Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche uns einen
guten Tag und für die anstehenden Verhandlungen den
bewährt freundlichen Umgang miteinander.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien, Staatsministerin Dr. Christina Weiss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat heute den von mir vorgelegten Entwurf
eines Änderungsgesetzes zum Deutsche-Welle-Gesetz
beschlossen. Damit findet ein mehrjähriger Prozess mit
teilweise heftigen Diskussionen über die Sinnhaftigkeit,
die Ausrichtung und die Chancen des deutschen Auslandssenders sein Ende, aber auch seine gesetzliche
Grundlage.
Die Grundzüge der Gesetzesnovelle sind im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien und im Sender
selbst, aber auch in der Fachöffentlichkeit sehr gründlich
beraten worden. Sehr schnell war man sich sicher und
einig: Wir wollen, ohne in die Rundfunkfreiheit einzugreifen, einen unabhängigen und modernen Sender, dessen eigener Anspruch es sein sollte, ein Bild Deutschlands als weltoffene, unverkrampfte europäische
Kulturnation und als demokratischer Verfassungsstaat zu
zeichnen. Die Deutsche Welle ist eine feste Säule der
Außendarstellung Deutschlands, eine Mittlerin zwischen
den Kulturen. Das soll auch so bleiben.
Lassen Sie mich kurz die Struktur des Gesetzentwurfs
erläutern. Als eine Seelenachse der Novelle lässt sich die
neu gefasste Generalklausel übersetzen. Sie darf als
Zielvereinbarung gelten, nach der die Deutsche Welle
auch künftig Hörfunk, Fernsehen sowie Telemedien anbietet. Der Sender berichtet über Deutschland in seiner
ganzen Vielfalt. Dafür soll er alle technischen Möglichkeiten zur Verfügung halten. Dieses Plädoyer gilt in besonderer Weise für das Internet, dessen Nutzung weltweit mehr und mehr steigt.
Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich, dass die Bundesregierung die journalistische Unabhängigkeit auf
keinen Fall infrage stellt und es nicht - auch nicht nachträglich - darum gehen kann und soll, einen Bundesrundfunk zu etablieren. Nach 50 Jahren des Bestehens
der Deutschen Welle sind Ängste in dieser Richtung so
unbegründet wie am ersten Tag.
({0})
Durch unseren Gesetzentwurf wird die Autonomie des
Senders gewahrt und gepflegt; aber er wird zu einer programmlichen Selbstverpflichtung gedrängt. Die Aufgabenplanung soll für jeweils vier Jahren skizziert werden.
Der Intendant wird also gemeinsam mit dem Rundfunkund dem Verwaltungsrat gehalten sein, Zielgebiete, Zielgruppen, Verbreitungswege und Angebotsformen aufzuschlüsseln. Damit verbunden ist naturgemäß eine Kalkulation der Betriebskosten und der Investitionskosten.
Anschließend ist die Aufgabenplanung der Deutschen
Welle dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung zuzuleiten, damit sie von Legislative und Exekutive
innerhalb von sechs Wochen beraten werden kann. In
ähnlicher Weise ist auch die Öffentlichkeit im In- und
Ausland aufgefordert, den Vierjahresplan zu kommentieren. Nach all diesen Beratungen legt die Deutsche
Welle ihre Aufgabenplanung in Form einer Selbstverpflichtung im Vierjahresplan fest. Am Ende des so
genannten Beteiligungsverfahrens steht der Bundeszuschuss, dessen Gewährung nach entsprechender Beschlussfassung des Deutschen Bundestages über das
jährliche Bundeshaushaltsgesetz erfolgt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf ein Modell etablieren wollen, das
Redetext
durchaus als beispielhaft für manche ARD-Anstalt
gelten könnte. Die ersten Signale zeigen, dass es
höchste Zeit ist, Mediengesetze moderner und innovativer, vor allem aber auch nach unternehmerischen
Aspekten zu gestalten. Es freut mich, dass es uns gelungen ist, der Deutschen Welle Planungs- und
Finanzierungssicherheit über vier Jahre zu geben. Der
Sender kann durch die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers zur mittelfristigen Finanzplanung sicher sein,
dass er die erforderlichen Mittel auch bekommt. Der
Sender darf den Bundeszuschuss, der von Ihnen schon
seit 1999 jährlich gewährt wird, zur überjährigen Bewirtschaftung nutzen.
Die Deutsche Welle erhält ein fast maßgeschneidertes System der Planung und Finanzierung. Sie muss
sich dafür alle vier Jahre einem Evaluierungsverfahren
unterziehen. Dabei muss der Sender einen Bewertungsbericht erstellen. Es versteht sich für einen Sender wie
die Deutsche Welle von selbst, dass er darauf angewiesen ist, mit anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten im
In- und Ausland zu kooperieren; diese Art der Kontaktpflege mündet jetzt in einer Verpflichtung mit Gesetzeskraft.
Die Deutsche Welle ist eine anerkannte internationale Sendeanstalt, die von unserer Tradition und unserer Kultur kündet. Dazu gehört an wichtiger Stelle die
Vermittlung der deutschen Sprache. Die Deutsche Welle
ist in vielen Krisenregionen der Welt aber auch eine unbestechliche, zuverlässige Informationsquelle, ein Botschafter der Demokratie. Damit ist sie bestens dafür geeignet, den Dialog zwischen den Kulturen und Völkern
nicht nur zu beschreiben, sondern auch praktisch zu
führen, in Europa und auf allen anderen Kontinenten.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank für den Bericht.
Ich habe erste Wortmeldungen vorliegen. Zunächst
erteile ich das Wort dem Kollegen Bernd Neumann.
Frau Staatsministerin, wenn man bedenkt, dass Sie
dieses Reformgesetz für die Deutsche Welle bereits in
Ihrer Regierungserklärung 1998 angekündigt haben,
gehe ich nicht davon aus, dass Sie für den jetzt endlich
vorliegenden Gesetzentwurf Lob von der Opposition erwarten. Zwei Ihrer Vorgänger haben misslungene Entwürfe vorgelegt, über die nicht mehr diskutiert wurde.
Sie haben diesen Gesetzentwurf vor einem Jahr anlässlich des Jubiläums der Deutschen Welle angekündigt.
Heute nun liegt er vor. - Dies alles kann man sicherlich
nicht als Meisterleistung bezeichnen.
({0})
- Genau: Ihre Maßstäbe sind schon so gesunken, dass
Sie selbst ein solches Vorgehen noch als Meisterleistung
bezeichnen.
({1})
Frau Staatsministerin, Sie und Ihre Vorgänger in der
rot-grünen Bundesregierung haben der Deutschen Welle
in den letzten Jahren den Zuschuss um mehr als
80 Millionen DM gekürzt. Wir sind uns sicherlich einig,
dass es wichtig ist, dass mit dem neuen Gesetzentwurf
Planungssicherheit gegeben wird, damit die Deutsche
Welle ihre Ausgaben für einen längeren Zeitraum planen
kann als von Jahr zu Jahr.
Herr Kollege, Ihre Frage!
Das war der erste Teil, meine Vorbemerkung. Ich
komme gleich zur Frage. - In Ihrem Referentenentwurf,
der auch veröffentlicht war, hieß es unter § 45:
Der Bund weist den jährlichen Zuschuss zur Selbstbewirtschaftung zu.
In der Begründung hieß es:
Mit dieser Regelung wird sichergestellt, dass der
Deutschen Welle der Bundeszuschuss im Rahmen
der Selbstbewirtschaftung durch den Zuschussgeber überjährlich zur Verfügung steht. Damit wird
der Deutschen Welle die Möglichkeit eröffnet, den
Zuschuss des Bundes entsprechend der Zweckbestimmung des Haushaltstitels überjährig zu verwenden. Dadurch erhält die Deutsche Welle größere
Planungssicherheit.
Wie bewerten Sie, dass dieses zu Recht von Ihnen gewollte Verfahren in dem vom Kabinett beschlossenen
Entwurf gestrichen ist?
Verehrter Herr Neumann, ich möchte Ihre Frage beantworten und auf Ihren Kommentar eingehen. Die
letzte Novelle des Deutsche-Welle-Gesetzes stammt aus
dem Jahr 1997. Es ist der Normalfall, dass man im darauf folgenden Jahr, vor allem dann, wenn die Regierung
wechselt, eine weitere Novelle ankündigt. Ich finde, dass
der ausgearbeitete Entwurf, den wir jetzt vorliegen haben, einen wirklich guten Grundstein für die Zukunft der
Deutschen Welle legt.
Zu Ihrer Frage, die Sie gestellt haben. Es ist nicht Ziel
des Gesetzes, das vom Kabinett verabschiedet worden
ist, in die Haushaltshoheit des Bundestages einzugreifen.
Die Begründung des Gesetzes enthält den Hinweis darauf, dass der Deutsche Bundestag seit 1999 die Mittel
zur Selbstbewirtschaftung zuweist und dass wir davon
ausgehen, dass dies auch in Zukunft geschieht. Sie sollten sich über unseren Respekt vor dem Haushaltsrecht
und der Haushaltshoheit des Bundestages freuen. Es
obliegt Ihnen, auch in den kommenden Jahren so zu verfahren.
({0})
Herr Kollege Koppelin.
({0})
- Es gibt zunächst nur eine, ja.
Frau Staatsministerin, Sie haben auf die journalistische Freiheit hingewiesen; das begrüße ich ausdrücklich.
Aber wird die journalistische Freiheit nicht dadurch eingeschränkt, dass die Finanzmittel aus dem Bundeszuschuss für die Deutsche Welle knapp bemessen sind?
Dafür ist einer Ihrer Vorgänger, nämlich Herr Naumann,
besonders verantwortlich. Er hat die Mittel erheblich
eingeschränkt, weil er einen Privatkrieg mit der Deutschen Welle geführt hat.
Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit ARD
und ZDF gibt es? Ich finde, das kommt im Gesetz nicht
zum Tragen. Das frage ich vor dem Hintergrund, dass
die Minutenbeiträge, die sich ARD und ZDF von der
Deutschen Welle bezahlen lassen - immerhin werden
ARD und ZDF von den Gebührenzahlern bezahlt -, sehr
hoch sind. Welchen Einfluss haben Sie genommen? Haben Sie das in das Gesetz einfließen lassen?
Ich komme noch einmal auf die journalistische Freiheit zurück. In § 4 wird der Auftrag der Deutschen Welle
beschrieben. Mir persönlich fehlt da der Sport, aber gut.
In der Erläuterung grenzen Sie den Auftrag erheblich ein
und sehen vor, dass nur noch Schiller, Goethe, Herder
und Heine im Ausland verkündet werden sollen. Mir fallen aber noch Kant und einige andere ein.
({0})
- Zum Beispiel. Das ist einer der Besten. Den Namen
sollte man sich merken. - Meine Frage lautet: Wird dadurch nicht die journalistische Freiheit begrenzt?
Ich komme kurz auf die Finanzmittel zu sprechen. Ich
bin im Rechnungsprüfungsausschuss der alleinige Berichterstatter für die Deutsche Welle. Die Finanzmittel
aus dem Bundeszuschuss, den die Deutsche Welle bekommt, sollen in das nächste Jahr übertragen werden;
das haben wir beschlossen. Ich frage mich, warum Sie
das nicht in das Gesetz aufgenommen haben. Es gibt
nämlich eine Auseinandersetzung zwischen denjenigen,
die dafür waren - ich will Ihr Haus loben -, und dem
Bundesfinanzminister, der immer dagegen gewesen ist.
Es müsste im Kabinett doch endgültig entschieden worden sein, dass der Finanzminister nicht mehr dagegen
angehen kann. Haben Sie sich dafür eingesetzt? Ist der
Finanzminister jetzt dazu bereit? Dann hätten Sie das
auch in das Gesetz schreiben müssen.
Herr Koppelin, zunächst einmal möchte ich darauf
aufmerksam machen, dass die Deutsche Welle angesichts der Reformen, die sie in den letzten Jahren durchgeführt hat, ein geradezu mustergültiges Beispiel dafür
ist, dass in unserem Land Reformen gelingen können.
Reformen sind auch dazu da, Finanzmittel einzusparen
und dafür zu sorgen, dass man mit den Finanzmitteln so
umgeht, dass damit möglichst viele und qualitativ hochwertige Ziele erreicht werden können. Insofern wage ich
Ihnen zu widersprechen. Es ging hier nicht nur um Haushaltskürzung, es ging um ein wirklich großes Reformpaket.
Ich bitte um Nachsicht, dass wir Ihren geschätzten
Landsmann Hebbel nicht unter den Garanten des Humanitätsideals aufgeführt haben. Selbstverständlich gehören Kant und Hebbel in die Reihe Schiller, Goethe,
Heine und Herder. Darin sind wir uns völlig einig. Das
können wir verbal jederzeit unterstützen.
Dass diese Formulierung nicht im Gesetz aufgetaucht
ist - ich habe das eben schon Herrn Neumann beantwortet -, hat folgenden Hintergrund: Man war der Meinung,
dass ein Gesetz nicht die geeignete Stelle ist, Ihrer
Finanzhoheit vorzugreifen. Wir haben es in der Begründung so formuliert, dass die sehr klare und direkte Aufforderung an Sie ergeht, das Verfahren, das Sie 1999
begonnen haben, fortzusetzen.
Herr Kollege Nooke.
Frau Staatsministerin, bei der Darstellung dessen, was
im Kabinett heute beschlossen wurde, sprachen Sie davon, dass die „Kulturnation Deutschland“ mit der Deutschen Welle vermittelt werden soll.
Uns ist ein Gesetzentwurf von Ihnen zugegangen, in
dem Sie nicht vom Programmauftrag, sondern von Zielen - in § 4 - sprechen: Die Angebote der Deutschen
Welle sollen Deutschland in seiner ganzen Vielfalt darstellen und über deutsche Standpunkte und Entwicklungen in Deutschland informieren. - Sie als Staatsministerin hatten es zu Beginn der Beratungen - dies ist durch
eine Agenturmeldung öffentlich geworden - allerdings
so formuliert: Die Angebote der Deutschen Welle sollen
Deutschland als europäisch gewachsene Kulturnation
und freiheitlich verfassten demokratischen Rechtsstaat
verständlich machen.
Wenn heute bei der Ressortabstimmung der alte Entwurf von Ihnen beschlossen wurde, in dem der Begriff
der Kulturnation enthalten ist, dann waren Sie erfolgreich. Vielleicht waren Sie aber auch unterlegen. Ich
habe aus Ihren Ausführungen nicht ganz heraushören
können, wie der endgültige Text lautet. Ist der Begriff
„Kulturnation“ wie in Ihrem ursprünglichen Entwurf
enthalten oder ist er bei Nennung der Ziele weggefallen?
In diesem Fall würde mich interessieren, aus welchem
Grund er weggefallen ist und welche substanzielle
Gründe das Auswärtige Amt, das heute hier ja vertreten
ist, genannt hat, derentwegen man ihn nicht in ein Deutsche-Welle-Gesetz schreiben darf. Oder gab es vielleicht
nur ideologische Auseinandersetzungen, bei denen das
Kanzleramt verloren hat?
Herr Nooke, wie Sie wissen, ist der Begriff „Kulturnation“ immer heftig umstritten, weil er durchaus ideologisch beladen ist. Deutschland ist eine Kulturnation im
europäischen Kontext. Das vertreten wir weiterhin und
das steht auch ausführlich in der Begründung des Gesetzes. Um jedes Missverständnis zu vermeiden, haben wir
bei der Formulierung der Ziele das Wort „Kulturnation“
nicht mehr genannt.
({0})
Wir haben aber klar gemacht, dass Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft vermittelt werden müssen.
Frau Kollegin Griefahn.
Frau Ministerin, ist Ihr Gesetzentwurf, wie er heute
beschlossen worden ist, auch ein Ausdruck dafür, dass
das Parlament und die Öffentlichkeit stärker daran beteiligt werden, Anregungen bezüglich der Schwerpunkte zu
geben, die die Deutsche Welle setzen sollte? Ist das also
ein weiterer Schritt hin zu einer transparenten Beteiligung, sodass die deutsche Öffentlichkeit stärker mitbestimmen kann, was die Deutsche Welle, die ihre Schwerpunkte aufgrund der Rundfunkhoheit ja selbst setzen
kann, im Ausland vertritt? Würden Sie dies als neuen
Punkt beziehungsweise als Fortschritt bezeichnen?
Frau Griefahn, das ist ein ganz zentraler Punkt. Die
vierjährige Aufgabenplanung, die in der Öffentlichkeit
und in diesem Gremium diskutiert werden soll, ist nämlich genau das Instrument, mithilfe dessen die Ziele und
Aufgaben, wie sie sich die Deutsche Welle vorstellt, in
der Öffentlichkeit diskutiert und damit auch transparent
gemacht werden können.
Hinzu kommt, dass wir neben der vierjährigen Aufgabenplanung auch das Instrument der Evaluierung im Gesetz etablieren werden. Diese Evaluierung wird einen erneuten Diskussionsprozess anstoßen. Angepasst an die
jeweilige politische und kulturelle Situation am jeweiligen Zielort werden dadurch die aktuellen Maßnahmen
und die Ziele, die zwei, drei oder vier Jahre vorher diskutiert und beschlossen worden sind, flexibilisiert.
Herr Kollege Otto.
Frau Staatsministerin, zunächst einmal ein Satz des
Lobes: Wenn ich den Gesetzentwurf durchlese, dann
stelle ich fest, dass die Eingriffe in die Programmautonomie des Senders, die vor drei Jahren noch in dem so genannten Hanten-Papier Ihres Mitarbeiters Hanten standen, in dieser Form nicht mehr enthalten sind. Die
Programmautonomie ist zumindest an dieser Stelle nicht
derart unterhöhlt worden. Die Proteste der Opposition
waren also offensichtlich nicht ganz erfolglos.
({0})
Sie haben in Ihrer Bemerkung darauf hingewiesen,
wie wichtig die Planungssicherheit sei. Insoweit bin ich
mit Ihnen völlig einer Meinung. Ich habe aber folgenden
Widerspruch festgestellt: In dem neuen § 4 a, Aufgabenplanung, ist der Deutschen Welle aufgegeben, ihre Aufgabenplanung für vier Jahre vorzulegen und jährlich
fortzuschreiben. Es heißt dort: Planungsgrundlage für
die Deutsche Welle sind die finanziellen Rahmendaten
der Bundesregierung. - In § 4 b, Beteiligungsverfahren,
steht aber in Abs. 4, dass diese finanziellen Rahmendaten von der Bundesregierung im laufenden Haushaltsjahr, also immer nur jährlich, mitgeteilt werden. Ich habe
große Zweifel, ob auf dieser Grundlage Planungssicherheit gegeben ist.
Meine konkreten Fragen sind: Müsste nicht mit einer
vierjährigen Aufgabenplanung auch eine vierjährige
Ausgabenplanung der Bundesregierung einhergehen, um
Planungssicherheit zu erzielen? Wie soll die Deutsche
Welle angesichts der Kürzungen, die die Kollegen
Nooke und Neumann angesprochen haben, planen können, wenn ihr immer nur die laufende Haushaltsplanung
und keine mittelfristige Ausgabenplanung mitgeteilt
wird?
Zu Ihrem ersten Teil, Herr Otto: Es ist von unserer
Seite zu keiner Zeit beabsichtigt gewesen, die Rundfunkautonomie der Deutschen Welle zu begrenzen.
({0})
Zu Ihrer Frage. Diese Frage wird mir jetzt zum dritten
Mal gestellt und ich kann nur zum dritten Mal erklären:
Die Bundesregierung hat auf ihre mittelfristige Finanzplanung als ein verbindliches Instrument, das ihr zur
Verfügung steht, verwiesen. Es obliegt Ihnen, das andere
Instrument so zu etablieren, dass es Gültigkeit hat. Sie
haben die Haushaltshoheit.
({1})
Wir sind noch nicht beim Tagesordnungspunkt „Aktuelle Stunde“, sondern bei der Befragung der Bundesregierung.
Als Nächster hat Herr von Klaeden das Wort.
Wir sind auch nicht bei der Befragung der Opposition, auch wenn sich dadurch sicherlich die eine oder andere Erkenntnis gewinnen ließe.
Frau Staatsministerin, in der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesregierung müssen insbesondere die Kahlschläge bei den Goethe-Instituten mit großer Sorge erfüllen.
({0})
Meine Frage bezieht sich auf die Deutsche Welle als Träger der auswärtigen Kulturpolitik im Hinblick auf die
deutschen Minderheiten. Halten Sie es nicht für sinnvoll,
die Deutsche Welle zu befähigen, insbesondere ihr
Rundfunk- und Fernsehangebot auch dort auszustrahlen,
wo es deutsche Minderheiten gibt?
Ich will als Beispiel Ungarn nennen. Ich weiß von
einer UKW-Frequenz für einen französischen Rundfunksender, obwohl es in Ungarn nach meiner Kenntnis keine
französische Minderheit gibt. Es gibt aber keine UKWFrequenz für die Deutsche Welle. - Dies könnte die Regierung in bilateralen Verhandlungen mit den entsprechenden Ländern klären. Meine Frage ist: Sind Sie bereit, sich in dieser Richtung zu engagieren?
Zum ersten Teil: Frau Kollegin Müller hat vor sehr
kurzer Zeit hier in diesem Hause dargelegt, das es keinen
Kahlschlag geben wird. Ich denke, wir sollten sie ernst
nehmen.
({0})
Zum zweiten Teil: Innerhalb der Gremien der Deutschen Welle zielt ein Schwerpunkt darauf, die Angebote
der Deutschen Welle gerade in den Ländern Ost- und
Mitteleuropas auszubauen. Das ist eine wichtige inhaltliche Begleitung der Arbeit der Deutschen Welle zur
EU-Erweiterung.
Mir liegen noch Wortmeldungen der Kollegen
Neumann, Kubatschka, Koppelin und Otto vor. Wenn
überhaupt noch Zeit für weitere Fragen an die Bundesregierung - außerhalb dieses Themas - sein sollte,
möchte ich vorschlagen, dass wir die Frageliste schließen. Herr Nooke, bezieht sich Ihre Frage auf diesen Bereich?
({0})
- Gut, dann nehme ich noch den Kollegen Nooke mit auf
die Liste. - Dann schließe ich damit die Fragerunde.
Herr Kollege Neumann.
Frau Staatsministerin, die Tatsache, dass ich erneut
nach der Finanzierung frage, hängt natürlich mit unserer
gemeinsamen Erkenntnis zusammen, dass es für eine
Rundfunkanstalt ganz wichtig ist - insofern unterscheidet sie sich von einer Behörde -, finanzielle Sicherheit
zu haben, um planen zu können und nicht von der jährlichen Kassenlage abhängig zu sein. In diese Richtung
erhofften wir uns etwas vom Gesetz. Deshalb ist es bedauerlich, dass ({0})
Ich muss noch einmal darauf aufmerksam machen,
dass wir jetzt keine Debatte führen, sondern eine Befragung der Bundesregierung durchführen.
- Ihr Wunsch der überjährigen Verfügbarkeit der Mittel - ich weiß, dass auch Sie das bedauern müssen nicht mehr im Gesetz steht.
Meine zusätzliche Frage bezieht sich auf die Unabhängigkeit der Deutschen Welle: Halten nicht auch Sie
als Medienministerin es für richtig, der Forderung der
Deutschen Welle, die wir unterstützen, nachzukommen,
wonach ebenso wie bei den Landesrundfunkanstalten
und dem ZDF die Finanzierungshöhe durch eine unabhängige Kommission ermittelt und damit den Grundsätzen des 8. Rundfunkurteils des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Unabhängigkeit und der
Staatsferne auch im Deutsche-Welle-Gesetz Rechnung
getragen wird? Sind nicht auch Sie der Meinung, dass es
entgegen der Begründung wünschenswert wäre, dies zu
machen, und dennoch das Recht des Parlaments, endgültig zu beschließen, nicht beeinträchtigt ist? Denn auch
bei den sonstigen Rundfunkgebühren entscheiden die
Parlamente ungeachtet der KEF-Empfehlungen.
Herr Neumann, für mich ist die Begründung eines
Gesetzes ein ganz wichtiger Bestandteil des Gesetzes.
Dadurch, dass wir in der Begründung des Gesetzes eingefügt haben, dass wir begrüßen, dass seit 1999 die Mittel an die Deutsche Welle zur Selbstbewirtschaftung
weitergeleitet werden, und das für eine notwendige
Grundlage halten, geht die klare Aufforderung an Sie,
dieses Verfahren fortzusetzen. Die Bundesregierung
wird durch ihre mittelfristige Finanzplanung eine gute
Partnerschaft mit der Deutschen Welle eingehen, wenn
sie diese - das ist im Gesetz ebenfalls vorhanden - als
Grundlage für die Aufgabenplanung artikuliert.
Der Intendant der Deutschen Welle hat gesagt, wenn
es nicht zu einer sicheren Planungskooperation mit der
Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag
komme, dann brauche er ein mit der KEF vergleichbares
Instrument. Sollte aber die Planungssicherheit gewährleistet sein, so wie wir es in der Begründung festgehalten
haben, was Sie im Verfahren bestätigen können, dann
- so der Intendant der Deutschen Welle - bedarf es nicht
eines zusätzlichen Instrumentes.
Herr Kubatschka.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau
Ministerin, mein Finger ist hochgegangen, als Herr von
Klaeden davon gesprochen hat, wir hätten einen Kahlschlag bei den Goethe-Instituten. Da ich schon längere
Zeit in diesem Hohen Hause bin, weiß ich, welche Kahlschläge wir früher gehabt haben. Man sollte nicht mit
Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt. Ich denke
nur an die Diskussion über Reykjavik, die ich erlebt
habe.
({0})
Der Vorzug des Zwischenrufes des Kollegen Otto besteht ausschließlich darin, dass es sich um eine Frage
handelt. Da wir keine Befragung der Fraktionen untereinander veranstalten, sondern eine Befragung der Bundesregierung, bitte ich alle Beteiligten, sich an die Spielregeln zu halten.
Frau Ministerin, wird durch das Gesetz garantiert,
dass die Deutsche Welle flexibel auf neu auftretende
Krisenherde reagieren kann, wie sie es beispielsweise im
Krisenfall Afghanistan getan hat? Besteht die Möglichkeit, dass das nach wie vor der Fall ist?
Durch das Gesetz wird beabsichtigt, das klarzustellen.
Die beiden Elemente „vierjährige Aufgabenplanung“
und „Mittel zur Selbstbewirtschaftung“ müssen es auf
der einen Seite ermöglichen, dass die Deutsche Welle für
besondere Aufgaben ansparen kann. Das betrifft zum
Beispiel die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland, wo es darum geht, eine besonders intensive Begleitung durch die Deutsche Welle im Ausland zu ermöglichen. Auf der anderen Seite kann sie, wenn spezielle
Aufgaben in Krisengebieten auf sie zukommen, im Rahmen der Vierjahresplanung Mittel umschichten und dort
Schwerpunkte setzen, wo es durch die weltpolitische
Lage angezeigt erscheint.
Herr Koppelin.
Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf unter dem
Stichwort Lösung, dass dieses Gesetz auch für eine bessere Kooperation mit der ARD, dem ZDF und anderen
Sendern sorgen soll. Das ist auch grundsätzlich zu begrüßen, Frau Staatsministerin. Aber warum ist im Gesetzentwurf nichts über diese Zusammenarbeit zu finden
außer den Regelungen im Zusammenhang mit der Werbung und dem kleinen Absatz darüber, dass der Jugendschutzbeauftragte der Deutschen Welle mit den Jugendschutzbeauftragten von ARD und ZDF in einen
regelmäßigen Erfahrungsaustausch eintreten soll? Darüber hinaus findet sich nichts. Dabei wäre es doch eine
wichtige Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen,
dass die Zusammenarbeit der Deutschen Welle mit den
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF
besser wird.
Ich wiederhole das, weil Sie die diesbezügliche Frage
von vorhin nicht beantwortet haben, was ich Ihnen nicht
übel nehme. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden immerhin vom Gebührenzahler und damit
vom Steuerzahler finanziert. Wäre es nicht Aufgabe der
Bundesregierung gewesen, in einem solchen Gesetzentwurf für eine bessere Zusammenarbeit zu sorgen, sodass
ARD und ZDF zum Beispiel nicht mehr so hohe Kosten
für die Minutenbeiträge berechnen?
({0})
- Entschuldigung, da kenne ich mich ein bisschen aus.
Es gibt andere, die der Deutschen Welle ihre Beiträge
weitaus günstiger anbieten. Das kann ausgehandelt werden. Das kann sogar in Verträgen vereinbart werden,
indem beispielsweise in Verträgen mit Künstlern eine
Wiederholungsausstrahlung bei der Deutschen Welle
ausgehandelt wird. Das kann durchaus in die Verträge
mit aufgenommen werden. Sie brauchen mich in diesem
Zusammenhang nicht zu belehren.
Meine Frage ist: Hätte man in diesem Gesetzentwurf
hinsichtlich der Zusammenarbeit mit ARD und ZDF
nicht mehr herausholen können?
Herr Koppelin, der Kooperationsauftrag steht deshalb
im Gesetzentwurf, weil wir ihn für sehr wichtig halten.
Aber wir können nur den Auftrag und den Rahmen formulieren. Die Realisierung fällt unter die Autonomie des
Rundfunks. Die Deutsche Welle arbeitet mit ARD und
ZDF zusammen. Sie übernimmt Beiträge, für die aber im
Normalfall in der Tat sehr hohe Kosten pro Minute anfallen. Das sind die festgelegten Kosten für eine solche
Zusammenarbeit. Es obliegt nicht allein uns, diese festzuschreiben; es handelt sich dabei vielmehr um Verhandlungsergebnisse.
