Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/18/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung enthält im Sinne des steuerpolitischen Gesamtkonzepts der Bundesregierung vor allem Regelungen, die positive Impulse für mehr Investitionen und Beschäftigung geben werden. Zur Stärkung der Wachstumskräfte in konjunkturschwachen Zeiten sind eine gezielte Wiederbelebung der Investitionstätigkeit und die steuerliche Gewährung von Liquiditätsvorteilen für kleine und mittelständische Unternehmen erforderlich. Zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung soll darüber hinaus der private Haushalt als Feld für neue Beschäftigungsmöglichkeiten steuerlich gefördert werden. Durch die Möglichkeit, erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu berücksichtigen, wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert. Im Einzelnen beinhaltet der Gesetzentwurf folgende Maßnahmen zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung: Erstens. Um privaten Haushalten einen Anreiz zu geben, als Arbeitgeber tätig zu werden, soll zusätzliche Beschäftigung in diesem Bereich gefördert werden. Bei der steuerlichen Berücksichtigung der erwerbsbedingten Kinderbetreuung werden Familien mit Kindern daher zukünftig stärker entlastet als bisher. Nach dem neuen § 4 f Einkommensteuergesetz können erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr bis zu einem Betrag von 4 000 Euro je Kind, soweit die Aufwendungen 1 000 Euro je Kind übersteigen, wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten berücksichtigt werden. Für Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr können ab dem ersten Euro erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten bis zu einem Betrag von 4 000 Euro wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Zweitens ein im Volumen nicht so bedeutsamer Posten, der aber für die betroffene Branche gleichwohl sehr bedeutsam ist. Die bei der Veräußerung eines Binnenschiffes aufgedeckten stillen Reserven können zukünftig auf erworbene Binnenschiffe übertragen werden. Die Regelung des § 6 b Einkommensteuergesetz wird insofern erweitert. Durch die Maßnahme, die ähnlich auch in den Niederlanden praktiziert wird, soll ein Impuls zur Verjüngung der deutschen Binnenschifffahrtsflotte gesetzt und deren Konkurrenzfähigkeit im europäischen Vergleich verbessert werden. Drittens; das ist der vom Volumen her umfangreichste Punkt. Zur Belebung der Investitionstätigkeit werden die Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens durch eine bis zum 31. Dezember 2007 befristete Anhebung des Höchstsatzes der degressiven Abschreibung von 20 Prozent auf 30 Prozent verbessert. Hierbei handelt es sich um eine Regelung in § 7 Abs. 2 Einkommensteuergesetz. Diese verbesserte so genannte AfA-Regelung ist für nach dem 31. Dezember 2005 und vor dem 1. Januar 2008 angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter anwendbar. Durch diese Maßnahme sollen Investitionsanreize geschaffen werden. So soll für ein beschleunigtes Wachstum gesorgt werden. Viertens. Der Anwendungsbereich des § 35 a Abs. 2 Einkommensteuergesetz, der eine Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer bei Aufwendungen für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen vorsieht Redetext - das heißt, einen Abzug von der Steuerschuld ermöglicht -, wird auf Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ausgeweitet sowie um Betreuungsleistungen für pflegebedürftige Personen erweitert. Bisher können für haushaltsnahe Dienstleistungen wie Wohnungsreinigung oder Betreuung von Familienangehörigen bereits bis zu 20 Prozent der Kosten von maximal 3 000 Euro, also 600 Euro, von der Steuerschuld abgezogen werden. Dieser Betrag wird nur für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen zur Betreuung einer pflegebedürftigen Person im Privathaushalt auf maximal 1 200 Euro angehoben. Daneben werden künftig auch Modernisierung und Instandhaltung des Wohnraums in Privathaushalten steuerermäßigend berücksichtigt. Bei einem Betrag von bis zu 3 000 Euro können im Jahr 20 Prozent, also wiederum 600 Euro, von der Steuerschuld abgezogen werden. Werden die Voraussetzungen für den Abzug beider Beträge erfüllt, können insgesamt bis zu 1 200 Euro von der Steuerschuld abgezogen werden. Wenn es sich um einen pflegebedürftigen Angehörigen handelt, sind es sogar bis zu 1 800 Euro. Fünftens. Zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen wird die Umsatzgrenze bei der Umsatzbesteuerung nach vereinnahmten Entgelten, der so genannten Ist-Versteuerung, in den alten Bundesländern zum 1. Juli 2006 von 125 000 Euro auf 250 000 Euro angehoben. Diese Maßnahme wird ergänzt durch eine Verlängerung der Gültigkeit der derzeitigen Regelung zur IstVersteuerung für die neuen Bundesländer über das Jahr 2006 hinaus bis Ende 2009. Das bedeutet, dass die so genannte Ist-Versteuerungsgrenze in den neuen Bundesländern weiterhin bei 500 000 Euro liegen wird, also höher bleibt als in den alten Bundesländern. Beide Regelungen, die für die alten und die für die neuen Bundesländer, schaffen Liquiditätsvorteile für kleinere und mittlere Unternehmen. Die mit dem Gesetzentwurf angestrebte Verbesserung der Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung genießt für die Bundesregierung höchste Priorität. Nur durch ein höheres Wirtschaftswachstum entstehen dauerhaft mehr Arbeitsplätze, sinken die Ausgaben für den Arbeitsmarkt und steigt das Steueraufkommen. Das ist die Logik, die der Arbeit der Bundesregierung zugrunde liegt. Herzlichen Dank.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Gemeldet hat sich zunächst Kollegin Ina Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin von der Leyen, Sie als Familienministerin sind bei der heutigen Fragestunde dankenswerterweise anwesend. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie zum Bereich Familienpolitik selbst antworten würden. Ich habe zwei Fragen. Meine erste Frage betrifft die Berechnung des Elterngeldes, das 67 Prozent des Nettogehalts betragen soll. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es verschiedene Steuerklassen. Insbesondere die Steuerklasse V kommt hier sehr stark zum Tragen. Die meisten Ehefrauen, die arbeiten, sind in Steuerklasse V und haben ein dementsprechend hohes Nettogehalt. Da das Nettogehalt bei der Berechnung des Elterngeldes ausschlaggebend ist, frage ich Sie, auf welcher Grundlage die 67 Prozent des Nettogehalts berechnet werden: ({0}) auf Grundlage der Steuerklasse I, der Steuerklasse III oder der Steuerklasse V? Meine zweite Frage ist: Welche Gründe machen es nach Auffassung der Bundesregierung notwendig, die ersten 1 000 Euro für die Betreuung von Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr nicht steuerlich absetzbar zu machen? In dieser Zeit ist die Betreuung der Kinder, wie wir alle wissen, doch am teuersten, was die Kosten für Krippen, Tagesmütter und Kindergärten anbelangt. Ich habe die Ausführungen der Ministerin Frau von der Leyen insofern nicht verstanden, als sie die Frage der Absetzbarkeit der Beiträge durch die Eltern mit der Argumentation verknüpft hat, die Bundesregierung zahle dann ja für die Kommunen die Kindergartenbeiträge. Deshalb meine Frage: Warum ist die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten für die Betreuung von Kindern bis zum sechsten Lebensjahr, also in der Zeit, in der die Kindergarten- und Krippengebühren am höchsten sind, erst ab 1 001 Euro möglich, während die Kosten für die Betreuung von Kindern zwischen sechs und 14 Jahren, die die Hälfte der Zeit in der Schule verbringen, sodass nur eine Restbetreuungszeit übrig bleibt, die garantiert keiner Ganztagsbetreuung, sondern eher einer Teilzeitbetreuung entspricht, ab dem ersten Euro abgesetzt werden können?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Lenke, ich würde gerne auf ihre erste Frage antworten. Ich gehe davon aus, dass Frau Bundesministerin von der Leyen Ihre zweite Frage beantworten will. Ist das so? ({0}) - Herzlichen Dank. Frau Kollegin Lenke, Sie haben bei Ihrer Frage offenbar unbeabsichtigt einen kleinen Fehler gemacht. ({1}) Mit Steuerklasse V ({2}) hat man ein niedriges und kein hohes Nettoeinkommen. ({3}) Das würde ich gerne klarstellen; denn sonst wäre das, was Sie gesagt haben, insgesamt nicht logisch. Im Übrigen aber, Frau Kollegin Lenke, ist das Elterngeld nicht Gegenstand der heutigen Beratungen des Kabinetts gewesen. ({4}) Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit auf Ihre Frage zurückkommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Frage, warum die Kosten für die Betreuung von Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr erst ab einer Grenze von 1 000 Euro absetzbar sein sollen: Die Regelung einer erhöhten steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten zielt insbesondere darauf, neue Arbeitsplätze rund um den Haushalt, rund um die Kinderbetreuung zu schaffen. Ausgehend vom Status quo, der Schwelle von 1 548 Euro und der Begrenzung auf 1 500 Euro, wollen wir das absetzungsfähige Gesamtvolumen deutlich erhöhen, und zwar auf 4 000 Euro. Die ersten 1 000 Euro betreffen allgemeine Elternbeiträge, also Kosten, die von allen Eltern mit Kindern dieser Altersgruppe für Kindertagesstätten erbracht werden, unabhängig davon ob die Eltern erwerbstätig sind oder nicht. Die Regelung zielt aber ganz klar darauf, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. So soll berücksichtigt werden, wenn erwerbsbedingt über den normalen Kindergarten hinausgehende Kosten für die Kinderbetreuung anfallen. Die übliche Vormittagsbetreuung ist auch eine Frage des Bildungszugangs. Das Steuerinstrument kann natürlich nur Eltern entlasten, die Steuern zahlen und bei denen erwerbsbedingt hohe Kinderbetreuungskosten anfallen. Es kann kein Instrument sein, um die allgemeinen Elternbeiträge insgesamt zu senken.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Ich rufe Kollegin Gesine Lötzsch auf.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, Frau Ministerin, ich schließe unmittelbar an die Frage der Kollegin Lenke an. Mich würde interessieren, ob Sie sich überlegt haben, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten vor allen Dingen denen zugute kommt, die sowieso ein relativ hohes Einkommen haben, und Sie damit Familien, die ein geringes Einkommen haben, die ihren Kindern aber trotzdem eine gute Kinderbetreuung bieten wollen, nicht fördern?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Lötzsch, eine steuerliche Progression hat immer eine solche Wirkung; das ist gar nicht von der Hand zu weisen. Durch die Steuerpolitik der vergangenen Jahre sind Familien mit geringerem Einkommen aber im Regelfall gar nicht mehr steuerpflichtig. Wenn für diese Familien keine Steuerlast anfällt - was ja positiv zu werten ist -, dann kann natürlich auch keine Steuerentlastung erfolgen. Allerdings sehen die Kindergartengesetze aller Länder vor, dass die Kindergartenbeiträge für Familien mit geringerem Einkommen oder mit Transfereinkommen gesenkt oder ganz erlassen werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Ekin Deligöz. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das habe ich übersehen. - Frau Ministerin, Sie können die nächste Gelegenheit nutzen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Frau Ministerin, ich habe zwei Fragen an Sie: Erstens. In der Öffentlichkeit wurde hinsichtlich der steuerlichen Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten lange Zeit eine andere Debatte geführt. Könnten Sie uns bitte erläutern, warum das Kabinett jetzt ein anderes Modell präferiert als das von der Ministerin ursprünglich vorgeschlagene, nämlich die Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro absetzbar zu machen? Was hat Sie dazu bewogen, diesen Beschluss zu fällen? Zum Zweiten: Gehen Sie davon aus, dass man im Rahmen der Parlamentsberatungen wieder zum ursprünglichen Modell zurückkommen wird, womöglich auf Initiative der SPD-Fraktion?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Deligöz, über die Motivlage des Kabinetts kann ich Ihnen nichts sagen; ich kann nicht in die Köpfe der einzelnen Kabinettsmitglieder blicken und Mutmaßungen wären nicht angemessen. Frau Bundesministerin von der Leyen hat Ihnen eben die Begründung gegeben. Was das Gesetzgebungsverfahren anbelangt, so gibt es kritische Stimmen aus einzelnen Ländern und von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen. Die heute vorgeschlagene Regelung wird noch einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Ein solches Vorgehen ist in einem Gesetzgebungsverfahren üblich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollegin Sibylle Laurischk das Wort.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe folgende Fragen an die Bundesregierung: Erstens. Welcher Personenkreis wird voraussichtlich in den Genuss des Mindestelterngeldes in Höhe von 170 Euro monatlich kommen? Wie soll bei der Berechnung des Elterngeldes mit den selbstständig Erwerbstätigen verfahren werden? Zweitens. Inwieweit wird die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten Auswirkungen auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten in Höhe von bis zu 400 Euro im Monat haben?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, Ihre erste Frage kann ich Ihnen mit Hinweis darauf, dass dieses Thema heute im Kabinett keine Rolle gespielt hat und vorerst auch nicht spielen wird - das Gesetz muss schließlich erst ausgearbeitet werden -, nicht beantworten. Ihre zweite Frage dagegen will ich Ihnen gerne beantworten. Es ist im Rahmen des § 35 a Einkommensteuergesetz weiterhin möglich, die Kosten für geringfügig beschäftigte Personen im Privathaushalt steuerlich geltend zu machen. Der Abzug von der Steuerschuld beträgt 10 Prozent der Gesamtkosten, maximal jedoch 510 Euro. In diesem Punkt gibt es also keine Änderung.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Könnte auch Frau Ministerin von der Leyen dazu Stellung nehmen? Das hatte sie gerade bereits beabsichtigt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Auf Ihre Frage nach dem Elterngeld kann auch ich nur sagen, was die Frau Staatssekretärin gerade geantwortet hat, nämlich dass noch gar kein Gesetz zum Elterngeld vorgelegt worden ist. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, wenn es um die Details geht und einzelne Zahlen feststehen, werden wir diese Dinge diskutieren können. Ich möchte noch auf die Frage zurückkommen, die die Kollegin von der Linken gestellt hat, bei der es darum ging, dass bei Steuerprogression ein höheres Einkommen zu einer höheren Absetzbarkeit führt. Ich möchte noch einmal ganz klar sagen, dass es in diesem Zusammenhang um die horizontale Gerechtigkeit geht. Wenn man Ehepaare, die ein Einkommen, zum Beispiel 2 000 oder 3 000 Euro, verdienen und Kinder erziehen, den Paaren gegenüberstellt, die das gleiche Einkommen erzielen, aber keine Kinder erziehen und somit keine Kinderbetreuungskosten bewältigen müssen, um zur Arbeit gehen zu können, dann muss man sich doch fragen, wie man damit umgehen soll. Man muss sich fragen, ob es richtig ist, diese erzielten Einkommen gleich hoch zu besteuern, oder ob es nicht gerechter und vernünftiger wäre, die Kindererziehung durch eine höhere Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten steuerlich zu berücksichtigen. Man muss doch anerkennen, dass es die steuerliche Leistungsfähigkeit mindert, wenn man hohe Kinderbetreuungskosten hat.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als Nächste hat Kollegin Britta Haßelmann das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich habe Verständnis dafür, dass Sie hinsichtlich der Motivlage des Kabinetts bezogen auf die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten nicht in die Köpfe der Kabinettsmitglieder sehen können. Deswegen meine Frage direkt an die Ministerin: Frau Ministerin, warum sind Sie von Ihrem ursprünglichen Plan der steuerlichen Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro abgerückt? Können Sie dem Parlament erläutern, warum Sie im Kabinett zu einem ganz anderen Beschluss gekommen sind? Die Frau Staatssekretärin konnte darüber ja keine Auskunft geben. Der zweite Teil meiner Frage: Sie haben gerade von sich aus das Thema Gerechtigkeit angesprochen. Was hat Sie dazu veranlasst, in dem jetzt diskutierten Modell die Frage der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten insbesondere in Bezug auf allein erziehende Personen nicht in ausreichendem Maße zu berücksichtigen? Man könnte auch sagen: Doppelverdiener werden besser gestellt als Alleinerziehende. - Ich bitte Sie, mir diese Fragen zu beantworten. Vielen Dank.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Der ursprüngliche Plan der Bundesregierung, der auch ich angehöre - damit war es auch mein Plan -, war, mit diesem Investitionsvolumen mehr Beschäftigung hervorzurufen und die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten zu erhöhen. Beides wurde erreicht. Dadurch, dass die absetzbaren Beträge im Volumen von heute 1 500 Euro auf 4 000 Euro deutlich steigen, ist eine wesentlich bessere Möglichkeit gegeben, legale Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schaffen und einen höheren Teil der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten abzusetzen. Zur Frage nach den Alleinerziehenden: Die Kosten für eine Tagesmutter richten sich im Allgemeinen nach der Höhe des Einkommens und nicht danach, wie es erzielt wird, also durch Allein- oder Paarverdiener. Deshalb wurde dort die gleiche Systematik angewandt. Auch Alleinerziehende können jetzt bis zu 4 000 Euro absetzen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Nicolette Kressl das Wort.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin gesagt, dass die erwerbsbedingten Betreuungskosten anders als bisher nicht in § 33 c Einkommensteuergesetz, sondern in einem neuen § 4 f Einkommensteuergesetz, also bei den Werbungskosten, verankert werden sollen. Es wird nun häufig kommentiert, dass dies ein wegweisender Schritt ist. Ich frage Sie: Welche Gründe haben Sie dazu bewogen und steht diese Entscheidung im ZuNicolette Kressl sammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2005 bezüglich der erwerbsbedingten Betreuungskosten?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, Frau Kollegin Kressl, das kann ich bestätigen. Es gibt einen Zusammenhang mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Bundesregierung hat sehr wohl überlegt, den Tatbestand der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten in § 4 f und § 9 Einkommensteuergesetz unterzubringen. Um es genau zu erläutern: § 4 f Einkommensteuergesetz bezieht sich auf die Betriebsausgaben; er gilt also für Selbstständige, Freiberufler oder Gewerbetreibende. Die Anschlussnorm enthält dann § 9 Einkommensteuergesetz; darin geht es um Werbungskosten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Diese Regelungen für die Selbstständigen und für die abhängig Beschäftigten sind also in §§ 4 und 9 Einkommensteuergesetz zu finden. Ein Grund dafür, dass wir das in diesen Paragraphen untergebracht haben, ist, dass wir ganz deutlich machen wollten, dass dies aufgrund der Erwerbsarbeit zusätzlich anfallende Kosten sind, die noch nicht durch den im allgemeinen Kinderfreibetrag enthaltenen Freibetrag für Kosten der Erziehung, der Bildung und der Ausbildung gedeckt sind, der nach geltendem Recht 1 548 Euro beträgt und allen Eltern zugute kommt, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun ist Kollegin Barbara Höll an der Reihe.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Antwort die Gerechtigkeit angesprochen. Ich bitte Sie, uns noch einmal darzulegen, aus welchen Gründen Sie eine Anhebung des steuerlich absetzungsfähigen Betrages auf bis zu 4 000 Euro vornehmen möchten. Auch Ihnen dürfte bekannt sein, dass Personen - insbesondere Frauen -, die ALG II oder Sozialhilfe beziehen, in vielen Kommunen, denen es halbwegs gelingt, ein der Nachfrage entsprechendes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen zu realisieren, gar keinen Kinderbetreuungsbeitrag zahlen müssen. Das heißt, dort ist dies bereits zulasten der Kommunen gerecht geregelt. Warum möchten Sie den Betrag jetzt heraufsetzen und wieso meinen Sie, dass die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen davon abhängt, ob ein sehr gut verdienendes Ehepaar nun 3 000 Euro, 3 500 Euro oder 4 000 Euro steuerlich geltend machen kann? Das hat sich mir überhaupt noch nicht erschlossen. Vielleicht könnten Sie das noch darlegen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Habe ich Sie richtig verstanden, dass sich die Frage ausdrücklich an die Frau Ministerin richtete?

