Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Tag, liebe Kolleginnen
und Kollegen!
Der Kollege Werner Dreibus feiert heute seinen
60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich dazu sehr herzlich und wünsche ihm alles Gute. Wie
ich höre, ist er auf dem Weg hierher. Ich hoffe, dass ihm
die Glückwünsche übermittelt werden.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Frau Dr. Annette Schavan. - Bitte.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der heutigen Kabinettssitzung den Bericht
zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007
beraten und verabschiedet. Das wird der letzte Bericht in
dieser Form sein. Er wird durch einen Bericht zum Stand
der Innovationskraft in Deutschland abgelöst werden.
Der Bericht 2007 zeigt, dass sich das Umfeld für Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland deutlich verbessert hat. Bereits die Plandaten für
2006 zeigten gegenüber 2005 einen Aufwuchs von 1,8 Milliarden Euro in der Industrieforschung in Deutschland.
Das ist eine Steigerung um 4,7 Prozent. Es wird deutlich,
dass es nicht nur in den klassischen Branchen - ich
nenne die Automobilbranche -, sondern zunehmend
auch in anderen Branchen gute Prognosen für FuE-Investitionen gibt. Ich nenne als Beispiel die optische
Industrie, die bis zum Ende des Jahrzehnts von einem
jährlichen Zuwachs bei den Forschungsinvestitionen in
Höhe von 9 Prozent ausgeht.
Ursache für diese Dynamik im Bereich von FuE ist
auf der einen Seite die allgemeine konjunkturelle Entwicklung und auf der anderen Seite - von den Experten
wird das so bewertet - das erstmals vorliegende Konzept
einer integrierten Forschungs- und Innovationspolitik.
Die Hightechstrategie wird eigens als Beispiel dafür genannt, wie den Schwächen in der Wertschöpfungskette,
die in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt
worden sind, durch die Integration aller relevanten Faktoren begegnet wird.
Eine weitere wichtige Information ist, dass im Jahr
2006 erstmals der kontinuierliche Rückgang bei den
Gründungen junger Technologieunternehmen, der in der
ersten Hälfte dieses Jahrzehnts kontinuierlich war, gestoppt werden konnte. Damit können wir noch nicht zufrieden sein. Die positiven Entwicklungen müssen für einen Anstieg genutzt werden. Der über Jahre andauernde
Rückgang ist aber auf jeden Fall gestoppt. Auch das ist
ein Erfolg.
In den Bereichen Technologieexport und Patente gibt
es positive Entwicklungen und damit eine weitere Verbesserung der Position Deutschlands im internationalen
Vergleich.
Wichtige Hinweise für die Zukunft:
Erstens. Fachkräftemangel. Wenn die jetzige Dynamik
anhält, werden - das wird uns vorhergesagt - bis zum Jahr
2014 jährlich zwischen 41 000 und 62 000 Akademikerinnen und Akademiker - das sind etwa 20 Prozent eines
Jahrgangs - fehlen. Das ist viel. Wenn wir aber - das wird
ein ganz wichtiger Punkt sein, an dem wir ansetzen müssen - eine Halbierung der Studienabbrecherquoten in den
entsprechenden Studiengängen für Technik und Naturwissenschaften erreichen könnten - also eine Senkung
der Abbrecherquote von 50 auf 25 Prozent -, dann könnten wir die Zahl der fehlenden Akademikerinnen und
Akademiker deutlich senken.
Zweitens. Verbesserung der Rahmenbedingungen für
private Investitionen in FuE. Über das Thema diskutieren wir gerade: Wagniskapital und Stabilisierung für
junge Unternehmen über einen ausreichend langen Zeitraum.
Redetext
Drittens. Steuerliche Förderung von Investitionen in
FuE. Dies wird uns mit Blick auf die nächste Legislaturperiode in den nächsten Jahren ganz gewiss beschäftigen. Die meisten Länder, mit denen wir im Wettbewerb
stehen, haben neben ihren Projektförderungen und neben
ihren Forschungsförderungsprogrammen klare Anreize
im Steuersystem. Das ist ein wichtiger Punkt: Wir brauchen eine Erweiterung des Instrumentenkastens mit
Blick auf diejenigen - das gilt vor allem für kleine und
mittlere Unternehmen -, die an den Förderprogrammen
jetzt nicht genügend partizipieren. Die Forschungsprämie ist ein erstes Instrument, das wir zur Erreichung dieses Ziels schaffen.
Das sind die wesentlichen Stichworte mit Blick auf
Möglichkeiten der Weiterentwicklung: Steigerung der
Zahl von Fachkräften, verbesserte Rahmenbedingungen
- beispielsweise im Bereich Wagniskapital -, Erweiterung der Instrumente zur Förderung von FuE und konsequentes Festhalten am jetzt eingeschlagenen Kurs der
Bundesregierung. Dies bedeutet, am 3-Prozent-Ziel festzuhalten und integrative Forschungs- und Innovationspolitik zu betreiben.
Vielen Dank.
({0})
Ich danke herzlich für den Bericht und bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort zur ersten Frage hat der Kollege JohannHenrich Krummacher.
Frau Ministerin, wer bei internationalen Wirtschaftsbegegnungen unterwegs ist, macht die Erfahrung, dass
über den Technologiestandort Bundesrepublik Deutschland und auch über die Technologieförderung, die Ihr
Ministerium in Gang gebracht hat, äußerst positiv gesprochen wird. Ich möchte den Blick auf Asien lenken,
auf die Aufholjagd der asiatischen Länder, insbesondere
China, Indien und die Länder Südostasiens. Diese Aufholjagd wird im Bericht als eine Chance für das Technologieexportland Deutschland beschrieben.
Wie reagiert die Bundesrepublik auf diese Entwicklung? Gibt es Strategien zur Zusammenarbeit mit diesen
Ländern, die die Position unserer technologieorientierten
Unternehmen auf diesen Wachstumsmärkten unterstützen?
Ja, es gibt solche Kooperationen. Grundlage für die
von Ihnen genannte Feststellung sind die Tatsache, dass
65 Prozent der Unternehmen in Deutschland im internationalen Vergleich als innovative Unternehmen gelten,
und der eben schon erwähnte hohe Anteil der hochentwickelten Technologien am Export.
Deshalb streben wir in den internationalen Beziehungen jetzt vor allen Dingen Vereinbarungen an, bei denen
auf beiden Seiten die Partner Wissenschaft und Wirtschaft miteinander kooperieren. Deutschland ist in der
Tat in einer Reihe von Bereichen - ich nenne nur die Lasertechnik - Weltmarktführer, wodurch solche Kooperationen für andere interessant sind.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte.
Danke schön. - Frau Ministerin, Sie selbst haben den
Fachkräftemangel angesprochen, der, wie schon im letzten Bericht zu lesen war, bundesweit eine besondere
Rolle spielt. Ich möchte mich diesem Problem mit Blick
auf die neuen Bundesländer zuwenden.
Unlängst hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und
Entwicklung eine Studie herausgegeben. In dieser Studie
mit dem Titel „Not am Mann“ - diesen Titel finde ich
sehr einfallsreich - kam man zu dem Ergebnis, dass vor
allem junge, qualifizierte Frauen aus den ostdeutschen
Ländern abwandern. Zurück bleibt - ich zitiere; ich
würde mich gar nicht trauen, das so zu sagen - „eine
neue, von Männern dominierte Unterschicht“. Die
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat das wie folgt
kommentiert: Ostdeutschland stehe mit Blick auf Auswanderung schlechter da als Polarregionen.
Die Bundesregierung hat auf dieses Problem reagiert,
indem sie ein Pilotprojekt aufgelegt und dafür
4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat; dieser Betrag würde übrigens bedeuten, dass jedes ostdeutsche
Bundesland noch nicht einmal 1 Million Euro erhält. Im
Rahmen dieses Pilotprojekts will man sich mit medizinischen und kulturellen Angeboten vor allem an junge
Frauen wenden. Das ist aber nicht das Problem der jungen Frauen, sondern, wie die Ergebnisse sozialer Studien
belegen, eher das Problem der jungen Männer.
Wir glauben, dass es eines viel komplexeren Ansatzes
bedarf. Man braucht mehr Geld, mehr Personal und eine
konzertierte Aktion von Bundesregierung und Bundesländern. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Was hat
die Bundesregierung in ihrer heutigen Kabinettssitzung
besprochen bzw. konkret beschlossen, um dieses Problem zu lösen?
Die Bundesregierung hat sich nicht auf ein 4-Millionen-Euro-Pilotprojekt geeinigt; das ist lediglich ein
neuer Vorschlag, den ein Kollege auf diese Meldung hin
im Kabinett gemacht hat.
Selbstverständlich gibt es allerdings eine umfassende
Innovationsstrategie für die neuen Länder. Dazu gehören
die verschiedenen Programme im Rahmen von Inno-Regio. Dazu gehören zusätzliche Investitionen in Ausbildung und hohe berufliche Qualifikation. Dazu gehören
Programme zur Stabilisierung der Situation der Unternehmen durch Beratung des Managements und zur FörBundesministerin Dr. Annette Schavan
derung des innovativen Potenzials. Dazu gehört, dass in
einer ganzen Reihe von Regionen ein entsprechendes
Verständnis von Forschungspolitik entwickelt wird - das
ist unter dem Dach von Inno-Regio geschehen -, um regionale Entwicklungen zu fördern.
Hier denke ich an Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen, die es beispielsweise in Leipzig und Magdeburg, also an unterschiedlichen Orten, bereits gibt. Ich denke ferner an Programme, im Zuge derer
schon eine Reihe von Unternehmen gegründet und viele
Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ich habe die genauen
Zahlen zu den entstandenen Arbeitsplätzen nicht alle im
Kopf. Aber ich kann sagen, dass die Bilanz der bisher
aufgelegten Programme sehr gut ist.
Vor einigen Monaten wurde in dem Bereich, für den
ich zuständig bin, ein institutionalisierter Dialog zwischen den fünf neuen Bundesländern und der Bundesregierung ins Leben gerufen, um auf der Grundlage der
dort gemachten Erfahrungen die Weiterentwicklung der
Innovationsstrategien zu fördern. Es reicht nämlich nicht
aus, zur Verhinderung der Abwanderung nur Projekte
punktuell an dieser oder jener Stelle durchzuführen.
Vielmehr muss in den Regionen eine innovative Entwicklung in Gang gesetzt werden, an der nach Möglichkeit diese fünf Länder teilhaben. Das wird in finanzieller
Hinsicht in großem Umfang gefördert.
Die nächste Frage kommt wieder aus der Unionsfraktion. Der Kollege Müller hat das Wort.
Frau Ministerin, das Thema Fachkräftemangel ist
wichtig. Im Bericht der Bundesregierung wird dieses
Problem umfassend erörtert; darauf haben Sie in Ihren
einführenden Erläuterungen bereits hingewiesen. Im Bericht heißt es, dass bis zum Jahre 2014 mehr als 60 000
Akademikerinnen und Akademiker fehlen könnten. Diesem Problem kann, zumindest teilweise, durch eine Senkung der Studienabbrecherquote begegnet werden. Welche weiteren Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach,
dem Fachkräftemangel nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern darüber hinaus auch im gesamten Bundesgebiet entgegenzutreten?
Es gibt nach meinem Eindruck drei Schlüsselmaßnahmen:
Der erste Punkt. Wir müssen nahe an das Ziel kommen - das ist im Koalitionsvertrag vereinbart -, dass ein
von Generation zu Generation höherer Anteil studiert,
und dies besonders im Bereich der Natur- und Technikwissenschaften. Um das zu erreichen, ist aber auch notwendig, dass von den Unternehmen in Deutschland das
Signal an die jungen Leute geht, dass es sich lohnt, in
diese Bereiche zu gehen. Denn Schulabsolventen orientieren sich, wie wir wissen, in ihrer Studien- und Berufswahl vor allem an den Perspektiven; sie haben die Zahlen Tausender arbeitsloser Physiker und Ingenieure noch
in Erinnerung.
Wir müssen die Zahl derer, die sich hoch qualifizieren, erhöhen und brauchen dazu die entsprechenden
Signale. Die Bundesregierung hat deshalb mit den Ländern den Hochschulpakt geschlossen, damit die zusätzlichen Bewerber, die es aufgrund der demografischen Entwicklung einige Zeit geben wird - bis 2009 ein Zuwachs
von 90 000 Studienanfängern -, aufgenommen werden
können. Dafür haben Bund und Länder jetzt die finanziellen Voraussetzungen geschaffen, übrigens - wenn ich
einen Schlenker zurück zu den neuen Ländern machen
darf - mit klaren finanziellen Vereinbarungen über den
Erhalt von Studienplätzen. Denn natürlich werden in den
neuen Ländern nicht zusätzliche Studienplätze geschaffen. Aufgrund der demografischen Entwicklung gab es
schon Pläne für den Abbau von Studienplätzen. Das
kann mit den Möglichkeiten des Hochschulpaktes gestoppt werden.
Der zweite Punkt wurde von mir schon angesprochen.
Ich sage mit Blick auf die Biografien der jungen Leute
und mit Blick auf die Volkswirtschaft sehr deutlich, dass
es keine akzeptable Situation ist, dass wir in den Technik- und Naturwissenschaften 50 Prozent Studienabbrecher haben, an den Fachhochschulen immerhin noch
25 Prozent. Wenn wir die Zahl der Abbrecher überall auf
das Niveau der Fachhochschulen senken könnten, hätten
wir letztlich die Zahlen erreicht, die nötig sind.
Der dritte Punkt. Die demografische Entwicklung in
Deutschland wird mittel- bis langfristig so sein, dass wir
auch Signale an junge Leute aus dem Ausland senden
müssen. Das heißt, die Bedingungen nicht nur für Studieren und wissenschaftliches Arbeiten, sondern auch
für das Arbeiten in Deutschland ganz generell müssen
verbessert werden. Dazu gehört die Frage der Gehaltsgrenze. 85 000 Euro im Jahr sind zu hoch; das sind keine
Gehälter, wie man sie beim Einstieg in das Berufsleben
gezahlt bekommt. Wir wissen aus Gesprächen auf internationaler Ebene, es brauchte als Anreiz Pakete für Studium und Berufseinstieg. Dazu muss diese Bedingung
geändert werden.
Wir müssen erreichen, dass es für junge Leute, die
etwa aus China oder Indien zum Informatikstudium nach
Deutschland kommen, einfach ist, zu studieren und dann
hier zu bleiben, sodass sie, wenn sie die Lebensphase des
Studiums in Deutschland verbringen, von vornherein die
Gewähr dafür haben, dass sie hinterher bleiben können.
Das sind in meinen Augen die drei wichtigsten Punkte,
die wir angehen müssen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Volker Schneider.
Frau Ministerin, Sie haben angesprochen, dass ein
wesentliches Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit die Bildung und Ausbildung von Fachkräften
ist. Ich denke, hier sind nicht nur Studium bzw. berufliche Ausbildung als Erstausbildung zu sehen - enorme
Volker Schneider ({0})
Bedeutung kommt auch der beruflichen Weiterbildung,
dem lebenslangen Lernen, zu.
Wenn man sich die Ländervergleiche einmal anschaut, stellt man fest, dass das bei uns schlecht aussieht:
Hinsichtlich der Weiterbildungsbeteiligung liegen wir
im letzten Drittel. Die Beteiligung älterer Arbeitnehmer
fällt bei uns überdurchschnittlich ab. Das gilt auch für
die Beteiligung der sogenannten bildungsfernen Schichten.
Nun hat das Kabinett am 13. Juni Eckpunkte für das
Bildungssparen verabschiedet. Ich möchte Sie fragen, ob
Sie der Auffassung sind, dass das, was verabschiedet
worden ist, allein ausreicht, um durch eine hochqualifizierte Weiterbildung die technologische Leistungsfähigkeit zu sichern. Ketzerisch könnte ich darüber hinaus
fragen, ob Sie mir einmal erläutern könnten, was man
sich für 308 Euro an beruflicher Weiterbildung alles einkaufen kann.
Ich bin selbstverständlich nicht der Meinung, dass das
das einzige Instrument zur Erhöhung der Zahl derer, die
an Weiterbildungen teilnehmen, sein kann. Aber das ist
ein Einstieg, den die Koalition vereinbart hat.
Daneben werden wir über das Vermögensbildungsgesetz die Zahlung einer Prämie ermöglichen. Die Höhe
dieser Prämie orientiert sich schlicht an den uns vorliegenden statistischen Daten. Die Teilnehmerentgelte von
75 Prozent aller Weiterbildungsmaßnahmen bewegen
sich in dem zu fördernden Bereich. Damit sind also nicht
teure Aufbaustudien oder Ähnliches gemeint. In
75 Prozent der Fälle ist also der Eigenanteil damit abgedeckt.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es im Bereich
des Bildungssparens noch weitere Möglichkeiten geben
wird. Jetzt muss der Einstieg erreicht werden. Danach
werden weitere Schritte abzuwägen sein.
Zum zweiten Punkt, der eine Rolle spielt. Bei der
Frage, warum jemand nicht an einer Weiterbildung teilnimmt, muss man bedenken, dass die Zeit immer eine
Rolle spielt. Man muss also über Lernzeitkonten nachdenken. Das ist im Wesentlichen aber Angelegenheit der
Sozialpartner. Auch diese Diskussion wird im Innovationskreis Weiterbildung des BMBF geführt.
Dritter Punkt. Natürlich gab es auch in der Vergangenheit zu viele Anreize für eine frühzeitige sogenannte
Freisetzung anstelle von Angeboten der Qualifizierung
zum Erhalt beruflicher Fähigkeiten. Auch hierzu hat es
beim IT-Gipfel der Bundeskanzlerin im Dezember letzten Jahres eine wichtige Vereinbarung gegeben. Innerhalb der Branche der Informations- und Kommunikationstechnologien wurde zwischen dem Unternehmen
SAP, dem BITKOM - also dem entsprechenden Fachverband - und uns ein umfangreiches Programm zur
Weiterqualifizierung jetzt arbeitsloser Ingenieure mit
dem Ziel des Wiedereinstiegs in den Beruf vereinbart;
denn es gibt eine ganze Reihe von Ingenieuren im Alter
von bis zu 45 Jahren, zu denen man nicht sagen kann
- davon bin ich überzeugt -, dass es für sie keine Möglichkeit mehr gibt.
Dies sind also die unterschiedlichen Baustellen. Anreize, Unterstützung, attraktive Angebote bis hin zur
Entdeckung der Weiterbildung durch die Universitäten
bilden in etwa das Spektrum, an dem wir arbeiten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulrike Flach.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, wie
immer in solchen Fällen liegen Zahlen vor, die leider
nicht dem aktuellsten Stand entsprechen. Sie stammen
zum größten Teil auch aus Bereichen, für die Sie als
Ministerin nicht direkt verantwortlich waren.
Anders als Sie es eben dargestellt haben, ist der Anteil
der Spitzentechnologien am Export gemäß diesem Bericht nicht so berauschend. Es werden nur 30 Prozent angegeben. Deswegen möchte ich von Ihnen gerne hören,
ob es in Ihrem Verantwortungsbereich in den unmittelbar
zurückliegenden Monaten bereits ein Anzeichen dafür
gab, dass dies besser wird.
Da wir Unternehmensgründungen in diesem Zusammenhang immer fördern wollen, bitte ich Sie gleichzeitig, uns Näheres über Ihre Überlegungen zur Förderung
von Wagniskapital und zu all den Punkten, über die wir
miteinander diskutieren, mitzuteilen.
Es ist in der Tat so: Alle Tabellen in dem Bericht betreffen den Zeitraum von 2003 bis 2005. Er enthält allerdings auch Prognosen darüber - diese ergeben sich aus
Umfragen bei Unternehmen -, wie sich bestimmte
Dinge weiterentwickeln werden. Deshalb habe ich eben
versucht, das ein wenig zu gewichten.
Zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt liegt eine
Zahl aus dem Jahre 2005 vor, wonach der Wert der
exportierten forschungsintensiven Industriewaren
428,3 Milliarden Euro betrug. Damit waren wir größter
Technologieexporteur und lagen noch vor den USA und
vor Japan. In dieser Woche stand in irgendeiner Zeitung
eine weiter fortgeschriebene Zahl. Danach liegen wir
nach wie vor vor den USA und vor Japan.
({0})
- Aufsteigende Linie überall.
Ich weiß jetzt nicht, ob für das Jahr 2006 bereits eine
Zahl vorliegt. Aber beispielsweise für die optischen
Technologien mit ihren Spitzenprodukten werden - dazu
hat der Stifterverband gerade Zahlen vorgelegt - sowohl
im Bereich der Beschäftigung als auch bei den FuE-Investitionen Entwicklungen prognostiziert, die die der
letzten fünf Jahre bei weitem übertreffen.
Die Aktualität von Zahlen ist aber in der Tat ein Problem. Deshalb nehmen wir im Zusammenhang mit dem
Bericht eine Umstellung vor, indem wir zumindest bei
den Schlüsseltechnologien auf aktuelle Zahlen zurückgreifen.
Es kann aber kein Zweifel daran bestehen: Die
Schlussfolgerungen der Experten sind eindeutig, dass es
auf der Grundlage der jetzt möglichen Investitionen seitens der öffentlichen Hand gegenüber den Vorjahren zu
einem deutlichen Anstieg der Investitionen im FuE-Bereich kommen wird. Ich gehe davon aus, dass sich das
auch positiv auf den Anteil der Investitionen im Bereich
der Spitzentechnologien auswirken wird.
Was das Wagniskapital angeht, stehen wir derzeit in
Verhandlungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer
Lösung kommen werden, die dem Ziel gerecht wird, jungen Unternehmen Zugang zu Wagniskapital zu verschaffen, und die - das ist ein weiterer wichtiger Punkt - die
tatsächlichen Unternehmensentwicklungen über einen
ausreichend langen Zeitraum berücksichtigt.
Die Häuser bewegen sich aufeinander zu. Das Eckpunktepapier des BMF war nicht zureichend. Es war aus
der Perspektive des Wirtschafts- und des Forschungsministeriums nicht akzeptabel. Beide Häuser haben ein gemeinsames Papier vorgelegt. Auf dieser Grundlage werden die Gespräche geführt. Ich gehe davon aus, dass sie
in absehbarer Zeit positiv beendet werden.
Bevor die Kollegin Hinz ihre Frage stellt, sei mir ein
Hinweis gestattet. Wir haben den erfreulichen Umstand
zu verzeichnen, dass viele Kolleginnen und Kollegen zu
diesem Geschäftsbereich Fragen stellen wollen.
({0})
Ich möchte in den verbleibenden zehn Minuten alle Fragesteller aufrufen und bitte deshalb um kurze Fragen, die
es der Frau Ministerin ermöglichen, entsprechend kurz
zu antworten.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz.
Frau Ministerin, im zusammenfassenden Endbericht
zur technologischen Leistungsfähigkeit wird darauf hingewiesen, dass wir in Deutschland einen grundlegenden
Wandel unserer Bildungsphilosophie - weg von der
Auslese der Kinder im Schulsystem - brauchen und dass
der Hochschulpakt unterfinanziert ist, was dazu führt,
dass an den einzelnen Hochschulen der Numerus clausus
fast flächendeckend eingeführt wird.
Ich frage Sie deshalb erstens, wie Sie der Auslese im
Bildungssystem entgegenwirken wollen, und zweitens
- der Hochschulpakt ist erst letzte Woche unterschrieben
worden -, ob Sie aufgrund dieses Berichtes in Nachverhandlungen über den Hochschulpakt einsteigen, um ihn
so auszufinanzieren, dass die Zielzahl von 40 Prozent
Studienanfängern, die sich die Koalition selbst gesetzt
hat, tatsächlich erreicht werden kann.
Erstens bin ich davon überzeugt, dass der Hochschulpakt hinsichtlich der Studienanfängerplätze ein attraktives Finanzierungsangebot an die Länder darstellt.
Zweitens obliegt es der Verantwortung der Länder, dafür
Sorge zu tragen, dass ihre Universitäten - übrigens auch
im Kontext des Bolognaprozesses - über die notwendigen finanziellen Spielräume verfügen. Einige Länder gehen vorbildlich voran. Die Bayerische Staatsregierung
hat gerade beschlossen, den Universitäten 1 Milliarde
Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen, um nicht nur
den Studienanfängern, sondern auch den Erfordernissen
des Bolognaprozesses gerecht zu werden. Gleiches kann
ich für Baden-Württemberg feststellen. In NordrheinWestfahlen gibt es ebenfalls konkrete Strategien.