Aber wie Sie wissen, haben wir ein Modell ausgearbeitet, das sich noch in der Prüfungs- und Experimentierphase befindet, und zwar bei German TV, wo die Zusammenarbeit zwischen ARD, ZDF und Deutscher
Welle völlig anders und sehr viel kostengünstiger gereStaatsministerin Dr. Christina Weiss
gelt ist. Wenn dieses Modell gelingt - inzwischen wird
dieses Programm in Nordamerika im Kabelnetz angeboten -, können wir es ausweiten und auch weitaus kostengünstiger realisieren.
Wir befinden uns noch in der Phase, in der evaluiert
werden muss. Die Evaluation wird im Herbst dieses Jahres stattfinden.
Herr Kollege Otto.
Frau Staatsministerin, ich knüpfe an das an, was Sie
eben erläutert haben. Sie haben gesagt: Wir evaluieren
den Erfolg von German TV in Nordamerika und werden
dann über eine Ausweitung entscheiden. Wäre es denn
nach Ihrer Auffassung zulässig und nach den Vorstellungen der Bundesregierung denkbar, dass die Deutsche
Welle ihr eigenes Programm völlig aufgibt und die Ausweitung dann so aussieht, dass nur noch German TV,
aber kein eigenes Fernsehprogramm der Deutschen
Welle mehr gesendet wird? Wäre das nach dem Gesetz
zulässig?
Das ist in dem Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Es ist
auch in unserem Denken nicht vorgesehen. Aber darüber
zu diskutieren wäre durchaus zulässig. Der Gesetzentwurf würde auch den Rahmen bieten, das gemeinsam zu
realisieren - obwohl ich glaube, dass es eine sehr langwierige Debatte zwischen uns wäre -, wenn wir uns alle
einig wären. Es ist aber weder in unserem Denken noch
in unserer Zielsetzung noch im Gesetzentwurf so vorgesehen.
Die letzte Frage zu diesem Komplex, Herr Kollege
Nooke.
Ein Teil meiner Frage hat sich schon durch die Ausführungen zur Zusammenarbeit zwischen ARD und ZDF
erledigt. Mich interessiert aber noch, inwieweit Sie die
rechtlichen Möglichkeiten ausgelotet haben, die Zusammenarbeit der Deutschen Welle mit der ARD - also den
Landesrundfunkanstalten - und dem ZDF zu verstärken
und diese Fragen auch bei anderen Gelegenheiten, bei
der Diskussion über Rundfunkstaatsverträge und den
Verhandlungen der Föderalismuskommission, möglichst im Hinblick darauf zu erörtern, wie die Kosten für
den Gebührenzahler und den Steuerzahler - sie sind
meist identisch - in stärkerem Maße gesenkt werden
können.
Herr Nooke, wir alle gemeinsam können sicher sein,
dass der Intendant der Deutschen Welle alles daransetzt,
die Kooperation mit ARD und ZDF auf einer auch für
ihn guten finanziellen Basis zu gestalten. Wir wissen
alle, dass das ein mühevoller Weg ist, und werden ihn
dabei unterstützen und nach Möglichkeiten einer besseren, finanziell günstigeren Kooperation suchen.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung oder andere Fragen an die Bundesregierung mit Ausnahme derjenigen Fragen, die für die heutige Fragestunde ohnehin schriftlich angemeldet sind? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann beende ich die
Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/2726, 15/2738 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 15
der Richtlinien für die Fragestunde die Frage 1 des Abgeordneten Matthias Sehling auf Drucksache 15/2738
auf:
Warum wurde dieses offensichtlich zu Missbräuchen führende System mit Einführung des Reiseschutzpasses im Mai
2001 sogar noch ausgeweitet und welche persönlichen Kontakte hatte der Geschäftsführer der RS Reise-Schutz AG,
H. K., vor März 2000 gegebenenfalls zum Bundesminister des
Auswärtigen, Joseph Fischer, bzw. zu Mitarbeitern des Auswärtigen Amts?
Da die Fragen nach Ablauf der Wochenfrist schriftlich beantwortet wurden, kann der Fragesteller gemäß
Ziffer 15 Abs. 3 dieser Richtlinien jeweils nur nach dem
Grund für die Überschreitung der Wochenfrist fragen.
Bevor ich zur Beantwortung dieser Fragen der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, das Wort
erteile, weise ich darauf hin, dass ich im Anschluss an
diese beiden Fragen die zum selben Fragenkreis gehörenden Fragen auf der Drucksache 15/2726 aufrufe. Ich
bitte insbesondere die Parlamentarischen Geschäftsführer, sich zu vergewissern, ob die Kollegen, die von dieser
veränderten Reihenfolge der Fragen betroffen sind, anwesend sind, bzw. ihre Anwesenheit bis dahin sicherzustellen.
Frau Müller, bitte schön.
Vielen Dank. - Die Frage beantworte ich wie folgt:
Wegen des ungewöhnlich hohen Aufkommens von Fragen zu diesem Themenkomplex konnten Ihre beiden
Fragen leider nicht fristgerecht beantwortet werden. Wir
werden uns künftig selbstverständlich bemühen, dies zu
vermeiden.
Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, führte dieser Umstand - die ungewöhnlich große Zahl der Fragen zu diesem Komplex vielleicht auch dazu, dass der erste Teil meiner Frage,
der sich auf den Erlass des Auswärtigen Amtes vom Mai
2001 zur Ausweitung der Praxis bezog, in der schriftlichen Beantwortung - sie ist mittlerweile eingegangen auch nicht rechtzeitig beantwortet werden konnte?
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf die
wirklich ausführliche Beantwortung Ihrer schriftlichen
Fragen verweisen und ansonsten nicht weiter auf den
Sachverhalt eingehen.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, teilen Sie meine Auffassung,
dass es sich um eine besonders ärgerliche Form der
Missachtung des Frage- und Kontrollrechts des Parlaments handelt, wenn Sie Fragekomplexe gar nicht aufgreifen? Es geht noch nicht einmal darum, ob Sie diesen
Sachverhalt bestreiten.
Ich muss Ihre Unterstellung zurückweisen. Wir bemühen uns um gründliche und sachgerechte Beantwortung
jeder Frage. Ich weise darauf hin, dass die an diesem
Komplex beteiligten Ressorts in den letzten Wochen
mehr als 110 Fragen zu beantworten hatten. Es ist natürlich das Recht der Parlamentarier und Parlamentarierinnen, Fragen zu stellen. Allein die Häufung der Fragen ist
der Grund dafür, dass es in diesem Fall zu einem Ablauf
der Frist kam. Wir beantworten alle Fragen selbstverständlich gründlich und ausführlich.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Sehling auf
Drucksache 15/2738 auf:
Wie ist die Alters- und die Geschlechtsverteilung - unter
zwölf Jahre, zwölf bis 18 Jahre, 19 bis 25 Jahre, 26 bis
30 Jahre, 31 bis 45 Jahre - bei den mittels eines Dreimonatsvisums und eines Reiseschutzpasses in die Bundesrepublik
Deutschland eingereisten ukrainischen Staatsbürgern insgesamt für die Jahre 2001 bis 2003 und wie viele reisten je alleine, je mit Ehepartner und je mit eigenen Kindern?
Ich beantworte die Frage 2 wie Frage 1. Ich habe die
Verfahrensfrage bereits beantwortet.
Ich musste die Frage 2 der guten Ordnung halber aufrufen. Ich habe mich vergewissert, dass der Kollege
Sehling zur Frage 2 offenkundig keine Zusatzfrage
wünscht. Somit können wir die Beantwortung der beiden
Fragen hiermit abschließen.
Wie vorhin angekündigt, verfahren wir jetzt gemäß
Ziffer 16 Abs. 1 und Ziffer 10 Abs. 2 unserer Richtlinien
für die Fragestunde in der Weise, dass die zum selben
Fragenkreis gestellten Fragen vorgezogen und sofort beantwortet werden. Das sind - auf Drucksache 15/2726 die Fragen 4 bis 10 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, die Frage 28 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Arbeit sowie die Fragen 95 bis 108 aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Zuerst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. Hier steht zur Beantwortung der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Günter Baumann
auf:
Gibt es für mit Schengen-Visum aus der Ukraine in das
Schengen-Gebiet eingereiste Personen in Deutschland Meldepflichten und, wenn ja, welche?
Herr Kollege Baumann, ich beantworte Ihnen Ihre
Frage wie folgt: Grundsätzlich besteht keine ausländerrechtliche Meldepflicht für Reisende, die sich als Tourist
für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten im Bundesgebiet bzw. im Schengen-Gebiet aufhalten. Das ist
Kategorie C des Schengen-Visums. Dies gilt auch für
Personen, die sich lediglich im Transitbereich des Flughafens aufhalten oder durch das Bundesgebiet reisen, um
zu einem anderen Zielstaat zu gelangen. Das sind die
Kategorien A und B des Schengen-Visums. Personen,
die einen längerfristigen Aufenthalt zum Beispiel zur
Arbeitsaufnahme oder als Studierende planen, sind nach
der Einreise gehalten, sich bei der zuständigen Ausländerbehörde zu melden. Das ist Kategorie D.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Baumann.
Herr Staatssekretär, gab es von irgendwelchen Ämtern oder Behörden in Deutschland, zum Beispiel von
Arbeitsämtern oder Polizeidienststellen, Hinweise darauf, dass eine größere Anzahl von Bürgern aus der
Ukraine in Deutschland illegal gearbeitet hat oder anderweitig aufgefallen ist?
Herr Kollege Baumann, Sie haben nach den Meldepflichten gefragt. Diese Frage habe ich Ihnen konkret
beantwortet.
Ihre Frage, ob von den von Ihnen genannten Behörden und Einrichtungen entsprechende Hinweise gegeben
worden sind, kann ich Ihnen nicht konkret beantworten.
Sie kennen ja das gesamte Verfahren und wissen unter
anderem, was in bestimmte Berichte eingeflossen ist. Ob
Hinweise beispielsweise von Arbeitsämtern gegeben
worden sind, entzieht sich im Moment meiner Kenntnis.
Eine weitere Zusatzfrage.
Zum Thema Meldepflichten: Das statistische System
in Deutschland ist sehr gut. Es wird sehr viel erfasst.
Meine Frage lautet: Ist keiner Behörde in Deutschland
aufgefallen, dass eine relativ große Zahl von Bürgern
aus der Ukraine im besagten Zeitraum nach Deutschland
gekommen ist?
Ich möchte darauf hinweisen, dass die statistische Erfassung im Rahmen der ausländerrechtlichen Meldepflichten nicht so ist, wie sich das der eine oder andere,
vielleicht auch Sie, Herr Kollege Baumann, wünscht.
Aufgrund dieser Tatsache konnten die entsprechenden
Daten, auf die sich Ihre Frage bezieht, nicht in die Statistik einfließen.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Günter Baumann
auf:
Ist die Bundesregierung in dem Zeitraum seit dem Jahr
2000 von Touristikunternehmen oder Touristikverbänden auf
Probleme bezüglich Reisen aus der Ukraine nach Deutschland
angesprochen worden und, wenn ja, welches waren die angesprochenen Probleme?
Herr Kollege Baumann, vereinzelt wurden der Bundesregierung Beschwerden von Touristikunternehmen
bekannt, die sich gegen die Ablehnung von Visumanträgen durch die Botschaft in Kiew richteten. Dabei handelt
es sich zum Beispiel um ein Reisebüro aus Zwickau, das
sich im Juli 2002 an das Auswärtige Amt wandte. Allerdings sind gegen dessen Geschäftsführer Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Schleusung mittels erschlichener Schengen-Visa eingeleitet worden.
Eine Zusatzfrage.
Ist das von Ihnen genannte Reisebüro in Zwickau der
einzige Fall, der der Bundesregierung bekannt ist?
Lieber Herr Kollege Baumann, ich empfehle Ihnen
erneut den so genannten Wostok-Bericht als Lektüre,
den Sie bereits kennen und aus dem Sie die Frage abgeleitet haben. Sie wissen, dass es sich um eine Vielzahl
von Ermittlungsverfahren handelt. Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich diese Verfahren auflisten
würde. Einzelne Namen dürfte ich ohnehin nicht nennen,
weil es sich, wie gesagt, um laufende Ermittlungsverfahren handelt. Aber Sie wissen, dass dieser Bericht eine
gute Grundlage ist, um über das gesamte Geschehen
Kenntnis zu erlangen.
Der Kollege Baumann hat keine weitere Zusatzfrage. - Herr Kollege von Klaeden hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt nur von Beschwerden von Reiseunternehmen berichtet, die sich
- angeblich - gegen die Nichterteilung von Visa gerichtet haben. Ich möchte gerne wissen, ob der Bundesregierung bekannt ist, dass sich das Reiseunternehmen Alpha
Travel Consultants bereits im Jahre 2000 wegen der
Missstände im Zusammenhang mit der Ausführung des
so genannten Volmer-Erlasses an die Bundesregierung
gewandt hat.
Herr Kollege von Klaeden, ich habe in der Vorbereitung gefragt, ob es diese Einwände gegeben hat. Ich
kann Ihnen diesen Fall derzeit nicht bestätigen. Er ist,
glaube ich, auch nicht Gegenstand des von mir erwähnten so genannten Woodstock-Berichts. - Entschuldigung, Wostok-Bericht.
({0})
- Jawohl, Herr Grindel. Das ist richtig. - Herr von
Klaeden, dem Hinweis, den Sie gegeben haben, gehe ich
gern noch einmal nach.
Es ist doch bemerkenswert, dass die größte Begeisterung bei den Stichworten entsteht, die gar nicht Gegenstand der Fragen sind.
({0})
Herr Präsident, das ist schön so.
Das versuchen wir jetzt einmal mit der Frage 6 des
Kollegen Eckart von Klaeden:
Hat das Bundesministerium des Innern, BMI, die Auffassung des Auswärtigen Amts, AA, wonach der so genannte
Volmer-Erlass vom AA in eigener Zuständigkeit ohne vorherige Beteiligung des BMI oder der Länder habe herausgegeben werden können - vergleiche Antwort der Staatsministerin
im AA, Kerstin Müller, auf die mündliche Frage 7 des Abgeordneten Hartmut Koschyk in der Fragestunde am
10. März 2004, Plenarprotokoll 15/96, Seite 8565 B -, zum
Zeitpunkt der Herausgabe des Erlasses geteilt und, wenn nein,
was hat das BMI gegenüber diesem Alleingang des AA unternommen?
Herr Kollege von Klaeden, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt:
Für Pass- und Visaangelegenheiten im Ausland sind
die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Dazu verweise ich auf den § 63 Abs. 3
unseres Ausländergesetzes. Die Ausgestaltung der Visaerteilungspraxis liegt damit in der Zuständigkeit des
Auswärtigen Amts. Ein gesetzliches Erfordernis, das
Bundesministerium des Innern bei Erlassen für die Auslandsvertretungen zu beteiligen, besteht nicht. Das Bundesministerium des Innern ist in dem Zeitraum vor dem
3. März 2000 nicht beteiligt gewesen.
Nach der Herausgabe des Erlasses an die Auslandsvertretungen wurde eine Erörterung des Erlasses nachgeholt und vonseiten des Bundesministeriums des Innern
wurden diesbezüglich kritische Überlegungen eingebracht. Das Auswärtige Amt hat in weiteren Gesprächen
den Regelungsbereich des Erlasses erläutert und zugesichert, dass sich auch die zukünftige Visaerteilungspraxis
im Rahmen der Schengen-Regelungen halten werde. In
der Sitzung des Innenausschusses vom 17. Mai 2000
- das habe ich hier schon einmal zitiert - haben beide
Ressorts bekräftigt, dass es zu dem Erlass keinen Dissens gebe.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welches Ministerium ist denn
nach dem Geschäftsverteilungsplan der Bundesregierung für die Einhaltung der Einreisepraxis nach dem
Schengen-Abkommen zuständig? Müsste nicht im Fall
einer Zuständigkeit des Innenministeriums § 63 Abs. 3
Ausländergesetz entsprechend interpretiert werden?
Wie die Zuständigkeiten geregelt sind, ist, glaube ich,
aus meiner Antwort deutlich geworden; da ist auch auf
§ 63 Abs. 5 des Ausländergesetzes Bezug zu nehmen.
Ich gehe davon aus, dass damit Ihre Frage hinsichtlich
der Zuständigkeit eindeutig beantwortet ist.
Das war keine Antwort auf meine Frage.
Doch.
Ich würde gerne noch eine Frage stellen.
Bitte.
Die Frage betrifft die Normenhierarchie. Es ist völlig
klar, dass nach der Normenhierarchie das Schengen-Abkommen den Inhalt des Volmer-Erlasses bestimmen
müsste, bei Widersprüchen zwischen dem Volmer-Erlass
und dem Schengen-Abkommen das Schengen-Abkommen Vorrang haben müsste.
Meine Frage ist nun: Wie stellt die Bundesregierung
sicher, dass diejenigen, die vor Ort über die Erteilung eines Visumantrages zu entscheiden haben, tatsächlich
nach der Rechtslage entscheiden können, wenn zwischen dem Volmer-Erlass und dem Schengen-Abkommen Widersprüche bestehen, konkret, wenn im VolmerErlass steht, dass in dubio pro libertate, also im Zweifel
für die Reisefreiheit, zu entscheiden sei, sich aber aus
dem Schengen-Abkommen der Grundsatz „in dubio pro
securitate“, also im Zweifel für die Sicherheit der Bevölkerung, ergibt? Wie ist sicherzustellen, dass jemand, der
in sehr kurzer Zeit über Visumanträge in großer Zahl zu
entscheiden hat, nicht die gesamten Abkommen zu lesen
hat, sondern sich auf den Erlass, der Grundlage seiner
Tätigkeit sein müsste, verlassen kann?
Herr Kollege von Klaeden, Sie wissen, dass dieser Erlass einen Briefwechsel und Gespräche zwischen Auswärtigem Amt und Bundesinnenministerium ausgelöst
hat, wobei es insbesondere um die Klärung der Frage gegangen ist, inwieweit die Ausstellung der Visa Schengen-konform erfolgt. Die Frage des Erlasses berührt es
in keiner Weise, dass das beispielsweise nicht Schengenkonform erfolgen würde. Das gilt auch in der Zukunft.
Das war die gängige Praxis.
Zusatzfrage, Herr Kollege Binninger.
({0})
Herr Staatssekretär, das Grundprinzip des Volmer-Erlasses „Im Zweifel für die Reisefreiheit“ steht ja in einem
eklatanten Widerspruch zur Aussage von Bundesinnenminister Schily heute Morgen im Frühstücksfernsehen.
Er selbst sagte dort, dass für alle sensiblen Bereiche - so
habe ich ihn jedenfalls verstanden - gilt: im Zweifel für
die Sicherheit unseres Landes. Wären Sie vor dem Hintergrund dieser aktuellen Aussage Ihres Ministers bereit,
darauf hinzuwirken, dass dieser Volmer-Erlass außer
Kraft gesetzt wird?
Herr Kollege Binninger, es geht in diesem Verfahren
darum, ob beispielsweise Sachverhalte wie Reiseziel,
Reisezweck, Rückkehrbereitschaft etc. im Antragsverfahren geprüft werden. Darauf kommt es an. Dabei
bleibt es. Deswegen ist, wie ich glaube, das Verfahren,
das übrigens so auch mit den Schengen-Mitgliedstaaten
vereinbart worden ist, richtig und wird auch den Aspekten der Sicherheit gerecht.
Herr Kollege Uhl.
Herr Staatssekretär, wir haben nunmehr vernommen,
dass das Innenministerium richtigerweise dem Grundsatz folgt: in dubio pro securitate. Das Auswärtige Amt
tut das Gegenteil: in dubio pro libertate. Dann gab es einen Briefwechsel, man hat sich getroffen, sich verständigt und wurde sich angeblich einig. Jetzt versetze ich
mich in die Lage des Leiters einer Visa-Außenstelle des
Auswärtigen Amtes. Wie erfährt der Schalterbeamte von
der Einigung bezüglich securitas und libertas in diesem
Zwiegespräch zwischen Innen- und Außenminister? Entscheidend ist ja nicht, was die beiden Herren, wo auch
immer sie sich getroffen haben, bereden, sondern: Wie
erfährt der Sachbearbeiter in einer Außenstelle, der sich
im Minutenrhythmus für oder gegen die Erteilung eines
Visums entscheiden muss, davon, ob in Deutschland
Vorrang für securitas oder libertas gilt?
({0})
Ich glaube nicht, dass es um die Frage geht, was nun
gilt. Vielmehr hat dieses klärende Gespräch deutlich gemacht, dass auch nach diesem Erlass die Schengen-Kriterien gelten und in der Praxis weiterhin angewendet
werden müssen. Das war das Ergebnis. Ich denke, das ist
klar und eindeutig.
Herr Kollege Grindel.
Herr Staatssekretär, nun sagen Sie, all das sei mit dem
Schengen-Abkommen in Einklang zu bringen. Gleichwohl hat es ja eine Delegation von Vertretern der Schengen-Staaten gegeben, die sich in die in Kiew geübte Praxis Einblick verschafft hat. Können Sie noch einmal
erläutern, ob es daraufhin seitens anderer Länder gegenüber der Bundesregierung Beanstandungen gegeben hat?
Das ist eine Frage von qualitativen und quantitativen Problemen. Es ist richtig, dass es quantitative Probleme gegeben hat. Danach können Sie aber vielleicht
nachher noch einmal fragen, denn das Bundesinnenministerium ist nicht für die Arbeit der Botschaften und
für die praktische Abwicklung zuständig. Dass das zu
quantitativen Problemen geführt hat, wissen Sie so gut
wie ich. Wichtiger ist die Beantwortung der Frage
- darauf wird ja immer abgehoben, Herr Grindel -, ob
die Schengen-Kriterien durch diesen Erlass aufgehoben
worden seien und er also nicht schengenkonform sei.
Diese Frage beantworte ich mit einem klaren Nein. Die
Überprüfung anhand der Einzelkriterien wie beispielsweise Reiseziel oder Rückkehrbereitschaft des Betroffenen hat dabei, wie Sie wissen, sehr wohl eine Rolle gespielt. Diese Kriterien sind nicht ausgehebelt und
aufgeweicht worden, sondern waren und sind nach wie
vor Bestandteil des Verfahrens.
Herr Kollege Tauss.
({0})
Herr Kollege Körper, da wir hier ja immer wieder
diese Dauershow um den Volmer-Erlass erleben und uns
die Zeit für wichtigere Dinge gestohlen wird, möchte ich
Sie bitten, uns noch einmal zu erläutern, was Gegenstand
des Volmer-Erlasses ist und dass dieser nicht die Sicherheit beeinträchtigt, sondern es bei ihm im Wesentlichen
um humanitäre Dinge ging, beispielsweise die Begleitung eines Sterbenden durch die Ehefrau und Ähnliches,
also um rein humanitäre Dinge, die mit dem, was hier
unterstellt wird, nichts zu tun haben.
({0})
Könnten Sie uns vielleicht diese Hintergründe einfach
noch einmal erläutern?
Es gibt ja ein paar ganz besondere Fälle, die Anlass
gegeben haben, noch einmal auf die Berücksichtigung
der genannten Kriterien hinzuweisen. Das ist das eine;
da geht es in der Tat um humanitäre Fragestellungen,
wie Sie es eben beschrieben haben. Es gibt auch ähnlich
gelagerte Fälle, die dazu auffordern, im Sinne der Humanität entsprechend vorzugehen.
Herr Kollege Tauss, ich mache noch einmal ganz bewusst darauf aufmerksam, dass der Erlass diesen Hintergrund hatte. Er hatte in keiner Weise die Absicht, Schengen-Kriterien auszuhebeln. Deswegen bin ich dankbar
für die Frage, weil sie mir Anlass gibt, das erneut deutlich zu machen, zum dritten Mal in dieser Fragestunde.
Darauf lege ich Wert. Vielleicht gelingt es ja durch diesen erneuten Versuch, zu überzeugen.
Herr Kollege Sehling.
({0})
Herr Staatssekretär, warum hat der Bundesinnenminister eigentlich im März 2000, nachdem die Gespräche
mit dem Auswärtigen Amt geführt worden sind, nicht
darauf bestanden, dass die Klausel „in dubio pro libertate“ aus dem Volmer-Erlass herausgenommen wird, damit die Botschaften weltweit den Erlass nicht entgegen
dem Wortlaut interpretieren?
Herr Kollege, wichtig ist, noch einmal festzustellen,
dass wir ein bestimmtes Verfahren haben, um einen solchen Antrag entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Das
geschieht nach den so genannten Schengen-Kriterien.
Ich habe hier schon einige Male deutlich gemacht, dass
in diesem Verfahren bestimmte Dinge zu beachten sind
und Verschiedenes zu überprüfen ist. Das war nicht Gegenstand des Erlasses. Deswegen hat sich für das eigentliche Verfahren vor Ort in diesem Sinne nichts geändert.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Clemens Binninger
auf:
Wie ist die Registrierung aller erteilten Schengen-Visa geregelt?
Herr Kollege Binninger, die Visastellen in den deutschen Auslandsvertretungen führen Jahresstatistiken
über die erteilten und abgelehnten Visa. Dabei wird zwischen Visa für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten
und Visa für einen geplanten längerfristigen Aufenthalt
unterschieden. Wird ein Visum erteilt, wird der Antrag
ein Jahr aufgehoben, im Falle der Ablehnung des Visumantrags wird er fünf Jahre aufgehoben.
Zusatzfrage.
Wann liegt diese Statistik vor? Wird sie dem Ministerium übermittelt oder erfolgt das nur auf Anfrage?
Die Statistiken werden in den Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen geführt und liegen dort entsprechend vor. Sie dienen der täglichen Praxis.
Zweite Zusatzfrage: Können Sie sagen, ob bei dem
konkreten Fall, über den wir hier sprechen - die erteilten
Visa in Kiew -, Statistiken an Ministerien übersandt
wurden und wann?
({0})
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Uhl.
Herr Staatssekretär, wenn in den Auslandsvertretungen Statistiken über erteilte Schengen-Visa erstellt werden, werden diese wohl weitergemeldet. Ich gehe davon
aus, dass es eine Stelle in Brüssel gibt, wo die Daten, wie
viele Schengen-Visa in einem Jahr von welchem Staat
erteilt wurden, zusammengeführt werden.
({0})
Können Sie mir das bestätigen?
Nein, das kann ich Ihnen nicht bestätigen.
Dann rufe ich nun die Frage 8 des Kollegen Binninger
auf:
Welche Statistiken bezüglich Personen aus der Ukraine,
die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, werden geführt - zum Beispiel Übernachtungen - und wie viele Personen sind demnach in den Jahren 1998 bis 2003 jeweils eingereist?
Herr Kollege Binninger, eine Statistik über die Anzahl der in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten
Ausländer wird nicht geführt. Grundsätzlich besteht
keine ausländerrechtliche Meldepflicht für Reisende, die
sich als Touristen für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten im Bundesgebiet oder im übrigen Schengen-Gebiet aufhalten. Da geht es wieder um das Schengen-Visum, Kategorie C. Personen, die einen längerfristigen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, zum
Beispiel zur Arbeitsaufnahme oder als Studierende, planen, sind gehalten, sich nach der Einreise bei der zuständigen Ausländerbehörde des jeweiligen Bundeslandes zu
melden. Eine bundesweite Statistik wird nicht geführt.
({0})
Zusatzfrage.
Herr Kollege Tauss, es freut mich zwar, dass Sie solch
ein Interesse an meinen Fragen haben. Aber anstatt dazwischenzurufen, wäre es besser, wenn Sie sich über den
Sachverhalt informieren würden. Das würde uns allen
helfen.
Herr Staatssekretär Körper, da explizit keine ausländerrechtlichen Statistiken geführt werden, muss ich Sie
fragen: Haben Sie die Möglichkeit, mithilfe der polizeilichen Kriminalstatistik besondere Auswertungen über
strafrechtlich relevantes Verhalten von Personen, die
beispielsweise aus der Ukraine eingereist sind, vorzunehmen? Wenn ja: Wie hat sich dieses Verhalten in den
letzten Jahren entwickelt?
Das ist eine bundesweite Statistik.
Diese hat aber nichts mit dem Registrieren der von Ihnen erwähnten Daten zu tun. Sie fragen, ob ein solches
strafrechtlich relevantes Verhalten in der polizeilichen
Kriminalstatistik gesondert aufgeführt ist. Um diese
Frage beantworten zu können, muss ich erst nachschauen.
Wenn es diese Daten gibt, wären Sie dann bereit, sie
mir zur Verfügung zu stellen?
Herr Kollege Binninger, wenn es die Daten in der
Form, wie Sie sie haben wollen, gibt, dann werden sie
nicht geheim sein. Aber ich vermute, dass es sie so nicht
geben wird. Das werde ich noch klären.
Herr Kollege von Klaeden.
Herr Staatssekretär, das Bundeskriminalamt stellt in
seinem Bericht vom September 2001 fest, dass 35 Prozent aller von Schengen-Staaten ausgestellten SchengenVisa von deutschen Auslandsvertretungen ausgestellt
werden und dass von diesen 35 Prozent wiederum
85 Prozent auf die Ukraine entfallen. Das Bundeskriminalamt stellt weiter fest:
Die deutschen Vertretungen weisen gleichzeitig die
niedrigste Ablehnungsquote auf. Dieser Umstand
ist der Täterseite bekannt.
