Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Barbara Hendricks.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
heute vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines
Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und
Beschäftigung enthält im Sinne des steuerpolitischen
Gesamtkonzepts der Bundesregierung vor allem Regelungen, die positive Impulse für mehr Investitionen und
Beschäftigung geben werden.
Zur Stärkung der Wachstumskräfte in konjunkturschwachen Zeiten sind eine gezielte Wiederbelebung der
Investitionstätigkeit und die steuerliche Gewährung von
Liquiditätsvorteilen für kleine und mittelständische
Unternehmen erforderlich. Zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung soll darüber hinaus der private
Haushalt als Feld für neue Beschäftigungsmöglichkeiten
steuerlich gefördert werden. Durch die Möglichkeit,
erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu berücksichtigen, wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert.
Im Einzelnen beinhaltet der Gesetzentwurf folgende
Maßnahmen zur steuerlichen Förderung von Wachstum
und Beschäftigung:
Erstens. Um privaten Haushalten einen Anreiz zu geben, als Arbeitgeber tätig zu werden, soll zusätzliche Beschäftigung in diesem Bereich gefördert werden. Bei der
steuerlichen Berücksichtigung der erwerbsbedingten
Kinderbetreuung werden Familien mit Kindern daher
zukünftig stärker entlastet als bisher. Nach dem neuen
§ 4 f Einkommensteuergesetz können erwerbsbedingte
Kinderbetreuungskosten für Kinder bis zum vollendeten
sechsten Lebensjahr bis zu einem Betrag von 4 000 Euro
je Kind, soweit die Aufwendungen 1 000 Euro je Kind
übersteigen, wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten
berücksichtigt werden. Für Kinder bis zum vollendeten
14. Lebensjahr können ab dem ersten Euro erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten bis zu einem Betrag von
4 000 Euro wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten
abgezogen werden.
Zweitens ein im Volumen nicht so bedeutsamer Posten, der aber für die betroffene Branche gleichwohl sehr
bedeutsam ist. Die bei der Veräußerung eines Binnenschiffes aufgedeckten stillen Reserven können zukünftig
auf erworbene Binnenschiffe übertragen werden. Die
Regelung des § 6 b Einkommensteuergesetz wird insofern erweitert. Durch die Maßnahme, die ähnlich auch in
den Niederlanden praktiziert wird, soll ein Impuls zur
Verjüngung der deutschen Binnenschifffahrtsflotte gesetzt und deren Konkurrenzfähigkeit im europäischen
Vergleich verbessert werden.
Drittens; das ist der vom Volumen her umfangreichste
Punkt. Zur Belebung der Investitionstätigkeit werden die
Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens durch eine bis zum 31. Dezember 2007 befristete Anhebung des Höchstsatzes der
degressiven Abschreibung von 20 Prozent auf 30 Prozent verbessert. Hierbei handelt es sich um eine Regelung in § 7 Abs. 2 Einkommensteuergesetz. Diese verbesserte so genannte AfA-Regelung ist für nach dem
31. Dezember 2005 und vor dem 1. Januar 2008 angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter anwendbar.
Durch diese Maßnahme sollen Investitionsanreize geschaffen werden. So soll für ein beschleunigtes Wachstum gesorgt werden.
Viertens. Der Anwendungsbereich des § 35 a Abs. 2
Einkommensteuergesetz, der eine Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer bei Aufwendungen für die
Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen vorsieht
Redetext
- das heißt, einen Abzug von der Steuerschuld ermöglicht -, wird auf Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ausgeweitet sowie um Betreuungsleistungen für
pflegebedürftige Personen erweitert. Bisher können für
haushaltsnahe Dienstleistungen wie Wohnungsreinigung oder Betreuung von Familienangehörigen bereits
bis zu 20 Prozent der Kosten von maximal 3 000 Euro,
also 600 Euro, von der Steuerschuld abgezogen werden.
Dieser Betrag wird nur für die Inanspruchnahme von
Dienstleistungen zur Betreuung einer pflegebedürftigen
Person im Privathaushalt auf maximal 1 200 Euro angehoben. Daneben werden künftig auch Modernisierung
und Instandhaltung des Wohnraums in Privathaushalten
steuerermäßigend berücksichtigt. Bei einem Betrag von
bis zu 3 000 Euro können im Jahr 20 Prozent, also wiederum 600 Euro, von der Steuerschuld abgezogen werden. Werden die Voraussetzungen für den Abzug beider
Beträge erfüllt, können insgesamt bis zu 1 200 Euro von
der Steuerschuld abgezogen werden. Wenn es sich um
einen pflegebedürftigen Angehörigen handelt, sind es
sogar bis zu 1 800 Euro.
Fünftens. Zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen wird die Umsatzgrenze bei der Umsatzbesteuerung nach vereinnahmten Entgelten, der so genannten
Ist-Versteuerung, in den alten Bundesländern zum
1. Juli 2006 von 125 000 Euro auf 250 000 Euro angehoben. Diese Maßnahme wird ergänzt durch eine Verlängerung der Gültigkeit der derzeitigen Regelung zur IstVersteuerung für die neuen Bundesländer über das Jahr
2006 hinaus bis Ende 2009. Das bedeutet, dass die so genannte Ist-Versteuerungsgrenze in den neuen Bundesländern weiterhin bei 500 000 Euro liegen wird, also höher
bleibt als in den alten Bundesländern. Beide Regelungen, die für die alten und die für die neuen Bundesländer, schaffen Liquiditätsvorteile für kleinere und mittlere
Unternehmen.
Die mit dem Gesetzentwurf angestrebte Verbesserung
der Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung genießt für die Bundesregierung höchste
Priorität. Nur durch ein höheres Wirtschaftswachstum
entstehen dauerhaft mehr Arbeitsplätze, sinken die Ausgaben für den Arbeitsmarkt und steigt das Steueraufkommen. Das ist die Logik, die der Arbeit der Bundesregierung zugrunde liegt.
Herzlichen Dank.
Danke schön. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem
Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet
wurde. Gemeldet hat sich zunächst Kollegin Ina Lenke.
Frau Ministerin von der Leyen, Sie als Familienministerin sind bei der heutigen Fragestunde dankenswerterweise anwesend. Ich würde mich sehr freuen,
wenn Sie zum Bereich Familienpolitik selbst antworten
würden.
Ich habe zwei Fragen. Meine erste Frage betrifft die
Berechnung des Elterngeldes, das 67 Prozent des Nettogehalts betragen soll. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es verschiedene Steuerklassen. Insbesondere
die Steuerklasse V kommt hier sehr stark zum Tragen.
Die meisten Ehefrauen, die arbeiten, sind in
Steuerklasse V und haben ein dementsprechend hohes
Nettogehalt. Da das Nettogehalt bei der Berechnung des
Elterngeldes ausschlaggebend ist, frage ich Sie, auf welcher Grundlage die 67 Prozent des Nettogehalts berechnet werden:
({0})
auf Grundlage der Steuerklasse I, der Steuerklasse III
oder der Steuerklasse V?
Meine zweite Frage ist: Welche Gründe machen es
nach Auffassung der Bundesregierung notwendig, die
ersten 1 000 Euro für die Betreuung von Kindern bis
zum vollendeten sechsten Lebensjahr nicht steuerlich
absetzbar zu machen? In dieser Zeit ist die Betreuung
der Kinder, wie wir alle wissen, doch am teuersten, was
die Kosten für Krippen, Tagesmütter und Kindergärten
anbelangt.
Ich habe die Ausführungen der Ministerin Frau von
der Leyen insofern nicht verstanden, als sie die Frage der
Absetzbarkeit der Beiträge durch die Eltern mit der Argumentation verknüpft hat, die Bundesregierung zahle
dann ja für die Kommunen die Kindergartenbeiträge.
Deshalb meine Frage: Warum ist die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten für die Betreuung von Kindern bis
zum sechsten Lebensjahr, also in der Zeit, in der die Kindergarten- und Krippengebühren am höchsten sind, erst
ab 1 001 Euro möglich, während die Kosten für die Betreuung von Kindern zwischen sechs und 14 Jahren, die
die Hälfte der Zeit in der Schule verbringen, sodass nur
eine Restbetreuungszeit übrig bleibt, die garantiert keiner Ganztagsbetreuung, sondern eher einer Teilzeitbetreuung entspricht, ab dem ersten Euro abgesetzt werden
können?
Frau Kollegin Lenke, ich würde gerne auf ihre erste
Frage antworten. Ich gehe davon aus, dass Frau Bundesministerin von der Leyen Ihre zweite Frage beantworten
will. Ist das so?
({0})
- Herzlichen Dank.
Frau Kollegin Lenke, Sie haben bei Ihrer Frage offenbar unbeabsichtigt einen kleinen Fehler gemacht.
({1})
Mit Steuerklasse V
({2})
hat man ein niedriges und kein hohes Nettoeinkommen.
({3})
Das würde ich gerne klarstellen; denn sonst wäre das,
was Sie gesagt haben, insgesamt nicht logisch.
Im Übrigen aber, Frau Kollegin Lenke, ist das Elterngeld nicht Gegenstand der heutigen Beratungen des Kabinetts gewesen.
({4})
Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit auf Ihre
Frage zurückkommen.
Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der
Frage, warum die Kosten für die Betreuung von Kindern
bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr erst ab einer
Grenze von 1 000 Euro absetzbar sein sollen: Die Regelung einer erhöhten steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten zielt insbesondere darauf, neue Arbeitsplätze rund um den Haushalt, rund um die
Kinderbetreuung zu schaffen. Ausgehend vom Status
quo, der Schwelle von 1 548 Euro und der Begrenzung
auf 1 500 Euro, wollen wir das absetzungsfähige Gesamtvolumen deutlich erhöhen, und zwar auf
4 000 Euro.
Die ersten 1 000 Euro betreffen allgemeine Elternbeiträge, also Kosten, die von allen Eltern mit Kindern dieser Altersgruppe für Kindertagesstätten erbracht werden,
unabhängig davon ob die Eltern erwerbstätig sind oder
nicht. Die Regelung zielt aber ganz klar darauf, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. So soll berücksichtigt
werden, wenn erwerbsbedingt über den normalen Kindergarten hinausgehende Kosten für die Kinderbetreuung anfallen. Die übliche Vormittagsbetreuung ist auch
eine Frage des Bildungszugangs.
Das Steuerinstrument kann natürlich nur Eltern entlasten, die Steuern zahlen und bei denen erwerbsbedingt
hohe Kinderbetreuungskosten anfallen. Es kann kein Instrument sein, um die allgemeinen Elternbeiträge insgesamt zu senken.
Danke schön. - Ich rufe Kollegin Gesine Lötzsch auf.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Frau Ministerin, ich schließe unmittelbar an die Frage
der Kollegin Lenke an. Mich würde interessieren, ob Sie
sich überlegt haben, dass die steuerliche Absetzbarkeit
von Kinderbetreuungskosten vor allen Dingen denen zugute kommt, die sowieso ein relativ hohes Einkommen
haben, und Sie damit Familien, die ein geringes Einkommen haben, die ihren Kindern aber trotzdem eine gute
Kinderbetreuung bieten wollen, nicht fördern?
Frau Kollegin Lötzsch, eine steuerliche Progression
hat immer eine solche Wirkung; das ist gar nicht von der
Hand zu weisen. Durch die Steuerpolitik der vergangenen
Jahre sind Familien mit geringerem Einkommen aber im
Regelfall gar nicht mehr steuerpflichtig. Wenn für diese
Familien keine Steuerlast anfällt - was ja positiv zu werten ist -, dann kann natürlich auch keine Steuerentlastung
erfolgen. Allerdings sehen die Kindergartengesetze aller
Länder vor, dass die Kindergartenbeiträge für Familien
mit geringerem Einkommen oder mit Transfereinkommen gesenkt oder ganz erlassen werden.
Kollegin Ekin Deligöz.
({0})
Das habe ich übersehen. - Frau Ministerin, Sie können die nächste Gelegenheit nutzen.
Frau Staatssekretärin, Frau Ministerin, ich habe zwei
Fragen an Sie: Erstens. In der Öffentlichkeit wurde hinsichtlich der steuerlichen Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten lange Zeit eine andere Debatte geführt.
Könnten Sie uns bitte erläutern, warum das Kabinett
jetzt ein anderes Modell präferiert als das von der Ministerin ursprünglich vorgeschlagene, nämlich die Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro absetzbar zu machen? Was hat Sie dazu bewogen, diesen Beschluss zu
fällen?
Zum Zweiten: Gehen Sie davon aus, dass man im
Rahmen der Parlamentsberatungen wieder zum ursprünglichen Modell zurückkommen wird, womöglich
auf Initiative der SPD-Fraktion?
Frau Deligöz, über die Motivlage des Kabinetts kann
ich Ihnen nichts sagen; ich kann nicht in die Köpfe der
einzelnen Kabinettsmitglieder blicken und Mutmaßungen wären nicht angemessen. Frau Bundesministerin
von der Leyen hat Ihnen eben die Begründung gegeben.
Was das Gesetzgebungsverfahren anbelangt, so gibt
es kritische Stimmen aus einzelnen Ländern und von
Mitgliedern der Koalitionsfraktionen. Die heute vorgeschlagene Regelung wird noch einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Ein solches Vorgehen ist in einem Gesetzgebungsverfahren üblich.
Nun hat Kollegin Sibylle Laurischk das Wort.
Ich habe folgende Fragen an die Bundesregierung:
Erstens. Welcher Personenkreis wird voraussichtlich in
den Genuss des Mindestelterngeldes in Höhe von
170 Euro monatlich kommen? Wie soll bei der Berechnung des Elterngeldes mit den selbstständig Erwerbstätigen verfahren werden?
Zweitens. Inwieweit wird die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten Auswirkungen auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten in Höhe von bis zu 400 Euro im Monat haben?
Frau Kollegin, Ihre erste Frage kann ich Ihnen mit
Hinweis darauf, dass dieses Thema heute im Kabinett
keine Rolle gespielt hat und vorerst auch nicht spielen
wird - das Gesetz muss schließlich erst ausgearbeitet
werden -, nicht beantworten.
Ihre zweite Frage dagegen will ich Ihnen gerne beantworten. Es ist im Rahmen des § 35 a Einkommensteuergesetz weiterhin möglich, die Kosten für geringfügig beschäftigte Personen im Privathaushalt steuerlich geltend
zu machen. Der Abzug von der Steuerschuld beträgt
10 Prozent der Gesamtkosten, maximal jedoch
510 Euro. In diesem Punkt gibt es also keine Änderung.
Könnte auch Frau Ministerin von der Leyen dazu
Stellung nehmen? Das hatte sie gerade bereits beabsichtigt.
Frau Ministerin, bitte.
Auf Ihre Frage nach dem Elterngeld kann auch ich
nur sagen, was die Frau Staatssekretärin gerade geantwortet hat, nämlich dass noch gar kein Gesetz zum Elterngeld vorgelegt worden ist. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, wenn es um die Details geht und
einzelne Zahlen feststehen, werden wir diese Dinge diskutieren können.
Ich möchte noch auf die Frage zurückkommen, die
die Kollegin von der Linken gestellt hat, bei der es darum ging, dass bei Steuerprogression ein höheres Einkommen zu einer höheren Absetzbarkeit führt. Ich
möchte noch einmal ganz klar sagen, dass es in diesem
Zusammenhang um die horizontale Gerechtigkeit geht.
Wenn man Ehepaare, die ein Einkommen, zum Beispiel
2 000 oder 3 000 Euro, verdienen und Kinder erziehen,
den Paaren gegenüberstellt, die das gleiche Einkommen
erzielen, aber keine Kinder erziehen und somit keine
Kinderbetreuungskosten bewältigen müssen, um zur Arbeit gehen zu können, dann muss man sich doch fragen,
wie man damit umgehen soll. Man muss sich fragen, ob
es richtig ist, diese erzielten Einkommen gleich hoch zu
besteuern, oder ob es nicht gerechter und vernünftiger
wäre, die Kindererziehung durch eine höhere Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten steuerlich zu berücksichtigen. Man muss doch anerkennen, dass es die
steuerliche Leistungsfähigkeit mindert, wenn man hohe
Kinderbetreuungskosten hat.
Als Nächste hat Kollegin Britta Haßelmann das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich habe Verständnis dafür,
dass Sie hinsichtlich der Motivlage des Kabinetts bezogen auf die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten nicht in die Köpfe der Kabinettsmitglieder
sehen können. Deswegen meine Frage direkt an die Ministerin: Frau Ministerin, warum sind Sie von Ihrem ursprünglichen Plan der steuerlichen Absetzbarkeit der
Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro abgerückt?
Können Sie dem Parlament erläutern, warum Sie im Kabinett zu einem ganz anderen Beschluss gekommen
sind? Die Frau Staatssekretärin konnte darüber ja keine
Auskunft geben.
Der zweite Teil meiner Frage: Sie haben gerade von
sich aus das Thema Gerechtigkeit angesprochen. Was
hat Sie dazu veranlasst, in dem jetzt diskutierten Modell
die Frage der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten insbesondere in Bezug auf allein erziehende Personen nicht in ausreichendem Maße zu berücksichtigen? Man könnte auch sagen: Doppelverdiener
werden besser gestellt als Alleinerziehende. - Ich bitte
Sie, mir diese Fragen zu beantworten.
Vielen Dank.
Der ursprüngliche Plan der Bundesregierung, der
auch ich angehöre - damit war es auch mein Plan -, war,
mit diesem Investitionsvolumen mehr Beschäftigung
hervorzurufen und die steuerliche Absetzbarkeit der
Kinderbetreuungskosten zu erhöhen. Beides wurde erreicht. Dadurch, dass die absetzbaren Beträge im Volumen von heute 1 500 Euro auf 4 000 Euro deutlich steigen, ist eine wesentlich bessere Möglichkeit gegeben,
legale Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schaffen und
einen höheren Teil der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten abzusetzen.
Zur Frage nach den Alleinerziehenden: Die Kosten
für eine Tagesmutter richten sich im Allgemeinen nach
der Höhe des Einkommens und nicht danach, wie es erzielt wird, also durch Allein- oder Paarverdiener. Deshalb wurde dort die gleiche Systematik angewandt.
Auch Alleinerziehende können jetzt bis zu 4 000 Euro
absetzen.
Ich erteile Kollegin Nicolette Kressl das Wort.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin
gesagt, dass die erwerbsbedingten Betreuungskosten anders als bisher nicht in § 33 c Einkommensteuergesetz,
sondern in einem neuen § 4 f Einkommensteuergesetz,
also bei den Werbungskosten, verankert werden sollen.
Es wird nun häufig kommentiert, dass dies ein wegweisender Schritt ist. Ich frage Sie: Welche Gründe haben
Sie dazu bewogen und steht diese Entscheidung im ZuNicolette Kressl
sammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2005 bezüglich der erwerbsbedingten Betreuungskosten?
Ja, Frau Kollegin Kressl, das kann ich bestätigen. Es
gibt einen Zusammenhang mit dieser Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts. Die Bundesregierung hat
sehr wohl überlegt, den Tatbestand der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten in § 4 f und § 9 Einkommensteuergesetz unterzubringen. Um es genau zu erläutern: § 4 f Einkommensteuergesetz bezieht sich auf die
Betriebsausgaben; er gilt also für Selbstständige, Freiberufler oder Gewerbetreibende. Die Anschlussnorm enthält dann § 9 Einkommensteuergesetz; darin geht es um
Werbungskosten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Diese Regelungen für die Selbstständigen und für die abhängig
Beschäftigten sind also in §§ 4 und 9 Einkommensteuergesetz zu finden.
Ein Grund dafür, dass wir das in diesen Paragraphen
untergebracht haben, ist, dass wir ganz deutlich machen
wollten, dass dies aufgrund der Erwerbsarbeit zusätzlich
anfallende Kosten sind, die noch nicht durch den im allgemeinen Kinderfreibetrag enthaltenen Freibetrag für
Kosten der Erziehung, der Bildung und der Ausbildung
gedeckt sind, der nach geltendem Recht 1 548 Euro beträgt und allen Eltern zugute kommt, unabhängig davon,
ob sie erwerbstätig sind oder nicht.
Nun ist Kollegin Barbara Höll an der Reihe.
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Antwort die Gerechtigkeit angesprochen. Ich bitte Sie, uns noch einmal
darzulegen, aus welchen Gründen Sie eine Anhebung
des steuerlich absetzungsfähigen Betrages auf bis zu
4 000 Euro vornehmen möchten. Auch Ihnen dürfte bekannt sein, dass Personen - insbesondere Frauen -, die
ALG II oder Sozialhilfe beziehen, in vielen Kommunen,
denen es halbwegs gelingt, ein der Nachfrage entsprechendes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen zu realisieren, gar keinen Kinderbetreuungsbeitrag zahlen müssen. Das heißt, dort ist dies bereits zulasten der
Kommunen gerecht geregelt.
Warum möchten Sie den Betrag jetzt heraufsetzen
und wieso meinen Sie, dass die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen davon abhängt, ob ein sehr gut verdienendes
Ehepaar nun 3 000 Euro, 3 500 Euro oder 4 000 Euro
steuerlich geltend machen kann? Das hat sich mir überhaupt noch nicht erschlossen. Vielleicht könnten Sie das
noch darlegen.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass sich die Frage
ausdrücklich an die Frau Ministerin richtete?
Ja.
Die Frau Ministerin hat mich gebeten, die Beantwortung zu übernehmen.
Bitte.
Die Frau Ministerin hat eben dazu ausgeführt, dass
diese Regelung insbesondere der Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen in Privathaushalten dient. Ein
höherer steuerlicher Absetzungsbetrag führt dazu, dass
die Gruppe von Menschen, die über ein entsprechendes
Einkommen verfügt, im Privathaushalt sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schafft. Der
andere Aspekt dieser Regelung beinhaltet aber die Möglichkeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren,
indem auch andere Kinderbetreuungskosten, die erwerbsbedingt anfallen, zum Beispiel Kosten für Kindergärten und Horte, steuerlich geltend gemacht werden
können.
Sie haben Recht hinsichtlich der Kinderbetreuungsplätze. Ich hatte schon in der Antwort auf die Frage der
Kollegin Lötzsch ausgeführt, dass Personen mit geringem Einkommen für solche Einrichtungen in der Regel
entweder nur sehr geringe oder gar keine Beiträge leisten
müssen, weil diese Kosten von den Kommunen übernommen werden und auf diese Weise Gerechtigkeit hergestellt wird.
Kollege Carl-Ludwig Thiele, Sie haben das Wort.
Meine Frage richtet sich an Frau Bundesministerin
von der Leyen. Frau von der Leyen, bei der Kabinettsklausur in Genshagen kam es in der Frage der Kinderbetreuungskosten zu einer Vereinbarung. Für morgen war
ursprünglich die erste Lesung dieses Steuergesetzes geplant. Dieser Punkt ist von der Tagesordnung genommen
worden, weil es offensichtlich Unstimmigkeiten zwischen den Fraktionen gibt.
Das Kabinett hat, wie Frau Staatssekretärin ausgeführt hat, hinsichtlich der Kinderbetreuungskosten im
Wesentlichen das beschlossen, was in Genshagen vereinbart worden ist. Gleichwohl hat der Fraktionsvorsitzende
der SPD, Herr Struck, erklärt: Die Regierung kann beschließen, was sie einbringt, das Parlament aber entscheidet. - Das ist bestimmt ein zutreffender Satz.
Angesichts der Diskussionen, die in diesem Punkt
momentan zwischen Union und SPD stattfinden, habe
ich an Sie die Frage: Gehen Sie davon aus, dass dieser
Kabinettsbeschluss den Bundestag unverändert passieren wird? Wenn nicht: Wie würden Sie sich eine andere
Einigung vorstellen, wenn die Summe von 460 Millionen Euro als Finanzdeckel bestehen bleiben soll?
Die Bundesregierung wird den Gesetzentwurf einbringen. Dann durchläuft er das normale parlamentarische Verfahren. Dabei haben die Parlamentarier das
Wort. Der Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung ist gut und
richtig, gerade auch vor dem Hintergrund einer besseren
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Schaffung
neuer Arbeitsplätze. Die Diskussion kann jetzt geführt
werden. Was aber das Parlament schlussendlich entscheidet, kann ich nicht vorhersagen.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen, Herr Präsident?
Ich wurde gerade daran erinnert, dass Frau Hendricks
für die Bundesregierung zur Beantwortung der Fragen
benannt worden ist. Ich bitte darum, gelegentlich in Erinnerung zu behalten, dass vor allem an sie die Fragen zu
richten sind. - Bitte.
Im Allgemeinen werde ich das berücksichtigen, aber
im Einzelfall möchte ich die Frau Ministerin gerne noch
etwas fragen.
({0})
Sie sind gleich vielleicht wieder dran, Frau Kollegin
Hendricks.
Abschließend möchte ich Sie fragen: Sie gehen also
davon aus, dass hiermit ein Verfahren eingeleitet wird,
dessen parlamentarisches Ergebnis derzeit noch nicht
absehbar ist?
({1})
Ich gehe davon aus, dass die Spielregeln unserer demokratischen Ordnung berücksichtigt werden. Der Gesetzentwurf, hinter dem die gesamte Bundesregierung
steht, steht jetzt zur Diskussion.
({0})
Nun hat noch einmal Kollegin Ekin Deligöz das Wort.
Auch ich richte meine Frage an die Frau Ministerin.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, dass deutlich
mehr Arbeitsplätze geschaffen und Eltern entlastet werden. Könnten Sie uns gegenüber quantifizieren, was Sie
unter „deutlich mehr Arbeitsplätzen“ verstehen? Unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass die Betreuungskosten oftmals unter der Grenze von 1 000 Euro liegen, weil
verstärkt Halbtagskindergartenplätze in Anspruch genommen werden und die Kosten damit geringer ausfallen, weise ich zudem darauf hin, dass diese Gruppe - ich
nenne zum Beispiel die in Teilzeit arbeitende Mutter überhaupt keinen Vorteil von dieser Regelung hat. Eine
weitere Frage: Wie werden Sie das Ganze gegenfinanzieren? Welche Quelle schlagen Sie zur Finanzierung
dieser Entlastung vor?
({0})
Bitte schön.
Die 25 Milliarden Euro Investitionsvolumen sind
gegenfinanziert. Zur Frage, ob dadurch mehr Beschäftigung ausgelöst werden wird: Ich bin der festen Überzeugung, dass dies zur Schaffung von legalen Arbeitsplätzen führen wird; denn es ist für viele interessant, die
Kosten rund um das Thema Tagesbetreuung steuerlich
absetzen zu können. Quantifizieren kann man dies nicht;
denn es ist nicht vorhersehbar, wie viele Plätze geschaffen werden.
({0})
Nun hat Kollege Georg Fahrenschon das Wort.
Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf
den Teil, der - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen den Löwenanteil der steuerlichen Entlastung ausmacht,
nämlich die Veränderungen, die die Bundesregierung in
ihrem Gesetzentwurf bei den Abschreibungsbedingungen durch eine befristete Anhebung der degressiven AfA
für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens
vornimmt. Im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf, der rückwirkend zum 1. Januar 2006 in Kraft treten soll, interessiert mich - auch die betroffenen Unternehmer haben sicherlich ein sehr starkes Interesse daran -,
wie Sie die Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft einschätzen, von dieser Änderung möglichst zügig Gebrauch zu machen. Gibt es schon Überlegungen, wie dieses Verfahren umgesetzt werden kann, und auf welche
zeitliche Perspektive, ab wann sie von der Möglichkeit
Gebrauch machen können, müssen sich die Unternehmer
einstellen?
Herr Kollege Fahrenschon, ich bin für diese Fragen
sehr dankbar. Da es uns gemeinsam darum geht, die
Wirtschaft zu beleben, sollen die Maßnahmen, die heute
von der Bundesregierung im Parlament vorgestellt werden, so rasch wie möglich wirken. Deswegen - darauf
habe ich eben in meinen Ausführungen hingewiesen sollen die verbesserten Abschreibungsbedingungen
rückwirkend ab dem 1. Januar dieses Jahres gelten. Das
heißt, jede Investition, die in diesem und im nächsten
Jahr getätigt wird, profitiert von den verbesserten Abschreibungsbedingungen bei der so genannten degressiven AfA durch die Erhöhung von 20 auf 30 Prozent.
Dabei hat die Bundesregierung sehr zielgerichtet vorgesehen - das wurde auch in der Koalitionsvereinbarung
so verabredet -, dass diese Maßnahme auf zwei Jahre
begrenzt wird. Das hat zwei Gründe: Zum einen soll in
der Tat das erhöhte Abschreibungsvolumen dazu dienen,
bei Investitionsüberlegungen zu rascheren Entscheidungen zu kommen. Diese Regelung soll zum anderen ganz
bewusst auf zwei Jahre - bis Ende des Jahres 2007 - begrenzt werden, weil wir verbindlich vereinbart haben,
mit Wirkung ab dem Jahr 2008 ein neues Unternehmensbesteuerungsrecht zu schaffen. Um den für die sorgfältige Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens für ein
völlig neues Unternehmenssteuerrecht benötigten Zeitraum nicht zulasten der Wirtschaft ungenutzt verstreichen zu lassen, schlagen wir für diesen Zeitraum - dieses und das nächste Jahr - eine Verbesserung der
Abschreibungsbedingungen vor.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Koalitionsfraktionen diesem Vorschlag folgen werden. Deshalb kann sicherlich auch mit Zustimmung des Hauses festgestellt
werden, dass diese Regelung für jede Investition gilt, die
ab dem 1. Januar dieses Jahres getätigt worden ist und in
diesem und im nächsten Jahr weiter getätigt wird.
Nun hat Kollege Leo Dautzenberg das Wort zu einer
Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
sehr wichtig in dem Gesetzentwurf ist die darin eingeschlagene Richtung, den privaten Haushalt als Arbeitgeber anzuerkennen und dadurch Beschäftigungsimpulse
zu schaffen. Ich habe aber eine Frage zu einem Punkt in
dem Gesetzentwurf - sie schließt an die Frage des Kollegen Fahrenschon zu dem Bereich der degressiven AfA
an -, nämlich zu der Istversteuerung bei der Umsatzsteuer. In den neuen Ländern wird diese Praxis bereits
angewandt. Sehen Sie keine Schwierigkeiten, dass für
den Übergang wieder auf alte Verfahren abgestellt wird?
Ist sichergestellt, dass das Gesetz, auch wenn es vielleicht erst im März oder April verabschiedet wird, auch
in den neuen Ländern mit Wirkung vom 1. Januar 2006
in Kraft treten kann?
Das muss ich korrigieren. Ich habe das zwar eben
schon richtig ausgeführt, aber ich möchte nicht, dass ein
falscher Eindruck stehen bleibt. Die Verbesserung bei
der Istversteuerung bezogen auf die alten Bundesländer
wird zum 1. Juli 2006 erfolgen. Damit wird die Umsatzgrenze bei der Istversteuerung von zurzeit 125 000 Euro
auf 250 000 Euro verdoppelt. Dadurch entsteht den kleineren und mittleren Unternehmen ein Liquiditätsvorteil,
von dem sie profitieren können.
