Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/20/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Werner Dreibus feiert heute seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu sehr herzlich und wünsche ihm alles Gute. Wie ich höre, ist er auf dem Weg hierher. Ich hoffe, dass ihm die Glückwünsche übermittelt werden. ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr. Annette Schavan. - Bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der heutigen Kabinettssitzung den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007 beraten und verabschiedet. Das wird der letzte Bericht in dieser Form sein. Er wird durch einen Bericht zum Stand der Innovationskraft in Deutschland abgelöst werden. Der Bericht 2007 zeigt, dass sich das Umfeld für Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland deutlich verbessert hat. Bereits die Plandaten für 2006 zeigten gegenüber 2005 einen Aufwuchs von 1,8 Milliarden Euro in der Industrieforschung in Deutschland. Das ist eine Steigerung um 4,7 Prozent. Es wird deutlich, dass es nicht nur in den klassischen Branchen - ich nenne die Automobilbranche -, sondern zunehmend auch in anderen Branchen gute Prognosen für FuE-Investitionen gibt. Ich nenne als Beispiel die optische Industrie, die bis zum Ende des Jahrzehnts von einem jährlichen Zuwachs bei den Forschungsinvestitionen in Höhe von 9 Prozent ausgeht. Ursache für diese Dynamik im Bereich von FuE ist auf der einen Seite die allgemeine konjunkturelle Entwicklung und auf der anderen Seite - von den Experten wird das so bewertet - das erstmals vorliegende Konzept einer integrierten Forschungs- und Innovationspolitik. Die Hightechstrategie wird eigens als Beispiel dafür genannt, wie den Schwächen in der Wertschöpfungskette, die in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt worden sind, durch die Integration aller relevanten Faktoren begegnet wird. Eine weitere wichtige Information ist, dass im Jahr 2006 erstmals der kontinuierliche Rückgang bei den Gründungen junger Technologieunternehmen, der in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts kontinuierlich war, gestoppt werden konnte. Damit können wir noch nicht zufrieden sein. Die positiven Entwicklungen müssen für einen Anstieg genutzt werden. Der über Jahre andauernde Rückgang ist aber auf jeden Fall gestoppt. Auch das ist ein Erfolg. In den Bereichen Technologieexport und Patente gibt es positive Entwicklungen und damit eine weitere Verbesserung der Position Deutschlands im internationalen Vergleich. Wichtige Hinweise für die Zukunft: Erstens. Fachkräftemangel. Wenn die jetzige Dynamik anhält, werden - das wird uns vorhergesagt - bis zum Jahr 2014 jährlich zwischen 41 000 und 62 000 Akademikerinnen und Akademiker - das sind etwa 20 Prozent eines Jahrgangs - fehlen. Das ist viel. Wenn wir aber - das wird ein ganz wichtiger Punkt sein, an dem wir ansetzen müssen - eine Halbierung der Studienabbrecherquoten in den entsprechenden Studiengängen für Technik und Naturwissenschaften erreichen könnten - also eine Senkung der Abbrecherquote von 50 auf 25 Prozent -, dann könnten wir die Zahl der fehlenden Akademikerinnen und Akademiker deutlich senken. Zweitens. Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Investitionen in FuE. Über das Thema diskutieren wir gerade: Wagniskapital und Stabilisierung für junge Unternehmen über einen ausreichend langen Zeitraum. Redetext Drittens. Steuerliche Förderung von Investitionen in FuE. Dies wird uns mit Blick auf die nächste Legislaturperiode in den nächsten Jahren ganz gewiss beschäftigen. Die meisten Länder, mit denen wir im Wettbewerb stehen, haben neben ihren Projektförderungen und neben ihren Forschungsförderungsprogrammen klare Anreize im Steuersystem. Das ist ein wichtiger Punkt: Wir brauchen eine Erweiterung des Instrumentenkastens mit Blick auf diejenigen - das gilt vor allem für kleine und mittlere Unternehmen -, die an den Förderprogrammen jetzt nicht genügend partizipieren. Die Forschungsprämie ist ein erstes Instrument, das wir zur Erreichung dieses Ziels schaffen. Das sind die wesentlichen Stichworte mit Blick auf Möglichkeiten der Weiterentwicklung: Steigerung der Zahl von Fachkräften, verbesserte Rahmenbedingungen - beispielsweise im Bereich Wagniskapital -, Erweiterung der Instrumente zur Förderung von FuE und konsequentes Festhalten am jetzt eingeschlagenen Kurs der Bundesregierung. Dies bedeutet, am 3-Prozent-Ziel festzuhalten und integrative Forschungs- und Innovationspolitik zu betreiben. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich danke herzlich für den Bericht und bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort zur ersten Frage hat der Kollege JohannHenrich Krummacher.