Ich frage Sie, wie das Bundeskriminalamt zu solchen Erkenntnissen kommen kann, wenn die Statistiken, die diesen Feststellungen offensichtlich zugrunde liegen müssen, gar nicht existieren.
Ich habe nicht gesagt, dass sie nicht existieren. Ich
habe gesagt, dass dieser Bericht des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 2001, den Sie zitieren, exakt zu diesen
Erkenntnissen geführt hat. Sie wissen, dass dieser Bericht nicht nur zur Kenntnis genommen worden ist, sondern dass er in der Folge zu klaren Entscheidungen geführt hat.
Herr Kollege Uhl.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin auf meine Frage
geantwortet, dass es - außer in der jeweiligen Botschaft - keine Statistik über die erteilten Schengen-Visa
gibt. Nun werden Ihnen Vergleichszahlen aus Deutschland und den anderen EU-Staaten präsentiert. Trotzdem
sagen Sie - Sie haben überhaupt keine Probleme damit -, dass es keine Statistiken gibt. Wenn es keine Statistiken gibt, kann es auch keine entsprechenden Prozentzahlen geben. Wie kann es einen Vergleich zwischen
deutschen Schengen-Visa und Schengen-Visa anderer
Staaten geben, wenn es keine Statistik über die Anzahl
dieser Visa gibt?
Ich frage deswegen: Sind Sie bereit, sich in Brüssel zu
erkundigen - ich gebe Ihnen einen Tipp: zum Beispiel
beim Generalsekretariat des Rates -, ob dort vielleicht
eine solche Statistik geführt wird?
Herr Kollege Uhl, mit Erkundungsmaßnahmen habe
ich überhaupt keine Probleme. Ich hätte erst recht keine
Probleme, zuzugeben, dass mir etwas durchgegangen ist.
Um noch einmal auf diesen BKA-Bericht einzugehen: Tatsache ist, dass bestimmte Vorkommnisse zum
Vorschein gekommen sind, die auch Sie beschrieben haben. Dieser Bericht hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass notwendige Entscheidungen - Stichwort Reisebüroverfahren; das ist Ihnen ja alles bekannt getroffen wurden.
({0})
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Ralf Göbel auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis von Maßnahmen der
Justiz oder Gewerbeaufsichtsbehörden gegen Unternehmen
oder Unternehmer der Tourismusbranche in Deutschland wegen des Verdachts, bei Schleusungen von Personen aus der
Ukraine in die Schengen-Staaten mitgewirkt zu haben?
Herr Kollege Göbel, die Bundesregierung hat Kenntnis von Strafverfahren gegen den im Kölner Schleusungsprozess verurteilten Herrn A. B. Sie wissen, um
wen es sich handelt, nämlich um den Inhaber der Reiseschutz-AG, Herrn H. K. Justizielle bzw. gewerbeaufsichtsrechtliche Verfahren obliegen den Bundesländern.
Anfragen hierzu bitte ich gegebenenfalls an die Bundesländer zu richten.
Zuvor kann der Kollege Göbel noch zwei weitere Fragen an Sie richten.
Herr Staatssekretär, ist seitens des Bundesgrenzschutzes sichergestellt, dass Verdachtsmomente, die auf
Schleusungen hinweisen, rechtzeitig an die zuständigen
Länderbehörden übermittelt werden, damit diese tätig
werden können, wenn Reiseunternehmen in den Verdacht geraten, Schleusungen durchzuführen?
Das Verfahren zeigt, wie eng die Sicherheitsbehörden
zusammengearbeitet haben. Dabei spielt die Frage, wie
es um die Zusammenarbeit zwischen dem BKA einerseits und dem Bundesgrenzschutz andererseits bestellt
ist, eine wichtige Rolle. Lieber Kollege Göbel, ich habe
keine Veranlassung, anzunehmen, dass etwas fehlgeleitet
oder falsch behandelt worden ist.
Ich hatte gefragt, ob es rechtliche Regelungen gibt,
die gewährleisten, dass der Informationsaustausch
schnell passiert.
Sie wissen, dass es bereits entsprechende Strafverfahren gegeben hat. Die Grundlagen dafür sind vom BKA
und vom Bundesgrenzschutz erarbeitet worden. Ich gehe
daher davon aus, dass die Erarbeitung intensiv, zeitnah
und korrekt erfolgt ist.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatssekretär, ich würde gern auf den soeben erwähnten Bericht des BKA zurückkommen. Dort heißt es
zu dem Phänomen massenhafter Einschleusungen:
Das gesamte Phänomen könnte auch als moderne
Form der Sklaverei bezeichnet werden.
Und weiter:
Grundlage der Visaerschleichung sind Einladungen
mit falschen Angaben hinsichtlich des angegebenen
Aufenthaltszwecks, der Anschrift in Deutschland
oder der Aufenthaltsdauer. Die Visaerschleichung
erfolgt organisiert. Einladungen und die weiteren
notwendigen Papiere werden entweder gefälscht
oder von realen Firmen, die sich dadurch Vermögensvorteile schaffen, fingiert. Die Visaerschleichung ist nach polizeilichen Erkenntnissen die
effektivste Voraussetzung für international organisierte Schleusungskriminalität.
So das BKA in seinem Bericht aus dem Jahre 2001.
Ich möchte Sie fragen: Hat nach Ihrer Ansicht die
Bundesregierung nach Veröffentlichung dieses Berichts
alles unternommen,
({0})
um diese massenhafte Praxis an den deutschen Auslandsvertretungen einzustellen?
Herr Kollege von Klaeden, ich bin Ihnen dankbar,
dass Sie dieses Zitat aus dem Bericht des BKA hier vorgetragen haben.
({0})
Sie machten dabei ganz deutlich,
({1})
wo der Missbrauch stattfand. Wenn Sie berücksichtigen,
was aufgrund dieses Berichts unternommen worden ist,
kann ich Ihre Frage klar mit Ja beantworten.
Ich rufe nun die Frage 10 des Kollegen Stephan
Mayer auf:
({0})
Wie lässt sich die Aussage des BMI, wonach statistische
Angaben über Visumserschleichungen nicht vorliegen - so
die Antwort des Staatssekretärs im BMI Dr. Göttrik Wewer
vom 27. Februar 2004 auf meine schriftliche Frage 47 auf
Bundestagsdrucksache 15/2635 -, mit der Behauptung des
AA, der so genannte Volmer-Erlass habe nicht zu massenhaften Einschleusungen von Schwarzarbeitern geführt - so die
Antwort der Staatsministerin im AA, Kerstin Müller, vom
27. Februar 2004 auf die schriftliche Frage 22 der Abgeordneten Kristina Köhler ({1}) auf Bundestagsdrucksache
15/2635 und Antwort der Staatsministerin im AA, Kerstin
Müller, auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hans-Peter
Uhl zu der Frage 11 des Abgeordneten Hartmut Koschyk in
der Fragestunde am 3. März 2004, Plenarprotokoll 15/93,
Seite 8297 f. -, vereinbaren?
Die Aussage des Bundesministeriums des Innern,
dass statistische Angaben speziell zu Visaerschleichungen nicht zuletzt wegen der bekannten Dunkelfeldproblematik in diesem Bereich nicht vorliegen, widerspricht
nicht der Aussage des Auswärtigen Amtes, dass die Unterstellung, der Runderlass vom 3. März 2000 habe zu
massenhaften Einschleusungen von Schwarzarbeitern
geführt, zurückzuweisen ist. Ebenso wenig wie es statistische Angaben über Visumserschleichungen gibt, existiert ein Nachweis über den kausalen Zusammenhang
zwischen der Einschleusung von Schwarzarbeitern und
dem Erlass vom 3. März 2000. Ich sage ganz deutlich:
Ein derartiger Zusammenhang wurde lediglich unterstellt.
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege Mayer.
Herr Staatssekretär, ich glaube, man kann uns in
Deutschland nicht vorwerfen, dass wir einen Mangel an
Statistiken im Meldewesen haben. Wie passt nun Ihre
Antwort auf meine schriftliche Frage vom 27. Februar
- es wurde ausgeführt, dass es keine statistischen Angaben darüber gibt, dass es zu Visumserschleichungen an
der Botschaft in Kiew kam - mit dem Umstand zusammen, dass es einen sehr detaillierten Bericht des BKA
vom Mai 2001 gibt, der sehr genaue Zahlenangaben ausweist?
Herr Kolleg Mayer, Sie wissen, dass nicht leicht herauszufinden war, wo der Missbrauch lag. Herr von
Klaeden hat aus dem BKA-Bericht zitiert. Dabei wurde
deutlich, wo beispielsweise Manipulationen vorgenommen wurden. Diese waren Gegenstand der Untersuchungen und des Berichts. Ich mache noch einmal deutlich,
das dieser Themenkomplex aufgenommen wurde. Wir
sind zu klaren Entscheidungen bezüglich dieses Phänomens gekommen. Ich denke ferner, dass ich Ihre Frage
klar und deutlich beantwortet habe.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie passt Ihre Aussage zu dem
Umstand, dass Sie offenbar keine Aussagen darüber haben, ob gegen die im Wege der Einreisepraxis in der
Botschaft in Kiew Eingereisten Ermittlungsverfahren
wegen Schwarzarbeit eingeleitet wurden?
Ich muss fairerweise zugeben: Ich habe Ihre Frage
nicht verstanden.
({0})
Ich kann die Frage gern noch einmal konkretisieren.
Wie passt Ihre vorhin gegebene Antwort mit dem Umstand zusammen, dass Sie offensichtlich keine Zahlen
darüber haben, inwiefern und in welcher Anzahl Ermittlungsverfahren gegen Personen eingeleitet wurden, die
im Wege der Einreisepraxis der Botschaft in Kiew nach
Deutschland gekommen sind?
Es laufen viele Ermittlungsverfahren. Die genaue Anzahl der Ermittlungsverfahren kann man feststellen; das
ist überhaupt kein Problem. Schauen Sie im nachfolgenden Bericht des Bundeskriminalamtes nach! Diese Angaben sind auch Gegenstand der weiteren Strafverfahren.
Nun hat der Kollege Uhl eine Zusatzfrage, dann der
Kollege Volmer.
Herr Staatssekretär, Sie haben noch einmal jeden Zusammenhang zwischen der massenhaften Erteilung von
deutschen Schengen-Visa einerseits und der Einschleusung von Schwarzarbeitern in den Schengen-Raum andererseits bestritten. Ist Ihnen bekannt, dass sich der Ihrem Hause unterstehende Bundesgrenzschutz in dieser
Sache mehrmals an Ihr Haus gewandt hat? Ich zitiere nur
einen Fall: Bereits in einem Schreiben vom 29. Mai
2001 ist festgestellt worden, dass im April 2001 an der
spanisch-französischen Grenze 204 Personen aus Frankreich zurückgewiesen werden mussten. Von den
204 Personen waren 156 Personen im Besitz eines deutschen Visums, mehrheitlich ausgestellt von der deutschen Botschaft in Kiew. Weiter heißt es: Die französische Grenzpolizei beschwert sich über diese Praxis und
hat den dringenden Verdacht, dass systematisch
Schwarzarbeiter nach Spanien eingeschleust werden.
Wissen Sie von diesem Schreiben und glauben Sie,
dass Sie noch weiter behaupten können, es gebe überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der massenhaften Erteilung von Visa und der Einschleusung von
Schwarzarbeitern in großem Stil nach Spanien, Frankreich, Italien und Portugal?
Lieber Herr Kollege Uhl, ich bin froh, dass Sie die internen Akten offensichtlich komplett in Kopie vorliegen
haben.
({0})
- Nein. Sie zitieren ein Schreiben des Abteilungsleiters
Dr. Kass.
({1})
Das kenne ich. Der war mit seinem französischen Kollegen zugange und ist in diesem Zusammenhang auf ein
bestimmtes Phänomen hingewiesen worden. Insofern:
Ich kenne die Aktenlage mindestens so gut wie Sie.
({2})
Ich glaube, es ist etwas ganz Normales, dass jemand
einer solchen Sache nachgeht, wenn ihn ein Kollege
diesbezüglich anspricht. Das spricht im Übrigen für die
Vorgehensweise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
unseres Hauses und des Bundesgrenzschutzes. Ich bin
damit zufrieden.
({3})
Herr Kollege Volmer.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir vielleicht dabei
behilflich sein, einen politischen Widerspruch in der Argumentation der Opposition aufzuklären?
({0})
Denn diese behauptet einen Zusammenhang zwischen
dem Erlass des Auswärtigen Amtes vom März 2000 und
der Schleuserkriminalität. Auf der einen Seite sagt sie,
der Erlass habe Tür und Tor geöffnet. Auf der anderen
Seite räumt sie ein - was auch vom Gericht festgestellt
worden ist -, dass es eine hohe kriminelle Energie gebe,
unsere Visastellen zu überwinden.
Nun frage ich Sie: Wenn dieser Erlass wirklich Tür
und Tor geöffnet hat, warum bedurfte es dann einer hohen kriminellen Energie, um nach Deutschland hineinzukommen? Ist die Tatsache, dass eine hohe kriminelle
Energie aufgewendet werden musste, nicht eher ein Beweis dafür, dass die Schengen-Mechanismen auch nach
diesem Erlass noch funktionierten?
Ganz genau.
({0})
Daran, mit welch hoher krimineller Energie dies betrieben worden ist, wird deutlich, mit welch einem schwierigen Phänomen wir zu tun hatten.
Lieber Herr Kollege Volmer, ich versuche deshalb
stets, den Gegenstand des Erlasses, der mit Ihrem Namen verbunden ist, deutlich zu machen. Mit ebendieser
hohen kriminellen Energie wurden die Schengen-Kriterien unterlaufen, indem beispielsweise Reiseziele verschleiert oder bei Fragen zur Rückkehrbereitschaft falsche Angaben gemacht wurden. Das zeigt, dass ein
solcher Zusammenhang nicht gegeben ist und dass wir
es letztlich mit einem kriminellen Phänomen zu tun haben, das zu diesen Ergebnissen geführt hat.
Herr Kollege Binninger.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie den Zusammenhang zwischen dem Volmer-Erlass aus dem Jahr 2000,
der die Reisefreiheit im Zweifel höher als die Sicherheitsbedürfnisse unseres Landes gewichtet,
({0})
und der Tatsache, dass der Abgeordnete Volmer vor der
Bundestagswahl 2002 auf seiner Homepage sinngemäß
erklärt hat, eines seiner Ziele sei die liberale Neuordnung der Visaerteilungspraxis?
Herr Kollege Binninger, Sie müssen mir nachsehen,
dass ich die Inhalte der Homepage von Herrn Volmer
ehrlich gesagt weder vor noch nach dem Wahlkampf zur
Kenntnis genommen habe. Aber jetzt merke ich, dass
das meinerseits ein echter Mangel ist. Ich werde es gern
nachholen.
({0})
Herr Kollege Grindel.
Herr Staatssekretär, wie Sie auf die Frage des Kollegen Uhl gerade mitteilten, kennen Sie die Aktenlage sehr
gut. Insbesondere haben Sie gesagt, Herr Kass sei mit
seinem französischen Kollegen „zugange“ gewesen.
Können Sie mir sagen, was Gegenstand des Treffens von
Herrn Kass und seinem französischen Kollegen war?
({0})
Ging es tatsächlich um Beschwerden der französischen
Seite? Und als die Beschwerden von französischer Seite
geäußert worden sind, hat dies bei Ihnen zu Konsequenzen geführt?
({1})
- Lassen Sie mich auf die häufigen Zwischenrufe - gerade von Ihnen, Herr Weisskirchen - sagen: Wenn ich
das richtig sehe, kämpfen Sie bei jeder Gelegenheit zu
Recht gegen den internationalen Menschenhandel, insbesondere bezogen auf Prostituierte, die zu übelsten Verbrechen gedungen werden. Wenn wir uns dafür einsetzen, dass das in Zukunft aufhört, sollte man dies nicht
permanent mit spöttischen Bemerkungen kommentieren.
({2})
Herr Kollege Grindel, aus diesem Schreiben habe ich
zitiert, weil es Gegenstand der Frage von Herrn
Kollegen Uhl gewesen ist. In diesem Zusammenhang
sage ich: Ich weiß, dass Herrn Dr. Kass in diesem Gespräch ein paar Fälle vorgetragen worden sind, die er
zum Anlass genommen hat, die Vorgänge in Briefform
zu gießen und sich damit an seinen Kollegen im Auswärtigen Amt zu wenden. Das war der Hintergrund. Wie Sie
sehen, geschah dies in dem Jahr, in welchem wir diesbezüglich vielfältige Aktivitäten gestartet haben.
Deshalb noch einmal: Wir sind uns sicher in dem Ziel
einig, dass der Missbrauch unterbunden werden muss.
Die sehr sorgfältige Arbeit von BKA und Bundesgrenzschutz zeigt, dass das Thema aufgenommen und letztendlich einem Ergebnis - den Ihnen bekannten Maßnahmen - zugeführt worden ist.
({0})
Die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten JochenKonrad Fromme wurden zurückgezogen.
Jetzt rufe ich Frage 28 des Kollegen Reinhard Grindel
aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit auf:
Wie viele Schwarzarbeiter mit ukrainischem Pass wurden
in den Jahren 1998 bis 2003 in der Bundesrepublik Deutschland jeweils aufgegriffen?
Zur Beantwortung erteile ich dem Parlamentarischen
Staatssekretär Ditmar Staffelt das Wort.
Bei der statistischen Erfassung illegaler Arbeitnehmer
ohne Arbeitserlaubnis werden keine Daten zur Staatsangehörigkeit erhoben. Das ist meine Antwort auf
Frage 28. Allerdings - deswegen bin ich etwas durcheinander - habe ich Ihnen noch die Antwort auf Frage 27
zu geben.
Nur zur Erläuterung, warum die Fragen nicht im Zusammenhang aufgerufen worden sind: Das hängt mit unserer Regelung für die Fragestunde zusammen, dass aus
dem gleichen Zusammenhang stammende Fragen aus
anderen Geschäftsbereichen im Kontext aufgerufen, also
gegebenenfalls vorgezogen werden. Die Frage 27 steht
zwar im Sachzusammenhang mit der Frage 28, nicht
aber mit dem vorherigen Komplex.
Aber wenn Sie diese Frage jetzt beantworten wollen,
muss ich sie zuvor aufrufen:
Wie viele Arbeitserlaubnisse für Saisonarbeiter wurden in
den Jahren 1998 bis 2003 jeweils erteilt?
Im Jahr 1998 wurden 201 866 Arbeitserlaubnisse für
Saisonarbeiter erteilt. 1999 waren es 223 358, im
Jahr 2000 waren es 255 515, im Jahr 2001 277 938, im
Jahr 2002 298 102 und im Jahr 2003 waren es 309 469.
Ich gebe jetzt dem Kollegen Grindel Gelegenheit, Zusatzfragen zu stellen.
Herr Präsident, was machen wir jetzt? Habe ich zwei
oder vier Zusatzfragen?
Da beide Fragen jetzt beantwortet sind, haben Sie,
wenn Sie mögen, bis zu vier Zusatzfragen.
Ob ich diese ausschöpfen muss, liegt auch ein wenig
an Herrn Staffelt; deshalb fragte ich.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wie viele von
den Saisonarbeitern aus der Ukraine stammen und ob in
den von uns abgefragten Jahren 1998 bis 2003 im Verhältnis zu den Jahren davor eine besondere Häufung aus
der Ukraine stammender vorliegt?
Ich habe keinerlei Unterlagen dazu.
Sie haben gesagt, Sie haben keine Unterlagen zu den
jeweiligen Nationalitäten der aufgegriffenen Schwarzarbeiter. Können Sie mir, da Sie sich auf diese Fragestunde bestimmt intensiv vorbereitet haben, zumindest
bestätigen, dass zu dem Kreis der Personen, die dort aufgegriffen wurden, auch - wie heute in einem Bericht der
„Berliner Zeitung“ zu lesen ist - Prostituierte aus dem
Prostituiertenring eines beschuldigten gewissen Boris B.
gehörten, der in Berlin auch im Zusammenhang mit anderen Fragen eine gewisse Prominenz erlangt hat?
Ich muss Ihnen ganz offen gestehen, dass ich nicht in
der Lage bin, Ihnen das zu bestätigen. Ich bin zwar Berliner, aber das verpflichtet mich ja nicht, in jede Ecke der
Stadt zu schauen, Herr Abgeordneter.
({0})
Ich weiß es schlicht und einfach nicht, werde das aber
gerne noch einmal ansprechen lassen.
Ich ging davon aus, dass auch das zur Vorbereitung
gehörte. Schließlich gab es zu dem gesamten Komplex
heute ja einen umfänglichen Artikel in der „Berliner Zeitung“. Ich dachte, die Bundesregierung sei auf daraus
sich ergebende Fragen vorbereitet.
Ich wäre dankbar, wenn man mir mitteilen könnte, ob
diese illegal Beschäftigten auch zu dem Kreis der Personen zählen, die aus der Ukraine - über den Weg, den
wir hier beschrieben haben - zu uns gekommen sind.
Wir werden das Mögliche tun.
Das ist sehr freundlich.
Das waren die Zusatzfragen zu den Fragen 27 und 28.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes mit den Fragen 95 ff. aus dem vorhin aufgerufenen Gesamtkomplex. Zur Beantwortung steht Frau
Staatsministerin Müller zur Verfügung. Ich erteile ihr
das Wort zunächst zur Beantwortung der Frage 95 des
Kollegen Eckart von Klaeden:
Warum ist das AA nicht bereit, mir den so genannten
Volmer-Erlass zur Verfügung zu stellen?
Herr von Klaeden, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Das Auswärtige Amt hat den Erlass vom
3. März 2000 sowohl dem Innenausschuss als auch dem
Auswärtigen Ausschuss zur vertraulichen Unterrichtung
zur Verfügung gestellt. Die Bundesregierung ist gerne
bereit, Ihnen ebenfalls ein Exemplar zur vertraulichen
Unterrichtung zuzusenden.
Zusatzfragen.
Frau Staatsministerin, wir hatten auch über einen
Briefwechsel zwischen dem Innenminister und dem Außenminister zur Frage des Volmer-Erlasses gesprochen,
den auch der Staatssekretär Körper mehrfach erwähnt
hat, über dessen Existenz Sie in der letzten Fragestunde
nicht hinreichend informiert waren. Mittlerweile hat sich
durch die Beantwortung der Fragen durch Herrn Staatssekretär Körper herausgestellt, dass dieser Briefwechsel
existiert. Sind Sie bereit, mir auch diesen Briefwechsel
zur Verfügung zu stellen?
Herr Abgeordneter, es handelt sich hierbei um einen
internen Behördenvorgang. Da wir solche grundsätzlich
intern behandeln möchten, geht dies leider nicht. Bei
dem Erlass, den Sie in Ihrer Frage erwähnt haben, haben
wir eine Ausnahme gemacht, weil er im politischen Mittelpunkt stand, wollen von unserem Grundsatz ansonsten
aber nicht abweichen.
Darüber hinaus möchte ich zurückweisen, ich hätte
hier bewusst einen entsprechenden Briefwechsel verneint, und deutlich sagen, dass es sich um ein Missverständnis meinerseits gehandelt hat. Ich hatte die Frage
beim Hören so verstanden, dass Sie nach einem förmlichen Briefwechsel zwischen Minister Fischer und Minister Schily gefragt haben. Den hat es so nicht gegeben.
Aber es hat einen Schriftwechsel gegeben, in dessen
Rahmen Herr Schapper und Herr Pleuger Briefe verfasst
haben. Diese wurden schon erwähnt.
Herr von Klaeden, das war bereits Ihre zweite Zusatzfrage.
({0})
Nun kommt die Zusatzfrage des Kollegen Sehling.
Frau Staatsministerin, trifft es zu, dass der so genannte Volmer-Erlass vom Wortlaut her nach wie vor gegen die verbindlichen Vorgaben der gemeinsamen konsularischen Instruktion des Schengen-Rechts verstößt?
Nein, das trifft nicht zu. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die umfangreichen Antworten, die ich
in der letzten Fragestunde gegeben habe, und auf die
Fragen, die von uns schriftlich beantwortet wurden.
Ich rufe die Frage 96 des Kollegen Matthias Sehling
auf:
Welche Gründe haben im Mai 2001 zur Ausweitung des
Systems geführt, sodass der Reiseschutzpass auch als Ersatz
von Verpflichtungserklärungen nach § 84 Ausländergesetz
gilt, und warum hat die Bundesregierung in der Antwort des
Staatssekretärs im AA Jürgen Chrobog auf meine schriftliche
Frage mit der Arbeitsnummer 2/358 überhaupt nicht sachbezogen geantwortet?
Herr Abgeordneter Sehling, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Reiseschutzversicherung mit dem Namen
Reiseschutzpass stellte ein Konkurrenzprodukt zum vom
ADAC herausgegebenen Carnet de Touriste dar. Das
Carnet de Touriste war bereits 1995 von der damaligen
Bundesregierung unter Innenminister Kanther und Außenminister Kinkel eingeführt worden. Nachdem die
Bundesregierung entschieden hatte, das entsprechende
Angebot des ADAC zu akzeptieren, war kein Grund ersichtlich, warum nicht auch vergleichbare Konkurrenzprodukte für eine Anerkennung infrage kamen. 2001
wurde also nur die seit 1995 bestehende Praxis der Anerkennung von Reiseschutzversicherungen weitergeführt.
Im Übrigen hat die Bundesregierung Ihre schriftliche
Frage 2/358 ausführlich und sachgerecht beantwortet.
Deswegen verweise ich an dieser Stelle nochmals auch
auf diese Antwort.
Zusatzfrage?
Gab es im Mai 2001 einen weiteren Erlass des Auswärtigen Amtes mit dem Inhalt, dass die Reiseschutzversicherung als Finanzierungsinstrument, als Ersatz für die
Verpflichtungserklärungen zusätzlich anerkannt werden
sollte, und zwar weltweit?
Das habe ich schon im Zusammenhang mit Ihrer ersten Frage beantwortet.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Uhl.
Frau Staatsministerin, ist Ihnen der Erlass vom
Mai 2001 bekannt? Wenn ja, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, dass es für den Beamten schwierig wird, den
Erlass konform auszulegen? Denn ihm wird ja gesagt:
Du musst in jedem Einzelfall prüfen, ob Reisezweck und
Rückkehrbereitschaft bestehen, darfst aber zur Prüfung
keinerlei Unterlagen - wie zum Beispiel Einladungen
aus Deutschland, Hotelbuchungen aus Deutschland oder
Arbeitgeberbescheinigungen aus Deutschland - anfordern.
Das bedeutet für den Beamten: Prüfe, aber prüfe doch
nicht so genau! - Zweifel reichen nicht aus, damit sie ein
Visum ablehnen können; sie müssen Beweise haben,
dürfen aber keine Unterlagen anfordern. Erklären Sie
mir bitte, wie eine solche Prüfung auszusehen hat!
Herr Uhl, diese Frage haben sich 1995 sicher schon
Innenminister Kanther und Außenminister Kinkel gestellt.
Nein, das ist neu.
Es handelt sich bei dem Reiseschutzpass um ein Vergleichsprodukt des so genannten Carnet de Touriste, das
heißt um eine pauschale Verpflichtungserklärung, die
den Nachweis der Finanzierbarkeit ersetzt. Das bedeutet
erstens, dass natürlich jeder Einzelfall weiterhin zu prüfen ist, und zweitens, dass natürlich auch die übrigen
Voraussetzungen, die für die Erteilung eines Visums erforderlich sind, weiterhin zu prüfen sind, also die Rückkehrbereitschaft, die Einhaltung des Reisezwecks und
die Rückkehrberechtigung. Wie Sie wissen, wird die Regelanfrage beim AZR und beim SIS zusätzlich durchgeführt, bevor man mit dieser Ermessensprüfung beginnt.
Wenn dort eine Sperre vermerkt ist, wird mit der Prüfung der Voraussetzungen gar nicht erst begonnen. Insofern erfolgt natürlich eine Einzelfallprüfung.
Ich kann nur noch einmal auf meine Antworten in den
letzten Fragestunden verweisen: Bei den Visaerteilungen
stehen wir in einem Spannungsfeld, das auch den Abgeordneten Ihrer Fraktion bekannt ist.
({0})
Auf der einen Seite wollen wir den wirtschaftlichen Austausch fördern und auf der anderen Seite wollen wir natürlich eine größtmögliche Sicherheit in der Bundesrepublik gewährleisten. In diesem Spannungsfeld ist das
Carnet de Touriste entstanden. In der Fortsetzung kam es
dann zum so genannten Reiseschutzpass.
({1})
Herr von Klaeden.
Frau Staatsministerin, sind Sie bereit, mir auch die
Erlasse und Mitteilungen an die Botschaften zur Verfügung zu stellen, die infolge des Volmer-Erlasses und
nach den Gesprächen oder dem Schriftwechsel - was
auch immer - zwischen dem Innenministerium und dem
Auswärtigen Amt an die Entscheider ergangen sind, damit die Konsequenzen für diejenigen, die zu entscheiden
hatten, für uns nachvollziehbar werden?
Herr von Klaeden, leider muss ich auch diese Frage
verneinen, wie ich es schon auf Ihre Frage 95 hin getan
habe.
Im Grundsatz handelt es sich um behördeninterne
Vorgänge. Es gibt viele Erlasse - auch an verschiedene
einzelne Botschaften - im Hinblick auf die Visaerteilung. Die Visapraxis wird ständig fortgeschrieben und
entsprechend korrigiert. Ich bitte um Verständnis, dass
wir diese behördeninternen Vorgänge auch als solche behandelt wissen wollen. Auf Ihre Bitte hin haben wir bei
dem von Ihnen erwähnten Erlass eine Ausnahme gemacht, weil er im politischen Mittelpunkt steht.