Im Übrigen liegt in den neuen Bundesländern die
Umsatzgrenze bei der Istversteuerung bei 500 000 Euro.
Diese Regelung wäre eigentlich zum Ende des Jahres
2006 ausgelaufen. Wir haben aber die Gelegenheit genutzt, die Geltungsdauer dieser Regelung bis zum Ende
des Jahres 2009 zu verlängern, sodass schon jetzt die
Unternehmen in den neuen Bundesländern die Sicherheit
haben, dass die Regelung, von der sie bereits profitieren,
mindestens drei weitere Jahre gilt.
Die Anhebung der Umsatzgrenzen bei der Istversteuerung kann allerdings nicht rückwirkend gelten. Die Umsatzsteuervoranmeldungen laufen ja bereits. Aber man
kann bei Verbrauchsteuern prinzipiell auch unterjährig
Änderungen vornehmen. Daher bietet sich das Ende des
laufenden Halbjahres an. Die Änderung wird also zum
1. Juli dieses Jahres erfolgen.
Mir liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Zuerst
Kollege Jörg-Otto Spiller und dann Kollegin Christine
Scheel.
Frau Staatssekretärin, der Gesetzentwurf sieht unter
anderem vor, dass private Haushalte Aufträge an Handwerker für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Haushalt bis zu einer Obergrenze von
600 Euro im Jahr von der Einkommensteuerschuld abziehen können. Das ist, glaube ich, für den Bereich des
mittelständischen Handwerks eine sehr wichtige Maßnahme. Es wäre daher interessant, zu wissen - weil das
ab 1. Januar dieses Jahres gelten soll -, wie die privaten
Haushalte und das Handwerk nun damit umgehen sollen.
Herr Kollege Spiller, ich bin froh, dass ich das noch
einmal verdeutlichen kann. Ich bin sehr sicher, dass im
parlamentarischen Verfahren keine Änderungen mehr erfolgen werden. Die beiden Koalitionsfraktionen haben
sozusagen in ihrer Gesamtheit signalisiert, dass sie diese
Maßnahme begrüßen. Man kann sich also schon jetzt
- wir haben heute den 18. Januar - darauf verlassen.
Jede Handwerksleistung, die seit dem 1. Januar dieses
Jahres erbracht wird und für die eine Rechnung infolge
der Erbringung einer Leistung ausgestellt worden ist,
kann, sofern sie mit einer Tätigkeit am Haus, am Grundstück oder an der Wohnung zusammenhängt, ab dem
1. Januar dieses Jahres steuerlich geltend gemacht werden. Es wird ermöglicht, 20 Prozent der Arbeitskosten
- die Dienstleistung darf bei vollständiger Berücksichtigung einen Wert von 3 000 Euro nicht überschreiten von der Steuerschuld abzuziehen. Diese Regelung bezieht sich also auf die Arbeitskosten, nicht auf die Mate658
rialkosten. Schließlich entstehen jedem Materialkosten,
auch Schwarzarbeitern. Insofern haben wir die Regelung
ganz bewusst auf die Arbeitskosten bezogen.
Natürlich muss man Rechnungen vorlegen und über
einen Bankbeleg nachweisen, dass diese tatsächlich bezahlt worden sind. Bargeldgeschäfte empfehlen sich also
in diesem Zusammenhang nicht, weil sonst wieder eine
gewisse Nähe zur Schwarzarbeit gegeben sein könnte.
Darauf können sich die Finanzämter nicht verlassen.
Aber alle Bürgerinnen und Bürger, die einen Auftrag erteilen, der an ihrem Haus, ihrer Wohnung oder in ihrem
Garten ausgeführt wird, können die entsprechende
Summe steuerlich geltend machen. Dies gilt ab sofort,
genau genommen seit knapp drei Wochen.
Nun Kollegin Christine Scheel.
Frau Staatssekretärin, ich möchte auf die steuerliche
Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten zurückkommen. Es gibt zwar einen entsprechenden Kabinettsbeschluss, aber damit einher geht vor allem in den Regierungsfraktionen eine intensive Debatte über eine
Absetzbarkeit der Kosten der Betreuung von Kindern bis
zum vollendeten sechsten Lebensjahr ab dem ersten
Euro. Es ist zu lesen, dass große Teile der SPD-Fraktion
eine solche Regelung favorisieren. Ich habe der Presse
entnommen, dass sich die CSU diesem Begehren anschließt. Gleichzeitig wird gesagt - das hat auch die Frau
Ministerin eben getan -, man sei gewillt, im Bereich der
Familienförderung etwas zu tun und so Arbeitsplätze zu
schaffen. Damit wurde die Notwendigkeit der Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten bis zu 4 000 Euro
begründet. Der Finanzminister Steinbrück wiederum
sagt, mehr als 460 Millionen Euro gebe es nicht; mehr
sei nicht gegenfinanziert.
Angesichts dieses ganzen Wusts von Meinungen und
Stellungnahmen einzelner Mitglieder der Regierungsseite, aber auch der Fraktionen, würde mich doch interessieren, was unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten - die
Grünen waren immer für eine Abzugsfähigkeit ab dem
ersten Euro, um das in Erinnerung zu rufen - ({0})
- Weil die SPD damals nicht wollte; das muss man auch
einmal klar sagen.
({1})
Sie haben es sich anders überlegt. Sie haben dazugelernt.
In dem Kontext würde uns interessieren, was es bedeuten würde, wenn man die Abzugsfähigkeit ab dem
ersten Euro erlauben würde, und zwar unabhängig vom
Alter, und - damit verbunden - die Grenze von
4 000 Euro nicht antasten würde. Wie groß wäre dann
das Volumen? Es irritiert mich nämlich etwas, zu lesen,
dass nur 2 000 Euro abgesetzt werden könnten, wenn die
Abzugsfähigkeit schon ab dem ersten Euro gegeben
wäre. Damit würde doch das Ansinnen der Ministerin,
Arbeitsplätze im Haushalt durch steuerliche Anreize zu
schaffen, ein Stück konterkariert.
Frau Kollegin Scheel, es ist so, dass in diesem Zusammenhang zwei Ziele verfolgt werden, nämlich zum
einen die Möglichkeit, Beschäftigungsverhältnisse im
Haushalt zu schaffen, und zum anderen die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie. Auf beides hatte ich in meinen
einleitenden Worten hingewiesen. Ich hatte Ihnen im
Übrigen auch gesagt, dass in der Öffentlichkeit schon
bekannt geworden ist, dass sich einzelne Bundesländer
und Vertreter der Koalitionsfraktionen kritisch zu diesem
Vorschlag des Bundeskabinetts geäußert haben. Ich hatte
Ihnen schon im Zusammenhang mit einer der ersten Fragen, die ich beantwortet habe, gesagt, dass es sicherlich
im Gesetzgebungsverfahren noch weitere Überlegungen
geben wird. Das ist ja auch nicht von der Hand zu weisen. Dazu sind Gesetzgebungsverfahren da. Das werden
Sie nach Ihrem Selbstverständnis als Parlamentarierin sicherlich nicht anders sehen.
Ich kann Ihnen die genaue Zahl jetzt nicht nennen. Es
ist aber klar - da sind sich die Bundesregierung und zumindest die Finanzpolitiker der Koalitionsfraktionen einig; ich gehe davon aus, dass das auch für die Familienpolitiker der Koalitionsfraktionen gilt -: Es gibt vor dem
Hintergrund einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik keine Möglichkeit, die angenommenen 460 Millionen Euro zu erhöhen. Darüber herrscht Einvernehmen.
Deswegen liegt es auf der Hand, dass dann, wenn man
keinen Selbstbehalt von 1 000 Euro haben will, die
Summe, die abgesetzt werden kann, sinken muss. Das
verhält sich wie in einem System kommunizierender
Röhren. Auf die Größenordnung will ich mich jetzt nicht
festlegen. Wenn man keinen Selbstbehalt hat und man
bei der Summe von 460 Millionen Euro bleibt, dann
kann der Abzugsbetrag nicht so hoch sein, wie jetzt angenommen.
Die halbe Stunde Zeit für die Regierungsbefragung ist
vorüber. Ich beende sie also und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/357, 16/367 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß unseren
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf.
Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch den Parlamentarischen Staatsekretär Hermann Kues.
Wir kommen zunächst zu der ersten dringlichen Frage
der Abgeordneten Kerstin Andreae:
Beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund
der Äußerungen der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, in der „Bild am
Sonntag“ vom 15. Januar 2006 dahin gehend initiativ zu werden, dass die Gebühren für Kindertagesstätten abgeschafft
werden, und, wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung die
Finanzierbarkeit dieser Initiative sicherzustellen?
Herr Kues, Sie haben das Wort.
Nach geltendem Recht können Länder und Kommunen eigenverantwortlich entscheiden, ob und in welcher
Höhe sie Elternbeiträge für die Inanspruchnahme von
Kindertagesstätten erheben wollen. CDU/CSU und SPD
haben sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, mit
den Ländern gemeinsam nach Wegen zu suchen, die bereits in einigen Ländern vorgesehene bzw. umgesetzte
Gebührenbefreiung der Eltern im letzten Kindergartenjahr bundesweit zu realisieren. Auch die Sachverständigenkommission zum Zwölften Kinder- und Jugendbericht spricht sich für eine grundsätzliche Beitragsfreiheit
für die Inanspruchnahme insbesondere auch frühzeitig
einsetzender Kindertagesbetreuung aus. Sie stellt fest, die
Beitragsfreiheit spiele eine entscheidende Rolle zur Beseitigung ökonomischer Hürden für die Inanspruchnahme öffentlich verantworteter Kinderbetreuung, und
unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung und Wertschätzung früher Bildung für alle Kinder. Einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Möglichkeit, Elternbeiträge
für die Inanspruchnahme von Kindertagesbetreuung zu
erheben, wird die Bundesregierung nur in enger Abstimmung mit den Ländern vorlegen. Wichtigstes Ziel ist und
bleibt vorerst jedoch der Ausbau der Kinderbetreuung
nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz.
Kollegin Andreae, Sie wollen nachfragen.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Kues, Sie haben
gesagt, der Ausbau der Zahl von Betreuungsplätzen vor
allem für die kleinen Kinder habe Vorrang. Teilen Sie
meine Ansicht, dass die Ministerin in der „Bild am
Sonntag“ eine Illusion geweckt hat?
Nein, diese Auffassung teile ich nicht. Wenn man
möchte, dass Kinderbetreuungskosten vom ersten Euro
an absetzbar sind, dann muss man sich darüber klar werden, dass das eine allgemeine Förderung von Familien
mit Kindern bedeutet. Folglich muss man darüber reden,
auf welche Art und Weise man dieses Ziel erreicht, ohne
die eine oder andere Familie zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Außerdem muss man darüber sprechen,
wie man die Kindertagesstättengebühren überhaupt gestaltet. Insofern gibt es da einen sachlichen Zusammenhang.
Bitte schön, eine weitere Nachfrage.
Wir haben eben die steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten erörtert und überlegt, ob es, langfristig
gesehen, sinnvoll ist, Kitagebühren gar nicht mehr zu erheben. Herr Staatssekretär, sehe ich es richtig, dass Sie
dies zulasten der Kommunen erreichen wollen?
Nein, davon kann keineswegs die Rede sein. Man
muss Folgendes sehen: Das Gesetz, das im Kabinett
heute Morgen beschlossen worden ist, verfolgt einen
ganz bestimmten Ansatz, nämlich die Förderung von
Beschäftigung und Wachstum. In diesem Zusammenhang sind Elemente vorgesehen, die auch eine familienfördernde Wirkung haben. Wenn man eine darüber hinausgehende Wirkung erzielen möchte, muss man
gesetzgeberisch einen anderen Weg gehen. Dabei muss
man berücksichtigen, dass es auf Länder- und kommunaler Ebene bestimmte Zuständigkeiten gibt.
Zu dieser ersten dringlichen Frage möchten zwei Kolleginnen eine Nachfrage stellen.
Zunächst hat die Kollegin Deligöz das Wort, dann die
Kollegin Haßelmann.
Herr Staatssekretär Kues, gedenkt das Ministerium, in
absehbarer Zeit eine Gesetzesinitiative zu ergreifen, damit kostenlose Kinderbetreuungsplätze Realität werden?
Ist dies mit dem Finanzministerium abgesprochen?
Ich habe schon eingangs darauf hingewiesen: Wenn
solche Wege beschritten werden sollen, dann muss es
Absprachen zwischen den Ländern und dem Bund geben. Wie man auch der Presse entnehmen kann, gibt es
in den einzelnen Bundesländern verschiedene Überlegungen, zumindest das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei zu gestalten. Man wird darüber Gespräche führen
müssen. Das Ergebnis wird man abzuwarten haben.
Frau Haßelmann, eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wir sind binnen sehr kurzer Zeit
vonseiten der Ministerin und des Ministeriums mit verschiedenen familienpolitischen Initiativen konfrontiert
worden. Unsere Fraktion setzt sich damit natürlich sehr
gern auseinander. Wir bewerten sie und bringen eigene
Vorschläge ein. Innerhalb der letzten drei Wochen
wurden folgende Themen behandelt: Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, Elterngeld, Abschaffung sämtlicher
Kitagebühren. Welche Initiativen planen Sie noch? Wollen Sie zu allen von mir angesprochenen Maßnahmen
gesetzliche Initiativen ergreifen? Ich möchte das erfahren, damit sich unsere Fraktion darauf vorbereiten kann.
Auch was die öffentliche Diskussion angeht, möchten
wir ein bisschen mehr Klarheit bekommen.
Es gibt zunächst einmal einen ganz konkreten Gesetzentwurf, der heute vom Kabinett verabschiedet worden
ist. Er wird nun parlamentarisch beraten. Das Ergebnis
werden wir sehen.
Parallel dazu bereiten wir einen Gesetzentwurf zum
Elterngeld vor. Da gibt es einen zeitlichen Ablauf, der
auch im Ausschuss besprochen worden ist. Darüber wird
ab Mitte des Jahres intensiver diskutiert werden.
Ich rufe die zweite dringliche Frage der Abgeordneten Kerstin Andreae auf:
Welche Kosten würden bei einer generellen Kitabeitragsfreiheit auf die kommunalen Träger zukommen und inwieweit
konterkariert diese Kostenbelastung das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Kommunen finanziell zu stärken?
Die Höhe der Elternbeiträge, die für die Kinderbetreuung in Krippen, Kindergärten und Horten gezahlt
werden, beträgt jährlich circa 2 bis 2,1 Milliarden Euro.
Die exakte Summe kann nicht genannt werden, da für
die Elternbeiträge an die Träger von Einrichtungen der
freien Jugendhilfe keine statistischen Erhebungen vorliegen und da deren Höhe somit auf einer Schätzung beruht. Um eine kostenbeitragsfreie Tagesbetreuung, die
dem aktuellen Umfang entspricht, zu gewähren, müsste
von den Kommunen daher jährlich die Summe von circa
2 Milliarden Euro aufgebracht werden.
Was die Abschaffung der Kindergartenbeiträge mit
der Folge einer weiteren Belastung für die Kommunen
angeht, wird auf die Antwort auf die erste dringliche
Frage verwiesen.
Frau Andreae, haben Sie dazu eine Nachfrage?
Auf alle Fälle. - Herr Staatssekretär, Sie sprechen davon, dass das ungefähr 2 Milliarden Euro kosten würde.
Ich möchte wissen, ob Ihnen bekannt ist, dass die
Finanzsituation der Kommunen prekär ist und dass die
Kommunen aufgrund dieser Situation nicht in der Lage
sind, den Gebührenausfall in Höhe von 2 Milliarden
Euro zu stemmen, und welche Gegenfinanzierung Sie
vorschlagen.
Es gibt Vorschläge im Zusammenhang mit der Finanzierung der Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes. Dort wird sicherlich ein Schwerpunkt liegen. Sie
kennen auch die Summen, die da im Raum stehen. Über
die Zahlen hat man sich noch nicht im Einzelnen verständigt. Die eine oder andere Kommune hat in der öffentlichen Debatte gerade in den letzten Tagen darauf
hingewiesen, dass sie versuchen wird, die Finanzierung
durch Umschichtungen hinzubekommen. Ich sage aber
ausdrücklich dazu: Wenn man es umfassend angehen
will, dann bedarf es gründlicher Gespräche zwischen
dem Bund und den Ländern und dann muss man sich
über die Schritte sowie über die zeitliche Folge dessen,
was möglich ist, unterhalten. Das wird abzuwarten sein.
Jetzt hat sich eine Reihe anderer Kollegen zu Nachfragen gemeldet. Haben auch Sie noch eine weitere
Nachfrage?
({0})
- Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben Recht damit, dass wir
den Ausbau der Kinderbetreuung in der letzten Legislatur gegenfinanziert haben.
({0})
Aber die Kosten, über die wir jetzt sprechen, kämen
dazu; denn es geht nicht um den Ausbau von Betreuung,
sondern es geht um die Übernahme von Kitagebühren.
Ich möchte konkret nachfragen, inwieweit Sie Vorstellungen dazu haben, die Kommunen finanziell zu entlasten, damit diese die 2 Milliarden Euro dann stemmen
können.
Es gibt in dem Diskussionszusammenhang keinerlei
Überlegungen in dieser Richtung. Ich sage aber ausdrücklich, dass die Forderung erhoben worden ist, über
das Gesetz hinaus, das jetzt verabschiedet worden ist,
mehr für Familienförderung und Kinderbetreuung zu
tun. Man muss darüber reden, wie man das am besten
hinbekommt. Eine Möglichkeit wäre - davon würden
alle Familien profitieren -, die Kindergartenbeiträge zu
senken.
Kollegin Deligöz.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, gab es dazu bisher noch keine Abstimmung innerhalb des Kabinetts, auch nicht mit den Kommunen oder
den Ländern. Kann man angesichts dessen sagen, dass
dieser Vorschlag in der „Bild am Sonntag“ ein Alleingang der Ministerin war - ohne jegliche Debattenbasis
vorher?
Nein, das kann man sicherlich nicht sagen. Wir müssen unterscheiden zwischen einem konkreten Gesetzgebungsverfahren und einer allgemeinen politischen Debatte darüber, wie Familienförderung gestaltet werden
sollte. Der Beitrag der Ministerin in der „Bild am Sonntag“ ist sicherlich ein allgemeiner familienpolitischer
Beitrag gewesen,
({0})
natürlich vor dem Hintergrund der Diskussion, die wir in
den letzten Tagen geführt haben.
({1})
Frau Lenke, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, haben Sie auf die Frage, wie viel die Beitragsfreiheit in Kindergärten die Kommunen kosten würde, gesagt, das würde 2,5 Milliarden Euro kosten.
2 Milliarden Euro.
2 Milliarden Euro würde es kosten. Sie haben aber
auch gesagt, 2,5 Milliarden Euro würden von den Kommunen schon jetzt ausgegeben. Wenn zwischen 70 und
80 Prozent der Kindergartenbeiträge von den Kommunen und nur 20 bis 30 Prozent von den Eltern bezahlt
werden, dann kann das nicht ein gleich großer Betrag
sein.
Die Kollegin von den Grünen hat doch tatsächlich behauptet, dass in der letzten Legislaturperiode jedes Jahr
1,5 Milliarden Euro vom Bund über die Länder an die
Kommunen für die Betreuung unter Dreijähriger geflossen sind. Ich bitte Sie, mir zu sagen: Wie viel haben die
Länder bekommen? Sind das im Jahr 2005
1,5 Milliarden Euro gewesen und wie viel bekommen sie
im Jahr 2006 von der neuen Regierung?
Um auf das Letzte einzugehen: Frau Kollegin Lenke,
Sie haben sicherlich wahrgenommen, dass es eine Diskussion darüber gibt, wie viel Geld bei den Kommunen
tatsächlich angekommen ist. Wir gehen davon aus, dass
es 1,5 Milliarden Euro sein müssen. Man stellt dazu Berechnungen an. Darüber wird noch gestritten. Die Bundesregierung hat immerhin beschlossen, dass es bei dem
derzeitigen Verfahren bleiben soll, sodass es keine Reduzierung gibt. Auch diesbezüglich wird man irgendwann
Bilanz zu ziehen haben, um festzustellen, wie viel es tatsächlich gewesen ist. Wenn man sich in den Kommunen
und in den Ländern umsieht, gewinnt man den Eindruck,
dass sehr intensiv am Aufbau einer Betreuungsstruktur
gearbeitet wird, was darauf hindeutet, dass das Ziel insgesamt eigentlich von allen Ebenen verfolgt wird.
Kollege Singhammer, bitte.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, dass sich mit der Neukonzeption der Familienpolitik, wie sie die Ministerin
jetzt eingeleitet hat, die Betreuungsmöglichkeiten gerade
für Eltern, die erwerbstätig sind, insgesamt deutlich verbessern werden, dass neue Impulse auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden und die Schwarzarbeit eingedämmt wird?
Herr Abgeordneter Singhammer, ich glaube, dass das
zutrifft. In der Tat ist es so, dass wir jetzt in einem Bereich, in dem Beschäftigung bislang nicht immer legal
entstanden ist, ganz legale Beschäftigungsmöglichkeiten
schaffen. Es ist auch ein Signal gerade an junge Leute,
dass die Bundesregierung Voraussetzungen dafür schaffen will, dass Familie und Beruf leichter miteinander
vereinbart werden können.
Wir kommen damit zur dritten Dringlichkeitsfrage,
zur Frage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zur Finanzierung der am letzten Wochenende von der Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der
Leyen, vorgeschlagenen generellen Streichung der Kindergartengebühren?
Herr Staatssekretär, bitte.
Diese Frage beinhaltet eigentlich das gleiche Thema
wie die erste dringliche Frage, weshalb ich meine darauf
gegebene Antwort nur wiederholen kann. Es ist in der
Tat so, dass die Kommunen und Länder hier eigenverantwortlich entscheiden, dass es allerdings Gespräche
geben wird, was man in diesem Fall gegebenenfalls noch
zusätzlich tun kann. Aber das ist eine offene Diskussion,
die bisher keine konkreten Schritte nach sich gezogen
hat. Da wird man den weiteren Gesprächsverlauf abzuwarten haben.
Kollegin Enkelmann.
Herr Staatssekretär, ist die Tatsache, dass die Ministerin ausgerechnet bei diesen Fragen das Parlament verlassen hat, möglicherweise Ausdruck dessen, dass ihr Vorschlag von dem Rest der Bundesregierung nicht
mitgetragen wird?
Es ist so, dass die Ministerin einen anderen wichtigen
Termin hat; das Wirtschaftskabinett tagt gegenwärtig.
Ich glaube, dass man dafür Verständnis haben muss. Sie
war ja im ersten Teil, als es um den Kabinettsbericht
ging, hier anwesend.
Eine zweite Frage. Inwieweit ist der Bund bereit, sich,
analog zum Beispiel zu den Unterkunftskosten bei
Hartz IV, an den Mehrkosten, die ein solcher Vorschlag
für die Kommunen nach sich ziehen würde, zu beteiligen?
Die Bundesregierung hat klar beschlossen, dass für
den Aspekt, über den wir eben diskutiert haben,
460 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Das
wird auch mehr oder weniger das letzte Wort sein, wie
ich das einschätze. Insofern steht das gegenwärtig nicht
zur Debatte.
Kollegin Höll, bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein,
dass es eigentlich den Eltern überlassen sein sollte, auszuwählen, in welcher Form sie ihre Kinder betreuen lassen möchten, ob für sie in erster Linie wichtig ist, dass
die Kinder das Recht auf gemeinschaftliche Erziehung
verwirklichen können, ob sie entsprechende qualifizierte
Betreuung in Kindertagesstätten, sprich: durch ausgebildete Erzieherinnen bzw. Erzieher - Letztere eher in geringerem Maße - haben möchten? Wenn Sie mir zustimmen: Könnte es sein, dass dieser Ansatz mit Ihren
Vorstellungen konterkariert wird, da es Ihnen, wie in den
bisherigen Darlegungen deutlich zu hören war, insbesondere darum geht, die so genannten Tagesmütter zu stärken?
Ich kann Ihnen da nicht zustimmen. Ich glaube, dass
in dem konkreten Gesetzentwurf, so wie er heute Morgen beschlossen worden ist, sehr wohl auf sehr unterschiedliche Lebensformen Rücksicht genommen wird.
Der Betreuungsbetrag ist sowohl bei den Werbungskosten angesiedelt, die immer etwas mit der Erwerbstätigkeit zu tun haben, als auch bei den haushaltsnahen
Dienstleistungen, was denjenigen zugute kommt, bei denen keine erwerbsbedingten Kosten anfallen. Insofern
glaube ich, dass wir die unterschiedlichen Lebensformen
- darüber sollen die Eltern in der Tat selbst entscheiden im Blick haben. Aber man wird nicht alles gleichzeitig
mit der gleichen Intensität bewegen können. Deswegen
muss man auch klar sagen: Der Schwerpunkt liegt hier
auf der Vereinbarkeit von Familie und Beruf; so ist der
Gesetzentwurf angelegt.
Kollegin Hirsch, bitte.
Wir haben jetzt viel darüber diskutiert, was durch diesen Vorschlag auf die Kommunen zukommen würde. In
der kommenden Woche haben wir einen Antrag zu
Bolkestein auf der Tagesordnung. Das betrifft auch das
Thema Bildung; denn das wird gerade Auswirkungen
auf den Kindergartenbereich haben. Deshalb ist meine
Frage, inwieweit sich die Bundesregierung, wenn sie
schon den aus unserer Sicht politisch sinnvollen Vorstoß
macht, auf eine kostenfreie Kitazeit hinzuwirken, auf europäischer Ebene gegen Bolkestein einsetzt, um eine
weitere Privatisierung im Kindergartenbereich zu verhindern.
Ich habe eben schon etwas zu den weiteren Schritten
gesagt. Zunächst einmal muss deutlich gesagt werden,
dass hier etwas auf den Weg gebracht worden ist, was
für viele Familien sehr positiv sein wird, weil es eine
Verbesserung bedeutet. Die weiteren denkbaren Aspekte
muss man gemeinsam mit den Ländern diskutieren,
wenn man zusätzliche Schwerpunkte setzen will.
Kollegin Flachsbarth, bitte.
Herr Staatssekretär, stellt sich die neue Bundesregierung endlich der gesellschaftlichen Realität, dass wir
eine im weltweiten Vergleich niedrige Geburtenrate haben, dass das Alter von Frauen, die zum ersten Mal ein
Kind bekommen, über 29 Jahre liegt und dass über
95 Prozent aller 30-Jährigen berufstätig sind?
Ich denke, dass die Bundesregierung dies tut. Wir
dürfen aber nicht meinen, dass wir mit einer Maßnahme
alle Herausforderungen, die es auf diesem Gebiet gibt, in
dem Sinne, wie Sie es gerade beschrieben haben, umfassend angehen können. Wir müssen vielmehr - das ist ein
wichtiger Punkt - Schritt für Schritt vorgehen.
An die junge Generation müssen wir das Signal aussenden, dass es ganz wichtig ist, sich neben der beruflichen Tätigkeit auch der Familie und den Kindern zu
widmen. Ich denke, dass die Bundesregierung diese
große gesellschaftspolitische Herausforderung erkannt
hat - das zeigt auch die öffentliche Debatte - und konsequent daran arbeitet, darauf die richtigen Antworten zu
finden.
Kollegin Andreae.
Ich möchte noch einmal auf den Zusammenhang mit
dem Gesetz, über das wir vorhin diskutiert haben, hinweisen. Der Grund, warum eine Unterscheidung zwischen Kindern im Alter von null bis sechs Jahren und
Kindern im Alter von sieben bis 14 Jahren getroffen
werden soll, hat sich uns vorhin teilweise noch nicht erschlossen. Nach Ihren Ausführungen zu den Kitagebühren, die Sie gerade gemacht haben, wird Ihre Position ein
bisschen logischer: Langfristig sollen zumindest die
Kosten für die Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten im Alter zwischen null bis sechs Jahren nicht
mehr anfallen, also brauchen sie auch nicht mehr abgesetzt zu werden.
Noch einmal meine Frage: Stimmen Sie mit mir darin
überein, dass eine Nichterhebung von Kitagebühren
- und damit auch die Abzugsfähigkeit der Betreuungskosten für Kinder von null bis sechs Jahren - zulasten
der Kommunen ginge?
Ich glaube, dass es einen sachlichen Zusammenhang
zwischen der Frage, ab welchem Alter Betreuungskosten
absetzbar sind, und den Kosten für den Besuch des Kindergartens gibt. Wenn man die Kosten für den Kindergartenbesuch berücksichtigen will, dann muss man konsequenterweise ähnliche Überlegungen für alle anderen
Formen der Betreuung anstellen. Insofern gibt es einen
sachlichen Zusammenhang, allerdings nicht mit Blick
auf das jetzige Gesetzgebungsverfahren.
Kollegin Fischbach, bitte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass die
Wahlfreiheit der Eltern in Bezug auf Betreuungsangebote - die Wahlfreiheit hat die Kollegin von der Linken
als Argument angeführt - die neue Bundesregierung gerade dadurch schafft, dass wir ergänzende und alternative Betreuungsangebote fördern? Denn auch mit einem
gut ausgestatteten Kindergarten- oder Krippenplatz kann
man nicht sicherstellen, dass die Zeiten, zu denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer normalerweise arbeiten müssen, abgedeckt werden.
Stimmen Sie mir zu, dass es unbedingt notwendig ist,
dass es ein qualitativ gutes Angebot an Tagesmüttern
gibt und dass die neue Bundesregierung verstärkt darauf
setzen sollte? Gehen auch Sie davon aus, dass wir mit
diesem Angebot, mit dem den Eltern eine besondere
Möglichkeit der Wahlfreiheit eröffnet wird, dafür sorgen
können, dass die Eltern selber entscheiden können, was
die beste Betreuung zum Wohle ihres Kindes ist?
Frau Abgeordnete, ich stimme Ihnen an dieser Stelle
ausdrücklich zu. Ich bin in der Tat der Auffassung, dass
mit diesem Gesetz für diese Form der Betreuung Angebote gemacht werden. Aber auch andere Entscheidungen
der Eltern finden nach wie vor Anerkennung. Das wird
an den beiden Schwerpunkten in diesem Gesetz sehr
deutlich. Es sollen nicht nur die Betreuungskosten bei
Erwerbstätigkeit abgesetzt werden, sondern auch durch
die Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen soll
Betreuung ermöglicht werden.
Man muss aber immer daran denken - ich habe es
vorhin schon angedeutet -, dass diese Maßnahmen nur
ein Ausschnitt aus einer großen Palette familienpolitischer Fördermaßnahmen sind, die man noch erweitern
kann. Ob man dies tun kann und die Prioritäten so setzt,
ist in erster Linie eine finanzielle Frage. Das ist nicht nur
eine Herausforderung an den Bund, sondern auch an die
Länder und Kommunen. Mit ihren Aussagen in den letzten Tagen hat die Bundesministerin diesen sachlichen
Zusammenhang aufzeigen wollen, nicht mehr und nicht
weniger.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zu den Fragen, die in der üblichen
Reihenfolge aufgerufen werden, und damit zunächst
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Dazu liegt die Frage 1 der Kollegin Behm vor. Die
Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen
Staatssekretär Gerd Müller. Ist die Kollegin Behm anwesend?
({0})
- Dann entfällt die mündliche Beantwortung. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Staatsministerin
Hildegard Müller steht zur Beantwortung der Fragen bereit.
Die Fragen 2 und 3 des Kollegen Koppelin werden
schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 4 der Kollegin Pau - Kollegin
Pau ist anwesend - auf:
Vizepräsident Wolfgang Thierse
Waren Angebote amerikanischer Regierungs- oder Behördenvertreter an deutsche Stellen oder eigenständige Überlegungen deutscher Stellen, Gefangene in Guantanamo Bay zu
vernehmen, in der Nachrichtenlage des Bundeskanzleramtes
Gegenstand von Erörterungen und, wenn ja, zu welchen Ergebnissen kam man bei diesen Erörterungen?
Bitte schön, Frau Müller.
Frau Kollegin Pau, Ihre Frage betrifft die Tätigkeit
der Nachrichtendienste des Bundes. Hierzu kann die
Bundesregierung nur in den dafür zuständigen Gremien
des Deutschen Bundestages Auskunft geben.
Nachfrage?
Aber natürlich. - Ich habe eine Nachfrage, über die
schon öffentlich diskutiert wurde. Trifft es zu, dass die
CIA bundesdeutschen Behörden eine Liste mit 200 Namen von Gefangenen aus Guantanamo mit dem Angebot
übermittelt hat, sich diejenigen auszusuchen, die sie
gerne durch die Dienste vernehmen lassen möchten?
Frau Kollegin Pau, ich weiß nicht, was Sie unter „öffentlich diskutiert“ verstehen.
Im „Spiegel“ veröffentlicht.
Sofern Sie sich auf Zeitungsberichte fokussieren, bitte
ich um Verständnis, dass die Bundesregierung keine Medienberichte kommentieren kann.
Weitere Nachfrage?
Aber natürlich. - Ich möchte wissen, welche Behörden die Dienstreise der Beamten nach Guantanamo zu
Herrn Kurnaz angewiesen und den Dienstreiseauftrag
ausgestellt haben.
Frau Pau, auch diese Frage betrifft nachrichtendienstliche Vorgänge und kann damit nur gegenüber den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage der Abgeordneten Heidrun
Bluhm. Ist sie anwesend? - Sie müssen sich erheben, damit das Zwiegespräch vor unser aller Augen stattfindet.
Ich rufe also die Frage 5 der Abgeordneten Heidrun
Bluhm auf:
Wann hat die Bundesregierung das erste Mal das Parlament über die in Frage 13 genannten geheimdienstlichen Aktivitäten bezogen auf Beamte deutscher Sicherheitsbehörden
informiert?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Frau Kollegin Bluhm, auch Ihre Frage betrifft die Tätigkeiten der Nachrichtendienste des Bundes. Dazu kann
die Bundesregierung nur in den dafür zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages Auskunft erteilen. Im
Übrigen möchte ich auf die Berichterstattung der Bundesregierung im Plenum und in den Ausschüssen des
Deutschen Bundestages am 14. und 15. Dezember 2005
verweisen.
Bitte schön, Kollegin Bluhm.
Ich habe dazu eine Nachfrage. Selbstverständlich
habe ich mit Ihrer Antwort, wie Sie sie eben gegeben haben, gerechnet, da meine Fraktionskollegin auf die vorherige Frage eine ähnliche Antwort bekam. Trotzdem
möchte ich Sie auch in Bezug auf meine Frage 13 - ich
gehe davon aus, dazu eine ähnliche Antwort zu erhalten,
da sich meine Fragen nur auf die Informationspolitik
zwischen der Bundesregierung und dem Parlament beziehen - bitten, darzustellen, welche parlamentarischen
Gremien wann über diese Geheimdienstaktionen informiert wurden und welche parlamentarischen Gremien
darüber informiert wurden, dass die Bundesregierung
das Parlament falsch informiert hat. Denn meines Wissens ist es so, dass meine Fraktionskollegin Lötzsch im
Jahre 2003 in dieser Sache von der Bundesregierung
falsch informiert worden ist.
Ich möchte gleich eine weitere Frage anschließen.
Können Sie vielleicht auch darstellen, inwieweit der
ehemalige Außenminister und die ehemalige zuständige
Staatsministerin Frau Müller gedenken, sich für ihr Fehlverhalten, Abgeordnete falsch informiert zu haben, zu
entschuldigen?
Frau Kollegin Bluhm, Sie befinden sich im spekulativen Bereich. Insofern kann ich zu einem möglichem
Fehlverhalten nicht Stellung nehmen.
Ihre Fragen - insbesondere die Frage 13, auf die Sie
sich in Ihrer Nachfrage bezogen haben - betreffen im
Übrigen den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Ich bleibe bei der Aussage, dass wir nur den zuständigen
Gremien des Deutschen Bundestages zu nachrichtendienstlichen Dingen Auskunft erteilen werden.
Danke schön, Frau Staatsministerin.
Vizepräsident Wolfgang Thierse
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
({0})
- Ich habe bereits weitergeleitet. - Die Beantwortung
der Fragen hierzu nimmt Staatsminister Gernot Erler
vor.
Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Gehrcke:
Liegen der Bundesregierung nach der Veröffentlichung
des vom Schweizer Geheimdienst abgehörten Faxverkehrs
zwischen dem ägyptischen Außenministerium und der Botschaft Ägyptens in London bezüglich der Existenz US-amerikanischer Gefängnisse und Verhörzentren in Europa durch die
Schweizer Zeitung „Sonntags-Blick“ Erkenntnisse vor, die
die Existenz solcher geheimen US-Gefängnisse auf europäischem Boden bestätigen?
Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hat erstmals durch den Bericht im Schweizer „Sonntags-Blick“
Kenntnis von dem in dem besagten Bericht veröffentlichten Faxverkehr erhalten. Sie kann zu dem genannten
Faxverkehr bzw. zu der Echtheit der Faxe keine Angaben machen.
Die angebliche Existenz geheimer CIA-Gefängnisse
in Europa war Gegenstand mehrerer von der Bundesregierung bereits beantworteter parlamentarischer Anfragen, darunter übrigens auch zweier Kleiner Anfragen Ihrer Fraktion.
Fragen zu nachrichtendienstlichen Zusammenhängen
beantwortet die Bundesregierung im Übrigen nur in den
dafür vorgesehenen Gremien des Deutschen Bundestages. Damit will ich keine Aussage darüber getroffen haben, ob der Hintergrund, der in dieser Frage angedeutet
worden ist, richtig ist oder nicht.
Kollege Gehrcke, Nachfragen?
Ja. Herr Staatsminister, ich bin ja schon dankbar dafür,
dass mir in Ihrer Antwort etwas mehr zuteil geworden ist
als meiner Kollegin vorher bei ihrer Frage zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Könnten Sie mir mitteilen, welche Bemühungen die Bundesregierung unternommen hat, um die
Richtigkeit der Berichterstattung in der besagten Schweizer Wochenzeitung zu prüfen und selber einen Beitrag
zur Aufklärung zu leisten?
Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung sieht ihre
Aufgabe nicht darin, die Echtheit von irgendeinem Fax
zu überprüfen. Aber sofern sich Ihre Frage auf die Sache
selbst, nämlich auf diese „black sites“, bezieht, kann ich
Ihnen sagen: Die Bundesregierung ist in der Tat schon in
vielfacher Weise tätig geworden. Sie hat unter anderem
die Bemühungen um Aufklärung im EU-Rahmen unterstützt und zusammen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten Fragen formuliert. Die britische Ratspräsidentschaft
hat die Vereinigten Staaten um Aufklärung gebeten; das
ist bereits am 29. November geschehen. Sie wissen sicherlich, dass US-Außenministerin Condoleezza Rice
die Anfrage der britischen Ratspräsidentschaft bereits
am 6. Dezember letzten Jahres umfassend beantwortet
und dabei auf ihre ausführliche Presseerklärung vom
Vortag verwiesen hat.
Diese CIA-Flüge bzw. diese Orte, die Sie in Ihrer
Frage angesprochen haben, waren auch Gegenstand der
Gespräche von Bundesaußenminister Steinmeier in
Washington am 29. November sowie der Begegnung
von Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister
Steinmeier mit der amerikanischen Außenministerin am
6. Dezember letzten Jahres. Außerdem ist das Thema am
Tag darauf bei dem informellen Treffen der Außenminister der EU und der NATO intensiv angesprochen worden. Schließlich hat die Bundeskanzlerin das Thema bei
ihrer USA-Reise erörtert.
Ich glaube, das ist eine ganz eindrucksvolle Liste von
Aktivitäten.
Dazu kommen wir gleich. Ich glaube, ich kann noch
eine zweite Nachfrage zu dieser Frage stellen. Die Bundesregierung unterhält ja einen Auslandsgeheimdienst,
den Bundesnachrichtendienst. Hat die Bundesregierung
dem BND den Auftrag erteilt, im Rahmen seiner Möglichkeiten zu recherchieren, ob sich in den genannten
Staaten Gefängnisorte befinden oder nicht?
Herr Kollege Gehrcke, Sie ahnen es: Auch diese
Frage befasst sich mit geheimdienstlichen Tätigkeiten.
Die Bundesregierung kann nicht im Plenum, sondern nur
in den dafür zuständigen Gremien zu einer solchen Frage
Auskunft geben.
Ich rufe damit Frage 7 des Kollegen Gehrcke auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel bei ihrem bevorstehenden Treffen mit dem US-Präsidenten George W. Bush die Frage solcher Geheimgefängnisse
anzusprechen und zu klären?
Betrachten Sie diese Frage schon durch die bisher gegebenen Antworten als beantwortet oder wollen Sie
noch eine gesonderte Stellungnahme dazu?
({0})
Sie ist im Kern mitbeantwortet worden. Ich möchte
aber von meiner Möglichkeit, Nachfragen zu stellen, Gebrauch machen. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Bundeskanzlerin wegen Zeitmangels nur die Frage von
Guantanamo Bay ansprechen konnte. Sie haben die Aktivitäten der Bundesregierung aufgeführt. Ist der Administration der Vereinigten Staaten durch einen führenden
Repräsentanten der Bundesregierung, den Außenminister oder einen anderen Minister, in aller Eindeutigkeit
mitgeteilt worden, dass die Bundesregierung die Existenz geheimer Gefängnisse nicht akzeptieren kann?
Herr Kollege Gehrcke, ich glaube, die autoritativste
Äußerung der Bundesregierung erfolgt ja durch die Bundeskanzlerin. Wie ich eben schon ausgeführt habe, hat
die Bundeskanzlerin dieses Gesamtthema auch bei ihrem
Besuch in den Vereinigten Staaten am 12. und 13. Januar
aufgegriffen. Es ist ausführlich über die ernsthafte Bedrohung durch den internationalen Terrorismus gesprochen worden, aber auch darüber, dass es eigentlich eine
Selbstverständlichkeit ist, dass man sich dabei bemüht
- das tut die Bundesregierung; das hat sie auch in der
Vergangenheit getan -, die richtige Balance zwischen
rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen und
den Schutzbedürfnissen, die sich aus dieser Bedrohung
ergeben, zu finden. In diesem Zusammenhang sind auch
all die Punkte, die Sie eben genannt haben, angesprochen
worden.
Ich mache noch einen letzten Versuch, obwohl man
ohnehin nur das erfährt, was auch in den Zeitungen gestanden hat: Hat die Bundesregierung die Regierung der
Vereinigten Staaten eindeutig aufgefordert, endlich die
Wahrheit zu sagen und Klarheit darüber zu schaffen, ob
solche Gefängnisse vorhanden sind und, wenn ja, in welchen Ländern solche Gefängnisse unterhalten werden?
Herr Gehrcke, hier kann ich nur noch einmal auf
meine erste Antwort zurückgreifen: Das ist durch die
britische Ratspräsidentschaft passiert. Die Antworten
- das habe ich gesagt - sind den Europäern bereits am 5.,
6. und 7. Dezember von der amerikanischen Außenministerin gegeben worden.
Wir kommen zu den Fragen 8 und 9 der Kollegin
Lötzsch:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung in der Antwort der
Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, vom
10. Juni 2003 auf meine schriftliche Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 15/1164, ob die Bundesregierung Informationen
über die Zahl der Talibanhäftlinge und deren Behandlung im
Gefangenenlager Guantanamo Bay hat, antwortete, dass der
Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse über die Behandlung der Gefangenen vorliegen?
Trifft es zu, dass die Bundesregierung vor dem
10. Juni 2003 eigene Informationen durch zwei Beamte des
Bundesnachrichtendienstes und einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die in der Zeit vom 21. bis
27. September 2002 im Gefangenenlager Guantanamo Bay
den Türken M. K. vernommen haben, hatte, und, wenn ja,
stimmt die Bundesregierung mir zu, dass das Parlament demzufolge von der Bundesregierung falsch informiert wurde?
Frau Kollegin Lötzsch, Herr Präsident, ich möchte
diese beiden Fragen, weil sie zusammengehören, auch
zusammen beantworten. Frau Kollegin Lötzsch, die
Bundesregierung erhält ihre Informationen über die
Haftbedingungen in ausländischen Gefängnissen regelmäßig durch die konsularische Betreuung dort inhaftierter deutscher Staatsangehöriger durch die deutschen
Auslandsvertretungen. Diese konsularische Betreuung
lässt sich durch eine Befragung durch Angehörige deutscher Sicherheitsbehörden nicht ersetzen. Das für die
konsularische Betreuung nötige Zugangsrecht für deutsche Konsularbeamte ergibt sich aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, sofern
deutsche Staatsangehörige betroffen sind. Wie Sie wissen, war und ist dies in Guantanamo nicht der Fall, sodass das Auswärtige Amt über die Behandlung der Gefangenen dort keine eigenen Erkenntnisse gewinnen
konnte.
Die in der Frage von Ihnen angesprochene Thematik,
insbesondere die Befragung von M. K. durch Angehörige deutscher Sicherheitsbehörden, war bereits Gegenstand parlamentarischer Befassung und Unterrichtung.
Hierauf möchte ich verweisen. Im Übrigen geht es wieder darum, dass Auskunft über nachrichtendienstliche
Zusammenhänge nur in den zuständigen Gremien erteilt
werden kann.
Kollegin Lötzsch.
Herr Präsident, bevor ich meine Nachfrage formuliere, möchte ich gern ein Hilfeersuchen an Sie richten.
Vorhin hat die Frau Staatsministerin Müller der Abgeordneten Bluhm aus meiner Fraktion gesagt, das gehöre
nicht zu ihrem Geschäftsbereich. Es ist aber doch richtig,
dass wir als Abgeordnete unsere Fragen an die Bundesregierung insgesamt stellen und die Bundesregierung die
Fragen unter sich aufteilt? Ich bitte, uns in diesem Sinne
zu unterstützen. Das werden Sie sicher gerne tun. Vielen
Dank.
Herr Staatsminister Erler, Ihnen ist bekannt, dass ich
in meiner Frage vom 10. Juni 2003 mitnichten nach einem Zugangsrecht gefragt habe, sondern nach den eigenen Erkenntnissen der Bundesregierung. Die Bundesregierung hatte eigene Erkenntnisse. Das ist inzwischen
auch von Herrn Schäuble im Bundestag in der Sitzung
vom 14. Dezember 2005 gesagt worden. In der Antwort
auf meine Frage hat sie jedoch bestritten, eigene Erkenntnisse zu haben. Darum möchte ich gern von Ihnen
wissen, ob der Bundesregierung ein Fall bekannt ist, wonach das Parlament von der Bundesregierung wissentlich belogen wurde, und, wenn ja, welche Konsequenzen
das für die entsprechenden Personen hatte.
Frau Lötzsch, ich komme gerne noch einmal auf Ihre
damalige Frage und die Antwort, die Sie in der
15. Wahlperiode bekommen haben, zurück und darf vielleicht einen Auszug aus dieser Antwort verlesen. Darin
heißt es:
Da deutsche Staatsangehörige in Guantanamo nicht
festgehalten werden und damit Vertreter der Bundesrepublik Deutschland kein Zugangsrecht zu
Guantanamo haben, liegen der Bundesregierung
keine eigenen Erkenntnisse über die Behandlung
der Gefangenen vor.
Das heißt doch, dass die Argumentationsweise damals die gleiche war: Eigene Erkenntnisse über Gefangene lassen sich nur über die konsularische Betreuung,
wenn man dieses Zugangsrecht überhaupt hat, gewinnen
und nicht auf eine andere Weise. Ich sehe in keiner
Weise auch nur einen Verdacht als gegeben an, dass mit
dieser Antwort irgendjemand belogen worden ist. Sie ist
und bleibt korrekt.
Noch eine Nachfrage?
Selbstverständlich. Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Staatsminister, Sie können die Antwort noch so oft
Sie wollen zitieren. Wenn Sie nicht auf die Frage eingehen, bleibt die Antwort trotzdem falsch. Ich hatte nicht
nach dem Zugangsrecht gefragt, sondern nach den eigenen Erkenntnissen. Ich darf wiederholen, dass Innenminister Schäuble hier vor dem Parlament am 14. Dezember 2005, also bereits in dieser Legislaturperiode,
erklärt hat, dass Beamte dort Erkenntnisse gewonnen haben. Darum möchte ich wissen und frage noch einmal in
aller Deutlichkeit - wenn Sie das nicht beantworten können, können Sie es zugeben -, warum mir als Abgeordneter des Deutschen Bundestages und damit allen Kollegen und der deutschen Öffentlichkeit eine falsche
Antwort gegeben wurde.
Frau Kollegin Lötzsch, noch einmal: Ich kann nicht
erkennen, dass Ihnen eine falsche Antwort gegeben
wurde. Ich habe den entsprechenden Satz gerade vorgelesen. Er ist in sich überzeugend
({0})
und logisch. An diesen Fakten hat sich nichts geändert.
Im Übrigen: Wenn es so gewesen sein sollte, dass die
Frage tatsächlich nicht richtig beantwortet worden ist,
dann ist das noch lange keine Missachtung der Rechte
des Parlaments. Sie hätten meines Erachtens schon damals monieren müssen, dass Sie auf Ihre Frage eine
missverständliche Antwort bekommen haben.
Ja, also -
Entschuldigen Sie, Sie haben Ihre beiden Nachfragen
gehabt.
Nein, ich habe zwei Fragen gestellt, also stehen mir
vier Nachfragen zu, Herr Präsident.
Entschuldigen Sie, die beiden Fragen hängen zusammen. Ich wollte zunächst Kollegin Pau und Kollegen
Wieland die Gelegenheit geben, ihrerseits zu Ihren Fragen noch Nachfragen zu stellen.
({0})
Kollegin Pau.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade die damalige
Antwort zitiert. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass
die damalige Bundesregierung keine deutschen Staatsangehörigen in Guantanamo aufsuchen konnte. Wir haben
aber nun vom Bundesinnenminister erfahren, dass Herr
Kurnaz im besagten Zeitraum in Guantanamo aufgesucht wurde. Insofern stellt sich die Frage, warum Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit diesem Besuch
über Haftbedingungen und die Zustände dort gewonnen
wurden, dem Parlament damals auf die Anfrage der Kollegin Lötzsch nicht übermittelt wurden.
Frau Kollegin Pau, ich kann nur wiederholen, dass
Erkenntnisse über Haftbedingungen nicht die Angelegenheit irgendwelcher Sicherheitsdienste sind. Das ist
Angelegenheit der konsularischen Betreuung und diese
konnte in Guantanamo nicht stattfinden, weil - das wissen Sie ganz genau - der von Ihnen angesprochene Inhaftierte nicht deutscher Staatsbürger ist. Das amerikanische Recht lässt in diesem Fall keine konsularische
Betreuung zu.
Kollege Wieland.
Herr Staatsminister, da sowohl die Kollegin Bluhm
als auch die Kollegin Lötzsch in Frageform den Verdacht
geäußert haben, dass Ihre Amtsvorgängerin hier wissentlich das Parlament belogen habe, frage ich Sie: Spricht
denn nach Ihrer Kenntnis und dem Aktenstand Ihres
Hauses irgendetwas dafür, dass Ihre Amtsvorgängerin
Frau Müller Kenntnis von einer Reise von BND-Mitarbeitern nach Guantanamo hatte?
Herr Kollege, ich möchte noch einmal feststellen,
dass zu dem Verdacht, dass das Parlament belogen
wurde, überhaupt kein Anlass besteht. Aber da Sie diese
Frage in so einer persönlichen Form gestellt haben,
möchte ich Ihnen eine konkrete Antwort geben: Die ehemalige Staatsministerin Frau Kollegin Kerstin Müller
hat mir gegenüber persönlich erklärt, dass sie von dieser
Entsendung der Sicherheitsbeamten keine Kenntnis
hatte.
Weitere Nachfrage vom Kollegen Uli Maurer.
Herr Staatsminister, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Erkenntnisse über Haftbedingungen nur
dann Erkenntnisse der Bundesregierung sind, wenn sie
von Beamten des Auswärtigen Amtes oder des Konsularischen Dienstes erhoben werden?
Ja, Herr Kollege Maurer, das haben Sie richtig verstanden.
({0})
Noch einmal Frau Lötzsch, danach kommen wir zu
den nächsten Fragen, die den gleichen Komplex behandeln.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
Sie haben auf die Frage meines Kollegen Wolfgang
Wieland ausdrücklich geantwortet, dass Ihre Vorgängerin Frau Müller keine Kenntnis über diese Entsendung
der Beamten hatte. Ich gehe davon aus, dass Sie mir jetzt
bestimmt erklären können, wer im Bundeskanzleramt
Kenntnis von der Aussendung dieser Beamten hatte und
ob es sich dabei um den jetzigen Außenminister, Herrn
Frank-Walter Steinmeier - den ich hier übrigens
schmerzlich vermisse -, handelt.
Frau Kollegin Lötzsch, da ich darauf bei meiner Beantwortung einer anderen Frage noch eingehen muss,
verweise ich Sie auf meine späteren Ausführungen.
Dann werden Sie eine Antwort bekommen.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Tackmann auf:
Welche Stellen waren an der Antwort der Staatsministerin
im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, vom 10. Juni 2003 auf
die schriftliche Frage 17 der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch auf Bundestagsdrucksache 15/1164 über die Zahl der
Talibanhäftlinge und deren Behandlung im Gefangenenlager
Guantanamo Bay beteiligt und welche Stelle war federführend?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Tackmann, diese Frage wurde federführend im Auswärtigen Amt bearbeitet und von der damaligen Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin
Müller, beantwortet. Sonstige sachlich betroffene Ressorts waren eingebunden.
Wir nehmen die Frage 11 der Kollegin Tackmann
gleich noch mit dazu:
War an der Beantwortung der genannten Frage das Bundeskanzleramt beteiligt und hat der jetzige Bundesminister
des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, etwas von der
Beantwortung der Frage gewusst oder diese Beantwortung
möglicherweise initiiert?
Herr Staatsminister, Ihre Antwort.
Das Bundeskanzleramt war auf Arbeitsebene mit der
Beantwortung dieser Frage befasst.
Gibt es weitere Nachfragen? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zu Frage 12 des Kollegen Ströbele:
Was für Erkenntnisse hat die Bundesregierung über geheime Gefängnisse der CIA unter anderem in Rumänien und
Polen, über die die Schweizer Zeitung „Sonntags-Blick“ am
10. Januar 2006 genauer berichtete, und wann hat die Bundesregierung die dort gegebenen Informationen erstmals erhalten?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung hat erstmals durch den Bericht der Schweizer Zeitung „Sonntags-Blick“ Kenntnis von dem besagten öffentlichen
Faxverkehr erhalten; das hatte ich schon gesagt. Zum genannten Faxverkehr bzw. zu der Echtheit der Faxe kann
sie keine Angaben machen. Die angebliche Existenz geheimer CIA-Gefängnisse in Europa war bereits Gegenstand mehrerer von der Bundesregierung beantworteter
parlamentarischer Anfragen, darunter auch einer Kleinen Anfrage Ihrer Fraktion. Im Übrigen dürfen wir nachrichtendienstliche Auskünfte nur in den dafür zuständigen Gremien geben.
Kollege Ströbele.
Herr Staatsminister, können Sie mir das Ihrer Meinung nach zuständige parlamentarische Gremium - ich
vermute, Sie meinen das zuständige Gremium des Deutschen Bundestages - nennen, in dem Sie diese Auskünfte nur geben dürfen? Denn falls Sie das Parlamentarische Kontrollgremium meinen, darf ich Sie auf § 1 des
Kontrollgremiumgesetzes hinweisen, in dem steht, dass
das Parlamentarische Kontrollgremium lediglich für die
Kontrolle der drei dort genannten Dienste zuständig ist,
also nicht für die Kontrolle des CIA, auch wenn auch
dieser vermutlich einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit nachgeht.
({0})
Herr Kollege Ströbele, ich habe das in meiner abschließenden Bemerkung nur vorsorglich festgehalten.
Allerdings habe ich durchaus versucht, auf Ihre Frage zu
antworten, in der es ja um dieses berühmte Fax ging. Insofern habe ich in öffentlicher Sitzung auf Ihre Frage geantwortet.
Herr Kollege Ströbele.
Meine zweite Nachfrage: Herr Staatsminister, in Ihren
Antworten auf die anderen Fragen, die zu diesem Komplex gestellt wurden, haben Sie darauf hingewiesen, dass
die Bundeskanzlerin hierzu Gespräche geführt hat und
dass auch die US-amerikanische Außenministerin Frau
Rice, als sie in Deutschland gewesen ist, Stellung dazu
genommen hat.
Zu diesem Sachverhalt kann die amerikanische Außenministerin bei ihrem Besuch in Berlin aber schlechterdings nicht Stellung genommen haben, weil er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt war. Weder stand
etwas davon in der Zeitung noch gab es sonstige Informationen darüber. Diese Veröffentlichung soll vom
10. Januar dieses Jahres stammen, der Besuch von Frau
Rice aber fand im November vergangenen Jahres statt.
Es bleiben also nur die Gespräche übrig, die die Bundeskanzlerin mit Vertretern der US-Administration oder
- ich weiß es nicht - mit dem amerikanischen Präsidenten geführt hat. Deshalb meine Frage: Können Sie sagen,
was die Bundeskanzlerin in der Sache zu diesen Vorwürfen erklärt hat?
Herr Kollege Ströbele, das bekannt gewordene Fax,
über dessen Echtheit wir keine Aussage treffen können,
hat keine grundsätzlich neuen Tatbestände aufgedeckt,
sondern lediglich das bekräftigt, was in den Medien zuvor schon umfassend berichtet worden war.
Zu den in den Medien verbreiteten Behauptungen,
dass nicht nur Flüge stattgefunden haben, sondern dass
es auch entsprechende Orte der Verbringung gab, hat die
amerikanische Außenministerin am 5., 6. und 7. Dezember letzten Jahres in der Tat ausführlich Stellung genommen, und zwar in dem Sinne, dass sich die amerikanische Seite ohne Einschränkung an Recht und Gesetz
sowie an die Regeln des internationalen Völkerrechts
halten wird und dass dies sowohl für inländische wie
auch für ausländische Vertreter der amerikanischen Administration gilt. Sollte es hier zu Fehlern gekommen
sein, sei man bereit, diese zu berichtigen. Das ist von der
europäischen Seite, die nach diesen Dingen gefragt hat,
zur Kenntnis genommen worden.
Wir kommen zur Frage 13 der Kollegin Bluhm:
Wann wurde der damalige Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, über die Reise von Beamten deutscher
Sicherheitsbehörden nach Guantanamo Bay informiert?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Bluhm, der Bundesminister des Auswärtigen a. D., Joseph Fischer, war seinerzeit über die
Reise von Angehörigen deutscher Sicherheitsbehörden
nach Guantanamo Bay nicht unterrichtet.
Danke. - Kollegin Lötzsch.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, Sie haben vorhin mitgeteilt, dass die Arbeitsebene des Bundeskanzleramts über die Entsendung der Geheimdienstmitarbeiter informiert war. Nach dem, was Sie soeben
gesagt haben, war anscheinend auch im Auswärtigen
Amt nur die Arbeitsebene informiert. Ich frage Sie: Finden Sie es angesichts der politischen Bedeutung von
Guantanamo - angesichts der internationalen Auseinandersetzungen darüber, auch der Stellungnahmen der
Bundesregierung - nicht fahrlässig, ja ist es nicht mit
disziplinarischen Maßnahmen zu belegen, wenn die Arbeitsebenen von Bundeskanzleramt und Auswärtigem
Amt die politisch Verantwortlichen über derart einschneidende Maßnahmen nicht informieren? Oder werden wir zu einem späteren Zeitpunkt - vielleicht im Untersuchungsausschuss? - erfahren, dass die politisch
Verantwortlichen doch informiert waren? - Den zweiten
Teil der Frage brauchen Sie nicht zu beantworten.
Frau Kollegin, wir reden hier über die Art und Weise,
wie die Antwort auf eine Frage eines Parlamentariers zustande gekommen ist und welche Stellen dabei involviert
und wie sie informiert worden sind. Nach meiner bisherigen Erfahrung geht es gar nicht anders, als dass die
Antwort auf eine Frage im Wesentlichen auf der Arbeitsebene vorbereitet wird. Insofern kann ich Verfehlungen
wie die von Ihnen unterstellten nicht erkennen.
Die Frage 14 der Kollegin Eid wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Paech auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Iran bei
einer Wiederaufnahme der Urananreicherung gegen völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen verstößt, und, wenn ja,
gegen welche?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Paech, mit der Wiederaufnahme der
Urananreicherung missachtet Iran die in mehreren Resolutionen des Gouverneursrates der IAEO enthaltene
Aufforderung, eine umfassende Suspendierung seiner
anreicherungsbezogenen Nuklearaktivitäten aufrechtzuerhalten. Diese Aufforderung erfolgte, um der IAEO die
Klärung offener Fragen im Zusammenhang mit den iranischen Verstößen gegen das von Iran mit der IAEO beschlossene Sicherungsabkommen zu ermöglichen; Sie
wissen, wovon ich rede: NPT Safeguards Agreement.
Jeder Nichtkernwaffenstaat, der wie Iran Partei des
nuklearen Nichtverbreitungsvertrages ist, ist verpflichtet, ein solches Sicherungsabkommen mit der IAEO abzuschließen und einzuhalten. Der Gouverneursrat der
IAEO hat mit seiner Resolution vom 24. September letzten Jahres bereits förmlich den Verstoß Irans gegen seine
Verpflichtungen aus dem Sicherungsabkommen - die so
genannte Non-Compliance - feststellen müssen.
Kollege Paech.