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Frau Ministerin hat mich gebeten, die Beantwortung zu übernehmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Frau Ministerin hat eben dazu ausgeführt, dass diese Regelung insbesondere der Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen in Privathaushalten dient. Ein höherer steuerlicher Absetzungsbetrag führt dazu, dass die Gruppe von Menschen, die über ein entsprechendes Einkommen verfügt, im Privathaushalt sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schafft. Der andere Aspekt dieser Regelung beinhaltet aber die Möglichkeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, indem auch andere Kinderbetreuungskosten, die erwerbsbedingt anfallen, zum Beispiel Kosten für Kindergärten und Horte, steuerlich geltend gemacht werden können. Sie haben Recht hinsichtlich der Kinderbetreuungsplätze. Ich hatte schon in der Antwort auf die Frage der Kollegin Lötzsch ausgeführt, dass Personen mit geringem Einkommen für solche Einrichtungen in der Regel entweder nur sehr geringe oder gar keine Beiträge leisten müssen, weil diese Kosten von den Kommunen übernommen werden und auf diese Weise Gerechtigkeit hergestellt wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Carl-Ludwig Thiele, Sie haben das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Frage richtet sich an Frau Bundesministerin von der Leyen. Frau von der Leyen, bei der Kabinettsklausur in Genshagen kam es in der Frage der Kinderbetreuungskosten zu einer Vereinbarung. Für morgen war ursprünglich die erste Lesung dieses Steuergesetzes geplant. Dieser Punkt ist von der Tagesordnung genommen worden, weil es offensichtlich Unstimmigkeiten zwischen den Fraktionen gibt. Das Kabinett hat, wie Frau Staatssekretärin ausgeführt hat, hinsichtlich der Kinderbetreuungskosten im Wesentlichen das beschlossen, was in Genshagen vereinbart worden ist. Gleichwohl hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Struck, erklärt: Die Regierung kann beschließen, was sie einbringt, das Parlament aber entscheidet. - Das ist bestimmt ein zutreffender Satz. Angesichts der Diskussionen, die in diesem Punkt momentan zwischen Union und SPD stattfinden, habe ich an Sie die Frage: Gehen Sie davon aus, dass dieser Kabinettsbeschluss den Bundestag unverändert passieren wird? Wenn nicht: Wie würden Sie sich eine andere Einigung vorstellen, wenn die Summe von 460 Millionen Euro als Finanzdeckel bestehen bleiben soll?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Die Bundesregierung wird den Gesetzentwurf einbringen. Dann durchläuft er das normale parlamentarische Verfahren. Dabei haben die Parlamentarier das Wort. Der Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung ist gut und richtig, gerade auch vor dem Hintergrund einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Diskussion kann jetzt geführt werden. Was aber das Parlament schlussendlich entscheidet, kann ich nicht vorhersagen.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich eine Zusatzfrage stellen, Herr Präsident?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich wurde gerade daran erinnert, dass Frau Hendricks für die Bundesregierung zur Beantwortung der Fragen benannt worden ist. Ich bitte darum, gelegentlich in Erinnerung zu behalten, dass vor allem an sie die Fragen zu richten sind. - Bitte.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Im Allgemeinen werde ich das berücksichtigen, aber im Einzelfall möchte ich die Frau Ministerin gerne noch etwas fragen. ({0}) Sie sind gleich vielleicht wieder dran, Frau Kollegin Hendricks. Abschließend möchte ich Sie fragen: Sie gehen also davon aus, dass hiermit ein Verfahren eingeleitet wird, dessen parlamentarisches Ergebnis derzeit noch nicht absehbar ist? ({1})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich gehe davon aus, dass die Spielregeln unserer demokratischen Ordnung berücksichtigt werden. Der Gesetzentwurf, hinter dem die gesamte Bundesregierung steht, steht jetzt zur Diskussion. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat noch einmal Kollegin Ekin Deligöz das Wort.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch ich richte meine Frage an die Frau Ministerin. Frau Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, dass deutlich mehr Arbeitsplätze geschaffen und Eltern entlastet werden. Könnten Sie uns gegenüber quantifizieren, was Sie unter „deutlich mehr Arbeitsplätzen“ verstehen? Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Betreuungskosten oftmals unter der Grenze von 1 000 Euro liegen, weil verstärkt Halbtagskindergartenplätze in Anspruch genommen werden und die Kosten damit geringer ausfallen, weise ich zudem darauf hin, dass diese Gruppe - ich nenne zum Beispiel die in Teilzeit arbeitende Mutter überhaupt keinen Vorteil von dieser Regelung hat. Eine weitere Frage: Wie werden Sie das Ganze gegenfinanzieren? Welche Quelle schlagen Sie zur Finanzierung dieser Entlastung vor? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Die 25 Milliarden Euro Investitionsvolumen sind gegenfinanziert. Zur Frage, ob dadurch mehr Beschäftigung ausgelöst werden wird: Ich bin der festen Überzeugung, dass dies zur Schaffung von legalen Arbeitsplätzen führen wird; denn es ist für viele interessant, die Kosten rund um das Thema Tagesbetreuung steuerlich absetzen zu können. Quantifizieren kann man dies nicht; denn es ist nicht vorhersehbar, wie viele Plätze geschaffen werden. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Georg Fahrenschon das Wort.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf den Teil, der - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen den Löwenanteil der steuerlichen Entlastung ausmacht, nämlich die Veränderungen, die die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf bei den Abschreibungsbedingungen durch eine befristete Anhebung der degressiven AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens vornimmt. Im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf, der rückwirkend zum 1. Januar 2006 in Kraft treten soll, interessiert mich - auch die betroffenen Unternehmer haben sicherlich ein sehr starkes Interesse daran -, wie Sie die Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft einschätzen, von dieser Änderung möglichst zügig Gebrauch zu machen. Gibt es schon Überlegungen, wie dieses Verfahren umgesetzt werden kann, und auf welche zeitliche Perspektive, ab wann sie von der Möglichkeit Gebrauch machen können, müssen sich die Unternehmer einstellen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Fahrenschon, ich bin für diese Fragen sehr dankbar. Da es uns gemeinsam darum geht, die Wirtschaft zu beleben, sollen die Maßnahmen, die heute von der Bundesregierung im Parlament vorgestellt werden, so rasch wie möglich wirken. Deswegen - darauf habe ich eben in meinen Ausführungen hingewiesen sollen die verbesserten Abschreibungsbedingungen rückwirkend ab dem 1. Januar dieses Jahres gelten. Das heißt, jede Investition, die in diesem und im nächsten Jahr getätigt wird, profitiert von den verbesserten Abschreibungsbedingungen bei der so genannten degressiven AfA durch die Erhöhung von 20 auf 30 Prozent. Dabei hat die Bundesregierung sehr zielgerichtet vorgesehen - das wurde auch in der Koalitionsvereinbarung so verabredet -, dass diese Maßnahme auf zwei Jahre begrenzt wird. Das hat zwei Gründe: Zum einen soll in der Tat das erhöhte Abschreibungsvolumen dazu dienen, bei Investitionsüberlegungen zu rascheren Entscheidungen zu kommen. Diese Regelung soll zum anderen ganz bewusst auf zwei Jahre - bis Ende des Jahres 2007 - begrenzt werden, weil wir verbindlich vereinbart haben, mit Wirkung ab dem Jahr 2008 ein neues Unternehmensbesteuerungsrecht zu schaffen. Um den für die sorgfältige Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens für ein völlig neues Unternehmenssteuerrecht benötigten Zeitraum nicht zulasten der Wirtschaft ungenutzt verstreichen zu lassen, schlagen wir für diesen Zeitraum - dieses und das nächste Jahr - eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen vor. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Koalitionsfraktionen diesem Vorschlag folgen werden. Deshalb kann sicherlich auch mit Zustimmung des Hauses festgestellt werden, dass diese Regelung für jede Investition gilt, die ab dem 1. Januar dieses Jahres getätigt worden ist und in diesem und im nächsten Jahr weiter getätigt wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Leo Dautzenberg das Wort zu einer Frage.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, sehr wichtig in dem Gesetzentwurf ist die darin eingeschlagene Richtung, den privaten Haushalt als Arbeitgeber anzuerkennen und dadurch Beschäftigungsimpulse zu schaffen. Ich habe aber eine Frage zu einem Punkt in dem Gesetzentwurf - sie schließt an die Frage des Kollegen Fahrenschon zu dem Bereich der degressiven AfA an -, nämlich zu der Istversteuerung bei der Umsatzsteuer. In den neuen Ländern wird diese Praxis bereits angewandt. Sehen Sie keine Schwierigkeiten, dass für den Übergang wieder auf alte Verfahren abgestellt wird? Ist sichergestellt, dass das Gesetz, auch wenn es vielleicht erst im März oder April verabschiedet wird, auch in den neuen Ländern mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft treten kann?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Das muss ich korrigieren. Ich habe das zwar eben schon richtig ausgeführt, aber ich möchte nicht, dass ein falscher Eindruck stehen bleibt. Die Verbesserung bei der Istversteuerung bezogen auf die alten Bundesländer wird zum 1. Juli 2006 erfolgen. Damit wird die Umsatzgrenze bei der Istversteuerung von zurzeit 125 000 Euro auf 250 000 Euro verdoppelt. Dadurch entsteht den kleineren und mittleren Unternehmen ein Liquiditätsvorteil, von dem sie profitieren können. Im Übrigen liegt in den neuen Bundesländern die Umsatzgrenze bei der Istversteuerung bei 500 000 Euro. Diese Regelung wäre eigentlich zum Ende des Jahres 2006 ausgelaufen. Wir haben aber die Gelegenheit genutzt, die Geltungsdauer dieser Regelung bis zum Ende des Jahres 2009 zu verlängern, sodass schon jetzt die Unternehmen in den neuen Bundesländern die Sicherheit haben, dass die Regelung, von der sie bereits profitieren, mindestens drei weitere Jahre gilt. Die Anhebung der Umsatzgrenzen bei der Istversteuerung kann allerdings nicht rückwirkend gelten. Die Umsatzsteuervoranmeldungen laufen ja bereits. Aber man kann bei Verbrauchsteuern prinzipiell auch unterjährig Änderungen vornehmen. Daher bietet sich das Ende des laufenden Halbjahres an. Die Änderung wird also zum 1. Juli dieses Jahres erfolgen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Mir liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Zuerst Kollege Jörg-Otto Spiller und dann Kollegin Christine Scheel.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass private Haushalte Aufträge an Handwerker für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Haushalt bis zu einer Obergrenze von 600 Euro im Jahr von der Einkommensteuerschuld abziehen können. Das ist, glaube ich, für den Bereich des mittelständischen Handwerks eine sehr wichtige Maßnahme. Es wäre daher interessant, zu wissen - weil das ab 1. Januar dieses Jahres gelten soll -, wie die privaten Haushalte und das Handwerk nun damit umgehen sollen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Spiller, ich bin froh, dass ich das noch einmal verdeutlichen kann. Ich bin sehr sicher, dass im parlamentarischen Verfahren keine Änderungen mehr erfolgen werden. Die beiden Koalitionsfraktionen haben sozusagen in ihrer Gesamtheit signalisiert, dass sie diese Maßnahme begrüßen. Man kann sich also schon jetzt - wir haben heute den 18. Januar - darauf verlassen. Jede Handwerksleistung, die seit dem 1. Januar dieses Jahres erbracht wird und für die eine Rechnung infolge der Erbringung einer Leistung ausgestellt worden ist, kann, sofern sie mit einer Tätigkeit am Haus, am Grundstück oder an der Wohnung zusammenhängt, ab dem 1. Januar dieses Jahres steuerlich geltend gemacht werden. Es wird ermöglicht, 20 Prozent der Arbeitskosten - die Dienstleistung darf bei vollständiger Berücksichtigung einen Wert von 3 000 Euro nicht überschreiten von der Steuerschuld abzuziehen. Diese Regelung bezieht sich also auf die Arbeitskosten, nicht auf die Mate658 rialkosten. Schließlich entstehen jedem Materialkosten, auch Schwarzarbeitern. Insofern haben wir die Regelung ganz bewusst auf die Arbeitskosten bezogen. Natürlich muss man Rechnungen vorlegen und über einen Bankbeleg nachweisen, dass diese tatsächlich bezahlt worden sind. Bargeldgeschäfte empfehlen sich also in diesem Zusammenhang nicht, weil sonst wieder eine gewisse Nähe zur Schwarzarbeit gegeben sein könnte. Darauf können sich die Finanzämter nicht verlassen. Aber alle Bürgerinnen und Bürger, die einen Auftrag erteilen, der an ihrem Haus, ihrer Wohnung oder in ihrem Garten ausgeführt wird, können die entsprechende Summe steuerlich geltend machen. Dies gilt ab sofort, genau genommen seit knapp drei Wochen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun Kollegin Christine Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich möchte auf die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten zurückkommen. Es gibt zwar einen entsprechenden Kabinettsbeschluss, aber damit einher geht vor allem in den Regierungsfraktionen eine intensive Debatte über eine Absetzbarkeit der Kosten der Betreuung von Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr ab dem ersten Euro. Es ist zu lesen, dass große Teile der SPD-Fraktion eine solche Regelung favorisieren. Ich habe der Presse entnommen, dass sich die CSU diesem Begehren anschließt. Gleichzeitig wird gesagt - das hat auch die Frau Ministerin eben getan -, man sei gewillt, im Bereich der Familienförderung etwas zu tun und so Arbeitsplätze zu schaffen. Damit wurde die Notwendigkeit der Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten bis zu 4 000 Euro begründet. Der Finanzminister Steinbrück wiederum sagt, mehr als 460 Millionen Euro gebe es nicht; mehr sei nicht gegenfinanziert. Angesichts dieses ganzen Wusts von Meinungen und Stellungnahmen einzelner Mitglieder der Regierungsseite, aber auch der Fraktionen, würde mich doch interessieren, was unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten - die Grünen waren immer für eine Abzugsfähigkeit ab dem ersten Euro, um das in Erinnerung zu rufen - ({0}) - Weil die SPD damals nicht wollte; das muss man auch einmal klar sagen. ({1}) Sie haben es sich anders überlegt. Sie haben dazugelernt. In dem Kontext würde uns interessieren, was es bedeuten würde, wenn man die Abzugsfähigkeit ab dem ersten Euro erlauben würde, und zwar unabhängig vom Alter, und - damit verbunden - die Grenze von 4 000 Euro nicht antasten würde. Wie groß wäre dann das Volumen? Es irritiert mich nämlich etwas, zu lesen, dass nur 2 000 Euro abgesetzt werden könnten, wenn die Abzugsfähigkeit schon ab dem ersten Euro gegeben wäre. Damit würde doch das Ansinnen der Ministerin, Arbeitsplätze im Haushalt durch steuerliche Anreize zu schaffen, ein Stück konterkariert.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Scheel, es ist so, dass in diesem Zusammenhang zwei Ziele verfolgt werden, nämlich zum einen die Möglichkeit, Beschäftigungsverhältnisse im Haushalt zu schaffen, und zum anderen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auf beides hatte ich in meinen einleitenden Worten hingewiesen. Ich hatte Ihnen im Übrigen auch gesagt, dass in der Öffentlichkeit schon bekannt geworden ist, dass sich einzelne Bundesländer und Vertreter der Koalitionsfraktionen kritisch zu diesem Vorschlag des Bundeskabinetts geäußert haben. Ich hatte Ihnen schon im Zusammenhang mit einer der ersten Fragen, die ich beantwortet habe, gesagt, dass es sicherlich im Gesetzgebungsverfahren noch weitere Überlegungen geben wird. Das ist ja auch nicht von der Hand zu weisen. Dazu sind Gesetzgebungsverfahren da. Das werden Sie nach Ihrem Selbstverständnis als Parlamentarierin sicherlich nicht anders sehen. Ich kann Ihnen die genaue Zahl jetzt nicht nennen. Es ist aber klar - da sind sich die Bundesregierung und zumindest die Finanzpolitiker der Koalitionsfraktionen einig; ich gehe davon aus, dass das auch für die Familienpolitiker der Koalitionsfraktionen gilt -: Es gibt vor dem Hintergrund einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik keine Möglichkeit, die angenommenen 460 Millionen Euro zu erhöhen. Darüber herrscht Einvernehmen. Deswegen liegt es auf der Hand, dass dann, wenn man keinen Selbstbehalt von 1 000 Euro haben will, die Summe, die abgesetzt werden kann, sinken muss. Das verhält sich wie in einem System kommunizierender Röhren. Auf die Größenordnung will ich mich jetzt nicht festlegen. Wenn man keinen Selbstbehalt hat und man bei der Summe von 460 Millionen Euro bleibt, dann kann der Abzugsbetrag nicht so hoch sein, wie jetzt angenommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die halbe Stunde Zeit für die Regierungsbefragung ist vorüber. Ich beende sie also und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/357, 16/367 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß unseren Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf. Die Beantwortung der Fragen erfolgt durch den Parlamentarischen Staatsekretär Hermann Kues. Wir kommen zunächst zu der ersten dringlichen Frage der Abgeordneten Kerstin Andreae: Beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Äußerungen der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, in der „Bild am Sonntag“ vom 15. Januar 2006 dahin gehend initiativ zu werden, dass die Gebühren für Kindertagesstätten abgeschafft werden, und, wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung die Finanzierbarkeit dieser Initiative sicherzustellen? Herr Kues, Sie haben das Wort.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nach geltendem Recht können Länder und Kommunen eigenverantwortlich entscheiden, ob und in welcher Höhe sie Elternbeiträge für die Inanspruchnahme von Kindertagesstätten erheben wollen. CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, mit den Ländern gemeinsam nach Wegen zu suchen, die bereits in einigen Ländern vorgesehene bzw. umgesetzte Gebührenbefreiung der Eltern im letzten Kindergartenjahr bundesweit zu realisieren. Auch die Sachverständigenkommission zum Zwölften Kinder- und Jugendbericht spricht sich für eine grundsätzliche Beitragsfreiheit für die Inanspruchnahme insbesondere auch frühzeitig einsetzender Kindertagesbetreuung aus. Sie stellt fest, die Beitragsfreiheit spiele eine entscheidende Rolle zur Beseitigung ökonomischer Hürden für die Inanspruchnahme öffentlich verantworteter Kinderbetreuung, und unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung und Wertschätzung früher Bildung für alle Kinder. Einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Möglichkeit, Elternbeiträge für die Inanspruchnahme von Kindertagesbetreuung zu erheben, wird die Bundesregierung nur in enger Abstimmung mit den Ländern vorlegen. Wichtigstes Ziel ist und bleibt vorerst jedoch der Ausbau der Kinderbetreuung nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Andreae, Sie wollen nachfragen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Kues, Sie haben gesagt, der Ausbau der Zahl von Betreuungsplätzen vor allem für die kleinen Kinder habe Vorrang. Teilen Sie meine Ansicht, dass die Ministerin in der „Bild am Sonntag“ eine Illusion geweckt hat?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein, diese Auffassung teile ich nicht. Wenn man möchte, dass Kinderbetreuungskosten vom ersten Euro an absetzbar sind, dann muss man sich darüber klar werden, dass das eine allgemeine Förderung von Familien mit Kindern bedeutet. Folglich muss man darüber reden, auf welche Art und Weise man dieses Ziel erreicht, ohne die eine oder andere Familie zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Außerdem muss man darüber sprechen, wie man die Kindertagesstättengebühren überhaupt gestaltet. Insofern gibt es da einen sachlichen Zusammenhang.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, eine weitere Nachfrage.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben eben die steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten erörtert und überlegt, ob es, langfristig gesehen, sinnvoll ist, Kitagebühren gar nicht mehr zu erheben. Herr Staatssekretär, sehe ich es richtig, dass Sie dies zulasten der Kommunen erreichen wollen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein, davon kann keineswegs die Rede sein. Man muss Folgendes sehen: Das Gesetz, das im Kabinett heute Morgen beschlossen worden ist, verfolgt einen ganz bestimmten Ansatz, nämlich die Förderung von Beschäftigung und Wachstum. In diesem Zusammenhang sind Elemente vorgesehen, die auch eine familienfördernde Wirkung haben. Wenn man eine darüber hinausgehende Wirkung erzielen möchte, muss man gesetzgeberisch einen anderen Weg gehen. Dabei muss man berücksichtigen, dass es auf Länder- und kommunaler Ebene bestimmte Zuständigkeiten gibt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu dieser ersten dringlichen Frage möchten zwei Kolleginnen eine Nachfrage stellen. Zunächst hat die Kollegin Deligöz das Wort, dann die Kollegin Haßelmann.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Kues, gedenkt das Ministerium, in absehbarer Zeit eine Gesetzesinitiative zu ergreifen, damit kostenlose Kinderbetreuungsplätze Realität werden? Ist dies mit dem Finanzministerium abgesprochen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe schon eingangs darauf hingewiesen: Wenn solche Wege beschritten werden sollen, dann muss es Absprachen zwischen den Ländern und dem Bund geben. Wie man auch der Presse entnehmen kann, gibt es in den einzelnen Bundesländern verschiedene Überlegungen, zumindest das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei zu gestalten. Man wird darüber Gespräche führen müssen. Das Ergebnis wird man abzuwarten haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Haßelmann, eine Nachfrage.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wir sind binnen sehr kurzer Zeit vonseiten der Ministerin und des Ministeriums mit verschiedenen familienpolitischen Initiativen konfrontiert worden. Unsere Fraktion setzt sich damit natürlich sehr gern auseinander. Wir bewerten sie und bringen eigene Vorschläge ein. Innerhalb der letzten drei Wochen wurden folgende Themen behandelt: Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, Elterngeld, Abschaffung sämtlicher Kitagebühren. Welche Initiativen planen Sie noch? Wollen Sie zu allen von mir angesprochenen Maßnahmen gesetzliche Initiativen ergreifen? Ich möchte das erfahren, damit sich unsere Fraktion darauf vorbereiten kann. Auch was die öffentliche Diskussion angeht, möchten wir ein bisschen mehr Klarheit bekommen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es gibt zunächst einmal einen ganz konkreten Gesetzentwurf, der heute vom Kabinett verabschiedet worden ist. Er wird nun parlamentarisch beraten. Das Ergebnis werden wir sehen. Parallel dazu bereiten wir einen Gesetzentwurf zum Elterngeld vor. Da gibt es einen zeitlichen Ablauf, der auch im Ausschuss besprochen worden ist. Darüber wird ab Mitte des Jahres intensiver diskutiert werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe die zweite dringliche Frage der Abgeordneten Kerstin Andreae auf: Welche Kosten würden bei einer generellen Kitabeitragsfreiheit auf die kommunalen Träger zukommen und inwieweit konterkariert diese Kostenbelastung das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Kommunen finanziell zu stärken?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Höhe der Elternbeiträge, die für die Kinderbetreuung in Krippen, Kindergärten und Horten gezahlt werden, beträgt jährlich circa 2 bis 2,1 Milliarden Euro. Die exakte Summe kann nicht genannt werden, da für die Elternbeiträge an die Träger von Einrichtungen der freien Jugendhilfe keine statistischen Erhebungen vorliegen und da deren Höhe somit auf einer Schätzung beruht. Um eine kostenbeitragsfreie Tagesbetreuung, die dem aktuellen Umfang entspricht, zu gewähren, müsste von den Kommunen daher jährlich die Summe von circa 2 Milliarden Euro aufgebracht werden. Was die Abschaffung der Kindergartenbeiträge mit der Folge einer weiteren Belastung für die Kommunen angeht, wird auf die Antwort auf die erste dringliche Frage verwiesen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Andreae, haben Sie dazu eine Nachfrage?

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auf alle Fälle. - Herr Staatssekretär, Sie sprechen davon, dass das ungefähr 2 Milliarden Euro kosten würde. Ich möchte wissen, ob Ihnen bekannt ist, dass die Finanzsituation der Kommunen prekär ist und dass die Kommunen aufgrund dieser Situation nicht in der Lage sind, den Gebührenausfall in Höhe von 2 Milliarden Euro zu stemmen, und welche Gegenfinanzierung Sie vorschlagen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es gibt Vorschläge im Zusammenhang mit der Finanzierung der Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes. Dort wird sicherlich ein Schwerpunkt liegen. Sie kennen auch die Summen, die da im Raum stehen. Über die Zahlen hat man sich noch nicht im Einzelnen verständigt. Die eine oder andere Kommune hat in der öffentlichen Debatte gerade in den letzten Tagen darauf hingewiesen, dass sie versuchen wird, die Finanzierung durch Umschichtungen hinzubekommen. Ich sage aber ausdrücklich dazu: Wenn man es umfassend angehen will, dann bedarf es gründlicher Gespräche zwischen dem Bund und den Ländern und dann muss man sich über die Schritte sowie über die zeitliche Folge dessen, was möglich ist, unterhalten. Das wird abzuwarten sein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt hat sich eine Reihe anderer Kollegen zu Nachfragen gemeldet. Haben auch Sie noch eine weitere Nachfrage? ({0}) - Bitte.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben Recht damit, dass wir den Ausbau der Kinderbetreuung in der letzten Legislatur gegenfinanziert haben. ({0}) Aber die Kosten, über die wir jetzt sprechen, kämen dazu; denn es geht nicht um den Ausbau von Betreuung, sondern es geht um die Übernahme von Kitagebühren. Ich möchte konkret nachfragen, inwieweit Sie Vorstellungen dazu haben, die Kommunen finanziell zu entlasten, damit diese die 2 Milliarden Euro dann stemmen können.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es gibt in dem Diskussionszusammenhang keinerlei Überlegungen in dieser Richtung. Ich sage aber ausdrücklich, dass die Forderung erhoben worden ist, über das Gesetz hinaus, das jetzt verabschiedet worden ist, mehr für Familienförderung und Kinderbetreuung zu tun. Man muss darüber reden, wie man das am besten hinbekommt. Eine Möglichkeit wäre - davon würden alle Familien profitieren -, die Kindergartenbeiträge zu senken.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gab es dazu bisher noch keine Abstimmung innerhalb des Kabinetts, auch nicht mit den Kommunen oder den Ländern. Kann man angesichts dessen sagen, dass dieser Vorschlag in der „Bild am Sonntag“ ein Alleingang der Ministerin war - ohne jegliche Debattenbasis vorher?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein, das kann man sicherlich nicht sagen. Wir müssen unterscheiden zwischen einem konkreten Gesetzgebungsverfahren und einer allgemeinen politischen Debatte darüber, wie Familienförderung gestaltet werden sollte. Der Beitrag der Ministerin in der „Bild am Sonntag“ ist sicherlich ein allgemeiner familienpolitischer Beitrag gewesen, ({0}) natürlich vor dem Hintergrund der Diskussion, die wir in den letzten Tagen geführt haben. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Lenke, bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie auf die Frage, wie viel die Beitragsfreiheit in Kindergärten die Kommunen kosten würde, gesagt, das würde 2,5 Milliarden Euro kosten.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

2 Milliarden Euro.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

2 Milliarden Euro würde es kosten. Sie haben aber auch gesagt, 2,5 Milliarden Euro würden von den Kommunen schon jetzt ausgegeben. Wenn zwischen 70 und 80 Prozent der Kindergartenbeiträge von den Kommunen und nur 20 bis 30 Prozent von den Eltern bezahlt werden, dann kann das nicht ein gleich großer Betrag sein. Die Kollegin von den Grünen hat doch tatsächlich behauptet, dass in der letzten Legislaturperiode jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro vom Bund über die Länder an die Kommunen für die Betreuung unter Dreijähriger geflossen sind. Ich bitte Sie, mir zu sagen: Wie viel haben die Länder bekommen? Sind das im Jahr 2005 1,5 Milliarden Euro gewesen und wie viel bekommen sie im Jahr 2006 von der neuen Regierung?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Um auf das Letzte einzugehen: Frau Kollegin Lenke, Sie haben sicherlich wahrgenommen, dass es eine Diskussion darüber gibt, wie viel Geld bei den Kommunen tatsächlich angekommen ist. Wir gehen davon aus, dass es 1,5 Milliarden Euro sein müssen. Man stellt dazu Berechnungen an. Darüber wird noch gestritten. Die Bundesregierung hat immerhin beschlossen, dass es bei dem derzeitigen Verfahren bleiben soll, sodass es keine Reduzierung gibt. Auch diesbezüglich wird man irgendwann Bilanz zu ziehen haben, um festzustellen, wie viel es tatsächlich gewesen ist. Wenn man sich in den Kommunen und in den Ländern umsieht, gewinnt man den Eindruck, dass sehr intensiv am Aufbau einer Betreuungsstruktur gearbeitet wird, was darauf hindeutet, dass das Ziel insgesamt eigentlich von allen Ebenen verfolgt wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Singhammer, bitte.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, dass sich mit der Neukonzeption der Familienpolitik, wie sie die Ministerin jetzt eingeleitet hat, die Betreuungsmöglichkeiten gerade für Eltern, die erwerbstätig sind, insgesamt deutlich verbessern werden, dass neue Impulse auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden und die Schwarzarbeit eingedämmt wird?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Abgeordneter Singhammer, ich glaube, dass das zutrifft. In der Tat ist es so, dass wir jetzt in einem Bereich, in dem Beschäftigung bislang nicht immer legal entstanden ist, ganz legale Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Es ist auch ein Signal gerade an junge Leute, dass die Bundesregierung Voraussetzungen dafür schaffen will, dass Familie und Beruf leichter miteinander vereinbart werden können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen damit zur dritten Dringlichkeitsfrage, zur Frage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann: Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zur Finanzierung der am letzten Wochenende von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, vorgeschlagenen generellen Streichung der Kindergartengebühren? Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Diese Frage beinhaltet eigentlich das gleiche Thema wie die erste dringliche Frage, weshalb ich meine darauf gegebene Antwort nur wiederholen kann. Es ist in der Tat so, dass die Kommunen und Länder hier eigenverantwortlich entscheiden, dass es allerdings Gespräche geben wird, was man in diesem Fall gegebenenfalls noch zusätzlich tun kann. Aber das ist eine offene Diskussion, die bisher keine konkreten Schritte nach sich gezogen hat. Da wird man den weiteren Gesprächsverlauf abzuwarten haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ist die Tatsache, dass die Ministerin ausgerechnet bei diesen Fragen das Parlament verlassen hat, möglicherweise Ausdruck dessen, dass ihr Vorschlag von dem Rest der Bundesregierung nicht mitgetragen wird?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es ist so, dass die Ministerin einen anderen wichtigen Termin hat; das Wirtschaftskabinett tagt gegenwärtig. Ich glaube, dass man dafür Verständnis haben muss. Sie war ja im ersten Teil, als es um den Kabinettsbericht ging, hier anwesend.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Eine zweite Frage. Inwieweit ist der Bund bereit, sich, analog zum Beispiel zu den Unterkunftskosten bei Hartz IV, an den Mehrkosten, die ein solcher Vorschlag für die Kommunen nach sich ziehen würde, zu beteiligen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Bundesregierung hat klar beschlossen, dass für den Aspekt, über den wir eben diskutiert haben, 460 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Das wird auch mehr oder weniger das letzte Wort sein, wie ich das einschätze. Insofern steht das gegenwärtig nicht zur Debatte.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Höll, bitte.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, dass es eigentlich den Eltern überlassen sein sollte, auszuwählen, in welcher Form sie ihre Kinder betreuen lassen möchten, ob für sie in erster Linie wichtig ist, dass die Kinder das Recht auf gemeinschaftliche Erziehung verwirklichen können, ob sie entsprechende qualifizierte Betreuung in Kindertagesstätten, sprich: durch ausgebildete Erzieherinnen bzw. Erzieher - Letztere eher in geringerem Maße - haben möchten? Wenn Sie mir zustimmen: Könnte es sein, dass dieser Ansatz mit Ihren Vorstellungen konterkariert wird, da es Ihnen, wie in den bisherigen Darlegungen deutlich zu hören war, insbesondere darum geht, die so genannten Tagesmütter zu stärken?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich kann Ihnen da nicht zustimmen. Ich glaube, dass in dem konkreten Gesetzentwurf, so wie er heute Morgen beschlossen worden ist, sehr wohl auf sehr unterschiedliche Lebensformen Rücksicht genommen wird. Der Betreuungsbetrag ist sowohl bei den Werbungskosten angesiedelt, die immer etwas mit der Erwerbstätigkeit zu tun haben, als auch bei den haushaltsnahen Dienstleistungen, was denjenigen zugute kommt, bei denen keine erwerbsbedingten Kosten anfallen. Insofern glaube ich, dass wir die unterschiedlichen Lebensformen - darüber sollen die Eltern in der Tat selbst entscheiden im Blick haben. Aber man wird nicht alles gleichzeitig mit der gleichen Intensität bewegen können. Deswegen muss man auch klar sagen: Der Schwerpunkt liegt hier auf der Vereinbarkeit von Familie und Beruf; so ist der Gesetzentwurf angelegt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hirsch, bitte.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben jetzt viel darüber diskutiert, was durch diesen Vorschlag auf die Kommunen zukommen würde. In der kommenden Woche haben wir einen Antrag zu Bolkestein auf der Tagesordnung. Das betrifft auch das Thema Bildung; denn das wird gerade Auswirkungen auf den Kindergartenbereich haben. Deshalb ist meine Frage, inwieweit sich die Bundesregierung, wenn sie schon den aus unserer Sicht politisch sinnvollen Vorstoß macht, auf eine kostenfreie Kitazeit hinzuwirken, auf europäischer Ebene gegen Bolkestein einsetzt, um eine weitere Privatisierung im Kindergartenbereich zu verhindern.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe eben schon etwas zu den weiteren Schritten gesagt. Zunächst einmal muss deutlich gesagt werden, dass hier etwas auf den Weg gebracht worden ist, was für viele Familien sehr positiv sein wird, weil es eine Verbesserung bedeutet. Die weiteren denkbaren Aspekte muss man gemeinsam mit den Ländern diskutieren, wenn man zusätzliche Schwerpunkte setzen will.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Flachsbarth, bitte.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stellt sich die neue Bundesregierung endlich der gesellschaftlichen Realität, dass wir eine im weltweiten Vergleich niedrige Geburtenrate haben, dass das Alter von Frauen, die zum ersten Mal ein Kind bekommen, über 29 Jahre liegt und dass über 95 Prozent aller 30-Jährigen berufstätig sind?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich denke, dass die Bundesregierung dies tut. Wir dürfen aber nicht meinen, dass wir mit einer Maßnahme alle Herausforderungen, die es auf diesem Gebiet gibt, in dem Sinne, wie Sie es gerade beschrieben haben, umfassend angehen können. Wir müssen vielmehr - das ist ein wichtiger Punkt - Schritt für Schritt vorgehen. An die junge Generation müssen wir das Signal aussenden, dass es ganz wichtig ist, sich neben der beruflichen Tätigkeit auch der Familie und den Kindern zu widmen. Ich denke, dass die Bundesregierung diese große gesellschaftspolitische Herausforderung erkannt hat - das zeigt auch die öffentliche Debatte - und konsequent daran arbeitet, darauf die richtigen Antworten zu finden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Andreae.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einmal auf den Zusammenhang mit dem Gesetz, über das wir vorhin diskutiert haben, hinweisen. Der Grund, warum eine Unterscheidung zwischen Kindern im Alter von null bis sechs Jahren und Kindern im Alter von sieben bis 14 Jahren getroffen werden soll, hat sich uns vorhin teilweise noch nicht erschlossen. Nach Ihren Ausführungen zu den Kitagebühren, die Sie gerade gemacht haben, wird Ihre Position ein bisschen logischer: Langfristig sollen zumindest die Kosten für die Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten im Alter zwischen null bis sechs Jahren nicht mehr anfallen, also brauchen sie auch nicht mehr abgesetzt zu werden. Noch einmal meine Frage: Stimmen Sie mit mir darin überein, dass eine Nichterhebung von Kitagebühren - und damit auch die Abzugsfähigkeit der Betreuungskosten für Kinder von null bis sechs Jahren - zulasten der Kommunen ginge?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich glaube, dass es einen sachlichen Zusammenhang zwischen der Frage, ab welchem Alter Betreuungskosten absetzbar sind, und den Kosten für den Besuch des Kindergartens gibt. Wenn man die Kosten für den Kindergartenbesuch berücksichtigen will, dann muss man konsequenterweise ähnliche Überlegungen für alle anderen Formen der Betreuung anstellen. Insofern gibt es einen sachlichen Zusammenhang, allerdings nicht mit Blick auf das jetzige Gesetzgebungsverfahren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Fischbach, bitte.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass die Wahlfreiheit der Eltern in Bezug auf Betreuungsangebote - die Wahlfreiheit hat die Kollegin von der Linken als Argument angeführt - die neue Bundesregierung gerade dadurch schafft, dass wir ergänzende und alternative Betreuungsangebote fördern? Denn auch mit einem gut ausgestatteten Kindergarten- oder Krippenplatz kann man nicht sicherstellen, dass die Zeiten, zu denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer normalerweise arbeiten müssen, abgedeckt werden. Stimmen Sie mir zu, dass es unbedingt notwendig ist, dass es ein qualitativ gutes Angebot an Tagesmüttern gibt und dass die neue Bundesregierung verstärkt darauf setzen sollte? Gehen auch Sie davon aus, dass wir mit diesem Angebot, mit dem den Eltern eine besondere Möglichkeit der Wahlfreiheit eröffnet wird, dafür sorgen können, dass die Eltern selber entscheiden können, was die beste Betreuung zum Wohle ihres Kindes ist?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Abgeordnete, ich stimme Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich zu. Ich bin in der Tat der Auffassung, dass mit diesem Gesetz für diese Form der Betreuung Angebote gemacht werden. Aber auch andere Entscheidungen der Eltern finden nach wie vor Anerkennung. Das wird an den beiden Schwerpunkten in diesem Gesetz sehr deutlich. Es sollen nicht nur die Betreuungskosten bei Erwerbstätigkeit abgesetzt werden, sondern auch durch die Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen soll Betreuung ermöglicht werden. Man muss aber immer daran denken - ich habe es vorhin schon angedeutet -, dass diese Maßnahmen nur ein Ausschnitt aus einer großen Palette familienpolitischer Fördermaßnahmen sind, die man noch erweitern kann. Ob man dies tun kann und die Prioritäten so setzt, ist in erster Linie eine finanzielle Frage. Das ist nicht nur eine Herausforderung an den Bund, sondern auch an die Länder und Kommunen. Mit ihren Aussagen in den letzten Tagen hat die Bundesministerin diesen sachlichen Zusammenhang aufzeigen wollen, nicht mehr und nicht weniger.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Schönen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zu den Fragen, die in der üblichen Reihenfolge aufgerufen werden, und damit zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Dazu liegt die Frage 1 der Kollegin Behm vor. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Müller. Ist die Kollegin Behm anwesend? ({0}) - Dann entfällt die mündliche Beantwortung. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Staatsministerin Hildegard Müller steht zur Beantwortung der Fragen bereit. Die Fragen 2 und 3 des Kollegen Koppelin werden schriftlich beantwortet. Dann rufe ich die Frage 4 der Kollegin Pau - Kollegin Pau ist anwesend - auf: Vizepräsident Wolfgang Thierse Waren Angebote amerikanischer Regierungs- oder Behördenvertreter an deutsche Stellen oder eigenständige Überlegungen deutscher Stellen, Gefangene in Guantanamo Bay zu vernehmen, in der Nachrichtenlage des Bundeskanzleramtes Gegenstand von Erörterungen und, wenn ja, zu welchen Ergebnissen kam man bei diesen Erörterungen? Bitte schön, Frau Müller.