Ich rufe die Frage 97 auf:
Waren die Sachbearbeiter in den deutschen Botschaften
durch den so genannten Volmer-Erlass oder sonstige Maßnahmen des AA seit 1999 gehalten, durch Beratung der Visumantragsteller auf deren Angaben zur Antragsbegründung einzuwirken, und warum wurden in der deutschen Botschaft in
Kiew - laut Betroffenenaussagen - Visumantragsteller mit einem Reiseschutzpass getrennt und angeblich sogar bevorzugt
vor Antragstellern mit einem Carnet de Touriste behandelt?
Herr Abgeordneter Sehling, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Der Erlass vom 3. März 2000 führt zu diesem
Thema unter Ziffer 6 zur Beratung im Visaverfahren
Folgendes aus:
Mit der Ablehnung eines Visums wehren die Auslandsvertretungen Versuche der illegalen Zuwanderung ab. Mit der Visumerteilung fördern sie Reise
und Begegnung in Deutschland. Es gehört deshalb
zu den Aufgaben der Auslandsvertretungen, die
Antragsteller über die Voraussetzungen der Visum8846
erteilung zu beraten und auf sachdienliche Anträge
hinzuwirken. Ziel ist es, die Chance einer legalen
Reisemöglichkeit zu eröffnen.
Die an die Antragsteller gestellten Anforderungen
zum Nachweis und zur Glaubhaftmachung ihres
Antrages müssen transparent und allgemein zugänglich sein, zum Beispiel aktualisierte Merkblätter, Informationen auf der Homepage einer
Auslandsvertretung, regelmäßige Gespräche mit
Presseorganen.
Die Schalterkräfte an den deutschen Auslandsvertretungen beraten Antragsteller daher dahin gehend, dass
sie auf fehlende Unterlagen hinweisen, ohne die ein Visumantrag unvollständig ist und in der Regel nicht zur
Bearbeitung angenommen werden kann, zum Beispiel
Unterlagen und Angaben zur Identifizierung, zur Finanzierung, zum Reisezweck, zur Verwurzelung im Heimatland, zur Rückkehrbereitschaft, sprich: zu all den Voraussetzungen, die für eine individuelle Prüfung und für
eine Visumerteilung notwendig sind.
Weisungen zu einer Besserstellung von Antragstellern
mit Reiseschutzpässen gegenüber Antragstellern mit einem Carnet de Touriste hat es zu keiner Zeit gegeben.
Auch in der Praxis hat es eine solche Privilegierung des
Reiseschutzpasses gegenüber dem Carnet de Touriste
meines Wissens nicht gegeben. Für Antragsteller mit
Reiseschutzversicherungen - dazu gehörten Reiseschutzpässe ebenso wie das Carnet de Touriste - war in
der Botschaft in Kiew ein Extraschalter vorgesehen; das
ist richtig. Aber auch diese Personen mussten gemäß
geltender Rechtslage neben der Vorlage einer Reiseschutzversicherung als gesichertem Finanzierungsnachweis die übrigen Voraussetzungen für die Visumerteilung erfüllen.
Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, soll ich Ihren Ausführungen
entnehmen - Sie haben die Beratungssituation dargestellt -, dass es nach Ihrer Fassung keine Weisung gab,
möglichst vielen Antragstellern die gewünschten Touristenvisa auszustellen?
({0})
Nein, dahin gehend können Sie meine Antwort nicht
verstehen. Ich bitte Sie, meine Antwort so zu verstehen,
wie ich sie ausgeführt habe.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, Sie haben eine mögliche Bevorzugung der Besitzer von Reiseschutzpässen in Kiew
verneint. Sind Ihnen Praxisvorgänge bekannt, dass etwa
in Kiew die Antragsteller mit Reiseschutzpass bevorzugt
in die Botschaftsräume hineingeführt worden sind, nachdem die Menschenmenge, die vor der Tür stand, immer
größer wurde? Sind die Inhaber von Reiseschutzpässen
zahlenmäßig bevorzugt behandelt worden?
Nein, das ist mir nicht bekannt.
Herr Kollege Grosse-Brömer.
Frau Staatsministerin, nach dem, was ich vorhin gehört habe, stellt sich mir die Frage: Inwieweit ist es seit
1998 in Ihrem Hause zu einer grundlegenden Änderung
hin zu einer Liberalisierung der Visumerteilung gekommen? War das Gegenstand einer bewussten Erörterung?
War es konkrete Politik, hier etwas zu ändern?
Zweitens:
({0})
Lässt sich darüber hinaus der Schluss ableiten, dass spätestens nach dem Volmer-Erlass das von Ihnen vorhin
sehr zutreffend beschriebene Spannungsverhältnis in Ihrem Hause ganz klar dahin gehend beantwortet wurde,
dass wir mehr Liberalisierung und Freizügigkeit und weniger Sicherheit brauchen?
Ihre letzte Frage kann ich eindeutig mit Nein beantworten. Ich möchte Sie korrigieren, dass es aufgrund
dieses Spannungsverhältnisses erst 1998 Veränderungen
gegeben hat. Mir ist bekannt, dass es diese Änderungen
schon seit 1995 und vermutlich auch vor dieser Zeit gegeben hat.
Ich möchte Ihre Frage generell beantworten und im
Hinblick auf die Details auf die vielen ausführlichen
Antworten aus den letzten Fragestunden und auf die
schriftlichen Antworten verweisen. Man versucht
ständig - ob die Vorgängerregierung oder unsere Bundesregierung -, auf das Spannungsverhältnis angemessen zu reagieren. Das heißt, einerseits den wirtschaftlichen Austausch zu fördern und - ich habe das aus einem
Brief eines Ihrer Kollegen zitiert - dem Ruf Deutschlands als ein weltoffenes Land gerecht zu werden. Auf
der anderen Seite muss die größtmögliche Sicherheit für
die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik gewährleistet sein. Zu keinem Zeitpunkt gab es einen Vorrang für die eine oder die andere Überlegung.
Zu den Gründen für die Einführung des so genannten
Volmer-Erlasses möchte ich auf meine Antworten verweisen. Auch zu den Gründen, warum das Carnet de
Touriste zum so genannten Reiseschutzverfahren ausgeweitet wurde, möchte ich auf meine entsprechenden
Antworten hinweisen, dito für das so genannte Reisebüroverfahren.
Herr Kollege Volmer.
({0})
Vielleicht lernen Sie ja noch etwas.
({0})
Frau Staatsministerin, können Sie mir zustimmen,
dass unsere Konsulate bzw. Visastellen für viele Reisende der erste Eindruck von der Bundesrepublik
Deutschland sind und dass der erste Eindruck sehr oft
mitentscheidend für das Image eines ganzen Landes ist?
In diesem Sinne sind unsere Visastellen eine Art Visitenkarte der Bundesrepublik Deutschland. Daher kann es
nicht Aufgabe der Visastellen sein, möglichst abschreckend aufzutreten, sondern es ist wichtig, dass sie möglichst kundenfreundlich sind.
Kundenfreundlichkeit bedeutet, den Leuten zu zeigen, wie man Formulare ausfüllt - es geht nicht darum,
zu erklären, was man schreiben muss, um das Visum zu
bekommen -, statt die Leute, wie das die Vorgängerregierung gemacht hat, wegzujagen, wenn sie einen
Formfehler gemacht haben.
({1})
Ich stimme Ihnen insofern zu, dass wir immer bemüht
sind, unsere Botschaften und auch andere Angebote des
Auswärtigen Amtes im Sinne einer Dienstleistung für
die Bürgerinnen und Bürger zu gestalten, sowohl in
Deutschland hinsichtlich Informationen als auch im
Ausland hinsichtlich des ersten Eindrucks von Menschen. Wir arbeiten ständig daran, dies zu verbessern. Es
ist im Sinne des ganzen Hauses, Fortschritte zu erzielen
und Missstände zu beseitigen.
Herr Kollege Schröder.
Frau Staatsministerin, Bundesinnenminister Schily
war heute Vormittag im Innenausschuss
({0})
und hat berichtet, dass die Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland gerade im Zusammenhang mit den
schrecklichen Anschlägen von Madrid größer geworden
ist. Inwieweit will die Bundesregierung ihre bisherige
Praxis, was die Visaerteilung angeht, aufgrund der erhöhten Gefährdung nach den schrecklichen Anschlägen
von Madrid überdenken?
({1})
Herr Abgeordneter, wir überprüfen ständig und auch
jetzt nach dem schrecklichen Anschlag von Madrid, ob
wir im Hinblick auf die Sicherheitslage etwas verbessern
können und etwas verbessern müssen. Über konkrete
Überlegungen kann ich jetzt nicht berichten. Aber wenn
es Lücken gibt, muss man sie schließen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir hier erst kürzlich gemeinsam - fast alle Fraktionen dieses Hauses waren daran beteiligt - Sicherheitspakete nach den Anschlägen vom 11. September verabschiedet haben, an
deren Erstellung ich persönlich gemeinsam mit Abgeordneten auch Ihrer Fraktion intensiv beteiligt war. Wir
haben seinerzeit alle möglichen Bereiche nach Lücken
durchforstet und im Rahmen des Schengen-Abkommens - wir wollen und können nur gemeinsam mit den
Partnern des Schengen-Abkommens handeln - dort korrigiert, wo wir gemeinsam befunden haben, dass eine
Korrektur zu Verbesserungen führen könnte.
Grundsätzlich glaube ich - dies haben auch Abgeordnete Ihrer Fraktion gesagt -, dass es in einer offenen und
demokratischen Gesellschaft keine absolute Sicherheit
gibt. Das ist traurig, aber das ist so. Politisch wäre es das
Falscheste, was wir tun könnten, dies zu suggerieren
oder Schnellschüsse im sicherheitspolitischen Bereich
zu machen. Damit würden wir möglicherweise das tun,
was die Terroristen wollen.
({0})
Herr Tauss.
Frau Staatsministerin, könnten Sie mir bestätigen,
dass es immer wieder Kolleginnen und Kollegen aus
dem Deutschen Bundestag und möglicherweise aus den
Reihen der CDU/CSU-Fraktion gibt, die in vielen Fällen
eine liberalere Visaerteilungspraxis der Botschaften und
({0})
schnellere Bearbeitungen gerade im Interesse des kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs einfordern und
sich bei Ihnen mit der Bitte melden, bei der Erteilung
von Visa behilflich zu sein und nicht allzu illiberal zu
verfahren? Können Sie bestätigen, dass es solche Anfragen an Ihr Haus, das BMI oder die Bundesregierung insgesamt gibt?
Ich kann dies bestätigen. Ich habe Beispiele dafür genannt, dass wir kontinuierlich von Abgeordneten aller
Fraktionen dieses Hauses Bitten und Anfragen für Visaerteilungen bekommen. Ich finde das völlig normal und
völlig berechtigt; das will ich sehr deutlich sagen. Wir
gehen allen Einzelfällen nach und treffen dann im Rahmen der Abwägung und des Spannungsfeldes, das ich
genannt habe, eine Entscheidung. Manchmal können wir
etwas tun, manchmal steht dem ganz klar die Rechtslage
entgegen. Aber es gibt permanent, auch zum jetzigen
Zeitpunkt, zu dem die Abgeordneten der Opposition versuchen, uns etwas zu unterstellen, Anfragen und Bitten.
Ich habe schon in den letzten Wochen aus entsprechenden Briefen zitiert; das spare ich mir heute.
({0})
Herr Scheuer.
Frau Staatsministerin, Sie haben vorhin auf Nachfrage des Kollegen Uhl gesagt, dass die Prüfung der Dokumente wie Hotelbuchungen, Einladungen usw. schon
unter der Vorgängerregierung nicht mehr notwendig war.
Nach unseren Informationen war das nicht so, sondern
es ist erst unter Ihrer Regierung neu eingeführt worden,
dass man diese Prüfdokumente nicht mehr braucht. Können Sie Ihrerseits die Aussage berichtigen, dass der
Wegfall der Notwendigkeit der Prüfdokumente neu war?
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass eine
Verpflichtungserklärung durch ein entsprechendes Versicherungsprodukt ersetzt werden konnte. Dabei gab es einen Vorläufer, das so genannte Carnet de Touriste, das
1995 durch die Vorgängerregierung eingeführt und sodann mit dem so genannten Reiseschutzpass fortgesetzt
wurde.
Herr Kollege Uhl.
Frau Staatsministerin, Ihr Vorgänger im Amt, Herr
Volmer, hat eine interessante Vision von den deutschen
Visastellen als erste Anlaufstelle für den Ausländer und
als Visitenkarte der Bundesrepublik Deutschland entwickelt.
({0})
Ist Ihnen bekannt, dass uns alle Migrationsforscher ungefähr dieselben Zahlen nennen, nämlich dass sich circa
1 Million illegale Migranten in der Ukraine und circa
2 Millionen illegale Migranten aus Asien und aller Herren Länder im Raum Moskau aufhalten und dass dort jedes Jahr circa 130 000 Menschen untertauchen, die nur
ein Ziel verfolgen: als Schwarzarbeiter nach Westeuropa
weiterzuwandern?
({1})
Es geht um Migrationsströme von einem Ausmaß, die
alle Völkerwanderungen, die wir in der Schule kennen
gelernt haben, weit in den Schatten stellen.
Jetzt kommt die eigentliche Frage an Sie: Wie gehen
Sie angesichts dieser Zahlen, dieser Probleme, dieses
Massenandrangs an illegalen Schleuseraktivitäten und
des Zustroms von Schwarzarbeitern mit der Vision des
ehemaligen Staatsministers im Auswärtigen Amt um,
dass Sie quasi einen roten Teppich ausrollen und eine
Dienstleistung erbringen, nämlich massenhaft Visa erteilen sollen, damit dieser Strom munter nach Westeuropa
weitersprudelt?
({2})
Herr Kollege Uhl, ich weiß zwar nicht, was eine Debatte über Migrationsströme mit dem Erlass vom
3. August 2000 zu tun hat, aber die Debatte wird jetzt interessant. Ich kann Ihre Zahlen nicht bestätigen, mir liegt
der neueste Migrationsbericht nicht vor. Aber ich
möchte Ihre Frage mit einer Gegenfrage beantworten:
Haben Sie etwas dagegen einzuwenden, dass unsere
Botschaften sozusagen das erste Aushängeschild
Deutschlands im Ausland sind und dass wir uns darum
bemühen, dies tagtäglich zu verbessern? Das kann ich
mir schwer vorstellen.
({0})
Ich erteile jetzt dem Kollegen Mayer als Letztem die
Gelegenheit zu einer Zusatzfrage zu Frage 97, weise
aber noch einmal darauf hin, dass wir uns nicht zum ersten Mal mit der zunehmenden Länge von Zusatzfragen
von dem unmittelbaren Gegenstand der Frage entfernen.
Es dürfen eigentlich nur solche Zusatzfragen gestellt und
vom Präsidenten zugelassen werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der gestellten Frage stehen.
({0})
Frau Staatsministerin, teilen Sie die Auffassung, dass,
wenn die deutschen Botschaften als Visitenkarten
Deutschlands im Ausland anzusehen sind, die Art und
Stephan Mayer ({0})
Weise der Visaerteilung in der deutschen Botschaft in
Kiew alles andere als ein positives, gutes und wünschenswertes Licht auf Deutschland und auf die sie tragende Bundesregierung geworfen hat?
Ihre Behauptung kann ich in ihrer Pauschalität nur
klar zurückweisen. Es hat Probleme gegeben - das ist
klar - , weil vor allen Dingen bis zum Jahr 2002 ein großer Andrang von Visaantragstellern zu bewältigen war,
der inzwischen wieder rückläufig ist. Wir haben permanent durch Erlasse, ein entsprechendes Terminsystem,
die Aufstockung des Personals im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, Schulungen etc. versucht, die Botschaft nach besten Kräften zu unterstützen, damit selbstverständlich auch diese Botschaft sozusagen eine gute
Visitenkarte Deutschlands im Ausland darstellen kann.
({0})
Ich rufe die Frage 98 des Kollegen Ralf Göbel auf:
Wie viele Visa haben die deutschen Botschaften in Tirana
und Sofia in den Jahren 1998 bis 2003 jeweils erteilt und welcher Art waren diese Visa?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die deutsche
Botschaft in Tirana erteilte zwischen 1998 und 2003 insgesamt 79 760 Visa. Dabei handelte es sich zu circa
90 Prozent um kurzfristige Schengen-Visa.
Die deutsche Botschaft in Sofia erteilte im gleichen
Zeitraum insgesamt 220 809 Visa. Bis zur Aufhebung
der Visumpflicht für bulgarische Staatsangehörige im
Jahre 2001 handelte es sich dabei zu circa 85 Prozent um
kurzfristige Schengen-Visa und zu circa 15 Prozent um
nationale Visa für einen längerfristigen Aufenthalt. Seit
Aufhebung der Visumpflicht handelt es sich - bei stark
gesunkenen Antragszahlen - zu circa 90 Prozent um nationale Visa und nur noch zu circa 10 Prozent um kurzfristige Visa.
Wie ich sehe, möchten Sie, Herr Göbel, keine Zusatzfrage stellen.
Herr Kollege Binninger, bitte.
({0})
Frau Staatsministerin, könnten Sie die Zahl für die
Botschaft in Tirana - rund 79 000 Visa im Zeitraum von
1998 bis 2003 - nach Jahren aufteilen und insbesondere
die Zahlen für die Jahre ab 2000 nennen?
Das kann ich. Im Jahre 2000 waren es 9 335 Visa,
2001 waren es 13 857, 2002 waren es 19 470 und 2003
waren es 19 333.
({0})
- Soll ich das noch einmal langsam vorlesen?
Ich halte das für verzichtbar, weil das alles im Protokoll erscheint.
Ich kann die Frage gern auch schriftlich beantworten.
Da Sie dazu ohnehin keine weitere Zusatzfrage stellen können, bleibt Ihnen nur der Zugriff auf die Daten im
Protokoll.
Es gibt immer wieder Kollegen, die Fragen gestellt
haben und mit einer Mischung aus Faszination und Verzweiflung abwarten müssen, ob noch die Chance besteht, dass ihre Frage aufgerufen wird. Das liegt daran,
dass sich aus nachvollziehbaren Gründen Zusatzfragen
zu den Antworten ergeben.
Ich rufe nun die Frage 99 des Kollegen Uhl auf:
Muss bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen ein Visum an Ausländer erteilt werden, bei denen der Verdacht auf
terroristische Tätigkeit besteht, dieser Verdacht jedoch noch
nicht durch Tatsachen belegt werden kann?
({0})
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nein.
({0})
Bei Verdacht auf terroristische Tätigkeit kann einem
Ausländer auch bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen ein Visum nicht erteilt werden.
({1})
Zusatzfrage, Herr Kollege Uhl.
Frau Staatsministerin, ich bin angesichts des Wortlautes des Gesetzes von Ihrem klaren Nein überrascht. Ist
Ihnen bewusst, dass es im Gesetz „Wenn diese Tatsachen
nicht belegt werden können, muss ein Visum erteilt
werden“ heißt? Ich würde Ihnen raten, noch einmal einen Blick ins Gesetz zu werfen.
Ich zitiere jetzt aus diesem Gesetz, und zwar aus § 8
Abs. 1 Nr. 5 Ausländergesetz - ich habe diesen Satz sozusagen im Wortlaut diverse Stunden lang entwickelt;
dort steht entgegen Ihrer Behauptung - :
… oder wenn Tatsachen
- nicht die Annahme belegen, dass er einer Vereinigung angehört, die
den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er
eine derartige Vereinigung unterstützt.
Das heißt - ich beziehe mich auf Ihre Frage - : Ein Visumantrag wird seit der Einführung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes unter anderem dann abgelehnt, wenn
ein Tatbestand nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Ausländergesetz
vorliegt.
Bei Verdachtsfällen ist das Verfahren wie folgt: Das
Auswärtige Amt hat am 31. Januar 2002 die Vertretungen über die neuen Versagungsgründe nach § 8 Abs. 1
Nr. 5 Ausländergesetz informiert. Diese Versagungsgründe ergeben sich übrigens auch aus dem zweiten
Sicherheitspaket - Sie müssten den Wortlaut kennen - ,
das wir hier gemeinsam verabschiedet haben. Die Vertretungen wurden gebeten, auch bei Verdachtsfällen vor
der endgültigen Entscheidung die erhobenen Daten den
Sicherheitsbehörden zu übermitteln. Diese Einzelfälle
werden dann im Rahmen des Ermessens geprüft; etwaige Erkenntnisse werden bei der Entscheidung berücksichtigt.
In solchen Fällen greift der Regelversagungsgrund
nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 Ausländergesetz. Danach wird der
Antrag in der Regel abgelehnt, wenn „der Aufenthalt des
Ausländers aus einem sonstigen Grunde Interessen der
Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet“. Gerade wenn eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann, wird das Visum nicht erteilt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, ist Ihnen bekannt, dass die von
Ihnen gerühmte Vorschrift gerade auf ihre Wirksamkeit
hin überprüft wird, weil sie in der Praxis bisher ins Leere
ging?
Ich kann Ihre Behauptung, dass die Vorschrift in der
Praxis bisher ins Leere ging, nicht bestätigen. Im Übrigen ist noch nicht genug Zeit vergangen, um die Anwendung dieser Vorschrift wirklich evaluieren zu können.
Das möchte ich hier auch sehr deutlich sagen.
({0})
Ich habe gerade genau das Gegenteil belegt, nämlich
dass im Rahmen der besagten Vorschrift - entgegen der
Behauptung Ihrer Fraktion - bei Terrorismusverdacht
durchaus das Erteilen eines Visums versagt und der Betroffene ausgewiesen werden kann.
Ich rufe die Frage 100 des Kollegen Dr. Uhl auf:
Warum wurde das Verfahren der Reiseschutzpässe der RS
Reise-Schutz AG am 28. Juni 2002 nur in Kiew eingestellt
und bei den übrigen deutschen Auslandsvertretungen erst
neun Monate später?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Grund für die
Weisung des Auswärtigen Amtes an die Botschaft in
Kiew vom 28. Juni 2002, die Versicherungen der ReiseSchutz AG nicht mehr als Ersatz für Verpflichtungserklärungen zu akzeptieren, war die am 27. Juni 2002
erhaltene Information über das gegen einen Verantwortlichen der Reise-Schutz AG eingeleitete Ermittlungsverfahren. Dieses Ermittlungsverfahren betraf die mögliche
Beihilfe zu Schleusungen aus der Ukraine. Erst der Verdacht auf weitere Missbrauchsfälle hat zu einer Ausdehnung dieser Weisung am 28. März 2003 auf alle Auslandsvertretungen für die Reiseschutzversicherungen
jedweder Anbieter geführt. Das Bundesministerium des
Innern unterrichtete am 15. April 2003 die Ausländerbehörden darüber, dass keine Versicherungen als Surrogat
für Verpflichtungserklärungen mehr zu akzeptieren sind.
Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, da Sie das Verfahren der Reiseschutzpässe in Kiew haben einstellen lassen, warum haben Sie neun Monate gebraucht, um diese Praxis anderenorts zu beenden, obwohl Ihnen zu diesem Zeitpunkt
schon eine ganze Fülle von Hinweisen auf Missbrauchsfälle vorlag?
Das ist exakt die gleiche Frage, die Sie bereits gestellt
haben und die ich schon beantwortet habe. Insofern verweise ich auf meine eben gegebene Antwort.
({0})
Zu Frage 100 gibt es keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 101 des Kollegen Stephan Mayer
({0}) auf:
Hat das Bundeskanzleramt in die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundesministerium des Innern, BMI,
und dem AA bezüglich des Inhalts und des Zustandekommens
des so genannten Volmer-Erlasses eingegriffen und, wenn ja,
in welcher Weise?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Nein. Im Übrigen haben die Vertreter von BMI
und Auswärtigem Amt in der 35. Sitzung des Innenausschusses am 17. Mai 2000 - Herr Kollege Körper hat Ihnen heute diese Frage schon an anderer Stelle
beantwortet - einvernehmlich festgestellt, dass es bezüglich des Erlasses vom 3. März 2000 keinen Dissens gebe
bzw. gibt.
({0})
- Genau.
Vielleicht darf ich mir bei meinem Bemühen um Beschleunigung der Fragestunde noch den Hinweis erlauben, dass mir die Einleitungsfloskel „Die Frage beantworte ich wie folgt“ verzichtbar erscheint. Bei im
Durchschnitt 40 beantworteten Fragen könnten wir
durch entsprechenden Verzicht ein paar Minuten gewinnen; denn es werden regelmäßig Fragen wie folgt beantwortet, und zwar ohne diese Ankündigung.
({0})
Ich wollte nur höflich sein, Herr Präsident.
Zusatzfrage, Herr Kollege Mayer.
Aber die Grußformel darf ich noch beibehalten, auch
wenn man ein paar Sekunden einsparen könnte, wenn
man sie wegließe.
Frau Staatsministerin, wann gelangte der erwähnte
Briefwechsel zwischen dem Bundesinnenministerium
und dem Auswärtigen Amt erstmals dem Bundeskanzleramt zur Kenntnis?
Das weiß ich nicht. Ich weiß gar nicht, ob er dem
Bundeskanzleramt überhaupt zur Kenntnis gelangt ist.
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein. Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege von Klaeden.
Frau Staatsministerin, Ihrer Antwort entnehme ich,
dass der Bundesinnenminister im Kabinett nicht die hier
angesprochene Praxis der Visumerteilung kritisiert hat.
Ob das im Kabinett angesprochen worden ist, kann
ich Ihnen nicht sagen. Aber einen entsprechenden Briefwechsel und Gespräche hat es wohl gegeben.
Ich rufe die Frage 102 der Kollegin Kristina Köhler
auf:
Hat sich die Bundesregierung die Auffassung des ehemaligen Staatsministers im AA, Dr. Ludger Volmer, die dieser im
Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages geäußert
haben soll, wonach der Vorsitzende Richter am Landgericht
Köln, U. H., „eine Art Racheengel gespielt haben könnte weil ihm angeblich ein Job im Ministerium aufgekündigt worden sei“ - der „Spiegel“ vom 16. Februar 2004 -, zu Eigen
gemacht?
Ich kommentiere keine angeblichen Äußerungen, die
ich selbst nicht gehört habe.
Zusatzfrage, Frau Köhler.
Frau Staatsministerin, sind Sie - rein theoretisch - der
Auffassung, dass eine solche Frage mit der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit vereinbar wäre?
({0})
- Oh doch, der Bundestag kann manchmal ein bisschen
Theorie gebrauchen.
Ich verstehe Ihre Frage nicht. Ernsthaft, was hat das
mit der Verfassung zu tun?
Sind Sie der Auffassung, dass ein solch formulierter
Vorwurf mit der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit vereinbar wäre?
Ich habe Ihre Frage wie folgt beantwortet: Ich habe an
der entsprechenden Sitzung des Ausschusses nicht teilgenommen und kommentiere keine Äußerungen von
Abgeordnetenkollegen, die ich selber nicht gehört habe.
Weitere Zusatzfrage? - Herr von Klaeden.
Frau Staatsministerin, Ihr Vorgänger, Herr Volmer, hat
im Auswärtigen Ausschuss gesagt:
({0})
Ich habe gehört, dass der Richter, der das Urteil gesprochen hat, im Zusammenhang mit dem Auswärtigen Amt
gestanden habe, selbst an der Ausbildung der Konsularbeamten beteiligt gewesen sei und dabei im Streit geschieden sei. - Staatssekretär Chrobog hat daraufhin erklärt, er wolle den Vorgang prüfen. In der darauf
folgenden Sitzung des Innenausschusses hat Staatssekretär Chrobog ausgeführt, er wolle zwar keine Richterschelte betreiben, sei aber der Ansicht, dass die mündliche Urteilsbegründung jenseits der Grenze des
Akzeptablen liege. Weiter hat er gesagt, der Richter habe
im Übrigen seine eigene Vorgeschichte mit dem Auswärtigen Amt.
Was hat Staatssekretär Chrobog damit gemeint?
({1})
Ich sagte schon: Ich kommentiere keine Äußerungen.
({0})
- Richtig. Ich war aber nicht dabei. Deshalb möchte ich
diese Äußerung nicht kommentieren. Ich möchte sie erst
recht nicht interpretieren. Ihre Frage geht sogar in Richtung einer Interpretation.
({1})
- Ich kann hier keine Aussage interpretieren, die ich selber nicht vernommen habe.
({2})
Ich rufe die Frage 103 der Kollegin Kristina Köhler
auf:
Stand U. H. in der Vergangenheit in einer vertraglichen
Beziehung zum AA, die die Erbringung von Dienstleistungen
für das AA zum Gegenstand hatte?
Frau Abgeordnete Köhler, ich verweise auf meine
Antwort zur vorherigen Frage. Der Vorsitzende Richter
am Landgericht Köln hat im Rahmen seiner Tätigkeit an
einer Fachhochschule des Landes Nordrhein-Westfalen
auch Vorlesungen vor Anwärterinnen und Anwärtern des
gehobenen auswärtigen Dienstes gehalten. Er stand jedoch nie in einer vertraglichen Beziehung zum Auswärtigen Amt.
Zusatzfrage? - Herr von Klaeden.
Frau Staatsministerin, will die Bundesregierung mit
den von mir zitierten Äußerungen des Staatssekretärs
Chrobog suggerieren, dass sie die Urteilsfindung des
Richters durch seine vorherige Tätigkeit für das Auswärtige Amt, die Sie gerade geschildert haben, möglicherweise für beeinflusst hält, und hält das Auswärtige Amt
diesen Richter gar für befangen?