Wer sagt, das reicht im Hinblick darauf, was zugunsten der Hochschulen getan werden muss, nicht aus, der
richtet diese Kritik vor allen Dingen an die Adresse der
Länder, die primär dafür verantwortlich sind, für leistungsfähige Hochschulen zu sorgen. Dies zeigen die
Programme einiger Kabinette. Es gibt auch Länder, von
denen ich noch nichts höre; ich will sie jetzt nicht nennen.
Ich füge hinzu: Im Wettbewerb der Hochschulen wird
dies eine große Rolle spielen. Hochschulen, die in zehn
Jahren für Studierende nicht attraktiv sind, werden von
ihnen auch nicht gewählt werden. Deshalb muss dies
eine Priorität der Landespolitik sein.
Der Bund wird, konkretisiert bis 2010 und festgeschrieben bis 2020, einen erheblichen Beitrag dazu beisteuern. In einer Höhe wie nie zuvor stellt er den Hochschulen Geld zur Verfügung. Dabei geht es nicht nur um
die Finanzierung der Studienplätze; allein bis 2010 werden den Universitäten über 700 Millionen Euro für
Overheadkosten zur Verfügung gestellt. Dies bedeutet
eine erhebliche Verbesserung.
Ich komme nun auf Ihre Frage nach dem Bildungssystem zu sprechen. Für ein gerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem gilt der Satz: kein Abschluss ohne
Anschluss. Zwei Drittel aller Jugendlichen durchlaufen
einen Weg in der beruflichen Bildung. In Deutschland
gibt es mit den höchsten Anteil an Sekundarabschlüssen II. Dieser Weg verläuft in den 16 Ländern auf unterschiedliche Weise: Manche Länder tendieren jetzt zu
Gemeinschaftsschulen, andere Länder bevorzugen ein
zweigliedriges System, bei dem die Regionalschule stark
auf die berufliche Bildung vorbereitet. Von daher liegt
auch hier die Primärverantwortung für eine strukturelle
und konzeptionelle Weiterentwicklung ihrer Bildungssysteme bei den Ländern, wenn es darum geht, das gemeinsame Ziel zu erreichen.
Eine weitere Quelle für Verbesserungen ist in der
frühkindlichen Bildung zu sehen. Wie Sie wissen, ist die
Bundesregierung gerade in herausragender Weise tätig,
um auch in diesem Bereich finanzielle Stabilisierung zu
ermöglichen.
Nun stellt der Kollege Jörg Tauss seine Frage. Ich bin
zuversichtlich, dass er zu diesem komplexen Zusammenhang präzise fragen kann.
Frau Ministerin, ich wollte eigentlich ein bisschen in
Euphorie verfallen und auf Deutschland als Technologieexportweltmeister und Exporteur Nummer eins hinweisen. Aber nach dem Hinweis der Präsidentin lasse
ich es bleiben. Gleichwohl freut man sich nach Jahren
der Miesmacherei auch darüber.
Meine Frage, Frau Ministerin, bezieht sich zum einen
auf die steuerliche FuE-Förderung. Welche Initiativen
gibt es hier? Mir fehlt es hier - ich habe dies in den letzten Tagen in einem Gespräch im BMF bemerkt - ein bisschen an der Vergleichbarkeit. Mir geht es also um steuerliche FuE-Förderung versus Projektförderung bei uns,
was sich nur schwer vergleichen lässt. Zum anderen
frage ich Sie, nachdem Herr Schäuble dieser Tage hier
über die Frage qualifizierter Kräfte geredet und über Gespräche mit Ihnen berichtet hat, was ich außerordentlich
begrüße, ob es in diesem Punkt in nächster Zeit zu Fortschritten kommt.
Sowohl die steuerliche Seite als auch die Fachkräfteseite sind in diesem Zusammenhang wichtig. Hier frage
ich Sie nach Ihren weiteren Überlegungen ausgehend
vom Technologiebericht. - Schneller ging es nicht, Frau
Präsidentin, was auch meine Redegeschwindigkeit einbezieht.
Nach jahrelanger Erfahrung erkenne ich Ihr Bemühen
an. - Jetzt hat aber die Frau Ministerin das Wort.
Ich versuche ebenfalls, mich kurz zu fassen. Herr
Tauss, die Kollegen Schäuble und Glos und ich, wir sind
uns einig, dass wir in der Frage der Gehaltsgrenzen etwas tun müssen; an diesem Thema müssen wir in der
Großen Koalition noch arbeiten, damit alle Betroffenen
es richtig erkennen. Es geht, um es noch einmal zu sagen, um Hochqualifizierte sowie darum, dass wir im
Hinblick auf die Lebensplanung junger Leute nicht attraktiv sind, wenn wir ihnen sagen, sie dürften zwar bei
uns studieren, müssten hinterher aber sofort das Land
verlassen, es sei denn, sie fänden einen Job, in dem sie
85 000 Euro verdienten. In dieser Frage werbe ich bei
Ihnen wegen Ihrer Sprecherrolle in Ihrer Fraktion dafür,
zu erkennen, dass dies nicht realistisch ist. Eine junge
Ärztin oder ein junger Informatiker beginnt nicht mit
85 000 Euro. Deswegen haben wir hier noch einen wichtigen Schritt vor uns.
Zu der von Ihnen angesprochenen Vergleichbarkeit
von FuE-Förderung gibt es internationale Studien. Das
ist analog zur Vergleichbarkeit von Steuersystemen zu
sehen. Uns geht es darum - genau deshalb richten wir
den Blick auf andere Systeme -, den Instrumentenkasten
so zu erweitern, dass wir das erreichen, was wir
wollen, nämlich 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
für FuE-Aufwendungen bis 2010. Es sollte aber
niemand meinen, dass dann Schluss sei. Wenn wir das
3-Prozent-Ziel in Europa erreicht haben, müssen wir das
nächste Ziel setzen; denn in Indien, China und Japan
schläft man nicht. Dort ist man längst auf dem Weg zu
den nächsten Zielen.
Vor diesem Hintergrund werden nun Fachgespräche
geführt. Die entscheidende Frage ist, was in welchem
systemischen Zusammenhang wie wirkt. Wie die Mehrheit der OECD-Länder, in denen man erfolgreich ist,
zeigt, ist der richtige Mix aus Projektförderung - die
Mittel dafür erhöhen wir mit unserem gemeinsamen Investitionsprogramm à jour - und Anreizsystemen wichtig, die unter der Überschrift „Steuerpolitik ist Innovationspolitik“ stehen und die sich vor allen Dingen auf die
Gruppen beziehen, die mit ihren Entwicklungen nicht
unmittelbar von den Förderprogrammen partizipieren.
Der gesunde Menschenverstand gebietet es, festzustellen: Es ist noch keine ausreichende Innovationspolitik,
wenn eine Bundesregierung versucht, vorab alle möglichen innovativen Entwicklungen bei den Förderprogrammen zu berücksichtigen. Wir denken weiter.
({0})
Wie weit ich mit Ihnen zufrieden bin, klären wir
nachher, Herr Kollege Tauss.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Krista Sager.
Frau Ministerin, im Abschlussbericht wird deutlich
hervorgehoben, dass die Politik dem Mangel an akademischen Fachkräften unter anderem durch verbesserte
Möglichkeiten für die Unternehmen entgegenwirken
muss, ausländische Fachkräfte zu beschäftigen und Bildungsausländer, die in Deutschland einen Hochschulabschluss machen, im Land zu halten. Meinen Sie nicht,
dass es dafür notwendig ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verändern und zum Beispiel die nach wie
vor hohen Einkommensgrenzen für Hochqualifizierte zu
senken?
Ja, der Meinung bin ich. Wir haben mit der Novellierung des Einwanderungsrechtes in der letzten Woche einen ersten wichtigen Schritt getan. Hier gibt es konkrete
Verbesserungen vor allen Dingen in den Bereichen Wissenschaft und Forschung. Die Verhandlungen mit dem
BMI waren gut. Das wird sich positiv auswirken.
Nun geht es um zwei weitere Punkte, die ich eben genannt habe. Wir wollen unter anderem den Übergang
vom Studium in den Beruf erleichtern. Dafür müssen die
Gehaltsgrenzen - ich meine aus Ihrer Frage herausgehört
zu haben, dass Sie ebenfalls dieser Meinung sind - reduziert werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Pieper.
Frau Ministerin, die Gutachter haben im Bericht zur
technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007
festgestellt, dass die Mehrzahl der OECD-Länder in den
letzten zehn Jahren ihr Förderspektrum durch eine steuerliche Förderung der FuE-Aufwendungen von Unternehmen ergänzt hat. Dazu hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme geäußert, dass sie die Möglichkeiten
der eigenständigen steuerlichen Förderung von FuEAusgaben in Deutschland untersuchen wolle. Was ist damit gemeint? Beabsichtigen Sie, die im Bundestag schon
beschlossene und nun im Bundesrat zur Abstimmung anstehende Unternehmensteuerreform noch zu stoppen und
zu ergänzen bzw. die Zinsschranke fallen zu lassen, weil
diese verhindert, dass insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen mehr Fremdkapital gewinnen
können, was eine geringere Forschungsintensität bei den
KMUs zur Folge hat?
Die Bundesregierung hat für diese Legislaturperiode
die Entscheidungen getroffen, die Teil der Hightechstrategie sind. Dazu gehören die Einführung der Forschungsprämie für KMUs, der Spitzenclusterwettbewerb
und anderes. Nun wird - das ist mit dem Wort „untersuchen“ gemeint - auf der Grundlage eines internationalen Vergleichs darüber nachgedacht, welche Instrumente
nach Ablauf der Hightechstrategie in Betracht kommen.
Ich sage ausdrücklich: Die Instrumente dürfen nicht als
Ersatz für die Projektförderung fungieren; das wäre absurd. Vielmehr müssen die Instrumente so ausgestaltet
werden, wie ich es eben dargelegt habe.
Was die Unternehmensteuerreform angeht, so sind
wir, wie ich eben bereits gesagt habe, im Zusammenhang mit dem Wagniskapital und dem Unternehmensbeteiligungsgesetz jetzt dabei, die im Bereich der jungen
Unternehmen entstandenen Probleme aufzuarbeiten. Ich
will aber auch hier hinzufügen - das ist übrigens auch
Teil des Berichtes -, dass die Unternehmensteuerreform
natürlich insgesamt eine Entlastung der Unternehmen in
Deutschland bedeutet. Alle Experten sagen uns, dass sie
sich auf FuE-Investitionen sehr positiv auswirken wird.
Anders sind solche Zahlen wie ein jährlicher Zuwachs
von 9 Prozent bei den optischen Technologien nicht
denkbar.
Als letzte Frage in diesem Bereich lasse ich die Frage
des Kollegen Weinberg aus der Unionsfraktion zu.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich will noch einmal
auf die 17 Innovationsfelder zurückkommen. Der Bericht hat ja ausdrücklich gelobt, dass die Hightechstrategie der Bundesregierung diese 17 Innovationsfelder herausgestellt hat. Meine Frage dazu ist: Können Sie nach
ungefähr zehn Monaten Laufzeit bereits feststellen, welche Felder sich besonders positiv entwickelt haben, und
gibt es möglicherweise bei gewissen Innovationsfeldern
noch Bedarf, sie etwas stärker ins Rampenlicht zu
rücken?
Die Bundesregierung wird nach einem Jahr, also im
September, den ersten Bericht vorlegen. Im Moment
lässt sich aus dem Stand sagen: In dem eben genannten
Bereich der optischen Technologien gibt es eine wirklich
große Entwicklung. Im Bereich der chemischen Industrie gibt es sehr dynamische Entwicklungen, ebenso im
Bereich von IKT. Die großen Felder, die auch in der
Hightechstrategie besonders ausgestattet sind, stoßen
also auf große Resonanz und in immer mehr Teilbereichen auch auf das Angebot aus der Wirtschaft, mit uns
zu konkreten Vereinbarungen zu kommen.
Natürlich hat das Thema Klimaschutz in einer Reihe
von technologischen Bereichen noch einmal eine Dynamik ausgelöst - Energieeffizienz, erneuerbare Energien -, wozu dann ja auch die Hightechstrategie für den
Klimaschutz vorgelegt wird.
Salopp gesprochen sage ich: Die Rechnung geht auf.
Diese Hightechstrategie ist ein sehr wirksames Signal an
die Branchen in Deutschland, in denen ein hohes Potenzial für Innovation steckt.
Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Es gab noch
mehr Fragen zu diesem Bereich, aber - es tut mir leid wir sind über die Zeit. Ich beende deshalb die Befragung
der Bundesregierung und rufe Tagesordnungspunkt 2
auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/5683, 16/5707 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziff. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/5707 auf. Wir beginnen
mit der dringlichen Frage 1 der Kollegin Cornelia
Hirsch.
Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der
diesjährigen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks,
DSW, die belegen, dass soziale Herkunft und Vorbildung der
Eltern bei einem jungen Menschen nach wie vor maßgeblich
über die Aufnahme eines Studiums entscheiden, und welche
Konsequenzen zieht sie daraus?
Es antwortet der Parlamentarische Staatssekretär
Andreas Storm.
Frau Präsidentin! Ich beantworte die Frage der Kollegin Hirsch wie folgt:
Die Ergebnisse der 18. Sozialerhebung des Deutschen
Studentenwerkes zeigen, dass sich über den Zeitraum
der letzten zwei Jahrzehnte die Bildungsbeteiligungen
der Kinder aus den unterschiedlichen Herkunftsmilieus
tendenziell angenähert haben. Die Chancen für Kinder
aus nicht akademischen Herkunftsfamilien konnten
spürbar gesteigert werden. Dennoch bleibt die Verwirklichung der Chancengerechtigkeit eine vordringliche Aufgabe der Bildungspolitik in Deutschland.
Ziel der Bundesregierung ist es, die Studienanfängerquote auf 40 Prozent anzuheben. Dazu muss vor allem
das große Potenzial von jungen Menschen, deren Familien keinen akademischen Bildungshintergrund haben
oder als bildungsfern gelten, verstärkt berücksichtigt
werden. Hier ist aktives Handeln von Bund und Ländern
gefragt, und mit dem Hochschulpakt und der angestrebten BAföG-Erhöhung stellt der Bund hier die richtigen
Weichen. Der Hochschulpakt versetzt Länder und Hochschulen finanziell in die Lage, bis 2010 insgesamt
91 370 zusätzliche Studienanfänger aufzunehmen. Eine
spürbare Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge
beim BAföG wird dazu führen, dass mehr Studierende
Anspruch auf BAföG erhalten und somit studieren können.
Aufgabe der Länder ist es, durch frühe Fördermöglichkeiten im vorschulischen Bereich und insbesondere
in den Schulen auf Chancengerechtigkeit in den Bildungsbiografien hinzuwirken.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, meine Nachfrage
geht dahin, ob Ihnen bewusst ist, dass die Formulierung
des Deutschen Studentenwerks deutlich kritischer als
Ihre Einschätzung ist. Sie haben insbesondere darauf
hingewiesen, dass ein klarer Rückgang der Studierendenquote zu verzeichnen ist, die bei der letzten Erhebung noch bei 39 Prozent lag, mittlerweile aber nur noch
bei 36 Prozent liegt. Sie haben als Zweites die Forderung
nach einer sozialen Öffnung der Hochschulen aufgestellt, wenn man wirklich die Studierendenquote steigern
will. Es muss der Schwerpunkt darauf gelegt werden,
dass den Gruppen, die bisher an den Hochschulen kaum
vertreten sind - das sind die Kinder aus den sogenannten
bildungsfernen Schichten -, der Weg an die Hochschulen geebnet wird. Ich habe Ihrer Antwort nicht entnehmen können, ob Sie die Auffassung teilen, dass es wirklich um eine soziale Öffnung geht. Das ist auch nicht in
Ihrer Pressemitteilung deutlich geworden, die gestern
vom BMBF verschickt wurde und in der die Frage der
sozialen Kriterien erst in den hinteren beiden Abschnitten auftaucht. Deshalb meine Nachfrage, ob Sie die Auffassung des Deutschen Studentenwerks in diesem Punkt
teilen, dass das die zentrale Aufgabe ist, oder ob Sie sich
in dieser Hinsicht anders positionieren.
Frau Abgeordnete Hirsch, ich teile Ihre Einschätzung
nicht. Ich habe gestern gemeinsam mit dem Präsidenten
des Deutschen Studentenwerks, Herrn Professor
Dobischat, eine Pressekonferenz veranstaltet. Bei dieser
etwa eine Stunde dauernden Pressekonferenz haben sehr
stark auch methodische Fragen eine Rolle gespielt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Untersuchung zweierlei ergibt: Sie zeigt zum einen in der Tat eine Bestätigung des
von mir dargestellten Sachverhalts, dass sich die Schere
im Hinblick auf die Bildungschancen etwa von Arbeiterkindern im Vergleich zu Kindern aus Beamtenhaushalten
in den letzten beiden Jahrzehnten signifikant geschlossen hat. Das Verhältnis von Arbeiterkindern zu Kindern
von Beamten, die eine Hochschule besuchten, lag im
Jahr 1985 bei 1 : 6. Mittlerweile liegt die Relation bei
1 : 3,6. Sie hat deutlich abgenommen. Zugleich ist mit
einem neuen Instrument, das erstmals in dieser Studie
angewendet worden ist, ein sogenannter Bildungstrichter
veröffentlicht worden, der deutlich macht, dass wir nach
wie vor signifikante Unterschiede bei den Bildungschancen haben. Deshalb bleibt die Aufgabe, die Bildungschancen gerade für Kinder aus sozial schwächeren
Familien zu erhöhen, eine wesentliche Aufgabe für die
Bildungspolitik.
Ich habe deshalb auch deutlich gemacht, dass wir vor
allen Dingen auf zwei Instrumente setzen: Zum einen
setzen wir mit dem Hochschulpakt auf die Bereitstellung
von Kapazitäten für zusätzliche Studienanfänger, zum
anderen auf gezielte Instrumente, die Jugendlichen und
Studienanfängern aus sozial schwächeren Familien ein
Studium ermöglichen. Dazu gehört neben einer allgemeinen Anhebung der Bedarfssätze und der Einkommensfreibeträge beim BAföG zum Beispiel auch die
Verbesserung von Studienbedingungen für Studierende,
die Kinder haben. Deshalb wollen wir bei der BAföGNovelle eine Kinderbetreuungskomponente einführen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich möchte den Punkt BAföG aufgreifen. Sie haben
davon gesprochen, dass Sie eine spürbare Erhöhung der
Bedarfssätze und Freibeträge anstreben. Meine Nachfrage ist: Wann und um wie viel Prozent strebt das
BMBF an, solch eine Erhöhung vorzunehmen?
Frau Abgeordnete Hirsch, das BMBF strebt in der Tat
eine spürbare Erhöhung sowohl der BAföG-Leistungssätze als auch der Einkommensgrenzen an. Wir wollen
hierzu eine Verständigung im Zusammenhang mit der
Entscheidung über den Bundeshaushalt für das Jahr
2008 erreichen. Der Bundeshaushalt wird am ersten
Mittwoch im Juli im Bundeskabinett behandelt. Ich gehe
davon aus, dass wir bis dahin eine solche Verständigung
haben werden. Das bedeutet, dass wir dann, wenn dieses
in die BAföG-Novelle integriert wird, im Herbst dieses
Jahres die Gesetzgebung zur BAföG-Novelle und zur
Anpassung der Leistungssätze abschließen können.
Danke, Herr Staatssekretär. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur
Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Volker
Beck ({0}) auf:
Treffen Presseberichte ({1}) zu, dass der Bundesminister für besondere
Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, Dr. Thomas
de Maizière, auf den sächsischen Ministerpräsidenten Georg
Milbradt eingewirkt habe, „er möge endlich Ruhe in die Reihen seiner aufgeregten Christdemokraten bringen“, und haben
die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel oder andere Kabinettsmitglieder Kenntnis von ähnlichen Initiativen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Beck, Sie beziehen
sich in Ihrer Frage auf Presseberichte. Die Bundesregierung kommentiert Presseberichte grundsätzlich nicht;
das wissen Sie.
Im Übrigen würde es sich bei dem in der Presse erwähnten Telefonat - sollte es tatsächlich stattgefunden
haben - um ein Gespräch unter ehemaligen sächsischen
Kabinettskollegen über eine Sachsen betreffende Angelegenheit handeln. Deshalb kann die Bundesregierung
über ein als virtuell oder wie auch immer zu bezeichnendes Gespräch hier keine Auskunft geben.
Herr Beck, Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Ich möchte das Bundesjustizministerium jetzt nicht
bitten, uns eine ausführliche Darstellung darüber zu geben, wie die Rechtsfigur „ehemaliges sächsisches Kabinettsmitglied“ zu definieren ist.
Ich frage die Bundesregierung danach, ob zwischen
dem Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister
Thomas de Maizière, und dem Ministerpräsidenten
Georg Milbradt ein Telefongespräch darüber stattgefunden hat, dass man Ruhe in die Reihen der aufgeregten
Christdemokraten Sachsens bringen soll, und ob es
stimmt, dass ein solcher Anruf Folgen hat, wie der
„Spiegel“ schreibt:
Teubner wurde vom CDU-Fraktionschef ermahnt,
er solle abschwören - de Maizière müsse aus der
Schusslinie gehalten werden. Doch der Geheimdienstkontrolleur war nicht umzupolen: Sein Vorwurf bleibt in der Welt.
Das wird da behauptet. Ich möchte wissen, ob der
oberste Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung
dahin gehend Druck ausübt, dass nicht bekannt wird, mit
welchem Amtsverständnis er in Sachsen eine ähnliche
Funktion bekleidet hat. Das ist für den Deutschen Bundestag von Relevanz. Wir wollen wissen, ob wir darauf
vertrauen können, dass der jetzige Geheimdienstkoordinator seinen gesetzlichen Pflichten gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium nachkommt.
Die Frage wurde formuliert, und die Intention wurde
erläutert. Herr Staatssekretär, bitte.
Meine Antwort wird nicht ganz so lang sein wie das
Statement von Herrn Beck.
({0})
Verehrter Herr Kollege Beck, ich gehe davon aus,
dass Sie ein solches Gespräch, das angeblich stattgefunden hat, nicht persönlich mitgehört haben.
({1})
Da ich auch davon überzeugt bin, dass der Redakteur
dieses Magazins, dieses Nachrichtenblattes oder wie
man dieses sehr wichtige Organ auch immer bezeichnen
will,
({2})
ebenfalls nicht persönlich mitgehört hat, darf ich Sie nur
darauf verweisen, dass Sie sich hier in unglaublichen
Vermutungen ergehen, die Sie mit gar nichts belegen
können. Deswegen erwarten Sie von mir bitte nicht, dass
ich mich zu Ihren Vermutungen, die Sie mit gar nichts
belegen können, auch nur im Entferntesten äußere.
({3})
Ich gehe davon aus, dass der Kollege Beck eine
zweite Frage stellt. - Das ist der Fall.
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass ein solches Gespräch mit dem Ziel des Ausübens von Druck
auf Parlamentarier und auf Mitglieder der sächsischen
Landesregierung, die Kritik an Herrn de Maizière einzustellen, nicht zu dem Aufgabenbereich des Chefs des
Bundeskanzleramtes gehört und dass es zu kritisieren
wäre, wenn es so stattgefunden hätte, wie es im „Spiegel“ steht?
({0})
Verehrter Kollege Beck, dies ist keine Quadratwurzel,
wie sie der polnische Ministerpräsident anwenden
wollte, sondern Hypothese hoch vier.
({0})
Wenn ich den ersten Teil Ihrer Frage richtig verstanden habe, müsste diesen ersten Teil Ihrer Frage der sächsische Ministerpräsident beantworten.
({1})
- Der Herr Tauss kann dabei behilflich sein. Der weiß,
wie man das macht.
({2})
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so kann ich
darauf keine Antwort geben, weil er so hypothetisch ist.
Zumindest ich als Vertreter der Bundesregierung darf
von einer ordnungsgemäßen Amtsführung des Kanzleramtsministers Dr. Thomas de Maizière ausgehen.
