Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/25/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: 30 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach- ten Entwurfs eines Unternehmensteuer- reformgesetzes 2008 - Drucksache 16/4841 - - Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 - Drucksache 16/5377 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksachen 16/5452, 16/5491 Berichterstattung: Abgeordente Peter Rzepka Reinhard Schultz ({1}) Dr. Barbara Höll bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/5454 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Unternehmen leistungsgerecht besteuern Einnahmen der öffentlichen Hand stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Unternehmen leistungsgerecht besteuern Einnahmen der öffentlichen Hand stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Unternehmensteuerreform für Investitionen und Arbeitsplätze - zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Verlässliche und aussagekräftige Datenbasis für die Ermittlung der Unternehmenssteuern erfassen - Drucksachen 16/5249, 16/4857, 16/4855, 16/4310, 16/5452, 16/5491 Berichterstattung: Abgeordnete Peter Rzepka Reinhard Schultz ({5}) Dr. Barbara Höll Zu dem Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen sowie der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Redetext Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. ({6})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass der Finanzminister in einer Debatte über die Unternehmensteuerreform das Wort ergreift, war mir klar, aber nicht, wann genau. ({0}) Vielen Unkenrufen zum Trotz ist der Koalition mit dieser Unternehmensteuerreform inhaltlich ein großer Wurf gelungen. Er zeugt auch von einer sehr guten handwerklichen Regierungsfähigkeit. Die letzten anderthalb Jahre haben bewiesen, dass die Große Koalition handlungsfähig ist. ({1}) Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei all denjenigen bedanken, die in der politischen Arbeitsgruppe mitgearbeitet haben; viele Abgeordnete der beiden Koalitionsfraktionen waren daran beteiligt. Ich möchte meinem ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Koch, der technischen Arbeitsgruppe und den mitwirkenden Parlamentariern danken. ({2}) - Aus meiner Sicht ehemaligem Ministerpräsidentenkollegen. Das war doch nicht misszuverstehen. ({3}) Wie vor anderthalb Jahren angekündigt, wird diese Unternehmensteuerreform am 1. Januar 2008 in Kraft treten. Wie zu erwarten ist, werden der Deutsche Bundestag und der Bundesrat diese Unternehmensteuerreform vor der Sommerpause verabschieden, sodass die deutsche Wirtschaft und die deutschen Unternehmen ein halbes Jahr lang Zeit haben, sich an den neuen steuerlichen Grundlagen zu orientieren, die für die Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland gelten werden. Nach einer Reihe von Reformen der Vorgängerregierung unter Gerhard Schröder und der Großen Koalition, die nicht populär gewesen sind und die teilweise noch umstritten sind, gibt es nun einen konjunkturellen Aufschwung, wie es ihn in den letzten 15 Jahren nicht gegeben hat. An diesem Aufschwung haben 850 000 mehr Menschen Teilhabe; das sind diejenigen, die nicht mehr arbeitslos sind. Darunter befinden sich 550 000 Menschen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Es haben an diesem Aufschwung Millionen von Menschen Teilhabe, die jetzt sicherere Arbeitsplätze haben als noch vor einem oder zwei Jahren. Es haben zunehmend mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Teilhabe an diesem Aufschwung über erkennbar bessere Tarifabschlüsse, die das größere Wachstum und die höhere Produktivität erlauben. ({4}) Die Unternehmensteuerreform wird diesen Aufschwung unterstützen. Sie wird dazu beitragen, dass dieser Aufschwung, diese konjunkturelle Entwicklung verstetigt wird. Wir werden es mit einer Verbesserung des Investitionsklimas zu tun haben. Wir werden es auch damit zu tun haben, dass gleichzeitig die Steuerbasis in Deutschland gesichert und damit die Finanzierung öffentlicher Aufgaben breiter abgesichert wird. Keines der viel diskutierten Probleme in diesem Haus - die Energieeffizienz, der Klimaschutz, Bildung, Familienförderung, Kinderbetreuung, demografiefestere soziale Sicherungssysteme, die Entschuldung - lösen wir ohne eine solide Wachstumsbasis, ohne leistungsfähige und wettbewerbsfähige Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich im internationalen Wettbewerb auch von der Steuerseite einigermaßen bewegen und bewähren können. ({5}) Wenn sich gelegentlich Teile dieses Hauses nicht nur um die Verteilungsseite des Bruttosozialproduktes, sondern auch um die Entstehungsseite dieses Bruttosozialproduktes kümmern würden, dann müssten sie meine Auffassung teilen, dass wir ein großes Interesse daran haben, dass der Investitionsstandort Deutschland für Unternehmen in Deutschland wie auch für ausländische Investoren attraktiver gemacht wird. Dies gelingt mit dieser Unternehmensteuerreform. ({6}) Diese Unternehmensteuerreform sorgt dafür, dass der Investitionsstandort Deutschland attraktiver wird für alle, die hier investieren wollen, für alle, die hier in Deutschland Arbeitsplätze schaffen wollen, für alle, die ihre Wertschöpfung in Deutschland versteuern und nicht etwa ins Ausland verbringen wollen. Die Steuerbelastung kommt wieder in das europäische Mittelfeld - nicht mehr und nicht weniger. Zumindest mit Blick auf die Besteuerung der Kapitalgesellschaften sind wir mit einer Definitivbesteuerung von über 38 Prozent am unteren Ende gewesen. Die Vorgängerregierung hat mit Blick auf die Personengesellschaften bereits viel getan, um zu einer Entlastung der Personengesellschaften beizutragen. Aber im Zuge dieser Unternehmensteuerreform sind wir noch einmal zu deutlichen Verbesserungen für den die deutsche Wirtschaft im Wesentlichen tragenden deutschen Mittelstand entgegen allen Unkenrufen gekommen. ({7}) Eine Bruttoentlastung von 30 Milliarden Euro und dann eine Gegenfinanzierung von 25 Milliarden Euro sind aus mehreren Gründen erforderlich gewesen, vorBundesminister Peer Steinbrück nehmlich aus Haushaltsgründen. Man kann nicht drei Dinge auf einmal haben - einige in diesem Hause vertreten diesen Standpunkt -: gleichzeitig Steuern senken, Investitionen erhöhen und eine Entschuldung der öffentlichen Haushalte durchführen wollen. Dies funktioniert nicht. Das ist einer der Gründe dafür, warum es erforderlich ist, sich über eine Refinanzierung einen Teil dieser Bruttoentlastung wieder zu holen. Eine weitere Zielsetzung bewegte die Mitglieder der politischen Arbeitsgruppe und die Mitglieder der zuständigen Ausschüsse ebenfalls von vornherein in diesen Beratungen: Wir wollten Gestaltungsmöglichkeiten und Umgehungstatbestände zulasten des Fiskus in Deutschland eindämmen bzw. minimieren. Sie wissen, dass ich in diesem Zusammenhang immer von Verschiebebahnhöfen rede. Es gibt viele Beispiele dafür, wie dies im Einzelnen funktioniert. Ich erspare es mir aus Zeitgründen, dies darzustellen. Es gibt Annahmen darüber, dass der deutsche Fiskus, also letztlich unser Gemeinwesen, pro Jahr hohe zweistellige Milliardenbeträge verliert, weil Gewinne, die in Deutschland erzielt werden, ins Ausland transferiert werden, weil Verluste, die Tochterunternehmen im Ausland erzielen, in Deutschland steuermindernd geltend gemacht werden. Wir verlieren daher Steuereinnahmen, die wir brauchen, um öffentliche Aufgaben zu finanzieren. Im Vorfeld dieser Unternehmensteuerreform hat es viele Vorschläge gegeben, die von weitaus größeren Entlastungseffekten ausgegangen sind. Ich vermute, dass zumindest die Kolleginnen und Kollegen der FDP der Auffassung sind, man könne Steuerentlastungen in Höhe von 10, 15 oder 20 Milliarden Euro in Kauf nehmen. Ich sehe das anders, gerade vor dem Hintergrund des Konsenses, den wir, bezogen auf eine andere Zielsetzung, gefunden haben, nämlich die Nettokreditaufnahme so schnell wie möglich auf null zu führen und einen Einstieg in die Entschuldung zu finden, um auch unter dem Gesichtspunkt der Generationsgerechtigkeit auf Dauer nicht diesen riesigen Berg von 1,5 Billionen Euro Schulden auf nachfolgende Generationen zu wälzen. Neben der Zielsetzung einer höheren internationalen Wettbewerbsfähigkeit, einer größeren Europatauglichkeit unseres Unternehmensteuersystems, der Vermeidung allzu großer Steuerausfälle und der Eindämmung von Gestaltungsmöglichkeiten und systematisch-strategisch erschlossener Vermeidungsstrategien sind es zwei weitere Zielsetzungen, die mit dieser Unternehmensteuerreform erreicht werden: Erstens. Es bleibt bei der Gewerbesteuer. Zweitens. Die kommunale Einnahmebasis wird durch eine ganze Reihe von Maßnahmen verstetigt. ({8}) Dies ist von einer erheblichen Bedeutung; denn der überwiegende Teil der öffentlichen Investitionen wird von den Kommunen getätigt. 60 Prozent der öffentlichen Investitionen werden von den Kommunen getätigt. Das heißt, eine solidere, verlässlichere und kalkulierbarere Einnahmebasis für die Kommunen ist von einer erheblichen Bedeutung. Soweit ich die Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände verstanden habe, wird dieses Element der Steuerreform von ihnen, insbesondere von den Kommunalpolitikern der beiden Koalitionsparteien, ausdrücklich begrüßt und gewürdigt. ({9}) Ich will noch einige Worte dazu verlieren, dass die Mittelstandsfreundlichkeit der Reform in den Beratungen im Koalitionskreis bzw. zwischen den Koalitionsfraktionen noch einmal verstärkt worden ist; das Stichwort lautet „Investitionsabzugsbetrag“. Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die ich aus Zeitgründen nur erwähne: Thesaurierungspräferenz, Ansparabschreibung - ich könnte diese Aufzählung fortsetzen -, die dazu beitragen, dass der Mittelstand gefördert wird. Das entscheidende Argument ist: Bei den Instrumenten zur Refinanzierung dieser Steuerreform - um auf eine Gesamtentlastung von 5 Milliarden Euro zu kommen - ist der Mittelstand weit unterproportional beteiligt. Der überwiegende Anteil dieser Refinanzierung liegt auf den Schultern der größeren Kapitalgesellschaften. Ich will zum Abschluss auf zwei Folgearbeiten hinweisen, bei denen ich damit rechne, dass sie in den weiteren Beratungen heute eine Rolle spielen werden. Zum einen werden wir die Unternehmensteuerreform noch in diesem Jahr um eine Regelung für die steuerliche Behandlung von privatem Wagniskapital ergänzen. Sie wissen, dass es dazu einen ersten Eckpunkteentwurf gibt, der weiter debattiert werden soll. Ein solches Wagniskapitalbeteiligungsgesetz soll zeitgleich mit der Unternehmensteuerreform zum 1. Januar des Jahres 2008 verabschiedet werden; das war seinerzeit die Verabredung zwischen den Koalitionsfraktionen. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, gerade für technologieorientierte Unternehmen in diesem Zusammenhang etwas zu tun. Ich füge allerdings hinzu: Diejenigen von Ihnen, die mit großem Interesse das zugrunde liegende Gutachten der TU München gelesen haben, werden wissen, dass dieses Gutachten auf Steuereinnahmeverluste in der Dimension von 10 bis 20 Milliarden Euro hinausläuft. Sie werden verstehen, dass der Bundesfinanzminister dem nicht aufgeschlossen gegenübersteht. Das sind Dimensionen, die einfach nicht verkraftbar sind. ({10}) Zum anderen liegt Ihnen ein Entschließungsantrag vor, der darauf hinweist, wie das weitere Verfahren im Hinblick auf die Erbschaftsteuer sein soll. Sie wissen, dass das Bundesverfassungsgericht uns verpflichtet hat, bis spätestens 31. Dezember 2008 die Erbschaftsteuer neu zu regeln. Es wird darauf ankommen, dass wir noch in diesem Jahr, möglichst nach der Sommerpause, zu einem Ergebnis kommen, das auch einbezieht, was die Bundesregierung bereits verabredet hat, nämlich die Erleichterung der Unternehmensnachfolge durch die Freistellung der Vererbung von betrieblichem Vermögen. Ich will zum Schluss einige wenige Worte über die Abgeltungsteuer verlieren. Ich weiß, dass diese Abgeltungsteuer von 25 Prozent verteilungspolitisch umstritten ist. Diese Kritik ist berechtigt. ({11}) Es ist nicht ohne Weiteres einzusehen, dass Kapitaleinkünfte - die nicht durch Leistung erzielt werden - einheitlich mit 25 Prozent besteuert werden sollen, während diejenigen, die mit Kopf und Händen arbeiten, es mit Grenzsteuersätzen und mit einer durchschnittlichen steuerlichen Belastung zu tun haben, die weit darüber liegt. Dieser Einwand ist stimmig. Nur, man wird sich den Realitäten stellen müssen. Die Realitäten sehen so aus, dass die Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr einen Kapitalabfluss in Milliardenhöhe zu beklagen hat. Das heißt, dieses Kapital wird nicht in Deutschland angelegt, führt demnach nicht zu Zinsen, Dividenden, Kapitaleinkünften jedweder Art, die hier in Deutschland besteuert würden, sondern es ist futsch. ({12}) Sie wissen, dass ich es vor diesem Hintergrund immer für logisch gehalten habe, zu sagen: Es ist besser, 25 Prozent auf X zu haben statt 42 Prozent auf gar nix. So simpel ist die Rechnung. ({13}) Dieses Argument springt einem, wenn man es pragmatisch sieht, so ins Auge, dass die berechtigten verteilungspolitischen Gesichtspunkte dahinter zurückzustellen sind. Deshalb bin ich ein Befürworter dieser Abgeltungsteuer. Sie wissen, dass es am besten gewesen wäre, wenn Hans Eichel seinerzeit die Steueramnestie gleich mit einer Abgeltungsteuer kombiniert hätte. ({14}) Das wäre für den deutschen Fiskus viel besser gewesen. Ich will noch darauf hinweisen - gerade an die Adresse der FDP -, dass durch die Verbesserungen, die die beiden Koalitionsfraktionen beschlossen haben, die Bürokratiekosten noch einmal deutlich gesenkt worden sind: Die Entlastung der deutschen Wirtschaft liegt bei ungefähr 170 Millionen Euro. ({15}) - Diese Entlastung von 170 Millionen Euro denke ich mir nicht aus. Der Bundestag verabschiedet heute das Werk von anderthalb Jahren. Da ist von hervorragenden Fachleuten, von Bund und Ländern, von kompetenten Parlamentariern und auch von den Ministeriumsspitzen der Länder vieles abgewogen worden, vieles geprüft worden. Einiges ist verworfen worden, einiges ist aufgenommen worden. Diese Unternehmensteuerreform ist nicht leichtfertig zustande gekommen. Das sage ich auch all jenen Kritikern, die teilweise sehr spezifische Interessenlagen als Begründung für eine generelle Ablehnung dieser Unternehmensteuerreform liefern. Wir werden nicht allen spezifischen Interessen hinsichtlich Begünstigungen und Erleichterungen über diese Unternehmensteuerreform entsprechen können. Wir wollten das übrigens auch nicht. Die Bundesregierung und insbesondere die vorbereitende Arbeitsgruppe von Herrn Koch und mir haben immer den Standpunkt vertreten, dass die überwiegende Anzahl der deutschen Unternehmen durch diese Unternehmensteuerreform begünstigt werden soll. Einige, nämlich diejenigen, die ihre Unternehmens- oder Konzernstruktur bisher an Steuervermeidungsstrategien ausgerichtet haben, werden allerdings möglicherweise nicht begünstigt werden. ({16}) Dies ist Vorsatz. Das war von vornherein beabsichtigt. Das sage ich diesen Kritikern. ({17}) Diese Unternehmensteuerreform ist - daran halte ich fest - eine Investition in und für den Standort Deutschland. Ich bin mir sicher, dass die derzeitige Wachstumsentwicklung, die konjunkturelle Aufhellung, auch hierdurch eine deutliche Unterstützung erfährt. Ich bedanke mich sehr für die Unterstützung in den letzten anderthalb Jahren. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Finanzminister Steinbrück, dass viel Arbeitskraft investiert wurde, bestreiten wir überhaupt nicht. Daran, dass das Ergebnis ein Beitrag zur nächsten Weltausstellung dieses Landes ist, haben wir Liberale aber erhebliche Zweifel. ({0}) Vor der letzten Bundestagswahl - das darf bei der Union vielleicht noch einmal in Erinnerung gerufen werden - teilten nahezu alle Parteien die Einsicht, dass unser Steuerrecht einer grundsätzlichen Überarbeitung bedürfe. Die Steuersätze sollten niedriger werden, und das Steuerrecht sollte einfacher und gerechter werden. Hierzu gab es genügend Reformvorschläge, nicht nur der Parteien, nicht nur der FDP. Mit dieser Unternehmensteuerreform verzichtet die Große Koalition darauf, die Steuersätze für alle Bürger und für alle Unternehmen zu senken. Das ist ein Kardinalfehler, der dieser Steuerreform innewohnt. ({1}) Mit dieser Steuerreform wird das Steuerrecht komplizierter und ungerechter. Mit dieser Steuerreform wird der Körperschaftsteuersatz von 25 auf 15 Prozent gesenkt. Diese Maßnahme wird seitens der FDP begrüßt. Wir haben ihr im Finanzausschuss zugestimmt. Die sogenannte Gegenfinanzierung, die Schlechterstellung von Millionen von Steuerpflichtigen, erfolgt aber nicht nur im Körperschaftsteuerrecht, sondern auch im Einkommensteuerrecht. Das bedeutet, dass die Firmen, die als Einzelunternehmen oder Personengesellschaften am Wirtschaftsleben teilnehmen - das sind weit über 80 Prozent der deutschen Unternehmen -, von der Körperschaftsteuersenkung nicht profitieren, aber von der Gegenfinanzierung voll erfasst und häufig schlechter gestellt werden, als das derzeit der Fall ist. ({2}) Das ist der Grund, weshalb wir sagen - dabei bleiben wir -: Dieses Gesetz ist mittelstandsfeindlich und ungerecht. Denn es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, wer die Entlastung und wer die Belastung erhält. Zudem können wir feststellen, dass, seitdem Ihre Arbeitsgruppe tätig ist - das ist aber keine Folge Ihrer Arbeitsgruppe -, die Steuereinnahmen in unserem Land sprudeln wie noch nie. Trotzdem gibt es im Saldo, nach der Gegenfinanzierung, keine Verbesserung für die Unternehmen in unserem Lande. Das halten wir für falsch; denn Arbeitsplätze müssen geschaffen und Investitionen getätigt werden, und das können nur gesunde Unternehmen in unserem Land leisten. ({3}) Diese Reform ist bedauerlicherweise völlig unzusammenhängend. Sie ist ein Bündel von Einzelmaßnahmen, die sich teilweise widersprechen. Sie ist unsystematisch, ungerecht und an vielen Punkten verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Ich möchte einige konkrete Punkte vortragen. Zu Beginn dieser Wahlperiode wurden die Abschreibungsbedingungen von der Großen Koalition erheblich verbessert, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das sollte zu Steuerausfällen für den Staat führen. ({4}) - Herr Kollege Schultz, ich glaube, das ist nicht der Fall gewesen; die Steuerquellen sprudeln und sind nicht eingebrochen. Wir erleben gerade, dass sich die Wirtschaft in Deutschland besser entwickelt und mehr investiert wird. Dies führt dazu, dass der Staat nicht weniger, sondern mehr Steuereinnahmen hat, auch durch eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen. Aber mit diesem Gesetzesentwurf werden die Abschreibungsbedingungen wieder verschlechtert. Das heißt, Investitionen werden erschwert. Gleichwohl soll der Staat bei weniger Investitionen mehr Steuereinnahmen bekommen. Das verstehe, wer will. Wir verstehen das nicht. Wir halten das für den falschen Weg. ({5}) Ein weiterer Punkt: Die zunehmende Besteuerung von Kosten und damit die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zieht sich wie ein roter Faden durch die komplette Steuerreform, und - das war der Punkt, auf den Sie im Wesentlichen hinsichtlich der Gegenfinanzierung eingegangen sind, Herr Minister - Sie führen eine Zinsschranke ein mit der Begründung, dass Steueraufkommen deshalb aus Deutschland abfließe, weil international operierende Konzerne das Steuersatzgefälle zwischen Deutschland und anderen Staaten ausnutzten. Dabei muss man fragen, ob dieses Gemälde wirklich den Tatsachen entspricht. Das in den letzten Jahren explosionsartig gestiegene Körperschaftsteueraufkommen spricht doch dagegen. 2003 hatten wir Körperschaftsteuereinnahmen in Höhe von 8 Milliarden Euro, in diesem Jahr - das wurde gerade festgestellt - haben wir dreimal so viel Körperschaftsteuereinnahmen, nämlich 24 Milliarden Euro. Wo ist da ein Schwund des Steuersubstrates? ({6}) Ferner muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass mehr als 90 Prozent der deutschen Unternehmen nicht mit Betrieben oder Teilen ihres Unternehmens im Ausland tätig sind. Mit dieser Zinsschranke treffen Sie in Deutschland tätige Unternehmen und somit Unternehmen, die Sie eigentlich nicht treffen wollen. Um mit der Bibel zu sprechen: Um zehn Ungerechte zu treffen, nehmen Sie in Kauf, dass tausend Gerechte getroffen werden. Das ist absurd. ({7}) Ich nenne noch einen Punkt. Die negativen Auswirkungen haben Sie sehr wohl erkannt. Deshalb ist im Finanzausschuss an einer Stelle des Gesetzentwurfes noch etwas geändert worden, nämlich für die öffentliche Hand. Für die öffentliche Hand, das heißt für Unternehmen der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, soll diese Zinsschranke nicht gelten. Aber wenn sie für die öffentliche Hand nicht gelten soll, dann frage ich mich, warum sie für die normalen Betriebe in unserem Lande gelten soll, die dadurch massiv belastet werden. Das ist überhaupt nicht einzusehen und zeigt eine gewisse Staatsnähe. ({8}) Das Ganze führt dazu, dass die gewinnschwachen, die kapitalschwachen und die forschungsintensiven Unternehmen zusätzlich belastet werden, während die ertragsstarken, international tätigen Unternehmen entlastet werden. Das ist genau die falsche Lenkungswirkung. ({9}) - Ich bin jetzt etwas irritiert, Herr Lafontaine, aber wo ich recht habe, habe ich recht. Es freut mich, dass dann auch von Ihrer Seite Applaus kommt. ({10}) Nicht zu Unrecht hat die Bundeskanzlerin noch im März dieses Jahres auf der Handwerksmesse in München erklärt, dass dieses Gesetz nicht dazu führen dürfe, dass Forschung in Deutschland erschwert werde und abwandere. In diesem Bereich ist allerdings am Gesetzesentwurf nichts geändert worden, sodass die Einsichtsfähigkeit der Kanzlerin weder im Kabinett noch in der Koalition Verbreitung fand. Das halten wir für bedauerlich. ({11}) Ein weiterer Punkt: Die Ausweitung der Bemessungsgrundlage bei der Gewerbesteuer durch die Zurechnung sämtlicher Zinsen und die Finanzierungsanteile aus Mieten, Pachten und Leasingraten ist wirtschaftspolitisch unsinnig. Sie führt dazu, dass Unternehmen, wenn sie keine Erträge erwirtschaften, gleichwohl aus ihrer Substanz Steuern zahlen müssen, weil Kosten zur Bemessungsgrundlage für Steuern erklärt werden. Das ist absurd. Das ist der falsche Weg. ({12}) Ich gehe davon aus, dass das nicht der einzige Punkt ist, an dem Sie im Laufe dieser Periode oder danach dieses Gesetz noch fundamental werden verändern müssen, weil es Käse ist. Unter dem Deckmantel des Mantelkaufes - hier spreche ich einen weiteren Punkt an - wird erschwert, dass sanierungswürdige Unternehmen saniert werden können. Denn wenn die Gesellschafter wechseln - das ist erforderlich, wenn man einen neuen Investor benötigt, um den Betrieb weiterzuführen -, dann können die entstandenen Verluste nicht mehr berücksichtigt werden. Das führt dazu, dass weniger sanierungswürdige Betriebe saniert werden können. Ich verstehe nicht, dass die SPD dem fröhlich die Hand reicht. Denn die Arbeitnehmer in diesen Betrieben haben ein Recht darauf, dass ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben. Das machen Sie unmöglich. Das halte ich für absurd. ({13}) Bei den Veräußerungsgewinnen werden zukünftig auch Spekulationsgewinne - so werden sie genannt steuerpflichtig. Das trifft aber auch die private Altersvorsorge. Wir alle wissen: Die Umlageverfahren allein tragen nicht. Wir brauchen private Altersvorsorge. Der Kapitalertrag, der über zehn, 20 oder 30 Jahre angespart wurde, wird dann steuerpflichtig. Die Steuerpflicht umfasst auch die Inflationsgewinne, die zwischenzeitlich einen Teil des Wertzuwachses aufgefressen haben. Dass hierdurch Kapitalbildung für das Alter in unserem Lande erschwert wird, ist eine fundamentale Schwäche dieses Gesetzes. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, jetzt muss ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Das Spannendste ist dann noch die Verknüpfung mit der Erbschaftsteuer. Sie hat mit diesem Gesetz nichts zu tun. Das ist ein reiner Befriedungsakt gegenüber den Linken innerhalb der SPD, der auch von der Union mitgetragen wird. Das führt zu Wischiwaschi-Erklärungen mit der Folge, dass Frau Nahles, die designierte stellvertretende Parteivorsitzende, bei dem Beschluss schon heute erklären kann, dass die Erbschaftsteuer massiv erhöht werden soll. Mit Blick auf die sprudelnden Steuereinnahmen nur von Steuererhöhung zu reden, halten wir für falsch. Wir brauchen auch in diesem Bereich Entlastung. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 liegt uns heute eine wesentliche Strukturreform in dieser Wahlperiode zur Abstimmung vor. Ich glaube, die Koalition dokumentiert damit, dass unser Land und wir als Koalition zur Strukturreform fähig sind und die Kraft zu Veränderungen in diesem Land haben. ({0}) Ich will darauf hinweisen, dass man immer eine Gesamtbetrachtung anstellen sollte. Wir haben die Haushaltskonsolidierung auf den Weg gebracht. Wir haben die Konjunktur aus dem Koma geholt, und wir sind jetzt dabei, Wachstum und Beschäftigung nachhaltig auszugestalten, indem wir nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Veränderungen in unserem Land vornehmen. Insofern ist diese Reform ein nachhaltiger Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Deshalb sind wir hier auf dem richtigen Weg, Herr Kollege Thiele. ({1}) Ich will ferner feststellen, dass die Unternehmensteuerreform belegt, dass wir in Deutschland in dieser Koalition verlässliche und berechenbare Politik machen. Vertrauen und Planungssicherheit sind wichtige Aspekte jenseits der Inhalte einer Reform, die Grundlage für Investitionsentscheidungen und damit letztendlich für Wachstum und Beschäftigung sind. Ich möchte an dieser Stelle all den Kollegen Dank sagen, die an der Vorbereitung dieser Reform mitgewirkt haben: Herrn Koch, Herrn Steinbrück und den anderen, die in der Kommission tätig waren. Denn ich glaube, es ist gelungen, bei sehr weit auseinanderliegenden Positionen einen sach- und lösungsorientierten gemeinsamen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Die Reform wird sechs Monate vor ihrem Inkrafttreten beschlossen. Wann hatten wir es bei großen Strukturreformen, dass sich Steuerpflichtige und Verwaltungen so weit im Vorhinein auf die neue Lage einstellen konnten? Auch dies ist eine positive Leistung für unser Land. ({2}) Uns wird draußen vorgehalten, es werde eine Reform für die Unternehmen gemacht. Ich will hier die These aufstellen: Wir machen eine Reform für die Menschen. Wir erhöhen die Chancen auf Arbeitsplätze. Wir erhöhen die Chancen auf mehr Wirtschaftswachstum, auf mehr Investitionen und damit letztendlich auf steigende Einkommen und mehr Wohlstand in diesem Land. Daran werden alle teilhaben. Es werden diejenigen teilhaben, die unternehmerisch tätig sind. Es werden die Beschäftigten der Unternehmen teilhaben und auch diejenigen, wie etwa Rentner, deren Einkommensentwicklung an die Entwicklung der Nettolöhne gekoppelt ist. Es ist eine Reform für alle Menschen in diesem Land; wir sollten das nicht falsch, sondern richtig darstellen. Deshalb brauchen wir diese Reform. ({3}) Meine Damen und Herren, wenn ich die Kritik der Opposition höre, dann muss ich sagen: Es gibt da nicht allzu viel Substanzielles. ({4}) An der einen oder anderen Stelle wird im Detail kritisiert. Erst wurde uns gesagt, es müsse schneller gehen. Jetzt heißt es, es sei nicht ganz der richtige Wurf. Ja, was wollen Sie denn? Ich vermisse Ihren Vorschlag, mit dem Sie geschlossen darstellen, wie man angesichts der Haushaltslage eine Strukturreform in einem solchen Umfang überhaupt vornehmen kann. ({5}) Mehr Steuerentlastung fordern, was zu mehr Löchern im Haushalt führt, ist einfach. Aber man muss das Ganze auch in der politischen Darstellung zusammenbekommen. Da fehlt mir ein Vorschlag von Ihnen. ({6}) Meine Damen und Herren, die Große Koalition nimmt das Parlament und den Rat von Experten ernst. Wir haben von der ersten Lesung, die im März stattfand, bis zum heutigen Tag über 40 Änderungen an diesem Gesetz vorgenommen. Dies zeigt, dass wir nicht einfach stur mit unserer Mehrheit durch die Wand gehen, sondern dass wir da, wo die Fachleute Veränderungen vorgeschlagen haben, diese ernsthaft geprüft und entsprechend eingearbeitet haben. Dafür möchte ich dem Vorsitzenden des Finanzausschusses und allen beteiligten Kollegen Dank sagen. Ich glaube, auch daran wird deutlich, dass wir dieses Thema von der Sache her betrachten und nicht allein mit Mehrheiten agieren. ({7}) Darüber hinaus machen wir den Standort Deutschland wettbewerbsfähig. Wir führen einen Steuertarif ein, der bei unter 30 Prozent liegt. Ich will ausdrücklich sagen: Dieser Steuertarif gilt für alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Rechtsform. Wir machen also keine Reform für Kapitalgesellschaften, sondern wir bieten allen Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform einen Steuersatz auf einbehaltene Gewinne von unter 30 Prozent. Dass wir das in unserem Land schaffen, hätte man sich vor zwei Jahren noch nicht vorstellen können. Aber hier und heute beschließen wir diese Regelung. Das ist in puncto Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes für Unternehmensansiedlungen ein gewaltiger Schritt nach vorn. Wir tun etwas für den Mittelstand; auch darauf möchte ich hinweisen. Die Thesaurierungsoption habe ich erwähnt. Wir werden außerdem eine Investitionsrücklage einführen. Das wird eine wesentliche Flexibilisierung zur Folge haben. Wir sorgen dafür, dass die Gewerbesteuer besser mit der Einkommensteuer verrechnet werden kann. Vor diesem Hintergrund stelle ich die These auf: Diese Reform ist auch im Interesse des Mittelstands, nicht nur im Interesse der großen Unternehmen in unserem Land. Dafür hat sich die Union nämlich eingesetzt. ({8}) Ich möchte ganz deutlich sagen: In Deutschland finden wir eine andere Unternehmenskultur als in anderen Ländern vor. Sie ist geprägt von Familienunternehmen und mittelständischen Unternehmen. Das ist in anderen Ländern nicht der Fall. Natürlich könnten wir unsere Kultur aufgeben und uns vor allen Dingen um Kapitalgesellschaften kümmern. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen an der Kultur der Familienunternehmen festhalten. Deshalb haben wir uns bemüht, neue Lösungen zu finden, um auch die Personengesellschaften mitzunehmen. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum Gewinne, die am Standort Deutschland erwirtschaftet wurden, nicht auch hier der Besteuerung unterzogen werden sollten. Man kann sehr lange über die Frage diskutieren, mit welchen Instrumenten man dieses Problem am besten in den Griff bekommt. Selbstverständlich stellt eine Senkung der Steuertarife eine Motivation dar, um diesen Effekt zu vermeiden. Aber wir alle mussten zur Kenntnis nehmen: Das allein reicht nicht aus. Auch die bisherigen Regelungen zur Gesellschafterfremdfinanzierung reichten nicht aus. Wir müssen dieses Problem auf innovative und kreative Weise lösen. Herr Kollege Poß, wir haben vereinbart, dass wir zeitnah evaluieren wollen, ob unsere Maßnahmen die richtigen Ergebnisse liefern. Wir müssen uns - im Kontext der Entwicklung in den USA und in Frankreich - der Frage stellen: Wie können wir dafür sorgen, dass Gewinne, die im eigenen Land erwirtschaftet werden, auch im eigenen Land besteuert werden? Es ist ein vernünftiger Gedanke, davon auszugehen, dass dann, wenn wir etwas zur Verfügung stellen, auch hier Steuern zu zahlen sind. Dadurch, dass wir zukünftig den Gewinn vor Abschreibungen betrachten und darauf die Zinsschranke anwenden, ist eine wesentliche Entspannung und Verbesserung der Situation eingetreten. Auf diese Weise haben wir dafür gesorgt, dass diese Regelung auch aufseiten der Unternehmen als tragbare Lösung angesehen wird. ({9}) Ich sage ganz offen: Der Beitrag, den diese Unternehmensteuerreform zum Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland leistet, ist aus meiner Sicht noch nicht hinreichend. Aber im Rahmen der Unternehmensteuerreform werden wir an dieser Stelle nichts mehr ändern können. Mittlerweile liegt uns allerdings ein im Bundesministerium der Finanzen erarbeitetes Eckpunktepapier vor - dafür möchte ich Ihnen, Herr Finanzminister Steinbrück, ausdrücklich danken -, in dem die Themen Wagniskapital und Unternehmensbeteiligungen behandelt werden und in dem der Frage nachgegangen wird, wie wir Unternehmen in Deutschland in der Gründungs- und Wachstumsphase besser fördern können. Ich glaube, auf dieser Basis können wir uns in der Koalition darüber unterhalten, wie wir dieses Problem lösen. Ich glaube, wir müssen die gegenwärtigen Vorschläge noch ein wenig optimieren. Im Mittelpunkt müssen folgende Fragen stehen: Wie können Verlustvorträge im Rahmen von Finanzierungsrunden - das ist insbesondere für den Innovationsstandort eine essenzielle Frage - besser mitgenommen werden? Wollen wir uns nur auf das Gründungskapital konzentrieren oder auch die Wachstumsphasen, die Zweit- und Drittrundeneffekte, mitfinanzieren? An dieser Stelle besteht meiner Meinung nach die Notwendigkeit, nachzubessern. ({10}) Ich möchte nicht nur bewundern können, was in Luxemburg oder in der Londoner City im Bereich Wagnisund Risikokapital geschieht. ({11}) Ich würde mich freuen, wenn solche Instrumente auch am Finanzplatz Deutschland zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Wachstum und Beschäftigung gewinnbringend eingesetzt würden. ({12}) An dieser Stelle müssen wir gemeinsam arbeiten und Lösungen entwickeln. ({13}) - Da ich weiß, dass der Kollege Oswald ein fleißiger Arbeiter ist, ({14}) werden wir das gemeinsam schaffen. Meine Damen und Herren, mit der Einführung einer Abgeltungsteuer schaffen wir für den Finanzplatz Deutschland attraktive Rahmenbedingungen. Ich teile die Ausführungen, die der Finanzminister zum Thema Steuerehrlichkeit gemacht hat. Ich möchte hinzufügen: An dieser Stelle sorgen wir für eine wesentliche Vereinfachung. Durch die Einführung der Abgeltungsteuer leisten wir einen maßgeblichen Beitrag zum Bürokratieabbau. Auch das sollte gelegentlich einmal festgehalten werden. Daneben brauchen wir in Deutschland keine so große Kontrolldichte mehr. Die Zahl der Kontenabfragen kann deutlich geringer ausfallen. Auch das ist hinsichtlich der Wahrnehmung unseres Finanzplatzes ein Schritt nach vorne. ({15}) Der Kollege Thiele hat auf die Altersvorsorge hingewiesen. Ich teile die Bedenken, dass wir außerhalb der gesetzlichen Rente mehr für die Altersvorsorge tun müssen. Ich will aber auch einmal daran erinnern, dass wir in der letzten Wahlperiode auf dieser Baustelle gemeinsam etwas getan haben. Wir haben die nachgelagerte Besteuerung für die Altersvorsorge eingeführt. Man kann im Detail darüber reden, welche Rahmenbedingungen gesetzt wurden, ein attraktives Angebot für die Altersvorsorge ist über die nachgelagerte Besteuerung aber gegeben. Deshalb bitte ich, in der Diskussion ehrlich zu bleiben. Wer Kapitalanlagen betreibt, dessen Kapitalertrag wird besteuert, und wer Altersvorsorge betreibt, dessen Altersvorsorge wird über die nachgelagerte Besteuerung besteuert. Beides ist attraktiv ausgestaltet. Ich bitte um Ehrlichkeit, sodass wir hier nicht mit falschen Etiketten hantieren; denn ansonsten gleitet die Diskussion auf ein Niveau ab, das hier eigentlich fehl am Platze ist. Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die Steuerausfälle. Ich bin zunächst einmal zufrieden, dass die kommunale Ebene diese nicht mitfinanziert. Die 5 Milliarden Euro, über die wir reden, werden voll und ganz vom Bund und von den Ländern aufgebracht. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir eine gute Vereinbarung getroffen. Zu den 5 Milliarden Euro will ich auch sagen, dass sie das Ergebnis einer statischen Betrachtung sind. ({16}) In dem Moment, in dem Wachstums- und Beschäftigungseffekte eintreten und die Unternehmen tatsächlich aktiv werden, wird es nicht zu diesen Steuerausfällen von 5 Milliarden Euro kommen, sondern der Haushaltsminister wird eine bessere Bilanz vorlegen können. Ich glaube, dass wir deshalb durch diese Reform am Ende der Zeitschiene kein Minus, sondern ein Plus zu verDr. Michael Meister zeichnen haben werden. Deshalb können wir sie auch guten Gewissens mittragen. ({17}) Der Kollege Thiele hat hier über das Körperschaftsteueraufkommen im Laufe der Zeit gesprochen. Weil ich weiß, dass er fachkundig ist, hätte ich mir auch einen Hinweis auf die Unternehmensteuerreform 2000 gewünscht. Deren wesentlicher Effekt war es nämlich, dass sich das Körperschaftsteueraufkommen entsprechend entwickelt hat. Dies in diesem Zusammenhang nicht anzusprechen, rückt die Argumentation an dieser Stelle natürlich in ein etwas diffuses Licht. ({18}) - Jawohl, Sie waren auch beteiligt, Frau Scheel, und haben dafür gesorgt, dass wir in Deutschland kein Körperschaftsteueraufkommen hatten und dass die Unternehmen nichts bezahlt haben. Dies geschah aber nicht, weil Sie es wollten, sondern weil Sie als Vorsitzende des Finanzausschusses Fehler gemacht haben, die zu großen Steuerausfällen geführt haben. Eigentlich hätte man an dieser Stelle eine größere fachliche Kompetenz erwarten können. ({19}) Meine Damen und Herren, nach der Reform ist vor der Reform. Die Vereinfachung muss trotz der Priorisierung der Unternehmensteuerreform weitergeführt werden. Deshalb werden wir als Unionsfraktion an der Vereinfachung des Steuerrechts dranbleiben. Wir wollen eine weitergehende Vereinfachung. ({20}) Für uns steht auch das Thema Gewinnermittlung unterhalb der Besteuerungsebene auf der Tagesordnung. Herr Steinbrück, ich glaube, wir sind uns einig, dass wir uns dieser wichtigen Aufgabe zuwenden und die Frage beantworten müssen, wie es bei der Bilanzierung der Unternehmen im Sinne von mehr Einfachheit, aber auch mehr Klarheit zu einem Gewinn für den Standort kommen kann. Es liegen schwierige Probleme vor uns. Wir zeigen, dass die Große Koalition zu Strukturreformen fähig ist. Sie ist damit aber nicht am Ende. Weitere große Projekte liegen vor ihr. Ich habe sehr viel Vertrauen, dass wir das gemeinsam schaffen. Ich wünsche mir dafür Ihre Zustimmung und Unterstützung. Vielen Dank. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort an Sie, Herr Kollege Kolb, weil Sie so erschrocken waren, dass ich Ihnen Beifall gespendet habe. ({0}) Wenn Sie in der Sache recht haben, muss ich Ihnen natürlich Beifall spenden. Ich glaube, wir sollten uns durchaus vorstellen können, dass man auch Kollegen Beifall spenden kann, die normalerweise nicht die Auffassung vertreten, die man selbst vertritt. Zum Parlamentarismus gehört es, dass man dann Beifall spendet, wenn man ein Argument für richtig hält. Das sollten wir auch in Zukunft so halten. ({1}) Damit Sie nicht allzu sehr erschrecken: In Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik gibt es durchaus Überschneidungen zwischen meinen und vielleicht auch Ihren Überlegungen mit denen anderer. Wenn es um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht geht, stützen wir uns beispielsweise auf Walter Eucken, der die Verhinderung wirtschaftlicher Macht zum Kernanliegen einer Wettbewerbsordnung gemacht hat. Die Verhinderung wirtschaftlicher Macht ist ja kein Thema mehr. Die Kontrolle wirtschaftlicher Macht war noch ein Schwerpunkt der SPD im Godesberger Programm. Aber auch davon ist heute keine Rede mehr. Wenn es um Ordnungspolitik geht - zum Beispiel bei der Netzprivatisierung -, dann kommen wir nicht auf die Idee, einen Zeitgenossen zu zitieren. Ich zitiere lieber John Stuart Mill, der niemals auf die Idee gekommen wäre, der Marktwirtschaft Bereiche zu unterwerfen, die nicht marktwirtschaftlich zu organisieren sind. ({2}) Wenn wir über Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand reden - ich komme noch darauf zurück -, dann beziehe ich mich gerne auf Karl-Hermann Flach und Werner Maihofer, die mit dem Freiburger Programm Positionen vorgelegt haben, die ich heute noch unterschreiben könnte. So viel zu den Auflockerungsübungen, die Sie vielleicht überrascht haben. ({3}) Wenn es um die Erbschaftsteuer geht, erwähne ich gerne große amerikanische Liberale wie Bill Gates oder Warren Buffett, die eine andere Position als Sie vertreten und der Auffassung sind, dass es Erben sehr wohl zuzumuten ist, sich durch eigene Leistung ein eigenes Vermögen aufzubauen, statt sich auf dem Vermögen der Eltern auszuruhen. ({4}) Das macht deutlich, dass man mit unterschiedlicher Sichtweise an bestimmte Fragen herangehen kann; man sollte aber in seiner Denkweise einigermaßen konsequent sein. Nun zu unserer Position: ({5}) Im Gegensatz zu den meisten Vorrednerinnen und Vorrednern bin ich nicht in der Position, der Regierung und denjenigen, die an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben, meinen Dank für die großartigen Leistungen auszusprechen; vielmehr stelle ich für unsere Fraktion fest: Nach der verteilungspolitischen Entwicklung der letzten Jahre und den vielen Unternehmensteuerreformen, die wir schon beschlossen haben, ist ein weiterer Milliardensegen für die Großkonzerne unvertretbar. Das ist die Position der Linken. ({6}) Problematisch ist auch, dass Sie es nicht bei diesem Milliardensegen bewenden lassen wollen. Die nächsten Milliardengeschenke für die Unternehmen werden bereits angekündigt. Mit Erschrecken habe ich festgestellt, dass der Kollege Poß kürzlich öffentlich weitere Senkungen der Lohnnebenkosten angekündigt hat. Ich hoffe, Sie sind richtig zitiert worden. ({7}) - Herr Kollege Poß, früher wussten Sie selber, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten immer auch ein Milliardengeschenk an die Unternehmen bedeutet. ({8}) Nachdem wir in dieser Legislaturperiode schon einmal den Unternehmen durch die Senkung der Lohnnebenkosten ein Milliardengeschenk beschert haben, frage ich mich, warum ein Sozialdemokrat angesichts der Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer und Rentner weitere Milliardengeschenke an die Unternehmen fordert. Sie sollten diese Position noch einmal überdenken. ({9}) Die CDU/CSU hat bereits angekündigt, dass in einem Jahr die nächste Unternehmensteuerreform ansteht. Ich bin sicher, dass es dazu kommt. Die nächste Unternehmensteuerreform wird die Unternehmen sicherlich nicht nur um 130 Millionen Euro entlasten. Es ist jetzt schon abzusehen, dass die Geschenke an die Unternehmen einen größeren Umfang haben werden. Ich bin bereit, mit Ihnen Wetten abzuschließen, dass wir demnächst in diesem Hause wieder über ein solches Vorhaben diskutieren. Es geht aber nicht nur um die Senkung der Lohnnebenkosten und um Ihre weiteren Vorhaben in einem Jahr, sondern auch um die Erbschaftsteuerreform. Die Erbschaftsteuer soll bei erfolgreicher Fortführung eines Unternehmens über zehn Jahre vollständig erlassen werden. Auch das sind Milliardengeschenke an die Unternehmen, wie auch immer Sie es definieren. Wenn es in diesem Lande darum geht, Unternehmen zu bedienen, dann ist die große Mehrheit dieses Hauses dabei. Das steht im krassen Widerspruch zur Einkommensverteilung in diesem Lande. Darauf wollen die Linken aufmerksam machen. ({10}) Wenn in diesem Hause immer wieder solche Milliardensegen beschlossen werden, dann frage ich mich trotz der freudigen Einlassung des Bundesfinanzministers, was die Rentnerinnen und Rentner denken, die mit einer Rentenerhöhung um 0,54 Prozent - welch großartige Leistung, Herr Bundesarbeitsminister! - rechnen dürfen. Sie stellen sich die Frage, warum für die Unternehmen Milliarden zur Verfügung stehen, wenn sie selbst nur ein paar Brotkrumen erhalten. Diese Einkommensentwicklung können wir nicht tolerieren. ({11}) Sie erwähnen immer wieder stolz die Entwicklung bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Ich frage mich, wie die Leiharbeiter darüber denken, die unter Tarif in den Betrieben beschäftigt werden und deren Zahl immer weiter zunimmt. ({12}) Ich rate dazu, nicht alles durch eine rosarote Brille zu betrachten. Es ist zwar erfreulich, wenn die Wirtschaft in Bewegung kommt - das habe ich mehrfach ausgeführt -, aber es ist unverständlich, dass Sie alles durch eine rosarote Brille betrachten. Was denken insbesondere die 50 000 Bediensteten der Telekom, die zum Teil 40 Prozent Ihres Einkommens einbüßen, wenn sie Ihre Lobeshymnen hören und von den Milliardengeschenken an die Unternehmen erfahren? Diese Frage möchte ich in den Raum stellen. ({13}) Ich möchte noch eine weitere Überschneidung ansprechen. Erschrecken Sie jetzt nicht, Herr Kollege Kolb! ({14}) Jetzt wäre die Gelegenheit, die vielen kleinen Unternehmen im Einkommensteuertarif zu entlasten, die zum Teil nicht mehr als 30 000 Euro bis 40 000 Euro Jahresgewinn erzielen. Das wäre auch in ökonomischer Hinsicht sehr viel sinnvoller als die Milliardengeschenke an die Großkonzerne, mit denen Sie sich offensichtlich so gut verstehen. ({15}) - Herr Kollege Thiele, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich nehme aber an, es war keine Beleidigung, Sie mit dem Kollegen Kolb zu verwechseln. Das war keine Absicht. Es wäre jetzt viel sinnvoller, den Einkommensteuertarif zu korrigieren und den sogenannten Mittelstandsbauch zu entfernen. Dies wäre nicht nur sinnvoll für die vielen Kleinbetriebe, die davon profitieren würden. Es wäre ebenfalls sinnvoll für die Facharbeiter, die für uns nach wie vor zu den Leistungsträgern dieser Gesellschaft gehören - nicht nur die Großkonzerne! ({16}) Wenn man zu viel Geld hat, dann kann man das machen. Wenn man schon dabei ist, Unebenheiten im Einkommensteuertarif auszugleichen, dann wäre es auch sinnvoll, einen Inflationsausgleich in den Einkommensteuertarif einzubauen. Das ist in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Es gab Jahre, in denen die Bruttozuwächse der Arbeitnehmer unter der Inflationsrate lagen, sodass die damit verbundenen leichten Steuerzuwächse ihr Einkommen noch einmal geschmälert haben. Es gibt in anderen Ländern Beispiele dafür. Ich weiß, dass solche Überlegungen auch einmal in Ihrer Fraktion angestellt worden sind. Neben der Entlastung der Facharbeiter und Kleinstbetriebe wäre eine Korrektur des Einkommensteuertarifs erforderlich. ({17}) Ich habe das Freiburger Programm aus folgendem Grund angesprochen: Wenn Sie schon meinen, bei der Erbschaftsteuer hätten Sie weitere Gründe, Milliardengeschenke an die Unternehmen zu geben, dann wäre es doch sinnvoll - wenn Sie ökonomische Gründe heranziehen wollen -, das Vermögen nach zehnjähriger Betriebsfortführung nicht beim Erben zu belassen, sondern Anteilsscheine an die Belegschaften auszugeben. Das wäre wirklich einmal eine Innovation, und es wäre dem Rechnung getragen, was Sie alle wollen, dass nämlich das Kapital im Unternehmen bleibt und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Zuwachs des Produktivkapitals beteiligt werden. ({18}) - Ihr Lachen, verehrter Herr Kollege - Ihren Namen kenne ich leider nicht -, zeigt, dass Sie sehr jung sind. Das war vor vielen Jahren Konsens in diesem Hause. Das steht so im Freiburger Programm, wenn Sie das bitte schön noch einmal nachlesen würden. Wenn Sie beispielsweise die Reden von Karl Schiller - ich wende mich jetzt an die SPD-Fraktion in diesem Hause - noch einmal nachlesen, dann werden Sie sehen, dass es ein großes Problem ist, dass der Zuwachs des Produktivvermögens im Laufe einer langjährigen Betriebsführung allein den Anteilseignern zugute kommt, obwohl er doch ebenfalls durch den Fleiß der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erarbeitet worden ist. ({19}) Warum denken Sie über solche Alternativen überhaupt nicht mehr nach? Die Linke vertritt nach wie vor diese Alternativen. ({20}) Nun komme ich zur wunderbaren Betrachtung des Herrn Bundesfinanzministers zur Abgeltungsteuer. Er hat kühn, wie das so seine Art ist, gesagt - wer wollte ihm da widersprechen? -: 25 Prozent auf x sind besser als 42 Prozent auf gar nix. Das ist logisch; dagegen kann niemand etwas sagen. Nur sind diejenigen, die Geld haben, genauso schlau wie Sie. Die sagen sich, dass 0 Prozent auf x in Luxemburg besser sind als 25 Prozent in Deutschland. Sie sind genauso schlau wie Sie. Wirklich! ({21}) - Doch, sie sind so. Sie rechnen so, Herr Steinbrück. Deshalb geht diese wunderbare Rechnung nicht auf. Im Übrigen ist es für mich wirklich ein Phänomen - wie soll ich Sie anreden? -, verehrte Damen und Herren der Sozialdemokratie, ({22}) dass Sie einfach zustimmen, dass die - leistungslosen Erträge aus dem Geldvermögen steuerlich viel besser behandelt werden als die harte Arbeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({23}) Ich verstehe eine solche Fehlentwicklung nicht. Als ich gerätselt habe, wie das wohl weitergehen wird und wie die einzelnen Fraktionen wohl abstimmen werden, ist mir zufällig ein Bericht der „Welt Online“ in die Hand gefallen, der mit dem Titel „Wirtschaft investiert am liebsten in die CDU“ überschrieben war. Ich zitiere: Im Wahljahr 2005 hat die CDU ihre Spendeneinnahmen fast verdoppelt. Wie aus dem Rechenschaftsbericht der Parteien hervorgeht, geben Wirtschaftsgrößen und Unternehmen am liebsten Geld für die Union. Und die FDP … ({24}) Dann steht weiter in dem Artikel, dass die SPD und die Grünen etwas weniger bekommen. Die Linke bekommt natürlich nichts. ({25}) Ich habe das gelesen und mich mit der Frage geplagt, wieso wir eigentlich nichts bekommen. ({26}) Wir dachten, dass die Wirtschaft irgendwie - 10372

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Lafontaine, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbstverständlich. Bitte schön, Frau Kollegin Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege, bei dem Satz, Sie, die Linke, bekämen nichts, ging mir ein historisches Licht auf. Sind Sie eigentlich sicher, dass Sie alles, was Sie aus SED-Zeiten illegal mitgenommen haben, zurückgegeben haben? ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Künast, ich kenne die Entwicklung etwas besser als jeder andere, weil ich damals im Zentrum war. Deshalb wäre ich an Ihrer Stelle generell etwas vorsichtig und insbesondere hier noch vorsichtiger. ({0}) Sie haben keine Blockpartei geschluckt und insofern auch kein Vermögen. Aber hier sind Parteien vertreten, die ebenfalls eine Blockpartei oder sogar zwei Blockparteien geschluckt haben, die Vermögen hatten. Sie sollten also Ihre Frage den Richtigen stellen. ({1}) Die Linkspartei wurde juristisch so verfolgt und gejagt, dass sie unterschreiben musste, dass jeder Betrag, der auftaucht, dreifach zurückgezahlt wird. Hören Sie also mit diesen Verdächtigungen auf! ({2}) Ihr Ablenkungsversuch ist allzu durchsichtig, Frau Kollegin Künast. Auch Ihre Partei ist in der erwähnten wunderbaren Liste aufgeführt. Es ergibt sich ein merkwürdiger Zufall: Das Abstimmungsverhalten der betreffenden Parteien spiegelt in etwa die freundliche Gesinnung der Wirtschaft gegenüber diesen Parteien wider. ({3}) Das ist natürlich ein reiner Zufall. Aber ich werde weiter darüber nachdenken. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu dieser Therapiestunde sage ich besser nichts. ({0}) Ich möchte gerne auf das eingehen, was Herr Meister gesagt hat. Er hat gesagt, die Große Koalition habe die Konjunktur aus dem Keller geholt. Ich sage dazu: Trotz dieser Großen Koalition ist die Konjunktur gut, weil die Menschen in diesem Land arbeiten und weil vor allem die Auftragslage der Unternehmen gut ist. Wohlgemerkt: trotz dieser Koalition. ({1}) Herr Meister, ich bin froh, sieben Jahre Finanzausschussvorsitzende gewesen zu sein; denn in dieser Zeit sind genau die Entscheidungen gefallen, mit denen die Strukturen grundlegend verändert worden sind, sodass wir heute vernünftige Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt und im Steuerrecht vorfinden. ({2}) Ihre Behauptung, Sie hätten eine wesentliche Strukturreform durchgeführt, ist reine Augenwischerei. Der vorliegende Gesetzentwurf ist Stückwerk. In Wirklichkeit stimmen Sie - sowohl aufseiten der Union als auch aufseiten der SPD - diesem Gesetzentwurf in großen Teilen nur mit zusammengebissenen Zähnen zu. ({3}) Denn wie wir alle wissen, herrscht ein sehr großes Unwohlsein angesichts der unkalkulierbaren Auswirkungen dieser Reform auf die Unternehmen, aber auch auf die Steuereinnahmen. Um diesen Risiken zu begegnen, haben Sie schon angekündigt, dass Sie eine Vielzahl von Überprüfungen vornehmen werden. Deswegen ist es völlig übertrieben, heute zu sagen: Wir haben eine supergroße Strukturreform durchgeführt. Das bedeutet, nach der Reform ist vor der Reform. Ich behaupte, dass diese Reform nicht lange Bestand haben wird. Es wird in zwei bis drei Jahren substanzielle Korrekturen geben. Wir Grüne haben immer darauf hingewiesen, dass diese Reform enorme Mängel hat. Ich mache das einmal an fünf Beispielen deutlich. Erstens. Die Finanzierung ist nicht solide. Zweitens. Die Mittelstandslücke ist nicht geschlossen worden. Drittens. Die Finanzierung ist unsystematisch und investitionsfeindlich. Viertens. Die Vorzüge der Abgeltungsteuer wurden demontiert. Fünftens. Die Aktiensparer werden massiv zur Kasse gebeten. ({4}) Dann zu sagen, diese Reform sei gut, ist einfach falsch. ({5}) Ich werde die einzelnen Punkte belegen. Die Reform ist nicht solide finanziert. Das sagen die Kommunen und die Länder; denn die müssen die Milliardenausfälle verkraften. Ob Steuermehreinnahmen in Höhe von 4 Milliarden Euro in dieses Land kommen, weil Sie auf die Rückverlagerung von Gewinnen aus dem Ausland hoffen, ist zweifelhaft. Das ist das Prinzip Hoffnung. Das hat mit der Realität sehr wenig zu tun. ({6}) Die Datenbasis ist schlecht. Das wissen wir. Sie setzen darauf - das, so finde ich, ist das Schwierige an der Situation -, dass konjunkturbedingte Steuermehreinnahmen die Finanzlöcher dieser Reform verdecken werden. So wird die SPD-Linke nämlich nie erfahren, was diese Reform wirklich gekostet hat. Wenn die Konjunktur weiter anhält, wird das verwischt. Sie haben gesagt, dass Sie auf den Bestand der Konjunktur hoffen. Damit geben Sie zu, dass es Finanzrisiken auf allen Ebenen bei dieser Reform gibt. ({7}) Der zweite Mangel: Die Reform hat eine Mittelstandslücke. Sie behaupten immer, das stimme nicht. Alle reden von der Entlastung der Kapitalgesellschaften. Was ist denn eigentlich mit den kleinen und mittleren Unternehmen, die eine andere Rechtsform haben und die 80 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Land stellen und 70 Prozent der Ausbildungsplätze in Deutschland schaffen? Ich weiß, das sind alles altbekannte Zahlen, aber sie verdeutlichen eine Tatsache, die heißt: Eine Unternehmensteuerreform, mit der Wachstum und Beschäftigung in der Zukunft geschaffen und erhalten werden sollen, darf nicht an diesen kleinen und mittleren Unternehmen vorbei gemacht werden. ({8}) Genau das tut diese Große Koalition, und sie geht noch weiter; denn die Entlastung von international operierenden Unternehmen wird zu großen Teilen auch von den kleinen Unternehmen in der Bundesrepublik bezahlt. Das ist unfair, und das ist der Punkt, den wir hier an dieser Stelle massiv kritisieren. ({9}) Wir haben uns die Zahlen vom Zentralverband des Deutschen Handwerks und vom Deutschen Industrieund Handelskammertag sehr genau angesehen und stellen fest, dass Ihre Aussage, die Sie hier getroffen haben, nämlich dass diese Unternehmen etwas davon hätten, sie thesaurieren und zum Beispiel den Investitionsabzugsbetrag in Anspruch nehmen könnten, genauer betrachtet werden muss. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann sieht man, dass maximal 12 Prozent aller Unternehmen überhaupt von diesen Maßnahmen profitieren werden. Aber die anderen 88 Prozent zahlen das mit. Das ist nicht in Ordnung. ({10}) Die Finanzierung der Reform ist unsystematisch, und sie ist investitionsfeindlich. Sie ist konzeptionslos, und sie ist zusammengestoppelt. Die Finanzierungsmaßnahmen gefährden - diese Kritik haben wir schon in der ersten Lesung vorgetragen - Forschung und Entwicklung hier am Standort. Sie machen das Steuerrecht komplizierter und bürokratischer. In Ihrem Gesetzentwurf sind 23 neue Mitteilungspflichten vorgesehen. Das spricht eine eigene Sprache. 23 neue Mitteilungspflichten bedeuten mehr Bürokratie für die Unternehmen. Die radikale Kürzung der Sofortabschreibungen auf geringwertige Wirtschaftsgüter belastet 5 Millionen Unternehmen in diesem Land mit mehr Bürokratie. Das ist der Punkt, an dem Anspruch und Wirklichkeit enorm auseinanderfallen. ({11}) Wir sehen auch, dass die neuen Regeln und die Entscheidungen, die jetzt im Zusammenhang mit den Änderungsanträgen im Finanzausschuss getroffen worden sind, zahlreiche Fußangeln für die Steuerpflichtigen bereithalten. Zukünftig entscheidet noch stärker als die Höhe des Einkommens die Qualität des Steuerberaters oder der Steuerberaterin über die Höhe der Steuerlast. Das kann doch nicht wahr sein angesichts der Tatsache, dass Sie davon reden, mehr Transparenz und eine Vereinfachung im Steuerrecht schaffen zu wollen. Am Ende weiß niemand wer, wie die tatsächliche Einkommenssituation ist. Sie aber stellen sich hin und behaupten, alles besser gemacht zu haben. Die Qualität des Steuerberaters wird darüber entscheiden, wie viele Steuern bezahlt werden, ({12}) und das ist nicht in Ordnung für die Zukunft; vielmehr sollte die Leistungsfähigkeit ausschlaggebend sein. Diese Einschätzung hat in der Sachverständigenanhörung eine breite Mehrheit der Experten geteilt. Hier etwas anderes darzustellen, grenzt schon wirklich an Realitätsverlust. Sie haben auch die Vorzüge der Abgeltungsteuer benannt. Das vom Finanzminister hier formulierte Ansinnen, zu Vereinfachung, mehr Transparenz und Gleichbehandlung aller Kapitaleinkünfte zu kommen, ist richtig. Aber was haben Sie daraus gemacht? Sie haben dafür gesorgt, dass Gewinne durch die Veräußerung von Aktien einer Sonderbehandlung unterliegen. Diese Abgeltungsteuer hat beispielsweise haarsträubende Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung: Durch die Ausgestaltung der Abgeltungsteuer werden Eigenkapitalfinanzierungen mit fast 50 Prozent doppelt so hoch besteuert wie Fremdkapitalfinanzierungen, die mit 25 Prozent besteuert werden. Das ist eine massive steuerliche Benachteiligung. Es lohnt jetzt noch mehr, mit Krediten als mit Eigenkapital zu finanzieren. Die Startups, die Wagniskapital dringend brauchen, werden zunehmend leer ausgehen. Das kommt hinzu. ({13}) Das heißt, Sie haben hier völlig unsystematische Finanzierungsvorschläge gemacht, um die Wirkung Ihrer merkwürdigen Zinsschranke - dieses eigenartige Produkt, das in Wirklichkeit kaum jemand versteht - zu mildern. Auf der anderen Seite haben Sie eine Gegen10374 finanzierung vorgenommen, die wahrscheinlich Verwerfungen auf den Finanzmärkten auslösen wird, über die Sie sich noch die Haare raufen werden. Wir meinen außerdem, dass Schwarz-Rot gegen Personen, die langfristig Geld in Aktien anlegen, völlig ungerechtfertigt vorgeht. Ihr erster Schritt war, den Sparerfreibetrag zu halbieren. Ihr zweiter Schritt war, den zu versteuernden Anteil an Dividenden zu verdoppeln. Ihr dritter Schritt war, festzulegen, dass beim Verkauf von Aktien anfallende Veräußerungsgewinne - auch solche, die langfristig erzielt worden sind - zu einem Viertel besteuert werden. Auch das ist Ausdruck einer unkalkulierbaren Politik. Es schadet der Aktienkultur in Deutschland. Wir befürchten, dass auch die private Altersvorsorge dadurch Schaden nehmen wird. Es kann doch nicht sein, dass Sie die Bürger jahrelang auffordern, Altersvorsorge zu betreiben, um anschließend die Steuerkeule zu schwingen. Das ist nicht in Ordnung, und es ist unfair gegenüber den Menschen in diesem Land, die in den letzten Jahren etwas für ihre Altersvorsorge getan haben und dies fortsetzen möchten. ({14}) An die Adresse der SPD gerichtet, möchte ich sagen: Sie irren, wenn Sie glauben, es gehe hier immer nur um die Besserverdienenden. Vielmehr geht es auch um Kleinsparer, um diejenigen, die vermögenswirksame Leistungen beziehen, und um diejenigen, die - Herr Beck hat das gesagt - Produktivkapital in Arbeitnehmerhand entstehen lassen wollen. Durch die von Ihnen hier getroffenen Maßnahmen wird genau das Gegenteil dessen passieren, was gewollt ist. Abschließend möchte ich noch eine Bemerkung machen. Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gibt es einen Entschließungsantrag zur Reform der Erbschaftsteuer. Die SPD ist nur dann bereit, diesem Gesetzesentwurf heute zuzustimmen, wenn dieser Entschließungsantrag angenommen wird. Ich kann Ihnen nur sagen: Dieses Papier hätten Sie sich sparen können. Die Annahme dieses Entschließungsantrags schafft keinerlei Rechtssicherheit. Ich finde, es ist eine politische Frechheit, in dieser Situation - kleine und mittlere Unternehmen sollen an Nachfolger übergeben werden und Erbschaftsfolgen stehen an - einen Entschließungsantrag vorzulegen, dessen Annahme nichts als einen Placeboeffekt zur Folge hat. Das zeigt im Prinzip nur, dass das Misstrauen in der Großen Koalition sehr groß ist. Dieser Entschließungsantrag hilft denjenigen, die auf ein solches Gesetz warten und die endlich Rechtssicherheit haben wollen, überhaupt nicht. Danke schön. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Joachim Poß, SPDFraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Scheel, ich verstehe Ihre Aufregung gar nicht. Sie müssten doch mit uns darin übereinstimmen, dass es richtig ist, auch in Zukunft die Erbschaftsteuer zur Finanzierung des Gemeinwesens in Deutschland - zur Finanzierung von Bildung und Betreuung - einzusetzen. Angesichts dessen müssten Sie diesem Entschließungsantrag doch zustimmen. ({0}) Sie regen sich an der falschen Stelle auf. Ich verstehe das gar nicht. Ich kann Ihnen auch nicht ersparen, zu sagen, dass Sie die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit in sehr kurzer Zeit offenbar vergessen haben. Wir haben doch gemeinsam dafür gesorgt, ({1}) dass kleine und mittlere Unternehmen, die im Jahr 1998 noch eine effektive Steuerbelastung von 25,2 Prozent hatten, im Jahr 2005 nur noch 19 Prozent Steuern gezahlt haben. ({2}) Es ist doch ein Erfolg gewesen, dass wir die Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld realisiert haben. Ich verstehe gar nicht, wie Sie hier agieren. Sie verleugnen das, was Sie an Positivem bewirkt haben. Diese Arbeit und die Weichenstellungen, die wir in der rot-grünen Koalition vorgenommen haben, haben natürlich mit dem gegenwärtigen Aufschwung zu tun. ({3}) Ebenso ist nicht zu leugnen, dass das „Binnenkonjunkturprogramm“, das wir in der Großen Koalition aufgelegt haben, sehr wohl die Binnenkonjunktur beflügelt hat. Wenn man die Länderanteile mitrechnet, sind es 37 Milliarden Euro gewesen. Fragen Sie doch bei der KfW und woanders! Natürlich hat die Politik den gegenwärtigen Wirtschaftsaufschwung befördert, und das ist auch gut so. Dazu kann man stehen. ({4}) Ein Wort vielleicht zu Herrn Lafontaine. Es lohnt sich nicht, glaube ich, mehr an ihn zu verschwenden. - Herr Lafontaine, die SPD ist seit 143 Jahren der Aufklärung verpflichtet, nicht der Täuschung. Bei Ihnen ist das umgekehrt. ({5}) - Bei Ihnen ist es aber Absicht; Sie sind ja nicht sachunkundig. Was ist der eigentliche Skandal? Der Skandal ist, dass Sie und andere von Milliardengeschenken sprechen, wo es um ganz etwas anderes geht. Es geht darum - Sie kennen sicherlich die Studie des DIW -, dass auf der Grundlage des geltenden Rechts bis zu 100 Milliarden Euro an Gewinnen, die bei uns in Deutschland erwirtschaftet werden, im Ausland zur Versteuerung ankommen. Weil es uns gemeinschaftlich nicht gelungen ist - das ist schon seit Ihrer Zeit als Finanzminister so -, in Europa einen Rahmen zu schaffen, der das verhindert. Das ist die Realität, und diese Realität müssen wir verändern. ({6}) Selbst wenn Sie eine absolute Mehrheit in Bundestag und Bundesrat hätten, müssten Sie den Status quo verändern, um die Gerechtigkeitslücke, mit der wir es gegenwärtig zu tun haben, zu schließen. Es wird DAX-Unternehmen geben - wir wollen da keine Namen nennen -, die jetzt zum ersten Mal richtig Steuern zahlen werden, die jetzt nämlich das Gemeinwesen nicht mitfinanzieren. Das ist auch der Kern dessen, was wir in sehr konstruktiver Atmosphäre in der Großen Koalition, in einer Arbeitsgruppe mit Roland Koch und Peer Steinbrück an der Spitze, zustande gebracht haben. Wir haben uns um die wirklichen Probleme gekümmert. Wir haben auf ideologische Schaukämpfe verzichtet. In diesem Geist lief es auch im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Es gab nur wenige substanzielle Veränderungen - trotz lautstarker Forderungen verschiedenster Lobbygruppen nach weitaus größeren Eingriffen in die geplante Reform. Fakt ist, auch daran muss man erinnern: Die Gewinnsituation ist glänzend. Das führt Gott sei Dank dazu, dass die Unternehmen derzeit - Herr Thiele, offenbar missfällt Ihnen das - so viel Steuern zur Finanzierung des Gemeinwesens zahlen wie seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr. Und das ist auch gut so. ({7}) Das entspricht dem Maßstab der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Daran gibt es nichts zu kritisieren. Wer gut verdient, soll auch Steuern zahlen. Das tun die Unternehmen Gott sei Dank. Allein bei der Gewerbesteuer waren das im letzten Jahr 38 Milliarden Euro brutto. Also: Es geht nicht um einen Milliardensegen für Konzerne, sondern um die Schließung der Gerechtigkeitslücke, wie ich das beschrieben habe. Wir haben die Länder im Vorfeld einbezogen. Das führt dazu, dass wir auf Verhandlungen im Vermittlungsausschuss verzichten können. Das hat auch Vorteile. Die Konstellation der Großen Koalition war hilfreich, um die ideologischen Beschränkungen und Polarisierungen zu überwinden, die die steuerpolitische Debatte im Land in den vergangenen Jahren geprägt haben. Diese Standortdebatte war irrational. Sie hat dem Standort - das muss man eindeutig sagen - eher geschadet. Von all den Reformvorschlägen, die da gemacht worden sind, galten nur diejenigen als mutig, die zu möglichst großen Einnahmeausfällen für Bund, Länder und Gemeinden geführt hätten. Ich will jetzt eigentlich keine Beispiele nennen. Aber die Vorschläge des Sachverständigenrats oder der Stiftung Marktwirtschaft hätten zu Ausfällen von bis zu 40 Milliarden Euro geführt. Das ist für uns nicht darstellbar. Das ist weder für die Länder noch für die Kommunen, noch für den Bund zu verkraften. Deswegen haben wir ein Reformkonzept gezimmert, das wirklich an die Probleme herangeht und nicht so viel kostet. Die Diskussion über die 5 Milliarden Euro ist eine Diskussion mit Scheingenauigkeit. Natürlich stimmt das: Wir haben derzeit eine Dynamik in der wirtschaftlichen Entwicklung, die genau dazu führen wird, dass wir bei der Gewerbesteuer schon im Jahr 2009 in absoluten Zahlen ein höheres Aufkommen haben werden als im Jahr 2007. Bei der Körperschaftsteuer spätestens 2010, möglicherweise aber schon 2009. Deswegen trifft diese Debatte, die auch in der SPD geführt wurde - man braucht hier kein Schattenboxen zu veranstalten -, nicht den Kern dessen, worum es hier geht. Es geht uns um die Sicherung der deutschen Steuerbasis bei gleichzeitiger Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und bei gleichzeitiger Förderung von Investitionen in Deutschland, die wiederum Arbeitsplätze sichern und helfen, neue zu schaffen. Das ist der Kern der Reform, für die wir hier stehen. Die Sozialdemokraten können stolz auf diese Reform sein. ({8}) Deshalb stehen wir auch zu dem, was wir mit dem Koalitionspartner vereinbart haben. Es gibt keine zu hohe effektive Belastung. Darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Es geht hier um nominale Steuersätze. Das DIW und auch andere Institutionen sagen: Leute, wenn ihr das verändern wollt, dann müsst ihr mit den nominalen Steuersätzen runter, dann müsst ihr entsprechende Instrumente schaffen. Wie diese wirken werden, wird man abwarten müssen. Ich bin hier vorsichtig. Es ist die Frage, wie die Zinsschranke wirken wird. Wir machen die Gewerbesteuer mit den Hinzurechnungen stabiler. Das ist eine sozialdemokratische Vorstellung, für die einige - unter anderem ich - seit drei Jahrzehnten kämpfen. Das, was bislang nicht durchzusetzen war, setzen wir jetzt in der Großen Koalition durch. Nicht umsonst äußert sich der Städtetag so positiv über das, was wir hier erarbeitet haben. ({9}) Er weiß, dass die Kommunen jetzt aus der Gefahr sind, in der sie sich seit Jahrzehnten befunden haben. Diese Gefahr bestand darin, mit einer Gewerbesteuer leben zu müssen, die immer ertragsabhängiger und immer konjunkturanfälliger wurde. Jetzt haben wir das Gegenteil erreicht. Das, was hier realisiert wurde, ist ein starkes Stück sozialdemokratischer Steuerpolitik. ({10}) - Daher Ihre Kritik. Ich will nicht sagen, ich bin stolz darauf, denn das wäre das falsche Wort, aber als jemand, der seit 27 Jahren genau das will, was wir heute verabschieden, bin ich damit einverstanden. Das werden Sie verstehen. Wir sind im Sinne der Programmatik vorangekommen, die im Jahre 2003 in unserer Partei beschlossen worden ist. Gemessen an diesen Maßstäben, sind wir vorangekommen. Ich sage, das ist gut so. Wir beseitigen eine Gerechtigkeitslücke. Es gibt keine Mittelstandslücke. Darauf ist der Kollege Dr. Meister schon eingegangen. Mit der Gewerbesteuer haben wir jetzt die eigentliche Unternehmensteuer. Die Bedeutung der Körperschaftsteuer nimmt ab, weil sie so gestaltungsanfällig ist und weil der Europäische Gerichtshof uns ein Urteil nach dem anderen beschert, die alle zu Steuerausfällen führen werden. Der Europäische Gerichtshof nimmt überhaupt keine Rücksicht auf die Haushaltssituation. Das, was wir heute verabschieden, ist eine Selbstschutzmaßnahme für den Standort Deutschland. Auch deshalb ist es neben all den anderen Argumenten, auf die ich eingegangen bin und die genannt worden sind, richtig, am heutigen Morgen Ja zu sagen. ({11}) Es liegt ein Entschließungsantrag zur Erbschaftsteuer vor. Dazu habe ich eingangs schon etwas gesagt. Auch mit diesem sind wir sehr einverstanden. Der Antrag enthält alle Festlegungen, die wir 2003 auf dem Bochumer Parteitag im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuer beschlossen haben. Wir bekräftigen auch bei der Erbschaftsteuer den Maßstab der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. ({12}) - Gibt es da etwas zu kritisieren, Frau Scheel? Wenn dieser Maßstab bekräftigt wird, dann ist das doch wohl richtig. Wir wollen doch das Gleiche wie Sie. Wir wollen Regelungen, die den Betriebsübergang nicht erschweren. Darauf wird man sich doch verständigen können. In einen Entschließungsantrag kann man kein Gesetz schreiben. Dort kann man nur Eckpunkte aufgreifen. ({13}) Über das Aufkommen waren wir im Dissens. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Das hängt von der Ausgestaltung ab. Wir werden sehen, welche Bewertungen die Länder vornehmen. ({14}) Die Länder sind auf einem guten Weg. Ich glaube, es gibt in diesen Tagen in Husum schon einen Zwischenbericht. Ich bin zuversichtlich, dass wir in der Großen Koalition auch das schaffen werden. Jedenfalls ist die Unsicherheit aus der öffentlichen Debatte genommen worden. Durch den Entschließungsantrag wird die Unsicherheit noch weiter genommen. Mein Fazit lautet also: Die Unternehmensteuerreform ist kein Wunschkonzert für Lobbyisten geworden. Sie ist kein Geschenk an Konzerne und reiche Anleger, sondern ein solides Stück Arbeit der Großen Koalition. Wir sind die wirklichen Probleme mit Entschlossenheit und Augenmaß angegangen, wobei insbesondere den Bedürfnissen des Mittelstandes Rechnung getragen wurde. Gleiches gilt für die weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Das Ding kann sich sehen lassen. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Hermann Otto Solms, FDP-Fraktion.