Wie ich im Rahmen der Beantwortung jetzt schon
zweimal gesagt habe, kommentiere ich keine Äußerungen, die ich nicht gehört habe. Ich kann mir nicht vorstellen - das ist meine persönliche Einschätzung -, dass
Staatssekretär Chrobog eine entsprechende Äußerung
getan hat,
({0})
und verweise in der Sache auf die von mir soeben gegebene Antwort auf die Frage 103 der Abgeordneten
Köhler.
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Grindel.
({0})
Frau Staatsministerin, hat sich der Richter U. H. um
eine Anstellung beim Auswärtigen Amt bemüht?
Das kann ich Ihnen nicht sagen; meines Wissens hat
er sich nicht darum bemüht. Ich verweise insofern auf
meine Antwort, die ich auf die Frage 103 gegeben habe.
Das ist erschöpfend das, was ich über den Richter und
sein mögliches Verhältnis zum Auswärtigen Amt weiß.
Mehr weiß ich nicht.
Ich rufe die Frage 104 des Kollegen Ulrich Petzold
auf:
Haben Vertreter oder Beamte der Bundesregierung gegenüber Ausschüssen des Deutschen Bundestages eine Verbindung zwischen den Umständen der Beendigung einer Vertragsbeziehung zwischen dem AA und U. H. und der von
U. H. bei der Urteilsverkündung im so genannten Schleuserprozess im Zusammenhang mit der aufgrund des so genannten
Volmer-Erlasses geänderten Visumerteilungspraxis der deutschen Auslandsvertretungen geäußerten harschen Kritik an
der Bundesregierung und dem AA im Besonderen hergestellt?
Auch hierzu verweise ich auf die Antworten, die ich
soeben auf die Fragen 102 und 103 gegeben habe.
Gibt es Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Die Fragen 105 und 106 des Kollegen Thomas Strobl
sollen schriftlich beantwortet werden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe die Frage 107 des Kollegen Dr. Ole Schröder
auf:
Wie hat sich die Anzahl der erteilten Visa, unterschieden
nach geschäftlichen und Touristenvisa, in der Zeit von 1998
bis heute in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen
Emiraten entwickelt?
Die deutschen Auslandsvertretungen in Saudi-Arabien, das heißt Riad und Djidda, erteilten zwischen 1998
und 2003 insgesamt 98 965 Visa. Dabei handelt es sich
zu circa 90 Prozent um kurzfristige Schengen-Visa.
Die deutschen Auslandsvertretungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, das heißt Abu Dhabi und
Dubai, erteilten im gleichen Zeitraum insgesamt
160 151 Visa. Dabei handelte es sich zu circa 98 Prozent
um kurzfristige Schengen-Visa.
Eine weitere Untergliederung in touristische und geschäftliche Visa ist nicht möglich, da dies derselbe
Visumtyp ist. Bei beiden Staaten kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der Anteil der zu geschäftlichen
Zwecken erteilten Visa überwiegt.
Zusatzfrage, Kollege Schröder.
Frau Staatsministerin, danke für Ihre Antwort. Ich
hatte allerdings nach der Entwicklung der Anzahl der
Visaerteilungen gefragt. Es ist ja gerade das Interessante,
inwieweit sich die Anzahl erhöht hat. Können Sie dazu
etwas sagen?
Nein, Sie hatten gefragt:
Wie hat sich die Anzahl der erteilten Visa, unterschieden nach geschäftlichen und Touristenvisa, …
entwickelt?
Leider kann ich Ihnen dies nicht beantworten, weil wir
diese beiden Bereiche nicht separat registrieren, sondern
hierfür ein und derselbe Visumtyp ausgestellt wird.
Weitere Frage.
Sind denn 2003 insgesamt mehr Geschäftsvisa im
Vergleich zu 1998 erteilt worden?
Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Ich weiß
es nicht.
({0})
- Es wird nicht registriert; das sagte ich doch gerade.
({1})
Herr Kollege Schröder!
Sie haben nach Geschäftsvisa gefragt. Ich sagte Ihnen
ja schon einmal, dass wir diese nicht separat erfassen.
Ich würde es Ihnen ja wirklich sagen, wenn ich es
wüsste.
({0})
Geschäftlicher und touristischer Reisezweck werden
nicht unterschieden. Ich kann Ihnen nur die Entwicklung
der Visa insgesamt nennen. Das kann ich Ihnen gerne
auch noch einmal ausführlich in Schriftform zuschicken.
Das ist wirklich kein Problem. Was uns vorliegt, können
Sie haben.
Weitere Frage des Kollegen von Klaeden.
Frau Staatsministerin, gibt es eine Zusage der Bundesregierung gegenüber diesen Ländern, die Visumpraxis ihnen gegenüber zu erleichtern?
Ist mir nicht bekannt.
Wir kommen zur Frage 108 des Kollegen Ole
Schröder:
In welchem Zeitraum wurde das Reisebüroverfahren ohne
persönliche Vorsprache des Ausländers bei der deutschen Botschaft in Moskau angewandt?
Das Reisebüroverfahren ist in Kapitel VIII Nr. 5 der
Gemeinsamen Konsularischen Instruktion der SchengenStaaten ausdrücklich vorgesehen und findet nach wie vor
gerade in großen Flächenstaaten häufig Anwendung.
Diese Ausnahme dient der Förderung der Reiseindustrie
der EU-Mitgliedstaaten, ist also von den Schengen-Partnern durchaus im wohlverstandenen Eigeninteresse vorgesehen worden.
Das Verfahren wurde in Moskau bereits vor Einführung des Schengen-Visums im Jahr 1995, also unter der
Vorgängerregierung, angewandt und auch danach bis
heute fortgeführt. Die Erfahrungen sind bislang positiv.
Überwiegend Geschäftsleute nutzen diese Möglichkeit.
Als Voraussetzung gilt grundsätzlich, dass der Ausländer
bereits einmal ein Visum erhalten haben muss.
Bitte schön, Herr Schröder, Ihre Zusatzfrage.
Mit wie vielen Reisebüros arbeitet denn die Botschaft
in Moskau zusammen? Welche Erfahrungen gibt es bisher? Waren alle Reisebüros zuverlässig?
Um wie viele Reisebüros es sich handelt, weiß ich
nicht; das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich gehe
davon aus, dass die Reisebüros, mit denen fortgesetzt zusammengearbeitet wird, zuverlässig sind. Ich weiß aber
nicht, wie viele Büros das sind und ob bzw. wo es da
Probleme gegeben hat.
Weitere Frage, bitte.
In welcher Art und Weise werden die Reisebüros auf
ihre Zuverlässigkeit überprüft?
Das ist eine Frage, die hier schon des Öfteren gestellt
wurde und die auch die Zuständigkeit anderer Ressorts
mit berührt. Insofern verweise ich auf die in den vorangegangenen Fragestunden ausführlichst beantworteten
Fragen der Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Auch in schriftlichen Antworten auf Fragen zu diesem
Thema - es sind über 110; ich erwähnte es schon einmal - finden sich Ausführungen hierzu.
Bitte schön, eine weitere Frage.
Frau Staatsministerin, jetzt bin ich etwas verwirrt.
Welches andere Ressort soll denn die Bonität von Reisebüros in Moskau untersuchen, wenn nicht das Auswärtige Amt?
Ich verweise auf die von mir schon gegebenen Antworten in den letzten Fragestunden.
Gibt es weitere Fragen dazu? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Ich rufe nun die übrigen Fragen auf Drucksache 15/2726 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Petra Pau auf:
Warum beabsichtigt die Bundesregierung, gegen das
„Neubauernurteil“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22. Januar 2004 ein Rechtsmittel einzulegen, indem sie sich dabei - laut Presseerklärung der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, vom 26. Februar 2004 auf die gleiche Argumentation stützt, mit der bislang die entschädigungslose Eigentumsentziehung zugunsten des Staates
erfolgte, obwohl der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Betroffenen unabhängig von ihrer Situation vor dem In-KraftTreten des „Modrow-Gesetzes“ mit seinem In-Kraft-Treten
vollwertiges Eigentum an ihren Grundstücken erlangt haben,
und wie begründet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die beabsichtigte Anrufung der Großen Kammer des
Gerichtshofs - siehe oben genannte Presseerklärung - „wegen
der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils für die Frage der
Bodenreform in der DDR, die nicht infrage gestellt werden
darf“?
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat sich nach
gründlicher rechtlicher Prüfung entschieden, als Rechtsmittel gegen das Urteil vom 22. Januar 2004 die Große
Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte anzurufen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Begründung des Urteils nicht zu überzeugen vermag. Angesichts seiner weit reichenden
Bedeutung sollte das Urteil höchstrichterlich überprüft
werden.
Die Bundesregierung bzw. ihr Prozessbevollmächtigter, Professor Dr. Frowein, fertigt derzeit die Rechtsmittelschrift an. Die Rechtsmittelfrist läuft am 21. April
2004 ab. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird die Bundesregierung die Rechtsmittelschrift beim Gerichtshof
einreichen. Ich bitte um Verständnis, dass ich Ihnen vor
Fertigstellung und Einreichung der Rechtsmittelschrift
beim Gerichtshof keine Angaben über die Argumentation der Bundesregierung machen kann.
Zusatzfrage, Frau Pau?
Herr Staatssekretär, erst einmal herzlichen Dank. Ich
bringe natürlich das erbetene Verständnis auf und habe
deshalb eine andere Nachfrage. Können Sie mir bestätigen, dass es in der DDR keinen Automatismus bei der
Anwendung der Vorschriften der Besitzwechselverordnung gab, sondern bei der Rückführung von Grundstücken in den Bodenfonds stets staatliches Handeln
erforderlich war, und finden Sie es in diesem Zusammenhang nicht auch politisch wie rechtsstaatlich makaber, dass ausgerechnet die Bundesrepublik dieses Unrecht der Honecker-Ära anwendet und das von den
DDR-Behörden unterlassene Handeln vollzieht?
Ich glaube, das waren acht Fragen. Wie viele soll ich
beantworten?
Herr Staatssekretär, es ist Ihnen überlassen, wie viele
Sie beantworten.
Sie gestatten, Frau Kollegin Pau, dass ich es nicht für
angemessen halte, dass sich der demokratisch gewählte
Abgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär für
eine demokratisch legitimierte Bundesregierung zu
Handlungen äußert, die von einer undemokratischen Regierung vorgenommen worden sind.
Das mag ja sein; aber Sie vollziehen das Handeln
jetzt. - Darf ich eine zweite Nachfrage stellen?
Bitte schön.
Können Sie mir Auskunft geben, Herr Staatssekretär,
wie viele Hektar Land und wie viele Millionen Euro Erlösauskehr durch die Länder im Zuge der Abwicklung
der Bodenreform eingezogen wurden und welche Eckpunkte ein Gesetz, das die Bundesjustizministerin als
Entschädigungsgesetz vage in Aussicht gestellt hat,
hätte?
Das waren wieder vier Fragen. Ich werde sie allerdings alle beantworten; ich werde sogar eine zusätzliche
Frage beantworten. Es gibt etwa 50 000 Fälle, in denen
nach dem demokratisch legitimierten Gesetz von 1992
Grundstücke auf die Länder übertragen worden sind
oder die Erben zur Zahlung des Erlöses verpflichtet wurden, weil sie die Flächen bereits verkauft hatten. Es handelt sich um eine Fläche von etwa 100 000 Hektar. Der
Wert der übertragenen Fläche und die Geldbeträge, die
an die demokratisch legitimierten Bundesländer ausgezahlt wurden, belaufen sich auf etwa 400 Millionen Euro. Da das Urteil im Moment noch nicht rechtskräftig ist, hat die Bundesregierung keinerlei Veranlassung, sich über ein etwaiges Gesetz oder etwaige Entschädigungsregelungen Gedanken zu machen. Das
werden wir gegebenenfalls dann tun, wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Ich bin aber davon überzeugt,
dass das noch einige Zeit dauern wird.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Simone Probst zur Verfügung.
Wir kommen jetzt zur Frage 2 des Kollegen Jens
Spahn:
Wie verhält sich die Bundesregierung zu Forderungen der
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen - vergleiche „Westfälische Nachrichten“ vom 9. März 2004 -, ein Brennelementezwischenlager in Rossendorf zu errichten bzw. zu genehmigen, um die geplanten Transporte von Brennelementelagerbehältern von Rossendorf nach Ahaus überflüssig zu machen?
Anders als bei Leistungsreaktoren, die für die Stromerzeugung zuständig sind, sieht das Atomgesetz für Forschungsreaktoren wie die in Jülich, Berlin, Garching und
Geesthacht mit ihrem vergleichsweise geringen Mengenaufkommen eine Verpflichtung zur Errichtung von
standortnahen Zwischenlagern nicht vor. Nach § 9 a
Abs. 2 Satz 3 des Atomgesetzes haben ausschließlich die
Betreiber von Kernkraftwerken dafür zu sorgen, dass ein
Zwischenlager für bestrahlte Kernbrennstoffe auf dem
jeweiligen Anlagengelände oder in der Nähe der jeweiligen Anlage als standortnahes Zwischenlager errichtet
wird.
Das bedeutet bezogen auf Ihre Frage: Wenn der Betreiber von Rossendorf - das ist der Verein für Kernverfahrenstechnik und Analytik Rossendorf e. V. - nicht
von sich aus einen Antrag auf Bau eines Zwischenlagers
stellt, kann er nicht dazu gezwungen werden.
Zusatzfrage, Kollege Spahn?
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Sieht das BMU
hinsichtlich der MTR-2-Behälter ähnliche Sicherheitsmängel bzw. eine ähnliche Gefahrenlage beim Transport
zum Zwischenlager Ahaus oder auch bei der Lagerung,
wie sie von den NRW-Grünen und auch in einem Antrag
von SPD und Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen
erwähnt und dargestellt werden, insbesondere mit Blick
auf einen Transport über die Straße?
Das Genehmigungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Das Bundesamt für Strahlenschutz prüft alle
notwendigen Voraussetzungen für einen Transport. Die
Prüfung beinhaltet auch die Frage der Sicherheit. Wenn
die Genehmigungsvoraussetzungen gegeben sind, dann
ist die Genehmigung zu erteilen.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, bejaht das BMU den Rechtsanspruch der Antragsteller auf einen ordnungsgemäßen
Transport, wenn alle entsprechenden Bedingungen, die
gerade auch von Ihnen erwähnt wurden, erfüllt sind, unabhängig von den dadurch entstehenden Kosten? Es gab
eine Aussage des Ministers, dass eine weitere Lagerung
in Rossendorf illegal sei.
Selbstverständlich. Wenn die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, ist zu genehmigen.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Jens Spahn auf:
Welche Hindernisse stehen der Erteilung einer Genehmigung des Transports von Brennelementebehältern von Rossendorf nach Ahaus derzeit entgegen bzw. wie ist der Verfahrensstand?
Nach § 4 Abs. 2 Nr. 6 Atomgesetz ist zu prüfen, ob
überwiegende öffentliche Interessen der Wahl der Art,
der Zeit und des Weges der Beförderung entgegenstehen.
Einzelheiten hinsichtlich dieser Genehmigungsvoraussetzung wurden mit den betroffenen Ländern NordrheinWestfalen und Sachsen besprochen. Sie werden noch abschließend geprüft. Nach Abschluss dieser Prüfung ist
dieser Antrag entscheidungsreif.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, nun hat der Minister das Verfahren für eine Woche gestoppt. Diese Frist läuft bald ab.
Mich würde interessieren, wie das Ergebnis der Prüfung,
nämlich ob auf der Straße oder auf der Schiene transportiert werden soll, konkret aussieht und wann mit jenem
Ergebnis zu rechnen ist, das Sie gerade erwähnten.
Sie werden sicherlich verstehen, dass die Bundesregierung keine Antwort auf Spekulationen und Vermutungen gibt. Die Situation ist die, dass die Betreiberin des
Forschungsreaktors Rossendorf einen Straßentransport
beantragt hat. In der Antwort auf Ihre schriftliche Frage
habe ich Ihnen dargelegt, dass natürlich zu prüfen ist, ob
es Gesichtspunkte gibt, die der Genehmigung dieses Antrags entgegenstehen. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Die Grundlage der Gespräche ist natürlich der
Antrag der Betreiberin der Anlage in Rossendorf.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich habe gerade schon den Antrag von SPD und Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen erwähnt. Wie wird sich die Bundesregierung, die
hinsichtlich der Farben genauso sortiert ist, zu diesem
Antrag verhalten, der einerseits Sicherheitsmängel bei
einem etwaigen LKW-Transport und die Kosten für den
Polizeieinsatz anspricht - diese Kosten sollen verteilt
werden -, in dem aber insbesondere verlangt wird, dass
die Bundesregierung juristisch und politisch jede Möglichkeit zur Verhinderung des Transportes zu ergreifen
hat?
Ich habe die Sorge, dass diese Auseinandersetzung
auf dem Rücken der Ahauser Bevölkerung ausgetragen
wird. Denn aufgrund der wechselnden Aussagen von
Trittin, Höhn und anderen Ministern zu der Frage, ob der
Transport auf der Straße bzw. auf der Schiene erfolgen
soll, und zu vielen anderen Punkten, die hier eine Rolle
spielen, wird keine Klarheit geschaffen. Die Grünen sind
in eine Falle getappt. Sie müssen sich schon fragen, wie
sie sich verhalten haben, bevor sie an die Regierung kamen, und wie sie sich jetzt verhalten.
Ich bedanke mich für Ihre Ratschläge. Ich halte sie
aber in der Sache für überflüssig, weil die Sachlage klar
ist: Es liegt ein entsprechender Antrag vor. Sie können
sicher sein, dass das Bundesamt für Strahlenschutz alle
damit verbundenen Fragen sehr genau prüfen wird. Wir
leben in einem Rechtsstaat. Deswegen ist die Genehmigung dann zu erteilen, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministerium des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Rita Pawelski auf:
Wie hat das Bundeskriminalamt, BKA, oder das BMI auf
Drohbriefe der baskischen Untergrundorganisation ETA, die
zum Beispiel zuletzt am 5. Februar 2004 beim Reiseveranstalter TUI in Hannover eingegangen sind - vergleiche „Financial
Times Deutschland“ vom 13. März 2004 -, reagiert?
Anfang Februar 2004 gingen bei deutschen Touristikunternehmen Schreiben der ETA ein, in denen mit Anschlägen auf touristische Einrichtungen in Spanien in
diesem Jahr gedroht wurde. Die ETA versuchte, die spanische Regierung und Wirtschaft bereits in den Jahren
1985/86, 1995/96 sowie 2001/02 mit einer Serie von Anschlägen gegen touristische Einrichtungen in Spanien zu
treffen.
Das Bundeskriminalamt hat entsprechend seiner Aufgabenstellung am 6. Februar 2004 in einem FernschreiParl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
ben unter anderem alle Bundesländer und das Auswärtige Amt über die Gefährdungseinschätzung zur ETA
informiert. Am 9. Februar 2004 erfolgte eine Mitteilung
über den Eingang von Drohschreiben der ETA an alle so
genannten PWGT-Staaten - PWGT ist die Abkürzung
von Police Working Group on Terrorism -, somit auch
an Spanien. In dieser Gemeinschaft arbeiten die Staatsschutzdienststellen der EU-Mitgliedstaaten insbesondere
auf dem Gebiet der Informationsübermittlung zur Terrorismusbekämpfung zusammen.
Ich möchte noch einen Hinweis geben: Diese Gruppe
besteht aus den EU-Mitgliedstaaten plus Norwegen und
der Schweiz.
Zusatzfrage, Frau Pawelski.
Herr Staatssekretär, warum werden nicht grundsätzlich alle Terrorwarnungen, die an deutsche Reiseunternehmen gehen und an das BKA weitergegeben werden,
vom BKA zeitnah beantwortet, damit die Reiseunternehmen wissen, ob es sich um ein ernst zu nehmendes - also
reales - Schreiben oder um ein Trittbrettfahrerschreiben
handelt?
Genau diese Frage muss geprüft werden
({0})
und das nimmt Zeit in Anspruch. Ich weiß nicht, ob Sie
das besagte Schreiben vom Februar 2004 kennen. Das
Schreiben wurde in Frankreich abgesandt und ist am
2. Februar eingegangen. Ein solches Schreiben muss
überprüft werden, um eine realistische Einschätzung
vornehmen zu können. Wenn das Bundeskriminalamt an
dieser Stelle nur der Briefträger wäre, hätte es, so glaube
ich, seine Aufgabe verfehlt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie lange dauert die Überprüfung
durch das BKA, nachdem eine reale Terrorwarnung bei
einem Reisebüro eingegangen ist?
Wissen Sie, wie dieses angebliche Terrorschreiben
ausgesehen hat und wie es inhaltlich fixiert war? Das
war keine konkrete Mitteilung, sondern eine Mitteilung
allgemeiner Art. Deshalb musste es entsprechend geprüft werden.
Ich bin gern bereit, Ihnen in bilateraler Unterhaltung
noch etwas Genaueres zu diesem Schreiben, seinem
Hintergrund und seiner Einschätzung durch das BKA zu
sagen.
Wir kommen zur Frage 14 der Kollegin Pawelski:
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit deutscher Reiseveranstalter mit dem BKA, dem BMI und den deutschen Botschaften in Urlaubsgebieten bei Terrorwarnungen?
Liegen den deutschen Sicherheitsbehörden Terrorwarnungen für Urlaubsgebiete vor, werden diese über
das Auswärtige Amt an die deutschen Botschaften und
Konsulate in den betroffenen Ländern weitergeleitet. Sicherheitsmaßnahmen vor Ort sind durch die Polizei und
Sicherheitsbehörden des jeweiligen Landes zu gewährleisten.
Auf der Grundlage der Rahmenregelungen für die Zusammenarbeit mit der gewerblichen Wirtschaft auf Bundesebene in Sicherheitsfragen des Bundesministeriums
des Innern vom 14. Juli 2000 wurde eine verkürzte Fassung des durch das BKA erarbeiteten Gefährdungslagebildes zur ETA vom 6. Februar 2004 - hier verweise ich
auf meine bereits gegebene Antwort - an die Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft e. V. zur Weitergabe an ihre Mitglieder, somit auch an Reiseveranstalter,
übermittelt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie viele Terrorwarnungen gab es
seit dem 11. September 2001 an deutsche Reiseunternehmen, die von diesen auch an das BKA weitergeleitet
wurden?
Es gab die bereits genannte Terrormeldung vom
Februar 2004, die sich auf die ETA bezog. Darüber hinaus gab es wohl auch eine Meldung aus dem Jahr 2002
oder 2003; aber es handelt sich nicht um sehr zahlreiche
Meldungen aus diesem Bereich.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Sind Sie der Meinung, dass man ein so ernstes Thema
mit Formulierungen wie „es sind wohl einmal Meldungen eingegangen“ abtun kann? Sind Sie nicht der Meinung, dass dieses Thema ernsthafter behandelt werden
sollte?
Ich glaube, die Beurteilung, wie ich Ihre Frage beantworte, steht Ihnen nicht zu. Ich habe die Frage inhaltlich
konkret und korrekt beantwortet. Ich habe ausgeführt,
dass bereits im Zeitraum 2002/2003 Drohschreiben der
ETA sowohl an mehrere Botschaften, so auch an die
deutsche, als auch an Reisebüros in Deutschland gerichtet waren. Ich denke, das ist eine korrekte und anlassgemäße Antwort und es bedarf nicht Ihrer Belehrung.
({0})
Die Frage 15 des Abgeordneten Hartmut Koschyk
wird schriftlich beantwortet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller
zur Verfügung.
Die von mir selbst gestellten Fragen 16 und 17 sollen
schriftlich beantwortet werden, Herr Staatssekretär.
Damit kommen wir zur Frage 18 des Kollegen Klaus
Hofbauer:
Welche jährlichen Steuerausfälle werden nach Kenntnis
der Bundesregierung durch den „Tanktourismus“ in die Nachbarstaaten verursacht?
Herr Präsident, Ihre Fragen beantworten wir gern
schriftlich.
Kollege Hofbauer, eine solche Berechnung gibt es
nicht.
Zusatzfrage, Herr Hofbauer.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie kennen sicherlich die Schätzung der Interessengemeinschaft Mittelständischer Mineralölverbände, nach der für die Bundesrepublik Deutschland Einnahmeausfälle in Höhe von
ungefähr 750 Millionen Euro zu verzeichnen sind. Wie
beurteilen Sie diese Schätzung? Warum kann diese
Interessengemeinschaft Mittelständischer Mineralölverbände diese Schätzung vornehmen, während Ihr Ministerium das nicht kann?
Herr Präsident, erlauben Sie mir, die zweite Frage
gleich anzuschließen. Es gibt zum Beispiel das italienische Modell. Ich weiß, dass die Bundesregierung dieses
Modell ablehnt. Mich würden die Gründe interessieren,
und zwar vor allen Dingen deshalb, weil es Ausnahmeregelungen zulässt. Wenn ich richtig informiert bin, gibt
es in Europa rund 100 Ausnahmeregelungen, unter anderem für solche Fälle.
Herr Kollege Hofbauer, ich selbst habe mich im letzten Sommer mit Vertretern der Interessengemeinschaft
Mittelständischer Mineralölverbände unterhalten. Es gab
einen mehrstündigen intensiven Gedankenaustausch.
Was diese Interessengemeinschaft vorlegt, sind Schätzungen. Sie aber fragen nach Berechnungen. Berechnungen bedürfen aufwendiger Modellannahmen und Unterlagen. Sie sind immer nur eine Momentaufnahme, die
nach einem Vierteljahr durch aktuelle Preisverschiebungen wieder völlig anders aussehen. Deswegen gibt es
solche Berechnungen nicht.
Zu dem Vorhaben der Interessengemeinschaft Mittelständischer Mineralölverbände habe ich damals schon
aus meiner persönlichen Erfahrung als Abgeordneter für
den Wahlkreis Trier, der an vielen Stellen an Luxemburg
grenzt und den Tanktourismus tagtäglich erlebt, gesagt:
Ihr Vorschlag, nämlich einen Landkreis, der an der
Grenze zu einem solchen Billigland liegt, eine ähnlich
niedrige Steuer auf Diesel und Benzin einräumen zu lassen, beseitigt nicht das Problem des Tanktourismus, sondern verlegt es lediglich ins Inland. An dieser Problemstellung hat sich nichts geändert.
Im Übrigen gibt es nicht nur den Tanktourismus, sondern in Luxemburg sind auch Tabakwaren viel billiger.
Das Gleiche gilt für Alkohol. Ähnliche Beobachtungen
kann man an den Grenzen zu den ost- und mitteleuropäischen Nachbarstaaten machen.
Wo soll Ihr Vorschlag hinführen? Wie wollen Sie dann
etwa dem Friseurgewerbe helfen? Wie wollen Sie dem
Gastronomiegewerbe helfen? All diese Fragen beantwortet das von der Interessengemeinschaft Mittelständischer
Mineralölverbände vorgelegte Konzept nicht.
Wir haben im Übrigen in bilateralen Gesprächen darüber mit Vertretern der Europäischen Kommission festgestellt, dass die Kommission ein solches Anliegen nicht
unterstützt, da es in Widerspruch zur Entwicklung des
europäischen Binnenmarktes steht.
Zusatzfrage des Kollegen Andreas Scheuer.
Herr Staatssekretär, wir sind relativ froh, dass wenigstens Sie aufgrund des Tanktourismus in der von Ihnen
vertretenen und an Luxemburg grenzenden Region
einigermaßen Bescheid wissen; denn den Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftministerium, Rezzo
Schlauch, haben wir erst darüber aufklären müssen, dass
es in Bayern diesen Tanktourismus auch nach Österreich
und Tschechien gibt.
Meine Frage lautet: Wenn Sie schon die Schätzungen
nicht berücksichtigen, die aus unserer Sicht verlässlich
sind, und wenn Sie das Friseurhandwerk mit einer Tankstelle vergleichen, wie beurteilen Sie dann das Wegbrechen ganzer Infrastrukturen mittelständischer Unternehmen und Familienbetriebe an der Grenze und wie
beurteilt das Finanzministerium den momentanen Diskurs zwischen Trittin und Clement wegen der Ökosteuer? Mir wäre Ihre Einschätzung dessen wichtig.
Herr Kollege, zunächst einmal möchte ich Ihnen aus
meiner persönlichen Kenntnis bestätigen - unsere Erfahrungen mit den Tankstellenpreisen in Luxemburg sind ja
mittlerweile schon fast zwei Jahrzehnte vorhanden - ,
dass es in der Tat eine gravierende Auswirkung gibt. In
der Stadt Trier besteht beispielsweise ein relativ dünnes
Tankstellennetz. Das hängt im Übrigen auch damit zusammen, dass die Mineralölindustrie in der Stadt Trier
selbst die höchsten Tankstellenpreise abfordert. Um es
konkret zu sagen: Das Benzin wird im Trierer Hafen angeliefert und dann in meinen Wohnort in den Hunsrück
gefahren. Dennoch ist das Benzin derselben Marke in
meinem Wohnort 6 Cent billiger als in Trier.
Es sieht also fast so aus, als würde die deutsche Mineralölindustrie die Tanker nach Luxemburg treiben. Denn
das Luxemburger Benzin ist ja in Deutschland produziertes Benzin, das dort nur verkauft wird. Offenkundig
sind die Gewinnspannen entsprechend höher. Das ist
eine Entwicklung, auf die sich die Region Trier innerhalb der letzten anderthalb Jahrzehnte eingestellt hat.
Das ist ein Stück weit Europa.
Zu Ihrer zweiten Frage. Herr Kollege, der Wirtschaftsminister hat sehr deutlich darauf hingewiesen,
dass diese Frage nicht aktuell ist, sondern dass sie sich
erst in den Jahren 2005 und 2006, wenn der Emissionshandel funktioniert, stellen wird. Aber ich muss darauf
hinweisen, dass es noch ein anderes Moment zu beachten und zu bedenken gibt. Mit dem Aufkommen aus der
Ökosteuer finanzieren wir zurzeit und auf Dauer, also
auch in künftigen Jahren, im Wesentlichen die Zuschüsse an die Rentenversicherung.
({0})
Die Einnahmen aus der Ökosteuer werden zu fast
100 Prozent an die Rentenversicherung überwiesen. Die
Rentenversicherung wird diese Mittel auch in Zukunft
brauchen.
({1})
Beim Thema Ökosteuer geht es also nicht nur um den
Emissionshandel in den Jahren 2005 und 2006, sondern
auch um die Finanzierung der Renten.
Weil Sie auf meine Antwort gerade so polemisch reagiert haben, darf ich Sie darauf aufmerksam machen,
dass es die Regierung Kohl war, die in den Jahren 1997
und 1998 vor dem Problem stand, dass der Beitragssatz
auf über 21 Prozent zu schießen drohte, und die deshalb
den Vorschlag machte, die Mehrwertsteuer von 15 auf
16 Prozent anzuheben. Das ist im Frühjahr 1998 von der
damaligen CDU/CSU-FDP-Regierung beschlossen worden. Seit dieser Zeit wird ein Prozentpunkt des Mehrwertsteueraufkommens zugunsten der Rentenversicherung verwendet.
Eine weitere Frage hat der Kollege Albert Rupprecht.
Die Ablehnung des italienischen Modells haben Sie ja
mit dem europäischen Beihilferecht begründet. Auch im
Schreiben des Finanzministeriums vom 22. Dezember
letzten Jahres wurde seine Ablehnung mit dem Beihilferecht begründet. Der Sachverhalt hat sich jetzt aber
fundamental geändert. Denn vor wenigen Wochen hat
Kommissar Monti beihilferechtliche Änderungen vorgeschlagen und dokumentiert - sie müssten auch der Regierung vorliegen - , in denen bei Tankstellen explizit
eine Ausnahme gemacht wurde. Deswegen richte ich
folgende Frage an Sie: Werden Sie, wenn die Europäische Kommission das Beihilferecht so ändert, wie es
vorgeschlagen wurde, für das italienische Modell plädieren?
Herr Kollege, zunächst einmal müssen die Vorschläge
von Herrn Monti intensiv geprüft werden. Dann bleibt
abzuwarten, inwiefern seine Vorschläge tatsächlich in
eine Richtlinie aufgenommen werden.
Eine weitere Frage hat der Kollege Thomas
Dörflinger. - Ich höre, sie ist erledigt. Dann erteile ich
dem Kollegen Dr. Klaus Rose das Wort.
Herr Staatssekretär, in Statistiken der Bundesregierung und des ADAC ist immer zu lesen, dass sich die
Benzinpreise in den Niederlanden und in Dänemark verglichen mit Deutschland und Österreich genau entgegengesetzt entwickeln. Ich frage Sie deshalb: Gibt es in den
deutschen Grenzregionen zu diesen Ländern einen „umgekehrten“ Tanktourismus, dass also Holländer und Dänen in Deutschland einkaufen, und, falls es einen solchen gibt, in welcher Größenordnung?
Ich gehe davon aus, dass jeder, der im grenznahen Bereich wohnt und entdeckt, dass ein bestimmtes Produkt
- seien es Tabakwaren oder sei es Benzin bzw. Diesel jenseits der Grenze günstiger zu erstehen ist und bestimmte Mengen davon - auch zollrechtlich - problemlos transferierbar sind, davon Gebrauch macht, egal, in
welche Richtung.
({0})
Eine weitere Frage des Kollegen Ramsauer.
Herr Staatssekretär, besitzt die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass politische Funktionsträger der
Grünen aus dem Grenzland in größerer Zahl ins benachbarte Österreich zum Tanken fahren? - In vielen Fällen
soll dies bereits beobachtet worden sein.
({0})
Der empirische Nachweis - das möchte ich hinzufügen ist nur für grüne politische Funktionsträger zu erbringen;
über sozialdemokratische müsste ich im Wahlkreis erst
noch nachfassen.
({1})
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen darüber
keine Erkenntnisse vor.
({0})
Im Übrigen steht es jedem Bürger frei, Herr Kollege
Ramsauer, von den Freiheiten Europas Gebrauch zu machen.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die
Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Die noch offenen Fragen werden schriftlich beantwortet. - Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu dem Zusatzpunkt 1:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Unterschiedliche Auffassungen im Bundeskabinett zum Emissionshandel und zur Ökosteuer
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
den Antragsteller der Kollege Peter Paziorek das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Streit in der Bundesregierung zwischen den Ministern
Clement und Trittin belegt, wie handlungsunfähig und
zerstritten diese Bundesregierung in einem zentralen Politikbereich geworden ist.
({0})
Dies überrascht mich nicht, denn diese Regierung verfügt über kein Energiekonzept, mit dem die Fragen beantwortet werden können, die jetzt zur Entscheidung anstehen.
Mit der Einführung des europäischen Emissionshandels auch hier in Deutschland steht eine der wichtigsten
umwelt- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen in
dieser Legislaturperiode an. Bereits in der nächsten Woche soll der Nationale Allokationsplan - das ist das Regelwerk zur Umsetzung des Emissionshandels - an die
Europäische Kommission gemeldet werden. Aber bis
zum heutigen Tage hat die Bundesregierung den verbindlichen Entwurf zum Nationalen Allokationsplan weder dem Deutschen Bundestag noch der Öffentlichkeit
vorgelegt. Stattdessen wird in den letzten Tagen ein
Machtkampf zwischen dem Wirtschaftsminister und
dem Umweltminister ausgetragen, der für unser Land
mehr als peinlich ist.
({1})
Durch Ihr Verhalten entwickelt sich die Einführung
des Emissionshandels nach der des Dosenpfandes und
der der Autobahnmaut zur nächsten Lachnummer dieser
Regierung. Aber zum Lachen kann einem gar nicht zumute sein, denn mit dieser falschen Vorgehensweise gefährden Sie den Wirtschaftsstandort Deutschland. Dies
ist angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht hinzunehmen.
({2})
Dabei darf es nicht darum gehen, Wirtschaftspolitik gegen Umweltpolitik auszuspielen; das wird uns immer
unterstellt. Vielmehr muss es darum gehen, den richtigen
Weg zu finden, wie man beide Ziele erreichen kann,
nämlich Arbeitsplätze zu schaffen und in der Umweltpolitik weiterzukommen. Wir müssen heute feststellen:
Den richtigen Weg haben Sie von der Regierung nicht
gefunden. Hier haben Sie versagt.
({3})
Im „Handelsblatt“ vom 18. März wird die energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Frau
Hustedt, mit der Aussage zitiert: „Wir rutschen jetzt in
eine Koalitionskrise hinein.“ Nein, Sie befinden sich bereits mitten in einer Koalitionskrise. Bei Ihnen geht es in
diesen Fragen nur noch drunter und drüber.
({4})
In der Frage des Emissionshandels rächt sich jetzt, dass
das fehlt, was wir, die Opposition, seit langem fordern,
nämlich ein langfristiges, in sich geschlossenes energiepolitisches Konzept für unser Land, das Wirtschaftlichkeit und Umweltpolitik berücksichtigt. Zur Ausgestaltung eines solchen Konzeptes haben Sie leider nicht die
politische Kraft.
Zumindest der Bundeskanzler scheint in dieser Frage
langsam zur Vernunft zu kommen. So hat er gestern im
ZDF in der Sendung „Was nun?“ den Zeitplan für die
Meldung der Zahlen für den Emissionshandel nach
Brüssel infrage gestellt. Er sagte, Gründlichkeit und inhaltliche Richtigkeit gingen vor Schnelligkeit. Recht hat
er. Doch ich muss ganz deutlich sagen: Das fordert die
Union in den Beratungen des Ausschusses schon seit
Wochen. Bisher ist das von Rot-Grün und vom Bundesumweltminister Trittin zurückgewiesen worden. Hoffentlich setzt sich der Bundeskanzler in dieser Frage einmal durch.
({5})
Wenn es also möglich ist, den Zeitplan für einen Kabinettsbeschluss zu verschieben, also die Zahlen nicht
bis zum 31. März zu melden, dann muss das für eine umfassende Beratung im Deutschen Bundestag erst recht
möglich sein. Bei dieser wichtigen Entscheidung kann
das Parlament doch nicht länger außen vor bleiben. Die
Kurzatmigkeit und Hektik, die Sie an den Tag legen,
führt zu schlechten Ergebnissen. Das mussten wir beim
TEHG erleben. Beim TEHG verstärkt sich immer mehr
der Eindruck, den wir in den Ausschussberatungen
schon vorgebracht haben: dass es verwaltungsrechtlich
fehlerhaft und verfassungsrechtlich in höchstem Maße
bedenklich ist. Auch das, was der inoffizielle Entwurf
zum Nationalen Allokationsplan vorsieht, ist verfassungsrechtlich höchstwahrscheinlich unzulässig, weil
nämlich formale Grundprinzipien der Gleichbehandlung
von Wirtschaftsunternehmen in Deutschland berührt
werden. Wenn Sie wollen, dass diese Fragen mit Ruhe
behandelt werden, dann geben Sie dem Deutschen Bundestag auch die Zeit dazu. Verschieben Sie den Terminplan, damit wir hier in diesem Hause über diese Fragen
diskutieren können.
({6})
Wir sind auch der Ansicht, dass es nicht angeht, dass
die Regierungsfraktionen am 30. März, also am nächsten
Dienstag, in den Fraktionssitzungen den Regierungsentwurf vorgelegt bekommen, um ihn politisch zu beraten
- das ist Presseberichten zu entnehmen -, der Opposition dagegen eine umfassende Beratung im Deutschen
Bundestag bis zum 31. März verweigert wird. Ihre Vorgehensweise ist eine Missachtung des deutschen Parlaments.
({7})
Meine Damen und Herren, zum Schluss noch Folgendes zur Klarstellung: Die Einführung des Emissionshandels wird von der Union grundsätzlich positiv bewertet.
Es handelt sich dabei um ein Instrument, das den Klimaschutz kosteneffizienter gestalten und eine nachhaltige
Entwicklung fördern kann. Aber mit Ihrem Verhalten
und Ihrer Vorgehensweise, sei es beim TEHG, sei es
beim Nationalen Allokationsplan, haben Sie der guten
Idee des Emissionshandels bisher nur geschadet. Anstatt
die positiven Seiten dieses Instruments zu diskutieren,
werden die Schlagzeilen inzwischen nur vom rot-grünen
Durcheinander bestimmt. Deshalb fordern wir Sie auf:
Kehren Sie zu einer vernünftigen parlamentarischen Beratung zurück! Das ist im Interesse der Wirtschaft
Deutschlands und im Interesse des Klimaschutzes.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir im Parlament sollen eigentlich über den besten
Weg zur Lösung von Problemen diskutieren und uns
über neue Ideen und neue Möglichkeiten austauschen.
Heute Nachmittag können wir das leider nicht tun, weil
CDU und CSU lieber darüber sprechen wollen, dass sich
zwei Fachminister der Bundesregierung noch nicht in allen Details zu einem Gesetzesvorhaben geeinigt haben.
Wohlgemerkt: CDU und CSU wollen nicht etwa ihre
eigenen Ideen zum Thema Emissionshandel vortragen
- auch Herr Paziorek hat fünf Minuten gesprochen, ohne
uns eine einzige eigene Idee präsentiert zu haben - ,
({0})
sondern haben allen Ernstes eine Aktuelle Stunde beantragt, um darüber zu sprechen, dass der Umweltminister
ein Instrument möglichst umweltfreundlich und der
Wirtschaftsminister ein Instrument möglichst wirtschaftsfreundlich ausgestalten will.
Ich sage Ihnen meine Meinung dazu; denn ich habe
eine eigene, Herr Paziorek: Es ist richtig, von der deutschen Wirtschaft die Zusage der freiwilligen Klimaschutzvereinbarung einzufordern, die Job- und Dienstleistungschancen zu betonen und zu sagen, dass wir nach
den ersten Erfahrungen mit dem Emissionshandel in den
Jahren 2006 und 2007 natürlich auch das Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente zum Klimaschutz
noch einmal überprüfen müssen.
„Unterschiedliche Auffassungen“ - so beginnt der
Titel der von der CDU/CSU beantragten Aktuellen
Stunde. Zu diesen beiden Worten kann einem viel einfallen, vor allem dann, wenn man an die CDU und die CSU
denkt: Zur zukünftigen Ausgestaltung der Krankenversicherungen existieren unterschiedlichste Auffassungen
bei Ihnen. Zur Steuerreform gibt es so unterschiedliche
Auffassungen, dass Sie sich auf einen Kompromiss einigen mussten, der am Ende überhaupt keine Unterstützung mehr fand. Beim Arbeitsrecht konnte sich die CSU
mit dem CDU-Generalsekretär wenigstens einmal für
einen halben Tag einigen. Danach wurden aber die unterschiedlichen Auffassungen wieder sichtbar. Beim Telekommunikationsgesetz ist es sogar schon so weit gekommen, dass die Berichterstatterin der CDU/CSU
jeden Tag unterschiedliche Auffassungen mit sich selbst
auszumachen hat; diese sind von der Tageszeit und dem
jeweiligen Gegenüber abhängig. Das alles wären doch
auch tolle Themen für eine Aktuelle Stunde über unterschiedliche Auffassungen.
({1})
Ich komme noch einmal zum Emissionshandel - von
dem Herr Gerhardt glaubt, viel Ahnung zu haben - und
zu den unterschiedlichen Auffassungen der CDU und
der CSU bezüglich des Emissionshandels zurück. Ich
ziehe also genau diese beiden Themen - Emissionshandel und unterschiedliche Auffassungen - zusammen.
Zwei Beispiele will ich nennen:
Erstes Beispiel. In Westdeutschland laufen CDU- und
CSU-Abgeordnete zu Unternehmen und Verbänden und
versichern, mit CDU und CSU gebe es keine Sondertöpfe für „early action“ und Kraft-Wärme-Kopplung im
Emissionshandel. Das würde man zusichern. Im Osten
unseres Landes gehen Abgeordnete wie der von mir sehr
geschätzte Kollege Petzold zu den dortigen Unternehmen und sagen: Sie können sich darauf verlassen, dass
es mit CDU und CSU große Töpfe für „early action“ im
Emissionshandel geben wird.
Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU,
glauben Sie, dass Sie der Öffentlichkeit, den Unternehmen und mir diese unterschiedlichen Auffassungen erklären können? Das können Sie mit Ihren weiteren Rednern in dieser Aktuellen Stunde vielleicht einmal tun.
({2})
Zweites Beispiel. Koalition und Regierung verlangen
von der Energiewirtschaft und der Industrie die Einhaltung der freiwilligen Zusagen, das heißt, bis 2007 weniger CO2 auszustoßen. Dabei unterhalten wir uns über
wenige Millionen Tonnen. CDU und CSU behaupten
nun, das sei eine unnötige und unfaire Belastung der
deutschen Wirtschaft. Sie warnen vor angeblichen nationalen Alleingängen usw. Ich komme jetzt noch einmal
zu den unterschiedlichen Auffassungen zurück. Bis vor
kurzem haben Sie nämlich noch ganz andere Dinge erzählt. Angela Merkel - bekanntermaßen früher Umweltministerin und heute Partei- und Fraktionsvorsitzende und auch der Kollege Paziorek, der vor mir geredet hat,
haben bei zahlreichen Gelegenheiten gefordert, Deutschland müsse seinen Ausstoß von CO2 bis 2005 - also bis
zum nächsten Jahr - um 25 Prozent senken. Herr
Paziorek hat das zum letzten Mal im März 2003, also vor
noch nicht einmal zwölf Monaten, gefordert; nachzulesen auf seiner Webseite.
Um Klartext zu sprechen: Damit fordern Paziorek
und Merkel eine Minderung durch die deutsche Energiewirtschaft und die deutsche Industrie um 100 Millionen
Tonnen bis zum nächsten Jahr.
({3})
Es geht also nicht um einige wenige Millionen Tonnen,
sondern um das Mehrfache von dem, worüber diese Regierung spricht. Das ist nicht einmal mehr nur eine unterschiedliche Auffassung, das ist nichts anderes als Unehrlichkeit, mit der Sie hoffen, durch dieses Thema zu
kommen.
({4})
Wer sich das anschaut, bemerkt einen klaren Unterschied: Diese Koalition kommt zu Lösungen, wenn uns
das vorher intern auch ein paar Nerven und etwas Kraft
kostet. Sie haben aber nicht einmal den Mut oder die
Entschlossenheit, Ihre unterschiedlichen Auffassungen
zu einem einheitlichen Konzept zusammenzufassen. Es
gilt das Prinzip: Sie erzählen jedem, was er gerne hören
will. Eigene Konzepte: Mangelware.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
ist die Aktuelle Stunde für die „Aussprache über ein bestimmt bezeichnetes Thema von allgemeinem aktuellen
Interesse“ vorgesehen.
({0})
Die unterschiedlichen Auffassungen im Bundeskabinett
zum Emissionshandel und zur Ökosteuer sind in der Tat
von allgemeinem aktuellen Interesse. Aber nicht nur das:
Sie sind ein Skandal.
({1})
Sie sind ein Skandal, weil seit Jahren bekannt ist, dass
der Emissionshandel in Europa kommt und wir in
Deutschland trotzdem kein konsistentes Konzept haben.
Die Vorbereitung war schlampig. Deutschland ist auf
dieses neue Instrument nicht rechtzeitig eingestellt worden. Jetzt ist es auch noch zu einem chaotischen Verfahren gekommen. Das, was diese Regierung mit den Betroffenen in Deutschland macht, ist inakzeptabel und
deswegen ein Skandal.
({2})
Das Verfahren ist ein Skandal, weil der Emissionshandel - völlig unnötig - auf eine Zusatzbelastung für
die betroffenen Unternehmen hinausläuft. Die FDP hat
immer wieder darauf hingewiesen: Der Emissionshandel
ist ein wichtiger Baustein der modernen Klimapolitik.
Mit dem Emissionshandel wird das klimapolitische Ziel
sicher erreicht. Die Emissionen können dort vermieden
werden, wo dies mit den geringsten Kosten möglich ist.
Dazu gehören eine ausreichende Ausstattung der Unternehmen mit Zertifikaten und eine Anerkennung der so
genannten „early actions“.
Noch zwei Dinge sind nötig, meine sehr verehrten
Damen und Herren von der Koalition: erstens eine klare
Verknüpfung des Emissionshandels in Deutschland mit
den flexiblen Instrumenten des Kioto-Protokolls.
({3})
Dass Deutschland wie auch andere Länder einen Teil der
Verpflichtungen im Ausland erbringen kann, senkt auf
der einen Seite die Kosten und führt auf der anderen
Seite zu einem erheblich höheren Klimaschutzanteil, den
wir in Ländern erreichen, in denen wir mit viel niedrigeren Kosten Klimagasemissionen reduzieren können, beispielsweise in den Schwellenländern. Diese Verknüpfung fehlt. Ich kann Sie nur noch einmal dringend
auffordern: Stellen Sie diese Verknüpfung her. Nutzen
Sie diese Chance im Sinne des Klimaschutzes und der
Wirtschaft.
({4})
Zweitens. Die Ökosteuer und das Kraft-WärmeKopplungsgesetz müssen, wenn der Emissionshandel
funktioniert, abgeschafft werden. Das haben wir von der
FDP Ihnen immer wieder gesagt. Hier geht es nicht, wie
Bundesumweltminister Trittin erklärt, um einen InstruBirgit Homburger
mentenmix. Es geht Ihnen um eine Mehrfachbelastung,
Herr Trittin.
({5})
Wenn Sie nicht nur vom Emissionshandel reden, sondern an die Funktionsfähigkeit wirklich glauben würden,
dann müssten Sie nicht ständig versuchen, mit Netz und
doppeltem Boden zu arbeiten. Geht es nach Trittin, wird
wieder einmal draufgesattelt. Das ist typisch für die Grünen: Sie sind blind für die Chancen, die der Emissionshandel bietet, haben aber immer eine Zusatzbelastung im
Köcher. Herr Clement hat das begriffen. Deswegen können wir nur sagen: Herr Clement, willkommen im Klub!
Unsere Unterstützung haben Sie.
({6})
Ich will sehr deutlich sagen, dass in dieser Angelegenheit auch die Grünen ihr wahres Gesicht zeigen. Es
geht Ihnen überhaupt nicht um die Ökosteuer; das ist in
den letzten Tagen in zahlreichen Interviews deutlich geworden. Die beiden Herren in der ersten Reihe, Herr
Loske und Herr Hermann, haben ebenfalls welche gegeben. Mehrfach wurde bekräftigt, es gehe hier nicht um
die Ökologie, sondern um ungefähr 18 Milliarden Euro
Einnahmen für die Rentenversicherung. Diese unselige
Verknüpfung von Ökosteuer und Lohnzusatzkosten führt
in eine Sackgasse. Das haben wir Ihnen immer gesagt.
Deutlicher kann man nicht mehr ausdrücken, dass es den
Grünen an dieser Stelle nicht um Ökologie, sondern
schlicht und ergreifend um viel Geld geht.
({7})
Seit Wochen herrscht in der Bundesregierung das
blanke Chaos: Die Staatssekretäre einigen sich. Der
Wirtschaftsminister lehnt den Kompromiss ab. Die Fraktionsspitzen beteuern seit Tagen, es gebe keinen Koalitionskrach. Der grüne Geschäftsführer im Düsseldorfer
Landtag fordert den Rücktritt von Clement. Alles läuft
durcheinander. Fortschritte in der Sache sind allerdings
Fehlanzeige. Gestern Abend kam die Bankrotterklärung.
Was anderes ist es denn, wenn der Bundeskanzler öffentlich überlegt, die Entscheidung über das Herzstück, den
Nationalen Allokationsplan, über das Datum, das Brüssel vorgibt, hinaus zu verschieben? Das ist doch nichts
anderes als eine Kapitulation vor den Auseinandersetzungen im eigenen Kabinett.
({8})
Die Bürgerinnen und Bürger haben sich an die Machtworte des Bundeskanzlers gewöhnt, wenn das Tohuwabohu überhand nahm. Die Autorität reicht jetzt offenbar
gerade noch für eine Verschiebung. Wem es bisher nicht
klar war, der merkt es jetzt: Diese Bundesregierung ist
am Ende.
({9})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde,
die Opposition muss sich schon entscheiden, was sie
möchte. Möchte sie
({0})
der Bundesregierung vorhalten, dass sie, wie übrigens
angekündigt, beschlossen hat, in der nächsten Woche
darüber zu beschließen, damit Sie endlich beraten können? Wollen Sie uns nun anklagen, dass wir diesen Termin eine Woche vorher noch nicht erreicht haben, oder
ist es, lieber Herr Paziorek, ein Zeichen von Vernunft,
wenn wir diesen Termin nicht erreichen? Ich weise Sie
nur in aller Freundschaft, weil ich Sie schätze, darauf
hin, dass Sie sich überlegen müssen, ob Sie uns der Verzögerung anklagen wollen oder ob weitere Verzögerung
in Ihren Augen ein Ausdruck von Vernunft ist.
({1})
Lassen Sie mich noch auf einen Gedanken eingehen,
den die Kollegin Homburger dargelegt hat.
({2})
Wir haben bei der Überlegung für einen Nationalen Allokationsplan schlicht und ergreifend das getan, was wir
angekündigt haben. Wir legen das zugrunde, was die
deutsche Industrie im Rahmen ihrer Selbstverpflichtung
selber getan hat. Wir wollen das umsetzen, was die Industrie nicht nur dieser Regierung, sondern dieser Gesellschaft, auch Ihnen, versprochen hat. Das ist die
Grundlage. Es wird kein Gramm draufgepackt.
({3})
Aber wir sind auch nicht der Auffassung, dass sich die
Industrie vollständig vom Klimaschutz verabschieden
darf. Das kann auch nicht sein.
({4})
Dieses ist der Rahmen, in dem wir entscheiden werden.
Nun sagen Sie, es werde noch draufgesattelt, die Industrie werde durch die Ökosteuer belastet.
({5})
Das habe ich eben von Frau Homburger gehört. Schauen
wir uns doch einmal die Realität an.
({6})
Die Ökosteuer belastet nach Ihrer Aussage die deutsche
Wirtschaft. Erst einmal halten wir fest: Die Ökosteuer
entlastet die deutsche Wirtschaft,
({7})
denn die Ökosteuer führt dazu, dass 18,6 Milliarden
Euro aus dem Haushalt von Hans Eichel, die von uns allen gezahlt werden, für die Entlastung von Löhnen und
Gehältern und damit auch der Arbeitgeberbeiträge aufgewendet werden.
({8})
Die Ökosteuer entlastet die deutschen Unternehmen um
18,6 Milliarden Euro in diesem Jahr.
({9})
Nun wird gesagt, auch Unternehmen müssten in bestimmten Bereichen für den Verbrauch von Rohstoffen
bezahlen. Das ist richtig. Wir können uns einmal genau
ansehen, warum zum Beispiel mein ehemaliger Kollege
Werner Müller eine Flasche Rotwein gewonnen hat. Er
hat nämlich seinerzeit mit dem Chef der Kölner Fordwerke darum gewettet, ob Ford vor oder nach der Ökosteuer mehr zahlt. Herr Müller hat diese Flasche Rotwein gewonnen. Warum?
({10})
Weil wir nämlich bei der Belastung sehr genau darauf
geachtet haben, dass es nicht zu Verzerrungen kommt.
Das führt dazu, dass zusätzlich zu der Entlastung in
Höhe von 18,6 Milliarden Euro bei den Lohnnebenkosten, der größten Entlastung von Lohnnebenkosten, die
wir hinbekommen haben - Gutachter sagen uns, dass wir
ohne diese Entlastung nicht 250 000 Arbeitsplätze in
diesem Lande hätten sichern können -, steuerliche Subventionen in einer Größenordnung von 5,6 Milliarden
Euro hinzukommen,
({11})
die nicht gezahlt werden müssen.
Das ist die Situation, in der Sie darauf herumreiten,
dass wir angeblich die Wirtschaft zusätzlich belasten. In
Wirklichkeit haben wir hinsichtlich der Lohnnebenkosten eine gewaltige Entlastung hinbekommen und wir haben sehr genau darauf geachtet, dass es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Im Gegenteil: Wir zahlen in
diesem Jahr aus Steuermitteln 5,6 Milliarden Euro für
die Umsetzung der Selbstverpflichtung der deutschen
Wirtschaft. Was ist daran wirtschaftsfeindlich?
({12})
Sie heben gerne darauf ab, dass die Ökosteuer keinen
ökologischen Effekt habe. Schauen Sie sich einmal an,
warum seit der Einführung der Ökosteuer die Emissionen aus dem Verkehr in den Jahren 1999 bis 2003 jedes
Jahr um 1 Prozentpunkt bis 1,5 Prozentpunkte gesunken
sind.
({13})
Das ist faktische Klimaschutzpolitik.
Wir haben den Trend umgekehrt, den Sie zu verantworten hatten. In diesem Land erfolgte nämlich der Klimaschutz jahrelang dergestalt, dass zwar die Industrie
die Emissionen reduziert hat, aber die Verkehrsemissionen jedes Jahr zugenommen haben. Diesen Trend bei
den Verkehrsemissionen haben wir umgekehrt. Reden
Sie deshalb nicht von weiteren Lasten!
({14})
Wir werden den Nationalen Allokationsplan wie beschlossen zum 31. März, also am nächsten Mittwoch
vorlegen.
Ich will zum Schluss eine allgemeine Bemerkung machen; denn es lohnt sich, gelegentlich darüber nachzudenken, um was es beim Klimaschutz wirklich geht. Ich
fordere die Skeptiker, die das Kioto-Protokoll als
Zwangsjacke und Hemmnis für wirtschaftliches Wachstum ansehen, auf, weiter zu blicken als nur auf kurzfristige Berechnungen. Die Europäische Kommission rechnet damit, dass der Emissionshandel die Kosten, die
durch die Reduktion von Klimagasen entstehen, bis
2010 um 35 Prozent senken wird. Das entspricht
1,3 Milliarden Euro.
Das Kioto-Protokoll, das wir damit umsetzen werden, ist kein Rezept für ein wirtschaftliches Desaster. Ganz im Gegenteil: Es wird Wohlstand und Einsparungen bringen.
({15})
Diese Sätze stammen nicht von mir. Sie stammen von
Klaus Töpfer. Sie sollten sie sich hinter die Ohren
schreiben.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem Streit der Personen und um Personen verliert man manchmal ein bisschen den Überblick und
sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich möchte gern
darauf zurückkommen, worum es im Kern eigentlich
geht - Herr Trittin hat es am Schluss seiner Rede angeDr. Joachim Pfeiffer
sprochen -, nämlich um den Klimaschutz, die Klimavorsorge und insbesondere um den anthropogenen, also den
durch Menschen verursachten Beitrag und die Rolle des
Treibhausgases CO2.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach
den Fakten, um deutlich zu machen, wo wir uns weltweit, in Europa und in Deutschland bewegen. Die CO2Emissionen belaufen sich weltweit auf eine Größenordnung von circa 30 Milliarden Tonnen. Innerhalb der EU
sind es 4,1 Milliarden Tonnen, in Deutschland 990 Millionen Tonnen. In den USA betragen sie 8 Milliarden Tonnen, in China 4 Milliarden Tonnen und in Russland 2 Milliarden Tonnen.