Johann Henrich Krummacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, wer bei internationalen Wirtschaftsbegegnungen unterwegs ist, macht die Erfahrung, dass über den Technologiestandort Bundesrepublik Deutschland und auch über die Technologieförderung, die Ihr Ministerium in Gang gebracht hat, äußerst positiv gesprochen wird. Ich möchte den Blick auf Asien lenken, auf die Aufholjagd der asiatischen Länder, insbesondere China, Indien und die Länder Südostasiens. Diese Aufholjagd wird im Bericht als eine Chance für das Technologieexportland Deutschland beschrieben. Wie reagiert die Bundesrepublik auf diese Entwicklung? Gibt es Strategien zur Zusammenarbeit mit diesen Ländern, die die Position unserer technologieorientierten Unternehmen auf diesen Wachstumsmärkten unterstützen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ja, es gibt solche Kooperationen. Grundlage für die von Ihnen genannte Feststellung sind die Tatsache, dass 65 Prozent der Unternehmen in Deutschland im internationalen Vergleich als innovative Unternehmen gelten, und der eben schon erwähnte hohe Anteil der hochentwickelten Technologien am Export. Deshalb streben wir in den internationalen Beziehungen jetzt vor allen Dingen Vereinbarungen an, bei denen auf beiden Seiten die Partner Wissenschaft und Wirtschaft miteinander kooperieren. Deutschland ist in der Tat in einer Reihe von Bereichen - ich nenne nur die Lasertechnik - Weltmarktführer, wodurch solche Kooperationen für andere interessant sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Frau Ministerin, Sie selbst haben den Fachkräftemangel angesprochen, der, wie schon im letzten Bericht zu lesen war, bundesweit eine besondere Rolle spielt. Ich möchte mich diesem Problem mit Blick auf die neuen Bundesländer zuwenden. Unlängst hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung eine Studie herausgegeben. In dieser Studie mit dem Titel „Not am Mann“ - diesen Titel finde ich sehr einfallsreich - kam man zu dem Ergebnis, dass vor allem junge, qualifizierte Frauen aus den ostdeutschen Ländern abwandern. Zurück bleibt - ich zitiere; ich würde mich gar nicht trauen, das so zu sagen - „eine neue, von Männern dominierte Unterschicht“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat das wie folgt kommentiert: Ostdeutschland stehe mit Blick auf Auswanderung schlechter da als Polarregionen. Die Bundesregierung hat auf dieses Problem reagiert, indem sie ein Pilotprojekt aufgelegt und dafür 4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat; dieser Betrag würde übrigens bedeuten, dass jedes ostdeutsche Bundesland noch nicht einmal 1 Million Euro erhält. Im Rahmen dieses Pilotprojekts will man sich mit medizinischen und kulturellen Angeboten vor allem an junge Frauen wenden. Das ist aber nicht das Problem der jungen Frauen, sondern, wie die Ergebnisse sozialer Studien belegen, eher das Problem der jungen Männer. Wir glauben, dass es eines viel komplexeren Ansatzes bedarf. Man braucht mehr Geld, mehr Personal und eine konzertierte Aktion von Bundesregierung und Bundesländern. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Was hat die Bundesregierung in ihrer heutigen Kabinettssitzung besprochen bzw. konkret beschlossen, um dieses Problem zu lösen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Bundesregierung hat sich nicht auf ein 4-Millionen-Euro-Pilotprojekt geeinigt; das ist lediglich ein neuer Vorschlag, den ein Kollege auf diese Meldung hin im Kabinett gemacht hat. Selbstverständlich gibt es allerdings eine umfassende Innovationsstrategie für die neuen Länder. Dazu gehören die verschiedenen Programme im Rahmen von Inno-Regio. Dazu gehören zusätzliche Investitionen in Ausbildung und hohe berufliche Qualifikation. Dazu gehören Programme zur Stabilisierung der Situation der Unternehmen durch Beratung des Managements und zur FörBundesministerin Dr. Annette Schavan derung des innovativen Potenzials. Dazu gehört, dass in einer ganzen Reihe von Regionen ein entsprechendes Verständnis von Forschungspolitik entwickelt wird - das ist unter dem Dach von Inno-Regio geschehen -, um regionale Entwicklungen zu fördern. Hier denke ich an Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen, die es beispielsweise in Leipzig und Magdeburg, also an unterschiedlichen Orten, bereits gibt. Ich denke ferner an Programme, im Zuge derer schon eine Reihe von Unternehmen gegründet und viele Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ich habe die genauen Zahlen zu den entstandenen Arbeitsplätzen nicht alle im Kopf. Aber ich kann sagen, dass die Bilanz der bisher aufgelegten Programme sehr gut ist. Vor einigen Monaten wurde in dem Bereich, für den ich zuständig bin, ein institutionalisierter Dialog zwischen den fünf neuen Bundesländern und der Bundesregierung ins Leben gerufen, um auf der Grundlage der dort gemachten Erfahrungen die Weiterentwicklung der Innovationsstrategien zu fördern. Es reicht nämlich nicht aus, zur Verhinderung der Abwanderung nur Projekte punktuell an dieser oder jener Stelle durchzuführen. Vielmehr muss in den Regionen eine innovative Entwicklung in Gang gesetzt werden, an der nach Möglichkeit diese fünf Länder teilhaben. Das wird in finanzieller Hinsicht in großem Umfang gefördert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage kommt wieder aus der Unionsfraktion. Der Kollege Müller hat das Wort.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, das Thema Fachkräftemangel ist wichtig. Im Bericht der Bundesregierung wird dieses Problem umfassend erörtert; darauf haben Sie in Ihren einführenden Erläuterungen bereits hingewiesen. Im Bericht heißt es, dass bis zum Jahre 2014 mehr als 60 000 Akademikerinnen und Akademiker fehlen könnten. Diesem Problem kann, zumindest teilweise, durch eine Senkung der Studienabbrecherquote begegnet werden. Welche weiteren Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach, dem Fachkräftemangel nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern darüber hinaus auch im gesamten Bundesgebiet entgegenzutreten?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es gibt nach meinem Eindruck drei Schlüsselmaßnahmen: Der erste Punkt. Wir müssen nahe an das Ziel kommen - das ist im Koalitionsvertrag vereinbart -, dass ein von Generation zu Generation höherer Anteil studiert, und dies besonders im Bereich der Natur- und Technikwissenschaften. Um das zu erreichen, ist aber auch notwendig, dass von den Unternehmen in Deutschland das Signal an die jungen Leute geht, dass es sich lohnt, in diese Bereiche zu gehen. Denn Schulabsolventen orientieren sich, wie wir wissen, in ihrer Studien- und Berufswahl vor allem an den Perspektiven; sie haben die Zahlen Tausender arbeitsloser Physiker und Ingenieure noch in Erinnerung. Wir müssen die Zahl derer, die sich hoch qualifizieren, erhöhen und brauchen dazu die entsprechenden Signale. Die Bundesregierung hat deshalb mit den Ländern den Hochschulpakt geschlossen, damit die zusätzlichen Bewerber, die es aufgrund der demografischen Entwicklung einige Zeit geben wird - bis 2009 ein Zuwachs von 90 000 Studienanfängern -, aufgenommen werden können. Dafür haben Bund und Länder jetzt die finanziellen Voraussetzungen geschaffen, übrigens - wenn ich einen Schlenker zurück zu den neuen Ländern machen darf - mit klaren finanziellen Vereinbarungen über den Erhalt von Studienplätzen. Denn natürlich werden in den neuen Ländern nicht zusätzliche Studienplätze geschaffen. Aufgrund der demografischen Entwicklung gab es schon Pläne für den Abbau von Studienplätzen. Das kann mit den Möglichkeiten des Hochschulpaktes gestoppt werden. Der zweite Punkt wurde von mir schon angesprochen. Ich sage mit Blick auf die Biografien der jungen Leute und mit Blick auf die Volkswirtschaft sehr deutlich, dass es keine akzeptable Situation ist, dass wir in den Technik- und Naturwissenschaften 50 Prozent Studienabbrecher haben, an den Fachhochschulen immerhin noch 25 Prozent. Wenn wir die Zahl der Abbrecher überall auf das Niveau der Fachhochschulen senken könnten, hätten wir letztlich die Zahlen erreicht, die nötig sind. Der dritte Punkt. Die demografische Entwicklung in Deutschland wird mittel- bis langfristig so sein, dass wir auch Signale an junge Leute aus dem Ausland senden müssen. Das heißt, die Bedingungen nicht nur für Studieren und wissenschaftliches Arbeiten, sondern auch für das Arbeiten in Deutschland ganz generell müssen verbessert werden. Dazu gehört die Frage der Gehaltsgrenze. 85 000 Euro im Jahr sind zu hoch; das sind keine Gehälter, wie man sie beim Einstieg in das Berufsleben gezahlt bekommt. Wir wissen aus Gesprächen auf internationaler Ebene, es brauchte als Anreiz Pakete für Studium und Berufseinstieg. Dazu muss diese Bedingung geändert werden. Wir müssen erreichen, dass es für junge Leute, die etwa aus China oder Indien zum Informatikstudium nach Deutschland kommen, einfach ist, zu studieren und dann hier zu bleiben, sodass sie, wenn sie die Lebensphase des Studiums in Deutschland verbringen, von vornherein die Gewähr dafür haben, dass sie hinterher bleiben können. Das sind in meinen Augen die drei wichtigsten Punkte, die wir angehen müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Volker Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie haben angesprochen, dass ein wesentliches Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit die Bildung und Ausbildung von Fachkräften ist. Ich denke, hier sind nicht nur Studium bzw. berufliche Ausbildung als Erstausbildung zu sehen - enorme Volker Schneider ({0}) Bedeutung kommt auch der beruflichen Weiterbildung, dem lebenslangen Lernen, zu. Wenn man sich die Ländervergleiche einmal anschaut, stellt man fest, dass das bei uns schlecht aussieht: Hinsichtlich der Weiterbildungsbeteiligung liegen wir im letzten Drittel. Die Beteiligung älterer Arbeitnehmer fällt bei uns überdurchschnittlich ab. Das gilt auch für die Beteiligung der sogenannten bildungsfernen Schichten. Nun hat das Kabinett am 13. Juni Eckpunkte für das Bildungssparen verabschiedet. Ich möchte Sie fragen, ob Sie der Auffassung sind, dass das, was verabschiedet worden ist, allein ausreicht, um durch eine hochqualifizierte Weiterbildung die technologische Leistungsfähigkeit zu sichern. Ketzerisch könnte ich darüber hinaus fragen, ob Sie mir einmal erläutern könnten, was man sich für 308 Euro an beruflicher Weiterbildung alles einkaufen kann.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ich bin selbstverständlich nicht der Meinung, dass das das einzige Instrument zur Erhöhung der Zahl derer, die an Weiterbildungen teilnehmen, sein kann. Aber das ist ein Einstieg, den die Koalition vereinbart hat. Daneben werden wir über das Vermögensbildungsgesetz die Zahlung einer Prämie ermöglichen. Die Höhe dieser Prämie orientiert sich schlicht an den uns vorliegenden statistischen Daten. Die Teilnehmerentgelte von 75 Prozent aller Weiterbildungsmaßnahmen bewegen sich in dem zu fördernden Bereich. Damit sind also nicht teure Aufbaustudien oder Ähnliches gemeint. In 75 Prozent der Fälle ist also der Eigenanteil damit abgedeckt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es im Bereich des Bildungssparens noch weitere Möglichkeiten geben wird. Jetzt muss der Einstieg erreicht werden. Danach werden weitere Schritte abzuwägen sein. Zum zweiten Punkt, der eine Rolle spielt. Bei der Frage, warum jemand nicht an einer Weiterbildung teilnimmt, muss man bedenken, dass die Zeit immer eine Rolle spielt. Man muss also über Lernzeitkonten nachdenken. Das ist im Wesentlichen aber Angelegenheit der Sozialpartner. Auch diese Diskussion wird im Innovationskreis Weiterbildung des BMBF geführt. Dritter Punkt. Natürlich gab es auch in der Vergangenheit zu viele Anreize für eine frühzeitige sogenannte Freisetzung anstelle von Angeboten der Qualifizierung zum Erhalt beruflicher Fähigkeiten. Auch hierzu hat es beim IT-Gipfel der Bundeskanzlerin im Dezember letzten Jahres eine wichtige Vereinbarung gegeben. Innerhalb der Branche der Informations- und Kommunikationstechnologien wurde zwischen dem Unternehmen SAP, dem BITKOM - also dem entsprechenden Fachverband - und uns ein umfangreiches Programm zur Weiterqualifizierung jetzt arbeitsloser Ingenieure mit dem Ziel des Wiedereinstiegs in den Beruf vereinbart; denn es gibt eine ganze Reihe von Ingenieuren im Alter von bis zu 45 Jahren, zu denen man nicht sagen kann - davon bin ich überzeugt -, dass es für sie keine Möglichkeit mehr gibt. Dies sind also die unterschiedlichen Baustellen. Anreize, Unterstützung, attraktive Angebote bis hin zur Entdeckung der Weiterbildung durch die Universitäten bilden in etwa das Spektrum, an dem wir arbeiten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulrike Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, wie immer in solchen Fällen liegen Zahlen vor, die leider nicht dem aktuellsten Stand entsprechen. Sie stammen zum größten Teil auch aus Bereichen, für die Sie als Ministerin nicht direkt verantwortlich waren. Anders als Sie es eben dargestellt haben, ist der Anteil der Spitzentechnologien am Export gemäß diesem Bericht nicht so berauschend. Es werden nur 30 Prozent angegeben. Deswegen möchte ich von Ihnen gerne hören, ob es in Ihrem Verantwortungsbereich in den unmittelbar zurückliegenden Monaten bereits ein Anzeichen dafür gab, dass dies besser wird. Da wir Unternehmensgründungen in diesem Zusammenhang immer fördern wollen, bitte ich Sie gleichzeitig, uns Näheres über Ihre Überlegungen zur Förderung von Wagniskapital und zu all den Punkten, über die wir miteinander diskutieren, mitzuteilen.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es ist in der Tat so: Alle Tabellen in dem Bericht betreffen den Zeitraum von 2003 bis 2005. Er enthält allerdings auch Prognosen darüber - diese ergeben sich aus Umfragen bei Unternehmen -, wie sich bestimmte Dinge weiterentwickeln werden. Deshalb habe ich eben versucht, das ein wenig zu gewichten. Zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt liegt eine Zahl aus dem Jahre 2005 vor, wonach der Wert der exportierten forschungsintensiven Industriewaren 428,3 Milliarden Euro betrug. Damit waren wir größter Technologieexporteur und lagen noch vor den USA und vor Japan. In dieser Woche stand in irgendeiner Zeitung eine weiter fortgeschriebene Zahl. Danach liegen wir nach wie vor vor den USA und vor Japan. ({0}) - Aufsteigende Linie überall. Ich weiß jetzt nicht, ob für das Jahr 2006 bereits eine Zahl vorliegt. Aber beispielsweise für die optischen Technologien mit ihren Spitzenprodukten werden - dazu hat der Stifterverband gerade Zahlen vorgelegt - sowohl im Bereich der Beschäftigung als auch bei den FuE-Investitionen Entwicklungen prognostiziert, die die der letzten fünf Jahre bei weitem übertreffen. Die Aktualität von Zahlen ist aber in der Tat ein Problem. Deshalb nehmen wir im Zusammenhang mit dem Bericht eine Umstellung vor, indem wir zumindest bei den Schlüsseltechnologien auf aktuelle Zahlen zurückgreifen. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen: Die Schlussfolgerungen der Experten sind eindeutig, dass es auf der Grundlage der jetzt möglichen Investitionen seitens der öffentlichen Hand gegenüber den Vorjahren zu einem deutlichen Anstieg der Investitionen im FuE-Bereich kommen wird. Ich gehe davon aus, dass sich das auch positiv auf den Anteil der Investitionen im Bereich der Spitzentechnologien auswirken wird. Was das Wagniskapital angeht, stehen wir derzeit in Verhandlungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer Lösung kommen werden, die dem Ziel gerecht wird, jungen Unternehmen Zugang zu Wagniskapital zu verschaffen, und die - das ist ein weiterer wichtiger Punkt - die tatsächlichen Unternehmensentwicklungen über einen ausreichend langen Zeitraum berücksichtigt. Die Häuser bewegen sich aufeinander zu. Das Eckpunktepapier des BMF war nicht zureichend. Es war aus der Perspektive des Wirtschafts- und des Forschungsministeriums nicht akzeptabel. Beide Häuser haben ein gemeinsames Papier vorgelegt. Auf dieser Grundlage werden die Gespräche geführt. Ich gehe davon aus, dass sie in absehbarer Zeit positiv beendet werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor die Kollegin Hinz ihre Frage stellt, sei mir ein Hinweis gestattet. Wir haben den erfreulichen Umstand zu verzeichnen, dass viele Kolleginnen und Kollegen zu diesem Geschäftsbereich Fragen stellen wollen. ({0}) Ich möchte in den verbleibenden zehn Minuten alle Fragesteller aufrufen und bitte deshalb um kurze Fragen, die es der Frau Ministerin ermöglichen, entsprechend kurz zu antworten. ({1}) Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, im zusammenfassenden Endbericht zur technologischen Leistungsfähigkeit wird darauf hingewiesen, dass wir in Deutschland einen grundlegenden Wandel unserer Bildungsphilosophie - weg von der Auslese der Kinder im Schulsystem - brauchen und dass der Hochschulpakt unterfinanziert ist, was dazu führt, dass an den einzelnen Hochschulen der Numerus clausus fast flächendeckend eingeführt wird. Ich frage Sie deshalb erstens, wie Sie der Auslese im Bildungssystem entgegenwirken wollen, und zweitens - der Hochschulpakt ist erst letzte Woche unterschrieben worden -, ob Sie aufgrund dieses Berichtes in Nachverhandlungen über den Hochschulpakt einsteigen, um ihn so auszufinanzieren, dass die Zielzahl von 40 Prozent Studienanfängern, die sich die Koalition selbst gesetzt hat, tatsächlich erreicht werden kann.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Erstens bin ich davon überzeugt, dass der Hochschulpakt hinsichtlich der Studienanfängerplätze ein attraktives Finanzierungsangebot an die Länder darstellt. Zweitens obliegt es der Verantwortung der Länder, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Universitäten - übrigens auch im Kontext des Bolognaprozesses - über die notwendigen finanziellen Spielräume verfügen. Einige Länder gehen vorbildlich voran. Die Bayerische Staatsregierung hat gerade beschlossen, den Universitäten 1 Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen, um nicht nur den Studienanfängern, sondern auch den Erfordernissen des Bolognaprozesses gerecht zu werden. Gleiches kann ich für Baden-Württemberg feststellen. In NordrheinWestfahlen gibt es ebenfalls konkrete Strategien. Wer sagt, das reicht im Hinblick darauf, was zugunsten der Hochschulen getan werden muss, nicht aus, der richtet diese Kritik vor allen Dingen an die Adresse der Länder, die primär dafür verantwortlich sind, für leistungsfähige Hochschulen zu sorgen. Dies zeigen die Programme einiger Kabinette. Es gibt auch Länder, von denen ich noch nichts höre; ich will sie jetzt nicht nennen. Ich füge hinzu: Im Wettbewerb der Hochschulen wird dies eine große Rolle spielen. Hochschulen, die in zehn Jahren für Studierende nicht attraktiv sind, werden von ihnen auch nicht gewählt werden. Deshalb muss dies eine Priorität der Landespolitik sein. Der Bund wird, konkretisiert bis 2010 und festgeschrieben bis 2020, einen erheblichen Beitrag dazu beisteuern. In einer Höhe wie nie zuvor stellt er den Hochschulen Geld zur Verfügung. Dabei geht es nicht nur um die Finanzierung der Studienplätze; allein bis 2010 werden den Universitäten über 700 Millionen Euro für Overheadkosten zur Verfügung gestellt. Dies bedeutet eine erhebliche Verbesserung. Ich komme nun auf Ihre Frage nach dem Bildungssystem zu sprechen. Für ein gerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem gilt der Satz: kein Abschluss ohne Anschluss. Zwei Drittel aller Jugendlichen durchlaufen einen Weg in der beruflichen Bildung. In Deutschland gibt es mit den höchsten Anteil an Sekundarabschlüssen II. Dieser Weg verläuft in den 16 Ländern auf unterschiedliche Weise: Manche Länder tendieren jetzt zu Gemeinschaftsschulen, andere Länder bevorzugen ein zweigliedriges System, bei dem die Regionalschule stark auf die berufliche Bildung vorbereitet. Von daher liegt auch hier die Primärverantwortung für eine strukturelle und konzeptionelle Weiterentwicklung ihrer Bildungssysteme bei den Ländern, wenn es darum geht, das gemeinsame Ziel zu erreichen. Eine weitere Quelle für Verbesserungen ist in der frühkindlichen Bildung zu sehen. Wie Sie wissen, ist die Bundesregierung gerade in herausragender Weise tätig, um auch in diesem Bereich finanzielle Stabilisierung zu ermöglichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun stellt der Kollege Jörg Tauss seine Frage. Ich bin zuversichtlich, dass er zu diesem komplexen Zusammenhang präzise fragen kann.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich wollte eigentlich ein bisschen in Euphorie verfallen und auf Deutschland als Technologieexportweltmeister und Exporteur Nummer eins hinweisen. Aber nach dem Hinweis der Präsidentin lasse ich es bleiben. Gleichwohl freut man sich nach Jahren der Miesmacherei auch darüber. Meine Frage, Frau Ministerin, bezieht sich zum einen auf die steuerliche FuE-Förderung. Welche Initiativen gibt es hier? Mir fehlt es hier - ich habe dies in den letzten Tagen in einem Gespräch im BMF bemerkt - ein bisschen an der Vergleichbarkeit. Mir geht es also um steuerliche FuE-Förderung versus Projektförderung bei uns, was sich nur schwer vergleichen lässt. Zum anderen frage ich Sie, nachdem Herr Schäuble dieser Tage hier über die Frage qualifizierter Kräfte geredet und über Gespräche mit Ihnen berichtet hat, was ich außerordentlich begrüße, ob es in diesem Punkt in nächster Zeit zu Fortschritten kommt. Sowohl die steuerliche Seite als auch die Fachkräfteseite sind in diesem Zusammenhang wichtig. Hier frage ich Sie nach Ihren weiteren Überlegungen ausgehend vom Technologiebericht. - Schneller ging es nicht, Frau Präsidentin, was auch meine Redegeschwindigkeit einbezieht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nach jahrelanger Erfahrung erkenne ich Ihr Bemühen an. - Jetzt hat aber die Frau Ministerin das Wort.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ich versuche ebenfalls, mich kurz zu fassen. Herr Tauss, die Kollegen Schäuble und Glos und ich, wir sind uns einig, dass wir in der Frage der Gehaltsgrenzen etwas tun müssen; an diesem Thema müssen wir in der Großen Koalition noch arbeiten, damit alle Betroffenen es richtig erkennen. Es geht, um es noch einmal zu sagen, um Hochqualifizierte sowie darum, dass wir im Hinblick auf die Lebensplanung junger Leute nicht attraktiv sind, wenn wir ihnen sagen, sie dürften zwar bei uns studieren, müssten hinterher aber sofort das Land verlassen, es sei denn, sie fänden einen Job, in dem sie 85 000 Euro verdienten. In dieser Frage werbe ich bei Ihnen wegen Ihrer Sprecherrolle in Ihrer Fraktion dafür, zu erkennen, dass dies nicht realistisch ist. Eine junge Ärztin oder ein junger Informatiker beginnt nicht mit 85 000 Euro. Deswegen haben wir hier noch einen wichtigen Schritt vor uns. Zu der von Ihnen angesprochenen Vergleichbarkeit von FuE-Förderung gibt es internationale Studien. Das ist analog zur Vergleichbarkeit von Steuersystemen zu sehen. Uns geht es darum - genau deshalb richten wir den Blick auf andere Systeme -, den Instrumentenkasten so zu erweitern, dass wir das erreichen, was wir wollen, nämlich 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für FuE-Aufwendungen bis 2010. Es sollte aber niemand meinen, dass dann Schluss sei. Wenn wir das 3-Prozent-Ziel in Europa erreicht haben, müssen wir das nächste Ziel setzen; denn in Indien, China und Japan schläft man nicht. Dort ist man längst auf dem Weg zu den nächsten Zielen. Vor diesem Hintergrund werden nun Fachgespräche geführt. Die entscheidende Frage ist, was in welchem systemischen Zusammenhang wie wirkt. Wie die Mehrheit der OECD-Länder, in denen man erfolgreich ist, zeigt, ist der richtige Mix aus Projektförderung - die Mittel dafür erhöhen wir mit unserem gemeinsamen Investitionsprogramm à jour - und Anreizsystemen wichtig, die unter der Überschrift „Steuerpolitik ist Innovationspolitik“ stehen und die sich vor allen Dingen auf die Gruppen beziehen, die mit ihren Entwicklungen nicht unmittelbar von den Förderprogrammen partizipieren. Der gesunde Menschenverstand gebietet es, festzustellen: Es ist noch keine ausreichende Innovationspolitik, wenn eine Bundesregierung versucht, vorab alle möglichen innovativen Entwicklungen bei den Förderprogrammen zu berücksichtigen. Wir denken weiter. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wie weit ich mit Ihnen zufrieden bin, klären wir nachher, Herr Kollege Tauss. Die nächste Frage stellt die Kollegin Krista Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, im Abschlussbericht wird deutlich hervorgehoben, dass die Politik dem Mangel an akademischen Fachkräften unter anderem durch verbesserte Möglichkeiten für die Unternehmen entgegenwirken muss, ausländische Fachkräfte zu beschäftigen und Bildungsausländer, die in Deutschland einen Hochschulabschluss machen, im Land zu halten. Meinen Sie nicht, dass es dafür notwendig ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verändern und zum Beispiel die nach wie vor hohen Einkommensgrenzen für Hochqualifizierte zu senken?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Ja, der Meinung bin ich. Wir haben mit der Novellierung des Einwanderungsrechtes in der letzten Woche einen ersten wichtigen Schritt getan. Hier gibt es konkrete Verbesserungen vor allen Dingen in den Bereichen Wissenschaft und Forschung. Die Verhandlungen mit dem BMI waren gut. Das wird sich positiv auswirken. Nun geht es um zwei weitere Punkte, die ich eben genannt habe. Wir wollen unter anderem den Übergang vom Studium in den Beruf erleichtern. Dafür müssen die Gehaltsgrenzen - ich meine aus Ihrer Frage herausgehört zu haben, dass Sie ebenfalls dieser Meinung sind - reduziert werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, die Gutachter haben im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007 festgestellt, dass die Mehrzahl der OECD-Länder in den letzten zehn Jahren ihr Förderspektrum durch eine steuerliche Förderung der FuE-Aufwendungen von Unternehmen ergänzt hat. Dazu hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme geäußert, dass sie die Möglichkeiten der eigenständigen steuerlichen Förderung von FuEAusgaben in Deutschland untersuchen wolle. Was ist damit gemeint? Beabsichtigen Sie, die im Bundestag schon beschlossene und nun im Bundesrat zur Abstimmung anstehende Unternehmensteuerreform noch zu stoppen und zu ergänzen bzw. die Zinsschranke fallen zu lassen, weil diese verhindert, dass insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen mehr Fremdkapital gewinnen können, was eine geringere Forschungsintensität bei den KMUs zur Folge hat?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Bundesregierung hat für diese Legislaturperiode die Entscheidungen getroffen, die Teil der Hightechstrategie sind. Dazu gehören die Einführung der Forschungsprämie für KMUs, der Spitzenclusterwettbewerb und anderes. Nun wird - das ist mit dem Wort „untersuchen“ gemeint - auf der Grundlage eines internationalen Vergleichs darüber nachgedacht, welche Instrumente nach Ablauf der Hightechstrategie in Betracht kommen. Ich sage ausdrücklich: Die Instrumente dürfen nicht als Ersatz für die Projektförderung fungieren; das wäre absurd. Vielmehr müssen die Instrumente so ausgestaltet werden, wie ich es eben dargelegt habe. Was die Unternehmensteuerreform angeht, so sind wir, wie ich eben bereits gesagt habe, im Zusammenhang mit dem Wagniskapital und dem Unternehmensbeteiligungsgesetz jetzt dabei, die im Bereich der jungen Unternehmen entstandenen Probleme aufzuarbeiten. Ich will aber auch hier hinzufügen - das ist übrigens auch Teil des Berichtes -, dass die Unternehmensteuerreform natürlich insgesamt eine Entlastung der Unternehmen in Deutschland bedeutet. Alle Experten sagen uns, dass sie sich auf FuE-Investitionen sehr positiv auswirken wird. Anders sind solche Zahlen wie ein jährlicher Zuwachs von 9 Prozent bei den optischen Technologien nicht denkbar.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzte Frage in diesem Bereich lasse ich die Frage des Kollegen Weinberg aus der Unionsfraktion zu.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich will noch einmal auf die 17 Innovationsfelder zurückkommen. Der Bericht hat ja ausdrücklich gelobt, dass die Hightechstrategie der Bundesregierung diese 17 Innovationsfelder herausgestellt hat. Meine Frage dazu ist: Können Sie nach ungefähr zehn Monaten Laufzeit bereits feststellen, welche Felder sich besonders positiv entwickelt haben, und gibt es möglicherweise bei gewissen Innovationsfeldern noch Bedarf, sie etwas stärker ins Rampenlicht zu rücken?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Bundesregierung wird nach einem Jahr, also im September, den ersten Bericht vorlegen. Im Moment lässt sich aus dem Stand sagen: In dem eben genannten Bereich der optischen Technologien gibt es eine wirklich große Entwicklung. Im Bereich der chemischen Industrie gibt es sehr dynamische Entwicklungen, ebenso im Bereich von IKT. Die großen Felder, die auch in der Hightechstrategie besonders ausgestattet sind, stoßen also auf große Resonanz und in immer mehr Teilbereichen auch auf das Angebot aus der Wirtschaft, mit uns zu konkreten Vereinbarungen zu kommen. Natürlich hat das Thema Klimaschutz in einer Reihe von technologischen Bereichen noch einmal eine Dynamik ausgelöst - Energieeffizienz, erneuerbare Energien -, wozu dann ja auch die Hightechstrategie für den Klimaschutz vorgelegt wird. Salopp gesprochen sage ich: Die Rechnung geht auf. Diese Hightechstrategie ist ein sehr wirksames Signal an die Branchen in Deutschland, in denen ein hohes Potenzial für Innovation steckt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Es gab noch mehr Fragen zu diesem Bereich, aber - es tut mir leid wir sind über die Zeit. Ich beende deshalb die Befragung der Bundesregierung und rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/5683, 16/5707 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziff. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/5707 auf. Wir beginnen mit der dringlichen Frage 1 der Kollegin Cornelia Hirsch. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der diesjährigen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, DSW, die belegen, dass soziale Herkunft und Vorbildung der Eltern bei einem jungen Menschen nach wie vor maßgeblich über die Aufnahme eines Studiums entscheiden, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Es antwortet der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Präsidentin! Ich beantworte die Frage der Kollegin Hirsch wie folgt: Die Ergebnisse der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes zeigen, dass sich über den Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte die Bildungsbeteiligungen der Kinder aus den unterschiedlichen Herkunftsmilieus tendenziell angenähert haben. Die Chancen für Kinder aus nicht akademischen Herkunftsfamilien konnten spürbar gesteigert werden. Dennoch bleibt die Verwirklichung der Chancengerechtigkeit eine vordringliche Aufgabe der Bildungspolitik in Deutschland. Ziel der Bundesregierung ist es, die Studienanfängerquote auf 40 Prozent anzuheben. Dazu muss vor allem das große Potenzial von jungen Menschen, deren Familien keinen akademischen Bildungshintergrund haben oder als bildungsfern gelten, verstärkt berücksichtigt werden. Hier ist aktives Handeln von Bund und Ländern gefragt, und mit dem Hochschulpakt und der angestrebten BAföG-Erhöhung stellt der Bund hier die richtigen Weichen. Der Hochschulpakt versetzt Länder und Hochschulen finanziell in die Lage, bis 2010 insgesamt 91 370 zusätzliche Studienanfänger aufzunehmen. Eine spürbare Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge beim BAföG wird dazu führen, dass mehr Studierende Anspruch auf BAföG erhalten und somit studieren können. Aufgabe der Länder ist es, durch frühe Fördermöglichkeiten im vorschulischen Bereich und insbesondere in den Schulen auf Chancengerechtigkeit in den Bildungsbiografien hinzuwirken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatssekretär, meine Nachfrage geht dahin, ob Ihnen bewusst ist, dass die Formulierung des Deutschen Studentenwerks deutlich kritischer als Ihre Einschätzung ist. Sie haben insbesondere darauf hingewiesen, dass ein klarer Rückgang der Studierendenquote zu verzeichnen ist, die bei der letzten Erhebung noch bei 39 Prozent lag, mittlerweile aber nur noch bei 36 Prozent liegt. Sie haben als Zweites die Forderung nach einer sozialen Öffnung der Hochschulen aufgestellt, wenn man wirklich die Studierendenquote steigern will. Es muss der Schwerpunkt darauf gelegt werden, dass den Gruppen, die bisher an den Hochschulen kaum vertreten sind - das sind die Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Schichten -, der Weg an die Hochschulen geebnet wird. Ich habe Ihrer Antwort nicht entnehmen können, ob Sie die Auffassung teilen, dass es wirklich um eine soziale Öffnung geht. Das ist auch nicht in Ihrer Pressemitteilung deutlich geworden, die gestern vom BMBF verschickt wurde und in der die Frage der sozialen Kriterien erst in den hinteren beiden Abschnitten auftaucht. Deshalb meine Nachfrage, ob Sie die Auffassung des Deutschen Studentenwerks in diesem Punkt teilen, dass das die zentrale Aufgabe ist, oder ob Sie sich in dieser Hinsicht anders positionieren.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, ich teile Ihre Einschätzung nicht. Ich habe gestern gemeinsam mit dem Präsidenten des Deutschen Studentenwerks, Herrn Professor Dobischat, eine Pressekonferenz veranstaltet. Bei dieser etwa eine Stunde dauernden Pressekonferenz haben sehr stark auch methodische Fragen eine Rolle gespielt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Untersuchung zweierlei ergibt: Sie zeigt zum einen in der Tat eine Bestätigung des von mir dargestellten Sachverhalts, dass sich die Schere im Hinblick auf die Bildungschancen etwa von Arbeiterkindern im Vergleich zu Kindern aus Beamtenhaushalten in den letzten beiden Jahrzehnten signifikant geschlossen hat. Das Verhältnis von Arbeiterkindern zu Kindern von Beamten, die eine Hochschule besuchten, lag im Jahr 1985 bei 1 : 6. Mittlerweile liegt die Relation bei 1 : 3,6. Sie hat deutlich abgenommen. Zugleich ist mit einem neuen Instrument, das erstmals in dieser Studie angewendet worden ist, ein sogenannter Bildungstrichter veröffentlicht worden, der deutlich macht, dass wir nach wie vor signifikante Unterschiede bei den Bildungschancen haben. Deshalb bleibt die Aufgabe, die Bildungschancen gerade für Kinder aus sozial schwächeren Familien zu erhöhen, eine wesentliche Aufgabe für die Bildungspolitik. Ich habe deshalb auch deutlich gemacht, dass wir vor allen Dingen auf zwei Instrumente setzen: Zum einen setzen wir mit dem Hochschulpakt auf die Bereitstellung von Kapazitäten für zusätzliche Studienanfänger, zum anderen auf gezielte Instrumente, die Jugendlichen und Studienanfängern aus sozial schwächeren Familien ein Studium ermöglichen. Dazu gehört neben einer allgemeinen Anhebung der Bedarfssätze und der Einkommensfreibeträge beim BAföG zum Beispiel auch die Verbesserung von Studienbedingungen für Studierende, die Kinder haben. Deshalb wollen wir bei der BAföGNovelle eine Kinderbetreuungskomponente einführen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte den Punkt BAföG aufgreifen. Sie haben davon gesprochen, dass Sie eine spürbare Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge anstreben. Meine Nachfrage ist: Wann und um wie viel Prozent strebt das BMBF an, solch eine Erhöhung vorzunehmen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, das BMBF strebt in der Tat eine spürbare Erhöhung sowohl der BAföG-Leistungssätze als auch der Einkommensgrenzen an. Wir wollen hierzu eine Verständigung im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Bundeshaushalt für das Jahr 2008 erreichen. Der Bundeshaushalt wird am ersten Mittwoch im Juli im Bundeskabinett behandelt. Ich gehe davon aus, dass wir bis dahin eine solche Verständigung haben werden. Das bedeutet, dass wir dann, wenn dieses in die BAföG-Novelle integriert wird, im Herbst dieses Jahres die Gesetzgebung zur BAföG-Novelle und zur Anpassung der Leistungssätze abschließen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Volker Beck ({0}) auf: Treffen Presseberichte ({1}) zu, dass der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, Dr. Thomas de Maizière, auf den sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt eingewirkt habe, „er möge endlich Ruhe in die Reihen seiner aufgeregten Christdemokraten bringen“, und haben die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel oder andere Kabinettsmitglieder Kenntnis von ähnlichen Initiativen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Beck, Sie beziehen sich in Ihrer Frage auf Presseberichte. Die Bundesregierung kommentiert Presseberichte grundsätzlich nicht; das wissen Sie. Im Übrigen würde es sich bei dem in der Presse erwähnten Telefonat - sollte es tatsächlich stattgefunden haben - um ein Gespräch unter ehemaligen sächsischen Kabinettskollegen über eine Sachsen betreffende Angelegenheit handeln. Deshalb kann die Bundesregierung über ein als virtuell oder wie auch immer zu bezeichnendes Gespräch hier keine Auskunft geben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Beck, Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte das Bundesjustizministerium jetzt nicht bitten, uns eine ausführliche Darstellung darüber zu geben, wie die Rechtsfigur „ehemaliges sächsisches Kabinettsmitglied“ zu definieren ist. Ich frage die Bundesregierung danach, ob zwischen dem Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister Thomas de Maizière, und dem Ministerpräsidenten Georg Milbradt ein Telefongespräch darüber stattgefunden hat, dass man Ruhe in die Reihen der aufgeregten Christdemokraten Sachsens bringen soll, und ob es stimmt, dass ein solcher Anruf Folgen hat, wie der „Spiegel“ schreibt: Teubner wurde vom CDU-Fraktionschef ermahnt, er solle abschwören - de Maizière müsse aus der Schusslinie gehalten werden. Doch der Geheimdienstkontrolleur war nicht umzupolen: Sein Vorwurf bleibt in der Welt. Das wird da behauptet. Ich möchte wissen, ob der oberste Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung dahin gehend Druck ausübt, dass nicht bekannt wird, mit welchem Amtsverständnis er in Sachsen eine ähnliche Funktion bekleidet hat. Das ist für den Deutschen Bundestag von Relevanz. Wir wollen wissen, ob wir darauf vertrauen können, dass der jetzige Geheimdienstkoordinator seinen gesetzlichen Pflichten gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium nachkommt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage wurde formuliert, und die Intention wurde erläutert. Herr Staatssekretär, bitte.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Meine Antwort wird nicht ganz so lang sein wie das Statement von Herrn Beck. ({0}) Verehrter Herr Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass Sie ein solches Gespräch, das angeblich stattgefunden hat, nicht persönlich mitgehört haben. ({1}) Da ich auch davon überzeugt bin, dass der Redakteur dieses Magazins, dieses Nachrichtenblattes oder wie man dieses sehr wichtige Organ auch immer bezeichnen will, ({2}) ebenfalls nicht persönlich mitgehört hat, darf ich Sie nur darauf verweisen, dass Sie sich hier in unglaublichen Vermutungen ergehen, die Sie mit gar nichts belegen können. Deswegen erwarten Sie von mir bitte nicht, dass ich mich zu Ihren Vermutungen, die Sie mit gar nichts belegen können, auch nur im Entferntesten äußere. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich gehe davon aus, dass der Kollege Beck eine zweite Frage stellt. - Das ist der Fall.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass ein solches Gespräch mit dem Ziel des Ausübens von Druck auf Parlamentarier und auf Mitglieder der sächsischen Landesregierung, die Kritik an Herrn de Maizière einzustellen, nicht zu dem Aufgabenbereich des Chefs des Bundeskanzleramtes gehört und dass es zu kritisieren wäre, wenn es so stattgefunden hätte, wie es im „Spiegel“ steht? ({0})

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Verehrter Kollege Beck, dies ist keine Quadratwurzel, wie sie der polnische Ministerpräsident anwenden wollte, sondern Hypothese hoch vier. ({0}) Wenn ich den ersten Teil Ihrer Frage richtig verstanden habe, müsste diesen ersten Teil Ihrer Frage der sächsische Ministerpräsident beantworten. ({1}) - Der Herr Tauss kann dabei behilflich sein. Der weiß, wie man das macht. ({2}) Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so kann ich darauf keine Antwort geben, weil er so hypothetisch ist. Zumindest ich als Vertreter der Bundesregierung darf von einer ordnungsgemäßen Amtsführung des Kanzleramtsministers Dr. Thomas de Maizière ausgehen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Nachfragen gibt es dazu nicht. - Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf: Ist die Bundesregierung bereit, vor dem Hintergrund, dass am 18. Juni bei einem US-Luftangriff auf ein „mutmaßliches Versteck von Aufständischen“ ({0}), eine Religionsschule in der afghanischen Provinz Paktika, sieben Kinder getötet wurden, ihre Haltung zur weiteren Unterstützung der Operation Enduring Freedom zu verändern?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, meine Antwort lautet: Die Bundesregierung sieht keinen Grund, ihre Haltung zur Operation Enduring Freedom zu verändern. Die Bundesregierung bedauert sehr, dass es bei Einsätzen in Afghanistan zu zivilen Opfern kommt. Die Bundesregierung setzt sich innerhalb der NATO sowie in Gesprächen mit ihren Partnern dafür ein, dass alles getan wird, um zivile Opfer so weit als möglich zu vermeiden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, das Bedauern ist aufrichtig, aber beim Bedauern kann es nicht bleiben. Deswegen möchte ich präzise nachfragen: Ist der Bundesregierung bekannt, welche Aufklärungsergebnisse den USA, die diesen Bombenangriff für die Operation Enduring Freedom geflogen haben, vorlagen, wie sie das Ziel bestimmt haben?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, über die Art und Weise, wie die Aufklärung durch die amerikanische Seite stattgefunden hat, liegen der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. Aber wir haben in diesem Zusammenhang natürlich, genau wie Sie, Pressemeldungen zur Kenntnis genommen, die unter anderem darauf hinauslaufen, dass die amerikanische Seite die fragliche Schule einen ganzen Tag lang beobachtet hat und dabei, bevor es zu diesem Angriff kam, weder Zivilisten allgemein noch Kinder gesehen hat. Nachher tauchten Berichte auf, dass offensichtlich Zivilisten einschließlich Kindern in dieser Schule festgehalten wurden - ein sehr signifikanter Vorgang einer Instrumentalisierung von Zivilisten einschließlich Kindern als lebende Schutzschilde, was die Bundesregierung auf das Schärfste verurteilt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ich bin immer davon ausgegangen, dass die Bundesregierung mehr weiß als das, was in der Presse steht. Wenn das nicht der Fall ist, habe ich mich eben getäuscht. Das spricht aber nicht unbedingt für die Bundesregierung. Ich will dann zum direkten Handeln der Bundesregierung nachfragen. Es ist bekannt, dass an diesem Tag deutsche Tornados genau in dieser Region Aufklärungsflüge durchgeführt haben. Kann die Bundesregierung verbindlich ausschließen, dass Luftaufnahmen der deutschen Tornados eine der Grundlagen für diesen Angriff gewesen sind?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, das ist Gegenstand einer weiteren dringlichen Frage. Ich würde jetzt ungern die Antwort meines Fachkollegen auf diese Frage vorwegnehmen. Die Antwort wird gleich erfolgen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wenn Sie die dringliche Frage des Kollegen Ströbele meinen sollten: Die Antwort wird leider nicht gleich erfolgen, weil die Frage schriftlich beantwortet wird.