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst entschuldigen, dass ich zu spät gekommen bin. Das war verkehrsbedingt; in Berlin war die Autobahn gesperrt, und ich saß im Stau. Zu dieser Reform ist zu sagen: Der Name „Reform“ ist eine glatte Übertreibung. Es ist keine Reform, sondern ein Steueränderungsgesetz mit guten und schlechten Teilen. Der gute Teil ist einfach zusammengefasst: Das ist die Tarifsenkung der Körperschaftsteuer um 10 Prozentpunkte auf 15 Prozent. Damit, Herr Finanzminister, geben Sie ausdrücklich zu, dass die Forderung der FDP nach einer wettbewerbsfähigen Besteuerung in Europa und in der globalisierten Welt richtig war, dass wir die deutschen Unternehmen nicht höher besteuern dürfen, als sie in den anderen Industriestaaten im Durchschnitt besteuert würden. Insofern ist das eine richtige Entscheidung. ({0}) Aber jetzt kommt der andere Aspekt dieser Steuerreform, nämlich: Sie darf nichts kosten; die Steuersenkung darf die Haushalte der öffentlichen Hand nicht belasten. Das ist die Quadratur des Steuerkreises; das ist überhaupt nicht machbar. Weil das nicht machbar ist, kommt so ein Murks heraus wie der, den Sie uns hier vorlegen. ({1}) Dieser Aspekt führt nämlich dazu, dass Sie, anstatt die Bemessungsgrundlage zu verbreitern - da ist ja auch nicht mehr sehr viel übriggeblieben, und an die Bestandteile, die noch da sind, trauen Sie sich nicht heran, beispielsweise die Steuerfreiheit der Sonntags-, Feiertagsund Nachtarbeitszuschläge -, neue Steuertatbestände erfinden. Sie gehen dazu über, systematisch Kostenelemente in die Besteuerungsgrundlage einzubauen, in der Gewerbesteuer genauso wie in der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer. Das hat fatale Auswirkungen; ({2}) denn von der Steuerentlastung wird am Ende nichts übrig bleiben. Bei den 5 Milliarden Euro, um die sich die SPD gestritten hat, können Sie ganz ruhig bleiben: ({3}) Es wird ein Steuermehraufkommen geben, keine Steuerentlastung. Nur, das Verheerende an diesen Vorschlägen ist, dass Sie damit in die Wirtschaftsstrukturen, die Unternehmensstrukturen, die Finanzierungsstrukturen der Unternehmen eingreifen; Sie behandeln und belasten die Unternehmen vollkommen unterschiedlich. Das führt erstens dazu, dass die Unternehmen, die Wirtschaft ihre Steuerentlastung selbst bezahlen müssen, und zweitens dazu, dass ausgerechnet die Unternehmen belastet werden, die das auf keinen Fall vertragen können: Die kapitalschwachen, erwerbsschwachen, gewinnschwachen Unternehmen, die forschungsintensiven Unternehmen, die jungen Unternehmen, die noch kein Eigenkapital aufbauen konnten, werden die Zeche bezahlen. Das werden Sie noch bitter bereuen; das sage ich Ihnen. ({4}) Seit wann weiß denn der Finanzminister besser, wie ein Unternehmen optimal finanziert wird, als das Unternehmen selber? Das ist ein völlig neuer Ansatz. Sie greifen direkt in die Finanzierungsstrukturen der Unternehmen ein. Ich will ein paar Beispiele nennen, bei denen die negativen Auswirkungen zum Tragen kommen: Die Handelsunternehmen haben geklagt. Sie haben im letzten Moment noch einmal geschrieben. Warum die Klage? Weil die Immobilien der Handelsunternehmen gemietet oder geleast sind. Nun werden die Miet- und Leasingkosten Bestandteil der Besteuerungsgrundlage. Das ist eine fundamentale Belastung für die Handelsunternehmen und wird sich ganz schädlich auch auf den Ausbau und Erhalt der Innenstädte auswirken. ({5}) Die Leasinggesellschaften verlieren teilweise ihre Existenzgrundlage. Sie haben uns gesagt, sie werden ihren Sitz ins Ausland verlagern müssen, wenn das umgesetzt wird, was im Gesetzentwurf steht. Große Personenunternehmen werden trotz der Thesaurierungsrücklage schlechter als Kapitalgesellschaften behandelt. Die Mittelstandslücke bleibt sehr wohl; was Herr Meister gesagt hat, stimmt nicht. Der Bundeswirtschaftsminister hat recht, der das auf den Tisch gebracht hat. Natürlich bleibt eine Mittelstandslücke. Sie wird durch die Veränderungen, die Sie jetzt vorgenommen haben, nur etwas kleiner. Überhaupt bestätigen Sie durch Ihre Veränderungen, dass unsere Kritikpunkte berechtigt waren. Nur, wenn Sie negative Auswirkungen reduzieren, bleibt das Ganze ja immer noch negativ; es wird nichts Positives daraus. Deswegen sind diese Änderungsvorschläge in Ordnung, aber sie lösen das Problem nicht. Ich habe von der Mittelstandslücke gesprochen. Aber die jungen Unternehmen oder Unternehmen in Existenznot, Sanierungsfälle, werden aufgrund der Mantelkaufentscheidungen nicht mehr saniert werden können. Dann werden die Vermögensgegenstände herausgekauft, das Unternehmen geht unter, und die Arbeitnehmer bleiben auf der Strecke. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. ({6}) Die Aktiensparer werden belastet. Das Investieren ins Risiko wird nahezu doppelt so hoch besteuert wie das Investieren in risikoarme Zinsprodukte. Dadurch, dass Sie das Halbeinkünfteverfahren abgeschafft haben, muss der Aktionär die Dividende versteuern. Diese wird also erst im Unternehmen mit 30 Prozent besteuert, dann bei der Ausschüttung noch einmal mit 25 Prozent Abgeltungsteuer. Dann muss man noch den Soli und die Kirchensteuer hinzurechnen. Schon liegt man bei 50 Prozent. Ist das etwa vernünftig? Mit Ihrer Reform bewirken Sie eine totale Fehllenkung der Kapitalströme in Deutschland. ({7}) Schließlich bleibt auch der liberale Rechtsstaat auf der Strecke, weil Sie Ihre Zusage, dass das Kontenabrufverfahren eingestellt wird, nicht einhalten werden. Sie verschaffen dem Fiskus sogar Vorteile gegenüber anderen Gläubigern, was die Vollstreckung angeht. Denn der Fiskus kann zugreifen, bevor die anderen Gläubiger informiert sind. ({8}) Abschließend möchte ich sagen: Wir haben der Steuerreform 2000, die unter Rot-Grün und Herrn Eichel auf den Weg gebracht wurde, zugestimmt und ihr im Bundesrat sogar zur Mehrheit verholfen. Es ist also nicht so, dass wir kategorisch alles ablehnen, was auf dem Tisch liegt. Aber dieser Reform können wir nicht zustimmen. Herr Kollege Meister, wir haben - es ist nicht so, dass wir nichts vorgelegt haben - einen Entwurf für eine integrierte Reform der Unternehmensteuer sowie der Einkommen- und Lohnsteuer im Bundestag eingebracht; er liegt nun im Finanzausschuss. Das ist eine echte Reform. Aber dafür gibt es keine Mehrheit. Deswegen ergibt es keinen Sinn, weiter darüber zu beraten. Wir warten auf die nächste Wahl und die nächste Legislaturperiode. Ich sage Ihnen, dass es eine Beteiligung der FDP an einer Regierung nur geben wird, wenn damit eine echte Reform in Richtung eines einfachen und verständlichen Steuerrechts verbunden ist, durch die alle Bürger und Unternehmen entlastet werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Georg Fahrenschon, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Ziel der heute zur Abstimmung vorliegenden Reform der Besteuerung von Unternehmen ab dem 1. Januar 2008 ist es, die Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung zu verbessern. Denn mit der Reform wollen wir bestehende Arbeitsplätze sichern und darüber hinaus neue Unternehmen mit neuen Arbeitsplätzen für Deutschland gewinnen. Wir wollen die Attraktivität des Investitionsstandortes Deutschland im internationalen Wettbewerb verbessern. Das gelingt uns auch; denn mit der Senkung der Gesamtsteuerbelastung für Unternehmen um 10 Prozentpunkte auf unter 30 Prozent - genauer gesagt: auf 29,83 Prozent - liegen wir im Vergleich mit den wichtigen Industriestandorten Europas endlich wieder im Mittelfeld: ({0}) Frankreich 33,1 Prozent, Italien 32,8 Prozent und die Niederlande 31,2 Prozent. Deutschland liegt sogar noch darunter. ({1}) Das ist das Signal. Unser Fazit lautet daher: Wir haben das Ziel erreicht. Bezogen auf die einbehaltenen Gewinne gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Kapitalgesellschaften einerseits und Personengesellschaften andererseits. Mit der heutigen Schlussabstimmung ist allerdings die finanzpolitische Arbeit in Deutschland nicht beendet. Die Unternehmensteuerreform stellt einen guten und wichtigen Zwischenstand, aber eben nur einen Zwischenstand dar. Wir halten uns deshalb auch an die Ideen und Initiativen des Bundeswirtschaftsministers Michael Glos. ({2}) An dieser Stelle dürfen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Das nächste Ziel in der Finanzpolitik muss die Senkung der Einkommensteuerbelastung sein. ({3}) Denn was für die Unternehmensteuerreform 2008 gilt, gilt natürlich auch als Argument für sinkende Einkommensteuern. Eine geringe Steuerlast erhöht erstens die Investitionsbereitschaft im Mittelstand, der überwiegend im System der Einkommensteuer veranlagt wird, und zweitens die Attraktivität des Standortes für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Angesichts der überdurchschnittlichen Wachstumsentwicklung und einer erfolgreich fortschreitender Konsolidierung des Bundeshaushaltes geht es an dieser Stelle nicht um Populismus oder um den großzügigen Spendieronkel, sondern es geht um die Tatsache, dass eine Senkung der Einkommensteuerlast auch aus haushalterischen und aus ökonomischen Gesichtspunkten der einzig richtige Weg ist. ({4}) Bezogen auf die Ihnen heute zur Abstimmung vorliegende Reform der Unternehmensbesteuerung standen von Anfang an drei Eckpunkte fest: Erstens. Wir wollten die Gesamtsteuerbelastung auf unter 30 Prozent senken. Zweitens. Im Entstehungsjahr waren uns angesichts des Zieles der Haushaltskonsolidierung keine höheren Ausfälle als 5 Milliarden Euro möglich, ohne dabei die kommunale Ebene zu belasten. Drittens. Wir wollten im Vergleich zu früheren Reformen von Steuersystematiken bereits mindestens ein halbes Jahr vor Inkrafttreten dieser Reform die gesetzgeberischen Arbeiten beendet haben, damit sich die Wirtschaft und die steuerberatenden Berufe und alle anderen Beteiligten gut auf die neuen Systeme vorbereiten können. ({5}) Alle diese drei Ziele haben wir erreicht. Wir haben darüber hinaus im Verlauf der parlamentarischen Beratungen noch an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen erzielen können. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf haben wir für den deutschen Mittelstand, die landwirtschaftlichen Bereiche sowie investitionsoffensive Branchen wie Forschung und Entwicklung noch einmal Verbesserungen durchsetzen können. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten für die Arbeiten an den Details, die wir meines Erachtens zur Zufriedenheit abschließen konnten. Ich will auf nur wenige Punkte eingehen: Auf der Seite der Gegenfinanzierung wird die Beschränkung des Zinsabzugs auf 30 Prozent des Gewinns vor Steuern und Zinsaufwendungen um die Rechenbasis Steuern, Zinsaufwendungen und Abschreibungen, EBITDA, erweitert. Das ist ein gutes und wichtiges Zeichen, weil wir der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit Rechnung tragen, dass Investitionen teilweise auch fremdfinanziert werden müssen. Insbesondere wird durch diese Veränderung die Wirkung der Zinsschranke für wesentliche Branchen, auf dem Finanzmarkt für die Leasingbranche, im Norden für die Werften, aber auch für das Factoring und Public-Private-Partnership-Projekte, deutlich. ({6}) Bei der Gewerbesteuer ging der Referentenentwurf pauschal von einer Hinzurechnung von 25 Prozent aller Zinsen, Skonti und Boni sowie der Finanzierungsanteile aus Mieten, Pachten und Leasingraten aus. Bei dem pauschalen Satz auf Mobilien konnten wir uns auf einen niedrigeren Satz, auf einen Satz von 20 Prozent, einigen. Auch die Einbeziehung von Skonti und Boni ist hier vom Tisch. Der Gesetzentwurf sah ursprünglich zudem vor, dass bilanzierende Betriebe mit einem Betriebsvermögen von bis zu 210 000 Euro in den Genuss der neuen Investitionsabzugsregelung nach § 7 g EStG kommen. Hier konnten wir gemeinsam das Größenmerkmal auf 235 000 Euro erhöhen und die Investitionsfrist auf drei Jahre verlängern. Das ist ein wichtiges Zeichen für den deutschen Mittelstand. ({7}) Für den Bereich der Landwirtschaft konnte durchgesetzt werden, dass die Betriebsgröße nicht mehr durch den Wohnungswert des Landwirts beeinflusst wird. Damit wird der relevante Einheitswert in der Regel um 90 Prozent entlastet. Dies ist ebenfalls von nicht unerheblicher Bedeutung für die deutsche Landwirtschaft. ({8}) Trotz dieser guten Ergebnisse unserer Beratungen bleibt natürlich eine Handvoll von Arbeitsfeldern offen, Stichwort: Private Equity. Aus Sicht der CDU/CSUBundestagsfraktion sind die vom BMF vorgelegten Eckpunkte zwar ein erster Schritt. Aber die Vorschläge des BMF markieren erst den Anfang der Debatte und nicht den Schluss. ({9}) Im Hinblick auf die Stichworte „Verlustverrechnung“ und „Mantelkauf“ muss es aufgrund der zentralen betriebswirtschaftlichen Funktion der Verlustverrechnung das Ziel sein, die Verluste mindestens in Höhe der vorhandenen stillen Reserve auch in Zukunft nutzbar zu machen, weil wir sonst den Unternehmen die Möglichkeit zu wichtigen Entwicklungen verwehren. Das kann nicht unser Ziel sein, wenn wir für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland sind. ({10}) Bezogen auf das Thema „Funktionsverlagerung“ haben wir selbstverständlich Verständnis für weltweit abgestimmte Verfahren. Aber wir haben in der Vergangenheit richtig gehandelt, wenn wir europäische Richtlinien an keiner einzigen Stelle über eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinaus umgesetzt haben. Deshalb werden wir in Zukunft gemeinsam mit dem Bundesrat darauf achten, in diesem Punkt keinen deutschen Sonderweg zuzulassen. ({11}) Stichwort Erbschaftsteuer. Die Ihnen vorliegende Entschließung setzt den Rahmen für die weiteren Beratungen. Der Kollege Poß hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Länderfinanzminister auf ihrer Jahrestagung die Arbeiten abschließen werden. Aber eines ist für die CSU/CDU-Bundestagsfraktion klar: Mehreinnahmen aus der Erbschaftsteuer haben wir nicht vereinbart; der Text der Koalitionsvereinbarung lautet anders. ({12}) Last, but not least, bleibt - insbesondere, aber nicht nur im Zusammenhang mit der Veränderung der Grenze dafür, was geringwertige Wirtschaftsgüter sind - das Thema Bürokratieabbau aktuell. Daran werden wir uns heute nicht messen lassen können, weil wir eine Gegenfinanzierung brauchten. Aber die Frage des Abbaus von Bürokratie im deutschen Steuersystem wird uns auch in Zukunft beschäftigen. ({13}) Ich will zum Schluss nochmals betonen: Neben den erfolgreichen Arbeiten an der Unternehmensbesteuerung steht unserer Auffassung nach angesichts verbesserter Konjunktur- und Haushaltslage eine Senkung der Einkommensteuer - entweder über die Anpassung der Freibeträge oder über die Senkung des Eingangssteuersatzes - auf der Tagesordnung. ({14}) Gerade während der jetzigen, positiven konjunkturellen Lage ist es nicht nur möglich, sondern auch nötig, beide Ziele - die Konsolidierung des Staatshaushalts einerseits und eine Entlastung der Bürger durch eine Senkung der Einkommensteuer andererseits - weiter zu verfolgen. Dies müssen wir zumindest beginnen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Vor dem Hintergrund dessen, dass angesichts der Steuermehreinnahmen mittlerweile Wunschlisten kursieren, möchte ich für die CSU-Landesgruppe festhalten: Wir sind eher daran interessiert, eine Diskussion über zukünftige Steuersätze zu führen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- als eine Debatte über weitere Ausgabenerhöhungen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich keine prägende Eigenschaft des Kollegen Fahrenschon, den ich als sachlichen und sachkundigen Mitkämpfer auf allen Steuergebieten, insbesondere auf dem Gebiet der Unternehmensteuern, sehr schätze, ({0}) mit einer Friedenspalme herumzulaufen. Eher fordert er uns zu neuen Auseinandersetzungen heraus. Deswegen möchte ich zunächst einmal anmerken: Wir sollten froh und glücklich sein, dass wir diese bedeutende Reform der Großen Koalition - im Gegensatz zu manch anderen Reformen - in dieser Legislaturperiode sachorientiert, konstruktiv, still und leise und im Ergebnis gut über die Bühne gebracht haben. ({1}) Reinhard Schultz ({2}) Natürlich, nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Ich werde keine Prognosen darüber abgeben, ob in der Mitte des nächsten Jahrzehnts noch einmal über die Einkommensteuer geredet wird oder, gegebenenfalls früher, über die Belastung von Arbeitnehmern durch Sozialversicherungsbeiträge. Was ich allerdings schon sagen kann, ist: Im Zusammenhang mit Private Equity wird es mit Sicherheit nicht dazu kommen, dass durch unternehmerische Entscheidungen initiierte große Verluste über das Steuerrecht und somit durch die Gemeinschaft, durch den Fiskus abgesichert werden. Das wird nicht passieren. ({3}) Das zur Abgrenzung des Terrains und der Claims. Ich glaube, dass die Unternehmensteuerreform eine steuerpolitische Antwort auf die Globalisierung ist, ähnlich wie die Reform der Sozialversicherungssysteme eine Antwort auf die Herausforderung des veränderten Altersaufbaus ist. Erst durch die Globalisierung, durch global aufgestellte Unternehmen und durch den Steuerwettbewerb einzelner Länder konnte es zu Verschiebebahnhöfen kommen, wurden die Unternehmen in die Lage versetzt zu entscheiden, wo sie Steuern bezahlen wollen. Wir wollen die Internationalisierung unserer Wirtschaft, wir sind stolz auf ihre Wettbewerbsfähigkeit. Aber wir wollen auch, dass sich erfolgreiche deutsche Konzerne an der Finanzierung der Staatsausgaben angemessen beteiligen. ({4}) Ich denke, das erreichen wir mit dieser Steuerreform. Für die willkürliche Fremdfinanzierung schaffen wir Grenzen und Regeln. ({5}) - Wenn sich Herr Scholz und Ihr Fraktionsvorsitzender etwas zu erzählen haben, höre ich natürlich gerne zu. ({6}) - Es wird schon wichtig sein; das denke ich mir auch. Durch die vernünftige Bewertung der in das Ausland verbrachten Patente und Verfahren sowie durch eine Nachbesteuerung von Nutzungsrechten und Lizenzgeschäften ziehen wir Grenzen ein. Wir erreichen dadurch, dass alle, Bund, Städte und Gemeinden, von den wirtschaftlichen Früchten der Globalisierung profitieren und nicht einige arm und nackt am Rande stehen, während andere sich ausschließlich privat bereichern. ({7}) Wir wissen, dass es einen weltweiten Steuerwettbewerb zwischen den Wirtschaftsstandorten gibt. Deswegen stehen wir zur Unternehmensteuerreform und zur Senkung des Steuersatzes auf unter 30 Prozent. Auch ich glaube, dass wir mit einem Steuersatz von unter 30 Prozent auf einem guten Mittelfeldplatz liegen. Angesichts unserer Infrastruktur, der Qualifikation unserer Arbeitskräfte und der Sicherheit in diesem Land ist Deutschland insgesamt gesehen sehr attraktiv, und zwar sowohl für deutsche Unternehmen als auch für ausländische Investoren. Wir wissen, dass die Körperschaftsteuer gestaltungsanfällig ist und auch künftig unter Wettbewerbsdruck stehen wird. Deswegen haben wir die Verhältnisse zwischen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer umgekehrt. Wir haben die Gewerbesteuer aufgebohrt und zur eigentlichen Unternehmensteuer gemacht. Das ist die große strukturelle Veränderung, die wir mit der Unternehmensteuerreform vornehmen. ({8}) Durch maßvolle Hinzurechnung von Zinsen, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren haben wir die Gewerbesteuer weitgehend konjunkturunanfällig gemacht. Wir haben stabile finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen für unsere Städte und Gemeinden geschaffen. ({9}) Bedenken wir, dass sich im Jahr 2005, vor der Bundestagswahl, die großen politischen Lager gegenüberstanden, von denen eines die Gewerbesteuer vollständig abschaffen wollte. Darüber kann man sich heute eigentlich nur noch die Augen reiben. Die Gewerbesteuer wird so stark sein wie noch nie. Angesichts ihrer Bedeutung für das Steueraufkommen insgesamt wird sie in den nächsten Jahrzehnten nicht so schnell wieder zur Disposition gestellt werden können. Auch das ist ein ganz wichtiges Ergebnis dieser Operation. ({10}) Die deutschen Unternehmen brauchen eine bessere Eigenkapitalausstattung und mehr Investitionskraft. Das gilt insbesondere für den Mittelstand, und zwar sowohl für die Körperschaften als auch für die Personenunternehmen. Das, was wir zustande gebracht haben, die verbesserte Besteuerung thesaurierter Gewinne von Körperschaften und Personenunternehmen, ist eine Einladung zum Investieren. Durch den Investitionsabzugsbetrag haben wir ferner dafür gesorgt, dass nicht so ertragsstarke Unternehmen leichter investieren können. Auch das ist eine Strukturreform. Personenunternehmen sind von der Gewerbesteuer in Zukunft so gut wie überhaupt nicht mehr betroffen. Sofern man Einkommensteuerzahler ist, wird sie vollständig neutralisiert. Auch das ist ein Ergebnis, das man den Unternehmen einmal offen mitteilen sollte. ({11}) Der Mittelstand ist Gewinner der Unternehmensteuerreform. Er wird echt und dauerhaft entlastet. Manche, insbesondere die FDP, sprechen von der sogenannten „Mittelstandslücke“. Sie entpuppt sich bei näherer Betrachtung als demagogischer Flop. ({12}) Reinhard Schultz ({13}) Mit der Unternehmensteuerreform haben wir insgesamt 30 Milliarden Euro umgeschichtet. Wir haben 30 Milliarden Euro in die Steuersatzsenkung gesteckt. 25 Milliarden Euro haben wir aufwachsend in die Gegenfinanzierung gesteckt. Dabei mussten natürlich Operationen vorgenommen werden, die sich für einige Betroffene zunächst einmal unangenehm auswirken können. Ich sage aber ganz deutlich: In einer wachsenden, stabilen Konjunktur, bei einem Aufschwung, wie wir ihn zurzeit erleben, ist es angesichts sehr niedriger Steuersätze nicht zwingend erforderlich, Investitionen durch die Aufrechterhaltung der degressiven Abschreibung zu fördern. Bei einem solchen Aufschwung finanzieren sich Investitionen selbst. ({14}) Das ist auch keine Aussage bis ans Ende aller Tage, aber im Rahmen eines Aufschwungs - da bin ich ein alter Keynesianer - ist es nicht zwingend erforderlich. Da ist der niedrige Steuersatz die zentrale Einladung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Ich denke: Starkes Wirtschaftswachstum, starke Unternehmen, steigendes Eigenkapital, hohe Investitionen, mehr Beschäftigung und zugleich stabile öffentliche Haushalte und gut ausgestattete Städte und Gemeinden das ist ein Bild von einer schönen Zukunft für unser Land. Dazu trägt die Unternehmensteuerreform entscheidend bei. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt noch einen Redner mit neun Minuten Redezeit. Im Saal sind genügend Plätze für alle Kolleginnen und Kollegen vorhanden. Diejenigen, die sich unterhalten wollen, mögen das bitte außerhalb des Saales tun. Ich gebe dem letzten Redner, dem Kollegen Otto Bernhardt, CDU/CSU, das Wort. ({0})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute eines der ganz großen Reformvorhaben der Großen Koalition. ({0}) Ich habe in dieser Debatte in den Beiträgen der Redner der drei Oppositionsfraktionen keine schlüssige Alternative zu unserem Reformprojekt gehört. ({1}) Es reicht nicht, Herr Kollege Solms, sich hierhin zu stellen und zu sagen: Die Senkung der Körperschaftsteuer von 25 auf 15 Prozent tragen wir mit - Sie wissen, dass das 20 Milliarden Euro kostet -, die Gegenfinanzierung aber nicht. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. Ich bin von den Freien Demokraten tief enttäuscht. ({2}) Wir standen vor folgender schwierigen Frage: Sie wissen, dass wir in Deutschland mit einer nominellen Besteuerung von circa 39 Prozent die Spitzenposition in Europa haben. Sie kennen die Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die besagen, dass dieser Tatbestand dazu führt, dass Gewinne in Höhe von etwa 100 Milliarden Euro in Deutschland entstehen, aber nicht in Deutschland versteuert werden. Vor diesem Hintergrund war es notwendig - ich glaube, das wird hier mit Ausnahme der Linken von niemandem bezweifelt -, die nominellen Steuersätze auf unter 30 Prozent zu senken. Wir sind uns sicher einig, dass wir diese Vergünstigung auch auf die Personengesellschaften übertragen müssen. Diese beiden Wohltaten - Kollege Poß hat darauf hingewiesen - kosten Steuerausfälle in Höhe von 30 Milliarden Euro. Das ist nicht finanzierbar. Wir haben von Anfang an gesagt: Das Ziel „Sanierung der öffentlichen Finanzen“ hat eine hohe Bedeutung. Deshalb haben wir uns in der Großen Koalition geeinigt, von diesen 30 Milliarden Euro 25 Milliarden Euro gegenzufinanzieren; so nennen es die Fachleute. Das war eine schwierige Aufgabe. Ich finde, es ist eine tolle Leistung, dass es der Großen Koalition gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen und heute ein Reformwerk vorzulegen, das nur die vereinbarten Steuerverluste in Höhe von 5 Milliarden Euro mit sich bringt. ({3}) Ich habe in der ersten Lesung von dieser Stelle aus für meine Fraktion gesagt, dass wir bei fünf Punkten Diskussionsbedarf haben. Ich kann heute sagen, dass wir bei all diesen fünf Punkten zu Veränderungen gekommen sind, ohne die 5 Milliarden Euro infrage zu stellen. Die entscheidende Veränderung bezog sich auf das Instrument der Zinsschranke. Es ist nicht so, dass es dieses Instrument im Rest der Welt nicht gibt - ganz im Gegenteil -, aber die ursprüngliche Form brachte die Gefahr mit sich, dass Firmen, die besonders viel investieren, „bestraft“ werden. Deshalb haben wir in die Bemessungsgrundlage die Abschreibung mit einbezogen. Das war der Wunsch der Fachwelt. Ich glaube, nun kann man mit der Zinsschranke einigermaßen leben. ({4}) Zweiter Punkt. Wir alle waren entsetzt über die hohen Bürokratiekosten, die im ursprünglichen Entwurf genannt worden sind. Ich kann heute die Aussage machen, ({5}) dass das neue Gesetz zu weniger Bürokratiekosten führt als die jetzige Rechtslage. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, auf das wir von der Großen Koalition stolz sind. ({6}) Dritter Punkt. Ich kann das Thema Mittelstandslücke nicht mehr hören. ({7}) Es entspricht nicht den Tatsachen. Das wird auch durch Wiederholungen nicht wahr. Das Europäische Zentrum für Wirtschaftsforschung - nicht wir, nicht die Sozialdemokraten - hat ganz klar gesagt: Diese Steuerreform kommt im Wesentlichen gerade dem Mittelstand zugute, weil die Gegenfinanzierungsmaßnahmen den Mittelstand nicht treffen. Wir haben die Maßnahmen für den Mittelstand weiter verbessert. Vor diesem Hintergrund ist dies ein mittelstandsfreundliches Gesetz. Darauf legen wir Wert. Sonst hätten unsere Mittelständler nicht zugestimmt. ({8}) Der vierte Punkt ist ein sehr schwieriger. Er betrifft die Frage der Vernichtung von Verlustvorträgen. Hier haben wir ein Spezialproblem. Das bezieht sich auf Wagniskapital bei Existenzgründungen und Unternehmungen, die für Wagniskapital infrage kommen. Wir werden im Private-Equity-Gesetz die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen, dass in diesen Fällen die Verlustvorträge erhalten bleiben, wie sie auch bei Sanierungen erhalten bleiben; auch das haben wir geregelt. Letzter Punkt, die Funktionsverlagerung. Hierzu haben wir uns innerhalb der Großen Koalition darauf geeinigt - so steht es im Bericht des Finanzausschusses -, dass sich die deutschen Maßstäbe für die Funktionsverlagerung am europäischen Standard zu orientieren haben. Ich glaube, auch damit kann man hervorragend leben. ({9}) Meine Damen und Herren, ich glaube allerdings, dass Frau Professor Hey Recht hat, wenn sie in einem Kommentar schreibt: Diese Steuersenkungen geben uns nur einen Freiraum für einige Jahre. - Sie können jetzt schon feststellen, dass andere europäische Länder folgen. Vor diesem Hintergrund unterstützen wir das Bemühen des Bundesfinanzministers, innerhalb der EU dafür zu sorgen, dass die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung und möglichst auch die Steuersätze in einem bestimmten Rahmen festgelegt werden. Auf Dauer können wir die Sätze nicht weiter senken. Sonst werden wir mit dem Ziel der Staatssanierung in Konflikt kommen. ({10}) Das ist ein sehr wichtiger Punkt für alle weiteren Überlegungen. Zwei große Ziele haben wir mit diesem Gesetz erreicht, ein drittes nicht: Wir haben erstens erreicht, dass die Steuersätze in Deutschland für Firmen jetzt im europäischen Standard liegen. Wir haben zweitens erreicht, dass wir mit der Abgeltungsteuer ein modernes Instrument für die Besteuerung von Kapitalerträgen haben. Ein drittes Ziel haben wir nicht erreicht, und da ist die Kritik berechtigt. Wir wollten eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und für die Gewerbesteuer schaffen. Aber die Meinungen innerhalb der Großen Koalition gingen zu weit auseinander, um zu einer entsprechenden Lösung zu kommen; dies bedauern wir. Aber ein Gesetz darf auch einen Schönheitsfehler haben, wenn der Rest in Ordnung ist. Ich stelle abschließend fest: Die Große Koalition legt heute ein zukunftsweisendes Konzept zur Unternehmensbesteuerung vor. Dieses Konzept wird den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter stärken. Es ist letztlich ein Beitrag zur Sicherung vorhandener und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD sowie von der Bun- desregierung eingebrachten Entwürfe eines Unterneh- mensteuerreformgesetzes 2008. Zu dieser Abstimmung liegt uns eine Vielzahl persönlicher Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/5452, die ge- nannten Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4841 sowie der Bundes- regierung auf Drucksache 16/5377 zusammenzuführen und als Entwurf eines Unternehmensteuerreformgeset- zes 2008 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- men der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD verlangen namentliche Abstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach dieser namentlichen Abstim- mung weitere Abstimmungen folgen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab- stimmung. 1) Anlagen 4 bis 9 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen, weil ich die Abstimmungen fortsetzen möchte. - Das gilt auch für die Kolleginnen und Kolle- gen vor der Bank der CDU/CSU. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5480? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie- ßungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und CDU/ CSU bei Gegenstimmen der FDP und einiger der Frak- tion Die Linke sowie Enthaltung einiger der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnis- ses 90/Die Grünen angenommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 16/5481? - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der FDP gegen die Stimmen des Rests des Hauses abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/5452 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/5452 die Ableh- nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 16/5249 mit dem Titel „Unternehmen leistungsge- recht besteuern - Einnahmen der öffentlichen Hand stär- ken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4857 mit dem Titel „Unternehmen leis- tungsgerecht besteuern - Einnahmen der öffentlichen Hand stärken“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/4855 mit dem Titel „Unternehmensteuerreform für Investitionen und Arbeitsplätze“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP angenommen. 1) Ergebnis siehe Seite 10835 C Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5452 die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/4310 mit dem Titel „Verlässliche und aussagekräftige Datenbasis für die Ermittlung der Unternehmensteuern erfassen“. - Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf: Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung „Demographischer Wandel und nachhaltige Infrastrukturplanung“ - Drucksache 16/4900 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist dem Parlamentarischen Beirat dafür dankbar, dass er sich dem wichtigen Thema „Demografischer Wandel“ zugewandt und dem Bundestag einen Bericht vorgelegt hat. Wenngleich sich der Bericht mit seinen Empfehlungen auf die nachhaltige Infrastrukturplanung - also Stadt- und Raumentwicklung, Mobilität und technische, leitungsgebundene Infrastruktur - konzentriert, so will ich von Beginn an unterstreichen, dass eine erfolgreiche Gestaltung des demografischen Wandels nur dann gelingt, wenn sie politik-, ressort- und ebenenübergreifend erfolgt. Sie muss auf der Grundlage eines Gesamtkonzepts stattfinden. ({0}) Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Prognose der Bevölkerungsentwicklung bis 2050 sind besorgniserregend. Sie gehen davon aus, dass die Bevölkerung in ganz Deutschland bei Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklung von fast 82,5 Millionen Einwohnern im Jahr 2005 auf bis zu knapp 69 Millionen Einwohner im Jahr 2050 abnehmen wird. In den alten Ländern wird eine Abnahme um 14 Prozent erwartet. Ein besonders dramatischer Bevölkerungsrückgang ist in den neuen Ländern abzusehen. Bis 2050 - so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes - wird von einem weiteren Rückgang um fast ein Drittel ausgegangen. Ausgehend vom Zeitpunkt der Wiedervereinigung würde sich damit die Bevölkerungszahl in den neuen Bundesländern bis 2050 halbieren. Der allgemeine Bevölkerungsrückgang geht mit einem deutlichen Rückgang der Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter einher. 2050 wird nach den Prognosen nur noch etwa jeder zweite Einwohner im erwerbsfähigen Alter sein. In Ostdeutschland werden dann auf 100 Erwerbsfähige nicht mehr wie heute 35, sondern 80 Rentnerinnen und Rentner kommen. Parallel zum Bevölkerungsrückgang und zur Alterung werden weiterhin innerdeutsche Wanderungen zwischen den alten und den neuen Ländern sowie innerhalb der einzelnen Länder mit einem Wanderungsgewinn zugunsten wachstumsstärkerer Regionen stattfinden. Dieser Trend wird die Problemlage in den peripheren Regionen zusätzlich verschärfen. Die Siedlungsdichte in den ländlichen Regionen wird weiter abnehmen, was unmittelbare Konsequenzen für die Wirtschaftlichkeit, Tragfähigkeit und Erreichbarkeit der verkehrlichen, technischen und sozialen Infrastrukturen vor Ort hat. Alle diese Fakten liegen vor. Wir haben also - und zwar schon seit geraumer Zeit - kein Erkenntnisproblem mehr. Dennoch werden sich diese langfristigen Entwicklungen auch durch eine noch so erfolgreiche Politik kaum verhindern, sondern nur abmildern lassen. Erst in einer sehr langfristigen Perspektive könnte erfolgreiche Politik zu einer Trendwende hin zu einer höheren Geburtenrate und damit zu einem Sinken des Durchschnittsalters führen. Entscheidende Voraussetzung dafür bleibt aber, dass die Menschen in unserem Land Zutrauen in die Politik, in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und mithin auch in ihre eigene Lebensplanung haben. Unsere Politik muss unter dem Primat des sozialen und regionalen Zusammenhalts in unserer Gesellschaft eine Doppelstrategie verfolgen: Einerseits müssen wir uns damit beschäftigen, wie wir Strukturen der Daseinsvorsorge bündeln und anpassen und dabei noch kreativere, flexiblere und mobilere Lösungen einsetzen können. Dazu werden wir unser raumordnerisches Prinzip der zentralen Orte fortentwickeln und mehr regionale Kooperationen der Leistungserbringer in der Daseinsvorsorge vor Ort anregen. Mit dem Beschluss der Raumordnungsministerkonferenz im vergangenen Jahr zu den neuen Leitbildern der Raumordnung haben wir einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen. Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in den vergangenen Jahren bereits seine Programme und Modellprojekte auf diese neue Zielsetzung ausgerichtet. Ich nenne zum Beispiel die Städtebauförderung und die Stärkung der Innenstädte, den Stadtumbau Ost und West mit der Fördermöglichkeit des Rückbaus technischer Infrastrukturen, die Programme Soziale Stadt und Experimenteller Wohnungs- und Städtebau, bei denen es um kind-, alters- und familiengerechte Städte geht, alternative ÖPNV- und Mobilitätskonzepte und neue Anforderungen an die Verkehrssicherheit und Fahrzeugtechnik im Zuge der Alterung der Bevölkerung. ({1}) Im Sommer 2007 wird das BMVBS zudem mit zwei von der demografischen Entwicklung besonders betroffenen Regionen in den neuen Ländern ein Projekt zur Zukunftsgestaltung der Daseinsvorsorge in diesen Gebieten starten. Dieses Projekt findet bereits großen Zuspruch und soll Best-Practice-Ansätze für andere Regionen in den alten und den neuen Ländern liefern. Ferner hält die Bundesregierung an ihrem Ziel fest, dass 2008 bei 98 Prozent aller deutschen Haushalte breitbandiger Internetzugang über Festnetz, Kabel oder terrestrische Funktechnologie möglich sein soll. Trotz einer bereits heute hohen Gesamtverfügbarkeit haben immer noch über 1 Million Haushalte in Deutschland keine kostengünstige Breitbandanschlussmöglichkeit. Fast 700 Gemeinden sind nur über Satellit mit breitbandigem Internet versorgbar. Jetzt geht es um die ländlichen Regionen, die sogenannten weißen Flecken. Die Bundesregierung wird zur weiteren Erschließung Unterstützung bei der Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel anbieten; ich denke zum Beispiel an die Strukturund Regionalfonds der EU. Denn Breitbandzugänge ermöglichen eine bessere Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger an unserer Informations- und Wissensgesellschaft. Das wird immer wichtiger. Ich habe von einer Doppelstrategie gesprochen. Deshalb will ich auch den zweiten Ansatz schildern. Wir müssen mit unserer Infrastrukturpolitik aktive Standortpolitik im Interesse der Regionen und ihrer Zukunftsfähigkeit betreiben. Die Aufwertung der Städte und Regionen, die Stärkung der Wachstumszentren und die Anbindung der sie umgebenden Regionen sind im globalen Wettbewerb wirtschafts- und gesellschaftspolitisch von höchster Priorität. Städte und Regionen sind Zentren der Innovation und konzentrieren die Stärken Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Ohne lebenswerte Städte und Regionen mit einer attraktiven Infrastruktur werden wichtige Rahmenbedingungen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung und für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in unserem Land nicht mehr erfüllt. Das gilt für die Entwicklung ansässiger und die Gewinnung neuer Unternehmen genauso wie für das Halten und das Gewinnen von Fachkräften. Die vielfältigen Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung sind vielerorts als Tatsachen anerkannt. Als kontinuierlicher Prozess erfordert dies aber ständig neue Antworten, die langfristig orientierte Strategien, Konzepte und Maßnahmen immer wieder auf den Prüfstand stellen. Alle Politikfelder und -ebenen einschließlich ihrer Investitions- und Förderinstrumente müssen demografiefest gemacht werden. Die Überprüfung dieser Instrumente muss in immer kürzeren Abständen stattfinden, weil sich immer schneller Trends entwickeln, die in diese Prognosen eingearbeitet werden müssen; sonst gehen wir in die falsche Richtung. Anpassungen und Umbau müssen schrittweise, aber mit zunehmender Verbindlichkeit und fachlicher Integration angegangen werden. Die Bündelung von Kräften, die Qualitätssicherung und die regionale Anpassung der Infrastruktur rücken dabei in den Mittelpunkt. Die Bundesregierung hat bereits eine Vielzahl der Empfehlungen des Parlamentarischen Beirats aufgegriffen und wird diese in Zukunft weiterhin aktiv bearbeiten. Gerade die Infrastrukturpolitik wird im Interesse der Nachhaltigkeit weiterhin ihren Beitrag sowohl für Anpassungs- wie auch für Präventionsstrategien leisten. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 30 a und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 bekannt: Abgegebene Stimmen: 557. Mit Ja haben gestimmt: 391. Mit Nein haben gestimmt: 149. Enthaltungen: 17. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 557; davon ja: 391 nein: 149 enthalten: 17 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Hildegard Müller Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernward Müller ({14}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({17}) Andreas Schmidt ({18}) Ingo Schmitt ({19}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Max Straubinger Thomas Strobl ({20}) Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({21}) Gerald Weiß ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({23}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({24}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({26}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({27}) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Petra Hinz ({28}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({29}) Frank Hofmann ({30}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({31}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({32}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({33}) Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({34}) Michael Müller ({35}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({36}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Karin Roth ({37}) Michael Roth ({38}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({39}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({40}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({41}) Silvia Schmidt ({42}) Renate Schmidt ({43}) Heinz Schmitt ({44}) Carsten Schneider ({45}) Olaf Scholz ({46}) Swen Schulz ({47}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({48}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({49}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Nein SPD Ottmar Schreiner Rüdiger Veit FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({50}) Uwe Barth Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({51}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({52}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({53}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Dirk Niebel Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Hans-Joachim Otto ({54}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Marina Schuster Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({55}) Martin Zeil DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({56}) Volker Schneider ({57}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({58}) Cornelia Behm Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({59}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({60}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({61}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({62}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({63}) Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthaltung CDU/CSU Dr. Peter Jahr Friedrich Merz SPD Niels Annen Willi Brase Gabriele Groneberg Reinhold Hemker Gabriele Hiller-Ohm Jürgen Kucharczyk Helga Lopez Gerold Reichenbach Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Andreas Steppuhn Christoph Strässer Dr. Wolfgang Wodarg Damit kommen wir zurück zur Debatte. Ich erteile das Wort dem Kollegen Patrick Döring für die FDPFraktion. ({64})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, herzlichen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erneute Einrichtung und Vergrößerung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung zu Beginn dieser Legislaturperiode war - wenn ich das richtig überblickt habe - nicht von Anfang an unumstritten. Ich denke aber, mit dem ersten Bericht über unsere Arbeit haben wir deutlich gemacht, dass es bei einem solch wichtigen Thema über alle Fraktionsgrenzen hinweg - der Herr Staatssekretär hat das angedeutet - tatsächlich zu gemeinsamen Positionen in Bezug darauf kommen kann, wie wir zukünftig die demografische Entwicklung und die Planung und Umplanung unserer Infrastruktur in Deutschland aufeinander abstimmen können. Ich glaube, das ist schon einmal ein gutes Ergebnis. ({0}) Ich will nicht verschweigen, dass es bei der Ausgestaltung im Detail natürlich zwischen den Fraktionen Unterschiede geben wird. Diese erste Debatte und die weitere Debatte in den Fachausschüssen werden aber deutlich machen, dass wir an vielem über die Fraktionsgrenzen hinweg weiter gemeinsam arbeiten werden. Wir haben bisher die demografische Entwicklung - der Staatssekretär hat gesagt, wir hätten an dieser Stelle kein Erkenntnisproblem; darin stimme ich ihm ausdrücklich zu - überwiegend unter sozialpolitischen Aspekten betrachtet. Uns ist es besonders wichtig, dass wir erkennen, dass wir die technische Infrastruktur und die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland in den langen Planungsräumen, in denen wir arbeiten, wahrscheinlich nicht an diese Entwicklung anpassen werden können. Ich beginne mit dem Bundesverkehrswegeplan. Es ist fraglich, ob dieses Instrument mit seinen langen Planungszeiträumen noch geeignet ist, wirksam auf die Anforderungen wachsender und schrumpfender Regionen, wachsender und schrumpfender Städte zu reagieren. Ich fände es spannend, wenn wir auch darüber im Fachausschuss diskutierten. ({1}) Das Gleiche gilt für die Entwicklung in unseren Städten. Wir haben wachsende und schrumpfende Städte in ganz unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Wir ha10388 ben besondere Probleme in den Ballungsräumen in Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig gibt es sich entleerende ländliche Räume in einigen Regionen. Aus meiner früheren kommunalpolitischen Tätigkeit möchte ich ein Beispiel nennen: Während wir in der Landeshauptstadt Hannover noch darüber diskutiert haben, ob die U-Bahn alle vier oder alle fünf Minuten fahren soll, gab es 20 Kilometer weiter gar keinen Nahverkehr mehr. Diese Disparitäten, diese Zerklüftungen gilt es ebenfalls, durch Politik zu überwinden. Wir werden darauf achten müssen, dass die ländlichen Räume weiter angebunden und versorgt sind. Bei aller Harmonie haben wir an dieser Stelle häufig kontrovers diskutiert. Der Kollege Scheuer, der einen ländlichen Wahlkreis hat, hat oft die Fahne des ländlichen Raumes hochgehalten, wie wir meinen: zu Recht. ({2}) Denn wir kommen in die Situation, dass viele unserer starren Verkehrssysteme insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr wahrscheinlich nicht mehr in allen ländlichen Regionen kostengünstig aufrechterhalten werden können. Wir müssen uns daher fragen - Stichwort „Regionalisierungsmittel“ -, ob man mit den dafür verwendeten Mitteln nicht eine andere Art Verkehr im ländlichen Raum organisieren kann. Auch das wird eine Herausforderung in den nächsten Diskussionen in diesem Haus sein. ({3}) Kommen wir zur Entwicklung unserer Städte. Der Herr Staatssekretär hat gestern darauf hingewiesen, dass wir mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz gemeinsam viel für die innere Entwicklung auf den Weg gebracht haben. Der Trend zur Reurbanisierung in unserem Land ist nur zu begrüßen. Wir stellen fest, dass inzwischen drei von fünf Europäern in Städten wohnen und dass wir in Deutschland in den letzten Jahren vielleicht beim Thema innerstädtische Entwicklung ein bisschen hinterhergehinkt sind. Auch das macht der vorliegende Bericht deutlich. Viele der laufenden Programme wurden bereits angesprochen. Die Sorge meiner Fraktion ist, dass wir bei einigen dieser Programme zu sehr auf die Kommunen und die kommunalen Unternehmen schauen und zu wenig auf die eigentlich wichtigen Akteure in unseren Städten, auf Handel, Gewerbe sowie private Wohnungs- und Immobilienbesitzer. ({4}) Ich persönlich bin der Auffassung: Die drei Säulen der Nachhaltigkeit - Ökonomie, Ökologie und Soziales sind in kaum einem anderen Wirtschaftszweig so eng miteinander verzahnt wie in der Wohnungswirtschaft; denn kein Mieter hat ein Interesse daran, in einem abgleitenden Stadtteil zu wohnen und zu bleiben. Deshalb entwickeln sich gerade die Quartiere, die wir zurzeit mit einem hohen staatlichen Anteil aufwerten wollen, eher zu Bürgerquartieren. Ich weise aber in dieser politischen Debatte darauf hin, dass das Miteinander von einzelnen, kleinteilig agierenden Akteuren und Kommunalpolitik vom Bund bestenfalls angestoßen und finanziell gefördert werden kann, dass aber das Leben von dieser Kooperation vor Ort gestaltet werden muss. ({5}) Wenn wir es schaffen, die vorhandenen Programme so umzubauen, dass wir mit ihnen die Ziele erreichen, die wir in dem vorliegenden Bericht versucht haben zu skizzieren, wenn wir anerkennen - das haben wir gestern überwiegend einmütig besprochen -, dass Subsidiarität und kommunale Eigenverantwortung gewahrt bleiben müssen, wenn wir darauf achten, dass unsere Förderinstrumente nicht einseitig einen Akteur oder einen Verkehrsträger motivieren, sich zu entwickeln, sondern für die Entwicklung neuer, flexibler Systeme insbesondere für den ländlichen Raum in den Bereichen Schiene und Straße sorgen, und wenn wir die Belange der Akteure in den Städten, im Wohnungswesen sowie in Handel und Gewerbe berücksichtigen, wird es uns gelingen, unsere Infrastruktur nachhaltiger zu entwickeln. Das ist das Ziel, und das ist das Ziel auch meiner Fraktion. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Scheuer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorneweg muss man für die Öffentlichkeit sagen: Wir haben mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung ein Gremium, das manchmal außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit Arbeitsberichte vorlegt. Man muss dazu sagen, dass es viele Gremien im Deutschen Bundestag gibt, die über den nächsten Wahltag hinaus schauen. Die Stellungnahmen und Arbeitsberichte, die wir vorlegen, sind kein Selbstzweck. Wir sitzen auf diesen schönen Stühlen nicht unsere Zeit ab und beschäftigen uns nicht mit uns selbst, sondern wir versuchen, für die Bürgerinnen und Bürger das Beste zu erreichen. Dazu gehört die demokratische Streitkultur. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung ist aber ein Gremium, in dem fraktionsübergreifend versucht wird, Kompromisse zu schließen und gemeinsame Arbeitsberichte vorzulegen. ({0}) - Frau Bulling-Schröter, wenn da ein „Aha“ von der Linksfraktion kommt, dann muss ich sagen, dass es ausnahmsweise auch einmal Herr Heilmann geschafft hat, konstruktiv zu sein. ({1}) Das, was ich festgestellt habe, betrifft alle Fraktionen. Ich denke, wir haben einen guten Arbeitsbericht vorgelegt. Herr Staatssekretär, wir haben auch einen AnfordeDr. Andreas Scheuer rungskatalog erstellt. Herr Kollege Döring, ich bedanke mich für das Lob und kann dieses Lob als Koordinator dieser Runde zurückgeben. Alle Berichterstatter der Fraktionen haben bei dem Thema „Demografischer Wandel und nachhaltige Infrastrukturplanung“ sehr konstruktiv zusammengearbeitet. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen, und ich möchte mich sehr herzlich dafür bedanken. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Bundesregierung, lieber Herr Staatssekretär, wir haben Ihnen einen Aufgabenkatalog gegeben. Wir haben uns wirklich viel Zeit genommen. In vielen Anhörungen - wir werden noch einige Arbeitsberichte zu den Stichworten Generationenbilanz und Nachhaltigkeitsprüfung vorlegen - haben wir uns sehr dezidiert mit dem Thema Demografie und Infrastruktur beschäftigt. Wir werden das in den federführenden Verkehrsausschuss eingeben. Herr Kollege Goldmann, Sie haben völlig überraschend für mich Ihren Fraktionskollegen Döring mit einem Zwischenruf in Bezug auf die Kompetenzen von Kommunen und Bund kritisiert. Ich denke, der Deutsche Bundestag hat schon das Recht, sich einzumischen, wenn es um interkommunale Zusammenarbeit geht und wenn wir koordinieren und Anreizsysteme, nicht Strafsysteme, für Kommunen und auch Bundesländer schaffen, um wirkliche Strukturpolitik zu betreiben. Ich komme aus dem Freistaat Bayern - man hört es nicht wirklich - und bemühe mich, das immer deutlich zu machen. ({3}) - Danke, Frau Kollegin, ich stehe dazu, und ich bin stolz darauf. - Wir haben in der Expertenanhörung mehrmals gehört - auch der Herr Staatssekretär hat es in seiner Rede gesagt -, dass gerade in den neuen Bundesländern besorgniserregende Wanderungsbewegungen stattfinden. Wir müssen die Chancengerechtigkeit der jungen Generation aufrechterhalten. Darüber müssen wir offen diskutieren. Im Freistaat Bayern haben wir Strukturpolitik betrieben. Der ländliche Raum hat eine Chance. Der ländliche Raum hat Lebensqualität. Der ländliche Raum bietet Investoren günstige Bedingungen. ({4}) - Herr Goldmann, die Fraktionen stimmen darin überein. Vielleicht hat sich das nach Erscheinen des fraktionsübergreifenden Arbeitsberichts noch nicht herumgesprochen. Sie als erfahrener Kommunalpolitiker werden mir sicherlich zustimmen, wenn ich behaupte, dass wir, der Deutsche Bundestag, die Möglichkeit haben müssen, uns mit kommunalen Zusammenhängen, mit Strukturpolitik - Stichwort „ländlicher Raum und Stadtentwicklung“ zu beschäftigen. Ich verweise auf alle Anreizsysteme - ich denke nicht an Strafsysteme -, die uns zur Verfügung stehen. Gestern Abend wurde hier zu später Stunde - es war nach 22 Uhr; das Fernsehen hat schon nicht mehr übertragen - über städtische Umweltpolitik diskutiert. Dazu sage ich ganz eindeutig - Herr Kollege Goldmann, Sie sind schon in Lauerstellung, um eine Zwischenfrage zu stellen; Frau Präsidentin, ich lasse sie zu; lassen Sie mich diesen Gedanken aber noch zu Ende führen -: Wir dürfen uns von der Europäischen Union nicht aufoktroyieren lassen, eine Citymaut einzuführen oder bestimmte Themen zu behandeln. Darüber kann man in Deutschland auf kommunaler Ebene, auf Länderebene und hier im Deutschen Bundestag besser als irgendwo anders entscheiden. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Goldmann, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zunächst einmal möchte ich feststellen: Ich bin weder in einer Lauerstellung, noch habe ich meinen Kollegen Döring hier kritisiert. Es geht mir um den Ansatz. Die Entwicklung des ländlichen Raumes wird weitestgehend über Landesraumordnungsprogramme geregelt. Zu meinem großen Bedauern wird die Entwicklung von Metropolregionen dagegen sehr stark über Bundesaktivitäten geregelt. Ist es nicht klüger, den Entwicklungen in den ländlichen Räumen dadurch mehr Geltung zu verschaffen, dass man aufhört, sie sozusagen von oben zu steuern? Halten Sie das Prinzip „von oben nach unten“ für das bessere? Ich stelle diese Frage auch vor dem Hintergrund, dass wir eine substanzielle Föderalismusreform durchgeführt haben, die unter anderem regelt, welche Aufgaben Länder und Kommunen haben.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Goldmann, die FDP-Fraktion wird im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung durch die Kollegen Döring und Kauch repräsentiert. Ich lade Sie im Namen aller Fraktionen ganz herzlich ein, an einer Beiratssitzung oder an einer vom Beirat durchgeführten Anhörung einfach einmal teilzunehmen. Was Ihre Frage angeht: Ich bin für das Prinzip der Subsidiarität, der Stärkung der kleinen Einheiten und der unteren Ebenen. Wir haben mit dem Parlamentarischen Beirat aber ein Gremium, dessen Arbeit darauf angelegt ist, über den nächsten Wahltag hinauszudenken. Die Politik muss immer wieder den Vorwurf zur Kenntnis nehmen, dass sie nur bis zum nächsten Wahltermin denkt. Das stimmt so nicht. Wir versuchen wirklich, fundamentale Entscheidungen zu treffen, durch die die Weichen für die nächsten zehn oder 15 Jahre richtig gestellt werden. Wir machen uns Gedanken - auch im Deutschen Bundestag gibt es kein Denkverbot, was Kommunalpolitik betrifft - über strukturpolitische Entscheidungen, die keinerlei Bestrafung von Ländern und Kommunen vorsehen. Wir wollen das Prinzip der Subsidiarität stärken. Die Anhörung des Parlamentarischen Beirats zum Thema „Demographie und Infrastruktur“ hat besorgniserregende Entwicklungen aufgezeigt; ich verweise auf die Aussagen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung. Jeder, der sich das Protokoll dieser Anhörung durchliest und erfährt, wie sich unser Land bis 2030 entwickelt, stellt fest: Dieses Thema muss uns alle miteinander bewegen. Jeder von uns, der an dieser Anhörung teilgenommen hat, ist kreidebleich geworden und hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Landschaften in Deutschland in weiße Flecken verwandeln werden. Im Zentrum unserer Diskussion steht, dass wir uns dieser Themen annehmen und unsere Besorgtheit zum Anlass nehmen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. ({0}) - Herr Kollege Hinsken, herzlichen Dank für den Applaus. ({1}) Abschließend möchte ich sehr deutlich sagen, Herr Staatssekretär, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie der im Kanzleramt angesiedelte Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung stärker in die Öffentlichkeit treten kann. Sie haben die Staatssekretärsebene dadurch gestärkt, dass Sie das Thema Nachhaltigkeit ins Zentrum der Betrachtungen gerückt haben. Der Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung nennt im Indikatorenbericht 21 Indikatoren. Meine Damen und Herren, liebe Zuhörer, durch diesen Indikatorenbericht schafft es die Politik, transparenter, nachprüfbarer und für den Bürger verständlicher zu werden. Wir haben mit Schlüsselbegriffen zu übergeordneten Kapiteln erreicht, dass eine Bundesregierung auch nach der Politik - nicht nur nach Emotionen, sondern auch nach dem politischen Handeln - bewertet wird. Das ist ein zentraler Punkt, dessen sich auch der Nachhaltigkeitsbeirat des Deutschen Bundestages annehmen wird. Wir haben dazu schon eine Referentenbesprechung gehabt. Wir müssen im Deutschen Bundestag auch Gremien haben, die versuchen, Themen mit Bedeutung über die nächsten zehn Jahre hinaus aufzugreifen, mutig zu sein und fraktionsübergreifend zu arbeiten. Ich weiß, dass viele heilige Kühe der einzelnen Fraktionen für diesen Arbeitsbericht geschlachtet werden mussten, weil es eben ein Kompromiss ist. Ich sage für meine Fraktion: In der zweiten Runde, wenn es in den federführenden Ausschuss geht, hat jede Fraktion die Möglichkeit, separat Anträge zu stellen. Herr Heilmann, dann können Sie beweisen, ob Ihre Fraktion in ihrer Verteilungseuphorie im Jetzt auch die Fähigkeit hat, den Nachhaltigkeitsbegriff wirklich zu leben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Lutz Heilmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Ich danke meinem Kollegen Scheuer für das Lob. ({0}) Ich werde mir das zu Herzen nehmen und trotzdem auch ein paar kritische Bemerkungen zu dem Thema machen. Der demografische Wandel ist eine ernsthafte Herausforderung für Deutschland. Ich sage bewusst „Herausforderung“ und nicht „Problem“, weil sich daraus auch Chancen eröffnen. Wir haben es neben der massiven Alterung der Bevölkerung mit einem Bevölkerungsrückgang zu tun. Ich als Umweltpolitiker sehe in diesem Bevölkerungsrückgang auch eine Chance. Wenn Straßen zurückgebaut werden, werden zerschnittene Lebensräume von Tieren und Pflanzen wiederhergestellt. Der Natur wird wortwörtlich wieder mehr Raum gegeben. Dazu müssen wir uns aber von den Konzepten der Vergangenheit verabschieden und innovative Lösungen vorantreiben. Mir ist es wichtig, dass schrumpfende Regionen Entwicklungsmöglichkeiten erhalten. Es kann nicht angehen, dass wir ganze Dörfer und Kleinstädte aufgeben; im Gegenteil: Wir müssen uns dem Wandel stellen und zugleich die Lebensqualität aufrechterhalten. Dazu will der Bericht des Beirats einen Beitrag leisten. Der Bericht beschränkt sich auf die technischen Infrastrukturen. Das heißt aber selbstverständlich nicht, dass die sozialen Infrastrukturen weniger wichtig sind. Wir brauchen natürlich soziale Einrichtungen wie Kitas oder Schulen. Sie sind für lebenswerte Gemeinden genauso von Bedeutung wie die technische Ausstattung. Für die Menschen ist es wichtig - um nur ein Beispiel zu nennen -, dass ihre Kinder zu Fuß zur Schule kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen die Diskussion aus Ihren Wahlkreisen. Bei mir in Lübeck sind die Schulwege ein wichtiges Thema für die Menschen. Es geht ihnen darum, wie weit ihre Kinder zur Schule laufen müssen. Grundsätzlich können wir eines feststellen: Bei den Bürgerinnen und Bürgern kommt die Veränderung der Bevölkerungsstruktur mehr und mehr an. Leider wird fast ausschließlich über die sozialen Sicherungssysteme diskutiert. Ein Stichwort ist: Wer zahlt unsere Rente? Vor den weiteren Folgen für die Gemeinden verschließen viele aber die Augen. Das ist nach Jahrzehnten des Wachstums, vor allem im Westen, verständlich. Dennoch kann es so nicht weitergehen. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen und begreifen, dass es nicht in allen Regionen Wachstum im herkömmlichen Sinne geben kann und wird. Fakt ist: Wir müssen uns den Herausforderungen stellen. Ich sage Ihnen: Der Westen kann dabei einiges vom Osten lernen. ({1}) Dort ist der demografische Wandel, unterstützt durch Ihre Politik und durch Ihre politischen Fehlentscheidungen im Zusammenhang mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, in vollem Gange. Im Westen findet die gleiche Entwicklung zeitversetzt statt. ({2}) Die Vorhersagen für manche Regionen in meinem Bundesland Schleswig-Holstein sind nicht gerade rosig. Ich habe gesagt, dass der Westen viel vom Osten lernen kann. Nehmen wir den schon angesprochenen Stadtumbau Ost! Damit hat man ein gutes Beispiel gegeben. Viele der sogenannten Arbeiterschließfächer, im Westen auch „Plattenbausiedlungen“ genannt, ({3}) wurden schon zu lebenswerten Orten umgebaut. Ich nenne hier den Großen Dresch in Schwerin. Unsere Fraktion hat sich im letzten Sommer davon überzeugt. Was wurde gemacht? Ganz einfach: Es wurden Stockwerke abgetragen und Wohnungen familienfreundlich zusammengelegt. Zusätzlich wurde eine vorbildliche energetische Sanierung vorgenommen. Das alles geschah, ohne einen einzigen Acker zuzupflastern. Ich nenne ein weiteres Beispiel: Bei der Abwasserentsorgung hat Mecklenburg-Vorpommern unter Rot-Rot Vorbildliches geleistet. Dort hat man neben zentralen Abwasseranlagen auch den Bau kleiner dezentraler Anlagen vermehrt zugelassen und stärker gefördert. Das spart Zeit und Geld. Bei der Ausstattung mit Verkehrsinfrastrukturen muss man sowohl im Osten als auch im Westen noch erheblich dazulernen. Nach wie vor sehen viele Städte und Gemeinden in einem Autobahnanschluss einen Segen. Es macht aber überhaupt keinen Sinn, Milliarden auszugeben, um schrumpfende Regionen an das Autobahnnetz anzuschließen, wenn auf diesen Straßen am Ende keine Autos fahren. ({4}) Es ist doch Unsinn, in der vagen Hoffnung auf wirtschaftliche Entwicklung Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Ein Paradebeispiel dafür ist die zusammenhängende Planung der Autobahnen A 14 und A 39 in Brandenburg und Niedersachsen. Maßgabe für die Politik kann nicht sein, dass ein großes Loch auf der Autobahnkarte besteht. Diese Auffassung vertrat Herr Stolpe seinerzeit als Verkehrsminister. ({5}) Infrastrukturen müssen vielmehr die demografische Entwicklung berücksichtigen und an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Das empfiehlt auch der Beirat, und das schreibt sogar die Bundesregierung in ihrem „Wegweiser Nachhaltigkeit 2005“. Beim nächsten Bundesverkehrswegeplan muss dies, bitte schön, auch umgesetzt werden. Beim aktuellen Plan haben Sie genau das Gegenteil gemacht. Die Bewertungsmethodik darin war so ausgeklügelt, dass im Grunde jede Straße sinnvoll ist; die eine, weil der Bedarf groß ist, und die andere, weil kein Bedarf da ist. So kann es nicht weitergehen. Der aktuelle Plan bietet noch mehrere schöne Beispiele, die zeigen, dass die Herausforderungen, die der demografische Wandel stellt, außer Acht gelassen wurden. Der Herr Staatssekretär hat es angesprochen: Allen Prognosen zum Trotz wurden steigende Bevölkerungszahlen und damit steigende Verkehrszahlen angenommen. Damit wurde letztlich ein höherer Bedarf an Straßen konstruiert. Als Begründung dafür musste eine nie eingeführte „Green Card Plus“-Regelung herhalten. So kann man sich irren. Was muss passieren? Der Bundesverkehrswegeplan muss künftig einem Nachhaltigkeitscheck unterworfen werden, und zwar nicht nur, um eine Anpassung von Planungen an den demografischen Wandel zu erreichen, sondern auch, um Nachhaltigkeit mit der gleichberechtigten Berücksichtigung sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Belange zu erzielen. Herr Kollege Scheuer, die Unternehmensteuerreform, über die wir heute diskutiert haben, ist alles andere als ein Beispiel für nachhaltige Entwicklung oder nachhaltige Politik in diesem Sinne. ({6}) Im Verkehrsbereich werden soziale Belange bislang praktisch nicht berücksichtigt, denn der angebliche Verkehrsbedarf ist meist der einzige Bewertungsmaßstab. Was nützt den Menschen, die gar kein eigenes Auto haben, eine neue Straße? Statt isoliert die einzelnen Verkehrsträger zu betrachten, brauchen wir einen integrierten Ansatz. ({7}) Wir müssen also vom Mobilitätsbedürfnis und nicht vom Verkehrsbedarf ausgehen. Mobilität bedeutet für mich mehr als Autofahren. Es bedeutet für mich die Möglichkeit, am sozialen Leben teilzunehmen. Daraus folgt: Wir brauchen mehr als nur Verkehrsinfrastruktur. Wir brauchen neue und innovative Mobilitätsangebote für alle. Hierzu hat der Beirat einige Vorschläge unterbreitet. Ich hoffe, dass sich die Bundesregierung diese Vorschläge zu Herzen nimmt. Inwieweit das geschieht, werden wir am Ende dieser Legislaturperiode prüfen. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen. Warum? Das Leitbild nachhaltiger Entwicklung wirkt in der Gesellschaft, wenn es durch konkrete Maßnahmen in der Gesellschaft spürbar wird. Die Vorschläge des Beirats tragen dazu bei. Deshalb wäre es schade, wenn der Beirat zu einem netten Gesprächskreis ohne Einfluss auf die Politik verkäme und ein zahnloser Tiger würde. Herr Kollege, hier sind wir uns einig. Ein abschließender Gedanke: Vor zwei Wochen fand die 15. Sitzung der UNO-Kommission für nachhaltige Entwicklung in New York statt. Dort rief Frau Brundtland, die das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung entscheidend geprägt hat, dazu auf, der Debatte über nachhaltige Entwicklung endlich Taten folgen zu lassen. Beginnen wir hier in der Bundesrepublik Deutschland! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Pfingstfest. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in seinem ersten Arbeitsbericht in der 15. Legislaturperiode hatte der Parlamentarische Beirat festgestellt, dass der demografische Wandel im damaligen Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie überwiegend unter dem Aspekt der sozialen Sicherung, der sozialen Auswirkungen auf die Infrastruktur beleuchtet wurde, und deshalb schon damals angeregt, dass in dieser Legislaturperiode eine Anhörung zum Thema „Demografie und Infrastruktur“ stattfinden solle. So viel zur Erläuterung, auch für die Gäste. Deshalb geht es heute explizit nicht um die soziale Infrastruktur, die natürlich ein wichtiger Aspekt der demografischen Entwicklung ist. Aber der Nachhaltigkeitsbeirat wollte das Thema einmal auf die technische, bauliche und verkehrliche Infrastruktur für Deutschland fokussieren. Den meisten von uns ist klar: Der demografische Wandel ist längst Realität, und dieser Realität gilt es ins Auge zu sehen, nüchtern und völlig ohne Alarmismus; denn die Entwicklungen und Trends sind klar und eindeutig und nicht revidierbar. Sie sind allenfalls beeinflussbar und gestaltbar. Darin liegt eine Chance für Politik. ({0}) Die Bevölkerungszahl wird schrumpfen. Der Anteil älterer Menschen wird stark ansteigen. Die Schichtung der Bevölkerung, das heißt das Verhältnis von jungen und alten Menschen zueinander, wird sich verändern. Es wird sehr viele alte und sehr wenige junge Menschen in Deutschland geben. Außerdem werden wir durch die Migration in jedem Fall eine buntere Gesellschaft werden. Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass nur die Anerkennung dieser Trends dazu führen kann, dass in der Politik wirklich über Chancen und Gestaltungswillen gesprochen wird, und zwar auf allen drei politischen Ebenen: der Bundesebene, der Landesebene und der kommunalen Ebene; denn auch auf die kommunale Ebene sind wir massiv angewiesen, wenn wir den demografischen Wandel gestalten wollen. Bei der Gestaltung dieser tiefgreifenden Veränderungen ist eine vorausschauende Planung, die gleichzeitig soziale, ökonomische, aber vor allen Dingen ökologische Folgen abwägen muss, dringend erforderlich. Wir wissen, dass der demografische Wandel sich regional völlig unterschiedlich darstellen wird. Er wird zu einem Nebeneinander von Schrumpfungsregionen und Wachstumsregionen in Deutschland führen, und das nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Westdeutschland. Es ist ganz wichtig, dass dieses Thema nicht als „Ostproblem“ wahrgenommen wird. Ich komme aus NRW; dort sind zum Beispiel die Veränderungen im nördlichen Ruhrgebiet dramatisch. ({1}) Sie liegen ganz klar auf der Hand und müssen durch eine veränderte Politik gestaltet werden. Deshalb gehen wir hier von einer gemeinsamen Betrachtung Ost- und Westdeutschlands aus. ({2}) So weit, so gut. Im Sinne einer nachhaltigen Infrastrukturpolitik für die Städte und den ländlichen Raum ergeben sich differenzierte Lösungsansätze. Es nutzt nichts, von Verlierer- und Gewinnerregionen zu sprechen. Man stelle sich nur einmal vor, man lebte selber in einer solchen „Verliererregion“. Es ist ganz wichtig, allen Regionen, im ländlichen wie im städtischen, prosperierenden Raum, deutlich zu machen, dass wir versuchen, die Situation vor Ort positiv zu gestalten, gemeinsam mit den Menschen, die dort leben. Auch das Thema Bürgerbeteiligung wird angesichts der veränderten Bedingungen durch den demografischen Wandel noch eine ganz andere Bedeutung bekommen. Denn in einem solchen Prozess gilt es immer, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, sie auf solche Entwicklungen vorzubereiten und bei der Gestaltung einzubeziehen. Ich glaube, das erfordert bei vielen von uns noch ein Umdenken und ein Einlassen darauf, was Partizipation und Gestaltung vor Ort wirklich bedeuten. ({3}) Auch im Nachhaltigkeitsbeirat - Herr Scheuer hat es vorhin angesprochen - bestand Einigkeit über die Frak- tionsgrenzen hinweg, dem Parlament heute einen frak- tionsübergreifenden Bericht vorzulegen. Ich will mich an dieser Stelle für die Zusammenarbeit bedanken. Las- sen Sie mich an der Stelle deutlich sagen: Wenn der Bei- rat im Rahmen dieser Debatte zukünftig eine Rolle in diesem Parlament spielen will, dann ist es wichtig, a) ei- nen solchen Schritt zu tun und b) dafür Sorge zu tragen, dass das, was wir diskutieren, auch in die Politik Eingang findet. ({4}) Ich persönlich habe kein Interesse daran, in einem sogenannten Alibigremium zu sitzen, in dem wir zwar schöne Beschlüsse fassen, die aber keine nachhaltige Wirkung zeigen. Wir sind uns sehr einig, wenn wir über den demografischen Wandel allgemein reden und wenn wir die Dinge beschreiben. Wir sind uns aber ganz schnell nicht mehr einig - auch das muss man an dieser Stelle deutlich sagen -, wenn es um konkrete Politik geht. Ich frage Sie, Herr Staatssekretär Großmann: Warum geht man beispielsweise im Bundesverkehrswegeplan - das gilt auch für andere Politikfelder - bei der Erstellung von Verkehrsprognosen noch immer von einem Bevölkerungswachstum aus? ({5}) Warum konzipiert man immer noch Autobahnprojekte - ich nenne beispielsweise die A 14 und A 29 - in Gegenden, von denen wir wissen, dass es sich um Regionen mit einer schrumpfenden Bevölkerungszahl handelt? Warum werden in ungebremster Art und Weise Flächen ausgewiesen, anstatt im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung den Flächenverbrauch durch entsprechende Programme der Bundesregierung zu stoppen? Wir wissen doch, dass die Flächenversiegelung eines der größten ökologischen Probleme ist. In NRW zieht der Ministerpräsident durch die Lande und beklagt, dass 1 000 Schulen geschlossen werden. Trotzdem leistet man sich dort eine Debatte über das dreigliedrige Schulsystem. ({6}) Das setzt sich in allen Politikfeldern fort: Wir sehen die Notwendigkeit einer Veränderung. Allein es fehlt der Wille - auch in der Bundesregierung, Herr Großmann zur Umsetzung von Maßnahmen gerade im ökologischen Bereich. Der sollte aber vorhanden sein, wenn wir die Nachhaltigkeit ernst nehmen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel: weg vom Leitbild des Wachstums der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner, weg vom Leitbild einer größeren Infrastruktur und eines größeren Flächenverbrauchs hin zu einem qualitativen Ansatz der Nachhaltigkeit. Hier brauchen die Kommunen unsere Unterstützung; denn sie sind die zentralen Orte, an denen der demografische Wandel zu spüren ist. Lassen Sie mich abschließend sagen: Eigentlich klingt die Formel: „Wir werden weniger und damit verbrauchen wir weniger Ressourcen und Flächen“ doch äußerst einleuchtend und verlockend. Was hindert die Große Koalition und die Bundesregierung eigentlich daran, im Interesse der Nachhaltigkeit und einer wirklich generationengerechten Politik endlich Konsequenzen für konkretes politisches Handeln zu ziehen und nicht nur Absichtserklärungen zu formulieren? ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Ernst Kranz für die SPD-Fraktion.