Die Bundesregierung will ja mit den Staaten der EU-3
eine gestufte Strategie der Eskalation bis hin zum UNOSicherheitsrat verfolgen. Dies hat ja nur dann Sinn, wenn
sie sich überlegt, eventuell Sanktionen gegen den Iran zu
verhängen. Glaubt denn die Bundesregierung, mit den
Verstößen des Irans gegen die Resolution des Gouverneursrats der IAEO die notwendige rechtliche Grundlage
nach Kap. VII der UN-Charta zu haben, um wirklich die
Sanktionen, die Art. 41 und 42 ermöglichen - bis hin zu
militärischen Maßnahmen -, zu verhängen?
Herr Kollege Paech, ich glaube, die Eskalation ist von
der anderen Seite ausgegangen: Die Eskalation besteht
darin, dass der Iran, nachdem er über mehrere Jahre ein
geheimes Anreicherungsprogramm betrieben hat - was
er auch zugegeben hat -, das er nach den SafeguardRichtlinien eigentlich der IAEO hätte bekannt geben
müssen, zwar zugesagt hat, sowohl die Konversion als
auch die Anreicherung und auch die Aufarbeitung zu
suspendieren. Das hat den Weg geöffnet für die Verhandlungen der drei europäischen Mächte im Namen der EU,
die Sie eben angesprochen haben. Nun hat der Iran aber
diese Verpflichtung gebrochen und damit die Grundlagen für diese Gespräche leider kaputtgemacht. In dieser
Situation reden wir im Augenblick überhaupt nicht über
irgendwelche Sanktionen.
Die europäischen Außenminister haben am 12. Januar
vielmehr beschlossen - das haben sie Anfang dieser Woche mit Vertretern anderer wichtiger Länder des Weltsicherheitsrates besprochen -, die IAEO aufzufordern,
eine Sondersitzung des Gouverneursrats einzuberufen
- das ist auch angezeigt -, damit von dessen Seite der
Iran aufgerufen wird, die Aufkündigung der Zusagen zurückzunehmen. Das ist dann - so ist jedenfalls die Auffassung der europäischen Staaten - an den Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen weiterzuleiten. Der darauf folgende Schritt ist dann, dass sich der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen voll hinter die Forderung der IAEO
stellt. Alles, was darüber hinausgeht, war noch nicht Gegenstand von Beratungen und ist eher eine Spekulation
über das, was darauf folgen könnte.
Nachfrage des Kollegen Maurer.
Herr Staatsminister, sehen Sie sich in der Lage, dem
Hohen Haus mitzuteilen, welche und wie viele Staaten
derzeit die Technologie der Urananreicherung anwenden?
Herr Kollege Maurer, ich glaube, um diese Frage geht
es nicht. Die Bundesregierung möchte sich nicht in die
Arbeit der IAEO einmischen. Es ist Angelegenheit der
internationalen Atomenergiebehörde in Wien, sämtliche
atomaren Aktivitäten auf der Welt zu beobachten und zu
kontrollieren und notfalls einzuschreiten, wenn gegen
Verträge verstoßen wird. Das, was wir im Iran beobachten können, muss man in diesem Kontext sehen. Insofern
lässt sich das mit dem Vorgehen anderer Länder nicht
vergleichen, es sei denn, die IAEO entdeckt auch bei ihnen Regelverstöße oder Vertragsverstöße.
Kollege Paech.
Herr Kollege, hat sich die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass es in dieser Region mehrere
Staaten gibt wie Israel, Pakistan und Indien, die über Nuklearwaffen verfügen - diese drei Staaten sind dem NPT
nicht beigetreten, eine Gefährdung ist aber auch ohne
Beitritt zu dem Vertrag gegeben -, überlegt, Schritte zu
unternehmen, um auch diese Staaten von einem Atomprogramm abzuhalten bzw. ihr Atomprogramm einzuschränken?
Herr Kollege Paech, die Bundesregierung ist in der
Frage weltweiter nuklearer Abrüstung sehr engagiert.
Ich darf auf die jährlichen Abrüstungsberichte zu diesem
Thema verweisen, die in der rot-grünen Regierungsperiode Übung geworden sind. Anhand deren können
Sie nachvollziehen, in welcher Weise sich die Bundesregierung stets bemüht hat, dem Gedanken der weltweiten nuklearen Abrüstung Nachdruck zu verleihen. Die
Bundesregierung wird das auch in Zukunft tun.
Wir kommen nun zu Frage 16 des Kollegen Paech:
Legt die Bundesregierung den Verweis auf die zentrale
Rolle des UN-Sicherheitsrats in Art. 15 der EU-Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vom
12. Dezember 2003 so aus, dass eine Resolution des UNSicherheitsrats für die dort erwähnten militärischen Zwangsmaßnahmen zwingend erforderlich ist, und, wenn nein, mit
welcher Begründung?
Herr Kollege Paech, Entscheidungen über Maßnahmen nach Kap. VII der VN-Charta fallen nach Rechtsauffassung der Bundesregierung ausschließlich in die
Kompetenz des UN-Sicherheitsrates.
Nachfrage?
Ja, ich habe eine Nachfrage. - Abgesehen von der
völkerrechtlichen Legitimation muss man sich doch im
Klaren sein, dass man, wenn man im Rahmen des UNODr. Norman Paech
Sicherheitsrates Sanktionen verhängen will - diese muss
man ja beantragen -, eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten von politischen über ökonomische bis zu militärischen Maßnahmen zur Verfügung hat. Die Frage ist: Hat
die Bundesregierung in ihrem Kalkül diese Bandbreite
bei Sanktionen in irgendeiner Weise ausgeschöpft?
Herr Kollege Paech, offensichtlich sind wir optimistischer als Sie. Die Bundesregierung setzt darauf, dass es
noch eine echte Chance gibt, auf die iranische Führung
einzuwirken. Basis ist eine Entschließung, die jetzt vom
Gouverneursrat der IAEO herbeigeführt werden muss.
Einer solchen Forderung muss durch den UN-Sicherheitsrat Nachdruck verliehen werden. Natürlich ist klar,
dass eine nachdrückliche Forderung an die iranische
Führung, den Verpflichtungen nachzukommen, denen
sie in der Vergangenheit zum Teil eben nicht nachgekommen ist - ich habe darüber berichtet -, nur dann eine
Chance hat, wenn die Weltgemeinschaft möglichst breit
dahintersteht. Insofern kommt es darauf an, dass man
eine Verständigung über dieses Vorgehen findet. Sie wissen, dass die Bundesregierung besonders aktiv ist, hier
eine Verständigung über das weitere Vorgehen zu finden.
Ich habe das eben schon gesagt, wiederhole das hier
aber gerne: Dabei spielt die Frage von irgendwelchen
Sanktionen im gegenwärtigen Stadium überhaupt keine
Rolle. Davon ist überhaupt keine Rede. Es geht um das
Vorgehen des Gouverneursrates und darum, dass die
Vereinten Nationen die berechtigten Forderungen des
Gouverneursrates unterstützen.
Eine Nachfrage des Kollegen Schäfer.
Herr Staatsminister, der frühere
Die militärische Option
muss vom Tisch. - Ist das auch die Position der neuen
Bundesregierung?
Ich kann nur wiederholen, dass sie aus unserer Sicht
nicht vom Tisch muss, weil sie überhaupt nicht auf dem
Tisch liegt. Auf dem Tisch liegt jetzt der Entzug der
Grundlagen für die Fortsetzung der Verhandlungen, was
wir sehr bedauern. Wir möchten gerne eine diplomatische Lösung dieses Konfliktes. Wir möchten die Verhandlungen fortsetzen. Durch seine unilateralen Maßnahmen hat der Iran die Möglichkeit dafür aber
versperrt. Darüber haben die europäischen Außenminister beraten. Daraufhin haben sie beschlossen, die IAEO
in der Form einzuschalten, die ich hier genannt habe. Insofern haben wir nichts vom Tisch zu nehmen.
Herr Kollege Schäfer, im Übrigen darf ich Sie darauf
hinweisen, dass sowohl der amerikanische Präsident als
auch heute Israel - wenn Sie die aktuellen Meldungen
gelesen haben, dann wissen Sie das - erklärt hat, dass
eine militärische Lösung nicht infrage kommt.
Eine letzte Nachfrage des Kollegen Paech.
Ich wollte gerade Ihren Optimismus loben und teilen.
Weswegen wir so hartnäckig sind: Dies ist eine ganz
neue Mitteilung. Sie ist sehr überraschend; denn bisher
sahen die Drohungen der USA ganz anders aus. Sie haben die Möglichkeit eines militärischen Schlages gegen
den Iran immer in ihre Antwort einbezogen. Dies wäre
für mich eine sensationelle, aber sehr zu begrüßende
Entwicklung. Können Sie bestätigen, dass es diese Entwicklung auch auf der Basis Ihrer bilateralen Verhandlungen mit den USA gibt?
Das, was wir versuchen und worum wir uns bemühen,
will ich jetzt nicht überhöhen, aber ich finde es erfreulich - damit teile ich Ihre Meinung -, dass sich die internationale Gemeinschaft im Augenblick voll auf eine diplomatische Lösung dieses Konflikts konzentriert, dass
sie die Tür für die Rückkehr an den Verhandlungstisch
offen lässt - natürlich nur für den Fall, dass die Voraussetzungen dafür gegeben sind - und dass es keine internationale Diskussion über eine militärische Lösung dieses Konflikts gibt.
Danke sehr.
Damit kommen wir zur Frage 17 der Kollegin
Dagdelen:
Wie schätzt die Bundesregierung gegenwärtig die Menschenrechtslage in Togo ein und weshalb sieht sie Togo gegenwärtig als sicheres Herkunftsland an?
Bitte schön.
Frau Kollegin Dagdelen, in der togoischen Verfassung von 1992 ist die Einrichtung eines den Grundsätzen
von Demokratie und Menschenrechten verpflichteten
Rechtsstaats vorgesehen. Es besteht jedoch eine große
Diskrepanz zwischen der Verfassung sowie den geltenden Rechtsnormen einerseits und ihrer tatsächlichen Beachtung und Umsetzung andererseits.
In Togo herrscht ein Klima subtiler, doch sehr effizienter politischer Einschüchterung. Ordnungshüter
- meistens in Zivil - sind überall präsent und greifen gelegentlich äußerst brutal ein. Nach dem Tod des früheren
Präsidenten Eyadéma und bis zur Vereidigung seines
Nachfolgers - von Februar bis Mai 2005 - hatte sich die
Lage deutlich verschlechtert. Zahlreiche Menschen
flüchteten in die Nachbarländer. In den letzten Monaten
hat sich die Situation allerdings wieder etwas entspannt.
Das zum Teil gewaltsame Eingreifen der Sicherheitskräfte, insbesondere des Militärs, in innenpolitische
Auseinandersetzungen war in der Vergangenheit die
Hauptursache schwerer Menschenrechtsverletzungen.
Von Sicherheitskräften begangene Menschenrechtsver672
letzungen werden in der Regel weder disziplinarisch
noch gerichtlich verfolgt. Die Haftbedingungen in Togo
sind als überhaus hart zu bezeichnen.
Togo - ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt in Ihrer
Frage - ist kein sicheres Herkunftsland im Sinne von
§ 29 a des Asylverfahrensgesetzes. Ob einem togoischen
Staatsangehörigen, der in Deutschland Asyl beantragt,
eine politische Verfolgung droht, ist vom Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge einzelfallbezogen zu prüfen.
Nachfrage.
Zunächst möchte ich begrüßen, Herr Präsident und
Herr Staatsminister, dass Sie erkannt haben - das ist
wohl wahr -, dass ich eine Abgeordnete bin und kein
Abgeordneter, wie es in der Drucksache angekündigt
worden ist.
Ich habe natürlich eine Nachfrage. Mich interessiert,
inwieweit und in welchen Punkten Kenntnisse und Beurteilungen der Menschenrechtssituation aus dem Jahr 2005
von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Pro Asyl oder dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes eingeflossen sind.
Frau Kollegin, wir haben in der letzten Legislaturperiode die Art, wie die Länderberichte erstellt werden,
deutlich verändert und erweitert. Dabei werden Berichte
von Menschenrechtsorganisationen sehr intensiv beachtet. Sie gehen dann in diese Länderberichte ein.
Weitere Nachfrage?
Ja. - Eigentlich ging es in meiner Frage um den Lagebericht zur Menschenrechtssituation aus dem Jahre 2005,
weil es widersprüchliche Aussagen in den Berichten aus
dem Jahre 2004 und 2005 gibt. Ich wollte wissen, ob
diese Widersprüche in den Berichten von 2004 und 2005
auf Kenntnissen oder Beurteilungen des Auswärtigen
Amtes beruhen.
Frau Kollegin, ich hatte eben schon versucht, darzustellen, dass sich die Situation in Togo auf der Zeitachse
sehr unterschiedlich entwickelt hat. Insofern sind wir gezwungen, die aktuellen Sachstände zu korrigieren. Ich
hatte bereits von der im letzten Jahr zum Teil sehr krisenhaften Phase berichtet, die sich dann wieder etwas
entschärft hat. Es ist klar, dass diese Veränderungen in
die Berichte Eingang finden müssen.
Kollegin Pau, bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer Antwort auf
die erste Frage der Kollegin ausgeführt, dass bei der Entscheidung über die Gewährung von Asyl bzw. über die
Abschiebung die Lage in jedem Einzelfall überprüft
wird. Deshalb möchte ich Sie nach der Einschätzung der
Bundesregierung fragen: Welcher Gefährdung könnten
Flüchtlinge aus Togo ausgesetzt sein, wenn sie in
Deutschland exilpolitisch aktiv geworden sind und damit
bei ihrer Rückkehr in die Heimat als Oppositionelle eingestuft werden?
Frau Kollegin Pau, es gibt Hinweise, dass aus
Deutschland rückgeführte togoische Staatsangehörige,
die hier erfolglos einen Asylantrag gestellt haben, nach
ihrer Rückkehr staatlicher Repression ausgesetzt sind.
Die Bundesregierung hat solche Hinweise geprüft und
festgestellt, dass dies bisher in keinem konkreten Fall
bestätigt werden konnte. Die Bitte um Asyl oder das,
was Sie eben angesprochen haben, die Mitgliedschaft in
einer Exilorganisation im Ausland, löst nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes keine Repressionen
im Land aus.
Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
Sie haben in der Beantwortung eine sehr kritische Analyse der Situation in Togo gegeben. Ich möchte gerne
wissen, ob es in der Einschätzung der Lage durch das
Auswärtige Amt und durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Differenzen gegeben hat
und, wenn ja, worin diese Differenzen bestanden. Ich
habe nämlich den Eindruck, dass der Hohe Flüchtlingskommissar die Situation dort kritischer einschätzt als die
Bundesregierung.
Wir als Bundesregierung nehmen die Einschätzung
des Hohen Kommissars immer außerordentlich ernst und
nutzen sie dort, wo wir können, für unsere eigene Meinungsbildung. Aber über einen konkreten Konflikt in
dieser Frage, Frau Kollegin, ist mir nichts bekannt.
Als Letzter zu diesem Geschäftsbereich, Kollege
Wunderlich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
Sie haben die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern nach Togo angesprochen. Den historischen Abriss
haben Sie bereits geliefert und legen selbst dar, dass Sie
sehr viel Wert auf die Meinung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen legen.
Nach meinem Kenntnisstand ging aus dem letzten
Bericht des UNHCR hervor, dass trotz der Besserung der
Lage die Situation in Togo noch prekär ist, nachdem
unmittelbar nach der Vereidigung eine immens hochschnellende Zahl von Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen war, und dass der Hohe
Flüchtlingskommissar von Rückführungen abrät. Sie
sind selbst auf rückgeführte Personen und angebliche
Menschenrechtsverletzungen zu sprechen gekommen.
Beides steht für mich im Widerspruch und ergänzt insofern die Frage, die Kollegin Lötzsch gestellt hat.
Herr Kollege, es gibt keinen Widerspruch zwischen
einer sehr negativen Darstellung der Situation in diesem
Land auf der einen Seite und der konkreten Beantwortung der Frage, welcher Gefährdung aus Deutschland
rückgeführte Personen ausgesetzt sind, auf der anderen
Seite. Das muss kein Widerspruch sein. Die Situation
kann sehr schlecht sein; trotzdem ist es möglich, dass
aus Deutschland rückgeführte Personen keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt sind.
Das Auswärtige Amt hat seit Mai 2005 keine Kenntnis mehr von Fällen, in denen Rückkehrer oder aus
Deutschland rückgeführte Personen verhaftet oder über
längere Zeit festgehalten worden sind. Es kann zwar
sein, dass Personen ohne Reisepass über Nacht am Flughafen festgehalten werden; sie werden aber am folgenden Tag nach der Feststellung der Personalien wieder
freigelassen. Konkrete Fälle von Misshandlungen von
Personen nach der Rückkehr aus Deutschland sind dem
Auswärtigen Amt nicht bekannt.
Der Hohe Kommissar hat nicht nur die Frage zu bewerten und zu beantworten, wie Rückkehrer aus
Deutschland behandelt werden. Für uns aber ist dies die
entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Rückführung.
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern und zu Frage 18 der Kollegin Dagdelen:
Wie viele Personen aus Togo haben in den letzten zehn
Jahren einen Asylantrag gestellt - bitte nach Jahren auflisten und wie hoch ist die Anerkennungsquote?
Herr Staatssekretär Altmaier.
Das schließt sich an die Thematik an. In den letzten
zehn Jahren haben insgesamt 9 167 Staatsangehörige aus
Togo in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Die Anerkennungsquote lag bei durchschnittlich 8,5 Prozent.
Das entspricht rund 780 Personen. Umfasst sind damit
sowohl die Gewährung von Asyl nach den Bestimmungen des Grundgesetzes als auch der Flüchtlingsschutz
nach dem Ausländergesetz bzw. dem Aufenthaltsgesetz.
Sie haben auch nach der Auflistung nach Jahren gefragt. Wir hatten im Jahr 1996 eine Anerkennungsquote
von 16,15 Prozent. Danach ist sie sehr stark zurückgegangen und betrug 1997 7,6 Prozent, 1998 8,71 Prozent,
1999 8,62 Prozent, 2000 8,59 Prozent, 2001 9,87 Prozent,
2002 4,99 Prozent und 2003 3,92 Prozent. Dann gab es
wieder einen leichten Anstieg auf 5,8 Prozent im Jahr
2004 und 7,45 Prozent im Jahr 2005.
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt hat die Lage in Togo als sehr kritisch beurteilt. Angesichts der rückläufigen Zahlen interessiert
mich, wie viele Menschen aus Togo in den letzten zehn
Jahren abgeschoben worden sind und ob es die Möglichkeit gibt, die Zahlen nach Jahren und Bundesländern
aufzulisten.
Da in Ihrer Frage nicht ausdrücklich nach diesen Zahlen gefragt wurde, habe ich sie nicht vorbereitet. Aber
wir werden sie selbstverständlich gerne nachreichen.
Das wäre sehr nett. Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden.
Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Wie viele Menschen aus Togo sind derzeit in der Bundesrepublik von
Abschiebung bedroht bzw. zur Ausreise aufgefordert
worden? Auch hierbei interessiert mich vor allem eine
Auflistung nach Jahren und Bundesländern.
Da nicht nach der Zahl der Abschiebungen gefragt
worden ist, bitte ich auch hier um Verständnis, dass wir
Ihnen die Zahlen so bald wie möglich nachreichen werden.
Wir kommen zur Frage 19 des Abgeordneten
Wolfgang Wieland:
Auf welcher Grundlage hat die Bundesregierung einen europaweiten Architekturwettbewerb zur Erstellung eines Neubaus für das Bundesministerium des Innern, BMI, ausgeschrieben, obwohl es weder für den Wettbewerb noch für
einen möglichen Neubau bewilligte Haushaltsmittel gibt ({0}),
und mit welchen finanziellen Folgen rechnet die Bundesregierung im Falle eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem bis
2029 laufenden Mietvertrag für das derzeitige Dienstgebäude
des BMI?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Wieland, Sie wissen wahrscheinlich, dass es Haushaltsmittel für Kosten von Gutachten
und Wettbewerben im Zusammenhang mit Baumaßnahmen zur Unterbringung von Verfassungsorganen des
Bundes gibt. Diese sind im Einzelplan 12 zentral veranschlagt.
Bei dem Grundstück auf dem Moabiter Werder, um
das es konkret geht, handelt es sich um ein bundeseigenes Grundstück, das auf jeden Fall durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für den Bund selbst genutzt werden soll. Deshalb ist der in Aussicht
genommene Wettbewerb sehr sinnvoll und keinesfalls
eine nutzlose Aufwendung. Es ist im Gegenteil so, dass
die städtebauliche Situation auf dem Moabiter Werder
derzeit nicht wirklich geklärt ist. Es gibt für dieses Gebiet keinen Bebauungsplan. Aus diesem Grund haben
wir uns dafür entschieden, durch einen Wettbewerb die
beste städtebauliche Lösung für diesen Ort zu finden.
Wir haben aufgrund dieser ungeklärten Situation zusammen mit allen Beteiligten festgelegt, dass ein offener, anonymer Realisierungswettbewerb in zwei Phasen
stattzufinden hat. In der ersten Phase des Wettbewerbs
sind von den Teilnehmern lediglich städtebauliche Lösungsansätze für die Bebaubarkeit des zur Verfügung
stehenden Grundstücks zu entwickeln. Dadurch wird die
zu treffende Entscheidung nicht präjudiziert. Vielmehr
schaffen wir gerade erst die Voraussetzungen für eine
ganz konkrete Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Nur durch
den Wettbewerb können wir die Rahmenbedingungen ermitteln, die einen Vergleich mit einem konkreten Mietangebot oder weiteren Alternativen unter Berücksichtigung
der Funktionalität und der Sicherheit ermöglichen.
Im Übrigen wurde die korrekte Vorgehensweise des
BMI einschließlich der frühzeitigen Information der parlamentarischen Gremien über das Vorhaben in der
5. Sitzung des Haushaltsausschusses am 14. Dezember
2005 bestätigt. Der Haushaltsausschuss hat dort zur
Kenntnis genommen, dass das Bundesamt für Bauwesen
und Raumordnung einen offenen Realisierungswettbewerb ausgelobt hat, im Rahmen dessen von den Teilnehmern in der ersten Phase städtebauliche Lösungsansätze
für die Bebauung des Grundstücks ermittelt werden sollen.
Die finanziellen Folgen, die sich aus einer frühzeitigen Beendigung des Mietvertrages für die Gebäude ergeben, die wir mit Wirkung vom 1. Juli 1999 angemietet
haben, werden derzeit im Rahmen einer zu erstellenden
Entscheidungsunterlage in einer Wirtschaftlichkeitsvergleichsbetrachtung dargestellt. Sie werden dem Haushaltsausschuss dann zur Entscheidung vorgelegt.
Kollege Wieland.
Herr Staatssekretär, bei aller Freude, die ich als Berliner darüber empfinde, dass Sie sich als Vertreter des
Bundesministeriums des Innern so sehr um die städtebauliche Entwicklung des Moabiter Werders bemühen,
wollen Sie wirklich behaupten, dass Sie das alles ganz
uneigennützig für potenzielle andere Nutzer tun, oder ist
die Vermutung richtig, dass das BMI dort in einen neuen
Palast oder neues Gebäude einziehen möchte? Wie verträgt sich das mit einem langfristigen Mietvertrag, der
- so war zu lesen - bis zum Jahre 2029 abgeschlossen
wurde?
Sie werden als Berliner sicherlich wissen, dass es seit
Jahren eine umfangreiche öffentliche Debatte über die
langfristige Unterbringung des Bundesinnenministeriums gibt. Ich kann nur wiederholen, dass mit diesem
Wettbewerb nicht beabsichtigt ist, darüber eine Vorentscheidung zu treffen. Eine Vorentscheidung ist darüber
auch nicht innerhalb der Bundesregierung gefallen. Wir
werden die unterschiedlichen Möglichkeiten prüfen und
im Hinblick auf die weitere Nutzung der vorhandenen
Gebäude miteinander vergleichen. Wir werden dann eine
Entscheidung in enger Rücksprache mit den parlamentarischen Gremien treffen.
Eine weitere Nachfrage.
Das BMI betreibt ein anderes großes Bauprojekt in
Berlin bzw. will es betreiben, Stichwort „Umzug des
Bundesnachrichtendienstes“. Am Rande der Koalitionsverhandlungen wurde geäußert, man solle das noch einmal überdenken, wenn es so teuer werde wie vom
Bundesrechnungshof veranschlagt. Gibt es solche Überlegungen? Macht man hier eventuell einen Rückzieher?
Können Sie uns dazu etwas sagen?
Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, weil es sich nach
meiner Kenntnis nicht um ein Projekt des Bundesinnenministeriums handelt.
Dazu gibt es keine weiteren Fragen.
Dann kommen wir zu Frage 20 der Kollegin KottingUhl:
Kann die Bundesregierung die Abwehr terroristischer Angriffe gegen Atomkraftwerke sicherstellen und eine Gefährdung der Bevölkerung mit Sicherheit ausschließen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, einen absoluten Schutz
vor terroristischen Angriffen, und zwar unabhängig vom
potenziellen Ziel, gibt es leider nicht - das wissen alle
Beteiligten - und wird es auch in Zukunft nicht geben.
Das gilt auch für andere Gefährdungen von Leib und Leben, beispielsweise durch Naturkatastrophen oder durch
menschliches und technisches Versagen.
Die Sicherheit kerntechnischer Anlagen ist allerdings
für die neue Bundesregierung - genauso wie für die
alte - zu allen Zeiten ein wichtiges Anliegen.
Sie wissen, dass wir seit jeher auch im internationalen
Maßstab besonders hohe Standards haben. Sie wissen
auch, dass die alte Bundesregierung nach den Vorgängen
vom 11. September 2001 besondere Anstrengungen
unternommen hat, um die Sicherheit dieser Einrichtungen zu verbessern.
({0})
Diese Maßnahmen sind zum Teil bereits umgesetzt; zum
Teil befinden sie sich noch in der Umsetzung. Dies wird
von der neuen Bundesregierung weiterhin unterstützt.
Wir unternehmen alles, um entsprechende Gefährdungen
so weit wie möglich zu minimieren.
Gibt es eine Nachfrage?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Danke schön, Herr Staatssekretär Altmaier. Vor allem
bin ich damit zufrieden, dass Sie die Bemühungen der
alten Bundesregierung in der neuen Bundesregierung
ungeschmälert fortführen wollen. Wir sind uns auch einig darüber, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben
kann. Deshalb jetzt meine Nachfrage: Sind dieses
Wissen und diese Einigkeit, die wir in der Frage der Sicherheit haben, nicht Anlass, allen Überlegungen zu
Laufzeitverlängerungen gerade für ältere Reaktoren, die
bekanntermaßen vor terroristischen Angriffen besonders ungeschützt sind - Stichwort: nicht sicher ausgelegt
gegen Flugzeugabstürze, die so genannte Brunsbüttellinie -, eine klare Absage zu erteilen?
Wenn dem so wäre, hätte sich schon die alte Bundesregierung nicht auf Restlaufzeiten einigen dürfen. Entweder besteht eine nicht hinnehmbare Gefährdung oder
sie besteht nicht. Wir sind der Auffassung, dass wir in
Deutschland einen sehr hohen Stand bei den Sicherheitsvorkehrungen haben. Im Übrigen gibt es im Hinblick auf
Restlaufzeiten sowohl Vereinbarungen aus der letzten
Legislaturperiode als auch Vereinbarungen im Koalitionsvertrag.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Wir alle wissen, dass der so genannte Atomkonsens,
der zu dem Ausstiegsgesetz geführt hat, eine Vereinbarung zwischen verschiedenen Akteuren der Energiewirtschaft und der Politik war und insofern einen Kompromiss darstellt, der sozusagen die letzte Linie beschreibt.
Deshalb noch einmal meine Frage: Ist es angesichts der
Gefährdung gerade älterer Reaktoren nicht dringend geboten, der Übertragung von Laufzeiten von jüngeren Reaktoren auf ältere eine klare Absage zu erteilen?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass bei allen Reaktoren, die in Deutschland in Betrieb sind, der Sicherheitsstand so hoch ist, auch und gerade im internationalen Vergleich, dass eine vorzeitige Abschaltung
dieser Kernkraftwerke nicht geboten ist.
Vielen Dank. - Die Frage 21 des Kollegen Ströbele
soll schriftlich beantwortet werden. Die Frage 22 der
Kollegin Pau soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Dann kommen wir zur Frage 23 des Abgeordneten
Jan Korte:
Treffen Meldungen in den Medien zu, nach denen der Bremer Anwalt von M. K. mitteilt, dass sich in den „US-Akten
Informationen aus Bremen“ ({0}) befinden, und, wenn ja, welche
bundesdeutschen Behörden haben an amerikanische Stellen
Informationen über M. K. weitergeleitet?
Herr Korte, die Bundesregierung kann nicht beurteilen, ob die Medienberichte zutreffen, und der Bundesregierung liegen auch keine Kenntnisse über Inhalte von
US-Akten vor.
Gibt es Nachfragen? - Bitte schön, Herr Korte.
Wie erklären Sie sich denn dann - es sind ja täglich
neue Berichte zu lesen -, dass zum Beispiel der Bremer
Staatsanwalt Uwe Picard auf Nachfrage die Herausgabe
der Unterlagen an US-Stellen verweigert hat, diese aber
offensichtlich doch dort aufgetaucht sind? Das erschließt
sich mir nicht.
Ich weiß nicht, woraus Sie die Schlussfolgerung ziehen, dass die Unterlagen offensichtlich bei US-Stellen
aufgetaucht sind. Ich kann nur wiederholen: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über den Inhalt
von US-Akten vor. Wenn Sie andere Erkenntnisse haben, müssen Sie uns das mitteilen.
Eine weitere Nachfrage, Herr Kollege Korte? - Das
ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 24 des Kollegen Korte:
Welche genauen Kenntnisse konnten die Beamten deutscher Sicherheitsbehörden über die Haftbedingungen der Inhaftierten O. S. und M. K. gewinnen und haben die Beamten
diese Kenntnisse an ihre Behörden weitergegeben?
Die Frage 24 des Kollegen Korte betrifft nachrichtendienstliche Zusammenhänge und wird deshalb von der
Bundesregierung in den dafür vorgesehenen Gremien
des Deutschen Bundestages beantwortet.
Nachfrage?
Da es offenbar, wie man auch als Neuling feststellt,
die Regel ist, dass über alle diese Fragen geheim verhandelt wird, will ich doch einmal die folgende Frage stellen, zumal da wir mindestens jeden Montag mit der neuesten Ausgabe des „Spiegels“ neue Vorfälle erfahren, die
die Öffentlichkeit bewegen und die uns als Parlamentarier besonders interessieren sollten: Wie gedenkt die
Bundesregierung, all diese Fragen in der Zukunft in der
Öffentlichkeit zu diskutieren, und wie gedenkt sie, ihre
Erkenntnisse der Öffentlichkeit mitzuteilen? Ich denke,
die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, dass diese Erkenntnisse offen gelegt werden.
Herr Kollege Korte, ich muss Sie darauf hinweisen,
dass die Entscheidung, Fragen mit nachrichtendienstlichem Zusammenhang nur in den dafür vorgesehenen
Gremien des Bundestages zu behandeln, eine Entscheidung des Bundestages selbst war und keine Entscheidung der Bundesregierung. Wir fühlen uns daran gebunden. Es liegt am Bundestag, diese Praxis beizubehalten
oder zu einem gegebenen Zeitpunkt zu modifizieren.
Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat die Kollegin Petra Pau.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, welche
geheimdienstliche Relevanz Erkenntnisse über Haftbedingungen in Guantanamo haben? Was berechtigt dazu,
dass das Ganze nur im PKGr und nicht hier im Plenum
des Deutschen Bundestages oder im Innenausschuss behandelt wird? Hinzu kommt der Umstand, dass wir regelmäßig Foto- und Filmmaterial über Haftbedingungen
in Guantanamo in den Medien zur Kenntnis nehmen
können. Was dort stattfindet, findet ja nicht hinter verschlossenen Türen statt.
Es ist bekannt, dass die Befragungen in Guantanamo
ausschließlich von Mitgliedern der Nachrichtendienste
durchgeführt wurden. Mitarbeiter des BKA waren daran
nicht beteiligt. Der Umstand, dass es Mitglieder der
Nachrichtendienste waren, führt dazu, dass die einschlägigen Regelungen des Deutschen Bundestages über die
Behandlung dieser Vorgänge greifen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Altmaier. - Wir
kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Die Frage 25 der Kollegin Cornelia Pieper soll
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 26 der Kollegin Ina
Lenke.
Welche Arten von Kinderbetreuungskosten sollen für bis
sechsjährige Kinder - Kindertagesstätten, gewerbliche Kinderbetreuung, Tagesmütter, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Haushalt des Steuerpflichtigen - sowie für siebenbis 14-jährige Kinder - Hort, Hausaufgabenhilfe, Tagesmütter
({0}), Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Haushalt des Steuerpflichtigen - im Rahmen der Genshagener Beschlüsse des Bundeskabinetts im Einzelnen steuerlich absetzbar sein?
Frau Kollegin Lenke, Kinderbetreuungskosten können nach geltendem Recht im Rahmen von § 33 c Einkommensteuergesetz steuerlich berücksichtigt werden.
In den Hinweisen zu dieser Vorschrift - Einkommensteuerhandbuch, Hinweis 33 c, Stichwort „Kinderbetreuungskosten“ - sind beispielhaft Aufwendungen aufgelistet, die berücksichtigt werden können. Diese Aufzählung
beinhaltet auch die von Ihnen genannten Betreuungen.
Eine Unterscheidung nach dem Alter der Kinder gibt es
dabei nicht. Die vorgeschlagene Neuregelung orientiert
sich allerdings am geltenden Recht, was die Art der Betreuung anbelangt.
Nachfrage, Frau Kollegin Lenke? - Bitte.
Es geht mir auch um die Tagesmütter. Nach den
Genshagener Beschlüssen hat nicht die Kinderbetreuung
Priorität, sondern - das lassen die verschiedenen Abschnitte erkennen - die haushaltsnahe Dienstleistung.
Frau Staatssekretärin, auch Sie wissen, dass eine Frau,
die bei jemand anderem im Haushalt arbeitet, nicht als
Tagesmutter gilt, sondern als Arbeitnehmerin. Eine Frau
gilt als Tagesmutter - das ist ähnlich der Regelung der
400-Euro-Jobs -, wenn sie außerhalb des steuerpflichtigen Haushaltes, in dem das zu betreuende Kind lebt, arbeitet. Treffen Sie diese Unterscheidung also nicht
mehr? Sollen sämtliche Betreuungskosten abzugsfähig
sein? In der „FAZ“ stand zunächst, dass die Hortkosten
nicht absetzbar sind; aber im Laufe der Diskussion haben wir von der Ministerin gehört, dass sie doch absetzbar sein sollen. Sollen also auch die Kosten für eine
Hausaufgabenhilfe absetzbar sein? Wenn ich mein Kind
zur Hausaufgabenhilfe schicke, dann ist auch das ein
Stück weit Betreuung. Auch darauf bezieht sich meine
Frage.
Nein, die Kosten für eine Hausaufgabenhilfe sollen
nicht absetzbar sein.
({0})
Auch die Kosten für den Musikunterricht, für den Reitunterricht und Ähnliches sollen nicht absetzbar sein,
Kosten für die immer wiederkehrende Betreuung eines
Kindes allerdings schon.
Darf ich noch eine Nachfrage stellen?
Ja.
Folgendes Beispiel: Ein Kind hat Halbtagsunterricht
und nachmittags finden Zusatzstunden statt, an denen
man freiwillig teilnehmen kann. Dabei fallen Betreuungskosten an. Das fällt aber sicherlich unter „Bildung
und Betreuung“, genau wie Reitunterricht. Es geht mir
nicht um den Reitunterricht. Wenn es bei Ganztagsschulen solche Möglichkeiten gibt, sind entsprechende Kosten dann auch bei Besuch einer Halbtagsschule absetzbar?
Ja, das ist dann abzugsfähig. Zum Beispiel ist es in
Nordrhein-Westfalen üblich, dafür Elternbeiträge zu
nehmen. Auch diese Kosten können geltend gemacht
werden.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 27 der Kollegin Lenke.
In welcher Form soll die Vergünstigung steuertechnisch
Arbeitnehmern bzw. Selbstständigen zugute kommen?
Erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten sollen
künftig bis zu einem Höchstbetrag wie Betriebsausgaben
oder Werbungskosten berücksichtigt werden können.
Bei Arbeitnehmern und Selbstständigen soll der Abzug
bei der Ermittlung der Einkünfte erfolgen. Bei Arbeitnehmern sollen dabei die Kinderbetreuungskosten neben
dem Arbeitnehmerpauschbetrag abgezogen werden können. Die Kinderbetreuungskosten können bei Arbeitnehmern im Lohnsteuerermäßigungsverfahren als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden. Dabei
ist eine Bagatellgrenze von 600 Euro zu berücksichtigen.
Sie gilt natürlich für die Summe all dessen, was man eintragen lässt. Möglicherweise will man die Fahrten von
der Wohnung zur Arbeitsstätte eintragen lassen. Der Eintrag kann aber schon im Lohnsteuerermäßigungsverfahren erfolgen. Damit kann sich das bereits beim Lohnsteuerabzug steuermindernd auswirken.
Nachfrage, Kollegin Lenke?
Ja. - In Bezug auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer
wissen wir, dass die Möglichkeit besteht, eine Gehaltserhöhung als direkte Zahlung des Arbeitgebers für Kinderbetreuung zu geben. Dann ist das lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei.
Entschuldigung; dem kann ich nicht folgen. Wenn das
so gemacht würde, wäre das nach der Logik des Einkommensteuerrechts ein geldwerter Vorteil.
Mir ist das so bekannt. Das könnten Sie prüfen.
Das kann ich gern tun.
Es ist aber so, dass der Arbeitgeber eine solche Gehaltserhöhung für Kinderbetreuungskosten nur bis zum
vollendeten sechsten Lebensjahr des Kindes geben kann.
Manche Kinder gehen aber bis zum vollendeten siebten
Lebensjahr in den Kindergarten. Da besteht diese Möglichkeit nicht. Ich bitte Sie, diese Regelung betreffend
Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht bei solchen
Gehaltserhöhungen in Bezug auf die Genshagener Beschlüsse zu überprüfen und der FDP-Fraktion Antwort
zu geben.
Ich will Ihnen gern dazu antworten; aber ich nehme
an, dass Sie von einer falschen Voraussetzung ausgehen.
Es gibt die Möglichkeit für Betriebe, Betriebskindergärten zu unterhalten. Die Ausgaben dafür sind dann
notwendige Betriebsausgaben und sind als solche wie
andere Betriebsausgaben auch natürlich steuerlich geltend zu machen. Die Eltern werden aber im Regelfall einen Beitrag zu leisten haben. Würden sie ihre Kinder
dort kostenfrei unterbringen können, wäre das wiederum
ein geldwerter Vorteil, der zu versteuern wäre und, sofern die Sozialversicherungspflichtgrenze noch nicht erreicht ist, der Sozialversicherungspflicht unterläge.
Es gibt nun den Sonderfall, dass Arbeitgeber, allerdings in sehr eng begrenztem Umfang, Beiträge für Erholungsmaßnahmen von Kindern ihrer Betriebsangehörigen leisten können, zum Beispiel wenn Kinder in ein
Ferienerholungsheim des Unternehmens geschickt werden. Das sind aber auch schon die Grenzen dessen, was
nicht als geldwerter Vorteil angesehen wird. Das ist ge678
deckelt. Ich habe jetzt nicht genau im Kopf, wie viel es
ist. Aber es ist kein riesiger Betrag.
Im Prinzip müssen Sie davon ausgehen, dass es eigentlich nicht zutreffen kann. Entweder sind es Betriebsausgaben beim Arbeitgeber oder es ist ein geldwerter Vorteil beim Arbeitnehmer. So ist die Logik des
Einkommensteuerrechts.
Frau Staatssekretärin, ich bitte Sie trotzdem, das zu
überprüfen.
Gerne.
Mir ist diese Regelung schon seit langem bekannt.
Gerade im Bundestagswahlkampf hat eine Dame Ärger
mit dem Finanzamt gehabt. Sie konnte die Kindergartengebühren für ihr Kind, das über das vollendete sechste
Lebensjahr hinaus im Kindergarten war, nicht mehr absetzen. In den letzten Tagen habe ich in einer Zeitung
- ich weiß nicht, in welcher - auch ein kleines Informationskästchen gesehen, in dem das ebenfalls so stand.
Ich kümmere mich darum.
Es mag sein, dass sich die Zeitung irrt. Aber ich
würde gern von Ihnen eine Antwort haben.
Ja, selbstverständlich.
Vielen Dank.
Dann kommen wir zur Frage 28 der Kollegin
Christine Scheel:
In welchen EU-Ländern bestehen Beschränkungen der
Verlustverrechnung, die dazu führen können, dass Verluste
dort ansässiger Tochtergesellschaften mit den Gewinnen der
in Deutschland ansässigen Muttergesellschaften verrechnet
werden können, und wie sind diese Verlustverrechnungsbeschränkungen konkret ausgestaltet?
Frau Kollegin Scheel, in der Rechtssache Marks &
Spencer hat der EuGH für die Regelung der britischen
Gruppenbesteuerung entschieden, dass der Verlustabzug
vorrangig im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft
erfolgen soll, damit eine ausgewogene Aufteilung der
Besteuerungsrechte zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten erreicht wird und eine doppelte Verlustberücksichtigung sowohl im Ansässigkeitsstaat der
Tochtergesellschaft als auch im Ansässigkeitsstaat der
Muttergesellschaft vermieden werden kann. Es soll einer
Gesellschaft nicht freistehen, den Ort der Anrechnung
der Verluste zu wählen.
Eine Ausnahme macht der EuGH nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur für den Fall, in dem die
Tochtergesellschaft alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat und keine Möglichkeit besteht, die Verluste in dem Land, in dem sie ihren
Sitz hat, für zukünftige Zeiträume selbst oder zugunsten
eines Dritten zu nutzen. Problematisch ist dies bei EUMitgliedstaaten, die besonders enge nationale Verlustverrechnungsregelungen haben - mit der Folge, dass bei
ihnen angesiedelte Unternehmen die Möglichkeit haben,
Verluste beim Mutterunternehmen im Heimatland zu
verrechnen.
Die EU-Mitgliedstaaten haben zum Teil ähnliche Regelungen wie Deutschland; zum Teil ist der Verlustvortrag anders als in Deutschland zeitlich begrenzt.
Beschränkungen der Verlustverrechnungen in anderen
Ländern hätten aber nach Ansicht der Bundesregierung
nicht zwingend zur Folge, dass Verluste dort ansässiger
deutscher Tochterunternehmen aufgrund der Entscheidung des EuGH nun bei der Mutter verrechnet werden
dürften; denn die deutschen Organschaftsregelungen
stellen anders als die britischen Regelungen, zu denen
das Urteil konkret ergangen ist, keine Steuervergünstigung dar. Nur für diese soll aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Verlustverrechnungsmöglichkeit bei ausgeschöpften Verrechnungsmöglichkeiten bei
der Tochtergesellschaft gelten. - So der EuGH. Nach
den deutschen Regelungen bildet der Gewinnabführungsvertrag die Grundlage für eine Besteuerung nach
der Leistungsfähigkeit.
Nachfrage, Frau Scheel.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich habe eine Nachfrage, verbunden mit der großen Befürchtung, dass es international gesehen hier Lücken gibt, die gerade für die
deutsche Seite negative Effekte haben könnten. Gehen
wir einmal davon aus, dass eine Muttergesellschaft in
Deutschland eine Tochtergesellschaft im Ausland hat,
beispielsweise in der Slowakei - dieses Beispiel habe ich
schon heute Morgen im Finanzausschuss genannt -, in
Estland - dort sind die einbehaltenen Gewinne sogar
völlig steuerfrei, weshalb eine Verlustverrechnung in
diesem Sinne nicht möglich ist - oder in einem anderen
Land, in dem es vielleicht - Sie haben darauf hingewiesen - befristete Verlustvorträge gibt. Sie haben völlig zu
Recht erwähnt, dass nach dem EuGH-Urteil eine doppelte Verlustverrechnung nicht möglich ist, dass es da
Einschränkungen gibt, die im Urteil klar definiert sind.
Es gibt auch bezüglich der Ausschöpfung Modalitäten,
die aber, wie ich glaube, in der praktischen Umsetzung
sehr weich sind.
Nun zu meiner Frage. Bleiben wir einmal beim Beispiel Slowakei. Dort kann sich der Verlustvortrag auf
fünf Jahre erstrecken, das heißt, jedes Jahr werden
20 Prozent abgetragen. Wenn nun die Gewinn- bzw. Verlustsituation im ersten Jahr so ist, dass Verluste stehen
bleiben, dann könnten diese theoretisch auf die Mutter
übertragen werden, weil sie in jenem Land am Ende
nicht verrechnet werden konnten und auch keine doppelte Verrechnung stattfinden konnte. Wie schätzen Sie
diese Situation ein? Besteht da die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns von deutscher Seite?
Wie ich Ihnen gerade schon sagte, sind die deutschen
Organschaftsregelungen nicht identisch mit den britischen Verlustverrechnungsregelungen. Das EuGH-Urteil
ist ja in der Rechtssache Marks & Spencer, also zu einem
britischen Fall, ergangen. Im Übrigen ist es verabredet,
dass die Steuerreferatsleiter des Bundes und der Länder
im Februar die Folgen des Urteils, das zu Marks & Spencer
ergangen ist, sehr eingehend prüfen werden. Sollte es gesetzgeberischen Handlungsbedarf geben, entweder auf
nationaler oder auf internationaler Ebene, so werden wir
entsprechend handeln. Aber prima vista bin ich der Auffassung, dass das nicht notwendig werden wird. Das bedarf allerdings noch eingehenderer Prüfung.
Weitere Nachfrage?
Zu dieser Frage nicht.
Dann kommen wir zur Frage 29 der Kollegin Scheel:
Welche Steuerausfälle drohen dem deutschen Fiskus aus
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, vom
13. Dezember 2005 insbesondere auch dadurch, dass der
EuGH die Rückwirkung seiner Entscheidung nicht begrenzt
hat, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um
diese Steuerausfälle einzudämmen bzw. abzuwenden?
Frau Kollegin Scheel, der Gefahr der Steuerausfälle
in Milliardenhöhe ist mit dem Urteil die Grundlage entzogen worden. Unabhängig davon ist die Bundesregierung daran interessiert, auf der Ebene der EU gemeinsame Regelungen zur Verlustverrechnung zu schaffen.
Nachfrage, Frau Scheel?
Ich habe eine Nachfrage mit Blick auf die einheitliche
Bemessungsgrundlage. Der Finanzminister, Peer
Steinbrück, hat ja sein Interesse bekundet, eine einheitliche Bemessungsgrundlage - wie sie bereits von der rotgrünen Bundesregierung angestrebt wurde - auf der europäischen Ebene zu erreichen. Das hat er jetzt auch mit
seinem finnischen Amtskollegen besprochen. In diesem
Kontext muss man natürlich auch überlegen, welche
Konsequenzen das für die grenzüberschreitende Verlustverrechnung hat. Eine einheitliche Bemessungsgrundlage kann ja auch eine Vereinheitlichung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung in der EU zur Folge
haben.
In einer Fernsehsendung Anfang dieser Woche wurde
darüber berichtet, dass es im Kanton Obwalden in der
Schweiz seit 1. Januar dieses Jahres einen Unternehmensteuersatz von nur noch 13 Prozent gibt - das ist niedriger als beispielsweise in Rumänien - und dass sich
Kanzleien - ich will hier keine Namen nennen; das ist in
der Sendung angesprochen worden - darauf spezialisieren, den deutschen Unternehmen über die Schweiz und
auch über Österreich das so genannte Organschaftsmodell nahe zu bringen, durch das eine geschickte Verrechnung mit den Tochtergesellschaften erfolgen kann; das
heißt, die Verluste bleiben bei der Mutter in Deutschland
und die Gewinne werden im Ausland über gut verschachtelte Gesellschaften sehr trickreich billig besteuert. Dieses Modell soll also vermarktet werden.
Deswegen möchte ich gerne wissen, was die Bundesregierung und speziell der Bundesfinanzminister und Sie
zu tun gedenken, um diesen Entwicklungen entgegenzutreten und um Schaden, was die Steuereinnahmen anbelangt, von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.
Zum ersten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin Scheel.
Wenn es zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage in
der Europäischen Union und damit zu einer einheitlichen
Verlustverrechnung kommt, dann gibt es natürlicherweise überhaupt kein Interesse mehr an grenzüberschreitenden Verlustverrechnungen. Denn in diesem Fall wären die Unternehmen überall gleichgestellt und eine
grenzüberschreitende Verlustverrechnung würde sich logischerweise nicht lohnen.
({0})
Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Auch die EU-Kommission wird der Frage nachgehen, was im Kanton Obwalden passiert. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass es
ein unfairer Steuerwettbewerb ist, dann würde dies den
Vereinbarungen, die zwischen der Europäischen Union
und der Schweiz getroffen worden sind, widersprechen.
Denn im Rahmen der binationalen Verträge hat die
Schweiz einem entsprechenden Code of Conduct zugestimmt. Einer Verletzung dieses Codes müsste die EUKommission nachgehen. Das Modell, das in Österreich
praktiziert wird, ist in diesem Zusammenhang ein Sonderfall.
Wir sind zurzeit dabei, diese Sachverhalte aufzuklären. Wir haben aber im Verhältnis zur Schweiz keine eigenen Möglichkeiten, sofern das Doppelbesteuerungsabkommen nicht verletzt wird. Eine Aufklärung kann nur
aufgrund der Verpflichtungen, die die Schweiz gegenüber der Europäischen Union eingegangen ist, erfolgen.
Wir prüfen also, ob das, was zu Beginn der Woche in
manchen Fernsehsendungen behauptet worden ist, zutrifft und ob die Schlussfolgerungen, die dort gezogen
worden sind, zutreffend sind.
Eine weitere Nachfrage, Frau Scheel.
Herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich bitte aber darum, dass wir die Informationen zeitnah bekommen, sobald die Sachverhalte mit den jeweiligen Ländervertretern besprochen worden sind.
Ich habe noch eine weitere Nachfrage. Es geht um die
einheitliche Bemessungsgrundlage. Sie haben darauf
hingewiesen, dass es im Falle einer Vereinheitlichung
überhaupt keine Anreize geben würde, dass Unternehmen im internationalen Kontext irgendwelche Verschiebungen zu ihren Gunsten und zulasten der einzelnen
Staaten vornehmen.
Bemessungsgrundlage ist Bemessungsgrundlage und
Steuersätze sind Steuersätze. Mich interessiert deswegen, ob vonseiten der Bundesregierung über die Frage
hinaus, welche Besteuerungsgrundlagen herangezogen
werden - das ist ja die Bemessungsgrundlage -, auch erwogen wird, beispielsweise Mindeststeuersätze auf der
europäischen Ebene zu verankern, um ebendiesen unlauteren Wettbewerb, der auf diesem Gebiet stattfinden
könnte - bei uns liegt die Gewerbesteuer bei 39 Prozent
und in anderen Ländern beträgt sie null; dazwischen liegen also Welten -, zu verhindern. Sind Sie der Meinung,
dass der Wettbewerb, der ohne Zweifel notwendig ist,
aufgrund der Gefahr des Dumpings nicht ein wenig geregelt werden müsste, indem man neben der Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage auch Mindeststeuersätze einführt?
Frau Kollegin, die Bundesregierung sieht ihre vordringliche Aufgabe darin, eine einheitliche Bemessungsgrundlage, also die Möglichkeit einer einheitlichen Gewinnermittlung, insbesondere für international tätige
Unternehmen zu schaffen. Es würde dann innerhalb der
Europäischen Union keine verschiedenen Systeme bezogen auf die gesamte Körperschaftsteuer mehr geben. Die
Bundesregierung ist froh und dankbar, dass die Mehrheit
der europäischen Länder, wenn auch nicht alle Länder,
aktiv daran mitwirkt. Dies geschieht bisher völlig zu
Recht auf der Arbeitsebene der Finanzministerien unter
Einbeziehung der Vertreter der Kommission.
Die Bundesregierung kann sich sehr wohl vorstellen,
dass es in einem zweiten Schritt so etwas wie eine Bandbreite von Steuersätzen geben könnte. Eine Bandbreite
impliziert einen Höchstsatz und einen Mindestsatz. Im
Rahmen einer solchen Bandbreite wäre dann auch weiterhin Konkurrenz zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union möglich.
Dies ist zwar keine Einzelmeinung innerhalb der Europäischen Union; es gibt durchaus auch andere Länder,
die eine solche Position vertreten, zum Beispiel unter anderem Frankreich. Aber es ist doch eine deutliche Minderheitsmeinung. Die Bundesregierung hat diese Position zunächst hintangestellt, um die auf der europäischen
Ebene gut voranschreitenden Arbeiten zur Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage nicht zu stören.
Aber wir werden das Ziel der Schaffung einer Bandbreite von Steuersätzen bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen in der Europäischen Union nicht aus
dem Auge verlieren. Dies ist allerdings ein eher mittelbis langfristiges Projekt.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 30 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Was gedenkt die Bundesregierung angesichts der Tatsache
zu tun, dass immer mehr Unternehmen in Deutschland, zum
Beispiel jüngst Samsung in Berlin, die Subventionen abschöpfen und am Ende der Bindungsfrist Arbeitsplätze abbauen bzw. in osteuropäische Länder verlagern und ganze Betriebsteile schließen und damit die Kosten der Arbeitslosigkeit
auf die sozialen Sicherungssysteme verlagert werden?
Sofern Investitionen in einer von Schließung oder
Verlagerung betroffenen Betriebsstätte im Rahmen der
Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe gefördert wurden,
stellen die Förderregeln sicher, dass innerhalb von fünf
Jahren nach Abschluss der geförderten Maßnahme die in
Aussicht gestellten Arbeitsplätze besetzt oder zumindest
auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft angeboten werden.
Darüber hinaus müssen die mit Investitionszuschüssen geförderten Wirtschaftsgüter mindestens fünf Jahre
in der geförderten Betriebsstätte verbleiben. Die für die
Durchführung zuständigen Länder prüfen während der
Bindungsfrist die Einhaltung der Förderbedingungen.
Werden dem Zuwendungsbescheid zugrunde liegende
Fördervoraussetzungen nicht eingehalten, entstehen
Rückforderungsansprüche gegenüber dem Zuwendungsempfänger.
Die neuen Regionalleitlinien der Europäischen Kommission, die den künftigen beihilferechtlichen Rahmen
für die Investitionsförderung bilden, sehen auch für den
Zeitraum von 2007 bis 2013 eine Beibehaltung der fünfjährigen Bindefrist vor. Darüber hinausgehende Rückzahlungsverpflichtungen würden die Anreizwirkung der
GA-Investitionsförderung und damit das vorrangige Ziel
der Schaffung und Sicherung von Dauerarbeitsplätzen in
strukturschwachen Gebieten konterkarieren. - Das ist
die Antwort auf die erste Frage.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön, Frau Kollegin.
Ich habe dazu eine Nachfrage. Sie haben jetzt natürlich die Gesetzgebung erläutert; das ist völlig klar. Wir
stellen aber im Moment fest, dass Unternehmen nach der
Bindungsfrist in die osteuropäischen Länder abwandern.
Ich kann Ihnen dazu mehrere Beispiele nennen. Dräxlmaier wurde in diesem Zusammenhang in den Medien
genannt. Auch das Unternehmen Plauener Gardine ist
ein Beispiel dafür, dass Unternehmen nach der Bindungsfrist nach Tschechien, Polen oder wohin auch immer abwandern.
Deswegen bin ich mit Ihrer Antwort nicht sehr zufrieden. Denn es stellt sich die Frage: Was kann dagegen unternommen werden, dass auf der einen Seite Unternehmer hohe Investitionen erhalten und auf der anderen
Seite Kolleginnen und Kollegen entlassen werden, die
Arbeitslosenversicherung beansprucht wird und die Arbeitslosigkeit wieder von der Gesellschaft bezahlt wird?
Diese Frage haben Sie mir nicht korrekt beantwortet.
Frau Kollegin, diese Frage hängt sehr eng mit der
Frage 31 zusammen. Darf ich versuchen, diese Fragen in
einem Atemzug zu beantworten? Sie können ja dann
noch nachfragen.
Dann würde ich jetzt gerne noch eine Nachfrage stellen wollen.
Lassen Sie mich doch mal eben auf Frage 31 antworten. Sie haben dann jederzeit die Möglichkeit, nachzufragen.
Wir sind der Meinung, dass die Bindungsfrist von
fünf Jahren für die Unternehmen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt das richtige Mischungsverhältnis zwischen
der Festlegung am Standort und der Aufrechterhaltung
des Interesses, eine Investition überhaupt zu tätigen, darstellt. Diese schwierige Gratwanderung müssen wir ja
machen. Es gibt Annahmen dahin gehend, dass dann,
wenn man die Bindungsfrist deutlich verlängern würde
- das kann übrigens nicht auf nationaler Ebene, sondern
nur europaweit geschehen -, bestimmte Investitionen,
auf die wir dringend angewiesen sind und die wir haben
wollen, wegen einer zu langen, vom Investor nicht akzeptierten Bindungsfrist unterbleiben. Das ist das Problem.
Wir sind im Moment dabei, diese Linie zu halten. Wir
diskutieren mit der EU darüber, ob man bei Großinvestitionen, die mit EU-Mitteln gefördert werden, in anderer
Weise eine Verlagerung verhindern oder begrenzen
kann.
In Bezug auf die kleineren Investitionen sehen wir im
Moment keine Möglichkeit, diese Gratwanderung hinzubekommen, ohne die eine oder andere Partei zu belasten.
Weitere Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, heißt das also,
dass die Kosten, unabhängig von der Höhe der Investitionen, immer bei unseren Sozialversicherungssystemen
bleiben. Von einer Abwanderung eines Unternehmens
sind in erster Linie solche Arbeitnehmer betroffen, die
45 Jahre oder älter sind. Was soll denn mit denen passieren? Sollen wir sie alle in 1-Euro-Jobs stecken? Ich
denke, das ist einfach eine unbefriedigende Antwort.
Frau Kollegin, die Antwort ist nicht so unbefriedigend, wie Sie es meinen. In einer globalisierten Welt
können wir Unternehmen nicht einfach an einen Standort binden. Das ist das Problem. Unsere Chance besteht
darin, die Standortbedingungen bei uns ein Stück weit zu
verbessern. Wenn wir die Unternehmen an Standorte
binden wollten, würden wir Schaden für den Standort
Deutschland stiften. Wir sollten die Chancen, die wir haben, nutzen, um zu erreichen, dass die Unternehmen an
ihren Standorten in Deutschland bleiben. Das wollen wir
natürlich alle miteinander. Das können wir dadurch
schaffen, dass wir die Rahmenbedingungen so setzen,
dass Abwanderungen unterbleiben.
Ich will darüber hinaus noch den folgenden Gedanken
ansprechen. Auch wir haben natürlich bei den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag und im Wirtschaftsministerium darüber diskutiert, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir haben, um diese Abwanderungen zu
erschweren. Als Erstes würde ich empfehlen, dass wir
die Dinge einmal untersuchen, dass wir feststellen: Was
passiert da wirklich? Um wie viele Einzelfälle handelt es
sich? Handelt es sich dabei um eine Bewegung? Was
sind die Motive? Erst wenn diese Fragen beantwortet
sind, könnte man sich überlegen, ob es passendere Instrumente gibt, mit denen wir erreichen können, dass
Abwanderungen nur so selten wie möglich vorkommen.
Wir kommen dann zur Frage 31 der Kollegin
Zimmermann:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu
ergreifen, die ein solches Verhalten erschweren bzw. die Unternehmen in die Verantwortung nehmen, etwa durch die
Rückzahlung der Fördermittel oder die Beteiligung an den
Kosten der Arbeitslosigkeit?
Frau Zimmermann, Sie bleiben dran. - Bitte schön,
Herr Staatssekretär.
Diese Frage habe ich bei meinen Ausführungen schon
mitbeantwortet.
Sie hätten dann, Frau Zimmermann, noch die Möglichkeit, zwei weitere Nachfragen zu stellen, Sie müssen
aber nicht.
Das hat sich jetzt erst einmal erledigt. Ich wäre froh,
wenn wir darüber, auch im Ausschuss, noch einmal diskutieren würden. Denn ich denke, das ist ein wichtiges
Thema, mit dem wir es in den nächsten Monaten auf jeden Fall zu tun haben werden.
Danke schön, Frau Zimmermann, und vielen Dank,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Hermann Kues zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 32 der Kollegin Katja
Kipping:
Wie erklärt die Bundesregierung, dass laut „WSI-FrauenDaten-Report“ junge Frauen trotz besserer formaler Bildungsleistungen bereits beim Berufseinstieg weniger als ihre gleichaltrigen Kollegen verdienen ({0}), und was will die Bundesregierung dagegen tun?
Die Ursachen für die niedrigen Einkommen von
Frauen sind vielfältig und hängen auch in Bezug auf die
jüngere Generation mit dem immer noch geschlechtsspezifisch geteilten Arbeitsmarkt zusammen. Frauen sind
häufiger als Männer in Wirtschaftsbereichen, Branchen
und Berufen mit vergleichsweise niedrigerem Einkommen tätig. Besonders in Westdeutschland tragen immer
noch die ungleiche Aufgabenverteilung zwischen Frauen
und Männern und fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten dazu bei, dass familienbedingte Einkommensunterschiede entstehen. Frauen machen insgesamt wegen
ihrer Familienpflichten in geringerem Umfang Überstunden als Männer und üben seltener Tätigkeiten aus,
für die es aufgrund besonderer Belastungen - zum Beispiel Schichtarbeit - Zuschläge gibt. Familienbedingte
Berufsunterbrechungen mit ungünstigen Folgen für die
weitere Einkommensentwicklung tragen ebenfalls dazu
bei.
Die Bundesregierung setzt sich in ihrer Politik für die
Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Frauen und
damit für die Beseitigung von Entgeltunterschieden ein.
Im Mittelpunkt steht die Vereinbarkeit von Familie und
Erwerbsarbeit, die wir verbessern wollen. Hierzu gehören der weitere Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung, die Weiterentwicklung der Tagespflege als
gleichrangige Alternative, die Stärkung von Initiativen
zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung sowie die
von der Bundesregierung beabsichtigte steuerrechtliche
Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten. Darüber hinaus ist ein Konsens zu fördern,
der die faktische Wahrnehmung der Erziehung und Betreuung von Kindern beiden sorgeberechtigten Elternteilen in gleichem Maße zuerkennt. Ein weiterer wichtiger
Ansatzpunkt zur Beseitigung von Einkommensunterschieden von Frauen und Männern ist die Einhaltung des
Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit. Hier sind alle Beteiligten gefordert, den Frauen dieselben Verdienst- und Karrieremöglichkeiten zu verschaffen wie Männern.
Danke. - Gibt es Nachfragen, Frau Kipping?
Ja, ich habe eine Nachfrage. Zunächst einmal vielen
Dank für Ihre Antwort, in der ja die Einschätzung des
„WSI-Reports“ im Großen und Ganzen geteilt wurde.
Vor dem Hintergrund Ihrer Einschätzung stellt sich mir
die Frage, ob und, wenn ja, wann mit einem gleichstellungspolitischen Programm der neuen Bundesregierung
zu rechnen ist und welche die Eckpunkte eines solches
Programms sind.
Es ist nicht mit einem gleichstellungspolitischen Programm zu rechnen. Wir werden es uns als Aufgabe vornehmen, für Männer und Frauen gleiche Chancen auf
dem Arbeitsmarkt zu schaffen.
Weitere Nachfrage?
Ich würde gern zur nächsten Frage kommen.
Dann kommen wir zu Frage 33 der Kollegin Kipping:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Befund, dass in der
Bundesrepublik Deutschland der Frauenanteil in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und in den Verbänden weitgehend unter 20 Prozent liegt ({0}), und erwägt die Bundesrepublik
Deutschland gleichstellungspolitische Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungsgremien der Wirtschaft,
zum Beispiel nach norwegischem Vorbild ({1})?
In ganz Europa nehmen Frauen deutlich weniger als
Männer wichtige Entscheidungspositionen in den Unternehmen der privaten Wirtschaft ein. 2004 wurde in den
Aufsichtsräten der jeweils 50 größten börsennotierten
Unternehmen in Deutschland nur eine Position von zehn
durch eine Frau besetzt. Dabei liegt der Anteil in
Deutschland mit rund 12 Prozent etwas über dem europäischen Durchschnitt von 10 Prozent. Insgesamt hat
sich der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der
deutschen Wirtschaft ausgehend von einem niedrigen
Niveau in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Gegenüber dem Mikrozensus 2004 beträgt der Anteil von
Frauen an Führungspositionen mit umfassender Führungsverantwortung 21 Prozent.
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, eine verpflichtende Quote bei der Besetzung von Gremien von
Aktiengesellschaften des privaten Rechts einzuführen.
Sie hat sich im Rahmen der Vereinbarung der Bundesregierung und der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen
und Männern in der Privatwirtschaft mit der Wirtschaft
darauf geeinigt, die Erhöhung des Anteils von Frauen in
Führungspositionen auf freiwilliger Basis voranzubringen. Die Fortschritte bei der Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der privaten Wirtschaft werden regelmäßig bilanziert und veröffentlicht.
Die Berufung und Entsendung von Frauen und Männern
in Gremien im Einflussbereich des Bundes werden durch
das Bundesgremienbesetzungsgesetz geregelt, über dessen Umsetzung ebenfalls regelmäßig berichtet wird.
Gibt es Nachfragen, Frau Kipping?
Es gibt noch eine Nachfrage. Die von Ihnen angesprochenen Regelungen mit der Wirtschaft setzen allein auf
Freiwilligkeit. Welche Handlungsoptionen sehen Sie als
Bundesregierung, falls die entsprechenden Vereinbarungen von der Wirtschaft nicht freiwillig erfüllt werden,
und welchen Wert hätte Ihrer Meinung nach eine solche
freiwillige Vereinbarung, wenn sie nicht zu dem gewünschten Erfolg führen würde?
Ich glaube, dass wir hier auf Kooperation mit den
Spitzenverbänden der Wirtschaft und auf Verhandlungslösungen setzen müssen. Wir sind hier auf einem guten
Wege. Auf dem Anordnungswege käme man hier nicht
zum Erfolg. Das entspricht auch nicht unseren Vorstellungen hinsichtlich des Bemühens, hier zu einer besseren Berücksichtigung der Frauen zu kommen.
Ich hätte noch eine weitere Nachfrage.
Bitte schön.
Besten Dank. In meiner Frage habe ich auf die Regelung verwiesen, die man in Norwegen getroffen hat. Beabsichtigt die Bundesregierung, mit der norwegischen
Regierung in einen entsprechenden Erfahrungsaustausch
zu treten und zu schauen, inwieweit die Regelung, die
man dort getroffen hat, zu positiven Ergebnissen führt?
Es gibt einen regelmäßigen Austausch auf europäischer Ebene. Die Erfahrungen, die andere Länder machen, werden geprüft und genutzt. Die Regelungen, die
für uns geeignet sind, werden wir hier auch umsetzen.
({0})
Es gibt noch eine weitere Nachfrage. Bitte schön,
Frau Kollegin Binder.
Herr Kues, Sie haben uns gerade gesagt, es werde
kein gleichstellungspolitisches Programm der Regierung
geben. Beabsichtigt die Regierung zumindest, frauenspezifische Aktivitäten auf den Weg zu bringen, die über
die jetzt hochaktuellen Projekte wie Elterngeld oder Betreuungsinitiativen hinausgehen? Diese beschränken
sich ausschließlich auf Mütter und Familien. Wo bleiben
die Frauen?
Wir haben Überlegungen angestellt, wie wir dort neue
und zusätzliche Akzente setzen können. Wir sind dabei,
das vorzubereiten. Das schlägt sich aber nicht unmittelbar in einem gleichstellungspolitischen Programm - das
war ja Ihre Frage - nieder. Es werden aber sicherlich
weitere Aktivitäten unternommen, um bei der Gleichstellung Fortschritte zu machen.
({0})
- Das wird bei Gelegenheit im Einzelnen zu diskutieren
sein. Heute kann ich dazu nicht mehr sagen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Zeit für die Fragestunde ist damit abgelaufen. Die
nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Aktuelle Entwicklung im Hinblick auf die Vogelgrippe und Schutzmaßnahmen der Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Bundesminister Horst Seehofer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die große Zahl neuer Fälle des Ausbruchs der
Vogelgrippe in der Türkei hat auch bei uns im Lande die
Gefahrenlage erhöht. Die Menschen bei uns sind deshalb
in hohem Maße alarmiert und beunruhigt. Deshalb
möchte ich hier vor dem Parlament zuallererst im Namen der Bundesregierung versichern, dass wir seit vielen Monaten mit allen betroffenen und zuständigen Stellen - national, europäisch und international - und auf
allen berührten Feldern das in unserer Macht Stehende
tun, um die mit der Vogelgrippe verbundenen Gefahren
präventiv von Deutschland fernzuhalten und aktiv in den
betroffenen Ländern zu bekämpfen.
({0})
Zunächst aber zur aktuellen Gefahrenlage und zur Risikoeinschätzung durch die Wissenschaft: Ausgehend
von Südostasien hat sich die Vogelgrippe in den vergangenen beiden Jahren über einen Großteil des asiatischen
Kontinents ausgebreitet. Mit Rumänien, der Ukraine,
dem europäischen Teil Russlands, Kroatiens und der
Türkei hat sie in den vergangenen Monaten auch den
europäischen Kontinent erreicht. Das Territorium der
Europäischen Union ist, Gott sei Dank, bislang noch
nicht von der Vogelgrippe betroffen.
Unsere aktuelle Risikoeinschätzung geht von verschiedenen möglichen Quellen für die Einführung der
Vogelgrippe nach Deutschland aus. Die größte Gefahr
geht dabei im Moment von der illegalen Einfuhr von Geflügel und Geflügelprodukten sowie von anderen Vögeln
und von Vögeln stammenden Produkten aus den betroffenen Regionen aus. Die Einschleppung der Vogelgrippe
über Zugvögel, die nach überwiegender Meinung der
Experten für die globale Verbreitung der Vogelgrippe
verantwortlich sind, ist im Moment bei uns in Deutschland sehr unwahrscheinlich. Diese Situation wird sich jedoch mit der Rückkehr der Zugvögel aus den südlichen
Ländern im Februar, März und April verändern.
Als weitere mögliche Risikofaktoren beobachten wir
auch den Personen- und Fahrzeugverkehr aus den betroffenen Ländern sowie den legalen Handel mit Geflügel
und Geflügelprodukten aus nicht betroffenen Regionen
sehr genau. Auch wenn das Gefahrenpotenzial in diesen
Bereichen im Moment nicht das Ausmaß der beiden zunächst genannten Bereiche annimmt, werden wir bei einer Veränderung der Gefahrenlage, beispielsweise durch
Auftreten der Vogelgrippe innerhalb der EU, auch hier
sehr schnell reagieren können.
Wir haben die aktuelle Situation und unsere Schutzmaßnahmen gegen die Vogelgrippe in der Sitzung des
Bundeskabinetts heute Morgen behandelt. Wir waren
übereinstimmend der Auffassung, dass mit Wachsamkeit, Vorsicht und allem Nachdruck alles Menschenmögliche getan werden muss, um diese Tierseuche von
Deutschland fernzuhalten.
({1})
Bei aller Wachsamkeit besteht allerdings auch kein
Anlass, in Panik zu verfallen. Wir müssen auf ein koordiniertes, konzentriertes und sorgfältiges Vorgehen nach
dem Motto „Im Zweifel für die Prävention“ hinwirken
und dabei sämtliche Maßnahmen zur Risikominimierung
laufend auf ihre Wirksamkeit überprüfen und gegebenenfalls kurzfristig anpassen.
Klar ist aber auch - das möchte ich sehr deutlich
wiederholen -, dass unsere staatliche Verantwortung die
eine Seite ist - da tun wir das Menschenmögliche, übrigens auf allen Ebenen: Bund, Länder und die Institute -,
dass wir eine erfolgreiche Abwehr der Vogelgrippe aber
nicht ohne verantwortliches Handeln der Bevölkerung
und der Geflügelhalter bei uns in Deutschland erreichen.
Ich kann nur noch einmal an die gesamte Bevölkerung
gerade im Hinblick auf den Reise- und Warenverkehr
appellieren, die Hinweise, Ratschläge und Tipps, die von
Fluggesellschaften und Reiseveranstaltern gegeben werden, peinlichst genau einzuhalten. Denn im Moment
liegt in der Nichteinhaltung dieser Ratschläge und Tipps
die größte Gefahr für die Einschleppung der Vogelgrippe.
Angesichts der momentanen Gefahrenlage betrifft
dies im Augenblick vor allen Dingen das - wie ich
sagte - verantwortliche und vorsichtige Verhalten der
Reisenden in den Ausbruchsgebieten und dann bei der
Rückreise nach Deutschland.
Wir haben das Aktionspaket in der letzten Woche gemeinsam mit den Bundesländern wiederholt beraten und
uns auf fünf Punkte geeinigt, die ich kurz umschreiben
möchte:
Erstens brauchen wir eine verbesserte Information der
Reisenden, die sowohl über den Luftverkehr wie auch
über den Bus- und Bahnverkehr aus den betroffenen
Ländern nach Deutschland einreisen. Hierzu zählt neuerdings auch eine gezielte Einzelbefragung bei der Einreise durch den Zoll.
Zweitens ist die verstärkte Information unserer türkischen Mitbürger in Deutschland notwendig, und zwar
auch in türkischer Sprache, da wir festgestellt haben,
dass sie oft überhaupt nicht informiert sind.
Drittens müssen unsere nationalen Warenkontrollen,
auch die des Auto- und Busverkehrs, verstärkt werden,
um illegale Importe nach Deutschland zu verhindern,
und zwar durch die optimierte Zusammenarbeit zwischen Landesveterinär- und Bundeszollbehörden.
Viertens benötigen wir in der Bundesrepublik
Deutschland die Weiterführung bzw. Ausweitung des
Wildvogelmonitorings.
Fünftens geht es um die Frage des Aufstallungsgebotes. Hierzu legen uns die Experten des FriedrichLoeffler-Instituts bis Ende dieses Monats eine verlässliche und wissenschaftlich begründete Risikobewertung
vor. Auf ihrer Grundlage werden wir dann kurzfristig
über Zeitpunkt, Umfang und Dauer der Aufstallungspflicht für die Geflügelhalter in Deutschland während
des Frühjahrsvogelzuges entscheiden. Ich möchte allerdings keinen Zweifel daran lassen, dass mit höchster
Wahrscheinlichkeit auch beim Frühjahrsvogelzug wieder ein Aufstallungsgebot in Deutschland notwendig
wird.
({2})
An die Tierhalter gerichtet sage ich folgenden Satz:
Es ist besser, präventiv das Einschleppen der Seuche zu
verhindern, als nach ihrer Einschleppung neben der Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung auch noch mit
ihren wahnsinnigen wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen
zu haben.
({3})
Meine Damen und Herren, um die Schlagkraft unserer Maßnahmen zu erhöhen, setzen wir uns im europäischen Kontext für ein einheitliches, gleichgerichtetes
und möglichst weitgehendes präventives Vorgehen ein.
Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir nächsten Montag im
Agrarrat erneut umfassend über diese Themen reden
werden. Dort werden dann auch neue Vorschläge zur
Diskussion gestellt, die bereits in die Bund-Länder-Besprechung eingeflossen sind, zum Beispiel die Deklarationspflicht für Reisende,
({4})
die ja nur dann Sinn macht, wenn wir sie auf europäischer Ebene realisieren.
Deshalb müssen wir uns bewusst sein: Sosehr wir uns
auch auf nationaler Ebene anstrengen - durch unsere Behörden, unsere Institute und hoffentlich auch mit umfassender Unterstützung durch die Geflügelhalter und die
Bevölkerung -, so sehr müssen wir uns im Klaren darüber
sein, dass letztlich kein Staat der Erde diese schlimme
Tierseuche allein bekämpfen bzw. dieses Problem allein
lösen kann. Das geht nur im internationalen Kontext; darum bemühen wir uns ganz massiv.
Ich verweise noch darauf, dass die Geberkonferenz in
Peking, was den Umfang ihrer finanziellen Zusagen betrifft, in diesen Tagen die 1-Milliarde-Euro-Grenze überschritten hat. Daran beteiligt sich die Europäische Union
mit über 100 Millionen Euro.
Zum Schluss möchte ich sagen: Die Bevölkerung
kann sich darauf verlassen, dass wir durch konsequentes
und gemeinsames präventives Handeln alles tun, um die
Gefahr der Vogelgrippe von Deutschland und der Europäischen Union fern zu halten. Lassen Sie uns, wie wir
es seit vielen Monaten tun, weiterhin gemeinsam und in
guter Zusammenarbeit dafür sorgen, dass wir dieses Ziel
erreichen. Wir müssen darauf achten, dass wir der Vogelgrippe vorbeugend immer einen Schritt voraus sind, statt
ihr hinterherzulaufen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
Goldmann von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist natürlich sehr sinnvoll, dass wir die parlamentarischen Möglichkeiten nutzen, um die Information über die Problematik Vogelgrippe/Influenza zu verbessern. Aber einen
aktuellen Anlass, dieses Thema heute im Rahmen einer
Aktuellen Stunde zu behandeln, gibt es nicht.
({0})
Ich denke, es ist sehr wichtig, deutlich zu machen: Derzeit gibt es in Deutschland keine Vogelgrippe und es besteht für die Menschen in unserem Land im Moment
auch keine unmittelbare Gefahr.
({1})
Lassen Sie mich, um das Verständnis ein bisschen zu
vertiefen, deutlich machen, wo der Unterschied zwischen der Vogelgrippe und der Influenza liegt - das geht
ja häufig ein bisschen durcheinander -: Die Vogelgrippe
ist eine Tierseuche. Wenn sich der Virustyp zur Influenza verändert und eine Pandemie auf uns zukommt,
dann besteht die Gefahr, dass viele Menschen ihr Leben
verlieren. Aber so weit ist es, Gott sei Dank, noch lange
nicht. Ich denke, es muss sehr deutlich unterschieden
werden zwischen den Vorsorgemaßnahmen zur Beschränkung und Vermeidung der Vogelgrippe und denen
der Influenza. Zur Vermeidung und Einschränkung der
Vogelgrippe gehören strenge Kontrollen; sehr geehrter
Minister, Sie haben das angesprochen. Dazu gehört auch
die Aufstallung. Ich bin froh, dass wir heute Morgen im
Ausschuss ideologiefrei über die Notwendigkeit einer
Aufstallung gesprochen haben. Ich will sehr deutlich sagen: Ich halte das Aufstallen unter bestimmten Umständen für notwendig: zum Schutz der Tiere, zum Schutz
der Betriebe - auch vor wirtschaftlichen Schäden - und
zum Schutz der Verbraucher.
({2})
Ich bin froh, dass Sie, Herr Minister, gesagt haben, dass
Sie das ins Auge fassen. Heute Morgen in der Anhörung
ist allerdings auch deutlich geworden - das ist die Einschätzung der Wissenschaftler, die da waren; und das
sind ja die Kapazitäten -, dass wir in Deutschland eine
Risikosituation haben und dass man sich nicht darauf beschränken kann, darauf zu setzen, dass der Vogelzug östlich oder westlich an uns vorbeigeht.
Bei den Außenkontrollen haben wir einen Schwachpunkt: Sehr geehrter Herr Minister, ich denke, Sie sollten die Deklarationspflicht noch einmal überdenken.
Auch Ihr Staatssekretär Dr. Müller hat es heute Morgen
im Ausschuss gesagt: Wir würden mit etwa 400 Millionen Blatt Papier überflutet. Jeder kann sich wohl vorstellen, dass das bürokratisch nicht zu handhaben ist. Das
ändert aber nichts daran, dass wir die Außenkontrollen
verbessern müssen und dass wir die Menschen für diese
Außenkontrollen gewinnen müssen; sie müssen Verständnis dafür haben, dass wir es hier mit einer großen
Gefahr zu tun haben.
Zum nächsten Aspekt, dem Impfen: Wir müssen alle
Anstrengungen unternehmen, um zu einer Impfung der
Tiere zu kommen. Ich weiß, dass das problematisch ist,
weil es sozusagen unter dieser Impfdecke zu einer Weiterausbreitung kommen kann. Wir müssen auf Markerimpfstoffe hinarbeiten und wir müssen auch darüber reden, ob es klug ist, dass andere Länder, die meinen, sie
hätten mit diesem Problem nichts zu tun, sich dem Handel verweigern und es zu Handelsbeschränkungen
kommt.
Bis jetzt konnte eine Übertragung von Mensch zu
Mensch nicht nachgewiesen werden. Sollte das Virus
eine Veränderung durchlaufen - und diese Gefahr besteht -, dann droht, wie gesagt, eine weltweite Epidemie,
eine Pandemie. Um dem vorzubeugen, ist es nötig - das
haben Sie sehr richtig festgestellt, Herr Minister -, bestimmte Berufsgruppen, aber auch Menschen, die generell mit Tieren zu tun haben, die mit Federn in Berührung kommen, aufzuklären. Nach wie vor gibt es bei
Hobby-Geflügelhaltern Defizite. Die großen Betriebe
wissen sehr genau, was zu tun ist. Aber der Rentner, sage
ich einmal, der drei oder vier Hühnchen hat, muss sicherlich noch ein Stück besser informiert werden. Auch
in bestimmten Bereichen - ich will hier jetzt niemanden
diskriminieren - sind die Menschen an der einen oder
anderen Stelle vielleicht ungenügend informiert, sei es
zum Beispiel die Fleischereifachverkäuferin, seien es die
Fleischer insgesamt. Wir müssen ihre Information verbessern.
Die Menschen in der Türkei waren sehr schlecht informiert. Dadurch sind Probleme entstanden. Das konnte
einem Leid tun. Wer gesehen hat, wie die türkischen
Bürgerinnen und Bürger - oder einige wenigstens - mit
Tieren umgingen, dem hat das Herz geblutet. So etwas
ist absolut nicht in Ordnung. Wir müssen der Türkei mit
unseren Informationsmöglichkeiten, mit unseren wissenschaftlichen Möglichkeiten helfen. Aber wir dürfen es
vor dem Hintergrund dieser Vorkommnisse nicht zu einer antitürkischen Kampagne kommen lassen.
({3})
Lassen Sie mich noch die Medikamente ansprechen.
Eben kam mir eine Kollegin entgegen und sagte, sie
sieht eine besondere Gefahr für ihr Kind; die Todesfälle
würden ja überwiegend bei Kindern auftreten. Aber wir
können einen Impfstoff erst entwickeln, wenn wir feststellen, dass das Virus mutiert ist - und das braucht dann
seine Zeit. Das heißt, wir müssen für die Zwischenzeit
genauso gewappnet sein wie für die Zeit danach. Aber
man muss auch ganz deutlich sagen: Es macht überhaupt
keinen Sinn, sich jetzt ein Medikament für die Hausapotheke zu besorgen, weil irgendwann einmal möglicherweise die Gefahr besteht, von dieser Krankheit erfasst zu
werden. Wir müssen deswegen auch in dieser Frage konsequent auf Lösungen hinarbeiten, natürlich gemeinsam.
Ich persönlich bin davon überzeugt: Wenn wir klug
und konsequent an diese Herausforderung herangehen,
dann können wir es schaffen, die Vogelgrippe von unserem Land fernzuhalten. Wir waren schon einmal erfolgreich. Ich glaube, dass wir es wieder sein können. Deswegen sollten wir alle an einem Strang ziehen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! 150 Millionen
Stück Geflügel sind im Verlaufe dieser Seuche seit Ende
2003/Anfang 2004 getötet worden. 80 Menschen sind
nach ihrer Erkrankung daran gestorben; die Dunkelziffer
liegt sicherlich noch höher.
Ein Phänomen ist dabei zu beobachten, das Epidemiologen und Tierärzten, die sich mit solchen Seuchenzügen auseinander setzen, nicht unbekannt ist: Es ist bis
heute nicht gelungen, dem Seuchenzug, der in Südostasien seinen Ausgang genommen hat und bis heute andauert, Einhalt zu gebieten. Die Seuche scheint dort endemisch zu werden. Offensichtlich sind die staatlichen
Institutionen vor Ort nicht in der Lage, dieses Problem
adäquat zu bewältigen.
Nach zwei Jahren hat man nun in einer Konferenz die
Voraussetzungen geschaffen, um diesem Seuchenzug
Einhalt zu gebieten - das bezieht sich nicht nur auf Südostasien, sondern auch auf andere Regionen wie zum
Beispiel Schwarzafrika, wo ein sehr hohes Risiko besteht, dass die Seuche dort ebenfalls einbricht -, und die
finanziellen Grundlagen geschaffen, damit dort effizient
eingegriffen werden kann. Ich begrüße das Bemühen der
EU, 120 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Hinzu
kommen noch einmal 120 Millionen Euro aus den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Deutschland beteiligt sich
zunächst mit 10 Millionen Dollar, also mit etwa 8 Millionen Euro. Wir sind darüber hinaus in Laos und Kambodscha bereits aktiv und sorgen dort, in einer Region,
die sehr schwer zu erreichen ist, dafür, dass zum einen
aufgeklärt wird und zum anderen eine effiziente Bekämpfung initiiert wird.
Vietnam rechnet damit, das Problem eventuell bis
Ende 2010 in den Griff zu bekommen. Das macht deutlich, wie die Perspektive aussieht und was noch auf uns
zukommt. Das Bedrohungspotenzial wird nicht kleiner
werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus
mutiert, ist heute genauso groß wie vor zwei Jahren. Es
besteht also überhaupt keine Notwendigkeit, die Bevölkerung zu verunsichern. Das gilt auch für die Berichterstattung in den Medien.
({0})
Wir in Deutschland haben alle Voraussetzungen geschaffen, um die Seuchenabwehr effektiv zu organisieren und zu administrieren: Vom 15. bis 18. November 2005 hat eine große Rahmenübung zur Tierseuchenbekämpfung stattgefunden. Die Länder Niedersachsen
und Nordrhein-Westfalen arbeiten - das ist beispielhaft grenzübergreifend mit den Niederlanden auf der Grundlage eines Konzepts zusammen. Wir werden in allernächster Zeit ein großes mobiles Tierseuchenbekämpfungszentrum bekommen.
({1})
Solche Ansätze brauchen wir unter epidemiologischen
Aspekten dringend.
Es kommt aber auch darauf an, dass sich eventuelle
Schwachstellen auf der Bund-Länder-Ebene, die also in
unserem Föderalismus begründet sind, dann, wenn es
ernst werden sollte, nicht wirklich als Schwachstellen erweisen. In Anbetracht der Bedrohung sollten solche
Übungen und Maßnahmen bereits jetzt regelmäßig
durchgeführt werden, um entsprechend vorbereitet zu
sein, wenn es, was ich nicht hoffe, dazu kommen sollte,
dass wir aktiv werden müssen. Mit einer Übung ist es
nicht getan, dieser Übung müssen noch mehrere folgen.
Die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, müssen
unmittelbar gezogen werden. Daher hätte ich erwartet,
dass sich der Bund nicht nur ideell, sondern auch finanziell an diesem mobilen Tierseuchenbekämpfungszentrum beteiligt, auch wenn die Tierseuchenbekämpfung
Aufgabe der Länder ist.
Aber auch auf anderen Ebenen sind die Länder gefordert. Wir haben das erkannt.
Bei den Einreisekontrollen sind in erheblichem Umfang Probleme festgestellt worden, die wir nicht so einfach administrieren können. 400 Millionen Reisende
sind nicht so einfach zur Gänze zu kontrollieren. Hier
wird auch deutlich - das ist richtig angesprochen
worden -, dass das Problembewusstsein der Reisenden
geschärft werden muss. Es kann nicht sein, dass in einem
Bus aus Montenegro über eine Tonne Fleischwaren und
300 Kilo Milcherzeugnisse gefunden werden. Nicht jeder Bus kann kontrolliert werden. Wie wir gehört haben,
geht von diesen illegalen Importen die größte Gefahr
aus.
Die bisher geführten Nachweise - sowohl bei dem
Fall in London als auch bei dem Fall in Brüssel - beruhen regelmäßig darauf, dass zum Beispiel artgeschützte
Greifvögel illegal importiert werden. Diese tragen dann
unter Umständen zu einem erhöhten Risiko bei und gefährden uns alle. Dort müssen wir die Kontrollen natürlich noch besser gestalten und verschärfen. Wir müssen
auch darauf hinwirken, dass die Warenströme im KleinKlein-Verkehr, der nach Deutschland kommt und durch
den der persönliche Bedarf durch Einkäufe gedeckt
wird, konsequent unterbunden werden.
Wir müssen dafür sorgen, dass es keine Ausnahmen
gibt. Es ist zum Beispiel im Augenblick nicht ganz klar,
aus welchen Regionen in Rumänien exportiert werden
darf und aus welchen Regionen nicht. Es gibt offensichtlich Exporte aus Regionen, in denen kürzlich H5N1
nachgewiesen worden ist. Darum fordere ich die EU auf,
das konsequent abzustellen und dafür zu sorgen, dass
auch die letzten Schlupflöcher in den EU-Raum verstopft werden, um ein größtmögliches Maß an Sicherheit
zu erreichen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
von der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann den Optimismus, dass wir auf die Situation, die uns umgibt, gut vorbereitet sind, nicht teilen.
Es geht hier ja nicht um ein gefühltes Risiko, sondern
um eine objektive wissenschaftliche Bewertung.
Man muss sagen, dass es wichtig ist, das Risiko von
Verlusten richtig zu bewerten; denn hier geht es wirklich
um eine wirtschaftliche Bedrohung, die Herr Priesmeier
richtig beschrieben hat, und um ein Infektionsrisiko
beim Menschen. Heute Morgen bei der Anhörung haben
wir auch wieder gehört, dass die offizielle Datenlage
zum großen Teil nicht belastbar, sondern hoch variabel
ist. Diese Situation strahlt auch nach Aussagen der Experten eine einmalige Dynamik aus.
Daher stellen sich die Fragen, ob wir das wirkliche
Risiko kennen und ob die Bedingungen dafür vorliegen,
dass wir dieses Risiko wirklich genau definieren und exakt beschreiben können. Nach dem Gesetz ist das
Friedrich-Loeffler-Institut für die Beantwortung dieser
Fragen verantwortlich. Für die Risikobewertung ist das
Institut für Epidemiologie in Wusterhausen federführend
zuständig. Es ist die einzige Einrichtung dieser
Art. Umso unverständlicher ist es, dass seine Arbeitsfähigkeit zumindest infrage gestellt und in Grenzen belastet wird.
({0})
Für eine solche Risikobewertung sind dringend Ressourcen notwendig. Die personelle Ausstattung ist auch
im internationalen Vergleich zumindest nur grenzwertig.
Es gibt Wissenschaftlerstellen, die nicht besetzt sind.
Eine Wissenschaftlerstelle wurde eingezogen. Es gibt zu
wenig nicht wissenschaftliches Personal und wir haben
Wissenschaftler, die im Moment im Ausland helfen und
für die wissenschaftliche Bearbeitung im Inland natürlich fehlen. Insgesamt glaube ich, dass es hier ein Defizit
gibt.
Daneben soll dieses Institut ab 2010 an einen ungeeigneten Standort verlagert werden. Ich meine, das sind
ausgesprochen schwierige Arbeitsbedingungen. Ich
finde das Engagement der Wissenschaftler wirklich sehr
lobenswert; denn trotz dieser Bedingungen erfüllen sie
ihre Aufgaben und geben die Risikobewertung pünktlich
und in großer Qualität ab. Ich meine aber, dass man
diese Situation ändern muss.
({1})
Wichtige Aussagen der Risikobewertung widersprechen einer Entwarnung. Insbesondere in der Türkei gibt
es eine verwirrende und eher beunruhigende Situation,
wie die Wissenschaftler sagen. Heute Morgen wurde gesagt, dass es gestern 50 neue Verdachtsfälle gab. Das
zeigt die dringende Notwendigkeit, jetzt vor Ort zu helfen; denn wir können uns selbst nur schützen, wenn wir
dieses Problem vor Ort lösen. Der Erfolg jedes Schutzversuchs im Inland hängt davon ab, ob die Probleme in
den betroffenen Regionen vor Ort gelöst werden.
({2})
Wir müssen vor Ort epidemiologische Ermittlungen unterstützen und die Ausbreitungsrisiken klären. Wir müssen ebenso die Veterinärbehörden und die Bekämpfungsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten unterstützen.
Wir müssen auch wirtschaftlich helfen; denn Geflügel ist
in den betroffenen Gebieten oftmals die einzige Quelle
tierischen Eiweißes. Insofern könnte der Wegfall dieser
Quelle die ganze Region bedrohen.
Die Probleme in Rumänien hat Herr Priesmeier schon
angesprochen. Es ist unverständlich, warum Waren aus
Regionen in Rumänien importiert werden dürfen, in denen die aviäre Influenza nachgewiesen wurde. Das muss
dringend abgestellt werden, weil dies ein Einschleppungsrisiko darstellt. Von den bekannten und identifizierten Risiken zur Einschleppung sind viele relativ
schwierig oder gar nicht beherrschbar. Der illegale Handel zum Beispiel zeichnet sich dadurch aus, dass er eben
illegal ist und damit schwer kontrollierbar.
Wir haben heute gehört, dass allein in Frankfurt am
Main in 600 Fällen Risikomaterial gefunden wurde. Die
Gefahr durch den Vogelzug ist genannt worden. Hier
sind die Bundesregierung bzw. die entscheidenden Stellen gerade dabei, die Strukturen zur ornithologischen
Beobachtung abzubauen oder infrage zu stellen. Diese
sind jedoch für jede epidemiologische Bewertung gerade
bei der aviären Influenza dringend notwendig. Die Kürzungen hier sind unbedingt zu verhindern, weil wir diese
Strukturen wirklich brauchen.
Der Personen- und Handelsverkehr ist als Problem
genannt worden. Das gilt sowohl für den Land- als auch
für den Luftverkehr. Den Luftverkehr haben wir vielleicht noch einigermaßen im Griff. Eine Kontrolle des
Landverkehrs ist außerordentlich schwierig und kaum zu
leisten. Wir haben auch keine exakten Kenntnisse über
den Handels- und Personenverkehr und die Kreuzungen
über Drittländer.
Ich gebe der Bundesregierung den Rat, die Gefahren
ernster zu nehmen. Die Defizite müssen dringend aufgearbeitet werden und es dürfen keine neuen zugelassen
werden. Das heißt für mich eine Stärkung der epidemiologischen Ressourcen, die zur wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung zur Verfügung stehen. Wir
brauchen dringend die Unterstützung der betroffenen
Regionen, und zwar sowohl in wissenschaftlicher als
auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
Wir brauchen auch die Prüfung der eigenen Kapazitäten, die für Risikomanagementmaßnahmen und für den
Krisenfall vorhanden sind. Ich glaube, hier müssen wir
kritischer hinsehen. Welche Ressourcen sind tatsächlich
vorhanden und welche nur theoretisch? Sind die Krisenübungen, die schon benannt worden sind, wirklich kritisch ausgewertet worden oder sind die Defizite einfach
hingenommen worden? Wir brauchen wissenschaftlich
erarbeitete Handlungskonzepte, und zwar bezüglich der
Auswirkungen auf die Landwirtschaft und der Verhinderung der Infektionen. Wir brauchen auch eine kritische
Bewertung der Tötungs- und Entsorgungskapazitäten;
denn wenn es zum Krisenfall kommt, wird es an dieser
Stelle sehr schnell eng.
Deswegen sage ich: Die Bundesregierung hat keinen
Grund, sich zurückzulehnen. Wir alle sollten dies nicht
tun. Das hat nichts mit Panik zu tun. Vielmehr können
aufgeklärte Menschen souverän und sehr ernsthaft mit
dem Risiko umgehen. Wir sollten sie dazu in die Lage
versetzen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ursula Heinen von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der
Debattenbeitrag der Kollegin Tackmann ist jedenfalls so,
wie ich ihn empfunden habe, nicht ganz ehrlich gewesen. Heute Morgen haben wir in einer gemeinsamen Anhörung von Gesundheitsausschuss und Verbraucherschutzausschuss mit den Experten der drei Institute
gesprochen, nämlich vom Friedrich-Loeffler-Institut,
vom Robert-Koch-Institut und vom Paul-Ehrlich-Institut. Dort wurde ganz klar festgehalten, wie die Situation
aussieht.
Ich zitiere gerne - das ist der erste Punkt - aus dem
Bericht des Friedrich-Loeffler-Instituts. Dort heißt es:
„Für Deutschland liegen ... keine Meldungen über Verdachtsfälle vor.“ Der zweite Punkt ist: Es gibt einen exzellenten Bericht des Friedrich-Loeffler-Instituts - ich
habe ihn dabei -, den Sie sich im Übrigen im Internet
ausdrucken können. In diesem Bericht finden Sie eine
hervorragende Übersicht darüber, wie die Situation in
Europa und in Südostasien ist. Was Sie hier machen, ist
deshalb so gefährlich, weil es genau das ist, wovor alle
Redner gewarnt haben, nämlich in dieser Sache zu übertreiben.
({0})
Wir sollten bei dem bleiben, was die Zahlen tatsächlich
hergeben. Das machen Sie nicht. Das finde ich persönlich sehr schade.
Natürlich ist die Tatsache, dass die Zahlen gestiegen
sind, sehr bedenklich. Aber sie sind über einen langen
Zeitraum angestiegen. Vor allen Dingen die Gesundheitspolitiker werden darauf sicher noch zu sprechen
kommen. Was den Ausbruch der Krankheit beim Menschen angeht, so hat die WHO hierzu festgestellt: Im
Jahre 2003 gab es drei Fälle, im Jahr darauf 46 und 2005
waren es 93 Erkrankungen. Aber auch das ist eindeutig:
Bisher, so die Weltgesundheitsorganisation, gibt es keine
Hinweise, dass das Virus seine Übertragbarkeit erhöht
hätte.
Festzustellen ist aber auch, dass es bisher keinerlei
Hinweise darauf gibt, dass das Virus von Mensch zu
Mensch oder von Vögeln zu bestimmten Säugetieren
übertragbar ist. Auch dazu heißt es in allen Berichten,
die uns vorliegen: Um sich zu infizieren, müssen Säugetiere oder Menschen sehr große Virusmengen aufnehmen. Auch das ist bisher nicht geschehen. Das bitte ich
ebenfalls zu beachten.
Die Schutzmaßnahmen, die von Bund und Ländern in
der vergangenen Woche in der Verbraucherministerkonferenz beschlossen wurden, sind der richtige Weg. Vorgesehen ist etwa die Beobachtung des Wildvogelzuges,
um eine Einschleppung der Vogelgrippe durch Wildvögel zu vermeiden. In diesem Zusammenhang muss ich
noch einmal darauf hinweisen - wir haben es heute
schon kurz angeschnitten -, dass es nicht hilfreich ist,
wenn in großen deutschen Magazinen die Situation im
Hinblick auf die Wildvögel als relativ unproblematisch
dargestellt wird, während man gleichzeitig erkennen
muss, dass sich Erkrankungen in der Nähe der Sammelplätze von Wildvögeln häufen. Insofern bitte ich die
Journalisten, etwas vorsichtiger über das Thema zu berichten. Aber ich denke, dass wir mit der Erstellung einer
aktualisierten Risikobewertung durch das FriedrichLoeffler-Institut am Monatsende - wonach neu zu entscheiden ist, wie mit der Aufstallung zu verfahren ist auf dem richtigen Weg sind.
Das höchste Risiko - der Minister hat es schon angesprochen - besteht bezüglich der Einschleppung des
Vogelgrippevirus durch illegale Geflügelimporte. In
Köln beispielsweise hat ein Reisender aus der Türkei
fünf Gänse im Handgepäck gehabt. Solche Vorfälle sind
nicht gerade schön.
({1})
Insofern sind die vorgesehenen Warnhinweise auf den
Zollerklärungen ein guter Schritt in die richtige Richtung. Besser wäre aber die Einführung einer EU-weiten
Deklarationspflicht, wie sie in ähnlicher Form in den
Vereinigten Staaten besteht.
Ich bedaure ein wenig - das geht sicherlich vielen
Kolleginnen und Kollegen ähnlich -, dass die Europäische Union das Thema bisher sehr zögerlich behandelt.
({2})
Ich bin aber zuversichtlich, Herr Minister, dass Sie in der
nächsten Woche das eine oder andere erreichen werden.
Denn es sollte uns auch nicht schrecken, Michael
Goldmann, wenn plötzlich wesentlich mehr Deklarationen anfallen. Ich denke, wenn es um die Sicherheit und
um die Verhinderung illegaler Importe geht, dann kann
uns kein Aufwand zu groß sein. Denn andernfalls haben
wir vielleicht keine Chance, das Vogelgrippevirus von
Deutschland fernzuhalten.
Ich möchte zum Abschluss kurz die Geberkonferenz
in Peking ansprechen, die ich begrüße. Insofern hat die
Bundesregierung unsere Unterstützung. Wir unterstützen
auch, dass in Deutschland zusätzliche Mittel für Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden.
Das wird in der Diskussion häufig vergessen.
Erstaunt hat mich in dem Bericht des FriedrichLoeffler-Instituts die Bewertung, dass die Situation in
der Türkei immer noch unübersichtlich ist. Umso begrüßenswerter ist es, dass die Institute selber Experten in die
Türkei und nach Rumänien schicken werden - Ihre heute
gestellten Fragen sind schon längst beantwortet worden,
Frau Tackmann -,
({3})
um die Situation vor Ort zu untersuchen.
Wenn wir gemeinsam die Bundesregierung und die
Landesregierungen unterstützen, mit ihren Maßnahmen
fortzufahren, dann haben wir eine gute Chance, das Virus von Deutschland fernzuhalten.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Warum reden wir heute in der Aktuellen Stunde im Bundestag über die Vogelgrippe? Es ist noch kein Mensch in
oder aus Deutschland an dem Virus H5N1 gestorben. In
Deutschland ist noch nicht einmal ein Tier daran zugrunde gegangen.
({0})
- Ja, vielleicht ist es die Angst um den Adler.
Aber das Thema hat einen durchaus ernsten Hintergrund; sonst würden wir heute nicht darüber reden. Viele
Experten gehen nämlich davon aus, dass es alle 50 Jahre
eine so genannte Pandemie gibt, indem zum Beispiel ein
Tiervirus auf den Menschen überspringen bzw. von einem Menschen auf andere Menschen übertragen werden
kann, und zwar mit tödlicher Wirkung, und dass von
dem Virus H5N1 vielleicht eine solche Mutation ausgehen könnte. Das ist der eigentliche Grund, warum wir
heute über dieses Thema reden. Wir reden nicht über die
normalen Grippeviren, an denen jedes Jahr immerhin
15 000 bis 20 000 Menschen in Deutschland sterben.
Die normalen Grippeviren haben nach allgemeiner Einschätzung nicht das Potenzial des Virus H5N1.
Es geht also darum, diese Pandemie, die auf uns zukommen könnte, zu verhindern. Um 1918 brach bei uns
die Spanische Grippe aus. Damals sind rund
60 Millionen Menschen gestorben. 1998 gab es eine
weitere Pandemie, allerdings mit weitaus geringeren
Auswirkungen.
Der erste Punkt ist die Prävention; das haben bereits
mehrere Vorredner gesagt. Wir müssen dafür sorgen,
dass die Vogelgrippe erst gar nicht zu uns kommt. Dabei
sollten wir übrigens die wirtschaftliche Bedeutung nicht
außer Acht lassen; denn wenn die Vogelgrippe erst einmal ausgebrochen ist, ist sie in erster Linie nicht für die
Menschen, jedenfalls nicht für die normalen Verbraucher
gefährlich. Vielmehr verursacht sie zuerst einen großen
wirtschaftlichen Schaden.
Ein wesentlicher Punkt ist also: Wir müssen verhindern, dass Geflügelfleisch, Federn und ähnliche Materialien illegal importiert werden. Das ist momentan die
Hauptgefahrenquelle. Deshalb dürfen wir nicht nur an
den Außengrenzen kontrollieren. Vielmehr sollten wir
bereits in den betroffenen Gebieten der Türkei - die Besucherströme unserer türkischen Freunde in Richtung
Deutschland sind sehr stark -, aber auch Rumäniens und
der Ukraine Informationspolitik machen. Das wäre viel
wirkungsvoller, als an den deutschen Außengrenzen jeden hundertsten Transporter abzufangen und zu kontrollieren.
({1})
Herr Goldmann, wichtig ist ebenfalls, dass wir in keiner Weise ideologisch sind. Eine Zeit lang galt der Vogelflug als einzige Gefahrenquelle für eine Übertragung.
Das gilt nun nicht mehr; das wissen wir. Der Vogelflug
kann sicherlich gefährlich sein und eine Aufstallung notwendig machen, keine Frage. Aber momentan sind die
Hauptgefahrenquelle illegale Fleischtransporte. Der
erste Punkt ist also die Abwehr bzw. die Verhinderung,
dass das Virus zu uns kommt. Wir haben es schon einmal
geschafft, ein anderes Vogelgrippevirus, H7N7 - mit
verheerenden Folgen in den Niederlanden -, relativ gut
abzuwehren. Diesmal bin ich allerdings skeptischer;
denn das jetzige Virus ist an vielen Stellen aufgetreten.
Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu uns kommt,
relativ groß.
Der zweite Punkt ist: Wenn das Virus bei uns angekommen ist, muss es sofort eingedämmt werden.
Der dritte Punkt ist: Wenn es zu einer Pandemie kommen sollte, dann muss versucht werden, ganz schnell einen Impfstoff zu finden. Frau Heinen und Herr
Priesmeier, leider wird in der Türkei zurzeit schon darüber diskutiert, ob das Virus ein Stück mehr mutiert ist
und quasi näher am Menschen ist als bisher. Man hat
nämlich infizierte Kinder gefunden, die nicht erkrankt
sind. Nun hat man Angst, dass der Mensch als Wirt stärker zur Verbreitung des Virus beiträgt und dass sich das
Virus innerhalb des Menschen anpasst. Das ist durchaus
eine Entwicklung, die wir sorgfältig verfolgen müssen.
Was mich heute eher beunruhigt hat, ist, dass der Föderalismus in diesem Punkt nicht hilfreich ist
({2})
- wir müssen sehen, wie wir diese Schwäche ausgleichen können - und dass man auf Bundesebene nicht genau weiß, welche Mengen an Impfstoffen die einzelnen
Bundesländer - für 5 Prozent oder für 20 Prozent der
Bevölkerung - eingelagert haben. Ich finde es ebenfalls
beunruhigend, zu wissen, dass in einem Bundesland
Impfstoffe für nur 5 Prozent der Bevölkerung und in einem anderen für 20 Prozent der Bevölkerung vorhanden
sind. Hat die Bevölkerung in dem einen Bundesland, in
dem nur für 5 Prozent der Bevölkerung Impfstoffe eingelagert sind, kein Recht darauf, dass Impfstoffe für
20 Prozent der Bevölkerung vorgehalten werden? Solche
Fragen müssen generell geklärt werden.
Momentan gibt es auf Bundesebene keine Informationen darüber, wie die Pandemiepläne auf Landesebene
umgesetzt werden sollen; das finde ich nicht in Ordnung.
Das müssen wir aber wissen.
({3})
Letzter Satz. Dass es sich um eine Gefahr handelt,
wissen wir. Aber um eine Gefahr bekämpfen zu können,
ist entscheidend, dass wir die Gefahr erkennen. Deshalb
sage ich: Gefahr erkannt und Gegenmaßnahmen erarbeitet bedeutet, dass die Gefahr nur noch halb so groß ist.
Keine Panik und keine Hysterie, wohl aber Wachsamkeit! Wir müssen nun die Defizite aufzeigen und dann
daran arbeiten, sie zu beseitigen, bevor die Pandemie da
ist.
Vielen Dank.
({4})
Frau Kollegin Höhn, nach meiner Erfahrung haben
Sie als Mitglied des Bundesrates an dieser Stelle schon
gesprochen, aber als Mitglied des Hauses heute zum ersten Mal. Dazu gratuliere ich Ihnen.
({0})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Ulla
Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, die Tatsache, dass wir heute über die Vogelgrippe diskutieren, hat etwas damit zu tun, dass aufgrund
der erstmaligen Erkrankung von Menschen außerhalb
Asiens, in der Türkei, das Vogelgrippevirus für viele
Menschen in diesem Lande näher gekommen ist und
dass man sich nun damit ernsthafter und intensiver beschäftigt.
Die WHO hat in der Türkei Infektionen bei
20 Menschen - das ist eine große Anzahl - festgestellt,
darunter vier tödlich verlaufene Erkrankungen bei Kindern. Ich kann vorab sicher auch in Ihrem Namen sagen,
dass den betroffenen Familien und den Freunden dieser
Menschen das Mitgefühl der Bundesregierung und des
ganzen Hauses gilt.
Für die Menschen in Deutschland ist die Vogelgrippe
damit näher gerückt. Frau Tackmann, an solchen Punkten stellen sich folgende Fragen: Müssen wir die Strategie, die die Bundesregierung bisher eingeschlagen hat,
ändern? Hat sich etwas hinsichtlich der Einschätzung geBundesministerin Ulla Schmidt
ändert, ob Menschen stärker gefährdet sind oder nicht?
Müssen wir unsere Vorbereitungen auf eine mögliche
Pandemie anpassen oder müssen wir neue Wege gehen?
Das sind die Fragen, über die wir mit den Experten, die
wir Gott sei Dank in Deutschland haben, diskutiert haben. Wir haben international anerkannte Expertinnen
und Experten im Robert-Koch-Institut, im Paul-EhrlichInstitut und auch im Friedrich-Loeffler-Institut.
Die Diskussion mit diesen Experten hat gezeigt - das
wird durch die Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation und der europäischen Institutionen gestützt -, dass
es keine neue Gefährdungssituation gibt. Alle Experten
sagen, dass es aktuell keine Gefährdung der Bevölkerung gibt. Das „aktuell“ bezieht sich darauf, dass niemand von uns wissen kann, ob in einigen Jahren eine andere Entwicklung eintreten wird.
Klar ist heute: Es gibt keine Hinweise, dass es bisher
irgendwo eine Infektion von Mensch zu Mensch gegeben hat. Es gibt klare Hinweise darauf, dass alle infizierten Personen, auch die in der Türkei, engen Kontakt zu
erkranktem Geflügel hatten. Die Krankheit grassierte
schon eine ganze Weile unter dem Geflügel in der Türkei, ohne dass wirklich wirksame Maßnahmen getroffen
worden wären. Deshalb haben Kinder mit infiziertem
Geflügel gespielt. Es handelt sich nicht um eine beginnende Pandemie.
Das, was Sie, Frau Kollegin Höhn, angesprochen haben, nämlich dass es bei einem Virusisolat in der Türkei
eine Anpassung des Virus gegeben hat, ist kein isolierter
Fall. Die gleiche Mutation hat es 2003 in Hongkong und
2005 in Vietnam gegeben. Daher tun wir gut daran, mit
den Mitteln und den Fachkräften, die wir haben, weiter
die Entwicklung auf europäischer und internationaler
Ebene zu beobachten. Wir müssen innerhalb der G-7Staaten plus Mexiko und der gesamten Europäischen
Union alles Wissen austauschen und dafür sorgen, dass
wir vorbereitet sind und dass wir Maßnahmen treffen,
die der jetzigen Situation angemessen sind.
Daran, dass es keine Reisebeschränkungen gibt, sehen Sie, dass es keine Gefährdung der Bevölkerung gibt.
Das, was wir aber tun und was richtig ist, ist, dass wir
Warnungen aussprechen und die Menschen auffordern,
in fremden Ländern die Geflügelmärkte zu meiden,
überhaupt den Kontakt zu Geflügel zu vermeiden, weil
man nie weiß, ob ein Tier infiziert ist oder nicht. Wir fordern die Menschen auf, kein halbgares Geflügelfleisch
zu essen, sondern nur wirklich durchgebratenes oder gekochtes Geflügel, weil ansonsten ein Restrisiko besteht.
Auch wenn es heute keine aktuelle Gefährdung gibt,
kann ich sagen: Die Bundesregierung hat alles getan und
tut alles - soweit das überhaupt in unseren Kräften steht -,
um Maßnahmen zu ergreifen, die eine Ausbreitung und
damit eine Gefährdung der Bevölkerung verhindern. Wir
nehmen die Risiken, die es gibt, sehr ernst und wir treffen Vorkehrungen.
Sie haben Recht, Frau Kollegin Höhn, es gibt eine
lange Diskussion zwischen Bund und Ländern. Ich hätte
mich gefreut, wenn Sie uns bei dem, was wir wollten,
stärker unterstützt hätten, als Sie noch in einer Landesregierung Verantwortung trugen;
({0})
denn das ist ein langer Kampf gewesen. Ich habe diesen
Kampf geführt. Es geht darum, dass die Länder ihre Verantwortung wahrnehmen, auch die finanzielle, und es
geht darum, dass wir genau festlegen, was Bund, Länder
und Gemeinden tun müssen.
Erstens. Wir haben gemeinsam, einen Pandemieplan
entwickelt. Das, was hier in Deutschland entwickelt
wurde und was wir auf den Weg gebracht haben - es basiert auf Erkenntnissen von Experten des Robert-KochInstituts -, ist international anerkannt. Ich wiederhole:
Es ist international anerkannt und es hat in der Europäischen Union auch Vorbildcharakter. Jeder versucht, auf
seiner Ebene Verantwortung wahrzunehmen.
Auf den theoretischen Fall - ich hoffe, es bleibt ein
theoretischer Fall; jeder von uns hofft das -, dass sich
aus dem Vogelgrippevirus und einem anderen Virus ein
neuer Typus bildet, der für den Menschen gefährlich ist,
sind Bund und Länder vorbereitet. Die Bevölkerung
kann geschützt werden. Die Länder haben - das wissen
wir - in eigener Verantwortung unterschiedliche antivirale Mittel angeschafft. Sie sind dabei, ihre Bestände zu
vervollständigen. Es ist bekannt, dass es um die Arzneimittel Tamiflu und Relenza geht. Diese Arzneimittel
können zwar nicht heilen, aber den Krankheitsverlauf
mildern. Wir halten es für notwendig, dass diese Medikamente zur Verfügung stehen.
Eines weiß jeder: Letztlich hilft nur ein Impfstoff.
Aber dieser Impfstoff kann erst entwickelt werden, wenn
dieses Virus entstanden und erforscht ist. Deswegen
müssen wir für die erste Phase auch hier einen Schutz
aufbauen. Das tun die Länder. Gemeinsam mit den Ländern werden die Informationssysteme gestärkt, sodass
klar ist, wie die Verantwortlichen auf den verschiedenen
Ebenen im Falle des Falles - wir alle hoffen, dass er nie
eintritt - aktiv werden können.
Zweitens. Die Bundesregierung trifft die entsprechenden Vorbereitungen, damit im Falle des Falles ein Impfstoff hergestellt werden kann. Wir geben über
20 Millionen Euro aus, damit die anstehende Zulassung
des Prototyps gefördert wird. Wenn die Entstehung eines
solchen Virus bekannt ist, dann sind wir innerhalb von
drei bis sechs Monaten in der Lage, einen Impfstoff herzustellen, der die gesamte Bevölkerung schützt. Wir führen Verhandlungen und haben Verträge abgeschlossen,
damit für die gesamte Bevölkerung genügend Impfstoff
vorhanden ist, um eine zweimalige Durchimpfung zu organisieren. Das ist dann der beste Schutz, den wir den
Menschen anbieten können.
Drittens. Das Robert-Koch-Institut verstärkt die epidemiologische Überwachung. Wir unterstützen es dabei
auch finanziell, damit man das, was Sie angesprochen
haben, organisieren kann.
Viertens. Das Robert-Koch-Institut hat eine Kommunikations- und Informationsstrategie entwickelt, die
nicht nur die Fachleute - Ärzte und andere -, sondern
auch die Nichtfachleute in vorbildlicher Weise und in einer verständlichen Sprache informiert, damit jeder so
viel Schutz bekommen kann, wie eben möglich ist.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir haben es mit
einer Tierseuche zu tun, die unter extrem ungünstigen
Verhältnissen auf Menschen übergehen kann. Wir können solche Krankheitsfälle bei frühzeitiger Behandlung
heilen. Unser Land verfügt über einen Pandemieplan,
der Bund und Ländern konkrete Aufgaben zuweist.
Diese Aufgaben werden erfüllt. Dieser Plan gewährt den
bestmöglichen Schutz. Deutschland verfügt mit den
Fachleuten des Robert-Koch-Instituts und des
Paul-Ehrlich-Instituts über international anerkannte
Experten, die auch weltweit zum Einsatz kommen. Alle
Fachleute stehen miteinander in Kontakt. Die Kooperation des Personals in den Krankenhäusern, der Ärzte, der
Notfalleinrichtungen und der Rettungsdienste - sie werden das Rückgrat bilden, wenn ein Einschreiten notwendig ist - ist organisiert.
Das ist für uns kein Ruhekissen. Wir arbeiten auf diesem Gebiet weiter. Ich glaube, dass man mit Recht sagen
kann: Wir sind auf einem guten Weg. Wir investieren
viel Geld in diesen Bereich. Ich hoffe, dass das, was wir
hier vorbereiten, niemals zur Anwendung kommen
muss.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Meldung hat mich heute schon recht erstaunt, und
zwar die Einschätzung der EU-Kommission, dass es sich
bei der Vogelgrippe zurzeit um die gefährlichste Seuche
- vor BSE! - handelt.
({0})
Gerade wenn man sich die Bilder von der BSE-Hochzeit
vor Augen führt, möchte man an Weiteres gar nicht denken.
Es gibt wie immer zwei Seiten. Man muss die Balance finden und das Ganze im Lot halten. Auf der einen
Seite gilt es, Panikmache zu vermeiden und den Ball,
umgangssprachlich ausgedrückt, etwas flacher zu halten,
damit die Hysterie nicht zu groß wird. Auf der anderen
Seite wollen wir aber auch informieren, wollen wir gewappnet sein und nicht überrascht werden. Deshalb halte
ich die Kritik an dieser Aktuellen Stunde, die von den
Oppositionsfraktionen - sicherlich nur subtil - anklang,
für nicht gerechtfertigt.
({1})
Wenn ich mir überlege, zu welchen Themen wir schon
Aktuelle Stunden gehabt haben - ich nehme auch meine
Fraktion da nicht aus -, muss ich sagen, dass diese hier
einer Glanzdebatte wert ist.
Die Aktuelle Stunde ist deshalb heute angebracht,
weil es darum geht, zum einen den Wissensdurst der Bevölkerung zu stillen und die Unsicherheit der Bevölkerung abzubauen, zum anderen aber sich auch nicht
zurückzulehnen. Wir kennen das doch: Auch wenn irgendeine Krise auf Hochtouren gelaufen ist und in den
Medien entsprechend durchgearbeitet worden ist, glaubt
man schon drei Wochen später, es sei wieder alles in
Ordnung. Wenn der Verzehr von Fleisch in den Keller
gefallen ist, dauert es nur ein paar Wochen, bis er wieder
auf dem Stand ist, auf dem er vorher war. Es geht also
darum, sich nicht zurückzulehnen, sondern mitzudenken
und auch selbst vorsichtig zu sein. Unsere Bevölkerung
darf es nicht allein den staatlichen Behörden überlassen,
Vorsicht walten zu lassen; auch man selbst soll Vorsicht
walten lassen.
Wir haben in Deutschland bisher das richtige Maß
zwischen Information und Vermeidung von Panikmache
gefunden. Auf jeden Fall muss jeder Verdachtsfall ernst
genommen werden. Was an Deutschlands Grenzen und
in den Herkunftsländern geschehen soll, wurde schon
zur Genüge dargestellt.
Noch einmal zur Deklarationspflicht oder zu dem Ansinnen des Ministers, dass die Deklaration auch schon
vor Ort durchgeführt wird: Da gibt es ein Verständnisproblem der FDP. Es geht nicht um 400 Millionen zusätzliche Formulare, wie Herr Staatssekretär Müller
heute Morgen erwähnt hat.
({2})
Deshalb schlagen wir auch vor, nicht ein Extraformular
zu erarbeiten, sondern das mit in die Zollerklärung hineinzunehmen. Insofern gibt es zwei Wege. Wir würden
dann schon gern den unbürokratischeren Weg wählen,
lieber Herr Kollege Goldmann. Denn wenn ich etwas
unterschreiben muss, etwas deklarieren muss, hat das
schon eine besondere Dimension. Dem einen oder anderen geht es so, wenn er in die USA fliegt. Man überlegt
sich dann doch noch einmal: Hat man etwas Bestimmtes
dabei, möglicherweise auch im Handgepäck? - Wenn
ich etwas unterschreibe und noch einmal darauf hingewiesen werde, was gefährlich sein kann oder nicht importiert werden darf, dann ist das gut.
Dazu ein Beispiel. Ein Flughafenkontrolleur erzählte
mir: Die so genannten Traumfänger - mit Federn dran werden oft unbehandelt verwendet, zu Spielzeug weiterverarbeitet und vertrieben. Gerade die sind Überträger.
Daran denkt man oft gar nicht. Deshalb kann es sehr
sinnvoll sein, dass man bei einer Deklaration, bei einer
Unterschrift noch einmal darauf hingewiesen wird.
Wichtig ist, dass wir zügig handeln. Ich finde das Ergebnis der Länderrunde mit unserem Minister Seehofer,
an der auch Abgeordnete teilnehmen durften, sehr erfreulich. Die Länder haben sich mit dem Minister sehr
zügig einigen können. Wir haben also weder ein
Erkenntnis- noch ein Krisenmanagementproblem. Es ist
klar, was gemacht werden muss. Es ist auch klar, dass
die Bundesländer intensiv zusammenarbeiten müssen
und dass das koordiniert werden muss. Es ist ebenfalls
klar, dass sie sich absprechen müssen.
({3})
Wir wissen ja, dass das Virus keine Rücksicht auf den
Föderalismus nehmen wird. Auf Unstimmigkeiten wird
das Virus auch keine Rücksicht nehmen. Insofern sollte
da, wo doch noch einige Animositäten oder Zögerlichkeiten bestehen, gemeinsam koordiniert werden; letztlich sollten dem Bund die Daten weitergegeben werden.
({4})
- Herr Kollege Goldmann, ich glaube, Sie haben die
Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Wir sind in der Aktuellen Stunde und da gibt es keine
Zwischenbemerkungen.
Das war auch mehr rhetorisch gemeint.
Vielleicht können Sie sich ja anschließend darüber
auseinander setzen. In der Aktuellen Stunde geht das
nicht.
({0})
Es hilft also wenig, wenn Deutschland optimal gerüstet ist. Es geht auch darum, dass in den Herkunftsländern
- wir sind nun einmal kein abgeschottetes Land und das
ist auch gut so - informiert wird, Prävention betrieben
wird und Hygienevorschriften eingehalten werden. Aber
man kann, wenn man nach Rumänien oder in die Türkei
blickt, auch feststellen, was bei den Beitrittskandidaten
noch zu tun ist, wenn sie zum Beispiel bezüglich dieser
Präventionsmaßnahmen auf das Niveau der Europäischen Union gebracht werden sollen.
Eines ist auch klar: Die Kontrollen an den Flughäfen
können immer nur Stichproben sein. Eine hundertprozentige Kontrolle wird es bei 80 Flügen täglich aus den
betroffenen Ländern nach Frankfurt wohl nie geben.
Innerhalb von vier Wochen wurde 600-mal illegal importiertes Geflügel festgestellt. In Belgien wurden zwei
infizierte Adler aus dem Verkehr gezogen. Die Kontrolldichte muss also sicherlich erhöht werden; auch die Sensibilität muss steigen.
Frau Kollegin Klöckner, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme zum Ende. - Ich würde gerne noch eines
mit Blick auf die Länder lobend erwähnen.
Nein, Sie haben die Zeit schon weit überzogen. Ich
bitte, jetzt zum Schluss zu kommen.
Dann möchte ich auf die Informationshotlines der
Länder hinweisen. Sie sind nämlich sehr gut, vor allen
Dingen die von Bayern und von Baden-Württemberg;
andere Länder könnten da noch nachziehen.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
jüngsten Fälle von Vogelgrippe in der Türkei haben zu
Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Das Virus,
das bis vor kurzem nur im fernen Asien auftrat, hat inzwischen Europa erreicht. Das ist der Grund, warum wir
heute Morgen in den Fachausschüssen darüber diskutiert
haben und das jetzt auch hier tun.
Die Verunsicherung ergab sich vor allem deshalb,
weil sich Menschen mit dem Virus infiziert haben und
einige daran gestorben sind. So entstand bei manchem
der Eindruck, dass es sich um eine für den Menschen
hoch ansteckende, gefährliche Seuche handelt. Das ist
aber bislang nicht der Fall. Das Vogelgrippevirus H5N1
bleibt trotz der Infektionsfälle in der Türkei in erster Linie eine Tiererkrankung. Es kann nur dann übertragen
werden, wenn Menschen in direkten, intensiven Kontakt
mit Geflügel kommen, wie es in einzelnen Fällen in der
Türkei leider geschehen ist. Für eine Übertragung von
Mensch zu Mensch - das ist heute hier schon gesagt
worden; ich will es aber noch einmal betonen - gibt es
bislang keine Anhaltspunkte. Ich warne deshalb vor Panikmache.
Dennoch müssen wir uns auf mögliche Pandemien
vorbereiten. Eine solche für Menschen gefährliche Pandemie kann durch eine Mutation des Vogelgrippeerregers entstehen. Dieses dann neuartige Virus, das wir jetzt
noch gar nicht kennen, kann sich in der heutigen sehr
mobilen Welt sehr rasch ausbreiten. Diese Tatsache dürfen wir nicht verharmlosen. Sie bedarf unserer hohen
Aufmerksamkeit. Die Einschätzung der Experten im
Fachausschuss heute Morgen war aber auch: Wir sind
zurzeit besser auf eine solche mögliche Pandemie vorbereitet als je zuvor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Deutschland
einer möglichen Pandemie begegnen kann, wurden in
den letzten Monaten einige Vorkehrungen getroffen; es
ist schon gesagt worden. Beim Robert-Koch-Institut
wurde mit Beteiligung der Länder und des Bundesge694
sundheitsministeriums ein nationaler Influenzapandemieplan erarbeitet. Er bildet die wissenschaftlich fundierte Grundlage für eine bundesweit koordinierte
Vorbereitung auf eine Influenzapandemie. Ein wichtiges
Kernstück des Plans ist die Forderung an die Bundesländer - denn die Seuchenabwehr liegt in der Zuständigkeit
der Bundesländer; das ist hier schon mehrfach erwähnt
worden -, sich ausreichend mit antiviralen Substanzen,
den so genannten Neuraminidasehemmern, zu bevorraten. Jetzt ist es entscheidend, dass die Länder der gemeinsam erarbeiteten Empfehlung im Pandemieplan folgen und sich mit der empfohlenen Menge an antiviralen
Substanzen bevorraten bzw. Verträge zur Bevorratung
abschließen. Diese Medikamente - das ist bereits angeklungen - sollen den Zeitraum zwischen dem Auftreten
des Virus und der Verfügbarkeit eines wirksamen Impfstoffes überbrücken. Denn die Krux ist: Man kann einen
Impfstoff für einen neuartigen Erreger erst nach Auftreten dieses Erregers herstellen.
Um die Entwicklung eines neuen Impfstoffes zu beschleunigen, hat die vorige Bundesregierung 20 Millionen Euro für die Entwicklung eines Prototypimpfstoffes
zur Verfügung gestellt. Zwei in Deutschland ansässige
Unternehmen sollen einen solchen Prototyp entwickeln,
der innerhalb kürzester Zeit an ein Pandemievirus angepasst und auch schnell, also in drei bis sechs Monaten,
für die gesamte Bevölkerung hergestellt werden kann.
Ende letzten Jahres wurde bei der EMEA in London
die erste Zulassung für einen solchen Prototypimpfstoff
beantragt. Dieser Antrag ist zurzeit in der Bearbeitung.
Die derzeit wichtigste Maßnahme besteht darin, die
Tierseuche an ihrer Verbreitung möglichst effizient zu
hindern. Das momentan größte Risiko ist und bleibt
- das haben wir heute Morgen mehrfach gehört - die
Einschleppung der Vogelgrippe nach Deutschland durch
Menschen selbst, bewusst oder unbewusst. Ich will gar
nicht immer eine kriminelle Absicht unterstellen. Denn
man kann beispielsweise ungewollt Tierfedern am Körper mit sich führen. Deshalb müssen die Kontrollen an
den Flug- und Seehäfen in unserem Land verstärkt werden. Ich persönlich halte bei Einreise in die EU auch
eine Deklarationspflicht in Form einer verbindlichen zusätzlichen Zollerklärung an den EU-Außengrenzen für
höchst sinnvoll. Wir kennen ähnliche Maßnahmen von
der Einreise in die USA.
Wir haben ein Bündel von Maßnahmen ergriffen, um
uns auf eine mögliche Pandemie vorzubereiten. Ich will
es noch einmal sagen: Heute Morgen wurde die Einschätzung geäußert, dass wir zurzeit besser vorbereitet sind als
je zuvor. Dennoch sind einige im Pandemieplan vorgesehene Maßnahmen wie die Bevorratung mit antiviralen
Substanzen noch nicht im vollen Umfang umgesetzt.
Hier sind - das will ich deutlich sagen - die Bundesländer gefordert, die gemeinsam vereinbarten Maßnahmen
zügig umzusetzen und auch die vereinbarten Zielmengen
zu erreichen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Jahr von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade in unserer Mediengesellschaft kann
man am Beispiel der Vogelgrippe verdeutlichen, dass
mehr Information nicht gleichbedeutend ist mit besserer
Information.
({0})
Die Medien tendieren zu einer Überzeichnung. Was
manchmal auf der Strecke bleibt, sind die angemessenen
notwendigen Maßnahmen.
Dieses Spiel der medialen Kräfte konnte ich gestern
bei einer Fernsehsendung zum Thema Vogelgrippe gut
beobachten. Positiv zu verzeichnen waren die Meinungen der geladenen Experten, die aber im großen Widerspruch zu den eingespielten Kurzfilmen standen. Daran
schlossen sich Zuschauerfragen an, wie zum Beispiel:
„Darf ich denn mein Kind noch draußen spielen lassen,
wo doch schon unsere Hühner weggesperrt werden müssen?“ oder „Muss ich meine Katze töten lassen, wenn sie
mal einen Vogel gefangen hat?“ - Wir lachen zwar jetzt
darüber. Aber es handelte sich um ernsthafte Fragen von
Bürgerinnen und Bürgern an die Experten.
Aus meiner Sicht wohltuend wurden fast alle Fragen
zunächst mit den Vorbemerkungen beantwortet: Erstens.
Es handelt sich um eine Tierseuche.
({1})
Zweitens. Diese Tierseuche ist noch nicht in Deutschland angekommen. Drittens. Sie können sowohl Ihre
Katze als auch Ihre Kinder ins Freie lassen. - Nur der
Moderator war mit diesen Antworten sichtlich unzufrieden.
Ich bin unserem Bundesminister Seehofer sehr dankbar, dass er durch sein umsichtiges und konsequentes
Handeln viele Dinge wieder vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Ich denke, die Bundesregierung ist ihrer Verantwortung voll gerecht geworden. Sie hat die Gefahr
adäquat beschrieben und hat angemessen konsequent reagiert.
({2})
Übrigens: Die Gefahr angemessen beschreiben, das
heißt auch, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Auch
das - so haben wir gehört - tut die Bundesregierung.
Die allerwichtigste Erkenntnis ist: Die Vogelgrippe ist
und bleibt eine Tierseuche und ist als solche konsequent
zu bekämpfen.
({3})
Ich sage das nur deshalb, weil es den Kopf frei macht für
die notwendigen Maßnahmen. Dass wir heute im Parlament über die Gefahren der Vogelgrippe in Europa sprechen müssen, zeigt doch vor allem eines: Wir - damit
meine ich die Weltgemeinschaft - haben es eben nicht
geschafft, das zu tun, was notwendig gewesen wäre,
nämlich die Tierseuche von Anfang an dort konsequent
zu bekämpfen, wo sie auftritt. Hätten wir die Vogelgrippe in Asien erfolgreich bekämpft, würde dieses Problem heute nicht existieren.
({4})
Hier haben die westliche Welt und die Sonderorganisationen der UN, aber auch aufstrebende Staaten wie
China oder die Türkei die Gefahr anfangs grob oder zumindest fahrlässig unterschätzt. Deshalb begrüße ich die
jetzt getroffenen Maßnahmen der Weltgemeinschaft, mit
denen Aktionen abgestimmt werden und die Vogelgrippe
in Asien gemeinsam bekämpft wird, ausdrücklich.
Dabei ist mir aus meiner Kenntnis über die Bedingungen der Haltung von Geflügel im asiatischen Raum deutlich geworden: Es gibt noch einen gewaltigen Unterschied zwischen der so genannten Massen- und der
massenhaften Tierhaltung. Wir werden langfristig daran
arbeiten müssen, die Bedingungen der Haltung von Geflügel in Asien so zu ändern, dass sie einerseits nicht
mehr zwangsläufig Brutstätte von neuen Viruskombinationen sind und dass andererseits die Existenzgrundlagen
der dortigen Bevölkerung nicht gefährdet werden. Ich
denke, das ist die eigentliche Herausforderung für die
Zukunft.
Noch eine Bemerkung sei mir an dieser Stelle gestattet. Ich denke, auch die Achtung vor der Schöpfung
sollte uns dazu bringen, bei notwendigen Seuchenbekämpfungsmaßnahmen angemessene Verfahren für die
Tiere anzuwenden.
({5})
Ich bin übrigens den Medien dankbar, dass sie nicht all
das zeigen, was in Asien in diesem Zusammenhang stattgefunden hat.
Man muss aber offen einräumen: Die Vogelgrippe
verfügt natürlich über gefährliche Sonderpotenziale.
Erstens. Sie ist global, weil der Erreger neben dem klassischen Ausbreitungsinstrument, nämlich dem Flugzeug
und dem Menschen, über das globale Transportmittel
„Zugvögel“ verfügt.
Zweitens. Die aktuelle Vogelgrippe wird durch einen
besonders aggressiven Virenstamm, die so genannte
H5N1-Kombination, hervorgerufen. Die wenigen Übertragungen von Tier zu Mensch sind von einer hohen Letalitätsrate geprägt.
Drittens. Dieser Erregerstamm hat das Potenzial, so
zu mutieren, dass er auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.
Was ist zu tun? Erstens. Die Vogelgrippe ist als Tierseuche dort zu bekämpfen, wo sie entsteht. Die Ausbreitung ist zu verhindern.
Zweitens. Die Bedingungen der Haltung von Geflügel
in Asien sind so zu verändern, dass das Entstehen von
Tierseuchen nicht begünstigt wird.
Drittens. Das Fünfpunkteprogramm der Bundesregierung ist konsequent umzusetzen. Verbesserungswürdig
sind - das ist mehrfach gesagt worden - die Kontrollen
an Flughäfen und an den EU-Außengrenzen.
Viertens. Die Pandemiepläne für Deutschland und die
EU sind weiter zu präzisieren.
Fünftens. Wir treten für eine angemessene, faktenbezogene Informationspolitik ein. Denn Fakt bleibt: Wenn
wir die Vogelgrippe erfolgreich bekämpfen, dann besteht
auch keine Gefahr für den Menschen.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin heute eine der letzten Rednerinnen in
dieser Aktuellen Stunde. Wundern Sie sich also nicht,
wenn es in meiner Rede Aussagen gibt, die Sie heute
möglicherweise schon gehört haben.
Die Weltgesundheitsorganisation informiert regelmäßig über die Zahlen der Verdachtsfälle auf Infektionen
mit H5N1, über die laborbestätigten Infektionen bei
Menschen, aber auch über die Anzahl der inzwischen an
Vogelgrippe verstorbenen Personen. Gerade vor dem
Hintergrund der Ausbreitung des Virus in der Türkei,
also direkt an der EU-Grenze, wächst natürlich auch in
der deutschen Bevölkerung die Besorgnis. Deshalb ist es
nachvollziehbar und wichtig, wenn sich Reisende, aus
der Türkei kommend und über grippeähnliche Symptome klagend, vertrauensvoll an ihren Arzt wenden.
Zum Glück waren es, wie sowohl in Belgien als auch in
Deutschland in der vergangenen Woche geschehen, bisher Fälle, bei denen sich der Verdacht auf Vogelgrippe
nicht bestätigte.
Möglicherweise wird sich die Anzahl dieser Untersuchungen erhöhen. Denn wir haben die jährliche Grippesaison noch nicht erreicht; sie steht uns noch bevor. Deswegen bitte ich speziell die Verantwortlichen in den
Medien, mit den Informationen über diese Krankheit
verantwortungsvoll umzugehen; auch darauf ist schon
mehrfach hingewiesen worden.
In den Vordergrund der Informationspolitik sowohl
der Bundesregierung und der Länder als auch der Medien und zum Beispiel der Reisebüros muss die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher darüber,
was die Vogelgrippe ist, gestellt werden. Wir reden ständig davon, aber ich könnte mir vorstellen: Wenn wir
Menschen fragen würden, wie sich denn diese Krankheit
im Einzelnen darstellt, hätten viele Schwierigkeiten mit
der Antwort. Wir müssen deutlich machen, wie wir uns
vor einer Infektion mit diesem Virus schützen können.
Hier denke ich an Reiseanbieter, Reisebüros und Fluggesellschaften, die beispielsweise zur Verteilung entsprechender Info-Materialien verpflichtet werden sollten.
Auch Folgendes könnte ich mir vorstellen: Sie kennen
das ja, dass man während des Fluges Sicherheitshinweise bekommt. Das ist ja jedes Mal der gleiche Vorgang. Man könnte diese Möglichkeiten nutzen und die
Menschen, die nicht lesen - das sind mehr, als wir glauben -, zumindest über das Bild informieren. Das wäre
doch eine Überlegung wert.
Die Vogelgrippe ist eine für Hausgeflügel extrem ansteckende Krankheit. Es liegen nach Angaben der WHO
jedoch keine Hinweise darauf vor, dass das Virus seine
Übertragbarkeit erhöht hätte oder von Mensch zu
Mensch übertragbar wäre. Weder die WHO noch das
Auswärtige Amt sprechen gegenwärtig Warnungen vor
Reisen in die betroffenen Länder aus.
Sie haben hier auch schon einfache Vorsorgeempfehlungen gehört, etwa dass man eben keine Geflügelmärkte besuchen oder dass man weder Fleisch noch die
berühmten Federn mitbringen soll. Das muss ich nicht
weiter ausführen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland besteht nach dem heutigen Wissensstand jedoch keine Gefahr. Der direkte Kontakt mit infiziertem Geflügel ist der einzige Weg, auf dem das Virus
vom Geflügel auf den Menschen übertragen werden
kann.
Nun folgt in meinem Manuskript eine Liste mit Maßnahmen vor allem hygienischer Art, mit denen man die
Übertragung verhindern kann. Ich denke, Sie sind darüber informiert; ich werde das jetzt nicht weiter ausführen.
Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass es zu
keiner ungerechtfertigten Panik kommt. Denn nichts ist
so ansteckend wie die Angst. Mit diesem Satz hat heute
Morgen die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses die
Sitzung begonnen. Die Bundesregierung verstärkt gemeinsam mit den Ländern und in Zusammenarbeit mit
den Fachleuten die Schutzmaßnahmen gegen die Vogelgrippe. Ähnlich wie es bei uns eine Arbeitsgruppe der
zuständigen Länderminister gibt, sollte auch auf EUEbene eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet
werden. Ich habe den Eindruck, dass es in der Bundesrepublik das Problem des Föderalismus gibt. Mir ist aber
heute Morgen auch deutlich geworden, dass die Länder
Europas in dieser Beziehung noch viel zu wenig gemeinsam in die gleiche Richtung gehen. Nötig sind ein gezieltes Vorgehen und die schnelle Klärung solcher Fragen wie der Verstärkung der Kontrollen an den EUAußengrenzen und der stärkeren Überwachung nicht nur
des Flugverkehrs, sondern auch des Auto- und Busverkehrs und des Seewegs, den wir eigentlich immer vergessen.
In einer globalisierten Welt müssen auch die Probleme gemeinsam angegangen werden: Zur Unterstützung vor Ort werden im internationalen Kampf gegen
das Virus deutsche Veterinäre, Virologen und andere Experten in von der Vogelgrippe betroffene oder bedrohte
Länder geschickt. Das haben wir heute Morgen bereits
im Ausschuss gehört. Die Betreffenden werden in den
entsprechenden Instituten bei uns in der Bundesrepublik
in Schnellkursen fit gemacht. Die EU-Kommission hat
ihre Hilfszusagen für die Bekämpfung aufgestockt; die
Weltbank hat 410 Millionen Euro freigegeben.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das tue ich. - Unsere Entwicklungshilfeministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul hat bekannt gegeben, dass
8 Millionen Euro an Zahlungen allein an Indonesien und
Vietnam geleistet worden sind. Das ist wichtig. Denn
Krankheiten wie die Vogelgrippe machen uns auf erschreckende Weise klar, wie abhängig wir voneinander
sind: Es geht nicht nur um uns, nicht nur um Europa; es
geht um uns alle.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann-Josef Scharf
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit es uns
Menschen gibt, sind wir von ansteckenden Krankheiten
und Seuchen bedroht. Die Pest, die Cholera oder die Malaria dezimierten ganze Gesellschaften. Viele dieser und
anderer Krankheiten konnten erforscht und erfolgreich
bekämpft werden. Ganz auszurotten waren sie aber nie.
Immer neue Erreger forderten die Medizin im weitesten
Sinne heraus, so wie 1996, als - sehr weit weg von uns in Südostasien die Vogelgrippe ausbrach, die bis Mitte
dieses Monats weltweit circa 80 Menschen das Leben
gekostet hat. Bis dato waren es ausnahmslos Fälle, in denen es zu einem direkten Kontakt des Virus mit dem zu
bemitleidenden Opfer kam.
Vor wenigen Monaten noch weit weg, ist diese Seuche jetzt mit 21 infizierten Fällen und vier toten Kindern
in Sichtweite unserer Haustür gerückt. Es mag sein, dass
die Türkei als Transitroute von Wandervögeln aus dem
Balkan, Sibirien oder dem Schwarzen Meer anfälliger
als andere europäische Staaten für die Vogelgrippe ist.
Risikoverschärfend wirkt sicherlich die extreme Armut
auf dem Land, die viele Menschen zwingt, Geflügel zu
halten, um ihre Existenz zu sichern. Über 2 Millionen
Tiere wurden bisher in der Türkei getötet. Wir sollten
wenigstens kurz innehalten und uns bewusst machen,
was dies allein ökonomisch für die dort lebenden Menschen bedeutet.
Auch wenn wir alle hoffen, dass sich die Vogelgrippe
nicht mehr weiter verbreitet und erfolgreich eingedämmt
und bekämpft werden kann, so lässt sich doch nicht mit
letzter Gewissheit ausschließen, dass auch wir von dieser Seuche heimgesucht werden. Zur Panik besteht kein
Anlass, was uns heute Morgen auch die Experten im
Ausschuss gesagt haben, wohl aber zur Vorsicht und zu
verantwortungsvollem Handeln.
Wer letzte Woche die Fernsehbilder vom Frankfurter
Flughafen sah, wo trotz wiederholten Verbots Geflügel
oder andere Vögel, Geflügelfleisch, Eier und andere ProHermann-Josef Scharf
dukte von Geflügel sowie Federn und unbehandelte
Jagdtrophäen eingeführt wurden, dem fehlen schlicht
und ergreifend die Worte. Wir müssen an die Menschen
appellieren, nicht sich und andere durch unüberlegtes
und teilweise egoistisches Verhalten zu gefährden. Alle
Vorsichtsmaßnahmen, die ergriffen werden können,
müssen auch ergriffen werden. Dazu gehört vor allem,
während der Zugvögelzeit unsere Tiere im Stall zu halten und alles zu tun, damit es zu keinem Kontakt mit den
fremden Artgenossen kommen kann.
Wichtig ist auch, dass wir möglichst alle über die
Krankheitssymptome bzw. über die möglichen Ansteckungswege informiert sind.
Wohltuend war bisher, wie unaufgeregt unsere Gesundheits- und Seuchenexperten mit dieser für uns noch
latent vorhandenen Gefahr umgegangen sind. Sie haben
sachlich - ohne Panik zu schüren - aufgeklärt und unter
anderem darauf hingewiesen, dass nach dem derzeitigen
Wissensstand nur ein direkter Kontakt mit dem Virus zu
der nicht immer tödlich verlaufenden Krankheit führt.
In diesem Zusammenhang fällt mir die Äsop-Fabel
vom Hirtenjungen ein, der seine Mithirten ständig ärgerte, indem er ohne Grund „Wolf“ schrie. Als dann der
Wolf tatsächlich die Schafherde angriff und er erneut um
Hilfe schrie, reagierte niemand mehr.
Für Nichtmediziner oder -seuchenexperten ist es sehr
schwer, mögliche Gefahren zu beurteilen und zu bewerten. Anfängliche Forschungen ergaben, dass die Vogelgrippe aggressiver sei als ursprünglich angenommen.
Viele Damen und Herren vom Fach sahen die Gefahr einer von Mensch zu Mensch übertragbaren Virusvariante,
die eine weltweite Pandemie auslösen könnte. Jetzt allerdings gibt es auch glaubwürdige Berichte, die die Krankheit als nicht so virulent wie ursprünglich angenommen
einschätzen.
Die Politik darf sich jedoch nicht vom Prinzip Hoffnung oder gar von einem Wunschdenken leiten lassen.
Sie muss vielmehr Entscheidungen entsprechend einem
breiten, mit Wahrscheinlichkeitsgraden versehenen Gefahrenspektrum treffen. Krisenvorsorge zu treffen heißt
in unserer konkreten Situation, im Notfall unsere Bevölkerung ausreichend mit Impfstoff und Medikamenten
versorgen zu können. Der zeitliche Verlauf dieser Seuche war lang genug, um ein entsprechendes Krisenmanagement zu organisieren, das sowohl die in eigener Zuständigkeit zu treffenden Entscheidungen auf der
jeweiligen Landesebene betrifft wie auch die Koordination zwischen Bundesregierung und Bundesländern. Bisherige Verlautbarungen aus diesen Kreisen schaffen Vertrauen.
Ich möchte allen Verantwortlichen für ihren bisher
geleisteten Einsatz ein herzliches Wort des Dankes sagen. Es ist sicherlich nicht naiv und leichtfertig, zu behaupten, dass unsere verantwortlichen Stellen alles tun,
um die Gefahr, die durch die Vogelgrippe entstehen
kann, beherrschbar und so gering wie möglich zu halten.
Die Vogelgrippe zeigt uns erneut, wie gefährdet die
Menschheit ist bzw. auf diese Art und Weise gefährdet
werden kann.
Nicht Deutschland allein, sondern die internationale
Staatengemeinschaft als Ganzes ist gefordert, von einem
reaktiven zu einem präventiven Handeln zu kommen.
Hoffen wir, dass wir alle gemeinsam diese und andere
Gefahren erfolgreich abwehren und dass die bedauerlichen Schäden begrenzt bleiben.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Kollege Scharf, ich habe hinsichtlich der Redezeit die Augen ein wenig zugedrückt; denn es war Ihre
erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu gratuliere ich
Ihnen herzlich.
({0})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Aktuellen Stunde hat es wenig
Sinn, über ihre Funktion nachzudenken. Aber ich will sie
nutzen, um noch einige Argumente zu nennen, die mir
wichtig sind und die in diesem Zusammenhang bedacht
werden müssten.
Es gibt sehr viele Erkrankungen bei Tieren, von denen der Humanmediziner wenig weiß und von denen er
auch nicht viel wissen muss, weil sie für den Menschen
nicht gefährlich sind. Es gibt andere Erkrankungen, die
für Tiere und Menschen gefährlich sind. Es gibt wiederum Erkrankungen, bei denen Tiere nur Zwischenwirt
sind. Die Biologie der Krankheitserreger ist sehr komplex. Es gibt in bestimmten Teilen der Welt Reservoire
von Erregern, an die sich die lokale Bevölkerung adaptiert hat, sodass es dort nur in einigen Fällen zu Erkrankungen kommt. Wenn diese Erreger aber in eine andere
Humanpopulation kommen, können Krankheiten ausbrechen. All das ist bekannt.
Die Vogelgrippe ist gar keine Erkrankung des Menschen; wir sprechen hier von einem Phantom. Es ist ein
Phänomen, das wir beobachten und das zu dieser Aktuellen Stunde geführt hat. Es handelt sich um die Theorie,
dass eine Erkrankung, die bei Vögeln vorkommt, für den
Menschen gefährlich werden kann. Ob Tiererkrankungen für Menschen gefährlich werden, hängt zum einen
von der Anzahl der Erreger ab, also der Intensität des
Kontaktes, und zum anderen von der Abwehrlage derjenigen, die den Kontakt mit diesen Erregern normalerweise gut aushalten können. Wenn beides in einem Missverhältnis steht, kann man krank werden. Aber das ist in
der Medizin schon seit Tausenden von Jahren bekannt.
Wenn man eng mit Tieren zusammenlebt und das Immunsystem nicht in Ordnung ist, ist das gefährlich. Dann
können auch ganz andere Erkrankungen, die ich gar
nicht alle aufzählen kann, auf den Menschen zukommen.
Es gibt eine Binsenweisheit in der Epidemiologie, die
vor allen Dingen Diagnostikern in der Hygiene bekannt
ist, die nachweisen, welche Erreger wo vorkommen.
Wenn man untersuchte, wie viele kleine Tierchen der
Mensch auf der Haut mit sich herumträgt, würde man
staunen.
({0})
Als ich für die Hygiene von Badestränden verantwortlich war, gab es unter Kollegen den Schnack: Wir können jederzeit jeden Badestrand im Sommer in der Hochsaison dicht machen, weil wir genau wissen, wo wir
messen müssen, um Salmonellen zu finden, nämlich da,
wo die Möwen gesessen haben. - Wenn Sie da Wasserproben entnehmen, können Sie den Strand anschließend
dicht machen, weil Sie Salmonellen nachgewiesen haben. Bis das Gegenteil bewiesen und der Messfehler sowie die technischen Feinheiten der Messung diskutiert
worden sind, ist der Sommer vorbei. Dann sind die Tourismusaktionen gestorben.
Bei den Ländern, in denen man bisher keinen Fall von
Vogelgrippe - ich benutze diesen Ausdruck jetzt einmal - entdeckt hat, handelt es sich häufig um die Länder,
in denen man für die entsprechenden Tests kein Geld
hat, weil dort ganz andere Probleme im Vordergrund stehen.
({1})
Vorhin wurde die Situation in Afrika angesprochen.
Wenn man sieht, dass die Menschen, denen es elend geht
und die verhungern, die Chance nutzen, Tiere bei sich zu
haben und mit bzw. von ihnen zu leben,
({2})
indem sie zum Beispiel ihre Eier sammeln, wenn man
feststellt, wie lebenswichtig es für sie ist, eng mit diesen
Kleintieren zusammenzuleben, und wie unwichtig in
diesen Ländern häufig ein Menschenleben ist, dann kann
man sich ausmalen, dass das Problem, mit dem wir uns
gerade auseinander setzen, global gesehen relativ unwichtig ist.
Ich kann uns alle nur dazu ermuntern, uns mehr um
die Entwicklungspolitik zu kümmern, allerdings nicht
nur, indem wir mehr Geld zur Verfügung stellen. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Menschen lernen, mit
dem, was sie in ihrem Land machen können, besser und
aufgeklärter umzugehen. Die Produktivität ihres eigenen
Lebens muss gesteigert werden, damit sie nicht mehr
hungern müssen. Sie müssen wissen, was zu tun ist, damit ihre Hühner nicht sterben und damit letztendlich
auch sie nicht sterben. Wir könnten beispielsweise Hilfe
für den Aufbau landwirtschaftlicher Kleinbetriebe leisten. Hier sollten wir uns mehr anstrengen.
({3})
Ich habe mich gefragt, wie es eigentlich kommt, dass
wir so viel über dieses Thema reden. Wer hat ein Interesse daran, dieses Thema hochzuspielen? Damit möchte
ich mich in der zweiten Hälfte meines kurzen Beitrags
beschäftigen. Für die Medien ist dieses Thema willkommen. Sie würden aber auch ein anderes Thema aufgreifen, wenn die Leute dadurch Angst bekommen. Das machen sie gerne. Es gibt aber auch noch andere Profiteure,
nämlich diejenigen, die Tamiflu verkaufen und die Lizenzen vergeben. Ich empfehle Ihnen sehr, einmal Artikel nachzulesen, in denen es darum geht, wem die Anteile gehören, wer Druck ausgeübt hat, welche Prozesse
schon gelaufen sind und welche Strategien angewendet
werden, um möglichst viel von dem Zeug zu verkaufen.
Diese Fragen können wir nicht einfach abtun; denn sie
sind die Motoren der Angst. Sie dienen dazu, den Menschen unnötig Angst zu machen.
({4})
Herr Kollege Wodarg, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja.
({0})
Eine Schlussbemerkung: Es darf nicht sein, dass im
Zusammenhang mit den Impfstoffen wieder Trittbrettfahrer am Werk sind
({1})
und dass - das gilt nicht nur für diese Erkrankung, sondern grundsätzlich - durch Patente auf Impfstoffe Menschenleben geopfert werden, weil die Preise so hoch
sind, dass diejenigen, die einen Impfstoff brauchen, ihn
sich nicht leisten können. Das darf nicht sein, weder bei
dieser möglichen Erkrankung noch bei anderen Erkrankungen. Hier müssen wir aufpassen und uns zu Wort
melden.
Vielen Dank.
({2})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 19. Januar 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.