Not found (Gast)

Entschuldigung. Ich habe übersehen, dass diese dringliche Frage schriftlich beantwortet werden soll. Herr Kollege Gehrcke, dann bin ich natürlich frei, Ihnen zu antworten. An dem fraglichen Tag, dem 17. Juni, hat im Kommandobereich East, wozu Paktika und damit auch der Ort dieser Schule gehören, kein einziger Aufklärungsflug der Recce-Tornados stattgefunden. Auch an den beiden Tagen vorher ist dieses Gebiet nicht aufgeklärt worden, sodass ein Zusammenhang nicht herzustellen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die dringliche Frage 4 des Kollegen Hans-Christian Ströbele soll schriftlich beantwortet werden. Deshalb kommen wir nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe die dringliche Frage 5 des Kollegen Werner Dreibus auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass weder mit der im Koalitionsausschuss vereinbarten Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes noch mit der geplanten Regelung für tariffreie Branchen - Ausschuss für Mindestlohn das Problem tariflicher Niedriglöhne zu lösen ist? Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dem Kollegen nochmals zu seinem heutigen 60. Geburtstag. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Kollege Dreibus, herzlichen Glückwunsch. Für die Bundesregierung beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung sieht in dem vom Koalitionsausschuss vorgeschlagenen Maßnahmenpaket ein wirksames Instrument zur Ordnung des Niedriglohnbereichs.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage. Bitte. ({0})

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wie soll ich im Zusammenhang mit den jetzt von Ihnen für die Bundesregierung getroffenen Aussagen die von Ihrem Kollegen und verantwortlichen Minister gestern öffentlich getätigten Aussagen interpretieren, die sich ja nun ganz anders anhörten? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Auf den Zwischenruf, für welchen Teil ich spreche, entgegne ich: Ich habe hier eben für die Bundesregierung geantwortet. Das tue ich übrigens während der gesamten Fragestunde. Ihnen, Herr Dreibus, möchte ich sagen: Das Maßnahmenpaket, das verabredet worden ist, konzentriert sich zunächst auf die Bereiche, bei denen von den beiden Koalitionspartnern besonderer Handlungsbedarf gesehen wurde. Dabei handelt es sich zum einen um Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt oder bestehende Tarifverträge nur eine Minderheit von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern erfassen. Zum anderen erhalten alle Branchen mit einem Mindestmaß an Tarifbindung das Angebot, ihre Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu beantragen. Damit können sie zukünftig auf dieses Instrument zurückgreifen. Dieses Maßnahmenpaket berücksichtigt in besonderem Maße den von den Tarifvertragsparteien in den betreffenden Branchen gesetzten Handlungsrahmen. Die Bundesregierung und die Koalition haben also besonderen Wert darauf gelegt, zunächst das, was im Rahmen der Tarifautonomie entwickelt werden kann, zum Zuge kommen zu lassen. Im zweiten Teil wurden Regelungen für Bereiche getroffen - das steht ja in der Vereinbarung auch drin -, die sozusagen weiße Flecken aufweisen bzw. in denen es keine Entfaltung der Tarifautonomie gibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da ja nun öffentlich bekannt geworden ist, dass ich nicht zu den Jüngsten in diesem Hause gehöre, darf ich Sie vielleicht in dem Zusammenhang mit der Frage konfrontieren, wie lange denn die Beschäftigten in den Branchen, in denen es keine tariflichen Regelungen gibt oder in denen es aufgrund tariflicher Regelungen beispielsweise Löhne unter 4 Euro gibt, noch warten müssen, bis durch eine Initiative dieser Bundesregierung ihre Situation wirkungsvoll verbessert wird, also indem ihre Armutslöhne per gesetzlicher Regelung auf ein vertretbares Mindestmaß angehoben werden.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Kollege Dreibus, ich bin davon überzeugt, dass wir das in der Regierungskoalition verabredete Paket so schnell wie möglich umsetzen werden. Für die Öffnung des Entsendegesetzes steht ja ein Datum in der Verabredung. Ich will Sie nur darauf hinweisen: Gegenwärtig erstreckt sich das Entsendegesetz nur auf die Bereiche Bau und Gebäudereinigung. Künftig erstreckt sich das Entsendegesetz, wenn die Tarifvertragsparteien es wollen, auf viele weitere Branchen. Das Instrument des aus dem Jahr 1952 stammenden Gesetzes, des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes, stand für diesen Zusammenhang derzeit faktisch überhaupt nicht zur Verfügung. Ich möchte einmal darauf hinweisen, dass es, wie ich finde, eine Reihe sehr guter Regelungen gibt, die dazu führen, dass für Sektoren, für die es bisher überhaupt keine Regelungen gab, Regelungen verabredet werden können. Ich fasse das einmal in einer Position zusammen - wir kennen uns ja schon lange Zeit aus anderen Zusammenhängen -, die für Gewerkschaftler ziemlich wichtig ist: Mit dem Entsendegesetz erreichen wir die Bereiche, in denen die Tarifbindung mindestens 50 Prozent beträgt. Mit dem zweiten Gesetz können wir nunmehr in Bereichen tätig werden, bei denen es bis jetzt keine Grundlage dafür gab. Deswegen halte ich das für die Bundesregierung durchaus für ein bemerkenswertes Ergebnis. Selbstverständlich kann nicht verschwiegen werden - das ist ja öffentlich -, dass die Koalitionspartner dieser Regierungskoalition naturgemäß unterschiedliche Vorstellungen haben, die sie, wie mein Minister öffentlich erklärt hat, auch weiter verfolgen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die dringliche Frage 6 der Kollegin Ulla Lötzer auf: Vizepräsidentin Petra Pau Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass nur in wenigen Branchen mit bundesweit gültigen Tarifverträgen eine wichtige Voraussetzung für die vom Koalitionsausschuss vorgeschlagene Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gegeben ist? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Kollegin Lötzer, nach dem Vorschlag des Koalitionsausschusses wird allen Branchen mit einem bestimmten Mindestmaß an Tarifbindung bis zum Stichtag 31. März 2008 ein Angebot zur Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz unterbreitet. Voraussetzung für die Aufnahme ist ein gemeinsamer Antrag von Tarifvertragsparteien der betroffenen Branche. Um wie viele und welche Branchen es sich dabei handeln wird, ist erst nach Ablauf der Frist ersichtlich. Ich kann Ihnen aber versichern - auch das ist öffentlich -, dass in den letzten Wochen und Monaten eine Reihe von Branchen im Bundesarbeitsministerium vorstellig geworden sind und die Aufnahme ins Entsendegesetz wollten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Trotz Ihrer Antwort habe ich konkrete Nachfragen. Erstens. Ist damit die Voraussetzung eines bundesweiten Tarifvertrages - das würde ja restriktiv wirken - hinfällig, weil sie durch diese 50-Prozent-Klausel ersetzt wird? Zweitens wüsste ich gern Folgendes von Ihnen: Bei 50 Prozent Tarifgebundenheit kann man in der Regel nicht von einem Mindestmaß an Tarifbindung sprechen; vielmehr ist dies schon ein relativ hohes Maß an Tarifbindung. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass in diesen Branchen - das wüsste ich gern konkreter von Ihnen - in der Regel auch die Kraft der Gewerkschaften ausreicht, Tariflöhne oberhalb eines Armutslohns durchzusetzen, dies also zumindest zur Lösung des Problems nationaler Armutslöhne nichts beiträgt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Abgeordnete, das Vorhandensein von bundesweiten Tarifstrukturen ist für die Aufnahme einer Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht erforderlich. Stattdessen ist formuliert, dass man 50 Prozent der in der Branche betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreichen muss. Das kann schon der Fall sein, wenn ein Arbeitgeber diese 50 Prozent beschäftigt; wird ein entsprechender Antrag gestellt, so ist nach unserer Auffassung die Voraussetzung erfüllt. Dann setzt sich die Mechanik in Bewegung, deren weitere Etappen in den Koalitionsbeschluss aufgenommen sind. Ich will noch einmal ganz ausdrücklich sagen, was dies bedeutet: Angesichts dessen, dass das Entsendegesetz gegenwärtig ausschließlich für die Baubranche und für die Branche der Gebäudereiniger gilt, halte ich dies für einen außerordentlichen Fortschritt, und ich wäre verrückt, wenn ich sagte, ich schlösse die Möglichkeit aus, andere Branchen aufzunehmen, nur weil ich persönlich oder wir als Partei eine weitergehende Forderung als Zielsetzung haben. Zum zweiten Teil Ihrer Frage weise ich noch einmal auf Folgendes hin: Man soll das Instrument des Gesetzes von 1952, das wir überarbeiten, nicht unterschätzen. Meines Erachtens bietet es eine ganze Menge Möglichkeiten, auf alle Fälle solche, die es bisher gar nicht gab.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann lassen Sie mich noch einmal gerade zu der Voraussetzung einer 50-prozentigen Tarifbindung nachfragen. Ihnen ist das Problem der Verbandsflucht von Arbeitgebern durchaus auch bekannt. Meinen Sie nicht, dass sich viele Arbeitgeber, die die Absicht der Umgehung haben, sich nicht geradezu eingeladen fühlen, Verbandsflucht zu begehen, um sich einer solchen Wirkung des Entsendegesetzes zu entziehen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das Problem der Verbandsflucht haben wir gegenwärtig schon. Immer mehr Arbeitgeber verlassen die Verbände. ({0}) - Darf ich noch einmal auf den Zusammenhang hinweisen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär. Wir sind in der Fragestunde und nicht in der Debatte.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich teile auch Ihre Meinung nicht, dass wir die Arbeitgeber dazu einladen. Es geht um die Tarifbindung in der gesamten Branche: Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer Branche - das kann bei nur einem Arbeitgeber, aber natürlich auch bei mehreren sein - tarifgebunden beschäftigt sind. Ich nenne ein Beispiel: Eine besonders wichtige Branche, die boomt, ist die Branche der Zeitarbeit. Da gibt es zwei Verbände, die einen identischen Tarifabschluss für die Zeitarbeit getätigt haben und die sich beide dringend für die Aufnahme ins Entsendegesetz ausgesprochen haben. Angesichts dessen und angesichts der zusätzlichen Bedingungen gehe ich davon aus, dass die Möglichkeit, diese Verbände ins Entsendegesetz aufzunehmen, aufgrund der getroffenen Vereinbarungen gegeben ist. Wenn jetzt das eintritt, was Sie befürchten, dass nämlich die Arbeitgeber reihenweise die Verbände verlassen, gibt es die Möglichkeit Nummer zwei, die es bisher nicht gab. Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir nun sowohl das Instrument des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes als auch das Gesetz über die MindestarbeitsbeParl. Staatssekretär Gerd Andres dingungen von 1952 haben. Ich spitze das einmal zu: Das eine Gesetz gilt für die Branchen, die zu über 50 Prozent organisiert sind, und das andere Gesetz gilt für den Rest. Das wäre wenigstens meine Interpretation. Man muss sich das anschauen, und das werden wir im Gesetzesverfahren machen. Ich glaube, dass es mit dieser Regelung einen deutlichen Fortschritt gibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die dringliche Frage 7 der Kollegin Kornelia Möller auf: Welche Position bezieht die Bundesregierung zur Auffassung, dass die Realisierung des Vorschlags des Koalitionsausschusses - ein Ausschuss für Mindestlohn solle für Branchen ohne tarifvertragliche Bindung beim Bundesminister für Arbeit und Soziales einen Mindestlohnantrag stellen - von wechselnden politischen Mehrheiten abhängig macht und damit zu keinem zuverlässigen Modus für die Einführung von Branchenmindestlöhnen führen kann? Ich gratuliere der Kollegin zu ihrem Geburtstag. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Möller, auch ich gratuliere Ihnen herzlich zum Geburtstag. Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Gerade die vorgesehenen Ausschüsse und ihre Besetzung zielen auf von politischen Mehrheiten unabhängigen Sachverstand.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Herr Staatssekretär, wie stehen Sie zu der Aussage, dass dieser Ausschuss für Mindestlohn entsprechend dem englischen Vorbild als ein Mindestlohnrat gestaltet werden könnte, der dann für alle Bereiche zuständig wäre?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nach der Regelung, die in der Koalitionsvereinbarung getroffen ist, konstituieren wir zunächst einmal einen Hauptausschuss. Dieser Hauptausschuss wird so besetzt, wie es dort niedergelegt ist. Er hat zu prüfen, ob der Mindestlohnantrag gestellt wird oder nicht. Der Fachausschuss, der dann gebildet wird, ist für die Lohnfindung in dem Bereich zuständig. Bei der Besetzung sollen die betroffenen Branchen berücksichtigt werden. Folgende Konstruktion ist vorgesehen: Ein Hauptausschuss wird in einer bestimmten Art und Weise gebildet. Er ist ein ständiger Ausschuss, der prüft, ob ein Mindestlohnantrag gestellt wird oder nicht. Daneben werden die Fachausschüsse gebildet. Diese legen für die Branche, wenn die Notwendigkeit besteht, die Höhe des Lohnes fest. Nun möchte ich nicht fantasieren, was daraus zukünftig werden kann. Ich habe die Arbeit der Low Pay Commission in Großbritannien immer mit großer Sympathie verfolgt. Ob es so etwas wird, weiß ich nicht. Jetzt wird das, was in der Koalitionsvereinbarung festgehalten ist, umgesetzt.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich danke Ihnen und habe noch eine zweite Nachfrage: Wer wird in diesem Ausschuss für Mindestlohn einen Antrag stellen, wenn es keine einheitlichen Verbandsstrukturen für die betroffene Branche gibt? Wer ist dann Antragssteller oder Vertreter im Ausschuss?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Darüber wird man noch reden müssen. Ich verstehe es so: Der Hauptausschuss wird als ständiger Ausschuss eingerichtet, wenn man das zugrunde legt, was in der Vereinbarung formuliert ist. Ich will sie gerne noch einmal zitieren: Ziffer 1. Es gibt zunehmend Wirtschaftszweige oder einzelne Regionen, in denen es entweder keine Tarifverträge gibt oder eine Tarifbindung nur für eine Minderheit der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber besteht ({0}). Um in diesen Bereichen Mindestlöhne zu setzen, wird das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen aus dem Jahr 1952 gangbar gemacht und auf den aktuellen Stand gebracht. Ziffer 2. Das Vorhandensein eines derartigen tariflosen Zustandes reicht als Anwendungsvoraussetzung. Wenn die Kommission also als Tatbestand feststellt, dass es diesen tariflosen Zustand gibt, dann würde eine entsprechende Festlegung stattfinden, und dann muss sich damit der Fachausschuss im Einzelnen beschäftigen. Ich finde, man kann daraus ordentlich etwas machen, wenn man das will.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es gibt eine weitere Nachfrage, diesmal vom Kollegen Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, man kann zwar „ordentlich etwas daraus machen.“ Letztendlich handelt es sich, wenn man das Mindestarbeitsbedingungengesetz von 1952 modernisiert und der entsprechende Ausschuss, den die Koalition verabredet hat, eingerichtet wird, aber um eine staatlich festgesetzte Lohnfindung. Sehen Sie dabei nicht die Gefahr des Eingriffes in die Tarifautonomie, die auch vom Grundgesetz her ein schützenswertes Gut ist?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nein, das sehe ich nicht. Deswegen hat ja der Koalitionsausschuss über die Aktivierung dieses Gesetzes in dem Zusammenhang nachgedacht, wie er hier dargelegt ist. Der Ausgangspunkt ist folgender: Die Koalition sagt: Für uns hat die Tarifautonomie absoluten Vorrang. Dort, wo die Tarifvertragsparteien eine Regelung getroffen haben, ist das in Ordnung. Deswegen haben wir ja beim Entsendegesetz die erwähnte 50-Prozent-Klausel und Weiteres vorgesehen. Nun stellen wir aber fest, dass in bestimmten Bereichen, Regionen und Branchen die Tarifautonomie gar nicht mehr wirkt. Sie ist nämlich gar nicht mehr vorhanden. Wenn das so ist, dann würde eine staatliche Lohnsetzung greifen; da haben Sie recht. Das ist dann aber keine Bedrohung der Tarifautonomie, sondern ersetzt die nicht mehr vorhandene Tarifautonomie.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die dringliche Frage 8 der Kollegin Sabine Zimmermann auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Koalitionsausschuss mit dem Vorschlag, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes von einer tarifvertraglichen Deckung der jeweiligen Branche von mindestens 50 Prozent abhängig zu machen, die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf weitere Branchen erschweren wird?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Kollegin Zimmermann, Sie fragen nach der tarifvertraglichen Deckung von 50 Prozent. Das habe ich mehrfach erläutert. Auf Ihre Frage antworte ich jetzt schlicht: Nein, wir teilen diese Auffassung nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage bitte.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Staatssekretär. Ihre Antwort war ja sehr kurz und knapp. Ich habe heute einmal im WSI angerufen und mich dort mit der zuständigen Kollegin unterhalten. Das WSI bezieht sich ja immer auf die Stichprobenerhebung des IAB. Es wurde eindeutig gesagt: Es gibt keine Statistiken für einzelne Branchen. Es gibt zwar zum Beispiel in Ostdeutschland eine Tarifbindung von 41 Prozent und in Westdeutschland eine Tarifbindung von soundso viel Prozent. Aber für einzelne Branchen gibt es keine Statistik. Jetzt frage ich Sie: Wie wollen Sie zum einen praktisch ermitteln, wie viele Branchen eine 50-prozentige Tarifbindung haben? Zum anderen: Welche Branchen würden aus Ihrer Sicht infrage kommen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Die Bestimmung, dass eine Tarifbindung von mindestens 50 Prozent erreicht werden sollte, gibt es ja schon heute in bestimmten Bereichen - wirksam im Tarifvertragsgesetz und in Allgemeinverbindlichkeitserklärungen -, ohne dass das jemand im Einzelnen nachgezählt hat. Wenn es Spitz auf Knopf steht, muss man es ermitteln; das ist doch völlig logisch. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In der Zeitarbeitsbranche gibt es drei große Arbeitgeberverbände. ({0}) Zwei haben einen identischen Tarifvertrag. Man kann ja einfach die Beschäftigtenzahlen dieser Unternehmen addieren. Ich weiß, dass die Branche gegenwärtig - das ist jetzt Pi mal Daumen - zwischen 500 000 und 600 000 Beschäftigte hat. Dann kann ich feststellen: Reicht das, oder reicht das nicht? Ich nenne Ihnen einen anderen, sehr spannenden Bereich. Denken Sie einmal über die Postdienstleistungen nach. ({1}) Da gibt es ein ganz großes Unternehmen. Natürlich kann man sagen, dass das statistisch nicht stimmt; das mag ja auch sein. In der Praxis wird sich das relativ schnell herausstellen. Ich habe in der Antwort auf eine andere Frage vorhin schon gesagt, dass ich nicht darüber spekulieren möchte, welche Branchen aufgenommen werden. Ich kann Ihnen aber folgende nennen: private Entsorger, Postdienstleistungen, Zeitarbeit; es gibt noch einige andere. Einige Branchen haben sogar Tarifvertragsklauseln oder Absichtserklärungen formuliert, in denen steht: Wenn das Entsendegesetz geöffnet wird, werden wir einen Mindestlohn festlegen und beantragen. - Lassen Sie uns mit dem Geschäft einfach anfangen; dann werden wir sehen, was dabei herauskommt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich denke, Pi mal Daumen reicht nicht. Ich will festhalten, dass es dort Niedriglohnbereiche gibt, wo die Gewerkschaften sehr schwach sind. Das ist Fakt. In einer Presseerklärung haben Sie gesagt, dass der Einzelhandel aufgenommen werden soll. Es gibt aber gar keinen bundesweiten Tarifvertrag für den Einzelhandel. In Sachsen zum Beispiel ist er an den Berliner Tarifvertrag gekoppelt. Dort wird ein ortsüblicher Lohn in Höhe von 5 Euro gezahlt. Angesichts dessen frage ich Sie: Wie wollen Sie das praktisch umsetzen? Ihre Regelung ist im Einzelhandel, wo insbesondere die Frauen betroffen sind, gar nicht umsetzbar.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