({3})
Weitere Nachfragen gibt es dazu nicht. - Danke, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke auf:
Ist die Bundesregierung bereit, vor dem Hintergrund, dass
am 18. Juni bei einem US-Luftangriff auf ein „mutmaßliches
Versteck von Aufständischen“ ({0}), eine Religionsschule in der afghanischen Provinz
Paktika, sieben Kinder getötet wurden, ihre Haltung zur weiteren Unterstützung der Operation Enduring Freedom zu verändern?
Herr Kollege Gehrcke, meine Antwort lautet: Die
Bundesregierung sieht keinen Grund, ihre Haltung zur
Operation Enduring Freedom zu verändern. Die Bundesregierung bedauert sehr, dass es bei Einsätzen in Afghanistan zu zivilen Opfern kommt. Die Bundesregierung
setzt sich innerhalb der NATO sowie in Gesprächen mit
ihren Partnern dafür ein, dass alles getan wird, um zivile
Opfer so weit als möglich zu vermeiden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege
Gehrcke.
Herr Staatsminister, das Bedauern ist aufrichtig, aber
beim Bedauern kann es nicht bleiben. Deswegen möchte
ich präzise nachfragen: Ist der Bundesregierung bekannt,
welche Aufklärungsergebnisse den USA, die diesen
Bombenangriff für die Operation Enduring Freedom geflogen haben, vorlagen, wie sie das Ziel bestimmt haben?
Herr Kollege Gehrcke, über die Art und Weise, wie
die Aufklärung durch die amerikanische Seite stattgefunden hat, liegen der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. Aber wir haben in diesem Zusammenhang natürlich, genau wie Sie, Pressemeldungen zur
Kenntnis genommen, die unter anderem darauf hinauslaufen, dass die amerikanische Seite die fragliche Schule
einen ganzen Tag lang beobachtet hat und dabei, bevor
es zu diesem Angriff kam, weder Zivilisten allgemein
noch Kinder gesehen hat. Nachher tauchten Berichte auf,
dass offensichtlich Zivilisten einschließlich Kindern in
dieser Schule festgehalten wurden - ein sehr signifikanter Vorgang einer Instrumentalisierung von Zivilisten
einschließlich Kindern als lebende Schutzschilde, was
die Bundesregierung auf das Schärfste verurteilt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ich bin immer davon ausgegangen, dass die Bundesregierung mehr weiß als das, was in
der Presse steht. Wenn das nicht der Fall ist, habe ich
mich eben getäuscht. Das spricht aber nicht unbedingt
für die Bundesregierung.
Ich will dann zum direkten Handeln der Bundesregierung nachfragen. Es ist bekannt, dass an diesem Tag
deutsche Tornados genau in dieser Region Aufklärungsflüge durchgeführt haben. Kann die Bundesregierung
verbindlich ausschließen, dass Luftaufnahmen der deutschen Tornados eine der Grundlagen für diesen Angriff
gewesen sind?
Herr Kollege Gehrcke, das ist Gegenstand einer weiteren dringlichen Frage. Ich würde jetzt ungern die Antwort meines Fachkollegen auf diese Frage vorwegnehmen. Die Antwort wird gleich erfolgen.
Wenn Sie die dringliche Frage des Kollegen Ströbele
meinen sollten: Die Antwort wird leider nicht gleich erfolgen, weil die Frage schriftlich beantwortet wird.
Entschuldigung. Ich habe übersehen, dass diese
dringliche Frage schriftlich beantwortet werden soll.
Herr Kollege Gehrcke, dann bin ich natürlich frei, Ihnen
zu antworten.
An dem fraglichen Tag, dem 17. Juni, hat im Kommandobereich East, wozu Paktika und damit auch der
Ort dieser Schule gehören, kein einziger Aufklärungsflug der Recce-Tornados stattgefunden. Auch an den
beiden Tagen vorher ist dieses Gebiet nicht aufgeklärt
worden, sodass ein Zusammenhang nicht herzustellen
ist.
Danke, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die dringliche Frage 4 des
Kollegen Hans-Christian Ströbele soll schriftlich beantwortet werden.
Deshalb kommen wir nun zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres zur Verfügung.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die dringliche Frage 5 des Kollegen Werner
Dreibus auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass weder mit
der im Koalitionsausschuss vereinbarten Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes noch mit der geplanten Regelung für tariffreie Branchen - Ausschuss für Mindestlohn das Problem tariflicher Niedriglöhne zu lösen ist?
Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dem Kollegen nochmals zu seinem heutigen 60. Geburtstag.
({0})
Herr Kollege Dreibus, herzlichen Glückwunsch. Für die Bundesregierung beantworte ich Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung sieht in dem vom Koalitionsausschuss vorgeschlagenen Maßnahmenpaket ein wirksames Instrument zur Ordnung des Niedriglohnbereichs.
Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage. Bitte.
({0})
Herr Staatssekretär, wie soll ich im Zusammenhang
mit den jetzt von Ihnen für die Bundesregierung getroffenen Aussagen die von Ihrem Kollegen und verantwortlichen Minister gestern öffentlich getätigten Aussagen
interpretieren, die sich ja nun ganz anders anhörten?
({0})
Auf den Zwischenruf, für welchen Teil ich spreche,
entgegne ich: Ich habe hier eben für die Bundesregierung geantwortet. Das tue ich übrigens während der gesamten Fragestunde.
Ihnen, Herr Dreibus, möchte ich sagen: Das Maßnahmenpaket, das verabredet worden ist, konzentriert sich
zunächst auf die Bereiche, bei denen von den beiden Koalitionspartnern besonderer Handlungsbedarf gesehen
wurde. Dabei handelt es sich zum einen um Branchen, in
denen es keine Tarifverträge gibt oder bestehende Tarifverträge nur eine Minderheit von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern erfassen. Zum anderen erhalten alle Branchen mit einem Mindestmaß an Tarifbindung das
Angebot, ihre Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu beantragen. Damit können sie zukünftig auf
dieses Instrument zurückgreifen.
Dieses Maßnahmenpaket berücksichtigt in besonderem Maße den von den Tarifvertragsparteien in den betreffenden Branchen gesetzten Handlungsrahmen. Die
Bundesregierung und die Koalition haben also besonderen Wert darauf gelegt, zunächst das, was im Rahmen
der Tarifautonomie entwickelt werden kann, zum Zuge
kommen zu lassen. Im zweiten Teil wurden Regelungen
für Bereiche getroffen - das steht ja in der Vereinbarung
auch drin -, die sozusagen weiße Flecken aufweisen
bzw. in denen es keine Entfaltung der Tarifautonomie
gibt.
Ihre zweite Nachfrage.
Da ja nun öffentlich bekannt geworden ist, dass ich
nicht zu den Jüngsten in diesem Hause gehöre, darf ich
Sie vielleicht in dem Zusammenhang mit der Frage konfrontieren, wie lange denn die Beschäftigten in den
Branchen, in denen es keine tariflichen Regelungen gibt
oder in denen es aufgrund tariflicher Regelungen beispielsweise Löhne unter 4 Euro gibt, noch warten müssen, bis durch eine Initiative dieser Bundesregierung ihre
Situation wirkungsvoll verbessert wird, also indem ihre
Armutslöhne per gesetzlicher Regelung auf ein vertretbares Mindestmaß angehoben werden.
Herr Kollege Dreibus, ich bin davon überzeugt, dass
wir das in der Regierungskoalition verabredete Paket so
schnell wie möglich umsetzen werden. Für die Öffnung
des Entsendegesetzes steht ja ein Datum in der Verabredung. Ich will Sie nur darauf hinweisen: Gegenwärtig erstreckt sich das Entsendegesetz nur auf die Bereiche Bau
und Gebäudereinigung. Künftig erstreckt sich das Entsendegesetz, wenn die Tarifvertragsparteien es wollen,
auf viele weitere Branchen. Das Instrument des aus dem
Jahr 1952 stammenden Gesetzes, des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes, stand für diesen Zusammenhang derzeit faktisch überhaupt nicht zur Verfügung.
Ich möchte einmal darauf hinweisen, dass es, wie ich
finde, eine Reihe sehr guter Regelungen gibt, die dazu
führen, dass für Sektoren, für die es bisher überhaupt
keine Regelungen gab, Regelungen verabredet werden
können. Ich fasse das einmal in einer Position zusammen
- wir kennen uns ja schon lange Zeit aus anderen Zusammenhängen -, die für Gewerkschaftler ziemlich wichtig
ist: Mit dem Entsendegesetz erreichen wir die Bereiche,
in denen die Tarifbindung mindestens 50 Prozent beträgt.
Mit dem zweiten Gesetz können wir nunmehr in Bereichen tätig werden, bei denen es bis jetzt keine Grundlage dafür gab. Deswegen halte ich das für die Bundesregierung durchaus für ein bemerkenswertes Ergebnis.
Selbstverständlich kann nicht verschwiegen werden
- das ist ja öffentlich -, dass die Koalitionspartner dieser
Regierungskoalition naturgemäß unterschiedliche Vorstellungen haben, die sie, wie mein Minister öffentlich
erklärt hat, auch weiter verfolgen werden.
Ich rufe die dringliche Frage 6 der Kollegin Ulla
Lötzer auf:
Vizepräsidentin Petra Pau
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass nur in wenigen Branchen mit bundesweit gültigen Tarifverträgen eine
wichtige Voraussetzung für die vom Koalitionsausschuss vorgeschlagene Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gegeben ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Lötzer, nach dem Vorschlag des Koalitionsausschusses wird allen Branchen mit einem bestimmten Mindestmaß an Tarifbindung bis zum Stichtag
31. März 2008 ein Angebot zur Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz unterbreitet. Voraussetzung für
die Aufnahme ist ein gemeinsamer Antrag von Tarifvertragsparteien der betroffenen Branche. Um wie viele und
welche Branchen es sich dabei handeln wird, ist erst
nach Ablauf der Frist ersichtlich. Ich kann Ihnen aber
versichern - auch das ist öffentlich -, dass in den letzten
Wochen und Monaten eine Reihe von Branchen im Bundesarbeitsministerium vorstellig geworden sind und die
Aufnahme ins Entsendegesetz wollten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Trotz Ihrer Antwort
habe ich konkrete Nachfragen. Erstens. Ist damit die Voraussetzung eines bundesweiten Tarifvertrages - das
würde ja restriktiv wirken - hinfällig, weil sie durch
diese 50-Prozent-Klausel ersetzt wird?
Zweitens wüsste ich gern Folgendes von Ihnen: Bei
50 Prozent Tarifgebundenheit kann man in der Regel
nicht von einem Mindestmaß an Tarifbindung sprechen;
vielmehr ist dies schon ein relativ hohes Maß an Tarifbindung. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass in
diesen Branchen - das wüsste ich gern konkreter von Ihnen - in der Regel auch die Kraft der Gewerkschaften
ausreicht, Tariflöhne oberhalb eines Armutslohns durchzusetzen, dies also zumindest zur Lösung des Problems
nationaler Armutslöhne nichts beiträgt?
Frau Abgeordnete, das Vorhandensein von bundesweiten Tarifstrukturen ist für die Aufnahme einer Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht erforderlich. Stattdessen ist formuliert, dass man 50 Prozent der
in der Branche betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreichen muss. Das kann schon der Fall
sein, wenn ein Arbeitgeber diese 50 Prozent beschäftigt;
wird ein entsprechender Antrag gestellt, so ist nach unserer Auffassung die Voraussetzung erfüllt. Dann setzt
sich die Mechanik in Bewegung, deren weitere Etappen
in den Koalitionsbeschluss aufgenommen sind.
Ich will noch einmal ganz ausdrücklich sagen, was
dies bedeutet: Angesichts dessen, dass das Entsendegesetz gegenwärtig ausschließlich für die Baubranche und
für die Branche der Gebäudereiniger gilt, halte ich dies
für einen außerordentlichen Fortschritt, und ich wäre
verrückt, wenn ich sagte, ich schlösse die Möglichkeit
aus, andere Branchen aufzunehmen, nur weil ich persönlich oder wir als Partei eine weitergehende Forderung als
Zielsetzung haben.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage weise ich noch einmal
auf Folgendes hin: Man soll das Instrument des Gesetzes
von 1952, das wir überarbeiten, nicht unterschätzen.
Meines Erachtens bietet es eine ganze Menge Möglichkeiten, auf alle Fälle solche, die es bisher gar nicht gab.
Dann lassen Sie mich noch einmal gerade zu der Voraussetzung einer 50-prozentigen Tarifbindung nachfragen. Ihnen ist das Problem der Verbandsflucht von Arbeitgebern durchaus auch bekannt. Meinen Sie nicht,
dass sich viele Arbeitgeber, die die Absicht der Umgehung haben, sich nicht geradezu eingeladen fühlen, Verbandsflucht zu begehen, um sich einer solchen Wirkung
des Entsendegesetzes zu entziehen?
Das Problem der Verbandsflucht haben wir gegenwärtig schon. Immer mehr Arbeitgeber verlassen die
Verbände.
({0})
- Darf ich noch einmal auf den Zusammenhang hinweisen?
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär. Wir
sind in der Fragestunde und nicht in der Debatte.
Ich teile auch Ihre Meinung nicht, dass wir die Arbeitgeber dazu einladen. Es geht um die Tarifbindung in der
gesamten Branche: Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn
mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer Branche - das kann bei nur einem Arbeitgeber, aber natürlich auch bei mehreren sein - tarifgebunden beschäftigt sind. Ich nenne ein Beispiel: Eine
besonders wichtige Branche, die boomt, ist die Branche
der Zeitarbeit. Da gibt es zwei Verbände, die einen identischen Tarifabschluss für die Zeitarbeit getätigt haben
und die sich beide dringend für die Aufnahme ins Entsendegesetz ausgesprochen haben. Angesichts dessen
und angesichts der zusätzlichen Bedingungen gehe ich
davon aus, dass die Möglichkeit, diese Verbände ins Entsendegesetz aufzunehmen, aufgrund der getroffenen
Vereinbarungen gegeben ist.
Wenn jetzt das eintritt, was Sie befürchten, dass nämlich die Arbeitgeber reihenweise die Verbände verlassen,
gibt es die Möglichkeit Nummer zwei, die es bisher
nicht gab. Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir
nun sowohl das Instrument des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes als auch das Gesetz über die MindestarbeitsbeParl. Staatssekretär Gerd Andres
dingungen von 1952 haben. Ich spitze das einmal zu:
Das eine Gesetz gilt für die Branchen, die zu über
50 Prozent organisiert sind, und das andere Gesetz gilt
für den Rest. Das wäre wenigstens meine Interpretation.
Man muss sich das anschauen, und das werden wir im
Gesetzesverfahren machen. Ich glaube, dass es mit dieser Regelung einen deutlichen Fortschritt gibt.
Ich rufe die dringliche Frage 7 der Kollegin Kornelia
Möller auf:
Welche Position bezieht die Bundesregierung zur Auffassung, dass die Realisierung des Vorschlags des Koalitionsausschusses - ein Ausschuss für Mindestlohn solle für Branchen
ohne tarifvertragliche Bindung beim Bundesminister für Arbeit und Soziales einen Mindestlohnantrag stellen - von
wechselnden politischen Mehrheiten abhängig macht und damit zu keinem zuverlässigen Modus für die Einführung von
Branchenmindestlöhnen führen kann?
Ich gratuliere der Kollegin zu ihrem Geburtstag.
({0})
Frau Möller, auch ich gratuliere Ihnen herzlich zum
Geburtstag.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Gerade die vorgesehenen Ausschüsse und ihre Besetzung zielen auf von
politischen Mehrheiten unabhängigen Sachverstand.
Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.
Danke. - Herr Staatssekretär, wie stehen Sie zu der
Aussage, dass dieser Ausschuss für Mindestlohn entsprechend dem englischen Vorbild als ein Mindestlohnrat gestaltet werden könnte, der dann für alle Bereiche
zuständig wäre?
Nach der Regelung, die in der Koalitionsvereinbarung
getroffen ist, konstituieren wir zunächst einmal einen
Hauptausschuss. Dieser Hauptausschuss wird so besetzt,
wie es dort niedergelegt ist. Er hat zu prüfen, ob der
Mindestlohnantrag gestellt wird oder nicht. Der Fachausschuss, der dann gebildet wird, ist für die Lohnfindung in dem Bereich zuständig. Bei der Besetzung sollen die betroffenen Branchen berücksichtigt werden.
Folgende Konstruktion ist vorgesehen: Ein Hauptausschuss wird in einer bestimmten Art und Weise gebildet.
Er ist ein ständiger Ausschuss, der prüft, ob ein Mindestlohnantrag gestellt wird oder nicht. Daneben werden die
Fachausschüsse gebildet. Diese legen für die Branche,
wenn die Notwendigkeit besteht, die Höhe des Lohnes
fest.
Nun möchte ich nicht fantasieren, was daraus zukünftig werden kann. Ich habe die Arbeit der Low Pay
Commission in Großbritannien immer mit großer Sympathie verfolgt. Ob es so etwas wird, weiß ich nicht. Jetzt
wird das, was in der Koalitionsvereinbarung festgehalten
ist, umgesetzt.
Ich danke Ihnen und habe noch eine zweite Nachfrage: Wer wird in diesem Ausschuss für Mindestlohn
einen Antrag stellen, wenn es keine einheitlichen Verbandsstrukturen für die betroffene Branche gibt? Wer ist
dann Antragssteller oder Vertreter im Ausschuss?
Darüber wird man noch reden müssen. Ich verstehe es
so: Der Hauptausschuss wird als ständiger Ausschuss
eingerichtet, wenn man das zugrunde legt, was in der
Vereinbarung formuliert ist. Ich will sie gerne noch einmal zitieren:
Ziffer 1. Es gibt zunehmend Wirtschaftszweige
oder einzelne Regionen, in denen es entweder keine
Tarifverträge gibt oder eine Tarifbindung nur für
eine Minderheit der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber besteht ({0}). Um in diesen Bereichen Mindestlöhne zu setzen, wird das Gesetz
über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen aus dem Jahr 1952 gangbar gemacht und auf
den aktuellen Stand gebracht.
Ziffer 2. Das Vorhandensein eines derartigen tariflosen Zustandes reicht als Anwendungsvoraussetzung.
Wenn die Kommission also als Tatbestand feststellt,
dass es diesen tariflosen Zustand gibt, dann würde eine
entsprechende Festlegung stattfinden, und dann muss
sich damit der Fachausschuss im Einzelnen beschäftigen. Ich finde, man kann daraus ordentlich etwas machen, wenn man das will.
Es gibt eine weitere Nachfrage, diesmal vom Kollegen Grund.
Herr Staatssekretär, man kann zwar „ordentlich etwas
daraus machen.“ Letztendlich handelt es sich, wenn man
das Mindestarbeitsbedingungengesetz von 1952 modernisiert und der entsprechende Ausschuss, den die Koalition verabredet hat, eingerichtet wird, aber um eine staatlich festgesetzte Lohnfindung. Sehen Sie dabei nicht die
Gefahr des Eingriffes in die Tarifautonomie, die auch
vom Grundgesetz her ein schützenswertes Gut ist?
Nein, das sehe ich nicht. Deswegen hat ja der Koalitionsausschuss über die Aktivierung dieses Gesetzes in
dem Zusammenhang nachgedacht, wie er hier dargelegt
ist.
Der Ausgangspunkt ist folgender: Die Koalition sagt:
Für uns hat die Tarifautonomie absoluten Vorrang. Dort,
wo die Tarifvertragsparteien eine Regelung getroffen haben, ist das in Ordnung. Deswegen haben wir ja beim
Entsendegesetz die erwähnte 50-Prozent-Klausel und
Weiteres vorgesehen. Nun stellen wir aber fest, dass in
bestimmten Bereichen, Regionen und Branchen die Tarifautonomie gar nicht mehr wirkt. Sie ist nämlich gar
nicht mehr vorhanden. Wenn das so ist, dann würde eine
staatliche Lohnsetzung greifen; da haben Sie recht. Das
ist dann aber keine Bedrohung der Tarifautonomie, sondern ersetzt die nicht mehr vorhandene Tarifautonomie.
Ich rufe die dringliche Frage 8 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Koalitionsausschuss mit dem Vorschlag, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes von einer tarifvertraglichen Deckung der jeweiligen Branche von mindestens 50 Prozent
abhängig zu machen, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf weitere Branchen erschweren wird?
Frau Kollegin Zimmermann, Sie fragen nach der tarifvertraglichen Deckung von 50 Prozent. Das habe ich
mehrfach erläutert. Auf Ihre Frage antworte ich jetzt
schlicht: Nein, wir teilen diese Auffassung nicht.
Ihre erste Nachfrage bitte.
Danke, Herr Staatssekretär. Ihre Antwort war ja sehr
kurz und knapp.
Ich habe heute einmal im WSI angerufen und mich
dort mit der zuständigen Kollegin unterhalten. Das WSI
bezieht sich ja immer auf die Stichprobenerhebung des
IAB. Es wurde eindeutig gesagt: Es gibt keine Statistiken für einzelne Branchen. Es gibt zwar zum Beispiel in
Ostdeutschland eine Tarifbindung von 41 Prozent und in
Westdeutschland eine Tarifbindung von soundso viel
Prozent. Aber für einzelne Branchen gibt es keine Statistik.
Jetzt frage ich Sie: Wie wollen Sie zum einen praktisch ermitteln, wie viele Branchen eine 50-prozentige
Tarifbindung haben? Zum anderen: Welche Branchen
würden aus Ihrer Sicht infrage kommen?
Die Bestimmung, dass eine Tarifbindung von mindestens 50 Prozent erreicht werden sollte, gibt es ja schon
heute in bestimmten Bereichen - wirksam im Tarifvertragsgesetz und in Allgemeinverbindlichkeitserklärungen -, ohne dass das jemand im Einzelnen nachgezählt
hat. Wenn es Spitz auf Knopf steht, muss man es ermitteln; das ist doch völlig logisch.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In der Zeitarbeitsbranche gibt es drei große Arbeitgeberverbände.
({0})
Zwei haben einen identischen Tarifvertrag. Man kann ja
einfach die Beschäftigtenzahlen dieser Unternehmen addieren. Ich weiß, dass die Branche gegenwärtig - das ist
jetzt Pi mal Daumen - zwischen 500 000 und
600 000 Beschäftigte hat. Dann kann ich feststellen:
Reicht das, oder reicht das nicht?
Ich nenne Ihnen einen anderen, sehr spannenden Bereich. Denken Sie einmal über die Postdienstleistungen
nach.
({1})
Da gibt es ein ganz großes Unternehmen. Natürlich kann
man sagen, dass das statistisch nicht stimmt; das mag ja
auch sein. In der Praxis wird sich das relativ schnell herausstellen.
Ich habe in der Antwort auf eine andere Frage vorhin
schon gesagt, dass ich nicht darüber spekulieren möchte,
welche Branchen aufgenommen werden. Ich kann Ihnen
aber folgende nennen: private Entsorger, Postdienstleistungen, Zeitarbeit; es gibt noch einige andere. Einige
Branchen haben sogar Tarifvertragsklauseln oder Absichtserklärungen formuliert, in denen steht: Wenn das
Entsendegesetz geöffnet wird, werden wir einen Mindestlohn festlegen und beantragen. - Lassen Sie uns mit
dem Geschäft einfach anfangen; dann werden wir sehen,
was dabei herauskommt.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich denke, Pi mal Daumen reicht nicht. Ich will festhalten, dass es dort Niedriglohnbereiche gibt, wo die Gewerkschaften sehr schwach sind. Das ist Fakt.
In einer Presseerklärung haben Sie gesagt, dass der
Einzelhandel aufgenommen werden soll. Es gibt aber
gar keinen bundesweiten Tarifvertrag für den Einzelhandel. In Sachsen zum Beispiel ist er an den Berliner Tarifvertrag gekoppelt. Dort wird ein ortsüblicher Lohn in
Höhe von 5 Euro gezahlt. Angesichts dessen frage ich
Sie: Wie wollen Sie das praktisch umsetzen? Ihre Regelung ist im Einzelhandel, wo insbesondere die Frauen
betroffen sind, gar nicht umsetzbar.
In einer anderen Antwort habe ich schon gesagt, dass
ein bundesweit gültiger Tarifabschluss gar nicht Voraussetzung ist. Als Voraussetzung ist vielmehr formuliert:
50 Prozent der Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer
einer Branche müssen bei Arbeitsgebern beschäftigt
sein, die tarifgebunden sind.
Ich greife das Beispiel Einzelhandel auf. Im Zusammenhang mit anderen Entwicklungen - Arbeitszeit oder
Ähnliches - beklagen wir die ungeheure Monopolisierung in diesem Sektor. Ich bemühe einmal die Fantasie:
Stellen wir uns vor, es gäbe ein, zwei, drei oder vier
große Unternehmen, die ein Interesse an ordentlichen
Verhältnissen in ihrer Branche hätten und einen solchen
Antrag stellen würden.
({0})
- Es gibt ja auch noch andere. Wir wollen hier jetzt keine
Schleichwerbung machen. Sonst müssen wir noch alle
aufzählen. Ich versuche nur, Ihre Frage kreativ zu beantworten.
Das ist die eine Sache. Die andere Sache betrifft das
zweite von mir genannte Gesetz: Es kann nur dort wirksam werden, wo es keine Tarifverträge bzw. „weiße
Flecken“ gibt. Ich würde schon sagen, dass manche Gewerkschaft überlegen sollte - ich drehe das jetzt einmal
um -, ob sie aufgrund ihrer Schwäche jeden Tarifvertrag
unterschreibt und billigt oder nicht doch lieber sagt, dass
sie sich dazu nicht mehr hergibt, was dann entsprechende Folgen hätte.
Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende
dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Ich rufe die dringliche Frage 9 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass - bleibt es
bei der Nichteinigung des Koalitionsausschusses bezüglich
der Verlängerung des sogenannten Briefmonopols - ab 2008
mit der vollständigen Öffnung des Briefmarktes in Deutschland eine drastische Zunahme von Billigjobs im Briefdienst
droht, da bereits die bisherige Teilöffnung von 20 Prozent des
Briefaufkommens zu einem Niedriglohnwettbewerb geführt
hat, weshalb gegenwärtig etwa 10 000 Zustellerinnen und Zusteller ihr Niedrigeinkommen durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. - Sie haben das
Wort.
Ich gebe für die Bundesregierung folgende Antwort:
Diese Auffassung teilen wir nicht. Die komplexe Problematik des Niedriglohnbereichs kann nur im Zusammenhang mit der generellen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Diskussion gesehen werden. Die im
Koalitionsausschuss beschlossene Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eröffnet die Möglichkeit,
dass auch für die angeführte Postbranche eine grundsätzliche Sicherung eines angemessen Lohnniveaus herbeigeführt werden kann.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön. - Wenn Sie die Auffassung nicht teilen,
muss ich Sie auf Folgendes hinweisen: 10 000 Zustellerinnen und Zusteller erhalten in Deutschland aufstockende Löhne; das ist eine Masse. Sind Sie angesichts
dessen nicht mit mir einer Meinung, dass viele Menschen davon zutiefst betroffen sind und so wenig Lohn
bekommen, dass sie nicht davon leben können und sich
noch vom Amt Geld holen müssen, damit sie leben können?
Die von Ihnen genannte Zahl - wenn sie denn stimmt ({0})
hat sich ja zu Zeiten der Geltung des Briefmonopols ergeben. Also ist die Logik, dass es so etwas nicht gibt,
wenn man das Briefmonopol verlängert, irreführend.
Deswegen ist auch die Annahme, die man daran knüpfen
will, dass ein kausaler Zusammenhang besteht und es
daher durch eine Liberalisierung zu einer drastischen
Zunahme der Zahl der betroffenen Personen kommen
würde, falsch. Wir teilen diese Auffassung nicht.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Die Zahl ist aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage
an die Bundesregierung.
Ich habe noch eine Frage: Der Koalitionsausschuss
hat ja beschlossen, die Verlängerung bzw. die Nichtverlängerung des Briefmonopols davon abhängig zu machen, wie man sich in der EU einigt. Hat die Bundesregierung vor, jetzt auf die Bedenken Frankreichs - von
dort wurden schon Bedenken angemeldet - und anderer
Länder einzugehen und nicht mehr eine Vorreiterrolle in
der Liberalisierung des europäischen Postmarktes zu
spielen? Welche Position vertritt die Regierung zum
Vorschlag der europäischen Postgewerkschaften, die
Öffnung der EU-Postmärkte bis 2012 zu verschieben?
Wir halten an unseren bisherigen Bewertungen und
Einstellungen fest. Wir halten die Diskussion in Europa
für noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung sieht
keine Notwendigkeit, von der bisherigen Beschlusslage,
wonach das Postmonopol zum 1. Januar 2008 ausläuft,
abzuweichen.
Unabhängig davon kann man konstruktiv über Lösungen und Ansätze nachdenken, wie eventuell befürchtete
negative Auswirkungen gemildert werden können. Auch
darüber sind wir in einem intensiven Gespräch miteinander.
Danke, Herr Staatssekretär.
Vizepräsidentin Petra Pau
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf
Drucksache 16/5683 in der üblichen Reihenfolge auf.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Monika Lazar zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 3 des Kollegen
Peter Hettlich soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Frage 4 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch soll ebenfalls schriftlich beantwortet
werden.
Die Fragen 5 und 6 der Kollegin Irmingard ScheweGerigk zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Jörg Rohde auf:
Liegen der Bundesregierung Hinweise zu aus Parkproblemen resultierenden Einschränkungen der Mobilität contergangeschädigter Ohnarmer vor, und, wenn ja, plant sie Maßnahmen zur Beseitigung dieser Einschränkungen?
Herr Kollege Rohde, wenn Sie gestatten, beantworte
ich die Fragen 7 und 8 zusammen, weil sie im Sachzusammenhang stehen.
({0})
Dann rufe ich auch die Frage 8 des Kollegen Rohde
auf:
Zählt zu den durch die Bundesregierung gegebenenfalls
geplanten Maßnahmen zur Beseitigung der aus Parkproblemen resultierenden Einschränkungen contergangeschädigter
Ohnarmer auch die Schaffung der Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens „aG“ für diesen Personenkreis, damit diese die sogenannten Rollstuhlparkplätze nutzen können,
und, wenn nein, warum nicht?
Die gesetzliche Grundlage für die Antwort der Bundesregierung ist § 46 Abs. 1 Nr. 11 der StraßenverkehrsOrdnung und die dazu erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Da ist geregelt, welche Personengruppen Parkerleichterungen haben können. Wir haben eine
klare Definition. Wenn es um die Gestattung von Parkerleichterungen geht, ist dabei insbesondere an Menschen
mit außergewöhnlichen Gehbehinderungen zu denken.
Die gesetzliche Grundlage dafür sind die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichten
Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im
sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Teil II SGB IX.
Zusätzlich besteht die Situation, dass man diesen Personenkreis in besonders begründeten Fällen ausweiten
kann. Die Befreiung von der Benutzung von Parkuhren
und Parkscheinautomaten, auch die Befreiung von der
Verpflichtung, im Zonenhalteverbot und auf Parkplätzen
mit zeitlicher Begrenzung einen Parkschein ins Fenster
zu legen, ist für die Personengruppe, zu der Sie hier fragen, jetzt schon möglich. Wenn man eine weitergehende
Parkerleichterung haben möchte, braucht man das Merkzeichen „aG“ oder die Gleichstellung mit diesem Merkzeichen; darüber entscheidet die Versorgungsverwaltung. Voraussetzung einer Gleichstellung ist, dass das
Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt ist.
Wir haben nicht die Möglichkeit, die Personengruppe,
für die Sie sprechen, generell in die Freistellung aufzunehmen, weil wir ein höchstrichterliches Urteil vom
17. Dezember 1997 zu beachten haben, wonach die Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 der StraßenverkehrsOrdnung eng auszulegen ist. Konsequenz dieses Gerichtsurteils ist, dass wir keine allgemeine Befreiung aussprechen können. Eine Änderung des geltenden Rechts
ist vor diesem Hintergrund nicht geplant.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten von vier möglichen
Nachfragen.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, sieht die Bundesregierung im Moment keine gesetzliche Möglichkeit, Ohnarmern das Merkzeichen
„aG“ zu erteilen, um dadurch für eine bundesweit einheitliche Regelung zu sorgen. Habe ich Sie richtig verstanden?
Das ist die Situation.
Ihre zweite Nachfrage.
Ist der Bundesregierung bewusst, dass Ohnarmer zum
Beispiel mehr Platz zum Öffnen von Autotüren benötigen? Sie können zwar gehen, aber wenn sie etwas tragen
müssen - etwa vom Einkaufsladen zu ihrem Auto -, sind
lange Wege hinderlich. Daher wäre es sehr hilfreich,
wenn sie, auch ohne das Merkzeichen „aG“ erteilt zu bekommen, eine Parkerleichterung erhielten.
Das ist der Grund, aus dem Ohnarmern bereits andere
Parkerleichterungen gewährt wurden; das habe ich schon
gesagt, und das dürfte Ihnen bekannt sein. Wir sind verParl. Staatssekretär Ulrich Kasparick
pflichtet, das Urteil des Verwaltungsgerichts eng auszulegen. Daran müssen wir uns halten.
Ihre dritte Nachfrage.
Ich beschränke mich darauf, drei Nachfragen zu stellen; die vierte Nachfrage lasse ich entfallen.
Vor dem Hintergrund der Einführung des trägerübergreifenden persönlichen Budgets und der zunehmenden
Mobilität der Behinderten frage ich Sie: Kann man für
diese Personengruppe bis zum Jahreswechsel nicht doch
noch etwas tun?
Ich verstehe Ihr Anliegen. Ich verstehe auch, dass die
Menschen, für die Sie sprechen, großes Interesse daran
haben. Bundesregierung und Parlament sind allerdings
an die geltenden Gesetze gebunden. Daran müssen wir
uns halten.
Vielen Dank.
Die Frage 9 des Kollegen Peter Hettlich soll schriftlich beantwortet werden.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Kasparick.
Die weiteren Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Achim
Großmann.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Aus welchen Gründen wurde das Sicherheitskonzept für
das Transrapidprojekt in München nach § 23 Abs. 1 der
Magnetschwebebahn-Bau- und Betriebsordnung, MbBO,
noch nicht veröffentlicht, und wann rechnet die Bundesregierung mit der Veröffentlichung desselben?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Dr. Hofreiter, das Sicherheitskonzept ist im Auftrag der
DB Magnetbahn GmbH erstellt worden und befindet sich
in deren Eigentum. Das Eisenbahn-Bundesamt hat das Sicherheitskonzept nach § 23 Abs. 1 der Verordnung über
den Bau und Betrieb der Magnetschwebebahnen - die
Verordnung heißt konkret: Magnetschwebebahn-Bauund Betriebsordnung, kurz: MbBO - genehmigt. Eine
Veröffentlichung ist aufgrund der darin enthaltenen sensiblen Sicherheitsdaten nicht vorgesehen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Könnten wir so vorgehen, dass der sehr geehrte Herr
Staatssekretär meine zweite Frage gleich mitbeantwortet
und ich meine Nachfragen anschließend stelle? Die beiden Fragen stehen nämlich in einem engen Zusammenhang.
Wenn der Herr Staatssekretär das möchte.
Ja, das mache ich gerne.
Dann rufe ich auch die Frage 11 des Kollegen
Dr. Anton Hofreiter auf:
Warum ist das Sicherheitskonzept nicht Bestandteil der
Planfeststellungsunterlagen für das laufende Planfeststellungsverfahren für das Transrapidprojekt in München, und
welche Folgen für die rechtliche Anfechtbarkeit hat dies aus
Sicht der Bundesregierung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort auf Ihre zweite Frage lautet: Bei der Genehmigung des Sicherheitskonzepts nach § 23 der von
mir gerade im genauen Wortlaut genannten Verordnung,
der MbBO, handelt es sich um ein gesondertes Verwaltungsverfahren. Somit ist es nicht in das Planfeststellungsverfahren integriert. Dies wird auch durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juni
2007 gestützt.
Beide Verfahren verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen: Das Sicherheitskonzept enthält die Ermittlung
und Bewertung aller erkennbaren Sicherheitsrisiken
nach Art, Häufigkeit und Auswirkungen sowie die Feststellung der daraus abgeleiteten baulichen, technischen,
betrieblichen und organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen. Das Planfeststellungsverfahren hingegen dient zur
Erlangung des Baurechts. Soweit Erkenntnisse des Sicherheitskonzepts auch bauliche Aspekte betreffen, sind
diese unmittelbar in die Planfeststellungsunterlagen eingeflossen. Dies gilt beispielsweise im Hinblick auf Rettungswege, Schutzvorkehrungen oder Einfriedungen.
Zur ersten von vier möglichen Nachfragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank für die
Antwort. Herr Staatssekretär, Sie sagten, dass die baulichen Aspekte in das Planfeststellungsverfahren eingeflossen sind und das Planfeststellungsverfahren zur
Erlangung des Baurechts dient. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens kann sich aber auch herausstellen,
dass kein Baurecht erteilt wird. Die Kritiker bzw. Gegner
des Projekts könnten weitaus objektiver beurteilen, ob
das Projekt in der Form genehmigt werden kann, und
entsprechende vernünftige Einwände vorbringen, wenn
sie das gesamte Sicherheitskonzept beurteilen könnten;
so müssen sie sich auf die Behörden verlassen. Deshalb
meine Frage: Steht der Veröffentlichung dieses Konzeptes irgendetwas entgegen?
Herr Dr. Hofreiter, wir sind nicht der Veranlasser des
Sicherheitskonzeptes und daher nicht sein Eigentümer;
das Sicherheitskonzept befindet sich im Eigentum der
beauftragenden Firma. Ich habe in Beantwortung Ihrer
Frage schon gesagt: Eine Veröffentlichung ist aufgrund
der darin enthaltenen sensiblen Sicherheitsdaten nicht
vorgesehen. Ich glaube, es ist klar, was damit gemeint
ist: Der Bund hat gar nicht die Möglichkeit, das Konzept
zu veröffentlichen, weil wir dieses Konzept nicht erstellt
haben und es nicht in unserem Eigentum ist.
Ihre zweite Frage, bitte.
Wenn ich es richtig verstanden habe, hat das Eisenbahn-Bundesamt das Sicherheitskonzept geprüft. Wäre
es möglich, vom Eisenbahn-Bundesamt zumindest einen
abgespeckten Bericht darüber zu bekommen, inwieweit
die Prüfung Probleme ergeben hat, inwieweit das Sicherheitskonzept die Zustimmung des Eisenbahn-Bundesamtes erhalten hat, welche Aspekte kritisch sind und welche nicht, ohne dass auf die sensiblen Details
eingegangen wird?
Ich glaube, Sie wissen, dass das Eisenbahn-Bundesamt seiner Aufgabe unbeeinflusst vom Ministerium
nachgeht. Das EBA trägt hier auch die Verantwortung.
Diese Verantwortungsverteilung macht Sinn, da es ansonsten bei der Zuordnung von Verantwortung kunterbunt durcheinanderginge. In dieses Regelwerk, das nicht
nur für den Bau des Transrapids gilt, sondern auch für
andere Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, bei denen Sicherheitskonzepte und Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden, wollen wir nicht eingreifen. Das Verfahren
hat sich bewährt.
Ihre dritte Nachfrage.
Ich will auch nicht in das Verfahren eingreifen. Ich
habe nur gefragt, ob es einen abgespeckten Prüfbericht
des Eisenbahn-Bundesamtes gibt, den man veröffentlichen könnte. Das Eisenbahn-Bundesamt wird das Sicherheitskonzept ja nicht durchgelesen und festgestellt
haben: „Schön; was die DB AG gemacht hat, passt“; es
wird doch etwas schriftlich festgehalten haben.
Einen zusammenfassenden Bericht des EBA zu diesem Sicherheitskonzept gibt es, soweit mir bekannt ist,
nicht. Aber selbst wenn es ihn gäbe, würden für ihn dieselben Bedenken zutreffen, die für das Sicherheitskonzept gelten.
Sie haben noch eine vierte Frage.
Das heißt, letztendlich muss sich die kritische Öffentlichkeit darauf verlassen, dass das, was die
DB Magnetbahn GmbH da gemacht hat, schon passt und
das EBA das korrekt geprüft hat. Man kann das also
nicht selber überprüfen, sondern muss sich auf die Behörden verlassen.
Das ist kein Willkürakt; es gibt ein vorgesehenes Verfahren - das habe ich Ihnen geschildert -: Das EBA ist
bei der Planfeststellung beteiligt, was das Baurecht anbetrifft. Bei den Fragen, die die Sicherheit betreffen, ist
auch die Behörde, die das Planfeststellungsverfahren
durchführt - das ist hier die Regierung Oberbayern - mit
im Boot. Sie wissen, dass wir wegen des Unfalls im
Emsland sogar einen unabhängigen Professor beauftragt
hatten, das Sicherheitskonzept noch einmal zu überprüfen. Das ist sozusagen ein doppeltes Sicherheitskonzept.
Ich glaube, dieses Verfahren ist nicht anders zu bewerten als viele andere Genehmigungsverfahren. Es ist
geregelt, in welchen Bereichen die Bürgerinnen und
Bürger ein Recht auf weitergehende Informationen haben. Es gibt in diesem Sicherheitskonzept einen etwas
geschützteren Bereich, der so sensible Daten enthält,
dass deren Veröffentlichung eher zum Gegenteil von Sicherheit führte.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Christoph Waitz sollen
schriftlich beantwortet werden. Dies gilt ebenfalls für
die Frage 14 des Kollegen Volker Beck. Damit danke ich
dem Staatssekretär Beus für seine Bereitschaft, die Fragen zu beantworten, und für die Übermittlung der Antworten an die Kollegen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 15 des
Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet.
Dies gilt auch für die Fragen 16 und 17 der Kollegin
Vizepräsidentin Petra Pau
Bärbel Höhn und die Frage 18 des Kollegen Omid
Nouripour.
Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Hans-Joachim
Otto sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Wilhelm Josef
Sebastian auf:
Was hält die Bundesregierung davon ab, den Repräsentanten der Republik China auf Taiwan einen Diplomatenpass
bzw. Diplomatenausweis zuzugestehen, wie dies einige europäische Nachbarländer tun, wie zum Beispiel Frankreich,
Großbritannien, Finnland, Italien, Polen, Schweden oder Österreich?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Sebastian, taiwanische Diplomatenpässe werden nicht akzeptiert, weil ihre Visierung den
Anschein eines für Diplomaten üblichen Notifikationsverfahrens erwecken würde. Der Bundesregierung liegt
daran, keinen solchen falschen Anschein zu erwecken.
Die Ausstellung von Diplomatenausweisen an Vertreter Taiwans kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil
Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan unterhält.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatsminister, warum wird dies in verschiedenen europäischen Ländern anders gehandhabt als bei
uns? Gibt es dazu keine einheitliche Linie in Europa?
Herr Kollege Sebastian, soweit uns bekannt ist, gibt
es keine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der
Diplomatenpässe bzw. Diplomatenausweise. Es gibt eine
Ausnahme in Wien. Die Beobachtermission aus Taiwan
bei der IAEO, der Internationalen Atomenergiebehörde,
besitzt gültige Diplomatenausweise, die vom österreichischen Außenministerium ausgestellt werden, nicht aber
die Mitarbeiter des Instituts für Chinesische Kultur, das
dort die inoffizielle Vertretung Taiwans ist.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, halten Sie es dem Land gegenüber, das lange für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte gekämpft hat, nicht für angebracht, ihm etwas
mehr Anerkennung zu zeigen, indem man auf europäischer Ebene versucht, solche Kleinigkeiten - so will ich
das einmal nennen - gemeinsam Schritt für Schritt zu regeln, ohne unsere Ein-China-Politik zu verlassen?
Herr Kollege Sebastian, wir sind in völligem Konsens
hinsichtlich der Anerkennung der Bemühungen Taiwans
um Fortschritte. Darüber kann es keinen Streit geben.
Auf der anderen Seite stellen Diplomatenpässe bzw. Diplomatenausweise ein Signum von Staatlichkeit dar. Wir
betreiben in Europa gemeinsam die Ein-China-Politik,
die eben nicht mit einer Anerkennung von Taiwan einhergeht. Gerade die Bundesregierung versucht, die Einheitlichkeit dieser Politik zu wahren.
Wir kommen damit zur Frage 22 des Kollegen
Wilhelm Josef Sebastian:
Was hält die Bundesregierung davon ab, den Repräsentanten der Republik China auf Taiwan das Recht eines Sonderkennzeichens einzuräumen, wie dies einige europäische
Nachbarländer tun, wie zum Beispiel Frankreich, Großbritannien, Lettland oder die Niederlande?
Herr Kollege, die Republik China auf Taiwan wird
von der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt
und daher in Deutschland auch nicht repräsentiert.
In Bezug auf die Kraftfahrzeuge inoffizieller Vertreter
Taiwans ist keine Voraussetzung erfüllt, die zur Ausgabe
eines Sonderkennzeichens führen könnte.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatsminister, mir liegen Informationen vor,
dass in einigen europäischen Ländern Sonderkennzeichen vergeben werden. Warum kann die Bundesrepublik
das nicht wie andere Länder handhaben?
Es geht hier um einen ähnlichen Punkt wie bei der
vorherigen Frage. Uns sind keine unterschiedlichen Auffassungen der Partnerländer der EU bekannt, was die
Behandlung Taiwans als unabhängigen Staat angeht. Allerdings wird die Vergabe der Sonderkennzeichen in den
verschiedenen europäischen Staaten unterschiedlich behandelt.
Ihre Information, dass solche Sonderkennzeichen in
Großbritannien ausgegeben werden, konnten wir nicht
verifizieren. Es gibt tatsächlich ein Land, das die üblichen CC-Sonderkennzeichen ausgibt, nämlich Lettland.
Lettland ist deswegen schon ins Visier chinesischer Proteste geraten.
Damit haben Sie die Möglichkeit zu einer zweiten
Frage.
Herr Staatsminister, mir liegen Informationen vor,
dass in Frankreich Sonderkennzeichen gewährt werden.
Ich denke, in einem demokratischen Land dürfen wir
in solchen Fragen nicht einfach nachgeben, wenn ein
Land wie China protestiert, und darauf verzichten, einen
Fortschritt zu erreichen.
Ich möchte noch einmal festhalten, dass die Ausgabe
von Corps-diplomatique- und Corps-consulaire-Kennzeichen wegen der Ein-China-Politik ausscheidet; darüber gibt es unter den europäischen Staaten keine unterschiedlichen Auffassungen. Aber es gibt möglicherweise
bestimmte nationale Gepflogenheiten, was andere Sonderkennzeichen angeht. Es mag sein, dass es da Abweichungen gibt. Aber in der Politik selber bemühen wir
uns um Einheitlichkeit und sehen auch nicht, dass Unterschiede in der Handhabung bestehen.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Rita Pawelski.
Herr Staatsminister, der gemeinsame Entschluss der
Europäischen Union zur Taiwanpolitik stammt aus dem
Jahr 1988. Damals war Taiwan kein demokratisch regiertes Land. Mittlerweile hat sich dort eine Demokratie
entwickelt. Das höchste Amt wird durch freie Wahlen
besetzt.
Meinen Sie nicht, dass es an der Zeit ist, dass die
Europäische Union wie auch die Bundesrepublik
Deutschland die Taiwanpolitik ändert, weil es sich bei
Taiwan um ein demokratisch regiertes Land handelt?
Frau Kollegin Pawelski, die Frage der Anerkennung
eines Landes richtet sich nicht danach, ob es ein demokratisches Land ist - das war auch nicht der Fall, als es
um die Entscheidung in Sachen Taiwan ging -; wir
müssten sonst bei einer ganzen Reihe von Staaten die
Anerkennung zurückziehen, weil sie leider nicht demokratisch regiert werden.
Insofern ist die Ein-China-Politik in keiner Weise mit
Kritik an den inneren Zuständen in Taiwan verbunden.
Unsere Entscheidung ist vielmehr Ausdruck der sehr
wohl begründeten Ein-China-Politik, die nicht nur in
Europa betrieben wird.
({0})
Es tut mir leid, Frau Pawelski, Sie haben leider nur
die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Damit rufe ich die Frage 23 der Kollegin Angelika
Krüger-Leißner auf:
Was hält die Bundesregierung davon ab, die Ausländermeldepflicht und die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung für Mitglieder der Vertretung von Taiwan in Deutschland zu erleichtern, indem die Aufenthaltsgenehmigung direkt
durch die Protokollabteilung des Auswärtigen Amts beantragt
wird, wie dies auch für Mitglieder der deutschen Vertretung in
Taiwan üblich ist?