Ernst Kranz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegen haben schon sehr viel zum Beirat gesagt. Wir stehen hier erst am Anfang einer Entwicklung; den Beirat gibt es erst seit drei Jahren. Es ist wichtig, dass wir uns heute zu Wort melden. Ich glaube, dass die von mir genannte Entwicklung intensiver werden und mehr Auswirkungen auf die Politik in diesem Land haben muss. ({0}) Statt nur Alternativen oder Kosten zu prüfen, wäre es unserer Meinung nach sehr ratsam, zu untersuchen, ob bei Gesetzen die aktuellen Prognosen zum demografischen Wandel beachtet wurden und ob die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gewährleistet ist. Wir sollten auch darüber nachdenken, welche Auswirkungen unsere Entscheidungen für nachfolgende Generationen haben. Wir müssen uns fragen, ob wir nicht über Maßnahmen entscheiden, die uns zwar heute Kosten sparen, aber unseren nachfolgenden Generationen sehr hohe Kosten aufbürden, weil sie die Folgen unseres Handelns rückgängig machen müssen. Der Klimawandel ist in der aktuellen Diskussion. Ich glaube, daraus lässt sich die Erkenntnis ableiten, was kurzfristiges Denken bewirkt. Es geht um die Frage, ob die eingeschlagene Richtung sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig ist oder ob sie nicht in wenigen Jahren teuer korrigiert werden muss. Das bedeutet also: Es muss nach Möglichkeiten gesucht werden, wie das Denken im Voraus gefördert werden kann. Bei allen Kollegen ist angeklungen, dass das unsere gemeinsame Grundlage ist. Da wir mit der Arbeit in unserem Beirat gerade am Anfang stehen, ist es wichtig, dass wir mit einer Stimme sprechen und uns nicht schon im Beirat auseinanderdividieren, sondern erst einmal dazu beitragen, dass dieser Beirat in der Politik ein gewichtiges Wort bekommt und wahrgenommen wird. Natürlich ist es sehr schwierig - das ist angeklungen -, gemeinsame Standpunkte über Fraktionen hinweg zu formulieren. Aber wir haben gesehen: Es geht, ohne dass wir uns dabei verbiegen, ohne dass wir das Endziel aus dem Auge verlieren. Ich halte die Arbeit des Beirates gerade deshalb für bereichernd, weil sie außerhalb der gewohnten Pfade stattfindet und jeder Weg, der beschritten wird, stets neue Fragen aufwirft und zu verblüffenden neuen Antworten führt. Das ist die richtige Arbeitsweise. Diese sollten wir beibehalten. Wir sollten versuchen, sie zu intensivieren. Frau Haßelmann hat es gesagt: Schon der letzte Beirat hat begonnen, sich mit dem Thema „Infrastruktur und Demografie“ zu beschäftigen. Wir haben das mit einer Anhörung im Oktober fortgeführt. Zur Infrastruktur zählen wir Verkehrswege und den ganz wichtigen Bereich der Raumordnung; er ist heute intensiv angesprochen worden. Ich möchte Ihnen dazu die Definition aus „Wikipedia“ vorlesen: Darunter ist die planmäßige Ordnung, Entwicklung und Sicherung von größeren Gebietseinheiten … zur Gewährleistung der bestmöglichen Nutzung des Lebensraumes zu verstehen. Gerade diese Definition macht unser Anliegen deutlich. Frau Haßelmann hat auch gesagt, wir hätten uns auf die technische Infrastruktur beschränkt, weil wir in absehbarer Zeit zu einem Ergebnis hätten kommen wollen. Selbstverständlich ist die soziale Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Kultur und Versorgung, zumindest ebenso wichtig. Der Beirat sollte sich hiermit gesondert beschäftigen und intensiv darüber reden. Der Begriff „demografischer Wandel“ braucht garantiert nicht noch einmal erläutert zu werden. Aber die zwei wichtigsten Punkte, Abnahme der Zahl der Bevölkerung und Alterung, sollte man noch einmal deutlich hervorheben, weil das die Kernpunkte sind. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass wir in der SPD-Fraktion am Montag eine Veranstaltung hatten, die sich damit beschäftigt hat, den demografischen Wandel als Herausforderung für die Kommunen zu betrachten. Auch heute bestand, so glaube ich, Konsens darüber, dass die Kommunen die Hauptbetroffenen des demografischen Wandels sind, dass dort letztendlich die Hauptgestaltungsebene liegen muss. Ich stimme mit Herrn Döring in dem Sinne überein, dass ich sage: Wir müssen den Kommunen diese Gestaltungschance auch einräumen; das ist ganz wichtig. Aber an dieser Stelle darf es kein Einbahnstraßendenken geben, ({2}) indem wir sagen: entweder von oben nach unten oder von unten nach oben. Jede Ebene muss vielmehr die Aufgabe, die sie hat, wahrnehmen ({3}) und den anderen Ebenen die Freiheiten, die sie haben, lassen. Ich habe gesagt: Ein Schwerpunkt in unserem Bericht war und ist die Raumordnung, die Stadtentwicklung. Ferner habe ich gesagt: Eine wichtige Auswirkung des demografischen Wandels ist die Abnahme der Bevölkerungszahl und die Alterung. In der Praxis ergibt sich, daraus resultierend, eine Abnahme der Siedlungsdichte. Aber - jetzt kommt mein Aber - wenn wir genau hinschauen, stellen wir fest, dass das bei einer gleichzeitigen Zunahme der Siedlungsfläche geschieht. ({4}) Das ist schon ein Widerspruch in sich. Wir alle sollten darüber nachdenken, wie wir diese Entwicklung stoppen können. Das ist etwas ganz Wichtiges. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Ernst Kranz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich. Ich möchte ganz kurz etwas zum Stadtumbau Ost sagen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie sind am Ende Ihrer Redezeit. ({0})

Ernst Kranz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schade. Dann komme ich zum Schluss, Frau Präsidentin, und danke für Ihren Hinweis. Ich möchte an dieser Stelle feststellen: Den demografischen Wandel dürfen wir nicht als Gefahr sehen. Damit werden wir niemals die richtigen Lösungsansätze für unser Handeln finden. Der demografische Wandel muss eine Chance und eine Aufgabe für uns sein. Danke schön. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Es ist gut, dass wir heute zu prominenter Stunde über das Thema „demografischer Wandel“ debattieren, und zwar nicht, wie in vielen anderen Debatten, mit dem Schwerpunkt Renten- und Pflegekasse, sondern mit dem Schwerpunkt Infrastrukturplanung. Denn es gibt kaum eine politische Entscheidung mit langfristigeren Auswirkungen als Investitionen in unsere Infrastruktur: Wir fahren heute zum Teil noch auf Straßen, deren Trassen aus der napoleonischen Zeit stammen. Wir sitzen in Zügen, die auf einen Schienennetz unterwegs sind, das im Wesentlichen im 19. Jahrhundert ausgelegt worden ist. Schulen stehen oft mehrere Jahrhunderte. Unsere Abwasserkanäle sollen etliche Jahrzehnte halten. Diese langfristige Lebensdauer unserer Infrastruktur verlangt eine langfristige Planung. Dies setzt voraus, den Bedarf künftiger Generationen zu prognostizieren - so gut das aus heutiger Sicht möglich ist - und die planerischen Weichenstellungen auf Grundlage dieser Prognosen vorzunehmen. Genau hier ist das Kernprinzip der Nachhaltigkeit berührt: Künftige Generationen dürfen nicht zu den Geiseln kurzsichtiger Entscheidungen von heute werden. Wir müssen schon heute darauf Rücksicht nehmen, wie sich Bevölkerung und Bedürfnisse in den nächsten Jahrzehnten entwickeln. Das kann man nur unvollkommen tun, man kann nur abschätzen. Aber mit einem suboptimalen Radar unterwegs zu sein, ist allemal besser, als ohne Radar ins Unbekannte zu fliegen. ({0}) Die neuen Länder - das klang bereits mehrfach an befinden sich bereits mitten im demografischen Umbruch. Seit 1990 sind etwa 2 Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern weggezogen. MecklenburgVorpommern zum Beispiel war 1990, zum Zeitpunkt der deutschen Einheit, im Bevölkerungsschnitt das jüngste deutsche Bundesland, heute ist es wohl das älteste - das alles in gerade einmal 17 Jahren. Es gibt Regionen, in denen künftig - da dürfen wir uns nichts vormachen die Abrissbirne regieren wird, es wird Infrastruktur geben, die kaum ausgelastet ist. Dadurch werden ProKopf-Kosten entstehen, die schwer zu bezahlen sind. Aber auch im Westen findet dieser Bevölkerungswandel statt, auch hier werden wir weniger Menschen und ältere Menschen haben. Insofern können wir vom Osten lernen, der diese Entwicklung früher durchläuft. Im Westen wird es vor allem strukturschwache und ländliche Regionen treffen. Es wird aber auch Metropolregionen geben, in denen die Bevölkerung im Schnitt jünger ist und ihre Zahl sogar noch wachsen wird. Beide Phänomene - sowohl „Boomtown“ als auch „Schrumpfhausen“ - sind deutsche Realitäten im 21. Jahrhundert. Ich habe persönlich die Sorge, dass der demografische Wandel in den Städten und Gemeinden, in denen klar ist, dass die Bevölkerungszahl abnimmt, zwar abstrakt zur Kenntnis genommen wird, aber, wenn es um konkrete Entscheidungen geht, jeder Bürgermeister das letzte Neubaugebiet in der Region ausweisen möchte, damit seine Gemeinde gegen den Trend noch etwas wächst. ({1}) Tatsächlich brauchen wir heute in weiten Bereichen unseres Landes mehr den Umbau, weniger den Neubau; das ist das Gebot der Stunde. Wir wollen im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung gemeinsam das Bewusstsein hierfür schaffen. Im Bericht des Beirats wird daher vorgeschlagen, dass die Kommunen mehr kooperieren, anstatt den verzweifelten Versuch zu machen, sich auf Kosten des Nachbarn zu entwickeln, und dass sie für die Daseinsvorsorge gemeinsam nach intelligenten Antworten auf den demografischen Wandel suchen. Aus meiner Sicht gehört es zu den glücklichsten Entwicklungen der jüngeren deutschen Geschichte, dass seit 1990 alle Deutschen wieder die freie Wahl haben, an welchem Ort unseres schönen Landes sie leben möchten. Zur politischen Ehrlichkeit gehört es, den Menschen zu sagen, dass sich die Idee gleicher Lebensbedingungen in Deutschland angesichts der Bevölkerungsentwicklung noch weniger verwirklichen lässt als bisher. Es gibt da Unterschiede, und es wird weiterhin Unterschiede geben. ({2}) Es gehört zu den unangenehmen Wahrheiten, dass angesichts der Bevölkerungsentwicklung „gleichwertige Lebensverhältnisse“ nicht „gleiche Lebensverhältnisse“ sind. Öffentliche Daseinsvorsorge kann in ländlichen und bevölkerungsschwachen Gebieten nicht auf dem absolut gleichen Niveau wie in Städten angeboten werden. Dafür genießt man dort andere wichtige Vorteile, zum Beispiel hinsichtlich Freizeitgestaltung und Lebensqualität. Wenn nur noch ein oder zwei Fahrgäste im Linienbus sitzen, ist das nicht mehr bezahlbar und auch ökologisch nicht verantwortbar. Die Alternative heißt aber nicht: kein öffentlicher Nahverkehr. Wir sind vielmehr aufgefordert, kreative, vernünftige Lösungen zu finden. Zur Beruhigung will ich deutlich sagen: Die Bandbreite der Unterschiede wird in Deutschland wahrscheinlich auch in Zukunft geringer sein als in jedem anderen Flächenstaat der Erde. Ich habe dabei volles Vertrauen in den deutschen Hang zur Nivellierung, zur Herstellung von Gleichheit. Wir werden daher aufpassen, dass Mindeststandards eingehalten werden. Auch hinsichtlich der Erreichbarkeit von Einrichtungen der Daseinsvorsorge dürfen Mindeststandards nicht unterschritten werden. Fehler dürfen wir auf keinen Fall machen: Wir dürfen nicht vor Angst erstarren und versuchen, an allen bestehenden Einrichtungen krampfhaft, ohne jede Änderung, festzuhalten. Wir müssen vielmehr auf Zusammenarbeit setzen. Bevölkerungsentwicklungen und Bevölkerungsbewegungen hat es in Deutschland - das zu sagen, gehört ebenfalls zur Ehrlichkeit - immer wieder gegeben. Es gab Regionen mit Abwanderungen und Regionen mit Zuwanderungen. Ich will nicht von Verlierer- und Gewinnerregionen sprechen; denn auch in einer Abwanderungsregion können Gewinner leben, Menschen, die gut mit den Veränderungen umgehen können, und können öffentliche Einrichtungen gut weiterentwickelt werden. Richtig ist auch: Hätte die Politik vor 100 Jahren versucht, jegliche Bevölkerungswanderung von den ländlichen Regionen in die aufstrebenden Industriegebiete zu unterbinden, würden wir noch heute in einem Agrarstaat leben und hätten ein wahrscheinlich nicht einmal halb so hohes Bruttosozialprodukt wie jetzt. Es geht nicht darum, Dämme zu errichten, sondern darum, Kanäle zu bauen, sinnvoll zu steuern und zu gestalten. Wir müssen - das ist der letzte Gedanke, den ich ansprechen möchte - die Chancen des demografischen Wandels beachten: Der Landschaftsverbrauch kann begrenzt werden, Flächen können entsiegelt werden, neue Entfaltungs- und Erholungsräume können geschaffen werden. Ich bedanke mich bei allen Fraktionen für die gute Zusammenarbeit bei diesem ersten großen Projekt des Nachhaltigkeitsbeirates. Ich hoffe und erwarte, dass unsere Vorschläge bei der Bundesregierung Gehör finden, und zwar sowohl bei der Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie 2008 als auch bei konkreten politischen Entscheidungen; denn darauf kommt es letztlich an. Von den Kommunen und Ländern erhoffe und erbitte ich, dass sie diese Themen ernst nehmen und zur Grundlage eigener politischer Entscheidungen machen. Wir wollen ihnen nichts aufoktroyieren, sondern ihnen dabei helfen, im Interesse ihrer Bürger und in ihrem eigenen Interesse vernünftige Schritte in die Zukunft zu unternehmen. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat eine wichtige Aufgabe erfüllt. Der Beirat beschäftigt sich mit einer Aufgabe - das kommt schon im Titel zum Ausdruck -, die heutzutage aus meiner Sicht auf allen Ebenen inflationär verwendet wird. Alle arbeiten inzwischen nachhaltig. In jeder Hochglanzbroschüre ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ enthalten. In fast jeder Rede, die in diesem Haus gehalten wird, wird der Begriff mindestens einmal verwendet. Die Frage lautet also: Was ist nachhaltige Entwicklung? Bei den heutigen Redebeiträgen haben wir zur Kenntnis nehmen können: Spannend wird es erst, wenn es konkret wird. Die nachhaltige Entwicklung ist für mich die Schlüsselfrage und das Leitbild jeglichen politischen Handelns. ({0}) Die Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen hat bereits Anfang der 90er-Jahre festgestellt: Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der heutigen Generation mit den Bedürfnissen der künftigen Generationen zu vereinen. Dass das ganz viele Lebensbereiche betrifft, ökologische, ökonomische und soziale, ist klar. Wenn wir das reale politische Handeln betrachten, stellen wir aber sehr schnell fest, dass wir von diesem Anspruch an der einen oder anderen Stelle noch sehr weit entfernt sind. Das Thema „Demografie und Infrastruktur“ betrifft die nachhaltige Entwicklung im Kern. Es ist gut, dass es dem Parlamentarischen Beirat gelungen ist, dieses Thema auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen. Wir müssen jetzt zu Recht anmahnen, dass es weitergeht und wir bei unserem politischen Handeln Konsequenzen aus dem Bericht ziehen. Wir haben hier die Chance, das Thema interdisziplinär anzugehen, es nicht nur aus der sozialen, der verkehrlichen oder der wirtschaftlichen Perspektive zu betrachten, sondern als Ganzes. Insofern müssen sich verschiedene Gremien des Hohen Hauses mit diesem Thema beschäftigen, wenn am Ende gute und weitreichende Beschlüsse stehen sollen. Auf einige Aspekte, die mir wesentlich zu sein scheinen, möchte ich hier eingehen. Herr Staatssekretär, Sie haben recht: Wir haben kein Erkenntnisproblem. Aber wir haben ein Bewusstseinsproblem. Das Thema „Demografie und Infrastruktur“, die demografische Entwicklung überhaupt ist noch nicht auf allen Ebenen und bei allen Entscheidungsträgern angekommen. Wir brauchen ein Bewusstsein auf Bundesebene, auf Landesebene und auf kommunaler Ebene. Ich glaube, wir müssen überall, auch in allen Fraktionen, für dieses Thema werben. ({1}) Ein zweiter Aspekt zu dem Thema „Demografie und Infrastruktur“ ist, dass es um Kooperation und nicht primär um Konkurrenz geht. Das ist natürlich ein hervorragendes Schlagwort. Spannend wird es, wenn es konkret wird. Hier sind wir gerade auf bundespolitischer Ebene gefordert, die richtigen Weichen zu stellen. ({2}) Ich bin nach wie vor Mitglied eines Rates einer Stadt mit 40 000 Einwohnern und weiß deshalb, wie schwierig es aus rechtlichen Gründen ist, interkommunal zusammenzuarbeiten. Wir müssen darauf achten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen so sind, dass dies nicht an wettbewerbsrechtlichen Problemen scheitert. Wir sind als Bundesgesetzgeber, aber auch als Lobbyisten auf europäischer Ebene gefordert, den Kommunen bessere Möglichkeiten zu bieten. ({3}) Bei meinem dritten Aspekt werden Sie wahrscheinlich nicht mehr klatschen, Herr Goldmann; Herr Döring, ich glaube, da unterscheiden wir uns elementar. Wenn wir über Demografie und Infrastruktur reden, stellen wir sehr schnell fest, dass es um Bereiche der Daseinsvorsorge geht, die dem Wettbewerb entzogen sind, weil wir diese Bereiche nicht dem Markt überlassen können. ({4}) Es wird sehr spannend, wenn wir über öffentlichen Personennahverkehr, über Bildung, über Gesundheitssysteme und deren Ausgestaltung reden. Ich glaube, dass wir uns in einigen Fragen einig sind, dass sich aber hinsichtlich der einen oder anderen Frage sehr schnell zeiDr. Matthias Miersch gen wird, welches Staatsverständnis wir haben. Das wird ein Ringen um den besten Weg. Wir haben am vergangenen Montag in der SPD-Fraktion eine Expertenanhörung durchgeführt und uns über 30 Beispiele aus der Praxis angesehen. Dabei haben wir festgestellt, dass das Thema „Demografische Entwicklung und Infrastruktur“ vom 500 000 Kilometer umfassenden Rohrleitungssystem in Deutschland bis hin zu Qualifizierungsmaßnahmen von älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern reicht. Wir müssen diese Projekte aufzeigen und voneinander lernen. Dann gewinnt diese Debatte an Fahrt und macht Sinn. Bevor wir ein Fazit unserer Beratung ziehen, sind wir gefordert, in den Gremien dafür zu sorgen, dass wir im Hinblick auf die Gesetzgebung - das betrifft die Baugesetzgebung, die Umweltgesetzgebung und die Raumordnungsgesetzgebung - folgende Frage beantworten: Wie schaffen wir es, die Gesetze so anzupassen, dass ein Rahmen für die Förderung von Nachhaltigkeit und Daseinsvorsorge entsteht und Förderprogramme daran ausgerichtet werden können? Wenn wir dies schaffen, hat sich die Arbeit gelohnt. Wir freuen uns, dass die Arbeit jetzt in den Gremien des Deutschen Bundestages beginnt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf die Debatte, die heute zu einer prominenten Zeit, zur Kernzeit, stattfindet, beschließen. Sie haben gemerkt, die Debatte ist nicht, wie man es sonst gewohnt ist, sehr kontrovers zwischen Opposition und Koalitionsfraktionen geführt worden, und es ist hier nicht zu großen Zusammenstößen gekommen. Grund dafür ist das, was einige der Vorredner schon herausgestellt haben, nämlich dass wir in der Zielbeschreibung, aber auch in der Wahrnehmung und Analyse sehr nahe beieinander liegen. Das ist schon ein sehr großer Wert; das muss sicherlich festgehalten werden. Aber dann, wenn es konkret wird, wenn es um einzelne Anträge oder Gesetze in den unterschiedlichen Ausschüssen geht, geht das Gefühl, das wir uns im Nachhaltigkeitsbeirat - auch dank unseres Vorsitzenden, Herrn Günter Krings ({0}) erarbeitet haben, nämlich das Gefühl des Zusammenarbeitens auch über die Fraktionsgrenzen hinweg im Sinne der nachfolgenden Generationen, leider allzu schnell verloren, weil die Tagespolitik, das Tagesgeschäft den Blickwinkel dann doch wieder verengt. Eine Chance in unserem Nachhaltigkeitsbeirat besteht in der Weitung des Blickes, weg von den tagespolitischen Auseinandersetzungen hin zu dem, was die nachfolgenden Generationen anlangt. Mir ist aufgefallen - Ihnen sicherlich auch -, dass das Wort Nachhaltigkeit sehr oft gebraucht wird. Die Nachhaltigkeit hat einen immensen Aufschwung genommen, zumindest verbal. Nachhaltigkeit kommt übrigens aus der Landwirtschaft. ({1}) - Forstwirtschaft; danke schön, Herr Kollege Goldmann. Ich wollte einmal testen, ob Sie dabei sind. ({2}) Der Begriff kommt aus der Forst- und Landwirtschaft. Der Begriff der Nachhaltigkeit hat sich geweitet: Politik soll nachhaltig sein. Unternehmen sollen nachhaltig handeln. Versicherungen bieten nachhaltige Verträge an. Literatur, Kunst und Architektur, alles ist auf einmal nachhaltig. Wenn man ins Internet geht und den Begriff „Nachhaltigkeit“ in eine Suchmaschine eingibt, also klassisch googelt, dann erhält man innerhalb von wenigen Sekunden 2,5 Millionen Treffer. - Im Jahre 2000 wussten gerade einmal 13 Prozent der Bürgerinnen und Bürger überhaupt etwas mit dem Begriff der Nachhaltigkeit anzufangen. Das sieht heute anders aus. Zumindest wird der Begriff sehr oft verwendet. Die inflationäre Verwendung des Begriffs der Nachhaltigkeit sollte jedoch nicht unser Ziel sein. Wir sollten das Erreichte nicht an der Quantität messen, also daran, wie oft „Nachhaltigkeit“ letztlich als Modewort verwendet wird. ({3}) Es geht um die Qualität, also um das, was die Einstufung als nachhaltig auch wirklich verdient. ({4}) Deshalb ein mahnendes Wort an uns alle: Wir dürfen in unserem Engagement um die Nachhaltigkeit diese nicht zu einem inhaltsleeren Schlagwort verkommen lassen. Das haben wir uns als Nachhaltigkeitsbeirat auf die Fahnen geschrieben. Nachhaltigkeit ist für uns das Denken an morgen, aber auch das Handeln für morgen. Für uns ist der integrative, aber auch der globale Politikansatz sehr wichtig. Was zum Beispiel eine Erbschaft für den Einzelnen bedeutet, kann, denke ich, fast jeder nachempfinden. Schwieriger aber gestaltet es sich, mit kollektiven Erblasten oder Erbschaften umzugehen bzw. sich da hineinzuversetzen und auf dieser Grundlage vorausschauend die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Deshalb darf sich die Idee der Nachhaltigkeit nicht auf das Hier und Jetzt beschränken; das wäre fatal. Wir müssen uns im Hier und Jetzt Gedanken machen. Aber selbstgenügsam zu sein und heute nach dieser Debatte festzuhalten: „Irgendwie sind wir uns doch alle einig“, wäre sicherlich viel zu wenig. ({5}) Gerade für uns als Junge Gruppe - ich spreche heute nicht nur als Mitglied des Beirates, sondern auch als Mitglied der Jungen Gruppe unserer Fraktion - ist die Generationengerechtigkeit integrativer Bestandteil der Nachhaltigkeit. ({6}) Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass die im Hier und Jetzt bestehenden Bedürfnisse befriedigt werden; wir möchten keinen Generationenkonflikt. Aber die Bedürfnisse, die jeder Mensch hat und die natürlich immer zu toppen sind, müssen auf eine Art befriedigt werden, dass auch die nachkommenden Generationen noch Ressourcen vorfinden. Wir müssen über den Tag hinaus denken. Für mich als Vertreterin einer christlich-demokratischen Partei hat das auch etwas mit dem christlichen Menschenbild und mit der Bewahrung der Schöpfung zu tun. ({7}) Sie ist nicht unser Eigentum; es darf nicht darum gehen, dass sie uns im Hier und Heute zugutekommt. Natürlich führt das immer zu Debatten. Das merken wir, wenn wir uns in ganz konkreten Fragen einigen müssen, zum Beispiel bei der Steuergesetzgebung, beim Schuldenabbau und im Hinblick auf das Rentensystem und die Pflegeversicherung. Wir sollten uns daher eindeutig für die Einführung von Generationenbilanzen aussprechen, durch die die Verteilung der Lasten zwischen den Generationen transparent gemacht werden könnte. Es darf nicht alle fünf Jahre darüber geredet werden, wie hoch die Verschuldung ist, die jedes neugeborene Kind quasi als „Begrüßungsgeschenk“ bekommt. Mit einer transparenten und jährlich aufzustellenden Generationenbilanz schaffen wir es, die Themen Ökonomie, Ökologie und Soziales langfristig miteinander zu verbinden. Zudem würde sich dadurch auch die große Chance einer Gesetzesfolgenabschätzung bieten. Das haben wir, die Junge Gruppe in der CDU/CSU-Fraktion, gefordert. Wir hoffen, dass es die Regierung schaffen wird, ihren Politikansatz nicht ressortisoliert, sondern ministerienübergreifend zu gestalten. ({8}) Das ist unser Wunsch an die Regierung. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Ziel gemeinsam mit den jungen Abgeordneten, die im Parlament vertreten sind, und mit den vernünftigen älteren Abgeordneten erreichen werden. Das macht unser Land lebenswert. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4900 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klimawandel ernst nehmen - Kernenergielaufzeiten verlängern - Drucksache 16/3138 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Internationale und europäische Klimaschutzoffensive 2007 - zu dem Antrag der Abgeordneten Eva BullingSchröter, Dr. Dagmar Enkelmann, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Nationales Sofortprogramm und verbindliche Ziele für den Klimaschutz festlegen - Drucksachen 16/4610, 16/5129, 16/5439 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({2}) Frank Schwabe Eva Bulling-Schröter Dr. Reinhard Loske Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat in seine Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5439 den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4610 mit dem Titel „Internationale und europäische Klimaschutzoffensive 2007“ einbezogen. Über diese Vorlage soll ebenfalls abschließend beraten werden. Ich gehe davon aus, dass Sie auch damit einverstanden sind. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann wird so verfahren. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion. ({3})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Es gibt sehr ehrgeizige Klimaschutzziele, die richtig sind, sich aber in ihrer tatsächlichen Umsetzung bewahrheiten müssen. So möchte ich darauf hinweisen, dass die Bundesregierung das Ziel der Minderung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent gegenüber 1990 für realistisch hält. Für Kohlekraftwerke wird dabei CO2-Neutralität ab dem Jahre 2012 unterstellt. Hier wird ein sehr ehrgeiziges Ziel formuliert, das im Vorgriff auf die nächsten 20 Jahre zum Teil auf einer bestimmten Technologie basiert. Das ist sehr unsicher. ({0}) Wir müssen erkennen, dass wir hinsichtlich der Minderung der CO2-Emissionen gerade in den letzten beiden Jahren immer weiter zurückgefallen sind. Die Aufgaben werden schwieriger: Im Jahre 2005 betrugen unsere CO2-Emissionen 872 Millionen Tonnen. Die Franzosen, die 78 Prozent ihrer Stromproduktion mit kerntechnologischen Anlagen abdecken, hatten im Vergleich dazu nur 353 Millionen Tonnen. - Ich bin davon überzeugt - und mit mir meine Fraktion -, dass wir das Klimaschutzziel nicht erreichen können, wenn wir im Zeitraum bis 2020 auf die Kernenergie verzichten. Ein Verzicht auf die Kernenergie könnte schiefgehen; denn wir müssen bedenken, dass ein Drittel der deutschen Stromproduktion durch die 17 noch existierenden Kernkraftwerke erfolgt, die auf eine mögliche Laufzeitverlängerung hoffen. Das heißt, 50 Prozent der Grundlast basieren auf der Kerntechnologie, auf die wir zumindest kurz- und mittelfristig schlecht verzichten können. ({1}) Diese 50 Prozent können nicht allein durch erneuerbare Energien ersetzt werden; denn nicht alle sind grundlastfähig. Das ist das Problem. ({2}) Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir auf neue Kraftwerke setzen müssen, auf Kraftwerke, die fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl oder Gas nutzen. Das führt jedoch wieder zu mehr CO2-Emissionen und damit zu höheren Kosten. Es führt auch zu weniger Sicherheit bei der Versorgung, weil eine größere Abhängigkeit von Importen entsteht. Das macht unsere Energielage in Deutschland insgesamt kritischer. Die Erreichung unserer ehrgeizigen Klimaschutzziele, die wir unterstreichen, wird dadurch immer weniger wahrscheinlich. Ich muss schließen. Ich hoffe darauf, dass auch Sie, die Herren und Damen der Koalitionsfraktionen, einsehen, ({3}) dass aufgrund Ihrer Ideologie die Energie teurer wird und es der Umwelt schlechter geht. Versuchen Sie, das zu verhindern, und sagen Sie Ja zu einer Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Jung, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können in diesen Tagen nicht über den Klimaschutz diskutieren, ohne einen Blick nach Heiligendamm zu werfen; ({0}) wir wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt dies ebenfalls tun. Der Zwischenruf seitens der Linkspartei zeigt, dass manche Menschen dies auch mit einer gewissen Sorge tun, nämlich der Sorge, ob es dort wirklich gelingt, einen Durchbruch zu erzielen. Genau das hat sich die Bundeskanzlerin zum Ziel gesetzt. Die Bundesregierung hat dies von Anfang an in den Mittelpunkt der Vorbereitungen gestellt: Wir wollen auf diesem G-8-Gipfel die Vorarbeiten dafür leisten, dass Ende dieses Jahres auf Bali der Durchbruch für ein internationales Klimaschutzregime für die Zeit nach 2012 erreicht werden kann. Wir wissen, wenn dieser Durchbruch nicht gelingt, dann wird es unglaublich schwer werden. ({1}) Ich glaube, von uns allen als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, als gesamtes Haus, sollte von dieser Stelle aus ein Signal an die Bundesregierung ausgehen, dass wir diese Initiative unterstützen. Wenn in Heiligendamm demonstriert wird, dann doch mit dem Ziel, die Bundesregierung zu unterstützen; denn wir wissen, dass die G-8-Staaten, die dort vertreten sind, für den Großteil der CO2-Emissionen in der Welt - nur acht Staaten verursachen fast 50 Prozent - verantwortlich sind. Damit haben diejenigen, die dort versammelt sind, den Schlüssel in der Hand. Es ist daher richtig, dass die Bundeskanzlerin auch deutliche Worte gegenüber dem amerikanischen Präsidenten findet und die USA immer wieder drängt, ermahnt und auffordert, sich in den Klimaschutzprozess einzubringen. Nach meiner Überzeugung müssen wir immer wieder deutlich machen, dass wir ohne die USA nichts erreichen können, weil ihnen als weltweit größter Emittent eine Schlüsselrolle zukommt. ({2}) Andreas Jung ({3}) Solange die USA nicht mitmachen, können sich viel zu viele Länder darauf berufen und sich ebenfalls untätig zurücklehnen. Insofern bitte ich alle, zu demonstrieren. Sie sollten aber nicht gegen etwas demonstrieren, sondern für etwas, nämlich für die Ziele, die die Bundesregierung in Heiligendamm erreichen will. Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ich finde es ausgesprochen gut, dass nicht nur geredet wird, sondern dass auch durch Handeln dokumentiert wird, dass sich in Heiligendamm kein Club einiger reicher und mächtiger Industriestaaten trifft - es ist kein „Closed Shop“, in dem man unter sich bleibt -, sondern dass dort auch Gespräche mit den Regierungschefs der Schwellenländer geführt werden. Die Bundeskanzlerin hat in der gestrigen Debatte darauf hingewiesen, dass wir ohne die Schwellenländer viele Ziele nicht erreichen können. Sie hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Klimaschutz erwähnt. Es ist richtig: Wir brauchen dafür auch die USA. Wir haben hier als Industriestaaten eine besondere Verantwortung. Es wird aber nicht ohne die Länder gehen, die derzeit wirtschaftlich aufholen - manche von ihnen, wie China, sind auf dem Weg, sogar die USA zu überholen - und dadurch verstärkt zu den CO2-Emissionen beitragen. Insofern ist es gut, dass China, Indien, Brasilien und Mexiko beteiligt sind, damit gemeinsam beraten werden kann, wie wir vorankommen können. Es ist auch richtig, dass Afrika im Fokus dieses Gipfels steht. Darauf hat die Bundeskanzlerin gestern sehr dezidiert hingewiesen. ({4}) Sie hat auch das mit dem Klimaschutz verknüpft. Wir müssen uns fragen, wie wir den Belangen der Entwicklungsländer gerecht werden können, die zu Recht beklagen, dass sie die Hauptlast der negativen Folgen der CO2-Emissionen tragen, obwohl sie nur einen verschwindend geringen Anteil daran haben. Weil sie wissen, dass wir über neue Technologien verfügen und erneuerbare Energien nutzen, treten diese Länder mit der Forderung an uns heran, auch ihnen Zugang zu diesen Möglichkeiten zu verschaffen. Wir stehen unsererseits vor der Problematik, dass diese Technologien nicht in staatlicher Hand sind; sie sind in privatem Besitz, und das geistige Eigentum ist durch Patente geschützt. Es ist deshalb aber umso wichtiger, dass wir uns darum bemühen, die im Kiotoprotokoll vorgesehenen Instrumente, zum Beispiel den CDM, zu nutzen, sodass sie nicht nur auf dem Papier fortbestehen. Wir haben uns als Große Koalition dafür ausgesprochen, den Anteil solcher Entwicklungshilfeprojekte am nationalen Budget im Emissionshandelssystem auf 20 Prozent zu erhöhen. Ich halte das für richtig. Wir denken in der Union sogar darüber nach, ob man nicht noch mehr machen kann. Es ist aber auch danach zu fragen, wie die praktische Umsetzbarkeit verbessert werden kann; denn es ist festzustellen, dass vielleicht in China manche Projekte umgesetzt werden, aber gerade in Afrika noch viel zu wenig in diesem Bereich geschieht. ({5}) Insofern meine ich - das war auch Gegenstand der Anhörung zum Klimaschutz, die diese Woche im Bundestag stattgefunden hat -, dass die Europäische Union alles tun muss, um die Voraussetzungen zu verbessern. Die Bundesrepublik Deutschland hat den G-8-Gipfel unter das Motto „Wachstum und Verantwortung“ gestellt. Ich bin der Überzeugung, dass darin der Schlüssel für die Diskussion in der internationalen Klimaschutzpolitik liegt. Wir sollten vorleben, dass Wachstum und Verantwortung keine Gegensätze sind; denn derjenige, der Verantwortung für das Weltklima und den Klimaschutz übernimmt, muss nicht auf Wachstum verzichten. Ein erhöhter CO2-Ausstoß ist keine Voraussetzung für ein erhöhtes Wirtschaftswachstum. Unsere Verantwortung besteht darin, im eigenen Land zu beweisen, dass beides möglich ist: Unsere Wirtschaft wächst, obwohl wir ehrgeizige Maßnahmen zugunsten des Klimaschutzes durchführen. Energieeffizienz - in Gebäuden, aber auch im Privathaushalt - ist eines der wichtigsten Themen dieser Großen Koalition. ({6}) Bei Haushaltsgeräten treten wir für das Top-Runner-Programm ein, mit dem das beste Gerät zum Standard werden soll. So entsteht in der Wirtschaft Handlungsdruck, dem „besten“ Hersteller zu folgen und nicht hinter seinem Niveau zurückzubleiben. Effizienz ist auch im Verkehrsbereich ein wichtiges Gebot. Alle Maßnahmen, die wir bereits umgesetzt haben oder vorhaben - wie die Umstellung der Kfz-Steuer auf den CO2-Verbrauch, die Klimaschutzvorgaben bei den Personenkraftwagen oder die Einbeziehung des Flugverkehrs in den CO2-Emissionshandel -, zielen doch darauf ab, mit möglichst wenig Energie möglichst viel zu erreichen und bei möglichst wenig CO2-Ausstoß möglichst viel Mobilität und Wirtschaftswachstum zu haben und diesbezüglich nicht in irgendeiner Weise zurückstecken zu müssen. - Wir müssen in all diesen Bereichen effizienter werden. Das gilt selbstverständlich auch für die Energieerzeugung. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit neuen, umweltfreundlichen Energien unsere Energieversorgung sicherstellen können. Deshalb ist es überhaupt keine Frage, dass die Große Koalition erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe fördert. Wir wollen immer mehr und möglichst viel unseres Energiebedarfs damit abdecken. ({7}) Deshalb ist es auch wichtig, dass wir das Ziel der Energieeffizienz im Rahmen des Emissionshandelsplans verfolgen. Wir haben ein Cap vorgelegt, mit dem wir unsere Kiotoverpflichtung, die Reduktion des CO2-Ausstoßes um 21 Prozent bis zum Jahre 2012, erreichen werden. Es ist schon gesagt worden, dass wir noch ehrgeizigere Ziele haben. Wir als Deutscher Bundestag haben das Ziel formuliert, unsere CO2-Emissionen bis zum Andreas Jung ({8}) Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Minister Gabriel hat in seiner Regierungserklärung ein Acht-Punkte-Programm vorgelegt, mit dem das seiner Meinung nach erreicht werden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie sagen jetzt, dass wir unser Ziel ohne die Nutzung der Kernenergie nicht erreichen können ({9}) und stellen einen Antrag auf Laufzeitverlängerung. Sie kennen doch unsere Koalitionsvereinbarung. Sie wissen, dass wir diesem Antrag nicht zustimmen werden. Ich finde richtig, dass wir, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, dieses Thema ideologiefrei diskutieren müssen. Wenn man das tut, stehen sich zwei Dinge gegenüber: auf der einen Seite die Risiken, die sich aus dem Umgang mit radioaktivem Material ergeben, auf der anderen die Möglichkeit einer weitgehend CO2-freien Energieproduktion. Diese Diskussion wird man beizeiten führen müssen. ({10}) Man wird fragen müssen, wann das Risiko größer ist: wenn man die Laufzeit sicherer, bestehender Kraftwerke um einige Zeit verlängert oder wenn man neue Kohlekraftwerke baut und damit die Energieerzeugung auf Basis des Kohlenstoffdioxidausstoßes fortsetzt, die ja gerade für den Klimawandel verantwortlich ist? Diese Diskussion müssen wir führen, sobald sich diese Frage stellt. Ich freue mich darauf, dies mit Ihnen allen in den kommenden Monaten und darüber hinaus zu diskutieren. Herzlichen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gestern einem Wettlauf von Vertretern der G-8Staaten gegen einen Eisbären beigewohnt. Leider ist in diesem Szenario der Eisbär gefallen. Damit das nicht Wirklichkeit wird, werden wir darüber nachdenken und etwas dafür tun müssen, damit das Klima gerettet werden kann. Die Aktion fand gestern in der Frühe in der Nähe des Bundestages statt. Sie wurde von G-8-GipfelGegnern veranstaltet, die sich große Sorgen machen, dass das Klima den Mächtigen dieser Welt geopfert wird. Das wollen wir nicht. ({0}) Der jüngste IPCC-Bericht spricht für sich; am Dienstag hat uns Herr Pachauri noch einmal sehr eindrucksvoll die Probleme dargelegt. Am Mittwoch hatten wir eine Anhörung zum Thema Klimawandel. Es gibt wirklich Handlungsbedarf. Jetzt gibt es auch noch den alarmierenden Hinweis, dass die CO2-Emissionen seit der Jahrhundertwende weltweit dreimal schneller ansteigen als in den 90er-Jahren. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht weiter ansteigen. Auch hierzulande steckt der Klimaschutz in einer Sackgasse. In Deutschland ist der CO2-Ausstoß heute höher als 1990. Wenn wir nicht aufpassen, steigt er weiter. Jetzt wird der Bau neuer Kohlekraftwerke geplant, 40 an der Zahl. Vonseiten der SPD wird immer wieder gesagt, sie würden gar nicht gebaut werden. Deshalb mein Appell: Tun Sie endlich etwas dafür, dass wir in diesem Land einen ökologischen Energiemix erhalten und dass die Kohlekraftwerke nicht gebaut werden! Setzen Sie sich dafür beim nächsten Energiegipfel ein! Tun Sie etwas! Ein CO2-freies Kohlekraftwerk gibt es nicht. Das ist eine Lüge. Diese Mär sollte öffentlich so nicht stehen bleiben. ({1}) Die FDP meint in ihrem Antrag, der Bundesregierung fehle eine schlüssige Strategie. Wir, Die Linke, meinen, dass ihr der Wille fehlt, sich mit den Konzernen anzulegen. Die Liberalen wollen die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern. Herr Jung hat sich dazu seltsamerweise gar nicht geäußert. Haben Sie vergessen, dass es Tschernobyl gab? Von Ihnen war doch im letzten Jahr jemand dabei, als es um den 20. Jahrestag der damaligen Katastrophe ging. Oder was ist mit Forsmark? Hat das nicht existiert? Auch dass Kernbrennstoffe in einem halben Jahrhundert aufgebraucht sein werden, blendet die liberale Fraktion aus. Um ein paar Großkonzerne ein paar Jahre länger zu bedienen und ihnen Profite zu ermöglichen, wollen die Liberalen den strahlenden Abfallberg weiter vergrößern. Es gibt Zahlen darüber, welche Profite ein abgeschriebenes Atomkraftwerk pro Jahr erwirtschaftet. Es gibt den Vorschlag von Herrn Glos - Sie haben darüber leider nicht gesprochen -, diese Gewinne abzuschöpfen und anschließend in regenerative Energien zu investieren; darüber werden wir noch sprechen. Aber ist das glaubhaft? Sie schaffen es bislang noch nicht einmal, die Sonderprofite abzuschöpfen. Und dann wollen Sie einen neuen Vertrag schließen, der wahrscheinlich wieder nicht eingehalten wird? Ihre Glaubwürdigkeit ist gleich null. Dieser Vorschlag verhindert eine nachhaltige Energiewende. Wir brauchen keine zentralisierte Energieinfrastruktur, sondern regenerative Energien. Dass der Atomstrom wirtschaftlicher ist, wie Sie es uns immer weismachen wollen, stimmt nicht, Frau Kopp. Gehen Sie einmal zur Strombörse in Leipzig und schauen Sie sich an, wie sich der Börsenpreis zusammensetzt. Abgeschriebene Atomkraftwerke erwirtschaften dort Milliardenprofite, weil Steinkohle oder Gas den Grenzpreis bilden. Kein Cent wird an die Kunden weitergegeben. Im Übrigen ist es merkwürdig, dass ausgerechnet Sie die ideologiefreien Klimaretter sein wollen. Ich kann mich noch an die letzten Legislaturperioden erinnern. Damals saßen Sie auf dem Schoß von RWE und Vattenfall. All das wollen wir nicht. Der von uns eingebrachte Antrag, über den heute abgestimmt wird, sieht ein Sofortprogramm vor. Wir wollen eine Reduktion der Treibhausgase um 40 Prozent bis zum Jahr 2020, egal ob andere Industrieländer ebenfalls reduzieren. Wir halten es auf jeden Fall für dringend notwendig. Bis 2050 muss die Reduktion bei 80 Prozent liegen. Das Top-Runner-Programm wurde bereits angesprochen. Bitte legen Sie ein solches Programm auf. Wir werden das unterstützen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie müssen sie nur annehmen. Danke.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Christoph Pries für die SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal in dieser Wahlperiode über die Zukunft der deutschen Atomkraftwerke. Niemand von uns wird von der heutigen Aussprache ernsthaft neue Erkenntnisse erwarten. Stellt sich die Frage, warum wir trotzdem ständig darüber diskutieren. Die Ursache ist eine geradezu rührende Besorgnis zweier Oppositionsfraktionen um die Position der SPD. Da sind zunächst die Grünen. Sie können einfach nicht glauben, dass wir beim Atomausstieg nicht wackeln. Da ist die FDP. Sie will einfach nicht glauben, dass wir beim Atomausstieg nicht wackeln. Um es kurz zu machen: Die SPD wird beim Atomausstieg nicht wackeln. ({0}) Für uns ist die Atomenergie keine Zukunftstechnologie. Für uns ist die Atomtechnologie keine Übergangstechnologie. Für uns ist die Atomenergie ein Auslaufmodell. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die Atomenergie leistet keinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz. Dies belegen mehrere aktuelle Szenarien unabhängig voneinander. Frau Kopp, ich hoffe, dass Sie sie auch einmal lesen. Sie machen deutlich, dass das 40-Prozent-Ziel bei der Reduktion der Treibhausgase und der Atomausstieg bis 2020 zu vertretbaren Kosten realisiert werden können. Ein Beispiel: Das ÖkoInstitut hat die Klimabilanzen der Strombereitstellung aus nuklearen, fossilen und erneuerbaren Energien für den gesamten Lebenszyklus verglichen. Das Ergebnis: Mit Biogas betriebene Blockheizkraftwerke, erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Energieeffizienz haben eine günstigere Bilanz als Atomstrom. Blockheizkraftwerke auf Erdgasbasis liegen bei den CO2-Emissionen nahezu gleichauf mit Atomkraftwerken; denn Atomkraftwerke erzeugen nur Strom, aber keine Wärmeenergie. Die Berechnungen des Öko-Instituts lassen zudem die zusätzlichen Emissionen der Endlagerung für radioaktive Abfälle unberücksichtigt. Es bleibt also festzuhalten: Die CO2-Freiheit der Atomenergie ist eine Mär, die auch durch permanente Wiederholung nicht wahr wird. ({2}) Mehr noch: Die Klimabilanz der Atomenergie wird sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern, Frau Kopp. Warum? Für die Befriedigung des weltweiten Uranbedarfs müssen zukünftig immer schlechtere Erzqualitäten ausgebeutet werden. Der höhere Aufwand führt zu einer Steigerung der CO2-Emissionen. Gleichzeitig verschlechtert sich die Energiebilanz der Atomkraft. Das heißt, der Energiebedarf zur Urangewinnung nimmt im Vergleich zur neu erzeugten Energiemenge der Atomkraftwerke zu. Im Endstadium wird die Atomenergie mehr Energie verbrauchen, als sie produziert. Das ist eine Feststellung, die im übertragenen Sinne bereits für die heutige Debatte gilt. Wir erhitzen seit Jahren unsere Gemüter in der Diskussion über eine Energieform, die gerade einmal 3 Prozent des weltweiten Verbrauchs deckt. Eine Marginalie, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass nach seriösen und neuesten Studien während des gesamten Lebenszyklus von Uran - von der Gewinnung bis hin zur Endlagerung - zwischen einem und drei Hundertstel der CO2-Emissionen entstehen, die bei einem Braunkohlekraftwerk anfallen? Die Vergleiche kann man für alle anderen Kraftwerke fortsetzen. Ihr Parteivorsitzender, Herr Beck, hat schon einmal eine Aussage zu diesem Thema getroffen. Ich denke, diese Informationen sollten inzwischen bei allen Mitgliedern der SPD-Fraktion angekommen sein.

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine liebe Frau Kopp, ich habe es gerade ausgeführt: Die Qualität des Uranerzes wird immer schlechter werden, sodass die Energiebilanz insgesamt schlechter wird. Man kann eines sagen: Je mehr Atomkraftwerke gebaut werden, desto problematischer wird diese ganze Angelegenheit. Wir müssen sehen, dass wir auch dem Klimaschutz zuliebe so schnell wie möglich bis zum Jahre 2020 aus dieser Energieform aussteigen. ({0}) Wenn wir den Anteil an Atomenergie signifikant steigern wollten, wäre ein gigantisches Ausbauprogramm erforderlich. Das ist finanziell utopisch und sicherheitspolitisch und sicherheitstechnisch unverantwortlich. Was wir brauchen, sind nicht mehr Megawatt in der Produktion, sondern weniger Megawatt im Verbrauch. Wir brauchen eine höhere Energieproduktivität und mehr erneuerbare Energien. Dezentrale, effiziente und flexible Versorgungsstrukturen sind die Lösung, nicht längere Laufzeiten für Uraltreaktoren. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam auf der Basis des Atomkonsenses an einer zukunftsfähigen und klimaverträglichen Energieversorgung arbeiten. Die SPD-Fraktion ist dazu bereit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ein Vergnügen teilen wir bei diesen Debatten, nämlich den Spaß an der Uneinigkeit in der Großen Koalition über dieses Thema. ({0}) - Ja, damit ist unsere Einigkeit natürlich ausgeschöpft, nicht aber die Uneinigkeit der Koalition. Ein besonders drastisches Beispiel für diese Uneinigkeit erleben wir gerade wieder: Minister Gabriel lehnt - ganz auf dem Boden des Atomgesetzes - den Hauptantrag von RWE zur Verlängerung der Laufzeit von Biblis A ab. ({1}) Es handelt sich um einen Reaktor, der als Vertreter der „unverzichtbaren Atomenergie“ seit einem halben Jahr - übrigens völlig unbemerkt - wegen seiner fehlenden Dübel stillsteht, und keiner merkt irgendetwas in Bezug auf den Strombedarf. Gleichzeitig unterstützt Minister Glos das Vertragsangebot von EnBW-Chef Claassen, der vorgeschlagen hat, den Atomausstieg im Grundgesetz festzuschreiben, gegen Verlängerung der Laufzeiten über die im Ausstiegsgesetz festgelegten Fristen. Wahrlich ein großzügiges Angebot! Hatten wir nicht schon einmal Verhandlungen? Hatten wir nicht schon einmal einen Vertrag? Ist dieser Vertrag nicht unterschrieben worden? Welche Botschaft geht von diesem neuen Verhandlungsangebot aus? Vielleicht die, dass die Unterschrift von Chefs von Energiekonzernen erst dann gültig ist, wenn sie im Grundgesetz verankert ist? Die Lehre daraus kann nur sein: Hände weg von Verträgen mit Atomkonzernen! Bitte, keine Neuauflage davon! ({2}) Wie ist es denn nun mit dem Argument des Klimaschutzes? Die Konzerne machen sich Sorgen um das Klima und um den Ausbau der erneuerbaren Energien. Beides ist neu, beides ist unglaubwürdig. Denn was tun sie gerade? Bauen sie Biomassekraftwerke? Bauen sie Solarparks? Ja, in homöopathischen Dosen. In großer Zahl beantragen und planen sie Genehmigungen für Kohlekraftwerke. Würden all die geplanten Kohlekraftwerke ans Netz gehen, dann läge der CO2-Ausstoß bei 170 Millionen Tonnen im Jahr. So viel zum Anspruch der Chefs der Energiekonzerne, Klimaschützer zu sein. Ökonomisch gedacht, ist das Ganze angesichts der Angebote, die Ihr Minister den Energiekonzernen zum Bau neuer Kohlekraftwerke macht - Stichwort „Emissionshandel“ -, übrigens wenig verwunderlich. Ich sage Ihnen: Wer der Argumentation Ihres Ministers - wer die Kohle nicht will, wird Atom bekommen - folgt, der wird am Ende beides haben. Die Argumentation ist nämlich diese: die Atomkraft als Brücke zur CCS-Technologie, und die CCS-Technologie als Brücke zu den erneuerbaren Energien. So viel Übergangstechnologie hin zu einer Energieform, die - ganz im Gegensatz zur CCSTechnologie - bereits heute da ist! ({3}) Wie sah es denn im Januar 2007 aus? Hören Sie sich die Zahlen gut an: 9 483 Gigawatt Strom aus erneuerbaren Energien wurden ins Netz eingespeist, und das bei einer Gesamtmenge von 44 136 Gigawatt. Das heißt, es gab fast 10 000 Gigawatt Strom aus erneuerbaren Energien. Das Vergnügen, sich den Prozentsatz auszurechnen, überlasse ich Ihnen gerne selbst. Die VDN-Prognose für 2007 von 15,84 Prozent werden wir wahrscheinlich deutlich übertreffen. Der WBGU schließt daraus, dass wir im Jahr 2025 global zwei Drittel des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien herstellen können. Schauen wir zurück. Atomstrom hat im Jahr 2006 einen Anteil von 26,3 Prozent gehabt. Der Anteil der erneuerbaren Energien lag in diesem Jahr bereits bei 12 Prozent. Ich sehe nicht, inwiefern diese Zahlen beweisen, dass wir das eine unverzichtbar brauchen, weil das andere so schwach ist. ({4}) Die Konzerne werden die erneuerbaren Energien nicht voranbringen. Dezentrale Energiestrukturen brauchen keine Konzerne. Erneuerbare Energien brauchen keine Großkraftwerke, und Effizienz und Großkraftwerke passen nicht zusammen. Das Zauberwort für die klimaschützende Nutzung von Biomasse, Gas und Kohle - solange wir sie noch brauchen - heißt aber KraftWärme-Kopplung. Sie funktioniert weder in AKWs noch mit der CCS-Technologie. Sie funktioniert dezentral, und sie funktioniert in einem zukunftsfähigen Klimaschutzkonzept. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Besinnen Sie sich auf Ihre Mittelstandspolitik, die Sie immer so gern vor sich her getragen haben, und helfen Sie uns, die Regierung dazu zu bringen, die innovationsverhindernden und effizienzarmen Großkraftwerke abzuschaffen! Zum Schluss an diejenigen, die das vergessen haben: Das Risiko der Atomkraft, das die Begründung für den in Deutschland beschlossenen Atomausstieg ist, relativiert sich auch angesichts des Klimawandels nicht. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Marco Bülow für die SPD-Fraktion. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag ist betitelt „Klimawandel ernst nehmen“. Jawohl, das ist ein guter Titel. Allerdings frage ich mich, wie eine Fraktion einen solchen Titel wählen kann, obwohl sie alle Klimaschutzmaßnahmen unter Rot-Grün und auch unter Schwarz-Rot abgelehnt hat. Ihre einzige Klimaschutzmaßnahme besteht darin, zu fordern, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. ({0}) Das ist Etikettenschwindel höchsten Grades. So etwas muss man dann auch auseinandernehmen. Die erneuerbaren Energien wurden von der FDP vehement bekämpft; ich denke da an die Diskussion über die Einführung bzw. Novellierung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes. ({1}) Jetzt, wo man sie nicht mehr bekämpfen kann, fördert man sie aber auch nicht. Man denkt: Na ja, unter Umständen kann man die erneuerbaren Energien fördern, aber nur im breiten Energiemix; wenn der Energiemix das nicht trägt, setzen wir vor allem auf die anderen Energieträger. Wenn die FDP mit der gleichen Verve, mit der sie Atomkraftwerke voranbringen möchte, Biogaskraftwerke mit KWK voranbringen würde, dann könnten wir eine vernünftige Diskussion führen, und die wäre dann ideologiefrei. ({2}) Was Sie machen, ist Ideologie und nichts anderes. Das einzige Argument für Atomkraft ist „mehr Geld“, und zwar nicht mehr Geld für die Bürgerinnen und Bürger, sondern für die großen Konzerne. Schauen wir uns die Stromrechnungen in BadenWürttemberg oder in Bayern, wo der Atomanteil am höchsten ist, doch einmal an! Sind die Stromrechnungen da günstiger? ({3}) Nein, sie sind es nicht. Schauen wir uns die Strombörsen, die EEX-Börse an! Frankreich hat, was Strom angeht, den gleichen Level an Kosten wie Deutschland. In Frankreich gibt es aber viel mehr Atomkraftwerke. Ich frage Sie: Warum ist der Strom dort nicht billiger? Ich kann es sagen: weil der Preis nicht umgelegt wird. Der Preis wird vom Handel bestimmt und richtet sich nicht nach den einzelnen Sorten. ({4}) Ich freue mich schon auf den Hitzesommer, der den von 2003 übertreffen wird. Schon damals mussten viele Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Wenn die Franzosen die Deutschen nicht gehabt hätten, die nämlich Strom zu zivilen Preisen geliefert haben, dann wäre das Netz zusammengebrochen. Es konnte nur aufrechterhalten werden, weil wir Gott sei Dank nicht nur Atomkraftwerke haben. ({5}) Wie wollen Sie das weltweit überhaupt hinbekommen? Herr Kauch wird noch reden; er kann es dann vielleicht erläutern. Der Gesamtenergieverbrauch weltweit wird zu 3 Prozent durch Atomkraft gedeckt, mit ungefähr 435 Atomkraftwerken. Sollten die Atomkraftwerke einen kleinen Beitrag mehr leisten, müsste die Zahl verdreifacht oder vervierfacht werden. Das würde einen Zubau von 1 500 Atomkraftwerken bedeuten. Ich brauche nicht zu sagen, wie lange dann das Uran noch reicht. Das heißt, wir wären dann ganz schnell in der Plutoniumwirtschaft. Dann muss mir auch einmal erklärt werden, wo diese Atomkraftwerke gebaut werden sollen, wer sie finanzieren soll und wo sie angeschlossen werden sollen. Dann können wir uns weiter unterhalten und auch darüber nachdenken, ob sie tatsächlich einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. ({6}) Ich bin eindeutig der Meinung: Wer auf Atomkraftwerke setzt, verhindert neue Investitionen. Es ist schön, dass die FDP mittlerweile sagt, es sei eine Übergangstechnologie. Da hat sich etwas geändert. Nur: Eine Übergangstechnologie könnte man relativ schnell durch Zukunftstechnologien ersetzen, und das sind die erneuerbaren Energien. Aber da kommen, gerade von der Seite der FDP, immer noch Querschüsse, um die erneuerbaren Energien einzuschränken. Ich will nur zwei Beispiele nennen, die für die Diskussion, die wir über erneuerbare Energien führen, signifikant sind. Mittlerweile kommt niemand mehr darum herum, zu sagen: Ja, auch ich bin für erneuerbare Energien. - Das gilt selbst für die, die vor zehn oder 20 Jahren das alles noch ins Reich der Utopie verwiesen haben. Heute ist eher der Weg der, öffentlich zu sagen: „Ja, ich bin für erneuerbare Energien“, aber im Hintergrund doch dagegen anzukämpfen. Es gibt also zwei signifikante Beispiele. Nehmen wir das schöne Land Baden-Württemberg mit dem schönen Schwarzwald! Auch ich bin nicht dafür, in jedes Naturschutzgebiet Windkraftanlagen zu stellen. Aber ich muss doch sagen: Auf der einen Seite wird darauf hingewiesen, dass auf dem Feldberg keine Windkraftanlagen gebaut werden dürfen, weil dieser so schön und so wichtig ist, aber auf der anderen Seite wird dort mittlerweile die 27. Skipiste gebaut, obwohl man weiß, dass durch den Klimawandel dort wahrscheinlich leider kein Schnee mehr fallen wird. ({7}) Zu sagen, da dürfe keine Windkraftanlage hin, aber dann auch noch die 28. Skipiste bauen zu wollen, das ist eine Vorgehensweise, die man nicht akzeptieren kann. ({8}) In Baden-Württemberg beträgt der Anteil der Windkraft 0,5 Prozent. Dort steht kaum eine Windkraftanlage. ({9}) Das kann eigentlich nicht sein, weil es in diesem Gebiet mehrere windhöffige Bereiche gibt. Das darf einfach nicht Stand der Dinge bleiben; ansonsten werden wir Klimaschutz nicht erreichen. ({10}) - 0,5 Prozent! Das ist überall nachlesbar. Ich frage mich, warum sich Leute für Innovationen einsetzen und die Technik voranbringen - das macht die Windkraftbranche -, wenn andererseits eine Höhenbegrenzung eingezogen wird. Wenn man will, dass der Preis sinkt und dass die Windkrafträder wirtschaftlicher sind, muss man die Höhenbegrenzung aufheben. Dann bekommen wir einen Riesenbeitrag zum Klimaschutz, und dann könnten wir die Atomenergie allemal substituieren und hätten eine ganze andere Diskussion. ({11}) Ein letzter Satz: Man darf den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben, erst recht nicht, wenn man einen Erzengel zur Hand hat. Ich glaube, wir sollten die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz wählen. Dann können wir auf die Atomenergie verzichten. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Ich freue mich immer, wenn aus meinem Wahlkreis heraus in diesem Haus Stimmung gemacht wird. Deshalb habe ich mich über die Rede von Marco Bülow gefreut. Inhaltlich war das natürlich blanker Populismus. ({0}) Das war in keiner Weise etwas, was in unseren Anträgen steht. Wir haben heute zwei Anträge zu beraten. Einer davon macht explizit Aussagen darüber, wie wir erneuerbare Energien in der Welt fördern wollen. Die Sozialdemokratische Partei und die Christlich Demokratische Union sollten sich mit Blick auf das Wärmegesetz überlegen, ob sie diejenigen sind, die der Opposition erklären müssen, dass diese keine Vorschläge zu den erneuerbaren Energien hat. Die Koalition hat keine Vorschläge. ({1}) Mit mehr Energieeffizienz, mit erneuerbaren Energien und mit CO2-armer Kohleverstromung können wir ambitionierte Klimaschutzziele erreichen. Die Kernenergie kann uns als Übergangstechnologie dafür Zeit geben. Lieber Marco Bülow, die Entscheidung über ihren Einsatz liegt in der Tat bei jedem einzelnen Land. Wir machen hier keine Politik, die vorgibt, wie jedes Land das zu regeln hat. Das hat nicht der Deutsche Bundestag zu entscheiden. Wir entscheiden hier für Deutschland. Alle anderen Entscheidungen sind nationale Entscheidungen der anderen Staaten. Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte zum Thema CO2-Abscheidung bei Kohle- und bei Gaskraftwerken sagen. Die SPD ist hier zögerlich. Die Grünen sind skeptisch, und die Linke ist ablehnend. Ich hätte mich darüber gefreut, wenn die Kollegin BullingSchröter sich aus der Anhörung, die wir am Mittwoch im Umwelt- und Forschungsausschuss hatten, nicht nur die Dinge herausgepickt hätte, die ihr passen, sondern auch die, die ihr vielleicht nicht so gefallen haben. Wenn Herr Töpfer, der in diesem Haus als ehemaliger Chef des UNUmweltprogramms insgesamt eine große Zustimmung genießt, sagt, es sei blanke Augenwischerei, dass man ohne die Kohle und ohne die CO2-Abscheidung die Klimaschutzziele und die Energieversorgung im globalen Maßstab erreichen kann, dann sollte Sie das zum Nachdenken bringen, Frau Kollegin Bulling-Schröter. Aus Sicht der FDP ist die Technologie der CO2-Einsparung in der Tat eine Brückentechnologie. Sie ist aber eine Brücktechnologie, die notwendig ist, um unsere Klimaschutzziele perspektivisch bis 2050 zu erreichen. Alle Energieszenarien zeigen, dass wir danach in die verstärkte Nutzung der erneuerbaren Energien kommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter?

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kauch, wir haben uns schon des Öfteren über CCS unterhalten. Geben Sie mir recht, dass die Forschungen zu CCS noch einen weiten Weg vor sich haben und dass diese Technologie erst im Zeitraum von 2015 bis 2030 eingesetzt werden kann? Geben Sie mir weiter recht, dass es jetzt darum geht, bis zum Jahr 2020 auch in Deutschland 40 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen? Hier gibt es also Differenzen im Zeithorizont. Hinzu kommt, dass ein Kohlekraftwerk, das später über diese Technologie verfügen wird, einen um 10 bis 15 Prozent verminderten Wirkungsgrad haben wird. Wir waren gemeinsam bei der Parlamentarierkonferenz in Washington. Der Chef der dortigen größten Kohlekraftwerke hat all dies bestätigt. Sie müssen verstehen, dass es daher unsererseits große Skepsis gibt. Sie sind diejenige Partei, die keine staatlichen Subventionen will.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, ich denke, die Frage wurde verstanden.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Genau diese Forschung soll vom Staat aber entsprechend bezahlt werden.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Bulling-Schröter, die Analyse, ab wann diese Technologie im großtechnischen Maßstab zur Verfügung stehen wird, ist ja richtig. Wir reden in der Tat über einen Zeitraum ab ungefähr 2020, vielleicht 2015, vielleicht 2025; das wird die Zeit zeigen. Aber es ist natürlich richtig, dass sie uns heute noch nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Deshalb ist das, was die Kollegin Kopp gesagt hat, richtig, nämlich dass wir mit Blick auf die Klimaschutzziele bis 2020 durchaus noch die Kernenergie brauchen. ({0}) Wir müssen aber mit Blick auf das Klima für die kommenden Generationen auch die Perspektive bis 2050 und bis 2100 im Auge behalten. Bis 2050 - das zeigen die Technologieszenarien - hat die CCS-Technologie, die CO2-Abscheidung, eine zentrale Bedeutung. Erst danach werden die erneuerbaren Energien weltweit ihren großen Siegeszug antreten können. Um diesen Siegeszug voranzutreiben, will die FDP in den nächsten Jahren den Export deutscher Solartechnik und anderer erneuerbarer Energien forcieren. Wir wollen ausgewählte Partnerländer zu Modellregionen für den Einsatz von Solartechnik machen. Denn wir müssen Leuchttürme schaffen, damit andere Länder sagen: Wir wollen es genauso machen wie die Länder, die vorangegangen sind. Die Frage ist: Wie bekommen wir das nötige Geld? Da sind die flexiblen Mechanismen des Kiotoprotokolls entscheidend. Notwendig sind eine konsequente Nutzung der Aufforstungsprojekte und bessere Anrechnungsmöglichkeiten für Klimaschutzprojekte der Industrieländer in den Entwicklungsländern. Das müssen wir ohne Begrenzung machen, ohne ideologische Scheuklappen. Leider hat die Koalition, aber auch die Grüne Fraktion dazu bisher nicht den Mut. Ich würde mich freuen, wenn Sie einige Punkte aufgriffen, die in unserem Antrag zur Klimaschutzoffensive 2007 stehen. Das sind Punkte, bei denen wir über die ideologischen Gräben hinweg gemeinsam Lösungen finden können. Vielen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächst zum Tagesordnungspunkt 32 a. Hier wird interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3138 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen soll. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 32 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Internationale und europäische Klimaschutzoffen- sive 2007“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5439, den An- trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4610 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Be- schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP- Fraktion angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5129 mit dem Titel „Na- tionales Sofortprogramm und verbindliche Ziele für den Klimaschutz festlegen“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge- genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich nun den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass die Fraktionen sich darauf verständigt haben, die Zusatzpunkte 6 a bis 6 c - dabei geht es um Vorlagen zum Unterhaltsrecht - von der Tagesordnung abzuset- zen. Ich gehe davon aus, dass Sie mit dieser Vereinba- rung einverstanden sind. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Damit rufe ich die Tagesordnungspunkt 34 a bis 34 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens - Drucksache 16/5049 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({0}) - Drucksache 16/5492 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Ilja Seifert b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr ({2}), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Nichtraucherschutz praktikabel und mit Au- genmaß umsetzen - Drucksachen 16/5118, 16/5492 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Ilja Seifert c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ältestenrates - zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Rauchverbot im Deutschen Bundestag umsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Bärbel Höhn, Volker Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Schutz vor Passivrauchen im Deutschen Bundestag direkt umsetzen - Drucksachen 16/4400, 16/4957, 16/5493 Berichterstattung: Präsident Dr. Norbert Lammert Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für den Nichtraucherschutz in Deutschland. Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des vorliegenden Gesetzes ist der Weg frei für einen wirksamen Nichtraucherschutz in den Einrichtungen des Bundes. Niemand - ob Mitarbeiterin, Mitarbeiter oder Besucher - muss sich dort mehr den gefährlichen Schadstoffen aufgrund des Passivrauchens aussetzen. Nach einer langen Diskussion ist dies, wie gesagt, ein guter Tag für den Nichtraucherschutz. Ich möchte noch hinzufügen, dass wir uns durch die Teilnahme des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck an dieser Debatte besonders geehrt fühlen. ({0}) Die vorliegenden Regelungen gelten nicht nur für den Bereich der Ministerien, sondern auch für über 500 Einrichtungen bis hin zur Bundesagentur für Arbeit. Dazu gehören aber auch die Deutsche Welle und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. ({1}) Auch das Personal und die Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel sind nicht mehr den Schadstoffen ausgesetzt. Die Bahn wird in Zukunft komplett rauchfrei sein. Dies ist ein großer Erfolg angesichts der Tatsache - das können Vielreisende bestätigen -, dass man in der Vergangenheit am Wochenende häufig nur noch eine Sitzplatzreservierung für ein Raucherabteil ergattern konnte. Tabakkonsum ist weltweit die zweithäufigste Todesursache. Die WHO hat dazu jüngst neue Zahlen vorgelegt. Wir wissen, dass in Deutschland rund 40 000 Todesfälle - verursacht durch Lungenkrebs - mittelbar bzw. unmittelbar mit dem Rauchen zusammenhängen. Aber auch das Problem Passivrauchen wurde über Jahre gesundheitspolitisch unterschätzt. Die Schätzungen des Deutschen Krebsforschungszentrums belegen, dass wir fast 4 000 Todesfälle pro Jahr haben, die auf das Passivrauchen zurückzuführen sind. Ich will an dieser Stelle betonen: Beim Thema Passivrauchen geht es nicht um die Freiheit in der Lebensführung. Es geht vielmehr darum, dass man mit seinem Verhalten andere nicht schädigen darf. ({2}) Ich glaube, die wichtige Botschaft ist, dass vor allem diejenigen von dem Gesetz profitieren, die schon lange durch das Passivrauchen in ihrer Gesundheit beeinträchtigt wurden. Ich bin sehr froh, dass die Fraktionen entschieden haben, dass für den Deutschen Bundestag - auch für die Abgeordneten - genau das gelten soll, was für die Bundeseinrichtungen gilt. Damit zeigen wir als Abgeordnete, dass es keine Ausnahmen geben soll und dass uns der Nichtraucherschutz überall gleich viel Wert ist. Ein besonderer Dank gilt den anderen Verfassungsorganen Bundespräsident, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht, die auf ihren ausdrücklichen Wunsch in den Geltungsbereich des Gesetzes einbezogen werden. Mit dem vorliegenden Gesetz wird außerdem der Jugendschutz bei der Abgabe von Zigaretten weiter verbessert, indem das Abgabealter auf 18 Jahre angehoben wird. Unsere Bemühungen, immer mehr Jugendliche vom Rauchen abzubringen, waren in den letzten Jahren erfolgreich. Die Raucherquote unter den Jugendlichen ist von 28 Prozent auf 20 Prozent gesunken. Aber leider liegt das Einstiegsalter immer noch bei 13 Jahren. Das zeigt uns, dass wir noch mehr tun und die Präventionsanstrengungen verstärken müssen. Wir geben mit diesem Gesetz die klare Botschaft, dass das Nichtrauchen in Deutschland der Normalfall ist und dass es uns mit dem Jugendschutz ernst ist. ({3}) Für uns ist besonders wichtig, dass dieses Gesetz noch unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet wird. Im europäischen Vergleich haben wir bislang keine besondere Rolle gespielt. Ich bin froh, dass wir endlich mit anderen europäischen Ländern wie Italien, Irland und Schweden auf gleicher Augenhöhe sind. In diesen Ländern gibt es Nichtraucherschutzregelungen schon seit 2004. Ich appelliere an dieser Stelle an die Bundesländer - sie sind jetzt an der Reihe, nachdem der Bund für seinen Bereich Regelungen vorgelegt hat -, nun das Gleiche für ihren Bereich zu tun. Es gibt hierzu eine Verabredung. Ich bin sehr froh, dass erste Bundesländer bereits Gesetzentwürfe eingebracht haben oder diese in der Ressortabstimmung sind. Ich gehe davon aus, dass in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Ende dieses Jahres ein hohes Schutzniveau verwirklicht sein wird und dass wir mit anderen europäischen Ländern auf gleicher Augenhöhe sein werden. Am Ende möchte ich mich bei vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Mitte fast aller Fraktionen - bis auf die FDP-Fraktion - sehr herzlich bedanken, die dieses Thema über lange Jahre begleitet ({4}) und mit fraktionsübergreifenden Initiativen und Anträgen wichtige Vorarbeiten geleistet haben. Ich glaube, es ist am Schluss ein sehr gutes Gesetz geworden. Ein besonderer Dank gilt den Mitgliedern der Arbeitsgruppe der beiden Koalitionsfraktionen und den Kollegen vom Bundesverbraucherschutzministerium. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDPFraktion. ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Goethe führt uns heute hier zusammen: Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen. ({0}) Eine Großtat ist das, Frau Staatssekretärin, Frau Ministerin, worüber wir heute abstimmen, aber nicht, eher eine Alibireaktion auf den geschickt gesteuerten öffentlichen und veröffentlichten Druck, dem Sie sich irgendwie beugen mussten. Die Fronten sind und bleiben verhärtet. Eigentlich gibt es nichts Neues zu debattieren. Wäre da nicht die Anhörung gewesen! Danach ist mir deutlich geworden: Gesundheitspolitik wird für manche mehr und mehr missionarisch-eifernd zur Religion. Glaubensbekenntnisse sollen wohl Argumente ersetzen. Radikalität scheint an die Stelle von Sachlichkeit zu treten. ({1}) Dabei muss es beim Nichtraucherschutz um Augenmaß und Praktikabilität gehen. Natürlich müssen wir Kinder und Jugendliche besser schützen. Natürlich müssen Menschen an Orten, an denen sie sich aufhalten, vor dem Passivrauchen geschützt werden. Natürlich müsste es aber auch Orte geben, an denen es den Bürgern freigestellt ist, zu rauchen oder eben nicht zu rauchen. ({2}) Insofern begrüßen wir, dass nach dem Gesetzentwurf gesonderte und entsprechend gekennzeichnete Räume vorgehalten werden können. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ausnahmeregelungen zulassen will. Wir begrüßen, dass sie neue technische und wirksame Entwicklungen im Hinblick auf Be- und Entlüftungsmaßnahmen im Auge behalten will - ganz im Gegensatz zum Deutschen Krebsforschungszentrum, das nicht einmal in Gespräche mit den Herstellern eintreten will. Mit dem Großteil Ihres Gesetzentwurfes rennen Sie offene Türen ein. In unzähligen Behörden und Dienststellen sind Rauchverbote bereits über das Hausrecht erlassen. In S- und U-Bahnen, in Straßenbahnen und Bussen darf schon lange nicht mehr geraucht werden. Flüge sind rauchfrei, und über die Arbeitsstättenverordnung ist das Rauchen am Arbeitsplatz bereits sehr stark eingeschränkt. ({3}) Trotz dieser und anderer Übereinstimmungen wird die FDP dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Wir haben immer den notwendigen Schutz von Kindern und Jugendlichen besonders betont. Durch Ihre Verbotspolitik erreichen Sie aber das genaue Gegenteil. ({4}) Die neuesten Daten des Umweltbundesamtes im „Kinder-Umwelt-Survey“ zeigen, dass durch Reglementierung des Nikotinkonsums die Belastung für Kinder zu Hause in letzter Zeit dramatische Ausmaße angenommen hat. ({5}) Grund für die zunehmende Qualmbelastung der Kinder ist: Viele Eltern rauchen mehr am heimischen Herd als in der Öffentlichkeit. Vor diesen Folgen der Verbotspolitik haben wir immer gewarnt. Sie haben das zu verantworten. Sie beharren in einem weiteren Bereich auf einem Irrglauben, auf dem Irrglauben, dass die Anhebung der Altersgrenzen das Verhalten der Jugendlichen ändert. Aus der Schweiz hören wir, dass der Bundesrat zwar ein Verbot des Tabakverkaufs an Minderjährige befürwortet. Ein generelles Konsumverbot für Jugendliche unter 18 Jahren lehnt er jedoch ab. Eine solche Maßnahme sei in der Praxis kaum umsetzbar und ihre präventive Wirkung wissenschaftlich nicht belegt, heißt es aus dem Nachbarland. Verzichten Sie, meine Damen und Herren von Union und SPD, Frau Ministerin, Frau Staatssekretärin, auf solche Pseudomaßnahmen! Dann brauchten die soeben auf verbesserten Jugendschutz hin weiterentwickelten Zigarettenautomaten nicht erneut umgestellt zu werden, und die Frist zur Umstellung brauchte nicht willkürlich verkürzt zu werden, wie Sie es in einem Änderungsantrag fordern. Zu den weiteren Missgriffen der Bundesregierung gehört, den Bundestag zunächst mit den obersten Bundesbehörden gleichzusetzen und ihn später mit den übrigen Verfassungsorganen in das Gesetz einzuarbeiten. Die Absichtserklärungen aller Fraktionen, das Gesetz über unser Hausrecht eins zu eins auch hier umzusetzen, sollten doch reichen. Von welchem Selbstverständnis sind die Kolleginnen und Kollegen, die hier zustimmen und die Bundesregierung ermächtigen, in dieses Hohe Haus hineinzuregieren, eigentlich geprägt? ({6}) Welche skurrilen Folgen solch gesetzgeberischer Übereifer haben kann, hat die Anhörung gezeigt: Da finden sich - in Anführungszeichen - Visionen von verbunkerten Raucherräumen, von Atemmasken tragenden Reinigungskräften, von Verboten der Ausstrahlung von Filmen mit rauchenden Schauspielern, vom Verzicht auf Lüftungsanlagen als Klimaschutzmaßnahme, von überdachten Haltestellen, die als hochgefährdend eingestuft werden, und von einem Bußgeldsystem von 100 Euro über 1 000 Euro bis zu einem Vielfachen der Mindestsätze. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so etwas führt in eine Gängelungsgesellschaft. Statt des Aktionismus schwarzer Sheriffs, roter Regulierer und grüner Gouvernanten brauchen wir mehr Freiräume für persönliche Freiheit und Verantwortung. Das dokumentiert auch dieser „Rauchfrei“-Würfel, den ich in einem Dresdner Restaurant erhielt. Er trägt die Aufschrift: Lieber Gast, mit der Aktion „Sie haben die Wahl“ wollen wir, dass sich jeder Gast bei uns wohlfühlt. Unterstützen auch Sie ein tolerantes Miteinander von Rauchern und Nichtrauchern. Vielen Dank. ({7}) Ist das nicht eine sympathischere Gesellschaft, für die es sich zu streiten lohnt? Sie dagegen treten für eine verkniffene Verbotsrepublik ein. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller. ({0})

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Raucherinnen und Raucher, hätte ich fast gesagt! Wir freuen uns, nach einer langen Wegstrecke der Diskussion - auch im Parlament; wenn man zurückblickt, stellt man fest, es sind über zehn Jahre; vielleicht muss man aber auch die vorigen Jahrhunderte dazuzählen - sagen zu können: Heute ist der Tag der Nichtraucher. Herr Kollege, es geht, wie meine Kollegin Staatssekretärin Caspers-Merk dargelegt hat, um den Nichtraucherschutz, es geht nicht um eine Diskriminierung der Raucher. Wir sind in einem freien Land, wir haben Kultur im Umgang. Deshalb - davon sind wir überzeugt brauchen wir keine Raucherpolizei, die durch Restaurants und Abgeordnetenräume patroulliert. Diese Regelung wird zur Kultur werden, sie wird sich durchsetzen, sie wird ein Erfolg. Wir wollten zunächst eine einheitliche Regelung für Bund und Länder. Wir haben dann den Ländern Möglichkeiten gelassen, möchten aber, dass in den 16 Bundesländern möglichst gleichwertige Regelungen gelten. Ab 1. September wird das Rauchen in Einrichtungen des Bundes verboten. Wir haben dabei - das möchte ich klarstellen - den Verfassungsorganen überlassen, ob sie sich dem anschließen. Sie übernehmen diese Regelungen. Es ist selbstverständlich, dass der Bundestag diese Regelungen in seinen Räumen umsetzt. Wir sagen: Der Nichtraucher muss geschützt sein; aber dort, wo es ausgewiesene Raucherräume gibt, soll Rauchen erlaubt sein. Diese Regelung muss der Bundestag für sich umsetzen. Ich bin sicher, das wird vernünftig und tolerant im Umgang miteinander passieren. ({0}) Wir sind überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Es gibt keine Diskriminierung oder Ausgrenzung. Klar ist allerdings: Der Weg der Freiwilligkeit, für den auch wir plädiert haben, hat nicht zum Erfolg geführt, weder in den öffentlichen Einrichtungen noch an den Arbeitsstätten noch in den Gaststätten. Wir haben mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband eine Freiwilligkeitsvereinbarung auf den Weg gebracht. Doch diese hat nicht dazu geführt, ({1}) dass die entsprechenden Regelungen umgesetzt wurden. Deshalb werden die Bundesländer für diesen Bereich jetzt verbindliche Regelungen treffen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, die dieses Thema über Jahre hinweg bearbeiten haben, bedanken. Frau Kollegin Eichhorn und Herr Binding, mit Ihnen ist diese Initiative ganz massiv verbunden. Es war Zeit für diese Regelung. Es wurde darauf hingewiesen, dass an den Folgen des Passivrauchens in Deutschland jährlich 3 300 Menschen sterben. Rauchen und Passivrauchen sind tödlich. Das brauche ich nicht noch einmal zu betonen. Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal deutlich machen, dass eine möglichst einheitliche Regelung für Deutschland das Ziel sein muss. Ich appelliere an die Bundesländer, jetzt nicht 16 verschiedene Regelungen herbeizuführen, sodass quasi Rauchergrenzpfähle die einzelnen Bundesländer voneinander abgrenzen. Wir wollen möglichst einheitliche, durchgehende und nachvollziehbare Regelungen. Die gedankliche Grundvorgabe lautet: Rauchen ist in öffentlichen Räumen, möglichst auch in Gaststätten, verboten. Unser ursprünglicher Vorschlag an die Länder lautete: Dort, wo gegessen wird, in Speiserestaurants, ist das Rauchen verboten; Ausnahmen nur in geschlossenen, dafür ausgewiesenen Räumen. Ansonsten gilt selbstverständlich: Raucher an die frische Luft. Wir wollen, dass Bund und Länder diese einheitliche Regelung nach Möglichkeit bis zum 1. September gemeinsam auf den Weg bringen. Wie es ausschaut, brauchen die Länder aber noch etwas mehr Zeit für die Diskussion. Wir hoffen aber, dass wir bis zum Jahresende eine gemeinsame Regelung haben. Neben den Verboten brauchen wir natürlich auch einen Bewusstseinswandel bei den Menschen; das ist das Entscheidende. Das Verhalten der jungen Menschen muss verändert werden. Die Entscheidung, ob man für oder gegen seinen Körper, für oder gegen seine Gesundheit handelt, muss aber jeder für sich treffen, auch für seine Familie, seine Kinder. Wir wollen - das möchte ich klar sagen - ein Signal setzen. Wir wollen und können aber keinen Eingriff in die Privatsphäre vornehmen. Die Gefahren des Rauchens gelten natürlich auch für das Zuhause; das ist klar. Jeder muss sich in der Familie mit diesen Fragen auseinandersetzen. ({2}) Hier wurde gesagt, das Gesetz treibe die Pfeifenraucher nach Hause, an den Herd. Das gilt sicherlich nicht für den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Struck, und auch nicht für den Fraktionsvorsitzenden der CDU/ CSU, Herrn Kauder. Beide sind zwar Raucher, sie sind aber tolerant und wissen, was sich zu Hause gehört. Die Pfeife hat auch vor dem Fernseher zu Hause aus zu sein. Das ist aber eine persönliche Entscheidung. Das müssen sie mit ihren Frauen und Kindern ausmachen. Es wäre vernünftig, andere, insbesondere Kinder, auch in der Wohnung und im Auto zu schützen. ({3}) Das liegt aber in der individuellen Verantwortung. ({4}) Das Signal eines starken Nichtraucherschutzes in den Einrichtungen des Bundes ist klar: Raucher müssen in Zukunft an die frische Luft. Bei der Umsetzung setzen wir aber auf Vernunft und Einsicht der Betroffenen. Wir sind überzeugt, dass wir bei der Umsetzung keine Polizei brauchen. Das wird sich nämlich als Kultur unseres Landes durchsetzen. Rauchfrei ist in Zukunft in. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ilja Seifert von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir unternehmen heute zwar nur einen kleinen Schritt, dafür aber in die richtige Richtung, und deswegen geht die Linke mit. Erlauben Sie mir trotzdem, ein paar kritische Anmerkungen zu machen. Hier ist bereits ausführlich erörtert worden, worum es in diesem Gesetz geht. Wir haben uns in der Debatte aber ziemlich lächerlich gemacht. Ursprünglich hieß es - das war der Sinn der ganzen Sache -: Wir wollen die Nichtraucherinnen und Nichtraucher schützen. Uns ist dann eine Diskussion aufgezwängt worden, bei der man den Eindruck gewinnen konnte, dass es um ein Rauchverbot geht. Die ganze Zeit wurde in diesem Sinne debattiert. Niemand hier sprach von einem Rauchverbot. Aber in der öffentlichen Debatte wurde so getan, als ob wir den Rauchern das Rauchen verbieten wollten. Dabei wurde ganz und gar vergessen, dass es eigentlich darum ging, vor allem Kinder, aber auch Erwachsene vor dem Passivrauchen zu schützen. ({0}) Als das alles nichts genutzt hat, zwang uns die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung ein noch alberneres Argument auf. Wir mussten plötzlich in aller Breite darüber diskutieren, ob der Bundestag eine oberste Bundesbehörde ist. Wer sind wir, dass wir uns solch eine Diskussion aufzwingen lassen? Ich fand das mehr als peinlich. ({1}) Wir haben nicht das getan, was wir eigentlich hätten tun müssen, nämlich breite Aufklärung darüber zu betreiben, was Nichtraucherschutz eigentlich bedeutet und was es bedeutet, die Droge Tabak zu ächten. Das wäre gut für die Sache gewesen. Stattdessen haben wir uns solche lächerlichen Debatten aufzwingen lassen. Wir müssten uns überall in der Öffentlichkeit dafür rechtfertigen, dass wir keine oberste Bundesbehörde sind, sondern ein Verfassungsorgan. Was lassen wir uns denn alles gefallen? Dann kam als Nächstes: Die Altersgrenze für die Abgabe von Tabakwaren und das Rauchen in der Öffentlichkeit wird auf 18 Jahre angehoben, aber erst in anderthalb Jahren. Man bekommt gesagt, es sei ein toller Erfolg, dass die Zigarettenindustrie das Ganze schon in anderthalb Jahren umsetzt und nicht erst in zwei Jahren, weil die Automatenindustrie nicht in der Lage sei, das schneller zu machen. Wir lassen uns wieder einmal wie der Bär am Ring durch den Zirkus ziehen. Wenn die Automatenindustrie aufgefordert wird, Fahrkartenautomaten umzustellen, weil die Fahrpreise bei den öffentlichen Verkehrsmitteln erhöht werden, wird das in zwei Tagen umgesetzt. Sie hat gar keine Probleme damit; das geht sofort. Bei Zigarettenautomaten ist die gleiche Technik anzuwenden. Dafür braucht sie angeblich anderthalb Jahre, und wir müssen sie noch dazu zwingen. Kann denn das sein? Entweder sind wir ein Organ, das etwas zu sagen hat, nämlich der Gesetzgeber. Dann teilen wir der Automaten- und der Zigarettenindustrie mit, was sie zu tun haben. Oder wir lassen uns von den Lobbyisten vorführen und bitten sie, das Gesetz, das wir hier beschließen, umzusetzen. Entweder meinen wir es ernst, wenn wir sagen, dass wir die Nichtraucherinnen und Nichtraucher, insbesondere die Kinder, schützen wollen, und tun es richtig, oder wir sagen gleich: Die Industrie macht, was sie will. Das ist aber nicht Sinn und Zweck von demokratischen Entscheidungsorganen. Dann können wir uns gleich abschaffen. Ich finde, die Gesundheit geht vor. Unsere Gesetzgebungskompetenz sollten wir nicht aus der Hand geben. Also lassen Sie nicht zu, dass wir wie der Bär am Ring durch den Zirkus gezogen werden, sondern sagen wir, wo es langgehen soll. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Birgitt Bender von Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schönen Worte der Regierungsvertreter können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Gesetzentwurf, der angeblich den Nichtraucherschutz gewährleisten soll, halbherzig und hasenfüßig ist. Er ist nur dann ein großer Schritt, wenn man bedenkt, wie weit er sich angesichts des Widerstandes in den eigenen Reihen vorwagt. Aber das kann nicht der Maßstab sein. Nach einer neuen Umfrage sind 88 Prozent der EUBürger für umfassende Rauchverbote auch am Arbeitsplatz. In Deutschland gibt es ähnliche Mehrheiten. Die Regierung hat einfach nicht den Mut, dem zu folgen und für einen konsequenten Nichtraucherschutz in Deutschland zu sorgen. ({0}) Sie drücken sich davor, im Arbeitsschutzrecht Rauchverbote zu verankern und dafür zu sorgen, dass Beschäftigte umfassend geschützt sind. Das wäre im Übrigen für die Gaststätten schon die halbe Miete. Nicht umsonst haben die Bundesratsausschüsse für Arbeit und für Gesundheit Entsprechendes angeregt. Es fehlt Ihnen der politische Wille für einen umfassenden Nichtraucherschutz. Deswegen wird Deutschland, wenn dieses Gesetz Wirklichkeit wird, weiterhin hinter den Standards in der EU zurückbleiben. Unser Schutzstandard wird Schlusslicht sein. ({1}) Meine Damen und Herren, vielleicht sollte man sich darüber auch nicht wirklich wundern. Wenn ich mir die Anzeige ansehe, ({2}) die dieser Tage im SPD-Parteiblatt „Vorwärts“ erschienen ist, dann muss ich sagen: Der SPD ist offenbar nicht bekannt, dass in der EU, inzwischen auch in Deutschland, ein Tabakwerbeverbot gilt. ({3}) 18 000 Euro waren offenbar doch zu verlockend. Daran kann man sehen, wie es um das Engagement für den Nichtraucherschutz bestellt ist. ({4}) In der Anzeige geht es außer um die Werbung für das Rauchen auch um Technik. Gegen Technik muss man nichts haben. Gescheite Entlüftungssysteme wären genau das, was Sie für die Raucherräume hätten vorschreiben sollen, damit wir nicht das erleben, was noch heute in vielen Zügen der Fall ist, nämlich dass die Schwaden aus den Raucherräumen durch den gesamten Zug ziehen. Das kann bei Ihrer Regelung auch in öffentlichen Gebäuden der Fall sein. ({5}) Daher müsste man hier konsequent sein und sagen: Ein Raucherraum muss gewissen Standards genügen. Da gehört der technische Schutz dann auch hin, damit die Rauchschwaden aus den Raucherräumen eben nicht überall hinziehen. Wir stellen heute Anträge für einen umfassenden Nichtraucherschutz. Wir geben Ihnen damit Gelegenheit - weil viele von Ihnen im persönlichen Gespräch immer wieder versichern, dass wir eigentlich Recht haben, ich schaue jetzt niemanden direkt scharf an -, sich anders zu entscheiden. Vielleicht tun Sie das ja noch; dann könnte es ein wirklich guter Tag für den Nichtraucherschutz in Deutschland werden. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bender, erlauben Sie, bevor Sie abtreten, noch eine Frage des Kollegen Daniel Bahr?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Bender, Sie haben dargestellt, warum die Grünen ein so umfassendes Rauchverbot und einen so umfassenden Schutz vor dem Konsum der Droge Tabak wollen. In ihrem Grundsatzprogramm sowohl 2002 als auch 2005 und nach der Beschlusslage der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen treten sie für eine Legalisierung von Cannabis ein, obwohl wir gerade in dieser Woche in der Sitzung des Gesundheitsausschusses erfahren haben, wie gesundheitsschädlich auch der Cannabiskonsum ist. Gehe ich deshalb richtig in der Annahme, dass die Grünen zunächst den Cannabiskonsum legalisieren wollen, um dann den konkreten Konsum wiederum so umfassend zu verbieten, dass man lediglich noch an Baggerseen kiffen darf? ({0})

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Bahr, Sie können sicher sein: Wir zwingen niemanden zum Mitkiffen, auch Sie nicht. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Sabine Bätzing von der SPD-Fraktion das Wort.