In einer anderen Antwort habe ich schon gesagt, dass ein bundesweit gültiger Tarifabschluss gar nicht Voraussetzung ist. Als Voraussetzung ist vielmehr formuliert: 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer einer Branche müssen bei Arbeitsgebern beschäftigt sein, die tarifgebunden sind. Ich greife das Beispiel Einzelhandel auf. Im Zusammenhang mit anderen Entwicklungen - Arbeitszeit oder Ähnliches - beklagen wir die ungeheure Monopolisierung in diesem Sektor. Ich bemühe einmal die Fantasie: Stellen wir uns vor, es gäbe ein, zwei, drei oder vier große Unternehmen, die ein Interesse an ordentlichen Verhältnissen in ihrer Branche hätten und einen solchen Antrag stellen würden. ({0}) - Es gibt ja auch noch andere. Wir wollen hier jetzt keine Schleichwerbung machen. Sonst müssen wir noch alle aufzählen. Ich versuche nur, Ihre Frage kreativ zu beantworten. Das ist die eine Sache. Die andere Sache betrifft das zweite von mir genannte Gesetz: Es kann nur dort wirksam werden, wo es keine Tarifverträge bzw. „weiße Flecken“ gibt. Ich würde schon sagen, dass manche Gewerkschaft überlegen sollte - ich drehe das jetzt einmal um -, ob sie aufgrund ihrer Schwäche jeden Tarifvertrag unterschreibt und billigt oder nicht doch lieber sagt, dass sie sich dazu nicht mehr hergibt, was dann entsprechende Folgen hätte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Ich rufe die dringliche Frage 9 der Kollegin Sabine Zimmermann auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass - bleibt es bei der Nichteinigung des Koalitionsausschusses bezüglich der Verlängerung des sogenannten Briefmonopols - ab 2008 mit der vollständigen Öffnung des Briefmarktes in Deutschland eine drastische Zunahme von Billigjobs im Briefdienst droht, da bereits die bisherige Teilöffnung von 20 Prozent des Briefaufkommens zu einem Niedriglohnwettbewerb geführt hat, weshalb gegenwärtig etwa 10 000 Zustellerinnen und Zusteller ihr Niedrigeinkommen durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssen? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. - Sie haben das Wort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich gebe für die Bundesregierung folgende Antwort: Diese Auffassung teilen wir nicht. Die komplexe Problematik des Niedriglohnbereichs kann nur im Zusammenhang mit der generellen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Diskussion gesehen werden. Die im Koalitionsausschuss beschlossene Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eröffnet die Möglichkeit, dass auch für die angeführte Postbranche eine grundsätzliche Sicherung eines angemessen Lohnniveaus herbeigeführt werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Wenn Sie die Auffassung nicht teilen, muss ich Sie auf Folgendes hinweisen: 10 000 Zustellerinnen und Zusteller erhalten in Deutschland aufstockende Löhne; das ist eine Masse. Sind Sie angesichts dessen nicht mit mir einer Meinung, dass viele Menschen davon zutiefst betroffen sind und so wenig Lohn bekommen, dass sie nicht davon leben können und sich noch vom Amt Geld holen müssen, damit sie leben können?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Die von Ihnen genannte Zahl - wenn sie denn stimmt ({0}) hat sich ja zu Zeiten der Geltung des Briefmonopols ergeben. Also ist die Logik, dass es so etwas nicht gibt, wenn man das Briefmonopol verlängert, irreführend. Deswegen ist auch die Annahme, die man daran knüpfen will, dass ein kausaler Zusammenhang besteht und es daher durch eine Liberalisierung zu einer drastischen Zunahme der Zahl der betroffenen Personen kommen würde, falsch. Wir teilen diese Auffassung nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Zahl ist aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Ich habe noch eine Frage: Der Koalitionsausschuss hat ja beschlossen, die Verlängerung bzw. die Nichtverlängerung des Briefmonopols davon abhängig zu machen, wie man sich in der EU einigt. Hat die Bundesregierung vor, jetzt auf die Bedenken Frankreichs - von dort wurden schon Bedenken angemeldet - und anderer Länder einzugehen und nicht mehr eine Vorreiterrolle in der Liberalisierung des europäischen Postmarktes zu spielen? Welche Position vertritt die Regierung zum Vorschlag der europäischen Postgewerkschaften, die Öffnung der EU-Postmärkte bis 2012 zu verschieben?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Wir halten an unseren bisherigen Bewertungen und Einstellungen fest. Wir halten die Diskussion in Europa für noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, von der bisherigen Beschlusslage, wonach das Postmonopol zum 1. Januar 2008 ausläuft, abzuweichen. Unabhängig davon kann man konstruktiv über Lösungen und Ansätze nachdenken, wie eventuell befürchtete negative Auswirkungen gemildert werden können. Auch darüber sind wir in einem intensiven Gespräch miteinander.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Vizepräsidentin Petra Pau Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 16/5683 in der üblichen Reihenfolge auf. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Monika Lazar zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 3 des Kollegen Peter Hettlich soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Frage 4 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 5 und 6 der Kollegin Irmingard ScheweGerigk zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Jörg Rohde auf: Liegen der Bundesregierung Hinweise zu aus Parkproblemen resultierenden Einschränkungen der Mobilität contergangeschädigter Ohnarmer vor, und, wenn ja, plant sie Maßnahmen zur Beseitigung dieser Einschränkungen?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Kollege Rohde, wenn Sie gestatten, beantworte ich die Fragen 7 und 8 zusammen, weil sie im Sachzusammenhang stehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich auch die Frage 8 des Kollegen Rohde auf: Zählt zu den durch die Bundesregierung gegebenenfalls geplanten Maßnahmen zur Beseitigung der aus Parkproblemen resultierenden Einschränkungen contergangeschädigter Ohnarmer auch die Schaffung der Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens „aG“ für diesen Personenkreis, damit diese die sogenannten Rollstuhlparkplätze nutzen können, und, wenn nein, warum nicht?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Die gesetzliche Grundlage für die Antwort der Bundesregierung ist § 46 Abs. 1 Nr. 11 der StraßenverkehrsOrdnung und die dazu erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Da ist geregelt, welche Personengruppen Parkerleichterungen haben können. Wir haben eine klare Definition. Wenn es um die Gestattung von Parkerleichterungen geht, ist dabei insbesondere an Menschen mit außergewöhnlichen Gehbehinderungen zu denken. Die gesetzliche Grundlage dafür sind die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Teil II SGB IX. Zusätzlich besteht die Situation, dass man diesen Personenkreis in besonders begründeten Fällen ausweiten kann. Die Befreiung von der Benutzung von Parkuhren und Parkscheinautomaten, auch die Befreiung von der Verpflichtung, im Zonenhalteverbot und auf Parkplätzen mit zeitlicher Begrenzung einen Parkschein ins Fenster zu legen, ist für die Personengruppe, zu der Sie hier fragen, jetzt schon möglich. Wenn man eine weitergehende Parkerleichterung haben möchte, braucht man das Merkzeichen „aG“ oder die Gleichstellung mit diesem Merkzeichen; darüber entscheidet die Versorgungsverwaltung. Voraussetzung einer Gleichstellung ist, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt ist. Wir haben nicht die Möglichkeit, die Personengruppe, für die Sie sprechen, generell in die Freistellung aufzunehmen, weil wir ein höchstrichterliches Urteil vom 17. Dezember 1997 zu beachten haben, wonach die Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 der StraßenverkehrsOrdnung eng auszulegen ist. Konsequenz dieses Gerichtsurteils ist, dass wir keine allgemeine Befreiung aussprechen können. Eine Änderung des geltenden Rechts ist vor diesem Hintergrund nicht geplant.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu Ihrer ersten von vier möglichen Nachfragen.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sieht die Bundesregierung im Moment keine gesetzliche Möglichkeit, Ohnarmern das Merkzeichen „aG“ zu erteilen, um dadurch für eine bundesweit einheitliche Regelung zu sorgen. Habe ich Sie richtig verstanden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Das ist die Situation.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ist der Bundesregierung bewusst, dass Ohnarmer zum Beispiel mehr Platz zum Öffnen von Autotüren benötigen? Sie können zwar gehen, aber wenn sie etwas tragen müssen - etwa vom Einkaufsladen zu ihrem Auto -, sind lange Wege hinderlich. Daher wäre es sehr hilfreich, wenn sie, auch ohne das Merkzeichen „aG“ erteilt zu bekommen, eine Parkerleichterung erhielten.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Das ist der Grund, aus dem Ohnarmern bereits andere Parkerleichterungen gewährt wurden; das habe ich schon gesagt, und das dürfte Ihnen bekannt sein. Wir sind verParl. Staatssekretär Ulrich Kasparick pflichtet, das Urteil des Verwaltungsgerichts eng auszulegen. Daran müssen wir uns halten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre dritte Nachfrage.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich beschränke mich darauf, drei Nachfragen zu stellen; die vierte Nachfrage lasse ich entfallen. Vor dem Hintergrund der Einführung des trägerübergreifenden persönlichen Budgets und der zunehmenden Mobilität der Behinderten frage ich Sie: Kann man für diese Personengruppe bis zum Jahreswechsel nicht doch noch etwas tun?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich verstehe Ihr Anliegen. Ich verstehe auch, dass die Menschen, für die Sie sprechen, großes Interesse daran haben. Bundesregierung und Parlament sind allerdings an die geltenden Gesetze gebunden. Daran müssen wir uns halten.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 9 des Kollegen Peter Hettlich soll schriftlich beantwortet werden. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Kasparick. Die weiteren Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Aus welchen Gründen wurde das Sicherheitskonzept für das Transrapidprojekt in München nach § 23 Abs. 1 der Magnetschwebebahn-Bau- und Betriebsordnung, MbBO, noch nicht veröffentlicht, und wann rechnet die Bundesregierung mit der Veröffentlichung desselben?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Dr. Hofreiter, das Sicherheitskonzept ist im Auftrag der DB Magnetbahn GmbH erstellt worden und befindet sich in deren Eigentum. Das Eisenbahn-Bundesamt hat das Sicherheitskonzept nach § 23 Abs. 1 der Verordnung über den Bau und Betrieb der Magnetschwebebahnen - die Verordnung heißt konkret: Magnetschwebebahn-Bauund Betriebsordnung, kurz: MbBO - genehmigt. Eine Veröffentlichung ist aufgrund der darin enthaltenen sensiblen Sicherheitsdaten nicht vorgesehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Könnten wir so vorgehen, dass der sehr geehrte Herr Staatssekretär meine zweite Frage gleich mitbeantwortet und ich meine Nachfragen anschließend stelle? Die beiden Fragen stehen nämlich in einem engen Zusammenhang.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wenn der Herr Staatssekretär das möchte.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ja, das mache ich gerne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich auch die Frage 11 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Warum ist das Sicherheitskonzept nicht Bestandteil der Planfeststellungsunterlagen für das laufende Planfeststellungsverfahren für das Transrapidprojekt in München, und welche Folgen für die rechtliche Anfechtbarkeit hat dies aus Sicht der Bundesregierung? Bitte, Herr Staatssekretär.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Die Antwort auf Ihre zweite Frage lautet: Bei der Genehmigung des Sicherheitskonzepts nach § 23 der von mir gerade im genauen Wortlaut genannten Verordnung, der MbBO, handelt es sich um ein gesondertes Verwaltungsverfahren. Somit ist es nicht in das Planfeststellungsverfahren integriert. Dies wird auch durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juni 2007 gestützt. Beide Verfahren verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen: Das Sicherheitskonzept enthält die Ermittlung und Bewertung aller erkennbaren Sicherheitsrisiken nach Art, Häufigkeit und Auswirkungen sowie die Feststellung der daraus abgeleiteten baulichen, technischen, betrieblichen und organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen. Das Planfeststellungsverfahren hingegen dient zur Erlangung des Baurechts. Soweit Erkenntnisse des Sicherheitskonzepts auch bauliche Aspekte betreffen, sind diese unmittelbar in die Planfeststellungsunterlagen eingeflossen. Dies gilt beispielsweise im Hinblick auf Rettungswege, Schutzvorkehrungen oder Einfriedungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zur ersten von vier möglichen Nachfragen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank für die Antwort. Herr Staatssekretär, Sie sagten, dass die baulichen Aspekte in das Planfeststellungsverfahren eingeflossen sind und das Planfeststellungsverfahren zur Erlangung des Baurechts dient. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens kann sich aber auch herausstellen, dass kein Baurecht erteilt wird. Die Kritiker bzw. Gegner des Projekts könnten weitaus objektiver beurteilen, ob das Projekt in der Form genehmigt werden kann, und entsprechende vernünftige Einwände vorbringen, wenn sie das gesamte Sicherheitskonzept beurteilen könnten; so müssen sie sich auf die Behörden verlassen. Deshalb meine Frage: Steht der Veröffentlichung dieses Konzeptes irgendetwas entgegen?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Dr. Hofreiter, wir sind nicht der Veranlasser des Sicherheitskonzeptes und daher nicht sein Eigentümer; das Sicherheitskonzept befindet sich im Eigentum der beauftragenden Firma. Ich habe in Beantwortung Ihrer Frage schon gesagt: Eine Veröffentlichung ist aufgrund der darin enthaltenen sensiblen Sicherheitsdaten nicht vorgesehen. Ich glaube, es ist klar, was damit gemeint ist: Der Bund hat gar nicht die Möglichkeit, das Konzept zu veröffentlichen, weil wir dieses Konzept nicht erstellt haben und es nicht in unserem Eigentum ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Frage, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn ich es richtig verstanden habe, hat das Eisenbahn-Bundesamt das Sicherheitskonzept geprüft. Wäre es möglich, vom Eisenbahn-Bundesamt zumindest einen abgespeckten Bericht darüber zu bekommen, inwieweit die Prüfung Probleme ergeben hat, inwieweit das Sicherheitskonzept die Zustimmung des Eisenbahn-Bundesamtes erhalten hat, welche Aspekte kritisch sind und welche nicht, ohne dass auf die sensiblen Details eingegangen wird?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich glaube, Sie wissen, dass das Eisenbahn-Bundesamt seiner Aufgabe unbeeinflusst vom Ministerium nachgeht. Das EBA trägt hier auch die Verantwortung. Diese Verantwortungsverteilung macht Sinn, da es ansonsten bei der Zuordnung von Verantwortung kunterbunt durcheinanderginge. In dieses Regelwerk, das nicht nur für den Bau des Transrapids gilt, sondern auch für andere Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, bei denen Sicherheitskonzepte und Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden, wollen wir nicht eingreifen. Das Verfahren hat sich bewährt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre dritte Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will auch nicht in das Verfahren eingreifen. Ich habe nur gefragt, ob es einen abgespeckten Prüfbericht des Eisenbahn-Bundesamtes gibt, den man veröffentlichen könnte. Das Eisenbahn-Bundesamt wird das Sicherheitskonzept ja nicht durchgelesen und festgestellt haben: „Schön; was die DB AG gemacht hat, passt“; es wird doch etwas schriftlich festgehalten haben.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Einen zusammenfassenden Bericht des EBA zu diesem Sicherheitskonzept gibt es, soweit mir bekannt ist, nicht. Aber selbst wenn es ihn gäbe, würden für ihn dieselben Bedenken zutreffen, die für das Sicherheitskonzept gelten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine vierte Frage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das heißt, letztendlich muss sich die kritische Öffentlichkeit darauf verlassen, dass das, was die DB Magnetbahn GmbH da gemacht hat, schon passt und das EBA das korrekt geprüft hat. Man kann das also nicht selber überprüfen, sondern muss sich auf die Behörden verlassen.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Das ist kein Willkürakt; es gibt ein vorgesehenes Verfahren - das habe ich Ihnen geschildert -: Das EBA ist bei der Planfeststellung beteiligt, was das Baurecht anbetrifft. Bei den Fragen, die die Sicherheit betreffen, ist auch die Behörde, die das Planfeststellungsverfahren durchführt - das ist hier die Regierung Oberbayern - mit im Boot. Sie wissen, dass wir wegen des Unfalls im Emsland sogar einen unabhängigen Professor beauftragt hatten, das Sicherheitskonzept noch einmal zu überprüfen. Das ist sozusagen ein doppeltes Sicherheitskonzept. Ich glaube, dieses Verfahren ist nicht anders zu bewerten als viele andere Genehmigungsverfahren. Es ist geregelt, in welchen Bereichen die Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf weitergehende Informationen haben. Es gibt in diesem Sicherheitskonzept einen etwas geschützteren Bereich, der so sensible Daten enthält, dass deren Veröffentlichung eher zum Gegenteil von Sicherheit führte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Christoph Waitz sollen schriftlich beantwortet werden. Dies gilt ebenfalls für die Frage 14 des Kollegen Volker Beck. Damit danke ich dem Staatssekretär Beus für seine Bereitschaft, die Fragen zu beantworten, und für die Übermittlung der Antworten an die Kollegen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 15 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. Dies gilt auch für die Fragen 16 und 17 der Kollegin Vizepräsidentin Petra Pau Bärbel Höhn und die Frage 18 des Kollegen Omid Nouripour. Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung. Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Hans-Joachim Otto sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Wilhelm Josef Sebastian auf: Was hält die Bundesregierung davon ab, den Repräsentanten der Republik China auf Taiwan einen Diplomatenpass bzw. Diplomatenausweis zuzugestehen, wie dies einige europäische Nachbarländer tun, wie zum Beispiel Frankreich, Großbritannien, Finnland, Italien, Polen, Schweden oder Österreich? Bitte, Herr Staatsminister.

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Herr Kollege Sebastian, taiwanische Diplomatenpässe werden nicht akzeptiert, weil ihre Visierung den Anschein eines für Diplomaten üblichen Notifikationsverfahrens erwecken würde. Der Bundesregierung liegt daran, keinen solchen falschen Anschein zu erwecken. Die Ausstellung von Diplomatenausweisen an Vertreter Taiwans kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan unterhält.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Wilhelm Josef Sebastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, warum wird dies in verschiedenen europäischen Ländern anders gehandhabt als bei uns? Gibt es dazu keine einheitliche Linie in Europa?

Not found (Gast)

Herr Kollege Sebastian, soweit uns bekannt ist, gibt es keine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Diplomatenpässe bzw. Diplomatenausweise. Es gibt eine Ausnahme in Wien. Die Beobachtermission aus Taiwan bei der IAEO, der Internationalen Atomenergiebehörde, besitzt gültige Diplomatenausweise, die vom österreichischen Außenministerium ausgestellt werden, nicht aber die Mitarbeiter des Instituts für Chinesische Kultur, das dort die inoffizielle Vertretung Taiwans ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Wilhelm Josef Sebastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, halten Sie es dem Land gegenüber, das lange für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte gekämpft hat, nicht für angebracht, ihm etwas mehr Anerkennung zu zeigen, indem man auf europäischer Ebene versucht, solche Kleinigkeiten - so will ich das einmal nennen - gemeinsam Schritt für Schritt zu regeln, ohne unsere Ein-China-Politik zu verlassen?

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Herr Kollege Sebastian, wir sind in völligem Konsens hinsichtlich der Anerkennung der Bemühungen Taiwans um Fortschritte. Darüber kann es keinen Streit geben. Auf der anderen Seite stellen Diplomatenpässe bzw. Diplomatenausweise ein Signum von Staatlichkeit dar. Wir betreiben in Europa gemeinsam die Ein-China-Politik, die eben nicht mit einer Anerkennung von Taiwan einhergeht. Gerade die Bundesregierung versucht, die Einheitlichkeit dieser Politik zu wahren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 22 des Kollegen Wilhelm Josef Sebastian: Was hält die Bundesregierung davon ab, den Repräsentanten der Republik China auf Taiwan das Recht eines Sonderkennzeichens einzuräumen, wie dies einige europäische Nachbarländer tun, wie zum Beispiel Frankreich, Großbritannien, Lettland oder die Niederlande?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Republik China auf Taiwan wird von der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt und daher in Deutschland auch nicht repräsentiert. In Bezug auf die Kraftfahrzeuge inoffizieller Vertreter Taiwans ist keine Voraussetzung erfüllt, die zur Ausgabe eines Sonderkennzeichens führen könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Wilhelm Josef Sebastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, mir liegen Informationen vor, dass in einigen europäischen Ländern Sonderkennzeichen vergeben werden. Warum kann die Bundesrepublik das nicht wie andere Länder handhaben?

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Es geht hier um einen ähnlichen Punkt wie bei der vorherigen Frage. Uns sind keine unterschiedlichen Auffassungen der Partnerländer der EU bekannt, was die Behandlung Taiwans als unabhängigen Staat angeht. Allerdings wird die Vergabe der Sonderkennzeichen in den verschiedenen europäischen Staaten unterschiedlich behandelt. Ihre Information, dass solche Sonderkennzeichen in Großbritannien ausgegeben werden, konnten wir nicht verifizieren. Es gibt tatsächlich ein Land, das die üblichen CC-Sonderkennzeichen ausgibt, nämlich Lettland. Lettland ist deswegen schon ins Visier chinesischer Proteste geraten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit haben Sie die Möglichkeit zu einer zweiten Frage.

Wilhelm Josef Sebastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, mir liegen Informationen vor, dass in Frankreich Sonderkennzeichen gewährt werden. Ich denke, in einem demokratischen Land dürfen wir in solchen Fragen nicht einfach nachgeben, wenn ein Land wie China protestiert, und darauf verzichten, einen Fortschritt zu erreichen.

Not found (Gast)

Ich möchte noch einmal festhalten, dass die Ausgabe von Corps-diplomatique- und Corps-consulaire-Kennzeichen wegen der Ein-China-Politik ausscheidet; darüber gibt es unter den europäischen Staaten keine unterschiedlichen Auffassungen. Aber es gibt möglicherweise bestimmte nationale Gepflogenheiten, was andere Sonderkennzeichen angeht. Es mag sein, dass es da Abweichungen gibt. Aber in der Politik selber bemühen wir uns um Einheitlichkeit und sehen auch nicht, dass Unterschiede in der Handhabung bestehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Rita Pawelski.

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, der gemeinsame Entschluss der Europäischen Union zur Taiwanpolitik stammt aus dem Jahr 1988. Damals war Taiwan kein demokratisch regiertes Land. Mittlerweile hat sich dort eine Demokratie entwickelt. Das höchste Amt wird durch freie Wahlen besetzt. Meinen Sie nicht, dass es an der Zeit ist, dass die Europäische Union wie auch die Bundesrepublik Deutschland die Taiwanpolitik ändert, weil es sich bei Taiwan um ein demokratisch regiertes Land handelt?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Pawelski, die Frage der Anerkennung eines Landes richtet sich nicht danach, ob es ein demokratisches Land ist - das war auch nicht der Fall, als es um die Entscheidung in Sachen Taiwan ging -; wir müssten sonst bei einer ganzen Reihe von Staaten die Anerkennung zurückziehen, weil sie leider nicht demokratisch regiert werden. Insofern ist die Ein-China-Politik in keiner Weise mit Kritik an den inneren Zuständen in Taiwan verbunden. Unsere Entscheidung ist vielmehr Ausdruck der sehr wohl begründeten Ein-China-Politik, die nicht nur in Europa betrieben wird. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es tut mir leid, Frau Pawelski, Sie haben leider nur die Möglichkeit zu einer Nachfrage. Damit rufe ich die Frage 23 der Kollegin Angelika Krüger-Leißner auf: Was hält die Bundesregierung davon ab, die Ausländermeldepflicht und die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung für Mitglieder der Vertretung von Taiwan in Deutschland zu erleichtern, indem die Aufenthaltsgenehmigung direkt durch die Protokollabteilung des Auswärtigen Amts beantragt wird, wie dies auch für Mitglieder der deutschen Vertretung in Taiwan üblich ist?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Krüger-Leißner, Mitarbeiter der Taipehvertretungen unterliegen dem Ausländerrecht. Sie erhalten ihre Aufenthaltstitel deshalb von den zuständigen Ausländerbehörden der Länder oder der Gemeinden. Grundlage ist jeweils eine Bescheinigung des Auswärtigen Amts, dass der Aufenthalt im öffentlichen Interesse liegt. Die Bescheinigung stellt die Politische Abteilung des Auswärtigen Amts aus. Eine Ausstellung durch das Protokoll hätte demgegenüber keinen erkennbaren Vorteil. Auch das Einreichen des Antrags unmittelbar bei der bearbeitenden Ausländerbehörde führt nach Beobachtung des Auswärtigen Amts zu keiner Erschwernis, sondern erscheint im Hinblick auf eine zügige Bearbeitung vorzuziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme erst einmal hin, dass es sich nicht um eine Benachteiligung handelt und genauso schnell geht. Natürlich sind mir diesbezüglich andere Erfahrungsberichte zu Ohren gekommen. Ich frage mich aber: Warum ist es nicht möglich, wie andere europäische Länder zu verfahren und bestimmten Repräsentanten wie dem Botschafter einen besonderen Status zu geben, zum Beispiel eine diplomatische ID-Card oder, wie es in Finnland, Österreich und Italien gehandhabt wird, eine ID-Card vom Außenministerium? Warum finden wir nicht solche Lösungen, die für die Menschen, die aus Taiwan kommen und hier arbeiten, eine Erleichterung darstellen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir uns bei dieser Praxis schlicht nach den rechtlichen Vorschriften des Ausländerrechts richten. Machten wir hier Ausnahmen oder erlaubten wir Sonderbehandlungen, bewegte dies nach allen Erfahrungen viele andere dazu, ähnliche Sonderregelungen zu wünschen. Ich glaube, dass ich aufzeigen konnte, dass unsere Art der Handhabung in Wirklichkeit für die Betroffenen der vernünftigste Weg ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme das erst einmal so hin und werde es noch überprüfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich die Frage 24 der Kollegin KrügerLeißner auf: Vizepräsidentin Petra Pau Was hält die Bundesregierung davon ab, einen touristischen Aufenthalt von bis zu 30 Tagen für taiwanesische Bürgerinnen und Bürger von der Visumpflicht zu befreien, wie dies auch für EU-Bürger in Taiwan der Fall ist?