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Frau Kollegin Pau, Ihre Frage betrifft die Tätigkeit der Nachrichtendienste des Bundes. Hierzu kann die Bundesregierung nur in den dafür zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages Auskunft geben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber natürlich. - Ich habe eine Nachfrage, über die schon öffentlich diskutiert wurde. Trifft es zu, dass die CIA bundesdeutschen Behörden eine Liste mit 200 Namen von Gefangenen aus Guantanamo mit dem Angebot übermittelt hat, sich diejenigen auszusuchen, die sie gerne durch die Dienste vernehmen lassen möchten?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Pau, ich weiß nicht, was Sie unter „öffentlich diskutiert“ verstehen.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im „Spiegel“ veröffentlicht.

Not found (Gast)

Sofern Sie sich auf Zeitungsberichte fokussieren, bitte ich um Verständnis, dass die Bundesregierung keine Medienberichte kommentieren kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Nachfrage?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber natürlich. - Ich möchte wissen, welche Behörden die Dienstreise der Beamten nach Guantanamo zu Herrn Kurnaz angewiesen und den Dienstreiseauftrag ausgestellt haben.

Not found (Gast)

Frau Pau, auch diese Frage betrifft nachrichtendienstliche Vorgänge und kann damit nur gegenüber den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages beantwortet werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Frage der Abgeordneten Heidrun Bluhm. Ist sie anwesend? - Sie müssen sich erheben, damit das Zwiegespräch vor unser aller Augen stattfindet. Ich rufe also die Frage 5 der Abgeordneten Heidrun Bluhm auf: Wann hat die Bundesregierung das erste Mal das Parlament über die in Frage 13 genannten geheimdienstlichen Aktivitäten bezogen auf Beamte deutscher Sicherheitsbehörden informiert? Bitte schön, Frau Staatsministerin.

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Frau Kollegin Bluhm, auch Ihre Frage betrifft die Tätigkeiten der Nachrichtendienste des Bundes. Dazu kann die Bundesregierung nur in den dafür zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages Auskunft erteilen. Im Übrigen möchte ich auf die Berichterstattung der Bundesregierung im Plenum und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages am 14. und 15. Dezember 2005 verweisen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollegin Bluhm.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe dazu eine Nachfrage. Selbstverständlich habe ich mit Ihrer Antwort, wie Sie sie eben gegeben haben, gerechnet, da meine Fraktionskollegin auf die vorherige Frage eine ähnliche Antwort bekam. Trotzdem möchte ich Sie auch in Bezug auf meine Frage 13 - ich gehe davon aus, dazu eine ähnliche Antwort zu erhalten, da sich meine Fragen nur auf die Informationspolitik zwischen der Bundesregierung und dem Parlament beziehen - bitten, darzustellen, welche parlamentarischen Gremien wann über diese Geheimdienstaktionen informiert wurden und welche parlamentarischen Gremien darüber informiert wurden, dass die Bundesregierung das Parlament falsch informiert hat. Denn meines Wissens ist es so, dass meine Fraktionskollegin Lötzsch im Jahre 2003 in dieser Sache von der Bundesregierung falsch informiert worden ist. Ich möchte gleich eine weitere Frage anschließen. Können Sie vielleicht auch darstellen, inwieweit der ehemalige Außenminister und die ehemalige zuständige Staatsministerin Frau Müller gedenken, sich für ihr Fehlverhalten, Abgeordnete falsch informiert zu haben, zu entschuldigen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Bluhm, Sie befinden sich im spekulativen Bereich. Insofern kann ich zu einem möglichem Fehlverhalten nicht Stellung nehmen. Ihre Fragen - insbesondere die Frage 13, auf die Sie sich in Ihrer Nachfrage bezogen haben - betreffen im Übrigen den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich bleibe bei der Aussage, dass wir nur den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages zu nachrichtendienstlichen Dingen Auskunft erteilen werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön, Frau Staatsministerin. Vizepräsident Wolfgang Thierse Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. ({0}) - Ich habe bereits weitergeleitet. - Die Beantwortung der Fragen hierzu nimmt Staatsminister Gernot Erler vor. Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Gehrcke: Liegen der Bundesregierung nach der Veröffentlichung des vom Schweizer Geheimdienst abgehörten Faxverkehrs zwischen dem ägyptischen Außenministerium und der Botschaft Ägyptens in London bezüglich der Existenz US-amerikanischer Gefängnisse und Verhörzentren in Europa durch die Schweizer Zeitung „Sonntags-Blick“ Erkenntnisse vor, die die Existenz solcher geheimen US-Gefängnisse auf europäischem Boden bestätigen?

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Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hat erstmals durch den Bericht im Schweizer „Sonntags-Blick“ Kenntnis von dem in dem besagten Bericht veröffentlichten Faxverkehr erhalten. Sie kann zu dem genannten Faxverkehr bzw. zu der Echtheit der Faxe keine Angaben machen. Die angebliche Existenz geheimer CIA-Gefängnisse in Europa war Gegenstand mehrerer von der Bundesregierung bereits beantworteter parlamentarischer Anfragen, darunter übrigens auch zweier Kleiner Anfragen Ihrer Fraktion. Fragen zu nachrichtendienstlichen Zusammenhängen beantwortet die Bundesregierung im Übrigen nur in den dafür vorgesehenen Gremien des Deutschen Bundestages. Damit will ich keine Aussage darüber getroffen haben, ob der Hintergrund, der in dieser Frage angedeutet worden ist, richtig ist oder nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Gehrcke, Nachfragen?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. Herr Staatsminister, ich bin ja schon dankbar dafür, dass mir in Ihrer Antwort etwas mehr zuteil geworden ist als meiner Kollegin vorher bei ihrer Frage zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Könnten Sie mir mitteilen, welche Bemühungen die Bundesregierung unternommen hat, um die Richtigkeit der Berichterstattung in der besagten Schweizer Wochenzeitung zu prüfen und selber einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten?

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Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung sieht ihre Aufgabe nicht darin, die Echtheit von irgendeinem Fax zu überprüfen. Aber sofern sich Ihre Frage auf die Sache selbst, nämlich auf diese „black sites“, bezieht, kann ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung ist in der Tat schon in vielfacher Weise tätig geworden. Sie hat unter anderem die Bemühungen um Aufklärung im EU-Rahmen unterstützt und zusammen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten Fragen formuliert. Die britische Ratspräsidentschaft hat die Vereinigten Staaten um Aufklärung gebeten; das ist bereits am 29. November geschehen. Sie wissen sicherlich, dass US-Außenministerin Condoleezza Rice die Anfrage der britischen Ratspräsidentschaft bereits am 6. Dezember letzten Jahres umfassend beantwortet und dabei auf ihre ausführliche Presseerklärung vom Vortag verwiesen hat. Diese CIA-Flüge bzw. diese Orte, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, waren auch Gegenstand der Gespräche von Bundesaußenminister Steinmeier in Washington am 29. November sowie der Begegnung von Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister Steinmeier mit der amerikanischen Außenministerin am 6. Dezember letzten Jahres. Außerdem ist das Thema am Tag darauf bei dem informellen Treffen der Außenminister der EU und der NATO intensiv angesprochen worden. Schließlich hat die Bundeskanzlerin das Thema bei ihrer USA-Reise erörtert. Ich glaube, das ist eine ganz eindrucksvolle Liste von Aktivitäten.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dazu kommen wir gleich. Ich glaube, ich kann noch eine zweite Nachfrage zu dieser Frage stellen. Die Bundesregierung unterhält ja einen Auslandsgeheimdienst, den Bundesnachrichtendienst. Hat die Bundesregierung dem BND den Auftrag erteilt, im Rahmen seiner Möglichkeiten zu recherchieren, ob sich in den genannten Staaten Gefängnisorte befinden oder nicht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, Sie ahnen es: Auch diese Frage befasst sich mit geheimdienstlichen Tätigkeiten. Die Bundesregierung kann nicht im Plenum, sondern nur in den dafür zuständigen Gremien zu einer solchen Frage Auskunft geben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe damit Frage 7 des Kollegen Gehrcke auf: In welcher Weise gedenkt die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bei ihrem bevorstehenden Treffen mit dem US-Präsidenten George W. Bush die Frage solcher Geheimgefängnisse anzusprechen und zu klären? Betrachten Sie diese Frage schon durch die bisher gegebenen Antworten als beantwortet oder wollen Sie noch eine gesonderte Stellungnahme dazu? ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie ist im Kern mitbeantwortet worden. Ich möchte aber von meiner Möglichkeit, Nachfragen zu stellen, Gebrauch machen. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Bundeskanzlerin wegen Zeitmangels nur die Frage von Guantanamo Bay ansprechen konnte. Sie haben die Aktivitäten der Bundesregierung aufgeführt. Ist der Administration der Vereinigten Staaten durch einen führenden Repräsentanten der Bundesregierung, den Außenminister oder einen anderen Minister, in aller Eindeutigkeit mitgeteilt worden, dass die Bundesregierung die Existenz geheimer Gefängnisse nicht akzeptieren kann?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, ich glaube, die autoritativste Äußerung der Bundesregierung erfolgt ja durch die Bundeskanzlerin. Wie ich eben schon ausgeführt habe, hat die Bundeskanzlerin dieses Gesamtthema auch bei ihrem Besuch in den Vereinigten Staaten am 12. und 13. Januar aufgegriffen. Es ist ausführlich über die ernsthafte Bedrohung durch den internationalen Terrorismus gesprochen worden, aber auch darüber, dass es eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, dass man sich dabei bemüht - das tut die Bundesregierung; das hat sie auch in der Vergangenheit getan -, die richtige Balance zwischen rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen und den Schutzbedürfnissen, die sich aus dieser Bedrohung ergeben, zu finden. In diesem Zusammenhang sind auch all die Punkte, die Sie eben genannt haben, angesprochen worden.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich mache noch einen letzten Versuch, obwohl man ohnehin nur das erfährt, was auch in den Zeitungen gestanden hat: Hat die Bundesregierung die Regierung der Vereinigten Staaten eindeutig aufgefordert, endlich die Wahrheit zu sagen und Klarheit darüber zu schaffen, ob solche Gefängnisse vorhanden sind und, wenn ja, in welchen Ländern solche Gefängnisse unterhalten werden?

Not found (Gast)

Herr Gehrcke, hier kann ich nur noch einmal auf meine erste Antwort zurückgreifen: Das ist durch die britische Ratspräsidentschaft passiert. Die Antworten - das habe ich gesagt - sind den Europäern bereits am 5., 6. und 7. Dezember von der amerikanischen Außenministerin gegeben worden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zu den Fragen 8 und 9 der Kollegin Lötzsch: Trifft es zu, dass die Bundesregierung in der Antwort der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, vom 10. Juni 2003 auf meine schriftliche Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 15/1164, ob die Bundesregierung Informationen über die Zahl der Talibanhäftlinge und deren Behandlung im Gefangenenlager Guantanamo Bay hat, antwortete, dass der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse über die Behandlung der Gefangenen vorliegen? Trifft es zu, dass die Bundesregierung vor dem 10. Juni 2003 eigene Informationen durch zwei Beamte des Bundesnachrichtendienstes und einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die in der Zeit vom 21. bis 27. September 2002 im Gefangenenlager Guantanamo Bay den Türken M. K. vernommen haben, hatte, und, wenn ja, stimmt die Bundesregierung mir zu, dass das Parlament demzufolge von der Bundesregierung falsch informiert wurde?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, Herr Präsident, ich möchte diese beiden Fragen, weil sie zusammengehören, auch zusammen beantworten. Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung erhält ihre Informationen über die Haftbedingungen in ausländischen Gefängnissen regelmäßig durch die konsularische Betreuung dort inhaftierter deutscher Staatsangehöriger durch die deutschen Auslandsvertretungen. Diese konsularische Betreuung lässt sich durch eine Befragung durch Angehörige deutscher Sicherheitsbehörden nicht ersetzen. Das für die konsularische Betreuung nötige Zugangsrecht für deutsche Konsularbeamte ergibt sich aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, sofern deutsche Staatsangehörige betroffen sind. Wie Sie wissen, war und ist dies in Guantanamo nicht der Fall, sodass das Auswärtige Amt über die Behandlung der Gefangenen dort keine eigenen Erkenntnisse gewinnen konnte. Die in der Frage von Ihnen angesprochene Thematik, insbesondere die Befragung von M. K. durch Angehörige deutscher Sicherheitsbehörden, war bereits Gegenstand parlamentarischer Befassung und Unterrichtung. Hierauf möchte ich verweisen. Im Übrigen geht es wieder darum, dass Auskunft über nachrichtendienstliche Zusammenhänge nur in den zuständigen Gremien erteilt werden kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, bevor ich meine Nachfrage formuliere, möchte ich gern ein Hilfeersuchen an Sie richten. Vorhin hat die Frau Staatsministerin Müller der Abgeordneten Bluhm aus meiner Fraktion gesagt, das gehöre nicht zu ihrem Geschäftsbereich. Es ist aber doch richtig, dass wir als Abgeordnete unsere Fragen an die Bundesregierung insgesamt stellen und die Bundesregierung die Fragen unter sich aufteilt? Ich bitte, uns in diesem Sinne zu unterstützen. Das werden Sie sicher gerne tun. Vielen Dank. Herr Staatsminister Erler, Ihnen ist bekannt, dass ich in meiner Frage vom 10. Juni 2003 mitnichten nach einem Zugangsrecht gefragt habe, sondern nach den eigenen Erkenntnissen der Bundesregierung. Die Bundesregierung hatte eigene Erkenntnisse. Das ist inzwischen auch von Herrn Schäuble im Bundestag in der Sitzung vom 14. Dezember 2005 gesagt worden. In der Antwort auf meine Frage hat sie jedoch bestritten, eigene Erkenntnisse zu haben. Darum möchte ich gern von Ihnen wissen, ob der Bundesregierung ein Fall bekannt ist, wonach das Parlament von der Bundesregierung wissentlich belogen wurde, und, wenn ja, welche Konsequenzen das für die entsprechenden Personen hatte.

Not found (Gast)

Frau Lötzsch, ich komme gerne noch einmal auf Ihre damalige Frage und die Antwort, die Sie in der 15. Wahlperiode bekommen haben, zurück und darf vielleicht einen Auszug aus dieser Antwort verlesen. Darin heißt es: Da deutsche Staatsangehörige in Guantanamo nicht festgehalten werden und damit Vertreter der Bundesrepublik Deutschland kein Zugangsrecht zu Guantanamo haben, liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse über die Behandlung der Gefangenen vor. Das heißt doch, dass die Argumentationsweise damals die gleiche war: Eigene Erkenntnisse über Gefangene lassen sich nur über die konsularische Betreuung, wenn man dieses Zugangsrecht überhaupt hat, gewinnen und nicht auf eine andere Weise. Ich sehe in keiner Weise auch nur einen Verdacht als gegeben an, dass mit dieser Antwort irgendjemand belogen worden ist. Sie ist und bleibt korrekt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch eine Nachfrage?

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbstverständlich. Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Staatsminister, Sie können die Antwort noch so oft Sie wollen zitieren. Wenn Sie nicht auf die Frage eingehen, bleibt die Antwort trotzdem falsch. Ich hatte nicht nach dem Zugangsrecht gefragt, sondern nach den eigenen Erkenntnissen. Ich darf wiederholen, dass Innenminister Schäuble hier vor dem Parlament am 14. Dezember 2005, also bereits in dieser Legislaturperiode, erklärt hat, dass Beamte dort Erkenntnisse gewonnen haben. Darum möchte ich wissen und frage noch einmal in aller Deutlichkeit - wenn Sie das nicht beantworten können, können Sie es zugeben -, warum mir als Abgeordneter des Deutschen Bundestages und damit allen Kollegen und der deutschen Öffentlichkeit eine falsche Antwort gegeben wurde.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, noch einmal: Ich kann nicht erkennen, dass Ihnen eine falsche Antwort gegeben wurde. Ich habe den entsprechenden Satz gerade vorgelesen. Er ist in sich überzeugend ({0}) und logisch. An diesen Fakten hat sich nichts geändert. Im Übrigen: Wenn es so gewesen sein sollte, dass die Frage tatsächlich nicht richtig beantwortet worden ist, dann ist das noch lange keine Missachtung der Rechte des Parlaments. Sie hätten meines Erachtens schon damals monieren müssen, dass Sie auf Ihre Frage eine missverständliche Antwort bekommen haben.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, also -

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Entschuldigen Sie, Sie haben Ihre beiden Nachfragen gehabt.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, ich habe zwei Fragen gestellt, also stehen mir vier Nachfragen zu, Herr Präsident.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Entschuldigen Sie, die beiden Fragen hängen zusammen. Ich wollte zunächst Kollegin Pau und Kollegen Wieland die Gelegenheit geben, ihrerseits zu Ihren Fragen noch Nachfragen zu stellen. ({0}) Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie haben gerade die damalige Antwort zitiert. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die damalige Bundesregierung keine deutschen Staatsangehörigen in Guantanamo aufsuchen konnte. Wir haben aber nun vom Bundesinnenminister erfahren, dass Herr Kurnaz im besagten Zeitraum in Guantanamo aufgesucht wurde. Insofern stellt sich die Frage, warum Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit diesem Besuch über Haftbedingungen und die Zustände dort gewonnen wurden, dem Parlament damals auf die Anfrage der Kollegin Lötzsch nicht übermittelt wurden.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Pau, ich kann nur wiederholen, dass Erkenntnisse über Haftbedingungen nicht die Angelegenheit irgendwelcher Sicherheitsdienste sind. Das ist Angelegenheit der konsularischen Betreuung und diese konnte in Guantanamo nicht stattfinden, weil - das wissen Sie ganz genau - der von Ihnen angesprochene Inhaftierte nicht deutscher Staatsbürger ist. Das amerikanische Recht lässt in diesem Fall keine konsularische Betreuung zu.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Wieland.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, da sowohl die Kollegin Bluhm als auch die Kollegin Lötzsch in Frageform den Verdacht geäußert haben, dass Ihre Amtsvorgängerin hier wissentlich das Parlament belogen habe, frage ich Sie: Spricht denn nach Ihrer Kenntnis und dem Aktenstand Ihres Hauses irgendetwas dafür, dass Ihre Amtsvorgängerin Frau Müller Kenntnis von einer Reise von BND-Mitarbeitern nach Guantanamo hatte?

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Herr Kollege, ich möchte noch einmal feststellen, dass zu dem Verdacht, dass das Parlament belogen wurde, überhaupt kein Anlass besteht. Aber da Sie diese Frage in so einer persönlichen Form gestellt haben, möchte ich Ihnen eine konkrete Antwort geben: Die ehemalige Staatsministerin Frau Kollegin Kerstin Müller hat mir gegenüber persönlich erklärt, dass sie von dieser Entsendung der Sicherheitsbeamten keine Kenntnis hatte.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Nachfrage vom Kollegen Uli Maurer.

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Erkenntnisse über Haftbedingungen nur dann Erkenntnisse der Bundesregierung sind, wenn sie von Beamten des Auswärtigen Amtes oder des Konsularischen Dienstes erhoben werden?

Not found (Gast)

Ja, Herr Kollege Maurer, das haben Sie richtig verstanden. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch einmal Frau Lötzsch, danach kommen wir zu den nächsten Fragen, die den gleichen Komplex behandeln.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, Sie haben auf die Frage meines Kollegen Wolfgang Wieland ausdrücklich geantwortet, dass Ihre Vorgängerin Frau Müller keine Kenntnis über diese Entsendung der Beamten hatte. Ich gehe davon aus, dass Sie mir jetzt bestimmt erklären können, wer im Bundeskanzleramt Kenntnis von der Aussendung dieser Beamten hatte und ob es sich dabei um den jetzigen Außenminister, Herrn Frank-Walter Steinmeier - den ich hier übrigens schmerzlich vermisse -, handelt.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, da ich darauf bei meiner Beantwortung einer anderen Frage noch eingehen muss, verweise ich Sie auf meine späteren Ausführungen. Dann werden Sie eine Antwort bekommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Tackmann auf: Welche Stellen waren an der Antwort der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, vom 10. Juni 2003 auf die schriftliche Frage 17 der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch auf Bundestagsdrucksache 15/1164 über die Zahl der Talibanhäftlinge und deren Behandlung im Gefangenenlager Guantanamo Bay beteiligt und welche Stelle war federführend? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Tackmann, diese Frage wurde federführend im Auswärtigen Amt bearbeitet und von der damaligen Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, beantwortet. Sonstige sachlich betroffene Ressorts waren eingebunden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir nehmen die Frage 11 der Kollegin Tackmann gleich noch mit dazu: War an der Beantwortung der genannten Frage das Bundeskanzleramt beteiligt und hat der jetzige Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, etwas von der Beantwortung der Frage gewusst oder diese Beantwortung möglicherweise initiiert? Herr Staatsminister, Ihre Antwort.

Not found (Gast)

Das Bundeskanzleramt war auf Arbeitsebene mit der Beantwortung dieser Frage befasst.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gibt es weitere Nachfragen? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zu Frage 12 des Kollegen Ströbele: Was für Erkenntnisse hat die Bundesregierung über geheime Gefängnisse der CIA unter anderem in Rumänien und Polen, über die die Schweizer Zeitung „Sonntags-Blick“ am 10. Januar 2006 genauer berichtete, und wann hat die Bundesregierung die dort gegebenen Informationen erstmals erhalten? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung hat erstmals durch den Bericht der Schweizer Zeitung „Sonntags-Blick“ Kenntnis von dem besagten öffentlichen Faxverkehr erhalten; das hatte ich schon gesagt. Zum genannten Faxverkehr bzw. zu der Echtheit der Faxe kann sie keine Angaben machen. Die angebliche Existenz geheimer CIA-Gefängnisse in Europa war bereits Gegenstand mehrerer von der Bundesregierung beantworteter parlamentarischer Anfragen, darunter auch einer Kleinen Anfrage Ihrer Fraktion. Im Übrigen dürfen wir nachrichtendienstliche Auskünfte nur in den dafür zuständigen Gremien geben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, können Sie mir das Ihrer Meinung nach zuständige parlamentarische Gremium - ich vermute, Sie meinen das zuständige Gremium des Deutschen Bundestages - nennen, in dem Sie diese Auskünfte nur geben dürfen? Denn falls Sie das Parlamentarische Kontrollgremium meinen, darf ich Sie auf § 1 des Kontrollgremiumgesetzes hinweisen, in dem steht, dass das Parlamentarische Kontrollgremium lediglich für die Kontrolle der drei dort genannten Dienste zuständig ist, also nicht für die Kontrolle des CIA, auch wenn auch dieser vermutlich einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit nachgeht. ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, ich habe das in meiner abschließenden Bemerkung nur vorsorglich festgehalten. Allerdings habe ich durchaus versucht, auf Ihre Frage zu antworten, in der es ja um dieses berühmte Fax ging. Insofern habe ich in öffentlicher Sitzung auf Ihre Frage geantwortet.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine zweite Nachfrage: Herr Staatsminister, in Ihren Antworten auf die anderen Fragen, die zu diesem Komplex gestellt wurden, haben Sie darauf hingewiesen, dass die Bundeskanzlerin hierzu Gespräche geführt hat und dass auch die US-amerikanische Außenministerin Frau Rice, als sie in Deutschland gewesen ist, Stellung dazu genommen hat. Zu diesem Sachverhalt kann die amerikanische Außenministerin bei ihrem Besuch in Berlin aber schlechterdings nicht Stellung genommen haben, weil er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt war. Weder stand etwas davon in der Zeitung noch gab es sonstige Informationen darüber. Diese Veröffentlichung soll vom 10. Januar dieses Jahres stammen, der Besuch von Frau Rice aber fand im November vergangenen Jahres statt. Es bleiben also nur die Gespräche übrig, die die Bundeskanzlerin mit Vertretern der US-Administration oder - ich weiß es nicht - mit dem amerikanischen Präsidenten geführt hat. Deshalb meine Frage: Können Sie sagen, was die Bundeskanzlerin in der Sache zu diesen Vorwürfen erklärt hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Ströbele, das bekannt gewordene Fax, über dessen Echtheit wir keine Aussage treffen können, hat keine grundsätzlich neuen Tatbestände aufgedeckt, sondern lediglich das bekräftigt, was in den Medien zuvor schon umfassend berichtet worden war. Zu den in den Medien verbreiteten Behauptungen, dass nicht nur Flüge stattgefunden haben, sondern dass es auch entsprechende Orte der Verbringung gab, hat die amerikanische Außenministerin am 5., 6. und 7. Dezember letzten Jahres in der Tat ausführlich Stellung genommen, und zwar in dem Sinne, dass sich die amerikanische Seite ohne Einschränkung an Recht und Gesetz sowie an die Regeln des internationalen Völkerrechts halten wird und dass dies sowohl für inländische wie auch für ausländische Vertreter der amerikanischen Administration gilt. Sollte es hier zu Fehlern gekommen sein, sei man bereit, diese zu berichtigen. Das ist von der europäischen Seite, die nach diesen Dingen gefragt hat, zur Kenntnis genommen worden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Frage 13 der Kollegin Bluhm: Wann wurde der damalige Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, über die Reise von Beamten deutscher Sicherheitsbehörden nach Guantanamo Bay informiert? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Bluhm, der Bundesminister des Auswärtigen a. D., Joseph Fischer, war seinerzeit über die Reise von Angehörigen deutscher Sicherheitsbehörden nach Guantanamo Bay nicht unterrichtet.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke. - Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, Sie haben vorhin mitgeteilt, dass die Arbeitsebene des Bundeskanzleramts über die Entsendung der Geheimdienstmitarbeiter informiert war. Nach dem, was Sie soeben gesagt haben, war anscheinend auch im Auswärtigen Amt nur die Arbeitsebene informiert. Ich frage Sie: Finden Sie es angesichts der politischen Bedeutung von Guantanamo - angesichts der internationalen Auseinandersetzungen darüber, auch der Stellungnahmen der Bundesregierung - nicht fahrlässig, ja ist es nicht mit disziplinarischen Maßnahmen zu belegen, wenn die Arbeitsebenen von Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt die politisch Verantwortlichen über derart einschneidende Maßnahmen nicht informieren? Oder werden wir zu einem späteren Zeitpunkt - vielleicht im Untersuchungsausschuss? - erfahren, dass die politisch Verantwortlichen doch informiert waren? - Den zweiten Teil der Frage brauchen Sie nicht zu beantworten.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, wir reden hier über die Art und Weise, wie die Antwort auf eine Frage eines Parlamentariers zustande gekommen ist und welche Stellen dabei involviert und wie sie informiert worden sind. Nach meiner bisherigen Erfahrung geht es gar nicht anders, als dass die Antwort auf eine Frage im Wesentlichen auf der Arbeitsebene vorbereitet wird. Insofern kann ich Verfehlungen wie die von Ihnen unterstellten nicht erkennen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Frage 14 der Kollegin Eid wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Paech auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Iran bei einer Wiederaufnahme der Urananreicherung gegen völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen verstößt, und, wenn ja, gegen welche? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Paech, mit der Wiederaufnahme der Urananreicherung missachtet Iran die in mehreren Resolutionen des Gouverneursrates der IAEO enthaltene Aufforderung, eine umfassende Suspendierung seiner anreicherungsbezogenen Nuklearaktivitäten aufrechtzuerhalten. Diese Aufforderung erfolgte, um der IAEO die Klärung offener Fragen im Zusammenhang mit den iranischen Verstößen gegen das von Iran mit der IAEO beschlossene Sicherungsabkommen zu ermöglichen; Sie wissen, wovon ich rede: NPT Safeguards Agreement. Jeder Nichtkernwaffenstaat, der wie Iran Partei des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages ist, ist verpflichtet, ein solches Sicherungsabkommen mit der IAEO abzuschließen und einzuhalten. Der Gouverneursrat der IAEO hat mit seiner Resolution vom 24. September letzten Jahres bereits förmlich den Verstoß Irans gegen seine Verpflichtungen aus dem Sicherungsabkommen - die so genannte Non-Compliance - feststellen müssen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Paech.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Bundesregierung will ja mit den Staaten der EU-3 eine gestufte Strategie der Eskalation bis hin zum UNOSicherheitsrat verfolgen. Dies hat ja nur dann Sinn, wenn sie sich überlegt, eventuell Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Glaubt denn die Bundesregierung, mit den Verstößen des Irans gegen die Resolution des Gouverneursrats der IAEO die notwendige rechtliche Grundlage nach Kap. VII der UN-Charta zu haben, um wirklich die Sanktionen, die Art. 41 und 42 ermöglichen - bis hin zu militärischen Maßnahmen -, zu verhängen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Paech, ich glaube, die Eskalation ist von der anderen Seite ausgegangen: Die Eskalation besteht darin, dass der Iran, nachdem er über mehrere Jahre ein geheimes Anreicherungsprogramm betrieben hat - was er auch zugegeben hat -, das er nach den SafeguardRichtlinien eigentlich der IAEO hätte bekannt geben müssen, zwar zugesagt hat, sowohl die Konversion als auch die Anreicherung und auch die Aufarbeitung zu suspendieren. Das hat den Weg geöffnet für die Verhandlungen der drei europäischen Mächte im Namen der EU, die Sie eben angesprochen haben. Nun hat der Iran aber diese Verpflichtung gebrochen und damit die Grundlagen für diese Gespräche leider kaputtgemacht. In dieser Situation reden wir im Augenblick überhaupt nicht über irgendwelche Sanktionen. Die europäischen Außenminister haben am 12. Januar vielmehr beschlossen - das haben sie Anfang dieser Woche mit Vertretern anderer wichtiger Länder des Weltsicherheitsrates besprochen -, die IAEO aufzufordern, eine Sondersitzung des Gouverneursrats einzuberufen - das ist auch angezeigt -, damit von dessen Seite der Iran aufgerufen wird, die Aufkündigung der Zusagen zurückzunehmen. Das ist dann - so ist jedenfalls die Auffassung der europäischen Staaten - an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiterzuleiten. Der darauf folgende Schritt ist dann, dass sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen voll hinter die Forderung der IAEO stellt. Alles, was darüber hinausgeht, war noch nicht Gegenstand von Beratungen und ist eher eine Spekulation über das, was darauf folgen könnte.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage des Kollegen Maurer.

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, sehen Sie sich in der Lage, dem Hohen Haus mitzuteilen, welche und wie viele Staaten derzeit die Technologie der Urananreicherung anwenden?

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Herr Kollege Maurer, ich glaube, um diese Frage geht es nicht. Die Bundesregierung möchte sich nicht in die Arbeit der IAEO einmischen. Es ist Angelegenheit der internationalen Atomenergiebehörde in Wien, sämtliche atomaren Aktivitäten auf der Welt zu beobachten und zu kontrollieren und notfalls einzuschreiten, wenn gegen Verträge verstoßen wird. Das, was wir im Iran beobachten können, muss man in diesem Kontext sehen. Insofern lässt sich das mit dem Vorgehen anderer Länder nicht vergleichen, es sei denn, die IAEO entdeckt auch bei ihnen Regelverstöße oder Vertragsverstöße.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Paech.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, hat sich die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass es in dieser Region mehrere Staaten gibt wie Israel, Pakistan und Indien, die über Nuklearwaffen verfügen - diese drei Staaten sind dem NPT nicht beigetreten, eine Gefährdung ist aber auch ohne Beitritt zu dem Vertrag gegeben -, überlegt, Schritte zu unternehmen, um auch diese Staaten von einem Atomprogramm abzuhalten bzw. ihr Atomprogramm einzuschränken?

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Herr Kollege Paech, die Bundesregierung ist in der Frage weltweiter nuklearer Abrüstung sehr engagiert. Ich darf auf die jährlichen Abrüstungsberichte zu diesem Thema verweisen, die in der rot-grünen Regierungsperiode Übung geworden sind. Anhand deren können Sie nachvollziehen, in welcher Weise sich die Bundesregierung stets bemüht hat, dem Gedanken der weltweiten nuklearen Abrüstung Nachdruck zu verleihen. Die Bundesregierung wird das auch in Zukunft tun.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen nun zu Frage 16 des Kollegen Paech: Legt die Bundesregierung den Verweis auf die zentrale Rolle des UN-Sicherheitsrats in Art. 15 der EU-Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vom 12. Dezember 2003 so aus, dass eine Resolution des UNSicherheitsrats für die dort erwähnten militärischen Zwangsmaßnahmen zwingend erforderlich ist, und, wenn nein, mit welcher Begründung?

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Herr Kollege Paech, Entscheidungen über Maßnahmen nach Kap. VII der VN-Charta fallen nach Rechtsauffassung der Bundesregierung ausschließlich in die Kompetenz des UN-Sicherheitsrates.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage?

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine Nachfrage. - Abgesehen von der völkerrechtlichen Legitimation muss man sich doch im Klaren sein, dass man, wenn man im Rahmen des UNODr. Norman Paech Sicherheitsrates Sanktionen verhängen will - diese muss man ja beantragen -, eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten von politischen über ökonomische bis zu militärischen Maßnahmen zur Verfügung hat. Die Frage ist: Hat die Bundesregierung in ihrem Kalkül diese Bandbreite bei Sanktionen in irgendeiner Weise ausgeschöpft?

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Herr Kollege Paech, offensichtlich sind wir optimistischer als Sie. Die Bundesregierung setzt darauf, dass es noch eine echte Chance gibt, auf die iranische Führung einzuwirken. Basis ist eine Entschließung, die jetzt vom Gouverneursrat der IAEO herbeigeführt werden muss. Einer solchen Forderung muss durch den UN-Sicherheitsrat Nachdruck verliehen werden. Natürlich ist klar, dass eine nachdrückliche Forderung an die iranische Führung, den Verpflichtungen nachzukommen, denen sie in der Vergangenheit zum Teil eben nicht nachgekommen ist - ich habe darüber berichtet -, nur dann eine Chance hat, wenn die Weltgemeinschaft möglichst breit dahintersteht. Insofern kommt es darauf an, dass man eine Verständigung über dieses Vorgehen findet. Sie wissen, dass die Bundesregierung besonders aktiv ist, hier eine Verständigung über das weitere Vorgehen zu finden. Ich habe das eben schon gesagt, wiederhole das hier aber gerne: Dabei spielt die Frage von irgendwelchen Sanktionen im gegenwärtigen Stadium überhaupt keine Rolle. Davon ist überhaupt keine Rede. Es geht um das Vorgehen des Gouverneursrates und darum, dass die Vereinten Nationen die berechtigten Forderungen des Gouverneursrates unterstützen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage des Kollegen Schäfer.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, der frühere

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Die militärische Option muss vom Tisch. - Ist das auch die Position der neuen Bundesregierung?

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Ich kann nur wiederholen, dass sie aus unserer Sicht nicht vom Tisch muss, weil sie überhaupt nicht auf dem Tisch liegt. Auf dem Tisch liegt jetzt der Entzug der Grundlagen für die Fortsetzung der Verhandlungen, was wir sehr bedauern. Wir möchten gerne eine diplomatische Lösung dieses Konfliktes. Wir möchten die Verhandlungen fortsetzen. Durch seine unilateralen Maßnahmen hat der Iran die Möglichkeit dafür aber versperrt. Darüber haben die europäischen Außenminister beraten. Daraufhin haben sie beschlossen, die IAEO in der Form einzuschalten, die ich hier genannt habe. Insofern haben wir nichts vom Tisch zu nehmen. Herr Kollege Schäfer, im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass sowohl der amerikanische Präsident als auch heute Israel - wenn Sie die aktuellen Meldungen gelesen haben, dann wissen Sie das - erklärt hat, dass eine militärische Lösung nicht infrage kommt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine letzte Nachfrage des Kollegen Paech.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich wollte gerade Ihren Optimismus loben und teilen. Weswegen wir so hartnäckig sind: Dies ist eine ganz neue Mitteilung. Sie ist sehr überraschend; denn bisher sahen die Drohungen der USA ganz anders aus. Sie haben die Möglichkeit eines militärischen Schlages gegen den Iran immer in ihre Antwort einbezogen. Dies wäre für mich eine sensationelle, aber sehr zu begrüßende Entwicklung. Können Sie bestätigen, dass es diese Entwicklung auch auf der Basis Ihrer bilateralen Verhandlungen mit den USA gibt?

Not found (Gast)

Das, was wir versuchen und worum wir uns bemühen, will ich jetzt nicht überhöhen, aber ich finde es erfreulich - damit teile ich Ihre Meinung -, dass sich die internationale Gemeinschaft im Augenblick voll auf eine diplomatische Lösung dieses Konflikts konzentriert, dass sie die Tür für die Rückkehr an den Verhandlungstisch offen lässt - natürlich nur für den Fall, dass die Voraussetzungen dafür gegeben sind - und dass es keine internationale Diskussion über eine militärische Lösung dieses Konflikts gibt.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit kommen wir zur Frage 17 der Kollegin Dagdelen: Wie schätzt die Bundesregierung gegenwärtig die Menschenrechtslage in Togo ein und weshalb sieht sie Togo gegenwärtig als sicheres Herkunftsland an? Bitte schön.

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Frau Kollegin Dagdelen, in der togoischen Verfassung von 1992 ist die Einrichtung eines den Grundsätzen von Demokratie und Menschenrechten verpflichteten Rechtsstaats vorgesehen. Es besteht jedoch eine große Diskrepanz zwischen der Verfassung sowie den geltenden Rechtsnormen einerseits und ihrer tatsächlichen Beachtung und Umsetzung andererseits. In Togo herrscht ein Klima subtiler, doch sehr effizienter politischer Einschüchterung. Ordnungshüter - meistens in Zivil - sind überall präsent und greifen gelegentlich äußerst brutal ein. Nach dem Tod des früheren Präsidenten Eyadéma und bis zur Vereidigung seines Nachfolgers - von Februar bis Mai 2005 - hatte sich die Lage deutlich verschlechtert. Zahlreiche Menschen flüchteten in die Nachbarländer. In den letzten Monaten hat sich die Situation allerdings wieder etwas entspannt. Das zum Teil gewaltsame Eingreifen der Sicherheitskräfte, insbesondere des Militärs, in innenpolitische Auseinandersetzungen war in der Vergangenheit die Hauptursache schwerer Menschenrechtsverletzungen. Von Sicherheitskräften begangene Menschenrechtsver672 letzungen werden in der Regel weder disziplinarisch noch gerichtlich verfolgt. Die Haftbedingungen in Togo sind als überhaus hart zu bezeichnen. Togo - ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt in Ihrer Frage - ist kein sicheres Herkunftsland im Sinne von § 29 a des Asylverfahrensgesetzes. Ob einem togoischen Staatsangehörigen, der in Deutschland Asyl beantragt, eine politische Verfolgung droht, ist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einzelfallbezogen zu prüfen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zunächst möchte ich begrüßen, Herr Präsident und Herr Staatsminister, dass Sie erkannt haben - das ist wohl wahr -, dass ich eine Abgeordnete bin und kein Abgeordneter, wie es in der Drucksache angekündigt worden ist. Ich habe natürlich eine Nachfrage. Mich interessiert, inwieweit und in welchen Punkten Kenntnisse und Beurteilungen der Menschenrechtssituation aus dem Jahr 2005 von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Pro Asyl oder dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes eingeflossen sind.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, wir haben in der letzten Legislaturperiode die Art, wie die Länderberichte erstellt werden, deutlich verändert und erweitert. Dabei werden Berichte von Menschenrechtsorganisationen sehr intensiv beachtet. Sie gehen dann in diese Länderberichte ein.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Nachfrage?

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Eigentlich ging es in meiner Frage um den Lagebericht zur Menschenrechtssituation aus dem Jahre 2005, weil es widersprüchliche Aussagen in den Berichten aus dem Jahre 2004 und 2005 gibt. Ich wollte wissen, ob diese Widersprüche in den Berichten von 2004 und 2005 auf Kenntnissen oder Beurteilungen des Auswärtigen Amtes beruhen.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich hatte eben schon versucht, darzustellen, dass sich die Situation in Togo auf der Zeitachse sehr unterschiedlich entwickelt hat. Insofern sind wir gezwungen, die aktuellen Sachstände zu korrigieren. Ich hatte bereits von der im letzten Jahr zum Teil sehr krisenhaften Phase berichtet, die sich dann wieder etwas entschärft hat. Es ist klar, dass diese Veränderungen in die Berichte Eingang finden müssen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Pau, bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer Antwort auf die erste Frage der Kollegin ausgeführt, dass bei der Entscheidung über die Gewährung von Asyl bzw. über die Abschiebung die Lage in jedem Einzelfall überprüft wird. Deshalb möchte ich Sie nach der Einschätzung der Bundesregierung fragen: Welcher Gefährdung könnten Flüchtlinge aus Togo ausgesetzt sein, wenn sie in Deutschland exilpolitisch aktiv geworden sind und damit bei ihrer Rückkehr in die Heimat als Oppositionelle eingestuft werden?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Pau, es gibt Hinweise, dass aus Deutschland rückgeführte togoische Staatsangehörige, die hier erfolglos einen Asylantrag gestellt haben, nach ihrer Rückkehr staatlicher Repression ausgesetzt sind. Die Bundesregierung hat solche Hinweise geprüft und festgestellt, dass dies bisher in keinem konkreten Fall bestätigt werden konnte. Die Bitte um Asyl oder das, was Sie eben angesprochen haben, die Mitgliedschaft in einer Exilorganisation im Ausland, löst nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes keine Repressionen im Land aus.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, Sie haben in der Beantwortung eine sehr kritische Analyse der Situation in Togo gegeben. Ich möchte gerne wissen, ob es in der Einschätzung der Lage durch das Auswärtige Amt und durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Differenzen gegeben hat und, wenn ja, worin diese Differenzen bestanden. Ich habe nämlich den Eindruck, dass der Hohe Flüchtlingskommissar die Situation dort kritischer einschätzt als die Bundesregierung.

Not found (Gast)

Wir als Bundesregierung nehmen die Einschätzung des Hohen Kommissars immer außerordentlich ernst und nutzen sie dort, wo wir können, für unsere eigene Meinungsbildung. Aber über einen konkreten Konflikt in dieser Frage, Frau Kollegin, ist mir nichts bekannt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als Letzter zu diesem Geschäftsbereich, Kollege Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, Sie haben die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern nach Togo angesprochen. Den historischen Abriss haben Sie bereits geliefert und legen selbst dar, dass Sie sehr viel Wert auf die Meinung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen legen. Nach meinem Kenntnisstand ging aus dem letzten Bericht des UNHCR hervor, dass trotz der Besserung der Lage die Situation in Togo noch prekär ist, nachdem unmittelbar nach der Vereidigung eine immens hochschnellende Zahl von Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen war, und dass der Hohe Flüchtlingskommissar von Rückführungen abrät. Sie sind selbst auf rückgeführte Personen und angebliche Menschenrechtsverletzungen zu sprechen gekommen. Beides steht für mich im Widerspruch und ergänzt insofern die Frage, die Kollegin Lötzsch gestellt hat.

Not found (Gast)

Herr Kollege, es gibt keinen Widerspruch zwischen einer sehr negativen Darstellung der Situation in diesem Land auf der einen Seite und der konkreten Beantwortung der Frage, welcher Gefährdung aus Deutschland rückgeführte Personen ausgesetzt sind, auf der anderen Seite. Das muss kein Widerspruch sein. Die Situation kann sehr schlecht sein; trotzdem ist es möglich, dass aus Deutschland rückgeführte Personen keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt sind. Das Auswärtige Amt hat seit Mai 2005 keine Kenntnis mehr von Fällen, in denen Rückkehrer oder aus Deutschland rückgeführte Personen verhaftet oder über längere Zeit festgehalten worden sind. Es kann zwar sein, dass Personen ohne Reisepass über Nacht am Flughafen festgehalten werden; sie werden aber am folgenden Tag nach der Feststellung der Personalien wieder freigelassen. Konkrete Fälle von Misshandlungen von Personen nach der Rückkehr aus Deutschland sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. Der Hohe Kommissar hat nicht nur die Frage zu bewerten und zu beantworten, wie Rückkehrer aus Deutschland behandelt werden. Für uns aber ist dies die entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Rückführung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank, Herr Staatsminister. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern und zu Frage 18 der Kollegin Dagdelen: Wie viele Personen aus Togo haben in den letzten zehn Jahren einen Asylantrag gestellt - bitte nach Jahren auflisten und wie hoch ist die Anerkennungsquote? Herr Staatssekretär Altmaier.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Das schließt sich an die Thematik an. In den letzten zehn Jahren haben insgesamt 9 167 Staatsangehörige aus Togo in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Die Anerkennungsquote lag bei durchschnittlich 8,5 Prozent. Das entspricht rund 780 Personen. Umfasst sind damit sowohl die Gewährung von Asyl nach den Bestimmungen des Grundgesetzes als auch der Flüchtlingsschutz nach dem Ausländergesetz bzw. dem Aufenthaltsgesetz. Sie haben auch nach der Auflistung nach Jahren gefragt. Wir hatten im Jahr 1996 eine Anerkennungsquote von 16,15 Prozent. Danach ist sie sehr stark zurückgegangen und betrug 1997 7,6 Prozent, 1998 8,71 Prozent, 1999 8,62 Prozent, 2000 8,59 Prozent, 2001 9,87 Prozent, 2002 4,99 Prozent und 2003 3,92 Prozent. Dann gab es wieder einen leichten Anstieg auf 5,8 Prozent im Jahr 2004 und 7,45 Prozent im Jahr 2005.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt hat die Lage in Togo als sehr kritisch beurteilt. Angesichts der rückläufigen Zahlen interessiert mich, wie viele Menschen aus Togo in den letzten zehn Jahren abgeschoben worden sind und ob es die Möglichkeit gibt, die Zahlen nach Jahren und Bundesländern aufzulisten.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Da in Ihrer Frage nicht ausdrücklich nach diesen Zahlen gefragt wurde, habe ich sie nicht vorbereitet. Aber wir werden sie selbstverständlich gerne nachreichen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das wäre sehr nett. Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden. Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Wie viele Menschen aus Togo sind derzeit in der Bundesrepublik von Abschiebung bedroht bzw. zur Ausreise aufgefordert worden? Auch hierbei interessiert mich vor allem eine Auflistung nach Jahren und Bundesländern.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Da nicht nach der Zahl der Abschiebungen gefragt worden ist, bitte ich auch hier um Verständnis, dass wir Ihnen die Zahlen so bald wie möglich nachreichen werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Frage 19 des Abgeordneten Wolfgang Wieland: Auf welcher Grundlage hat die Bundesregierung einen europaweiten Architekturwettbewerb zur Erstellung eines Neubaus für das Bundesministerium des Innern, BMI, ausgeschrieben, obwohl es weder für den Wettbewerb noch für einen möglichen Neubau bewilligte Haushaltsmittel gibt ({0}), und mit welchen finanziellen Folgen rechnet die Bundesregierung im Falle eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem bis 2029 laufenden Mietvertrag für das derzeitige Dienstgebäude des BMI? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Abgeordneter Wieland, Sie wissen wahrscheinlich, dass es Haushaltsmittel für Kosten von Gutachten und Wettbewerben im Zusammenhang mit Baumaßnahmen zur Unterbringung von Verfassungsorganen des Bundes gibt. Diese sind im Einzelplan 12 zentral veranschlagt. Bei dem Grundstück auf dem Moabiter Werder, um das es konkret geht, handelt es sich um ein bundeseigenes Grundstück, das auf jeden Fall durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für den Bund selbst genutzt werden soll. Deshalb ist der in Aussicht genommene Wettbewerb sehr sinnvoll und keinesfalls eine nutzlose Aufwendung. Es ist im Gegenteil so, dass die städtebauliche Situation auf dem Moabiter Werder derzeit nicht wirklich geklärt ist. Es gibt für dieses Gebiet keinen Bebauungsplan. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, durch einen Wettbewerb die beste städtebauliche Lösung für diesen Ort zu finden. Wir haben aufgrund dieser ungeklärten Situation zusammen mit allen Beteiligten festgelegt, dass ein offener, anonymer Realisierungswettbewerb in zwei Phasen stattzufinden hat. In der ersten Phase des Wettbewerbs sind von den Teilnehmern lediglich städtebauliche Lösungsansätze für die Bebaubarkeit des zur Verfügung stehenden Grundstücks zu entwickeln. Dadurch wird die zu treffende Entscheidung nicht präjudiziert. Vielmehr schaffen wir gerade erst die Voraussetzungen für eine ganz konkrete Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Nur durch den Wettbewerb können wir die Rahmenbedingungen ermitteln, die einen Vergleich mit einem konkreten Mietangebot oder weiteren Alternativen unter Berücksichtigung der Funktionalität und der Sicherheit ermöglichen. Im Übrigen wurde die korrekte Vorgehensweise des BMI einschließlich der frühzeitigen Information der parlamentarischen Gremien über das Vorhaben in der 5. Sitzung des Haushaltsausschusses am 14. Dezember 2005 bestätigt. Der Haushaltsausschuss hat dort zur Kenntnis genommen, dass das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung einen offenen Realisierungswettbewerb ausgelobt hat, im Rahmen dessen von den Teilnehmern in der ersten Phase städtebauliche Lösungsansätze für die Bebauung des Grundstücks ermittelt werden sollen. Die finanziellen Folgen, die sich aus einer frühzeitigen Beendigung des Mietvertrages für die Gebäude ergeben, die wir mit Wirkung vom 1. Juli 1999 angemietet haben, werden derzeit im Rahmen einer zu erstellenden Entscheidungsunterlage in einer Wirtschaftlichkeitsvergleichsbetrachtung dargestellt. Sie werden dem Haushaltsausschuss dann zur Entscheidung vorgelegt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Wieland.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, bei aller Freude, die ich als Berliner darüber empfinde, dass Sie sich als Vertreter des Bundesministeriums des Innern so sehr um die städtebauliche Entwicklung des Moabiter Werders bemühen, wollen Sie wirklich behaupten, dass Sie das alles ganz uneigennützig für potenzielle andere Nutzer tun, oder ist die Vermutung richtig, dass das BMI dort in einen neuen Palast oder neues Gebäude einziehen möchte? Wie verträgt sich das mit einem langfristigen Mietvertrag, der - so war zu lesen - bis zum Jahre 2029 abgeschlossen wurde?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Sie werden als Berliner sicherlich wissen, dass es seit Jahren eine umfangreiche öffentliche Debatte über die langfristige Unterbringung des Bundesinnenministeriums gibt. Ich kann nur wiederholen, dass mit diesem Wettbewerb nicht beabsichtigt ist, darüber eine Vorentscheidung zu treffen. Eine Vorentscheidung ist darüber auch nicht innerhalb der Bundesregierung gefallen. Wir werden die unterschiedlichen Möglichkeiten prüfen und im Hinblick auf die weitere Nutzung der vorhandenen Gebäude miteinander vergleichen. Wir werden dann eine Entscheidung in enger Rücksprache mit den parlamentarischen Gremien treffen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine weitere Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das BMI betreibt ein anderes großes Bauprojekt in Berlin bzw. will es betreiben, Stichwort „Umzug des Bundesnachrichtendienstes“. Am Rande der Koalitionsverhandlungen wurde geäußert, man solle das noch einmal überdenken, wenn es so teuer werde wie vom Bundesrechnungshof veranschlagt. Gibt es solche Überlegungen? Macht man hier eventuell einen Rückzieher? Können Sie uns dazu etwas sagen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, weil es sich nach meiner Kenntnis nicht um ein Projekt des Bundesinnenministeriums handelt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dazu gibt es keine weiteren Fragen. Dann kommen wir zu Frage 20 der Kollegin KottingUhl: Kann die Bundesregierung die Abwehr terroristischer Angriffe gegen Atomkraftwerke sicherstellen und eine Gefährdung der Bevölkerung mit Sicherheit ausschließen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Kotting-Uhl, einen absoluten Schutz vor terroristischen Angriffen, und zwar unabhängig vom potenziellen Ziel, gibt es leider nicht - das wissen alle Beteiligten - und wird es auch in Zukunft nicht geben. Das gilt auch für andere Gefährdungen von Leib und Leben, beispielsweise durch Naturkatastrophen oder durch menschliches und technisches Versagen. Die Sicherheit kerntechnischer Anlagen ist allerdings für die neue Bundesregierung - genauso wie für die alte - zu allen Zeiten ein wichtiges Anliegen. Sie wissen, dass wir seit jeher auch im internationalen Maßstab besonders hohe Standards haben. Sie wissen auch, dass die alte Bundesregierung nach den Vorgängen vom 11. September 2001 besondere Anstrengungen unternommen hat, um die Sicherheit dieser Einrichtungen zu verbessern. ({0}) Diese Maßnahmen sind zum Teil bereits umgesetzt; zum Teil befinden sie sich noch in der Umsetzung. Dies wird von der neuen Bundesregierung weiterhin unterstützt. Wir unternehmen alles, um entsprechende Gefährdungen so weit wie möglich zu minimieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es eine Nachfrage?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Staatssekretär Altmaier. Vor allem bin ich damit zufrieden, dass Sie die Bemühungen der alten Bundesregierung in der neuen Bundesregierung ungeschmälert fortführen wollen. Wir sind uns auch einig darüber, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann. Deshalb jetzt meine Nachfrage: Sind dieses Wissen und diese Einigkeit, die wir in der Frage der Sicherheit haben, nicht Anlass, allen Überlegungen zu Laufzeitverlängerungen gerade für ältere Reaktoren, die bekanntermaßen vor terroristischen Angriffen besonders ungeschützt sind - Stichwort: nicht sicher ausgelegt gegen Flugzeugabstürze, die so genannte Brunsbüttellinie -, eine klare Absage zu erteilen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Wenn dem so wäre, hätte sich schon die alte Bundesregierung nicht auf Restlaufzeiten einigen dürfen. Entweder besteht eine nicht hinnehmbare Gefährdung oder sie besteht nicht. Wir sind der Auffassung, dass wir in Deutschland einen sehr hohen Stand bei den Sicherheitsvorkehrungen haben. Im Übrigen gibt es im Hinblick auf Restlaufzeiten sowohl Vereinbarungen aus der letzten Legislaturperiode als auch Vereinbarungen im Koalitionsvertrag.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir alle wissen, dass der so genannte Atomkonsens, der zu dem Ausstiegsgesetz geführt hat, eine Vereinbarung zwischen verschiedenen Akteuren der Energiewirtschaft und der Politik war und insofern einen Kompromiss darstellt, der sozusagen die letzte Linie beschreibt. Deshalb noch einmal meine Frage: Ist es angesichts der Gefährdung gerade älterer Reaktoren nicht dringend geboten, der Übertragung von Laufzeiten von jüngeren Reaktoren auf ältere eine klare Absage zu erteilen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass bei allen Reaktoren, die in Deutschland in Betrieb sind, der Sicherheitsstand so hoch ist, auch und gerade im internationalen Vergleich, dass eine vorzeitige Abschaltung dieser Kernkraftwerke nicht geboten ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die Frage 21 des Kollegen Ströbele soll schriftlich beantwortet werden. Die Frage 22 der Kollegin Pau soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Dann kommen wir zur Frage 23 des Abgeordneten Jan Korte: Treffen Meldungen in den Medien zu, nach denen der Bremer Anwalt von M. K. mitteilt, dass sich in den „US-Akten Informationen aus Bremen“ ({0}) befinden, und, wenn ja, welche bundesdeutschen Behörden haben an amerikanische Stellen Informationen über M. K. weitergeleitet?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Korte, die Bundesregierung kann nicht beurteilen, ob die Medienberichte zutreffen, und der Bundesregierung liegen auch keine Kenntnisse über Inhalte von US-Akten vor.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es Nachfragen? - Bitte schön, Herr Korte.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wie erklären Sie sich denn dann - es sind ja täglich neue Berichte zu lesen -, dass zum Beispiel der Bremer Staatsanwalt Uwe Picard auf Nachfrage die Herausgabe der Unterlagen an US-Stellen verweigert hat, diese aber offensichtlich doch dort aufgetaucht sind? Das erschließt sich mir nicht.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich weiß nicht, woraus Sie die Schlussfolgerung ziehen, dass die Unterlagen offensichtlich bei US-Stellen aufgetaucht sind. Ich kann nur wiederholen: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über den Inhalt von US-Akten vor. Wenn Sie andere Erkenntnisse haben, müssen Sie uns das mitteilen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage, Herr Kollege Korte? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Frage 24 des Kollegen Korte: Welche genauen Kenntnisse konnten die Beamten deutscher Sicherheitsbehörden über die Haftbedingungen der Inhaftierten O. S. und M. K. gewinnen und haben die Beamten diese Kenntnisse an ihre Behörden weitergegeben?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Frage 24 des Kollegen Korte betrifft nachrichtendienstliche Zusammenhänge und wird deshalb von der Bundesregierung in den dafür vorgesehenen Gremien des Deutschen Bundestages beantwortet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage?