Frau Kollegin Krüger-Leißner, Mitarbeiter der Taipehvertretungen unterliegen dem Ausländerrecht. Sie erhalten ihre Aufenthaltstitel deshalb von den zuständigen
Ausländerbehörden der Länder oder der Gemeinden.
Grundlage ist jeweils eine Bescheinigung des Auswärtigen Amts, dass der Aufenthalt im öffentlichen Interesse
liegt. Die Bescheinigung stellt die Politische Abteilung
des Auswärtigen Amts aus. Eine Ausstellung durch das
Protokoll hätte demgegenüber keinen erkennbaren Vorteil. Auch das Einreichen des Antrags unmittelbar bei
der bearbeitenden Ausländerbehörde führt nach
Beobachtung des Auswärtigen Amts zu keiner Erschwernis, sondern erscheint im Hinblick auf eine zügige Bearbeitung vorzuziehen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Ich nehme erst einmal hin, dass es sich nicht um eine
Benachteiligung handelt und genauso schnell geht. Natürlich sind mir diesbezüglich andere Erfahrungsberichte
zu Ohren gekommen.
Ich frage mich aber: Warum ist es nicht möglich, wie
andere europäische Länder zu verfahren und bestimmten Repräsentanten wie dem Botschafter einen besonderen Status zu geben, zum Beispiel eine diplomatische
ID-Card oder, wie es in Finnland, Österreich und Italien
gehandhabt wird, eine ID-Card vom Außenministerium?
Warum finden wir nicht solche Lösungen, die für die
Menschen, die aus Taiwan kommen und hier arbeiten,
eine Erleichterung darstellen?
Frau Kollegin, ich habe schon darauf hingewiesen,
dass wir uns bei dieser Praxis schlicht nach den rechtlichen Vorschriften des Ausländerrechts richten. Machten
wir hier Ausnahmen oder erlaubten wir Sonderbehandlungen, bewegte dies nach allen Erfahrungen viele andere dazu, ähnliche Sonderregelungen zu wünschen. Ich
glaube, dass ich aufzeigen konnte, dass unsere Art der
Handhabung in Wirklichkeit für die Betroffenen der vernünftigste Weg ist.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Ich nehme das erst einmal so hin und werde es noch
überprüfen.
Dann rufe ich die Frage 24 der Kollegin KrügerLeißner auf:
Vizepräsidentin Petra Pau
Was hält die Bundesregierung davon ab, einen touristischen Aufenthalt von bis zu 30 Tagen für taiwanesische Bürgerinnen und Bürger von der Visumpflicht zu befreien, wie
dies auch für EU-Bürger in Taiwan der Fall ist?
Frau Kollegin Krüger-Leißner, die Entscheidung darüber, welche Drittstaatsangehörigen für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen pro Halbjahr in der Europäischen Union der Visumpflicht unterliegen und welche
nicht, liegt nicht in der Hand der einzelnen Mitgliedstaaten. Es ist vielmehr Aufgabe der Europäischen Kommission, in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten dies
verbindlich festzulegen, und zwar im Rahmen der Europäischen Verordnung ({0}) Nr. 539/2001, der sogenannten EU-Visumverordnung. Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann die Bundesregierung nicht einseitig die
Aufhebung der Visumpflicht für Taiwanerinnen und Taiwaner beschließen.
Haben Sie noch eine Nachfrage? - Bitte schön.
Ich habe nun etwas dazugelernt und weiß, dass in dieser Frage im Grunde genommen die EU-Kommission
unser Ansprechpartner ist.
Das ist völlig korrekt. Ich kann Sie ergänzend darüber
informieren, dass dies Ende 2006 auf der Tagesordnung
der Ratsarbeitsgruppe „Visa“ stand. Dort hat eine größere Zahl von Mitgliedstaaten der EU einer solchen Erleichterung in Form einer Aufhebung der Visumpflicht
nicht zugestimmt, sodass die Entscheidung darüber zurückgestellt worden ist.
Ich danke.
Wir kommen nun zur Frage 25 des Kollegen Olav
Gutting:
Was hält die Bundesregierung davon ab, bezüglich der Bezeichnung für Taiwan bei wirtschaftlichen und kulturellen
Veranstaltungen eine pragmatische Haltung einzunehmen und
sich generell für die Bezeichnung „Taiwan“ auszusprechen?
Herr Kollege Gutting, wirtschaftliche und kulturelle
Veranstaltungen finden ganz überwiegend in privater
Regie statt, ohne dass es überhaupt einen Anlass für die
Bundesregierung gäbe, sich für die eine oder andere Bezeichnung auszusprechen. Wo die Bundesregierung Mitveranstalterin ist, erfordert es ihre Glaubwürdigkeit, ihre
außenpolitischen Positionen nicht selbst infrage zu stellen. Ihre Vertreter in den jeweiligen Gremien stimmten
also der Bezeichnung „Taiwan“ nur dann zu, wenn sie
nicht als Staatsname missverstanden würde.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. Bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, wie in anderen
europäischen Ländern die Bezeichnung gehandhabt
wird?
Herr Kolleg Gutting, wie Sie meiner Antwort entnommen haben, ist bei wirtschaftlichen und kulturellen
Veranstaltungen sehr selten eine eindeutige staatliche
Verantwortung gegeben. In Deutschland wird das eher
flexibel und unterschiedlich gehandhabt; dies ist auch in
den anderen europäischen Staaten der Fall.
Herr Gutting, Sie verzichten auf Ihre zweite Nachfrage.
Die Frage 26 des Kollegen Hans-Josef Fell wird
schriftlich beantwortet.
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 27 des Kollegen
Hans-Josef Fell wird schriftlich beantwortet, ebenso die
Frage 28 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch und die
Frage 29 des Kollegen Peter Rzepka.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen beantwortet
die Parlamentarische Staatssekretärin Marion CaspersMerk.
Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Dr. Harald Terpe
auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über aus finanziellen Gründen geplante Einschränkungen der Qualität
der Behandlung von Opiatabhängigen in den Städten, die nach
§ 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes, BtMG, eine Ausnahmegenehmigung zur Fortführung der Heroinbehandlung
beantragt haben, und wie bewertet sie diese Einschränkungen
im Hinblick auf die Ziele der Herointherapie?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor, Herr Kollege Terpe. Es ist klar: Wenn die betreffenden Städte das Modellprojekt fortführen wollen
und einen Antrag an das BfArM stellen - diese Möglichkeit besteht -, dann gehört zur Prüfung die Einhaltung
der Qualitätsstandards dazu, die bislang Voraussetzung
für das Modellvorhaben waren.
Sie haben keine Nachfrage dazu, Herr Terpe.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Dr. Harald Terpe
auf:
Vizepräsidentin Petra Pau
Plant die Bundesregierung, die finanzielle Unterstützung
der beteiligten Heroinambulanzen bzw. Städte fortzuführen,
und, wenn nicht, auf welche andere Weise will die Bundesregierung sicherstellen, dass neue Patientinnen und Patienten
nicht aus finanziellen Gründen abgewiesen werden müssen
bzw. die Behandlungsqualität eingeschränkt werden muss?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Terpe, die Bundesförderung für die am
Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger teilnehmenden Städte soll unter den bisherigen Bedingungen bis Ende September 2007 verlängert
werden; denn wir wissen, dass einige Städte nach dem
Auslaufen der Modellphase einen Antrag an das BfArM
stellen und weitermachen wollen. Deswegen ist für uns
wichtig, dass die betreffenden Städte diese Möglichkeit
bekommen.
Darüber hinaus wird derzeit in intensiven Beratungen
und Verhandlungen versucht, eine rechtlich tragfähige
Lösung für die Fortführung zu finden. Aus diesem
Grund haben wir den beteiligten Städten ein Signal geben wollen, das deutlich macht, dass die derzeitige
Finanzierung bis Ende September 2007 fortgeführt wird.
Der Kollege Terpe hat keine Nachfrage.
Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Monika Knoche
auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass die positiven
Ergebnisse der Arzneimittelstudie zum Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger nicht zu einer regelgerechten Zulassung von Diamorphin in die ärztliche
Therapie führten, obwohl die Signifikanz dieser Therapieform
deutlich die der allgemeinen Arzneimittelzulassung überschreitet?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Knoche, wir haben ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass mit den Diamorphinmodellprojekten
das Thema „Diamorphin versus klassische Methadonbehandlung“ im Rahmen einer Arzneimittelstudie untersucht wird. Die Ergebnisse aus der Diamorphinbehandlung sind aus unserer Sicht signifikant besser gewesen.
Aus diesem Grund gibt es Bestrebungen, eine rechtliche
Grundlage für das Fortsetzen dieser Modellprojekte zu
schaffen. Da wir derzeit noch in Verhandlungen sind
- unter anderem gibt es Initiativen einiger Bundesländer
hierzu, wie man der Presse gestern entnehmen konnte und die Länder noch prüfen, prüfen wir rechtliche Möglichkeiten zur Fortsetzung der Behandlung. Wie ich dem
Kollegen Terpe gerade erläutert habe, haben wir aus diesem Grund die Finanzierungsvereinbarung bis Ende
September 2007 verlängert.
Wir gehen jetzt daran, eine rechtlich tragfähige Lösung zu erarbeiten. Unabhängig von rechtlichen Veränderungen ist es aber den Städten nach wie vor möglich,
Anträge auf Fortsetzung der Behandlung beim BfArM
zu stellen. Ich weiß, dass einige Städte bereits entsprechende Anträge gestellt haben und andere es planen,
meiner Kenntnis nach auch Karlsruhe.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, ich habe in der
Tat noch eine Nachfrage. Habe ich die Intention, die Sie
hier dargelegt haben, richtig verstanden, dass Sie durchaus erwägen, im September eine gesetzliche Änderung
in den Bundestag einzubringen, um die Zulassung des
Substitutionspräparates zu ermöglichen, oder wollen Sie
lediglich eine Fortführung der nach den bestehenden
Modellen derzeit laufenden Substitutionsbehandlungen
ermöglichen? Wie ist Ihre Antwort zu verstehen? Planen
Sie selbst eine gesetzliche Änderung?
Zunächst einmal, Frau Kollegin Knoche, haben die
Städte jetzt die Möglichkeit, die Vorhaben fortzusetzen,
indem sie einen Antrag beim BfArM stellen. Damit ist
die Befürchtung vieler Städte, die Patientinnen und Patienten in den jetzt laufenden Verfahren könnten nicht
mehr versorgt werden, ausgeräumt. Es können sogar
- das zeigt der positive Bescheid des Antrags der Stadt
Frankfurt - neue Patientinnen und Patienten in die Vorhaben aufgenommen werden.
Darüber hinaus versuchen wir im Moment, über die
Möglichkeit des einfachen Antrags hinaus, der den Modellstädten schon jetzt freisteht, gesetzlich oder untergesetzlich eine Änderung zu verabreden. Wie Sie wissen,
haben wir in der Koalition über diese Frage noch keine
Einigkeit erzielt. Wir prüfen zurzeit die Alternativen einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Neuregelung
und haben aus diesem Grunde die Geltung der Finanzierung bis Ende September verlängert.
({0})
Frau Kollegin Knoche erhält Gelegenheit zu einer
zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich habe zu meiner ersten Frage
noch eine weitere Nachfrage. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass bezogen auf die klassischen Kriterien einer
Arzneimittelstudie die Studie zur Heroinsubstitution signifikant bessere Merkmale aufweist, als es bei der Zulassung anderer Präparate, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, der Fall ist, und schließen Sie
daraus nicht, dass im Sinne der Arzneimittelzulassungsgleichheit die Bundesregierung aufgefordert wäre, die
gesetzliche Grundlage für die allgemeine Zulassung dieses Substitutionspräparates vorzunehmen?
Den ersten Teil Ihrer Zusatzfrage beantworte ich mit
Ja. Wir haben signifikant bessere Ergebnisse. Deswegen
haben die Bundesregierung und auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung den Modellversuch positiv
beurteilt. Um ein Modellvorhaben in eine Struktur der
Substitutionsbehandlung einzupassen, müssen wir allerdings gesetzlich oder untergesetzlich Veränderungen
vornehmen, und über diesen Punkt wird derzeit noch politisch diskutiert.
Nun kommen wir zur Frage 33 der Kollegin Monika
Knoche:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Ungleichbehandlung von Schwerstheroinabhängigen bei der wohnortnahen
Diamorphinbehandlung, da es nur den ehemaligen Modellstädten möglich erscheint, eine Ausnahmegenehmigung des
Amtes für Arzneimittelsicherheit zu erhalten?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Kollegin Knoche, Ihre Annahme in dieser Frage
ist unrichtig. Es ist grundsätzlich allen Schwerstopiatabhängigen, die in Einrichtungen in der Bundesrepublik
Deutschland versorgt werden, anheimgestellt, einen entsprechenden Antrag gemäß § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes auf der Basis des „öffentlichen Interesses“ bei der Bundesopiumstelle des BfArM zu stellen.
Diese prüft, ob der Antragsteller die notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Ihre Annahme, dass dies nur auf
Modellstädte begrenzt bliebe, ist also nicht richtig. Es
könnten auch andere Städte einen solchen Antrag stellen. Sie müssen dann dieselben Prüf- und Qualitätskriterien erfüllen wie die Städte, die bereits an dem Modellvorhaben beteiligt waren.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Verstehe ich Sie richtig, dass es der Initiative weiterer
Städte bedürfte, um analog den Kriterien der bisher im
Modellprojekt befindlichen Städte verfahren zu können?
Die zweite Nachfrage dazu gleich hinterher: Wäre es einem individuellen Patienten oder einer Patientin, der
oder die mit Methadon nicht hinreichend versorgt werden kann, möglich, beim BfArM eine Einzelzulassung
für eine Heroinsubstitution zu bekommen?
Das waren zwei Fragen, die ich als zwei Zusatzfragen
werte. Andere Städte - das hatte ich gerade gesagt könnten dieses Antragsverfahren aufgreifen. Die Initiative muss von der Einrichtung ausgehen.
Die zweite Frage war, ob ein Individuum einen solchen Antrag stellen kann. Auch in diesem Fall müssten
dieselben qualitativen Voraussetzungen erfüllt sein. Es
kann nicht ein Einzelner sagen, er möchte ab sofort mit
Diamorphin versorgt werden, sondern man müsste dieselben Kriterien prüfen, die man auch in den Modellvorhaben geprüft hat. Dazu gehören folgende Punkte: Wird
Diamorphin - das macht den Stoff so problematisch - sicher verwahrt? Wie ist das Arrangement mit den anderen
Substitutionseinrichtungen vor Ort? Es handelt sich um
ein hochschwelliges Projekt, kein niedrigschwelliges.
Man muss die Gesundheitsvoraussetzungen erfüllen,
und es müssen zwei Therapien abgebrochen worden
sein. Ferner gehören zu den Voraussetzungen das Mindestalter, die Soziotherapie und das Casemanagement.
Es müssten alle Bedingungen erfüllt sein - die mit
sehr hohen Auflagen verbunden waren -, die auch die
am Modellversuch beteiligten Städte erfüllt haben. Es
darf also keine Abstriche bei der Sicherheit und der Qualität geben. Ansonsten hat jede Einrichtung, jede Stadt
und auch jeder Einzelne den Anspruch, dass sein bzw.
ihr Antrag geprüft wird. Aber die Prüfkriterien sind sehr
hoch, weil sie die Bedingungen des Modellversuchs als
Prüfinhalt voraussetzen.
Habe ich noch eine Nachfrage?
Sie haben explizit zwei Fragen gestellt.
Dann bedanke ich mich.
Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Omid
Nouripour:
Was hat die Bundesregierung bislang konkret unternommen bzw. was wird sie noch unternehmen, um dem Wunsch
der hessischen Landesregierung und der am Modellprojekt
der Heroinbehandlung beteiligten Städte für eine Weiterführung der Heroinbehandlung über den 30. Juni 2007 hinaus zu
entsprechen?
Zunächst möchte ich sagen, dass wir in einem engen
Kontakt mit allen sieben Standorten des Modellvorhabens sind. Es finden regelmäßig Besprechungen und ein
Austausch über die Ergebnisse und über die Arbeiten
statt, die eine Fortsetzung ermöglichen. Sie wissen, dass
die Bundesregierung auf Wunsch der beteiligten Bundesländer eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Erarbeitung von Eckpunkten für ein Gesetzesvorhaben eingesetzt hat. Das heißt, es wurde sehr wohl einiges
unternommen, um eine Fortsetzung zu ermöglichen.
Die Koalition diskutiert derzeit die Fortsetzung der
Modellvorhaben. Unabhängig davon hat insbesondere
die Stadt Frankfurt den Weg beschritten, die Antragstellung beim BfArM vorzunehmen: Sie war die erste Stadt,
die beim BfArM einen entsprechenden Antrag gestellt
hat. Im öffentlichen Interesse ist die Fortsetzung des
Modellvorhabens in Frankfurt sichergestellt.
Darüber hinaus ist mir bekannt, dass sich die Hansestadt Hamburg gestern dahin gehend geäußert hat, eine
Bundesratsinitiative starten zu wollen. Wir werden abzuwarten haben, ob diese Bundesratsinitiative von den anderen beteiligten Ländern unterstützt wird. Wir bieten im
Haus nach wie vor Gespräche an; außerdem führen wir
zurzeit Gespräche. Wir haben die Geltung der Finanzierungsstruktur nochmals verlängert, um Zeit für eine
rechtlich einwandfreie Lösung zu haben. Der Bundesregierung liegt daran, den Anforderungen an die Qualität
dieses Modellversuchs - ich verweise auf die Einschränkungen, die damit verbunden waren - auch in Zukunft
voll und ganz gerecht zu werden.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Eine Bundesratsinitiative wurde nicht nur gestern von
der Landesregierung Hamburg, sondern auch vorgestern
von der Landesregierung Hessen unter Herrn Roland
Koch beschlossen. Welcher Umgang mit dieser Bundesratsinitiative schwebt Ihrem Haus eigentlich vor?
Erstens. Wie ich bereits gesagt habe, sind alle Initiativen, die die Länder über den Bundesrat gestartet haben,
auf die Vorarbeiten zurückzuführen, die die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern geleistet hat.
Zweitens. Natürlich sind die Länder frei, Gesetzentwürfe über den Bundesrat einzubringen. Das legislative
Verfahren wird nicht geändert werden. Man muss
schauen, ob es im Bundesrat für dieses Ansinnen eine
Mehrheit gibt. Falls das der Fall ist, wird sich der Bundestag mit diesem Ansinnen auseinanderzusetzen haben.
Erst einmal haben wir es mit einer Ankündigung zu tun.
Wir haben Zeit, die weiteren Schritte in aller Ruhe abzuwarten.
Eine zweite Nachfrage, bitte.
Ihr Hinweis darauf, dass Sie Zeit haben, die weiteren
Schritte abzuwarten, veranlasst mich, eine weitere Frage
zu stellen: Kann die Bundesregierung eigentlich zusichern, dass alle Anträge - weitere werden gestellt werden; davon kann man ausgehen - pünktlich mit Ablauf
der Studienphase beschieden werden, sodass die abhängigen Patienten weiterhin ohne Verzögerung behandelt
werden können?
Herr Kollege, mir ist es ein sehr wichtiges Anliegen,
dass wir niemanden, der an einem Diamorphinmodell erfolgreich teilgenommen hat, der vom Straßenheroin
weggekommen ist, der also dabei ist, seine Sucht zu
überwinden, alleinlassen. Wir möchten nicht, dass jemand in eine Situation kommt, in der die Fortsetzung
des Modells ungewiss ist.
Wie ich bereits zweimal erläutert habe, ist die finanzielle Beteiligung des Bundes fortgesetzt worden, um
den beteiligten Städten die Möglichkeit zu geben, entsprechende Anträge zu stellen. Ich glaube, dass die
Kommunikation mit den Städten wichtig ist. Es ist nicht
so, dass die Städte jetzt alleingelassen werden oder dass
ein Modellvorhaben abgebrochen werden muss. Wenn
man weitermachen will, kann man selbst einen Antrag
stellen. Prüfkriterien sind die hohen Anforderungen des
Modellprojekts. Damit diese Beantragung und die Prüfung zeitlich parallelisiert werden - man will Luft
haben -, wurde das ganze Verfahren verlängert.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Alle Fragen, die heute gestellt worden sind, sind beantwortet. Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 16.15 Uhr
unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Notwendigkeiten einer zukunftsfesten Pflegereform im Verhältnis zu den pflegepolitischen
Vorschlägen der Koalition
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Elisabeth Scharfenberg für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann verschiedene Bilder
bemühen, um diese Pflegereform der Großen Koalition
zu beschreiben, zum Beispiel: Der Berg kreißte und gebar eine Maus; nein, ein Mäuschen. Der Geburtstermin
wurde mehrfach verschoben. Dann wurde ein Notkaiserschnitt gemacht. Bei den prominenten Geburtshelferinnen und -helfern haben wir alle, ehrlich gesagt, einen
Wonneproppen erwartet. Das war leider vergeblich.
({0})
Wir können aber auch von ungedeckten Schecks reden, die diese Koalition ausstellt.
Nicht zuletzt fallen mir die Potemkinschen Dörfer
ein. Dieses Reförmchen ist tatsächlich nicht mehr als
eine schön gemalte Kulisse im Bühnenbild Ihres KoaliElisabeth Scharfenberg
tionsdramas. Ich bin sicher, dass dieses Bühnenbild beim
nächsten politischen Sturm zusammenfallen wird. Frau
Merkel ist auf anderer Ebene unterwegs.
({1})
Die führt auf dem außenpolitischen Parkett Regie und
nicht hier.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und
SPD, nachhaltig sollte diese Pflegeversicherung werden.
Nun sehen wir, dass das, was Sie „nachhaltig“ nennen, in
keinem Fall nachhaltig ist.
({2})
Gemessen an der Zeit, die Sie sich für diese Reform nehmen wollten und die Sie sich auch genommen haben
- schließlich warten wir seit 2006 auf diese Reform -,
haben wir schon eine etwas mutigere und auch eine
große Reform erwartet. Das Gegenteil ist der Fall.
({3})
Auch die Medien sind sich da vollkommen einig.
({4})
In einem Artikel wurde diese Pflegereform völlig zu
Recht als kaum verhüllte Fahnenflucht bezeichnet. Gestern hieß es in der „taz“ auf der ersten Seite treffend: Die
Wirklichkeit ist der Politik weit voraus. - Genau das ist
der Punkt. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, fliehen vor der Verantwortung, die Sie so dringend haben
wollten. Faktisch haben Sie eine wirkliche Reform auf
die nächste Wahlperiode verschoben.
({5})
Union und SPD reformieren erneut mit schwarzen
und roten ideologischen Scheuklappen - und das, weil
beide Seiten einfach auf die nächste Wahl warten. Das ist
Ihr Begriff von Nachhaltigkeit, verehrte Kolleginnen
und Kollegen: bis zur nächsten Wahl und keinen Schritt
weiter.
({6})
Sie speisen Millionen von Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegekräften mit kleinen Häppchen ab, obwohl
Sie ganz genau wissen, dass von diesen Häppchen niemand satt wird.
Frau Ministerin Schmidt, ich nörgele nicht nur herum.
Ich habe gegen einige Ihrer Leistungsverbesserungen
überhaupt nichts einzuwenden. Manche sind wirklich
durchaus sinnvoll.
({7})
Aber ich frage mich: Soll das alles gewesen sein?
({8})
Wie geht es weiter? Sie drücken sich vor den entscheidenden Fragen, nämlich: Wie können wir im Zuge der
demografischen Veränderungen eine menschenwürdige
und nutzerorientierte Pflege sicherstellen? Wie kommen
wir weg vom Verrichtungsbezug der Pflegeversicherung
und hin zu einem umfassenden Begriff der Pflegebedürftigkeit? Wie kommen wir zu einem Pflege- und Hilfemix, der den Lebensentwürfen der Menschen, also auch
uns allen hier, entspricht? Diese Fragen werden uns alle
die nächsten Jahre begleiten. Alle diese Fragen sind bereits gestellt. Die Antworten können wir nicht erst in ein
paar Jahren geben, vielleicht erst nach der nächsten Bundestagswahl.
({9})
Drücken Sie sich nicht, und stellen Sie sich endlich
ihrer Verantwortung! Wir brauchen eine umfassende Reform. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie berufen sich immer wieder auf Ihren Koalitionsvertrag, aber
schon bei Ihrem Koalitionsvertrag musste man sich fragen, wohin dieses Abenteuer wohl führen wird. Was ist
denn nun mit der Demografiereserve? Was ist denn nun
mit dem Finanzausgleich zwischen sozialer und privater
Pflegeversicherung? Mit diesem Koalitionsvertrag nahm
das Chaos seinen Lauf. Mit der Föderalismusreform zum
Beispiel haben Sie das Heimrecht regelrecht an die Länder verhökert. Aber: „Schlimmer geht immer“ ist das
Motto dieser Großen Koalition.
Sie schieben die elementar wichtige Überarbeitung
des Begriffs der Pflegebedürftigkeit so weit vor sich her,
dass wir in dieser Legislatur ohnehin nicht mehr mit Ergebnissen rechnen. Stattdessen sollen demenziell Erkrankte, und zwar nur demenziell Erkrankte, pauschale
Mehrleistungen bekommen.
({10})
Sie denken nicht an Behinderte, Sie denken nicht an psychisch Kranke. Ich werfe das hier nur so ein.
({11})
Das kann man so machen, aber ich sage Ihnen: Das löst
das dahinterstehende strukturelle Problem nicht. Das ist
uns zu wenig. Sie haben die wirkliche Dimension des
Themas Pflege nicht begriffen. Das wird deutlich, wenn
von führenden Vertretern der Koalitionsparteien zu hören ist, es bestehe derzeit kein unmittelbarer Handlungsdruck, die Konjunktur laufe ja so gut. Dazu muss ich sagen: So viel Dreistigkeit können Sie sich offenbar
aufgrund Ihrer Stimmenmehrheit zwar leisten, peinlich
bleiben solche Äußerungen trotz allem.
Politik soll sich an Menschen und nicht an machtverliebten oder - vielleicht sollte ich das besser sagen machtbesessenen Politikern orientieren. Ihre Pflegepoli10680
tik hat mit Weitblick und Nachhaltigkeit überhaupt
nichts zu tun.
Vielen Dank.
({12})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Annette
Widmann-Mauz für die Fraktion CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank, Frau
Scharfenberg, dass Sie uns heute die Möglichkeit geben,
die Beschlüsse der Großen Koalition bei erstbester Gelegenheit im Parlament vor dem Hohen Hause auch darzustellen. Das will ich sehr gerne tun.
({0})
Gerade Sie als Vertreterin der Fraktion der Grünen
müssen sich ja schon fragen lassen, warum Sie unsere
Beschlüsse derart kritisieren, nachdem Sie selber während der sieben Jahre Rot-Grün nichts gemacht haben.
({1})
Sie haben doch regiert. Warum beschreiben Sie hier ein
Koalitionstheater? Ihr Drama dauerte sieben Jahre lang,
und es ist nichts passiert. Die Kulissen können wir heute
noch in der Abstellkammer bewundern. Es wurde nichts
von dem Wirklichkeit, was Sie immer wieder hier im
Parlament anmahnen.
Was haben Sie denn getan, um den Pflegebegriff zu
erweitern?
({2})
- Frau Künast, Sie sollten wissen: Politik wird immer
noch mit dem Kopf und nicht mit dem Kehlkopf gemacht. Also bitte erst einmal zuhören. - Sie haben doch
nichts für die Reform des Pflegebegriffs getan. Sie haben so gut wie nichts für die Demenzerkrankten bewirkt.
Wir, die Große Koalition, wir handeln. Mehr als
1 Million altersverwirrte Menschen werden ab dem
nächsten Jahr bis zu 2 400 Euro im Jahr an Unterstützung erhalten,
({3})
und zwar unabhängig, ob sie bereits heute in eine Pflegestufe eingestuft sind oder nicht. Sie haben immer nur
groß herumgeredet, aber an dieser Stelle haben Sie überhaupt nichts gemacht.
({4})
Wir machen Politik für die Menschen. Wir tun etwas
für die Demenzerkrankten und Altersverwirrten sowie
ihre Familien. Wir lassen sie mit ihrem schweren
Schicksal nicht im Regen stehen. Zugleich schaffen wir
dafür die Voraussetzung, dass dann, wenn die Arbeitsgruppe zur Neudefinition des Pflegebegriffs ihre Arbeit
beendet hat, sofort in eine Reform eingestiegen werden
kann. Wir warten nicht ab, sondern handeln bereits in
der Zwischenzeit.
Sie müssen sich auch fragen lassen, was Sie getan haben, um den Wertverfall der Leistungen der Pflegeversicherung seit ihrer Einführung zu bekämpfen. Ich habe
nichts wahrgenommen. Der Gegenwert wurde geringer
und geringer. Sie wissen, dass der Realwert um
13 Prozent gesunken ist und die Belastungen für die
Kommunen im selben Zeitraum kontinuierlich angestiegen sind.
({5})
Immer mehr Menschen sind nämlich wieder sozial bedürftig geworden und waren damit auf entsprechende
Hilfen angewiesen. Sie haben nichts dagegen getan.
({6})
Wir lassen die Menschen nicht im Stich, sondern heben
die Pflegegeldleistungen für ambulante Pflege in allen
Stufen und für die Stufe III im stationären Bereich kontinuierlich an. Wir werden außerdem dafür sorgen, dass ab
dem Jahr 2015 ein Inflationsausgleich etabliert wird.
Was haben denn die Grünen während ihrer Regierungszeit getan, damit zum Beispiel Familienangehörige
eine vorübergehende Auszeit bei der Erwerbsarbeit nehmen können, um Angehörige zu pflegen? Sie haben
überhaupt gar nichts getan. Sie haben die Menschen wie
auch sonst so oft im Stich gelassen.
({7})
Sie haben große Ankündigungen gemacht, aber erst die
Union hat im Rahmen der Großen Koalition Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht und verabschiedet, die
es Menschen ermöglichen, eine Auszeit vom Berufsleben zu nehmen und sich bis zu sechs Monate um ihre
Angehörigen zu kümmern.
({8})
Das ist richtig, und die Große Koalition deckt hiermit
eine große Lücke ab, deren Schließung sehr wichtig ist.
({9})
Was haben denn die Grünen getan, um zum Beispiel
den Grundsätzen „ambulant vor stationär“ oder „Reha
vor Pflege“ gerecht zu werden? Wir gehen hier voran.
({10})
Wir schaffen kommunale Pflegestützpunkte, wir wollen
integrierte, wohnortnahe Versorgungs- und Betreuungsangebote etablieren. Wir werden Fallmanager bei den
Kassen etablieren, damit die Menschen einen Ansprechpartner haben, der ihnen hilft, genau die Pflege zu erhalten, die notwendig ist. Wir werden Angebote und Vorschläge zum Abbau von Schwarzarbeit und Illegalität
vorlegen.
Vor allen Dingen gehen wir mit unseren Vorschlägen,
um die Rehabilitation zu stärken, erfolgsorientiert an
Pflege heran. Wir entlohnen nicht nur dafür, dass gearbeitet wird, sondern wir belohnen, wenn erfolgreiche
Pflege zu einer Herabstufung führt. Das ist erfolgsorientierte Pflege, das kommt bei den Menschen an, und darum kümmern wir uns ganz besonders.
Die Grünen und Sie, Frau Verbraucherschutzministerin a. D., haben doch immer große Töne gespuckt, wenn
es um Transparenz ging. Dabei denke ich an Gesetzentwürfe, die Sie hier wortstark vertreten haben. Die Große
Koalition wird jetzt hier in diesem Haus die Ergebnisse
des Medizinischen Dienstes in Bezug auf ambulante und
stationäre Formen der Pflege in einer patientengerechten, verbraucherfreundlichen Sprache veröffentlichen.
Das hilft den Menschen und bringt die Klarheit, die nötig ist, um Missstände in der Pflege besser verhindern zu
können.
({11})
Zu dem letzten Vorwurf kann ich nur sagen: Sie haben immer gesagt, die Nachhaltigkeit fehle. Sie haben in
Ihrer Regierungszeit die Beiträge um 0,25 Beitragspunkte erhöht, aber den Menschen nicht wie die Große
Koalition gleichzeitig eine Entlastung bei der Arbeitslosenversicherung gegeben, überhaupt nichts davon. Sie
haben keine Verbesserung bei den Leistungen erreicht.
Es ist schon ziemlich mutig, hier die Backen so aufzublasen, aber die Hausaufgaben in sieben Jahren nie erledigt zu haben.
Wir gehen die Pflegereform an, und wir kommen einen deutlichen Schritt voran. Wir nehmen die Verantwortung im Interesse der Menschen in unserem Land
wahr.
({12})
Nun hat der Kollege Heinz Lanfermann für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Alle Versuche des Schönredens nützen nichts;
die Schlagzeilen sehen anders aus:
({0})
„Jungpolitiker verreißen Pflegereform“. Das sind welche
aus der Union, aber von ihr spricht ja nachher noch einer.
Eine Chance wurde kläglich verpasst, sagte Professor
Raffelhüschen,
({1})
und tatsächlich ist die Finanzreform der Pflegeversicherung kläglich gescheitert.
({2})
Die Gesundheitsministerin Schmidt ist gescheitert, und
dies ist auch der Anfang des Scheiterns dieser Koalition.
Meine Damen und Herren, vor einem Jahr, im Juli
2006, sagte die Kanzlerin:
Wir werden die Pflegeversicherung im nächsten
Jahr reformieren, aber Beitragserhöhungen stehen
nicht auf der Tagesordnung.
({3})
O-Ton Merkel; versprochen, gebrochen.
({4})
In der Koalitionsvereinbarung wurde Nachhaltigkeit
versprochen - keine Spur davon. Tatsächlich ist es so,
wie Ministerin Schmidt sagt:
Dieser Kompromiss ist wegweisend.
Das finde ich auch;
({5})
allerdings führt der Weg in den finanziellen Abgrund.
({6})
Eines ist doch klar: So schön es sich anhört und so
nett es für die Betroffenen auch ist, mehr Leistungen bedeuten mehr Beitrag. Jetzt ist es so gerechnet, dass es
sich deckt. In 20, 30 Jahren deckt es sich im Umlagesystem überhaupt nicht mehr, weil es dann viel mehr Leistungsempfänger geben wird, übrigens insbesondere Demenzkranke, aber viel weniger Menschen, die die
Beiträge dafür aufbringen. Deswegen darf ich ein weiteres Zitat bringen, diesmal von Professor Rürup, auf den
Sie sonst eigentlich zu hören pflegen. Er hat gesagt:
Durch die jetzigen Beschlüsse wird die Finanzierung der Pflegeversicherung nicht nachhaltiger, im
Gegenteil. Die Umverteilung zwischen den Generationen zulasten der Jungen nimmt noch zu.
({7})
Damit wird die Reform der Finanzierungsseite, die
auf jeden Fall kommen muss, schwieriger.
Die Finanzierungsfrage wird der Politik Ende der
nächsten Wahlperiode wieder vor die Füße fallen.
Mit der Verschiebung einer Finanzreform verschenkt die Koalition wertvolle Jahre.
Das wird aber die Hälfte von Ihnen nicht mehr betreffen.
Sie wissen nur noch nicht, welche.
({8})
Meine Damen und Herren, wir sprechen hier nicht
über Kleinigkeiten. Nach den Berechnungen des Forschungszentrums Generationenverträge, vor einigen Wochen von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
veröffentlicht, wird vor Umsteigen auf Kapitaldeckung
bei durchschnittlicher Demografieentwicklung jeden
Tag ein Wert von 29 Millionen Euro verloren.
({9})
Das kann man gar nicht oft genug wiederholen. So viel
wird jetzt an zukünftigen Schulden aufgebaut, die dann
von den jungen Generationen bezahlt werden müssen.
Frau Ministerin, das können Sie im Kopf ausrechnen:
29 Millionen Euro pro Tag bedeuten über 10,5 Milliarden Euro im Jahr. Wenn Sie die Reform, die Sie versprochen haben, nicht bis 2008 hinbekommen, dann kommt
sie frühestens 2011. Bis dahin vergehen noch drei Jahre;
das sind also 30 Milliarden Euro. Sie stehen jetzt auf Ihrem Konto als Schuld gegenüber der jüngeren Generation.
({10})
Ihre Taktik, meine Damen und Herren von der SPD,
entspringt ideologischer Verklemmung.
({11})
Sie haben die junge Generation als Geisel genommen.
Sie haben den Aufbau von Kapitaldeckung verhindert;
Ihre geplante Finanzverschiebung von privater zu sozialer Versicherung ist lediglich eine Fata Morgana und
funktioniert nicht.
({12})
Sie funktioniert von Verfassungs wegen nicht;
({13})
das hat das Innenministerium Ihnen klar und deutlich
aufgeschrieben. Das Justizministerium hat es etwas verbrämter dargestellt.
({14})
Aber Sie wollen immer noch Rücklagen wegnehmen,
die in der Pflegeversicherung gebildet werden, damit die
Menschen, die dort versichert sind, ihre Pflegeleistungen
im Alter mit Sicherheit bekommen, ohne überhöhte Beiträge zu zahlen. Damit wollen Sie die kranke Pflegeversicherung sanieren. Sie ist aber deswegen krank, weil
das Umlagesystem zu Beiträgen von 4, 5 oder mehr Prozent führt. Sie wissen ganz genau, dass Sie diesen Prozess noch verstärken. Sie haben die finanzielle Katastrophe jetzt noch vergrößert.
({15})
Die Pflegeversicherung ist ein Haus, das auf Sand gebaut ist.
({16})
Statt ihm jetzt ein neues Fundament zu geben, machen
Sie einen Anstrich, setzen noch ein Stockwerk drauf und
verkaufen das als große soziale Leistung und Reform.
Eines sage ich Ihnen, auch den Grünen: Auch die
Bürgerversicherung ist keine nachhaltige Lösung. Da
sind die Finanzierungswege zwar andere - Sie wollen ja
auch auf Zinsen und Mieten, die vielleicht nebenbei mit
einem Häuschen eingenommen werden, zugreifen -;
({17})
aber es ist und bleibt ein Umlagesystem, und das Verhältnis von Jungen zu Älteren verändert sich nicht, nur
weil Sie vielleicht eine Bürgerversicherung einführen.
Das wird Ihnen - Gott sei Dank - auch nicht gelingen;
da sind auch wir davor.
({18})
Diese Bürgerversicherung ist ein Umlagesystem und
deswegen genauso schädlich und nicht zukunftssicher.
({19})
Deswegen empfehle ich Ihnen zum Abschluss dieser
Rede dringend: Lesen Sie den Beschluss des FDP-Bundesparteitags in Stuttgart am letzten Wochenende.
({20})
Der Antrag war so gut, dass er sogar einstimmig angenommen wurde. Das ist bei uns sehr selten; das geschieht nur, wenn wirklich alles stimmt. In diesem Beschluss ist der Übergang auf ein prämienfinanziertes,
kapitalgedecktes System vorgesehen, mit dem die Abhängigkeit von den Löhnen und von Konjunktur beseitigt wird und durch das den jungen Leuten die Chance
gegeben wird, für ihre eigenen Pflegekosten, die sie
eventuell im Alter haben, vorzusorgen.
Das ist der Weg der Zukunft. Sie haben jetzt dafür gesorgt, dass es einige Jahre länger dauert, bis wir das verwirklichen können. Wir werden trotzdem weiter daran
arbeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({21})
Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Frau Ulla Schmidt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Lanfermann, während Ihrer Rede war ich
sehr froh darüber, dass nicht die überwiegende Mehrheit
in diesem Land die Auseinandersetzung zwischen den
Generationen so betreibt, wie Sie es hier dargestellt haben.
({0})
Man darf die junge Generation nicht vergessen. Nur, bei
aller Diskussion - auch ich bin sehr für Nachhaltigkeit bitte ich, dass nicht vergessen wird, dass die Jungen davon profitieren, dass die Alten dieses Land aufgebaut haben.
({1})
Vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit und
damit die jüngere Generation die Belastungen in Zukunft
tragen kann, müssen wir - zum Beispiel durch Investitionen in Prävention, in Rehabilitation, durch bessere
Strukturen und Effizienz in den Bereichen des Gesundheitswesens, aber auch der Pflege - dafür sorgen, dass
möglichst jeder Euro zielgenau ausgegeben wird.
({2})
- Das kommt. - Die Frage ist, wohin man gehen muss.
Aber hier so zu tun, als ob wir eine Politik in der Form
machen, dass die Älteren auf Kosten der Jungen leben,
weise ich zurück; denn dies wird den älteren Menschen,
die in diesem Lande leben, überhaupt nicht gerecht. Das
ist nicht unsere Politik.
({3})
Dies ist Gott sei Dank auch nicht die Auffassung der
Mehrheit der jüngeren Generation, wenn solche Diskussionen geführt werden. Die Reform der Pflegeversicherung, das, was wir auf den Tisch legen, ist sogar ein
Thema sowohl der jüngeren als auch der älteren Generation; denn die ältere Generation hat ein erhöhtes Risiko,
pflegebedürftig zu werden.
Frau Kollegin Scharfenberg, noch vor zwei Wochen
haben Sie gesagt: Es geht nicht um Ökonomie, sondern
um die Menschen und die Versorgung. Da gebe ich Ihnen recht. Aber man muss auch dabei bleiben, wenn man
sich darüber auseinandersetzt, was getan werden muss.
Wir wollen für diejenigen, die einen erhöhten Hilfebedarf haben, die Leistungen dort ergänzen, wo wir aufgrund der Diskussionen der letzten Jahre wissen, dass sie
nicht ausreichend sind. Wir wissen, dass es bei vielen
einfachen Dingen Probleme gibt: An wen wendet man
sich eigentlich, wenn jemand in der Familie pflegebedürftig wird? Wo finde ich Ansprechpartner? Diese sind
nicht in allen Kommunen so ohne Weiteres zu finden.
Wo gibt es Menschen, die mich beraten, was ich vom
Krankenhaus bis dahin mache, wo die Pflege zu organisieren ist? Wir wollen dazu quartiersnah Pflegestützpunkte aufbauen. Wir wollen, dass dort wirklich Pflegemanagement betrieben wird. Wir wollen, dass dort
Fallmanager oder Fallmanagerinnen angesiedelt sind,
die sowohl denjenigen, der gepflegt werden muss, als
auch die Angehörigen sehr eng begleiten. Auch die
junge Generation ist darauf angewiesen, dass sie diese
Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen findet,
wenn sie - das wünscht niemand - für ihre Eltern oder
im Verwandtenkreis Pflege organisieren müssen. Wir
wollen, dass es keine Schnittstellenprobleme mehr gibt,
sondern dass wir Unterstützung zu Prävention und Rehabilitation gewähren.
({4})
Weil wir wollen, dass so viel wie möglich in die Rehabilitation eines älteren Menschen, der pflegebedürftig ist,
investiert wird, haben wir schon mit der Gesundheitsreform unabhängig vom Alter einen Rechtsanspruch auf
Rehabilitation eingeführt.
({5})
Mit der Pflegeversicherungsreform werden wir Mechanismen einbauen, sodass die Ansprüche auf Rehabilitation auch umgesetzt werden, weil sonst die Krankenkassen an die Pflegekassen einen Ausgleich zahlen
müssen, damit es dort organisiert wird. Wir wollen, dass
diejenigen im professionellen Sektor, die durch gute Rehabilitation Menschen dazu bringen, dass für sie vielleicht eine Pflegestufe niedriger notwendig ist, nicht
noch finanziell bestraft werden, sondern Übergänge organisiert werden. Da sind viele weitere Dinge zu nennen.
Wer sagt: „Es geht um die Menschen“, sollte sich das
Eckpunktepapier ansehen. Ich sage Ihnen: Ich habe mir
vieles angeschaut und viele Diskussionen mit den Sozialverbänden, mit Vertretern von Einrichtungen, mit
denjenigen, die an Modellversuchen teilnehmen, und Familien geführt, die einen demenziell Erkrankten zu
Hause haben, bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gehen und im Grunde genommen selber krank werden,
weil sie zu wenig Unterstützung und Hilfe haben. Jetzt
kann man darüber reden, dass bis zu 2 400 Euro im Jahr
für Demenzkranke zu wenig sind. Sie finden immer einen Grund dafür, dass man auch doppelt so viel Geld geben kann. Aber der Weg, den wir hier gehen, nämlich
dass wir nicht nur für altersverwirrte Menschen, sondern
auch für psychisch kranke Menschen und geistig behinderte Menschen - Gott sei Dank gibt es eine solche erste
Generation in diesem Lande; im Nationalsozialismus
wurden sie noch brutal ermordet - bis zu 2 400 Euro,
wenn keine Eingruppierung in eine Pflegestufe notwendig ist, vorsehen,
({6})
um eine Betreuung zu organisieren, ist richtig. Wir sagen
aber auch:
({7})
Dort, wo körperliche Pflege und Betreuung zusammentreffen, wird dieses Geld additiv zur Pflegestufe hinzugefügt. Auch diese Leistungen werden wir anheben.
({8})
Wir werden noch etwas tun, um Familien, die diese
schwere Arbeit zu Hause verrichten, zu entlasten: Die
Kombination aus häuslicher Pflege und Inanspruchnahme von Tagespflege wird gestärkt. Die Menschen,
die zu Hause pflegen, brauchen manchmal Zeit, um
Kraft zu tanken, um sich zu erholen, damit sie diese
schwere Aufgabe erfüllen können. Wir fördern die Tagespflege, indem wir bei häuslicher Pflege plus Tagespflege 150 Prozent der Leistungen geben.
Sie sagen, das seien alles kleine Mäuse. Ich sage Ihnen einmal etwas: Für die Betroffenen sind es keine kleinen Mäuse, wenn sie in ihrem Wohnviertel Beratung erhalten, dort Menschen finden, die ihnen helfen, ihre
Ansprüche durchzusetzen, die wissen, wann die häusliche Krankenpflege kommt und wann die Pflegeversicherung eintreten muss, die dafür sorgen, dass eine verordnete Rehabilitation auch wirklich in Anspruch
genommen werden kann, wenn Menschen das ehrenamtliche Engagement unterstützen und Kurse angeboten
werden, damit denen, die zu Hause betreuen, die notwendige Hilfe angeboten werden kann. Das hat nichts
mit „Mäuschen“ zu tun, sondern ist gelebte Hilfe und
Unterstützung, damit die Menschen die Aufgaben, die
sie heute erfüllen, auch künftig wahrnehmen können.
Davon lebt diese Gesellschaft; um das einmal zu sagen.
({9})
Wir verbinden das mit unseren Berichten über Qualitätssicherung, Transparenz und Einzelkräfte. Wir wollen
die Möglichkeit schaffen, das Geld quasi in einem Pool
zusammenzufassen, damit Schluss damit ist, dass, wenn
in einem Haus vier Pflegebedürftige leben, aus allen vier
Richtungen jeweils ein Pflegedienst kommt. So wird
nämlich nur viel Geld für Fahrtkosten ausgegeben, aber
es bleibt zu wenig Zeit für Zuwendung. Wir müssen
neue Angebote schaffen. Die ambulanten Pflegedienste
müssen besser kooperieren, weil das zu einer besseren
Qualität der Pflege führt: mehr Zeit, mehr Gesicht, mehr
Zuwendung. Diese Dinge kosten zwar nicht viel Geld,
haben aber viel mit Umstrukturierung zu tun. Geld kosten die Leistungen für Demenzkranke und die Dynamisierung, die wir erreichen wollen, damit die Arbeit der
Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, auf Dauer
finanziert werden kann.
Deswegen haben wir zwei weitere Entscheidungen
getroffen: Erstens. Die Mittel für Leistungen im ambulanten Bereich werden angehoben, ohne dass die Mittel
für die Leistungen im stationären Bereich gesenkt werden; wir brauchen nämlich in beiden Bereichen Verbesserungen.
({10})
Zweitens. Die Beitragssatzerhöhung um 0,25 Prozentpunkte. Auf 1 000 Euro sind das 2,50 Euro. Das ist gut
angelegtes Geld. Mit diesem Geld können wir die Leistungen bis 2014 finanzieren.
Wir arbeiten an einer Neudefinition des Pflegebegriffs. Mit der Betreuung unternehmen wir den ersten
Schritt. Auch die anderen Fragen, zum Beispiel, wie
man zu einem gerechteren Finanzausgleich zwischen
privater und gesetzlicher Versicherung kommen kann,
bleiben auf unserer Tagesordnung, auch auf meiner persönlichen. Es ist aber nicht entscheidend, diese Fragen
jetzt zu lösen. Jetzt müssen wir uns darum kümmern,
dass es den Menschen, die gepflegt werden müssen, besser geht und diejenigen, die pflegen, unterstützt werden.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Struktur erhalten
bleibt, damit wir auch in zehn, 20 und 30 Jahren ein Angebot haben.
Das sind die Aufgaben, denen sich die Große Koalition stellt. Sie sollten sich unsere Vorschläge einmal genauer anschauen.
({11})
Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Ilja Seifert
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin,
ich würde Sie für Ihre kleinen Schritte furchtbar gern loben - auch kleine Schritte können gut sein -, aber ich
kann nicht erkennen, in welche Richtung es geht. Das ist
das Problem. Es bleibt doch alles beim Alten. Sie sagen
nicht und Sie schreiben es auch in kein Gesetz hinein,
dass es um die Ermöglichung von Teilhabe gehen muss
und nicht um „satt und sauber“. Das bleibt doch alles unverändert.
Sie sagen: Nachdem wir alles gemacht haben, wollen
wir einen neuen Pflegebegriff einführen. Gerade das ist
aber falsch. Dann erzählen Sie hier voller Inbrunst, dass
durch Prävention und Rehabilitation Pflegbedürftigkeit
vermieden bzw. hinausgezögert werden kann. Ja gerne,
prima! Dafür bin auch ich. Aber wo ist denn Ihr Präventionsgesetz? Es ist ja nicht einmal vorgesehen, eines vorzulegen.
({0})
In welche Richtung wollen Sie gehen? Das ist nicht zu
erkennen.
Ich freue mich über jede Verbesserung, selbst über die
mickrigen 10 Euro, die Sie den Menschen pro Pflegestufe drauflegen wollen. Denn ich weiß: Die Betroffenen
brauchen das dringend. Aber damit lösen Sie nicht ein
einziges Problem. Sie gleichen ja nicht einmal den Inflationsverlust aus, der in den letzten zwölf Jahren eingetreDr. Ilja Seifert
ten ist, geschweige denn, dass irgendeine Verbesserung
möglich wäre.
Dann das Tollste: Jetzt haben wir endlich die dementen Menschen einbezogen. Na, prima! Aber wie denn,
bitte schön? Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Wer
mit dementen Menschen in seiner Familie zu tun hat, der
weiß, dass das Allerwichtigste Kontinuität ist. Sie müssen immer wieder die gleichen Handlungen durchführen
können. Man muss sie immer wieder anleiten, diese selber zu machen, damit sie sich in ihrer Lebenswelt zurechtfinden.
Jetzt geben Sie den Menschen maximal 2 400 Euro.
Das klingt ja richtig gut, aber das sind pro Tag 7 Euro.
Sie geben den Menschen pro Tag maximal 7 Euro in die
Hand. Was kann ich dafür an Erleichterung - das war ja
Ihr Ziel - für die Angehörigen schaffen? Nichts. Im Gegenteil: Wenn wirklich jemand ambulante oder teilstationäre Leistungen in Anspruch nimmt, also seinen dementen oder psychisch kranken Angehörigen für einen
halben Tag oder vielleicht auch für einen Dreivierteltag
- so weit reicht das Geld vielleicht mit Mühe und Not in eine tagesstrukturierende Einrichtung gibt, ist das Ergebnis, dass er verwirrter zurückkommt, als er hingegangen ist. Mit anderen Worten: Die sich gerade erholt habenden Angehörigen haben es anschließend noch
schwerer, dem Dementen die Handlungen, die er sich
gerade vorher angewöhnt hat, wieder beizubringen.
Wenn es schlecht kommt, schaden diese 7 Euro mehr, als
sie nutzen. Das Allerbeste, was passieren kann, ist, dass
die Leute sozusagen wenigstens 200 Euro mehr in ihrer
Familienkasse haben. Aber das ist nicht der Sinn der
Pflegeversicherung. Deswegen ist die Richtung falsch.
({1})
Ich will noch ein Wort zur Finanzierung sagen. Darüber rede ich immer als Letztes. Erst muss man sagen,
wofür man das Geld eigentlich braucht. Wenn Sie, Herr
Lanfermann, die Generationen hier so gegeneinander
aufhetzen, dann müssten Sie zumindest hinzufügen, dass
die Alten diejenigen sind, die die 0,25 Prozent hundertprozentig zahlen; die Jungen kriegen wenigstens die
Hälfte abgezogen. Mindestens das müssten Sie sagen.
Die jetzigen Rentnerinnen und Rentner sind am meisten
in den Hintern gekniffen. - Entschuldigung, Frau Präsidentin, dass ich dieses Wort benutzt habe.
({2})
- Ich habe ja sofort um Entschuldigung dafür gebeten.
Ich möchte noch etwas sagen. Wir tun hier immer so,
als ob es sich bei der Pflege - ich spreche lieber von Assistenz -, die die Menschen brauchen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, immer um
Pflege für Menschen handelt, die bald sterben. Ja, das ist
ein wichtiger Teil. Ich finde, es ist sehr wichtig, dass an
dieser Stelle gute Hilfe zur Verfügung steht, entweder
aus der Familie oder von anderer Seite. Aber es gibt
viele Menschen, zum Beispiel mit Behinderungen oder
psychischen Krankheiten, die in jungen Jahren durchaus
berufstätig sein wollen, obwohl sie inkontinent sind, obwohl sie Pflege bzw. Assistenz brauchen. Sie kommen in
diesem Denken überhaupt nicht vor.
({3})
- Moment, das ist ja nun das Allerletzte. Dafür braucht
man ein Nachteilausgleichsgesetz; das weiß ich auch.
Aber wenn wir diese Menschen schon in die Pflegeversicherung einbeziehen, dann müssen wir es richtig
machen. Deswegen sage ich Ihnen ausdrücklich: Lassen
Sie uns den Zweck benennen! Die UNO-Konvention für
die Rechte behinderter Menschen gibt den Weg vor. In
ihr steht, was die Staaten zu tun haben, damit Menschen
mit Behinderungen in ihrem Lande am öffentlichen Leben teilhaben können. Die behinderten Menschen sollen
sich nicht den öffentlichen Einrichtungen anpassen müssen, sondern umgekehrt. Tun Sie das bitte schön. Darum
geht es.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Zu tun bleibt
noch vieles.
({4})
Nun hat das Wort der Kollege Willi Zylajew für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Grünen werden nicht müde, uns das abzuverlangen, was sie selbst nicht geleistet haben. Frau
Scharfenberg, wenn man das Bühnenbild der letzten, der
15. Wahlperiode betrachtet, muss man sagen: Die Grünen waren nicht einmal Kulissenschieber. Das müssen
Sie zur Kenntnis nehmen.
({0})
Auf der Tribüne saßen vorhin einige Besucher - wie
ich sehe, sind sie jetzt nicht mehr anwesend -,
({1})
die sich hoffentlich noch an die Antworten erinnern, die
Sie in den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit gegeben
haben. Ich stelle fest, dass die Grünen offensichtlich
nicht einmal den Unterschied zwischen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung kennen.
({2})
- Verehrter Herr Kollege, wir haben die Eingliederungshilfe entwickelt, um den Behinderten eine gute Unterstützung zu bieten. Ich formuliere es einmal sehr dras10686
tisch: Grundsätzlich sind Behinderte nicht im
klassischen Sinne pflegebedürftig. Vielmehr benötigen
sie eine gute Eingliederungshilfe. Den Umfang dieser
Leistungen werden wir nicht schmälern.
({3})
- Es mag sein, dass die FDP das gerne tun würde. Dazu
sage ich nur: Nicht mit uns.
Herr Kollege Seifert, ich lege Wert darauf, dass sich
die Behinderten und die Pflegebedürftigen auf uns verlassen können. Wir geben Antworten auf ihre Fragen.
Derzeit geben wir für den ambulanten Bereich 6,4 Milliarden Euro aus; das ist die größte Verbesserung. Den
Umfang der Geldleistungen erhöhen wir je nach Pflegestufe um bis zu 15 Prozent - Frau Künast, wenn Sie
nicht so laut plappern würden, könnten Sie die Zahlen,
die ich nenne, hören -, den der Sachleistungen um fast
20 Prozent. Sie sagen, das sei nur eine Kleinigkeit und
nicht sehr bedeutend, da es nur ein paar Euro pro Tag
ausmache. Natürlich geht es nur um ein paar Euro. Aber
ich bin sicher, dass die Menschen das zu schätzen wissen.
({4})
Um den Zuruf von Frau Künast aufzugreifen, sage
ich: Wir sind nicht feige, sondern wir handeln. Wir geben den Menschen das Geld, das sie benötigen. Wir
bauen die Bürokratie ab. Wir wollen gegen den durch die
Bürokratie verursachten Arbeitszeitdiebstahl vorgehen.
Wir wollen mehr unangemeldete Kontrollen als lange
vorbereitete Kontrollen. Wir wollen die zum Teil völlig
unsinnigen Hürden zwischen ambulant und stationär abbauen; das werden wir mit dieser Reform tun. Wir werden dafür sorgen, dass die Menschen, die in ihrer Familie helfen müssen, einen Rechtsanspruch auf Pflegezeit
bekommen; das ist uns wichtig.
({5})
Zu den Regelungen zur Kurzzeit- und Tagespflege.
Verehrter Herr Dr. Seifert, ich verstehe nicht, dass Sie
sagen, ein Tagespflegeangebot für Demente sei keine
Hilfe. Sie leben offensichtlich in einer anderen Welt als
ich. Die Angehörigen der Dementen, die ich kenne, hätten gerne die Möglichkeit, Tagespflege in Anspruch zu
nehmen, um selbst eine Entlastung zu erfahren. Das Angebot der Tagespflege für Demente ist für Sie nichts?
Bei all Ihrem Engagement muss ich sagen: An dieser
Stelle verstehe ich Sie wirklich nicht.
Wir werden uns mit dem Thema neue Wohnformen
beschäftigen.
({6})
Da sie von allen Seiten propagiert werden, möchte ich
mich dazu äußern, wie die neuen Wohnformen aussehen
könnten.
({7})
- Wir sind auch auf Ihre Vorschläge gespannt. Bringen
Sie Ihren Sachverstand doch ein! Versuchen Sie einmal,
auf vernünftige Weise mit uns zu diskutieren, statt immer nur dazwischenzurufen!
({8})
In jedem Wohnquartier wird es in Zukunft wohnortnahe
Stützpunkte geben; die Ministerin hat das angesprochen.
Darum werden wir uns kümmern.
Herr Lanfermann, das ist ein wegweisender Kompromiss.
({9})
Wir tun exakt das, was Sie in vielen Veranstaltungen, an
denen auch ich teilgenommen habe, gefordert haben:
Wir geben für den Bereich Demenz etwa 1,5 Milliarden
Euro mehr aus, wir stellen eine halbe Milliarde Euro für
die Verbesserung der Leistungen zur Verfügung - in unseren Veranstaltungen waren wir uns noch einig, heute
sind wir es offensichtlich nicht mehr -, und wir geben je
nach Pflegestufe bis zu 20 Prozent mehr aus. Das ist
großartig.
Natürlich wissen wir alle, dass wir uns mit einem
wichtigen Aspekt noch befassen müssen: mit der Frage
der Zukunftsfestigkeit. Da müssen wir noch ein Stück
weiterkommen, und darüber werden wir uns in der
Koalition irgendwann verständigen können.
({10})
Da sollten wir linksrheinisch-hoffnungsfroh sein. Ich
sage Ihnen: In dieser Koalition ist es uns gelungen, das
zu machen,
({11})
was in der früheren Koalition nicht möglich war, nämlich für die Pflegenden bessere Leistungen sicherzustellen.
({12})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich bin
fertig; jetzt können Sie weiter dazwischenrufen, Frau
Künast.
({13})
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
nun das Wort die Kollegin Birgitt Bender.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es
besteht Einigkeit in diesem Hause, dass die Pflegeversicherung reformbedürftig ist. Die Leistungen sind reformbedürftig, die Organisation ist reformbedürftig, das
Angebot von Pflege- und Betreuungsleistungen ist zu reformieren, auszubauen und in der Qualität zu verbessern.
Das wissen wir alle. Wir wissen auch, dass wir in der
letzten Legislaturperiode eine Reform machen wollten.
Herr Kollege Zylajew, Sie wissen, dass es jedenfalls an
den Grünen nicht gelegen hat.
Jetzt verspricht diese Koalition Leistungsverbesserungen, auf die viele Angehörige und Pflegebedürftige
dringend warten und über die sie sich auch freuen; das
will ich Ihnen zugestehen. Denn wir wissen, dass seit
zwölf Jahren nichts verändert worden ist. Wir wissen,
dass die Kaufkraft der Leistungen aus der Pflegeversicherung entsprechend um 15 Prozent abgenommen hat.
Wir wissen, dass die Betreuung dementer Menschen in
der Pflegeversicherung nicht hinreichend abgebildet ist.
Sie versuchen, in all diesen Punkten etwas zu verbessern; das will ich Ihnen zugestehen.
Natürlich werden sich die Angehörigen von dementen
Menschen freuen, wenn jetzt der Betreuungsbetrag erhöht wird.
({0})
Besser wäre es allerdings gewesen, Sie hätten es geschafft - Sie hatten ja genügend Zeit dazu -, den Pflegebedürftigkeitsbegriff zu überarbeiten,
({1})
damit es eben nicht mehr nur auf körperliche Verrichtungen ankommt, sondern damit der Pflege- und Betreuungsbedarf alter Menschen insgesamt berücksichtigt
wird. Da sind Sie zu kurz gesprungen.
({2})
Nichtsdestotrotz schafft mehr Geld Erleichterungen,
auch bei den ambulanten Leistungen. Deswegen begrüßen auch die Verbände, was da kommt. Aber wenn man
einmal näher hinsieht, sieht man doch: Sie versprechen
jetzt Leistungsverbesserungen und verbinden das mit
- durchaus überschaubaren - Beitragserhöhungen, behaupten aber, das koste niemanden etwas, weil gleichzeitig der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung reduziert
werde,
({3})
und auch die Rentnerinnen und Rentner koste es nichts,
weil ja eine Rentenerhöhung in Aussicht stehe.
Überlegen Sie einmal, was das für eine Botschaft ist!
({4})
Die Botschaft lautet: Seht her, liebe Menschen in diesem
Lande, Reform im Sozialsystem heißt, es gibt bessere
Leistungen, und niemand muss das bezahlen.
({5})
Was glauben Sie, was der politische Preis dafür sein
wird? Sie wissen genau, dass diese Rechnung bereits bei
der Pflege nicht stimmt; denn die Rechnung werden die,
die künftig die Beiträge zahlen, bekommen. Und mit der
politischen Rechnung für die nicht gemachten Hausaufgaben wird sich die nächste Regierung herumschlagen
dürfen.
({6})
Die Politik und die Experten diskutieren seit Jahren
über die demografische Entwicklung und erklären, dass
Nachhaltigkeit in den Sozialsystemen notwendig ist,
dass man in den Umbau, den das mit sich bringt, schon
heute zu investieren bereit sein muss, dass man den
Menschen etwas abzuverlangen bereit sein muss. Doch
Ihre übergeordnete Botschaft lautet: Was kümmert uns
unser Geschwätz von gestern, wir machen bessere Leistungen, und das kostet auch nichts.
({7})
Das wird uns allen noch auf die Füße fallen.
({8})
Sie wissen genau, wir bräuchten in der Pflegeversicherung eine Demografiereserve. Sie haben sich darüber
gestritten, ob das in Form eines privaten Kapitelstocks
oder innerhalb des Solidarsystems aufgebaut werden
soll. Ich will Ihnen zugestehen, dass es schwierig ist,
sich darüber zu einigen. Aber der Vorsitzende der Jungen Union in Bayern hat recht, wenn er Ihnen sagt: Natürlich wäre auch bei der Kapitalreserve mit etwas gutem
Willen ein Kompromiss möglich gewesen.
({9})
Sie haben sich aber davor gedrückt, Kompromisse zu
finden.
({10})
Es hat immer geheißen: Die Große Koalition löst
große Probleme. Wie ist das hier? Von der Großen Koalition gibt es eine kleine Lösung für den schnellen Beifall, aber mit kurzer politischer Halbwertzeit. Nachhaltigkeit in den Sozialsystemen ist für diese Koalition
offensichtlich ein Fremdwort.
({11})
Damit haben Sie politisch versagt, meine Damen und
Herren.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Vertreterinnen und Vertreter der Oppositionsfraktionen bisher gehört hat, dann könnte man meinen, dass Sie die Leistungsverbesserungen, die wir jetzt
zu bieten haben, gar nicht wollen.
Ich erinnere mich, dass wir gemeinsam auf Podien saßen und uns eigentlich darin einig waren, dass wir im
Bereich der Demenz, im Bereich ambulant vor stationär
und auch im Bereich der Dynamisierung Verbesserungen
für die Menschen wollen. Jetzt realisieren wir sie, und
Sie sitzen hier bzw. stehen am Rednerpult und agitieren
in Richtung Regierungskoalition, anstatt zu sagen: Ja,
das ist der richtige Schritt in die richtige Richtung.
({0})
Wenn ich daran denke, dass wir in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit den Grünen einen wunderbaren Antrag zum Thema Demenz eingebracht haben, in
dem genau das steht, was wir jetzt umsetzen, dass es dort
nämlich eine Unterstützung gibt, dann frage ich mich, ob
Sie das vergessen haben. Das sollten Sie aber nicht vergessen haben; denn die Verbesserung kommt bei den
Leuten richtig an. Verbesserungen für Menschen mit Demenz zu erreichen, ist genau der richtige Ansatzpunkt,
den wir immer gewollt haben.
({1})
Sie sagen jetzt, dass 200 Euro pro Monat nicht bei
den Menschen ankommen, weil die Ausgestaltung des
Pflegebegriffs noch nicht steht. Das verwundert mich,
weil Sie genau wissen, dass der Pflegebegriff in einem
längeren Prozess erarbeitet werden muss. Hier gilt nämlich: Qualität und Sorgsamkeit vor Schnelligkeit. Mit der
Ausgestaltung dieses neuen Pflegebegriffs werden wir
genau das erreichen, was Sie hier zu Recht fordern.
({2})
Hier liegen unsere Ansichten ja nicht auseinander.
Das wurde durch diese Regierungskoalition angepackt. Der Beirat arbeitet daran. Wir haben das hinbekommen. Ich sage: Es ist gut, dass das Ministerium das
hinbekommen hat; denn die Neujustierung der Pflegestufen ist wichtig, damit all die Leistungsverbesserungen, die wir erreichen wollen, auch greifbar werden. Der
individuelle Pflegebedarf muss nämlich ermittelt werden
können. Die Teilhabe entspricht genau dem Perspektivenwechsel, den wir wollen. Aber jetzt zu sagen, wir
werden die Pauschale nicht einführen, weil der Pflegebegriff erst sehr viel später greift, finde ich absurd.
({3})
Von daher meine ich, dass Sie bei aller Kritik, die
auch wir an Teilen dieses Kompromisses haben - ({4})
- Uns wäre es auch lieber gewesen, wenn die privaten
Pflegeversicherungen ins Solidarsystem hineingekommen wären,
({5})
weil wir dieses Geld von den Privaten sehr gut hätten anlegen können. Das war immer unser Ansatz.
({6})
- Es geht um Solidarität, Herr Lanfermann,
({7})
nämlich um die Solidarität, die Sie unter dem Stichwort
Generationengerechtigkeit vermissen lassen. Die Solidarität in dieser Gesellschaft und die Solidarität zwischen
den Generationen stehen für uns ganz oben.
({8})
Ich bin überzeugt, dass wir mit unserem Vorhaben,
eine Bürgerversicherung einzuführen, genau das richtige
Ziel verfolgen und dass mit diesen Eckpunkten jetzt klar
ist, dass Leistungsverbesserungen und Strukturreformen
in dieser Großen Koalition ganz oben stehen. Wir haben
es hinbekommen, dass die Finanzierung bis 2014 gesichert ist und dass die Lebensqualität der Menschen, auf
die es uns ankommt, nämlich derjenigen, die zu Hause
zu pflegen sind, und derjenigen, die zu Hause pflegen,
durch die Geldleistungen ein Stück verbessert wird.
Ich glaube, mit diesen Maßnahmen - wie der durch
die Pauschale von bis zu 200 Euro monatlich erzielten
Verbesserung für Menschen, die an Demenz erkrankt
sind - können wir eine Entlastung der Familien in den
alltäglichen Angelegenheiten bewirken. Dieses Ziel haben wir in den letzten Jahren immer verfolgt, sodass zum
Beispiel jemand, der eine an Demenz erkrankte Person
betreut, auch einmal selber den Arzt oder Friseur aufsuchen kann. Solche kleinen Alltäglichkeiten sind nämlich
häufig fast unmöglich. Das wissen wir doch alle. Man
darf auch nicht kleinreden, dass wir durch die Anhebung
der Beträge für ambulante Sachleistungen zum Beispiel
auf 450 Euro in der Pflegestufe I Verbesserungen erreicht haben.
({9})
Ich fordere Sie auf, all das, was Sie in unseren gemeinsamen Diskussionen mitgetragen haben, jetzt auch
mitzutragen. Das, was in den Eckpunkten festgehalten
ist - sicherlich muss man beim Referentenentwurf und
im Gesetzgebungsverfahren genau auf die Einzelheiten
achten -, ist der richtige Schritt in die richtige Richtung!
Danke.
({10})
Nächster Redner ist nun der Kollege Jens Spahn für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Bender - Sie haben die Aktuelle Stunde
beantragt -, gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu
dem, was in sieben Jahren Rot-Grün stattgefunden hat.
Ich bin niemand, der immer wieder nachkartet und den
anderen vorhält, was sie damals hätten tun sollen. Aber
wenn man Ihre Ausführungen verfolgt hat und bedenkt,
dass zum Zeitpunkt Ihrer Regierungsübernahme 1998 in
der Pflegeversicherung eine Reserve in Höhe von
5 Milliarden Euro vorhanden war, die dann über die vielen Jahre langsam abgebaut wurde,
({0})
und Ihnen in dieser Situation nur Beitragserhöhungen für
Rentner und Kinderlose eingefallen sind, meine ich, dass
Sie zwar in der Sache jederzeit gerne mit uns diskutieren
können; es wäre aber angebracht, dafür eine andere Tonlage zu wählen.
({1})
Ich möchte kurz drei Punkte aufgreifen, die wir im
Gesetzgebungsverfahren vorschlagen wollen. Erstens
geht es um mehr Transparenz. In einer Anhörung zur
Pflege und Entbürokratisierung, die wir soeben durchgeführt haben,
({2})
ist sehr deutlich geworden, dass gerade Angehörige wie
auch Pflegebedürftige mehr Transparenz hinsichtlich der
Qualität von Einrichtungen und entsprechende Indikatoren in allen Punkten - seien es so banale wie Zufriedenheit, Essen oder Sauberkeit, seien es Krankheitsfragen
oder bestehende Pflegeprobleme - wollen. Das wollen
wir auf Grundlage der Heimprüfungsberichte, aber auch
möglicher anderer Daten erreichen.
Zweitens geht es um die Frage der Flexibilität. In der
Debatte darüber, wie wir in einer älter werdenden Gesellschaft leben und über die derzeit übliche Unterscheidung zwischen ambulanter und stationärer Pflege hinaus
flexiblere Angebote schaffen können, wie wir entsprechende Zwischenschritte einbauen können, spielt die
Generationengerechtigkeit eine mindestens genauso
große Rolle wie die Frage, wie wir in Zukunft in diesem
Land gemeinsam alt werden wollen. Zu diesem Zweck
wollen wir bei der Förderung betreuter Wohnformen,
beim Fallmanagement und beim Schnittstellenmanagement viele Schritte, wie ich meine, in die richtige Richtung gehen.
Der dritte wichtige Punkt betrifft
({3})
- das wurde im Grunde auch immer von allen unterstützt - die Verstärkung der ambulanten Pflegeleistungen,
({4})
notwendige Verbesserungen bei der Berücksichtigung
demenzieller Erkrankungen und die Erhöhung der Leistungen.
Klar ist aber auch, Herr Kollege Seifert - Sie haben
die Zahlen angesprochen -, dass die Pflegeversicherung
immer eine Teilkostenversicherung gewesen ist. Das
sollten wir immer wieder deutlich machen; denn es ist
nicht allen bewusst.
({5})
Sie ist anders als die gesetzliche Krankenversicherung
nie dazu gedacht gewesen, alle Kosten zu decken; sie
soll vielmehr den Menschen Unterstützung bieten. Deswegen sollten wir gemeinsam dafür werben und kämpfen, dass zusätzlich privat Vorsorge betrieben wird. Wer
in meinem Alter, also frühzeitig anfängt, vorzusorgen,
wird auch die Chance haben, mit relativ geringen Beiträgen über ein langes Leben entsprechende Vorsorge zu
treffen.
Nun komme ich, wie ich zugeben muss, zu einem
Wermutstropfen für die jüngeren Abgeordneten, auch in
der Union. Dabei geht es mir, Frau Ministerin, nicht um
einen Kampf von Jung gegen Alt, sondern um die Frage,
ob diejenigen, die heute die Beiträge zahlen, dies im Vertrauen darauf tun können, dass sie dann, wenn sie alt
sind, tatsächlich noch entsprechende Leistungen bekommen werden. Es darf nicht dazu kommen, dass sie zwar
Beiträge zahlen, aber dann, wenn sie selbst pflegebedürftig werden - das mag im Jahre 2030 oder 2040
oder wie bei mir vielleicht erst im Jahre 2050 sein -,
keine angemessene Leistungen erhalten werden. Es wäre
der richtige Schritt gewesen - so war unsere Idee -, dafür eine Kapitalrücklage zu bilden. Ich bedaure es sehr,
dass es ein Junktim zwischen einer zumindest verfassungsrechtlich bedenklichen und grundsätzliche Probleme nicht lösenden Maßnahme wie dem Ausgleich
zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung
und einer zukunftsweisenden, zukunftsfesteren und den
Menschen gegenüber ehrlicheren und generationengerechten Kapitalrücklage gegeben hat.
Umso wichtiger ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum einen anzuerkennen, dass das, was die große
Koalition vorlegt, eine sehr gute und den Bedürfnissen
der Menschen angepasste Lösung für aktuelle Probleme
ist,
({6})
nicht weniger, aber - das ist nun einmal koalitionsbedingt - am Ende leider auch nicht mehr. Damit es mehr
wird und wir nicht nur aktuelle, sondern durch den Aufbau einer Kapitalrücklage auch zukünftige Probleme lösen, kann ich Sie alle nur herzlich einladen, für ein solches Modell zu werben. Je früher wir damit beginnen,
eine Kapitalrücklage aufzubauen, desto besser wird es
am Ende sein. Dann werden auch die heute Jungen,
wenn sie im Jahre 2040 oder im Jahre 2050 alt sein werden, noch auf gute Pflegeleistungen hoffen können.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Margrit Spielmann
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über viele wichtige Punkte, konkrete Maßnahmen und
zukunftsfähige Strukturen haben sowohl die Ministerin
als auch meine Kolleginnen und Kollegen schon gesprochen. Ich möchte noch auf einen für mich wichtigen
Punkt hinweisen, bei dem es darum geht, die Pflege zukunftsfähig zu machen: auf die Stärkung der ambulanten
Pflegestrukturen, auf ambulante Pflegeformen durch die
von uns jetzt verabredete integrierte wohnortnahe und
quartierbezogene Versorgung und die damit verbundene
Bildung eines Pflegestützpunktes bzw. eines Pflegekompetenzzentrums.
Aus unseren Wahlkreisen wissen wir alle, welcher
Odyssee manche Angehörigen und Betroffenen ausgesetzt sind, wenn sie ein entsprechendes Angebot suchen.
Deshalb findet es meine volle Unterstützung, dass
Pflege, Betreuung, Beratung und Information oder, Herr
Dr. Seifert, auch Assistenz aus einer Hand zu erhalten
sein sollen.
Wo liegen die Vorteile eines solchen Pflegestützpunktes bzw. Pflegekompetenzzentrums für die Angehörigen
und Betroffenen? Von diesem Pflegestützpunkt sollen
Beratungen, Informationen und der Pflegebedarf auf
kommunaler Ebene wohnortnah und quartierbezogen,
wie ich bereits sagte, und unter Berücksichtigung der
Träger und der öffentlichen Verwaltungen aufeinander
abgestimmt und realisiert werden. Dieser Dialog, diese
Zusammenarbeit findet, wie wir alle wissen, zurzeit
nicht statt. Von den Pflegestützpunkten sollen Verträge
zur integrierten wohnortnahen Versorgung und Betreuung mit Krankenkassen, Pflegekassen, Kommunen und
Leistungserbringern geschlossen werden. Dabei soll den
Pflegestützpunkten von der Pflegeversicherung eine Anschubfinanzierung für zwei Jahre gewährt werden. Ein
Pflegestützpunkt soll demnach für 20 000 Einwohner da
sein und mit 15 000 Euro gefördert werden. Dies ist, wie
ich denke, ein guter Anfang.
Mir ist wichtig, noch darauf hinzuweisen, dass ein
Pflegestützpunkt nicht im vierten Stock liegen darf, sondern behindertengerecht ausgestaltet werden sollte.
({0})
Ich wünsche mir außerdem sehr, dass ein solcher Stützpunkt ein Ort der Begegnung, der Information, der Beratung und vielleicht auch des geselligen Lebens in einem
wohnortnahen Quartier ist.
Der Pflegestützpunkt wird durch die Pflegekassen
verpflichtet, den pflegebedürftigen Versicherten ein
Pflegemanagement anzubieten, welches eine zielgenaue
Unterstützung für jeden Einzelnen zu gewährleisten hat.
Dazu gehört, dass künftig eine Fallmanagerin oder ein
Fallmanager als Ansprechpartner für jeweils bis zu
100 pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen
da sein wird.
Durch einen solchen Stützpunkt werden nach meiner
Meinung des Weiteren die Prävention und die Rehabilitation gestärkt. Das ist unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besonders wichtig und soll künftig mit finanziellen Anreizen gefördert werden. Durch aktivierende
Pflege und Rehabilitation sollten wir Verbesserungen am
Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen erzielen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ein solcher Pflegestützpunkt generationenübergreifendes und bürgerliches Engagement zu unterstützen hat; denn künftig werden die Pflegekassen verpflichtet, gemeinsam mit den
Bundesländern und den übrigen Vertragspartnern darauf
hinzuwirken, dass bürgerlich Engagierte noch besser in
ambulante vernetzte Versorgungsstrukturen auf kommunaler Ebene einbezogen werden. Ich denke hier an Betreuungsgruppen für demenziell Erkrankte, Helferkreise,
Selbsthilfegruppen, Agenturen für die Vermittlung von
Betreuungsleistungen, Dienstleistungen und Teilhabe.
Es sollen begleitende Schulungen bürgerlich engagierten
Helfern für Organisation und Planung ein entsprechendes Betätigungsfeld bieten.
Der Pflegestützpunkt ist deshalb ein absolut richtiger
Schritt in die richtige Richtung.
({1})
Dadurch wird erreicht, dass Information, Beratung und
Unterstützung vor Ort stattfinden, dass das Prinzip der
Pflege aus einer Hand umgesetzt wird, dass in der Pflege
auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen durch
sachgerechtes Fallmanagement eingegangen werden kann
und dass eine solche Pflege finanziert werden kann.
Vielen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Maria
Eichhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die beschlossenen Eckpunkte für eine Qualitätsreform
der sozialen Pflegeversicherung sind eine gute Botschaft
für Millionen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Es
besteht keinerlei Anlass, die Reform kleinzureden. Mit
den beschlossenen Verbesserungen im Leistungsspektrum dieses Sozialversicherungszweigs erfüllt die Große
Koalition eine zentrale Zusage: Die Leistungsfähigkeit
der Pflegeversicherung wird erhalten und weiterentwickelt. Das ist nicht selbstverständlich. An die Grünen als
Antragsteller dieser Aktuellen Stunde und an alle Kritiker der jüngsten Koalitionsbeschlüsse richte ich den Appell: Messen Sie unsere Beschlüsse an den künftigen
umfassenden Leistungsverbesserungen und nicht an Ihren ideologischen Vorstellungen!
({0})
Die Reform wird den Grundsatz „ambulant vor stationär“ stärken. Damit entsprechen wir dem Bedürfnis der
Pflegebedürftigen, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben sowie im Kreis ihrer
Verwandten und Freunde zu sein.
({1})
Die Reform bringt die Hilfe näher an die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Ich nenne als Beispiele nur
die Einrichtung der wohnortnahen Pflegestützpunkte
und die Fallmanager. Diese qualitativen Neuerungen bedeuten eine wichtige Entlastung der Angehörigen, indem
sie beratende Unterstützung beim Umgang mit den verschiedenen Instrumenten des Pflegesystems leisten. Es
ist nicht einfach, zu durchschauen, was für den einzelnen
Pflegebedürftigen das Beste ist.
Mit der Reform werden auch die Rehabilitations- und
Präventionsanstrengungen verstärkt. Es ist sehr zu begrüßen, dass die Anstrengungen in Zukunft mehr darauf
gerichtet werden, den Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen wieder zu verbessern bzw. zumindest eine Verschlechterung zu vermeiden.
Die meisten Menschen erhoffen sich, zu Hause gepflegt zu werden. Die Einführung der Pflegezeit ist in
vielen Fällen Voraussetzung dafür, dass dieser Wunsch
erfüllt werden kann, und ich begrüße diesen Schritt auch
aus familienpolitischer Sicht ganz besonders. Mein Appell geht jetzt an die Wirtschaft, nicht gegen diese Einführung zu wettern, sondern konstruktive Lösungen zur
Umsetzung zu erarbeiten.
({2})
Die Leistungsverbesserungen sind vor allem auch ein
wichtiges frauenpolitisches Signal. 80 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Töchter, Schwiegertöchter,
Mütter oder sonst nahestehende Frauen. Ihnen und all
den Helferinnen und Helfern in der ambulanten und stationären Pflege gilt unser Dank. Die gesellschaftlich oftmals viel zu gering erachtete aufopferungsvolle Arbeit
verdient unsere volle Unterstützung.
({3})
Unseren Dank und unsere Anerkennung verdienen
aber auch die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und
Helfer. Oft geht es nur darum, dem Pflegebedürftigen
zusätzliche Zeit zu schenken, die das Pflegepersonal wegen des Zeitdrucks nicht aufbringen kann. Das hilft dem
Pflegebedürftigen und bringt Lebensqualität.
Damit den Pflegekräften wieder mehr Zeit für die
Versorgung und Betreuung zur Verfügung steht, müssen
sie von unnötiger Bürokratie entlastet werden. Bereits in
der letzten Legislaturperiode hat die CDU/CSU-Fraktion
unter Federführung der Arbeitsgruppe Familie dazu Vorschläge vorgelegt. Als Folge der Föderalismusreform ist
das Heimgesetz, um das es hier vor allem geht, jetzt allerdings Aufgabe der Länder.
({4})
Aber auch der Bund wird, soweit notwendig, seine
Hausaufgaben machen.
Die beschlossenen Leistungsverbesserungen bedeuten vor allem eine Qualitätssteigerung im Bereich der
Pflege. Richtig ist, dass diese Verbesserungen schon
lange gefordert werden. Richtig ist aber auch, dass erst
diese Große Koalition die Kraft hatte, diese Verbesserungen in der Praxis umzusetzen.
({5})
Wer sich jetzt davon überrascht zeigt, dass die beschlossenen Maßnahmen zu einem Mehrbedarf an Beitragsmitteln führen, argumentiert unredlich. Wenn jetzt ausgerechnet Sie von den Grünen in der Aktuellen Stunde das
Erreichte kleinreden wollen, dann seien Sie daran erinnert:
({6})
Mit dem aktuellen Reformvorhaben arbeitet die Große
Koalition Versäumnisse auf, für die Sie mitverantwortlich sind.
Über die Bedeutung der Pflegereform, vor allem im
qualitativen Bereich, ist bereits vieles gesagt worden.
Darüber hinaus ist aber eines zu berücksichtigen: Die
Zahl der Pflegebedürftigen hat seit 1997 um 17,5 Prozent zugenommen. Rechnet man die demenziell Erkrankten dazu, liegt die Zahl der Pflegebedürftigen weit
über der 2-Millionen-Marke. Für all diese Betroffenen
und ihre Angehörigen ist die erzielte Verständigung über
diese Reform eine gute Botschaft.
({7})
Diese Reform dient den Menschen, und darauf kommt es
an.
({8})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Dr. Carola
Reimann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch ich begrüße sehr, dass wir jetzt eine
Aktuelle Stunde zu diesem Thema haben. Das gibt uns
Gelegenheit, die Eckpunkte sofort darzustellen - das hat
die Kollegin Widmann-Mauz auch schon gesagt - und
auch gleich aufkeimenden Legendenbildungen vorzubeugen; Stichwort: Behinderte sind nicht dabei und ähnliche Dinge.
Ich weiß ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie
wahrscheinlich gedacht haben, Sie könnten jetzt ein
Feuerwerk der Kritik zünden,
({0})
aber Sie verfallen hier natürlich in die alten Verhaltensmuster, die wir schon aus den Beratungen zur Gesundheitsreform kennen.
({1})
Jedenfalls erinnert mich das daran. Auch bei der Gesundheitsreform wurden die vielen und umfangreichen
Verbesserungen, die wir jetzt umsetzen, verschwiegen
und kleingeredet, und bei der Pflege reden Sie jetzt von
einer Minireform. Bei allem Respekt: Das ist maximaler
Unsinn;
({2})
denn wir haben zahlreiche Veränderungen im Leistungsund Strukturbereich. Das wird die Lebenssituation von
ganz vielen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen
spürbar verbessern. Diese Einschätzung teilen auch die
Verbände. Das sieht man am Presseecho, das anders ist,
als es hier immer dargestellt worden ist.
Ich erinnere mich auch noch ganz gut an die letzte
Aktuelle Stunde zu diesem Thema im vergangenen November. Da hatten wir Gelegenheit, die Ziele der damals
noch zukünftigen Reform darzulegen. Ich nenne gern
noch einmal die Ziele, die wir damals aufgelistet haben.
Wir wollten die Leistungen der Pflegeversicherung, die
seit 1995 unverändert geblieben sind, dynamisieren, die
ambulante Pflege stärken und vor allem die Situation demenzerkrankter Menschen mit ihrem besonderen Hilfebedarf verbessern.
({3})
Wenn man jetzt einen Blick in die Eckpunkte wirft,
Frau Kollegin Bender, dann sieht man klar: Ziel erreicht.
Gerade im Bereich der ambulanten Pflege sind wir einen
ganz wichtigen Schritt vorangekommen. Die Kollegin
Spielmann hat gerade die Bildung der quartierbezogenen
Pflegestützpunkte erwähnt. Sie sollen wohnortnahe Anlaufstellen für Pflegebedürftige und vor allen Dingen für
deren Angehörige werden, die Rat und Orientierung geben, um die möglichen Hilfeangebote, die es schon gibt,
besser aufeinander abzustimmen und miteinander zu
vernetzen. Das ist eine große Hilfe gerade für die Angehörigen, die durch eine - auch das geschieht sehr häufig plötzlich eintretende Pflegebedürftigkeit oft überfordert
werden. Sie hat von Odyssee gesprochen. Das wird uns
oft so berichtet, und es wird so empfunden.
({4})
Zugleich kann so den Pflegebedürftigen schneller und
zielgerichteter geholfen werden. Das soll durch die Unterstützung eines Fallmanagements ergänzt werden, das
im Rahmen dieser Pflegestützpunkte angeboten werden
kann. So schaffen wir neue, ergänzende Strukturen, die
die ambulante Pflege stärken und die den Zugang zu einer passgenauen Hilfe für den jeweiligen Pflegebedürftigen und seine individuell-persönlichen Pflegebedürfnisse und -erfordernisse erleichtern. Ich denke, Frau
Scharfenberg, das ist nutzerorientierte Pflege. So nennen
Sie das dann.
Neben der Stärkung der ambulanten Versorgung enthält das vorliegende Paket noch weitere wichtige Maßnahmen. Ich will die Einführung der Pflegezeit nennen.
Die war von ganz vielen gewünscht. Ich bedaure, dass es
nur Menschen in größeren Betrieben und nicht in Kleinbetrieben ermöglicht wird, diese Pflegezeit für sich in
Anspruch zu nehmen. Ich glaube, dass Familien sich das
wünschen. Wir haben Anreize zu aktivierender Pflege
- die Ministerin hat es genannt -, Rehabilitation in den
Pflegeeinrichtungen und den Abbau von Schnittstellenproblemen vorgesehen. Nicht zuletzt werden wir mit der
Pflegereform das bürgerschaftliche Engagement stärker
unterstützen; denn - ich kann es nicht oft genug sagen gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft ist die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements gar nicht hoch genug einzuschätzen. Da wird
großartige Arbeit geleistet. Die gilt es noch mehr zu unterstützen.
({5})
Die Anhebung der Sachleistungen im ambulanten Bereich sowie des Pflegegeldes, die Strukturreformen und
weitere Leistungsverbesserungen sind nicht zum Nulltarif zu haben. Ich muss hier in aller Deutlichkeit und auch
für die jüngere Generation sagen: Es muss uns etwas
wert sein, dass pflegebedürftige Menschen ein möglichst
selbstbestimmtes und würdevolles Leben führen können.
({6})
Für uns Sozialdemokraten ist bei der Finanzierung
entscheidend - das ist hier immer ein wichtiges Thema -, dass jeder entsprechend seiner Leistungsfähigkeit
beteiligt wird und dass die paritätische Finanzierung von
Arbeitnehmern und Arbeitgebern erhalten bleibt. Das ist
uns gelungen.
({7})
Natürlich hätten wir, gerade was das Verhältnis von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung anbelangt,
gerne mehr umgesetzt, und natürlich - die Kollegin
Mattheis hat es schon gesagt - bleibt für die SPD auch in
der Pflege die solidarische Bürgerversicherung das Ziel.
Aber mit den jetzt erzielten Strukturreformen und Leistungsausweitungen bringen wir spürbare Verbesserungen und zusätzliche Unterstützung für zahlreiche Pflegebedürftige auf den Weg. Die Dementen sind hier
angesprochen worden. Für sie haben wir wichtige Hilfen
auf den Weg gebracht. Man sollte auch als Opposition
- an sie möchte ich appellieren - gerade im Hinblick auf
die Betroffenen keine Zweifel und Verunsicherung wecken.
Danke schön.
({8})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Elke Ferner für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn die Opposition versucht hat, diese Reform
kleinzureden, sage ich: Diese Reform ist ein Riesenfortschritt für die fast 2 Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörige. Wer die in dieser Aktuellen Stunde von
vielen Rednerinnen und Rednern der Koalition dargestellten Leistungsverbesserungen kleinreden will, der
lebt nicht mehr in dieser Welt und hat überhaupt keine
Ahnung von den Problemen der Pflegebedürftigen und
ihrer Angehörigen.
({0})
Ich finde, dass diese Reform, was die Leistungsverbesserungen und die Strukturverbesserungen anbelangt,
auch nachhaltig ist. Bezüglich der Finanzierung kann
man sicherlich geteilter Meinung sein - ich komme darauf nachher noch zu sprechen -; wie bekannt ist, gab es
zwischen der Union und uns unterschiedliche Auffassungen. Ich frage Sie jetzt aber allen Ernstes: Sollen wir
Ihrer Auffassung nach nur deswegen warten, demenzkranken Menschen schon jetzt, also im Vorfeld, bestimmte Leistungen zukommen zu lassen, weil der Pflegebegriff noch nicht neu definiert ist?
({1})
Sollen wir damit warten, den Umfang der ambulanten
Leistungen schrittweise in Richtung stationäre Leistungen zu erweitern? Sollen wir damit wirklich warten?
({2})
Sollen wir damit warten, die Strukturen ambulanter Behandlung vor Ort - sie sind bei weitem noch nicht so,
wie wir sie brauchen werden, wenn meine Jahrgänge
womöglich pflegebedürftig sind - zu verbessern? Sollen
wir diese Strukturreformen noch weiter aufschieben?
Ich finde, wir dürfen damit nicht warten, auch wenn
wir den Pflegebegriff noch nicht abschließend definiert
haben - wir haben auf diesem Gebiet noch etwas zu tun;
das bestreiten wir überhaupt nicht -, auch wenn wir über
die Frage der nachhaltigen Finanzierung weiter diskutieren müssen, um Mehrheiten zu finden und so eine nachhaltige Finanzierung zustande zu bringen. Dass auch in
diesem Bereich noch etwas zu tun ist, bestreiten wir
ebenfalls nicht. Aber hätten wir diesen Schritt jetzt nicht
vollziehen sollen? Hätten wir ernsthaft damit warten sollen? Ich hätte dann gern einmal Ihre Reden zu diesem
Thema in einer Aktuellen Stunde gehört.
({3})
Ich glaube, dass wir gut daran tun, diese Maßnahmen
jetzt durchzuführen.
Ich möchte noch auf einige Punkte eingehen.
Herr Lanfermann hat etwas zur Generationengerechtigkeit gesagt und auf den Präsidiumsbeschluss der FDP
Bezug genommen.
({4})
- Nein, oben auf meinem Papier steht „Präsidiumsbeschluss der FDP“.
({5})
Es mag sein, dass Ihr Parteitag das beschlossen hat. Das
ist umso schlimmer; denn dieser Beschluss bedeutet
nichts anderes, als dass Sie die solidarische gesetzliche
Pflegeversicherung auf Sicht gesehen abschaffen wollen.
Wie mir der Kollege gerade bestätigt, stimmt das. Ich
kann Ihnen nur viel Vergnügen dabei wünschen, damit in
den nächsten Bundestagswahlkampf zu ziehen. Die
Menschen werden begeistert sein, wenn die FDP die
Pflegeversicherung und die Hilfen, die damit verbunden
sind, abschaffen will.
({6})
- Ihr Kollege hat doch eben genickt.
({7})
Der zweite Punkt ist der - für meine Begriffe herbeigeredete - Generationenkonflikt. Unser größtes Problem
mit der Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung ist, dass diese Finanzierung höchst unsolidarisch
und höchst ungerecht erfolgt. Manchmal machen es einfache Zahlen deutlich: Wenn man den Umfang der Leistungsausgaben der gesetzlichen Pflegeversicherung
durch die Anzahl der Versicherten teilt, dann lautet das
Ergebnis 240,36 Euro. Stellt man die gleiche Rechnung
für die private Pflegeversicherung an, dann lautet das Er10694
gebnis 60,42 Euro. Ich muss einmal folgende Frage stellen: Was ist daran gerecht, dass in der einen Versicherung jeder Versicherte im Jahr im Durchschnitt etwa
240 Euro aufbringen muss, während in der anderen Versicherung jeder Versicherte im Jahr im Durchschnitt nur
etwa 60 Euro aufbringen muss, obwohl beide Versicherungen exakt die gleichen Leistungen erbringen?
({8})
Das ist nicht gerecht.
({9})
- Ach, Herr Lanfermann, wenn man laut schreit, hat man
noch lange nicht recht, und in diesem Falle haben Sie
wirklich unrecht. Ihnen geht es eigentlich nur um die
Gewinnmaximierung der privaten Versicherer, aber nicht
um die Frage, wie Menschen, wenn sie pflegebedürftig
sind, versorgt werden.
({10})
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist: Wir
als SPD werden weiter für eine solidarisch finanzierte
Pflegeversicherung kämpfen. Unser Ziel ist die Bürgerversicherung bei der Pflege, in die alle einbezogen werden und an deren Finanzierung sich alle vor allen Dingen
solidarisch, gerecht und nach ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit beteiligen.
({11})
Dieser erste Schritt der Reform, den wir jetzt vor uns
haben, ist ein guter Schritt. Er ist im Sinne der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Was die Frage der
Finanzstrukturen anbelangt - das ist der nächste Schritt -,
werden wir im Bundestagswahlkampf unsere Konzepte
austauschen.
({12})
Dann werden die Menschen entscheiden, ob sie ein Prämienmodell, ein Abschaffungsmodell oder das Modell
einer solidarischen Bürgerversicherung wollen.
({13})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Juni 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen