle in Europa an der Küste dieses Kontinents. Da gibt es kein Vertun. Diese Position haben wir deutlich beschrieben. ({7}) Sie sagen, wir hätten dazu nichts gesagt. Schauen Sie hinsichtlich der Gestaltung der Spielräume der regionalen und nationalen Ebene doch einmal auf Seite 5 unseres Antrags. Da schreiben wir, „dass die inhaltlichen und administrativen Vorgaben durch die EU-Meerespolitik auf den notwendigen Umfang beschränkt und Gestaltungs- und Handlungsspielräume auf regionaler und nationaler Ebene erhalten werden“ sollen. Das ist die Position der Koalition in dieser Frage, ganz eindeutig und klipp und klar. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass wir im Bundestag bis zur Sommerpause zweimal Gelegenheit haben, uns mit dem Meeresschutz zu beschäftigen. Ich denke, in der Debatte zu unserer Großen Anfrage in der nächsten Sitzungswoche können wir uns detailliert damit befassen, was zu tun ist, um die anhaltende Überfischung der Weltmeere zu stoppen, und auch darüber, wie wir mit der Versauerung der Meere umgehen. Wenn es heute vorrangig um einen integrierten Ansatz, also einen übergreifenden EU-Meeresschutz, gehen soll, dann dürfen wir nicht den gleichen Fehler machen wie den, der sich durch das EU-Grünbuch zum Meeresschutz durchzieht. Die Kommission schreibt dort eingangs, sie wolle in der EU-Meerespolitik einem integrativen Ansatz folgen, einem Ansatz, der die Meere nicht nur als Wirtschaftsraum, sondern auch als Ökosystem begreift. In der Logik des übrigen Textes geht es aber fast nur noch um Anforderungen zur Nutzung an das Meer: Es soll der Schifffahrt dienen, Rohstofflager sein, Energie liefern, Erholung bieten und natürlich vor allem der Fischerei zur Verfügung stehen. In dem Grünbuch geht es lediglich darum, die konkurrierenden Nutzungsansprüche an die Ozeane besser aufeinander abzustimmen. Die Meeresumwelt ist den Autoren eher fremd. Das Problem ist aber gerade: Das Meer wird nicht als Ökosystem nachhaltig genutzt, sondern rücksichtslos ausgebeutet. Der schutzwürdige Eigenwert der Meeresökosysteme und ihrer Tier- und Pflanzenwelt spielt jenseits einiger spektakulärer Tierarten so gut wie keine Rolle. Dass im Grünbuch irgendwo auch etwas zur Eindämmung der illegalen Fischerei steht, ist begrüßenswert. Im Kontext dürfte der Passus aber eher dem Schutz der legalen Fischerei als einem Umweltgedanken geschuldet sein. Konsequenterweise lautet die erste der gestellten Fragen im Grünbuch, welchen Mehrwert eine integrierte Meerespolitik in der EU gegenüber nationalen Maßnahmen haben könnte. Da werden dann jede Menge marine Wirtschafts- und Wachstumspotenziale aufgezeigt, um eine gemeinsame EU-Politik zu rechtfertigen. Nun könnte man argumentieren, das Grünbuch sei nur eine Säule im EU-Meeresschutz, die eigentliche Umweltsäule sei die Meeresstrategierichtlinie, welche gerade auf die abschließende Lesung im EU-Parlament wartet. ({0}) Da kann ich nur antworten: Erstens, was nutzt die Umweltsäule, wenn über das Grünbuch und die folgenden Aktionsprogramme Fakten geschaffen werden, die die Meeresumwelt nachhaltig schädigen? Was nutzt eine isolierte Umweltpolitik für die europäischen Meere, wenn wachsender Seeverkehr, Rohstoffförderung, immer mehr Gentechnik sowie zunehmender Fischereidruck immer stärker in die ohnehin gestresste Meeresumwelt einwirken? ({1}) Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass die berühmte Umweltsäule reichlich brüchig ist. Der Meeresschutz wird mit dem Richtlinienvorschlag der Kommission weitgehend zurück in die Verantwortung der einzelnen Mitgliedsländer gelegt. Absurderweise sind genau jene Politikfelder aus der Richtlinie ausgeklammert, in denen die EU über die Kompetenzen verfügt. Das betrifft zum Beispiel die gemeinsame Fischereipolitik. Dabei ignoriert beispielsweise der Fischereiministerrat seit Jahren die Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung, die Kabeljau- bzw. Dorschfischerei in der Nord- und Ostsee zu stoppen. Ausgeklammert ist auch die EU-Landwirtschaftspolitik, die etwa bezüglich der Problematik Überdüngung und Algenblüte sehr viel mit dem Schutz der Meere zu tun hat. Das EU-Parlament hat im Zuge der ersten Lesung einige Verbesserungen am Richtlinienvorschlag vorgenommen. Leider wurden sie alle vom Umweltministerrat wieder kassiert. Ich kann nur hoffen, dass das EU-Parlament seine Einwände nach der Sommerpause erneut erhebt. ({2}) Wenn wir bis 2021 einen guten Zustand der Meere erreichen wollen, so geht das nur mit einer wirklich integrierten Meeresschutzpolitik. Diese muss den Schutz der Ozeane über die wirtschaftliche Nutzung stellen. Ist dies gesichert - nächste Woche werden wir uns darüber sehr intensiv unterhalten -, werden auch die Fische zurückkehren. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, nennt man dann Nachhaltigkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich ein gutes Zeichen - auch im Hinblick auf die Europatauglichkeit unseres Parlaments -, dass wir uns hier mit diesem Grünbuch beschäftigen und dass wir versuchen, den Prozess der Beteiligung nationaler Parlamente an europäischen Entscheidungen durch solche Beratungen zu stärken. Lassen Sie mich vorausschicken: Ich wünsche mir allerdings, dass das Zusammenspiel zwischen parlamentarischer Diskussion und Stellungnahme gegenüber der Europäischen Union ein bisschen professioneller wird. Wir Grünen haben in den Konsultationsprozess der Europäischen Union eine ausführliche Stellungnahme - sie umfasst über 50 Seiten; damit können wir uns hier nicht befassen - eingespeist. Ich stelle fest, dass die Bundesregierung bisher überhaupt nichts vorgelegt hat. Die Koalition hat wirklich auf den letzten Drücker ein Papier vorgelegt, das man in den Konsultationsprozess nicht einbringen kann. ({0}) Angesichts dessen muss ich sagen: Wir behandeln zwar das richtige Thema; aber die im Hause praktizierten Verfahren lassen sich insgesamt durchaus noch verbessern, wenn wir in Brüssel bezüglich dieser zentralen Fragen Gehör finden wollen. ({1}) Das Grünbuch, das die EU vorgelegt hat, verdient Kritik. ({2}) Dieses Grünbuch wird seinem Anspruch nicht gerecht; da stimme ich dem, was die Kollegin der Linken gerade gesagt hat, ausdrücklich zu. Ich will das an drei Beispielen deutlich machen. Erstes Beispiel: Fischerei. Die Kabeljaubestände in Nord- und Ostsee sind nahezu leergefischt. Das weiß jeder. Alle Wissenschaftler sagen, dass wir ein Verbot des Fangs von Kabeljau brauchen, wenn sich diese Bestände überhaupt wieder regenerieren sollen. ({3}) Trotzdem hat der EU-Ministerrat für Landwirtschaft und Fischerei unter Vorsitz von Herrn Seehofer für das nächste Jahr eine Fangquote für Kabeljau von 23 000 Tonnen beschlossen. Es ist immer wieder das gleiche Spiel. Wir haben praktische, konkrete Vorstellungen über die Nutzung des Meeres. Wenn es aber um den Schutz des Meeres geht, dann benutzen wir häufig nur Worthülsen. ({4}) Sieht man einmal von dem ab, was die Kollegin der Linken gesagt hat, ging es in der ganzen bisherigen Debatte zu etwa 5 Prozent um den Schutz des Meeres und zu 95 Prozent um Nutzungsstrategien. Mit diesem Vorgehen werden wir das Meer kaputt machen. ({5}) Wir brauchen eine europäische Fischereipolitik, die die Fangquoten reduziert. In bestimmten Bereichen müssen die Fangquoten bei null liegen. Die Grundnetzschlepperei muss verboten werden. ({6}) Unsinnige Subventionen müssen abgebaut werden. Außerdem brauchen wir - auch das ist noch nicht erwähnt worden - Meeresschutzgebiete, wenn wir das Meer für uns und die nachfolgenden Generationen erhalten wollen. ({7}) Zweites Beispiel: Schiffsemissionen. Das Schiff hat das Potenzial zum ökologisch verträglichsten Verkehrsmittel. Wenn wir uns einmal anschauen, was die Schiffe zurzeit noch emittieren, dann erkennen wir, dass das echte Dreckschleudern sind. Das muss man so sagen. Es gibt Schiffe, auf denen Kraftstoffe verbrannt werden, die an Land als Sondermüll entsorgt werden müssten. Wir brauchen mehr Forschung und Entwicklung. Wir brauchen alternative Kraftstoffe und alternative Antriebe. ({8}) Wir sind da schon sehr weit. Deutschland kann auf diesem Gebiet sehr gut sein. „European Clean Ship“ ist eine Strategie, die wir unterstützen. Hier können wir technologisch vorangehen. Notwendig ist, dass die CO2-Emissionen von Schiffen in den Handel mit Emissionszertifikaten einbezogen werden. ({9}) Dafür muss sich die Bundesregierung einsetzen. Herr Tiefensee hat das einmal angesprochen. Das ist aber wieder untergegangen. ({10}) Das ist etwas, was beim Thema Meer häufiger passiert. So etwas sollte in der Bundesregierung aber seltener passieren. ({11}) Drittes Beispiel: Offshorewindenergie. Die Offshorewindparks sichern nachhaltige Energiegewinnung, und sie sichern Arbeitsplätze. In Werften und im Maschinenbau werden dadurch in den nächsten Jahren 20 000 neue Jobs an der Küste entstehen. Der Exportanteil in Deutschland ist enorm. Das Investitionsvolumen beträgt 50 Milliarden Euro. ({12}) - Halten Sie doch endlich einmal Ihr Sprechwerkzeug ruhig! ({13}) Sie können sich immer gern zu einer Zwischenfrage melden; dann habe ich mehr Redezeit. ({14}) Dieses Potenzial an Dualität, was reden angeht, Herr Goldmann, ist wirklich unter Ihrer Würde. ({15}) Gerade der Offshorebereich macht deutlich, dass wir technologische Innovationen brauchen. Wir brauchen Forschung auf diesem Gebiet. Im maritimen Bereich ist eine ganze Menge an ökologischer Forschung, gerade im Energiebereich, über die Windenergie möglich. Ich nenne Gezeitenkraftwerke und Strömungskraftwerke. In diesem Bereich haben wir enorme Potenziale. Deutschland und die Europäische Union können hier Vorreiter sein. Wenn wir in diese Richtung Politik machen, wenn wir Meeresschutz ernst nehmen - nur dann - und die wirtschaftlichen Potenziale zusammenführen, ({16}) werden wir eine Perspektive haben, bei der wir das Meer den nachfolgenden Generationen so überlassen können, dass auch sie noch eine Nutzungsmöglichkeit haben. ({17}) Das ist machbar. Dafür steht unser Antrag. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. Wenn ich zum Schluss noch Folgendes sagen darf: Frau Merkel hat in Bremen auf der Grünbuch-Konferenz eine Rede gehalten - Herr Beckmeyer, Sie waren da -, die ausgesprochen gut war. ({18}) - In Bremen. - Ihr Antrag ist leider nur ein Abklatsch davon. Die Rede von Frau Merkel müsste Sie eigentlich dazu zwingen, unserem Antrag zuzustimmen; denn er entspricht genau der Intention ihrer Rede damals. Vielen Dank. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollege Steenblock, ich glaube, auch Ihnen ist bekannt, dass die Bundesregierung von Anfang an aktiv am Grünbuch mitgearbeitet hat. Wir haben schon im Mai 2005, als es das Licht der Welt erblickt hat, ein abgestimmtes Positionspapier vorgelegt. ({0}) Wir sprechen über das Meer, über einen Wirtschaftssektor mit einer sehr großen Zukunft. Wir als Regierung haben das Ziel, die Wirtschaftspotenziale der Küstenregionen und der Meere zu erschließen. Kollege Rehberg hat zu Recht darauf hingewiesen: Dass wir Exportweltmeister sind, haben wir zum großen Teil der deutschen maritimen Wirtschaft zu verdanken. Man muss sich vor Augen führen, dass über 90 Prozent des Welthandels über die Meere gehen und dass die maritime Wirtschaft Potenziale auch im Bereich von Entwicklung und Beschäftigung hat. Es ist kaum bekannt, dass zwei Drittel der Grenzen der Europäischen Union Küste sind. Das ist bei weitem mehr als bei Russland oder den Vereinigten Staaten. Was denken wir, wenn wir an die Meere denken? Manche denken vielleicht an Urlaub. Man denkt auch an Nahrungsquellen, an Transportwege. Aber denkt man an Hochtechnologie? Eher selten. Dabei sind die Ozeane inzwischen Standorte von Hochtechnologiewindkraftanlagen. Wir fördern submarin lagernde Öl- und Gasvorräte - mit steigender Tendenz. Allein in dem Bereich wird sich die Förderung von 2005 bis 2019 verdoppeln. Wir wollen in diesen komplexen Hightechbereichen weiter forschen und Entwicklung betreiben. Es gibt gezielte Forschungsförderung in maritimen Zukunftsfeldern mit hohen Innovationspotenzialen. Wir wollen auch die maritime Wissensbasis noch mehr erweitern, zum Beispiel wenn es um die Förderung von Öl und Gas in den eisbedeckten Gebieten der Arktis geht ({1}) oder um die Gasgewinnung aus Methanhydrat, auch in Verbindung mit der Deponierung von CO2. Wir sind auf einem guten Weg. Wir haben in Deutschland ein sehr großes Potenzial, ein sehr großes Know-how. Wir haben unwahrscheinlich leistungsfähige Forschungseinrichtungen in diesem Bereich. Die Meerestechnologie ist also ein Bereich, der sehr große Zukunftschancen hat. Weltweite Nachfrage wird es in der Zukunft in diesem Bereich geben. Damit birgt diese wichtige Zukunftsbranche große Beschäftigungspotenziale. Das heißt natürlich für uns: Wir müssen dafür werben - diese Botschaft müssen wir vermitteln -, dass junge Leute in dieser Zukunftsbranche aktiv werden und sich beruflich auf diese Branche hin orientieren. ({2}) Es ist etwas Weiteres sehr wichtig - ich bin froh, dass das angesprochen worden ist -: Neben unseren Bemühungen um Optimierung der wirtschaftlichen Nutzung der Ozeane - das heißt im Rahmen der Lissabonstrategie Stärkung von Wachstum und Beschäftigung - müssen wir auch Verantwortung für den Schutz der Meere übernehmen. In dem Zusammenhang sage ich aber auch, dass sich diese beiden Ziele nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Es ist nämlich, wie ich glaube, wichtig, zu erkennen, dass die Verfolgung leistungsfähiger Umweltstrategien nur auf der Basis einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung möglich ist. Nehmen wir das Beispiel Schiffbau. Schiffbau ist bei beiden Komponenten unwahrscheinlich stark: Er bildet nicht nur in einigen strukturschwachen Küstenländern das industrielle Rückgrat, sondern er stellt auch einen Aktivposten beim Umweltschutz und beim Klimaschutz dar. Der Schiffbau in Deutschland macht in Bezug auf Schutzbestimmungen weit mehr, als es gesetzlich vorgeschrieben ist. ({3}) Zu Recht fragen sich aber unsere Schiffbauer, die die europäischen Vorschriften einhalten oder sogar übertreffen, wieso es auf internationaler Ebene nicht diese Vorschriften gibt. ({4}) Hier müssen wir zusehen, dass wir weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen, damit nicht durch europäische Vorschriften ein Wettbewerbsnachteil für den europäischen Schiffbau entsteht. Es ist richtig - das ist schon angesprochen worden -, dass wir zu einer integrierten Meerespolitik kommen müssen. Eine integrierte Meerespolitik kann nicht ein Mitgliedstaat allein machen. Nichtsdestoweniger muss trotzdem auch in Zukunft das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden. Deswegen sollten wir in Deutschland Einfluss auf den weiteren Werdegang nehmen; die Kommission wird ja jetzt im Oktober ein Maßnahmenpapier vorlegen. Die zwei Anträge der Regierungsfraktionen, die heute hier zur europäischen Meerespolitik und zur maritimen Wirtschaft vorliegen, kann man diesbezüglich eigentlich schon als ein einheitliches Positionspapier bezeichnen. Neben der Einflussnahme auf europäischer Ebene - das möchte ich noch dazusagen - ist es aber auch ganz wichtig, dass wir hier ein eigenes nationales Meerespolitikkonzept erarbeiten. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kollegen bedanken, die hier mitgearbeitet haben. Es handelt sich um gute Anträge. Ich glaube, auf diesen Anträgen kann man aufbauen und weiterarbeiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Garrelt Duin, SPDFraktion.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es wird in dieser Debatte ein falscher Gegensatz aufgebaut, indem sehr unterschiedliche Schwerpunkte gelegt werden: zum einen auf wirtschaftliche, zum anderen auf ökologische Fragestellungen. Das Grünbuch übrigens bezieht auch soziale Fragestellungen ein. ({0}) Ich denke, gerade darin besteht der Vorteil dieses Grünbuchs, dass endlich ein integrierter Ansatz vorliegt. Es wird nicht versucht, die verschiedenen Politikbereiche gegeneinander auszuspielen, sondern danach gesucht, wie sie miteinander statt jeweils auf Kosten der anderen nach vorne gebracht werden können. ({1}) Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich machen. Wir alle sind stolz, wenn auf unseren Werften - die Staatssekretärin hat gerade noch einmal darauf hingewiesen - hochmoderne Schiffe gebaut werden. Als Beispiel nehme ich nur noch einmal, weil sie relativ häufig in der „Tagesschau“ erwähnt wird, die Meyer Werft in Papenburg, die Luxusliner baut. Alle sind begeistert, dass Deutschland in diesem Bereich marktfähig ist. Gleichzeitig gibt es aber große Probleme bei der Überführung der Schiffe von der Werft bis zur Nordsee. Das führt immer wieder zu Diskussionen über die ökologische Verträglichkeit von Flussvertiefungen. Zurzeit wird eine Gaspipeline durch das Wattenmeer gelegt. Diese ist Voraussetzung für eine Milliardeninvestition im Bereich der chemischen Industrie, die wir uns sehr wünschen, weil das für die Arbeitsplätze in einer extrem strukturschwachen Region von großer Bedeutung ist. Gleichzeitig wissen wir aber um die ökologischen Probleme, die eine solche Verlegung durch das Wattenmeer mit sich bringt. Wir wissen, um ein drittes Beispiel zu nennen, welche Entwicklung der Containerumschlag weltweit, aber auch an den deutschen Häfen nehmen wird. Wir sind dabei, den Jade-Weser-Port zu realisieren. Natürlich wird auch Hamburg nach Möglichkeiten suchen, an diesem wachsenden Markt teilzuhaben. Von daher wissen wir, dass bei der Realisierung eines solch neuen Hafens wie auch bei Flussvertiefungen ökologische Probleme und Probleme zu berücksichtigen sind, die zum Beispiel die Menschen betreffen, die an der Elbe wohnen. Als vorletztes Beispiel möchte ich Ihnen die Fischerei nennen. Auch in Deutschland hängen viele Arbeitsplätze an der Fischerei. Es ist nicht nur Folklore, wenn in kleinen Orten wie Greetsiel und andernorts ein paar Kutter liegen. Aber das ist, was den Tourismus angeht, natürlich auch ein Anziehungspunkt. Wir müssen uns fragen, ob wir die Fischerei ausreichend gegen internationale Konkurrenz unterstützen. Ich gebe Herrn Steenblock recht, wenn er sagt, wir müssen etwas gegen die Überfischung tun und dort konsequenter werden. Aber wir dürfen nicht unsere Fischer im Regen stehen lassen, wenn die internationale Konkurrenz ihnen bei Verstoß gegen internationale Regeln das Leben so schwer macht. ({2}) Der letzte Punkt - er ist bereits angesprochen worden ist das Thema Offshore. Das ist energiepolitisch absolut sinnvoll. Allerdings spielen die Sicherheit und die Frage, wie die gewonnene Energie an Land weitergeleitet wird, eine große Rolle. Deswegen ist es so wichtig, dass wir es integriert machen. Wir schaffen es nicht im Ressortdenken. Wir brauchen eine bessere Verknüpfung von Wirtschaft, Umwelt, Forschung, Verkehr und Sozialem in diesen Fragen. Ebenso wenig lösen wir diese Probleme nur rein national. Vielmehr brauchen wir die europäische Herangehensweise. Deswegen sollten wir den Ansatz, der in dem Grünbuch vorgegeben ist, unterstützen. Wir selbst haben in Deutschland seit 1999 - ausgelöst durch Gerhard Schröder - durch die erste maritime Konferenz die maritime Koordination. Wir sind froh, dass es sie nach einer kleinen Phase der Abstinenz wieder gibt. Ich finde, wir sind mit der jetzigen Amtsinhaberin auf einem guten Weg. Diese Koordinierung brauchen wir aber auch auf europäischer Ebene, und zwar ohne Substanzverlust, was die nationalen politischen Möglichkeiten angeht. Das steht für uns fest, und das haben wir in diesem Antrag zum Ausdruck gebracht. Deswegen bitten wir um Zustimmung. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Enak Ferlemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Enak Ferlemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Goldmann, Sie haben ja heute schon sehr viel Schelte bekommen. Nun bekommen Sie von mir ein Lob: Ich finde es gut, dass Sie inhaltlich unsere Politik unterstützen und deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass Sie mit dem, was wir erarbeitet haben, einverstanden sind. Dass Sie hier und da das Verfahren kritisieren, verstehe ich insoweit nicht ganz. Wir unterhalten uns doch immer über maritime Politik; gerade wir beide tun das in Niedersachsen immer. Insofern ist das, was wir beraten, nicht neu, sondern es ist in einer wirklich lesbaren Art und Weise durch die Große Koalition zusammengefügt worden. ({0}) Ich finde es gut, dass Sie sich dazu bekennen, dass die Politik, die die Große Koalition auf diesem Feld betreibt, richtig ist. Es ist wirklich ein Tag der großen Freude, dass die Ausschreibung für den Notschlepper jetzt endlich in Gang gesetzt worden ist. Natürlich waren wir Politiker viel besser als die Verwaltung. Aber dafür gibt es ja auch die Politik, denn sonst würde die Verwaltung alles alleine machen, ({1}) was nicht im Sinne der Bürger wäre. Die Bürger wählen uns ja deswegen, damit wir aufpassen und bei notwendigen Dingen Druck machen, das voranzubringen. Das haben wir, wie ich finde, alle gemeinsam an der Küste beim Notschlepper in beeindruckender Weise geschafft. Wenn man sich vor Augen hält, dass etwa 95 Prozent des interkontinentalen Warenverkehrs über den Seeweg abgewickelt werden, dann weiß man, dass im Zeitalter der Globalisierung gerade die maritime Politik einen besonderen Stellenwert hat und haben muss. Der internationale Handel wächst doppelt so stark wie das weltweit wachsende Bruttoinlandsprodukt. Das macht deutlich, wie intensiv wir uns, als Exportnation Deutschland vom Welthandel abhängig, über den Seeweg unterhalten müssen. Der Seeverkehr spielt eine große Rolle für uns. Vorhin ist vom Kollegen Duin zu Recht angesprochen worden, dass wir uns sehr freuen, dass das Grünbuch einen integrierten Ansatz für die verschiedenen Felder der maritimen Politik findet, ob es der Tourismus, die Fischerei, die Fischwirtschaft, der Schiffbau, die Offshoreenergie oder Verkehr und Logistik sind; auch Umweltschutz und vieles andere mehr sind dazu zu zählen. Diese integrierte Politik muss dafür sorgen, dass das, was über die Weltmeere geschickt wird, auch ankommt bzw. abgesendet werden kann. Damit sind wir bei einem Problemschwerpunkt, den auch unsere Anträge beinhalten, nämlich dem der Seehafenpolitik. Es gibt zwar Fazilitäten an den Seehäfen, aber nicht die entsprechenden Hinterlandanbindungen. In unserem Antrag machen wir deutlich, dass wir verbesserte Hinterlandanbindungen auf der Schiene - dies muss zu einer stärkeren Berücksichtigung in Form einer besseren Dotierung im Rahmen der transeuropäischen Verkehrsnetze führen -, auf der Straße und auch auf den Wasserwegen brauchen, um die Waren vom Binnenland zu den Häfen und von den Häfen zum Binnenland zu bringen. Hierzu braucht man intermodale Verkehrssysteme. Ich will auf die Details nicht eingehen; das haben wir im Ausschuss getan. Die genannten Strategien „Motorways of the Sea“ und „Short Sea Shipping“ sind sicherlich zwei Ansätze, die sehr zu begrüßen sind. Wir müssen sie allerdings noch von vielen bürokratischen Hemmnissen befreien. Ich denke, dass wir den Seeverkehr als Schlüsselbindeglied durch die angesprochenen Maßnahmen fördern müssen. Auch ich darf mich herzlich bei unserer maritimen Koordinatorin für die exzellente Arbeit bedanken, für die Stellungnahme zum Grünbuch durch unsere Fraktion und insbesondere bei meinem sehr geschätzten Kollegen Eckhardt Rehberg, der die Dinge mit viel Engagement vorangetrieben hat. Ich bitte Sie alle herzlich, die Anträge zu unterstützen, denn sie sind unterstützenswert. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Margrit Wetzel, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich zum Abschluss dieser Debatte ein bisschen zusammenfassen kann, was schon gesagt wurde. ({0}) - Das ist das Los der letzten Redner. Zum einen zu Herrn Goldmann und gleichzeitig zu Herrn Steenblock: Sie haben sich ein bisschen über das Verfahren beklagt, dass wir hier im Parlament sozusagen in letzter Minute eine Debatte führen und eine eigene Stellungnahme abgeben wollen. Wir haben das sehr bewusst gemacht, weil wir gesehen haben, wie viele Stellungnahmen abgegeben werden und wie der Konsultationsprozess abläuft. Wir haben das für wichtig gehalten, nachdem wir erfahren haben, dass die EU-Kommission auf das Grünbuch kein Weißbuch folgen lässt, sondern einen Aktionsplan, dass sie also sehr konkret aktiv werden wird. Aus diesem Grund war es uns wichtig, Schlaglichter zu präsentieren und mit Blick auf den Aktionsplan deutlich zu machen, wo wir Schwerpunkte gesetzt haben wollen. Es ist zweifellos wichtig, isoliertes Ressortdenken zu überwinden, aber gleichzeitig die nationalen Kompetenzen zu bewahren und die Instrumente der Gemeinschaft nur dort zu nutzen, wo es darum geht, unsere Interessen besser durchzusetzen oder mehr Effizienz zu erreichen. Dafür brauchen wir Transparenz, fairen Wettbewerb und gute Marktinformationen. Programme wie „Leadership 2015“ zeigen zum Beispiel für den Bereich Schiffsbau, wie erfolgreich die gemeinschaftliche Arbeit sein kann. Maritime Wirtschaft stärken heißt gleichzeitig Beschäftigung sichern. Herr Rehberg hat die Zahlen schon genannt: 54 Milliarden Euro Umsatz, 400 000 Beschäftigte. Im maritimen Bereich gibt es sichere Arbeitsplätze. Wenn wir unsere Führungsrolle in der EU in Bezug auf maritime Technologien weiter ausbauen, wenn wir weiter in Forschung und Entwicklung aktiv sind, dann schaffen wir automatisch sichere Arbeitsplätze im Bereich Produktion und Logistik, nicht nur in den genannten Bereichen. Wir brauchen qualifizierte Arbeitsplätze, hohe Qualifikationen an der Küste. Das gilt nicht nur für den Schiffbau, sondern für alle wirtschaftlichen Bereiche an der Küste. Auch im Bereich der Meeresforschung wird sich ein Potenzial erschließen, dessen Dimensionen wir heute noch nicht absehen können. Ein Problem im Bereich der Seefahrt - es ist genannt worden - ergibt sich bei den Seeleuten. Wir können nur über die Gemeinschaft versuchen, die maritime Ausbildung sowohl in der Quantität als auch in der Qualität zu verbessern. Das werden wir alleine nicht schaffen. Dazu beitragen wird sicherlich die gemeinschaftliche Bemühung um das konsolidierte Seearbeitsübereinkommen. Wir müssen in jedem Fall - auch das wird nur in der Gemeinschaft gehen - die Sicherheit auf den Meeren erhöhen, das heißt zum einen die Sicherheit des Standortes Küste und zum anderen die Sicherheit beim Küstenschutz. Das betrifft die Sicherheit am Meer und die Sicherheit des Meeres als Ökosystem. Ökosystem Meer bedeutet aktiver Klimaschutz. Zudem geht es um die Sicherheit auf dem Meer; das ist schon erwähnt worden. Hier geht es gerade um die Ostsee und die dortigen Schrotttanker; ich verkürze und vereinfache ein bisschen. Das ist das gemeinschaftliche Bemühen bei dem schweren Unterfangen, im Überseebereich eine Lotsenannahmepflicht zum Beispiel in der Kadetrinne oder für Tankerrouten zu erreichen. Wir müssen aber auch aufpassen, dass die EU nicht überzieht, zum Beispiel in Bezug auf ISPS. Dabei geht es darum, dass man vernünftige Kosten-Nutzen-Analysen aufstellt, um festzustellen: Wo besteht noch Nutzen, und wo besteht ein Schaden? Da geht es zum Beispiel um die ewig gleiche Forderung in der EU nach einer EU-Küstenwache. Auch da brauchen wir eine Chancenund Risikoabwägung. Auch da brauchen wir eine Nutzen- und Kostenanalyse, ({1}) um zu sehen, dass wir nicht etwas kaputt machen. Denn eine Bündelung von Kompetenzen ist zwar gut und richtig ({2}) - halten Sie doch einmal den Mund, Herr Goldmann; das ist ja wirklich schrecklich -, ({3}) aber diese Bündelung darf nicht dazu führen, dass man plötzlich nicht mehr weiß, wer zuständig ist; denn diese Gefahr ist viel größer. In der Meeresforschung liegt sowohl für die Umwelt als auch für die Wirtschaft eine ganze Menge Zukunft. Hier kommt es darauf an, dass wir die Wirtschafts-, die Wissenschafts- und die Umweltbelange gut verzahnen, dass wir Forschernetzwerke unterstützen und eigene Förderprogramme für die Tiefseeforschung, die Polarmeerforschung, ({4}) die sichere CO2-Speicherung und für den Energiebereich auflegen. Das heißt, wir brauchen vor allem vernünftige Datenbasen, ({5}) um dann auf europäischer Ebene unsere Stärken auszuspielen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag und zur Beschlussempfehlung zu unserer Stellungnahme zum Grünbuch. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5731 mit dem Titel „Für eine zukunftsgerichtete eu- ropäische Meerespolitik“. Wer stimmt für diesen An- trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der An- trag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü- nen und der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 6 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem An- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Maritime Wirtschaft in Deutschland stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5437, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4423 anzu- nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Frak- tion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 6 c: Abstimmung über den An- trag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5428 mit dem Titel „Für eine nachhaltige und umfassende Meerespolitik für die Europäische Union“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Zusatzpunkt 4: Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem An- trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Schutz und Nutzung der Meere - Für eine integrierte maritime Poli- tik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/5764, den Antrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 16/4418 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer ({0}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Keine neuen Raketen in Europa - stattdessen Stärkung der globalen Sicherheit durch Rüstungskontrolle und Abrüstung - Drucksache 16/5456 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer ({3}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Stopp von staatlichen Bürgschaften für Rüs- tungsexporte - Drucksachen 16/3697, 16/4602 - Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer ({5}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Verzicht auf den Verkauf und das Überlassen von überschüssigem Wehrmaterial - Drucksachen 16/3350, 16/5353 Berichterstattung: Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({6}) Andreas Weigel Birgit Homburger Inge Höger Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer, Fraktion Die Linke. ({7})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke beantragt, dass sich Deutschland ganz energisch der Aufstellung neuer Raketen in Osteuropa widersetzen und alle Möglichkeiten nutzen möge, um diese Stationierung zu verhindern. Der Antrag meiner Fraktion beginnt mit dem Satz: „Die Welt ist durch Massenvernichtungswaffen bedroht.“ Die Situation ist in der Tat brandgefährlich: Die Welt könnte noch immer mehrfach durch Atombomben vernichtet werden, Atomsprengköpfe werden modernisiert, wie jüngst in Großbritannien, und die Zahl der Atomwaffenmächte wächst. Wir unterscheiden dabei allerdings nicht zwischen guten und bösen Atomraketen. Das ist genau der Punkt. Die gegenwärtigen Atommächte, die sogenannten Guten, wollen ihr Monopol an diesen Terrorwaffen behalten, weil sich nicht zuletzt daraus ihre weltpolitische Geltung ableitet. Damit verletzen sie aber ständig und eklatant den Nichtverbreitungsvertrag und schaffen eine Situation, die zu neuen Rüstungsrunden und Gefährdungslagen führen muss. ({0}) Wer so elementare Verträge wie den Nonproliferationsvertrag verletzt, kann nicht von anderen deren Einhaltung verlangen, geschweige denn erzwingen. Im Gegenteil: Er fordert andere geradezu heraus, nachzuziehen. Die Antwort auf die neuen Risiken, die es durchaus gibt, lautet also: strikte Einhaltung und Durchsetzung des Völkerrechts und energischer Einstieg in die Abrüstung aller Massenvernichtungswaffen in Ost, West, Nord und Süd. ({1}) Das ist der Maßstab, an dem auch die deutsche Haltung zu den Raketenabwehrplänen gemessen werden muss. Russland sieht sich durch die Aufstellung neuer Raketenabwehrsysteme in Tschechien und Polen herausgefordert. Das ist zwar nicht die alles entscheidende Frage, aber gewiss eine sehr wichtige. Es ist das Gegenteil von kluger, vorausschauender Politik, wenn die NATO Russland erst mit militärischer Infrastruktur und Waffen immer mehr auf den Pelz rückt und dann mit Unschuldsmiene verkündet, man bedrohe ja niemanden. Russland muss reagieren. Natürlich ist der Vorschlag Putins, statt der einseitigen Stationierung in Osteuropa die aserbaidschanische Radaranlage gemeinsam zu nutzen, ein taktischer Schachzug. Er trifft aber den entscheidenden Punkt: die zu erwartende Ablehnung. Die Ablehnung zeigt nämlich, dass es den USA im Grunde nicht so sehr um die vermeintliche iranische Bedrohung im Jahr 2020 geht, sondern vor allem darum, sich in Osteuropa treue Verbündete zu sichern, die EU durcheinanderzubringen und zu schwächen und zu demonstrieren, dass die USA als einziges Land der Welt unverwundbar sind. Das ist der grundlegende Irrtum. Wer sich unangreifbar macht, will auch allein herrschen. Schwert und Schild gehören zusammen. Oder hat man gehört, dass die USA ihre Offensivwaffensysteme abrüsten wollen? Im Gegenteil: Es werden die Möglichkeiten ausgebaut, überall auf der Welt militärisch zu intervenieren. Es ist allerhöchste Zeit, dass dieser Irrweg der Politik beendet wird. Die Bundesregierung muss eine eindeutige Position beziehen. Es reicht nicht aus, Bedenken vorzubringen und Eiertänze zu veranstalten. Es geht eindeutig darum, dafür zu sorgen, dass es keine neuen Raketen gibt. Hierzu erwarten wir eine eindeutige Position der Bundesregierung. ({2}) Angesichts der Gefahr eines neuen Wettrüstens sind drei Dinge hilfreich: mit gutem Beispiel vorangehen, also abrüsten, den Dialog suchen, also mit Teheran zäh verhandeln, und drittens Kooperationen anbieten. Der Konflikt mit Nordkorea hat gezeigt, dass es möglich ist, durch Dialog und Kooperation gefährliche Entwicklungen abzublocken und Spannungen aufzulösen. Milliarden in neue Radar- und Raketensysteme zu stecken, macht die Welt nicht friedlicher, im Gegenteil. Das gilt auch für die weltweit wieder ansteigenden Zahlen im Zusammenhang mit dem Rüstungsexport. Deutschland ist leider ganz vorne dabei. Es ist Augenwischerei, wenn Sie davon reden, wir würden eine äußerst restriktive Politik bei der Ausfuhr von Waffen verfolgen. Die neuesten Zahlen belegen eindeutig das Gegenteil: Wir sind auf Rang drei der Weltrangliste hochgerutscht. An dieser Stelle wären wir besser Schlusslicht. Im vergangenen Jahr hat die Bundesrepublik - nach SIPRI Rüstungsgüter in einem Umfang von 3,9 Milliarden Dollar geliefert. Gegenüber 2005 ist das eine Verdoppelung. Ich finde, das ist eine Schande. ({3}) Deshalb beantragt die Fraktion Die Linke zwei Dinge, die von der Regierung unmittelbar umgesetzt werden könnten: Exportbürgschaften, die diese immensen Waffengeschäfte überhaupt erst möglich machen, müssen gestoppt werden, und zweitens muss die Überlassung von Wehrmaterial, das aus den Beständen der Bundeswehr ausgemustert wird und an einer anderen Stelle der Welt zu einer Aufrüstung führt, beendet werden. Bei den Bürgschaften geht es zum Beispiel um Großaufträge wie die Lieferung von U-Booten an Israel oder Pakistan. Hiermit wird doch systematisch gegen den Grundsatz verstoßen, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Das gilt im Übrigen auch für die Überlassung von Wehrmaterial. Da geht es um Kampfpanzer und Kampfflugzeuge, die auch in Krisenregionen geliefert werden. Deshalb ist es allerhöchste Zeit, mit diesem Unfug Schluss zu machen. Genau das fordert die Linke in ihren drei Anträgen, die wir hier behandeln. Danke. Paul Schäfer ({4}) ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Freiherr Dr. KarlTheodor zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, Sie sprachen von Eiertänzen und Irrwegen. Das ist eine treffende Beschreibung Ihrer Anträge. Mir hat sich nicht einmal der innere Zusammenhang dieser drei Anträge erschlossen. Man musste sich Mühe geben, den Kernantrag zum geplanten Raketenabwehrsystem, der, glaube ich, der Ausgangspunkt Ihrer Rede war, mit Grundverständnis zu begleiten. Der Eingangssatz ist richtig: „Die Welt ist durch Massenvernichtungswaffen bedroht.