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da es offenbar, wie man auch als Neuling feststellt, die Regel ist, dass über alle diese Fragen geheim verhandelt wird, will ich doch einmal die folgende Frage stellen, zumal da wir mindestens jeden Montag mit der neuesten Ausgabe des „Spiegels“ neue Vorfälle erfahren, die die Öffentlichkeit bewegen und die uns als Parlamentarier besonders interessieren sollten: Wie gedenkt die Bundesregierung, all diese Fragen in der Zukunft in der Öffentlichkeit zu diskutieren, und wie gedenkt sie, ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit mitzuteilen? Ich denke, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, dass diese Erkenntnisse offen gelegt werden.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Korte, ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Entscheidung, Fragen mit nachrichtendienstlichem Zusammenhang nur in den dafür vorgesehenen Gremien des Bundestages zu behandeln, eine Entscheidung des Bundestages selbst war und keine Entscheidung der Bundesregierung. Wir fühlen uns daran gebunden. Es liegt am Bundestag, diese Praxis beizubehalten oder zu einem gegebenen Zeitpunkt zu modifizieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, welche geheimdienstliche Relevanz Erkenntnisse über Haftbedingungen in Guantanamo haben? Was berechtigt dazu, dass das Ganze nur im PKGr und nicht hier im Plenum des Deutschen Bundestages oder im Innenausschuss behandelt wird? Hinzu kommt der Umstand, dass wir regelmäßig Foto- und Filmmaterial über Haftbedingungen in Guantanamo in den Medien zur Kenntnis nehmen können. Was dort stattfindet, findet ja nicht hinter verschlossenen Türen statt.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Es ist bekannt, dass die Befragungen in Guantanamo ausschließlich von Mitgliedern der Nachrichtendienste durchgeführt wurden. Mitarbeiter des BKA waren daran nicht beteiligt. Der Umstand, dass es Mitglieder der Nachrichtendienste waren, führt dazu, dass die einschlägigen Regelungen des Deutschen Bundestages über die Behandlung dieser Vorgänge greifen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Altmaier. - Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Die Frage 25 der Kollegin Cornelia Pieper soll schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zur Frage 26 der Kollegin Ina Lenke. Welche Arten von Kinderbetreuungskosten sollen für bis sechsjährige Kinder - Kindertagesstätten, gewerbliche Kinderbetreuung, Tagesmütter, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Haushalt des Steuerpflichtigen - sowie für siebenbis 14-jährige Kinder - Hort, Hausaufgabenhilfe, Tagesmütter ({0}), Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Haushalt des Steuerpflichtigen - im Rahmen der Genshagener Beschlüsse des Bundeskabinetts im Einzelnen steuerlich absetzbar sein?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Lenke, Kinderbetreuungskosten können nach geltendem Recht im Rahmen von § 33 c Einkommensteuergesetz steuerlich berücksichtigt werden. In den Hinweisen zu dieser Vorschrift - Einkommensteuerhandbuch, Hinweis 33 c, Stichwort „Kinderbetreuungskosten“ - sind beispielhaft Aufwendungen aufgelistet, die berücksichtigt werden können. Diese Aufzählung beinhaltet auch die von Ihnen genannten Betreuungen. Eine Unterscheidung nach dem Alter der Kinder gibt es dabei nicht. Die vorgeschlagene Neuregelung orientiert sich allerdings am geltenden Recht, was die Art der Betreuung anbelangt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Lenke? - Bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es geht mir auch um die Tagesmütter. Nach den Genshagener Beschlüssen hat nicht die Kinderbetreuung Priorität, sondern - das lassen die verschiedenen Abschnitte erkennen - die haushaltsnahe Dienstleistung. Frau Staatssekretärin, auch Sie wissen, dass eine Frau, die bei jemand anderem im Haushalt arbeitet, nicht als Tagesmutter gilt, sondern als Arbeitnehmerin. Eine Frau gilt als Tagesmutter - das ist ähnlich der Regelung der 400-Euro-Jobs -, wenn sie außerhalb des steuerpflichtigen Haushaltes, in dem das zu betreuende Kind lebt, arbeitet. Treffen Sie diese Unterscheidung also nicht mehr? Sollen sämtliche Betreuungskosten abzugsfähig sein? In der „FAZ“ stand zunächst, dass die Hortkosten nicht absetzbar sind; aber im Laufe der Diskussion haben wir von der Ministerin gehört, dass sie doch absetzbar sein sollen. Sollen also auch die Kosten für eine Hausaufgabenhilfe absetzbar sein? Wenn ich mein Kind zur Hausaufgabenhilfe schicke, dann ist auch das ein Stück weit Betreuung. Auch darauf bezieht sich meine Frage.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, die Kosten für eine Hausaufgabenhilfe sollen nicht absetzbar sein. ({0}) Auch die Kosten für den Musikunterricht, für den Reitunterricht und Ähnliches sollen nicht absetzbar sein, Kosten für die immer wiederkehrende Betreuung eines Kindes allerdings schon.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich noch eine Nachfrage stellen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ja.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Folgendes Beispiel: Ein Kind hat Halbtagsunterricht und nachmittags finden Zusatzstunden statt, an denen man freiwillig teilnehmen kann. Dabei fallen Betreuungskosten an. Das fällt aber sicherlich unter „Bildung und Betreuung“, genau wie Reitunterricht. Es geht mir nicht um den Reitunterricht. Wenn es bei Ganztagsschulen solche Möglichkeiten gibt, sind entsprechende Kosten dann auch bei Besuch einer Halbtagsschule absetzbar?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, das ist dann abzugsfähig. Zum Beispiel ist es in Nordrhein-Westfalen üblich, dafür Elternbeiträge zu nehmen. Auch diese Kosten können geltend gemacht werden.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 27 der Kollegin Lenke. In welcher Form soll die Vergünstigung steuertechnisch Arbeitnehmern bzw. Selbstständigen zugute kommen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten sollen künftig bis zu einem Höchstbetrag wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten berücksichtigt werden können. Bei Arbeitnehmern und Selbstständigen soll der Abzug bei der Ermittlung der Einkünfte erfolgen. Bei Arbeitnehmern sollen dabei die Kinderbetreuungskosten neben dem Arbeitnehmerpauschbetrag abgezogen werden können. Die Kinderbetreuungskosten können bei Arbeitnehmern im Lohnsteuerermäßigungsverfahren als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden. Dabei ist eine Bagatellgrenze von 600 Euro zu berücksichtigen. Sie gilt natürlich für die Summe all dessen, was man eintragen lässt. Möglicherweise will man die Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte eintragen lassen. Der Eintrag kann aber schon im Lohnsteuerermäßigungsverfahren erfolgen. Damit kann sich das bereits beim Lohnsteuerabzug steuermindernd auswirken.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Kollegin Lenke?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. - In Bezug auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer wissen wir, dass die Möglichkeit besteht, eine Gehaltserhöhung als direkte Zahlung des Arbeitgebers für Kinderbetreuung zu geben. Dann ist das lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Entschuldigung; dem kann ich nicht folgen. Wenn das so gemacht würde, wäre das nach der Logik des Einkommensteuerrechts ein geldwerter Vorteil.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mir ist das so bekannt. Das könnten Sie prüfen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Das kann ich gern tun.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist aber so, dass der Arbeitgeber eine solche Gehaltserhöhung für Kinderbetreuungskosten nur bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr des Kindes geben kann. Manche Kinder gehen aber bis zum vollendeten siebten Lebensjahr in den Kindergarten. Da besteht diese Möglichkeit nicht. Ich bitte Sie, diese Regelung betreffend Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht bei solchen Gehaltserhöhungen in Bezug auf die Genshagener Beschlüsse zu überprüfen und der FDP-Fraktion Antwort zu geben.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich will Ihnen gern dazu antworten; aber ich nehme an, dass Sie von einer falschen Voraussetzung ausgehen. Es gibt die Möglichkeit für Betriebe, Betriebskindergärten zu unterhalten. Die Ausgaben dafür sind dann notwendige Betriebsausgaben und sind als solche wie andere Betriebsausgaben auch natürlich steuerlich geltend zu machen. Die Eltern werden aber im Regelfall einen Beitrag zu leisten haben. Würden sie ihre Kinder dort kostenfrei unterbringen können, wäre das wiederum ein geldwerter Vorteil, der zu versteuern wäre und, sofern die Sozialversicherungspflichtgrenze noch nicht erreicht ist, der Sozialversicherungspflicht unterläge. Es gibt nun den Sonderfall, dass Arbeitgeber, allerdings in sehr eng begrenztem Umfang, Beiträge für Erholungsmaßnahmen von Kindern ihrer Betriebsangehörigen leisten können, zum Beispiel wenn Kinder in ein Ferienerholungsheim des Unternehmens geschickt werden. Das sind aber auch schon die Grenzen dessen, was nicht als geldwerter Vorteil angesehen wird. Das ist ge678 deckelt. Ich habe jetzt nicht genau im Kopf, wie viel es ist. Aber es ist kein riesiger Betrag. Im Prinzip müssen Sie davon ausgehen, dass es eigentlich nicht zutreffen kann. Entweder sind es Betriebsausgaben beim Arbeitgeber oder es ist ein geldwerter Vorteil beim Arbeitnehmer. So ist die Logik des Einkommensteuerrechts.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich bitte Sie trotzdem, das zu überprüfen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Gerne.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mir ist diese Regelung schon seit langem bekannt. Gerade im Bundestagswahlkampf hat eine Dame Ärger mit dem Finanzamt gehabt. Sie konnte die Kindergartengebühren für ihr Kind, das über das vollendete sechste Lebensjahr hinaus im Kindergarten war, nicht mehr absetzen. In den letzten Tagen habe ich in einer Zeitung - ich weiß nicht, in welcher - auch ein kleines Informationskästchen gesehen, in dem das ebenfalls so stand.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich kümmere mich darum.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es mag sein, dass sich die Zeitung irrt. Aber ich würde gern von Ihnen eine Antwort haben.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, selbstverständlich.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 28 der Kollegin Christine Scheel: In welchen EU-Ländern bestehen Beschränkungen der Verlustverrechnung, die dazu führen können, dass Verluste dort ansässiger Tochtergesellschaften mit den Gewinnen der in Deutschland ansässigen Muttergesellschaften verrechnet werden können, und wie sind diese Verlustverrechnungsbeschränkungen konkret ausgestaltet?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Scheel, in der Rechtssache Marks & Spencer hat der EuGH für die Regelung der britischen Gruppenbesteuerung entschieden, dass der Verlustabzug vorrangig im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft erfolgen soll, damit eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten erreicht wird und eine doppelte Verlustberücksichtigung sowohl im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft als auch im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft vermieden werden kann. Es soll einer Gesellschaft nicht freistehen, den Ort der Anrechnung der Verluste zu wählen. Eine Ausnahme macht der EuGH nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur für den Fall, in dem die Tochtergesellschaft alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat und keine Möglichkeit besteht, die Verluste in dem Land, in dem sie ihren Sitz hat, für zukünftige Zeiträume selbst oder zugunsten eines Dritten zu nutzen. Problematisch ist dies bei EUMitgliedstaaten, die besonders enge nationale Verlustverrechnungsregelungen haben - mit der Folge, dass bei ihnen angesiedelte Unternehmen die Möglichkeit haben, Verluste beim Mutterunternehmen im Heimatland zu verrechnen. Die EU-Mitgliedstaaten haben zum Teil ähnliche Regelungen wie Deutschland; zum Teil ist der Verlustvortrag anders als in Deutschland zeitlich begrenzt. Beschränkungen der Verlustverrechnungen in anderen Ländern hätten aber nach Ansicht der Bundesregierung nicht zwingend zur Folge, dass Verluste dort ansässiger deutscher Tochterunternehmen aufgrund der Entscheidung des EuGH nun bei der Mutter verrechnet werden dürften; denn die deutschen Organschaftsregelungen stellen anders als die britischen Regelungen, zu denen das Urteil konkret ergangen ist, keine Steuervergünstigung dar. Nur für diese soll aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Verlustverrechnungsmöglichkeit bei ausgeschöpften Verrechnungsmöglichkeiten bei der Tochtergesellschaft gelten. - So der EuGH. Nach den deutschen Regelungen bildet der Gewinnabführungsvertrag die Grundlage für eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich habe eine Nachfrage, verbunden mit der großen Befürchtung, dass es international gesehen hier Lücken gibt, die gerade für die deutsche Seite negative Effekte haben könnten. Gehen wir einmal davon aus, dass eine Muttergesellschaft in Deutschland eine Tochtergesellschaft im Ausland hat, beispielsweise in der Slowakei - dieses Beispiel habe ich schon heute Morgen im Finanzausschuss genannt -, in Estland - dort sind die einbehaltenen Gewinne sogar völlig steuerfrei, weshalb eine Verlustverrechnung in diesem Sinne nicht möglich ist - oder in einem anderen Land, in dem es vielleicht - Sie haben darauf hingewiesen - befristete Verlustvorträge gibt. Sie haben völlig zu Recht erwähnt, dass nach dem EuGH-Urteil eine doppelte Verlustverrechnung nicht möglich ist, dass es da Einschränkungen gibt, die im Urteil klar definiert sind. Es gibt auch bezüglich der Ausschöpfung Modalitäten, die aber, wie ich glaube, in der praktischen Umsetzung sehr weich sind. Nun zu meiner Frage. Bleiben wir einmal beim Beispiel Slowakei. Dort kann sich der Verlustvortrag auf fünf Jahre erstrecken, das heißt, jedes Jahr werden 20 Prozent abgetragen. Wenn nun die Gewinn- bzw. Verlustsituation im ersten Jahr so ist, dass Verluste stehen bleiben, dann könnten diese theoretisch auf die Mutter übertragen werden, weil sie in jenem Land am Ende nicht verrechnet werden konnten und auch keine doppelte Verrechnung stattfinden konnte. Wie schätzen Sie diese Situation ein? Besteht da die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns von deutscher Seite?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Wie ich Ihnen gerade schon sagte, sind die deutschen Organschaftsregelungen nicht identisch mit den britischen Verlustverrechnungsregelungen. Das EuGH-Urteil ist ja in der Rechtssache Marks & Spencer, also zu einem britischen Fall, ergangen. Im Übrigen ist es verabredet, dass die Steuerreferatsleiter des Bundes und der Länder im Februar die Folgen des Urteils, das zu Marks & Spencer ergangen ist, sehr eingehend prüfen werden. Sollte es gesetzgeberischen Handlungsbedarf geben, entweder auf nationaler oder auf internationaler Ebene, so werden wir entsprechend handeln. Aber prima vista bin ich der Auffassung, dass das nicht notwendig werden wird. Das bedarf allerdings noch eingehenderer Prüfung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zu dieser Frage nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 29 der Kollegin Scheel: Welche Steuerausfälle drohen dem deutschen Fiskus aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, vom 13. Dezember 2005 insbesondere auch dadurch, dass der EuGH die Rückwirkung seiner Entscheidung nicht begrenzt hat, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um diese Steuerausfälle einzudämmen bzw. abzuwenden?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Scheel, der Gefahr der Steuerausfälle in Milliardenhöhe ist mit dem Urteil die Grundlage entzogen worden. Unabhängig davon ist die Bundesregierung daran interessiert, auf der Ebene der EU gemeinsame Regelungen zur Verlustverrechnung zu schaffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Scheel?

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage mit Blick auf die einheitliche Bemessungsgrundlage. Der Finanzminister, Peer Steinbrück, hat ja sein Interesse bekundet, eine einheitliche Bemessungsgrundlage - wie sie bereits von der rotgrünen Bundesregierung angestrebt wurde - auf der europäischen Ebene zu erreichen. Das hat er jetzt auch mit seinem finnischen Amtskollegen besprochen. In diesem Kontext muss man natürlich auch überlegen, welche Konsequenzen das für die grenzüberschreitende Verlustverrechnung hat. Eine einheitliche Bemessungsgrundlage kann ja auch eine Vereinheitlichung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung in der EU zur Folge haben. In einer Fernsehsendung Anfang dieser Woche wurde darüber berichtet, dass es im Kanton Obwalden in der Schweiz seit 1. Januar dieses Jahres einen Unternehmensteuersatz von nur noch 13 Prozent gibt - das ist niedriger als beispielsweise in Rumänien - und dass sich Kanzleien - ich will hier keine Namen nennen; das ist in der Sendung angesprochen worden - darauf spezialisieren, den deutschen Unternehmen über die Schweiz und auch über Österreich das so genannte Organschaftsmodell nahe zu bringen, durch das eine geschickte Verrechnung mit den Tochtergesellschaften erfolgen kann; das heißt, die Verluste bleiben bei der Mutter in Deutschland und die Gewinne werden im Ausland über gut verschachtelte Gesellschaften sehr trickreich billig besteuert. Dieses Modell soll also vermarktet werden. Deswegen möchte ich gerne wissen, was die Bundesregierung und speziell der Bundesfinanzminister und Sie zu tun gedenken, um diesen Entwicklungen entgegenzutreten und um Schaden, was die Steuereinnahmen anbelangt, von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Zum ersten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin Scheel. Wenn es zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage in der Europäischen Union und damit zu einer einheitlichen Verlustverrechnung kommt, dann gibt es natürlicherweise überhaupt kein Interesse mehr an grenzüberschreitenden Verlustverrechnungen. Denn in diesem Fall wären die Unternehmen überall gleichgestellt und eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung würde sich logischerweise nicht lohnen. ({0}) Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Auch die EU-Kommission wird der Frage nachgehen, was im Kanton Obwalden passiert. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass es ein unfairer Steuerwettbewerb ist, dann würde dies den Vereinbarungen, die zwischen der Europäischen Union und der Schweiz getroffen worden sind, widersprechen. Denn im Rahmen der binationalen Verträge hat die Schweiz einem entsprechenden Code of Conduct zugestimmt. Einer Verletzung dieses Codes müsste die EUKommission nachgehen. Das Modell, das in Österreich praktiziert wird, ist in diesem Zusammenhang ein Sonderfall. Wir sind zurzeit dabei, diese Sachverhalte aufzuklären. Wir haben aber im Verhältnis zur Schweiz keine eigenen Möglichkeiten, sofern das Doppelbesteuerungsabkommen nicht verletzt wird. Eine Aufklärung kann nur aufgrund der Verpflichtungen, die die Schweiz gegenüber der Europäischen Union eingegangen ist, erfolgen. Wir prüfen also, ob das, was zu Beginn der Woche in manchen Fernsehsendungen behauptet worden ist, zutrifft und ob die Schlussfolgerungen, die dort gezogen worden sind, zutreffend sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage, Frau Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich bitte aber darum, dass wir die Informationen zeitnah bekommen, sobald die Sachverhalte mit den jeweiligen Ländervertretern besprochen worden sind. Ich habe noch eine weitere Nachfrage. Es geht um die einheitliche Bemessungsgrundlage. Sie haben darauf hingewiesen, dass es im Falle einer Vereinheitlichung überhaupt keine Anreize geben würde, dass Unternehmen im internationalen Kontext irgendwelche Verschiebungen zu ihren Gunsten und zulasten der einzelnen Staaten vornehmen. Bemessungsgrundlage ist Bemessungsgrundlage und Steuersätze sind Steuersätze. Mich interessiert deswegen, ob vonseiten der Bundesregierung über die Frage hinaus, welche Besteuerungsgrundlagen herangezogen werden - das ist ja die Bemessungsgrundlage -, auch erwogen wird, beispielsweise Mindeststeuersätze auf der europäischen Ebene zu verankern, um ebendiesen unlauteren Wettbewerb, der auf diesem Gebiet stattfinden könnte - bei uns liegt die Gewerbesteuer bei 39 Prozent und in anderen Ländern beträgt sie null; dazwischen liegen also Welten -, zu verhindern. Sind Sie der Meinung, dass der Wettbewerb, der ohne Zweifel notwendig ist, aufgrund der Gefahr des Dumpings nicht ein wenig geregelt werden müsste, indem man neben der Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage auch Mindeststeuersätze einführt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, die Bundesregierung sieht ihre vordringliche Aufgabe darin, eine einheitliche Bemessungsgrundlage, also die Möglichkeit einer einheitlichen Gewinnermittlung, insbesondere für international tätige Unternehmen zu schaffen. Es würde dann innerhalb der Europäischen Union keine verschiedenen Systeme bezogen auf die gesamte Körperschaftsteuer mehr geben. Die Bundesregierung ist froh und dankbar, dass die Mehrheit der europäischen Länder, wenn auch nicht alle Länder, aktiv daran mitwirkt. Dies geschieht bisher völlig zu Recht auf der Arbeitsebene der Finanzministerien unter Einbeziehung der Vertreter der Kommission. Die Bundesregierung kann sich sehr wohl vorstellen, dass es in einem zweiten Schritt so etwas wie eine Bandbreite von Steuersätzen geben könnte. Eine Bandbreite impliziert einen Höchstsatz und einen Mindestsatz. Im Rahmen einer solchen Bandbreite wäre dann auch weiterhin Konkurrenz zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union möglich. Dies ist zwar keine Einzelmeinung innerhalb der Europäischen Union; es gibt durchaus auch andere Länder, die eine solche Position vertreten, zum Beispiel unter anderem Frankreich. Aber es ist doch eine deutliche Minderheitsmeinung. Die Bundesregierung hat diese Position zunächst hintangestellt, um die auf der europäischen Ebene gut voranschreitenden Arbeiten zur Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage nicht zu stören. Aber wir werden das Ziel der Schaffung einer Bandbreite von Steuersätzen bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen in der Europäischen Union nicht aus dem Auge verlieren. Dies ist allerdings ein eher mittelbis langfristiges Projekt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 30 der Kollegin Sabine Zimmermann auf: Was gedenkt die Bundesregierung angesichts der Tatsache zu tun, dass immer mehr Unternehmen in Deutschland, zum Beispiel jüngst Samsung in Berlin, die Subventionen abschöpfen und am Ende der Bindungsfrist Arbeitsplätze abbauen bzw. in osteuropäische Länder verlagern und ganze Betriebsteile schließen und damit die Kosten der Arbeitslosigkeit auf die sozialen Sicherungssysteme verlagert werden?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Sofern Investitionen in einer von Schließung oder Verlagerung betroffenen Betriebsstätte im Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe gefördert wurden, stellen die Förderregeln sicher, dass innerhalb von fünf Jahren nach Abschluss der geförderten Maßnahme die in Aussicht gestellten Arbeitsplätze besetzt oder zumindest auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft angeboten werden. Darüber hinaus müssen die mit Investitionszuschüssen geförderten Wirtschaftsgüter mindestens fünf Jahre in der geförderten Betriebsstätte verbleiben. Die für die Durchführung zuständigen Länder prüfen während der Bindungsfrist die Einhaltung der Förderbedingungen. Werden dem Zuwendungsbescheid zugrunde liegende Fördervoraussetzungen nicht eingehalten, entstehen Rückforderungsansprüche gegenüber dem Zuwendungsempfänger. Die neuen Regionalleitlinien der Europäischen Kommission, die den künftigen beihilferechtlichen Rahmen für die Investitionsförderung bilden, sehen auch für den Zeitraum von 2007 bis 2013 eine Beibehaltung der fünfjährigen Bindefrist vor. Darüber hinausgehende Rückzahlungsverpflichtungen würden die Anreizwirkung der GA-Investitionsförderung und damit das vorrangige Ziel der Schaffung und Sicherung von Dauerarbeitsplätzen in strukturschwachen Gebieten konterkarieren. - Das ist die Antwort auf die erste Frage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön, Frau Kollegin.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe dazu eine Nachfrage. Sie haben jetzt natürlich die Gesetzgebung erläutert; das ist völlig klar. Wir stellen aber im Moment fest, dass Unternehmen nach der Bindungsfrist in die osteuropäischen Länder abwandern. Ich kann Ihnen dazu mehrere Beispiele nennen. Dräxlmaier wurde in diesem Zusammenhang in den Medien genannt. Auch das Unternehmen Plauener Gardine ist ein Beispiel dafür, dass Unternehmen nach der Bindungsfrist nach Tschechien, Polen oder wohin auch immer abwandern. Deswegen bin ich mit Ihrer Antwort nicht sehr zufrieden. Denn es stellt sich die Frage: Was kann dagegen unternommen werden, dass auf der einen Seite Unternehmer hohe Investitionen erhalten und auf der anderen Seite Kolleginnen und Kollegen entlassen werden, die Arbeitslosenversicherung beansprucht wird und die Arbeitslosigkeit wieder von der Gesellschaft bezahlt wird? Diese Frage haben Sie mir nicht korrekt beantwortet.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Kollegin, diese Frage hängt sehr eng mit der Frage 31 zusammen. Darf ich versuchen, diese Fragen in einem Atemzug zu beantworten? Sie können ja dann noch nachfragen.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann würde ich jetzt gerne noch eine Nachfrage stellen wollen.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Lassen Sie mich doch mal eben auf Frage 31 antworten. Sie haben dann jederzeit die Möglichkeit, nachzufragen. Wir sind der Meinung, dass die Bindungsfrist von fünf Jahren für die Unternehmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt das richtige Mischungsverhältnis zwischen der Festlegung am Standort und der Aufrechterhaltung des Interesses, eine Investition überhaupt zu tätigen, darstellt. Diese schwierige Gratwanderung müssen wir ja machen. Es gibt Annahmen dahin gehend, dass dann, wenn man die Bindungsfrist deutlich verlängern würde - das kann übrigens nicht auf nationaler Ebene, sondern nur europaweit geschehen -, bestimmte Investitionen, auf die wir dringend angewiesen sind und die wir haben wollen, wegen einer zu langen, vom Investor nicht akzeptierten Bindungsfrist unterbleiben. Das ist das Problem. Wir sind im Moment dabei, diese Linie zu halten. Wir diskutieren mit der EU darüber, ob man bei Großinvestitionen, die mit EU-Mitteln gefördert werden, in anderer Weise eine Verlagerung verhindern oder begrenzen kann. In Bezug auf die kleineren Investitionen sehen wir im Moment keine Möglichkeit, diese Gratwanderung hinzubekommen, ohne die eine oder andere Partei zu belasten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, heißt das also, dass die Kosten, unabhängig von der Höhe der Investitionen, immer bei unseren Sozialversicherungssystemen bleiben. Von einer Abwanderung eines Unternehmens sind in erster Linie solche Arbeitnehmer betroffen, die 45 Jahre oder älter sind. Was soll denn mit denen passieren? Sollen wir sie alle in 1-Euro-Jobs stecken? Ich denke, das ist einfach eine unbefriedigende Antwort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Kollegin, die Antwort ist nicht so unbefriedigend, wie Sie es meinen. In einer globalisierten Welt können wir Unternehmen nicht einfach an einen Standort binden. Das ist das Problem. Unsere Chance besteht darin, die Standortbedingungen bei uns ein Stück weit zu verbessern. Wenn wir die Unternehmen an Standorte binden wollten, würden wir Schaden für den Standort Deutschland stiften. Wir sollten die Chancen, die wir haben, nutzen, um zu erreichen, dass die Unternehmen an ihren Standorten in Deutschland bleiben. Das wollen wir natürlich alle miteinander. Das können wir dadurch schaffen, dass wir die Rahmenbedingungen so setzen, dass Abwanderungen unterbleiben. Ich will darüber hinaus noch den folgenden Gedanken ansprechen. Auch wir haben natürlich bei den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag und im Wirtschaftsministerium darüber diskutiert, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir haben, um diese Abwanderungen zu erschweren. Als Erstes würde ich empfehlen, dass wir die Dinge einmal untersuchen, dass wir feststellen: Was passiert da wirklich? Um wie viele Einzelfälle handelt es sich? Handelt es sich dabei um eine Bewegung? Was sind die Motive? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, könnte man sich überlegen, ob es passendere Instrumente gibt, mit denen wir erreichen können, dass Abwanderungen nur so selten wie möglich vorkommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen dann zur Frage 31 der Kollegin Zimmermann: Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, die ein solches Verhalten erschweren bzw. die Unternehmen in die Verantwortung nehmen, etwa durch die Rückzahlung der Fördermittel oder die Beteiligung an den Kosten der Arbeitslosigkeit? Frau Zimmermann, Sie bleiben dran. - Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Diese Frage habe ich bei meinen Ausführungen schon mitbeantwortet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie hätten dann, Frau Zimmermann, noch die Möglichkeit, zwei weitere Nachfragen zu stellen, Sie müssen aber nicht.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das hat sich jetzt erst einmal erledigt. Ich wäre froh, wenn wir darüber, auch im Ausschuss, noch einmal diskutieren würden. Denn ich denke, das ist ein wichtiges Thema, mit dem wir es in den nächsten Monaten auf jeden Fall zu tun haben werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön, Frau Zimmermann, und vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 32 der Kollegin Katja Kipping: Wie erklärt die Bundesregierung, dass laut „WSI-FrauenDaten-Report“ junge Frauen trotz besserer formaler Bildungsleistungen bereits beim Berufseinstieg weniger als ihre gleichaltrigen Kollegen verdienen ({0}), und was will die Bundesregierung dagegen tun?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Ursachen für die niedrigen Einkommen von Frauen sind vielfältig und hängen auch in Bezug auf die jüngere Generation mit dem immer noch geschlechtsspezifisch geteilten Arbeitsmarkt zusammen. Frauen sind häufiger als Männer in Wirtschaftsbereichen, Branchen und Berufen mit vergleichsweise niedrigerem Einkommen tätig. Besonders in Westdeutschland tragen immer noch die ungleiche Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern und fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten dazu bei, dass familienbedingte Einkommensunterschiede entstehen. Frauen machen insgesamt wegen ihrer Familienpflichten in geringerem Umfang Überstunden als Männer und üben seltener Tätigkeiten aus, für die es aufgrund besonderer Belastungen - zum Beispiel Schichtarbeit - Zuschläge gibt. Familienbedingte Berufsunterbrechungen mit ungünstigen Folgen für die weitere Einkommensentwicklung tragen ebenfalls dazu bei. Die Bundesregierung setzt sich in ihrer Politik für die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Frauen und damit für die Beseitigung von Entgeltunterschieden ein. Im Mittelpunkt steht die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit, die wir verbessern wollen. Hierzu gehören der weitere Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung, die Weiterentwicklung der Tagespflege als gleichrangige Alternative, die Stärkung von Initiativen zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung sowie die von der Bundesregierung beabsichtigte steuerrechtliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten. Darüber hinaus ist ein Konsens zu fördern, der die faktische Wahrnehmung der Erziehung und Betreuung von Kindern beiden sorgeberechtigten Elternteilen in gleichem Maße zuerkennt. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt zur Beseitigung von Einkommensunterschieden von Frauen und Männern ist die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit. Hier sind alle Beteiligten gefordert, den Frauen dieselben Verdienst- und Karrieremöglichkeiten zu verschaffen wie Männern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke. - Gibt es Nachfragen, Frau Kipping?

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine Nachfrage. Zunächst einmal vielen Dank für Ihre Antwort, in der ja die Einschätzung des „WSI-Reports“ im Großen und Ganzen geteilt wurde. Vor dem Hintergrund Ihrer Einschätzung stellt sich mir die Frage, ob und, wenn ja, wann mit einem gleichstellungspolitischen Programm der neuen Bundesregierung zu rechnen ist und welche die Eckpunkte eines solches Programms sind.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es ist nicht mit einem gleichstellungspolitischen Programm zu rechnen. Wir werden es uns als Aufgabe vornehmen, für Männer und Frauen gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde gern zur nächsten Frage kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zu Frage 33 der Kollegin Kipping: Wie steht die Bundesregierung zu dem Befund, dass in der Bundesrepublik Deutschland der Frauenanteil in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und in den Verbänden weitgehend unter 20 Prozent liegt ({0}), und erwägt die Bundesrepublik Deutschland gleichstellungspolitische Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungsgremien der Wirtschaft, zum Beispiel nach norwegischem Vorbild ({1})?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

In ganz Europa nehmen Frauen deutlich weniger als Männer wichtige Entscheidungspositionen in den Unternehmen der privaten Wirtschaft ein. 2004 wurde in den Aufsichtsräten der jeweils 50 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland nur eine Position von zehn durch eine Frau besetzt. Dabei liegt der Anteil in Deutschland mit rund 12 Prozent etwas über dem europäischen Durchschnitt von 10 Prozent. Insgesamt hat sich der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft ausgehend von einem niedrigen Niveau in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Gegenüber dem Mikrozensus 2004 beträgt der Anteil von Frauen an Führungspositionen mit umfassender Führungsverantwortung 21 Prozent. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, eine verpflichtende Quote bei der Besetzung von Gremien von Aktiengesellschaften des privaten Rechts einzuführen. Sie hat sich im Rahmen der Vereinbarung der Bundesregierung und der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft mit der Wirtschaft darauf geeinigt, die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen auf freiwilliger Basis voranzubringen. Die Fortschritte bei der Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der privaten Wirtschaft werden regelmäßig bilanziert und veröffentlicht. Die Berufung und Entsendung von Frauen und Männern in Gremien im Einflussbereich des Bundes werden durch das Bundesgremienbesetzungsgesetz geregelt, über dessen Umsetzung ebenfalls regelmäßig berichtet wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es Nachfragen, Frau Kipping?

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es gibt noch eine Nachfrage. Die von Ihnen angesprochenen Regelungen mit der Wirtschaft setzen allein auf Freiwilligkeit. Welche Handlungsoptionen sehen Sie als Bundesregierung, falls die entsprechenden Vereinbarungen von der Wirtschaft nicht freiwillig erfüllt werden, und welchen Wert hätte Ihrer Meinung nach eine solche freiwillige Vereinbarung, wenn sie nicht zu dem gewünschten Erfolg führen würde?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich glaube, dass wir hier auf Kooperation mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft und auf Verhandlungslösungen setzen müssen. Wir sind hier auf einem guten Wege. Auf dem Anordnungswege käme man hier nicht zum Erfolg. Das entspricht auch nicht unseren Vorstellungen hinsichtlich des Bemühens, hier zu einer besseren Berücksichtigung der Frauen zu kommen.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich hätte noch eine weitere Nachfrage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. In meiner Frage habe ich auf die Regelung verwiesen, die man in Norwegen getroffen hat. Beabsichtigt die Bundesregierung, mit der norwegischen Regierung in einen entsprechenden Erfahrungsaustausch zu treten und zu schauen, inwieweit die Regelung, die man dort getroffen hat, zu positiven Ergebnissen führt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es gibt einen regelmäßigen Austausch auf europäischer Ebene. Die Erfahrungen, die andere Länder machen, werden geprüft und genutzt. Die Regelungen, die für uns geeignet sind, werden wir hier auch umsetzen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt noch eine weitere Nachfrage. Bitte schön, Frau Kollegin Binder.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kues, Sie haben uns gerade gesagt, es werde kein gleichstellungspolitisches Programm der Regierung geben. Beabsichtigt die Regierung zumindest, frauenspezifische Aktivitäten auf den Weg zu bringen, die über die jetzt hochaktuellen Projekte wie Elterngeld oder Betreuungsinitiativen hinausgehen? Diese beschränken sich ausschließlich auf Mütter und Familien. Wo bleiben die Frauen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wir haben Überlegungen angestellt, wie wir dort neue und zusätzliche Akzente setzen können. Wir sind dabei, das vorzubereiten. Das schlägt sich aber nicht unmittelbar in einem gleichstellungspolitischen Programm - das war ja Ihre Frage - nieder. Es werden aber sicherlich weitere Aktivitäten unternommen, um bei der Gleichstellung Fortschritte zu machen. ({0}) - Das wird bei Gelegenheit im Einzelnen zu diskutieren sein. Heute kann ich dazu nicht mehr sagen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Zeit für die Fragestunde ist damit abgelaufen. Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Aktuelle Entwicklung im Hinblick auf die Vogelgrippe und Schutzmaßnahmen der Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Bundesminister Horst Seehofer das Wort.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große Zahl neuer Fälle des Ausbruchs der Vogelgrippe in der Türkei hat auch bei uns im Lande die Gefahrenlage erhöht. Die Menschen bei uns sind deshalb in hohem Maße alarmiert und beunruhigt. Deshalb möchte ich hier vor dem Parlament zuallererst im Namen der Bundesregierung versichern, dass wir seit vielen Monaten mit allen betroffenen und zuständigen Stellen - national, europäisch und international - und auf allen berührten Feldern das in unserer Macht Stehende tun, um die mit der Vogelgrippe verbundenen Gefahren präventiv von Deutschland fernzuhalten und aktiv in den betroffenen Ländern zu bekämpfen. ({0}) Zunächst aber zur aktuellen Gefahrenlage und zur Risikoeinschätzung durch die Wissenschaft: Ausgehend von Südostasien hat sich die Vogelgrippe in den vergangenen beiden Jahren über einen Großteil des asiatischen Kontinents ausgebreitet. Mit Rumänien, der Ukraine, dem europäischen Teil Russlands, Kroatiens und der Türkei hat sie in den vergangenen Monaten auch den europäischen Kontinent erreicht. Das Territorium der Europäischen Union ist, Gott sei Dank, bislang noch nicht von der Vogelgrippe betroffen. Unsere aktuelle Risikoeinschätzung geht von verschiedenen möglichen Quellen für die Einführung der Vogelgrippe nach Deutschland aus. Die größte Gefahr geht dabei im Moment von der illegalen Einfuhr von Geflügel und Geflügelprodukten sowie von anderen Vögeln und von Vögeln stammenden Produkten aus den betroffenen Regionen aus. Die Einschleppung der Vogelgrippe über Zugvögel, die nach überwiegender Meinung der Experten für die globale Verbreitung der Vogelgrippe verantwortlich sind, ist im Moment bei uns in Deutschland sehr unwahrscheinlich. Diese Situation wird sich jedoch mit der Rückkehr der Zugvögel aus den südlichen Ländern im Februar, März und April verändern. Als weitere mögliche Risikofaktoren beobachten wir auch den Personen- und Fahrzeugverkehr aus den betroffenen Ländern sowie den legalen Handel mit Geflügel und Geflügelprodukten aus nicht betroffenen Regionen sehr genau. Auch wenn das Gefahrenpotenzial in diesen Bereichen im Moment nicht das Ausmaß der beiden zunächst genannten Bereiche annimmt, werden wir bei einer Veränderung der Gefahrenlage, beispielsweise durch Auftreten der Vogelgrippe innerhalb der EU, auch hier sehr schnell reagieren können. Wir haben die aktuelle Situation und unsere Schutzmaßnahmen gegen die Vogelgrippe in der Sitzung des Bundeskabinetts heute Morgen behandelt. Wir waren übereinstimmend der Auffassung, dass mit Wachsamkeit, Vorsicht und allem Nachdruck alles Menschenmögliche getan werden muss, um diese Tierseuche von Deutschland fernzuhalten. ({1}) Bei aller Wachsamkeit besteht allerdings auch kein Anlass, in Panik zu verfallen. Wir müssen auf ein koordiniertes, konzentriertes und sorgfältiges Vorgehen nach dem Motto „Im Zweifel für die Prävention“ hinwirken und dabei sämtliche Maßnahmen zur Risikominimierung laufend auf ihre Wirksamkeit überprüfen und gegebenenfalls kurzfristig anpassen. Klar ist aber auch - das möchte ich sehr deutlich wiederholen -, dass unsere staatliche Verantwortung die eine Seite ist - da tun wir das Menschenmögliche, übrigens auf allen Ebenen: Bund, Länder und die Institute -, dass wir eine erfolgreiche Abwehr der Vogelgrippe aber nicht ohne verantwortliches Handeln der Bevölkerung und der Geflügelhalter bei uns in Deutschland erreichen. Ich kann nur noch einmal an die gesamte Bevölkerung gerade im Hinblick auf den Reise- und Warenverkehr appellieren, die Hinweise, Ratschläge und Tipps, die von Fluggesellschaften und Reiseveranstaltern gegeben werden, peinlichst genau einzuhalten. Denn im Moment liegt in der Nichteinhaltung dieser Ratschläge und Tipps die größte Gefahr für die Einschleppung der Vogelgrippe. Angesichts der momentanen Gefahrenlage betrifft dies im Augenblick vor allen Dingen das - wie ich sagte - verantwortliche und vorsichtige Verhalten der Reisenden in den Ausbruchsgebieten und dann bei der Rückreise nach Deutschland. Wir haben das Aktionspaket in der letzten Woche gemeinsam mit den Bundesländern wiederholt beraten und uns auf fünf Punkte geeinigt, die ich kurz umschreiben möchte: Erstens brauchen wir eine verbesserte Information der Reisenden, die sowohl über den Luftverkehr wie auch über den Bus- und Bahnverkehr aus den betroffenen Ländern nach Deutschland einreisen. Hierzu zählt neuerdings auch eine gezielte Einzelbefragung bei der Einreise durch den Zoll. Zweitens ist die verstärkte Information unserer türkischen Mitbürger in Deutschland notwendig, und zwar auch in türkischer Sprache, da wir festgestellt haben, dass sie oft überhaupt nicht informiert sind. Drittens müssen unsere nationalen Warenkontrollen, auch die des Auto- und Busverkehrs, verstärkt werden, um illegale Importe nach Deutschland zu verhindern, und zwar durch die optimierte Zusammenarbeit zwischen Landesveterinär- und Bundeszollbehörden. Viertens benötigen wir in der Bundesrepublik Deutschland die Weiterführung bzw. Ausweitung des Wildvogelmonitorings. Fünftens geht es um die Frage des Aufstallungsgebotes. Hierzu legen uns die Experten des FriedrichLoeffler-Instituts bis Ende dieses Monats eine verlässliche und wissenschaftlich begründete Risikobewertung vor. Auf ihrer Grundlage werden wir dann kurzfristig über Zeitpunkt, Umfang und Dauer der Aufstallungspflicht für die Geflügelhalter in Deutschland während des Frühjahrsvogelzuges entscheiden. Ich möchte allerdings keinen Zweifel daran lassen, dass mit höchster Wahrscheinlichkeit auch beim Frühjahrsvogelzug wieder ein Aufstallungsgebot in Deutschland notwendig wird. ({2}) An die Tierhalter gerichtet sage ich folgenden Satz: Es ist besser, präventiv das Einschleppen der Seuche zu verhindern, als nach ihrer Einschleppung neben der Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung auch noch mit ihren wahnsinnigen wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen zu haben. ({3}) Meine Damen und Herren, um die Schlagkraft unserer Maßnahmen zu erhöhen, setzen wir uns im europäischen Kontext für ein einheitliches, gleichgerichtetes und möglichst weitgehendes präventives Vorgehen ein. Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir nächsten Montag im Agrarrat erneut umfassend über diese Themen reden werden. Dort werden dann auch neue Vorschläge zur Diskussion gestellt, die bereits in die Bund-Länder-Besprechung eingeflossen sind, zum Beispiel die Deklarationspflicht für Reisende, ({4}) die ja nur dann Sinn macht, wenn wir sie auf europäischer Ebene realisieren. Deshalb müssen wir uns bewusst sein: Sosehr wir uns auch auf nationaler Ebene anstrengen - durch unsere Behörden, unsere Institute und hoffentlich auch mit umfassender Unterstützung durch die Geflügelhalter und die Bevölkerung -, so sehr müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass letztlich kein Staat der Erde diese schlimme Tierseuche allein bekämpfen bzw. dieses Problem allein lösen kann. Das geht nur im internationalen Kontext; darum bemühen wir uns ganz massiv. Ich verweise noch darauf, dass die Geberkonferenz in Peking, was den Umfang ihrer finanziellen Zusagen betrifft, in diesen Tagen die 1-Milliarde-Euro-Grenze überschritten hat. Daran beteiligt sich die Europäische Union mit über 100 Millionen Euro. Zum Schluss möchte ich sagen: Die Bevölkerung kann sich darauf verlassen, dass wir durch konsequentes und gemeinsames präventives Handeln alles tun, um die Gefahr der Vogelgrippe von Deutschland und der Europäischen Union fern zu halten. Lassen Sie uns, wie wir es seit vielen Monaten tun, weiterhin gemeinsam und in guter Zusammenarbeit dafür sorgen, dass wir dieses Ziel erreichen. Wir müssen darauf achten, dass wir der Vogelgrippe vorbeugend immer einen Schritt voraus sind, statt ihr hinterherzulaufen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist natürlich sehr sinnvoll, dass wir die parlamentarischen Möglichkeiten nutzen, um die Information über die Problematik Vogelgrippe/Influenza zu verbessern. Aber einen aktuellen Anlass, dieses Thema heute im Rahmen einer Aktuellen Stunde zu behandeln, gibt es nicht. ({0}) Ich denke, es ist sehr wichtig, deutlich zu machen: Derzeit gibt es in Deutschland keine Vogelgrippe und es besteht für die Menschen in unserem Land im Moment auch keine unmittelbare Gefahr. ({1}) Lassen Sie mich, um das Verständnis ein bisschen zu vertiefen, deutlich machen, wo der Unterschied zwischen der Vogelgrippe und der Influenza liegt - das geht ja häufig ein bisschen durcheinander -: Die Vogelgrippe ist eine Tierseuche. Wenn sich der Virustyp zur Influenza verändert und eine Pandemie auf uns zukommt, dann besteht die Gefahr, dass viele Menschen ihr Leben verlieren. Aber so weit ist es, Gott sei Dank, noch lange nicht. Ich denke, es muss sehr deutlich unterschieden werden zwischen den Vorsorgemaßnahmen zur Beschränkung und Vermeidung der Vogelgrippe und denen der Influenza. Zur Vermeidung und Einschränkung der Vogelgrippe gehören strenge Kontrollen; sehr geehrter Minister, Sie haben das angesprochen. Dazu gehört auch die Aufstallung. Ich bin froh, dass wir heute Morgen im Ausschuss ideologiefrei über die Notwendigkeit einer Aufstallung gesprochen haben. Ich will sehr deutlich sagen: Ich halte das Aufstallen unter bestimmten Umständen für notwendig: zum Schutz der Tiere, zum Schutz der Betriebe - auch vor wirtschaftlichen Schäden - und zum Schutz der Verbraucher. ({2}) Ich bin froh, dass Sie, Herr Minister, gesagt haben, dass Sie das ins Auge fassen. Heute Morgen in der Anhörung ist allerdings auch deutlich geworden - das ist die Einschätzung der Wissenschaftler, die da waren; und das sind ja die Kapazitäten -, dass wir in Deutschland eine Risikosituation haben und dass man sich nicht darauf beschränken kann, darauf zu setzen, dass der Vogelzug östlich oder westlich an uns vorbeigeht. Bei den Außenkontrollen haben wir einen Schwachpunkt: Sehr geehrter Herr Minister, ich denke, Sie sollten die Deklarationspflicht noch einmal überdenken. Auch Ihr Staatssekretär Dr. Müller hat es heute Morgen im Ausschuss gesagt: Wir würden mit etwa 400 Millionen Blatt Papier überflutet. Jeder kann sich wohl vorstellen, dass das bürokratisch nicht zu handhaben ist. Das ändert aber nichts daran, dass wir die Außenkontrollen verbessern müssen und dass wir die Menschen für diese Außenkontrollen gewinnen müssen; sie müssen Verständnis dafür haben, dass wir es hier mit einer großen Gefahr zu tun haben. Zum nächsten Aspekt, dem Impfen: Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um zu einer Impfung der Tiere zu kommen. Ich weiß, dass das problematisch ist, weil es sozusagen unter dieser Impfdecke zu einer Weiterausbreitung kommen kann. Wir müssen auf Markerimpfstoffe hinarbeiten und wir müssen auch darüber reden, ob es klug ist, dass andere Länder, die meinen, sie hätten mit diesem Problem nichts zu tun, sich dem Handel verweigern und es zu Handelsbeschränkungen kommt. Bis jetzt konnte eine Übertragung von Mensch zu Mensch nicht nachgewiesen werden. Sollte das Virus eine Veränderung durchlaufen - und diese Gefahr besteht -, dann droht, wie gesagt, eine weltweite Epidemie, eine Pandemie. Um dem vorzubeugen, ist es nötig - das haben Sie sehr richtig festgestellt, Herr Minister -, bestimmte Berufsgruppen, aber auch Menschen, die generell mit Tieren zu tun haben, die mit Federn in Berührung kommen, aufzuklären. Nach wie vor gibt es bei Hobby-Geflügelhaltern Defizite. Die großen Betriebe wissen sehr genau, was zu tun ist. Aber der Rentner, sage ich einmal, der drei oder vier Hühnchen hat, muss sicherlich noch ein Stück besser informiert werden. Auch in bestimmten Bereichen - ich will hier jetzt niemanden diskriminieren - sind die Menschen an der einen oder anderen Stelle vielleicht ungenügend informiert, sei es zum Beispiel die Fleischereifachverkäuferin, seien es die Fleischer insgesamt. Wir müssen ihre Information verbessern. Die Menschen in der Türkei waren sehr schlecht informiert. Dadurch sind Probleme entstanden. Das konnte einem Leid tun. Wer gesehen hat, wie die türkischen Bürgerinnen und Bürger - oder einige wenigstens - mit Tieren umgingen, dem hat das Herz geblutet. So etwas ist absolut nicht in Ordnung. Wir müssen der Türkei mit unseren Informationsmöglichkeiten, mit unseren wissenschaftlichen Möglichkeiten helfen. Aber wir dürfen es vor dem Hintergrund dieser Vorkommnisse nicht zu einer antitürkischen Kampagne kommen lassen. ({3}) Lassen Sie mich noch die Medikamente ansprechen. Eben kam mir eine Kollegin entgegen und sagte, sie sieht eine besondere Gefahr für ihr Kind; die Todesfälle würden ja überwiegend bei Kindern auftreten. Aber wir können einen Impfstoff erst entwickeln, wenn wir feststellen, dass das Virus mutiert ist - und das braucht dann seine Zeit. Das heißt, wir müssen für die Zwischenzeit genauso gewappnet sein wie für die Zeit danach. Aber man muss auch ganz deutlich sagen: Es macht überhaupt keinen Sinn, sich jetzt ein Medikament für die Hausapotheke zu besorgen, weil irgendwann einmal möglicherweise die Gefahr besteht, von dieser Krankheit erfasst zu werden. Wir müssen deswegen auch in dieser Frage konsequent auf Lösungen hinarbeiten, natürlich gemeinsam. Ich persönlich bin davon überzeugt: Wenn wir klug und konsequent an diese Herausforderung herangehen, dann können wir es schaffen, die Vogelgrippe von unserem Land fernzuhalten. Wir waren schon einmal erfolgreich. Ich glaube, dass wir es wieder sein können. Deswegen sollten wir alle an einem Strang ziehen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! 150 Millionen Stück Geflügel sind im Verlaufe dieser Seuche seit Ende 2003/Anfang 2004 getötet worden. 80 Menschen sind nach ihrer Erkrankung daran gestorben; die Dunkelziffer liegt sicherlich noch höher. Ein Phänomen ist dabei zu beobachten, das Epidemiologen und Tierärzten, die sich mit solchen Seuchenzügen auseinander setzen, nicht unbekannt ist: Es ist bis heute nicht gelungen, dem Seuchenzug, der in Südostasien seinen Ausgang genommen hat und bis heute andauert, Einhalt zu gebieten. Die Seuche scheint dort endemisch zu werden. Offensichtlich sind die staatlichen Institutionen vor Ort nicht in der Lage, dieses Problem adäquat zu bewältigen. Nach zwei Jahren hat man nun in einer Konferenz die Voraussetzungen geschaffen, um diesem Seuchenzug Einhalt zu gebieten - das bezieht sich nicht nur auf Südostasien, sondern auch auf andere Regionen wie zum Beispiel Schwarzafrika, wo ein sehr hohes Risiko besteht, dass die Seuche dort ebenfalls einbricht -, und die finanziellen Grundlagen geschaffen, damit dort effizient eingegriffen werden kann. Ich begrüße das Bemühen der EU, 120 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommen noch einmal 120 Millionen Euro aus den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Deutschland beteiligt sich zunächst mit 10 Millionen Dollar, also mit etwa 8 Millionen Euro. Wir sind darüber hinaus in Laos und Kambodscha bereits aktiv und sorgen dort, in einer Region, die sehr schwer zu erreichen ist, dafür, dass zum einen aufgeklärt wird und zum anderen eine effiziente Bekämpfung initiiert wird. Vietnam rechnet damit, das Problem eventuell bis Ende 2010 in den Griff zu bekommen. Das macht deutlich, wie die Perspektive aussieht und was noch auf uns zukommt. Das Bedrohungspotenzial wird nicht kleiner werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus mutiert, ist heute genauso groß wie vor zwei Jahren. Es besteht also überhaupt keine Notwendigkeit, die Bevölkerung zu verunsichern. Das gilt auch für die Berichterstattung in den Medien. ({0}) Wir in Deutschland haben alle Voraussetzungen geschaffen, um die Seuchenabwehr effektiv zu organisieren und zu administrieren: Vom 15. bis 18. November 2005 hat eine große Rahmenübung zur Tierseuchenbekämpfung stattgefunden. Die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen arbeiten - das ist beispielhaft grenzübergreifend mit den Niederlanden auf der Grundlage eines Konzepts zusammen. Wir werden in allernächster Zeit ein großes mobiles Tierseuchenbekämpfungszentrum bekommen. ({1}) Solche Ansätze brauchen wir unter epidemiologischen Aspekten dringend. Es kommt aber auch darauf an, dass sich eventuelle Schwachstellen auf der Bund-Länder-Ebene, die also in unserem Föderalismus begründet sind, dann, wenn es ernst werden sollte, nicht wirklich als Schwachstellen erweisen. In Anbetracht der Bedrohung sollten solche Übungen und Maßnahmen bereits jetzt regelmäßig durchgeführt werden, um entsprechend vorbereitet zu sein, wenn es, was ich nicht hoffe, dazu kommen sollte, dass wir aktiv werden müssen. Mit einer Übung ist es nicht getan, dieser Übung müssen noch mehrere folgen. Die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, müssen unmittelbar gezogen werden. Daher hätte ich erwartet, dass sich der Bund nicht nur ideell, sondern auch finanziell an diesem mobilen Tierseuchenbekämpfungszentrum beteiligt, auch wenn die Tierseuchenbekämpfung Aufgabe der Länder ist. Aber auch auf anderen Ebenen sind die Länder gefordert. Wir haben das erkannt. Bei den Einreisekontrollen sind in erheblichem Umfang Probleme festgestellt worden, die wir nicht so einfach administrieren können. 400 Millionen Reisende sind nicht so einfach zur Gänze zu kontrollieren. Hier wird auch deutlich - das ist richtig angesprochen worden -, dass das Problembewusstsein der Reisenden geschärft werden muss. Es kann nicht sein, dass in einem Bus aus Montenegro über eine Tonne Fleischwaren und 300 Kilo Milcherzeugnisse gefunden werden. Nicht jeder Bus kann kontrolliert werden. Wie wir gehört haben, geht von diesen illegalen Importen die größte Gefahr aus. Die bisher geführten Nachweise - sowohl bei dem Fall in London als auch bei dem Fall in Brüssel - beruhen regelmäßig darauf, dass zum Beispiel artgeschützte Greifvögel illegal importiert werden. Diese tragen dann unter Umständen zu einem erhöhten Risiko bei und gefährden uns alle. Dort müssen wir die Kontrollen natürlich noch besser gestalten und verschärfen. Wir müssen auch darauf hinwirken, dass die Warenströme im KleinKlein-Verkehr, der nach Deutschland kommt und durch den der persönliche Bedarf durch Einkäufe gedeckt wird, konsequent unterbunden werden. Wir müssen dafür sorgen, dass es keine Ausnahmen gibt. Es ist zum Beispiel im Augenblick nicht ganz klar, aus welchen Regionen in Rumänien exportiert werden darf und aus welchen Regionen nicht. Es gibt offensichtlich Exporte aus Regionen, in denen kürzlich H5N1 nachgewiesen worden ist. Darum fordere ich die EU auf, das konsequent abzustellen und dafür zu sorgen, dass auch die letzten Schlupflöcher in den EU-Raum verstopft werden, um ein größtmögliches Maß an Sicherheit zu erreichen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann den Optimismus, dass wir auf die Situation, die uns umgibt, gut vorbereitet sind, nicht teilen. Es geht hier ja nicht um ein gefühltes Risiko, sondern um eine objektive wissenschaftliche Bewertung. Man muss sagen, dass es wichtig ist, das Risiko von Verlusten richtig zu bewerten; denn hier geht es wirklich um eine wirtschaftliche Bedrohung, die Herr Priesmeier richtig beschrieben hat, und um ein Infektionsrisiko beim Menschen. Heute Morgen bei der Anhörung haben wir auch wieder gehört, dass die offizielle Datenlage zum großen Teil nicht belastbar, sondern hoch variabel ist. Diese Situation strahlt auch nach Aussagen der Experten eine einmalige Dynamik aus. Daher stellen sich die Fragen, ob wir das wirkliche Risiko kennen und ob die Bedingungen dafür vorliegen, dass wir dieses Risiko wirklich genau definieren und exakt beschreiben können. Nach dem Gesetz ist das Friedrich-Loeffler-Institut für die Beantwortung dieser Fragen verantwortlich. Für die Risikobewertung ist das Institut für Epidemiologie in Wusterhausen federführend zuständig. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art. Umso unverständlicher ist es, dass seine Arbeitsfähigkeit zumindest infrage gestellt und in Grenzen belastet wird. ({0}) Für eine solche Risikobewertung sind dringend Ressourcen notwendig. Die personelle Ausstattung ist auch im internationalen Vergleich zumindest nur grenzwertig. Es gibt Wissenschaftlerstellen, die nicht besetzt sind. Eine Wissenschaftlerstelle wurde eingezogen. Es gibt zu wenig nicht wissenschaftliches Personal und wir haben Wissenschaftler, die im Moment im Ausland helfen und für die wissenschaftliche Bearbeitung im Inland natürlich fehlen. Insgesamt glaube ich, dass es hier ein Defizit gibt. Daneben soll dieses Institut ab 2010 an einen ungeeigneten Standort verlagert werden. Ich meine, das sind ausgesprochen schwierige Arbeitsbedingungen. Ich finde das Engagement der Wissenschaftler wirklich sehr lobenswert; denn trotz dieser Bedingungen erfüllen sie ihre Aufgaben und geben die Risikobewertung pünktlich und in großer Qualität ab. Ich meine aber, dass man diese Situation ändern muss. ({1}) Wichtige Aussagen der Risikobewertung widersprechen einer Entwarnung. Insbesondere in der Türkei gibt es eine verwirrende und eher beunruhigende Situation, wie die Wissenschaftler sagen. Heute Morgen wurde gesagt, dass es gestern 50 neue Verdachtsfälle gab. Das zeigt die dringende Notwendigkeit, jetzt vor Ort zu helfen; denn wir können uns selbst nur schützen, wenn wir dieses Problem vor Ort lösen. Der Erfolg jedes Schutzversuchs im Inland hängt davon ab, ob die Probleme in den betroffenen Regionen vor Ort gelöst werden. ({2}) Wir müssen vor Ort epidemiologische Ermittlungen unterstützen und die Ausbreitungsrisiken klären. Wir müssen ebenso die Veterinärbehörden und die Bekämpfungsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten unterstützen. Wir müssen auch wirtschaftlich helfen; denn Geflügel ist in den betroffenen Gebieten oftmals die einzige Quelle tierischen Eiweißes. Insofern könnte der Wegfall dieser Quelle die ganze Region bedrohen. Die Probleme in Rumänien hat Herr Priesmeier schon angesprochen. Es ist unverständlich, warum Waren aus Regionen in Rumänien importiert werden dürfen, in denen die aviäre Influenza nachgewiesen wurde. Das muss dringend abgestellt werden, weil dies ein Einschleppungsrisiko darstellt. Von den bekannten und identifizierten Risiken zur Einschleppung sind viele relativ schwierig oder gar nicht beherrschbar. Der illegale Handel zum Beispiel zeichnet sich dadurch aus, dass er eben illegal ist und damit schwer kontrollierbar. Wir haben heute gehört, dass allein in Frankfurt am Main in 600 Fällen Risikomaterial gefunden wurde. Die Gefahr durch den Vogelzug ist genannt worden. Hier sind die Bundesregierung bzw. die entscheidenden Stellen gerade dabei, die Strukturen zur ornithologischen Beobachtung abzubauen oder infrage zu stellen. Diese sind jedoch für jede epidemiologische Bewertung gerade bei der aviären Influenza dringend notwendig. Die Kürzungen hier sind unbedingt zu verhindern, weil wir diese Strukturen wirklich brauchen. Der Personen- und Handelsverkehr ist als Problem genannt worden. Das gilt sowohl für den Land- als auch für den Luftverkehr. Den Luftverkehr haben wir vielleicht noch einigermaßen im Griff. Eine Kontrolle des Landverkehrs ist außerordentlich schwierig und kaum zu leisten. Wir haben auch keine exakten Kenntnisse über den Handels- und Personenverkehr und die Kreuzungen über Drittländer. Ich gebe der Bundesregierung den Rat, die Gefahren ernster zu nehmen. Die Defizite müssen dringend aufgearbeitet werden und es dürfen keine neuen zugelassen werden. Das heißt für mich eine Stärkung der epidemiologischen Ressourcen, die zur wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung zur Verfügung stehen. Wir brauchen dringend die Unterstützung der betroffenen Regionen, und zwar sowohl in wissenschaftlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Wir brauchen auch die Prüfung der eigenen Kapazitäten, die für Risikomanagementmaßnahmen und für den Krisenfall vorhanden sind. Ich glaube, hier müssen wir kritischer hinsehen. Welche Ressourcen sind tatsächlich vorhanden und welche nur theoretisch? Sind die Krisenübungen, die schon benannt worden sind, wirklich kritisch ausgewertet worden oder sind die Defizite einfach hingenommen worden? Wir brauchen wissenschaftlich erarbeitete Handlungskonzepte, und zwar bezüglich der Auswirkungen auf die Landwirtschaft und der Verhinderung der Infektionen. Wir brauchen auch eine kritische Bewertung der Tötungs- und Entsorgungskapazitäten; denn wenn es zum Krisenfall kommt, wird es an dieser Stelle sehr schnell eng. Deswegen sage ich: Die Bundesregierung hat keinen Grund, sich zurückzulehnen. Wir alle sollten dies nicht tun. Das hat nichts mit Panik zu tun. Vielmehr können aufgeklärte Menschen souverän und sehr ernsthaft mit dem Risiko umgehen. Wir sollten sie dazu in die Lage versetzen. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ursula Heinen von der CDU/CSU-Fraktion.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Debattenbeitrag der Kollegin Tackmann ist jedenfalls so, wie ich ihn empfunden habe, nicht ganz ehrlich gewesen. Heute Morgen haben wir in einer gemeinsamen Anhörung von Gesundheitsausschuss und Verbraucherschutzausschuss mit den Experten der drei Institute gesprochen, nämlich vom Friedrich-Loeffler-Institut, vom Robert-Koch-Institut und vom Paul-Ehrlich-Institut. Dort wurde ganz klar festgehalten, wie die Situation aussieht. Ich zitiere gerne - das ist der erste Punkt - aus dem Bericht des Friedrich-Loeffler-Instituts. Dort heißt es: „Für Deutschland liegen ... keine Meldungen über Verdachtsfälle vor.“ Der zweite Punkt ist: Es gibt einen exzellenten Bericht des Friedrich-Loeffler-Instituts - ich habe ihn dabei -, den Sie sich im Übrigen im Internet ausdrucken können. In diesem Bericht finden Sie eine hervorragende Übersicht darüber, wie die Situation in Europa und in Südostasien ist. Was Sie hier machen, ist deshalb so gefährlich, weil es genau das ist, wovor alle Redner gewarnt haben, nämlich in dieser Sache zu übertreiben. ({0}) Wir sollten bei dem bleiben, was die Zahlen tatsächlich hergeben. Das machen Sie nicht. Das finde ich persönlich sehr schade. Natürlich ist die Tatsache, dass die Zahlen gestiegen sind, sehr bedenklich. Aber sie sind über einen langen Zeitraum angestiegen. Vor allen Dingen die Gesundheitspolitiker werden darauf sicher noch zu sprechen kommen. Was den Ausbruch der Krankheit beim Menschen angeht, so hat die WHO hierzu festgestellt: Im Jahre 2003 gab es drei Fälle, im Jahr darauf 46 und 2005 waren es 93 Erkrankungen. Aber auch das ist eindeutig: Bisher, so die Weltgesundheitsorganisation, gibt es keine Hinweise, dass das Virus seine Übertragbarkeit erhöht hätte. Festzustellen ist aber auch, dass es bisher keinerlei Hinweise darauf gibt, dass das Virus von Mensch zu Mensch oder von Vögeln zu bestimmten Säugetieren übertragbar ist. Auch dazu heißt es in allen Berichten, die uns vorliegen: Um sich zu infizieren, müssen Säugetiere oder Menschen sehr große Virusmengen aufnehmen. Auch das ist bisher nicht geschehen. Das bitte ich ebenfalls zu beachten. Die Schutzmaßnahmen, die von Bund und Ländern in der vergangenen Woche in der Verbraucherministerkonferenz beschlossen wurden, sind der richtige Weg. Vorgesehen ist etwa die Beobachtung des Wildvogelzuges, um eine Einschleppung der Vogelgrippe durch Wildvögel zu vermeiden. In diesem Zusammenhang muss ich noch einmal darauf hinweisen - wir haben es heute schon kurz angeschnitten -, dass es nicht hilfreich ist, wenn in großen deutschen Magazinen die Situation im Hinblick auf die Wildvögel als relativ unproblematisch dargestellt wird, während man gleichzeitig erkennen muss, dass sich Erkrankungen in der Nähe der Sammelplätze von Wildvögeln häufen. Insofern bitte ich die Journalisten, etwas vorsichtiger über das Thema zu berichten. Aber ich denke, dass wir mit der Erstellung einer aktualisierten Risikobewertung durch das FriedrichLoeffler-Institut am Monatsende - wonach neu zu entscheiden ist, wie mit der Aufstallung zu verfahren ist auf dem richtigen Weg sind. Das höchste Risiko - der Minister hat es schon angesprochen - besteht bezüglich der Einschleppung des Vogelgrippevirus durch illegale Geflügelimporte. In Köln beispielsweise hat ein Reisender aus der Türkei fünf Gänse im Handgepäck gehabt. Solche Vorfälle sind nicht gerade schön. ({1}) Insofern sind die vorgesehenen Warnhinweise auf den Zollerklärungen ein guter Schritt in die richtige Richtung. Besser wäre aber die Einführung einer EU-weiten Deklarationspflicht, wie sie in ähnlicher Form in den Vereinigten Staaten besteht. Ich bedaure ein wenig - das geht sicherlich vielen Kolleginnen und Kollegen ähnlich -, dass die Europäische Union das Thema bisher sehr zögerlich behandelt. ({2}) Ich bin aber zuversichtlich, Herr Minister, dass Sie in der nächsten Woche das eine oder andere erreichen werden. Denn es sollte uns auch nicht schrecken, Michael Goldmann, wenn plötzlich wesentlich mehr Deklarationen anfallen. Ich denke, wenn es um die Sicherheit und um die Verhinderung illegaler Importe geht, dann kann uns kein Aufwand zu groß sein. Denn andernfalls haben wir vielleicht keine Chance, das Vogelgrippevirus von Deutschland fernzuhalten. Ich möchte zum Abschluss kurz die Geberkonferenz in Peking ansprechen, die ich begrüße. Insofern hat die Bundesregierung unsere Unterstützung. Wir unterstützen auch, dass in Deutschland zusätzliche Mittel für Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Das wird in der Diskussion häufig vergessen. Erstaunt hat mich in dem Bericht des FriedrichLoeffler-Instituts die Bewertung, dass die Situation in der Türkei immer noch unübersichtlich ist. Umso begrüßenswerter ist es, dass die Institute selber Experten in die Türkei und nach Rumänien schicken werden - Ihre heute gestellten Fragen sind schon längst beantwortet worden, Frau Tackmann -, ({3}) um die Situation vor Ort zu untersuchen. Wenn wir gemeinsam die Bundesregierung und die Landesregierungen unterstützen, mit ihren Maßnahmen fortzufahren, dann haben wir eine gute Chance, das Virus von Deutschland fernzuhalten. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum reden wir heute in der Aktuellen Stunde im Bundestag über die Vogelgrippe? Es ist noch kein Mensch in oder aus Deutschland an dem Virus H5N1 gestorben. In Deutschland ist noch nicht einmal ein Tier daran zugrunde gegangen. ({0}) - Ja, vielleicht ist es die Angst um den Adler. Aber das Thema hat einen durchaus ernsten Hintergrund; sonst würden wir heute nicht darüber reden. Viele Experten gehen nämlich davon aus, dass es alle 50 Jahre eine so genannte Pandemie gibt, indem zum Beispiel ein Tiervirus auf den Menschen überspringen bzw. von einem Menschen auf andere Menschen übertragen werden kann, und zwar mit tödlicher Wirkung, und dass von dem Virus H5N1 vielleicht eine solche Mutation ausgehen könnte. Das ist der eigentliche Grund, warum wir heute über dieses Thema reden. Wir reden nicht über die normalen Grippeviren, an denen jedes Jahr immerhin 15 000 bis 20 000 Menschen in Deutschland sterben. Die normalen Grippeviren haben nach allgemeiner Einschätzung nicht das Potenzial des Virus H5N1. Es geht also darum, diese Pandemie, die auf uns zukommen könnte, zu verhindern. Um 1918 brach bei uns die Spanische Grippe aus. Damals sind rund 60 Millionen Menschen gestorben. 1998 gab es eine weitere Pandemie, allerdings mit weitaus geringeren Auswirkungen. Der erste Punkt ist die Prävention; das haben bereits mehrere Vorredner gesagt. Wir müssen dafür sorgen, dass die Vogelgrippe erst gar nicht zu uns kommt. Dabei sollten wir übrigens die wirtschaftliche Bedeutung nicht außer Acht lassen; denn wenn die Vogelgrippe erst einmal ausgebrochen ist, ist sie in erster Linie nicht für die Menschen, jedenfalls nicht für die normalen Verbraucher gefährlich. Vielmehr verursacht sie zuerst einen großen wirtschaftlichen Schaden. Ein wesentlicher Punkt ist also: Wir müssen verhindern, dass Geflügelfleisch, Federn und ähnliche Materialien illegal importiert werden. Das ist momentan die Hauptgefahrenquelle. Deshalb dürfen wir nicht nur an den Außengrenzen kontrollieren. Vielmehr sollten wir bereits in den betroffenen Gebieten der Türkei - die Besucherströme unserer türkischen Freunde in Richtung Deutschland sind sehr stark -, aber auch Rumäniens und der Ukraine Informationspolitik machen. Das wäre viel wirkungsvoller, als an den deutschen Außengrenzen jeden hundertsten Transporter abzufangen und zu kontrollieren. ({1}) Herr Goldmann, wichtig ist ebenfalls, dass wir in keiner Weise ideologisch sind. Eine Zeit lang galt der Vogelflug als einzige Gefahrenquelle für eine Übertragung. Das gilt nun nicht mehr; das wissen wir. Der Vogelflug kann sicherlich gefährlich sein und eine Aufstallung notwendig machen, keine Frage. Aber momentan sind die Hauptgefahrenquelle illegale Fleischtransporte. Der erste Punkt ist also die Abwehr bzw. die Verhinderung, dass das Virus zu uns kommt. Wir haben es schon einmal geschafft, ein anderes Vogelgrippevirus, H7N7 - mit verheerenden Folgen in den Niederlanden -, relativ gut abzuwehren. Diesmal bin ich allerdings skeptischer; denn das jetzige Virus ist an vielen Stellen aufgetreten. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu uns kommt, relativ groß. Der zweite Punkt ist: Wenn das Virus bei uns angekommen ist, muss es sofort eingedämmt werden. Der dritte Punkt ist: Wenn es zu einer Pandemie kommen sollte, dann muss versucht werden, ganz schnell einen Impfstoff zu finden. Frau Heinen und Herr Priesmeier, leider wird in der Türkei zurzeit schon darüber diskutiert, ob das Virus ein Stück mehr mutiert ist und quasi näher am Menschen ist als bisher. Man hat nämlich infizierte Kinder gefunden, die nicht erkrankt sind. Nun hat man Angst, dass der Mensch als Wirt stärker zur Verbreitung des Virus beiträgt und dass sich das Virus innerhalb des Menschen anpasst. Das ist durchaus eine Entwicklung, die wir sorgfältig verfolgen müssen. Was mich heute eher beunruhigt hat, ist, dass der Föderalismus in diesem Punkt nicht hilfreich ist ({2}) - wir müssen sehen, wie wir diese Schwäche ausgleichen können - und dass man auf Bundesebene nicht genau weiß, welche Mengen an Impfstoffen die einzelnen Bundesländer - für 5 Prozent oder für 20 Prozent der Bevölkerung - eingelagert haben. Ich finde es ebenfalls beunruhigend, zu wissen, dass in einem Bundesland Impfstoffe für nur 5 Prozent der Bevölkerung und in einem anderen für 20 Prozent der Bevölkerung vorhanden sind. Hat die Bevölkerung in dem einen Bundesland, in dem nur für 5 Prozent der Bevölkerung Impfstoffe eingelagert sind, kein Recht darauf, dass Impfstoffe für 20 Prozent der Bevölkerung vorgehalten werden? Solche Fragen müssen generell geklärt werden. Momentan gibt es auf Bundesebene keine Informationen darüber, wie die Pandemiepläne auf Landesebene umgesetzt werden sollen; das finde ich nicht in Ordnung. Das müssen wir aber wissen. ({3}) Letzter Satz. Dass es sich um eine Gefahr handelt, wissen wir. Aber um eine Gefahr bekämpfen zu können, ist entscheidend, dass wir die Gefahr erkennen. Deshalb sage ich: Gefahr erkannt und Gegenmaßnahmen erarbeitet bedeutet, dass die Gefahr nur noch halb so groß ist. Keine Panik und keine Hysterie, wohl aber Wachsamkeit! Wir müssen nun die Defizite aufzeigen und dann daran arbeiten, sie zu beseitigen, bevor die Pandemie da ist. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Höhn, nach meiner Erfahrung haben Sie als Mitglied des Bundesrates an dieser Stelle schon gesprochen, aber als Mitglied des Hauses heute zum ersten Mal. Dazu gratuliere ich Ihnen. ({0}) Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Tatsache, dass wir heute über die Vogelgrippe diskutieren, hat etwas damit zu tun, dass aufgrund der erstmaligen Erkrankung von Menschen außerhalb Asiens, in der Türkei, das Vogelgrippevirus für viele Menschen in diesem Lande näher gekommen ist und dass man sich nun damit ernsthafter und intensiver beschäftigt. Die WHO hat in der Türkei Infektionen bei 20 Menschen - das ist eine große Anzahl - festgestellt, darunter vier tödlich verlaufene Erkrankungen bei Kindern. Ich kann vorab sicher auch in Ihrem Namen sagen, dass den betroffenen Familien und den Freunden dieser Menschen das Mitgefühl der Bundesregierung und des ganzen Hauses gilt. Für die Menschen in Deutschland ist die Vogelgrippe damit näher gerückt. Frau Tackmann, an solchen Punkten stellen sich folgende Fragen: Müssen wir die Strategie, die die Bundesregierung bisher eingeschlagen hat, ändern? Hat sich etwas hinsichtlich der Einschätzung geBundesministerin Ulla Schmidt ändert, ob Menschen stärker gefährdet sind oder nicht? Müssen wir unsere Vorbereitungen auf eine mögliche Pandemie anpassen oder müssen wir neue Wege gehen? Das sind die Fragen, über die wir mit den Experten, die wir Gott sei Dank in Deutschland haben, diskutiert haben. Wir haben international anerkannte Expertinnen und Experten im Robert-Koch-Institut, im Paul-EhrlichInstitut und auch im Friedrich-Loeffler-Institut. Die Diskussion mit diesen Experten hat gezeigt - das wird durch die Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation und der europäischen Institutionen gestützt -, dass es keine neue Gefährdungssituation gibt. Alle Experten sagen, dass es aktuell keine Gefährdung der Bevölkerung gibt. Das „aktuell“ bezieht sich darauf, dass niemand von uns wissen kann, ob in einigen Jahren eine andere Entwicklung eintreten wird. Klar ist heute: Es gibt keine Hinweise, dass es bisher irgendwo eine Infektion von Mensch zu Mensch gegeben hat. Es gibt klare Hinweise darauf, dass alle infizierten Personen, auch die in der Türkei, engen Kontakt zu erkranktem Geflügel hatten. Die Krankheit grassierte schon eine ganze Weile unter dem Geflügel in der Türkei, ohne dass wirklich wirksame Maßnahmen getroffen worden wären. Deshalb haben Kinder mit infiziertem Geflügel gespielt. Es handelt sich nicht um eine beginnende Pandemie. Das, was Sie, Frau Kollegin Höhn, angesprochen haben, nämlich dass es bei einem Virusisolat in der Türkei eine Anpassung des Virus gegeben hat, ist kein isolierter Fall. Die gleiche Mutation hat es 2003 in Hongkong und 2005 in Vietnam gegeben. Daher tun wir gut daran, mit den Mitteln und den Fachkräften, die wir haben, weiter die Entwicklung auf europäischer und internationaler Ebene zu beobachten. Wir müssen innerhalb der G-7Staaten plus Mexiko und der gesamten Europäischen Union alles Wissen austauschen und dafür sorgen, dass wir vorbereitet sind und dass wir Maßnahmen treffen, die der jetzigen Situation angemessen sind. Daran, dass es keine Reisebeschränkungen gibt, sehen Sie, dass es keine Gefährdung der Bevölkerung gibt. Das, was wir aber tun und was richtig ist, ist, dass wir Warnungen aussprechen und die Menschen auffordern, in fremden Ländern die Geflügelmärkte zu meiden, überhaupt den Kontakt zu Geflügel zu vermeiden, weil man nie weiß, ob ein Tier infiziert ist oder nicht. Wir fordern die Menschen auf, kein halbgares Geflügelfleisch zu essen, sondern nur wirklich durchgebratenes oder gekochtes Geflügel, weil ansonsten ein Restrisiko besteht. Auch wenn es heute keine aktuelle Gefährdung gibt, kann ich sagen: Die Bundesregierung hat alles getan und tut alles - soweit das überhaupt in unseren Kräften steht -, um Maßnahmen zu ergreifen, die eine Ausbreitung und damit eine Gefährdung der Bevölkerung verhindern. Wir nehmen die Risiken, die es gibt, sehr ernst und wir treffen Vorkehrungen. Sie haben Recht, Frau Kollegin Höhn, es gibt eine lange Diskussion zwischen Bund und Ländern. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie uns bei dem, was wir wollten, stärker unterstützt hätten, als Sie noch in einer Landesregierung Verantwortung trugen; ({0}) denn das ist ein langer Kampf gewesen. Ich habe diesen Kampf geführt. Es geht darum, dass die Länder ihre Verantwortung wahrnehmen, auch die finanzielle, und es geht darum, dass wir genau festlegen, was Bund, Länder und Gemeinden tun müssen. Erstens. Wir haben gemeinsam, einen Pandemieplan entwickelt. Das, was hier in Deutschland entwickelt wurde und was wir auf den Weg gebracht haben - es basiert auf Erkenntnissen von Experten des Robert-KochInstituts -, ist international anerkannt. Ich wiederhole: Es ist international anerkannt und es hat in der Europäischen Union auch Vorbildcharakter. Jeder versucht, auf seiner Ebene Verantwortung wahrzunehmen. Auf den theoretischen Fall - ich hoffe, es bleibt ein theoretischer Fall; jeder von uns hofft das -, dass sich aus dem Vogelgrippevirus und einem anderen Virus ein neuer Typus bildet, der für den Menschen gefährlich ist, sind Bund und Länder vorbereitet. Die Bevölkerung kann geschützt werden. Die Länder haben - das wissen wir - in eigener Verantwortung unterschiedliche antivirale Mittel angeschafft. Sie sind dabei, ihre Bestände zu vervollständigen. Es ist bekannt, dass es um die Arzneimittel Tamiflu und Relenza geht. Diese Arzneimittel können zwar nicht heilen, aber den Krankheitsverlauf mildern. Wir halten es für notwendig, dass diese Medikamente zur Verfügung stehen. Eines weiß jeder: Letztlich hilft nur ein Impfstoff. Aber dieser Impfstoff kann erst entwickelt werden, wenn dieses Virus entstanden und erforscht ist. Deswegen müssen wir für die erste Phase auch hier einen Schutz aufbauen. Das tun die Länder. Gemeinsam mit den Ländern werden die Informationssysteme gestärkt, sodass klar ist, wie die Verantwortlichen auf den verschiedenen Ebenen im Falle des Falles - wir alle hoffen, dass er nie eintritt - aktiv werden können. Zweitens. Die Bundesregierung trifft die entsprechenden Vorbereitungen, damit im Falle des Falles ein Impfstoff hergestellt werden kann. Wir geben über 20 Millionen Euro aus, damit die anstehende Zulassung des Prototyps gefördert wird. Wenn die Entstehung eines solchen Virus bekannt ist, dann sind wir innerhalb von drei bis sechs Monaten in der Lage, einen Impfstoff herzustellen, der die gesamte Bevölkerung schützt. Wir führen Verhandlungen und haben Verträge abgeschlossen, damit für die gesamte Bevölkerung genügend Impfstoff vorhanden ist, um eine zweimalige Durchimpfung zu organisieren. Das ist dann der beste Schutz, den wir den Menschen anbieten können. Drittens. Das Robert-Koch-Institut verstärkt die epidemiologische Überwachung. Wir unterstützen es dabei auch finanziell, damit man das, was Sie angesprochen haben, organisieren kann. Viertens. Das Robert-Koch-Institut hat eine Kommunikations- und Informationsstrategie entwickelt, die nicht nur die Fachleute - Ärzte und andere -, sondern auch die Nichtfachleute in vorbildlicher Weise und in einer verständlichen Sprache informiert, damit jeder so viel Schutz bekommen kann, wie eben möglich ist. Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir haben es mit einer Tierseuche zu tun, die unter extrem ungünstigen Verhältnissen auf Menschen übergehen kann. Wir können solche Krankheitsfälle bei frühzeitiger Behandlung heilen. Unser Land verfügt über einen Pandemieplan, der Bund und Ländern konkrete Aufgaben zuweist. Diese Aufgaben werden erfüllt. Dieser Plan gewährt den bestmöglichen Schutz. Deutschland verfügt mit den Fachleuten des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts über international anerkannte Experten, die auch weltweit zum Einsatz kommen. Alle Fachleute stehen miteinander in Kontakt. Die Kooperation des Personals in den Krankenhäusern, der Ärzte, der Notfalleinrichtungen und der Rettungsdienste - sie werden das Rückgrat bilden, wenn ein Einschreiten notwendig ist - ist organisiert. Das ist für uns kein Ruhekissen. Wir arbeiten auf diesem Gebiet weiter. Ich glaube, dass man mit Recht sagen kann: Wir sind auf einem guten Weg. Wir investieren viel Geld in diesen Bereich. Ich hoffe, dass das, was wir hier vorbereiten, niemals zur Anwendung kommen muss. Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Meldung hat mich heute schon recht erstaunt, und zwar die Einschätzung der EU-Kommission, dass es sich bei der Vogelgrippe zurzeit um die gefährlichste Seuche - vor BSE! - handelt. ({0}) Gerade wenn man sich die Bilder von der BSE-Hochzeit vor Augen führt, möchte man an Weiteres gar nicht denken. Es gibt wie immer zwei Seiten. Man muss die Balance finden und das Ganze im Lot halten. Auf der einen Seite gilt es, Panikmache zu vermeiden und den Ball, umgangssprachlich ausgedrückt, etwas flacher zu halten, damit die Hysterie nicht zu groß wird. Auf der anderen Seite wollen wir aber auch informieren, wollen wir gewappnet sein und nicht überrascht werden. Deshalb halte ich die Kritik an dieser Aktuellen Stunde, die von den Oppositionsfraktionen - sicherlich nur subtil - anklang, für nicht gerechtfertigt. ({1}) Wenn ich mir überlege, zu welchen Themen wir schon Aktuelle Stunden gehabt haben - ich nehme auch meine Fraktion da nicht aus -, muss ich sagen, dass diese hier einer Glanzdebatte wert ist. Die Aktuelle Stunde ist deshalb heute angebracht, weil es darum geht, zum einen den Wissensdurst der Bevölkerung zu stillen und die Unsicherheit der Bevölkerung abzubauen, zum anderen aber sich auch nicht zurückzulehnen. Wir kennen das doch: Auch wenn irgendeine Krise auf Hochtouren gelaufen ist und in den Medien entsprechend durchgearbeitet worden ist, glaubt man schon drei Wochen später, es sei wieder alles in Ordnung. Wenn der Verzehr von Fleisch in den Keller gefallen ist, dauert es nur ein paar Wochen, bis er wieder auf dem Stand ist, auf dem er vorher war. Es geht also darum, sich nicht zurückzulehnen, sondern mitzudenken und auch selbst vorsichtig zu sein. Unsere Bevölkerung darf es nicht allein den staatlichen Behörden überlassen, Vorsicht walten zu lassen; auch man selbst soll Vorsicht walten lassen. Wir haben in Deutschland bisher das richtige Maß zwischen Information und Vermeidung von Panikmache gefunden. Auf jeden Fall muss jeder Verdachtsfall ernst genommen werden. Was an Deutschlands Grenzen und in den Herkunftsländern geschehen soll, wurde schon zur Genüge dargestellt. Noch einmal zur Deklarationspflicht oder zu dem Ansinnen des Ministers, dass die Deklaration auch schon vor Ort durchgeführt wird: Da gibt es ein Verständnisproblem der FDP. Es geht nicht um 400 Millionen zusätzliche Formulare, wie Herr Staatssekretär Müller heute Morgen erwähnt hat. ({2}) Deshalb schlagen wir auch vor, nicht ein Extraformular zu erarbeiten, sondern das mit in die Zollerklärung hineinzunehmen. Insofern gibt es zwei Wege. Wir würden dann schon gern den unbürokratischeren Weg wählen, lieber Herr Kollege Goldmann. Denn wenn ich etwas unterschreiben muss, etwas deklarieren muss, hat das schon eine besondere Dimension. Dem einen oder anderen geht es so, wenn er in die USA fliegt. Man überlegt sich dann doch noch einmal: Hat man etwas Bestimmtes dabei, möglicherweise auch im Handgepäck? - Wenn ich etwas unterschreibe und noch einmal darauf hingewiesen werde, was gefährlich sein kann oder nicht importiert werden darf, dann ist das gut. Dazu ein Beispiel. Ein Flughafenkontrolleur erzählte mir: Die so genannten Traumfänger - mit Federn dran werden oft unbehandelt verwendet, zu Spielzeug weiterverarbeitet und vertrieben. Gerade die sind Überträger. Daran denkt man oft gar nicht. Deshalb kann es sehr sinnvoll sein, dass man bei einer Deklaration, bei einer Unterschrift noch einmal darauf hingewiesen wird. Wichtig ist, dass wir zügig handeln. Ich finde das Ergebnis der Länderrunde mit unserem Minister Seehofer, an der auch Abgeordnete teilnehmen durften, sehr erfreulich. Die Länder haben sich mit dem Minister sehr zügig einigen können. Wir haben also weder ein Erkenntnis- noch ein Krisenmanagementproblem. Es ist klar, was gemacht werden muss. Es ist auch klar, dass die Bundesländer intensiv zusammenarbeiten müssen und dass das koordiniert werden muss. Es ist ebenfalls klar, dass sie sich absprechen müssen. ({3}) Wir wissen ja, dass das Virus keine Rücksicht auf den Föderalismus nehmen wird. Auf Unstimmigkeiten wird das Virus auch keine Rücksicht nehmen. Insofern sollte da, wo doch noch einige Animositäten oder Zögerlichkeiten bestehen, gemeinsam koordiniert werden; letztlich sollten dem Bund die Daten weitergegeben werden. ({4}) - Herr Kollege Goldmann, ich glaube, Sie haben die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir sind in der Aktuellen Stunde und da gibt es keine Zwischenbemerkungen.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das war auch mehr rhetorisch gemeint.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielleicht können Sie sich ja anschließend darüber auseinander setzen. In der Aktuellen Stunde geht das nicht. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es hilft also wenig, wenn Deutschland optimal gerüstet ist. Es geht auch darum, dass in den Herkunftsländern - wir sind nun einmal kein abgeschottetes Land und das ist auch gut so - informiert wird, Prävention betrieben wird und Hygienevorschriften eingehalten werden. Aber man kann, wenn man nach Rumänien oder in die Türkei blickt, auch feststellen, was bei den Beitrittskandidaten noch zu tun ist, wenn sie zum Beispiel bezüglich dieser Präventionsmaßnahmen auf das Niveau der Europäischen Union gebracht werden sollen. Eines ist auch klar: Die Kontrollen an den Flughäfen können immer nur Stichproben sein. Eine hundertprozentige Kontrolle wird es bei 80 Flügen täglich aus den betroffenen Ländern nach Frankfurt wohl nie geben. Innerhalb von vier Wochen wurde 600-mal illegal importiertes Geflügel festgestellt. In Belgien wurden zwei infizierte Adler aus dem Verkehr gezogen. Die Kontrolldichte muss also sicherlich erhöht werden; auch die Sensibilität muss steigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Klöckner, denken Sie bitte an die Zeit.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende. - Ich würde gerne noch eines mit Blick auf die Länder lobend erwähnen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Sie haben die Zeit schon weit überzogen. Ich bitte, jetzt zum Schluss zu kommen.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann möchte ich auf die Informationshotlines der Länder hinweisen. Sie sind nämlich sehr gut, vor allen Dingen die von Bayern und von Baden-Württemberg; andere Länder könnten da noch nachziehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann von der SPD-Fraktion.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten Fälle von Vogelgrippe in der Türkei haben zu Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Das Virus, das bis vor kurzem nur im fernen Asien auftrat, hat inzwischen Europa erreicht. Das ist der Grund, warum wir heute Morgen in den Fachausschüssen darüber diskutiert haben und das jetzt auch hier tun. Die Verunsicherung ergab sich vor allem deshalb, weil sich Menschen mit dem Virus infiziert haben und einige daran gestorben sind. So entstand bei manchem der Eindruck, dass es sich um eine für den Menschen hoch ansteckende, gefährliche Seuche handelt. Das ist aber bislang nicht der Fall. Das Vogelgrippevirus H5N1 bleibt trotz der Infektionsfälle in der Türkei in erster Linie eine Tiererkrankung. Es kann nur dann übertragen werden, wenn Menschen in direkten, intensiven Kontakt mit Geflügel kommen, wie es in einzelnen Fällen in der Türkei leider geschehen ist. Für eine Übertragung von Mensch zu Mensch - das ist heute hier schon gesagt worden; ich will es aber noch einmal betonen - gibt es bislang keine Anhaltspunkte. Ich warne deshalb vor Panikmache. Dennoch müssen wir uns auf mögliche Pandemien vorbereiten. Eine solche für Menschen gefährliche Pandemie kann durch eine Mutation des Vogelgrippeerregers entstehen. Dieses dann neuartige Virus, das wir jetzt noch gar nicht kennen, kann sich in der heutigen sehr mobilen Welt sehr rasch ausbreiten. Diese Tatsache dürfen wir nicht verharmlosen. Sie bedarf unserer hohen Aufmerksamkeit. Die Einschätzung der Experten im Fachausschuss heute Morgen war aber auch: Wir sind zurzeit besser auf eine solche mögliche Pandemie vorbereitet als je zuvor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit Deutschland einer möglichen Pandemie begegnen kann, wurden in den letzten Monaten einige Vorkehrungen getroffen; es ist schon gesagt worden. Beim Robert-Koch-Institut wurde mit Beteiligung der Länder und des Bundesge694 sundheitsministeriums ein nationaler Influenzapandemieplan erarbeitet. Er bildet die wissenschaftlich fundierte Grundlage für eine bundesweit koordinierte Vorbereitung auf eine Influenzapandemie. Ein wichtiges Kernstück des Plans ist die Forderung an die Bundesländer - denn die Seuchenabwehr liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer; das ist hier schon mehrfach erwähnt worden -, sich ausreichend mit antiviralen Substanzen, den so genannten Neuraminidasehemmern, zu bevorraten. Jetzt ist es entscheidend, dass die Länder der gemeinsam erarbeiteten Empfehlung im Pandemieplan folgen und sich mit der empfohlenen Menge an antiviralen Substanzen bevorraten bzw. Verträge zur Bevorratung abschließen. Diese Medikamente - das ist bereits angeklungen - sollen den Zeitraum zwischen dem Auftreten des Virus und der Verfügbarkeit eines wirksamen Impfstoffes überbrücken. Denn die Krux ist: Man kann einen Impfstoff für einen neuartigen Erreger erst nach Auftreten dieses Erregers herstellen. Um die Entwicklung eines neuen Impfstoffes zu beschleunigen, hat die vorige Bundesregierung 20 Millionen Euro für die Entwicklung eines Prototypimpfstoffes zur Verfügung gestellt. Zwei in Deutschland ansässige Unternehmen sollen einen solchen Prototyp entwickeln, der innerhalb kürzester Zeit an ein Pandemievirus angepasst und auch schnell, also in drei bis sechs Monaten, für die gesamte Bevölkerung hergestellt werden kann. Ende letzten Jahres wurde bei der EMEA in London die erste Zulassung für einen solchen Prototypimpfstoff beantragt. Dieser Antrag ist zurzeit in der Bearbeitung. Die derzeit wichtigste Maßnahme besteht darin, die Tierseuche an ihrer Verbreitung möglichst effizient zu hindern. Das momentan größte Risiko ist und bleibt - das haben wir heute Morgen mehrfach gehört - die Einschleppung der Vogelgrippe nach Deutschland durch Menschen selbst, bewusst oder unbewusst. Ich will gar nicht immer eine kriminelle Absicht unterstellen. Denn man kann beispielsweise ungewollt Tierfedern am Körper mit sich führen. Deshalb müssen die Kontrollen an den Flug- und Seehäfen in unserem Land verstärkt werden. Ich persönlich halte bei Einreise in die EU auch eine Deklarationspflicht in Form einer verbindlichen zusätzlichen Zollerklärung an den EU-Außengrenzen für höchst sinnvoll. Wir kennen ähnliche Maßnahmen von der Einreise in die USA. Wir haben ein Bündel von Maßnahmen ergriffen, um uns auf eine mögliche Pandemie vorzubereiten. Ich will es noch einmal sagen: Heute Morgen wurde die Einschätzung geäußert, dass wir zurzeit besser vorbereitet sind als je zuvor. Dennoch sind einige im Pandemieplan vorgesehene Maßnahmen wie die Bevorratung mit antiviralen Substanzen noch nicht im vollen Umfang umgesetzt. Hier sind - das will ich deutlich sagen - die Bundesländer gefordert, die gemeinsam vereinbarten Maßnahmen zügig umzusetzen und auch die vereinbarten Zielmengen zu erreichen. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Jahr von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Peter Jahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003560, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade in unserer Mediengesellschaft kann man am Beispiel der Vogelgrippe verdeutlichen, dass mehr Information nicht gleichbedeutend ist mit besserer Information. ({0}) Die Medien tendieren zu einer Überzeichnung. Was manchmal auf der Strecke bleibt, sind die angemessenen notwendigen Maßnahmen. Dieses Spiel der medialen Kräfte konnte ich gestern bei einer Fernsehsendung zum Thema Vogelgrippe gut beobachten. Positiv zu verzeichnen waren die Meinungen der geladenen Experten, die aber im großen Widerspruch zu den eingespielten Kurzfilmen standen. Daran schlossen sich Zuschauerfragen an, wie zum Beispiel: „Darf ich denn mein Kind noch draußen spielen lassen, wo doch schon unsere Hühner weggesperrt werden müssen?“ oder „Muss ich meine Katze töten lassen, wenn sie mal einen Vogel gefangen hat?“ - Wir lachen zwar jetzt darüber. Aber es handelte sich um ernsthafte Fragen von Bürgerinnen und Bürgern an die Experten. Aus meiner Sicht wohltuend wurden fast alle Fragen zunächst mit den Vorbemerkungen beantwortet: Erstens. Es handelt sich um eine Tierseuche. ({1}) Zweitens. Diese Tierseuche ist noch nicht in Deutschland angekommen. Drittens. Sie können sowohl Ihre Katze als auch Ihre Kinder ins Freie lassen. - Nur der Moderator war mit diesen Antworten sichtlich unzufrieden. Ich bin unserem Bundesminister Seehofer sehr dankbar, dass er durch sein umsichtiges und konsequentes Handeln viele Dinge wieder vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Ich denke, die Bundesregierung ist ihrer Verantwortung voll gerecht geworden. Sie hat die Gefahr adäquat beschrieben und hat angemessen konsequent reagiert. ({2}) Übrigens: Die Gefahr angemessen beschreiben, das heißt auch, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Auch das - so haben wir gehört - tut die Bundesregierung. Die allerwichtigste Erkenntnis ist: Die Vogelgrippe ist und bleibt eine Tierseuche und ist als solche konsequent zu bekämpfen. ({3}) Ich sage das nur deshalb, weil es den Kopf frei macht für die notwendigen Maßnahmen. Dass wir heute im Parlament über die Gefahren der Vogelgrippe in Europa sprechen müssen, zeigt doch vor allem eines: Wir - damit meine ich die Weltgemeinschaft - haben es eben nicht geschafft, das zu tun, was notwendig gewesen wäre, nämlich die Tierseuche von Anfang an dort konsequent zu bekämpfen, wo sie auftritt. Hätten wir die Vogelgrippe in Asien erfolgreich bekämpft, würde dieses Problem heute nicht existieren. ({4}) Hier haben die westliche Welt und die Sonderorganisationen der UN, aber auch aufstrebende Staaten wie China oder die Türkei die Gefahr anfangs grob oder zumindest fahrlässig unterschätzt. Deshalb begrüße ich die jetzt getroffenen Maßnahmen der Weltgemeinschaft, mit denen Aktionen abgestimmt werden und die Vogelgrippe in Asien gemeinsam bekämpft wird, ausdrücklich. Dabei ist mir aus meiner Kenntnis über die Bedingungen der Haltung von Geflügel im asiatischen Raum deutlich geworden: Es gibt noch einen gewaltigen Unterschied zwischen der so genannten Massen- und der massenhaften Tierhaltung. Wir werden langfristig daran arbeiten müssen, die Bedingungen der Haltung von Geflügel in Asien so zu ändern, dass sie einerseits nicht mehr zwangsläufig Brutstätte von neuen Viruskombinationen sind und dass andererseits die Existenzgrundlagen der dortigen Bevölkerung nicht gefährdet werden. Ich denke, das ist die eigentliche Herausforderung für die Zukunft. Noch eine Bemerkung sei mir an dieser Stelle gestattet. Ich denke, auch die Achtung vor der Schöpfung sollte uns dazu bringen, bei notwendigen Seuchenbekämpfungsmaßnahmen angemessene Verfahren für die Tiere anzuwenden. ({5}) Ich bin übrigens den Medien dankbar, dass sie nicht all das zeigen, was in Asien in diesem Zusammenhang stattgefunden hat. Man muss aber offen einräumen: Die Vogelgrippe verfügt natürlich über gefährliche Sonderpotenziale. Erstens. Sie ist global, weil der Erreger neben dem klassischen Ausbreitungsinstrument, nämlich dem Flugzeug und dem Menschen, über das globale Transportmittel „Zugvögel“ verfügt. Zweitens. Die aktuelle Vogelgrippe wird durch einen besonders aggressiven Virenstamm, die so genannte H5N1-Kombination, hervorgerufen. Die wenigen Übertragungen von Tier zu Mensch sind von einer hohen Letalitätsrate geprägt. Drittens. Dieser Erregerstamm hat das Potenzial, so zu mutieren, dass er auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Was ist zu tun? Erstens. Die Vogelgrippe ist als Tierseuche dort zu bekämpfen, wo sie entsteht. Die Ausbreitung ist zu verhindern. Zweitens. Die Bedingungen der Haltung von Geflügel in Asien sind so zu verändern, dass das Entstehen von Tierseuchen nicht begünstigt wird. Drittens. Das Fünfpunkteprogramm der Bundesregierung ist konsequent umzusetzen. Verbesserungswürdig sind - das ist mehrfach gesagt worden - die Kontrollen an Flughäfen und an den EU-Außengrenzen. Viertens. Die Pandemiepläne für Deutschland und die EU sind weiter zu präzisieren. Fünftens. Wir treten für eine angemessene, faktenbezogene Informationspolitik ein. Denn Fakt bleibt: Wenn wir die Vogelgrippe erfolgreich bekämpfen, dann besteht auch keine Gefahr für den Menschen. Danke schön. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira DrobinskiWeiß von der SPD-Fraktion.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin heute eine der letzten Rednerinnen in dieser Aktuellen Stunde. Wundern Sie sich also nicht, wenn es in meiner Rede Aussagen gibt, die Sie heute möglicherweise schon gehört haben. Die Weltgesundheitsorganisation informiert regelmäßig über die Zahlen der Verdachtsfälle auf Infektionen mit H5N1, über die laborbestätigten Infektionen bei Menschen, aber auch über die Anzahl der inzwischen an Vogelgrippe verstorbenen Personen. Gerade vor dem Hintergrund der Ausbreitung des Virus in der Türkei, also direkt an der EU-Grenze, wächst natürlich auch in der deutschen Bevölkerung die Besorgnis. Deshalb ist es nachvollziehbar und wichtig, wenn sich Reisende, aus der Türkei kommend und über grippeähnliche Symptome klagend, vertrauensvoll an ihren Arzt wenden. Zum Glück waren es, wie sowohl in Belgien als auch in Deutschland in der vergangenen Woche geschehen, bisher Fälle, bei denen sich der Verdacht auf Vogelgrippe nicht bestätigte. Möglicherweise wird sich die Anzahl dieser Untersuchungen erhöhen. Denn wir haben die jährliche Grippesaison noch nicht erreicht; sie steht uns noch bevor. Deswegen bitte ich speziell die Verantwortlichen in den Medien, mit den Informationen über diese Krankheit verantwortungsvoll umzugehen; auch darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden. In den Vordergrund der Informationspolitik sowohl der Bundesregierung und der Länder als auch der Medien und zum Beispiel der Reisebüros muss die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher darüber, was die Vogelgrippe ist, gestellt werden. Wir reden ständig davon, aber ich könnte mir vorstellen: Wenn wir Menschen fragen würden, wie sich denn diese Krankheit im Einzelnen darstellt, hätten viele Schwierigkeiten mit der Antwort. Wir müssen deutlich machen, wie wir uns vor einer Infektion mit diesem Virus schützen können. Hier denke ich an Reiseanbieter, Reisebüros und Fluggesellschaften, die beispielsweise zur Verteilung entsprechender Info-Materialien verpflichtet werden sollten. Auch Folgendes könnte ich mir vorstellen: Sie kennen das ja, dass man während des Fluges Sicherheitshinweise bekommt. Das ist ja jedes Mal der gleiche Vorgang. Man könnte diese Möglichkeiten nutzen und die Menschen, die nicht lesen - das sind mehr, als wir glauben -, zumindest über das Bild informieren. Das wäre doch eine Überlegung wert. Die Vogelgrippe ist eine für Hausgeflügel extrem ansteckende Krankheit. Es liegen nach Angaben der WHO jedoch keine Hinweise darauf vor, dass das Virus seine Übertragbarkeit erhöht hätte oder von Mensch zu Mensch übertragbar wäre. Weder die WHO noch das Auswärtige Amt sprechen gegenwärtig Warnungen vor Reisen in die betroffenen Länder aus. Sie haben hier auch schon einfache Vorsorgeempfehlungen gehört, etwa dass man eben keine Geflügelmärkte besuchen oder dass man weder Fleisch noch die berühmten Federn mitbringen soll. Das muss ich nicht weiter ausführen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland besteht nach dem heutigen Wissensstand jedoch keine Gefahr. Der direkte Kontakt mit infiziertem Geflügel ist der einzige Weg, auf dem das Virus vom Geflügel auf den Menschen übertragen werden kann. Nun folgt in meinem Manuskript eine Liste mit Maßnahmen vor allem hygienischer Art, mit denen man die Übertragung verhindern kann. Ich denke, Sie sind darüber informiert; ich werde das jetzt nicht weiter ausführen. Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass es zu keiner ungerechtfertigten Panik kommt. Denn nichts ist so ansteckend wie die Angst. Mit diesem Satz hat heute Morgen die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses die Sitzung begonnen. Die Bundesregierung verstärkt gemeinsam mit den Ländern und in Zusammenarbeit mit den Fachleuten die Schutzmaßnahmen gegen die Vogelgrippe. Ähnlich wie es bei uns eine Arbeitsgruppe der zuständigen Länderminister gibt, sollte auch auf EUEbene eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet werden. Ich habe den Eindruck, dass es in der Bundesrepublik das Problem des Föderalismus gibt. Mir ist aber heute Morgen auch deutlich geworden, dass die Länder Europas in dieser Beziehung noch viel zu wenig gemeinsam in die gleiche Richtung gehen. Nötig sind ein gezieltes Vorgehen und die schnelle Klärung solcher Fragen wie der Verstärkung der Kontrollen an den EUAußengrenzen und der stärkeren Überwachung nicht nur des Flugverkehrs, sondern auch des Auto- und Busverkehrs und des Seewegs, den wir eigentlich immer vergessen. In einer globalisierten Welt müssen auch die Probleme gemeinsam angegangen werden: Zur Unterstützung vor Ort werden im internationalen Kampf gegen das Virus deutsche Veterinäre, Virologen und andere Experten in von der Vogelgrippe betroffene oder bedrohte Länder geschickt. Das haben wir heute Morgen bereits im Ausschuss gehört. Die Betreffenden werden in den entsprechenden Instituten bei uns in der Bundesrepublik in Schnellkursen fit gemacht. Die EU-Kommission hat ihre Hilfszusagen für die Bekämpfung aufgestockt; die Weltbank hat 410 Millionen Euro freigegeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das tue ich. - Unsere Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat bekannt gegeben, dass 8 Millionen Euro an Zahlungen allein an Indonesien und Vietnam geleistet worden sind. Das ist wichtig. Denn Krankheiten wie die Vogelgrippe machen uns auf erschreckende Weise klar, wie abhängig wir voneinander sind: Es geht nicht nur um uns, nicht nur um Europa; es geht um uns alle. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann-Josef Scharf von der CDU/CSU-Fraktion.

Hermann Josef Scharf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003876, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit es uns Menschen gibt, sind wir von ansteckenden Krankheiten und Seuchen bedroht. Die Pest, die Cholera oder die Malaria dezimierten ganze Gesellschaften. Viele dieser und anderer Krankheiten konnten erforscht und erfolgreich bekämpft werden. Ganz auszurotten waren sie aber nie. Immer neue Erreger forderten die Medizin im weitesten Sinne heraus, so wie 1996, als - sehr weit weg von uns in Südostasien die Vogelgrippe ausbrach, die bis Mitte dieses Monats weltweit circa 80 Menschen das Leben gekostet hat. Bis dato waren es ausnahmslos Fälle, in denen es zu einem direkten Kontakt des Virus mit dem zu bemitleidenden Opfer kam. Vor wenigen Monaten noch weit weg, ist diese Seuche jetzt mit 21 infizierten Fällen und vier toten Kindern in Sichtweite unserer Haustür gerückt. Es mag sein, dass die Türkei als Transitroute von Wandervögeln aus dem Balkan, Sibirien oder dem Schwarzen Meer anfälliger als andere europäische Staaten für die Vogelgrippe ist. Risikoverschärfend wirkt sicherlich die extreme Armut auf dem Land, die viele Menschen zwingt, Geflügel zu halten, um ihre Existenz zu sichern. Über 2 Millionen Tiere wurden bisher in der Türkei getötet. Wir sollten wenigstens kurz innehalten und uns bewusst machen, was dies allein ökonomisch für die dort lebenden Menschen bedeutet. Auch wenn wir alle hoffen, dass sich die Vogelgrippe nicht mehr weiter verbreitet und erfolgreich eingedämmt und bekämpft werden kann, so lässt sich doch nicht mit letzter Gewissheit ausschließen, dass auch wir von dieser Seuche heimgesucht werden. Zur Panik besteht kein Anlass, was uns heute Morgen auch die Experten im Ausschuss gesagt haben, wohl aber zur Vorsicht und zu verantwortungsvollem Handeln. Wer letzte Woche die Fernsehbilder vom Frankfurter Flughafen sah, wo trotz wiederholten Verbots Geflügel oder andere Vögel, Geflügelfleisch, Eier und andere ProHermann-Josef Scharf dukte von Geflügel sowie Federn und unbehandelte Jagdtrophäen eingeführt wurden, dem fehlen schlicht und ergreifend die Worte. Wir müssen an die Menschen appellieren, nicht sich und andere durch unüberlegtes und teilweise egoistisches Verhalten zu gefährden. Alle Vorsichtsmaßnahmen, die ergriffen werden können, müssen auch ergriffen werden. Dazu gehört vor allem, während der Zugvögelzeit unsere Tiere im Stall zu halten und alles zu tun, damit es zu keinem Kontakt mit den fremden Artgenossen kommen kann. Wichtig ist auch, dass wir möglichst alle über die Krankheitssymptome bzw. über die möglichen Ansteckungswege informiert sind. Wohltuend war bisher, wie unaufgeregt unsere Gesundheits- und Seuchenexperten mit dieser für uns noch latent vorhandenen Gefahr umgegangen sind. Sie haben sachlich - ohne Panik zu schüren - aufgeklärt und unter anderem darauf hingewiesen, dass nach dem derzeitigen Wissensstand nur ein direkter Kontakt mit dem Virus zu der nicht immer tödlich verlaufenden Krankheit führt. In diesem Zusammenhang fällt mir die Äsop-Fabel vom Hirtenjungen ein, der seine Mithirten ständig ärgerte, indem er ohne Grund „Wolf“ schrie. Als dann der Wolf tatsächlich die Schafherde angriff und er erneut um Hilfe schrie, reagierte niemand mehr. Für Nichtmediziner oder -seuchenexperten ist es sehr schwer, mögliche Gefahren zu beurteilen und zu bewerten. Anfängliche Forschungen ergaben, dass die Vogelgrippe aggressiver sei als ursprünglich angenommen. Viele Damen und Herren vom Fach sahen die Gefahr einer von Mensch zu Mensch übertragbaren Virusvariante, die eine weltweite Pandemie auslösen könnte. Jetzt allerdings gibt es auch glaubwürdige Berichte, die die Krankheit als nicht so virulent wie ursprünglich angenommen einschätzen. Die Politik darf sich jedoch nicht vom Prinzip Hoffnung oder gar von einem Wunschdenken leiten lassen. Sie muss vielmehr Entscheidungen entsprechend einem breiten, mit Wahrscheinlichkeitsgraden versehenen Gefahrenspektrum treffen. Krisenvorsorge zu treffen heißt in unserer konkreten Situation, im Notfall unsere Bevölkerung ausreichend mit Impfstoff und Medikamenten versorgen zu können. Der zeitliche Verlauf dieser Seuche war lang genug, um ein entsprechendes Krisenmanagement zu organisieren, das sowohl die in eigener Zuständigkeit zu treffenden Entscheidungen auf der jeweiligen Landesebene betrifft wie auch die Koordination zwischen Bundesregierung und Bundesländern. Bisherige Verlautbarungen aus diesen Kreisen schaffen Vertrauen. Ich möchte allen Verantwortlichen für ihren bisher geleisteten Einsatz ein herzliches Wort des Dankes sagen. Es ist sicherlich nicht naiv und leichtfertig, zu behaupten, dass unsere verantwortlichen Stellen alles tun, um die Gefahr, die durch die Vogelgrippe entstehen kann, beherrschbar und so gering wie möglich zu halten. Die Vogelgrippe zeigt uns erneut, wie gefährdet die Menschheit ist bzw. auf diese Art und Weise gefährdet werden kann. Nicht Deutschland allein, sondern die internationale Staatengemeinschaft als Ganzes ist gefordert, von einem reaktiven zu einem präventiven Handeln zu kommen. Hoffen wir, dass wir alle gemeinsam diese und andere Gefahren erfolgreich abwehren und dass die bedauerlichen Schäden begrenzt bleiben. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Scharf, ich habe hinsichtlich der Redezeit die Augen ein wenig zugedrückt; denn es war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu gratuliere ich Ihnen herzlich. ({0}) Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-Fraktion.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Aktuellen Stunde hat es wenig Sinn, über ihre Funktion nachzudenken. Aber ich will sie nutzen, um noch einige Argumente zu nennen, die mir wichtig sind und die in diesem Zusammenhang bedacht werden müssten. Es gibt sehr viele Erkrankungen bei Tieren, von denen der Humanmediziner wenig weiß und von denen er auch nicht viel wissen muss, weil sie für den Menschen nicht gefährlich sind. Es gibt andere Erkrankungen, die für Tiere und Menschen gefährlich sind. Es gibt wiederum Erkrankungen, bei denen Tiere nur Zwischenwirt sind. Die Biologie der Krankheitserreger ist sehr komplex. Es gibt in bestimmten Teilen der Welt Reservoire von Erregern, an die sich die lokale Bevölkerung adaptiert hat, sodass es dort nur in einigen Fällen zu Erkrankungen kommt. Wenn diese Erreger aber in eine andere Humanpopulation kommen, können Krankheiten ausbrechen. All das ist bekannt. Die Vogelgrippe ist gar keine Erkrankung des Menschen; wir sprechen hier von einem Phantom. Es ist ein Phänomen, das wir beobachten und das zu dieser Aktuellen Stunde geführt hat. Es handelt sich um die Theorie, dass eine Erkrankung, die bei Vögeln vorkommt, für den Menschen gefährlich werden kann. Ob Tiererkrankungen für Menschen gefährlich werden, hängt zum einen von der Anzahl der Erreger ab, also der Intensität des Kontaktes, und zum anderen von der Abwehrlage derjenigen, die den Kontakt mit diesen Erregern normalerweise gut aushalten können. Wenn beides in einem Missverhältnis steht, kann man krank werden. Aber das ist in der Medizin schon seit Tausenden von Jahren bekannt. Wenn man eng mit Tieren zusammenlebt und das Immunsystem nicht in Ordnung ist, ist das gefährlich. Dann können auch ganz andere Erkrankungen, die ich gar nicht alle aufzählen kann, auf den Menschen zukommen. Es gibt eine Binsenweisheit in der Epidemiologie, die vor allen Dingen Diagnostikern in der Hygiene bekannt ist, die nachweisen, welche Erreger wo vorkommen. Wenn man untersuchte, wie viele kleine Tierchen der Mensch auf der Haut mit sich herumträgt, würde man staunen. ({0}) Als ich für die Hygiene von Badestränden verantwortlich war, gab es unter Kollegen den Schnack: Wir können jederzeit jeden Badestrand im Sommer in der Hochsaison dicht machen, weil wir genau wissen, wo wir messen müssen, um Salmonellen zu finden, nämlich da, wo die Möwen gesessen haben. - Wenn Sie da Wasserproben entnehmen, können Sie den Strand anschließend dicht machen, weil Sie Salmonellen nachgewiesen haben. Bis das Gegenteil bewiesen und der Messfehler sowie die technischen Feinheiten der Messung diskutiert worden sind, ist der Sommer vorbei. Dann sind die Tourismusaktionen gestorben. Bei den Ländern, in denen man bisher keinen Fall von Vogelgrippe - ich benutze diesen Ausdruck jetzt einmal - entdeckt hat, handelt es sich häufig um die Länder, in denen man für die entsprechenden Tests kein Geld hat, weil dort ganz andere Probleme im Vordergrund stehen. ({1}) Vorhin wurde die Situation in Afrika angesprochen. Wenn man sieht, dass die Menschen, denen es elend geht und die verhungern, die Chance nutzen, Tiere bei sich zu haben und mit bzw. von ihnen zu leben, ({2}) indem sie zum Beispiel ihre Eier sammeln, wenn man feststellt, wie lebenswichtig es für sie ist, eng mit diesen Kleintieren zusammenzuleben, und wie unwichtig in diesen Ländern häufig ein Menschenleben ist, dann kann man sich ausmalen, dass das Problem, mit dem wir uns gerade auseinander setzen, global gesehen relativ unwichtig ist. Ich kann uns alle nur dazu ermuntern, uns mehr um die Entwicklungspolitik zu kümmern, allerdings nicht nur, indem wir mehr Geld zur Verfügung stellen. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Menschen lernen, mit dem, was sie in ihrem Land machen können, besser und aufgeklärter umzugehen. Die Produktivität ihres eigenen Lebens muss gesteigert werden, damit sie nicht mehr hungern müssen. Sie müssen wissen, was zu tun ist, damit ihre Hühner nicht sterben und damit letztendlich auch sie nicht sterben. Wir könnten beispielsweise Hilfe für den Aufbau landwirtschaftlicher Kleinbetriebe leisten. Hier sollten wir uns mehr anstrengen. ({3}) Ich habe mich gefragt, wie es eigentlich kommt, dass wir so viel über dieses Thema reden. Wer hat ein Interesse daran, dieses Thema hochzuspielen? Damit möchte ich mich in der zweiten Hälfte meines kurzen Beitrags beschäftigen. Für die Medien ist dieses Thema willkommen. Sie würden aber auch ein anderes Thema aufgreifen, wenn die Leute dadurch Angst bekommen. Das machen sie gerne. Es gibt aber auch noch andere Profiteure, nämlich diejenigen, die Tamiflu verkaufen und die Lizenzen vergeben. Ich empfehle Ihnen sehr, einmal Artikel nachzulesen, in denen es darum geht, wem die Anteile gehören, wer Druck ausgeübt hat, welche Prozesse schon gelaufen sind und welche Strategien angewendet werden, um möglichst viel von dem Zeug zu verkaufen. Diese Fragen können wir nicht einfach abtun; denn sie sind die Motoren der Angst. Sie dienen dazu, den Menschen unnötig Angst zu machen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wodarg, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0}) Eine Schlussbemerkung: Es darf nicht sein, dass im Zusammenhang mit den Impfstoffen wieder Trittbrettfahrer am Werk sind ({1}) und dass - das gilt nicht nur für diese Erkrankung, sondern grundsätzlich - durch Patente auf Impfstoffe Menschenleben geopfert werden, weil die Preise so hoch sind, dass diejenigen, die einen Impfstoff brauchen, ihn sich nicht leisten können. Das darf nicht sein, weder bei dieser möglichen Erkrankung noch bei anderen Erkrankungen. Hier müssen wir aufpassen und uns zu Wort melden. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 19. Januar 2006, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.