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Frau Kollegin Krüger-Leißner, die Entscheidung darüber, welche Drittstaatsangehörigen für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen pro Halbjahr in der Europäischen Union der Visumpflicht unterliegen und welche nicht, liegt nicht in der Hand der einzelnen Mitgliedstaaten. Es ist vielmehr Aufgabe der Europäischen Kommission, in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten dies verbindlich festzulegen, und zwar im Rahmen der Europäischen Verordnung ({0}) Nr. 539/2001, der sogenannten EU-Visumverordnung. Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann die Bundesregierung nicht einseitig die Aufhebung der Visumpflicht für Taiwanerinnen und Taiwaner beschließen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine Nachfrage? - Bitte schön.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nun etwas dazugelernt und weiß, dass in dieser Frage im Grunde genommen die EU-Kommission unser Ansprechpartner ist.

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Das ist völlig korrekt. Ich kann Sie ergänzend darüber informieren, dass dies Ende 2006 auf der Tagesordnung der Ratsarbeitsgruppe „Visa“ stand. Dort hat eine größere Zahl von Mitgliedstaaten der EU einer solchen Erleichterung in Form einer Aufhebung der Visumpflicht nicht zugestimmt, sodass die Entscheidung darüber zurückgestellt worden ist.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen nun zur Frage 25 des Kollegen Olav Gutting: Was hält die Bundesregierung davon ab, bezüglich der Bezeichnung für Taiwan bei wirtschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen eine pragmatische Haltung einzunehmen und sich generell für die Bezeichnung „Taiwan“ auszusprechen?

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Herr Kollege Gutting, wirtschaftliche und kulturelle Veranstaltungen finden ganz überwiegend in privater Regie statt, ohne dass es überhaupt einen Anlass für die Bundesregierung gäbe, sich für die eine oder andere Bezeichnung auszusprechen. Wo die Bundesregierung Mitveranstalterin ist, erfordert es ihre Glaubwürdigkeit, ihre außenpolitischen Positionen nicht selbst infrage zu stellen. Ihre Vertreter in den jeweiligen Gremien stimmten also der Bezeichnung „Taiwan“ nur dann zu, wenn sie nicht als Staatsname missverstanden würde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. Bitte.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, wie in anderen europäischen Ländern die Bezeichnung gehandhabt wird?