Das Kioto-Protokoll verpflichtet die EU, in dem Zeitraum von 1990 bis 2012 eine Reduktion um 8 Prozent zu
erreichen. Das sind in absoluten Zahlen ausgedrückt
350 Millionen Tonnen im Jahr. Das heißt, wir reden insgesamt über weniger als 1 Prozent der jährlichen weltweiten CO2-Emissionen von 30 Milliarden Tonnen. Das
ist der Streitwert in Europa und in Deutschland. So viel
zum Kioto-Protokoll und seine Auswirkungen auf
Europa.
Ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Welchen
ökologischen Effekt hat das? - Leider keinen. Das KiotoProtokoll hat in dieser Frage eine rein symbolische Wirkung.
({0})
Dies sage nicht ich, sondern Sie, die Vertreter der Bundesregierung. Man kann das in der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2003 herausgegebenen Broschüre „Herausforderung Klimawandel“
nachlesen. Neben Trittin und Clement gibt es offensichtlich einen dritten Spieler, der hierzu sagt, es habe überhaupt keine Auswirkungen.
Trotzdem ist die Union der Meinung - das ist deutlich
geworden -, dass wir etwas für den Klimaschutz und die
Klimavorsorge tun müssen.
({1})
Der Emissionshandel, Herr Hermann, ist im Grundsatz
ein geeignetes Mittel, um das mit marktkonformen und
marktwirtschaftlichen Instrumenten zu erreichen.
({2})
Er muss aber so umgesetzt werden, dass die deutsche
Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird. Eine falsche Umsetzung wäre nämlich nicht nur wirtschafts- und
beschäftigungspolitisch, sondern auch ökologisch kontraproduktiv; denn die Emissionen, die nicht mehr bei
uns aufträten, fielen dann woanders an.
({3})
Lassen Sie mich die Bedeutung des Kioto-Effekts
noch einmal erläutern und verdeutlichen, welche kommunizierenden Röhren es in diesem Zusammenhang
gibt. In 22 Jahren soll es zu einer Reduktion um
3 Prozentpunkte kommen. Dies entspricht genau dem
jährlichen Zuwachs an Emissionen in China und Indien.
Das heißt, im Rahmen des Kioto-Protokolls kompensieren wir innerhalb von 22 Jahren gerade einmal den Zuwachs an CO2-Emissionen, der in China und Indien allein in einem Jahr anfällt.
Wir sind nicht allein in Europa. Jetzt fragen wir uns
einmal: Wie machen es die anderen europäischen Länder? Schauen wir einmal nach Frankreich. Frankreich
nimmt seine gesamte chemische Industrie vom Emissionshandel aus. Schauen wir einmal nach Dänemark.
Dänemark plant, über staatliche Projekte mit Joint Implementation und CDM zusätzlich kostenlose Zertifikate
an die am Emissionshandel Beteiligten zu verteilen. Das
heißt, während andere in Europa ihren Unternehmen und
ihrer Volkswirtschaft einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, verspielt Trittin einen solchen für Deutschland
mutwillig und vorsätzlich.
Ich muss Sie daran erinnern: Selbst Ihre grünen Mitschwestern und -brüder in Europa handeln hierbei anders. Die Äußerung des zuständigen Berichterstatters
des Europäischen Parlaments in dieser Frage - Herr
Alexander de Roo, ein Grüner aus Holland - ist ganz aktuell. Er fordert bereits heute - das geht weit über die
Vorstellung der EU-Kommission und auch Ihre Vorstellung hinaus -, die flexiblen Mechanismen JI und CDM
schon in der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007
- unabhängig von der Ratifizierung und der Umsetzung
des Kioto-Protokolls - einzubeziehen. Das ist im Übrigen genau die Forderung, die wir bei den letzten Beratungen in diesem Haus erhoben haben.
Ich kann Ihnen also eigentlich nur sagen: Nehmen Sie
sich ein Beispiel an anderen Grünen in Europa! Orientieren Sie sich an den Wettbewerbern in Europa! Wenn
Sie das nicht tun, dann werden wir eine Katastrophe, ein
Desaster erleben. Kommen Sie zur Besinnung und gefährden Sie nicht aus ideologischer Verbohrtheit die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands! Mit der Umsetzung
Ihrer Pläne würden Sie nicht nur der Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch dem Klima- und Umweltschutz einen
Bärendienst erweisen.
({4})
Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es wird Sie nicht erstaunen, dass ich als Vertreter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit
zunächst auf Folgendes hinweise: Wir widmen unsere
Arbeit in der Hauptsache dem Thema der Wirtschaftsdynamik und der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen. Das haben wir auch zu tun.
({0})
Deshalb wird es unser Ziel bleiben, in diesem Jahr 1,5 Prozent bis 2 Prozent Wirtschaftswachstum zu erreichen.
({1})
Wir sind aber der Meinung, dass es neben der Konzentration auf die Wirtschaftsdynamik zweifelsohne
auch ein Bekenntnis zur Ressourcenschonung und zur
Senkung des Energieverbrauchs geben muss. Darüber
müssten wir alle uns eigentlich einig sein.
({2})
Ich füge hinzu: Es kann keinen Zweifel daran geben
- ich bitte Sie, die Diskussion entsprechend zu führen -,
dass Deutschland schon in der Vergangenheit stolz darauf war, in der Klimapolitik eine Vorreiterrolle einzunehmen. Wir diskutieren im Moment über die Frage, ob
es bei der Vorreiterrolle und beim Alleingang bleiben
soll. Es geht auch um die Sorge, die es im Zusammenhang mit dem Klimaschutz in der Welt gibt.
Deutschland trägt 4 Prozent zum weltweiten Ausstoß
von Treibhausgasen bei. Wir haben unser nationales Klimaziel - Senkung der Treibhausgase um 21 Prozent bis
2012 - weitgehend erreicht.
({3})
19 Prozent würden wir nach unseren Erkenntnissen auch
ohne das Instrument des Emissionshandels erreichen,
was nicht zuletzt - das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen - ein Ergebnis der umfänglichen Investitionspolitik der deutschen Wirtschaft ist. Sie hat dazu
beigetragen, dass es heute in Deutschland - verglichen
mit vielen anderen Ländern - weit höhere Standards
gibt. Dies sollte man in einer solchen Debatte auch einmal anerkennen.
({4})
Wir glauben jedoch, dass wegen der tief greifenden Auswirkungen des Emissionshandels auch gewisse Sicherungen erforderlich sind. Dadurch ist das Handeln des
Bundeswirtschafts- und -arbeitsministeriums bestimmt.
Erinnern Sie sich einmal an Ihre Regierungszeit, als
es zwischen Koalitionspartnern und Ressorts viele umfängliche und langwierige Debatten gegeben hat!
({5})
Ich versichere Ihnen eines: Wir werden den Terminplan
einhalten. Außerdem diskutiere ich lieber noch eine Woche länger und habe ein gutes Ergebnis, als dass ich
irgendetwas vorlege, das am Ende keinen Bestand im
wirtschaftlichen und ökologischen Leben unseres Landes hat.
({6})
Wenn ich von Sicherungen spreche, dann meine ich
das Vorhalten einer zusätzlichen CO2-Reserve für den
Neubau und die Erweiterung von Anlagen sowie für den
Fall eines stärkeren Wirtschaftswachstums,
({7})
die faire Feststellung jener CO2-Emissionen gemäß der
Minderungsverpflichtung, die aus chemisch-physikalischen Gründen und aufgrund der Produktionsprozesse
nicht weiter reduzierbar sind,
({8})
die Kompensation für den Ausstieg aus der CO2-freien
Kernenergie und keine einseitige Bevorzugung des Gases gegenüber heimischen Energieträgern.
({9})
Ich finde, dass zu einer sorgfältigen Auseinandersetzung
mit diesem Thema auch gehört, dass man sich mit den
diesbezüglichen Fragestellungen beschäftigt.
({10})
Wir haben natürlich auch die Wettbewerbsvorbehalte
im Blick, wenn es um industrielle Arbeitsplätze geht. Es
ist doch ganz klar, dass deutsche Anlagenbetreiber nicht
schlechter gestellt werden dürfen als solche in anderen
Ländern, und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit.
({11})
- Es ist immer wieder schön, die Begeisterung hier zu
erleben.
({12})
Die Investitionen in Klimaschutz und modernste Anlagen hierzulande müssen auch außerhalb der Europäischen Union angerechnet werden.
({13})
Ein wirksamer Klimaschutz erfordert nämlich in erster
Linie größere internationale Anstrengungen. Ansonsten
werden nationale Fortschritte, so notwendig sie auch immer sind, zunichte gemacht.
({14})
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich das Szenario in anderen Ländern sehr
problematisch darstellt. Der Ausstoß an CO2-Emissionen ist beispielsweise in der Volksrepublik China zwischen 2001 und 2002 um über 700 Millionen Tonnen auf
insgesamt 4,1 Milliarden Tonnen angestiegen. Dieser
Anstieg entspricht dem 30fachen dessen, was wir in
Deutschland bis 2012 an Emissionsminderung noch zu
erbringen haben und erbringen werden.
({15})
Mit diesen Größenordnungen müssen wir uns auseinander setzen, wenn wir den Standort Deutschland im Wettbewerb fair aufstellen wollen.
({16})
Deshalb sage ich: Wir reden hier nicht nur über Kraftwerke, sondern wir reden auch über Industrie, über Chemie,
({17})
über Stahl und über Baustoffindustrie,
({18})
die alle im internationalen Wettbewerb stehen. Insofern
halte ich die Äußerung der Sorge des Wirtschaftsministers und die sorgfältigste Diskussion mit den Kollegen
im Bundeskabinett für absolut normal und notwendig.
Genau das macht Wolfgang Clement im Moment. Dass
dies in den Zeitungen in besonderer Weise aufbereitet
wird, ist das eine; dass es eine sachliche Diskussion und
Auseinandersetzung mit dem Umweltministerium gibt,
ist das andere.
({19})
Schließlich möchte ich doch noch ein Wort zu dem
Thema sagen, das hier kürzlich für einigen Aufruhr gesorgt hat, nämlich das so genannte Infragestellen der
Ökosteuer durch den Wirtschaftsminister. Hierzu sollte
klargestellt werden: Wenn wir Erfahrungen mit dem
Emissionshandel haben - der Emissionshandel ist eine
marktwirtschaftliche Herangehensweise an das Thema -,
dann - das ist ganz normal; das halte ich für selbstverständlich - muss er sich wie alle Kräfte, die auf den
Markt wirken, einer Prüfung unterziehen.
({20})
Ich halte das für einen Vorgang, der ganz unspektakulär
ist, der von den Beteiligten, glaube ich, auch so gesehen
wird. Dass daraus etwas anderes gemacht wird, als es ist,
ist halt das politische Geschäft, mit dem wir uns auseinander setzen müssen.
Ich sage noch einmal: Auch das Bundeswirtschaftsministerium will Umwelt- und Klimaschutz. Die Bundesregierung will Klimaschutz mit ökonomischer Effizienz verbinden. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich bin
ganz sicher: Wir werden in der nächsten Woche ein entsprechendes Ergebnis erzielen.
({21})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Ich
hoffe, dass viele Menschen draußen die Debatte verfolgen können; denn die Desorientierung dieser Bundesregierung wird selten so deutlich wie bei der heutigen Debatte.
({0})
Herr Minister Trittin, als Sie redeten und nachdem Sie
geredet haben, kam Applaus auch von der SPDFraktion - bis auf den Kollegen Wend.
({1})
Sie sind auf Ihren Platz gegangen und haben den Kollegen Staffelt gefragt: Bist du zufrieden? - Daraufhin hat
Herr Staffelt ehrfurchtsvoll genickt.
Herr Staffelt hat für das Bundeswirtschaftsministerium dann aber das Gegenteil von dem referiert, was
Herr Trittin gesagt hat.
({2})
Da rührte sich bei der SPD kaum eine Hand. Es war nur
der Kollege Wend, der Herrn Staffelt folgen konnte.
({3})
Das zeigt doch sehr deutlich, dass die beiden Minister
Trittin und Clement einen Wirtschaftsaufschwung mit
Klimaschutzelementen nicht hinbekommen. In dieser
Bundesregierung gibt es nur ein Entweder-oder; ein Zusammenwirken ist nicht möglich.
Herr Trittin, was Sie vorgetragen haben, nämlich dass
die Industrie bei der Ökosteuer in großem Maß entlastet
worden sei, ist entlarvend. Meine Überzeugung steht
schon lange fest: Das Thema Emissionshandel und viele
andere Themen sind bei Ihnen im Ministerium mehr als
schlecht aufgehoben.
({4})
Wenn das überhaupt vorankommen soll, gehört das ins
Wirtschaftsministerium.
Wir reden hier von 660 000 Arbeitsplätzen, die bei
der energieintensiven Wirtschaft auf der Kippe stehen.
Es geht um die Frage: Wird Wirtschaftsaufschwung mit
Emissionshandel überhaupt möglich sein? Die Wirtschaft braucht Luft bei der Zuteilung von Zertifikaten.
({5})
Das Instrument des Emissionshandels ist sinnvoll, wenn
es entsprechend verknüpft wird, wenn der Wirtschaft
dieser Spielraum gegeben wird und wenn es nicht als zusätzlicher Knüppel verwendet wird.
({6})
Ich sage es noch einmal ganz ausdrücklich: Dass das
Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und die Ökosteuer die Strompreise erheblich
belasten, müsste allen im Hause bekannt sein. Sie verteuern sie derzeit exakt um 41 Prozent. Das macht eine
hohe Summe aus.
Ich will Ihnen einmal kurz schildern, was in dem so
genannten Möschel-Gutachten zu lesen ist. Es geht darum, dass die Bundesregierung die Einspeisung von
Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2010 auf einen Anteil von 12,5 Prozent verdoppeln will. Gemäß
Herrn Professor Möschel, der Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ist - mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich -,
kann dieses Ziel nur erreicht werden, wenn die Einspeisevergütungen weiter angehoben werden. Insgesamt ist bei Festhalten an diesem Ziel für das Jahr
2010 mit einer Belastung der Stromwirtschaft in
Höhe von fünf Milliarden Euro zu rechnen.
Dies bedeute in Deutschland
eine Verteuerung der gesamten Stromerzeugung um
fast ein Drittel.
Diese weiteren Belastungen, die anstehen, darf man
nicht unerwähnt lassen. Sie machen nur dann Sinn, wenn
es hier einen Abgleich mit dem Instrument Emissionshandel, das zur Reduktion von CO2-Gasen beitragen
soll, gibt.
({7})
Mit Blick auf die internationale Lage muss man sagen
- Herr Staffelt hat das sehr richtig dargestellt -: Wenn
die deutsche Industrie zum Beispiel die Kohlekraftwerke
in China mit neuesten Technologien entsprechend aufrüsten dürfte, würde damit eine enorme Reduktion von
CO2-Gasen möglich werden. Das würde zu 30 bis
50 Prozent geringeren Kosten möglich sein als entsprechende Einsparungen über das Erneuerbare-EnergienGesetz. Wir als FDP-Bundestagsfraktion fordern Sie auf,
zu einem Emissionshandel zurückzukehren, der wirtschaftsverträglich ist, der all diese Elemente berücksichtigt und der auf marktwirtschaftlicher Basis und nicht
auf der ideologischen Basis, von der Sie derzeit ausgehen, stattfindet.
({8})
Ich bin einmal gespannt, wie der Ministerstreit ausgeht. Nachdem Sie hier heute ganz öffentlich die unterschiedlichen Positionen der beiden Ministerien dargestellt haben, kann die Folge nur sein, dass einer der
beiden Minister seinen Hut nimmt. Ansonsten wird anschließend keiner mehr Glaubwürdigkeit besitzen. Herr
Clement hat sich diesmal eindeutig gegen Herrn Trittin
gestellt. Ich kann nur hoffen, dass es ihm diesmal gelingt, seine Position durchzusetzen.
({9})
Damit würde er endlich Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit in seiner Wirtschaftspolitik zeigen. Das Sündenregister ist nämlich schon viel zu lang. Als Beispiel
nenne ich nur die bevorstehende Ausbildungsplatzumlage. Es gibt aber noch viel mehr Dinge, wo die SPDFraktion ihren eigenen Wirtschaftsminister schlicht im
Regen stehen lässt. Das ist unerträglich, denn es geht um
Arbeitsplätze, um Wirtschaftswachstum und darum, ob
der Standort Deutschland überhaupt noch wettbewerbsfähig bleibt.
({10})
Insofern erwarte ich, dass sich Herr Clement in diesem
Punkt durchsetzt und wir zu Regelungen kommen, die
tatsächlich geeignet sind, den Wirtschaftsstandort
Deutschland zu stärken, statt ihn kaputtzumachen.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Reinhard Loske
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute stehen ja die unterschiedlichen Positionen zur
Ökosteuer und zum Emissionshandel zur Debatte. Ich
möchte zunächst einmal etwas zum Thema Ökosteuer
sagen.
Es wurde gerade gesagt - unter anderem von Frau
Homburger - das Beste sei, man würde die Ökosteuer
abschaffen.
({0})
Man muss sich dies einmal ganz klar vor Augen führen:
Wenn die Ökosteuer abgeschafft würde, würden die
Rentenversicherungsbeiträge in Deutschland heute nicht
bei 19,5 Prozentpunkten, sondern bei knapp 21,5 Prozentpunkten liegen. Das würde faktisch eine Verteuerung der Rentenversicherung um 10 Prozent bedeuten.
Wer so einen Schmarren vorschlägt, der hat von volkswirtschaftlichen Größen wirklich keine Ahnung. Das
muss man ganz klar sagen.
({1})
Das Konzept war ja immer - das wissen Sie ganz genau -, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: auf
der einen Seite durch den schrittweisen und planvollen
Anstieg der Energiepreise Anreize zum sparsamen Umgang mit Energie zu geben und auf der anderen Seite die
Lohnnebenkosten zu senken und damit einen Anreiz zur
Beschäftigungsförderung zu geben.
({2})
Inwieweit das in Bezug auf die Rentenversicherungsbeiträge geklappt hat, habe ich gerade dargestellt.
Nun zur ökologischen Seite. Das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung hat uns mitgeteilt, dass durch die
Ökosteuer bis zum Jahr 2010 jährlich 20 bis
25 Millionen Tonnen CO2 vermieden werden. Das ist ein
sehr relevanter Beitrag zur Erreichung unserer Klimaschutzziele.
({3})
Eben wurde schon auf die durchaus belastbaren Zahlen
hingewiesen: Von 1990 bis 1999 ist der CO2-Ausstoß im
Bereich der Privathaushalte und im Bereich des Verkehrs
kontinuierlich, Jahr für Jahr, gestiegen. Seit 1999, seit
wir die Ökosteuer eingeführt haben, gehen die Emissionen der Privathaushalte und des Verkehrs zurück, das
heißt, wir haben hier ganz klar eine ökologische Lenkungswirkung. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, statt dieses Instrument zu denunzieren.
({4})
Wir stehen zu diesem Instrument; wir halten es für
eine Erfolgsgeschichte. Man muss es evaluieren, das ist
selbstverständlich. Man muss auch schauen, in welchem
Verhältnis die Ökosteuer zu anderen Instrumenten steht.
Ebenso muss man prüfen, was man möglicherweise
streichen kann, beispielsweise bei den Subventionen
oder bei den Sonderregelungen im Rahmen der Ökosteuer; das ist vollkommen richtig. Insofern ist eine Konsistenzprüfung - Uli Kelber hat schon darauf hingewiesen - nichts Problematisches. Für uns ist die Ökosteuer
ein zentrales Instrument.
Zum Emissionshandel. Der Emissionshandel ist für
uns ein wichtiges, positives Instrument, das ökologisch
effektiv und ökonomisch effizient ist. Es wird von Umweltökonomen seit langer Zeit empfohlen. Jetzt kommt
es darauf an, dieses Instrument zu nutzen, um die Erreichung der Kioto-Ziele glaubwürdig und so wirtschaftsverträglich wie eben möglich herbeizuführen.
Ein Wort zu dem ganzen Gerede über unsere angebliche nationale Vorreiterrolle. Dieses Instrument ist doch
erstmalig auf europäischer Ebene abgestimmt! Deshalb
liegt hier keine Wettbewerbsverzerrung vor, sondern
quasi eine Harmonisierung innerhalb Europas. Aus diesem Grunde ist es genau das richtige Instrument.
({5})
Zu einigen konkreten Punkten. Für uns ist zentral,
dass der Plan bis zum 31. März dieses Jahres in Brüssel
gemeldet wird. So richtig die Aussage „Gründlichkeit
vor Schnelligkeit“ - auch vom Bundeskanzler und vom
Wirtschaftsminister getroffen - ist, es ist ganz klar, dass
jetzt, da die Fakten auf dem Tisch liegen, politisch entschieden werden muss. Es kann politisch entschieden
werden und - da bin ich sicher - das wird es auch; dazu
ist diese Koalition imstande.
Zweitens. Wir brauchen Ziele für beide Perioden, für
die erste von 2005 bis 2007 und für die zweite von 2008
bis 2012. Denn die Unternehmen brauchen Planungssicherheit. Wir müssen unser Ziel bis 2012 erreichen, damit unsere internationale Glaubwürdigkeit nicht gefährdet wird. Dass zwischendrin mäandriert wird und dass
gewisse Pfadabweichungen möglich sind, ist vollkommen klar. Deswegen wollen wir in Bezug auf die Zwischenziele eine gewisse Flexibilität zulassen. Aber es
muss sichergestellt sein, dass das Ziel im Jahr 2012 verbindlich erreicht wird. Das ist ein ganz zentraler Punkt.
({6})
Über die Übertragungsregelung, die Neueinsteigerregelung, kann man viel reden. Ich will nur so viel sagen:
Es müssen Anreize für frühe Modernisierungsinvestitionen geschaffen werden. Das ist für uns ganz zentral.
Über „early action“ ist viel gesagt worden. Selbstverständlich wollen wir bestimmte Dinge anerkennen, beispielsweise wenn in den neuen Bundesländern in den
90er-Jahren früh modernisiert worden ist. Das haben wir
zugesagt und das machen wir. Aber klar muss auch sein:
Wir können durch die Ausgabe von Emissionsrechten
nichts honorieren, was der Steuerzahler bezahlt hat, sondern nur das, was durch reale Minderungsinvestitionen
von den Unternehmen geleistet worden ist.
Zur Kraft-Wärme-Kopplung und zur Prozessenergie.
Bei der KWK wollen wir den weiteren Ausbau; das
muss sich im Nationalen Aktionsplan spiegeln. Bei der
Prozessenergie ist der politische Wille der Koalition,
dass bis zum Jahr 2007 ein Erfüllungsfaktor 1 gewährt
ist. Das will ich hier noch einmal ganz klar sagen. Darauf kann sich das produzierende Gewerbe verlassen.
Die flexiblen Instrumente werden wir so bald wie möglich - sobald die EU-Verbindungsrichtlinie in Kraft ist einbeziehen. Über die Einbeziehung von JI und CDM
werden unsere Unternehmen davon Gebrauch machen
können.
Abschließend möchte ich folgenden Gedanken äußern. Wir sollten wirklich höllisch aufpassen, dass wir
nicht Denkfiguren aus den 70er-Jahren wiederbeleben:
({7})
Wirtschaft gegen Umwelt, Arbeitsplätze gegen Ökologie. Da waren wir doch alle zusammen schon einmal
weiter. Wir wissen doch alle, dass neben Lebensstilveränderungen der technische Strukturwandel, die Dynamik
in Richtung Nachhaltigkeit bei der Erreichung unserer
Klimaschutzziele der entscheidende Punkt ist. Deswegen will ich noch einmal, auch im Sinne der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, dafür plädieren, dass wir die
Kampfrhetorik, wie wir sie gestern beispielsweise von
Herrn Rogowski gehört haben, unterlassen. Wir sind ein
starkes, innovatives Land
({8})
und wir können bei diesen Technologien Vorreiter sein.
Die Rahmenbedingungen müssen entsprechend gesetzt
werden.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ein deutsches Nachrichtenmagazin hat die Klimaschutzpolitik
des Bundesumweltministers bereits als „Luftkampf“ betitelt. Daran ist zutreffend, dass der Herr Bundesumweltminister wirklich keine Konfrontation auslässt. Ich
nenne als Konfliktherde den unseligen und unversöhnlichen Streit um die Pfandpflicht, eine Schlacht mit den
Ländern und dem Einzelhandel, und den Verkauf der
Hanauer Brennelementefabrik. Hier wird das Ansehen
Deutschlands fahrlässig beschädigt und das Vertrauen in
die Verlässlichkeit der Zusagen des Bundeskanzlers erschüttert.
({0})
Ich nenne ferner das Moratorium hinsichtlich des
Endlagerstandorts. Damit droht die Gefahr, dass die
Zwischenlager im Jahre 2030 zu Endlagern mutieren.
Wegen möglicher terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke gibt es wiederum ein Gezänk mit den Ländern.
Wer weiß, welche strittigen Vorgänge es im Bundesumweltministerium noch gibt. Jetzt hat der ungebrochene
Konfrontationskurs die SPD-Fraktion, also den Koalitionspartner, und die Kollegen im Kabinett erreicht.
Der augenblickliche Streit geht im Kern um die
Frage, ob man nicht auch die Interessen der deutschen
Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit im Blick behalten muss, ob man nicht also auch an die Arbeitsplätze
in Deutschland denken muss.
({1})
Ich meine, ja. Da stimme ich dem Bundeswirtschaftsminister einmal ausdrücklich zu. Hier liegt er auf dem richtigen Dampfer.
({2})
Es ist noch kein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren eingeleitet worden. Hier wird durch den rotgrünen Alleingang - am Parlament vorbei - tief in das
Fleisch der deutschen Wirtschaft geschnitten. Wir waren
gerade Zeuge der widersprüchlichen Aussagen des Umweltministers und des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium. Da kann man eigentlich nur sagen: Diese
Regierung weiß wirklich nicht mehr, wo hinten und
vorne ist. Trotzdem will sie nächste Woche in Brüssel
den Nationalen Allokationsplan vorlegen.
Wenn wir das Weltklima um jeden Preis retten wollten
({3})
- doch, das wollen wir schon -,
({4})
dann müssten wir uns doch überlegen, wo wir stehen.
Sie müssen bedenken, dass die Länder, die bis jetzt das
Kioto-Protokoll unterzeichnet haben, 30 Prozent der
weltweiten Emissionen verursachen. Es ist der rot-grünen Bundesregierung in den fünf Jahren ihrer Regierung
nicht gelungen, wichtige Staaten wie USA, Russland,
China und Indien auf die Inhalte des Kioto-Protokolls zu
verpflichten.
({5})
Aber bei uns werden alle Register gezogen. Dabei wird
keine Rücksicht auf die tatsächliche Lage der deutschen
Wirtschaft genommen.
Deutschlands Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen liegt bei etwas über 3 Prozent. Der Streit innerhalb
der Regierung dreht sich im Kern nur um ein paar Millionen Tonnen CO2. Im Zusammenhang mit diesem
Thema muss man hinzufügen, dass die Volksrepublik
China allein im nächsten Jahr 750 Millionen Tonnen
mehr CO2 emittieren wird, was ausschließlich wachstumsbedingt ist. Da stellt sich natürlich die Frage, ob es
nicht wesentlich klüger wäre, im Wege von Verhandlungen auf internationaler Ebene Reduktionen in diesen
Ländern zu erreichen, statt unsere Wirtschaft massiv zu
gefährden.
({6})
Da dieses Problem immer bestritten wird, möchte ich
Ihnen ein Beispiel nennen. Ein Zementwerk, das in dem
willkürlich festgelegten Zeitraum von 2000 bis 2002 wegen der Flaute im Bauwesen weniger Zement verkauft
hat, dessen Umsatz aber im Jahr 2003 angestiegen ist
und das im Jahr 2004 mit einer Steigerung des Umsatzes
um mehr als 25 Prozent rechnen kann, fällt bei Ihrem
System durch das Raster.
({7})
Die betroffenen Unternehmen sind gezwungen, ab 2005
ihre Produktion zurückzufahren, weil sie keine Möglichkeit haben, innerhalb des Systems, das Rot-Grün einführen will, die Belastungen einigermaßen zu kompensieren.
({8})
Ich möchte Ihnen noch etwas zu der Kombination von
Emissionshandel - Nationaler Allokationsplan - und
Ökosteuer sagen. Selbstverständlich hat der Wissenschaftliche Beirat Recht, wenn er sagt, dass sich die beiFranz Obermeier
den Systeme nur schwer miteinander vertragen, außer
man riskiert Nachteile für die deutsche Volkswirtschaft.
({9})
Ich möchte jetzt auf Ihr Argument, Herr Loske, zur
Ökosteuer eingehen. Die Ökosteuer mag sektoral und für
einzelne Betriebe durchaus Vorteile bringen. Für die
deutsche Volkswirtschaft wirkt sie sich unterm Strich auf
alle Fälle negativ aus,
({10})
weil dadurch in der Vergangenheit massiv Arbeitsplätze
vernichtet wurden. Der Verlust an Arbeitsplätzen führt
zu Steuermindereinnahmen und zu Mindereinnahmen
bei den sozialen Sicherungssystemen. Somit ist der
Schaden für die deutsche Volkswirtschaft wesentlich
größer als der Nutzen.
({11})
Herr Kollege Obermeier, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ich bin schon beim letzten Satz. - Wenn wir nicht gegensteuern, wenn wir die Warnungen der Wissenschaftler nicht ernst nehmen, wird das Musterökoland
Deutschland unter rot-grüner Führung gegen die Wand
fahren. Das möchten wir verhindern.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rainer Wend von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ganz sicher, unser Minister für Wirtschaft
und Arbeit, Wolfgang Clement, hat sich über Ihre Unterstützung, die sich in Ihrem Beifall soeben ausgedrückt
hat, sehr gefreut.
({0})
Er würde sich vermutlich noch mehr freuen, wenn Sie
diesen Beifall noch ein wenig durchhalten könnten und
ihn auch noch dann zollen werden, wenn am Ende ein
Allokationsplan vorgelegt wird, der vom Bundeswirtschaftsminister maßgeblich mitgestaltet worden ist.
({1})
Dann müssen Sie zeigen, ob Sie hier nur aus polemischen Gründen taktisch agiert haben oder ob Sie bereit
sind, einen vernünftigen Allokationsplan zu unterstützen.
({2})
Lassen Sie mich als Wirtschaftspolitiker zum Thema
Umweltpolitik Ausführungen machen. Wenn die Zahlen
richtig sind, werden zurzeit weltweit in etwa 31 Milliarden Tonnen an CO2, an Kohlendioxid, ausgestoßen. Welche Auswirkungen hat das? Werfen wir einen Blick auf
das Klima und überlegen wir, wie sich die Klimaveränderung auf den Golfstrom - das ist ein praktisches Beispiel; denn er ist bestimmend für das Klima in Europa auswirkt. Ich glaube, inzwischen muss den Wirtschaftspolitikern klar sein, dass derjenige, der bei dieser Bedrohung des Klimas glaubt, in der Wirtschafts- und Energiepolitik noch bei den Mustern der 70er-Jahre verharren zu
können, grundsätzlich irrt und nicht begreift, vor welchen Herausforderungen wir in unserem Land heute stehen.
({3})
Ich möchte ein Zweites sagen, was mir als Wirtschaftspolitiker vielleicht näher liegt: Etwa 40 Prozent
aller Unternehmen, die vom Emissionshandel in Europa
betroffen sind, liegen in Deutschland. Wir sind so etwas
wie das industrielle Herz Europas. Es geht um die
Stromkonzerne, die Chemie- und die Stahlindustrie, die
Glashütten, die Papier verarbeitenden Betriebe und die
Zementwerke. Dabei geht es nicht darum, diese Unternehmen als Selbstzweck zu schützen, sondern darum,
Zehntausende von Arbeitsplätzen in diesen Betrieben zu
bewahren. Es geht somit ein Stück weit auch um den Industriestandort Deutschland.
Ich habe gerade in Bezug auf die Umweltpolitik klar
gesagt, dass wir nicht bei den Standards der 70er-Jahre
in der Wirtschafts- und Energiepolitik stehen bleiben
können. Genauso klar sage ich: Derjenige, der glaubt,
die Umwelt- und Klimaschutzpolitik könne darauf verzichten, auf den Industriestandort Deutschland Rücksicht zu nehmen, irrt sich genauso fundamental wie die
Ideologen auf der anderen Seite. Das ist ein Teil des
Zielkonflikts, der heute in dieser Debatte deutlich wird.
Man kann es sich leicht machen wie Sie, meine Damen
und Herren von der Union, und sagen: In dieser Bundesregierung gibt es einen Konflikt zwischen zwei Ministerien. Wir führen diesen Konflikt vor und zeigen damit,
dass es innerhalb der Bundesregierung an Einigkeit
fehlt. - Das kann man aus taktischen Beweggründen machen. Vielleicht haben Sie damit kurzfristig auch Erfolg.
Ich sage Ihnen dazu noch etwas: Wenn ich vor
Schulklassen über Politik rede, versuche ich jenseits
von Inhalten zunehmend eines deutlich zu machen: Es
gibt fast kein Thema mehr, bei dem irgendeine Seite
hundertprozentig Recht oder Unrecht hat. Wir müssen
in Auseinandersetzungen versuchen, überwiegend richtige Lösungen zu finden. Meine Auffassung ist die: Eine
Bundesregierung, die um richtige Lösungen streitet und
ringt, nimmt ihre Verantwortung allemal besser wahr
als eine Opposition, die aus taktischen Gründen eine
einseitige Profilierung betreibt
({4})
und gar nicht merkt, dass sie die Grundsätze, die diesem
Konflikt zugrunde liegen und die entscheidend sind,
nicht begriffen hat.
({5})
Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss eines: An dieser Frage wie auch an anderen die Wirtschaftspolitik betreffenden Fragen, mit denen ich mich befasse, wird
deutlich, dass plakative Phrasen, persönliche Anwürfe
von Ihrer Seite und am Ende einfältige Politikentwürfe
fachkundige Kompromisse und Lösungen nach einem
produktiven Streit nicht ersetzen können. Deswegen
- glauben Sie es mir - werden wir am Ende den richtigen Weg beschreiten.
({6})
Das Wort hat der Kollege Hans Michelbach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Präsident! Kolleginnen und Kollegen!
Patriotismus kann sich nur auf Leistungsfähigkeit gründen. Unpatriotisch ist nicht der Unternehmer, der seinen
Betrieb wettbewerbsfähig hält. Unpatriotisch ist derjenige, der der deutschen Wirtschaft aus rein ideologischen Gründen eine immer schlechtere Wettbewerbsfähigkeit zumutet.
({0})
Es gibt keinen Zweifel: Die Leistungsfähigkeit unserer Betriebe wird von Rot-Grün systematisch beschwert.
Warum sind denn allein im letzten Jahr 400 000 Arbeitsplätze verloren gegangen? Deshalb handeln die patriotisch, die gegen mehr Belastung durch Steuern und Abgaben in Deutschland eintreten.
Jetzt erleben wir hier das Stück „Regierung konfus“.
({1})
Ich habe es in diesem Hohen Hause noch nie erlebt,
({2})
dass letzten Endes zwei Ministeriumsvertreter einander
gegenüberstehen und mehr oder weniger die Koalitionsfrage stellen.
({3})
Ein größeres Durcheinander als das in dieser Regierung
gibt es wirklich nicht.
({4})
Legen Sie doch einmal diesen Nationalen Allokationsplan vor,
({5})
damit die Wirtschaft eine Bewertung vornehmen kann
und damit wir eine Grundlage haben, über die wir diskutieren können.
Es ist eine Tatsache: Wer wie Rot-Grün 54 Milliarden
Euro Ökosteuer abkassiert, wer wie Rot-Grün das Ursprungsziel beim Emissionshandel willkürlich erhöht,
({6})
wer wie Rot-Grün einen Staatsanteil von 50 Prozent verantwortet, wer wie Rot-Grün damit Firmen ins Ausland
treibt, der ist wirklich unpatriotisch. Das ist für mich
blanker Ökosozialismus mit Vernichtung von Wachstum
und Beschäftigung.
({7})
Lachen Sie nicht! Herr Trittin, Sie haben heute eine
Teilung der deutschen Volkswirtschaft vorgenommen.
Von Ökonomie haben Sie wirklich keine Ahnung. Das,
was Sie hier machen, ist Voodoo-Ökonomie. Die Teilung
der deutschen Volkswirtschaft, die Sie hier vorgenommen haben, gibt es nicht. Die Belastung durch die Ökosteuer in Höhe von 54 Milliarden Euro trifft alle:
({8})
die Wirtschaft und die Verbraucher, also alle Menschen
in diesem Land.
({9})
Hier eine Teilung vorzunehmen ist völlig falsch.
({10})
Sie haben die Lohnnebenkosten angesprochen. Sie
haben sie trotz der Ökosteuer nicht auf 40 Prozent gesenkt; sie liegen bei 41,9 Prozent. Das ist es, was letzten
Endes zählt.
({11})
Meine Damen und Herren, mit der Quersubvention
der Sozialversicherungssysteme durch die Ökosteuer
sind Sie klar gescheitert. Durch die Überforderung unseres Wirtschaftsstandortes durch Ökosteuer, Stromeinspeisegesetz, Kraft-Wärme-Kopplung und Ihr Dosenpfand werden Hoffnungen und Perspektiven zerstört.
({12})
In meinem Wahlkreis beträgt die Arbeitslosenquote
11,6 Prozent. Nur die Glasindustrie war im Frankenwald
ein starker Arbeitgeber. Die Ökosteuer ist für diesen
Sektor eine erhebliche Belastung. Jetzt gefährden Sie
also auch noch die Arbeitsplätze in diesem Bereich.
Obwohl in den dortigen mittelständischen Glaswerken über 30 Millionen Euro in den Umweltschutz investiert wurden und technisch keine Reduzierungen mehr
möglich sind, sollen Betriebe wie Wiegand-Glas, HeinzGlas und die Tettauer Glaswerke jetzt noch mehr belastet
werden. Die entsprechenden Firmen rechnen pro Kalenderjahr mit einer Zusatzbelastung in Höhe von bis zu
100 000 Euro. Allein diese Belastung ist bereits größer
als die im Moment zu erzielende Umsatzrendite. Es kann
doch nicht sein, dass Sie die Unternehmen, die investieren, jetzt bestrafen. Dadurch schaffen Sie für unsere
Wirtschaft keine Grundlage und keine Planungssicherheit.
({13})
Ziel muss es sein, die zusätzlichen Belastungen in
Anbetracht des starken Kosten- und Innovationsdrucks,
unter dem die Unternehmen durch den harten Wettbewerb stehen, gering zu halten. Eine zu starke Verknappung der Emissionshandelszertifikate schmälert die
Wachstumschancen unserer Unternehmen. Es darf in
Deutschland keine Wettbewerbsverzerrungen durch einzelne Steuer- und Abgabenmaßnahmen mehr geben,
weil wir sonst letzten Endes die Zeche zahlen.
Herr Trittin, zum Abschluss sage ich Ihnen: Ich weiß,
wie wir den CO2-Ausstoß schnell verringern könnten.
Bei all der heißen Luft, die von der Bundesregierung in
den letzten Jahren produziert wurde, könnte der CO2Ausstoß um mehr als die erforderliche Menge gesenkt
werden, wenn die Bundesregierung ihren Wählerauftrag
zurückgibt.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Hermann
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Patrioten und Antikommunisten!
({0})
Ich war heute wirklich gespannt, was uns die CDU/CSU
und die FDP präsentieren. Sie wollten uns vorführen,
({1})
dass wir in den Bereichen Klimaschutz, Emissionshandel und Ökosteuer unterschiedliche Meinungen haben.
({2})
Das ist in der Tat offenkundig. Das werden wir auch
nicht bestreiten. Hier gibt es unterschiedliche Meinungen und Positionen. Nur, Sie sind mit dem Gestus angetreten, dass das verwerflich sei und dass Sie hierzu eine
klare Position hätten.
({3})
Aber was haben wir gehört?
({4})
Wir haben Ihren Hardcore-Patriotismus gehört;
({5})
denn Ihr Motto lautet: Ich bin ein großer Ökonom - ich
vertrete die Wirtschaftsinteressen. Als wäre das allein
schon Ökonomie bzw. Wirtschaftspolitik!
Von Herrn Pfeiffer haben wir gehört, dass eigentlich
China das größte Problem ist und dass wir alle Anstrengungen, die wir in diesem Bereich unternehmen, vergessen können und praktisch gar nichts zu tun brauchen.
Denn solange sich China nicht bewegt, brauchen auch
wir nicht zu handeln.
({6})
Dann war da noch die Rede des Kollegen Paziorek, der
immerhin ein Stück weit ökologisch argumentiert hat.
Warum sage ich Ihnen das? Ich werfe Ihnen gar nicht
vor, dass Sie unterschiedliche Positionen haben.
({7})
Was aber deutlich wird, ist, dass auch Sie als Volkspartei
die unterschiedlichen Interessenslagen in der Umweltund der Klimaschutzpolitik repräsentieren und ebenso
die bestehenden Widersprüche aufzeigen. Tun Sie also
nicht so scheinheilig, als gebe es sie nur bei uns; denn es
gibt sie auch bei Ihnen.
({8})
- Kollege Paziorek, auf der Oppositionsbank ist in der
Tat gut pupsen. Aber aus Ihren Beiträgen ist noch kein
Konzert geworden.
({9})
Sie geben ja ganz offen zu, dass Sie in Ihrer Fraktion
Schwierigkeiten mit ökologischen Positionen haben,
weil sich in der CDU/CSU-Fraktion als Leitbild immer
mehr ökonomische Argumente durchsetzen.
Was war denn das, was wir zum Schluss vom Kollegen Michelbach gehört haben? - Angeblich war alles,
was Rot-Grün gemacht hat - übrigens Konzepte und Instrumente, die auch Sie heute gelobt und vertreten haben: ökologische Steuerreform und Emissionshandel -,
angesichts der internationalen Konkurrenz nur eine Belastung für die Wirtschaft.
({10})
- Das sind doch die völlig falschen Fragen!
Meine Damen und Herren, das Problem ist doch nicht
nur, dass wir zu hohe Kosten in Deutschland haben.
({11})
Das Problem ist, dass die deutsche Wirtschaft zwar seit
Jahren - um nicht zu sagen: seit Jahrzehnten - immer
wieder das Jammerlied von den hohen Arbeitskosten
singt, im Bereich der Materialeffizienz und der Energieeffizienz aber schläft
({12})
und keine innovativen Konzepte hat. Genau so tragen
Sie - langsam Ihre ganze Fraktion - es langsam ungebrochen vor, nach dem Motto: Ökologie ist eigentlich
von gestern, heute schadet sie der Wirtschaft.
({13})
- Doch, wenn man es im Kern nimmt!
Es ist doch ein Pseudobekenntnis, zu sagen „Wir
sind für den Emissionshandel“, aber dann lauter Argumente aufzuführen, um den Emissionshandel infrage zu
stellen, einerseits nach ökonomischen, marktwirtschaftlichen Instrumenten zu rufen, andererseits aber alles,
was in dem Bereich auf den Tisch kommt, infrage zu
stellen. Deswegen finde ich Ihre Argumentation ziemlich scheinheilig. Letztendlich geben Sie den Interessen
der Ökonomie Vorrang vor denen der Ökologie, obwohl Sie zahlreiche anders gelagerte Reden gehalten
haben. Wenn man auf Ihren Homepages und Websites
herumsurft, findet man - Kollege Kelber hat es gesagt genügend Beispiele, dass Sie nach außen das Gegenteil
behaupten.
Warum ist dieser Weg der falsche? Ich glaube, wir
müssen endlich von diesen falschen, alten Bildern wegkommen. Wir müssen klarmachen, dass wir für die deutsche Wirtschaft ein Modernisierungskonzept aufstellen,
und zwar ein ökologisches Modernisierungskonzept, damit der Verbrauch von Energie und damit die entsprechenden Kosten sinken. Das schaffen wir nur durch
Instrumente wie den Emissionshandel oder die ökologische Steuerreform oder auch durch das Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien. All diese Maßnahmen haben nur ein einziges Ziel: der deutschen
Wirtschaft den dringend benötigten Anreiz zu geben, in
vielen Bereichen ihrer Produktion weniger Material und
Energie zu verbrauchen
({14})
und so die Kosten zu senken. Das ist die richtige Strategie: Kosten senken durch Energieeffizienz und Materialeffizienz. Das ist der richtige Weg und das ist unsere
Politik.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Binnen weniger Wochen debattieren wir nun zum dritten
Mal über das Thema Emissionshandel. Noch länger hält
der Streit zwischen Wirtschaftsminister Clement und
Umweltminister Trittin an. Inzwischen droht sogar beiden ein Machtwort von Kanzler Schröder. - Ich habe
schon Wetten abgeschlossen, zu wessen Gunsten es ausgehen wird.
({0})
Deshalb möchte ich heute daran erinnern, worum es
letztlich geht, nämlich um die schlichte Frage, ob wir der
drohenden Klimakatastrophe noch entkommen oder ob
wir die Umwelt weiter überbelasten; das ist der Kern der
Kontroverse, alles andere sind Nebenschauplätze.
({1})
Nun wissen wir - auch aus anderen Auseinandersetzungen -, dass Wirtschaftsminister Clement zuweilen
sehr einseitig handelt. Ich erinnere nur an die Ausbildungsplatzabgabe: Er rennt gegen Sie an, wie weiland
Don Quichotte gegen Windmühlen. Dasselbe erleben
wir nun beim Klimaschutz.
Wir erleben auch die negativen Seiten des Umwelthandels: einen Riesenschacher um gewinnträchtige Verschmutzungsrechte. Wir erleben auch Neuauflagen im
Konkurrenzkampf „Ost gegen West“, bei dem die neuen
Bundesländer übrigens zu Recht darauf verweisen, dass
sie bisher die Hauptleistung im deutschen Klimaschutz
erbracht haben.
Obendrein reden wir über die Selbstverpflichtung der
Industrie, ihren CO2-Ausstoß drastisch zu senken. Die
Normalbürgerinnen und -bürger werden über die Ökosteuer und andere Abgaben längst abkassiert, während
die großen, industriellen Abgaserzeuger noch immer privilegiert werden.
({2})
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen,
möchte ich daran erinnern, dass der Bundeskanzler das
Jahr 2004 zum „Jahr der Innovation“ erklärt hat. Sollte
dies ernst gemeint sein, dann müsste das auch für den
Klimaschutz gelten. Der Bundeskanzler müsste sein
Machtwort darauf ausrichten, dass es zu einer konzertierten Aktion zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und
Politik kommt, um den CO2-Ausstoß drastisch zu senken
und so die drohende Klimakatastrophe tatsächlich zu
verhindern. Ein solches Machtwort würde uns allen, vor
allem aber der Umwelt gut tun.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Müller von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Paziorek, ich habe im Vorfeld dieser Debatte die Protokolle unserer Diskussion über Klimaschutz aus dem
Jahr 1990 gelesen. Wenn man die damalige Diskussion
mit der aktuellen Diskussion vergleicht, kann man nur
erschrocken sein, wie wenig von der damaligen Einigkeit übrig geblieben ist. Das ist wirklich schockierend.
Damals hat das Parlament einstimmig beschlossen,
den Ausstoß in den alten Bundesländern um 30 Prozent
zu senken; in den neuen Bundesländern sollte der Prozentsatz sehr viel höher sein. Darüber hinaus sollte
- auch das ist einstimmig beschlossen worden - eine
Restverschmutzungsabgabe eingeführt werden. Wenn
man sich heute Ihre Diskussionsbeiträge angehört hat,
dann kann man nur sagen: So grandios war die Vergesslichkeit noch nie!
({0})
Herr Paziorek, ich verstehe, dass wir angesichts der
schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen heute nicht
mehr so laut über Prozentsätze von 25 und 30 Prozent
sprechen.
({1})
- Ich habe sie nicht aufgegeben, und zwar weil eine Reduktion in dieser Höhe notwendig ist. Ich weiß nur, dass
solche Prozentsätze unter den momentanen wirtschaftlichen Bedingungen nicht zu realisieren sind. Es ist nicht
so einfach, wie Sie sich das machen.
Ich will Ihnen die damalige Situation schildern und
Sie auf die Größenordnung der Aufgabe, vor der wir stehen, hinweisen. Wir haben in der Enquete-Kommission
über ehrgeizige Ziele diskutiert, die in der Bundesrepublik und in vergleichbaren Ländern erreicht werden sollten. In der Bundesrepublik war es eine Reduktion um
30 Prozent, in anderen Industrieländern beispielsweise
um 25 Prozent. Das Ergebnis der damaligen Studie war,
dass selbst wenn wir diese Ziele durchsetzen würden,
wir bei weitem die Erdatmosphäre nicht stabilisieren
könnten. Dabei ist das das eigentliche Ziel.
Vor diesem Hintergrund muss ich Ihnen sagen, dass
die Art und Weise, wie wir hier diskutieren, kümmerlich
und verantwortungslos ist.
({2})
Sie skandalisieren jeden Punkt. Wenn Sie glauben, daraus Vorteile ziehen zu können, täuschen Sie sich. Angesichts der Art und Weise, wie dieses Thema diskutiert
wird, verlieren wir alle.
({3})
Wenn wir nicht ein Mindestmaß an Selbstbewusstsein
und Geschlossenheit bei dieser Herausforderung für die
Menschheit zeigen, dann verlieren wir alle. Sie können
daraus keinen parteipolitischen Vorteil ziehen; das ist
eine Illusion. Die Politik und die Demokratie insgesamt
würden sonst verlieren.
({4})
Wie sehen heute die Ausgangsbedingungen aus? Zum
einen müssen wir das Ziel unter sehr viel schwierigeren
wirtschaftlichen Bedingungen erreichen. Wir befinden
uns in einer Situation, in der die Ungleichheit von vielen
für kurzfristige Vorteile ausgenutzt wird; das ist gar
keine Frage.
Zum anderen haben sich die wissenschaftlichen Fakten seit 1990 weiter verdichtet.
({5})
Der Kenntnisstand ist nicht schlechter geworden, eher
das Gegenteil ist der Fall. Es gab beispielsweise folgenden denkwürdigen Fall: Der Präsident der USA, Herr
Bush, hat gesagt, das, was das IPCC, also das Gremium
der Vereinten Nationen, zum Klima veröffentliche, sei
alles Quatsch. Er hat die Akademie der Wissenschaften
seines Landes beauftragt, das zu prüfen. Sie kam zu dem
Ergebnis, die Einschätzung der Vereinten Nationen sei
eher konservativ gerechnet, es könne noch sehr viel
schlimmer kommen.
Vor diesem Hintergrund sollte unsere Kreativität hier
in diesem Saal darauf gerichtet sein, wie wir unter den
schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen - ({6})
- Nicht nur in Deutschland. Aber ohne Deutschland wird
es nicht gehen. Sie haben nicht begriffen, dass wir in den
vergangenen Jahren weltweit eine ganz wichtige Rolle
gespielt haben,
({7})
weil wir mehr gemacht haben als andere Länder. Wenn
das Engagement der Bundesrepublik abbrechen würde,
Michael Müller ({8})
wäre die Wirkung fatal. Es wäre viel fataler, als wenn
das in anderen Ländern geschehen würde.
({9})
Das ist leider so. Es ist deswegen eine sehr interessante
Frage, was wir tun können, damit andere Länder das,
was in der Bundesrepublik gemacht wird, nachmachen
und sich nicht, wie einige EU-Mitglieder, vor den notwendigen Aufgaben drücken. Diese Debatte fände ich
sehr interessant.
({10})
Wie schaffen wir es, dass hierbei alle gleich handeln?
Dadurch würde ein Teil der Schwierigkeiten, die das
Wirtschaftsministerium hat, beseitigt werden.
Eines ist aber klar: Wer die Klimafrage ernst nimmt
und gleichzeitig für Innovationen in diesem Bereich eintritt, der kommt nicht daran vorbei, dass tief greifende
Veränderungen im Verhältnis von Ressourceneinsatz, Industrialisierung und wirtschaftlicher Entwicklung erforderlich sein werden. Jeder, der in der Öffentlichkeit
etwas anderes behauptet, lügt und macht der Öffentlichkeit etwas vor. Das wollen wir nicht.
Deshalb ringen wir lieber um den besten Weg und wir
werden es schaffen. Das ist der Unterschied zwischen
uns: Wir ringen, Sie ringen nicht einmal.
({11})
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der
Kollege Kurt-Dieter Grill von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Schluss haben wir wieder das erlebt, was wir
bei Herrn Müller immer erleben: Er hat uns eine moralische Botschaft mit auf den Weg gegeben. Herr Müller, es
ist im Grunde genommen immer wieder das Gleiche. Sie
sind in Europa kläglich damit gescheitert, dass sich alle
an der Politik Deutschlands ausrichten sollen.
({0})
- Das haben Sie gerade eben hier vorgetragen. Ich bin
noch bei Trost.
({1})
Daneben - das erklären Sie in aller Regel; es ist auch
nicht neu - beklagen Sie sich darüber, dass die Opposition in Anbetracht eines fundamentalistischen Streites in
der Regierung hier über Ihr Konzept redet. Ich glaube,
Sie sind der Meinung, dass man einem Hund eine Wurst
hinlegen kann, er sie nicht essen darf und auch noch freiwillig darauf verzichtet.
({2})
Wenn die Opposition im Bundestag einen solch fundamentalen Streit in der Regierung nicht zum Thema machen darf, frage ich Sie: Wann sollten wir das dann tun?
({3})
Wir müssen dies schon deswegen tun, weil das, was
der Minister hier vorgetragen hat, nämlich dass er den
Plan diesem Parlament eigentlich vorlegen wollte, vorne
und hinten nicht stimmt.
({4})
Sie wollten den Nationalen Allokationsplan nach Brüssel geben und dann im Parlament beraten,
({5})
wohl wissend, dass Einwendungen der Opposition dann
praktisch nicht mehr berücksichtigt werden können.
({6})
Sie sehen an dieser Stelle überhaupt keine Veranlassung,
mit irgendeinem Konzept zu kommen. Die Opposition
hat die Aufgabe, die Regierung zu kritisieren, und Sie
haben auch heute genug Anlass für fundamentale Kritik
an dem Chaos in der Klimapolitik dieser Regierung gegeben.
({7})
Da Ihnen nichts Besseres einfällt, haben Sie das zu
einem geradezu sagenhaften Ringen um den richtigen
Weg umgedeutet.
({8})
Tatsache ist, dass Sie - verborgen vor der Öffentlichkeit - auch mit der deutschen Wirtschaft irgendwo verhandelt und bis zuletzt gewartet haben. Sie haben dieses
einschneidende Instrument nicht öffentlich beraten und
sich nicht um ein transparentes Verfahren in diesem Parlament bemüht. Das ist der Punkt.
({9})
Wenn ich im kelberschen Stil
({10})
argumentieren würde, würde ich sagen: Die Beschimpfung der Opposition ersetzt nicht das Konzept der Regierung.
({11})
In dem Sinne will ich Ihnen, Herr Loske, und allen
anderen, die das vorgetragen haben, zur CO2-Emissionsminderung im Verkehrsbereich sagen: Wenn wir in
Deutschland die Wachstumsraten hätten, die wir für die
Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen brauchen, dann würden wir über ganz andere Zahlen in diesem Lande reden. Das, was Sie hier als Erfolg vortragen,
ist zum Teil der miserablen wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes geschuldet.
({12})
Ich will darauf hinweisen, dass das, was Herr Staffelt
hier vorgetragen hat - er sprach von der Vorreiterrolle;
Sie alle haben das auch mehr oder weniger betont -, gar
nicht infrage steht.
({13})
Es geht doch gar nicht um die Vorreiterrolle. Herr Loske
hat gesagt, es gehe um die Harmonisierung in Europa,
und Herr Müller hat von 1990 gesprochen. Wir könnten
über die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Verhältnis zu den anderen Ländern Europas - gar nicht im globalen Maßstab - ganz anders reden, wenn alle unsere
europäischen Nachbarn - dabei brauchen wir Herrn
Bush nicht als Buhmann; Herr Clinton hat in diesem
Punkt übrigens nicht anders gehandelt - das, was wir uns
als gemeinsames europäisches Ziel vorgenommen haben, eingehalten hätten.
({14})
Sie kennen doch die Zahlen genauso gut wie ich. Deswegen ist die Harmonisierung an dieser Stelle das letzte
Mittel, um diejenigen in Europa mit ins Boot zu holen,
die bisher nicht gehandelt haben. Aber das, was Sie hier
vortragen, führt nicht dazu, dass in Europa auf gleiche
Weise umgesetzt wird. Es geht auch nicht um die Frage:
Emissionshandel, ja oder nein? Es geht um die Rahmenbedingungen, die Sie für den Emissionshandel setzen,
und um die sekundären Ziele, die Sie verfolgen.
Zwei Punkte. Erstens. Wir streiten mit Ihnen darum,
dass Sie dieses Parlament bei einem so maßgeblichen
Gesetz und einem solchen Eingriff in das Eigentum nicht
in der Form beteiligen, wie es ihm von Rechts wegen zusteht. Zweitens. Wir streiten mit Ihnen darum, dass Sie
bisher nur stolze Ziele verkündet haben und diese in einer
Situation nicht erreichen, in der es in Deutschland wirklich auf Spitz und Knopf um die wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplätze und Umwelt steht.
({15})
Herr Trittin hat am Schluss seiner Rede erklärt, die
EU-Kommission habe ausgerechnet, dass es bis 2010
eine Kostensenkung um 35 Prozent geben werde. Dazu
kann ich nur sagen: Der Wettbewerbsrat der EU hat am
11. März dieses Jahres für den Gipfel am 25./26. März,
also an diesem Wochenende, mit Zustimmung der Bundesregierung eine Vorlage erarbeitet. Darin heißt es, dass
sich der Rat mit den Auswirkungen des Emissionshandels auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen
Kontext beschäftigen solle. Er möge darauf achten, dass
sich die Energiepreise nicht wettbewerbsfeindlich entwickeln.
Diesen Beschluss trägt die Bundesregierung mit.
Gleichzeitig werfen Sie uns vor, die falschen Fragen zu
stellen. Das Problem ist, dass Ihnen unsere Fragen zu unbequem sind. Deswegen haben Sie an die Stelle Ihres
Konzeptes die Beschimpfung der Opposition gesetzt.
({16})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
({0})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. März 2004,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.