“ Das können wir als solches gänzlich unterschreiben. Die Welt ist allerdings auch durch das Streben nach Massenvernichtungswaffen bedroht. ({0}) Diesen Aspekt blenden Sie aus. Sie scheinen ihn bewusst auszublenden, weil er nicht in Ihr Konzept passt. ({1}) Dieses Konzept rückt eben nicht nur abrüstungspolitische Motive und Ideale in den Vordergrund. Wäre es anders, hätte man über diesen Einleitungssatz hinaus gerade mit Blick auf das Raketenabwehrsystem doch eine intellektuell herausfordernde Auseinandersetzung mit dieser wichtigen und bewusst streitigen Fragestellung erwarten können. Aber das geschah nicht. Wäre es anders, hätten die Einleitungssätze nicht zwangsläufig wieder in eine Betonung bereits bekannter Einstellungen - das ist nichts Überraschendes - gegenüber den Vereinigten Staaten geführt. Eines besorgt mich derzeit noch mehr: Ein Unterton wird immer deutlicher. Ich weiß, dass Sie, Kollege Schäfer, nicht so denken, aber Sie müssen versuchen, diesen Unterton aus einem solchen Antrag herauszubekommen. Denn in Ihren Anträgen kann man zunehmend antiisraelische Töne lesen und vernehmen. ({2}) Das sollte man mit aller Klarheit benennen. Die Bevölkerung in diesem Lande hat es verdient, dies zu erfahren. ({3}) Wie wäre es sonst möglich, dass Sie von „Unterstellungen der US-Regierung hinsichtlich der Intentionen und Handlungen des Iran“ sprechen? Das umfasst im Übrigen nicht nur - in Ihrem Sinne - Unterstellungen der Vereinigten Staaten, sondern auch die der Europäischen Union und mittlerweile auch Russlands. Ich deute die Situation im Hinblick auf Aserbaidschan grundlegend anders als Sie. Ich glaube nämlich, dass man in Russland durchaus imstande und bereit ist, einzuräumen, dass es ein Bedrohungspotenzial gibt. Aber das Wort Unterstellung muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ist es denn eine Unterstellung, dass der Iran seit Jahren die Staatengemeinschaft in Fragen der Aufrüstung und der Nukleartechnologie hintergangen hat? Ist es eine Unterstellung, dass der Iran seit Beginn der 80er-Jahre den Bau und den Betrieb von Nuklearanlagen und Nukleartechnologie verschleiert hat? Ist es eine Unterstellung, wenn behauptet wird, dass die Hamas und die Hisbollah von Teheran unterstützt werden? Ist es eine Unterstellung, dass der Präsident des Irans, Ahmadinedschad, aufruft, einen Staat von der Landkarte zu tilgen, und den Holocaust leugnet? Herr Kollege Schäfer, das sind keine Unterstellungen, das sind Fakten. ({4}) Das meine ich, wenn ich sage, dass hier antiisraelische Grundtöne nicht nur durchscheinen, sondern mittlerweile sehr klar geäußert werden. ({5}) Ich unterstelle Ihnen nichts, wenn ich behaupte, dass Sie mit solchen Fragen ein Regime unterstützen, dessen Präsident sich derart verhält, ein Regime - ich komme jetzt noch einmal zu den abrüstungspolitischen Motiven -, das gerade hoch ehrgeizige Aktivitäten entwickelt, an Raketenträgertechnologie heranzukommen, und diese auch selbst auf den Weg bringt und entwickelt und das auf den Proliferationsmärkten tätig ist. Sie unterstützen damit ein Regime - damit greife ich einen aktuellen Punkt dieser Tage auf; das hängt jetzt nicht mit der Abrüstung zusammen -, das laut Presseberichten öffentliche Steinigungen offenbar wieder aufgenommen hat; auch das muss einmal gesagt werden. Es gibt, wie in Ihrem Antrag zu lesen ist, keinen Nachweis einer Bedrohung. Jetzt kann man natürlich die Grundsatzdebatte führen - wir müssen sie auch führen -: Sprechen wir von realen derzeitigen Bedrohungen, und wie stellen wir uns auf potenzielle künftige Bedrohungen ein? Den Nachweis potenzieller Bedrohungen haben Sie mit Ihrem Antrag eigentlich selbst geliefert. Sie werden sehr genau darauf achten müssen, dass Sie sich durch die Vergabe eines Persilscheins an die Ahmadinedschads dieser Erde nicht selbst zur Triebfeder späterer realer Bedrohungen machen. ({6}) Wir alle teilen die Zielsetzung, dass die nukleare Abrüstung zwingend auf friedlichem Wege erreicht werden muss. Wir teilen allerdings auch das Bedürfnis nach dem Schutz unserer eigenen Bevölkerung, auch für den Fall, dass der Vernunftmaßstab, den wir anlegen, manchen Irrlichtern auf dieser Welt möglicherweise nicht als Maßstab gilt; auch darauf müssen wir Antworten finden. Dieser Aspekt ist sicherlich einer der schwierigsten Punkte in dieser Debatte. Aber auch das gehört zu unserer Verantwortung. Von daher ist es dringend geboten, mit unseren Partnern und denen, die sich als unsere Partner bezeichnen, eine gemeinsame Sicherheitsanalyse vorzunehmen. Ich nehme Russland an dieser Stelle ausdrücklich mit ins Boot. Wir müssen gemeinsam in der Lage sein, eine Sicherheitsanalyse durchzuführen, durch die nicht nur die Gegenwart abgebildet wird, sondern durch die wir auch in die Lage versetzt werden, einige Jahre in die Zukunft zu blicken. Wir müssen aufgestellt sein, falls einmal ein Ereignis eintritt, das nicht mehr von unserem Vernunftmaßstab gedeckt ist. Denn guter Glaube, den wir heute an den Tag legen, könnte irgendwann einmal in Naivität abgleiten. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute drei Anträge. Ich kann mich angesichts meiner kurzen Redezeit allerdings nur zu einem Antrag ausführlicher äußern, nämlich zu dem Antrag, in dem es um das Hauptthema Raketenabwehr geht. Die übrigen Themen werden, wie ich denke, von anderen Kollegen intensiv erörtert. Vermutlich werden sie zu dem Ergebnis kommen, dass es nicht ausreicht, nur zu sagen, dass es gut ist, gegen Rüstungsexporte zu sein, sondern dass man präziser definieren muss, was man damit meint. Es geht dabei mit Sicherheit immer wieder um die schwierige Frage: Geraten Rüstungsgüter, die aus Deutschland stammen, in die falschen Hände? Dann müssen Bundesregierung und Bundestag dagegen vorgehen. Wenn man aber generell sagt, Rüstungsexporte sind zu dämonisieren, macht man damit eine vernünftige Ausrüstung und Bewaffnung unserer eigenen Streitkräfte unmöglich bzw. völlig unbezahlbar; ({0}) ich empfehle daher dringend, einen differenzierteren Ansatz zu verfolgen. Daher können wir die Anträge der Linksfraktion nicht mittragen. Zur Raketenabwehr. Meine Damen und Herren, selten hatte man das Gefühl, dass ein Thema so unprofessionell und unsensibel angegangen worden ist, wie es bei der amerikanischen Raketenabwehr der Fall war. Umgekehrt hat es selten ein Thema gegeben, bei dem die Reaktionen so bedenklich waren wie im Falle der Reaktion Russlands auf die Vorschläge Amerikas. Vielleicht besteht jetzt, nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm, endlich die Chance, die alten Planungen in der Versenkung verschwinden zu lassen, völlig neu anzufangen und rational über die Fragen zu diskutieren: Was brauchen wir, und wie können wir dieses Thema gemeinsam angehen? Meine Damen und Herren, es ist nicht illegitim, darüber nachzudenken, ob es Bedrohungen gibt, die eines Tages akut werden könnten und etwas damit zu tun haben, dass sich Massenvernichtungswaffen in den Händen von unverantwortlich handelnden Regimen oder von Non-State-Actors, von nichtstaatlichen Akteuren, befinden. Aber wir müssen immer darauf hinweisen: Ein Grund, warum wir uns heute mit diesem Thema beschäftigen müssen, ist, dass in der Abrüstungspolitik und in der Rüstungskontrollpolitik zehn Jahre lang eigentlich nichts geschehen ist. Der erste Schritt, den wir machen, muss darin bestehen, dass wir der Rüstungskontrollpolitik und der Abrüstungspolitik wieder mehr Schwung verleihen. Danach können und müssen wir auch über die anderen Fragen diskutieren. ({1}) Wenn es nicht gelingt, die Rüstungskontrollpolitik wieder auf Kurs zu bringen, werden wir es eines Tages nicht nur mit Iran und Nordkorea zu tun haben, sondern mit einer unbeherrschbar großen Anzahl von Mächten, die über Massenvernichtungswaffen verfügen, ganz abgesehen von nichtstaatlichen Organisationen. Für Europa ist es unverzichtbar, dass ein Raketenabwehrsystem, so dieses für erforderlich gehalten wird, auf einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse Europas - das heißt der EU -, der europäischen NATO-Staaten, der Amerikaner und der Russen basiert. Darin sehe ich den Charme des Aserbaidschanvorschlags: dass Russland zu erkennen gibt, dass es grundsätzlich nicht unvernünftig ist, darüber nachzudenken, ob es Bedrohungen gibt, vor denen man sich mit einer Raketenabwehr schützen muss; diesen Hoffnungsschimmer sollten wir erkennen. Eine erneute Spaltung Europas in dieser Frage wäre fatal. Ich trage am heutigen Tage bewusst die Krawatte der deutschen Ratspräsidentschaft. Ein großes Ziel, das in dieser Woche erreicht werden muss, ist, die Europäische Union in der Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig zu machen. Wenn wir in einer so wesentlichen Frage wie der Raketenabwehr wieder wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen dastehen, dann ist das für die Zukunft der europäischen Integration eine Katastrophe. ({2}) Deswegen ist das Erste: Haltet Europa an dieser Stelle zusammen! Das haben auch unsere amerikanischen Freunde nicht hinreichend beachtet. Der Vorschlag, das Abwehrsystem mit Polen und Tschechien aufzubauen, ist zwar mit technischen und geografischen Erwägungen begründbar, und der Satz von Präsident Bush, dass sich das System ja nicht gegen Russland richtet, trifft zu. Das bestreitet hier auch keiner. Nur, wenn Sie mit den Kolleginnen und Kollegen in Warschau und Prag darüber diskutieren, werden Sie wenig über iranische und nordkoreanische Bedrohungen hören, aber viel über russische. Das hat etwas zu tun mit nicht lange zurückliegender Geschichte, von Russland und anderen übrigens auch nicht aufgearbeiteter Geschichte und daraus resultierenden Traumata. Ich halte es auch für einen Fehler, dass die Illusion genährt wurde, dass die USA für Warschau und Prag, wenn diese mit ihnen ein solches Abkommen schließen, Sicherheitsgarantien übernähmen, die über das hinausgehen, was die Beistandsverpflichtungen des NATOVertrages umfassen. Das setzt die Axt an den Zusammenhalt des Bündnisses. Deswegen ist das gefährlich. ({3}) Es wird sicherlich erforderlich sein, Russland zu beteiligen, aber nicht, weil sich Russland sonst bedroht fühlen müsste, sich Gedanken machen müsste, dass die stationierten Raketen umgewidmet werden könnten. Es darf nicht der Eindruck entstehen - der Begriff ist heute schon gefallen, Herr Schäfer -, es gehe hier um die Herstellung von Unverwundbarkeit. Ich bin davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen Russland, den Vereinigten Staaten und Europa in dieser Frage deshalb so wichtig ist, weil jeder Versuch eines dieser drei Blöcke, auf Kosten eines oder mehrerer anderer exklusiv für sich Sicherheit zu reklamieren, einen vermeintlich uneinholbaren Vorsprung zu reklamieren, zu Misstrauen führt und scheitern muss. Denn so etwas wird die überwunden geglaubten Reflexe des Kalten Krieges und damit auch die Rüstungswettläufe wieder in Gang setzen. Wir müssen gemeinsam vorgehen; denn wir wissen, die Logik der Entspannungspolitik basiert auf der Erkenntnis, dass Sicherheit unteilbar ist und dass es darum geht, wieder Vertrauen zu schaffen. Auf dieser Basis müssten vernunftbegabte, verantwortliche Politiker in Amerika, in Russland, in Europa eigentlich in der Lage sein, über dieses wichtige Thema rational zu diskutieren. Danke sehr. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Mützenich, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir scheint, es ist richtig, dass wir im Deutschen Bundestag erneut über lebenswichtige Fragen, insbesondere über Abrüstung und Rüstungskontrolle und über Frieden und Sicherheit, sprechen. Denn diese vier Elemente gehören zusammen. Es war gute Tradition Europas und damit auch Deutschlands, dies gemeinsam zu denken, um die Blockkonfrontation zu überwinden und um eine Perspektive für Europa zu schaffen, aber auch um Vorbild für andere Regionen in der Welt zu sein. Deswegen ist es richtig, zu sagen: Ja, wir haben eine Krise der Abrüstung und Rüstungskontrolle, und zwar nicht erst seit den letzten Monaten. Im Grunde genommen haben wir sie - das ist eigentlich verwunderlich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts. Eigentlich wäre es gerade nach dem Ende des Ost-West-Konflikts notwendig gewesen, die Chance zu nutzen, für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu sorgen. ({0}) Es geht aber nicht um eine einseitige Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern wir wollen eine verabredete, verbindliche, überprüfbare und in die Zukunft gerichtete Abrüstung und Rüstungskontrolle. ({1}) Ich glaube, das Problem ist, dass wir nicht nur eine Krise der Abrüstung und Rüstungskontrolle haben, sondern dass auch die noch bestehenden Verträge nicht mehr angewandt werden oder auslaufen. Auf diese Verträge wird man sich in wenigen Jahren nicht mehr beziehen können. Auch das ist ein großes Problem. Ich meine, dass wir über diesen Aspekt reden müssen. Der zweite Aspekt, über den wir hier im Deutschen Bundestag sprechen müssen, ist: Kernwaffen spielen plötzlich eine neue Rolle, und zwar unabhängig von den jeweiligen Ländern, also den Kernwaffenbesitzern. Dies muss zu denken geben. Früher waren Kernwaffen Waffen, die nicht eingesetzt werden sollten. Sie waren vorhanden und dienten im Grunde genommen zur Abschreckung, sollten aber nicht eingesetzt werden. Das war zumindest die Logik. Ob man sich ihr unterwerfen wollte, war eine politische Frage. Dieser Aspekt wurde aber zumindest von denjenigen, die Kernwaffen befürwortet haben, vertreten. Davon lösen sich mehr und mehr Länder. Das sind nicht die USA alleine, das sind auch Russland und die Volksrepublik China. Leider modernisieren auch unsere europäischen Partner Frankreich und Großbritannien ihre Waffen. Auch darüber muss man offen reden. Das dient nach meinem Dafürhalten nicht dem guten Gedeihen gemeinsamer Sicherheitsinteressen in unserer Region. ({2}) Zu einem anderen Punkt, bei dem ich das unterstütze, was mein Kollege Guttenberg gesagt hat - ich verstehe nicht, warum Sie in Ihrem Antrag die Augen davor verschlossen haben -: Wenn man schon über die Kernwaffenländer spricht, dann muss man auch über die Länder sprechen, die Kernwaffen anstreben, die also darüber nachdenken und alles dafür unternehmen, sie zu erhalten. Das haben Sie in Ihrem Antrag leider nicht getan. Im Gegenteil! Es verwundert mich weiterhin, dass zum Beispiel der Kollege Lafontaine vom unmittelbaren Recht Irans auf die gesamte Beherrschung des Brennstoffkreislaufes spricht, ({3}) obwohl er doch weiß - nicht nur, weil die USA das sagen; das muss er ja nicht glauben -, dass die Internationale Atomenergiebehörde vor einer Woche in ihrem Gouverneursbericht über die Frage, ob Sicherheitsgarantien eingelöst worden sind, dem Iran erneut ein Extrakapitel gewidmet hat. Die Internationale Atomenergiebehörde sagt doch die ganze Zeit: Der Iran verstößt dagegen. Er benutzt sein Programm zu militärischen Zwecken. - Dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen, verwundert mich wirklich. Man kann nicht insgesamt für Abrüstung und Rüstungskontrolle streiten, wenn man davor die Augen verschließt. ({4}) Ein anderer Punkt ist - das muss man genauso benennen -, dass es nicht nur um den Iran, sondern beispielsweise auch um Brasilien, Pakistan und Indien geht. Man könnte eine ganze Palette aufzählen. Wenn man sich hier im Deutschen Bundestag ernsthaft über Rüstungskontrolle und Abrüstung unterhalten will, dann hätte man das nach meinem Dafürhalten zumindest benennen müssen. Ein weiterer Punkt, über den man diskutieren sollte - das sind ja auch wichtige Erfahrungen in der internationalen Politik -, lautet: Wie gehen wir mit denjenigen Staaten um, die Kernwaffen anstreben? In den letzten Jahren haben wir zwei Erfahrungen machen können. Die beiden Länder Libyen und Nordkorea haben auf ihre Kernwaffenprogramme verzichtet - das eine nachprüfbar, das andere hoffentlich bald nachprüfbar. Ich glaube, der wichtigste Ansatz, aufgrund dessen diese diplomatischen Erfahrungen gemacht werden konnten, war, dass insbesondere auch die USA die Regime anerkannt und einen Dialog geführt haben. Sie haben zwar keine Sicherheitsgarantien gegeben - das kann man auch nicht unmittelbar verlangen -, aber sie haben zumindest akzeptiert, dass auf der anderen Seite jemand sitzt, mit dem man versuchen muss zu sprechen. Das entspricht auch unserer Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, und das unterstützen wir: Sie muss versuchen, die USA auch an den Iran heranzuführen. Es war ein wichtiger Punkt, dass sich Delegierte der US-Administration mit iranischen Regierungsvertretern zusammengesetzt haben. Dazu hat unter anderem die Bundesregierung mit beigetragen. ({5}) Das war wichtig und ist Teil des Entspannungsprozesses. Dann wurden zum Beispiel bei Verwandtenbesuchen im Iran amerikanische Staatsbürger inhaftiert, und dieses zarte Pflänzchen der Hoffnung wurde wieder zerstört. Aber deswegen dürfen wir nicht aufgeben, den Versuch einer diplomatischen Lösung weiter zu unterstützen. ({6}) Ich möchte noch auf den Raketenschirm eingehen, weil wir in Europa davon besonders betroffen sind. Das Thema gehört ins Plenum des Deutschen Bundestages und in die Ausschüsse, aber auch bei den Regierungskonferenzen muss hinter verschlossenen Türen offen darüber geredet werden. ({7}) Ich akzeptiere die militärischen Reaktionen Russlands in dieser Frage nicht. Sie sind empörend. ({8}) Man kann nicht den KSE-Vertrag sozusagen als Geisel nehmen und ein Moratorium verkünden. Das ist in dem Vertrag gar nicht vorgesehen. Aber allein das Aussprechen dieser Drohung ist fatal. Sie kann aus unserer Sicht auch nicht unsere Unterstützung finden. Wir können allenfalls eine Diskussion über die Frage unterstützen, wie der KSE-Vertrag möglicherweise ratifiziert oder angepasst werden kann. Das ist ein wichtiger Punkt. ({9}) Umso empörender war, dass Russland angekündigt hat, vielleicht mit russischen Atomraketen neue Ziele in Europa in den Blick zu nehmen. Eine solche Reaktion erwarten wir meines Erachtens zu Recht nicht von Russland. ({10}) Festzustellen ist - das meine ich nicht ironisch -, dass wir im Zusammenhang mit der Diskussion über den Raketenschirm eine lupenreine Krise in Europa haben. Das ist nicht nur gegenüber Russland eine Herausforderung, sondern insbesondere auch gegenüber den europäischen Staaten und den Staaten, die sich verpflichtet haben, innerhalb eines Verteidigungsbündnisses - nämlich der NATO - nach gemeinsamer Sicherheit zu streben. Es ist fatal, dass die USA mit ihrem unsensiblen Vorgehen bilateral mit Ländern über die Frage sprechen, wie Sicherheit hergestellt werden kann. Das mag zwar für deren diplomatisches Vorgehen wichtig sein; es ist aber falsch. Es widerspricht den Erfahrungen mit Europa und unseren Erfahrungen mit der deutschen Außenpolitik. Ein weiterer Punkt, der mir Sorge bereitet, ist die Begründung. Es sind hauptsächlich militärische Gründe, die wahlweise immer wieder angeführt werden. Vor einigen Monaten galt Nordkorea als besondere Herausforderung, was den nationalen Raketenschirm angeht. Jetzt hat man mit diplomatischen Mitteln versucht, Nordkorea mit ins Boot zu holen, und sieht den Iran als Herausforderung an. Wenn es aber Bedrohungen gibt - das haben wir letzte Woche im Auswärtigen Ausschuss gelernt -, dann ist diese Herausforderung durch Pakistan gegeben. Dieses Land ist politisch sehr instabil, rüstet auf, verfügt über Raketen und exportiert diese Raketentechnologie. Das sind besondere Herausforderungen, die nach meinem Dafürhalten die USA sensibilisieren müssten, mit den pakistanischen Verbündeten darüber zu sprechen. ({11}) Zurzeit können nur wenige europäische Länder den Versuch machen, sich mit Empathie in den anderen hineinzuversetzen und mit Rücksicht auf dessen Sicherheitsempfinden zu diskutieren. Ich glaube, dabei ist Deutschlands Rolle gegenüber Russland sehr wichtig. Wir sollten uns vielleicht mit antirussischen Reflexen zurückhalten. Wir dürfen nicht in die alte Wortwahl verfallen. Vielmehr sollten wir durchaus mit Respekt gegenüber einem Nachbarn, der auch unsere Sicherheit in Europa in Zukunft mitverantwortet, den Versuch machen, ihm zuzuhören. Ich glaube, das hat die Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten getan. Das muss man unterstützen. Es geht sicherlich nicht darum, dass nur irgendwelche kritischen Geister darüber nachdenken. Vielmehr hat sich auch Ulrich Weisser, den man nicht in eine bestimmte Ecke einordnen kann - er schreibt für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik interessante Artikel über Russland -, entsprechend geäußert. Ich glaube, das sollten wir an dieser Stelle übernehmen. Dabei handelt es sich um sehr kluge Hinweise. Darunter ist ein wichtiger Punkt, den wir in diesem Zusammenhang bedenken müssen: Wir brauchen Russland für vielfältige Fragen der Sicherheit auch in Europa. Wir haben eben über den Kosovo gesprochen; wir brauchen ihn für den Iran. Russland aber war das Land, das letzte Woche versucht hat, die nordkoreanische Atomkrise über Bankengeschäfte ein wenig zu entproblematisieren. Das war wichtig. Daran sieht man, wo Russland wichtig ist. Ich glaube - da unterstütze ich Sie, Herr Kollege Hoyer -, dass wir genügend Zeit haben zu versuchen, an dieser Stelle wieder zur Rationalität zurückzufinden, ({12}) um mit Russland - aber auch mit anderen Ländern; China fühlt sich durch die unterschiedlichen Systeme, die vonseiten der USA aufgestellt werden, genauso herausgefordert - im NATO-Russland-Rat, aber auch in anderen Institutionen zu reden. Der Punkt ist doch, dass Verträge, gemeinsame Sicherheit, aber natürlich auch Verteidigungsfähigkeit die Wiedervereinigung Europas möglich gemacht haben. Dieses Geschenk muss man bewahren. Ich glaube, dass wir es zusammen mit Russland bewahren müssen. Das ist nach meinem Dafürhalten an dieser Stelle der Auftrag. ({13}) Lassen Sie mich zum Schluss einen Vorschlag unterbreiten - dass ich der Regierungskoalition angehöre, bedeutet ja nicht, dass ich nicht auch einmal einen Vorschlag in Richtung der Regierungsbank machen kann -: Ich hätte mir schon gewünscht, dass bei dem G-8-Gipfel in Heiligendamm das Thema „Abrüstung und Rüstungskontrolle“ aufgenommen worden wäre. Wir werden die Chance, dieses Thema aufzugreifen, allerdings noch in den nächsten Monaten haben; denn die deutsche Bundesregierung hat weiterhin den Vorsitz in der G 8. Ich hielte es für gut, wenn man gemeinsam mit den Partnern in der G 8 noch einmal über die hier besprochenen Herausforderungen nachdenken würde, und zwar nicht nur über die Frage des Raketenschirms. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit gute Vorschläge gemacht. Sie beteiligt sich an dem Verbot von Streumunition. Außenminister Steinmeier hat einen Vorschlag für den internationalen Brennstoffkreislauf unterbreitet. Die deutsche Bundesregierung bereitet die Überprüfungskonferenz zum Nichtweiterverbreitungsvertrag 2010, wie ich denke, sehr gut vor. Dabei haben Sie unsere Unterstützung. ({14}) Nach meinem Dafürhalten sind vier Punkte von Ihnen positiv abgearbeitet. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe dem Kollegen Gert Winkelmeier das Wort. ({0})

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Albert Einstein sagte einmal: Die Zuflucht zum Militär ist die ultimative Dummheit der Politik. - Wenn ich ihn beim Wort nehme, muss ich feststellen: Seit 1990 ist Deutschland wieder Wegbereiter in diese ultimative Dummheit. Wie die jüngsten Zahlen des Friedeninstituts SIPRI belegen, ist Deutschland auf dem dritten Platz der Waffenexporteure. Das ist falscher olympischer Ehrgeiz. Mit Waffenexporten heizt die Bundesregierung Spannungen in der Welt an. So schaffen Sie internationale Probleme und rechtfertigen damit eine weitere Hochrüstung der Bundeswehr. Die bevorstehende Beschaffung von vier Fregatten der 125er-Klasse für die offensive Hochseekriegsführung, die den Steuerzahler in den nächsten Jahren fast 3 Milliarden Euro kosten wird, ist ein Beleg dafür. Es verwundert nicht, dass die CDU/CSU für den offensiven Rüstungsexport ist. ({0}) Ich freue mich zwar, dass die SPD an einer restriktiven Rüstungspolitik festhalten will. Das ist aber zu wenig. Ausgemusterte Waffensysteme müssen verschrottet werden. Sie dürfen nicht in Spannungs- oder andere Gebiete geliefert werden. Dass die FDP nach Einzelfallprüfung einen kurzfristigen Exporterlös erzielen will, ist unerträglich. Daraus resultierende Konflikte, die dann international gelöst werden müssen, kosten den deutschen Steuerzahler ein Vielfaches dieses Erlöses. Die SPD handelt heute in der Waffenexportfrage leider nicht nach den Worten ihres ehemaligen Vorsitzenden Brandt, der immer betonte, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe. Selbst die Grünen schließen sich dem Antrag der Linken nur in der Forderung an, dass die Bundesregierung veröffentlichen soll, welche Waffen in den nächsten fünf Jahren ausgemustert werden und was mit ihnen passieren soll. Für ein generelles Waffenexportverbot treten auch sie nicht ein. Die Linke hat in der konsequenten Forderung nach einem Waffenexportverbot ein Alleinstellungsmerkmal, und das werden die Wähler honorieren. Warum liefert die Bundesregierung U-Boote nach Pakistan, ein Land, das für die Weitergabe von Rüstungstechnologie an fragwürdige Abnehmer berüchtigt ist, ein Land, das Nuklearmacht ist und den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat? Frieden und Sicherheit gibt es in der Welt nur gemeinsam oder gar nicht. Vertrauensbildende Maßnahmen sind erste Schritte zum Frieden. Das wusste die Politik einst in Deutschland. Daran sollten Sie sich erinnern, anstatt Vertrauen zu verspielen, wie Sie das gerade in Afghanistan praktizieren. Die Rüstungsausgaben und die Rüstungsexporte der Industriestaaten sind im Vergleich zur Entwicklungshilfe einfach obszön. In unserer Welt sterben täglich 40 000 Kinder an Hunger. Machen Sie sich bewusst, dass während meiner Redezeit 85 Kinder an Hunger gestorben sind! Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich nun zu den drei Anträgen Stellung nehme, kann ich dazu selbstverständlich nicht mehr als nur einige Anmerkungen machen. In den letzten Jahrzehnten wurde in Europa eine Abrüstungsarchitektur gebaut, die weltweit einmalig ist. Wer kann sich heute noch vorstellen, welche Lager an Atomwaffen es in West- und Ostdeutschland gab, die für Einsätze sogar im eigenen Land vorgesehen waren? Das war heller Wahnsinn! Es ist fantastisch, zu sehen, wie viel sich verändert hat. Die Befürworter der geplanten Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien behaupten, damit auch der europäischen Sicherheit zu dienen. Diese Behauptung ist, wie wir alle - auch in diesem Haus - mitbekommen haben, auf breiten Widerspruch gestoßen, zuletzt sogar auf der NATO-Parlamentarierversammlung in Portugal. Einige kritische Anmerkungen dazu: Es wird Schutz vor Raketenbedrohungen versprochen, die es zurzeit nicht gibt und in den nächsten Jahren nicht geben wird. Vielmehr kommt es darauf an, das Anwachsen solcher Bedrohungen politisch zu verhindern. Man verspricht sich Schutz von Systemen, deren Wirksamkeit zum Stationierungszeitpunkt in keiner Weise erprobt und nachgewiesen sein wird. Es ist aber kein Antiamerikanismus, sondern Realismus, dieses Vorhaben nicht als einen Akt der Nächstenliebe unter Verbündeten zu bewerten, sondern in den Kontext der Gesamtstrategie der USA zu stellen. Das ist sicherlich nicht der einzige, aber auch ein Aspekt. Mir ist auf der NATO-Parlamentarierversammlung aufgefallen, was ein norwegischer Delegierter sagte. Er verwies auf das schlichte Weltmachtinteresse der USA. Die Defensiv- und die Offensivpotenziale müssen also im Zusammenhang gesehen werden. Es geht um Unverwundbarkeiten, Handlungsfreiheit und Dominanz. Es liegt auf der Hand, dass das Wirkung auf die Perzeption anderer hat. Diese fühlen sich vielleicht ins Visier genommen. Das fördert also Misstrauen und verstärkt die Rüstung. Das nun angebahnte Projekt scheint mir insgesamt Ausdruck einer falschen Prioritätensetzung in der Sicherheitspolitik zu sein. Es kommt vielmehr darauf an, eine andere Prioritätensetzung vorzunehmen. Der Kollege Mützenich hat, genauso wie die Bundesregierung, deutlich betont, dass man - vertragsgestützt und diplomatisch - eine Politik mit dem Ziel der Nichtverbreitung verfolgen muss. Nun zu dem Antrag „Stopp von staatlichen Bürgschaften für Rüstungsexporte“. Wie zu hören war, unterrichtete das Finanzministerium den Haushaltsausschuss darüber, dass für drei U-Boote an die pakistanische Marine eine Exportbürgschaft über 1,2 Milliarden Euro gewährt werden soll. Ich muss zugeben: Auch unter RotGrün hat es einige sehr fragwürdige Rüstungsexporte gegeben. Aber der jetzt beabsichtigte Export verstößt so eindeutig und massiv gegen die geltenden Rüstungsexportrichtlinien wie wohl kein anderer zuvor. ({0}) Dieser Export geht nicht nur in ein eindeutiges Spannungsgebiet; mit ihm würde auch das Risiko weiterer Spannungen steigen. Der Export geht nämlich in ein Land - Kollege Mützenich hat es selbst angesprochen -, das in Sachen Verbreitung von Nukleartechnologie und Raketentechnologie äußerst unzuverlässig ist und dessen Perspektive mehr als ungewiss ist. Hier besteht also schlichtweg die Gefahr, dass die großen Fehler der 70erund 80er-Jahre, als Militärgüter in den Irak und in den Iran geliefert wurden, wiederholt werden. Das heißt, mit einem solchen Handeln konterkariert die Bundesregierung das, was sie sonst zu Recht als Ziel deutscher Außen- und Sicherheitspolitik benennt, die ja Friedenspolitik sein soll. ({1}) Für Rüstungsexporte sollte es generell keine HermesBürgschaften geben. Insofern besteht Übereinstimmung mit dem Antrag der Linksfraktion. Wir stoßen uns allerdings an einer Empfehlung, die darin enthalten ist, nämlich dass die Veröffentlichung über Exportbürgschaften erst nach der Beschlussfassung im Interministeriellen Ausschuss geschehen soll. Wir halten uns da an die entWinfried Nachtwei sprechende OECD-Richtlinie, die besagt, das solle bis zu 30 Tagen vorher geschehen, damit noch die Möglichkeit zur Einwirkung besteht. Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen. Nun zum Antrag „Verzicht auf den Verkauf und das Überlassen von überschüssigem Wehrmaterial“. Wir haben in den 90er-Jahren gesehen, dass es unter der KohlRegierung ein großes Problem war, dass NVA-Material an die Türkei geliefert wurde, weil dies zum Teil gegen die Kurden eingesetzt wurde. Eine pauschale Absage an die Abgabe von Wehrmaterial ist allerdings nach unserer Auffassung nicht sinnvoll. Ein solches Verbot würde auch die Weitergabe an verlässliche Verbündete ausschließen, ebenso Lieferungen an die Vereinten Nationen und an Peacekeeping-Truppen. Es schlösse sogar die Abgabe von Sanitätsmaterial aus.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme jetzt zum Schluss. - Insofern ist die Unterrichtung in diesem Punkt, die Sie schon angesprochen haben, sehr angebracht. Ich fasse zusammen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, Herr Kollege. Eine Zusammenfassung lasse ich jetzt nicht mehr zu. Ich lasse nur noch einen Schlusssatz zu.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerade in diesem Zusammenhang kommt es darauf an, dass wir als Parlament unsere Verantwortung auch auf diesem Feld der Sicherheitspolitik endlich mehr wahrnehmen und an der Kontrolle mitwirken. - Das war mein Schlusssatz. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Erich Fritz, CDU/CSU-Fraktion.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge der Linksfraktion sind nach dem Motto gestrickt „Ich male mir eine Welt“. Da wird ausgeblendet, da wird überpointiert, da werden Dinge so zusammengestellt, wie man es benötigt, um ein bestimmtes Bild zu zeichnen. Dabei ist jedem klar, dass im Bereich der internationalen Sicherheit drei Punkte zusammengehören: erstens die Stärkung internationaler Regime - da kann man Deutschland nun wirklich nichts vorwerfen; damit hat sich die deutsche Politik immer schon lange und intensiv beschäftigt -, zweitens die militärische Sicherheit, ohne die alle anderen Maßnahmen wirkungslos wären, und drittens das diplomatische Bemühen um Lösungen dort, wo es Konflikte gibt und neue Gefahren drohen. Wenn Sie der Auffassung sind, Sie könnten einen Pfeiler herauslösen, dann gefährden Sie damit den Erfolg jeder europäischen Sicherheitspolitik. ({0}) Zu dem ersten Antrag ist schon genug gesagt worden. Ich will mich deshalb den beiden anderen Anträgen zuwenden. Da gibt es einen Antrag, in dem gefordert wird, Bürgschaften für Rüstungsexporte gänzlich zu verbieten. In diesem Antrag wird der Eindruck erweckt, als setze die Bundesregierung bewusst zur Steigerung eines möglichen Rüstungsexports Hermes-Kreditbürgschaften ein. ({1}) Das ist falsch; das trifft in keinem Fall zu. Ich will Ihnen einmal sagen, wie groß dieser Anteil ist, damit wir wissen, wovon wir sprechen: Die Gesamtexporte lagen 2004 bei 733,5 Milliarden Euro. Davon waren durch Hermes-Bürgschaften 21,1 Milliarden Euro gedeckt; das sind 2,9 Prozent. Der Anteil gedeckter Militärexporte an allen Hermes-Bürgschaften, die es gibt, betrug 0,62 Prozent. Der Anteil gedeckter Militärexporte an den Gesamtexporten lag bei 0,0002 Prozent. - Das ist eine Debatte, die keine reale Bedeutung hat. Wenn Sie dann noch wissen, dass es sich in den meisten Jahren ausschließlich um den Export von Schiffen gehandelt hat, die nun einmal eine wesentlich längere Vertragslaufzeit, Produktionszeit und Bereitstellungszeit als andere Güter haben, dann können Sie vielleicht nachvollziehen, dass im Verhältnis zweier Staaten, die mit diesen Rüstungsaktivitäten zu tun haben, solche Bürgschaften von Bedeutung sind. Sie sind kein Exportförderinstrument. Wollen Sie eigentlich Südafrika in der jetzigen Situation den Erwerb von drei Schiffen, die wir geliefert haben und die im Wesentlichen der Verhinderung von Raubfischerei dienen, wirklich verwehren? Sprechen Sie eigentlich souveränen Staaten völlig ab, dass sie selbst entscheiden müssen, was für ihre Sicherheit, die Sicherheit ihrer Küsten und ihrer Fischereigewässer notwendig ist? ({2}) - Tatsächlich ist das so. - Es gibt im zwischenstaatlichen Verhältnis viele Gründe, auch die Interessen anderer Staaten anzuerkennen. Jetzt aus diesem Handel auszusteigen, so zu tun, als ob wir einen eigenen Weg gehen, und zu sagen, dass wir damit nichts mehr zu tun haben, gleichzeitig aber den Anspruch zu erheben, eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik und eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben, ist auch falsch. Im Gegenteil: Wir haben das Interesse - deshalb ist die Bundesregierung seit Jahren eine der intensivsten Verfechterinnen gemeinsamer europäischer Rege10794 lungen -, dass wir Grundsätze haben, die für Frankreich, für Großbritannien, für Spanien und für Italien genauso gelten wie für uns. Sie wissen, wie schwierig dieser Weg ist und dass Deutschland keine Rüstungswirtschaft betreibt, die von vornherein auf Export angelegt ist, ({3}) sondern dass unser Bestreben immer war, durch die gemeinsame Politik dazu beizutragen, dass die Kapazitäten so angepasst werden, dass es diesen Exportdruck nicht gibt und Rüstungsexport als Teil einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik rational im Interesse Europas betrieben werden kann. Was Sie ganz ausblenden - das hat auch etwas mit Rüstungsexport zu tun -, ist, dass wir in verstärktem Maße Nation Building betreiben, dass wir dazu beitragen, dass Staaten, in denen staatliche Gewalt überhaupt nicht mehr vorhanden ist, wieder eigenständig Sicherheit gewährleisten können. Wie sollen wir Polizei und Militär ausbilden, wenn wir nicht gleichzeitig das Material, das man dafür braucht, liefern können? Die Welt hat sich ein bisschen geändert. Sie können doch nicht die gleichen Sätze wie vor 20 Jahren aufschreiben. Sie müssen doch die veränderte Rolle, auch die veränderte Sicherheitslage, zur Kenntnis nehmen. Wenn Sie das nicht tun, dann sind Sie hier, so glaube ich, falsch am Platz oder sprechen nur Stammtischforderungen nach, die ohne Relevanz bleiben. Der dritte Antrag gehört eigentlich ins Kuriositätenkabinett. Schon die Grundannahmen darin sind falsch; deshalb können auch die Forderungen, die daraus abgeleitet werden, nur falsch sein. Darüber hinaus ist der Antrag von einer unglaublichen Unkenntnis geprägt. Können Sie mir einmal sagen, wie die buchstabengetreue Umsetzung der Grundsätze des Rüstungsgüterexports funktionieren soll? Wissen Sie denn nicht, dass sowohl in der Außen- und Sicherheitspolitik als auch in der Exportpolitik in jedem Einzelfall abgewogen werden muss und dass es an keiner Stelle eine einfache Entscheidung gibt? Aus diesem Grund dauern die Entscheidungsfindungsprozesse unserer verantwortlich handelnden Regierung zum Teil viel länger, als man es sich eigentlich wünscht. Wenn Sie das einfach leugnen und so tun, als gäbe es einfache Lösungen und als könne man vor der Verantwortung fliehen, indem man sagt: „Wir beschäftigen uns damit gar nicht mehr“, dann tut mir das leid. So werden Sie jedenfalls nicht ernst genommen werden können. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5456 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 7 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem An- trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Stopp von staatlichen Bürgschaften für Rüstungsexporte“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4602, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3697 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke an- genommen. Tagesordnungspunkt 7 c. Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verzicht auf den Verkauf und das Überlassen von überschüssigem Wehrmaterial“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5353, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3350 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit dem- selben Stimmergebnis wie zuvor angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d sowie die Zusatzpunkte 5 und 6 auf: 8 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Erika Steinbach, Holger Haibach, Carl-Eduard von Bismarck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christoph Strässer, Angelika Graf ({1}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stärkung der Menschenrechtspolitik der Europäischen Union - Drucksachen 16/3607, 16/4497 Berichterstattung: Abgeordnete Alois Karl Burkhardt Müller-Sönksen Volker Beck ({2}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung EU-Jahresbericht 2006 zur Menschenrechtslage Ratsdok. 5779/07 - Drucksachen 16/4635 Nr. 2.2, 16/5603 Berichterstattung: Abgeordnete Holger Haibach Burkhardt Müller-Sönksen Volker Beck ({4}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD Den Europäischen Gerichtshof für Menschen- rechte reformieren und durch die konsequente Befolgung seiner Urteile stärken - Drucksache 16/5734 - d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Holger Haibach, Erika Steinbach, Eduard Lintner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christoph Strässer, Doris Barnett, Kurt Bodewig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den Erfolg des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durch die konsequente Befolgung seiner Urteile sichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor dem Kollaps bewahren - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({6}), Omid Nouripour, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken - Drucksachen 16/4417, 16/4062, 16/4405, 16/ 5768 Berichterstattung: Abgeordnete Holger Haibach Burkhardt Müller-Sönksen Volker Beck ({7}) ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor dem Kollaps bewahren - Drucksache 16/5738 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({8}), Omid Nouripour, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken - Drucksache 16/5735 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Christoph Strässer, SPD-Fraktion.

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren in dieser Debatte unter anderem über den achten Jahresbericht der EU zur Menschenrechtslage. Dieses Dokument beschäftigt sich mit der internen und der externen Menschenrechtspolitik der Europäischen Union. Es hat ein stolzes Volumen von weit über 250 Seiten. Ich möchte mich auf drei Bereiche beschränken, die mit der Umsetzung menschenrechtlicher Grundsätze und Standards in den europäischen Staaten mittelbar und unmittelbar zu tun haben. Der erste Bereich wird in diesem Bericht zwar nicht ausdrücklich erwähnt; dennoch glaube ich, dass er gerade angesichts der zu Ende gehenden deutschen EURatspräsidentschaft eine ganz wichtige Rolle spielt. Ich meine damit zumindest einen Teil des sogenannten Verfassungsprozesses. In diesen Tagen sind in unseren Wahlkreisen die sogenannten Europabusse unterwegs. Durch diese Busse wird Europa vielen jungen Leuten, vielen Schülerinnen und Schülern vorgestellt. Man spricht über Grundsätze des Zusammenlebens auf unserem Kontinent. Als Ergebnis meiner eigenen Erfahrungen kann ich nur sagen: Den jungen Leuten geht es nicht um Quadratwurzeln und andere Dinge - so wichtig das für uns und für das Funktionieren der Europäischen Union ist -; vielmehr stellen sie die Frage: Wie leben wir eigentlich materiell in diesem europäischen Verbund? Das Allerwichtigste ist aus meiner Sicht - ich glaube, das gilt für viele andere auch - die Verbindlichmachung der sogenannten Grundrechtecharta, die wir bereits beschlossen haben. Wenn man Europa an dieser Stelle für die Menschen lebbar, erfahrbar und greifbar machen will, dann gilt es, sich verbindlich auf die gemeinsamen Werte Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu berufen. Dafür sollten wir uns auch heute noch einsetzen. Ich bitte die Bundesregierung herzlich, an dieser Stelle nicht nachzugeben und klarzustellen, dass die Europäische Union eine verbindliche Grundrechtecharta braucht; sonst wird vieles unglaubwürdig. ({0}) Ich möchte einen zweiten Bereich ansprechen, der in diesem Bericht, der sich auf die Zeit von Mitte 2005 bis Juni 2006 bezieht, eine große Rolle spielt. Das ist die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in den Vereinten Nationen in internationalen Zusammenhängen. Ich möchte einen Bereich herausgreifen, der gerade in den letzten Tagen in unseren Debatten eine große Rolle gespielt hat, nämlich die Einrichtung und die Arbeit des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Wir alle, die wir uns mit diesem Thema befassen, sind nicht in letzter Konsequenz glücklich mit dem, was dort passiert. Aber - das sollten wir zur Kenntnis nehmen und gebührend werten - dass es einen Menschenrechtsrat gibt und dass er sich jetzt auf verbindliche Arbeitsformen verständigt hat, ist ein Verdienst der Ratspräsidentschaft, ein Verdienst der westlichen Staaten. Deshalb sage ich für unsere Fraktion einen ganz besonders herzlichen Dank an Michael Steiner, der das in ganz harter Arbeit durchgesetzt hat. ({1}) Da ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber wir haben uns darauf verständigt, im Menschenrechtsrat weiterhin Länderberichterstattungen durchzuführen. Dabei gehen wir von einem Quorum aus, das es nicht von vornherein unmöglich macht, sich mit menschenrechtswidrigen Vorfällen zu befassen. Das ist für uns ganz wichtig. Ohne das System der sogenannten Peer-Reviews zur Überprüfung menschenrechtlicher Standards, ohne die Aufrechterhaltung des Systems der Berichterstatter wäre der Menschenrechtsrat ein zahnloser Tiger. Das ist das Einzige, was im Moment von dem großen Reformprozess der Vereinten Nationen übrig geblieben ist. Wenn der Menschenrechtsrat keine vernünftige Arbeit im Sinne der Menschen in der ganzen Welt machte, dann würde den Vereinten Nationen ein wichtiges Standbein genommen. Deshalb sind wir sehr froh darüber, dass unter unserer Führung, unter der Führung der westlichen Staatengemeinschaft, diese Werte verankert worden sind und der Menschenrechtsrat in Zukunft, so hoffe ich, eine erfolgreiche Arbeit leisten kann. ({2}) Ich möchte einen dritten Bereich ansprechen. Da wird ein Stück weit Selbstkritik und auch Blick über den eigenen Horizont hinaus vermittelt. Die europäischen Werte der Aufklärung, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der allgemeinen Geltung der Menschenrechte sind für viele Menschen in anderen Teilen der Welt eine große Hoffnung. Deshalb ist es sehr gut, dass es gelungen ist, in der Arbeit der Europäischen Kommission die sogenannten Leitlinien zur Menschrechtspolitik in bestimmten Bereichen weiterzuentwickeln. Ich finde es ausgesprochen gut, dass in diesen Tagen von Italien ein Angebot zur Ächtung der Todesstrafe weltweit gekommen ist. Wir sollten uns dieser Initiative anschließen und sie massiv unterstützen. Das ist eines der zentralen Anliegen deutscher Menschenrechtspolitik. ({3}) Das Gleiche gilt für die Leitlinien zur Verhütung von Folter und erniedrigender Behandlung. Auch dazu haben wir klare Positionen. Ich möchte an dieser Stelle etwas Selbstkritisches sagen: Wir müssen uns nach dem Wertekanon der Europäischen Union fragen lassen, ob in unseren eigenen Strukturen alles in Ordnung ist. Ich habe bestimmte Berichte gelesen, deren Wahrheitsgehalt ich noch nicht beurteilen kann. Wenn es aber so ist, dass es in Europa, im Europa der 27, Gefängnisse gibt, in denen gefoltert wird, wenn es zutrifft, dass es von europäischem Boden aus, gegebenenfalls mit Zustimmung der Regierung, zu Überstellungen in Länder kommt, in denen gefoltert wird und die Todesstrafe gilt, dann ist das ein Thema, vor dem wir in der Europäischen Union nicht die Augen verschließen dürfen. Diese Vorwürfe müssen aufgeklärt werden. Ich hoffe und erwarte, dass dies gelingt und dass auch wir hier im Deutschen Bundestag mit den Ausschüssen, mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, Klarheit schaffen. Von europäischem Boden dürfen keine Menschen in Systeme überführt werden, in denen es eine menschenrechtswidrige Praxis gibt. Das sollte für uns ganz selbstverständlich sein. ({4}) Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen - ich habe mir geschworen, dass er bei allen menschenrechtlichen Debatten eine Rolle spielen soll -: Auf Seite 65 des hier zu diskutierenden Berichtes heißt es unter der Überschrift „Strategische Ziele 2005-2009“ - es geht hier um die EU-Kommission -: Die Rechte des Kindes sind uns ein vorrangiges Anliegen. Im April 2005 wurde eine besondere Initiative mit Blick auf die weitere Förderung, den Schutz und die Berücksichtigung der Rechte des Kindes bei den internen und externen Maßnahmen der EU auf den Weg gebracht. - Das ist gut. Ich interpretiere das so: Das ist ein Auftrag an uns, an die Bundesregierung. ({5}) Es wäre ein grandioser Erfolg für die deutsche Menschenrechtspolitik, wenn die Bundesregierung zum Schluss ihrer Ratspräsidentschaft erklären würde, dass die noch existierenden Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention zurückgenommen werden. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen von der FDP-Fraktion. ({0})

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute unter dem Tagesordnungspunkt 8 nicht nur den EU-Jahresbericht 2006 zur Menschenrechtslage, sondern auch einen wahren Wust von Anträgen und Beschlussempfehlungen. Allein zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte finden wir auf der Tagesordnung drei Anträge und außerdem eine Beschlussempfehlung zu drei weiteren Anträgen, die bereits für erledigt erklärt wurden. Der Grund für dieses heillose Durcheinander besteht darin, dass wir im Menschenrechtsausschuss den Versuch unternommen haben, auf der Basis des ursprünglichen FDP-Antrags „Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor dem Kollaps bewahren“ auf Drucksache 16/4062 zu einem fraktionsübergreifenden Antrag zur Stärkung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu kommen. Dieser Versuch ist in letzter Minute gescheitert; denn der zuständige Berichterstatter der CDU/CSU im Haushaltsausschuss meldete an, dass er eine Kernforderung des gemeinsamen Antrags nicht mittragen könne. Es handelt sich dabei um die Forderung, eine - ich zitiere aus dem ursprünglichen Antrag - „angemessene Erhöhung der finanziellen Mittel“ für den Gerichtshof vorzusehen, damit dieser in die Lage versetzt wird, seine jetzige und künftige Arbeitslast zu bewältigen. Meine Damen und Herren, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist - da sind wir uns alle einig die bedeutendste Einrichtung für den Menschenrechtsschutz in Europa. In seiner Aufgabe und seinen Mechanismen ist der Gerichtshof weltweit einzigartig. Er ist nicht nur Symbol, sondern auch Maßstab und Bewahrer des hohen Menschenrechtsstandards in Europa. Ebendieser Gerichtshof befindet sich allerdings auch in der tiefsten Krise seit seiner Errichtung. Diese tiefe Krise wurde auch durch den Menschenrechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg, bei einer Ansprache letzte Woche in Berlin konstatiert. Um es etwas bildhafter auszudrücken: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte droht in absehbarer Zeit zu kollabieren, weil er durch eine immer größer werdende Flut an Klagen geradezu erstickt wird. Sie alle kennen die schier unglaubliche Zahl von 90 000 anhängigen Verfahren. Jedes Jahr kommen 50 000 hinzu. 50 000 neue Verfahren jährlich - auch das wissen Sie sind mit kleineren Reformen, wie etwa dem kürzlich ratifizierten 14. Zusatzprotokoll, überhaupt nicht zu bewältigen. Das war ein Tropfen auf den heißen Stein. Das wirkungsvollste und deshalb entscheidende Mittel zur Stärkung des Gerichtshofes besteht darin, die enorme Unterfinanzierung des Gerichtshofes schnellstmöglich zu beenden. ({0}) Wer eine deutliche Erhöhung der finanziellen Mittel für den Gerichtshof ablehnt, ist bereit, sehenden Auges die fortschreitende Paralysierung des Gerichtshofes in Kauf zu nehmen. ({1}) Er spielt damit Staaten wie Russland in die Hand, die offenbar zielgerichtet das Interesse verfolgen, den Gerichtshof schlicht durch quantitative Überbeanspruchung auszuschalten. ({2}) Über welche Beträge reden wir hier eigentlich? Das Jahresbudget des Gerichtshofes belief sich für das Jahr 2006 auf 44 Millionen Euro. ({3}) Nur zum Vergleich: Der G-8-Gipfel in Heiligendamm hat Kosten von mehr als 100 Millionen Euro verursacht. Herausgekommen ist als eines der wichtigsten Ergebnisse eine Fußnote zum Klimaschutz. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat allein im Jahr 2005 in 1 105 Fällen - Herr Kollege Haibach, ich kann auch die Zahlen ganz genau vorlesen - Recht gesprochen und damit einen wesentlichen und unmittelbaren Beitrag zum Schutz der Menschenrechte von 800 Millionen Menschen in 47 Mitgliedstaaten des Europarates geleistet. Verstehen Sie, meine Damen und Herren, mich bitte nicht falsch: Ich möchte die guten Ergebnisse des Heiligendammer G-8-Gipfels nicht kleinreden oder gar die Bedeutung des Klimawandels infrage stellen. Vielmehr geht es mir darum, zu zeigen, welch wichtigen Beitrag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angesichts seiner extrem knappen Finanzausstattung leistet. Das muss hier erlaubt sein. Ich finde es schon sehr erstaunlich, wenn die Regierungskoalition mit ihrem nunmehr eingebrachten Antrag zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sogar hinter das zurückfällt, wozu sie sich vorher bereits selbst bekannt hatte. In ihrem Antrag zur Stärkung der Menschenrechtspolitik in der Europäischen Union, der vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eingebracht wurde, lässt die Regierungskoalition durchaus mehr Problembewusstsein erkennen, was die dürftige Finanzierung des Gerichtshofes angeht. In diesem Antrag wird die Bundesregierung unter Punkt 25 aufgefordert - ich zitiere -, „sich für eine finanzielle Stärkung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einzusetzen“. Der Rückschritt, der seit der Einbringung dieses Antrags bei der Regierungskoalition eintrat, ist beachtlich. Denn der angestrebte fraktionsübergreifende Antrag ist - ich erwähnte es bereits daran gescheitert, dass ein Haushaltspolitiker aus der Koalition die finanzielle Stärkung des Gerichtshofes nicht mittragen wollte. Das ist das genaue Gegenteil von konsequenter Politik! Eine solche Politik ist angesichts der großen Bedeutung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte unwürdig und für meine Fraktion nicht hinnehmbar. Ein anderes Beispiel, bei dem die hier regierende Koalition ein eklatantes Maß an Inkonsequenz gezeigt hat, ist Usbekistan. Im Antrag der Regierungskoalition zur Stärkung der EU-Menschenrechtspolitik wird die Bundesregierung unter Punkt 8 aufgefordert, „bei der regionalen Schwerpunktsetzung ,Zentralasien‘ während ihrer Ratspräsidentschaft auf die Achtung der Menschenrechte großes Gewicht zu legen“. Wir haben in diesem Hause bereits häufig darüber gesprochen. Auch hier sind Sie hinter Ihren eigenen Vorgaben und Wertvorstellungen zurückgeblieben. Meine Damen und Herren, mit einer solchen Politik, die selbst vor so offensichtlichen Inkonsequenzen nicht zurückschreckt, untergraben wir die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland. Meine Fraktion wird sich daran nicht beteiligen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Alois Karl von der CDU/CSU-Fraktion.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute zum wiederholten Male im Deutschen Bundestag mit dem Querschnittsthema Menschenrechtspolitik, mit einem Thema, das weit über die flüchtige Tagespolitik hinausgeht. Es war daher gut, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im letzten halben Jahr das Thema Menschenrechtspolitik häufig aufgegriffen hat. Das vergangene halbe Jahr war ein gutes Jahr für Europa, gerade auch aus der Sicht der Menschenrechte. Manches wurde im ersten Halbjahr 2007 erfüllt; vieles hat die deutsche Ratspräsidentschaft in Bewegung gebracht. Die Arbeit der Ratspräsidentschaft, der Bundesregierung und der Kanzlerin auf diesem Feld verdienen unseren Respekt. In unsere Ratspräsidentschaft fiel der 50. Jahrestag der Römischen Verträge und die Berliner Erklärung. Der Weg von Rom nach Berlin war weit. Die europäische Einigung, 1957 durch die Staatsmänner Europas begonnen, ist eine Erfolgsgeschichte für unseren Kontinent, gleichsam ein goldenes Zeitalter. Wir können auf 50 Jahre Frieden und Freiheit im westlichen Europa zurückschauen. Die vom Kommunismus ihrer Freiheit beraubten Völker Mittel- und Osteuropas sind heute ganz natürlich Glieder der Europäischen Union. In Deutschland haben wir wirtschaftlichen Wohlstand erleben dürfen, dazu die deutsche Wiedervereinigung. Der Weg von der Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union wurde in logischen Schritten zurückgelegt. Die positive wirtschaftliche Entwicklung ging Hand in Hand mit einer stärkeren Respektierung der Menschenrechte. Sie sind heute stärker denn je im Fokus unserer Politik. In diesem Zusammenhang ist die Berliner Erklärung vom März 2007 wertvoll. Ein Meilenstein ist es, dass sich die 27 Staats- und Regierungschefs feierlich zu den Bürger- und Freiheitsrechten bekannt haben. Sie haben zum Beispiel proklamiert, dass die abscheulichsten Feinde der Menschenrechte, nämlich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, nie wieder auf unserem Kontinent eine Chance erhalten sollen. Allein dies rechtfertigt es, von einem guten Halbjahr zu sprechen. Unser Ziel bleibt es nach wie vor, die Charta der Grundrechte in einen europäischen Verfassungsvertrag aufzunehmen. ({0}) Wir wissen, dass dieser Vorgang ins Stocken geraten ist. Wir erkennen die Bemühungen der Bundesregierung und der Kanzlerin an, den dümpelnden Tanker des Verfassungsvertrages wieder flott zu bekommen. Wir wissen, so lange die Charta der Grundrechte nicht in einem irgendwie gearteten Verfassungsvertrag steht, so lange die Grundrechte in Europa nicht kodifiziert sind, kommen sie gleichsam hinkend daher. Das muss jede Regierung in Europa erkennen. Die Bemühungen um eine europäische Einigung einerseits und die Stärkung der Menschenrechte in der Europäischen Union andererseits lassen sich nicht trennen. Auch sie sind quasi eineiige Zwillinge. Das sollten auch unsere östlichen Nachbarn erkennen. Wenn es in deren Hymne heißt „Noch ist Polen nicht verloren“, rufen wir ihnen zu: Auch der europäische Grundlagenvertrag darf nicht verloren gehen! Im Gegenteil, er muss gerade um der Menschenrechte willen vorangebracht werden. Themen der Menschenrechtspolitik sind vielfach angesprochen worden. Ich erwähne ausschnittsweise den EU-Russland-Gipfel in Samara, bei dem Bundeskanzlerin Merkel gegenüber Putin ganz offen die Gewalttätigkeiten russischer Sicherheitsbehörden gegen friedliche Demonstranten angesprochen hat. Diese Offenheit und dieser Mut haben ihr Respekt eingebracht. Die Kanzlerin blieb ihrer Linie treu. So wie sie gegenüber George Bush auf die Unerträglichkeit des Lagers von Guantánamo hingewiesen hatte, hat sie dem russischen Präsidenten unmissverständlich die Meinung gesagt, und das war, wie ich denke, die Meinung des Deutschen Bundestages insgesamt. Auch die Reisebeschränkungen zulasten des früheren Schachweltmeisters Garri Kasparow sind deutlich angesprochen worden. In Heiligendamm haben die Repräsentanten der acht Länder bekräftigt, dass sie die grundlegende Bedeutung des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte anerkennen. Bemerkenswert ist, dass sie nicht bloß finanzielle Entwicklungshilfe leisten wollen, sondern die Menschenrechte in Afrika an oberste Stelle setzen. Wir sehen darin eine Chance, Bürgerkriege zu vermeiden und uns eines der unseligsten Kapitel der Gegenwart, der Kindersoldaten, anzunehmen. Bis zu 300 000 Kinder weltweit sollen als Soldaten missbraucht werden. Wir danken der Bundesregierung, dass sie diese massive Form der Menschenrechtsverletzung ausdrücklich angesprochen hat, zuletzt bei der Pariser Konferenz am 5. Februar dieses Jahres. ({1}) In Heiligendamm haben sich die acht Staaten verpflichtet, 60 Milliarden Dollar für bessere Gesundheitssysteme in afrikanischen Staaten aufzuwenden. Das ist ein augenscheinlicher Erfolg. HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria können auf diese Art und Weise eingedämmt werden. Viele Flüchtlinge der Bürgerkriege, deren Bürgerrechte mit Füßen getreten werden, können so wenigstens medizinische Versorgung erlangen. In diesem Zusammenhang denke ich auch an die furchtbare Situation in Darfur. Um dort menschenwürdige Zustände herbeizuführen, haben die Machthaber zugestimmt, jetzt endlich internationalen Beobachtern und Friedenstruppen Zugang zu gewähren. Die von HeiAlois Karl ligendamm ausgehende Darfurerklärung hat offensichtlich den internationalen Druck auf das Regime im Sudan entscheidend erhöht. ({2}) Wir hoffen, dass die Machthaber dort ihre Zusagen nicht widerrufen, wie das schon häufiger der Fall war. Manches ist in Bewegung gekommen: Der Internationale Strafgerichtshof wurde gestärkt. Die Zusammenarbeit mit der serbischen Regierung ist in Gang gekommen; der gesuchte General Tolimir wurde ausgeliefert. Die Europäische Agentur für Grundrechte, also das Kompetenzzentrum für Menschenrechte, hat in Wien ihre Arbeit aufgenommen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bedarf einer Reform; Herr Müller-Sönksen hat es angesprochen. 40 000 neue Klagen pro Jahr ({3}) machen dieses Gericht in der Tat fast handlungsunfähig. Vor einer neuen Aufgabe stehen wir dadurch, dass mit der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien 10 Millionen Sinti und Roma in die Europäische Union gekommen sind. Ihre Situation ist, auch in menschenrechtlicher Hinsicht, bedenklich. Die Menschenrechtsdialoge mit China vor den Olympischen Spielen, mit Russland und Iran müssen fortgesetzt werden. Ebenso müssen die Zustände in Usbekistan und Turkmenistan weiterhin auf der Tagesordnung bleiben. Zusammenfassend darf ich sagen: Das letzte halbe Jahr unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft war ein gutes halbes Jahr, gerade aus Sicht der Menschenrechtspolitik. Wir haben gute Entwicklungen gesehen. Rückblickend können wir problemlos festhalten: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft war auf dem Feld der Menschenrechtspolitik erfolgreich. Der Einsatz der Bundesregierung und der Kanzlerin verdienen ausdrücklich unseren Respekt und unsere Anerkennung. Vielen herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Beitrag heute wird vielleicht etwas unkonventionell, aber, so denke ich, angemessen sein. Uns liegen heute mehrere Beschlussvorlagen vor, unter anderem ein Antrag der Koalition mit dem Titel „Stärkung der Menschenrechtspolitik der Europäischen Union“. Ich darf zitieren: Die Europäische Union hat mehrfach bekräftigt, dass Terrorismusbekämpfung unter Wahrung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit erfolgen muss. Die EU sollte deshalb der Welt ein Vorbild sein. Weiter: Die deutsche EU-…Ratspräsidentschaft sollte ihren Einfluss geltend machen, damit weder innerhalb Europas noch mit Wissen oder Mitwirkung von EU-Staaten außerhalb Europas Menschen im Namen des Anti-Terror-Kampfes entführt, gefoltert oder erniedrigend behandelt und illegal an geheimen Orten festgehalten werden. ({0}) Dies ist ein klarer Verstoß gegen die EMRK. ({1}) - Ja, das ist zustimmungsfähig. Weiterhin liegt uns eine Beschlussempfehlung zum EU-Jahresbericht 2006 zur Menschenrechtslage vor. Ich zitiere wieder: Der Deutsche Bundestag anerkennt die Bemühungen der EU für ein weltweites Folterverbot. Er fordert die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den EU-Partnern weiterhin für eine weltweite Ratifizierung des VN-Übereinkommens gegen Folter bzw. des Zusatzprotokolls sowie für Maßnahmen der Verhütung von Folter und der Rehabilitierung von Folteropfern einzutreten. Mit Sorge hat der Deutsche Bundestag eine aktuelle Studie von amnesty international zur Kenntnis genommen, in der Defizite der EU-Verordnung … für den Handel mit zur Folter geeigneten Elektroschockgeräten festgestellt wurden. Der Deutsche Bundestag empfiehlt der EU, die Verordnung auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. So weit das, was auf dem Papier steht. ({2}) Ich komme jetzt zu den Fakten. In einer der letzten Menschenrechtsausschusssitzungen war dieser AmnestyInternational-Report Anlass, uns vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unterrichten zu lassen. Auf zweimalige Nachfrage von mir wurde mir dann bestätigt: Jawohl, es wurden Fußfesseln nach SaudiArabien geliefert, die wohl unter das Exportverbot fallen. Ich habe mir das schriftlich geben lassen. Die schriftliche Antwort der Bundesregierung ist es meines Erachtens wert, hier ebenfalls zitiert zu werden: Frage … Wann und mit welcher Begründung genehmigte die Bundesregierung … die Ausfuhr von 69 Fußfesseln nach Saudi-Arabien im Jahre 2002 ({3})? Antwort: Die Genehmigung zur Ausfuhr von 69 … Fußfesseln zur Endverwendung in Saudi-Arabien im Wert von 3.140 EURO wurde am 22. März 2002 - leider zu Zeiten von Rot-Grün, muss ich hinzufügen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle … erteilt. Es handelte sich um eine Zulieferung an eine schweizerische Firma, die ihrerseits von einem anderen schweizerischen Unternehmen beauftragt worden war. Die ausgeführten Fußfesseln dienten der Ausbildung und dem Training von Einheiten staatlicher Sicherheitskräfte in SaudiArabien und wurden an ein entsprechendes Trainingszentrum geliefert. Eine Endverbleibserklärung lag vor. Die beantragte Ausfuhr wurde genehmigt, da dem BAFA das Gesamtprojekt der Ausrüstung der Trainingszentren bekannt und die Verwendung der Fußfesseln im Rahmen des Projekts plausibel waren. Anhaltspunkte für Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des Trainingsprojektes - es wäre ja auch absurd, wenn es im Trainingsprojekt zu Menschenrechtsverletzungen kommt oder Anhaltspunkte für eine zweckwidrige Verwendung bestanden nicht. Der Genehmigungsbescheid unterliegt … als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der Geheimhaltung. Deutschland ist also nicht bloß bei Waffen Exportweltmeister, sondern auch bei Dingen, die zur Folter verwendet werden können. Nun fragt man sich natürlich: Was trainieren saudiarabische Sicherheitskräfte in einem Trainingslager mit Fußfesseln? ({4}) Im Jahresbericht 2002 von Amnesty International steht zu Saudi-Arabien unter der Überschrift „Folterungen in der Haft“ - Zitat -: Kalesh, ein indischer Staatsangehöriger, der des Diebstahls beschuldigt und ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten worden war, gab nach seiner Freilassung im Dezember 2000 Folgendes an: „Da waren drei Personen in Zivilkleidung ({5}) Sie hatten einen Knüppel mit Seilen an jeder Seite ({6}) Ich wurde aufgefordert, mich auf den Boden zu setzen ({7}) Während ich mit Handschellen und Fußketten gefesselt war, wurde der Knüppel mit den Seilen durch meine Kniekehlen hindurchgeführt ({8}) und die Seile an meine mit Handschellen gefesselten Hände gebunden. Ich wurde so zu einem Fußball ({9}) Ich saß bzw. lag auf dem Boden und diese drei Teufel ({10}) begannen, mich zu treten und brutal mit einer Stange auf mich einzuschlagen ({11}) Es gibt noch immer Spuren ({12}) von diesem Tag auf meinem Körper …“ Für den Fall, dass diese Amnesty-Berichte im Ministerium nicht bekannt sind, können wir sie gern weiterleiten. Vielleicht ist auch etwas anderes noch nicht bekannt - dies ist der Amnesty-Bericht für 2003 -: Saudische Gerichte verhängten weiterhin routinemäßig Körperstrafen bis hin zu körperlichen Verstümmelungen, die ebenso routinemäßig vollstreckt wurden. Und weiter: Ein im März freigelassener gewaltloser politischer Gefangener gab an, man habe ihn in der Haft an Händen und Füßen gefesselt, geschlagen und am Schlafen gehindert. Auch wenn das etwas unkonventionell war, so glaube ich doch, dass all diese Zitate für sich sprechen. Im Namen der Linken sage ich: Solange solche Tatsachen nicht in unseren Papieren stehen, sind die Papiere es nicht wert, hier behandelt und womöglich beschlossen zu werden. Die Linke lässt sich an Taten und nicht an Worten messen. Wir werden die Vorlagen deshalb ablehnen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor Ende der EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland diskutieren wir heute über die Menschenrechtspolitik in der Europäischen Union. Man muss leider sagen, dass die EU-Ratspräsidentschaft in Sachen Menschenrechte etwas unglücklich gestartet ist. In dem einschlägigen Dokument zur Ratspräsidentschaft taucht das Thema Menschenrechte nicht ein einziges Mal auf. Auf unsere Nachfrage hin hat man uns gesagt, das sei ein Versehen gewesen, das Thema werde selbstverständlich berücksichtigt, man habe aber leider vergessen, es in dem Text aufzuführen. Gerettet werden soll das Ganze durch den Antrag der Koalition, der heute zur Beschlussfassung vorliegt. Dadurch soll der Bundesregierung gesagt werden, was im Rahmen der Ratspräsidentschaft hinsichtlich der Menschenrechtspolitik zu tun ist. Die Bundesregierung hat nicht mehr viel Zeit, das umzusetzen. ({0}) Das ist vom Parlament nicht ganz fair. Insgesamt zeigt das, dass es bei der Priorisierung in Sachen Menschenrechte offensichtlich Mängel gibt. Das sieht man auch, wenn man sich die konkrete Politik der EU-Ratspräsidentschaft anschaut, zum Beispiel zu Usbekistan. Mitglieder der Koalition haben bei der Abstimmung über unseren Änderungsantrag im Ausschuss durch ihr Abstimmungsverhalten deutlich gemacht, dass sie das eigentlich so sehen wie wir. Volker Beck ({1}) Dass man der usbekischen Regierung eine Erleichterung der Sanktionen angeboten und in Brüssel durchgesetzt hat, ist mir unerklärlich. Es gibt zwar jede Menge Absichtserklärungen der usbekischen Regierung, sich künftig menschenrechtskonformer zu verhalten, aber nicht eine einzige Tat, die in diese Richtung deutet, weder bei der Kontrolle der Gefängnisse durch das Internationale Rote Kreuz, noch gibt es bei den Menschenrechtsdialogen mehr als Blabla. ({2}) Wir würden gerne etwas Konkretes sehen. Die vielen politischen Gefangenen, die seit dem Massaker von Andischan einsitzen, müssen es als Hohn empfinden, dass die Bundesregierung für einen Teil der Verantwortlichen in Brüssel die Einreise nach Europa erkämpft hat. Das ist kein gutes Kapitel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. ({3}) Amnesty International hat gestern in einer Pressekonferenz die Arbeit der deutschen Ratspräsidentschaft in diesem Bereich bewertet: außen hui, innen pfui. „Außen hui“ bezieht sich auf die Erwähnung der Menschenrechte im Rahmen der Zentralasienstrategie. ({4}) Das ist zwar gut und schön, zumindest auf dem Papier, aber an der Tatsache, dass die Sanktionen für Usbekistan erleichtert wurden, zeigt sich, dass Papier und tatsächliche Politik nicht zusammenpassen. An der Kritik von Amnesty International - innen pfui - zeigt sich, dass die Europäische Union Defizite hat, wenn es um die Menschenrechte im Innern der EU geht. Bisher fehlen uns die Instrumente, um das aufzuarbeiten. Bei beitrittswilligen Ländern schauen wir sehr genau hin, aber nur bis zum Beitritt. Danach fehlen uns die Möglichkeiten, um kontrollieren zu können. Wir brauchen ein Monitoring, damit Menschenrechtsstandards auch innerhalb der Europäischen Union eingehalten werden. Amnesty International erwähnt mehrere Minderheiten, die in zahlreichen Mitgliedsländern der Europäischen Union Probleme haben: Das sind die Roma, über die wir morgen reden werden, Muslime, andere ethnische Minderheiten und Homosexuelle. Ich hoffe, dass die neue EU-Grundrechteagentur, die von vielen eher erduldet als mit Begeisterung begrüßt wird, zu einer neuen Qualität führt. Wir müssen genauer auf die Entwicklung hinsichtlich der Menschenrechte innerhalb der Europäischen Union achten. Auch die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union muss genau unter die Lupe genommen werden. Denn bei der gemeinsamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus brauchen wir - wir haben vorhin alle beschworen, wie wichtig die Grundrechtecharta ist; darüber sind wir uns in diesem Haus einig - eine europäische verfassungsrechtliche und grundrechtliche Basis, um kooperierenden europäischen Institutionen bei Eingriffen in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger Grundlagen zu geben. Diese kann man ihnen nur geben, wenn die Grundrechtseingriffe gleichzeitig verfassungsrechtlich beschränkt sind. Das wäre mit der Grundrechtecharta zu erreichen. ({5}) Die Bundesregierung hat sich bei der Menschenrechtspolitik in der EU unter anderem für neue Leitlinien zum Schutz der Rechte von Kindern eingesetzt. Dazu sage ich: Wunderbar, das wäre eine schöne Sache, wenn man gleichzeitig im Inland glaubwürdig gewesen wäre und die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen hätte. ({6}) Man kann nicht nach außen predigen, was man innen nicht vollzieht. Lassen Sie mich, Herr Präsident, vielleicht noch einen Satz zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sagen; das betrifft den zweiten Teil der Debatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist für die Bürgerrechtler und Menschenrechtler vieler Länder im Europarat die einzige Remedur gegen Willkür und Repression. Unter den Menschenrechtlern in Russland erzählt man sich immer den Witz: Was ist der beste Gerichtshof in der Russischen Föderation? - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Denn das ist das einzige Gericht, das nach rechtsstaatlichen Grundsätzen urteilt, zu dem russische Staatsbürger Zugang haben. Deshalb müssen wir ein Interesse daran haben, die Boykottpolitik der Russischen Föderation gegen das 14. Zusatzprotokoll - ohne dieses Protokoll ersäuft der Gerichtshof in Arbeit, und es gibt keine schnellen Urteile - abzustellen, ({7}) indem wir sagen: Wenn das Zusatzprotokoll nicht unterschrieben wird, müssen wir den Gerichtshof finanziell und personell so ausstatten, dass er dieser Arbeit Herr werden kann und den Menschenrechten zum Durchbruch verhilft. Das sind wir gerade den mutigen Menschen in Russland und in anderen Staaten, die sich an den Gerichtshof wenden, schuldig. Deshalb finde ich es traurig, dass wir hier einen Streit über Formulierungen in den Anträgen hatten. Ich hoffe, dass diese Debatte am Ende dazu führt, dass wir bei den Haushaltsberatungen gemeinsam - darauf kommt es mehr an als auf das Papier hier - mehr Geld aufbringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ansonsten würden wir Herrn Putin unnötigerweise einen Gefallen tun. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Herta DäublerGmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute vorliegenden Anträge, über die wir beraten, enthalten in der Tat eine Fülle von Menschenrechtsfragen. Das ist gut so. Wir werden diese Beratungen sehr viel häufiger durchführen müssen, weil wir alle - ich glaube, das eint uns - davon ausgehen, dass Menschenrechtspolitik eben kein Sahnehäubchen auf dem Kuchen, sondern ein essenzieller Pfeiler jeder stabilen und menschenwürdigen Gesellschaft ist. Sie gehört in jeden Politikbereich. ({0}) Dies gilt - lassen Sie mich das sagen - nicht nur national, sondern selbstverständlich auch für die Europäische Union. Ich würde gern im Anschluss an Kollegen Beck sagen: Wir haben im Bereich der Europäischen Union eine ganze Menge während unserer EU-Ratspräsidentschaft erreicht. Das finde ich gut. Als eines der Beispiele will ich die EU-Zentralasienpolitik erwähnen, die jetzt einen außerordentlich starken und, wie ich finde, auch guten Menschenrechtsteil hat. Er muss jetzt umgesetzt werden. Ich erwähne das nicht allein, um die Regierung zu loben, obwohl ich es gut finde, wenn man sie da lobt, wo man sie loben kann. Ich erwähne das vielmehr deshalb, weil es durch unser gemeinsames Eintreten im Ausschuss über alle Fraktionsgrenzen hinweg erreicht werden konnte. ({1}) Das ist unser Erfolg. Meiner Ansicht nach sollte man das nicht kleinreden. Ich würde jetzt sehr gerne einiges zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof sagen. Lieber Herr MüllerSönksen, wir, das ganze Haus, sind uns alle einig, dass dieser Gerichtshof eine einzigartige Institution ist. Wir wissen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für 850 Millionen Europäerinnen und Europäer die einzige Möglichkeit darstellt, ihre Menschenrechte geltend zu machen. Sie können sich an den Gerichtshof wenden und ihren Staat bzw. seine Behörden verklagen, wenn diese in ihre Menschenrechte eingegriffen haben oder sie ihnen vorenthalten. Das ist außerordentlich wichtig. Für uns Deutsche ist das selbstverständlich, weil es die Möglichkeit, sich auf dem Wege der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu wenden, bei uns schon lange gibt. In anderen Staaten ist das längst nicht üblich, auch nicht in allen Staaten Europas. In einigen Ländern hält man das auch heutzutage immer noch für ein gewisses Sakrileg, übrigens auch in solchen Staaten, die der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten sind. Weil wir dieser Auffassung sind, haben wir in den vorliegenden Anträgen gemeinsam die Forderung nach einer Erhöhung der finanziellen Unterstützung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aufgestellt. Lieber Herr Müller-Sönksen, auch ich finde es ziemlich peinlich, dass man manchmal Seitenwind von Leuten bekommt, die eine andere Auffassung vertreten. Wir sollten uns als Deutscher Bundestag vornehmen, über die Fraktionsgrenzen hinweg eine größere finanzielle Unterstützung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durchzusetzen. Allein durch die Bündelung unserer Kräfte könnten wir eine ganze Menge erreichen. Dazu möchte ich heute einen Beitrag leisten. Aber wir brauchen noch mehr: Ich meine die Verfahrensänderungen, die in unseren Anträgen enthalten sind. Sie wurden von der Gruppe der Weisen erarbeitet, der wir für ihre Vorschläge sehr danken. Dadurch wird gewährleistet, dass der Gerichtshof nicht total überfordert wird. Auch dadurch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht sichergestellt, dass der Gerichtshof auf Dauer das ist, was er sein muss, nämlich ein Leuchtturm der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Das kann er nur dann sein, wenn geeignete Persönlichkeiten als Richter gewählt werden. Es müssen Juristen sein, die eine hohe juristische Qualifikation haben, die unabhängig sind und die den Menschenrechten und Europa verpflichtet sind. Das ist heute noch nicht durch alle Verfahren zur Auswahl gewährleistet. Dazu werden wir nicht nur im Deutschen Bundestag und im Ministerrat des Europarates, sondern auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, der in dieser Hinsicht eine ganz besondere Aufgabe zu erfüllen hat, Überlegungen anstellen müssen. Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen, der politisch noch nicht hinreichend durchdacht worden ist, den wir allerdings genau deshalb in den Mittelpunkt rücken müssen: Kein europäisches Gericht kann, auch wenn es noch so gute Arbeit macht, ein Menschenrechtsschutzsystem auf nationaler Ebene ersetzen. ({2}) Das, was der Kollege Beck gerade als Witz dargestellt hat, ist leider Gottes kein Witz, sondern die bittere Wahrheit. Manchmal vermisse ich, dass die Regierungen, deren Vertreter sich im Europarat, aber auch im Rahmen der Europäischen Union - auch hier gibt es in dieser Frage Ansprechpartner - regelmäßig treffen, mit dem nötigen Durchsetzungsvermögen darauf hinwirken, dass in den einzelnen Staaten nationale Menschenrechtsschutzsysteme errichtet und funktionierende, effiziente und unabhängige Gerichte geschaffen werden. Wenn das nicht gelingt, dann wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg immer weniger den Einfluss geltend machen können, den er haben könnte und haben müsste. Immerhin vertritt er die Interessen von 850 Millionen Europäern und hat Vorbildfunktion für die ganze Welt. Hinzu kommt Folgendes: Es geht nicht an, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg nicht umgesetzt werden. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir das ändern können. Wir alle wissen, wie es in Deutschland ist: Eine Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht trifft, hat Gesetzeskraft. Sie gilt für und gegen alle. Wehe, man hält sich nicht daran! Dann kommt der Gerichtsvollzieher, und es folgt die Zwangsvollstreckung. Was den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg betrifft, ist das noch nicht so. Seine Entscheidungen gelten nur für oder gegen das betreffende Land. Wenn sich dieses Land nicht an die Entscheidung hält, kann man lediglich eine individuelle Entschädigung verlangen, mehr nicht. Das heißt, auch hier muss die Durchsetzung stärker vorangetrieben werden. Ich habe die Bitte an die Bundesregierung und an die beteiligten Ministerien, in Straßburg, aber auch in den anderen Bereichen, wo man das kann, auf diese beiden notwendigen Veränderungen zu drängen. Sie sind genauso wichtig wie die personelle oder die finanzielle Verstärkung. ({3}) Lassen Sie mich noch einen kleinen Punkt erwähnen, den ich bei allen vorliegenden Anträgen nicht gut finde: die Verwendung des Wortes „Klageflut“. Das ist meiner Ansicht nach kein gutes Wort, es ruft negative Eindrücke hervor. Doch es geht nicht um etwas Negatives. Im Gegenteil, die 850 Millionen Bürgerinnen und Bürger, deren Länder Mitglied im Europarat sind, haben verstanden, dass sie die Menschenrechte brauchen, dass die Menschenrechte ihnen persönlich zustehen, und wollen sie wahrnehmen. ({4}) Wenn sie das tun, ist das keine „Klageflut“, sondern ist das eine hohe Anerkennung der Werte, die uns in Europa verbinden. Dabei soll es bleiben. Ganz herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Holger Haibach von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist richtig und wichtig, dass wir am Vorabend des Endes der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zurückblicken und, wie es viele Rednerinnen und Redner schon getan haben, schauen, was im letzten halben Jahr im Bereich der Menschenrechte geschehen ist. Die Europäische Union hat im letzten halben Jahr sicherlich viele wichtige Entscheidungen erlebt. Nicht zuletzt hat uns die Entscheidung, wie es mit dem Menschenrechtsrat weitergeht, lange beschäftigt. Ich glaube, der Kollege Strässer hat die richtige Formulierung gefunden: Wir können nicht mit allem glücklich sein. Wir sind zufrieden, dass sich die Prozeduren in einem Rahmen bewegen, mit dem wir leben können. Wir können sicherlich nicht damit leben, dass Länder wie Belarus oder Kuba von der Liste der zu beobachtenden Länder gestrichen worden sind. Das ist ein Angriff auf die Glaubwürdigkeit dieses Gremiums, und da müssen wir nacharbeiten. ({0}) Kollege Strässer hat zu Recht Herrn Botschafter Steiner gedankt, der dort, wie wir wissen, schon seit Jahren eine sehr wichtige Arbeit macht. Ich möchte in diesen Dank ausdrücklich Herrn Rothen vom Auswärtigen Amt und unseren Menschenrechtsbeauftragten, Günter Nooke, mit einschließen, der an dieser Stelle auch eine wichtige Arbeit geleistet hat. ({1}) Der Kollege Müller-Sönksen hat am Anfang dieser Debatte die Genese der verschiedenen Anträge zum Thema Menschenrechtsgerichtshof aus seiner Sicht dargestellt und - ich erlaube mir die Bemerkung - ein bisschen Geschichtsklitterung betrieben. Ich würde das gerne an dieser Stelle richtigstellen, damit kein falscher Zungenschlag bleibt, nach dem Motto: Die FDP ist die Partei des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ansonsten setzt sich keiner dafür ein. - Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir schon in unserem Antrag zur Stärkung der Menschenrechtspolitik der Europäischen Union vom November hereingeschrieben haben: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, … sich für eine finanzielle Stärkung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einzusetzen; Ich bitte Sie, darüber hinaus Punkt 7 auf Seite 3 des Antrags, den Sie so heftig kritisiert haben, zu lesen: Letztlich bleibt aber als elementare Voraussetzung für eine wirkungsvolle Arbeit des Gerichtshofs die Anpassung der finanziellen und personellen Ausstattung des Gerichtshofs. Wenn wir sagen, elementar ist die finanzielle Ausstattung, was, mein lieber Kollege Müller-Sönksen, meinen wir dann, wenn wir über notwendige Grundlagen sprechen? Doch genau das. ({2}) Insofern finde ich diese Debatte, mit Verlaub, scheinheilig, ({3}) vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass die Kollegin Däubler-Gmelin darauf hingewiesen hat, dass die Sache komplizierter ist ({4}) und nicht „nur“ eine Geldfrage. Denn, Herr Kollege Müller-Sönksen, es geht natürlich auch darum, andere Staaten davon zu überzeugen. Sie wissen, dass der Europarat ein internationales Gremium ist. Da macht nicht nur Deutschland mit, am Schluss müssen auch 46 andere Staaten sagen: Jawohl, wir sind bereit, uns nicht nur finanziell, sondern auch personell mehr zu engagieren. - Da hat der Kollege Beck recht, wenn er sagt: Wir sind ja nicht einmal so weit, dass wir das 14. Zusatzprotokoll haben, reden aber schon darüber, wie wir weitere Verbesserungen erreichen können. An dieser Stelle möchte ich auch sagen: Die Erhöhung des Budgets des Gerichtshofs im letzten Jahr ist nicht zuletzt auf das Drängen dieser Koalition und dieser Bundesregierung zurückgegangen. Auch das hätten Sie in dieser Debatte ruhig erwähnen können! ({5}) Weil es ja auch um die Zahlen ging, will ich im Übrigen darauf hinweisen, dass es sehr interessant ist, festzustellen, dass bis zum 1. Januar 2007 - das geht aus einer gerade herausgekommenen Studie der Universität Bielefeld hervor - 3 950 Fälle gegen Deutschland anhängig waren, wobei zum Schluss aber tatsächlich nur acht Verurteilungen erfolgt sind. Deutschland gehört zu den Ländern, die die Urteile regelmäßig sofort und im geforderten Umfang umsetzen. Der Bereich Menschenrechtsgerichtshof ist sicherlich ein wichtiger Teil der Dinge, über die wir heute diskutieren. Wir werfen den Blick aber auch auf die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union insgesamt. Das hat auch der Herr Kollege Leutert in seiner ihm eigenen Art und Weise getan. Ich will nur auf zwei Dinge hinweisen, Herr Kollege Leutert: Diejenigen, die sich hier als die Hüter der Menschenrechte gerieren, waren, als wir das letzte Mal über den Menschenrechtsgerichtshof diskutiert haben, nicht in der Lage, auch nur einen Redner oder einen präsenten Abgeordneten oder eine präsente Abgeordnete zu stellen. Deshalb finde ich es schon ganz beachtlich, dass Sie sich heute hier hinstellen und uns erklären, wie wir das tun sollen. ({6}) Ich glaube übrigens auch - ich denke, darin sind wir uns alle in diesem Hause einig -, dass es kein Land gibt, in dem es keine Menschenrechtsverletzungen gibt. Es gibt auch nicht das Europa, in dem es keine Menschenrechtsverletzungen gibt. Hoffentlich kommen sie dort weniger vor als in anderen Staaten. Was uns aber unterscheidet - ich glaube, das verpflichtet uns auch -, ist, dass wir Gremien haben, die die Einhaltung der Menschenrechte überwachen und bei denen die Menschen Beschwerde einlegen können. Der Menschenrechtsgerichtshof ist ein solches Gremium, es gibt aber auch noch viele andere. Ich finde, wenn man etwas despektierlich über die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union redet, dann muss man zumindest das zur Kenntnis nehmen. ({7}) Natürlich stellt sich bei der Würdigung einer Ratspräsidentschaft immer die Frage, wo man die Schwerpunkte setzt. In sechs Minuten Redezeit kann man nun beileibe nicht alles abdecken. Es ist auch schon vieles genannt worden, zum Beispiel der Menschenrechtsrat und der Gerichtshof. ({8}) Es gibt aber natürlich noch sehr vieles zu tun. Ich wünsche der Bundesregierung beim jetzt anstehenden Gipfel sehr viel Glück; denn ich glaube, dass es richtig ist, dass wir die europäische Grundrechtecharta als wichtigen und unerlässlichen Bestandteil des europäischen Grundlagenvertrages erhalten müssen, egal welche Stimmen wir sonst dazu hören. Ich glaube, das sollte eines der herausragenden Ziele sein. Es gibt Länder, die über Quadratwurzeln oder den Tod diskutieren. Ich finde, wir sollten die Menschenrechte weiterhin zu einem unserer wichtigsten Punkte machen und uns nicht den Kopf über Quadratwurzeln zerbrechen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Stärkung der Menschenrechtspolitik der Europäischen Union“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4497, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/3607 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/5603 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über den EU-Jahresbericht 2006 zur Menschenrechtslage. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5734 mit dem Titel „Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte reformieren und durch die konsequente Befolgung seiner Urteile stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/5768. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5768, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4417 mit dem Titel „Den Erfolg des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durch die konsequente Befolgung seiner Urteile sichern“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das scheint einstimmig gewesen zu sein. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4062 mit dem Titel „Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor dem Kollaps bewahren“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5768, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4405 mit dem Titel „Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken“ ebenfalls für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 5. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5738 mit dem Titel „Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor dem Kollaps bewahren“. Wer stimmt für diesen Antrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 6. Abstimmung über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5735 mit dem Titel „Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Antrag ist wiederum abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kai Gehring, Marieluise Beck ({0}), Volker Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Jugendliche in Deutschland: Perspektiven durch Zugänge, Teilhabe und Generationengerechtigkeit - Drucksachen 16/1554, 16/4818 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist erfreulich, dass wir heute endlich über unsere Große Anfrage zu „Jugendlichen in Deutschland“ und die bisherige Jugendpolitik der Bundesregierung debattieren können. Wir haben sehr lange auf Ihre Antwort gewartet, Frau von der Leyen. Ich muss Ihnen leider sagen: Das Warten hat sich überhaupt nicht gelohnt. ({0}) Welches Bild haben wir vor Augen, wenn wir an Jugendliche denken? Denken wir an Killerspiele, Komasaufen, Happy Slapping, Gewaltexzesse, Pornorapper und Werteverfall, oder denken wir an hohe Engagementbereitschaft, gute Zukunftsaussichten und das Revival von Familienwerten? Als jugendpolitischer Sprecher sage ich deutlich: Beide Bilder sind Zerrbilder. Die Jugend ist wesentlich vielfältiger, als sie wahrgenommen wird. Wenn ich als jüngster Abgeordneter meine vielen Gespräche mit Jugendlichen reflektiere, dann kann ich feststellen, dass die heutige Jugendgeneration viel besser ist als ihr Ruf. Ich bin von der Zielgruppe ja noch nicht allzu weit entfernt. ({1}) - Sie auch nicht? Das ist erfreulich. - Jugendliche wollen vor allem ernster genommen werden. Sie brauchen Freiräume und gute Angebote. ({2}) Ich stelle fest: Die von der Shell-Jugendstudie vorgenommene Beschreibung „pragmatische Generation unter Druck“ passt sehr gut. Denn noch überwiegt der Optimismus; gefühlte und echte Perspektivlosigkeit nehmen aber zu. Genau an diesem Punkt muss Jugendpolitik ansetzen. Die Potenziale einerseits und die Problemlagen andererseits von Jugendlichen gehören in den Mittelpunkt der Debatte. ({3}) Ihrem eigenen richtigen Anspruch „Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe“ werden Sie, Frau von der Leyen, leider nicht gerecht. Ihre Antwort zeigt: Statt ein jugendpolitisches Gesamtkonzept vorzulegen, liefern Sie nichts als einen Flickenteppich. Überall dort, wo Exklusion droht oder stattfindet und wo Jugendliche zurückgelassen werden, ist Jugendpolitik besonders gefordert. Was aber bietet diese schwarz-rote Koalition benachteiligten Jugendlichen an? Welche Perspektiven schaffen Sie für Schulabbrecher und für Jugendliche ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz? Wie stärken Sie eigentlich die Rechte und Chancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund? Die Situation benachteiligter Jugendlicher ist beschämend. Ihre Antworten darauf sind mehr als dürftig. Die Analyse ist oft richtig; die Lösungen sind aber mangelhaft. ({4}) Es ist überaus bezeichnend: Auf unsere zentrale Frage nach konkreten Maßnahmen für benachteiligte Jugendliche antwortet die Bundesregierung mit dem Ausbau der Kinderbetreuung. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist zwar ein richtiges und lohnenswertes Ziel; der heutigen Jugendgeneration hilft dies jedoch überhaupt nicht. ({5}) Es ist doch offensichtlich so, dass in diesem Bundeskabinett eine engagierte Jugendministerin fehlt. Frau von der Leyen, solange Sie sich im Konflikt um Krippenplätze in den eigenen Reihen abmühen müssen, werden Jugendliche die „vergessene Generation“ dieser Großen Koalition bleiben. ({6}) Zwischen Krippenplätzen und Mehrgenerationenhäusern klafft eine ganz gewaltige Lücke. Eine starke Jugendpolitik findet kaum statt - und die muss es endlich geben. Sie ignorieren, dass es offenkundig akute Probleme von Jugendlichen gibt. Sie reagieren kaum auf neue Herausforderungen. Man muss sich doch anschauen, welche Auswirkungen der demografische Wandel und der Klimawandel auf heutige und künftige Jugendgenerationen haben. Vor diesem Hintergrund kann man nur sagen: Sie vernachlässigen die Chancen auf Teilhabe dieser Generation und künftiger Generationen. Wir brauchen endlich eine Jugendpolitik, die Exklusion, Armut und Bildungsbenachteiligung bekämpft. Frau von der Leyen, daher fordern wir Sie in unserem Entschließungsantrag auch auf, im Herbst hier einen „Aktionsplan für mehr Teilhabe“ von Jugendlichen vorzulegen. Sorgen Sie dafür, dass arbeitslose Jugendliche nicht in 1-Euro-Jobs und in Ersatzmaßnahmen gesteckt werden, sondern dass ihnen echte Qualifizierung und echte Jobperspektiven offenstehen! Sorgen Sie dafür, dass aus der Generation Warteschleife nicht eine Generation Sackgasse wird! Sorgen Sie dafür, dass das bestehende Ausbildungssystem von einem Engpass hin zu einem System mit breiten Zugängen entwickelt wird! Und sorgen Sie dafür, dass sich die Beteiligung Jugendlicher auch auf der Bundesebene verbessert - unter anderem mit einer Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, ({7}) mit starken Jugendverbänden und einer starken Unterstützung dieser Jugendverbände sowie mit mehr Freiwilligendiensten! Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich Folgendes sagen: Ich würde mir wünschen, dass Sie auch eine klare Anwältin der Kinder- und Jugendhilfe werden. Die Kinder- und Jugendhilfe ist ein sehr wichtiges gesellschaftliches Frühwarnsystem und auch ein Problemlöser in dieser Gesellschaft. Sie steht nicht erst im Fokus, wenn spektakuläre Einzelfälle und Ereignisse nach einer Feuerwehr rufen. Deshalb ist es mir so wichtig, dass die Strukturen und Verfahren der Kinder- und Jugendhilfe in den einzelnen Bundesländern auch nach der Föderalismusreform nicht zerschlagen werden, so wie es gerade in Niedersachsen passiert. Das ist der falsche Weg. ({8}) Die Eltern wollen auch künftig wissen, an wen sie sich wenden können, wenn es Probleme gibt. Deshalb wünsche ich mir, dass Sie endlich auch Anwältin der Generation der Zwölf- bis 20-Jährigen werden, Frau von der Leyen. Werden Sie Anwältin der Jugendlichen in diesem Land! Stellen Sie nicht nur Kinder, sondern auch Jugendliche in den Mittelpunkt Ihres Handelns! Jugendliche dürfen nicht länger die vergessene Generation von Schwarz-Rot sein. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beide scheinen in der Tat die Shell-Jugendstudie gelesen zu haben. Als ich Ihnen eben zuhörte, wie Sie den durchschnittlichen Jugendlichen bzw. die durchschnittliche Jugendliche gezeichnet haben, wurde mir aber angst und bange. Wenn man die Shell-Jugendstudie genau liest, dann stellt man fest, dass der bzw. die Jugendliche eher pragmatisch ist, etwas erreichen will und seine Familie schätzt. Die größte Sorge ist, keinen Arbeitsplatz zu finBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen den. Das sind die groben Umrisse, die die Shell-Jugendstudie ganz deutlich macht. Aber in der Tat wissen wir, dass die Gruppe der Zwölf- bis 20-Jährigen enorm heterogen ist, was Lebenslagen, Probleme, Gefährdungen oder Erfolge angeht. Genau deshalb muss eine aktivierende Jugendpolitik gleichermaßen Querschnitts- und Ressortpolitik sein. Sie muss auf diese vielfältigen Anforderungen reagieren. Ich will Ihnen gerne konkret sagen, welches die einzelnen Schwerpunkte sind und welche konkreten Maßnahmen wir getroffen haben. Für mich sind in diesem Zusammenhang die wichtigsten Schlüsselbegriffe: Chancengerechtigkeit, Teilhabe und Integration sowie der Schutz von Kindern und Jugendlichen. Sie brauchen von Anfang an gleiche Chancen, um ihre vielfältigen Fähigkeiten zu entwickeln. Die Ausgangslagen sind aber unterschiedlich. Deshalb haben wir uns drei zentrale Handlungsschwerpunkte gesetzt, die ich gerne ausführen möchte. Erstens. Die soziale und berufliche Integration der Jugendlichen muss gestärkt werden. Hier gilt für uns auf Bundesebene, im Bundesfamilienministerium und in Zusammenarbeit mit den anderen Ressorts und Ebenen, dass die Jugendlichen an den Übergängen, an den Schnittstellen von Schule, Ausbildung und Beruf nicht scheitern dürfen. Genau das ist der Grund, warum wir explizit sagen: Dort haben die Bundesländer zwar große Aufgaben. Aber wir kümmern uns gemeinsam mit Ländern und Kommunen sowie den Eltern und Jugendämtern. Das geschieht zum Beispiel mit dem Modellprogramm „Die 2. Chance“ für hartnäckige Schulverweigerer, die aus der Schule längst heraus sind und den Kontakt verloren haben. Wir sorgen dafür, dass diese wieder den Weg in die Schule finden, und bringen sie mithilfe vernetzter Strategien dazu, Anschluss zu finden und einen Schulabschluss zu machen. Damit bauen wir eine Brücke, um Ausbildung und Berufseinstieg zu schaffen. ({0}) Genau denselben Ansatz der vernetzten Strategie - das ist in der Jugendpolitik richtig - verfolgen wir mit dem Modellprogramm „Lokales Kapital für soziale Zwecke“. Mithilfe von 5 000 Mikroprojekten wurden im vergangenen Jahr Beschäftigungspotenziale in sozialen Brennpunkten erschlossen. Da vor Ort die Bedingungen ganz unterschiedlich sind, setzen wir uns mithilfe dieser Mikroprojekte für benachteiligte Jugendliche ein. Dabei gilt vor allem: Keine Angebote von der Stange! Die Probleme sind so unterschiedlich und vielfältig, dass wir vor Ort passgenaue, maßgeschneiderte und individuelle Angebote brauchen. Ein Beispiel dafür sind die 200 Kompetenzagenturen, die wir für benachteiligte Jugendliche aufgebaut haben. Diese Agenturen kümmern sich passgenau und individuell um Jugendliche, die ein echtes Problem haben, den Übergang von der Schule zum Beruf zu schaffen. Wir hatten in der Modellphase 15 solcher Kompetenzagenturen. Diese haben es immerhin geschafft, 90 Prozent der Jugendlichen - 90 Prozent! -, die von ihnen betreut wurden, eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Das ist eine hervorragende Quote. Das zeigt, dass das richtig ist. ({1}) Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt, der mir wichtig ist, ist, dass wir die Zivilgesellschaft und die Beteiligung Jugendlicher, also ihre Eigeninitiative, stärken. Wir wissen aus Befragungen, dass Jugendlichen Werte wie Offenheit, Ehrlichkeit, Toleranz und vor allem Gewaltfreiheit nicht nur im Privaten sehr wichtig sind, sondern dass sie sich auch gesellschaftlich dafür einsetzen. Wir wissen aber auch, dass es bei den Jugendlichen heutzutage eine große Distanz und Skepsis gegenüber etablierten Organisationen und Verbänden gibt. Das heißt, wir müssen neue Wege und Programme finden, um sie anzusprechen und zum Mitmachen zu gewinnen. Das gilt vor allem auch für junge Migrantinnen und Migranten, die bereit sind, sich einzumischen und mitzumachen. ({2}) Diese brauchen dafür die richtigen Strukturen. Zur Erreichung dieses Ziels haben wir die generationenübergreifenden Freiwilligendienste eingeführt. In diesem Zusammenhang sind auch die inzwischen über 200 Mehrgenerationenhäuser zu nennen, die gerade auf Jugendliche zugehen, und die Möglichkeit, ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr zu absolvieren. Mit diesen Angeboten, die anders sind als die klassischen Angebote, bekommen die Jugendlichen die Möglichkeit, mitzumachen und sich einzumischen. ({3}) Beim Thema Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Punkt, sich mit dem Teil der Jugendlichen zu beschäftigen, die nicht mehr erreicht werden können und die sich von den Grundpfeilern unserer demokratischen Gesellschaft immer weiter entfernen. Die Bekämpfung von Extremismus jeglicher Art muss gesamtgesellschaftlich und von allen demokratischen Kräften geschlossen vorangetrieben werden. Die Prävention muss bereits an den Wurzeln von Radikalisierungsprozessen ansetzen, die wir sehr ernst nehmen. Deshalb hat die Koalition den Kampf gegen den Rechtsextremismus in den Fokus eines neuen, auf Dauer angelegten Programms gestellt. Ich möchte mich an dieser Stelle besonders bei den Abgeordneten aller Fraktionen bedanken, die ganz entscheidend mitgeholfen haben, dass hier eine gemeinsame Linie zwischen Bund, Ländern und Kommunen gefunden worden ist. Aber wir brauchen nicht nur die gemeinsame Linie zwischen den staatlichen Ebenen, sondern auch das Engagement der Zivilgesellschaft. Wir brauchen die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort, angefangen beim Feuerwehrmann über die Lehrerin in der Schule bis hin zum Bürgermeister in der Gemeinde. Das heißt, alle sind hier gefordert: die Kommunen und Jugendverbände, die staatlichen Ebenen, aber genauso die Schulen und die Kirchen. ({4}) Der dritte Schwerpunkt umfasst die Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen. Hier sind die Übergänge fließend. Wir können an dieser Stelle nicht nur von Jugendlichen sprechen; das betrifft auch schon Kinder. Jugend bedeutet unbeschwert sein und vieles ausprobieren. Das ist in Ordnung; das muss auch so sein. Das ist eine spannende bis gefährliche Phase und braucht deshalb Leitplanken. Wenn wir uns die kritischen Stellen anschauen, dann können wir erkennen, dass es vor allen Dingen den Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung betrifft, aber auch den Schutz vor Alkohol, Drogen und jugendgefährdenden Medieninhalten. Ich möchte mit den Kindern anfangen. Wir wissen, dass es in Deutschland Familien gibt, in denen Kindern Gefahr durch ihre eigenen Eltern droht, weil diese mit ihren eigenen Problemen vollkommen überfordert sind. Wir haben gemeinsam ein Frühwarnsystem entwickelt. Ich kann Ihnen berichten, dass das Nationale Zentrum Frühe Hilfen im April seine Arbeit aufgenommen hat. Hier ist also etwas ganz Konkretes entstanden, um auf Bundesebene das Wissen um ein gut funktionierendes Frühwarnsystem, das auf kommunaler Ebene gesammelt worden ist, aufzubereiten und vor Ort zur Verfügung zu stellen. Damit können Gemeinden und Kommunen diese Hilfesysteme mit Blick auf Jugendhilfe und Gesundheitssystem zum Schutz der Kinder effizient aufbauen. ({5}) Wenn die Kinder älter werden, spielt das Thema Jugendmedienschutz eine Rolle. Dies ist ein ganz aktuelles Thema. Wir haben deshalb mit dem Land Nordrhein-Westfalen, das den Vorsitz bei diesem Thema in der USK innehat, im Frühjahr ein Sofortprogramm zum wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor extrem gewalthaltigen Computerspielen ins Leben gerufen. Dieses Programm basiert auf vier Säulen: erstens die Verschärfung des Jugendschutzgesetzes, zweitens - das ist fast der wichtigste Punkt - die Verbesserung des gesetzlichen Vollzuges - was im Gesetz steht, muss vor Ort auch umgesetzt werden -, drittens die Verbesserung der Qualitätssicherung bei den Jugendschutzentscheidungen - dazu gehören die Fragen: was wird auf den Index gesetzt, wo erfolgt eine Altersbegrenzung und was wird freigegeben?; da müssen wir genauer hinschauen - und schließlich viertens die verbesserte Information von Eltern, aber auch von Händlern darüber, wie das Gesetz gestrickt ist und wie Verstöße geahndet werden. Darüber hinaus gilt es, die Jugendlichen selber fähig zu machen, verantwortungsbewusst mit Computern, Medien und dem Internet umzugehen. Deshalb stärken wir die Medienkompetenz der Jugendlichen, aber auch der Eltern und der pädagogischen Fachkräfte. Schließlich und endlich ist der Schutz vor Drogen, Tabak und Alkohol ein vorrangiges Ziel. Dabei gilt es, den Einstieg - den Anfang - zu verhindern oder, bei Tabak und Alkohol, zumindest so weit wie irgend möglich hinauszuzögern. Hier sind und bleiben die Erwachsenen das wichtigste Vorbild. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass das Nichtraucherschutzgesetz am 1. September dieses Jahres in Kraft tritt. Das ist ein richtiger Schritt. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau von der Leyen, Sie dürfen nach der Geschäftsordnung so lange reden, wie Sie wollen, aber das geht auf Kosten der Regierungsfraktionen. Da die CDU/CSU keine Redezeit mehr hat, ginge Ihre Redezeit auf Kosten der SPD-Fraktion.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Das werde ich jetzt nicht machen. Ich habe das Programm dargelegt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Miriam Gruß von der FDPFraktion. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier zwar über 289 Seiten, aber jedenfalls meiner Meinung nach zählt in diesem Hohen Haus nicht die Quantität, sondern die Qualität. Ich kann Herrn Gehring nur zustimmen: Es fehlte bisher schon an einer eigenständigen Jugendpolitik, und auch in diesem Dokument reihen sich nur Unkonkretes und Unschlüssiges aneinander. ({0}) Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen insofern dankbar, als sie mit ihrer Großen Anfrage den Finger in eine Wunde gelegt haben, die seit Amtsantritt der Bundesfamilienministerin klafft. All Ihren Eifer, Frau Ministerin, Ihre Ideen und Ihr Engagement für die zahlreichen „Babys“ aus Ihrem Ministerium in Ehren, aber die Jugendpolitik vernachlässigen Sie stiefmütterlich. ({1}) Das wird schon gleich in der Beantwortung der ersten Frage deutlich. Das wird uns schwarz auf weiß in der Antwort auf die Große Anfrage dokumentiert. Dort zählen Sie als gelungene Beispiele für die Förderung von Kindern und Jugendlichen das Elterngeld, die angestrebte Verbesserung der Kinderbetreuungssituation und das Aktionsprogramm „Mehrgenerationenhäuser“ auf. Ganz ehrlich, das erschließt sich mir nicht. Nennen Sie mir einen Jugendlichen in Deutschland, der von diesen Programmen auch nur ein Stückchen weit profitiert hätte. ({2}) Genau das ist die Krux Ihrer Politik. Sie verstehen unter Kinder- und Jugendpolitik die Förderung der Eltern. Das wird auf jeder einzelnen Seite der Antwort deutlich. Sie begreifen Kinder- und Jugendpolitik als Anhängsel der Familienpolitik, nicht aber als die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen selbst. Es mangelt an einer eigenständigen Jugendpolitik und an einem Gesamtkonzept, das sich auf die Lebenswirklichkeit und die tatsächlichen Bedürfnisse der jungen Menschen konzentriert. Vertrauen in die zukünftigen Generationen, Glaubwürdigkeit und Wertschätzung signalisiert man meines Erachtens anders. ({3}) Die FDP-Bundestagsfraktion denkt in der Kinderund Jugendpolitik vom Kind und vom Jugendlichen aus, und wir denken gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Der Entschließungsantrag der Grünen geht in die richtige Richtung und spricht wichtige Aspekte der Gegenwart von Jugendlichen an. Die FDP ist allerdings in einigen Punkten anderer Meinung und wird sich deshalb enthalten. Aber im Grundsätzlichen sind wir beisammen. Wir müssen mit den Kindern reden, nicht nur über sie. Partizipation heißt das Zauberwort. Daher müssen wir meines Erachtens vor allen Dingen die Verbände und die Jugendarbeit in Deutschland stärken; denn sie leisten unersetzliche Arbeit. Gerade heute wurde eine dimap-Studie veröffentlicht, die uns Politikern vorwirft, wir würden insbesondere im Internet nicht angemessen mit Jugendlichen kommunizieren. Die FDP-Bundestagsfraktion ist hier schon einen Schritt weiter. Wir machen den Jugendlichen ein Angebot. Dieses Angebot heißt www.jugendfraktion.de und ist seit gut einer Woche online. ({4}) Als erste Fraktion im Deutschen Bundestag machen wir Politik verständlich, diskutieren mit den Jugendlichen und lassen sie zu Wort kommen. Wir wollen ihre Meinung hören und diese in unsere Entscheidungen einfließen lassen. Wir dürfen die politische Kommunikation nämlich nicht den rechten und linken Lagern in diesem Lande überlassen. ({5}) Die demokratischen Parteien sind aufgefordert, hier tätig zu werden. Wir setzen auf frühestmögliche Bildung und auf Sensibilisierung für Politik. Nur so schaffen wir die Grundvoraussetzung für verantwortungsbewusste Wähler. Kinder und Jugendliche müssen für Politik gewonnen und dürfen nicht von ihr abgeschreckt werden. Mit diesem Mammutwerk gewinnen Sie keinen einzigen Jugendlichen, weder für Ihre - allenfalls spärlichen - Inhalte noch für die Politik als Ganzes. Ich lasse eine halbe Minute Redezeit schweigend verstreichen. Sie können diese Zeit nutzen, um über das nachzudenken, was ich soeben gesagt habe. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir müssen unsere kostbare Zeit vor dem Sommerfest der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft aber nutzen, und deswegen erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Kerstin Griese von der SPD-Fraktion. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um über die Antwort auf die Große Anfrage „Jugendliche in Deutschland“ zu diskutieren. Ich möchte nicht allein Programme aufzählen, sondern den roten Faden unserer Jugendpolitik aufzeigen. ({0}) Dieser rote Faden - er ist mir ganz wichtig - orientiert sich an der Stärkung von Jugendlichen durch mehr Beteiligung und mehr Chancen. Ich glaube, dass wir in der Kinder- und Jugendpolitik Kontinuität an den Tag legen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich habe mich ein bisschen gewundert, dass Sie diese Kontinuität in Ihrem Entschließungsantrag kritisieren. Ich darf an das erinnern, was wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Wir haben auch schon einmal gemeinsam eine Große Anfrage zum Thema Jugend gestellt, nämlich im Jahr 2001. Die Große Anfrage damals beinhaltete nur 81 qualitativ anspruchsvolle Fragen. Ihre Große Anfrage beinhaltet 230 Fragen. Die Beantwortung dieser Fragen hat dazu geführt - ich will mich bei der Bundesregierung dafür ganz herzlich bedanken -, dass wir nun ein sehr umfangreiches Nachschlagewerk zur Kinder- und Jugendpolitik in Deutschland haben. ({1}) Aus dieser Antwort wird deutlich: Jugendpolitik ist eine Querschnittsaufgabe: Sie reicht von der Arbeitsund Sozialpolitik über die internationale Politik und über die Innenpolitik bis hin zur Stadtentwicklung. Mit all diesen Bereichen sind Fragen zur Zukunft von Kindern und Jugendlichen verknüpft. Ich will an ein paar Punkten deutlich machen, warum gerade uns als SPD-Fraktion das Thema „Partizipation Jugendlicher“ so wichtig ist. Partizipation heißt: Chancen für Kinder und Jugendliche. Unsere Bundesregierung tut viel im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe, des Engagements in der Zivilgesellschaft, des Freiwilligendienstes von Jugendlichen und des Einsatzes für Demokratie und Toleranz. ({2}) Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass es für den Lebensweg von jungen Menschen von ganz entscheidender Bedeutung ist, dass sie früh erleben können, dass sie beteiligt, gehört und ernst genommen werden. Gerade die Arbeit der Jugendverbände - deren Prinzip ist ja die Selbstorganisation Jugendlicher - ist für den weiteren Lebensweg sehr prägend. Ich bin der festen Überzeugung - das hat auch die Shell-Jugendstudie gezeigt -: Jugendliche interessieren sich für politische Themen. Ich habe das gerade wieder intensiv auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag - das ist das größte regelmäßige Jugendtreffen in Deutschland - in Köln erlebt, wo ich mit vielen Jugendlichen diskutieren konnte. Ich habe dort auch mit Jugendlichen gesprochen, die im In- oder im Ausland ein freiwilliges soziales Jahr gemacht haben. Ich will ausdrücklich sagen: Es ist ein großer Fortschritt, dass wir es geschafft haben, dass inzwischen mehr Jugendliche ein solches Jahr absolvieren können. ({3}) Es ist begrüßenswert, dass diese Dienste ausgeweitet werden. Demnächst wird es für junge Menschen auch im Bereich der Entwicklungspolitik bis zu 10 000 entsprechende Plätze geben. Aber ich teile auch die Kritik, dass wir dort noch mehr machen müssen. Der Bedarf ist höher: Noch mehr Jugendliche möchten sich auf diesem Gebiet engagieren. Mein Traum ist - ich weiß, dass der Bundestag darüber aufgrund des Föderalismus keine Entscheidung treffen kann -, dass sich die Schulen daran beteiligen, jedem Jugendlichen ein Angebot für ein freiwilliges Jahr, Halbjahr oder Vierteljahr zu machen. Nur dann erreichen wir nämlich wirklich alle Jugendlichen aus allen Bereichen der Gesellschaft. ({4}) Die Fragesteller fordern in Ihrer Anfrage, im Herbst ein neues Programm zum Thema Partizipation aufzulegen. Ich sage ganz deutlich: Wir tun schon etwas. Das Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung ist ein gutes Programm. Es ist das Ergebnis der Programme der letzten beiden Wahlperioden und kam in Kooperation mit dem Deutschen Bundesjugendring, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zustande. Viele, die zum Beispiel über „Come in Contract“ mit Jugendverbänden einen Vertrag geschlossen haben, haben erlebt, wie eine gute Zusammenarbeit zwischen Politik und Jugendverbänden aussehen kann. Ich betone auch deshalb, dass dies der rote Faden unserer Jugendpolitik ist, um hervorzuheben, wie wichtig Kontinuität ist. Jugendpolitik ist kein Strohfeuer, sondern ein wichtiges Feld, auch für diese Regierungskoalition. Ganz wichtig ist mir, dass wir noch mehr tun - Ansätze dafür haben wir -, um Jugendliche aus bildungsfernen Schichten, Jugendliche, die von zu Hause nicht unbedingt mitbekommen, dass sie sich engagieren könnten oder sollten, oder auch Jugendliche mit Migrationshintergrund zu erreichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zielgenau hinschauen und neue Engagementformen ermöglichen. Wir haben auch in einem anderen Bereich Kontinuität gezeigt - darüber bin ich sehr froh -, nämlich in der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir weiten diese Arbeit durch die Förderung von Beratungsnetzwerken mit zusätzlich 5 Millionen Euro noch aus. Was in den neuen Bundesländern schon gut funktioniert - ich sage das ausdrücklich -, ist sozusagen ein Angebot an die alten Bundesländer, in der Beratung fortzufahren. ({5}) Mein Fazit ist: Kinder und Jugendliche zu stärken, ihnen Chancen zu geben, sie als Subjekt mit ihren Anliegen ernst zu nehmen und ihre Zukunftschancen in den Mittelpunkt zu stellen, sie ganz besonders zu schützen, das ist Schwerpunkt unserer Politik, und das ist der rote Faden, der uns leitet. Wir engagieren uns mit Jugendlichen und für Jugendliche. Ich will mich an dieser Stelle einmal ganz herzlich bei allen bedanken, die sich in der Zivilgesellschaft in diesem Bereich engagieren. Das ist wichtig für den sozialen Zusammenhalt. Das wird weiterhin ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Grünen und zu deren Entschließungsantrag als Reaktion darauf ist wirklich schon etwas paradox. Ich hätte mir, nicht nur im Interesse der Fragesteller, eine etwas inhaltsvollere und zum Teil etwas aktuellere Antwort gewünscht. Das Datenmaterial ist löchrig und zum Teil auch veraltet. Da stellt sich die Frage: Warum ist das so? Die Antwort der Bundesregierung macht einmal mehr deutlich, dass die Bundesregierung ohne einen Hauch von Innovation oder neuen Ideen eine Jugendpolitik betreibt, die ohne Gesamtkonzept und ohne einen roten Faden ist. Es ist eine Politik, in der jenseits der beiden Leuchtturmprojekte - Elterngeld und Mehrgenerationenhäuser - nicht viel mehr zu finden ist als halbfertige Baustellen, an denen seit Jahren nur Stückwerk betrieben wird. ({0}) Schlimmer noch: Der Bauherr selbst kürzt seit Jahren sogar das Budget für die eigenen Vorhaben, indem er zum Beispiel kontinuierlich die Zuwendungen für die Jugendhilfe senkt ({1}) und das leider unabhängig davon, ob die aktuelle Modefarbe rot-grün oder schwarz-rot ist. Soziale, kulturelle, politische und ökonomische Teilhabe sollte das Recht eines jeden und einer jeden sein und nicht als Chance gesehen werden, die man nur zufällig bekommt, wenn man im richtigen Staat, im richtigen Bundesland oder sogar in der richtigen Familie geboren wird. ({2}) Die Forderung nach Teilhabe sollte sich auch nicht allein darauf gründen, dass der demografische Wandel einzelne Gruppen zu Minderheiten in der Gesellschaft macht, wie es sich in Ihrem Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wiederfindet. ({3}) Die Realität ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, was sich unmittelbar auf die Teilhabemöglichkeiten und Zukunftschancen in der Gesellschaft auswirkt. Die ständig steigende Ungleichheit erhielt mit Hartz IV und mit der Schröder’schen Agenda 2010 zusätzliche Dynamik. Daran haben auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihren Anteil. ({4}) Sie haben mit Ihrer Zustimmung zu diesen Gesetzen Schulkindern die staatliche Absicherung auf Säuglingsniveau gekürzt, nämlich auf 60 Prozent des Regelsatzes eines alleinstehenden Erwachsenen. Wie können Sie von Teilhabe oder auch nur von der Chance darauf reden, wenn durch wachsende Kinder- und Jugendarmut zum Beispiel Nachhilfe, Musikschulunterricht oder Vereinsbeiträge nicht mehr bezahlbar sind? ({5}) Ich sage dies auch, um deutlich zu machen, dass die richtige Forderung in Ihrem Entschließungsantrag nach Rücknahme der Verschärfungen für die unter 25-jährigen Erwerbslosen wohl eher nur ein kleiner Schritt sein kann, wenn auch, zugegebenermaßen, endlich in die richtige Richtung. Ihre Forderung nach einer Systemumstellung in Richtung modulare Berufsausbildung wird durch die Realität Lügen gestraft. Seit Jahren sind nicht genügend Ausbildungsplätze vorhanden. Das zeigt auch die Antwort der Bundesregierung, wonach 40 Prozent der Hauptschülerinnen und Hauptschüler keinen Ausbildungsplatz bekommen. Das muss sich endlich ändern. ({6}) Wir brauchen ein sofortiges Umdenken und neue Handlungsansätze in vielen Bereichen. Das betrifft natürlich auch das vorschulische Angebot. Die Ministerin hat ohne weiteres Recht damit, dass wir mit den Angeboten ganz früh anfangen müssen. Wir sagen: Wir brauchen eine gebührenfreie Kita mit Bildungscharakter. Ganztagsschulangebote müssen flächendeckend vorhanden sein. Die Stärkung der Jugendverbände wird meines Erachtens in dieser Antwort zu wenig betont. Wir brauchen eine Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe. Da haben die Grünen mit der Forderung in ihrem Entschließungsantrag, dass wir da mehr tun müssen und weitere Kürzungen verhindern müssen, recht. Es geht aber auch darum - darüber sollten wir nachdenken -, wie wir mit dem Begriff „Gerechtigkeit“ umgehen. Darauf möchte ich zum Schluss noch eingehen. Dieses Thema wird ja auch im Antrag der Grünen wieder aufgegriffen. Wie so häufig wird das Wort „Generationengerechtigkeit“ sozusagen als Feststellung für einen angeblichen Kampf zwischen den Generationen missbraucht. Dabei berücksichtigt man nicht, dass die wirklichen Widersprüche in der Gesellschaft nicht zwischen Alt und Jung, sondern zwischen Arm und Reich liegen. ({7}) Die Forderung nach Generationengerechtigkeit ist deshalb kein Ersatz für die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, sondern oftmals nur ein ideologischer Versuch zur Instrumentalisierung der Generationen. Das ist mit uns, der Linken, nicht zu machen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Jürgen Kucharczyk von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Jürgen Kucharczyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003794, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegende Antwort auf die Große Anfrage beschreibt die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Teilhabe von Jugendlichen als entscheidende Voraussetzung für eine gerechte Jugendpolitik. Die Opposition greift damit ein wichtiges Thema schon aus der letzten Legislaturperiode auf. Das Fehlen von Chancen und Perspektiven und die damit verbundene Zukunftslosigkeit stellt die größte Gefahr für die nachfolgende Generation dar. Deshalb stellt die Koalition nicht nur Fragen, sondern baut konkret auf die erfolgreiche Kinder- und Jugendpolitik der Vorgängerregierung auf. Ich erinnere an drei Maßnahmen: Das TAG legt den Grundstein für eine gute und bedarfsgerechte Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen. Das Ganztagsschulprogramm sorgt dafür, dass jedes Kind gleiche Zukunftschancen hat. Die bundesweite Initiative „Lokale Bündnisse für Familie“ stärkt die Familienfreundlichkeit in den Kommunen. - So weit, in Ansätzen, das bereits Realisierte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle unterstützen das politische und soziale Engagement von Kindern und Jugendlichen und wollen, dass sie die aktive Beteiligung an der Demokratie und am Gemeinwesen ernst nehmen. Mit der Unterstützung von gezielten Projekten zur Förderung von Beteiligung - ich erinnere hier beispielsweise an das „Projekt P“ - investieren wir bereits in die berufliche wie gesellschaftliche Zukunft der Jugend. Politische Beteiligung ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Das Wahlalter nach unten zu setzen, stellt dabei sicherlich nicht die alleinige Lösung dar. Jüngere Jugendliche dürfen keineswegs außen vor stehen, wenn es darum geht, sich gesellschaftlich zu engagieren. Dass dies funktioniert, erlebe ich am Beispiel der Jugendstadträte in Solingen und Remscheid. Mit einer Wahlbeteiligung von über 65 Prozent haben hier Kinder und Jugendliche ihre Vertretung selbst gewählt. Fakt ist auch: Wir können es uns gesellschaftlich und menschlich nicht leisten, dass Jugendliche beruflich oder sozial auf der Strecke bleiben. Wir müssen den jungen Menschen die Möglichkeit zur Integration sowie Aufgaben und Perspektiven geben. Die Bereiche Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsplatzmangel brauchen unsere besondere Aufmerksamkeit. Jeder einzelne Jugendliche, der heute keine Lehrstelle findet und nicht ausgebildet wird, ist einer zu viel. Die derzeitige Situation können wir so nicht hinnehmen. ({0}) Langzeitpraktika oder Qualifizierungsschleifen sind für Bewerber ohne Lehrstelle nicht ausreichend. Hier erwarte ich etwas mehr Kreativität von den Arbeitsagenturen sowie den Industrieverbänden vor Ort. Mit der Ausweitung und Verlängerung des Ausbildungspaktes gehen wir einen praktikablen Weg. Mit dem Koalitionsantrag „Junge Menschen fördern - Ausbildung schaffen und Qualifizierung sichern“ von heute Morgen verstärken wir die notwendigen Maßnahmen. Der aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch flankiert unser gemeinsames Ziel: Jungen Menschen muss eine berufliche Perspektive geboten werden. Das muss Politik, aber insbesondere auch die Wirtschaft leisten. ({1}) Auch die Stärkung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen gehört zum Thema Jugendliche in Deutschland. ({2}) Der korrekte Umgang mit elektronischen Medien gehört heutzutage zur Basisqualifikation und ist die Grundlage für einen selbstständigen und verantwortlichen Umgang der Jugendlichen mit den neuen Medien. Dazu gehört ein eng geflochtenes soziales Netz in den Stadtteilen. Es muss so eng geknüpft sein, dass keine Kinder und Jugendlichen durchfallen. Das ist der beste Schutz vor gewalttätigen Handlungen. ({3}) Die Aufnahme der Kinder- und Jugendrechte ins Grundgesetz, wie von der Kinderkommission gefordert, wäre ein weiterer Schritt, ({4}) der auch den Jugendlichen deutlich signalisiert: Hier kümmert sich jemand um euch! Wir nehmen euch ernst! Das deutsche Schulsystem hat nicht nur durch die PISA-Studie schlechte Noten bekommen. Auch der UNSonderbeauftragte für das Recht auf Bildung hat die fehlende Chancengleichheit und das verschenkte Bildungspotenzial in unserem Land deutlich kritisiert. Wir sind uns sicherlich einig, dass wir an dieser Stelle noch viele Punkte anführen könnten. Ich möchte zum Schluss noch Folgendes ausführen: Kinder und Jugendliche gehören in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft. Das sicherzustellen, ist unsere Aufgabe. Packen wir es gemeinsam an! Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5780. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2006 ({0}) - Drucksache 16/4700 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe. Bevor Herr Robbe das Wort nimmt, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die an der Aussprache nicht teilVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms nehmen wollen, zügig den Saal zu verlassen, sodass die anderen der Aussprache folgen können. Herr Robbe, bitte schön. Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Soldatinnen und Soldaten auf der Zuschauertribüne! ({1}) Vor ziemlich genau drei Monaten habe ich dem Deutschen Bundestag und damit gleichzeitig der deutschen Öffentlichkeit meinen jüngsten Tätigkeitsbericht vorgelegt. Vorweg will ich mich ganz herzlich bei Ihnen allen, insbesondere beim Verteidigungsausschuss, dafür bedanken, dass wir bereits heute Gelegenheit haben, diesen Tätigkeitsbericht zu behandeln. ({2}) Bevor ich auf die wichtigsten Punkte meines Berichts zu sprechen komme, gestatten Sie mir einige Hinweise zur Situation unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebiet Afghanistan. Vor wenigen Tagen bin ich von einem Truppenbesuch aus den Einsatzgebieten Afghanistans zurückgekehrt. Deshalb stehe ich, wie Sie sich vorstellen können, noch sehr unter dem Eindruck dieses Besuches, insbesondere mit Blick auf die Situation in Kunduz, wo - das wissen wir alle - drei Bundeswehrsoldaten durch einen schrecklichen Terroranschlag der Taliban ums Leben kamen. Wie Sie sich vorstellen können, trauern die in Kunduz stationierten Soldatinnen und Soldaten nach wie vor um ihre gefallenen Kameraden, und die Stimmung bei allen Gesprächen, die ich vor Ort führen konnte, war verständlicherweise gedrückt. Unabhängig davon haben mir die Soldaten in aller Offenheit zwei Punkte genannt, die sie in gar keiner Weise nachvollziehen können und die bei ihnen in gleichem Maße Enttäuschung und Wut hervorgerufen haben. Zum einen bezieht sich der Unmut der Soldaten auf die Art und Weise, wie über den jüngsten Anschlag in Kunduz berichtet wurde. Die Veröffentlichung von Fotos, auf denen die schmerzverzerrten Gesichter der schwerverletzten deutschen Soldaten zu sehen sind, hat nicht nur bei den Bundeswehrangehörigen, sondern weit darüber hinaus Empörung und Proteste hervorgerufen. Erstmalig wurde in deutschen Medien auf eine Unkenntlichmachung der Gesichter offensichtlich ganz bewusst verzichtet. Meine Damen und Herren, ich denke, es ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar, wenn sich sowohl die Soldatinnen und Soldaten wie auch deren Angehörige über diese - gestatten Sie mir den Ausdruck in diesem Zusammenhang - unmenschliche Form der Berichterstattung empören. ({3}) Ich bin davon überzeugt, dass es auch Ihre Zustimmung findet, dass ich den Deutschen Presserat zwischenzeitlich aufgefordert habe, sich dieser Sache anzunehmen. ({4}) Auch ein zweites Thema war für die in Kunduz eingesetzten Soldaten Anlass für - auch aus meiner Sicht berechtigte Empörung. Im Zusammenhang mit der politischen Auseinandersetzung um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan wurde den Soldatinnen und Soldaten in einem Beitrag vorgeworfen, an - so wörtlich - terroristischen Aktivitäten zumindest mittelbar beteiligt zu sein. Diese Äußerungen haben nicht nur Kopfschütteln und Ratlosigkeit hervorgerufen. Die Soldatinnen und Soldaten haben mich ausdrücklich gebeten, in geeigneter Weise deutlich zu machen, dass derartige Entgleisungen inakzeptabel sind, gerade dann, wenn wir tote und schwerverletzte Soldaten zu beklagen haben. ({5}) In meinem letzten Tätigkeitsbericht habe ich die schlechten Unterkünfte und zum Teil desolaten Bundeswehrkasernen in den alten Bundesländern in den Mittelpunkt gestellt. Dies hat zu einem breiten Echo innerhalb, aber auch außerhalb des Deutschen Bundestages geführt. Viele Abgeordnete, aber auch Regierungsmitglieder und insbesondere zahlreiche Bundeswehrangehörige haben meine Aussagen in jeder Hinsicht bestätigt und für eine Lösung dieses Problems plädiert. Inzwischen liegt ein Bericht des Bundesverteidigungsministers vor, der im Grundsatz meine Feststellungen bestätigt und im Detail Stellung zum Finanzbedarf für notwendige Instandsetzungs- und Sanierungsarbeiten in den deutschen Kasernen nimmt. Sie werden Verständnis dafür haben, wenn ich an dieser Stelle die dringende Bitte an Sie als Mitglieder dieses Parlaments richte, die notwendigen Mittel im Haushalt 2008 und in den Folgejahren zur Verfügung zu stellen. Es geht hierbei nicht nur um die Verbesserung der Unterbringungssituation für unsere Soldatinnen und Soldaten; vor allem geht es um Glaubwürdigkeit. In den letzten Jahren wurden - das wird mir bei fast jedem Truppenbesuch vor Augen geführt - immer wieder Sanierungen und Instandsetzungen angekündigt und kurze Zeit später doch wieder auf die lange Bank geschoben. Mit einem Sofortprogramm für die Modernisierung der westdeutschen Kasernen könnte an dieser Stelle verloren gegangenes Vertrauen schnell zurückgewonnen werden. Einen weiteren Aspekt meines Tätigkeitsberichtes möchte ich in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen. Der Bundeswehreinsatz im Kongo im vergangenen Jahr war nach überwiegender Meinung ein politischer Erfolg. Das gilt aber nicht für die Einsatzplanung und Durchführung. Die Zustände in den Feldlagern, insbesondere in Kinshasa, waren teilweise wirklich katastrophal. Im Tätigkeitsbericht habe ich dazu ausführlich Stellung genommen. Erstmals wurde eine private Firma Wehrbeauftragter Reinhold Robbe mit der Errichtung eines Feldlagers beauftragt. Mit dieser Aufgabe war sie aber ganz offensichtlich überfordert. ({6}) Die von ihr errichteten Zelte waren undicht und setzten Schimmel an. Eine Klärgrube lief nach starkem Regen mehrfach über, was dazu führte, dass die Fäkalien durch die Zelte der Soldaten schwammen. Solche Verhältnisse sind unzumutbar, gerade weil sie vermeidbar gewesen wären. ({7}) Aus meiner Sicht ergibt sich aus den geschilderten Missständen eine ganz entscheidende Frage: Sollen die aus den Grundsätzen der inneren Führung abgeleiteten bewährten Standards für Schutz und Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten, ihre sanitätsdienstliche Versorgung sowie ihre Unterbringung und Verpflegung in Zukunft ihre Gültigkeit behalten, oder sollen die Standards im Einsatz eingeschränkt, relativiert oder sogar abgeschafft werden? In meiner Eigenschaft als Wehrbeauftragter dieses Parlaments warne ich davor, diese Standards der Bundeswehr auch nur anzutasten. Die Fürsorgepflicht muss uneingeschränkt gelten, ganz besonders im Einsatz. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Schwerpunkte meines Berichts sind die sanitätsärztliche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten, Fälle von Defiziten im Führungsverhalten und spektakuläre Berichte über Ausschweifungen und Exzesse, bei denen - dies muss man hinzufügen - fast immer Alkohol im Spiel war. Aber auch die immer wiederkehrenden Probleme mit Blick auf fehlende Dienstposten, übermäßige dienstliche Belastungen, Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Dienst sowie die unzureichende Würdigung der Reservisten finden sich im Jahresbericht 2006 wieder. Wenn ich gefragt werden sollte, welche große Überschrift ich über meinen Tätigkeitsbericht setzte, dann fiele meine Antwort eindeutig aus: Die Bundeswehr ist nach wie vor unterfinanziert. Fehlendes Geld bedeutet im Bereich Personal auch fehlende Planstellen und damit Beförderungsstaus. Fehlendes Geld bedeutet, dass es seit acht Jahren keine Wehrsolderhöhung für Wehrdienstleistende gegeben hat. Fehlendes Geld bedeutet Fähigkeitslücken insbesondere beim Heer und bei der Luftwaffe und für die Zukunft Probleme bei der Nachwuchsgewinnung. All dies muss man wissen, wenn es darum geht, die Bundeswehr insgesamt zu bewerten. Umso bemerkenswerter ist es, dass, von Ausnahmen abgesehen, die Soldatinnen und Soldaten sowohl in der Heimat als insbesondere auch in den zahlreichen Einsatzgebieten in bewundernswerter Art und Weise ihren Dienst verrichten. Trotz Engpässen, trotz zunehmender Belastungen und trotz immer wieder zu beklagender Schicksalsschläge, die mit Tod, schwersten Verletzungen und bleibenden Behinderungen verbunden sind, leisten unsere Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst professionell, hoch motiviert und loyal. ({9}) Aus meiner Sicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind unsere Soldatinnen und Soldaten die besten Botschafter, die wir uns wünschen können. Auch heute besteht Anlass, ihnen dafür ganz herzlich Dank zu sagen. ({10}) Ich komme zum Schluss. Danken will ich aber auch dem Präsidenten und dem Präsidium des Deutschen Bundestages, dem Verteidigungsausschuss im Besonderen und dem Bundesminister der Verteidigung sowie allen nachgeordneten Dienststellen für das ausgezeichnete Zusammenwirken und die Unterstützung. Schließlich danke ich selbstverständlich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ohne die ich meine Arbeit nicht leisten könnte. ({11}) In der Bundeswehr würde man sagen: Meine Leute sind schon eine tolle Truppe. Dafür danke ich ihnen. Auch Ihnen herzlichen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich im Namen des ganzen Hauses dem Wehrbeauftragten sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Vorlage des Jahresberichts 2006 und die vorzüglich geleistete Arbeit besonders danken. ({0}) Das Wort hat jetzt die Kollegin Anita Schäfer von der CDU/CSU-Fraktion.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, ich danke Ihnen für den 48. Jahresbericht und spreche diesen Dank auch im Namen meiner Fraktion aus. Die Aufmerksamkeit des Bundestages für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr muss eine verlässliche Größe sein und bleiben. Unser Dank gilt auch Ihren Mitarbeitern, die im Berichtsjahr viele Eingaben zu betreuen hatten. Im Blickpunkt stehen vor allem drei Bereiche, welche die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Soldaten in besonderer Weise berühren: erstens die Auslandseinsätze, zweitens die Infrastruktur und drittens die sanitätsdienstliche Versorgung. Anita Schäfer ({0}) Die Einsätze der Bundeswehr sind schwierig, herausfordernd und gefährlich. Der Jahresbericht zeigt, dass die Soldaten ihren Einsatz vielerorts unter schwierigen Rahmenbedingungen erfolgreich durchführen. Allerdings sind immer wieder Defizite hinsichtlich der Planung und Organisation, Mängel in der Ausstattung und übertriebene Bürokratie zu beklagen. Ich nenne exemplarisch die teilweise unzumutbare Unterbringung von deutschen Soldaten im Rahmen der Mission EUFOR RD Congo, fehlende Lufttransportkapazitäten und Defizite beim Schutz des deutschen Einsatzkontingents in Afghanistan. Die Einsatzplanung und Einsatzdurchführung der Mission EUFOR RD Congo ist durch das BMVg umfassend bewertet worden. Es ist begrüßenswert, dass sich das Ministerium seiner Verantwortung stellt. Der Verteidigungsausschuss wird diesen Bericht kritisch prüfen. Wir sind uns alle einig, dass die hohen nationalen Standards für die Bundeswehr auch in multinationalen Einsätzen Bestand haben müssen. Insbesondere darf es nicht zu Abstrichen bei der Verpflegung, der medizinischen Versorgung und der Unterbringung der Soldaten kommen. Aber auch auf den Bereich Menschenführung müssen wir Parlamentarier unser besonderes Augenmerk richten. Durch die Entsendung von Schützenpanzern des Typs Marder sowie von Tornado-Aufklärungsflugzeugen konnte der Schutz des deutschen Kontingents der ISAFTruppen in Afghanistan spürbar verbessert werden. Eines müssen wir uns aber klarmachen: In riskanten Missionen kann es keinen hundertprozentigen Schutz geben. Das hat der schlimme Selbstmordanschlag in Kunduz, der vor kurzem drei unserer Soldaten in den Tod gerissen hat, schmerzhaft in Erinnerung gerufen. Herr Verteidigungsminister Dr. Jung, ich wünsche mir sehr, dass wir endlich ein zentrales Ehrendenkmal zur würdigen Erinnerung an die Soldaten, die im Einsatz ihr Leben gelassen haben, schaffen. ({1}) Deutschland hat mit seinem zivil-militärischen Einsatz im Norden von Afghanistan kluge Aufbauarbeit geleistet und viele Pluspunkte in der afghanischen Zivilbevölkerung gesammelt. Ohne militärische Absicherung ist zivile Aufbauarbeit nicht denkbar; das muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden. Wer jetzt, wie die Damen und Herren der Linksfraktion, vorschnell „Abzug der Bundeswehr!“ ruft, der gibt den Extremisten der Taliban und ihrem Zerstörungswerk neuen Auftrieb. Das hätte fatale Konsequenzen für die Region und unsere nationale Sicherheit. Unsere Soldaten brauchen Rückendeckung für ihren Auftrag, und wir müssen ihnen selbstverständlich den bestmöglichen Schutz im Einsatz gewähren. ({2}) Knapp bemessene Haushaltsmittel dürfen nicht als Rechtfertigung für Mängel im Einsatz herhalten. Darauf weist der 48. Jahresbericht des Wehrbeauftragten völlig zu Recht hin. Im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen außerdem die militärische Infrastruktur und die sanitätsdienstliche Versorgung. Der Bericht dokumentiert zahlreiche Fälle von Mängeln bei Truppenunterkünften, vornehmlich in den alten Bundesländern. Außerdem wirkt sich die Einsatzbelastung des sanitätsdienstlichen Personals mittlerweile spürbar auf die Qualität der Bundeswehrkrankenhäuser und die truppenärztliche Versorgung aus. Für mich steht fest: Dieses Bild ist mit dem Selbstverständnis einer modernen und leistungsfähigen Armee unvereinbar. Der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt eindringlich, dass die Attraktivität der Streitkräfte nicht nur ein Schlagwort sein darf. Die Bundeswehr muss in Anbetracht der demografischen Herausforderungen substanzielle Maßnahmen ergreifen. Sie muss im Wettbewerb auf dem externen Arbeitsmarkt um die besten Köpfe bestehen können. Das erfordert eine ebenso kreative wie nachhaltige Nachwuchsgewinnung. So hält der Bericht fest, dass die Beförderungssituation bei Unteroffizieren immer noch durch lange Wartezeiten sowie unverständliche Beurteilungsmaßstäbe geprägt ist. Deswegen sind die Bemühungen des BMVg, durch ein neues, seit Januar 2007 geltendes Beurteilungssystem für mehr Transparenz zu sorgen, zu begrüßen. Ein weiterer ganz zentraler Baustein für die Attraktivität der Bundeswehr ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle setzt sich die Bundeswehr für familienfreundliche Strukturen ein. Weitere wichtige Eckpfeiler sind die Lokalbündnisse für Familien und die Familienbetreuungszentren. Trotzdem belegen die steigenden Eingabezahlen in diesem Bereich, dass Handlungsbedarf besteht. Gerade wenn wir junge, fähige Frauen für den Dienst in den Streitkräften gewinnen wollen, sind sichtbare Maßnahmen dringend geboten. Vor allem müssen wir die Bundeswehr unterstützen, überzeugende Modelle für die Betreuung von Kindern aus Soldatenfamilien zu entwickeln. ({3}) Die soziale Absicherung ist ein weiteres Kernthema, das die Soldaten stark beschäftigt. Ausdrücklich würdigt der Wehrbeauftragte den Entwurf eines Einsatzweiterverwendungsgesetzes. Damit soll im Einsatz verletzten Soldaten die gesundheitliche und berufliche Rehabilitation im Soldatenstatus ermöglicht werden. Es ist wichtig, dass wir dieses Gesetz jetzt zügig auf den Weg bringen, um Betroffenen rasch und unbürokratisch helfen zu können. Das ist auch ein klares Signal für unsere Soldaten im Einsatz, die wie in Afghanistan beträchtlichen Risiken für Leib und Leben ausgesetzt sind. Viele der angesprochenen Defizite sind schon seit Jahren Dauerbrenner im Jahresbericht des Wehrbeauftragten. Auch der aktuelle Bericht zeigt, dass die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Soldaten durch Anita Schäfer ({4}) knapp bemessene Haushaltsmittel limitiert wird. Auf Dauer leiden darunter die Motivation der Soldaten im Einsatz, der Zusammenhalt und das innere Gefüge der Streitkräfte. Dies hat die Bundesregierung erkannt. Wir nehmen die Bundeskanzlerin beim Wort, die angekündigt hat, dass 2008 mehr Geld in die innere und äußere Sicherheit investiert werden soll. Ein klares Signal bei der Entwicklung des Einzelplans 14 ist überfällig. Zum Schluss möchte ich sagen: Meine teilweise kritischen Anmerkungen sollen insbesondere uns Politikern zeigen, dass wir die Sorgen und Nöte unserer Soldaten ernst nehmen und wir im Verteidigungsausschuss bemüht sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Hoff von der FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Wehrbeauftragter Robbe, ich danke Ihnen sehr für Ihren Bericht, den Sie heute vorlegen. Er spricht in diesem Jahr eine deutliche Sprache und setzt klare Schwerpunkte. Ich bin Ihnen auch sehr dankbar, dass Sie Stellung genommen haben zu den schlimmen Ereignissen in Kunduz und zur Berichterstattung, die ihnen gefolgt ist. Auf der einen Seite ist es bemerkenswert geschmacklos, wie die Presse teilweise mit unseren Soldatinnen und Soldaten umgeht. Auf der anderen Seite vermisse ich die Entschuldigung des Vorsitzenden der Linkspartei. Sie, Paul Schäfer, wissen, dass ich Sie als Kollege im Verteidigungsausschuss schätze. Ich wäre sehr froh, wenn zumindest von Ihrer Seite heute ansatzweise eine Entschuldigung für die Entgleisung käme, die Ihr Parteivorsitzender in der Öffentlichkeit vorgetragen hat. ({0}) Ich finde es entsetzlich. ({1}) Die heutige Debatte darf ich als Vertreterin der FDPFraktion natürlich dazu nutzen, unseren Soldatinnen und Soldaten für den gefährlichen Einsatz im Ausland und auch für den Einsatz hier vor Ort zu danken. Erst vor wenigen Wochen hatten wir durch den schrecklichen Anschlag in Kunduz erneut Opfer unter unseren Soldaten und der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen, an die wir auch im Rahmen dieser Debatte aus tiefem Herzen denken sollten. Herr Wehrbeauftragter, Sie haben in diesem Jahr in Ihrem Bericht den Fokus insbesondere auf den Zustand der Kasernen, die Missstände im Sanitätsdienst und die Ausrüstungs- und Ausbildungsdefizite in der Bundeswehr gelenkt. Der untragbare Zustand in vielen Bundeswehrkasernen scheint einer der wenigen Bereiche zu sein, in denen die Bundesregierung nicht versucht, die eklatanten Mängel zu beschönigen. Das Bundesverteidigungsministerium hat auf eine schriftliche Frage von mir mitgeteilt, dass der planerische Bedarf für die nächsten 15 Jahre 7,3 Milliarden Euro beträgt. Jedoch hat die Bundesregierung 2007 von den 1,13 Milliarden Euro, die allein für den Bauerhalt nötig wären, lediglich 425 Millionen Euro in den Verteidigungshaushalt eingestellt. Die Bugwelle der Unterhaltungsmaßnahmen, wie es bei der Bundesregierung heißt, wird auch in den nächsten Jahren nicht zu stoppen sein, da im Bundeswehrplan 2008 nur die Hälfte der notwendigen Mittel für Bauerhaltungsmaßnahmen eingestellt sind. Es wäre daher aus Sicht der FDP-Fraktion wesentlich zielführender, im Ministerium mehr als bisher konkrete Public-Private-Partnership-Projekte zu prüfen, die eine schnellere Sanierung der Kasernen ermöglichen. Diese Projekte mögen im Ergebnis vielleicht nicht billiger sein, aber sie sind schneller. Eine menschenwürdige Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten muss wesentlicher Teil eines Attraktivitätsprogramms Bundeswehr sein; denn sonst sieht es mit der Nachwuchsgewinnung düster aus. Die Defizite im Sanitätsdienst sind Gott sei Dank nicht mehr wegzudiskutieren. Ich kann bisher nicht erkennen, dass die Bundesregierung die offensichtlichen und eingestandenen Missstände konsequent abstellt. Wir brauchen aber dringend Lösungen, durch die die Situation im Sanitätsdienst wirksam verbessert und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für die Sanitätsärzte und das Zivilpersonal geschaffen werden. Diese Lösungen dürfen allerdings nicht zulasten der Ausbildung, der Qualifikation und des laufenden Betriebs in den Krankenhäusern zu Hause gehen. Ich hoffe, dass wir nachher in den Ausführungen von Herrn Minister Jung auch dazu etwas hören werden. Denn die Aussagen, die bisher aus dem Ministerium zu vernehmen waren, stimmen nicht gerade optimistisch. Herr Wehrbeauftragter, ich bin froh, dass Sie die mangelhafte Ausbildung und Ausrüstung hervorgehoben haben. Die Bereitschaft der Bundesregierung, die hier vorhandenen Defizite einzuräumen, ist deutlich geringer ausgeprägt. Nachdem ich im letzten Jahr den Vorwurf geäußert habe, dass unsere Soldaten weit davon entfernt seien, im Auslandseinsatz über eine optimale Ausrüstung zu verfügen, hat Minister Jung immer wieder bekundet, dass dies falsch sei. Nach seiner Wahrnehmung sei alles in bester Ordnung, wir hätten schon heute die optimale Ausrüstung und Ausbildung im Einsatz, und es sei eine gute GrundElke Hoff lage geschaffen, um den Anpassungs- und Modernisierungsbedarf der Bundeswehr weiter voranzutreiben. Diese Wahrnehmung scheint mir recht exklusiv zu sein. So spricht die militärische Führung des Bundesverteidigungsministeriums davon, dass die Mindestausrüstung für heutige Einsätze teilweise nicht einmal bis 2010 beschafft werden kann. Durch das Fortschreiben einer nicht einsatzorientierten Beschaffungspolitik sind alle finanziellen Spielräume aufgezehrt, die es ermöglichen würden, kurzfristig auf neue Bedarfe zu reagieren. Dies entspricht nicht den Anforderungen an einen dynamischen Prozess, der die Transformation der Bundeswehr eigentlich sein sollte. ({2}) Herr Minister Jung, mit dieser Einschätzung befinde ich mich in guter Gesellschaft mit dem sicherheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf dessen lesenswerten Artikel in der „Loyal“ ich Sie an dieser Stelle noch einmal hinweisen möchte. Allerdings ist es schade, dass die Fraktion der Kanzlerin ihre Möglichkeiten innerhalb der Koalition, bereits heute für eine bessere materielle und finanzielle Ausrüstung der Bundeswehr zu sorgen, so wenig nutzt. ({3}) Wieso, liebe Kollegen, lösen Sie die Vereinbarung des Koalitionsvertrages nicht ein, die zahlreichen neuen Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht weiterhin aus dem Verteidigungsetat, sondern aus dem allgemeinen Haushalt zu finanzieren? Die Koalition muss endlich deutlich machen, was ihr die zahlreichen Einsätze der Bundeswehr im Ausland als Instrument der Außenpolitik wert sind und welche Zukunft die Bundeswehr haben soll. Auch die finanzielle Ausstattung muss der Realität heutiger Einsätze und den Anforderungen der Transformation genügen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist eine gemeinsame Aufgabe, die Bundeswehr auf dem schwierigen Weg ihrer Transformation zu begleiten und ihr dabei den Rücken zu stärken. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig. Danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Hedi Wegener von der SPD-Fraktion.

Hedi Wegener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Wehrbeauftragter, Sie haben Ihre Rede mit dem Stichwort „Afghanistan“ begonnen; das tue auch ich. Vor einigen Tagen hat mich eine Schulklasse gefragt, ob sich meine Einstellung zu Auslandseinsätzen geändert habe, seitdem vor kurzem drei deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind. Ich habe mit meiner Antwort gezögert, dann aber gesagt, dass der Tod von Menschen meines Erachtens nicht gegeneinander aufgerechnet werden darf. Ich will damit sagen, dass der Tod eines Engländers oder einer afghanischen Familie nicht weniger tragisch ist als der Tod eines deutschen Soldaten oder eines deutschen Entwicklungshelfers. Mit einem kleinen Unterschied - vielleicht sogar mit einem großen Unterschied -: Denn ich habe an der Entscheidung, dass sich deutsche Soldaten in Afghanistan befinden und dort ihren Dienst tun, mitgewirkt. Nach dem Sinn und nach dem Zweck, nach dem Erfolg und nach der Einstellung der Bevölkerung zu diesem Einsatz fragen sich auch viele Soldaten; das hat der Bericht des Wehrbeauftragten deutlich gemacht. Seit fünf Jahren sind 30 000 Soldaten in Afghanistan. Die Zivilbevölkerung gerät immer mehr in die Schusslinie: Afghanische Polizisten werden von US-Truppen erschossen, Schüler sterben durch Beschuss von OEFTruppen. Da ist es klar, dass auch die ISAF-Truppen den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Ich frage mich aber ernsthaft: Welchen Beitrag leisten die afghanischen Machthaber eigentlich selber? Ich betone: Machthaber, weil es dort einige wenige gibt, die die Macht haben, sich selber gut versorgen, ihre Clans einbinden, aber ansonsten reichlich korrupt sind. Der deutsche General Ramms hat in einem Interview gesagt: Wir müssen dem Einsatz ein afghanisches Gesicht geben. - Ich frage mich auch: Welchen Beitrag leisten eigentlich die Staaten, die den gleichen Glauben und eine ähnliche Kultur, Geschichte und Sozialisation wie die Afghanen haben? Diese Fragen scheinen auch in den Köpfen der deutschen Bevölkerung und der Soldaten im Einsatz zu schwirren. Ein immer größerer Teil der deutschen Bevölkerung lehnt den Einsatz in Afghanistan ab. Gut, wir machen keine Politik für den Stammtisch - aber zu denken gibt mir das schon. Vermitteln wir nicht genug den Sinn und Zweck? Im Moment überschlagen sich die Darstellungen der Befürworter des Afghanistaneinsatzes. Es gibt Schilderungen, welche Katastrophen einträten, zögen sich die deutschen Soldaten zurück. Angesichts der Situation müssen wir aber über die Strategie, vor allem über die unserer Partner, sprechen. Wir führen diese Diskussion natürlich auch im Ausschuss und in der Fraktion. Der Wehrbeauftragte hat berichtet, wie Soldaten - auch Vorgesetzte! - über Politiker denken: Das Vertrauen geht gegen null. - Das hat uns alle sehr erschreckt. Die Truppe bekommt offensichtlich den Eindruck, wir Politiker würden unsere Soldatinnen und Soldaten gedankenlos in die Einsätze schicken. Das ist nicht so: Wir machen uns immerzu Gedanken über Sinn und Zweck dieses Einsatzes. Häufig kritisiert wurde gegenüber dem Wehrbeauftragten auch die inhaltliche Vorbereitung und die Nachbereitung. Es gebe keine Informationen, keine Schulung, keine politische Bildung zu den Einsätzen, zumindest aber nicht genug; schuld daran sei wieder einmal die Politik. Politische Bildung gehört zu den Unterrichtseinheiten, die oft ausfallen - diesen Eindruck bestätigte mir der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Genauso ist es eine Tatsache, dass bei der Vor- und Nachbereitung der Einsätze vieles verbessert werden kann und muss: Zwei bis drei Tage reichen zur Nachbereitung eines Einsatzes wie in Afghanistan nicht aus. Nicht verstehen kann ich die Kritik durch Führungskräfte der Bundeswehr. Ich bitte Sie, meine Herren Vorgesetzten: Sie alle sind nach den Grundsätzen der inneren Führung für viel Geld zu mitdenkenden, selbstständig handelnden Angehörigen der Streitkräfte ausgebildet worden. Sie können doch nicht darauf warten, dass die Politik Ihnen Material zur Vorbereitung auf das Einsatzland liefert. Berechtigte Fragen der Soldaten mit dem Hinweis zu beantworten, die Politiker lieferten keine Informationen, reicht nicht. Bitte befördern Sie nicht die Stimmung gegen die Politik! Die Kritik, es mangele an Informationen, steht außerdem in einem krassen Widerspruch zu dem, was wir im Unterausschuss „Innere Führung“ gehört haben: Dort wird immer wieder von ausgezeichnetem Material und von ausgezeichneten Kursen gesprochen. Meine Herren und Damen, es gibt hier augenscheinlich einen Widerspruch zu dem, was wir Politiker erfahren. Es besteht offensichtlich ein Mangel an einsatzvorbereitenden Informationen. Dieser Missstand sollte beseitigt werden. Ich empfehle eine stärkere Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir müssen gemeinsam zu einer verbesserten Kommunikation kommen. In dieser Situation sind bei den Soldaten Vorgesetzte gefragt, die zuhören, die sich die Mühe machen, zu diskutieren und Fragen zu beantworten. Wir bezeichnen das als Menschenführung. Genau dazu gibt es sehr viele Fragen, wie der Wehrbeauftragte festgestellt hat. Wir bekommen als Abgeordnete immer nur die Sahnestücke serviert. Wir hören von ausgewählten Soldaten, die, wenn sie Kritik äußern, dies verhalten und gut eingepackt tun. Da ist es schon sehr erhellend, sich jedes Jahr aufs Neue den Bericht des Wehrbeauftragten anzusehen und sich mit der Kritik der Soldaten zu befassen. Der Wehrbeauftragte hat es sich zum Prinzip gemacht, immer unangemeldet aufzutauchen. Das ergibt ein wesentlich realistischeres Bild als die gut vorbereiteten Besuche der Abgeordneten. Neben der Kritik der Soldaten an der Menschenführung, der Unterkünfte - der Wehrbeauftragte hat es gesagt - und der Organisation des Kongoeinsatzes sind die Langzeitwirkungen von persönlichen problematischen Erlebnissen und deren Verarbeitung bedrückend. Im Info-Brief Heer des Deutschen Heeres las ich in der letzten Woche Folgendes - ich zitiere -: Das Beherrschen des militärischen Handwerks, körperliche Robustheit und die Befähigung zum Kampf sind untrennbare Faktoren, die den Soldatenberuf wesentlich bestimmen. Das stimmt. Aber auch die mentale, also die psychische Vorbereitung ist wichtig. Das wird zunehmend durch posttraumatische Störungen deutlich, mit denen Soldaten aus den Auslandseinsätzen zurückkommen. Es ist sehr gut, dass auch bei den Soldaten inzwischen darüber gesprochen wird und dass sich die Krankenhäuser der Bundeswehr dieses Themas annehmen. Auch hier müssen die Einsatzvorbereitung und insbesondere auch die Einsatznachbereitung verbessert werden. Vor allem aber müssen wir für diejenigen Lösungen finden, die aus der Bundeswehr ausgeschieden sind. Posttraumatische Störungen können auch erst Jahre später auftreten. Zum Schluss noch einmal unseren - ich sage bewusst „unseren“, nämlich den der Bundeswehr und des Parlaments - Dank an den Wehrbeauftragten und sein Team. Herr Robbe, Sie sind ein wichtiger Mittler für uns. Sie transportieren die Sorgen der Soldaten nicht nur zu uns ins Parlament, sondern auch in die Öffentlichkeit. Bleiben Sie weiterhin emphatisch, aber auch hartnäckig und beharrlich. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wehrbeauftragte hat zwei Grundentscheidungen getroffen, die ich für die Fraktion Die Linke nachdrücklich unterstützen will: Erstens wird er grundsätzlich nur unangemeldete Truppenbesuche durchführen; denn der Wehrbeauftragte muss die ungeschminkte Wahrheit kennen, um Missstände benennen zu können. Zweitens wird er sich mehr um Auslandseinsätze kümmern, das heißt: Truppenbesuche in den Einsatzgebieten. Vor allem, wenn man gegenüber den Auslandseinsätzen grundsätzlich kritisch ist, was ja für die Linke gilt, ist es besonders wichtig, genau hinzusehen, ob die Einsatzarmee und die Prinzipien der inneren Führung zusammenpassen oder wo es Widersprüche gibt. Wir haben die Vorfälle in Coesfeld gesehen, wo es ja um die Vorbereitung auf Einsätze ging. Dort kam es zu Verletzungen der Menschenwürde. Daneben gab es das Problem der Totenschädel in Afghanistan. Diese Verhaltensweisen sind mit unseren Wertmaßstäben nicht vereinbar. Das heißt, hier ist es wichtig, dass der Wehrbeauftragte auch im Auftrag des Parlaments genau hinsieht und dass wir Vorschläge dafür entwickeln, dass das abgestellt werden kann. In dem letztgenannten Fall geht es sicherlich auch um die Personalauswahl und nicht zuletzt um die politische Bildung der Vorgesetzten. Jenseits individueller Schuldzuschreibungen müssen wir uns aber immer vergegenwärtigen, inwieweit das kriegerische Umfeld Menschen verroht und entzivilisiert. Deshalb muss man das insgesamt infrage stellen. Hiermit komme ich zur Sinnhaftigkeit der Auslandseinsätze. Der Wehrbeauftragte hat es angesprochen und auch durch die Studie des Bundeswehrverbandes wird Paul Schäfer ({0}) deutlich, dass es ein wachsendes Unbehagen hinsichtlich des militärischen Engagements Deutschlands out of area gibt. Die gesellschaftliche Debatte darüber hat erst begonnen. Wenn eine Mehrheit gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr ist, dann kann die Politik nicht einfach so weitermachen. Ich finde, dann muss man das auch einmal infrage stellen. Wenn der Einsatz militärischer Gewalt zu mehr Gewalt führt, dann muss man das auch einmal thematisieren. ({1}) Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine klare Aussage zu der Vorhaltung des geschätzten Wehrbeauftragten wie auch der Kollegin Hoff. Ich meine, politische Kontroversen im Parlament über die deutsche Beteiligung am Einsatz in Afghanistan dürfen nicht auf dem Rücken der deutschen Soldatinnen und Soldaten ausgetragen werden. Sie sollten aber auch nicht zur parteilichen Vorteilsnahme genutzt werden, um gegen einzelne Parteien Stimmung zu machen. Was ist vorgetragen worden? Vorgetragen wurde, dass Luftangriffe, denen Unschuldige zum Opfer fallen - wie kürzlich sieben Kinder in Afghanistan -, mit Terror gleichzusetzen ist. Vor diesem Hintergrund muss man sich die Frage stellen: Sollen wir Deutschen uns daran beteiligen? ({2}) Das war nicht die Frage der Soldatinnen und Soldaten, sondern der politischen Führung. Das sollte man sehr genau auseinanderhalten. Ich halte diese Debatte aber für notwendig. ({3}) Der Wehrbeauftragte hat völlig zu Recht drei Punkte angesprochen, denen wir nachgehen müssen. Dabei geht es erstens um sogenannte Aufnahmerituale und Feiern in der Bundeswehr. Was die Vorfälle in Zweibrücken angeht, hat der Wehrbeauftragte zu Recht festgestellt, dass wir den Blick wieder verstärkt auf den Kernbereich der inneren Führung - den Schutz der Rechte der Soldaten und eine zeitgemäße Menschenführung - richten müssen. ({4}) Das ist der entscheidende Punkt. Es ist schon oft bei Informationen in den Truppen über Soldatenrechte gesprochen worden, aber es sind keine Taten gefolgt. Deshalb müssen wir - die Aussagen des Wehrbeauftragten zu diesem Punkt sind sehr klar - diesem Anliegen viel stärkeren Nachdruck verleihen. Ich bin dem Wehrbeauftragten auch dankbar für den zweiten Punkt, den er angesprochen hat. Dabei geht es um den Fall der Sanitätssoldatin Christiane Ernst-Zettl, den ich schon 2005 vorgetragen habe. Der Wehrbeauftragte hat den Fall aufgegriffen. Es geht darum, dass sich Sanitätssoldaten geweigert haben, bei Auslandseinsätzen Wach- und Sicherungsaufgaben zu übernehmen. Sie haben das mit dem Hinweis auf ihren Status als Nichtkombattanten abgelehnt. Der Wehrbeauftragte hat vorgeschlagen, sie aus diesem Bereich herauszunehmen. Ich finde, die Bundesregierung ist jetzt am Zug, eine klare Grenze zu ziehen und künftig anders zu verfahren. ({5}) Schließlich bin ich dem Wehrbeauftragten dafür dankbar, dass er die ungenügenden sozialen und infrastrukturellen Bedingungen in der Truppe - zum Beispiel den Zustand der Kasernen - festgestellt hat. Die Regierung sagt, dass er damit offene Türen einrennt. Das nützt aber nichts, wenn dann an den Regierungsschreibtischen nichts passiert. Vielleicht liegt es auch daran, dass falsche Prioritäten gesetzt werden - Stichwort Eurofighter und neue Fregatten - und deshalb kein Geld vorhanden ist, um für die Menschen zu investieren. Der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes hat deutlich gemacht, dass es um Menschen geht. Daran muss man denken. Das gilt auch für den Verteidigungsausschuss. Ich meine, wir sollten die überfällige Wehrsolderhöhung beschließen und die Angleichung der Gehälter im Osten an die im Westen zu Ende bringen. Das haben die Betroffenen nötig. Wir sollten - auch das hat der Wehrbeauftragte angeschoben - endlich Stiftungen für die Radarstrahlenopfer einrichten. Damit ist der geschätzte Kollege Robbe dicht dran an den Themen, die aufgegriffen werden müssen. Für die Regierung gilt das meines Erachtens leider noch nicht. Deshalb sind wir als Parlament gefragt. Einer allgemeinen Laudatio auf den Wehrbeauftragten schließe ich mich gerne an. Noch besser wäre es aber, glaube ich, seine Kritik und Vorschläge zu beachten. Danke. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Winfried Nachtwei für Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich begrüße ausdrücklich, wie sehr der Wehrbeauftragte, der geschätzte Kollege Robbe, seine Besuchstätigkeit in der Bundeswehr durch unangemeldete Besuche und jeweils etwas längere Aufenthalte in den Einsatzgebieten intensiviert hat. Das ist ausgesprochen hilfreich. Sie haben zu Recht die Zustände in etlichen Bundeswehrliegenschaften im Westen herausgestellt, die in der Tat katastrophal und unzumutbar sind. Dieses Thema wird seit etlichen Jahren immer wieder in den Berichten des Wehrbeauftragten angesprochen, ohne dass es zu einer merklichen Besserung gekommen ist. Als Verteidigungsausschuss wollen wir - darüber besteht, glaube ich, Konsens - nicht bis zum nächsten Jahresbericht warten, in dem dann - wenn auch vielleicht mit leichten Abstrichen - wieder dasselbe Problem angesprochen würde. Sie haben auch die katastrophalen Verhältnisse bei der Unterbringung der Soldaten im Rahmen der Kongomission in Libreville und Kinshasa angesprochen. Diese sind auch nicht damit zu begründen, dass es sich um eine neue Mission in ganz neuen Verhältnissen handelte. Sie waren noch weit darunter. In der Tat war die beauftragte Privatfirma völlig überfordert, und es gelang nicht, das rechtzeitig auszugleichen. Allerdings ist auch ausgesprochen bedauerlich, dass im Zusammenhang mit der berechtigten Markierung dieser Mängel der Zweck, die Wirkung und das Ergebnis der Kongomission in der Öffentlichkeit weit in den Schatten gestellt wurden. Insgesamt war es nämlich tatsächlich eine gute und erfolgreiche Gemeinschaftsleistung. Das wird zwar immer wieder mal vermerkt, aber mehr nicht. Im Ergebnis war es dann leider eine Schräglage. Das liegt nicht an Ihnen, ist aber bedauerlich. Lassen Sie mich nun ein Kapitel ansprechen, das mich sehr beunruhigt hat, als der Bericht vorgelegt wurde, das in der öffentlichen Wahrnehmung aber praktisch keine Rolle spielte - auch Sie haben es heute eher nur am Rande angesprochen, lieber Kollege Robbe -, nämlich Mängel beim Führungsverhalten. Ich zitiere aus Ihrem Bericht: Fehlverhalten von Vorgesetzten ist nicht auf Einzelfälle beschränkt. Es wird auch nicht immer konsequent verfolgt und geahndet. … Mich erschreckt, mit welcher Selbstverständlichkeit manche Vorgesetzte selbst über die Stränge schlagen, Vorschriften missachten und die Rechte von Kameraden und Untergebenen verletzen. Es gibt noch weitere Zitate, die Sie auch kennen. Besonders irritieren mich diese Feststellungen, die deutlich über die Markierung eines Einzelfalles hinausgehen, deshalb, weil wir als diejenigen, die viel mit der Bundeswehr und Offizieren zu tun haben, insgesamt Gott sei Dank ein sehr positives Bild haben. Diese Schattenseite ist also äußerst unerfreulich. Hier spannt sich für mich auch der Bogen zur Mitgliederumfrage des Bundeswehr-Verbandes. Eine solche Gesamtbefragung, bei der ein Viertel der 210 000 Mitglieder antwortet, kann man nicht mehr als nicht repräsentativ bezeichnen. Das ist ein Basiswert, der sich gewaschen hat. Deshalb muss man die Ergebnisse sehr, sehr ernst nehmen. ({0}) Ich nenne noch einmal einige von ihnen: 74 Prozent der Berufssoldaten würden ihnen nahestehenden Personen nicht mehr empfehlen, in die Bundeswehr zu gehen. 64 Prozent finden, dass die Politik den Sinn der Auslandseinsätze nicht ausreichend vermittelt. Jetzt eine „positive“ Zahl: 3,9 Prozent fühlen sich von der Politik unterstützt. Mit anderen Worten: Die Politik - pauschal gesagt: wir - verliert die Köpfe und Herzen derjenigen, die andernorts um die Köpfe und Herzen der Bevölkerung kämpfen sollen. Der Bericht des Wehrbeauftragten und auch die Mitgliederbefragung des Bundeswehr-Verbandes sind nach meiner Ansicht ein Alarmruf an das Parlament. Hier müssen wir erstens deutlich mehr Klarheit schaffen: Was wollen wir mit den Streitkräften? Was sollen sie in Zukunft konkret tun? - Da sind wir noch viel zu allgemein. Zweitens brauchen wir auch selbst mehr Klarheit über die latenten Prozesse, die nicht so direkt sichtbar sind, die sich aber in den Streitkräften mit der Zeit entwickeln. An dieser Stelle halte ich es für sehr angebracht, wieder die schon seit längerer Zeit im Raum stehende Forderung aufzunehmen, dass der Wehrbeauftragte erweiterte Möglichkeiten bekommt, auch diese strukturellen Veränderungen, Einstellungsveränderungen und Wahrnehmungsveränderungen in den Streitkräften genauer zu analysieren und auch auf Erkenntnisse des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr und des Truppenpsychologischen Dienstes zurückzugreifen. Dies ist zwingend notwendig, damit wir dem Risiko, dass innere Führung von oben ausgehöhlt wird, entgegenwirken können. In diesem Zusammenhang danke ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern umso mehr für Ihre Arbeit. Sie ist für uns von entscheidender Bedeutung. Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Herr Bundesminister Dr. Franz Josef Jung hat das Wort.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn dem Wehrbeauftragten sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erstens für den Bericht und zweitens für die gute Zusammenarbeit herzlich danken. Es ist zwar richtig, dass der Wehrbeauftragte im Auftrag des Bundestages tätig ist. Aber er befördert auch die Interessen der Bundeswehr. Herzlichen Dank für die Wahrnehmung Ihrer Aufgabe und Ihre Arbeit, Herr Wehrbeauftragter. Lassen Sie mich zwei weitere Bemerkungen machen, bevor ich auf die Einzelheiten des Berichtes kurz eingehe. Die Institution des Wehrbeauftragten ist eine Errungenschaft unserer Demokratie. Er hat eine klare Kontrollfunktion - in Unterstützung des Deutschen Bundestages im Hinblick auf die Beachtung der Grundrechte der Soldaten und die Umsetzung der Grundsätze der inneren Führung. Das sind wichtige Gesichtspunkte, die immer wieder hervorzuheben sind, wenn es um die Bewältigung der Aufgaben durch die Bundeswehr geht. Das Amt hat sich großes Vertrauen bei den Soldatinnen und Soldaten erworben. Es ist Voraussetzung für die Arbeit des Wehrbeauftragten, dass sich die Angehörigen der Bundeswehr an ihn wenden und ihm sagen, was ihnen unter den Nägeln brennt, damit wir die Chance haben, nicht nur über einen solchen Bericht zu diskutieren, sondern auch auf die Einzelheiten einzugehen und die berechtigten Kritikpunkte aufzunehmen und abzubauen. Ich will auf einzelne Bereiche eingehen. Erstens. Wenn unsere Soldatinnen und Soldaten wie beispielsweise im Afghanistaneinsatz - dieser wurde bereits angesprochen - auf bewundernswerte Art und Weise einen Beitrag zur Gewährleistung von Stabilität, Frieden und letztlich unserer Sicherheit leisten, ist es wichtig, dass sie ausreichend ausgebildet und gut ausgerüstet sind und die Grundvoraussetzungen für solche Einsätze erfüllt sind. ({0}) Ich habe im letzten Jahr angeordnet, dass man in Afghanistan nur noch mit geschützten Fahrzeugen fährt. Dies war ein richtiger Schritt, gerade wenn ich mir die aktuellen Anschläge vor Augen führe. Ich sage das, weil Sie vorgetragen haben, wir hätten nicht die notwendigen Schutzmaßnahmen ergriffen und die Soldaten verfügten nicht über die entsprechende Ausrüstung. Ich möchte das aufgreifen, was der Wehrbeauftragte gesagt hat. Auch ich habe Kunduz besucht. Im PRT in Kunduz ist unsere Arbeit auf hervorragende Art und Weise im Hinblick auf vernetzte Sicherheit umgesetzt. Dort gibt es - bis in das einzelne Dorf - Projekte, die der afghanischen Bevölkerung deutlich zeigen, dass wir unterstützend tätig sind und den Menschen helfen wollen. Nach dem Anschlag hat es eine breite Solidarisierung mit unseren Soldaten gegeben. Wir haben nach Einschätzung unserer Soldaten 95 Prozent der Bevölkerung auf unserer Seite. Das ist der richtige Weg, die Arbeit in Afghanistan fortzusetzen. Ich kann nur unterstreichen, was der Wehrbeauftragte im Hinblick auf die Veröffentlichung der Fotos von verwundeten Soldaten gesagt hat. Diese Fotos haben Betroffenheit bei den Soldaten hervorgerufen. Ich habe mich an alle Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Medien gewandt, die diese Fotos veröffentlicht haben. Einige haben deutlich reagiert und sich entschuldigt. Andere haben versucht, das zu rechtfertigen. Ich finde, die Art und Weise der Veröffentlichung dieser Bilder ist nicht zu rechtfertigen. Wir müssen in Zukunft mehr Rücksicht auf die Gefühle der Menschen nehmen. ({1}) Zweitens. Mit Betroffenheit und Entsetzen haben die Soldaten aufgenommen, dass Herr Lafontaine, Vorsitzender der Linken, ihre Tätigkeit mit den Aktivitäten von Terroristen gleichgesetzt hat. Ich finde, Herr Lafontaine müsste sich sofort entschuldigen. Das ist verantwortungslos. Er betreibt damit das Geschäft derjenigen, die sich terroristisch gegen uns wenden. Das ist mit allem Nachdruck zurückzuweisen. ({2}) Drittens. Wir werden selbstverständlich die Kasernen in die Prioritätenliste aufnehmen und für Verbesserungen sorgen. Eines ist schon wahr: Man kann nicht immer mehr Leistungen von unseren Soldaten verlangen, wenn die sozialen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Um hier zu Verbesserungen zu kommen, brauchen wir eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Ich bitte den Deutschen Bundestag - wir werden alsbald in die Haushaltsberatungen eintreten - um eine entsprechende Unterstützung, weil wir nur dann unsere Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen und unserem Auftrag gerecht werden können, wenn wir die notwendigen finanziellen Grundlagen haben. ({3}) Ich will nun einen Gesichtspunkt ansprechen, der im Bericht Erwähnung findet, der hier aber noch nicht angesprochen wurde. In den vergangenen Jahren wurde entschieden, dass sich Frauen über den Bereich Sanitätsdienst hinaus in der Bundeswehr engagieren können. Wir haben eine sehr gute Entwicklung. Es gibt mittlerweile fast 13 000 Frauen in der Bundeswehr, die in hervorragender Art und Weise ihren Dienst leisten. Wir sind selbstverständlich jetzt gefordert, das Thema Familie und Beruf voranzutreiben. Durch die Frauen erfahren wir in den Auslandseinsätzen eine beispielhafte Unterstützung. Deshalb möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen, dass sich das Engagement der Frauen in der Bundeswehr positiv auf die Arbeit der Bundeswehr ausgewirkt hat. ({4}) Bei all den Mängeln, die hier zu Recht angesprochen worden sind, darf nicht das vergessen werden - wir reden hier über den Jahresbericht 2006 -, was an zusätzlichen Aufgaben auf die Bundeswehr zukam. Als wir die Regierung gebildet haben, hat noch niemand daran gedacht, dass im Jahr 2006 ein Einsatz im Kongo zu bewältigen war. Dieser wurde hervorragend durchgeführt. ({5}) Trotz der Punkte, die man unter „lessons learned“ fassen kann, will ich unterstreichen, was Herr Nachtwei gesagt hat. Wir haben die demokratischen Wahlen abgesichert und unsere Mission in dem vorgesehenen Zeitraum abgeschlossen. Wir haben erfolgreich dafür gesorgt, dass es keinen Rückfall in den Bürgerkrieg gab. Es war also eine erfolgreiche Mission im Kongo, die vonseiten Europas durchgeführt wurde und an der die Bundeswehr beteiligt war. ({6}) Es gab einen weiteren zusätzlichen Einsatz, nämlich die UNIFIL-Mission vor der Küste des Libanons. Es gab auch im Innern Einsätze. Ich nenne beispielsweise die Stichworte Schneekatastrophe, Vogelgrippe, Hochwasser und Fußballweltmeisterschaft, wo wir auf dem Gebiet der Sicherheit mitgeholfen haben. Dies bedurfte eines enormen zusätzlichen Engagements der Bundeswehr. Man kann daran erkennen, dass unsere Bundeswehr leistungsfähig und einsatzfähig ist und ihren Auftrag im Hinblick auf eine friedliche Entwicklung gerade in den Auslandseinsätzen hervorragend erfüllt. Bei all den Mängeln, die noch abzustellen sind, sollten wir für das Engagement dankbar sein, das unsere Soldatinnen und Soldaten für unsere Sicherheit und damit für Frieden und Freiheit in der Welt zeigen. Besten Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Debatte spricht Petra Heß für die SPD-Fraktion.

Petra Heß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Robbe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wohl allen klargeworden, dass auch der 48. Bericht des Wehrbeauftragten zeigt, dass die Angehörigen der Bundeswehr sehr großes Vertrauen in diese Institution haben. Das ist gut so. Denn unsere Soldatinnen und Soldaten wenden sich sehr selbstbewusst und mit einer großen Portion Selbstverständlichkeit mit ihren Anliegen an unseren Wehrbeauftragten. Mit ihrem Eingabeverhalten unterstreichen sie, dass sie verantwortungsvolle Staatsbürger in Uniform sind. Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen in dieser schwierigen Phase der Transformation, in der sie sich jetzt befinden, nicht nur ihre Pflicht, sondern sie begleiten den Prozess kritisch und tragen dazu bei, dass sich bei der Bundeswehr vieles im positiven Sinne entwickelt. Der Bericht gibt Einblick in das Innenleben der Streitkräfte, und - auch das will ich nicht verhehlen - er hält damit nicht nur der militärischen Führung, sondern auch der Politik den Spiegel vors Gesicht. Ich will zunächst den Fokus auf den Sanitätsdienst richten. Wie schon in den vergangenen Jahren ist die sanitätsdienstliche Lage der Bundeswehr im Inland weiterhin sehr angespannt. Die medizinische Versorgung der Soldatinnen und Soldaten im Inland, insbesondere die klinische Versorgung, war im Berichtsjahr zum Teil erheblich beeinträchtigt. So waren zum Beispiel im Jahresmittel etwa 135 Ärzte permanent in Auslandseinsätzen gebunden. Besonders in den Bundeswehrkrankenhäusern führte dies zu ganz problematischen Personalengpässen bei Ärzten und bei Sanitätern. Erneut mussten auch im zurückliegenden Jahr in allen Bundeswehrkrankenhäusern Operationssäle vorübergehend geschlossen werden. Das heißt nicht, dass Notfälle nicht behandelt werden konnten oder unbehandelt blieben. Aber es gehört auch hier zur Ehrlichkeit, zu sagen: Nicht akute Behandlungen mussten mitunter verschoben, oftmals weit verschoben werden. Neben den personellen Engpässen im klinischen Bereich kommt es mittlerweile auch zu Engpässen im Bereich der truppenärztlichen Versorgung und in den regionalen Sanitätseinrichtungen. Grund ist auch hier die starke Beanspruchung der medizinischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Auslandseinsätze. Grund ist aber auch - der Minister ist gerade darauf eingegangen -, dass es gerade im Sanitätsdienst eine verhältnismäßig hohe Anzahl von Frauen gibt, teilweise über 50 Prozent. Das ist gut so, und das ist politisch gewollt. Aber auch hier muss man sagen: Den Spiegel vor das Gesicht halten, heißt, dass wir bei der Dienstpostenbesetzung entsprechende Rahmenbedingungen schaffen und diese ändern müssen, wenn wir weiterhin einen entsprechend hohen Frauenanteil in den Streitkräften wünschen; denn da, wo viele Frauen sind, hat man eine wesentlich geringere Tagesantrittsstärke. Frauen in den Streitkräften entscheiden sich nämlich auch während ihrer Dienstzeit für Kinder. Das ist gut so, das ist richtig, und das wollen wir. ({0}) Sie sind aber damit für Auslandseinsätze über Jahre hinaus erst einmal nicht verfügbar, oder sie nehmen nach der Gründung der Familie Teilzeit in Anspruch. Auch das ist politisch gewünscht, aber man muss dann bei der notwendigen Dienstpostenbesetzung entsprechend reagieren. Mit der aktuell stattfindenden Reduzierung der Zahl der Bundeswehrkrankenhäuser auf vier Bundeswehrkrankenhäuser und ein Kooperationsmodell wird eine Bündelung der medizinischen Ressourcen einhergehen, die insbesondere eine bessere personelle Ausstattung erwarten lässt. Auch die Personalstruktur im Bereich der Sanitätsoffiziere zeigt Gott sei Dank in den letzten Jahren ein kontinuierliches Wachstum. Im Berichtsjahr waren das genau 11 Prozent. Die Anpassung der Qualifikation des Rettungs- und Pflegepersonals an die Standards im zivilen Gesundheitswesen macht eine zweijährige Aus- und Weiterbildung der Sanitätsunteroffiziere notwendig. Auch das verschärfte im Berichtsjahr die Personalsituation zusätzlich. Die Rückkehr der Sanitätsunteroffiziere von ihrer zweijährigen zivilen Ausbildung im Laufe der nächsten Jahre wird die personelle Situation hingegen weiter verbessern. Sie sehen, es gibt viel Bewegung in diesem gesamten Prozess. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Umgliederung der Krankenhäuser auf einsatzorientierte Strukturen auch in Zukunft weiter erhebliche Engpässe auch beim zivilen Pflegepersonal mit sich bringen wird. Von ehemals 5 500 Pflegekräften sieht die Zielstruktur des Personalmodells 2010 gerade einmal 2 650 verbleibende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor. Notwendig wären aber aus Sicht des Sanitätsdienstes mehr als 3 200. Hier muss man sich schon fragen: Können wir die Transformation an den tatsächlichen Bedürfnissen der Soldaten vorbei durchsetzen, oder müssen verschiedene Punkte eventuell neu verhandelt werden? Hier sind natürlich auch die militärischen Führer aufgerufen, die im Rahmen der Transformation notwendigen Maßnahmen und Veränderungen immer wieder zu kommunizieren und zu erklären. Auch an dieser Stelle möchte ich sagen: Trotz der hohen Belastung, trotz der schwierigen Situation, die die Sanitätsoffiziere und Sanitätsunteroffiziere haben, macht der Sanitätsdienst ganz besonders im Ausland einen hervorragenden Job und ist international anerkannt. Das verdient unseren Respekt. ({1}) Einige wenige Ausführungen noch zur Unterbringung: Hier wurde erneut ein massiver Sanierungsbedarf festgestellt, besonders bei den Unterkunftsgebäuden. Ich kann hier für meine Fraktion erklären, dass wir uns sehr engagiert in die Haushaltsverhandlungen einbringen werden und deutliche Signale aussenden werden, um gerade im Bereich der Unterbringung dazu beizutragen, dass der Soldatenberuf attraktiver und für die zukünftigen Generationen ein Beruf wird, der hoch anerkannt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Heß, Sie hätten schon zum Ende kommen müssen.

Petra Heß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unzumutbare Unterkünfte und mangelnde Sanitäreinrichtungen transportieren wahrlich nicht das gewünschte Bild der Bundeswehr nach außen. Ich möchte dem Wehrbeauftragten noch einmal ganz herzlich danken. Besonders danke ich allen Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst sehr pflichtbewusst leisten. Viele wissen es: Ich bin zugleich Reservistin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Heß, Sie haben jetzt keine Zeitreserve mehr.

Petra Heß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es beruhigt mich ungemein, dass ich im Falle eines Falles - wenn ich bei der Bundeswehr bin und in eine schwierige Situation komme - auf die Institution des Wehrbeauftragten setzen kann. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4700 an den Verteidigungsausschuss vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Eckpunktevereinbarung zum Einsatz von Erntehelfern in der Landwirtschaft grundle- gend überarbeiten - Drucksachen 16/2685, 16/5170 - Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Ulrike Höfken, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Qualifizierung statt Quoten - Vermittlungsagenturen für landwirtschaftliche und andere grüne Berufe - Drucksachen 16/2991, 16/3376 Berichterstattung: Abgeordnete Gitta Connemann Nach einer Verabredung zwischen den Fraktionen soll die Aussprache eine halbe Stunde dauern. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Aussage unserer Großen Koalition lautete 2005: Bei 5 Millionen bisherigen Arbeitslosen in Deutschland muss es locker möglich sein, dass 20 Prozent der ausländischen Saisonarbeitskräfte vom deutschen Arbeitsmarkt kommen. Wie ist die Situation heute? Trotz größter politischer Anstrengungen, trotz geänderter und verbesserter Dienstanweisungen vonseiten der Bundesagentur für Arbeit an die Argen, trotz williger Arbeitskräfte, trotz Probe und Vorbereitungskursen, trotz Durchhalteprämien und Shuttleservice, trotz Bewerberpool, trotz der hervorragenden Vermittlungsbemühungen der Argen ist die tatsächliche Vermittlungsquote ernüchternd. ({0}) Eine neue, eine grüne Vermittlungsagentur ist aus meiner Sicht überflüssig. ({1}) Auch wenn wir hier nicht in der Fragestunde sind, frage ich mich schon, ob der bisherige personelle Aufwand der Behörden in einem angemessenen Verhältnis zum Ergebnis steht. Laufen wir der Entwicklung des Marktes nicht ständig hinterher? Verfehlen wir nicht die Eckpunkte? Wir Praktiker wissen, dass das Zeitfenster, innerhalb dessen über Wohl und Wehe einer Ernte entschieden wird, verdammt eng ist. ({2}) Der Markt ist gnadenlos. Die Frage, wie man erntet, wann man erntet, mit wem man erntet und wie viel man erntet, hängt eben nicht nur vom Wetter ab, sondern von unserer politischen Beweglichkeit. Deshalb plädiere ich für mehr Beweglichkeit im Sinne von mehr Planungssicherheit für unsere Sonderkulturbetriebe. Der polnische Saisonarbeitnehmer geht inzwischen lieber nach Holland oder nach Großbritannien. Das mag an der Bezahlung liegen. ({3}) Es liegt sicherlich aber auch daran, dass er in diesen Ländern unbefristet arbeiten und zwischen den Arbeitgebern wechseln kann; Stichwort Flexibilität. ({4}) Aufgrund der Kenntnis der Praxis habe ich eine Bitte an die Bundesregierung - ich habe noch heute mit mehreren betroffenen Betrieben gesprochen, und ich bin mit ihnen ständig in Kontakt -: Bitte sorgen Sie schnell dafür, dass dort, wo die Arbeitslosenquote unter dem Bundesdurchschnitt liegt, automatisch die 100-ProzentRegelung gilt und dass der Austausch von Saisonarbeitskräften zwischen den Betrieben möglich wird. Überprüfen Sie außerdem eine Verlängerung des Beschäftigungszeitraums! Ich bedanke mich ganz herzlich. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dr. Edmund Geisen bekommt das Wort für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist für mich überraschend - das gebe ich zu -, aber wahrscheinlich auch für alle erstaunlich, dass die Damen und Herren des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hier nicht vertreten sind. ({0}) Das war bei diesem Thema bisher anders. Ich habe aber sehr gut verstanden, dass Sie das jetzt auf eine andere Schiene bringen wollen; das weiß ich nun. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen: Obwohl der Antrag aus unserem Agrarausschuss kommt, ist niemand aus dem Ministerium mehr daran interessiert. Die FDP hat stets das Scheitern der Erntehelferregelung vorausgesagt. ({1}) Die Koalitionsfraktionen haben stets das Verfahren verteidigt und unsere Hinweise ignoriert. So war das bisher. ({2}) Seit die schwarz-rote Regierung im Amt ist, ist die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in diesem Bereich um 18 Prozent gesunken. Das hat den Sonderkulturbetrieben sehr geschadet - und den in- und ausländischen Saisonarbeitern ebenso. ({3}) Die Eckpunkteregelung ist ein Skandal. Wenn die Bundesregierung noch ein Jahr an diesem missratenen Experiment festhält, wird das viele Sonderkulturbetriebe in diesem unserem Land die Existenz kosten. ({4}) Wir brauchen geeignete Erntehelfer und -helferinnen in ausreichender Zahl, frühzeitig planbar, ohne Bürokratismus. ({5}) Die FDP fordert die Bundesregierung auf, schon jetzt, also frühzeitig, alles daranzusetzen, damit dies in der Zukunft gelingt. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wollen weiterhin gesundes und gutes Obst, Gemüse und Weintrauben vom heimischen Boden, auch aus Klimaschutzgründen. Das ist aber nur möglich, wenn die Sonderkulturbetriebe weiter produzieren können. Ich hoffe, dass nun endlich alle meine Kritiker von CDU/CSU und SPD erkannt haben, dass wir von der FDP das Scheitern der bisherigen Regelung zu Recht vorausgesagt haben. Schade, dass Sie die Suche nach besseren Lösungen stets blockiert haben. ({6}) Nun ist es fünf vor zwölf. ({7}) Drängen Sie Ihre verantwortlichen Minister Müntefering und Seehofer, deren Werk diese verkorkste Erntehelferregelung ist, endlich so zu handeln, dass die Betriebe weitermachen können und dass von weither importiertes Obst und Gemüse sowie importierte Weintrauben unsere Märkte nicht vollständig erobern. ({8}) Es ist ein Witz, die Probleme des deutschen Arbeitsmarkts auf den Spargelfeldern lösen zu wollen. ({9}) Staatliche Zwangsmaßnahmen auf dem Rücken der Landwirte sind doch keine Lösung. Während der heute zu diskutierende FDP-Antrag von CDU/CSU und SPD wieder abgeschmettert werden wird, spielen immer mehr Vertreter dieser Parteien in Bund und Ländern Opposition und fordern selbst eine Korrektur. ({10}) Sogar gestern im Ausschuss standen fast alle Unionspolitiker und -politikerinnen hinter uns. ({11}) Das ist doch blanker Populismus. ({12}) Auf einmal kritisiert die CDU/CSU die Missstände, die sie selbst geschaffen hat. Diese Doppelzüngigkeit dürfen sich die Landwirte nicht länger gefallen lassen. ({13}) Schöne Worte bringen rein gar nichts. Praxisferne und planwirtschaftliche Erntehelferregelungen müssen endlich weg. ({14}) Ich fordere die Kritiker aus Ihren eigenen Reihen auf, endlich Farbe zu bekennen. Werden Sie wenigstens mit einer Bundesratsinitiative aktiv! Die hohen bürokratischen Hürden schrecken nicht nur die deutschen Landwirte und Winzer ab, auch für die polnischen Saisonarbeiter ist es inzwischen einfacher, in den Nachbarstaaten zu arbeiten. ({15}) Dort werden sie mit offenen Armen empfangen. Hier müssen sie sich erst durch einen Bürokratiedschungel kämpfen. Hier könnte Minister Seehofer übrigens seinen Willen, den versprochenen Bürokratieabbau vorzunehmen, konkret unter Beweis stellen. Meine Damen und Herren, die jetzige Regelung passt überhaupt nicht in ein Europa der offenen Grenzen. Die FDP fordert erneut, die verschärfte Kontingentierung der ausländischen Saisonarbeitskräfte aufzuheben. Statt einer Kontingentierung muss die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch in Deutschland möglichst schnell, vor 2011, umgesetzt werden. ({16}) Das fordert inzwischen auch der Bauernverband, wie heute der Presse zu entnehmen ist. ({17}) Auch der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist nicht zielführend. Die Institutionen zur Qualifizierung sind da; ich erinnere an die Landwirtschaftskammern oder die Maschinen- und Betriebshilfsringe als Dienstleister für die Landwirtschaft. Noch mehr Agenturen brauchen wir nicht. Das wäre gleichbedeutend mit mehr Bürokratie. Das lehnt die FDP ab. Es müssen vielmehr Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Anbau von Obst, Gemüse und Wein wie bisher in Deutschland ermöglichen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. - Andernfalls kommt es zur Produktionsaufgabe im Inland und zur Verlagerung des Anbaus ins Ausland. Damit ist dem deutschen Arbeitsmarkt erst recht nicht gedient. Die Verantwortung in dieser Frage liegt allein bei Schwarz-Rot. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, zwingen Sie Ihre Minister, endlich die Wirklichkeit in der Landwirtschaft anzuerkennen und den Weg für grundlegende Korrekturen frei zu machen! Heben Sie die Arbeitsbeschränkungen für Erntehelfer aus den EULändern endlich auf!

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für Ihren Hinweis und danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Elvira Drobinski-Weiß spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß schon, warum das BMELV hier nicht vertreten ist: Wir diskutieren nämlich zum wiederholten Male über diese olle Kamelle Saisonarbeitskräfte. Der Kollege Geisen trägt hierzu die immer gleichen Ausführungen bei. Nur weil er sie wiederholt, werden sie aber ganz gewiss nicht richtiger. Das haben wir auch gestern im Ausschuss so festgestellt. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir alle uns hinter Ihren Antrag gestellt hätten. Ich weiß nicht, in welchem Ausschuss Sie waren. ({0}) Also schon wieder das Thema Saisonarbeitskräfte: Der Zeitpunkt, darüber zu reden, könnte günstiger nicht sein; denn sowohl die Spargel- als auch die Erdbeerern10826 ten sind aufgrund der diesjährigen Witterung entweder bereits abgeschlossen oder liegen in den letzten Zügen. Wir müssen uns also nicht wie im letzten Herbst in Prozentrechnung üben, sondern können die bereits vorhandenen Daten analysieren. Zuvor möchte ich noch einmal kurz auf Folgendes hinweisen: erstens auf die Ziele der Eckpunkteregelung, zweitens auf die Ergebnisse der Monitoringgruppe für das Jahr 2006 und drittens auf den Handlungsbedarf, der sich daraus für das Jahr 2007 ergab. In Anbetracht der nach wie vor hohen Arbeitslosenzahlen in Deutschland war und ist es unser Ziel, das inländische Beschäftigungspotenzial für landwirtschaftliche Saisontätigkeiten stärker zu erschließen ({1}) und trotzdem den Betrieben die notwendige Sicherheit für ihre Personalplanungen zu geben. Im Jahr 2006 fielen die Ergebnisse regional sehr verschieden aus. Es gibt genug Beispiele, wo es bereits im ersten Jahr geklappt hat. Ich habe schon im Oktober 2006 unter anderem die Erfolge der Arbeitsfördergesellschaft Ortenau aus meinem Wahlkreis vorgestellt. Es handelt sich wohlgemerkt um einen Kreis mit einer Arbeitslosenquote von aktuell unter 5 Prozent. Die Vermittlungsbemühungen waren hier trotz geringen bürokratischen Aufwands erfolgreich. Im April dieses Jahres haben wir die Arbeitsagentur in Neuruppin besucht und gesehen, dass es auch in dieser Region möglich ist, die Quote von 20 Prozent nichtausländischer Erntehelfer zu erreichen. - Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln, Herr Kollege Geisen. Das waren die Ergebnisse unseres dortigen Besuchs. ({2}) Gleichwohl wissen wir, dass es insbesondere in Regionen mit relativ niedriger Arbeitslosigkeit zu Problemen kam. So wurde als Handlungsbedarf für dieses Jahr festgehalten, dass die öffentlichen Vermittlungstellen ihre Anstrengungen im Hinblick auf eine passgenaue Vermittlung weiter verstärken sollen und die Möglichkeit zur Beauftragung Dritter intensiver genutzt werden soll. Außerdem müssen die Kontakte zu bzw. die Kooperationen mit den Arbeitgebern verbessert werden. Die Arbeitgeber ihrerseits bekannten sich zur Notwendigkeit der vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit mit den öffentlichen Arbeitsvermittlungen. Insbesondere wurde die rechtzeitige Meldung des saisonalen Kräftebedarfs vereinbart. Das hat auch geklappt. Anfang April wies die Bundesagentur für Arbeit ihre Agenturen zusätzlich an, insbesondere in Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit und hohem Bedarf an Saisonarbeitskräften die Vermittlung von ausländischen Erntehelfern zu erleichtern. ({3}) Ich weiß nicht, ob Ihnen das entgangen ist. Alle diese Punkte spielen eine Rolle, wenn man wie jetzt seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die vorgelegten Daten betrachtet. Darin heißt es: Die Zahl der Zulassungen von ausländischen Arbeitskräften in der Landwirtschaft wird dieses Jahr voraussichtlich genauso hoch ausfallen wie 2006. Während die Zahl der polnischen Saisonarbeitskräfte - die Gründe sind uns alle mittlerweile bekannt weiter rückläufig ist, ist eine Zunahme der Zahl der rumänischen Arbeitskräfte zu verzeichnen. Hier möchte ich an die skandalösen Beschäftigungsverhältnisse, geschehen in Donauwörth, wo mehr als 100 rumänische Arbeitskräfte für 1 Euro bis 1,20 Euro ({4}) gearbeitet haben, erinnern. Für viel bedeutender für die heutige Diskussion halte ich, Herr Kollege Geisen, Folgendes: 33 500 Arbeitslose sind im Bewerberpool erfasst. In diesem Jahr fehlen aber die Stellenangebote aus der Landwirtschaft und dem Gartenbau. 33 500 Arbeitslose, die bewusst ausgesucht und oft bereits durch die Agenturen qualifiziert wurden, werden gar nicht nachgefragt. So ist es. Gleichzeitig bekundeten einige Betriebe lautstark in der Presse - denen sind Sie auf den Leim gegangen -, dass der Spargel auf dem Feld bleiben muss und die Erdbeeren vergammeln, weil angeblich nicht genügend Saisonarbeitskräfte zur Verfügung stehen. Gebetsmühlenartig wird sofort wieder die Abschaffung der Eckpunkteregelung verlangt. ({5}) In geprüften Einzelfällen waren weder das Kontingent an ausländischen Beschäftigten ausgeschöpft noch waren freie Stellen für Inländer gemeldet. Das sind die Zahlen, die stimmen. Sehr geehrte Damen und Herren, das zeigt deutlich: Die Agenturen nehmen ihre Aufgaben mit viel Engagement wahr. Die Einrichtung zusätzlicher grüner Agenturen, wie von Bündnis 90/Die Grünen gefordert, halte ich deswegen zumindest derzeit noch nicht für zielführend. Wie wir mit der Eckpunkteregelung nach 2007 umgehen werden, entscheiden wir nach Analyse der Ergebnisse der Obsternte und Weinlese in intensiven Diskussionen. Klar ist jedoch: Die Eckpunkteregelung ist besser als ihr Ruf. Ich appelliere an die Arbeitgeber, ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung nachzukommen und verstärkt wieder freie Stellen für inländische Arbeitskräfte zu melden. Dass wir natürlich den Antrag der FDP ablehnen, ist völlig klar. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht jetzt Kirsten Tackmann für Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Das Problem Saisonarbeit ist Teil eines sehr zentralen Themas: Wir brauchen dringend Arbeitsplätze in den Dörfern, und zwar existenzsichernde. Wenn wir alles so weiterlaufen lassen, dann stehen wir zunächst in Ostdeutschland, aber später auch woanders vor der ernsthaften Frage: Wollen wir uns damit abfinden, dass Dörfer aufgegeben werden? Die reale Abwanderung von jungen Frauen war ja gerade Thema. Meine These ist: Sie wandern nicht nur der Arbeit hinterher. Sie gehen auch, weil der Abbau der sozialen und kulturellen Infrastruktur ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht mehr ermöglicht. Zu dieser Debatte gehört ein weiterer Trend: die steigende Zahl nur noch saisonal verfügbarer Arbeitsplätze in den Dörfern. Wollen wir die Dörfer erhalten, muss die Arbeit so organisiert werden, dass sie zur Existenzsicherung in der Region beitragen kann. ({0}) Das gilt auch und besonders für die Arbeitsplätze in der Ernte von Sonderkulturen. Für uns Linke ist die Grundforderung klar: Von Arbeit muss man leben können. ({1}) Das ist leider nicht selbstverständlich. Im Mai 2007 berichtete die Bundesagentur für Arbeit, dass mindestens 500 000 Menschen in diesem Lande trotz Arbeit ALG II beziehen. Wohin es führt, wenn man die Verhandlungen über den Preis der Arbeitskraft dem Markt überlässt, zeigt der Fall aus Donauwörth, über den gerade meine Kollegin Drobinski-Weiß berichtet hat. 118 Rumänen wurden für 1 Euro pro Stunde unter unwürdigen Bedingungen zur Ernte eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts des Menschenhandels zur Ausbeutung von Arbeitskräften. Sicher, das ist ein Extrembeispiel. Aber auch 3,80 oder 6 Euro sind angesichts der Schwere dieser Arbeit und der Kurzzeitigkeit des Verdienstes kein fairer und schon gar kein existenzsichernder Lohn. ({2}) Die Hauptfaktoren für das Fehlen der Saisonarbeitskräfte sind aus unserer Sicht erstens die geringen Löhne und zweitens die schweren Arbeitsbedingungen. Daher bleibt für Die Linke die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, und zwar in allen Bereichen der Landwirtschaft. ({3}) Gestern konnten wir erfahren, dass bei den Milchbauern sogar bei Familienbetrieben der nicht faire Milchpreis zur Selbstausbeutung führt. ({4}) Die Linke fordert außerdem Überlegungen zur Verstetigung von saisonaler Arbeit. Auch Saisonarbeitskräfte brauchen schließlich eine soziale Absicherung. Wir haben dazu einen Antrag vorgelegt, der die sehr guten Erfahrungen mit Arbeitgeberzusammenschlüssen in Frankreich aufgreift. Darüber sollten wir nach der Sommerpause dringend reden. Zum Antrag der FDP. Inzwischen ist doch völlig klar, dass nicht die 10 Prozent einheimischen Arbeitskräfte, die für die Saisonarbeit eingestellt werden müssen, schuld sind, wenn die Ernte nicht eingeholt werden kann. Viele Betriebe in Brandenburg, die mit 100 Prozent Einheimischen die Ernte in die Scheuer fahren, zeigen doch, dass das geht. Das Problem ist: Die zugelassenen 90 Prozent Erntehelfer aus der EU kommen nur noch begrenzt, weil die Löhne zu niedrig sind. Jetzt die Lohndumpingkarawane weiterziehen zu lassen, ist aus unserer Sicht völlig absurd. Wir Linken fragen außerdem: Mit welchem Recht sollten für ukrainische oder rumänische Saisonarbeitkräfte andere Bedingungen gelten als für unsere eigenen? ({5}) Die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt hat gerade ein Zertifizierungssystem für faire Saisonarbeit erarbeitet. Das halten wir für den richtigen Weg. Selbst der hessische Bauernverband gesteht ein, dass es wohl mittelfristig darauf hinauslaufen wird, dass die Löhne steigen müssen. Die Linke teilt die Forderungen aus dem Antrag der Grünen: Wir brauchen ein Anreizsystem, eine faire Entlohnung, faire Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen, eine Verbesserung der Vermittlung von Saisonarbeitskräften und eine koordinierte, bedarfsgerechte Ausund Weiterbildung. Die Linke spricht sich klar für eine branchenübergreifende Vernetzung saisonaler Arbeitsmöglichkeiten in den Dörfern aus, vom Forstbetrieb über Gartenbau und Landwirtschaft bis zum Hotel oder zu Kfz-Werkstätten. Dazu können die vorgeschlagenen grünen Agenturen durchaus beitragen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nach der Sommerpause dringend über Arbeitgeberzusammenschlüsse reden! Das ist sicherlich der bessere Weg. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Brigitte Pothmer spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anders als die FDP-Fraktion und - wenn ich mir die Rede von Frau Mortler noch einmal in Erinnerung rufe - ganz offensichtlich auch anders als die CDU/CSU-Fraktion halten wir das Ziel, deutsche Arbeitslose auch für die Erntearbeit zu gewinnen, im Prinzip für richtig. ({0}) Wir glauben allerdings, dass die Wege, die von der Großen Koalition und von dieser Regierung eingeschlagen worden sind, letztlich ungeeignet sind. Diesen Versuch gab es ja immer wieder einmal, in den vergangenen Jahren. Ich finde es eigentlich schade, dass Sie aus den Erfahrungen vergangener Versuche so wenig gelernt haben. Auch landwirtschaftliche Betriebe sind zum Teil hochtechnisiert und müssen sehr effektiv arbeiten, weil sie sonst ihre wirtschaftliche Grundlage gefährden. Aus diesem Grund brauchen sie wie jeder andere Betrieb motivierte und qualifizierte Beschäftigte. Deswegen glaube ich, dass eine Sonderregelung für landwirtschaftliche Betriebe in der Sache nicht richtig ist. Auch wenn ich hier nicht alle Schlagzeilen, die es gegeben hat - zum Beispiel „Spargel verfault auf den Feldern“, „Erdbeeren werden nicht abgeerntet“ -, wiedergeben will, lässt sich aber doch nicht bestreiten, dass die derzeitige Regelung nicht wirklich funktioniert und dass es immer wieder zu erheblichen Problemen kommt. Das können auch Sie nicht bestreiten. Es ist sogar durch den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundeslandwirtschaftsminister Gerd Müller - wenn Sie so wollen: regierungsamtlich - festgestellt worden. Frau Mortler hat dies im Grunde hier bestätigt. Weil wir uns in dem Ziel einig sind und es im Prinzip richtig finden, was Sie da versuchen, haben wir Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, der aufzeigt, wie mit grünen Agenturen andere Wege beschritten werden können. Die grünen Agenturen greifen die Erfahrungen der Regionen auf, in denen das Konzept erfolgreich gewesen ist. Deswegen kann ich nicht verstehen, dass Sie dieses Konzept ablehnen und nicht übernehmen wollen. Nach meinem Eindruck gehen Ihre Argumente hier nicht sehr tief; weil dieses Konzept leider den Oppositionsmakel hat, lehnen Sie es reflexartig ab. Das ist für die Sache allerdings sehr schlecht. ({1}) Die Probleme, die die Landwirtschaft mit den Erntehelfern hat, werden wirklich regierungsamtlich herbeigeführt. Erstens nutzen Sie unzureichend die vorhandenen Chancen, auch deutsche Arbeitnehmer in diesen Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen dort eine Perspektive zu geben. Zweitens liegt die Ursache des Problems - dies wird jetzt immer deutlicher -, das wir insbesondere mit den polnischen Saisonarbeiterinnen und -arbeitern haben, in den Restriktionen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland. In dieser Branche werden dringend Mindestlöhne gebraucht; ({2}) ebenso dringend notwendig ist die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Wir müssen doch einmal begreifen, dass wir in Deutschland keine Angst davor haben müssen, dass wir von Arbeitskräften aus osteuropäischen Ländern überschwemmt werden. ({3}) Künftig werden wir nicht nur bei qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eher vor der Situation stehen, dass wir die Konkurrenz mit anderen europäischen Ländern um diese Arbeitsplätze positiv bestehen müssen. ({4}) Angesichts dessen muss die Eckpunktevereinbarung weg. Es muss ein Mindestlohn her, und es muss eine Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes geben. Wenn selbst das Landvolk Sie dazu schon auffordert, dann können Sie Ihre Ohren nicht länger davor verschließen. Ich danke Ihnen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Hennrich hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der kalendarische Sommeranfang. In drei Tagen wird der Abschluss der Spargelernte sein, auch die Erdbeeren sind weitestgehend geerntet, und die Grünen und die FDP kommen passend mit einem Antrag, der angeblich das Ziel verfolgt, den Landwirten bei der Ernteeinbringung zu helfen. ({0}) Es sind Anträge, die wir im vergangenen Jahr schon behandelt haben ({1}) und die mit einer Mehrheit von 80 bzw. 90 Prozent abgelehnt wurden. ({2}) Ich will nicht die Augen vor den Problemen der Landwirtschaft verschließen. Wir alle haben die Berichte über faulende Erdbeeren und nicht eingebrachte SpargelMichael Hennrich ernten verfolgen können. Die „FAZ“ hat in dieser Woche getitelt: „Getrübtes Spargelidyll“. ({3}) - Das glaube ich teilweise schon. - Wir haben diverse Fernsehsendungen dazu gesehen. Aber dies waren Einzelfälle, aus denen pauschale Verallgemeinerungen gemacht wurden. Nach meiner Überzeugung stellt sich die Situation differenzierter dar. Es hat viele Fälle gegeben, in denen die Einbringung der Ernte gut geklappt hat; dies war leider Gottes keiner Berichterstattung wert. In Niedersachsen haben polnische Saisonarbeitskräfte in der Tat gefehlt. Ich räume ein, dass es auch Probleme bei der Integration inländischer Arbeitskräfte bei der Erntehilfe gibt. Einen Aspekt aber haben Sie alle bei der Diskussion vollkommen unberücksichtigt gelassen: Wir hatten ein gutes Erntejahr. Auch dies wäre einer Erwähnung wert gewesen. ({4}) Am Montag fand eine Tagung zum Thema „Arbeitskräfte in Europa“ statt. Die FDP und die Grünen haben gefehlt. Es hätte ihnen gut getan, an dieser Tagung teilzunehmen; dann hätten sie nämlich ein wenig hinzugelernt. ({5}) Vertreter aus Polen, Dänemark und Österreich waren anwesend. Sie haben uns die Situation in ihren Ländern geschildert: In Dänemark und Österreich herrscht ein Fachkräftemangel, aber auch ein Mangel an geringqualifizierten Kräften. In der Folge werden Löhne von bis zu 10 Euro gezahlt. Es ist natürlich bei Stundenlöhnen von 5,50 Euro oder 6 Euro hier bei uns relativ schwierig, damit zu konkurrieren. Dafür brauchen wir keinen Mindestlohn. Da vertraue ich auf den Markt; der Markt wird das regulieren. ({6}) In Polen ist die Konjunktur gut und die Arbeitslosenquote rückläufig. Viele polnische Arbeitskräfte haben schlicht und ergreifend keine Motivation, als Saisonarbeiter tätig zu sein. Das hat zu den Problemen, die Sie geschildert haben, geführt. Ich bin bereit, darüber nachzudenken, was neu geregelt werden muss. Brauchen wir mehr Flexibilisierung? Ich will Sie daran erinnern, dass die Europäische Union im Herbst vier Richtlinien zum Thema Arbeitsmigration erlassen wird. Das Thema der zirkulären Migration, der Saisonarbeitskräfte, wird dabei unter anderem eine Rolle spielen. Ich bin strikt gegen nationale Alleingänge. Wir sollten auf die Regelungskompetenz und die Regelungsfähigkeit der Europäischen Union vertrauen. Alle Arbeitskräfte aus Osteuropa, die wir hier einsetzen, fehlen in den Herkunftsländern. Das sollten vor allem die Grünen bedenken. ({7}) Ich glaube nicht, dass es eine Lösung wäre, Arbeitskräfte aus der Ukraine und Rumänien einzusetzen. Wer 3,7 Millionen Arbeitslose hat, sollte die Erntehelfer aus diesem Arbeitskräftereservoir schöpfen. ({8}) Es gibt genug erfolgreiche Modelle. Ich erinnere an die Kooperation von Eberswalde mit Darmstadt - aus Brandenburg wurden 200 Saisonarbeiter nach Südhessen vermittelt - und an die Modelle der Arbeitnehmerüberlassung in Germersheim. Wir brauchen keine zusätzlichen grünen Agenturen. Es reicht, dass die Grünen im Deutschen Bundestag vertreten sind. Wenn alle Beteiligten den Willen haben, im Sinne von Best Practice aus guten Beispielen zu lernen, wenn vernünftige Löhne gezahlt werden und der Arbeit der Erntehelfer Wertschätzung entgegengebracht wird, werden wir auch im nächsten Jahr einen guten Schritt vorankommen. Ich glaube, unser Modell funktioniert. Der Vorschlag der FDP, die in Bezug auf Saisonarbeiter bestehende Quote aufzuheben, läuft meines Erachtens, da sie nicht einmal ausgeschöpft wird, vollkommen ins Leere. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der letzte Spargel - Herr Hennrich hat es gesagt - ist fast gegessen. Der Antrag der FDP passt zur Kritik in den Medien an der Eckpunkteregelung, die angeblich verhindert, dass die deutschen Bauern nicht genügend ausländische Saisonarbeitskräfte rekrutieren können. Frau Mortler hat von einem gnadenlosen Markt gesprochen. Frau Mortler, lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir ihn - als Sozialpolitiker sehe ich das jedenfalls so - zu einem fairen Markt entwickeln können. Herr Dr. Geisen, bei Ihrer Rede fiel mir eine Schmonzette von Robert Gernhardt ein, der einmal sinngemäß festgestellt hat: „Früher war alles besser“, sagte der Großgrundbesitzer, als seine Flinte den Bauern verfehlte. ({0}) Hier sind schon einige Beispiele und gute Modelle genannt worden. Ich erinnere an die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Bauernverbänden, zum Beispiel den Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband, bei dem ich öfter zu Besuch bin. Auch ich habe die Spargel- und Erdbeerbauern in diesem Jahr besucht, weil ich gerne ernte. ({1}) - Ich habe überhaupt nichts gegen die Bauern. Aber ich habe etwas gegen Bauern, die nicht begreifen, dass sie sich im Zuge der Globalisierung vielleicht einmal mit denen zusammensetzen sollten, die für faire Arbeitsbedingungen, für faire Märkte, für faire Verbraucherpreise und insgesamt für soziale Mindeststandards kämpfen, ({2}) damit wir nicht auf die Ärmsten der Armen zurückgreifen müssen, die bereit sind, die härteste Arbeit zu niedrigsten Löhnen zu machen. ({3}) Es wird nicht nur klar, dass der Antrag der FDP auf die zu fällende Entscheidung über eine mögliche Änderung der Eckpunkteregelung zielt. Auch Ihr Welt- und Menschenbild wird hier deutlich: eine Welt mit einigen Besserverdienenden und vielen herumwandernden Arbeitern, die bereit sind, zu niedrigsten Löhnen und zu sozialen Mindeststandards, die man nicht mehr menschenwürdig nennen kann, jede Arbeit anzunehmen, wenn sie gebraucht werden. ({4}) Das ist aber nicht unsere Vorstellung von einem fairen Markt. ({5}) Sie behaupten, der Spargel sei auf den Feldern verrottet. Es gibt in der Tat in Einzelfällen Probleme; darüber will ich nicht hinwegreden. Aber Ihre Behauptung entspricht nicht den Zahlen, die uns von der BA geliefert und von den Arbeitgeberverbänden bestätigt werden. In diesem Jahr sind annähernd genauso viele ausländische Saisonarbeitskräfte gemeldet wie im letzten Jahr. Es gibt in der Tat weniger polnische Saisonarbeiter. Dafür gibt es mehr rumänische. Die Anmeldezahlen zeigen uns, dass es bis Ende dieses Jahres - jetzt wird ja noch nicht abgerechnet - zu einer fast 100-prozentigen Bedarfsdeckung kommt, auch deswegen, weil Härtefallregelungen und die Regelungen bei Betriebserweiterungen voll greifen. Außerdem sagt die BA: 33 500 Arbeitssuchende stehen zur Verfügung. ({6}) Diese wollen die Arbeit machen. Sie sind nicht unqualifiziert oder unwillig. Sie wollen auch zu Löhnen arbeiten, die nicht über der Leistungsgrenze des ALG II liegen. Es gibt das Modell des Landesbauernverbandes Schleswig-Holstein mit den Argen, in dessen Rahmen mit Landesunterstützung wesentlich mehr deutsche, mehr inländische Arbeitssuchende für einen Stundenlohn von 7,50 Euro eingestellt werden. Natürlich brauchten wir mehr solcher guten Projekte in den Argen; ich habe einige Beispiele genannt. Deswegen halte ich die grünen Sonderagenturen in diesem Bereich für überflüssig. Es kommt darauf an, dass wir die konkrete Aktivierung der Langzeitarbeitslosen vor Ort verbessern und sie qualifizieren. Die Bauernverbände im Kreis Unna zum Beispiel sind selbstverständlich mit im Boot und im Beirat der Arge vertreten. Aber es geht natürlich auch um Mindestlöhne. ({7}) Dies ist hier mehrmals angesprochen worden. Dass weniger polnische Saisonarbeitskräfte zu uns kommen - die Bauernverbände sprechen von 30 Prozent -, liegt schlicht daran, dass sie in Großbritannien mehr verdienen - knapp 8 Euro ({8}) und dass in Polen die Löhne steigen. Wer diese Realität nicht anerkennen will, immer noch der Meinung ist, dass wir in Deutschland keine Mindestlöhne brauchen, und denkt, das alles mache schon der Staat, während die Arbeitgeber die sozialen Mindeststandards weiter senken könnten, ist auf dem Holzweg. ({9}) Das wollte ich Ihnen einmal sagen. Wir lehnen Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Eckpunktevereinbarung zum Einsatz von Ernte- helfern in der Landwirtschaft grundlegend überarbeiten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5170, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2685 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition, des Bündnisses 90/Die Grü- nen und der Linken gegen die Stimmen der FDP ange- nommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen mit dem Titel „Qualifizierung statt Quoten - Vermittlungsagenturen für landwirtschaftliche und an- dere grüne Berufe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3376, den An- trag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2991 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Be- schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stimmen des Bündnisses 90/ Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Verbesserung der Qualifizierung und Beschäftigungschancen von jüngeren Menschen mit Vermittlungshemmnissen - Drucksache 16/5714 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Verbesserung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen - Drucksache 16/5715 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Es ist verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu debattieren. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Aufruf dieser Tagesordnungspunkte hat deutlich gemacht: Beide Gesetzentwürfe benötigen schlüssige Titel. Es hat lange gedauert, bis klar war, worüber wir jetzt überhaupt reden. Ich fasse es wie folgt zusammen: Wir diskutieren über eine Perspektive Arbeit. Darum geht es. Das ist die kürzeste Formel für beide Gesetzentwürfe, die wir heute in erster Lesung beraten. Ein Aufschwung - das wissen wir - ist etwas Wunderbares. Noch schöner ist er, wenn Mann und Frau davon profitieren. ({0}) Ich stelle fest: Der Aufschwung in unserem Land ist kräftig, die Wirtschaft brummt, und die Auftragsbücher sind voll. Es gibt sogar sichtbare Lücken beim Arbeitskräfteangebot. Eine besonders gute Nachricht ist: Der Aufschwung ist stabil. Er ist kein Strohfeuer und keine Eintagsfliege, sondern er ist nachhaltig. Deshalb fragen sich vielleicht einige von Ihnen: Warum brauchen wir dann überhaupt noch eine Perspektive Arbeit als steuerfinanziertes Arbeitsmarktinstrument? Regierung und Koalition sagen: Wir wollen dieses Instrument; denn es ist notwendig. Wir möchten, dass der Startschuss am 1. Oktober dieses Jahres fällt. Wir wissen, dass bestimmte Zielgruppen Starthilfe brauchen, um in Beschäftigung zu kommen, insbesondere junge Menschen. Das wurde auch in der bildungspolitischen Debatte, die wir heute Vormittag geführt haben, deutlich. Die jungen Leute liegen uns besonders am Herzen. Für sie, die U 25, schaffen wir zwei neue Förderinstrumente und verstetigen ein bereits sehr erfolgreiches Instrument, das EQJ-Programm; damit sind weitere Regelungen verbunden. In gleichem Maße engagiert sich die Koalition für die Ü 25 - so sagt man das heute -, für jene, die arbeitsmarktfern sind und deren Vermittlung an mehr als nur einem Hindernis scheitert. Auch dieser Gruppe wollen wir die Option auf einen Arbeitsplatz eröffnen. Lassen Sie mich zunächst auf das eingehen, was jungen Menschen dabei helfen soll, den Start ins Arbeitsleben erfolgreich zu meistern. Bei beiden Vorhaben handelt es sich um Arbeitgeberzuschüsse, die im SGB III vorgesehen sind, beide sehen eine Förderung für die Dauer von bis zu zwölf Monaten vor, und beide sind jenen Jugendlichen vorbehalten, die seit mindestens sechs Monaten - leider erfolglos - eine Arbeitsstelle suchen. Der Unterschied zwischen den Vorhaben besteht darin, dass das eine Instrument jenen helfen soll, die ohne Berufsausbildung starten. Deshalb ist es naheliegend, dass wir die Auflage machen, dass ein bestimmter Anteil der Zuschüsse, nämlich 15 Prozent, der Qualifizierung dienen muss. ({1}) Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, kann ein Zuschuss von bis zu 500 Euro pro Monat gewährt werden. Ein paar Zahlen zur Zielgruppe - damit niemand denkt, es handele sich um wenige Versprengte -: Wir gehen davon aus, dass zurzeit knapp 100 000 Jugendliche länger als sechs Monate arbeitslos sind. Circa 60 Prozent von ihnen verfügen nicht über einen Berufsabschluss. Dieses Vorhaben ist das richtige Angebot, diese jungen Menschen zu erreichen. Das zweite Förderinstrument richtet sich an die übrigen 40 Prozent, an jene, die bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen, den Start ins Berufsleben aber noch nicht geschafft haben. Auch sie brauchen Unterstützung, um den Berufseinstieg zu schaffen. Hier ist die Förderkulisse nicht ganz so üppig. Dennoch ist auch in diesem Bereich eine Förderung notwendig. Denn wir sind der Meinung, dass ein guter Start ins Arbeitsleben die beste Hilfe ist, die wir jungen Menschen überhaupt geben können. Deshalb sage ich: Beide Vorhaben sind kluge Investitionen. Das ist die richtige Verwendung der Gelder. Beide Maßnahmen sind bis zum Jahre 2010 angelegt. Starten sollen sie - das sagte ich schon - am 1. Oktober dieses Jahres. Auch das EQJ-Programm - ich sprach es an; es ist ein Erfolgsprogramm - wird mit diesem Gesetzesvorhaben verstetigt. Sie alle wissen: Wir haben es seit 2006 auf 40 000 Plätze aufgestockt. Wir wollen, dass dieses Programm dauerhaft guten Dienst leistet. Die Begleitforschung hat nämlich ergeben, dass es Sinn macht: Zwei Drittel der EQJ-Teilnehmer haben die Chance zu einer Ausbildung und bekommen damit die berufliche Perspektive, die wir allen jungen Menschen wünschen. ({2}) Im Übrigen räume ich mit dem Vorurteil auf, die EQJ verdränge Ausbildungsplätze. Das Gegenteil ist der Fall: Es wurden sogar neue geschaffen. Meines Erachtens haben wir jetzt hinreichend über die unter 25-Jährigen gesprochen. Wir haben auch ein Vorhaben, das die Älteren betrifft, und zwar den harten Kern der Langzeitarbeitslosen, dem wir besondere Hilfe bieten wollen. Das haben wir in unserer Koalitionsvereinbarung so niedergelegt, und jetzt wollen wir zur Tat schreiten. Wir haben in der AG „Arbeitsmarkt“ des Ministeriums für Arbeit und Soziales intensiv gearbeitet. Die SPD-Fraktion hat an ihrem Ansatz „Jobperspektive“ gefeilt. Heute bringen wir den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen von Langzeitarbeitslosen ein. „Was ist das Besondere an diesem Ü-25-Angebot?“, werden Sie fragen. Manche nennen es den sozialen Arbeitsmarkt. Ich meine, der Name ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass dieser Personenkreis einen neuen Zugang bekommt und ihm eine angemessene und zielführende Förderung zuteilwird. Stellen Sie sich einmal gemeinsam mit mir die viel zu große Gruppe der Menschen vor, die Arbeitslosengeld II beziehen. Betrachten Sie dabei nicht den erheblichen Teil der Aufstocker, also jene, die von ihrem Arbeitslohn nicht leben können. Dann bleiben immer noch viele. Diese Gruppe ist allerdings nicht statisch und sie ist auch nicht homogen. Denn viele kommen neu hinzu, während andere ausscheiden. Dennoch bleibt ein bestimmter Personenkreis über lange Zeit fest im Bezug von Arbeitslosengeld II. Was sind die Merkmale dieses Personenkreises? Diese Personen sind älter als 25. Sie sind zwar erwerbsfähig, aber arbeitsmarktfern, also lange arbeitslos, und sie haben oftmals schwere, in der Person liegende Vermittlungshemmnisse. Zudem haben zurückliegende Aktivierungen - so schränken wir das ein - nicht zu einem Eingliederungserfolg geführt. Das heißt, diese Personen haben Maßnahmen bekommen; dennoch hat nicht geklappt, was wir ihnen wünschen, nämlich Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zu finden. Hinzu kommt, dass wir im Hinblick auf den Personenkreis, den wir ins Auge fassen und der all diese Merkmale mitbringt, leider sagen müssen: Die Prognose, in den nächsten 24 Monaten in Arbeit zu kommen, ist negativ. Was haben wir in der Vergangenheit mit diesen Personen gemacht? Sie haben eine Maßnahme nach der anderen bekommen, unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit. Das ist kein gut angelegtes Geld, und das ist für die Betroffenen keine gute Entwicklung. Wir wollen mit der Beschäftigungsperspektive, die wir heute auf den Weg bringen, einen neuen Zugang wählen. Wir sagen: Für diese Personengruppe, die weitaus mehr als 100 000 umfasst, muss es ein Instrument geben, das eine langfristiger Förderung ermöglicht. Ich glaube, darüber besteht in diesem Hause Konsens. Wir haben uns im Vorfeld dieses Gesetzgebungsverfahrens intensiv mit Experten aus der Praxis beraten. Wir haben wichtige Impulse aus den Integrationsbetrieben bekommen, Anregungen aus dem Bereich der sozialen Betriebe aufgenommen und kommunale Vertreter konsultiert. Sie alle haben uns zu diesem Schritt ermutigt. Wir stellen fest: Die Richtung stimmt. Wir wissen, dass dieser Weg steinig ist. Herr Staatssekretär, ich glaube der eine oder andere Kiesel muss noch beiseitegeräumt werden, damit das gesamte Projekt gelingt. Dennoch sind wir zuversichtlich. Tritt das Gesetz in Kraft, können wir in dieser Legislaturperiode bis zu 100 000 Menschen auf diesem Weg in Arbeit bringen - eine Perspektive, die sie ohne diese Maßnahme nicht hätten. Deswegen werbe ich dafür. Der Erfolg steht und fällt mit passgenauer Vermittlung vor Ort. Diese Möglichkeit sieht das Gesetz vor. Der Zuschuss fällt - so sage ich einmal - angemessen satt aus, weil wir wollen, dass viele Arbeitgeber die Chance nutzen, ihrem Engagement und ihrer Bereitschaft, diesem Personenkreis zu Arbeit zu verhelfen, Form zu geben. Wir wissen, dass diese Maßnahme Geld kostet. Wir sehen allerdings auch, dass dadurch an anderen Stellen gespart wird. Denn wir reden über sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, die den Sozialversicherungen Einnahmen bringen. Ich will schließen, weil meine Redezeit leider zu Ende ist. Ich hätte gerne noch mehr zu diesem Thema ausgeführt; aber eine wichtige Sache möchte ich noch formulieren: Mein Dank geht an das zuständige Ministerium. Ich weiß, dass wir in kürzester Zeit eine erhebliche fachliche und wirklich gute Zuarbeit erhalten haben. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich dafür. Engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben dazu beigetragen, dass wir, sofern wir guten Willens sind, diesen Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause verabschieden können. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Jörg Rohde für die FDP-Fraktion.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Lösekrug-Möller, zunächst zu Ihnen: Der Aufschwung, von dem Sie wieder einmal sprechen, geht im Wesentlichen an den Langzeitarbeitslosen vorbei. Das ist mit ein Grund dafür, warum wir heute hier stehen. Wir befassen uns mit den Sorgenkindern des Arbeitsmarktes, mit Menschen, denen die Türen zum Arbeitsmarkt aus den verschiedensten Gründen bisher verschlossen blieben. Die - gelegentlich auch vorgeschobenen - Gründe dafür sind vielfältig: keine ausreichende Schulbildung und Berufsqualifikation, Sprachprobleme, Krankheit, Behinderung, ein hohes Lebensalter und vieles mehr. Je schwerwiegender diese Vermittlungshemmnisse sind, umso intensiver, persönlicher und eben auch betriebsnäher muss die Betreuung dieser Arbeitsuchenden sein. So verwundert es nicht, dass sich Union und SPD mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wieder einmal den Liberalen annähern. ({0}) Schon seit Jahren predigen wir Ihnen von der Regierungskoalition und den Kolleginnen und Kollegen von noch weiter links, dass der Schlüssel zur Integration in den Arbeitsmarkt allein in der betrieblichen Ausbildung und Qualifizierung liegt. Außerbetriebliche Qualifizierungsmaßnahmen haben sich weitgehend als wirkungslos erwiesen. Sie schaden den Arbeitsuchenden oft mehr, als sie ihnen nützen. ({1}) Deswegen ist jeder Ansatz, durch den Arbeitsuchende mit der betrieblichen Praxis konfrontiert und dort gefördert und gefordert werden, ein Schritt in die richtige Richtung. ({2}) Vor allem den Gesetzentwurf zum SGB III müsste es aber nicht geben - und das ist entscheidend -, wenn nicht so viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss oder ohne eine ausreichende Qualifikation zur Aufnahme einer Berufsausbildung verlassen würden. Das SGB III ist nicht dafür da, die Versäumnisse der Bildungspolitik in Deutschland zu kompensieren. Es ist der falsche Weg, von Beitragszahlern aufgebrachte Mittel der Arbeitslosenversicherung für die Beseitigung schulischer Defizite auszugeben. Ich begrüße deshalb die geplante Befristung der Maßnahmen ausdrücklich; denn mittel- und langfristig müssen wir andere Wege finden, um die Qualifizierung Jugendlicher sicherzustellen. Unbenommen davon muss für diejenigen Jugendlichen, die die Schule bereits hinter sich und auf dem Arbeitsmarkt keinen Fuß gefasst haben, etwas getan werden. Zahlreiche Integrationsfachdienste sowie kommunale Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften beweisen tagtäglich, dass eine individuelle Betreuung und Unterstützung dieser schwer in Arbeit zu vermittelnden Klientel der einzig erfolgversprechende Weg in den Arbeitsmarkt ist. Die FDP wird deshalb nicht müde, immer wieder auf eine Kommunalisierung der Arbeitsvermittlung zu drängen. ({3}) Je direkter der Kontakt zwischen Arbeitsuchenden, Vermittlern und Arbeitgebern ist, umso eher lassen sich Hindernisse überwinden und Probleme lösen. Dies gilt besonders dann, wenn nach der Vermittlung das neue Arbeitsverhältnis vom Jobcenter oder von der zuständigen kommunalen Stelle begleitet werden muss. Deshalb schlagen beim Betrachten der vorliegenden Gesetzentwürfe zwei Herzen in meiner Brust. Als Vertreter einer Optionskommune freue ich mich über die neuen Instrumente. Ich weiß die Mittel beim Erlanger Integrationsfachdienst ACCESS und bei der GGFA, einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, in guten Händen. Zweifel habe ich jedoch, ob der Einsatz der Mittel auch bei den Arbeitsagenturen und Argen zu den gewünschten, positiven Effekten führt. Die FDP wird nicht nur deshalb die Vermittlungserfolge der Agenturen, Argen und Optionskommunen weiterhin kritisch begleiten. Lassen Sie mich noch einige Fragen zu Details der vorliegenden Gesetzentwürfe stellen. Die sozialpädagogische Begleitung der Jugendlichen unter 25 Jahren bleibt unklar. Welche sozialpädagogischen Maßnahmen liegen der Prognose von Kosten in Höhe von circa 200 Euro pro Person und Monat zugrunde? Wie soll sichergestellt werden, dass die sozialpädagogische Begleitung und die betriebliche Qualifizierung aufeinander abgestimmt sind und sinnvoll ineinandergreifen? Wünschenswert ist meines Erachtens eine Art regelmäßige Fallkonferenz unter Beteiligung des Jugendlichen, seines Jobvermittlers und des Arbeitgebers. Nur so kann sichergestellt werden, dass dem Grundsatz des Förderns und Forderns vollumfänglich Rechnung getragen wird. Zudem rege ich an, Anreize für eine Übernahme des Jugendlichen in ein reguläres Arbeitsverhältnis nach dem Auslaufen der Förderung zu schaffen. Es muss verhindert werden, dass Jugendliche nach Auslaufen der Förderung wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, zumal eine hinreichende Qualifizierung der Jugendlichen in vielen Unternehmen binnen zwölf Monaten neben einer eventuellen zusätzlichen sozialpädagogischen Begleitung kaum zu bewerkstelligen sein wird. Beim SGB II bereitet mir die Begrenzung der Förderung auf Arbeitsverhältnisse mit mindestens 50 Prozent bzw. möglichst sogar 100 Prozent der vollen Arbeitszeit Bauchschmerzen. Wer drei Stunden am Tag arbeiten kann, gilt in Deutschland als erwerbsfähig, selbst wenn nicht viel mehr als diese drei Stunden möglich ist. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird sogar explizit auf die im internationalen Vergleich niedrige Schwelle zur Erwerbsfähigkeit verwiesen und die Vermittlung deutlich leistungsgeminderter Erwerbsloser deshalb zur besonders großen Herausforderung erklärt. Für viele Arbeitslose mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen wird eine volle Stelle ohnehin kaum zu bewältigen sein. Der Mindestumfang von 50 Prozent der vollen Arbeitszeit sollte deshalb gestrichen werden. Nur so können viele behinderte und gesundheitlich eingeschränkte Arbeitslose mithilfe des Beschäftigungszuschusses und begleitender Qualifizierung wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Für beide Programme entscheidend ist schließlich die Frage, ob die zusätzlichen Mittel den Kommunen auch sofort zur Verfügung stehen oder erst vorfinanziert werden müssen. Denn viele kommunale Jobvermittlungen arbeiten schon jetzt am Rande ihrer finanziellen Möglichkeiten. Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Bei der Kostenabschätzung wurden die Optionskommunen wegen der fehlenden Datenbasis zum personellen Umfang der Zielgruppen nicht erfasst. Auf welcher Grundlage sollen den Optionskommunen die Mittel für die neuen Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden? Diese Fragen sollten bei der Anhörung zu diesen Gesetzentwürfen und spätestens bis zur zweiten und dritten Beratung noch geklärt werden. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe hat jetzt das Wort. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal meine Gratulation, Herr Kollege Rohde: Sie haben die Abwesenheit Ihres Kollegen Kolb genutzt, um sich ein Herz zu fassen und sich differenziert mit unseren Vorschlägen auseinanderzusetzen, ({0}) ganz im Gegensatz zu dem, was Ihre Fraktion sonst üblicherweise tut. Dazu gratuliere ich Ihnen, und dafür bin ich dankbar. Sie haben Erlangen angesprochen. Der Abgeordnete Stefan Müller ist in Erlangen direkt gewählt worden. Die CSU sorgt dafür, dass vor Ort eine ordentliche Politik gemacht wird. Wir sind dankbar, dass das anerkannt wird. ({1}) Wir haben zwei Gesetzentwürfe vorgelegt, mit denen wir das umsetzen, was wir in der Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ verabredet haben. Dabei geht es um jeweils beschränkte und sehr zielgruppenorientierte Modelle für Kombilöhne, das heißt um eine intelligente Kombination aus dem Einkommen, das jemand am Markt als Arbeitslohn erwirtschaften kann, und Transferelementen, die seitens des Staates dazukommen. Die Große Koalition setzt - angespornt von den bereits erzielten Erfolgen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - zielgenau bei einzelnen Gruppen an, um an diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt anzuknüpfen. Ich denke, damit sind wir auf einem guten Weg. ({2}) Wir haben vor allem zwei Zielgruppen im Blick; die Kollegin Lösekrug-Möller hat völlig zu Recht darauf hingewiesen. Wir wollen zusätzlich zu dem, was wir bisher getan haben, gezielt etwas für Jugendliche tun, weil es extrem wichtig ist, dass die jungen Menschen zu Beginn ihrer Berufsphase nicht als Erstes die Erfahrung machen, dass sie nicht gebraucht werden. Deswegen tun wir etwas dafür, dass junge Menschen in Arbeit kommen, indem sie - wenn sie noch keine Berufsausbildung haben - zunächst einmal qualifiziert werden. Dazu dient der Qualifizierungszuschuss. Der Eingliederungszuschuss ist ein zielgenaues Instrument für diejenigen, die zwar eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, aber trotzdem arbeitslos werden. Wir alle werden gelegentlich eingeladen, wenn die Kammern die Besten auszeichnen, die eine Ausbildung abgeschlossen haben. Wie jeder weiß, gibt es nicht nur die Besten, sondern auch andere. Viele Unternehmen folgen dem Appell der Politik, über den Bedarf hinaus auszubilden, und übernehmen deshalb nicht alle. Noch immer gehen viele Firmen pleite. Es sind weniger als früher, aber immer noch so viele, dass junge Menschen nach der Ausbildung zum Teil völlig ohne eigenes Zutun auf der Straße stehen. Auch an sie müssen wir denken und uns darum bemühen, dass sie wieder in Arbeit kommen. Häufig reicht ein Anschub über eine begrenzte Zeit. Deswegen ist dieses Instrument befristet. Aber wir sagen den jungen Menschen damit: Wir lassen euch nicht im Regen stehen. Wir helfen euch mit einer passgenauen Förderung, damit ihr eine Ausbildung abschließen könnt, wenn ihr das noch nicht getan habt, damit ihr wieder in Arbeit kommt. ({3}) Das ist das Ziel, das wir mit diesem Gesetz verfolgen. Das EQJ-Programm wird in das Arbeitsförderungsrecht aufgenommen. Damit lösen wir die im Rahmen des bis zum Jahr 2010 verlängerten Ausbildungspakts gemachte Zusage ein, für die kommenden drei Jahre die Förderung von jeweils 40 000 Plätzen sicherzustellen. Mit diesem Gesetz ermöglichen wir auch die sozialpädagogische Begleitung und organisatorische Unterstützung bei betrieblicher Berufsausbildung und Berufsausbildungsvorbereitung. Das ist ebenfalls ein wichtiges Element. Von daher bieten wir jungen Menschen unter 25 Jahren eine Perspektive, in Arbeit zu kommen. Wir wissen, dass wir auf diesem Gebiet Erfolge vorzuweisen haben. Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen ist innerhalb eines Jahres um fast 25 Prozent zurückgegangen, deutlich stärker als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Das macht uns Mut, an diesem Thema dranzubleiben und etwas für die zu tun, die noch unversorgt sind. ({4}) Ich will nun etwas zum zweiten Gesetzentwurf sagen, in dem es um die Verbesserung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen geht, wie es im Gesetzentwurf heißt. Die Menschen mit besonders großen Vermittlungshemmnissen bezeichnet man gelegentlich auch als besonders arbeitsmarktfern. Wir von CDU/CSU und SPD haben uns schon im Koalitionsvertrag dazu bekannt: Auch ein noch so nachhaltiger und starker wirtschaftlicher Aufschwung wird nicht dazu führen, dass der Markt automatisch alle Menschen in Beschäftigung bringt. - Wir sind froh, dass wir diesen nachhaltigen und starken wirtschaftlichen Aufschwung haben. Uns ist aber klar, dass wir die Hände nicht in den Schoß legen können. Es gibt Hunderttausende von Arbeitslosen, die ohne zusätzliche Maßnahmen nicht in Beschäftigung gebracht werden können; das sage ich nicht nur für meine Fraktion. Für uns ist das nicht nur ein Akt der Arbeitsmarktpolitik, sondern leitet sich aus unserem christlichen Menschenbild ab. Wir können die Menschen, die sich nicht selbst helfen können, nicht am Wegesrand stehen lassen. Deswegen freue ich mich, dass wir dies haben gemeinsam vereinbaren können. ({5}) Wir wollen Menschen, die besonders arbeitsmarktfern sind, in den Arbeitsmarkt integrieren und dafür mehr Mittel in die Hand nehmen als bei anderen arbeitmarktpolitischen Instrumenten. ({6}) Die bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung der Regelungen des Sozialgesetzbuches II zeigen, dass es im Verantwortungsbereich der Arbeitsgemeinschaften, der Agenturen für Arbeit und bei getrennter Aufgabenwahrnehmung auch bei den zugelassenen kommunalen Trägern eine nennenswerte Zahl von Menschen gibt, für die die bisherigen Instrumente nicht ausreichen. Diese Menschen sind überall im Land anzutreffen, auch in den Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit ansonsten sehr niedrig ist. Wir finden eine solche besondere Arbeitsmarktferne in vielen Teilen des Landes. Deswegen machen wir das Angebot, überall im Land Menschen auf diese Weise in Arbeit zu bringen. Wir wissen, dass das viel Verantwortung vor Ort erfordert. Wir können nicht von Berlin aus zentralistisch sagen: Das sind diejenigen, welche! ({7}) Wir wollen ein Programm für insgesamt 100 000 Menschen auflegen. Es wird darum gehen, dass vor Ort geprüft wird, ob es andere Möglichkeiten gibt, diese Menschen innerhalb der nächsten 24 Monate in Beschäftigung zu bringen. Wenn dies nach menschlichem Ermessen nicht zu erwarten ist, werden wir bis zu 75 Prozent der Kosten tragen, damit die Menschen in Beschäftigung kommen. Dieses Instrument setzt verantwortungsvolle Entscheidungen vor Ort voraus. Das wird immer eingefordert, und genau das setzen wir mit diesem Instrument um. Wir werden damit nicht alle Probleme in diesem Bereich beseitigen können; das ist völlig klar. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland geht zwar zurück; sie ist aber noch lange nicht bei null. Wir haben eine Akademikerarbeitslosigkeit. Diese werden wir auch weiterhin haben. Es wäre ja seltsam, wenn wir ausgerechnet bei den besonders schwer Vermittelbaren plötzlich zu einer Vollbeschäftigung von 100 Prozent kämen. Das werden wir nicht erreichen. Mit dieser Maßnahme können wir aber einer großen Zahl von Menschen eine Perspektive bieten. Deswegen bin ich dankbar, dass wir uns in der Großen Koalition darauf haben verständigen können. ({8}) Viele haben dazu beigetragen, dass wir diese Gesetzentwürfe heute in erster Lesung in die Beratung einbringen können. Frau Lösekrug-Möller hat völlig zu Recht den Beitrag des Ministeriums sowie der dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Gelingen hervorgehoben. Ich denke, wir können als Vertreter der Großen Koalition sagen, dass wir hier gut und völlig ohne ideologische Scheuklappen zusammengearbeitet und uns an den Bedürfnissen der Menschen orientiert haben. Mein besonderer Dank gilt den beiden, die dieses Thema federführend bearbeitet haben und mit dem von ihnen erarbeiteten Papier die Grundlage für die vorliegenden Gesetzentwürfe gelegt haben. Das sind der Kollege Klaus Brandner und unser ehemaliger Kollege Karl-Josef Laumann, nun nordrhein-westfälischer Arbeits- und Sozialminister. Die beiden haben die wesentlichen Vorarbeiten für die vorliegenden Gesetzentwürfe geleistet. Wir können feststellen: Obwohl Karl-Josef Laumann diesem Haus nicht mehr angehört, bewirkt er auch in seiner neuen Funktion Gutes für die Arbeitsmarktpolitik in ganz Deutschland, und das gemeinsam mit unserem Koalitionspartner. Dafür können wir dankbar sein. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen in den Ausschüssen. Wir sind für konstruktive Hinweise dankbar, wie wir diese Instrumente zielgenau ausgestalten können. Ich bin mir sicher, dass wir in zwei Wochen feststellen werden: Wir haben den Menschen, die Hilfe brauchen, neue Instrumente bereitgestellt. Ab Oktober wird diese Hilfe anlaufen. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Kornelia Möller von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rohde, Sie haben recht: CDU/CSU und SPD nähern sich mit den vorliegenden Gesetzentwürfen den Liberalen an. ({0}) Vermutlich haben Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und SPD, deshalb die beiden Gesetzentwürfe zu dieser späten Tageszeit in das Plenum eingebracht, quasi im Schutz der Dunkelheit. Wahrscheinlich haben Sie Angst um Ihre Glaubwürdigkeit. Das sollten Sie auch. Seit nunmehr neun Monaten blockieren Sie von der schwarz-roten Koalition unseren Antrag auf öffentlich finanzierte Beschäftigung. Sie verhindern also, dass 500 000 Menschen eine Perspektive bekommen. Nur weil Gewerkschaften, Sozialverbände, Arbeitsloseninitiativen, Die Linke und die Grünen Druck machen, müssen Sie trotz aller Aufschwungseuphorie die Langzeiterwerbslosigkeit zur Kenntnis nehmen. ({1}) Nun reagieren Sie von Schwarz-Rot. Aber Sie tun das Falsche. Gegenüber dem Rat der Sachverständigen bleiben Sie starrköpfig, zum Beispiel beim Zwang zur Arbeitsaufnahme und bei der Lohnhöhe. Bei fast 1,5 Millionen Langzeitarbeitslosen schaffen Sie es gerade, 100 000 Menschen eine Perspektive zu geben. Das sind noch nicht einmal 10 Prozent. Was sagen Sie den anderen, fast 1,4 Millionen langzeitarbeitslosen Frauen und Männer, denen, die am Sinn des Lebens zweifeln, und denen, die die Langzeitarbeitslosigkeit krank macht? Sie wenden sich von den Problemen der Menschen ab und versuchen stattdessen, mit beiden Gesetzentwürfen die Folgen schlechter Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu verschleiern, ohne die Ursachen auszuschalten. Die Ursachen für den in den letzten Jahren gewachsenen und verfestigten Sockel an Langzeiterwerbslosigkeit haben Sie von der CDU/CSU und Sie von der SPD - im Bund mit den Grünen - mit den Hartz-Gesetzen selbst geschaffen, ({2}) mit den Gesetzen, die nicht nur sozial unverantwortlich und volkswirtschaftlich dumm sind, sondern zumindest in Teilen auch nicht verfassungskonform. Auch der Scherbenhaufen bei der Ausbildung junger Leute, den Sie mit dem Festhalten am untauglichen Ausbildungspakt und dem Verzicht auf eine Ausbildungsplatzabgabe seit Jahren aufhäufen, ({3}) gehört in die Rubrik mangelnder Glaubwürdigkeit; denn der sogenannte Qualifizierungskombi für 50 000 junge Leute - so unterstützenswert jeder Fortschritt ist, jungen Menschen eine Zukunftsperspektive zu geben ({4}) - hören Sie weiter zu, Herr Tauss! - wird sich am Ende als ein Herumdoktern an Symptomen herausstellen. Dass Sie die wirklichen Krankheitsursachen kennen, aber nicht beseitigen wollen, beweisen Überlegungen über einen Bonus für auszubildende Betriebe. Aber das reicht angesichts einer Zahl von jährlich 300 000 Altbewerberinnen und Altbewerbern nicht. Vielmehr müssen diejenigen Unternehmen in die Pflicht genommen werden - Sie wissen das genau, Herr Stöckel -, die nicht ausbilden, obwohl sie wirtschaftlich dazu in der Lage sind. Dazu fordere ich Sie heute wieder auf. Hier können Sie Glaubwürdigkeit gewinnen. Ihre Vorhaben werden der Größe der gesellschaftlichen Probleme in keiner Weise gerecht. So gleicht das Ergebnis einer Alibiveranstaltung. Unter dem Strich bleiben Sie auch heute wieder in allen Formulierungen Ihrem Begründungsansatz treu, Langzeiterwerbslosigkeit auf individuelle Ursachen zu reduzieren. So ist es natürlich immer leicht, die gesellschaftlichen Ursachen und den Anteil der heutigen Koalitionsfraktionen daran zu vernebeln. Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie wirklich etwas Nachhaltiges gegen Langzeiterwerbslosigkeit tun wollen, müssen Sie an den Ursachen ansetzen. Kehren Sie Ihren arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Scherbenhaufen der Hartz-Gesetze auf, und fangen Sie neu an! ({5}) - Ja, weil Sie mich so freundlich anlächeln. Ich bin nämlich ein netter Mensch. - Wir von der Linken sind alle nette Menschen. Wir sind gerne bereit, Ihnen unsere Fachkompetenz zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zur Verfügung zu stellen. ({6}) Ich danke Ihnen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brauksiepe und Frau Lösekrug-Möller, wir sind uns, was die Analyse angeht, darin einig, dass Langzeitarbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose mit zusätzlichen Vermittlungshemmnissen, bis auf weiteres nicht vom Aufschwung profitieren werden und kaum Chancen haben werden, auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden. Ich bin mir nur nicht sicher - ich zweifle ernsthaft daran -, ob Sie mit dem vorgelegten Konzept Ihr Ziel erreichen. Herr Brauksiepe, im Übrigen handelt es sich bei dieser identifizierten Gruppe um circa 400 000 Personen, wie Sie überall nachlesen können. Auch das IAB hat jüngst diese Zahl genannt. Es geht also nicht um 100 000 Personen. ({0}) - Die Langzeitarbeitslosen und die Geringqualifizierten bilden wirklich keine homogene Gruppe. Aber die Größe der Gruppe, für die dieses Konzept vorgesehen wird, wird in Fachkreisen auf mindestens 400 000 Personen geschätzt. ({1}) Ich zweifle, wie gesagt, daran, ob Sie Ihr Ziel mit dem vorliegenden Konzept erreichen. Nehmen wir einmal die Begrenzung der Zuschüsse auf 75 Prozent. Frau Lösekrug-Möller hat gesagt, es komme darauf an, dass sehr schnell und sehr passgenau vor Ort vermittelt wird. Die gemeinnützigen Institutionen - auf die Gemeinnützigkeit legen Sie zu Recht Wert - werden größte Schwierigkeiten haben, die 25 Prozent Kofinanzierung aufzubringen. Das heißt, die Kofinanzierung muss über Ländermittel und über den ESF erfolgen. Das bedeutet einen riesigen bürokratischen Aufwand. Ich prognostiziere Ihnen, dass die Institutionen noch nicht einmal 100 000 Plätze anbieten. Mit dem Qualifizierungszuschuss für zwölf Monate verzichten Sie im Grunde genommen auf die Möglichkeit, dass diese Menschen tatsächlich qualifiziert werden, um dann aus dieser geschützten Beschäftigung heraus in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Sie wollen sozusagen nur die Eingliederung kurzfristig unterstützen. ({2}) - Haben Sie nicht zugehört? Es geht hier um Menschen und nicht um Spargel, Herr Brauksiepe. ({3}) Die psychosoziale Betreuung findet in Ihrem Konzept überhaupt nicht statt. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Ihren Finanzierungsvorschlägen machen. Ganz im Gegensatz zu dem, was Sie hier gesagt haben, nehmen Sie keinen Cent zusätzlich in die Hand. ({4}) Alles soll aus dem Integrationsbudget finanziert werden. Wenn Sie 100 000 Leute fördern wollen, dann kommen Sie auf eine Summe von 1,4 Milliarden Euro. Die Agenturen werden sich genau überlegen, ob sie ihr knappes, von Ihnen noch einmal um 1 Milliarde Euro gekürztes Integrationsbudget für diese teure Maßnahme verwenden werden. Wissen Sie, was der Treppenwitz der Geschichte ist? Sie wollen demnächst die Zuweisung der Mittel an die Anzahl der Langzeitarbeitslosen knüpfen. Die Leute, die in diesen Programmen sind, sind aber keine Arbeitslosen mehr. Das heißt, genau diejenigen, die sich in ihrem Programm besonders engagieren, geben viel Geld aus und kriegen hinterher noch weniger. Dass das kein Anreiz ist, werden sogar Sie verstehen. Ich sage Ihnen: Für die Agenturen ist es interessanter, weiterhin 1-Euro-Jobs anzubieten, als dieses Programm durchzuführen. Ich glaube, das wird auch die Anhörung zeigen. Es sind sehr detaillierte Kritikpunkte, die ich hier vorgetragen habe. Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Qualifizierung und Beschäftigungschancen von jüngeren Menschen mit Vermittlungshemmnissen sagen. EQJ kommt jetzt ins SGB III. Das Einzige, was Sie damit erreichen, ist die Verschiebung der Mittel, nämlich vom Bundeshaushalt in den Haushalt der BA. Ich finde das offen gesagt unanständig. Im Übrigen glaube ich auch, dass das EQJ-Programm kein zielgerichtetes Programm ist. Der Erfolg des EQJ-Programms beruht im Wesentlichen darauf, dass es die Zielgruppe, um die es geht, nicht erreicht. In den EQJ-Programmen sind im Wesentlichen Realschüler und Schüler mit noch besseren Abschlüssen. Von 2005 bis 2006 lag der Anteil der Hoch- und Fachhochschulabsolventen in diesem Programm bei 6,7 bzw. 7,5 Prozent. Jugendliche mit Realschulabschluss und Gymnasiasten sind in dem Programm. Deswegen ist dieses Programm unzureichend und wirklich nicht zielführend. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Pothmer, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muss jetzt leider zum Schluss kommen. Ich empfinde es übrigens als Unverschämtheit, dass Sie diese beiden Gesetzentwürfe in ein Beratungsverfahren von einer halben Stunde pressen. Eine Große Koalition hat viele Stimmen, aber deswegen noch keine Qualität. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/5714 und 16/5715 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Außerdem soll die Vorlage auf Drucksache 16/5715 an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kersten Naumann, Heidrun Bluhm, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Förderung der demokratischen Teilhabe und Stärkung des Petitionsrechts - Drucksache 16/2181 Es ist verabredet, auch hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Kersten Naumann für Die Linke das Wort. ({0})

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke hat im Juni 2006 eine Große Anfrage zur Stärkung des Petitionsrechts eingereicht. Die Bundesregierung will sich bis Oktober dieses Jahres, also 16 Monate, Zeit lassen, um diese zu beantworten. Auch wenn der Präsident, Herr Lammert, dabei von einem „singulären Ausnahmefall“ spricht, ändert das nichts an der unangemessen langen Bearbeitungszeit und beschleunigt das Verfahren nicht. Öffentlichkeit, Transparenz und Bürgernähe sollten der Normalfall des parlamentarischen Verfahrens im Petitionsausschuss werden. Obwohl das Bundesverfassungsgericht schon 1986 ausführte - ich zitiere -: „Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus“, sind wir von diesen Grundsäulen im Petitionsrecht noch weit entfernt. ({0}) Kaum eine parlamentarische Materie ist rechtlich so kompliziert gestaltet und steht auf so vielen Füßen wie das Petitionsrecht, und dieses soll dann noch für die Bürgerinnen und Bürger nützlich und durchschaubar sein. Schon vor 30 Jahren hat sich die SPD - damals in der Opposition - im Rahmen der ersten Enquete-Kommission für eine Verfassungsreform eingesetzt. Auf der Agenda standen mehr Bürgernähe, mehr Transparenz, mehr Kontrollmöglichkeiten und ein Selbstaufgriffsrecht. Keine Frage, diese Stichworte sind so aktuell wie nie zuvor. Aber auch der Wunsch von Frau Rita Süßmuth Anfang der 90er-Jahre nach öffentlichen Tagungen des Petitionsausschusses ist im Sande verlaufen. Meine Damen und Herren der Koalition, der Ball liegt jetzt bei Ihnen. Wie ein roter Faden ziehen sich bestimmte Probleme durch die Zeit, ohne dass sie jemals zu einer einvernehmlichen Lösung geführt worden sind. Dazu gehören auch die zersplitterten Regelungen zum Petitionsrecht, die einer Zusammenführung bzw. Überarbeitung bedürfen. Obwohl sich alle Fraktionen schon in der 14. Wahlperiode mit der Einbringung eines Petitionsgesetzes der PDS-Fraktion darauf verständigten - ich zitiere -, „in der nächsten Wahlperiode interfraktionell über mögliche Änderungen zum Petitionsrecht und -verfahren zu beraten, kam es mit Ausnahme der Internet- und öffentlichen Petitionen nicht dazu. Die Fraktion Die Linke möchte zu einer einheitlichen Regelung zum Petitionsrecht auf Bundesebene und zu einer vorwiegend öffentlichen Behandlung von Petitionen kommen. Wir haben dazu erst kürzlich eine Ausarbeitung vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages zur „Zusammenfassung des Petitionsrechts in einem neuen Gesetz“ erhalten. Darin wird festgestellt: Die Mehrheit der Bundesländer hat, um Rechtsklarheit zu erreichen, bereits seit längerem Petitionsgesetze auf Landesebene geschaffen. Während auf der einen Seite das Petitionsrecht als ausdrücklich wünschenswertes demokratisches und auch politisches Beteiligungsrecht stets gewürdigt wird, wird die Bedeutung, Ausübung und Effektivität dieses Rechts von Bundesregierung, Parlament und Medien unterschätzt und von Rechtswissenschaftlern bemängelt. Auch für den Petitionsausschuss gilt: Transparenz ist nur möglich, wo Öffentlichkeit herrscht. In der Regel herrscht aber die Meinung vor, dass die Interessen der Einreicher geschützt werden müssen. Allerdings sehen das die Petentinnen und Petenten selbst ganz anders. Erst kürzlich haben die Ergebnisse der Untersuchungen des TAB-Büros zum Modellversuch „öffentliche Petitionen“ ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Petentinnen und Petenten eine öffentliche Behandlung ihrer Anliegen wünschen. Der EU-Beauftragte, die nordischen Länder, Bremens Ombudsstelle und auch der Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags tagen öffentlich. Sie machen uns vor, dass es und wie es geht. Auf der einen Seite werden Petitionen von allen Fraktionen als spannende politische Erkenntnisquelle anerkannt und werden im Plenum harte Diskussionen zu Gesetzesvorlagen und Anträgen parteipolitisch geführt; wenn es auf der anderen Seite dazu Bürgeranliegen im Petitionsausschuss gibt, sollen sie im stillen Kämmerlein diskutiert werden. Das ist schon ein sehr eigenartiges Phänomen. Zum Jahresende ist zu erwarten, dass sich seit Beginn des Modellversuchs circa 1 Million Menschen allein an den öffentlichen Petitionen in der Mitzeichnung beteiligt haben werden. Hinzu kommt jährlich eine weitere halbe Million Bitten, Beschwerden und Anfragen. Von der vielzitierten Politikverdrossenheit lässt sich im Hinblick auf den Petitionsausschuss wahrlich nicht sprechen. Öffentlichkeit herzustellen, macht Demokratie für die Bürgerinnen und Bürger erlebbarer und wirkt gegen Politikverdrossenheit. Nicht zuletzt schafft es weitere Synergieeffekte für den Ausschuss, für den Ausschussdienst und für die Abgeordneten. Natürlich muss der Datenschutz für jeden Petenten, sofern er es wünscht, gewahrt sein; aber ein Argument gegen mehr Öffentlichkeit und Transparenz ist er nicht. ({1}) Überlegenswert ist eine Zusammenführung der Ausschusssitzungen, der öffentlichen Beratungen und der Berichterstattergespräche zu einer Veranstaltung, möglicherweise mit einem öffentlichen und einem nichtöffentlichen Teil, wie es auch die Fachausschüsse praktizieren. Natürlich ergeben sich hierbei technisch-organisatorische Fragen. Alle damit verbundenen Probleme sind aber diskutabel und lösbar, sofern der politische Wille da ist. Uns geht es darum, das Petitionssystem insgesamt effektiver, attraktiver, durchschaubarer und bürgerfreundlicher zu gestalten. Da dies nach eigenen Aussagen alle Fraktionen im Petitionsausschuss wollen, lade ich Sie ein, aktiv zu werden und dafür zu sorgen, den Ansprüchen an eine verbesserte Petitionsgesetzgebung gerecht zu werden. Danke schön. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht Günter Baumann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ersten beiden Sätze der Großen Anfrage der Fraktion Die Linke lauten: Demokratie lebt von dem Engagement und der tatsächlichen Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Nur wo sich Bürgerinnen und Bürger einbringen, wo sie mitreden und mitentscheiden können, kann eine Demokratie auf Dauer funktionieren. Diese Sätze kann man durchaus unterstreichen, weil sie richtig sind. Kollegin Naumann, leider sind es die einzigen beiden Sätze Ihrer Großen Anfrage, die ich unterstreichen kann. Alles andere, auch die 108 Einzelfragen, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Schon in der Einleitung werden Versuche unternommen, das Grundgesetz neu zu deuten und daraus gewagte Thesen abzuleiten. Danach ruhe die Demokratie auf mehreren Säulen. Eine davon sei das Recht der Bürgerinnen und Bürger, sich in die Gesetzgebung, in Gesetzesänderungen und in die Rechtsprechung aktiv einzuschalten und sie selbst mitzugestalten. Die Bürgerinnen und Bürger sollen also Gesetze mitgestalten. Bereits hier frage ich mich: Wissen Sie es wirklich nicht besser, oder beginnt schon hier Ihre für mich nicht nachvollziehbare Deutung unserer Demokratie? Noch kurioser ist Ihre daraus folgende Schlussfolgerung. Nach Ihrer Meinung gibt es eine Art Zuschauerdemokratie, weil nach Wahlen regelmäßig von Vertreterinnen und Vertretern der Parteien die Souveränität übernommen wird. Offenbar haben Sie auch 17 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht verstanden, wie das System der Demokratie funktioniert. ({0}) Weiterhin fordern Sie, dass nicht nur die im Deutschen Bundestag vertretenen und durch demokratische Wahlen legitimierten Vertreter des deutschen Volkes Gesetze einbringen können. Sie schreiben: Jeder Bürger und jede Bürgerinitiative soll Gesetze einbringen können. - Das wäre eine völlige Veränderung unseres demokratischen Systems. Beim Lesen Ihrer Großen Anfrage kommt man schnell darauf, was Sie eigentlich wollen: Sie wollen das repräsentative demokratische System in Deutschland über das System des Petitionsrechts verändern. ({1}) Aber nun zu den einzelnen Fragen. Auch hier kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass Sie die Demokratie, die wir jetzt haben, abschaffen wollen. ({2}) - Sie wollen das System, das wir jetzt haben, abschaffen. Sie fragen die Bundesregierung zum Beispiel, was sie von parlamentarischen Initiativen hält, was sie von den Grundsätzen des Petitionsausschusses hält, was sie vom Selbstbefassungsrecht des Ausschusses hält usw. usf. Im Klartext muss ich sagen, auch zum Verständnis der Linksfraktion: Das Parlament kontrolliert die Regierung und nicht umgekehrt. ({3}) Genau zu diesem Zweck hat das Grundgesetz dem Parlament umfassende Rechte eingeräumt. ({4}) Das Volk selbst wählt das Parlament alle vier Jahre neu und hat damit Einfluss auf Veränderungen. Die im Parlament vertretenen Abgeordneten haben die Pflicht, ihr Mandat aktiv auszuüben. Ich persönlich jedenfalls fühle mich nicht als Teil eines in Ihrer Anfrage als „Zuschauerdemokratie“ abqualifizierten Systems. Der Petitionsausschuss ist keineswegs nur der Kummerkasten der Nation, wie immer wieder behauptet wird. Vielmehr gibt er den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich aktiv in die Politik einzuschalten. Auf der anderen Seite erfahren Parlament und Bundesregierung durch die Eingaben und Beschwerden, sozusagen durch die Stimme des Volkes, dringend zu lösende Probleme, abzustellende konkrete Missstände, und sie erfahren eben, wo im Einzelnen Handlungsbedarf ist. Im Jahr wenden sich etwa 500 000 Bürgerinnen und Bürger mit Bitten, Wünschen und Anregungen an diesen Ausschuss des Bundestages. ({5}) Darauf können wir stolz sein; denn das heißt: Das System wird angenommen. ({6}) Dies führt zu etwa 20 000 Petitionsvorgängen pro Jahr, die wir im Ausschuss, in welcher Form auch immer, bearbeiten müssen. Sie werden im Ausschuss beraten, und im Plenum wird dann endgültig Beschluss gefasst. Nicht zuletzt aufgrund vieler Eingaben der Bürgerinnen und Bürger sind Vorschriften und Gesetze, die wir beschlossen hatten, verändert worden. Wenn ich an die letzten Jahre denke und daran, welch große Anzahl von Petitionen wir als Material oder zur Kenntnisnahme der Fraktionen überwiesen haben, muss ich sagen: Das zeigt eigentlich, dass das System funktioniert. Wir haben allein im letzten Jahr 6 400 Petitionen - das waren 40 Prozent - an die Bundesregierung weitergegeben, weil in irgendeiner Form Gesetze zu verändern, zu korrigieren waren. Es gibt also eine sehr starke positive Resonanz der Bürgerinnen und Bürger auf unsere Gesetzgebungsverfahren. In einer nicht geringen Anzahl von Fällen führen die Eingaben direkt dazu, dass die Abgeordneten im Ausschuss Gesetzeslücken und mangelnde Praxistauglichkeit erkennen und beschlossene Regelungen verändern. Daran zeigt sich: Das System des Petitionsausschusses hat sich bewährt. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen es an. Es funktioniert. ({7}) Die Aussage in Ihrer Anfrage, Kollegin Naumann, das Petitionssystem sei seit 1952 unverändert, ist einfach falsch. ({8}) Auch dass in der 15. Wahlperiode angemahnt worden ist, das Petitionsrecht zu verändern, kann ich nicht nachvollziehen. Ich finde keine solche Initiative. Sie haben von früheren Anträgen abgeschrieben, was einfach nicht stimmt. So wurde gerade in der letzten Wahlperiode eine Modernisierung des Petitionsrechts vorgenommen. Wir haben E-Mail-Petitionen eingeführt. Nach dem Vorbild des schottischen Parlaments gibt es öffentliche Petitionen. Wir haben als Petitionsausschuss bereits dreimal öffentlich getagt. Das ist etwas vollkommen Neues. Angesichts dessen kann man nicht sagen, das Petitionsrecht sei seit 1952 unverändert. Wir haben eine ganze Reihe neuer Sachen eingeführt. ({9}) - Selbst Herr Tauss weiß hier Bescheid; ganz hervorragend. ({10}) Außerdem möchte ich ansprechen, dass wir das sehr gute System wesentlich erweitert haben: So war der Petitionsausschuss in den letzten Jahren auf mehreren großen Messen vertreten; seine Arbeit wurde so öffentlich präsentiert, und der Ausschuss stand gleichsam für die Bürgerinnen und Bürger zum Anfassen bereit. Auch haben wir an den Tagen der Ein- und Ausblicke im Deutschen Bundestag teilgenommen. Da sind viele Bürger zu uns gekommen und haben mit uns gesprochen. Es ist also eine ganze Reihe an positiven neuen Dingen eingeführt worden. ({11}) Jedes einzelne Anliegen der Bürgerinnen und Bürger liegt uns am Herzen, ob die Eingabe eines Einzelnen, eine Massenpetition oder eine öffentliche Petition. Alles wird gleich behandelt. Es handelt sich einfach um alte Hüte, wenn die Linken in der Großen Anfrage die Bundesregierung fragen, was diese vom Selbstbefassungsrecht des Petitionsausschusses und von einem neuen Petitionsgesetz hält. Das hieße ja, das jetzige würde nicht funktionieren. ({12}) Dass mit diesen Vorschlägen das Petitionsrecht umfunktioniert werden soll, um zu einer anderen Staatsform zu kommen, wird in der Einleitung zur Großen Anfrage auch ganz deutlich. Fast dieselben Vorschläge wurden ja in der 14. Wahlperiode schon einmal hier eingereicht und vom damaligen Plenum eindeutig abgelehnt. Es gibt, wie ich denke, auch heute für derartige Vorschläge keine Mehrheit. Der Petitionsausschuss ist gerade kein Fachausschuss und soll keinen zweiten Weg für Gesetzesinitiativen eröffnen. Es bedarf auch keines zusätzlichen Kontrollorgans neben dem, was wir haben. Wir haben ein Parlament mit gewählten Abgeordneten und einen Petitionsausschuss, der die Bundesregierung und die Bundesverwaltung kontrolliert; und das funktioniert. ({13}) Der Petitionsausschuss hat die ureigene Aufgabe, sich mit den Sorgen und Nöten der Menschen in konkreten Fällen zu beschäftigen, und leistet hierbei eine gute Arbeit. Schließlich und endlich ist Die Linke zu fragen, ob die Bundesregierung uns Parlamentariern etwa Noten geben soll. Soll sie etwa unsere Arbeit bewerten? Dahinter steckt ein vollkommen falsches Verständnis von Demokratie. ({14}) Von einer Fraktion, die den Vorsitz im Petitionsausschuss innehat, darf man wohl die Kenntnis erwarten, dass die Bundesregierung nicht zu bewerten hat, ob die Regelungen des Petitionsausschusses angemessen, richtig oder überarbeitungsbedürftig sind. ({15}) Eine Instrumentalisierung des Petitionsrechts, um zu einer anderen staatlichen Ordnung zu kommen, lehnen wir kategorisch ab. Das System der Demokratie in unserem Lande hat sich bewährt. Es bedarf keiner Veränderung. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Jens Ackermann, FDPFraktion.

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Große Anfrage umfasst zwei Elemente: Petitionsrecht und Bürgerbeteiligung. Zur Bürgerbeteiligung: Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide wären glaubwürdige Instrumente, um die Distanz zwischen den Menschen und der Politik zu verringern. Auf diese Art und Weise hätte das Volk unmittelbaren Einfluss auf die politische Willensbildung. Ein Gesetzentwurf der FDP-Fraktion fordert, dies ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Bürger hätten mehr Vertrauen und mehr Klarheit. Demokratie lebt davon, dass alle mitmachen und jeder sich einbringt. ({0}) Unser Petitionsrecht bietet dafür keinen Ersatz. Sinnvoll genutzt kann es jedoch zu einem lebendigen Dialog zwischen Politik und den Menschen beitragen. Die Petenten zeigen uns, wo unser Rechtsstaat und wo unser Sozialstaat unvollkommen sind, wo Handlungsbedarf besteht, etwa bei Notfällen, die durch das Raster fallen, oder bei Unrecht, das im komplizierten Rechtssystem nicht ausgeglichen werden kann. Petenten machen deutlich: Nicht alles kann gesetzlich geregelt werden, nicht alles kann durch Gerichtsentscheide bewältigt werden. Im Berichterstattergespräch heute Morgen haben wir festgestellt, dass es Grauzonen im Rechtsstaat und auch in unserem demokratischen System gibt. Das Petitionsrecht ist ein Lichtstrahl in dieser Grauzone und für die Petenten oft ein letzter Hoffnungsschimmer. Alle Fraktionen sind verpflichtet, sich der Nöte und Sorgen der Petenten anzunehmen. Ein klug genutztes Petitionsrecht kann Schritt für Schritt für mehr Bürgernähe und mehr Transparenz sorgen. ({1}) Wie kann das Petitionswesen gestärkt werden? Hierzu nun fünf Vorschläge: Erstens. Es muss mehr in die öffentliche Wahrnehmung. Hier sind wir mit den öffentlichen Petitionen auf einem guten Weg, leider nicht heute zu dieser späten Stunde. ({2}) Zweitens. Die Stellung des Petenten muss gestärkt werden. Auch eine noch so gute Petition führt leider nicht automatisch zum Erfolg, weil sich eine Petition im Ausschuss Mehrheiten suchen muss. Drittens. Die Rechte des Ausschusses gegenüber Dritten müssen gestärkt werden. Viertens - ganz wichtig -. Das Petitionsrecht muss auch im Unterricht, in den Schulen behandelt werden. Jeder junge Mensch, jeder Schüler - das ist oft nicht bekannt - kann sich an uns wenden. Fünftens. Der Vorsitz des Petitionsauschusses ist so attraktiv zu gestalten, dass jede Fraktion bemüht ist, auf diesen Vorsitz zuzugreifen. In der Einleitung der Großen Anfrage führt die Linke an, dass sich 500 000 Menschen an uns gewandt haben. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass die Bürger mit dem parlamentarischen System zufrieden sind. Ja, die Petenten üben Kritik und wünschen sich eine Verbesserung des Systems. Sie wollen daran mitarbeiten, das System zu verbessern. Sie von den Linken wollen jedoch das System abschaffen, Sie wollen es umdrehen. Wirklich glaubhaft macht das Ihren Einsatz für die Stärkung des Petitionsrechts leider nicht. ({3}) Ihr Fraktionsvorsitzender hat den Systemwechsel als Ziel. Ich frage Sie: Was bleibt vom Petitionsrecht übrig, sollte es dazu kommen? Werte Frau Naumann, ich komme - das ist das Dilemma - mit Ihnen im Ausschuss sehr gut zurecht, aber diejenigen, die in Ihrer Partei und in Ihrer Fraktion etwas zu sagen haben, wollen den Systemwechsel. Die Linke - das ist eine nicht zu leugnende Tatsache - steht in der Tradition der SED. In der DDR gab es weder Meinungsfreiheit noch Mitbestimmung. Ja, es gab ein Petitionswesen. Die Ostdeutschen waren in Richtung Staatsratsvorsitzenden und Politbüro sehr eingabefreudig. Es hat aber leider nichts genutzt. Wir brauchen auch nicht die Vergangenheit zu bemühen. Wir brauchen nur in Staaten zu schauen, die heute sozialistisch regiert werden. Wie sieht es denn mit dem Petitionswesen in Venezuela oder auf Kuba aus? - Die Bürgerinnen und Bürger dort - auch das muss einmal angesprochen werden - haben nicht die Möglichkeiten, die wir hier in Deutschland haben. Denen geht es nicht so gut wie uns. ({4}) Meine Damen und Herren, das Petitionsrecht zu fördern, heißt, Demokratie zu leben, und das ist mein Ziel. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Martin Gerster, SPD-Fraktion. ({0})

Martin Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die Große Anfrage der Fraktion Die Linke vom Juni 2006. Natürlich ist es nicht schön, Herr Staatssekretär, dass die Antworten noch nicht vorliegen. ({0}) Aber es ist auch nicht schön, dass die Fraktion Die Linke heute dies auf die Tagesordnung bringt, ohne dass wir die Antworten kennen. Es geht Ihnen deswegen, glaube ich, rein um die Show, um ein bisschen Aufmerksamkeit in dieser Stunde, um zu sagen, die Antworten liegen noch nicht vor. Es wäre viel besser gewesen, Sie hätten die paar Wochen, bis die Antworten vorliegen, noch abgewartet. ({1}) Dann hätten wir hier eine sinnvolle Diskussion führen können. ({2}) Ich möchte auf das Sammelsurium, auf Ihren Gemischtwarenladen in der Großen Anfrage gerne eingehen und habe mir dafür ein paar Punkte herausgegriffen. Erstens. In der Einleitung, bevor die 108 Fragen mit Unterpunkten kommen, reden Sie sehr viel über die Einführung von Elementen direkter Demokratie. Interessanterweise findet sich anschließend dazu keine einzige Frage. ({3}) Ich sage: Wir von der SPD sind ganz klar dafür, mehr Elemente direkter Demokratie auf Bundesebene einzuführen. ({4}) Wir als Fraktion waren es, die durchgesetzt haben, dass im Koalitionsvertrag dazu ein entsprechender Prüfauftrag vorgesehen ist. Der Kollege Maik Reichel hat zu den Themen Volksbegehren, Volksinitiative, Volksentscheid hier erst vor ein paar Wochen in einer Rede die entsprechende Positionierung der SPD-Fraktion klar dargelegt. Zweitens. Sie unterstellen uns in Ihrer Großen Anfrage, dass die Große Koalition gerade im Bereich bürgerschaftlichen Engagements nichts unternimmt. Aber besonders in diesen Wochen wird noch einmal ganz deutlich, dass wir über die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts sehr viel tun, um ehrenamtliches, bürgerschaftliches Engagement zu stärken. ({5}) Ich nenne nur die geplante und so gut wie beschlossene Anhebung der Übungsleiterpauschale und die Erhöhung der Steuerfreibeträge für Vereine. Ich glaube, das ist ein großer Wurf der Großen Koalition auf Vorschlag des Bundesfinanzministers Steinbrück. ({6}) Dritter Punkt. Sie fragen nach der Funktion des Normenkontrollrats. Diese Frage können Sie sich doch selber beantworten. Ich weiß gar nicht, warum es eine so große Empörung gibt, dass viele Fragen noch nicht beantwortet sind. Zum Teil ist es wirklich sehr einfach, sie zu beantworten. ({7}) Punkt vier: Petitionsrecht. Aus meiner Sicht ist das Ziel einer Petition, einem Anliegen von allgemeinem Interesse Gehör zu verschaffen, Schwachstellen offenzulegen und auch Gesetzeslücken aufzudecken. Ich glaube, das funktioniert ganz gut. Die Kollegen haben entsprechend berichtet, und Sie als Ausschussvorsitzende haben selbst darauf hingewiesen, wie gut das funktioniert. Ich darf Sie als Vorsitzende einmal aus der Broschüre des Petitionsausschusses zitieren: Der Petitionsausschuss in eine verlässliche und bürgernahe Anlaufstelle im Bundestag. Da frage ich mich: Wie passt das mit dem zusammen, was Sie hier in Ihrer Rede vorgetragen haben und was in Ihrem Antrag steht? Ich habe noch ein wichtiges Anliegen bezüglich dessen, was in Punkt V Ihres Antrages durchscheint. Ich glaube, dass das Petitionsrecht auf keinen Fall zum juristischen Winkelzug verkommen darf, um asylrechtliche Entscheidungen hinauszuzögern. Wer begehrt, dass das Petitionsverfahren aufschiebende Wirkung hat, wird aus meiner Sicht zum Totengräber des Petitionsrechts in Deutschland. ({8}) Der Ausschuss würde aus meiner Sicht schlicht in Anfragen ertrinken. Deswegen lehnen wir Ihre - versteckte oder offene Forderung nach einer Härtefallkommission beim Petitionsausschuss ab. Härtefälle sind aufenthaltsrechtliche Fragen und entstehen nicht im Asylverfahren an sich. Deswegen ist diese Frage aus meiner Sicht deplatziert, zumal einige Bundesländer, beispielsweise BadenWürttemberg, entsprechende Härtefallkommissionen eingerichtet haben. ({9}) Diese können inzwischen zum Teil sehr gute Erfolge vorweisen. ({10}) Herr Staatssekretär, es wäre schön gewesen, wenn die Antworten bereits vorliegen würden, dann könnten wir die Unklarheiten, Missverständnisse und so manch Unsinniges in der Großen Anfrage heute entsprechend fundierter debattieren. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als im Juni letzten Jahres die Große Anfrage der Fraktion Die Linke auf meinen Schreibtisch kam, fiel mir eine Bemerkung des Dramatikers Henrik Ibsen ein, der einmal gesagt hat: „Ich kenne wenige Weltverbesserer, die imstande sind, einen Nagel richtig einzuschlagen.“ ({0}) Nach dem Motto „Was ich schon immer über das Petitionsrecht wissen wollte, aber bisher nicht zu fragen wagte“ legen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, hier ein kurioses Sammelsurium von 108 Fragen vor, die manchmal ein wenig, aber meistens gar nichts mit dem Petitionsrecht zu tun haben. ({1}) Deshalb mein Fazit direkt am Anfang: Diese Große Anfrage stellt die falschen Fragen zur falschen Zeit am falschen Ort an den falschen Adressaten. ({2}) Ich bedaure das, denn ich gehe - im Gegensatz zu manchem, was wir jetzt gehört haben - davon aus, dass das nicht alles rückwärts, in die DDR weisen sollte. Ich unterstelle einmal die besten Absichten, auch wenn ich jetzt die Enttäuschung auf der Unionsseite akzeptieren muss. Auch in diesem Fall gilt: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Ich werde Ihnen dies anhand weniger Beispiele belegen. Eine Verbesserung des Petitionsrechts - dies wurde eben schon gesagt - ist eine Aufgabe des Parlaments und des Verfassungsgebers, nicht aber der Bundesregierung. Sie fragen die Bundesregierung zum Beispiel, welche Auffassung sie zu einem Selbstbefassungsrecht des Petitionsausschusses habe, ({3}) also dem Recht, Themen aufzugreifen, die gerade interessant sind, zu denen aber gerade keine Petitionen vorliegen. Ich leugne nicht, dass dies interessant und spannend ist. Aber ich möchte nicht, dass sich die Regierung dazu äußert. Das geht sie überhaupt nichts an. ({4}) Wenn Sie das regeln wollen, dann können Sie in diesem Hause einen entsprechenden Antrag oder Gesetzentwurf einbringen. Bisher liegen uns solche Anträge nicht vor. Anschließend wird dieser Antrag oder Gesetzentwurf eine Mehrheit finden oder nicht. ({5}) Jedenfalls hat es mit der Exekutive nichts zu tun. Nicht die Bundesregierung, auch nicht das Bundesinnenministerium, Herr Staatssekretär Altmaier, kontrolliert oder bestimmt das Petitionsrecht, sondern wir, die wir hier sitzen. Das Parlament kontrolliert die Regierung. ({6}) Darum also, Herr Altmaier, der Sie heute Abend die Bundesregierung vertreten: Finger weg vom Petitionsrecht! ({7}) Werte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Sie wissen, dass wir seit 2005 sehr intensiv an der Fortentwicklung und den Reformmöglichkeiten des Petitionsrechts arbeiten; dies tun wir partei- und fraktionsübergreifend. Ein Grundrecht wie das Petitionsrecht, das in Art. 17 des Grundgesetzes niedergelegt ist, sollte nicht wie heute Abend im Parteienstreit, sondern möglichst im Konsens weiterentwickelt werden. ({8}) Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie Ihre Punkte und die FDP die anderen fünf Punkte vielleicht erst einmal in der Runde der Obleute oder im Ausschuss mit uns diskutiert hätten; dann hätten wir uns möglicherweise auf etwas einigen können. So aber zerstreiten wir hier öffentlich ein Grundrecht. Das ist wirklich bedauerlich. ({9}) Zum Abschluss meiner Rede erinnere ich an das, was wir bereits gemacht haben: Wir haben E-Mail-Petitionen sowie öffentliche Petitionen mit Diskussionsforen im Internet eingeführt, wir wollen Massenpetitionen besser behandeln, und wir machen jetzt schon erweiterte öffentliche Ausschusssitzungen am laufenden Band, könnte man fast sagen. ({10}) Es ist auch eine gute Sache, dass wir das eingeführt haben. Wir hören Petenten persönlich an. Dies alles hat früher nicht stattgefunden; aber Sie sagen, es habe sich nichts getan. 1975 wurde geregelt, dass alle Petitionen, die beim Bundestag eingehen, dem Petitionsausschuss zuzuweisen sind und der Präsident keine Ausnahmen machen darf. Diese gute Idee ist in § 109 unserer Geschäftsordnung geregelt und 2005 weiterentwickelt worden. Insoweit liegen Sie mit Ihrer Anfrage ziemlich daneben. Herr Baumann, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir keine Zuschauerdemokratie sind. Diesem Begriff, mit dem gemeint ist, dass wir Abgeordneten von den Bürgern die Souveränität übernommen hätten, wie es in der Einleitung Ihrer Anfrage steht - gemeint ist wohl, dass Sie das ändern wollen -, halte ich ein Zitat unseres ersten Bundespräsidenten Prof. Dr. Heuss entgegen: Demokratie heißt nicht Massenherrschaft, sondern Aufbau, Sicherung und Bewährung der selbst gewählten Autoritäten. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller, SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon etwas Besonderes, wenn man über Petitionen redet und dann feststellt - die Stenografen verzeichnen dies ja korrekt -, dass der Applaus fast aus dem ganzen Hause kommt. Es ist aber typisch für Petitionsarbeit, weil wir zum Wohle derer, die sich beschweren oder Bitten einreichen, in unserer täglichen Arbeit stark konsensorientiert sind. Dies zeichnet uns aus und stellt eine Qualität dar, die wir auf keinen Fall verlieren wollen, auch nicht in einem Zusammenhang wie heute Abend, an dem wir eine Anfrage diskutieren, die außerordentlich umfänglich ist. Allerdings betreffen von den 108 Fragen nur 33 das im Grundgesetz verankerte Petitionsrecht. An dieser Stelle breche ich eine Lanze für die Vorsitzende des Petitionsausschusses, der ich eine exzellente Sitzungsführung attestiere. Die Kritik richtet sich nicht persönlich gegen die Vorsitzende. Vielmehr hat uns das Verständnis von Parlament und Demokratie, das hinter diesem Antrag steckt - das haben viele Kolleginnen und Kollegen zu Recht angesprochen -, zutiefst bestürzt. Ich bin darüber sehr ins Grübeln gekommen. Ebenso wie viele meiner Vorredner bin ich bei dem Begriff „Zuschauerdemokratie“ hängen geblieben. Ich habe mich gefragt: Wie kann es sein, dass jemand, der ein Mandat in einem Parlament wahrnimmt, einen solchen Begriff ins Spiel bringt? Das macht mir ernsthaft Sorgen. Ich finde, wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir hätten das Gefühl, auf einer Bühne zu stehen, und die anderen seien die Zuschauer. Vielleicht kämen wir dann irgendwann auf die Idee, Eintritt zu nehmen. Das führt in eine völlig falsche Richtung. ({0}) Diejenigen, die hier sitzen, sind ja fast ausschließlich Mitglieder im Petitionsausschuss. ({1}) Einige haben gerade quasi ihre Bewerbung abgegeben; auch darüber freuen wir uns natürlich. Ich will einen Punkt anschneiden, nach dem in der Anfrage zwar nicht gefragt wurde, der es aber lohnt, erwähnt zu werden. Im Mittelpunkt vieler Beschwerden, die uns erreichen, steht das Verhalten von Behörden. Wir müssen feststellen, dass wir eine große Anzahl von Petitionen gar nicht im Ausschuss bearbeiten, weil der kompetente Ausschussdienst im Vorfeld Abhilfe schaffen kann. Er kann die richtige Information und den korrekten Hinweis geben. Wenn wir eines Tages keine Beschwerden mehr bekommen, die Bundesbehörden betreffen, dann sind wir einen Schritt näher am Paradies. Deshalb bin ich sehr zufrieden, wenn Behörden auf Bundesebene selbst dafür sorgen, dass das Beschwerdemanagement in ihrem Haus funktioniert. ({2}) Ich habe nicht die Sorge, dass der Petitionsausschuss dann ohne Arbeit ist. Dann können wir uns frohgemut jenen Petitionen zuwenden, die Vorschläge zur Verbesserung von Gesetzen beinhalten. Dazu erhalten wir täglich viel Post. Da sind wirklich gute Anregungen bei. Wenn wir uns ausschließlich dem zuwenden können, wird es uns gut gehen. Über eine Feststellung sollten wir alle einmal nachdenken: Das Petitionsrecht umfasst auf Bundesebene die Gesetzgebung und die Behörden. In den letzten Jahren gab es die Tendenz zur Privatisierung bzw. Teilprivatisierung ganz wesentlicher Elemente. Bei unserer Petitionsarbeit stellen wir aber fest, dass unser Arm so weit nicht reicht. Das ist für viele Bürger schwer zu verstehen. Wir Ausschussmitglieder fragen uns natürlich, wie es da mit der Interessenvertretung aussieht. Hier sind noch einige Aufgaben zu erledigen. Wir müssen uns GeGabriele Lösekrug-Möller danken darüber machen, wie wir uns dazu verhalten wollen. Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in unsere Petitionsarbeit gewonnen haben. Das ist kein Selbstlob; das liegt an allen anderen außer mir. Ich bin aber stolz darauf. Das sollten wir in Ehren halten und nicht durch Anfragen gefährden, über die man schmunzeln oder an denen man zweifeln kann. Ich bin aber guter Dinge, dass wir trotzdem gemeinsam weiterarbeiten werden, und zwar an der Stelle, die uns besonders am Herzen liegt: Die Arbeit des Petitionsausschusses soll transparenter werden und die Öffentlichkeit erreichen. Das ist es, was Bürgerinnen und Bürger von diesem Ausschuss und diesem Parlament erwarten. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 a auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Gabriele Hiller-Ohm, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den Fahrradtourismus in Deutschland umfas- send fördern - Drucksachen 16/3609, 16/5635 - Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Gabriele Hiller-Ohm Ernst Burgbacher Nicole Maisch Die Kollegen Ernst Hinsken, Ernst Burgbacher, Dr. Ilja Seifert sowie die Kolleginnen Gabriele Hiller- Ohm und Nicole Maisch haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Fraktio- nen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Den Fahr- radtourismus in Deutschland umfassend fördern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5635, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/3609 anzuneh- men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Enthaltung des Bündnisses 90/ Die Grünen und der FDP angenommen. 1) Anlage 3 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck ({3}), Volker Beck ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Politische Lösungen sind Voraussetzung für Frieden in Somalia - Drucksachen 16/4759, 16/5754 Berichterstattung: Abgeordnete Anke Eymer ({5}) Marina Schuster Dr. Uschi Eid Die Kolleginnen Anke Eymer ({6}), Brunhilde Ir- ber, Marina Schuster, Dr. Uschi Eid sowie der Kollege Dr. Norman Paech haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben.2) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Politische Lösungen sind Voraussetzung für Frieden in Somalia“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5754, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4759 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Schienenlärm ursächlich bekämpfen - zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Friedrich ({8}), Patrick Dö- ring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Lärmschutz im Schienenverkehr verbes- sern - Marktwirtschaftliche Anreize nut- zen, Schienenbonus überprüfen - zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aktionsprogramm gegen Schienenlärm auf den Weg bringen - Drucksachen 16/4562, 16/675, 16/2074, 16/5293 - 2) Anlage 4 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Berichterstattung: Abgeordnete Heinz Paula Winfried Hermann Die Kollegen Enak Ferlemann, Heinz Paula, Horst Friedrich ({9}), Lutz Heilmann und Winfried Her- mann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/5293. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5293 die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4562 mit dem Titel „Schienenlärm ursächlich bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/675 mit dem Titel „Lärmschutz im Schienenverkehr verbessern - Marktwirtschaftliche Anreize nutzen, Schienenbonus überprüfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5293 die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/2074 mit dem Titel „Aktionsprogramm gegen Schienenlärm auf den Weg bringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Zeil, Mechthild Dyckmans, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Schaffung einer Europäischen Privatgesellschaft forcieren - Drucksache 16/5423 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({10}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Die Redner Dr. Günter Krings, Klaus Uwe Benneter, Martin Zeil und der Parlamentarische Staatssekretär Al- fred Hartenbach sowie die Kolleginnen Ulla Lötzer, Ker- stin Andreae und Mechthild Dyckmans haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5423 an die in der Tagesordnung aufge- 1) Anlage 5 2) Anlage 6 führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Müller ({11}), Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Innovationsnetzwerk für Europa - Europäi- sches Technologieinstitut - Drucksache 16/5733 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({12}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Cornelia Hirsch, Dr. Lukrezia Jochimsen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts verhindern - zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz ({13}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts abwenden - Bestehende europäische Förderstrukturen stärken und weiterentwickeln - Drucksachen 16/4625, 16/5254, 16/5765 Berichterstattung: Abgeordnete Carsten Müller ({14}) René Röspel Cornelia Pieper Dr. Petra Sitte Krista Sager c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Markus Löning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Das Europäische Institut für Technologie zum Erfolg führen - Drucksache 16/5605 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({15}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Kollegen Carsten Müller ({16}), René Röspel sowie die Kolleginnen Ulrike Flach, Petra Sitte und Krista Sager haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben.3) Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den An- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf 3) Anlage 7 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Drucksache 16/5733 mit dem Titel „Innovationsnetzwerk für Europa - Europäisches Technologieinstitut“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 20 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5765, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4625 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5254 mit dem Titel „Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts abwenden - Bestehende europäische Förderstrukturen stärken und weiterentwickeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 20 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5605 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der LINKEN Öffentlichen Verkehr in den neuen Bundeslän- dern nicht gefährden - Verkehrsflächenberei- nigungsgesetz verlängern - Drucksachen 16/4856, 16/5168 - Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Dr. Peter Danckert Mechthild Dyckmans Jörn Wunderlich Jerzy Montag Die Kollegen Marco Wanderwitz, Dr. Peter Danckert und Peter Hettlich sowie die Kolleginnen Sabine Leut- heusser-Schnarrenberger und Heidrun Bluhm haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) 1) Anlage 8 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Öffentlichen Verkehr in den neuen Bundesländern nicht gefährden - Verkehrsflächenbereinigungsgesetz verlängern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5168, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4856 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des restlichen Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sonderbericht Nr. 9/2006 über Ausgaben für Übersetzungsleistungen bei der Kommission, beim Parlament und beim Rat Ratsdok. 12861/06 - Drucksachen 16/5329 Nr. 2.9, 16/5766 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Willsch Klaus Hagemann Die Kollegen Klaus-Peter Willsch, Klaus Hagemann, Michael Roth ({19}), Michael Link ({20}), Roland Claus sowie Omid Nouripour haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 16/5766 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über den Sonderbericht über Ausgaben für Übersetzungsleistungen bei der Kommission, beim Parlament und beim Rat. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Grünen mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Für ein Europäisches Kartellamt - Drucksache 16/5360 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({21}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Kollegen Albert Rupprecht ({22}), Martin Zeil, Dr. Herbert Schui und Christian Lange ({23}) sowie die Kollegin Kerstin Andreae haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5360 an die in der Tagesordnung aufge- 2) Anlage 9 3) Anlage 10 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer ({24}), Andreas G. Lämmel, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Andrea Wicklein, Doris Barnett, Engelbert Wistuba, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die wirtschaftlichen und arbeitsplatzschaffenden Erfolge der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ nutzen - Regionales Wachstum und Beschäftigungseffekte intensivieren - Drucksache 16/5607 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({25}) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Kollegen Andreas G. Lämmel, Klaus Hofbauer sowie die Kolleginnen Andrea Wicklein, Gudrun Kopp, Sabine Zimmermann und Kerstin Andreae haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5607 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren - Drucksache 16/1337 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({26}) - Drucksache 16/5737 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({27}) Dr. Matthias Miersch Horst Meierhofer Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl Die Kollegen Andreas Jung ({28}), Dr. Matthias Miersch, Horst Meierhofer und Lutz Heilmann sowie die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl haben ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben.2) 1) Anlage 11 Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5737, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/1337 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes - Drucksache 16/1991 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({29}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Kollegen Reinhard Grindel, Hartfrid Wolff ({30}) sowie die Kolleginnen Gabriele Fograscher, Petra Pau und Silke Stokar von Neuforn haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben.3) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1991 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unser heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Juni 2007, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Zuschauern auf der Tribüne noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen. ({31})