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Herr Kolleg Gutting, wie Sie meiner Antwort entnommen haben, ist bei wirtschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen sehr selten eine eindeutige staatliche Verantwortung gegeben. In Deutschland wird das eher flexibel und unterschiedlich gehandhabt; dies ist auch in den anderen europäischen Staaten der Fall.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Gutting, Sie verzichten auf Ihre zweite Nachfrage. Die Frage 26 des Kollegen Hans-Josef Fell wird schriftlich beantwortet. Herzlichen Dank, Herr Staatsminister. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 27 des Kollegen Hans-Josef Fell wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 28 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch und die Frage 29 des Kollegen Peter Rzepka. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen beantwortet die Parlamentarische Staatssekretärin Marion CaspersMerk. Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Dr. Harald Terpe auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über aus finanziellen Gründen geplante Einschränkungen der Qualität der Behandlung von Opiatabhängigen in den Städten, die nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes, BtMG, eine Ausnahmegenehmigung zur Fortführung der Heroinbehandlung beantragt haben, und wie bewertet sie diese Einschränkungen im Hinblick auf die Ziele der Herointherapie? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor, Herr Kollege Terpe. Es ist klar: Wenn die betreffenden Städte das Modellprojekt fortführen wollen und einen Antrag an das BfArM stellen - diese Möglichkeit besteht -, dann gehört zur Prüfung die Einhaltung der Qualitätsstandards dazu, die bislang Voraussetzung für das Modellvorhaben waren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben keine Nachfrage dazu, Herr Terpe. Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Dr. Harald Terpe auf: Vizepräsidentin Petra Pau Plant die Bundesregierung, die finanzielle Unterstützung der beteiligten Heroinambulanzen bzw. Städte fortzuführen, und, wenn nicht, auf welche andere Weise will die Bundesregierung sicherstellen, dass neue Patientinnen und Patienten nicht aus finanziellen Gründen abgewiesen werden müssen bzw. die Behandlungsqualität eingeschränkt werden muss? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Terpe, die Bundesförderung für die am Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger teilnehmenden Städte soll unter den bisherigen Bedingungen bis Ende September 2007 verlängert werden; denn wir wissen, dass einige Städte nach dem Auslaufen der Modellphase einen Antrag an das BfArM stellen und weitermachen wollen. Deswegen ist für uns wichtig, dass die betreffenden Städte diese Möglichkeit bekommen. Darüber hinaus wird derzeit in intensiven Beratungen und Verhandlungen versucht, eine rechtlich tragfähige Lösung für die Fortführung zu finden. Aus diesem Grund haben wir den beteiligten Städten ein Signal geben wollen, das deutlich macht, dass die derzeitige Finanzierung bis Ende September 2007 fortgeführt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Terpe hat keine Nachfrage. Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Monika Knoche auf: Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass die positiven Ergebnisse der Arzneimittelstudie zum Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger nicht zu einer regelgerechten Zulassung von Diamorphin in die ärztliche Therapie führten, obwohl die Signifikanz dieser Therapieform deutlich die der allgemeinen Arzneimittelzulassung überschreitet? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Knoche, wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit den Diamorphinmodellprojekten das Thema „Diamorphin versus klassische Methadonbehandlung“ im Rahmen einer Arzneimittelstudie untersucht wird. Die Ergebnisse aus der Diamorphinbehandlung sind aus unserer Sicht signifikant besser gewesen. Aus diesem Grund gibt es Bestrebungen, eine rechtliche Grundlage für das Fortsetzen dieser Modellprojekte zu schaffen. Da wir derzeit noch in Verhandlungen sind - unter anderem gibt es Initiativen einiger Bundesländer hierzu, wie man der Presse gestern entnehmen konnte und die Länder noch prüfen, prüfen wir rechtliche Möglichkeiten zur Fortsetzung der Behandlung. Wie ich dem Kollegen Terpe gerade erläutert habe, haben wir aus diesem Grund die Finanzierungsvereinbarung bis Ende September 2007 verlängert. Wir gehen jetzt daran, eine rechtlich tragfähige Lösung zu erarbeiten. Unabhängig von rechtlichen Veränderungen ist es aber den Städten nach wie vor möglich, Anträge auf Fortsetzung der Behandlung beim BfArM zu stellen. Ich weiß, dass einige Städte bereits entsprechende Anträge gestellt haben und andere es planen, meiner Kenntnis nach auch Karlsruhe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, ich habe in der Tat noch eine Nachfrage. Habe ich die Intention, die Sie hier dargelegt haben, richtig verstanden, dass Sie durchaus erwägen, im September eine gesetzliche Änderung in den Bundestag einzubringen, um die Zulassung des Substitutionspräparates zu ermöglichen, oder wollen Sie lediglich eine Fortführung der nach den bestehenden Modellen derzeit laufenden Substitutionsbehandlungen ermöglichen? Wie ist Ihre Antwort zu verstehen? Planen Sie selbst eine gesetzliche Änderung?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst einmal, Frau Kollegin Knoche, haben die Städte jetzt die Möglichkeit, die Vorhaben fortzusetzen, indem sie einen Antrag beim BfArM stellen. Damit ist die Befürchtung vieler Städte, die Patientinnen und Patienten in den jetzt laufenden Verfahren könnten nicht mehr versorgt werden, ausgeräumt. Es können sogar - das zeigt der positive Bescheid des Antrags der Stadt Frankfurt - neue Patientinnen und Patienten in die Vorhaben aufgenommen werden. Darüber hinaus versuchen wir im Moment, über die Möglichkeit des einfachen Antrags hinaus, der den Modellstädten schon jetzt freisteht, gesetzlich oder untergesetzlich eine Änderung zu verabreden. Wie Sie wissen, haben wir in der Koalition über diese Frage noch keine Einigkeit erzielt. Wir prüfen zurzeit die Alternativen einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Neuregelung und haben aus diesem Grunde die Geltung der Finanzierung bis Ende September verlängert. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Knoche erhält Gelegenheit zu einer zweiten Nachfrage.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, ich habe zu meiner ersten Frage noch eine weitere Nachfrage. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass bezogen auf die klassischen Kriterien einer Arzneimittelstudie die Studie zur Heroinsubstitution signifikant bessere Merkmale aufweist, als es bei der Zulassung anderer Präparate, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, der Fall ist, und schließen Sie daraus nicht, dass im Sinne der Arzneimittelzulassungsgleichheit die Bundesregierung aufgefordert wäre, die gesetzliche Grundlage für die allgemeine Zulassung dieses Substitutionspräparates vorzunehmen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Den ersten Teil Ihrer Zusatzfrage beantworte ich mit Ja. Wir haben signifikant bessere Ergebnisse. Deswegen haben die Bundesregierung und auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung den Modellversuch positiv beurteilt. Um ein Modellvorhaben in eine Struktur der Substitutionsbehandlung einzupassen, müssen wir allerdings gesetzlich oder untergesetzlich Veränderungen vornehmen, und über diesen Punkt wird derzeit noch politisch diskutiert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun kommen wir zur Frage 33 der Kollegin Monika Knoche: Wie beurteilt die Bundesregierung die Ungleichbehandlung von Schwerstheroinabhängigen bei der wohnortnahen Diamorphinbehandlung, da es nur den ehemaligen Modellstädten möglich erscheint, eine Ausnahmegenehmigung des Amtes für Arzneimittelsicherheit zu erhalten? Frau Staatssekretärin, bitte.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Knoche, Ihre Annahme in dieser Frage ist unrichtig. Es ist grundsätzlich allen Schwerstopiatabhängigen, die in Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland versorgt werden, anheimgestellt, einen entsprechenden Antrag gemäß § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes auf der Basis des „öffentlichen Interesses“ bei der Bundesopiumstelle des BfArM zu stellen. Diese prüft, ob der Antragsteller die notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Ihre Annahme, dass dies nur auf Modellstädte begrenzt bliebe, ist also nicht richtig. Es könnten auch andere Städte einen solchen Antrag stellen. Sie müssen dann dieselben Prüf- und Qualitätskriterien erfüllen wie die Städte, die bereits an dem Modellvorhaben beteiligt waren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verstehe ich Sie richtig, dass es der Initiative weiterer Städte bedürfte, um analog den Kriterien der bisher im Modellprojekt befindlichen Städte verfahren zu können? Die zweite Nachfrage dazu gleich hinterher: Wäre es einem individuellen Patienten oder einer Patientin, der oder die mit Methadon nicht hinreichend versorgt werden kann, möglich, beim BfArM eine Einzelzulassung für eine Heroinsubstitution zu bekommen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Das waren zwei Fragen, die ich als zwei Zusatzfragen werte. Andere Städte - das hatte ich gerade gesagt könnten dieses Antragsverfahren aufgreifen. Die Initiative muss von der Einrichtung ausgehen. Die zweite Frage war, ob ein Individuum einen solchen Antrag stellen kann. Auch in diesem Fall müssten dieselben qualitativen Voraussetzungen erfüllt sein. Es kann nicht ein Einzelner sagen, er möchte ab sofort mit Diamorphin versorgt werden, sondern man müsste dieselben Kriterien prüfen, die man auch in den Modellvorhaben geprüft hat. Dazu gehören folgende Punkte: Wird Diamorphin - das macht den Stoff so problematisch - sicher verwahrt? Wie ist das Arrangement mit den anderen Substitutionseinrichtungen vor Ort? Es handelt sich um ein hochschwelliges Projekt, kein niedrigschwelliges. Man muss die Gesundheitsvoraussetzungen erfüllen, und es müssen zwei Therapien abgebrochen worden sein. Ferner gehören zu den Voraussetzungen das Mindestalter, die Soziotherapie und das Casemanagement. Es müssten alle Bedingungen erfüllt sein - die mit sehr hohen Auflagen verbunden waren -, die auch die am Modellversuch beteiligten Städte erfüllt haben. Es darf also keine Abstriche bei der Sicherheit und der Qualität geben. Ansonsten hat jede Einrichtung, jede Stadt und auch jeder Einzelne den Anspruch, dass sein bzw. ihr Antrag geprüft wird. Aber die Prüfkriterien sind sehr hoch, weil sie die Bedingungen des Modellversuchs als Prüfinhalt voraussetzen.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Habe ich noch eine Nachfrage?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie haben explizit zwei Fragen gestellt.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann bedanke ich mich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Omid Nouripour: Was hat die Bundesregierung bislang konkret unternommen bzw. was wird sie noch unternehmen, um dem Wunsch der hessischen Landesregierung und der am Modellprojekt der Heroinbehandlung beteiligten Städte für eine Weiterführung der Heroinbehandlung über den 30. Juni 2007 hinaus zu entsprechen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst möchte ich sagen, dass wir in einem engen Kontakt mit allen sieben Standorten des Modellvorhabens sind. Es finden regelmäßig Besprechungen und ein Austausch über die Ergebnisse und über die Arbeiten statt, die eine Fortsetzung ermöglichen. Sie wissen, dass die Bundesregierung auf Wunsch der beteiligten Bundesländer eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Erarbeitung von Eckpunkten für ein Gesetzesvorhaben eingesetzt hat. Das heißt, es wurde sehr wohl einiges unternommen, um eine Fortsetzung zu ermöglichen. Die Koalition diskutiert derzeit die Fortsetzung der Modellvorhaben. Unabhängig davon hat insbesondere die Stadt Frankfurt den Weg beschritten, die Antragstellung beim BfArM vorzunehmen: Sie war die erste Stadt, die beim BfArM einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Im öffentlichen Interesse ist die Fortsetzung des Modellvorhabens in Frankfurt sichergestellt. Darüber hinaus ist mir bekannt, dass sich die Hansestadt Hamburg gestern dahin gehend geäußert hat, eine Bundesratsinitiative starten zu wollen. Wir werden abzuwarten haben, ob diese Bundesratsinitiative von den anderen beteiligten Ländern unterstützt wird. Wir bieten im Haus nach wie vor Gespräche an; außerdem führen wir zurzeit Gespräche. Wir haben die Geltung der Finanzierungsstruktur nochmals verlängert, um Zeit für eine rechtlich einwandfreie Lösung zu haben. Der Bundesregierung liegt daran, den Anforderungen an die Qualität dieses Modellversuchs - ich verweise auf die Einschränkungen, die damit verbunden waren - auch in Zukunft voll und ganz gerecht zu werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine Bundesratsinitiative wurde nicht nur gestern von der Landesregierung Hamburg, sondern auch vorgestern von der Landesregierung Hessen unter Herrn Roland Koch beschlossen. Welcher Umgang mit dieser Bundesratsinitiative schwebt Ihrem Haus eigentlich vor?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Erstens. Wie ich bereits gesagt habe, sind alle Initiativen, die die Länder über den Bundesrat gestartet haben, auf die Vorarbeiten zurückzuführen, die die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern geleistet hat. Zweitens. Natürlich sind die Länder frei, Gesetzentwürfe über den Bundesrat einzubringen. Das legislative Verfahren wird nicht geändert werden. Man muss schauen, ob es im Bundesrat für dieses Ansinnen eine Mehrheit gibt. Falls das der Fall ist, wird sich der Bundestag mit diesem Ansinnen auseinanderzusetzen haben. Erst einmal haben wir es mit einer Ankündigung zu tun. Wir haben Zeit, die weiteren Schritte in aller Ruhe abzuwarten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine zweite Nachfrage, bitte.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ihr Hinweis darauf, dass Sie Zeit haben, die weiteren Schritte abzuwarten, veranlasst mich, eine weitere Frage zu stellen: Kann die Bundesregierung eigentlich zusichern, dass alle Anträge - weitere werden gestellt werden; davon kann man ausgehen - pünktlich mit Ablauf der Studienphase beschieden werden, sodass die abhängigen Patienten weiterhin ohne Verzögerung behandelt werden können?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, mir ist es ein sehr wichtiges Anliegen, dass wir niemanden, der an einem Diamorphinmodell erfolgreich teilgenommen hat, der vom Straßenheroin weggekommen ist, der also dabei ist, seine Sucht zu überwinden, alleinlassen. Wir möchten nicht, dass jemand in eine Situation kommt, in der die Fortsetzung des Modells ungewiss ist. Wie ich bereits zweimal erläutert habe, ist die finanzielle Beteiligung des Bundes fortgesetzt worden, um den beteiligten Städten die Möglichkeit zu geben, entsprechende Anträge zu stellen. Ich glaube, dass die Kommunikation mit den Städten wichtig ist. Es ist nicht so, dass die Städte jetzt alleingelassen werden oder dass ein Modellvorhaben abgebrochen werden muss. Wenn man weitermachen will, kann man selbst einen Antrag stellen. Prüfkriterien sind die hohen Anforderungen des Modellprojekts. Damit diese Beantragung und die Prüfung zeitlich parallelisiert werden - man will Luft haben -, wurde das ganze Verfahren verlängert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Alle Fragen, die heute gestellt worden sind, sind beantwortet. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 16.15 Uhr unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Notwendigkeiten einer zukunftsfesten Pflegereform im Verhältnis zu den pflegepolitischen Vorschlägen der Koalition Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Elisabeth Scharfenberg für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann verschiedene Bilder bemühen, um diese Pflegereform der Großen Koalition zu beschreiben, zum Beispiel: Der Berg kreißte und gebar eine Maus; nein, ein Mäuschen. Der Geburtstermin wurde mehrfach verschoben. Dann wurde ein Notkaiserschnitt gemacht. Bei den prominenten Geburtshelferinnen und -helfern haben wir alle, ehrlich gesagt, einen Wonneproppen erwartet. Das war leider vergeblich. ({0}) Wir können aber auch von ungedeckten Schecks reden, die diese Koalition ausstellt. Nicht zuletzt fallen mir die Potemkinschen Dörfer ein. Dieses Reförmchen ist tatsächlich nicht mehr als eine schön gemalte Kulisse im Bühnenbild Ihres KoaliElisabeth Scharfenberg tionsdramas. Ich bin sicher, dass dieses Bühnenbild beim nächsten politischen Sturm zusammenfallen wird. Frau Merkel ist auf anderer Ebene unterwegs. ({1}) Die führt auf dem außenpolitischen Parkett Regie und nicht hier. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, nachhaltig sollte diese Pflegeversicherung werden. Nun sehen wir, dass das, was Sie „nachhaltig“ nennen, in keinem Fall nachhaltig ist. ({2}) Gemessen an der Zeit, die Sie sich für diese Reform nehmen wollten und die Sie sich auch genommen haben - schließlich warten wir seit 2006 auf diese Reform -, haben wir schon eine etwas mutigere und auch eine große Reform erwartet. Das Gegenteil ist der Fall. ({3}) Auch die Medien sind sich da vollkommen einig. ({4}) In einem Artikel wurde diese Pflegereform völlig zu Recht als kaum verhüllte Fahnenflucht bezeichnet. Gestern hieß es in der „taz“ auf der ersten Seite treffend: Die Wirklichkeit ist der Politik weit voraus. - Genau das ist der Punkt. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, fliehen vor der Verantwortung, die Sie so dringend haben wollten. Faktisch haben Sie eine wirkliche Reform auf die nächste Wahlperiode verschoben. ({5}) Union und SPD reformieren erneut mit schwarzen und roten ideologischen Scheuklappen - und das, weil beide Seiten einfach auf die nächste Wahl warten. Das ist Ihr Begriff von Nachhaltigkeit, verehrte Kolleginnen und Kollegen: bis zur nächsten Wahl und keinen Schritt weiter. ({6}) Sie speisen Millionen von Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegekräften mit kleinen Häppchen ab, obwohl Sie ganz genau wissen, dass von diesen Häppchen niemand satt wird. Frau Ministerin Schmidt, ich nörgele nicht nur herum. Ich habe gegen einige Ihrer Leistungsverbesserungen überhaupt nichts einzuwenden. Manche sind wirklich durchaus sinnvoll. ({7}) Aber ich frage mich: Soll das alles gewesen sein? ({8}) Wie geht es weiter? Sie drücken sich vor den entscheidenden Fragen, nämlich: Wie können wir im Zuge der demografischen Veränderungen eine menschenwürdige und nutzerorientierte Pflege sicherstellen? Wie kommen wir weg vom Verrichtungsbezug der Pflegeversicherung und hin zu einem umfassenden Begriff der Pflegebedürftigkeit? Wie kommen wir zu einem Pflege- und Hilfemix, der den Lebensentwürfen der Menschen, also auch uns allen hier, entspricht? Diese Fragen werden uns alle die nächsten Jahre begleiten. Alle diese Fragen sind bereits gestellt. Die Antworten können wir nicht erst in ein paar Jahren geben, vielleicht erst nach der nächsten Bundestagswahl. ({9}) Drücken Sie sich nicht, und stellen Sie sich endlich ihrer Verantwortung! Wir brauchen eine umfassende Reform. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie berufen sich immer wieder auf Ihren Koalitionsvertrag, aber schon bei Ihrem Koalitionsvertrag musste man sich fragen, wohin dieses Abenteuer wohl führen wird. Was ist denn nun mit der Demografiereserve? Was ist denn nun mit dem Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung? Mit diesem Koalitionsvertrag nahm das Chaos seinen Lauf. Mit der Föderalismusreform zum Beispiel haben Sie das Heimrecht regelrecht an die Länder verhökert. Aber: „Schlimmer geht immer“ ist das Motto dieser Großen Koalition. Sie schieben die elementar wichtige Überarbeitung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit so weit vor sich her, dass wir in dieser Legislatur ohnehin nicht mehr mit Ergebnissen rechnen. Stattdessen sollen demenziell Erkrankte, und zwar nur demenziell Erkrankte, pauschale Mehrleistungen bekommen. ({10}) Sie denken nicht an Behinderte, Sie denken nicht an psychisch Kranke. Ich werfe das hier nur so ein. ({11}) Das kann man so machen, aber ich sage Ihnen: Das löst das dahinterstehende strukturelle Problem nicht. Das ist uns zu wenig. Sie haben die wirkliche Dimension des Themas Pflege nicht begriffen. Das wird deutlich, wenn von führenden Vertretern der Koalitionsparteien zu hören ist, es bestehe derzeit kein unmittelbarer Handlungsdruck, die Konjunktur laufe ja so gut. Dazu muss ich sagen: So viel Dreistigkeit können Sie sich offenbar aufgrund Ihrer Stimmenmehrheit zwar leisten, peinlich bleiben solche Äußerungen trotz allem. Politik soll sich an Menschen und nicht an machtverliebten oder - vielleicht sollte ich das besser sagen machtbesessenen Politikern orientieren. Ihre Pflegepoli10680 tik hat mit Weitblick und Nachhaltigkeit überhaupt nichts zu tun. Vielen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Annette Widmann-Mauz für die Fraktion CDU/CSU.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank, Frau Scharfenberg, dass Sie uns heute die Möglichkeit geben, die Beschlüsse der Großen Koalition bei erstbester Gelegenheit im Parlament vor dem Hohen Hause auch darzustellen. Das will ich sehr gerne tun. ({0}) Gerade Sie als Vertreterin der Fraktion der Grünen müssen sich ja schon fragen lassen, warum Sie unsere Beschlüsse derart kritisieren, nachdem Sie selber während der sieben Jahre Rot-Grün nichts gemacht haben. ({1}) Sie haben doch regiert. Warum beschreiben Sie hier ein Koalitionstheater? Ihr Drama dauerte sieben Jahre lang, und es ist nichts passiert. Die Kulissen können wir heute noch in der Abstellkammer bewundern. Es wurde nichts von dem Wirklichkeit, was Sie immer wieder hier im Parlament anmahnen. Was haben Sie denn getan, um den Pflegebegriff zu erweitern? ({2}) - Frau Künast, Sie sollten wissen: Politik wird immer noch mit dem Kopf und nicht mit dem Kehlkopf gemacht. Also bitte erst einmal zuhören. - Sie haben doch nichts für die Reform des Pflegebegriffs getan. Sie haben so gut wie nichts für die Demenzerkrankten bewirkt. Wir, die Große Koalition, wir handeln. Mehr als 1 Million altersverwirrte Menschen werden ab dem nächsten Jahr bis zu 2 400 Euro im Jahr an Unterstützung erhalten, ({3}) und zwar unabhängig, ob sie bereits heute in eine Pflegestufe eingestuft sind oder nicht. Sie haben immer nur groß herumgeredet, aber an dieser Stelle haben Sie überhaupt nichts gemacht. ({4}) Wir machen Politik für die Menschen. Wir tun etwas für die Demenzerkrankten und Altersverwirrten sowie ihre Familien. Wir lassen sie mit ihrem schweren Schicksal nicht im Regen stehen. Zugleich schaffen wir dafür die Voraussetzung, dass dann, wenn die Arbeitsgruppe zur Neudefinition des Pflegebegriffs ihre Arbeit beendet hat, sofort in eine Reform eingestiegen werden kann. Wir warten nicht ab, sondern handeln bereits in der Zwischenzeit. Sie müssen sich auch fragen lassen, was Sie getan haben, um den Wertverfall der Leistungen der Pflegeversicherung seit ihrer Einführung zu bekämpfen. Ich habe nichts wahrgenommen. Der Gegenwert wurde geringer und geringer. Sie wissen, dass der Realwert um 13 Prozent gesunken ist und die Belastungen für die Kommunen im selben Zeitraum kontinuierlich angestiegen sind. ({5}) Immer mehr Menschen sind nämlich wieder sozial bedürftig geworden und waren damit auf entsprechende Hilfen angewiesen. Sie haben nichts dagegen getan. ({6}) Wir lassen die Menschen nicht im Stich, sondern heben die Pflegegeldleistungen für ambulante Pflege in allen Stufen und für die Stufe III im stationären Bereich kontinuierlich an. Wir werden außerdem dafür sorgen, dass ab dem Jahr 2015 ein Inflationsausgleich etabliert wird. Was haben denn die Grünen während ihrer Regierungszeit getan, damit zum Beispiel Familienangehörige eine vorübergehende Auszeit bei der Erwerbsarbeit nehmen können, um Angehörige zu pflegen? Sie haben überhaupt gar nichts getan. Sie haben die Menschen wie auch sonst so oft im Stich gelassen. ({7}) Sie haben große Ankündigungen gemacht, aber erst die Union hat im Rahmen der Großen Koalition Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht und verabschiedet, die es Menschen ermöglichen, eine Auszeit vom Berufsleben zu nehmen und sich bis zu sechs Monate um ihre Angehörigen zu kümmern. ({8}) Das ist richtig, und die Große Koalition deckt hiermit eine große Lücke ab, deren Schließung sehr wichtig ist. ({9}) Was haben denn die Grünen getan, um zum Beispiel den Grundsätzen „ambulant vor stationär“ oder „Reha vor Pflege“ gerecht zu werden? Wir gehen hier voran. ({10}) Wir schaffen kommunale Pflegestützpunkte, wir wollen integrierte, wohnortnahe Versorgungs- und Betreuungsangebote etablieren. Wir werden Fallmanager bei den Kassen etablieren, damit die Menschen einen Ansprechpartner haben, der ihnen hilft, genau die Pflege zu erhalten, die notwendig ist. Wir werden Angebote und Vorschläge zum Abbau von Schwarzarbeit und Illegalität vorlegen. Vor allen Dingen gehen wir mit unseren Vorschlägen, um die Rehabilitation zu stärken, erfolgsorientiert an Pflege heran. Wir entlohnen nicht nur dafür, dass gearbeitet wird, sondern wir belohnen, wenn erfolgreiche Pflege zu einer Herabstufung führt. Das ist erfolgsorientierte Pflege, das kommt bei den Menschen an, und darum kümmern wir uns ganz besonders. Die Grünen und Sie, Frau Verbraucherschutzministerin a. D., haben doch immer große Töne gespuckt, wenn es um Transparenz ging. Dabei denke ich an Gesetzentwürfe, die Sie hier wortstark vertreten haben. Die Große Koalition wird jetzt hier in diesem Haus die Ergebnisse des Medizinischen Dienstes in Bezug auf ambulante und stationäre Formen der Pflege in einer patientengerechten, verbraucherfreundlichen Sprache veröffentlichen. Das hilft den Menschen und bringt die Klarheit, die nötig ist, um Missstände in der Pflege besser verhindern zu können. ({11}) Zu dem letzten Vorwurf kann ich nur sagen: Sie haben immer gesagt, die Nachhaltigkeit fehle. Sie haben in Ihrer Regierungszeit die Beiträge um 0,25 Beitragspunkte erhöht, aber den Menschen nicht wie die Große Koalition gleichzeitig eine Entlastung bei der Arbeitslosenversicherung gegeben, überhaupt nichts davon. Sie haben keine Verbesserung bei den Leistungen erreicht. Es ist schon ziemlich mutig, hier die Backen so aufzublasen, aber die Hausaufgaben in sieben Jahren nie erledigt zu haben. Wir gehen die Pflegereform an, und wir kommen einen deutlichen Schritt voran. Wir nehmen die Verantwortung im Interesse der Menschen in unserem Land wahr. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Heinz Lanfermann für die FDPFraktion das Wort. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle Versuche des Schönredens nützen nichts; die Schlagzeilen sehen anders aus: ({0}) „Jungpolitiker verreißen Pflegereform“. Das sind welche aus der Union, aber von ihr spricht ja nachher noch einer. Eine Chance wurde kläglich verpasst, sagte Professor Raffelhüschen, ({1}) und tatsächlich ist die Finanzreform der Pflegeversicherung kläglich gescheitert. ({2}) Die Gesundheitsministerin Schmidt ist gescheitert, und dies ist auch der Anfang des Scheiterns dieser Koalition. Meine Damen und Herren, vor einem Jahr, im Juli 2006, sagte die Kanzlerin: Wir werden die Pflegeversicherung im nächsten Jahr reformieren, aber Beitragserhöhungen stehen nicht auf der Tagesordnung. ({3}) O-Ton Merkel; versprochen, gebrochen. ({4}) In der Koalitionsvereinbarung wurde Nachhaltigkeit versprochen - keine Spur davon. Tatsächlich ist es so, wie Ministerin Schmidt sagt: Dieser Kompromiss ist wegweisend. Das finde ich auch; ({5}) allerdings führt der Weg in den finanziellen Abgrund. ({6}) Eines ist doch klar: So schön es sich anhört und so nett es für die Betroffenen auch ist, mehr Leistungen bedeuten mehr Beitrag. Jetzt ist es so gerechnet, dass es sich deckt. In 20, 30 Jahren deckt es sich im Umlagesystem überhaupt nicht mehr, weil es dann viel mehr Leistungsempfänger geben wird, übrigens insbesondere Demenzkranke, aber viel weniger Menschen, die die Beiträge dafür aufbringen. Deswegen darf ich ein weiteres Zitat bringen, diesmal von Professor Rürup, auf den Sie sonst eigentlich zu hören pflegen. Er hat gesagt: Durch die jetzigen Beschlüsse wird die Finanzierung der Pflegeversicherung nicht nachhaltiger, im Gegenteil. Die Umverteilung zwischen den Generationen zulasten der Jungen nimmt noch zu. ({7}) Damit wird die Reform der Finanzierungsseite, die auf jeden Fall kommen muss, schwieriger. Die Finanzierungsfrage wird der Politik Ende der nächsten Wahlperiode wieder vor die Füße fallen. Mit der Verschiebung einer Finanzreform verschenkt die Koalition wertvolle Jahre. Das wird aber die Hälfte von Ihnen nicht mehr betreffen. Sie wissen nur noch nicht, welche. ({8}) Meine Damen und Herren, wir sprechen hier nicht über Kleinigkeiten. Nach den Berechnungen des Forschungszentrums Generationenverträge, vor einigen Wochen von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft veröffentlicht, wird vor Umsteigen auf Kapitaldeckung bei durchschnittlicher Demografieentwicklung jeden Tag ein Wert von 29 Millionen Euro verloren. ({9}) Das kann man gar nicht oft genug wiederholen. So viel wird jetzt an zukünftigen Schulden aufgebaut, die dann von den jungen Generationen bezahlt werden müssen. Frau Ministerin, das können Sie im Kopf ausrechnen: 29 Millionen Euro pro Tag bedeuten über 10,5 Milliarden Euro im Jahr. Wenn Sie die Reform, die Sie versprochen haben, nicht bis 2008 hinbekommen, dann kommt sie frühestens 2011. Bis dahin vergehen noch drei Jahre; das sind also 30 Milliarden Euro. Sie stehen jetzt auf Ihrem Konto als Schuld gegenüber der jüngeren Generation. ({10}) Ihre Taktik, meine Damen und Herren von der SPD, entspringt ideologischer Verklemmung. ({11}) Sie haben die junge Generation als Geisel genommen. Sie haben den Aufbau von Kapitaldeckung verhindert; Ihre geplante Finanzverschiebung von privater zu sozialer Versicherung ist lediglich eine Fata Morgana und funktioniert nicht. ({12}) Sie funktioniert von Verfassungs wegen nicht; ({13}) das hat das Innenministerium Ihnen klar und deutlich aufgeschrieben. Das Justizministerium hat es etwas verbrämter dargestellt. ({14}) Aber Sie wollen immer noch Rücklagen wegnehmen, die in der Pflegeversicherung gebildet werden, damit die Menschen, die dort versichert sind, ihre Pflegeleistungen im Alter mit Sicherheit bekommen, ohne überhöhte Beiträge zu zahlen. Damit wollen Sie die kranke Pflegeversicherung sanieren. Sie ist aber deswegen krank, weil das Umlagesystem zu Beiträgen von 4, 5 oder mehr Prozent führt. Sie wissen ganz genau, dass Sie diesen Prozess noch verstärken. Sie haben die finanzielle Katastrophe jetzt noch vergrößert. ({15}) Die Pflegeversicherung ist ein Haus, das auf Sand gebaut ist. ({16}) Statt ihm jetzt ein neues Fundament zu geben, machen Sie einen Anstrich, setzen noch ein Stockwerk drauf und verkaufen das als große soziale Leistung und Reform. Eines sage ich Ihnen, auch den Grünen: Auch die Bürgerversicherung ist keine nachhaltige Lösung. Da sind die Finanzierungswege zwar andere - Sie wollen ja auch auf Zinsen und Mieten, die vielleicht nebenbei mit einem Häuschen eingenommen werden, zugreifen -; ({17}) aber es ist und bleibt ein Umlagesystem, und das Verhältnis von Jungen zu Älteren verändert sich nicht, nur weil Sie vielleicht eine Bürgerversicherung einführen. Das wird Ihnen - Gott sei Dank - auch nicht gelingen; da sind auch wir davor. ({18}) Diese Bürgerversicherung ist ein Umlagesystem und deswegen genauso schädlich und nicht zukunftssicher. ({19}) Deswegen empfehle ich Ihnen zum Abschluss dieser Rede dringend: Lesen Sie den Beschluss des FDP-Bundesparteitags in Stuttgart am letzten Wochenende. ({20}) Der Antrag war so gut, dass er sogar einstimmig angenommen wurde. Das ist bei uns sehr selten; das geschieht nur, wenn wirklich alles stimmt. In diesem Beschluss ist der Übergang auf ein prämienfinanziertes, kapitalgedecktes System vorgesehen, mit dem die Abhängigkeit von den Löhnen und von Konjunktur beseitigt wird und durch das den jungen Leuten die Chance gegeben wird, für ihre eigenen Pflegekosten, die sie eventuell im Alter haben, vorzusorgen. Das ist der Weg der Zukunft. Sie haben jetzt dafür gesorgt, dass es einige Jahre länger dauert, bis wir das verwirklichen können. Wir werden trotzdem weiter daran arbeiten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({21})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Frau Ulla Schmidt das Wort. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lanfermann, während Ihrer Rede war ich sehr froh darüber, dass nicht die überwiegende Mehrheit in diesem Land die Auseinandersetzung zwischen den Generationen so betreibt, wie Sie es hier dargestellt haben. ({0}) Man darf die junge Generation nicht vergessen. Nur, bei aller Diskussion - auch ich bin sehr für Nachhaltigkeit bitte ich, dass nicht vergessen wird, dass die Jungen davon profitieren, dass die Alten dieses Land aufgebaut haben. ({1}) Vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit und damit die jüngere Generation die Belastungen in Zukunft tragen kann, müssen wir - zum Beispiel durch Investitionen in Prävention, in Rehabilitation, durch bessere Strukturen und Effizienz in den Bereichen des Gesundheitswesens, aber auch der Pflege - dafür sorgen, dass möglichst jeder Euro zielgenau ausgegeben wird. ({2}) - Das kommt. - Die Frage ist, wohin man gehen muss. Aber hier so zu tun, als ob wir eine Politik in der Form machen, dass die Älteren auf Kosten der Jungen leben, weise ich zurück; denn dies wird den älteren Menschen, die in diesem Lande leben, überhaupt nicht gerecht. Das ist nicht unsere Politik. ({3}) Dies ist Gott sei Dank auch nicht die Auffassung der Mehrheit der jüngeren Generation, wenn solche Diskussionen geführt werden. Die Reform der Pflegeversicherung, das, was wir auf den Tisch legen, ist sogar ein Thema sowohl der jüngeren als auch der älteren Generation; denn die ältere Generation hat ein erhöhtes Risiko, pflegebedürftig zu werden. Frau Kollegin Scharfenberg, noch vor zwei Wochen haben Sie gesagt: Es geht nicht um Ökonomie, sondern um die Menschen und die Versorgung. Da gebe ich Ihnen recht. Aber man muss auch dabei bleiben, wenn man sich darüber auseinandersetzt, was getan werden muss. Wir wollen für diejenigen, die einen erhöhten Hilfebedarf haben, die Leistungen dort ergänzen, wo wir aufgrund der Diskussionen der letzten Jahre wissen, dass sie nicht ausreichend sind. Wir wissen, dass es bei vielen einfachen Dingen Probleme gibt: An wen wendet man sich eigentlich, wenn jemand in der Familie pflegebedürftig wird? Wo finde ich Ansprechpartner? Diese sind nicht in allen Kommunen so ohne Weiteres zu finden. Wo gibt es Menschen, die mich beraten, was ich vom Krankenhaus bis dahin mache, wo die Pflege zu organisieren ist? Wir wollen dazu quartiersnah Pflegestützpunkte aufbauen. Wir wollen, dass dort wirklich Pflegemanagement betrieben wird. Wir wollen, dass dort Fallmanager oder Fallmanagerinnen angesiedelt sind, die sowohl denjenigen, der gepflegt werden muss, als auch die Angehörigen sehr eng begleiten. Auch die junge Generation ist darauf angewiesen, dass sie diese Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen findet, wenn sie - das wünscht niemand - für ihre Eltern oder im Verwandtenkreis Pflege organisieren müssen. Wir wollen, dass es keine Schnittstellenprobleme mehr gibt, sondern dass wir Unterstützung zu Prävention und Rehabilitation gewähren. ({4}) Weil wir wollen, dass so viel wie möglich in die Rehabilitation eines älteren Menschen, der pflegebedürftig ist, investiert wird, haben wir schon mit der Gesundheitsreform unabhängig vom Alter einen Rechtsanspruch auf Rehabilitation eingeführt. ({5}) Mit der Pflegeversicherungsreform werden wir Mechanismen einbauen, sodass die Ansprüche auf Rehabilitation auch umgesetzt werden, weil sonst die Krankenkassen an die Pflegekassen einen Ausgleich zahlen müssen, damit es dort organisiert wird. Wir wollen, dass diejenigen im professionellen Sektor, die durch gute Rehabilitation Menschen dazu bringen, dass für sie vielleicht eine Pflegestufe niedriger notwendig ist, nicht noch finanziell bestraft werden, sondern Übergänge organisiert werden. Da sind viele weitere Dinge zu nennen. Wer sagt: „Es geht um die Menschen“, sollte sich das Eckpunktepapier ansehen. Ich sage Ihnen: Ich habe mir vieles angeschaut und viele Diskussionen mit den Sozialverbänden, mit Vertretern von Einrichtungen, mit denjenigen, die an Modellversuchen teilnehmen, und Familien geführt, die einen demenziell Erkrankten zu Hause haben, bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gehen und im Grunde genommen selber krank werden, weil sie zu wenig Unterstützung und Hilfe haben. Jetzt kann man darüber reden, dass bis zu 2 400 Euro im Jahr für Demenzkranke zu wenig sind. Sie finden immer einen Grund dafür, dass man auch doppelt so viel Geld geben kann. Aber der Weg, den wir hier gehen, nämlich dass wir nicht nur für altersverwirrte Menschen, sondern auch für psychisch kranke Menschen und geistig behinderte Menschen - Gott sei Dank gibt es eine solche erste Generation in diesem Lande; im Nationalsozialismus wurden sie noch brutal ermordet - bis zu 2 400 Euro, wenn keine Eingruppierung in eine Pflegestufe notwendig ist, vorsehen, ({6}) um eine Betreuung zu organisieren, ist richtig. Wir sagen aber auch: ({7}) Dort, wo körperliche Pflege und Betreuung zusammentreffen, wird dieses Geld additiv zur Pflegestufe hinzugefügt. Auch diese Leistungen werden wir anheben. ({8}) Wir werden noch etwas tun, um Familien, die diese schwere Arbeit zu Hause verrichten, zu entlasten: Die Kombination aus häuslicher Pflege und Inanspruchnahme von Tagespflege wird gestärkt. Die Menschen, die zu Hause pflegen, brauchen manchmal Zeit, um Kraft zu tanken, um sich zu erholen, damit sie diese schwere Aufgabe erfüllen können. Wir fördern die Tagespflege, indem wir bei häuslicher Pflege plus Tagespflege 150 Prozent der Leistungen geben. Sie sagen, das seien alles kleine Mäuse. Ich sage Ihnen einmal etwas: Für die Betroffenen sind es keine kleinen Mäuse, wenn sie in ihrem Wohnviertel Beratung erhalten, dort Menschen finden, die ihnen helfen, ihre Ansprüche durchzusetzen, die wissen, wann die häusliche Krankenpflege kommt und wann die Pflegeversicherung eintreten muss, die dafür sorgen, dass eine verordnete Rehabilitation auch wirklich in Anspruch genommen werden kann, wenn Menschen das ehrenamtliche Engagement unterstützen und Kurse angeboten werden, damit denen, die zu Hause betreuen, die notwendige Hilfe angeboten werden kann. Das hat nichts mit „Mäuschen“ zu tun, sondern ist gelebte Hilfe und Unterstützung, damit die Menschen die Aufgaben, die sie heute erfüllen, auch künftig wahrnehmen können. Davon lebt diese Gesellschaft; um das einmal zu sagen. ({9}) Wir verbinden das mit unseren Berichten über Qualitätssicherung, Transparenz und Einzelkräfte. Wir wollen die Möglichkeit schaffen, das Geld quasi in einem Pool zusammenzufassen, damit Schluss damit ist, dass, wenn in einem Haus vier Pflegebedürftige leben, aus allen vier Richtungen jeweils ein Pflegedienst kommt. So wird nämlich nur viel Geld für Fahrtkosten ausgegeben, aber es bleibt zu wenig Zeit für Zuwendung. Wir müssen neue Angebote schaffen. Die ambulanten Pflegedienste müssen besser kooperieren, weil das zu einer besseren Qualität der Pflege führt: mehr Zeit, mehr Gesicht, mehr Zuwendung. Diese Dinge kosten zwar nicht viel Geld, haben aber viel mit Umstrukturierung zu tun. Geld kosten die Leistungen für Demenzkranke und die Dynamisierung, die wir erreichen wollen, damit die Arbeit der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, auf Dauer finanziert werden kann. Deswegen haben wir zwei weitere Entscheidungen getroffen: Erstens. Die Mittel für Leistungen im ambulanten Bereich werden angehoben, ohne dass die Mittel für die Leistungen im stationären Bereich gesenkt werden; wir brauchen nämlich in beiden Bereichen Verbesserungen. ({10}) Zweitens. Die Beitragssatzerhöhung um 0,25 Prozentpunkte. Auf 1 000 Euro sind das 2,50 Euro. Das ist gut angelegtes Geld. Mit diesem Geld können wir die Leistungen bis 2014 finanzieren. Wir arbeiten an einer Neudefinition des Pflegebegriffs. Mit der Betreuung unternehmen wir den ersten Schritt. Auch die anderen Fragen, zum Beispiel, wie man zu einem gerechteren Finanzausgleich zwischen privater und gesetzlicher Versicherung kommen kann, bleiben auf unserer Tagesordnung, auch auf meiner persönlichen. Es ist aber nicht entscheidend, diese Fragen jetzt zu lösen. Jetzt müssen wir uns darum kümmern, dass es den Menschen, die gepflegt werden müssen, besser geht und diejenigen, die pflegen, unterstützt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Struktur erhalten bleibt, damit wir auch in zehn, 20 und 30 Jahren ein Angebot haben. Das sind die Aufgaben, denen sich die Große Koalition stellt. Sie sollten sich unsere Vorschläge einmal genauer anschauen. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, ich würde Sie für Ihre kleinen Schritte furchtbar gern loben - auch kleine Schritte können gut sein -, aber ich kann nicht erkennen, in welche Richtung es geht. Das ist das Problem. Es bleibt doch alles beim Alten. Sie sagen nicht und Sie schreiben es auch in kein Gesetz hinein, dass es um die Ermöglichung von Teilhabe gehen muss und nicht um „satt und sauber“. Das bleibt doch alles unverändert. Sie sagen: Nachdem wir alles gemacht haben, wollen wir einen neuen Pflegebegriff einführen. Gerade das ist aber falsch. Dann erzählen Sie hier voller Inbrunst, dass durch Prävention und Rehabilitation Pflegbedürftigkeit vermieden bzw. hinausgezögert werden kann. Ja gerne, prima! Dafür bin auch ich. Aber wo ist denn Ihr Präventionsgesetz? Es ist ja nicht einmal vorgesehen, eines vorzulegen. ({0}) In welche Richtung wollen Sie gehen? Das ist nicht zu erkennen. Ich freue mich über jede Verbesserung, selbst über die mickrigen 10 Euro, die Sie den Menschen pro Pflegestufe drauflegen wollen. Denn ich weiß: Die Betroffenen brauchen das dringend. Aber damit lösen Sie nicht ein einziges Problem. Sie gleichen ja nicht einmal den Inflationsverlust aus, der in den letzten zwölf Jahren eingetreDr. Ilja Seifert ten ist, geschweige denn, dass irgendeine Verbesserung möglich wäre. Dann das Tollste: Jetzt haben wir endlich die dementen Menschen einbezogen. Na, prima! Aber wie denn, bitte schön? Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Wer mit dementen Menschen in seiner Familie zu tun hat, der weiß, dass das Allerwichtigste Kontinuität ist. Sie müssen immer wieder die gleichen Handlungen durchführen können. Man muss sie immer wieder anleiten, diese selber zu machen, damit sie sich in ihrer Lebenswelt zurechtfinden. Jetzt geben Sie den Menschen maximal 2 400 Euro. Das klingt ja richtig gut, aber das sind pro Tag 7 Euro. Sie geben den Menschen pro Tag maximal 7 Euro in die Hand. Was kann ich dafür an Erleichterung - das war ja Ihr Ziel - für die Angehörigen schaffen? Nichts. Im Gegenteil: Wenn wirklich jemand ambulante oder teilstationäre Leistungen in Anspruch nimmt, also seinen dementen oder psychisch kranken Angehörigen für einen halben Tag oder vielleicht auch für einen Dreivierteltag - so weit reicht das Geld vielleicht mit Mühe und Not in eine tagesstrukturierende Einrichtung gibt, ist das Ergebnis, dass er verwirrter zurückkommt, als er hingegangen ist. Mit anderen Worten: Die sich gerade erholt habenden Angehörigen haben es anschließend noch schwerer, dem Dementen die Handlungen, die er sich gerade vorher angewöhnt hat, wieder beizubringen. Wenn es schlecht kommt, schaden diese 7 Euro mehr, als sie nutzen. Das Allerbeste, was passieren kann, ist, dass die Leute sozusagen wenigstens 200 Euro mehr in ihrer Familienkasse haben. Aber das ist nicht der Sinn der Pflegeversicherung. Deswegen ist die Richtung falsch. ({1}) Ich will noch ein Wort zur Finanzierung sagen. Darüber rede ich immer als Letztes. Erst muss man sagen, wofür man das Geld eigentlich braucht. Wenn Sie, Herr Lanfermann, die Generationen hier so gegeneinander aufhetzen, dann müssten Sie zumindest hinzufügen, dass die Alten diejenigen sind, die die 0,25 Prozent hundertprozentig zahlen; die Jungen kriegen wenigstens die Hälfte abgezogen. Mindestens das müssten Sie sagen. Die jetzigen Rentnerinnen und Rentner sind am meisten in den Hintern gekniffen. - Entschuldigung, Frau Präsidentin, dass ich dieses Wort benutzt habe. ({2}) - Ich habe ja sofort um Entschuldigung dafür gebeten. Ich möchte noch etwas sagen. Wir tun hier immer so, als ob es sich bei der Pflege - ich spreche lieber von Assistenz -, die die Menschen brauchen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, immer um Pflege für Menschen handelt, die bald sterben. Ja, das ist ein wichtiger Teil. Ich finde, es ist sehr wichtig, dass an dieser Stelle gute Hilfe zur Verfügung steht, entweder aus der Familie oder von anderer Seite. Aber es gibt viele Menschen, zum Beispiel mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten, die in jungen Jahren durchaus berufstätig sein wollen, obwohl sie inkontinent sind, obwohl sie Pflege bzw. Assistenz brauchen. Sie kommen in diesem Denken überhaupt nicht vor. ({3}) - Moment, das ist ja nun das Allerletzte. Dafür braucht man ein Nachteilausgleichsgesetz; das weiß ich auch. Aber wenn wir diese Menschen schon in die Pflegeversicherung einbeziehen, dann müssen wir es richtig machen. Deswegen sage ich Ihnen ausdrücklich: Lassen Sie uns den Zweck benennen! Die UNO-Konvention für die Rechte behinderter Menschen gibt den Weg vor. In ihr steht, was die Staaten zu tun haben, damit Menschen mit Behinderungen in ihrem Lande am öffentlichen Leben teilhaben können. Die behinderten Menschen sollen sich nicht den öffentlichen Einrichtungen anpassen müssen, sondern umgekehrt. Tun Sie das bitte schön. Darum geht es. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Zu tun bleibt noch vieles. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Willi Zylajew für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Grünen werden nicht müde, uns das abzuverlangen, was sie selbst nicht geleistet haben. Frau Scharfenberg, wenn man das Bühnenbild der letzten, der 15. Wahlperiode betrachtet, muss man sagen: Die Grünen waren nicht einmal Kulissenschieber. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. ({0}) Auf der Tribüne saßen vorhin einige Besucher - wie ich sehe, sind sie jetzt nicht mehr anwesend -, ({1}) die sich hoffentlich noch an die Antworten erinnern, die Sie in den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit gegeben haben. Ich stelle fest, dass die Grünen offensichtlich nicht einmal den Unterschied zwischen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung kennen. ({2}) - Verehrter Herr Kollege, wir haben die Eingliederungshilfe entwickelt, um den Behinderten eine gute Unterstützung zu bieten. Ich formuliere es einmal sehr dras10686 tisch: Grundsätzlich sind Behinderte nicht im klassischen Sinne pflegebedürftig. Vielmehr benötigen sie eine gute Eingliederungshilfe. Den Umfang dieser Leistungen werden wir nicht schmälern. ({3}) - Es mag sein, dass die FDP das gerne tun würde. Dazu sage ich nur: Nicht mit uns. Herr Kollege Seifert, ich lege Wert darauf, dass sich die Behinderten und die Pflegebedürftigen auf uns verlassen können. Wir geben Antworten auf ihre Fragen. Derzeit geben wir für den ambulanten Bereich 6,4 Milliarden Euro aus; das ist die größte Verbesserung. Den Umfang der Geldleistungen erhöhen wir je nach Pflegestufe um bis zu 15 Prozent - Frau Künast, wenn Sie nicht so laut plappern würden, könnten Sie die Zahlen, die ich nenne, hören -, den der Sachleistungen um fast 20 Prozent. Sie sagen, das sei nur eine Kleinigkeit und nicht sehr bedeutend, da es nur ein paar Euro pro Tag ausmache. Natürlich geht es nur um ein paar Euro. Aber ich bin sicher, dass die Menschen das zu schätzen wissen. ({4}) Um den Zuruf von Frau Künast aufzugreifen, sage ich: Wir sind nicht feige, sondern wir handeln. Wir geben den Menschen das Geld, das sie benötigen. Wir bauen die Bürokratie ab. Wir wollen gegen den durch die Bürokratie verursachten Arbeitszeitdiebstahl vorgehen. Wir wollen mehr unangemeldete Kontrollen als lange vorbereitete Kontrollen. Wir wollen die zum Teil völlig unsinnigen Hürden zwischen ambulant und stationär abbauen; das werden wir mit dieser Reform tun. Wir werden dafür sorgen, dass die Menschen, die in ihrer Familie helfen müssen, einen Rechtsanspruch auf Pflegezeit bekommen; das ist uns wichtig. ({5}) Zu den Regelungen zur Kurzzeit- und Tagespflege. Verehrter Herr Dr. Seifert, ich verstehe nicht, dass Sie sagen, ein Tagespflegeangebot für Demente sei keine Hilfe. Sie leben offensichtlich in einer anderen Welt als ich. Die Angehörigen der Dementen, die ich kenne, hätten gerne die Möglichkeit, Tagespflege in Anspruch zu nehmen, um selbst eine Entlastung zu erfahren. Das Angebot der Tagespflege für Demente ist für Sie nichts? Bei all Ihrem Engagement muss ich sagen: An dieser Stelle verstehe ich Sie wirklich nicht. Wir werden uns mit dem Thema neue Wohnformen beschäftigen. ({6}) Da sie von allen Seiten propagiert werden, möchte ich mich dazu äußern, wie die neuen Wohnformen aussehen könnten. ({7}) - Wir sind auch auf Ihre Vorschläge gespannt. Bringen Sie Ihren Sachverstand doch ein! Versuchen Sie einmal, auf vernünftige Weise mit uns zu diskutieren, statt immer nur dazwischenzurufen! ({8}) In jedem Wohnquartier wird es in Zukunft wohnortnahe Stützpunkte geben; die Ministerin hat das angesprochen. Darum werden wir uns kümmern. Herr Lanfermann, das ist ein wegweisender Kompromiss. ({9}) Wir tun exakt das, was Sie in vielen Veranstaltungen, an denen auch ich teilgenommen habe, gefordert haben: Wir geben für den Bereich Demenz etwa 1,5 Milliarden Euro mehr aus, wir stellen eine halbe Milliarde Euro für die Verbesserung der Leistungen zur Verfügung - in unseren Veranstaltungen waren wir uns noch einig, heute sind wir es offensichtlich nicht mehr -, und wir geben je nach Pflegestufe bis zu 20 Prozent mehr aus. Das ist großartig. Natürlich wissen wir alle, dass wir uns mit einem wichtigen Aspekt noch befassen müssen: mit der Frage der Zukunftsfestigkeit. Da müssen wir noch ein Stück weiterkommen, und darüber werden wir uns in der Koalition irgendwann verständigen können. ({10}) Da sollten wir linksrheinisch-hoffnungsfroh sein. Ich sage Ihnen: In dieser Koalition ist es uns gelungen, das zu machen, ({11}) was in der früheren Koalition nicht möglich war, nämlich für die Pflegenden bessere Leistungen sicherzustellen. ({12}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich bin fertig; jetzt können Sie weiter dazwischenrufen, Frau Künast. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat nun das Wort die Kollegin Birgitt Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es besteht Einigkeit in diesem Hause, dass die Pflegeversicherung reformbedürftig ist. Die Leistungen sind reformbedürftig, die Organisation ist reformbedürftig, das Angebot von Pflege- und Betreuungsleistungen ist zu reformieren, auszubauen und in der Qualität zu verbessern. Das wissen wir alle. Wir wissen auch, dass wir in der letzten Legislaturperiode eine Reform machen wollten. Herr Kollege Zylajew, Sie wissen, dass es jedenfalls an den Grünen nicht gelegen hat. Jetzt verspricht diese Koalition Leistungsverbesserungen, auf die viele Angehörige und Pflegebedürftige dringend warten und über die sie sich auch freuen; das will ich Ihnen zugestehen. Denn wir wissen, dass seit zwölf Jahren nichts verändert worden ist. Wir wissen, dass die Kaufkraft der Leistungen aus der Pflegeversicherung entsprechend um 15 Prozent abgenommen hat. Wir wissen, dass die Betreuung dementer Menschen in der Pflegeversicherung nicht hinreichend abgebildet ist. Sie versuchen, in all diesen Punkten etwas zu verbessern; das will ich Ihnen zugestehen. Natürlich werden sich die Angehörigen von dementen Menschen freuen, wenn jetzt der Betreuungsbetrag erhöht wird. ({0}) Besser wäre es allerdings gewesen, Sie hätten es geschafft - Sie hatten ja genügend Zeit dazu -, den Pflegebedürftigkeitsbegriff zu überarbeiten, ({1}) damit es eben nicht mehr nur auf körperliche Verrichtungen ankommt, sondern damit der Pflege- und Betreuungsbedarf alter Menschen insgesamt berücksichtigt wird. Da sind Sie zu kurz gesprungen. ({2}) Nichtsdestotrotz schafft mehr Geld Erleichterungen, auch bei den ambulanten Leistungen. Deswegen begrüßen auch die Verbände, was da kommt. Aber wenn man einmal näher hinsieht, sieht man doch: Sie versprechen jetzt Leistungsverbesserungen und verbinden das mit - durchaus überschaubaren - Beitragserhöhungen, behaupten aber, das koste niemanden etwas, weil gleichzeitig der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung reduziert werde, ({3}) und auch die Rentnerinnen und Rentner koste es nichts, weil ja eine Rentenerhöhung in Aussicht stehe. Überlegen Sie einmal, was das für eine Botschaft ist! ({4}) Die Botschaft lautet: Seht her, liebe Menschen in diesem Lande, Reform im Sozialsystem heißt, es gibt bessere Leistungen, und niemand muss das bezahlen. ({5}) Was glauben Sie, was der politische Preis dafür sein wird? Sie wissen genau, dass diese Rechnung bereits bei der Pflege nicht stimmt; denn die Rechnung werden die, die künftig die Beiträge zahlen, bekommen. Und mit der politischen Rechnung für die nicht gemachten Hausaufgaben wird sich die nächste Regierung herumschlagen dürfen. ({6}) Die Politik und die Experten diskutieren seit Jahren über die demografische Entwicklung und erklären, dass Nachhaltigkeit in den Sozialsystemen notwendig ist, dass man in den Umbau, den das mit sich bringt, schon heute zu investieren bereit sein muss, dass man den Menschen etwas abzuverlangen bereit sein muss. Doch Ihre übergeordnete Botschaft lautet: Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern, wir machen bessere Leistungen, und das kostet auch nichts. ({7}) Das wird uns allen noch auf die Füße fallen. ({8}) Sie wissen genau, wir bräuchten in der Pflegeversicherung eine Demografiereserve. Sie haben sich darüber gestritten, ob das in Form eines privaten Kapitelstocks oder innerhalb des Solidarsystems aufgebaut werden soll. Ich will Ihnen zugestehen, dass es schwierig ist, sich darüber zu einigen. Aber der Vorsitzende der Jungen Union in Bayern hat recht, wenn er Ihnen sagt: Natürlich wäre auch bei der Kapitalreserve mit etwas gutem Willen ein Kompromiss möglich gewesen. ({9}) Sie haben sich aber davor gedrückt, Kompromisse zu finden. ({10}) Es hat immer geheißen: Die Große Koalition löst große Probleme. Wie ist das hier? Von der Großen Koalition gibt es eine kleine Lösung für den schnellen Beifall, aber mit kurzer politischer Halbwertzeit. Nachhaltigkeit in den Sozialsystemen ist für diese Koalition offensichtlich ein Fremdwort. ({11}) Damit haben Sie politisch versagt, meine Damen und Herren. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion.

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Vertreterinnen und Vertreter der Oppositionsfraktionen bisher gehört hat, dann könnte man meinen, dass Sie die Leistungsverbesserungen, die wir jetzt zu bieten haben, gar nicht wollen. Ich erinnere mich, dass wir gemeinsam auf Podien saßen und uns eigentlich darin einig waren, dass wir im Bereich der Demenz, im Bereich ambulant vor stationär und auch im Bereich der Dynamisierung Verbesserungen für die Menschen wollen. Jetzt realisieren wir sie, und Sie sitzen hier bzw. stehen am Rednerpult und agitieren in Richtung Regierungskoalition, anstatt zu sagen: Ja, das ist der richtige Schritt in die richtige Richtung. ({0}) Wenn ich daran denke, dass wir in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit den Grünen einen wunderbaren Antrag zum Thema Demenz eingebracht haben, in dem genau das steht, was wir jetzt umsetzen, dass es dort nämlich eine Unterstützung gibt, dann frage ich mich, ob Sie das vergessen haben. Das sollten Sie aber nicht vergessen haben; denn die Verbesserung kommt bei den Leuten richtig an. Verbesserungen für Menschen mit Demenz zu erreichen, ist genau der richtige Ansatzpunkt, den wir immer gewollt haben. ({1}) Sie sagen jetzt, dass 200 Euro pro Monat nicht bei den Menschen ankommen, weil die Ausgestaltung des Pflegebegriffs noch nicht steht. Das verwundert mich, weil Sie genau wissen, dass der Pflegebegriff in einem längeren Prozess erarbeitet werden muss. Hier gilt nämlich: Qualität und Sorgsamkeit vor Schnelligkeit. Mit der Ausgestaltung dieses neuen Pflegebegriffs werden wir genau das erreichen, was Sie hier zu Recht fordern. ({2}) Hier liegen unsere Ansichten ja nicht auseinander. Das wurde durch diese Regierungskoalition angepackt. Der Beirat arbeitet daran. Wir haben das hinbekommen. Ich sage: Es ist gut, dass das Ministerium das hinbekommen hat; denn die Neujustierung der Pflegestufen ist wichtig, damit all die Leistungsverbesserungen, die wir erreichen wollen, auch greifbar werden. Der individuelle Pflegebedarf muss nämlich ermittelt werden können. Die Teilhabe entspricht genau dem Perspektivenwechsel, den wir wollen. Aber jetzt zu sagen, wir werden die Pauschale nicht einführen, weil der Pflegebegriff erst sehr viel später greift, finde ich absurd. ({3}) Von daher meine ich, dass Sie bei aller Kritik, die auch wir an Teilen dieses Kompromisses haben - ({4}) - Uns wäre es auch lieber gewesen, wenn die privaten Pflegeversicherungen ins Solidarsystem hineingekommen wären, ({5}) weil wir dieses Geld von den Privaten sehr gut hätten anlegen können. Das war immer unser Ansatz. ({6}) - Es geht um Solidarität, Herr Lanfermann, ({7}) nämlich um die Solidarität, die Sie unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit vermissen lassen. Die Solidarität in dieser Gesellschaft und die Solidarität zwischen den Generationen stehen für uns ganz oben. ({8}) Ich bin überzeugt, dass wir mit unserem Vorhaben, eine Bürgerversicherung einzuführen, genau das richtige Ziel verfolgen und dass mit diesen Eckpunkten jetzt klar ist, dass Leistungsverbesserungen und Strukturreformen in dieser Großen Koalition ganz oben stehen. Wir haben es hinbekommen, dass die Finanzierung bis 2014 gesichert ist und dass die Lebensqualität der Menschen, auf die es uns ankommt, nämlich derjenigen, die zu Hause zu pflegen sind, und derjenigen, die zu Hause pflegen, durch die Geldleistungen ein Stück verbessert wird. Ich glaube, mit diesen Maßnahmen - wie der durch die Pauschale von bis zu 200 Euro monatlich erzielten Verbesserung für Menschen, die an Demenz erkrankt sind - können wir eine Entlastung der Familien in den alltäglichen Angelegenheiten bewirken. Dieses Ziel haben wir in den letzten Jahren immer verfolgt, sodass zum Beispiel jemand, der eine an Demenz erkrankte Person betreut, auch einmal selber den Arzt oder Friseur aufsuchen kann. Solche kleinen Alltäglichkeiten sind nämlich häufig fast unmöglich. Das wissen wir doch alle. Man darf auch nicht kleinreden, dass wir durch die Anhebung der Beträge für ambulante Sachleistungen zum Beispiel auf 450 Euro in der Pflegestufe I Verbesserungen erreicht haben. ({9}) Ich fordere Sie auf, all das, was Sie in unseren gemeinsamen Diskussionen mitgetragen haben, jetzt auch mitzutragen. Das, was in den Eckpunkten festgehalten ist - sicherlich muss man beim Referentenentwurf und im Gesetzgebungsverfahren genau auf die Einzelheiten achten -, ist der richtige Schritt in die richtige Richtung! Danke. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Bender - Sie haben die Aktuelle Stunde beantragt -, gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu dem, was in sieben Jahren Rot-Grün stattgefunden hat. Ich bin niemand, der immer wieder nachkartet und den anderen vorhält, was sie damals hätten tun sollen. Aber wenn man Ihre Ausführungen verfolgt hat und bedenkt, dass zum Zeitpunkt Ihrer Regierungsübernahme 1998 in der Pflegeversicherung eine Reserve in Höhe von 5 Milliarden Euro vorhanden war, die dann über die vielen Jahre langsam abgebaut wurde, ({0}) und Ihnen in dieser Situation nur Beitragserhöhungen für Rentner und Kinderlose eingefallen sind, meine ich, dass Sie zwar in der Sache jederzeit gerne mit uns diskutieren können; es wäre aber angebracht, dafür eine andere Tonlage zu wählen. ({1}) Ich möchte kurz drei Punkte aufgreifen, die wir im Gesetzgebungsverfahren vorschlagen wollen. Erstens geht es um mehr Transparenz. In einer Anhörung zur Pflege und Entbürokratisierung, die wir soeben durchgeführt haben, ({2}) ist sehr deutlich geworden, dass gerade Angehörige wie auch Pflegebedürftige mehr Transparenz hinsichtlich der Qualität von Einrichtungen und entsprechende Indikatoren in allen Punkten - seien es so banale wie Zufriedenheit, Essen oder Sauberkeit, seien es Krankheitsfragen oder bestehende Pflegeprobleme - wollen. Das wollen wir auf Grundlage der Heimprüfungsberichte, aber auch möglicher anderer Daten erreichen. Zweitens geht es um die Frage der Flexibilität. In der Debatte darüber, wie wir in einer älter werdenden Gesellschaft leben und über die derzeit übliche Unterscheidung zwischen ambulanter und stationärer Pflege hinaus flexiblere Angebote schaffen können, wie wir entsprechende Zwischenschritte einbauen können, spielt die Generationengerechtigkeit eine mindestens genauso große Rolle wie die Frage, wie wir in Zukunft in diesem Land gemeinsam alt werden wollen. Zu diesem Zweck wollen wir bei der Förderung betreuter Wohnformen, beim Fallmanagement und beim Schnittstellenmanagement viele Schritte, wie ich meine, in die richtige Richtung gehen. Der dritte wichtige Punkt betrifft ({3}) - das wurde im Grunde auch immer von allen unterstützt - die Verstärkung der ambulanten Pflegeleistungen, ({4}) notwendige Verbesserungen bei der Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen und die Erhöhung der Leistungen. Klar ist aber auch, Herr Kollege Seifert - Sie haben die Zahlen angesprochen -, dass die Pflegeversicherung immer eine Teilkostenversicherung gewesen ist. Das sollten wir immer wieder deutlich machen; denn es ist nicht allen bewusst. ({5}) Sie ist anders als die gesetzliche Krankenversicherung nie dazu gedacht gewesen, alle Kosten zu decken; sie soll vielmehr den Menschen Unterstützung bieten. Deswegen sollten wir gemeinsam dafür werben und kämpfen, dass zusätzlich privat Vorsorge betrieben wird. Wer in meinem Alter, also frühzeitig anfängt, vorzusorgen, wird auch die Chance haben, mit relativ geringen Beiträgen über ein langes Leben entsprechende Vorsorge zu treffen. Nun komme ich, wie ich zugeben muss, zu einem Wermutstropfen für die jüngeren Abgeordneten, auch in der Union. Dabei geht es mir, Frau Ministerin, nicht um einen Kampf von Jung gegen Alt, sondern um die Frage, ob diejenigen, die heute die Beiträge zahlen, dies im Vertrauen darauf tun können, dass sie dann, wenn sie alt sind, tatsächlich noch entsprechende Leistungen bekommen werden. Es darf nicht dazu kommen, dass sie zwar Beiträge zahlen, aber dann, wenn sie selbst pflegebedürftig werden - das mag im Jahre 2030 oder 2040 oder wie bei mir vielleicht erst im Jahre 2050 sein -, keine angemessene Leistungen erhalten werden. Es wäre der richtige Schritt gewesen - so war unsere Idee -, dafür eine Kapitalrücklage zu bilden. Ich bedaure es sehr, dass es ein Junktim zwischen einer zumindest verfassungsrechtlich bedenklichen und grundsätzliche Probleme nicht lösenden Maßnahme wie dem Ausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung und einer zukunftsweisenden, zukunftsfesteren und den Menschen gegenüber ehrlicheren und generationengerechten Kapitalrücklage gegeben hat. Umso wichtiger ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum einen anzuerkennen, dass das, was die große Koalition vorlegt, eine sehr gute und den Bedürfnissen der Menschen angepasste Lösung für aktuelle Probleme ist, ({6}) nicht weniger, aber - das ist nun einmal koalitionsbedingt - am Ende leider auch nicht mehr. Damit es mehr wird und wir nicht nur aktuelle, sondern durch den Aufbau einer Kapitalrücklage auch zukünftige Probleme lösen, kann ich Sie alle nur herzlich einladen, für ein solches Modell zu werben. Je früher wir damit beginnen, eine Kapitalrücklage aufzubauen, desto besser wird es am Ende sein. Dann werden auch die heute Jungen, wenn sie im Jahre 2040 oder im Jahre 2050 alt sein werden, noch auf gute Pflegeleistungen hoffen können. Danke schön. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Margrit Spielmann für die SPD-Fraktion.