Sabine Bätzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 31. Mai ist Weltnichtrauchertag. Das Motto in diesem Jahr lautet: „Smoke-free inside: Create and enjoy“, oder auf Deutsch: „Rauchfrei genießen“. Selten hat das Motto des Weltnichtrauchertages so gut gepasst wie in diesem Jahr; denn genau das machen wir: Wir schaffen für den Bereich des Bundes und die öffentlichen Verkehrsmittel rauchfreie Räume. Die Deutsche Bahn hat ein deutliches Signal gesetzt, indem sie ihre Verkehrsmittel komplett für rauchfrei erklärt hat. Wir können diese rauchfreien Räume, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Deutschen Bundestag zukünftig gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genießen. ({0}) Liebe Kollegin Bender, ich bin zuversichtlich, dass durch die Gänge des Deutschen Bundestages keine Rauchschwaden wabern werden; denn bei den Raucherräumen handelt es sich um abgetrennte Räumlichkeiten. Das ist ganz klar definiert. Wir werden ab 1. September 2007 hier die Rauchfreiheit genießen. ({1}) Deswegen bin ich froh, dass wir dieses Gesetz, dieses Nichtraucherschutzgesetz - man kann es nur immer wieder betonen -, heute passend zum Weltnichtrauchertag verabschieden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 1988 wird der Weltnichtrauchertag international begangen. Jahrelang war Deutschland in Sachen Nichtraucherschutz im internationalen Vergleich eher auf den hinteren Plätzen zu finden. Viele unserer europäischen Nachbarn - das müssen wir uns eingestehen - sind an uns vorbeigezogen, auch Länder wie Italien, Frankreich oder Irland, von denen wir das nie erwartet hätten. Aber in Deutschland sind Fortschritte zu verzeichnen. Dazu zählen sowohl gesetzliche Regelungen als auch breitangelegte Maßnahmen der Tabakprävention. Der Stimmungswechsel, der sich in Deutschland manifestiert, ist förmlich spürbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Maßnahmen sowohl gesetzlicher als auch präventiver Art zeigen Wirkung, und zwar beim Gesundheitsschutz. ({2}) Wurden im Jahr 1996 durchschnittlich 372 Millionen Zigaretten konsumiert, waren es im Jahr 2005 nur noch 263 Millionen. Auch die Quote der jugendlichen Raucher ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Rauchen gilt für viele Jugendliche nicht länger als cool. Mit dem heutigen Tag sind wir auch in Sachen Schutz vor Passivrauch nicht mehr das Schlusslicht in Europa. Wir haben mehrfach gehört: Rauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko. Wir haben die Gefahren durch das Passivrauchen jahrelang unterschätzt. Jetzt müssen wir zu dem Schluss kommen, dass ein Schutz vor dem Passivrauchen erforderlich ist. Da durch das Rauchen nicht nur die Gesundheit der Rauchenden, sondern auch die Gesundheit von Nichtrauchern stark gefährdet wird, sind klare und einheitliche Regelungen zum Schutz von Unbeteiligten erforderlich. Das Nichtraucherschutzgesetz hat auch präventiven Charakter. Das zeigen uns die Erfahrungen anderer Länder, in denen solche Gesetze auch einen gewissen Präventionscharakter entfaltet haben. Zwar konnte der Bund aufgrund seiner begrenzten Kompetenzen nur in einem bestimmten Bereich tätig werden. Aber hier haben wir Maßstäbe gesetzt, an denen sich nun auch die Bundesländer orientieren sollten. Unsere Linie ist klar: Grundsätzlich gilt das Rauchverbot. Ausnahmen sind, wenn gewollt, nur in abgeschlossenen Raucherräumen möglich. Ich verweise an dieser Stelle darauf, dass im Bundesministerium für Gesundheit Rauchfreiheit eingeführt wurde. Wir haben uns gegen Raucherräume entschieden. Ich kann nur empfehlen, dieses Vorgehen nachzuahmen. ({3}) Wenn dieses Beispiel Schule macht - in den Ländern, in den Kommunalbehörden, in Krankenhäusern, in Schulen und vor allem in Gaststätten -, dann hat Deutschland gute Chancen, beim Nichtraucherschutz bald einen der vorderen Plätze in Europa zu belegen. Kollegin Bender hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Bevölkerung dieses Konzept unterstützt. In Deutschland wünschen sich 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine rauchfreie Umgebung und rauchfreie Räume. Wir haben diesen Wunsch aufgegriffen. An dieser Stelle danke ich ganz ausdrücklich den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, die sich an dieser Initiative beteiligt haben. Abschließend appelliere ich noch einmal an die Bundesländer, selbst entsprechende gesetzliche Regelungen zu verabschieden, damit wir geschützt vor den Gefahren des Passivrauchens in das Jahr 2008 starten können. Der Ball liegt jetzt bei ihnen. Politik und Gesellschaft müssen ihre Verantwortung gemeinsam wahrnehmen und klare Signale setzen, damit wir in Zukunft überall rauchfrei genießen können, ganz nach dem Motto des Weltnichtrauchertages „Smoke-free inside: Create and enjoy“. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be- kannt, dass von einigen Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion eine persönliche Erklärung zum Abstim- mungsverhalten gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor- liegt, die wir zu Protokoll nehmen.1) Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens. Der Ausschuss für Ge- sundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/5492, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5049 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst ab- stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/5502? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - 1) Anlage 10 Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. ({0}) Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Nichtraucherschutz praktikabel und mit Augenmaß umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5492, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5118 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Beschlussempfehlung des Ältestenrats zu dem Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Rauchverbot im Deutschen Bundestag“ umsetzen. Der Ältestenrat empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5493, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4400 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ältestenrat, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4957 mit dem Titel „Schutz vor Passivrauchen im Deutschen Bundestag direkt umsetzen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 35 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Lothar Bisky, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion der LINKEN Einkommensteuertarif gerecht gestalten Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen umsetzen - Drucksache 16/5277 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte im Bundestag begann mit der Diskussion zur Unternehmensteuerreform. Es ist beschlossene Sache, dass die großen Konzerne massive Steuergeschenke bekommen: 6,6 Milliarden Euro im nächsten Jahr. Herr Fahrenschon von der CSU bemerkte innerhalb dieser Debatte zu Recht, dass im Bereich der Einkommensteuer etwas geschehen muss und dass die Bürgerinnen und Bürger endlich etwas vom Aufschwung merken müssen. Ich kann ihm da nur zustimmen. Allerdings haben wir damit nicht bis heute gewartet, sondern wir haben unseren Vorschlag dazu schon ins Parlament eingebracht. Wir schlagen Ihnen vor, die Einkommensteuer zu senken, indem der Tarif geändert wird, den Mittelstandsbauch abzubauen und den Spitzensteuersatz anzuheben. ({0}) Auch Herr Glos bemerkte zum Beispiel am 20. Mai 2007: Als Erstes senken wir die Unternehmensteuern, um mehr Jobs zu schaffen. Niedrigere Steuern im Bereich Lohn und Einkommen sind der nächste Schritt. Ich sage ganz klar: Die Linke hat diese Unternehmensteuerreform, die Geschenke an die großen Konzerne, abgelehnt, und das werden wir auch weiter tun. Wir sehen ein massives Gerechtigkeitsproblem; denn im Gegensatz zu den großen Konzernen werden die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen massiv belastet. Im vergangenen Jahr hatten die Lohnabhängigen effektiv weniger Geld zur Verfügung als im Jahr davor. Was aber tut die schwarz-rote Regierung? Sie verschlechtert die Situation der Betroffenen weiter. Durch Änderungen bei der Kilometerpauschale und die Defacto-Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit häuslicher Arbeitszimmer hat sich die steuerliche Belastung massiv erhöht. Ihre Politik belastet die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen in abhängiger Beschäftigung. Das machen wir nicht mit. ({1}) Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. Wenn Sie unseren Vorschlag wohlwollend prüfen - das kann ich zumindest von den Vertretern der CSU annehmen -, dann werden Sie merken, dass dadurch zum Beispiel bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30 000 Euro - das entspricht in etwa dem Jahreseinkommen von Facharbeiterinnen und Facharbeitern, aber auch dem Jahresgewinn vieler kleiner Unternehmer - eine Entlastung von 960 Euro pro Jahr erzielt werden kann. Es ist ein großer Unterschied, ob man im Monat 80 Euro mehr oder weniger im Portemonnaie hat. Die Voraussetzungen für die Umsetzung unseres Vorschlages sind günstig wie noch nie. Wir erwarten in diesem und im nächsten Jahr beträchtliche steuerliche Mehreinnahmen, die zu einem guten Teil aus den Portemonnaies der kleinen Leute gespeist werden. Denn diese Mehreinnahmen sind nicht nur der guten Konjunkturentwicklung und den Exporterlösen, sondern auch den gestiegenen Einahmen aus der Lohnsteuer und vor allem der Mehrwertsteuererhöhung zu verdanken, mit der Sie der Bevölkerung tief in die Tasche greifen. Insofern stellen wir fest: Wir haben die Möglichkeit und stehen vor der Notwendigkeit, das Gerechtigkeitsproblem zu lösen und eine dauerhafte Entlastung vorzunehmen. ({2}) Es ist bezeichnend für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Wenn die CSU Änderungen im Tarifverlauf - das heißt tatsächlich bei der steuerlichen Belastung - in Erwägung zieht, reagieren Sie mit der Anregung, die Sozialabgaben zu senken. Die Senkung der Sozialabgaben stellt aber keine dauerhafte Entlastung dar, weil Sie in einem nächsten Schritt wieder Erhöhungen beschließen würden, wenn die Sozialkassen zu wenig Geld haben. ({3}) Hinzu kommt, dass jede Senkung der Sozialabgaben nur zur Hälfte den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kommt. Von der anderen Hälfte profitieren die Unternehmer und Unternehmerinnen. Was Sie als Entlastung verkaufen wollen, würde nur zur Hälfte bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. Das machen wir nicht mit. Unser Vorschlag ist sehr gut umsetzbar. Wir schlagen vor, den Einkommensteuertarif zu senken. Damit gehen wir darauf ein, dass die Unternehmensteuerreform in vielen Fällen zu einer Belastung von kleinen und mittelständischen Unternehmen führt. In diesem Bereich muss eine Entlastung erfolgen. Mit einem linear-progressiven Tarif muss der sogenannte Mittelstandsbauch abgetragen werden. Ich hoffe auf die wohlwollende Unterstützung zumindest vonseiten der CSU. Dann können wir in einer der nächsten Debatten vielleicht feststellen, dass Sie nach vielem Drängen wieder in der Lage sind, etwas für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Kleinunternehmer und Kleinunternehmerinnen zu tun. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Olav Gutting von der CDU/CSU-Fraktion.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Einkommensteuer ist neben der Umsatzsteuer die ertragsreichste Steuer in diesem Land. Sie berücksichtigt neben der objektiven auch die subjektive Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen und wahrt damit das Leistungsfähigkeitsprinzip. Als direkte und damit für jeden Bürger auch direkt spürbare Steuer eignet sich die Einkommensteuer - wie der Antrag der Linken zeigt - sehr gut dazu, eine sogenannte Reform auf den Weg zu bringen und damit Aufmerksamkeit zu erhaschen. Die Forderung nach einem gerechteren Steuersystem ist nicht neu. In Deutschland haben sich schon einige daran versucht. Leider ist bisher ein durchschlagender Erfolg versagt geblieben. Eine Ursache dafür waren in der Vergangenheit immer wieder der Bund-Länder-Finanzausgleich, die Finanzverflechtungen zwischen Bund und Ländern. Diesbezüglich gibt es jetzt aktuelle Verhandlungen im Rahmen der Föderalismusreform II. Bei diesen Verhandlungen könnte die Grundlage geschaffen werden für einen neuen Anlauf zu einer durchgreifenden Reform der Einkommensteuer. Das wäre dringend notwendig. Insbesondere das Einkommensteuerrecht in diesem Land ist mittlerweile zu einem Steuerdschungel verkommen. Kein noch so gewiefter Steuerexperte kann heute für sich in Anspruch nehmen, den Wust von Steuergesetzen, Verordnungen, unzähligen Paragrafen, rund 100 000 Verwaltungsvorschriften und nahezu ebenso vielen Finanzgerichtsentscheidungen zu durchschauen. ({0}) Wo Steuerberater, Finanzbeamte und Fachpolitiker den Überblick verlieren, da hat auch der einfache Bürger und Steuerzahler keinen Durchblick mehr. Aber es ist nicht allein die Schuld der Politik, dass wir heute einen Steuerdschungel haben. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Art Schaukel entwickelt: Auf der einen Seite werden immer neue Abschreibungsmodelle und Steuersparmodelle von Abschreibungsspezialisten ausgetüftelt werden, die in der Regel legal, aber trotzdem äußerst grenzwertig sind. Auf der anderen Seite stehen die Politik und die Finanzverwaltung, die entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen müssen. Das Ganze schaukelt sich so seit Jahren hoch und verursacht eine immer höhere Komplexität, gerade auch bei der Einkommensteuer. Jetzt versucht Die Linke mit der wiederholten Forderung nach noch mehr Umverteilung, eine erneute Neidkampagne zu entfachen. ({1}) Den Linken geht es dabei in erster Linie darum, mit populistischen Forderungen auf sich aufmerksam zu machen. ({2}) Ihr angeblicher Kampf für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft ist im Grunde nichts anderes als die Fortsetzung des sozialistischen Klassenkampfs. ({3}) Hierzu ist Ihnen wirklich jedes Mittel recht. Sie schrecken, wie gewohnt, auch nicht vor falschen Behauptungen zurück. Ich will ein Beispiel nennen und zitiere dazu aus Ihrem Antrag die Begründung am Ende des zweiten Absatzes: Dies führt in der Konsequenz dazu, dass auf 12 700 Euro bereits 23,5 Prozent Steuern gezahlt werden müssen. Sie setzen damit auf die steuerpolitische Unbedarftheit Ihrer Klientel. Das, was Sie in der Begründung Ihres Antrags als Gesamtsteuerabgabe etikettieren, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Grenzsteuerbelastung. Das bedeutet, dass bei einem Einkommen von 12 700 Euro nur der zwölftausendsiebenhundertste Euro - dieser eine Euro! - mit 23,5 Prozent zu versteuern ist und nicht, wie Sie es weismachen wollen, der gesamte Betrag von 12 700 Euro. ({4}) Sie schrecken vor keiner noch so platten Tatsachenverdrehung zurück. Sie muss nur geeignet sein, Stimmungen zu schüren. Hauptsache ist, dass es irgendwie in Ihre sozialistischen Planspiele passt. Die Wahrheit ist, dass der Durchschnittssteuersatz bei dem Betrag von 12 700 Euro lediglich 7,7 Prozent beträgt. Lassen Sie mich noch auf eine weitere populistische Attitüde in Ihrem Antrag aufmerksam machen. Sie kritisieren, dass Steuerpflichtige mit einem Jahreseinkommen von lediglich 20 000 Euro durch die letzte Einkommensteuerreform von Rot-Grün nur um 1 170 Euro entlastet wurden, während Steuerpflichtige mit einem Einkommen von 500 000 Euro um über 40 000 Euro entlastet wurden. Sie sollten wissen, dass es bei einem linear-progressiven Steuersystem mathematisch nahezu zwingend ist, dass Steuerentlastungen konsequenterweise zu einer nominal höheren Entlastung bei höheren Einkommen führen. ({5}) Wenn jemand nur 1 000 Euro an Steuern zahlt, kann man ihm eben keine 2 000 Euro an Steuern erlassen. Das ist nicht möglich. ({6}) Im Übrigen gibt es durch den progressiven Verlauf der Einkommensteuerkurve eine Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Dieses Leistungsfähigkeitsprinzip ist keine Einbahnstraße. Das gilt für beide Richtungen. ({7}) Lassen Sie mich noch einmal darauf aufmerksam machen, dass in Deutschland die Einkommen von über 57 000 Euro jährlich - obwohl sie nur 15 Prozent aller Einkommen ausmachen - 65 Prozent zu der insgesamt vereinnahmten Einkommensteuer beitragen. Das heißt, die Hälfte aller Einkommensteuerzahler trägt zu über 90 Prozent zu der vereinnahmten Einkommensteuer und die andere Hälfte, die eher gering verdienenden Schichten, trägt weniger als 10 Prozent zu den Einkommensteuereinnahmen bei. Die starken Schultern in diesem Land, die Leistungsträger wie der Facharbeiter und der Schichtarbeiter, tragen also bereits heute in unserem Land fast die gesamte Steuerlast bei der Einkommensteuer. Wer ihnen noch mehr aufbürden will - das wollen Sie mit Ihrem Antrag erreichen -, der zerstört letztendlich die Grundlage des Wohlstandes in diesem Land. Nehmen Sie den Leistungsträgern die Motivation, sich anzustrengen, und Sie haben bald gar nichts mehr zum Umverteilen! ({8}) Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Linke erst dann zufrieden ist, wenn in diesem Land alle arm sind. ({9}) Die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit ist für sich genommen ein ehrenwertes und erstrebenswertes Ziel. Wie Sie wissen, haben auch wir von der Union uns dieser Zielsetzung verschrieben. Ich darf auf die Konzepte von Uldall, Merz und zuletzt von Kirchhof hinweisen. Leider ist die Umsetzung dieser Konzepte im Moment in dieser Koalition nicht möglich. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich bin der Meinung, dass wir zukünftig primär über einen Weg zur Steuervereinfachung nachdenken sollten; denn nur ein einfaches und verständliches Einkommensteuerrecht ist auch ein gerechtes Steuerrecht. ({10}) Der vorhandene Steuerdschungel führt dazu, dass die Steuergerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Auch das Wirtschaftswachstum bleibt gehemmt. Der Wohlstand der Gesellschaft insgesamt wird dadurch beeinträchtigt. Die Arbeit der Großen Koalition ist durch die Anstrengungen geprägt, die Staatsfinanzen zu sanieren und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Es gelingt. Beides wurde mit Erfolg auf den Weg gebracht. Ich will hier nur an das 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm aus dem Jahr 2006 erinnern. In den nächsten Jahren werden wir uns verstärkt um die Eindämmung der Paragrafenflut kümmern. Eine Vereinfachung gerade beim Einkommensteuerrecht führt automatisch zu mehr Steuergerechtigkeit. Das gilt gleichermaßen für große und kleine Steuerzahler. Geeignete Konzepte hierzu liegen zur Genüge vor. Das Konzept von der Linken zur Umverteilung und Zerstörung von Leistungsanreizen ({11}) gehört jedoch nicht dazu und muss deswegen abgelehnt werden. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile der Kollegin Dr. Barbara Höll zu einer kurzen Kurzintervention das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Kollege Gutting, da Sie uns vorgeworfen haben, die Zahlen in unserem Antrag seien nicht richtig, erlaube ich mir, Sie darauf hinzuweisen, dass in unserem Antrag eindeutig vom Grenzsteuersatz die Rede ist und davon, dass der Eingangssteuersatz bei 15 Prozent liegt. Dass wir nicht innerhalb eines Satzes vom Grenzsteuersatz zur Durchschnittsteuerbelastung wechseln, liegt auf der Hand. Das versteht man auch. Des Weiteren möchte ich anmerken, dass Sie fälschlicherweise dargelegt haben, dass es zu einer Belastung von Facharbeiterinnen und Facharbeitern durch den von uns vorgeschlagenen linear-progressiven Tarif komme. Das stimmt nicht. Wenn Sie das nachrechnen, stellen Sie fest, dass es durch unseren Tarif zu einer Absenkung der durchschnittlichen Steuerbelastung bis zu einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von etwa 55 000 Euro kommt. Das ist auf alle Fälle die Grenze, unter die die Mehrheit der abhängig Beschäftigten fällt. Es geht um eine Mehrbelastung der wirklichen Spitzenverdiener. Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Gutting, wollen Sie erwidern? - Bitte.

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur ganz kurz. Frau Kollegin Dr. Höll, die Begründung Ihres Antrages ist so zu verstehen, wie ich es eben vorgetragen habe. Anderenfalls hätten Sie es deutlicher machen müssen. Sie beziehen sich nicht exakt auf den Grenzsteuerwert. Vielmehr soll die Gesamtsteuerbelastung für den genannten Betrag bei 23,5 Prozent liegen. Ich weiß nicht, wie es in Ihrer Heimat aussieht. Ich komme aus Baden-Württemberg. ({0}) Bei uns verdienen die Facharbeiter und die Schichtarbeiter - Gott sei Dank - sehr gutes Geld; das haben sie verdient. Sie sind die Leistungsträger in unserem Land. Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Reform würde dieser Personenkreis zusätzlich belastet. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile jetzt dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele von der FDP-Fraktion das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gutting, Sie haben vom Steuerdschungel und davon gesprochen, dass in den nächsten Jahren eine Eindämmung der Paragrafenflut erfolgen soll. Es wäre gut gewesen, wenn die heute Morgen stattgefunden hätte und nicht das Gegenteil dessen heute vom Deutschen Bundestag beschlossen worden wäre. ({0}) - Herr Kollege Bernhardt, die Einkommensteuer ist durch Gegenfinanzierungselemente in dem Gesetz, welches heute Vormittag verabschiedet worden ist, reichlich tangiert worden. Insofern ging es auch heute Morgen schon um die Einkommensteuer. Im letzten Jahr haben Union und SPD die größte Steuererhöhung unseres Landes beschlossen, nämlich eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte. Dieser Steuererhöhung hat auch die SPD zugestimmt, die noch im Bundestagswahlkampf strikt gegen eine Steuererhöhung war und erklärt hatte: „Keine Merkel-Steuer mit der SPD.“ ({1}) Die Große Koalition hat ferner die Reichensteuer eingeführt - wir sind in dieser Debatte beim Einkommensteuertarif -, und der Spitzensteuersatz ist von 42 Prozent auf 45 Prozent erhöht worden. Auch diese Erhöhung erfolgte mit Zustimmung der Union. ({2}) Am 11. März haben die Steuerschätzer festgestellt, dass in diesem Jahr fast 10 Prozent mehr Steuern als im vergangenen Jahr eingenommen werden. Der Staat nimmt also mit 535 Milliarden Euro etwa 50 Milliarden Euro mehr ein als im Vorjahr. Deshalb können wir, so glaube ich, hier gemeinsam feststellen: Noch nie gab es so große Steuererhöhungen, und noch nie sprudelten die Steuerquellen so ergiebig wie heute. Genau zu diesem Zeitpunkt reicht die PDS-Fraktion diesen Antrag ein, mit dem der Spitzensteuersatz sogar auf 50 Prozent steigen soll. Wir erleben also trotz der sprudelnden Steuerquellen weiter reflexhafte Forderungen der Linken im Parlament - sowohl von Teilen der SPD als auch von der Linkspartei -: Der Staat braucht weitere Steuererhöhungen, der Staat braucht eine stärkere Belastung der Bürger, und der Staat weiß besser mit dem Geld der Bürger umzugehen als der Bürger selbst. ({3}) Die von der Linken behauptete Gerechtigkeitslücke - das hat Herr Kollege Gutting gerade dargestellt - kann angeblich nur dadurch geschlossen werden, dass die leistungsfähigen Bürger in unserem Land, der Mittelstand und die hart arbeitende Bevölkerung, weiter belastet werden. Deshalb lassen Sie uns einmal die Fakten betrachten und schauen, ob die Gerechtigkeitslücke, die immer kritisiert wird, in der Form überhaupt besteht. Das Finanzministerium mit einem SPD-Finanzminister an der Spitze hat eine Datensammlung zum Steueraufkommen des Jahres 2005 vorgelegt. Diese Daten sollten auch die versammelten Linken im Parlament zur Kenntnis nehmen. Die oberen 10 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen mehr als 50 Prozent der Einkommensteuer, und die oberen 50 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen mehr als 93 Prozent der Einkommensteuer. Die unteren 50 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen keine 7 Prozent der Einkommensteuer. Diese Zahlen zeigen: Eine Gerechtigkeitslücke besteht nicht. ({4}) Wer finanziell leistungsfähiger ist, wird auch stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls herangezogen. Dies sollten auch die vereinten Linken in diesem Haus endlich zur Kenntnis nehmen. Für die FDP sage ich Ihnen: Bei den sprudelnden Steuerquellen ist es geboten, den Bürgern einen Teil der Steuermehreinnahmen zu ihrer finanziellen Entlastung, für Investitionen und für Konsum zurückzugeben. ({5}) Dies sage ich für die gesamte Fraktion, auch für die Haushälter in unserer Fraktion; denn wir brauchen beides, eine Rückführung der Neuverschuldung und eine Entlastung der Bürger. Deshalb fordert die FDP eine grundsätzliche Steuerreform mit einer deutlichen Nettoentlastung für alle Bürger. Zusätzlich braucht unser Land gerade nach der Verwüstung des Steuerrechts von heute Vormittag durch die Große Koalition im Bereich der Steuerpolitik eine grundsätzliche Reform für ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. ({6}) Die FDP wird sich weiter hierfür und für die steuerliche Entlastung der Bürger einsetzen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Thiele, ich glaube, niemand gibt so schnell wie unser Staat Steuereinnahmen an die Bürgerinnen und Bürger zurück. Warum sollte der Staat die Steuern behalten? Wohin fließen seine Steuereinnahmen denn? Das Gegenstück zu Steuern sind Investitionen, zum Beispiel in Bildung, in Krankenhäuser, in Straßen, und Ausgaben für soziale Leistungen wie BAföG, Arbeitslosengeld II usw. Der Staat behält also keinen einzigen Cent seiner Steuereinnahmen; vielmehr gibt er sie den Bürgerinnen und Bürgern zurück. Unsere Steuereinnahmen sind zurzeit Gott sei Dank gut; sie sind höher, als wir es erwartet haben. Das ist deswegen so, weil wir ein Investitionsprogramm aufgelegt haben, das die Binnenkonjunktur massiv angekurbelt hat. Die Steuermehreinnahmen sind nicht durch die zuletzt beschlossenen Steuererhöhungen zustande gekommen, sondern überwiegend durch die bessere konjunkturelle Situation. ({0}) - Frau Höll, schauen Sie sich einmal die Gewerbesteuerund die Körperschaftsteuereinnahmen an: Sowohl das Netto- als auch das Bruttoaufkommen haben in den letzten zehn Jahren einen deutlichen Zuwachs erfahren. Die Gewerbesteuer- und die Körperschaftsteuereinnahmen waren in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie so hoch wie in diesem Jahr. ({1}) Man kann Fakten nicht einfach immer wieder ignorieren, nur weil sie einem nicht passen. Jetzt komme ich auf Ihre Propaganda zu sprechen. Herr Kollege Gutting hatte recht. Ich lese einfach einmal einen Absatz Ihres Antrags vor: Schuld daran ist die Gestaltung des Tarifverlaufs bei der Einkommensteuer. Hier hebt die Bundesregierung zwar gern die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent hervor. Jetzt kommt es: Allerdings steigt der Steuersatz bis zu einem jährlichen Einkommen in Höhe von 12 700 Euro deutlich stärker als bei einem Einkommen von mehr als 12 700 Euro. Dazu kommt ein zu geringes steuerfreies Existenzminimum. Dann folgt der entscheidende Satz - er ruft bei jedem Menschen eine falsche Vorstellung hervor -: ({2}) - Rufen Sie nicht dazwischen! Hören Sie zu, oder lesen Sie mit, was ich aus Ihrem Antrag zitiere! Dies führt in der Konsequenz dazu, dass auf 12 700 Euro bereits 23,5 Prozent Steuern gezahlt werden müssen. ({3}) Damit führen Sie Menschen in die Irre. Der Kollege Gutting hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die durchschnittliche Steuerbelastung bei 7,7 Prozent liegt. Richtig ist: Ab dem 12 700. Euro - erst ab diesem Wert - gilt der Grenzsteuersatz von 23,5 Prozent, und das steht nicht in Ihrem Antrag. Ich wiederhole: Sie versuchen, die Menschen in die Irre zu führen. Sie beziehen sich in Ihrem Antrag nicht auf eine Familie mit einem Jahreslohn von 30 000 Euro, sondern auf eine Familie mit einem Jahreslohn von rund 24 700 Euro. Ich beziehe mich einmal auf eine Familie mit einem Jahreslohn von 30 000 Euro, die Sie in Ihrer Rede angeführt haben. Ein Vergleich zwischen 1998 und 2005 unter Einbeziehung der Erhöhung des Kindergeldes zeigt: Eine Familie mit zwei Kindern war im Jahr 2005 um jährlich 2 350 Euro - das entspricht etwa 4 600 DM - entlastet. Mit anderen Worten: Diese Familie hatte mehr Geld im Geldbeutel. ({4}) - Ich danke für den Zwischenruf. Ich bin in meiner Rechnung davon ausgegangen, dass die Löhne gleich geblieben sind. Ihr Zwischenruf hilft mir, zu dem überzuleiten, worauf ich zu sprechen kommen wollte. In der Zeit, über die wir reden, sind die Löhne leider kaum gestiegen. Aufgrund der unter Rot-Grün durchgeführten Steuerentlastungen sind die Reallohneinkommen fast mehr gestiegen als durch die Tariferhöhungen, die es in diesem Zeitraum gab. Sie selber schreiben in Ihrem Antrag, dass die primäre Einkommensverteilung entscheidend für die Frage der Umverteilung ist. Leider wird dies nur in einem einzigen Satz zum Ausdruck gebracht. Anschließend erwecken Sie den Eindruck, als könne der Staat alles, was durch die primäre Einkommensverteilung nicht gelingt, über eine entsprechende Steuerpolitik korrigieren, Stichwort „Umverteilung“. Das geht nicht. Zur Frage der Ungleichbehandlung. Schauen wir uns an, was das effektiv bedeutet. Ich beziehe mich wieder auf die Familie mit 30 000 Euro Einkommen, die Sie als Beispiel angesprochen haben! Bei einer Familie mit 30 000 Euro Einkommen beträgt die Entlastung unter Berücksichtigung des Abzugs von Steuern und Sozialabgaben 8,2 Prozentpunkte, bei einer Familie mit 100 000 Euro Einkommen 3,6 Prozentpunkte, also deutlich weniger. Jetzt können Sie wieder auf die absoluten Beträge verweisen, und dann wird es wieder so aussehen, als würden diejenigen, die in der Gesellschaft oben sind, mehr entlastet. Von der prozentualen Entlastung her ist es genau andersherum. Auch ich stelle die Frage danach: Wie kann ein gerechter Steuertarif aussehen? Natürlich könnte man über den Tarif, den Sie aufgezeichnet haben, diskutieren. ({5}) - Ja, aber dann muss man auch darüber diskutieren, wie man den finanziert. Dann muss man diskutieren - unter Rot-Grün sind wir dafür gescholten worden -, welche Gegenfinanzierung für die Steuerentlastungen angeboten werden kann. Es wird immer nur beklagt - ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Pronold, Sie haben das Wort.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie selbst im „Neuen Deutschland“ schreiben. Wir haben das heute diskutiert. Fakt ist: Nach dem DIW gibt es in Deutschland jedes Jahr 100 Milliarden Euro, die hier steuerpflichtig wären, hier aber nicht versteuert werden. ({0}) Wenn wir das durch die Unternehmensteuerreform zukünftig auch nur zu einem Teil zurückbekommen - das ist in das Finanztableau kaum eingerechnet -, dann erzielen wir mehr Steuereinnahmen, und zwar auch von den Richtigen, nämlich denen, die bisher Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Das ist Sinn und Zweck dieser Steuerreform. Ich kann ein Gerechtigkeitsverständnis nicht akzeptieren, das sich der Realität verweigert und dies eben nicht in den Blick nimmt. ({1}) Wie sieht es denn mit dem Spitzensteuersatz aus? Wie der Kollege Thiele richtig festgestellt hat, haben wir unter der Großen Koalition das wieder ein Stück weit behoben, was der SPD eh nicht gepasst hat, nämlich dass der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt worden ist. Wir haben die 45 Prozent zurückerkämpft. ({2}) - Entschuldigung! Die SPD-Position in den damaligen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss war nicht ein Satz von 42 Prozent, sondern ein Satz von 45 Prozent. Sonst hätten wir das auch nicht ins Wahlprogramm aufgenommen. Wir brauchten damals eine Mehrheit im Bundesrat. Dadurch kam es zu den 42 Prozent. Jetzt haben wir das zurückerkämpft. Deswegen sind wir da auf dem richtigen Weg. Es handelt sich um eine wirkliche Entlastung vor allem für die unteren und mittleren Einkommen, übrigens auch für den Mittelstand. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist der Mittelstand so stark entlastet worden wie unter der rot-grünen Steuerpolitik. Die Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer und die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer haben dies bewirkt. Wir haben die echten Leistungsträger in der Gesellschaft mit unserer Steuerpolitik bessergestellt, damit auch Gerechtigkeit in die Einkommensverteilung gebracht und dazu beigetragen, dass die Entwicklung bei den Reallöhnen - Erhöhungen konnten nicht erkämpft werden; die Reallöhne sind sogar zurückgegangen; das stellt man fest, wenn man sich anschaut, was den Beschäftigen in der Zeit an Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen worden ist - durch Steuerentlastungen ein Stück weit kompensiert worden ist. Das Problem ist, dass die Leute das nicht gespürt haben, weil nämlich weniger im Geldbeutel war, ({3}) aber nicht wegen der Politik, sondern wegen der Realität der Einkommensverteilung in der Gesellschaft, die zwischen den Tarifparteien ausgehandelt worden ist. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat als letzte Rednerin die Kollegin Christine Scheel vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein bisschen schade, Frau Dr. Höll, dass Sie sich in Ihrem Antrag nur auf den Tarif konzentriert haben und auf das, was die Menschen in diesem Land umtreibt, nämlich dass unser Steuersystem zu kompliziert ist, dass alles zu bürokratisch ist, dass es zu wenig transparent ist, mit keinem Wort eingegangen sind. Das ist im Prinzip unser Hauptproblem. Danach kann man über den Tarif und über die Ausgestaltung des Tarifs reden. ({0}) Richtig an dem Vorschlag ist, dass die Steuerbelastungen der Beschäftigten infolge von nominellen Einkommenssteigerungen von Jahr zu Jahr steigen. Das ist das Interessante. Florian Pronold hat einen Vergleich über die Jahre 1998 bis heute angestellt. Das Kindergeld ist in diesen Jahren angehoben worden. Wir haben unter der rot-grünen Regierung wirklich viel in diesem Bereich gemacht. Hier ist es zu einer Entlastungswirkung gekommen. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass wir bei dem progressiven Einkommensteuertarif, den wir in Deutschland haben, nicht den Inflationsindex berücksichtigen. Das heißt, dass wir in der Bundesrepublik jedes Jahr heimliche Steuererhöhungen haben. ({1}) Das Lohnsteueraufkommen nimmt bei gleicher Beschäftigungssituation zum Beispiel um 1,6 Milliarden Euro im Jahr zu, wenn die Löhne, was realistisch ist, um 1,5 Prozent steigen. Das sind Mehreinnahmen des Staates. Wenn die Löhne um 2,5 Prozent steigen würden, hätte der Staat im Lohnsteuerbereich mehrere Milliarden Euro mehr. ({2}) Das sind Zahlen, die man nicht wegdiskutieren kann. Der Effekt kann in der jetzigen konjunkturellen Lage mit relativ guten Lohnabschlüssen natürlich noch viel höher ausfallen. Wir Grünen halten es für richtig, dass wir uns im Einkommensteuertarif im Hinblick auf die Lohnentwicklung im Prinzip eine Anpassung überlegen müssen. ({3}) Deshalb ist die Aussage richtig, dass die Steuerentlastungen im Laufe der nächsten Jahre im Zeitablauf aufgefressen werden. Es gibt Untersuchungen darüber, dass die Steuerlasten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in etwa drei Jahren aufgrund der kalten Progressionswirkung wieder so hoch sein werden wie zum Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl. Das ist richtig. Hier gebe ich Ihnen recht. Sie ziehen aber die falsche Schlussfolgerung. ({4}) Sie sagen, dass das Existenzminimum angehoben werden soll. Ich denke, es gibt niemanden hier im Raum, der sagen würde, das wäre falsch. Das Existenzminimum auf 8 000 Euro anzuheben, ist eine gute Überlegung. Es ist völlig klar, dass man das finanzieren muss, aber es ist eine gute Überlegung. Wenn Sie aber sagen, wir erhöhen den Spitzensteuersatz auf 50 Prozent, dann kann ich nur sagen: Sie vergessen die Gesamtbelastung der Menschen in diesem Land, deren Einkommen in diesem Bereich liegen. Hier geht es nicht nur um die Steuern. Hier geht es auch um die Abgabenwirkungen in den sozialen Sicherungssystemen - bei den Rentenversicherungen und bei anderen Versicherungen -, sodass Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer eine Belastung haben, die einschließlich der Abgaben 60 Prozent erreicht. Bei denjenigen, die bei einer Anhebung im Bereich des Spitzensteuersatzes wären, würde von jedem Euro, der zusätzlich verdient wird, nicht mal ein Drittel im Geldbeutel der Menschen bleiben. Ich glaube nicht, dass sich das bei den Selbstständigen und bei den abhängig Beschäftigten in der Bundesrepublik Deutschland positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken würde. ({5}) Eine kurze Bemerkung: Sie machen es sich verdammt leicht. Sie nehmen die Realität nicht an. Sie müssen einmal gucken, wer von den Steuerpflichtigen zum Steueraufkommen beiträgt. ({6}) Einige Kollegen haben bereits darauf hingewiesen. 8 Prozent aller Steuerpflichtigen - das sind diejenigen mit hohen Einkommen - zahlen 44 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens. 8 Prozent zahlen 44 Prozent. ({7}) Schauen wir uns an, was das für den unteren Bereich bedeutet. Wir von Rot-Grün haben sehr viel gemacht. Sehr viele Menschen sind völlig aus der Steuerschuld herausgefallen. Durch die rot-grüne Reform von damals zahlt über 1 Million Menschen weniger Steuern. Man sieht, dass im unteren Bereich viel passiert ist. Eine letzte Bemerkung - wir haben heute bereits darüber debattiert -: Sie unterschlagen völlig, was mit den Personenunternehmen und den Selbstständigen geschieht. Sie zahlen dann plötzlich auch 50 Prozent Steuern. Wir haben heute Morgen von der Koalition eine Beschlussvorlage erhalten, in der es hieß, dass die Körperschaftsteuer 25 Prozent betragen solle. ({8}) Sie ignorieren völlig, dass die Personenunternehmen und die Selbstständigen in der Spitze bei einem Steuersatz von 50 Prozent liegen. Hinzu kommt - neben anderen Effekten - noch der Soli. Das ist zutiefst ungerecht. ({9}) Sie bestrafen die Selbstständigen und die Handwerker in ihrer wirtschaftlichen Situation. Das machen wir nicht mit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5277 an den Finanzausschuss vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: 36 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den 17.05. als offiziellen Tag gegen Homophobie begehen - Drucksache 16/5291 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({3}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Lesben und Schwule in ganz Europa durchsetzen - Drucksachen 16/1667, 16/5442 Berichterstattung: Dr. Herta Däubler-Gmelin Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Volker Beck von Bündnis 90/ Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider gibt es allen Grund, heute über dieses Thema, über die Frage der Grundrechte von Lesben und Schwulen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Europarats, zu sprechen. In Riga wurde das Verbot des Christopher-StreetDays gerade von einem Verwaltungsgericht aufgehoben; dort gibt es eine funktionierende Justiz. ({0}) Aber in Vilnius wurde gerade ein CSD-Verbot rechtsgültig ausgesprochen. In Chişinău in Moldawien wurde vor einigen Wochen der CSD verboten. Gestern erreichte auch die Organisation des Moskauer Gay-Pride 2007 ein Verbot der Moskauer Stadtregierung für den Gay-Pride in diesem Jahr. Alle diese Länder sind Signatarstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention. Wer es noch nicht wusste, kann es seit neuestem beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nachlesen, der Anfang Mai dieses Jahres der Republik Polen ins Stammbuch geschrieben hat, dass man auch Demonstrationen von Lesben und Schwulen dulden muss. Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung sich nicht mit ihnen identifizieren mag, wenn die politische Klasse und die Personen, die die Versammlungsbehörde anführen, das ekelhaft finden, sind die Grundrechte zu wahren, die Demonstrationen zuzulassen; friedliche Demonstranten sind vor Gewalt zu schützen, und der Rechtsweg gegen ungerechtfertigte Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist so auszugestalten, dass man vor der Veranstaltung eine Chance hat, vor Gericht Recht zu bekommen. ({1}) Leider müssen wir feststellen: In vielen Ländern - man sieht es zurzeit am Beispiel Moskaus - schert sich keiner darum. Deshalb sollten wir heute als Deutscher Bundestag ein deutliches Signal über alle Fraktionsgrenzen hinweg aussenden, dass wir diese Verletzung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht akzeptieren. Es ist traurig, festzustellen, dass es in Moskau faktisch keine Politikerinnen und Politiker gibt, die die Rechte von Lesben und Schwulen unterstützen, unabhängig davon, wie sie zu den Forderungen stehen. Diese Forderungen zu äußern, dafür auf die Straße zu gehen, sich friedlich zu versammeln, das ist ein Anliegen, das der Staat zu gewährleisten hat. Gegen Faschisten, die auf der Straße mit Prügeln auf die Demonstranten warten, muss eine Sicherheitspolitik friedliche Demonstranten auf jeden Fall schützen. ({2}) In Moskau ist leider das Gegenteil der Fall. Herr Luschkow, der Bürgermeister, spricht von Satanismus auf der Straße, hetzt gegen Schwule und Lesben, und niemand wehrt sich dagegen, dass schon heute zu Gewalttaten bei eventuellen Aktionen am Sonntag auf Moskaus Straßen aufgerufen wird. Nicht die Gewalttäter werden verhaftet, sondern Leute, die dafür bekannt sind, dass sie friedlich für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gehen. Das ist ein Skandal. Dem stellen wir uns als demokratisches Parlament der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam entgegen. ({3}) Ich finde es sehr bedauerlich, dass bislang nur ein einziger Duma-Abgeordneter, nämlich der stellvertretende Vorsitzende der Verfassungskommission, Herr Alexej Mitrofanow, gesagt hat, das Versammlungsrecht sei zu respektieren. Herr Mitrofanow ist leider eine sehr schillernde Person. Er gehört zur Schirinowskij-Partei und hat fürchterliche Dinge zu Frauenrechten, Minderheiten, ethnischen Minderheiten, Ausländern und zum Verhältnis zu den Nachbarstaaten Russlands gesagt. Es ist zwar gut, dass er sich zu einem Grundrecht im demokratischen Sinne äußert. Das allein macht aus ihm aber noch keinen Demokraten. Wir werden genau beobachten, ob er Mitglied in der demokratischen Familie werden kann. Zuvor muss er sich von seinen früheren Äußerungen zur Ausländerpolitik, zur Frauenpolitik und zur Außenpolitik rückhaltlos distanzieren. Nur eine richtige Erkenntnis reicht für politische Gemeinsamkeiten zwischen ihm und uns demokratischen Politikern nicht aus. Das werde ich Herrn Mitrofanow bei meinem Besuch in Moskau persönlich sagen. Ich fahre nämlich nach dieser Debatte zusammen mit Europaabgeordneten und mit einer Kollegin aus dem italienischen Parlament dorthin. Wir wollen an der Seite der Menschenrechtsverteidiger in Russland zum Ausdruck bringen, dass wir als demokratische Politiker sie nicht alleine lassen. Wir haben großen Respekt vor ihrem Kampf in dieser schwierigen Situation. Unsere Parlamente stehen hinter uns, auch wenn nicht aus allen Parlamenten Vertreter nach Moskau fahren können. Das klare Signal ist: Menschenrechtsverteidiger können sich auf demokratische Politiker aus unserem Land verlassen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von der CDU/CSU-Fraktion.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft GfK Polonia zufolge betrachten 53 Prozent der Polen Homosexualität als Sünde. 57 Prozent denken, Homosexuelle sollten sich nicht öffentlich zu erkennen geben. 45 Prozent der Polen denken, Homosexuelle sollten versuchen, sich zu ändern. 58 Prozent der Befragten erklärten, Homosexuelle sollten nicht die Möglichkeit zur öffentlichen Kundgebung haben. Ich glaube, dass dies ausgesprochen besorgniserregende Zahlen sind. Sie zeigen, dass das Problem, über das wir heute sprechen, sich nicht allein in den Köpfen von Politikern abspielt, sondern dass dieses Problem auf Mentalitäten von Menschen zurückgeht. Außerhalb des Bereiches des Europarates und der Europäischen Union können wir sehen - darauf möchte ich später noch zurückkommen -, dass das noch in einer ganz anderen Art und Weise eine Rolle spielt. Wir haben vor zwei Wochen im Deutschen Bundestag über die Situation in Russland im Rahmen einer Aktuellen Stunde gesprochen. Es ging um das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit im Allgemeinen. Wir waren uns über die Parteigrenzen hinweg einig, dass wir das Vorgehen russischer Behörden nicht tolerieren können. Demonstranten, die friedlich für ihre Rechte eintraten, wurde nicht nur die Möglichkeit dazu verweigert, sondern sie wurden darüber hinaus noch verhaftet und müssen nun Repressalien fürchten. Ein Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung über die Demonstration, die im letzten Jahr stattgefunden hat und an der der Kollege Beck, wie wir uns alle erinnern können, teilgenommen hat - er wird daran wahrscheinlich schmerzhafte Erinnerungen haben -, fasst die Situation sehr gut zusammen. Es geht nicht nur um die Rechte von Homosexuellen, sondern auch um die Rechte all derer, die für Demokratie und Menschenrechte eintreten. Der Bericht hat die Überschrift „Anders ist gefährlich“ und enthält Äußerungen der Vertreter der drei großen Weltreligionen, die in Russland ansässig sind, zu diesem Thema: Der Leiter des kirchlichen Außenamtes Metropolit Kyrill entwickelte gleich eine ganz neue Theorie der Menschenrechte, in der Wert und Würde eines Menschen getrennt betrachtet werden. Alle Menschen seien gleichviel wert, so Kyrill, aber Würde hätten einige mehr als andere. Homosexuellen spricht der Metropolit die Würde ab. Einer der wichtigsten russischen Muftis machte es sich einfacher. Er rief alle gläubigen Muslims auf, Schwule, derer sie habhaft würden, gut durchzuprügeln. Der Oberrabbiner bekundete sein „Mitleid“ mit den armen, vom rechten Weg Abgeirrten. Das ist eine Geisteshaltung, die wir auf keinen Fall tolerieren können. ({0}) Auch wenn vielleicht Unterschiede darüber bestehen, wie wir am Ende des Tages mit der Frage der Rechte für Homosexuelle - nicht was das Ziel, sondern was den Weg betrifft - umgehen, will ich für meine Fraktion deutlich machen, dass wir Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit für absolut wichtige Rechte halten. Wie gesagt, es gibt auch außerhalb von Europa sehr viele Orte, an denen Menschen, die „anders“ sind - ich sage das sehr bewusst -, sehr viele Repressalien zu fürchten haben. Der Menschenrechtsausschuss hat sich im letzten Jahr und speziell in diesem Jahr mit Usbekistan und Turkmenistan auseinandergesetzt. Wir sind dort gewesen, der Kollege Beck und ich sogar zweimal. Usbekistan und Turkmenistan sind die einzigen Länder der ehemaligen Sowjetunion, die in ihrem Strafgesetzbuch noch einen Paragrafen haben, der freiwillige sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt. Wenn man sich anschaut, wie im arabischen Raum über Homosexuelle gedacht wird, dann stellt man sehr schnell fest, dass dort sehr viele von vornherein sagen: Das ist etwas, was in unserer Gesellschaft keinen Platz hat, was wir nicht tolerieren können. - Die meisten derjenigen, die dort homosexuell sind, bekennen sich nicht dazu, weil sie einfach zu viel Angst davor haben. Dies ist also insgesamt ein Problem, das uns immer noch - auch über die Grenzen von Europa hinaus - beschäftigen muss. Ich glaube, das ist sehr wichtig, auch wenn sich der vorliegende Antrag im Speziellen mit dem Thema der Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Lesben und Schwule in Europa beschäftigt. Wir haben es heute noch mit einem zweiten Antrag zu tun. Darin geht es darum, den 17. Mai zum internationalen Tag gegen Homophobie auszurufen. Dazu sage ich: Wir sind uns in dem Ziel einig. Ob aber die Ausrufung eines internationalen Tages das richtige Mittel ist, ist eine Frage, über die man noch einmal intensiv nachdenken muss. Es gibt vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages eine sehr schöne Ausarbeitung aus dem Jahr 2005 über wiederkehrende Gedenk- und Feiertage. In diesem Bericht werden 136 Gedenktage nur von internationalen Organisationen, also nicht länderspezifisch, genannt. Das reicht vom Internationalen Frauentag bis hin zum Tag gegen das Stottern. Wenn man sich das einmal bei „Wikipedia“ anschaut, stellt man fest, dass allein am heutigen Tag - heute ist der 25. Mai - der Afrikatag, der Tag der vermissten Kinder und der Towel Day - das ist der Handtuchtag - ist und dass am heutigen Tag die Woche der Solidarität mit den Völkern der Gebiete ohne Selbstregierung beginnt. Ohne das ins Lächerliche ziehen zu wollen: Man sollte sich wirklich überlegen, ob eine Inflation von Gedenktagen wirklich die Wirkung hat, die wir von einem Gedenktag erwarten würden. Deswegen ist an dieser Stelle durchaus Vorsicht geboten. Wir werden weiterhin über die Anträge diskutieren. Wir haben sie im Menschenrechtsausschuss schon das eine oder andere Mal angesprochen. Es ist sicherlich richtig, dass gerade wir als Mitglieder des Menschenrechtsausschusses diesem Thema die notwendige Aufmerksamkeit beimessen. Deswegen halte ich diese Debatte für richtig. Nichtsdestoweniger würde ich gerne zum Schluss ganz kurz auf die Debatte eingehen, die wir gestern zum Thema Religionsfreiheit geführt haben. Denn ich halte es schon für bemerkenswert, dass der Kollege Beck dort an uns etwas kritisiert hat, was er heute für sich in Anspruch nimmt. Er hat gesagt - ich zitiere aus dem Plenarprotokoll -: Ich finde, die Diskussionslage, die in dieser Debatte herrscht, ist ein Ärgernis ... Wir dürfen nicht nur Solidarität mit Christen üben, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, meine Damen und Herren von der Großen Koalition. Etwas weiter heißt es: Sie führen diese Debatte kulturalistisch und verlogen. Dazu will ich Ihnen eines sagen, Herr Beck: Wenn ich so bösartig wäre, wie manche Leute glauben, dass ich es bin, würde ich Ihnen sagen, lieber Herr Beck: Warum fordern Sie Demonstrationsfreiheit nur für Lesben und Schwule, nur für Homosexuelle? Ich muss sagen: Ich kann nicht ohne Weiteres erkennen, wo da der große Unterschied besteht. Wenn ich als Christenmensch sage: „Ich setze mich für die Religionsfreiheit aller ein“ - das ist übrigens meine Auffassung davon, wie man als Christ zu handeln hat -, dann muss ich bitte sehr auch das Recht haben, mich für die Religionsfreiheit von Christen, von meinen verfolgten Glaubensbrüdern einzusetzen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Haibach, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit allergrößtem Vergnügen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie so böse wären, wie es nach Ihrer Meinung manche Menschen von Ihnen glauben könnten, wie würden Sie dann die Frage beantworten, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir uns in unserer Menschenrechtspolitik gegenüber Russland selbstverständlich allgemein für die Demonstrationsfreiheit von Oppositionellen und allen anderen Gruppen einsetzen? Denn wir erleben gegenwärtig, dass sich in mehreren osteuropäischen Staaten Probleme bei der Demonstrationsfreiheit für Lesben und Schwule abzeichnen. Das hat aktuell zu einem einschlägigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geführt. Man hat sich mit der Frage, ob man Schwulen und Lesben dieses Recht gesondert absprechen kann, auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht sein darf.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, ich bin ausgesprochen gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Mein Einwand hat sich weniger auf die Praxis in diesen Ländern bezogen und auch nicht darauf, dass - worauf Sie zu Recht hinweisen das für diese Gruppen ein spezielles Problem ist. Mein Einwand hat sich darauf bezogen, dass, wenn ich feststelle, dass Christen in speziellem Maße Schwierigkeiten haben - und von solchen Ländern gibt es mehr als genug; das wissen Sie genauso gut wie ich -, ich verpflichtet bin, darauf hinzuweisen, gerade weil die Diskussion über so etwas in Deutschland selten geführt wird. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, wir wollen jetzt kein Frage-und-Antwort-Spiel machen. Es ist Freitagnachmittag, wir müssen zum Schluss kommen. Herr Haibach, ich bitte Sie, Ihre Rede fortzusetzen. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte gerne zum Schluss kommen, auch im Hinblick auf die Mahnung des Präsidenten, dass es Freitagnachmittag ist. Ich glaube, dass wir über ein wichtiges Thema diskutieren. Ich meine nur, wir sollten darüber mit Augenmaß diskutieren ({0}) und uns genau überlegen, was die richtigen Maßnahmen sind. Das Thema verdient es. Danke sehr. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir - zwei Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zwei von den Grünen und ich für die Liberalen - waren am letzten Wochenende in Polen, in Warschau. Es war sehr positiv, dass zumindest am Vortag auch ein Kollege von der Union aus dem Abgeordnetenhaus von Berlin dort war. Es war schade, dass niemand von der Union mit zur Demonstration gegangen ist. So etwas wäre gerade in diesen Ländern sehr wichtig. Ich habe deshalb die Bitte an die Konservativen in diesem Haus, aber auch im Europäischen Parlament, in diesen Ländern deutlich zu machen, dass das Eintreten für Schwule und Lesben nicht die Sache von Linken oder Liberalen ist, sondern dass unser ganzes Haus für die Demonstrationsfreiheit eintritt. Deshalb würde ich mich über mehr Präsenz an solcher Stelle freuen. ({0}) Trotz der Angriffe vonseiten der rechtspopulistischen Regierung, denen Schwule und Lesben in Polen ausgesetzt sind, haben wir eine machtvolle Demonstration erlebt, haben wir erlebt, wie sich eine Bürgermeisterin dahintergestellt hat, wie Polizei und Gerichte die Demonstrationsfreiheit in Warschau durchgesetzt haben. Bei aller Kritik, die wir im letzten Jahr geäußert haben, sollten wir auch das Positive einmal erwähnen. ({1}) Insbesondere Russland sollte sich an den positiven Entwicklungen in unserem Nachbarland ein Beispiel nehmen. Wenn Herr Putin zum G-8-Gipfel kommt, sollte man ihn vielleicht nicht nur auf die Rolle Russlands in der Welt ansprechen oder auf Russlands Energieressourcen, sondern einmal nach dem Demonstrationsverbot, nach der inneren Verfassung dieses G-8-Landes fragen, das ein großer Spieler auf diesem Planeten sein will. Dazu gehört die Haltung gegenüber Schwulen und Lesben. Das Gleiche gilt für einige Länder, die der Europäischen Union angehören. Es ist ein Skandal, dass in einem EU-Land wie Litauen ein Demonstrationszug verboten wird. Die EU ist nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft; daran sollten wir hier im Haus immer wieder erinnern. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort die Kollegin Angelika Graf von der SPDFraktion.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut der Demokratie. Diese Freiheit muss für alle Menschen gelten - ob uns die Meinung im Einzelfall passt oder nicht. Nur demjenigen, der verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und der offen zu Gewalt aufruft, kann das Recht, seine Meinung öffentlich zu sagen, zu demonstrieren, versagt werden. Wenn Meinungs- und Versammlungsfreiheit nur für diejenigen gelten, die eine regierungskonforme Weltanschauung oder Lebensweise haben, dann ist das keine Freiheit mehr. ({0}) Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit kann auch nicht der Religion untergeordnet sein, insbesondere nicht in säkularen Systemen. ({1}) Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und damit auch die Demokratie leben davon, dass Kritik und Widerworte zugelassen und ertragen werden. Die Unterdrückung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit erleben trotz einer Vielzahl von europäischen Diskriminierungsverboten leider viele Lesben und Schwule. Sie müssen auch in Europa damit rechnen, dass Demonstrationen, auf denen sie zum Beispiel auf Ungleichbehandlung oder systematische Unterdrückung aufmerksam machen wollen, nicht genehmigt werden. Wenn Demonstrationen doch genehmigt werden, ist es oft so, dass die Polizei und damit der Staat die Teilnehmer vor Anfeindungen und Gewalt während dieser Demonstrationen nicht schützt. Heuer habe ich auf der einen Seite erfahren, dass die Demonstration in Warschau relativ positiv verlaufen ist. Darüber kann man sich nur freuen. Auf der anderen Seite haben wir aber erfahren, dass sich die Polizei und damit der Staat sowohl in Polen als auch in Russland mit dem pöbelnden, gewaltbereiten Mob verbündet hat, sich eher gegen die Demonstranten gestellt hat und den Mob damit quasi zur Gewalt angestiftet hat. Ähnliche Situationen gibt es in Litauen, in Lettland, in Estland und in Serbien. All das wurde schon vorgetragen. Ein Übriges leisten meiner Ansicht nach öffentlichmediale Hasstiraden. Zum Teil handelt es sich um wenig versteckte Aufrufe zu Gewalt gegen die Demonstranten. Auch Politiker und Vertreter christlicher Kirchen sind davor nicht gefeit. Ich meine, als Menschenrechtspolitiker in Deutschland und in Europa dürfen wir die Augen davor nicht verschließen; denn wenn wir nicht den Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Homosexuelle fordern, dann können wir genau diese Freiheit auch nicht glaubwürdig für Oppositionelle oder religiöse Minderheiten einklagen. Das sollte uns allen sehr wohl bewusst sein. Die Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention haben die Aufgabe, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für alle Bürgerinnen und Bürger - Lesben und Schwule sind davon nicht ausgenommen - zu sichern. In der Praxis haben wir leider erlebt, dass die geschriebenen Worte auf den Straßen Moskaus und Warschaus nicht viel wert sind. Umso wichtiger ist es, dass wir es nicht einfach dabei belassen, sondern klarstellen, dass Deutschland auf die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention pocht. Ich begrüße daher ausdrücklich die Entschließung des Europäischen Parlaments gegen Homophobie, die von Angelika Graf ({2}) der Sozialdemokratischen Partei Europas sehr stark unterstützt worden ist. Uns muss bewusst sein, dass Homophobie, also die auf Vorurteilen basierende irrationale Furcht vor oder Abneigung gegen Homosexuelle, Bisexuelle oder Transsexuelle, der Nährboden für viele Menschenrechtsverletzungen ist. Wenn wir uns gegen Homophobie einsetzen, setzen wir uns also für die Menschenrechte ein. ({3}) Das Ausmaß der Homophobie in Europa ist teilweise wirklich erschütternd. Ein Beispiel dafür ist der Weltkongress der Familien, der vor kurzem fast parallel zu der Demonstration, wo viele von Ihnen waren, mit internationalen Referenten und über 2 000 Teilnehmern ebenfalls in Warschau stattgefunden hat. Das Ausspielen der - ich sage das in Anführungszeichen - „natürlichen Familie“ gegen Schwule und Lesben sowie eine Atmosphäre aggressiver Homophobie haben sich offensichtlich wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung gezogen. Dass alle Lesben und Schwule Eltern, Großeltern, meist auch Geschwister, manchmal eigene Kinder und in der Regel auch einen Partner oder eine Partnerin haben, wird schlichtweg ignoriert. Diese künstliche Frontenbildung - hier die „natürliche Familie“ und dort Lesben und Schwule als angebliche Feinde der Familie - wird leider sowohl von der Politik als auch von der Kirche, und zwar nicht nur in Polen, vorgebracht. So manche Regierung macht Lesben und Schwule zu Sündenböcken, zum Beispiel für sinkende Geburtenraten, und lenkt damit von eigenen Versäumnissen ab. Menschenrechte unterliegen keiner Rangordnung von schützenswert bis weniger schützenswert. Menschenrechtspolitik nach Rangordnungen ist zum Scheitern verurteilt; denn sie wird dann nur als punktuelle Lobbypolitik wahrgenommen, nicht als genuine Menschenrechtspolitik. Nur Menschenrechtspolitik aus einem Guss hat eine Chance, ernst genommen zu werden; denn sie legt sich unmissverständlich fest. Eine Diskriminierung, zum Beispiel aufgrund des christlichen Glaubens, zu beklagen - wir hatten gestern eine Diskussion über das Thema Religionsfreiheit -, sie aber aufgrund sexueller Orientierung zu akzeptieren bzw. nicht ausdrücklich zu bekämpfen, wäre eine völlig kontraproduktive Klassenschaffung innerhalb der Menschenrechtspolitik. ({4}) Das wäre ein Senden von sehr widersprüchlichen Signalen an die Staaten, an die sich der Protest wendet, und würde den Protest konterkarieren. Viele Staaten in Ost- und Südosteuropa befinden sich noch im Transformationsprozess und entdecken erst Schritt für Schritt die Demokratie. Die Stärkung der Demokratie in diesen Staaten erreichen wir nur durch klare Standpunkte. Ein solcher klarer Standpunkt dabei muss sein, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für alle Bürgerinnen und Bürger gilt und nicht nur für bestimmte Gruppen. ({5}) Wenn wir in Deutschland keinen klaren Standpunkt in der Menschenrechtspolitik vertreten, können wir auch von anderen Staaten nicht verlangen, dass sie es tun. ({6}) Die Forderung nach Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Lesben und Schwule ist daher auch eine Forderung nach Demokratie in diesen Staaten, eine Forderung, sich in demokratischen Strukturen einzurichten. Ich hoffe sehr, dass wir in der Großen Koalition doch noch zu einem gemeinsamen Antrag finden. Herr Haibach, die Zahlen und Fakten, die Sie vorgelegt haben, sprechen eine ganz deutliche Sprache. So weit liegen wir dabei nicht auseinander. Ich würde mich sehr freuen, wenn uns ein gemeinsamer Antrag gelingen würde. Ich lade Sie und Ihre Kollegen noch einmal herzlich dazu ein, mit uns in diese Diskussion einzutreten. ({7}) Wenn wir nicht für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit von Lesben und Schwulen kämpfen, dann verabschieden wir uns vom Kampf um die Meinungsund Versammlungsfreiheit insgesamt. Wir verlieren dann unsere Glaubwürdigkeit und senden die falschen Signale an die zahlreichen Gegnerinnen und Gegner der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Lassen Sie uns daher für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und für die Demokratie in Europa gemeinsam klar und deutlich Stellung beziehen. Ich würde mich freuen, wenn uns das gelingen würde. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ - so lautet der Titel eines uns allen sicher bekannten Films von Rosa von Praunheim, den er 1970 drehte. 20 Jahre später, am 17. Mai, strich die WHO Homosexualität von der Liste der psychischen Erkrankungen. Trotzdem ist und bleibt es ein Thema für uns, solange wir hier in Europa noch immer Menschenrechte für nicht ausschließlich heterosexuelle Menschen einklagen müssen, solange Meinungs- und Versammlungsfreiheit noch nicht für alle Menschen gewährleistet ist, solange in Afghanistan und in Teilen Nigerias Menschen gefoltert und getötet werden, weil sie Menschen des gleichen Geschlechts lieben, solange hier in Deutschland häufig noch suggeriert wird, dass die Familie aus Mama, Papa und Kind bestehen muss, und homosexuellen Paaren das Adoptionsrecht verwehrt wird, solange „schwul“ an unseren Schulen immer noch ein beliebtes Schimpfwort ist und junge Menschen psychisch erkranken und suizidgefährdet sind, wenn sie bei ihrem Coming-out alleingelassen werden. Junge Menschen in unserer aufgeklärten Gesellschaft halten Homosexualität nicht selten noch immer für eine Krankheit oder Extravaganz. Allzu oft begegnet uns in deutschen Medien das Klischee vom geschminkten, strassgeschmückten schwulen Mann und der unattraktiven vermännlichten Lesbe, und das völlig ungestraft. Menschen aus Afrika und Asien, die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt werden und bei uns Schutz suchen, können ausgewiesen werden, weil gleichgeschlechtliche Liebe kein anerkannter Asylgrund ist. Verpartnerte Paare sind im Einkommen- und Erbschaftsteuerrecht und auch im Beamtenrecht immer noch nicht gleichgestellt. Diese Liste ließe sich sicher fortführen. Aber ich glaube, dies spricht eine deutliche Sprache und zeigt, warum ein Gedenktag, ein Tag zum Gedenken darüber, dass Homophobie nicht einer demokratischen Gesellschaft entspricht, wichtig und notwendig ist. ({0}) Solange die Vielfalt menschlichen Liebens und Lebens keine politische, juristische und gesellschaftliche Gleichstellung erfährt, so lange sind politische Auseinandersetzungen zum Thema Homophobie und Menschenrechte notwendig. Homophobie beschreibt das feindselige, diskriminierende Verhalten von Einzelpersonen und ganzen Gesellschaften gegenüber nicht heterosexuellen Menschen. Ich glaube, es ist aber auch wichtig, in dieser Debatte festzustellen, dass besonders diejenigen Menschen und Gesellschaften anfällig sind für Homophobie, die sich selbst ihrer nicht sicher sind, Menschen, die Angst um ihre Existenz, um ihre Zukunft haben. Sie zeigen nicht nur eine höhere Neigung zu homophobem Verhalten, sondern auch zu rassistischem und sexistischem Verhalten. Die erschreckende Unwissenheit, gerade bei jungen Leuten, zu diesem Thema treffen wir nicht nur in Polen und Bulgarien an, sondern auch hier mitten unter uns. Dies zeigen repräsentative Umfragen, in denen nachzulesen ist, dass sich das Verständnis gerade der 14- bis 18-Jährigen gegenüber den nicht Heterosexuellen nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat. Unwissenheit und Aversion sind verbreitet. Oftmals sind auch unter der Jugend nicht nur hinzunehmender Gleichmut und interessierende Neugier, sondern Abneigung und Hass festzustellen. Es ist sicher unstrittig, dass sich das allgemeine Klima und die Lebensumstände für Homosexuelle in der Bundesrepublik sehr verbessert haben. Trotz allem ist das, was wir erreicht haben, noch nicht ausreichend. Deshalb schließen wir uns den Forderungen an, die in den beiden Anträgen erhoben werden, nämlich dass wir im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft noch aktiver gegen Homophobie eintreten und dass der 17. Mai tatsächlich entsprechend anerkannt wird. Wir glauben, es ist richtig und wichtig, dass wir uns diesem Thema immer wieder widmen, so lange, bis weltweit wirklich erkennbare Verbesserungen zu verzeichnen sind. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Burkhardt Müller-Sönksen von der FDP-Fraktion das Wort.

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Europäische Parlament wies vor fast genau vier Wochen in einer Entschließung - ich zitiere mit Nachdruck darauf hin, dass die Europäische Union zuallererst eine Wertegemeinschaft ist, in der die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, der Gleichstellung und der Nichtdiskriminierung zu den Werten gehört, denen die größte Wertschätzung entgegengebracht wird. Intoleranz gegenüber Lesben und Schwulen und Diskriminierung von Homosexuellen haben in Europa keinen Platz. Das ist aber nichts Neues. Wie schon vor zwei Jahren anlässlich der Auflösung einer Demonstration in Posen, die dem Internationalen Tag für Toleranz der Vereinten Nationen galt, fordern wir Liberale alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, sich zur Wertegemeinschaft Europa zu bekennen. Europa ist ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. ({0}) Die Würde des Menschen ist in der Europäischen Union ein zentraler Wert. Daher sollten sich alle Mitglieder der europäischen Wertegemeinschaft aufgefordert fühlen, sich eindeutig zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu bekennen. Das gilt auch für die Mitglieder der katholischen Kirche in Europa; damit meine ich nicht nur die in Polen, wie im vorliegenden Antrag aufgeführt, sondern auch die in Belgien, Irland und Italien. Es kann nicht sein, dass in Europa das Recht zu demonstrieren, gerichtlich erstritten werden muss. Herr Kollege Beck, es ist schon ein Skandal, dass sich die Verwaltungen nicht an Recht und Gesetz halten. Der Rechtsweg ist das letzte Mittel. An dieser Stelle stimmen wir Ihnen ausdrücklich zu. An die Adresse der Verwaltungen sage ich: Auch sie müssen das Recht einhalten. ({1}) Es kann nicht sein, dass in Europa LGBT-Organisationen, also Organisationen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen, verbalen Angriffen in Form von Drohungen und Hasstiraden nicht nur von reliBurkhardt Müller-Sönksen giösen Oberhäuptern, sondern auch von führenden Politikern sowie von Vorfeldorganisationen von Regierungsparteien ausgesetzt sind. Es kann nicht sein, dass in Europa Teilnehmer und Organisatoren von Gleichstellungs- und Homosexuellenveranstaltungen von körperlicher Gewalt bedroht sind trotz ihrer Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit. Es kann nicht sein, dass LGBTs in Europa durch fadenscheinige Überprüfungen ihrer Finanzierung kriminalisiert werden. Es kann nicht sein, dass die Polizei in Europa bei gewalttätigem Vorgehen gegen Teilnehmer von Veranstaltungen der LGBTs wegschaut. Es kann nicht sein, dass in Europa homosexuellen Lehrern die Entlassung droht, wenn sie sich outen. ({2}) Herr Beck, die Frage, die sich manch ein Bürger stellen wird, wenn er Ihren Antrag liest, ist, wie die Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen in Europa durch einen Antrag, der in den Deutschen Bundestag eingebracht wird, gestärkt werden soll. Toleranz und Miteinander müssen in den Köpfen der Menschen stattfinden, nicht auf der Ebene eines abstrakten Beschlusses im Parlament. Daher halte ich die Signalwirkung Ihres Antrags für relativ gering. Um auf den Kollegen Haibach zurückzukommen, sage ich: Ich finde den Antrag der Grünen, einen Internationalen Tag gegen Homophobie auszurufen, zustimmungspflichtig und -würdig. Da Sie allerdings gesagt haben, es gebe zu viele Anträge dieser Art, schlage ich vor, den Handtuchtag zu streichen und ihn durch den Internationalen Tag gegen Homophobie zu ersetzen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen frohe Pfingsten. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5291 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 37 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Kein Börsengang der Ruhrkohle AG - Bei der Zukunft des Steinkohlenbergbaus soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen - Drucksache 16/3695 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/3586 zum Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1672 mit dem Titel „Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastbares Datenmaterial vorlegen“ zu erweitern und sie als Zusatzpunkt 7 mit diesem Tagesordnungspunkt zu beraten. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf ({2}), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastba- res Datenmaterial vorlegen - Drucksachen 16/1672, 16/3586 - Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen, aber es sollen alle Reden zu Protokoll genommen wer- den.1) Es handelt sich um die Reden der Kollegen Laurenz Meyer ({3}), CDU/CSU, Rainer Wend, SPD, Paul Friedhoff, FDP, Ulla Lötzer, Die Linke, und Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3695 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Zusatzpunkt 7: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zum Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastbares Datenmaterial vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3586, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1672 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. Juni 2007, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.