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über viele wichtige Punkte, konkrete Maßnahmen und zukunftsfähige Strukturen haben sowohl die Ministerin als auch meine Kolleginnen und Kollegen schon gesprochen. Ich möchte noch auf einen für mich wichtigen Punkt hinweisen, bei dem es darum geht, die Pflege zukunftsfähig zu machen: auf die Stärkung der ambulanten Pflegestrukturen, auf ambulante Pflegeformen durch die von uns jetzt verabredete integrierte wohnortnahe und quartierbezogene Versorgung und die damit verbundene Bildung eines Pflegestützpunktes bzw. eines Pflegekompetenzzentrums. Aus unseren Wahlkreisen wissen wir alle, welcher Odyssee manche Angehörigen und Betroffenen ausgesetzt sind, wenn sie ein entsprechendes Angebot suchen. Deshalb findet es meine volle Unterstützung, dass Pflege, Betreuung, Beratung und Information oder, Herr Dr. Seifert, auch Assistenz aus einer Hand zu erhalten sein sollen. Wo liegen die Vorteile eines solchen Pflegestützpunktes bzw. Pflegekompetenzzentrums für die Angehörigen und Betroffenen? Von diesem Pflegestützpunkt sollen Beratungen, Informationen und der Pflegebedarf auf kommunaler Ebene wohnortnah und quartierbezogen, wie ich bereits sagte, und unter Berücksichtigung der Träger und der öffentlichen Verwaltungen aufeinander abgestimmt und realisiert werden. Dieser Dialog, diese Zusammenarbeit findet, wie wir alle wissen, zurzeit nicht statt. Von den Pflegestützpunkten sollen Verträge zur integrierten wohnortnahen Versorgung und Betreuung mit Krankenkassen, Pflegekassen, Kommunen und Leistungserbringern geschlossen werden. Dabei soll den Pflegestützpunkten von der Pflegeversicherung eine Anschubfinanzierung für zwei Jahre gewährt werden. Ein Pflegestützpunkt soll demnach für 20 000 Einwohner da sein und mit 15 000 Euro gefördert werden. Dies ist, wie ich denke, ein guter Anfang. Mir ist wichtig, noch darauf hinzuweisen, dass ein Pflegestützpunkt nicht im vierten Stock liegen darf, sondern behindertengerecht ausgestaltet werden sollte. ({0}) Ich wünsche mir außerdem sehr, dass ein solcher Stützpunkt ein Ort der Begegnung, der Information, der Beratung und vielleicht auch des geselligen Lebens in einem wohnortnahen Quartier ist. Der Pflegestützpunkt wird durch die Pflegekassen verpflichtet, den pflegebedürftigen Versicherten ein Pflegemanagement anzubieten, welches eine zielgenaue Unterstützung für jeden Einzelnen zu gewährleisten hat. Dazu gehört, dass künftig eine Fallmanagerin oder ein Fallmanager als Ansprechpartner für jeweils bis zu 100 pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen da sein wird. Durch einen solchen Stützpunkt werden nach meiner Meinung des Weiteren die Prävention und die Rehabilitation gestärkt. Das ist unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besonders wichtig und soll künftig mit finanziellen Anreizen gefördert werden. Durch aktivierende Pflege und Rehabilitation sollten wir Verbesserungen am Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen erzielen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ein solcher Pflegestützpunkt generationenübergreifendes und bürgerliches Engagement zu unterstützen hat; denn künftig werden die Pflegekassen verpflichtet, gemeinsam mit den Bundesländern und den übrigen Vertragspartnern darauf hinzuwirken, dass bürgerlich Engagierte noch besser in ambulante vernetzte Versorgungsstrukturen auf kommunaler Ebene einbezogen werden. Ich denke hier an Betreuungsgruppen für demenziell Erkrankte, Helferkreise, Selbsthilfegruppen, Agenturen für die Vermittlung von Betreuungsleistungen, Dienstleistungen und Teilhabe. Es sollen begleitende Schulungen bürgerlich engagierten Helfern für Organisation und Planung ein entsprechendes Betätigungsfeld bieten. Der Pflegestützpunkt ist deshalb ein absolut richtiger Schritt in die richtige Richtung. ({1}) Dadurch wird erreicht, dass Information, Beratung und Unterstützung vor Ort stattfinden, dass das Prinzip der Pflege aus einer Hand umgesetzt wird, dass in der Pflege auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen durch sachgerechtes Fallmanagement eingegangen werden kann und dass eine solche Pflege finanziert werden kann. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Maria Eichhorn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beschlossenen Eckpunkte für eine Qualitätsreform der sozialen Pflegeversicherung sind eine gute Botschaft für Millionen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Es besteht keinerlei Anlass, die Reform kleinzureden. Mit den beschlossenen Verbesserungen im Leistungsspektrum dieses Sozialversicherungszweigs erfüllt die Große Koalition eine zentrale Zusage: Die Leistungsfähigkeit der Pflegeversicherung wird erhalten und weiterentwickelt. Das ist nicht selbstverständlich. An die Grünen als Antragsteller dieser Aktuellen Stunde und an alle Kritiker der jüngsten Koalitionsbeschlüsse richte ich den Appell: Messen Sie unsere Beschlüsse an den künftigen umfassenden Leistungsverbesserungen und nicht an Ihren ideologischen Vorstellungen! ({0}) Die Reform wird den Grundsatz „ambulant vor stationär“ stärken. Damit entsprechen wir dem Bedürfnis der Pflegebedürftigen, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben sowie im Kreis ihrer Verwandten und Freunde zu sein. ({1}) Die Reform bringt die Hilfe näher an die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Ich nenne als Beispiele nur die Einrichtung der wohnortnahen Pflegestützpunkte und die Fallmanager. Diese qualitativen Neuerungen bedeuten eine wichtige Entlastung der Angehörigen, indem sie beratende Unterstützung beim Umgang mit den verschiedenen Instrumenten des Pflegesystems leisten. Es ist nicht einfach, zu durchschauen, was für den einzelnen Pflegebedürftigen das Beste ist. Mit der Reform werden auch die Rehabilitations- und Präventionsanstrengungen verstärkt. Es ist sehr zu begrüßen, dass die Anstrengungen in Zukunft mehr darauf gerichtet werden, den Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen wieder zu verbessern bzw. zumindest eine Verschlechterung zu vermeiden. Die meisten Menschen erhoffen sich, zu Hause gepflegt zu werden. Die Einführung der Pflegezeit ist in vielen Fällen Voraussetzung dafür, dass dieser Wunsch erfüllt werden kann, und ich begrüße diesen Schritt auch aus familienpolitischer Sicht ganz besonders. Mein Appell geht jetzt an die Wirtschaft, nicht gegen diese Einführung zu wettern, sondern konstruktive Lösungen zur Umsetzung zu erarbeiten. ({2}) Die Leistungsverbesserungen sind vor allem auch ein wichtiges frauenpolitisches Signal. 80 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Töchter, Schwiegertöchter, Mütter oder sonst nahestehende Frauen. Ihnen und all den Helferinnen und Helfern in der ambulanten und stationären Pflege gilt unser Dank. Die gesellschaftlich oftmals viel zu gering erachtete aufopferungsvolle Arbeit verdient unsere volle Unterstützung. ({3}) Unseren Dank und unsere Anerkennung verdienen aber auch die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Oft geht es nur darum, dem Pflegebedürftigen zusätzliche Zeit zu schenken, die das Pflegepersonal wegen des Zeitdrucks nicht aufbringen kann. Das hilft dem Pflegebedürftigen und bringt Lebensqualität. Damit den Pflegekräften wieder mehr Zeit für die Versorgung und Betreuung zur Verfügung steht, müssen sie von unnötiger Bürokratie entlastet werden. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die CDU/CSU-Fraktion unter Federführung der Arbeitsgruppe Familie dazu Vorschläge vorgelegt. Als Folge der Föderalismusreform ist das Heimgesetz, um das es hier vor allem geht, jetzt allerdings Aufgabe der Länder. ({4}) Aber auch der Bund wird, soweit notwendig, seine Hausaufgaben machen. Die beschlossenen Leistungsverbesserungen bedeuten vor allem eine Qualitätssteigerung im Bereich der Pflege. Richtig ist, dass diese Verbesserungen schon lange gefordert werden. Richtig ist aber auch, dass erst diese Große Koalition die Kraft hatte, diese Verbesserungen in der Praxis umzusetzen. ({5}) Wer sich jetzt davon überrascht zeigt, dass die beschlossenen Maßnahmen zu einem Mehrbedarf an Beitragsmitteln führen, argumentiert unredlich. Wenn jetzt ausgerechnet Sie von den Grünen in der Aktuellen Stunde das Erreichte kleinreden wollen, dann seien Sie daran erinnert: ({6}) Mit dem aktuellen Reformvorhaben arbeitet die Große Koalition Versäumnisse auf, für die Sie mitverantwortlich sind. Über die Bedeutung der Pflegereform, vor allem im qualitativen Bereich, ist bereits vieles gesagt worden. Darüber hinaus ist aber eines zu berücksichtigen: Die Zahl der Pflegebedürftigen hat seit 1997 um 17,5 Prozent zugenommen. Rechnet man die demenziell Erkrankten dazu, liegt die Zahl der Pflegebedürftigen weit über der 2-Millionen-Marke. Für all diese Betroffenen und ihre Angehörigen ist die erzielte Verständigung über diese Reform eine gute Botschaft. ({7}) Diese Reform dient den Menschen, und darauf kommt es an. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Dr. Carola Reimann für die SPD-Fraktion.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich begrüße sehr, dass wir jetzt eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema haben. Das gibt uns Gelegenheit, die Eckpunkte sofort darzustellen - das hat die Kollegin Widmann-Mauz auch schon gesagt - und auch gleich aufkeimenden Legendenbildungen vorzubeugen; Stichwort: Behinderte sind nicht dabei und ähnliche Dinge. Ich weiß ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie wahrscheinlich gedacht haben, Sie könnten jetzt ein Feuerwerk der Kritik zünden, ({0}) aber Sie verfallen hier natürlich in die alten Verhaltensmuster, die wir schon aus den Beratungen zur Gesundheitsreform kennen. ({1}) Jedenfalls erinnert mich das daran. Auch bei der Gesundheitsreform wurden die vielen und umfangreichen Verbesserungen, die wir jetzt umsetzen, verschwiegen und kleingeredet, und bei der Pflege reden Sie jetzt von einer Minireform. Bei allem Respekt: Das ist maximaler Unsinn; ({2}) denn wir haben zahlreiche Veränderungen im Leistungsund Strukturbereich. Das wird die Lebenssituation von ganz vielen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen spürbar verbessern. Diese Einschätzung teilen auch die Verbände. Das sieht man am Presseecho, das anders ist, als es hier immer dargestellt worden ist. Ich erinnere mich auch noch ganz gut an die letzte Aktuelle Stunde zu diesem Thema im vergangenen November. Da hatten wir Gelegenheit, die Ziele der damals noch zukünftigen Reform darzulegen. Ich nenne gern noch einmal die Ziele, die wir damals aufgelistet haben. Wir wollten die Leistungen der Pflegeversicherung, die seit 1995 unverändert geblieben sind, dynamisieren, die ambulante Pflege stärken und vor allem die Situation demenzerkrankter Menschen mit ihrem besonderen Hilfebedarf verbessern. ({3}) Wenn man jetzt einen Blick in die Eckpunkte wirft, Frau Kollegin Bender, dann sieht man klar: Ziel erreicht. Gerade im Bereich der ambulanten Pflege sind wir einen ganz wichtigen Schritt vorangekommen. Die Kollegin Spielmann hat gerade die Bildung der quartierbezogenen Pflegestützpunkte erwähnt. Sie sollen wohnortnahe Anlaufstellen für Pflegebedürftige und vor allen Dingen für deren Angehörige werden, die Rat und Orientierung geben, um die möglichen Hilfeangebote, die es schon gibt, besser aufeinander abzustimmen und miteinander zu vernetzen. Das ist eine große Hilfe gerade für die Angehörigen, die durch eine - auch das geschieht sehr häufig plötzlich eintretende Pflegebedürftigkeit oft überfordert werden. Sie hat von Odyssee gesprochen. Das wird uns oft so berichtet, und es wird so empfunden. ({4}) Zugleich kann so den Pflegebedürftigen schneller und zielgerichteter geholfen werden. Das soll durch die Unterstützung eines Fallmanagements ergänzt werden, das im Rahmen dieser Pflegestützpunkte angeboten werden kann. So schaffen wir neue, ergänzende Strukturen, die die ambulante Pflege stärken und die den Zugang zu einer passgenauen Hilfe für den jeweiligen Pflegebedürftigen und seine individuell-persönlichen Pflegebedürfnisse und -erfordernisse erleichtern. Ich denke, Frau Scharfenberg, das ist nutzerorientierte Pflege. So nennen Sie das dann. Neben der Stärkung der ambulanten Versorgung enthält das vorliegende Paket noch weitere wichtige Maßnahmen. Ich will die Einführung der Pflegezeit nennen. Die war von ganz vielen gewünscht. Ich bedaure, dass es nur Menschen in größeren Betrieben und nicht in Kleinbetrieben ermöglicht wird, diese Pflegezeit für sich in Anspruch zu nehmen. Ich glaube, dass Familien sich das wünschen. Wir haben Anreize zu aktivierender Pflege - die Ministerin hat es genannt -, Rehabilitation in den Pflegeeinrichtungen und den Abbau von Schnittstellenproblemen vorgesehen. Nicht zuletzt werden wir mit der Pflegereform das bürgerschaftliche Engagement stärker unterstützen; denn - ich kann es nicht oft genug sagen gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft ist die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements gar nicht hoch genug einzuschätzen. Da wird großartige Arbeit geleistet. Die gilt es noch mehr zu unterstützen. ({5}) Die Anhebung der Sachleistungen im ambulanten Bereich sowie des Pflegegeldes, die Strukturreformen und weitere Leistungsverbesserungen sind nicht zum Nulltarif zu haben. Ich muss hier in aller Deutlichkeit und auch für die jüngere Generation sagen: Es muss uns etwas wert sein, dass pflegebedürftige Menschen ein möglichst selbstbestimmtes und würdevolles Leben führen können. ({6}) Für uns Sozialdemokraten ist bei der Finanzierung entscheidend - das ist hier immer ein wichtiges Thema -, dass jeder entsprechend seiner Leistungsfähigkeit beteiligt wird und dass die paritätische Finanzierung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erhalten bleibt. Das ist uns gelungen. ({7}) Natürlich hätten wir, gerade was das Verhältnis von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung anbelangt, gerne mehr umgesetzt, und natürlich - die Kollegin Mattheis hat es schon gesagt - bleibt für die SPD auch in der Pflege die solidarische Bürgerversicherung das Ziel. Aber mit den jetzt erzielten Strukturreformen und Leistungsausweitungen bringen wir spürbare Verbesserungen und zusätzliche Unterstützung für zahlreiche Pflegebedürftige auf den Weg. Die Dementen sind hier angesprochen worden. Für sie haben wir wichtige Hilfen auf den Weg gebracht. Man sollte auch als Opposition - an sie möchte ich appellieren - gerade im Hinblick auf die Betroffenen keine Zweifel und Verunsicherung wecken. Danke schön. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Elke Ferner für die SPD-Fraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die Opposition versucht hat, diese Reform kleinzureden, sage ich: Diese Reform ist ein Riesenfortschritt für die fast 2 Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörige. Wer die in dieser Aktuellen Stunde von vielen Rednerinnen und Rednern der Koalition dargestellten Leistungsverbesserungen kleinreden will, der lebt nicht mehr in dieser Welt und hat überhaupt keine Ahnung von den Problemen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. ({0}) Ich finde, dass diese Reform, was die Leistungsverbesserungen und die Strukturverbesserungen anbelangt, auch nachhaltig ist. Bezüglich der Finanzierung kann man sicherlich geteilter Meinung sein - ich komme darauf nachher noch zu sprechen -; wie bekannt ist, gab es zwischen der Union und uns unterschiedliche Auffassungen. Ich frage Sie jetzt aber allen Ernstes: Sollen wir Ihrer Auffassung nach nur deswegen warten, demenzkranken Menschen schon jetzt, also im Vorfeld, bestimmte Leistungen zukommen zu lassen, weil der Pflegebegriff noch nicht neu definiert ist? ({1}) Sollen wir damit warten, den Umfang der ambulanten Leistungen schrittweise in Richtung stationäre Leistungen zu erweitern? Sollen wir damit wirklich warten? ({2}) Sollen wir damit warten, die Strukturen ambulanter Behandlung vor Ort - sie sind bei weitem noch nicht so, wie wir sie brauchen werden, wenn meine Jahrgänge womöglich pflegebedürftig sind - zu verbessern? Sollen wir diese Strukturreformen noch weiter aufschieben? Ich finde, wir dürfen damit nicht warten, auch wenn wir den Pflegebegriff noch nicht abschließend definiert haben - wir haben auf diesem Gebiet noch etwas zu tun; das bestreiten wir überhaupt nicht -, auch wenn wir über die Frage der nachhaltigen Finanzierung weiter diskutieren müssen, um Mehrheiten zu finden und so eine nachhaltige Finanzierung zustande zu bringen. Dass auch in diesem Bereich noch etwas zu tun ist, bestreiten wir ebenfalls nicht. Aber hätten wir diesen Schritt jetzt nicht vollziehen sollen? Hätten wir ernsthaft damit warten sollen? Ich hätte dann gern einmal Ihre Reden zu diesem Thema in einer Aktuellen Stunde gehört. ({3}) Ich glaube, dass wir gut daran tun, diese Maßnahmen jetzt durchzuführen. Ich möchte noch auf einige Punkte eingehen. Herr Lanfermann hat etwas zur Generationengerechtigkeit gesagt und auf den Präsidiumsbeschluss der FDP Bezug genommen. ({4}) - Nein, oben auf meinem Papier steht „Präsidiumsbeschluss der FDP“. ({5}) Es mag sein, dass Ihr Parteitag das beschlossen hat. Das ist umso schlimmer; denn dieser Beschluss bedeutet nichts anderes, als dass Sie die solidarische gesetzliche Pflegeversicherung auf Sicht gesehen abschaffen wollen. Wie mir der Kollege gerade bestätigt, stimmt das. Ich kann Ihnen nur viel Vergnügen dabei wünschen, damit in den nächsten Bundestagswahlkampf zu ziehen. Die Menschen werden begeistert sein, wenn die FDP die Pflegeversicherung und die Hilfen, die damit verbunden sind, abschaffen will. ({6}) - Ihr Kollege hat doch eben genickt. ({7}) Der zweite Punkt ist der - für meine Begriffe herbeigeredete - Generationenkonflikt. Unser größtes Problem mit der Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung ist, dass diese Finanzierung höchst unsolidarisch und höchst ungerecht erfolgt. Manchmal machen es einfache Zahlen deutlich: Wenn man den Umfang der Leistungsausgaben der gesetzlichen Pflegeversicherung durch die Anzahl der Versicherten teilt, dann lautet das Ergebnis 240,36 Euro. Stellt man die gleiche Rechnung für die private Pflegeversicherung an, dann lautet das Er10694 gebnis 60,42 Euro. Ich muss einmal folgende Frage stellen: Was ist daran gerecht, dass in der einen Versicherung jeder Versicherte im Jahr im Durchschnitt etwa 240 Euro aufbringen muss, während in der anderen Versicherung jeder Versicherte im Jahr im Durchschnitt nur etwa 60 Euro aufbringen muss, obwohl beide Versicherungen exakt die gleichen Leistungen erbringen? ({8}) Das ist nicht gerecht. ({9}) - Ach, Herr Lanfermann, wenn man laut schreit, hat man noch lange nicht recht, und in diesem Falle haben Sie wirklich unrecht. Ihnen geht es eigentlich nur um die Gewinnmaximierung der privaten Versicherer, aber nicht um die Frage, wie Menschen, wenn sie pflegebedürftig sind, versorgt werden. ({10}) Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist: Wir als SPD werden weiter für eine solidarisch finanzierte Pflegeversicherung kämpfen. Unser Ziel ist die Bürgerversicherung bei der Pflege, in die alle einbezogen werden und an deren Finanzierung sich alle vor allen Dingen solidarisch, gerecht und nach ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit beteiligen. ({11}) Dieser erste Schritt der Reform, den wir jetzt vor uns haben, ist ein guter Schritt. Er ist im Sinne der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Was die Frage der Finanzstrukturen anbelangt - das ist der nächste Schritt -, werden wir im Bundestagswahlkampf unsere Konzepte austauschen. ({12}) Dann werden die Menschen entscheiden, ob sie ein Prämienmodell, ein Abschaffungsmodell oder das Modell einer solidarischen Bürgerversicherung wollen. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Juni 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen