Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entsetzt und fas-
sungslos haben wir gestern die Nachrichten vernommen,
dass in Madrid eine ganze Serie von Bombenanschlä-
gen auf Vorortzüge und Bahnhöfe immer mehr Men-
schen - Männer, Frauen und auch Kinder - verletzte und
in den Tod riss. Noch lassen sich über die Mörder, die
diese Anschläge planten und verübten, nur Vermutun-
gen anstellen und noch immer herrscht keine endgültige
Klarheit über die Zahl der Opfer. Es sind bisher fast
200 Tote und etwa eineinhalbtausend Verletzte - eine
furchtbare Tragödie. Allen, allen gilt unser Mitgefühl
und unser Beileid.
Das müssen wir begreifen: Zum ersten Mal trifft eine
terroristische Attacke dieses Ausmaßes ein Land der Eu-
ropäischen Union. Der Terrorismus rückt näher; denn
diese wahnsinnigen Anschläge sollten unmittelbar das
Alltagsleben der Menschen einer der großen Hauptstädte
Europas treffen. Diese Anschläge und ihre Urheber zie-
len auf das ganze spanische Volk und damit auf uns alle
in Europa. Das sollte und das muss uns einigen in Ab-
scheu und Abwehr gegenüber dem Terrorismus. Wir ste-
hen an der Seite des spanischen Volkes und des spani-
schen Parlaments.
Jetzt geht es darum, die europäische, die menschliche
Zivilisation gegen terroristische Mörder zu verteidigen,
die - mit welchem Ziel und mit welcher Begründung
auch immer - nicht davor zurückschrecken, den Alltag
in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Der Deutsche Bun-
destag und die Bürgerinnen und Bürger ganz Deutsch-
lands empfinden für die Hinterbliebenen der Opfer tiefes
Mitgefühl. Unsere Gedanken sind bei denen, die mit ih-
ren schweren Verletzungen in den Krankenhäusern be-
handelt werden.
Exzellenz, Herr Botschafter Rodriguez-Spiteri, ich
möchte Sie von dieser Stelle aus bitten, für die Men-
schen Ihres Landes, sein Parlament und seine Regierung
unsere tief empfundene Anteilnahme und Solidarität ent-
gegenzunehmen.
Ich danke Ihnen.
Nun kommen wir zu unserer heutigen Tagesordnung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Telekommunikationsgesetzes ({1})
- Drucksachen 15/2316, 15/2345 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({3})
- Drucksachen 15/2674, 15/2679 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hubertus Heil
Michaele Hustedt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Martina Krogmann, Dagmar Wöhrl, KarlJosef Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Mehr Wettbewerb, Wachstum und Innovation in der Telekommunikation schaffen
- Drucksachen 15/2329, 15/2674, 15/2679 Berichterstattung:
Abgeordnete Hubertus Heil
Michaele Hustedt
Es liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Ditmar Staffelt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit der heute anstehenden Verabschiedung des
Telekommunikationsgesetzes findet ein Vorhaben seinen
vorläufigen Abschluss, das für den Wirtschaftsstandort
Deutschland von überragender Bedeutung ist.
({0})
Mit dem Telekommunikationsgesetz wird ein in weiten
Teilen neuer Ordnungsrahmen für die Telekommunikationsbranche vorgelegt. Die Spanne der Regelungen reicht
von der Preis- und Wettbewerbsregulierung über Fragen
der Sicherung der Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen, des Verbraucher- und Datenschutzes, Fragen der Nummern- und Frequenzverwaltung bis hin zur Telekommunikationsüberwachung.
Die Bedeutung der Telekommunikationsbranche
lässt sich zum einen sicher am Gesamtumsatz und an den
Beschäftigungszahlen ablesen. Im Jahre 2003 erzielten
die Netzbetreiber und TK-Diensteanbieter einen Umsatz
von deutlich mehr als 60 Milliarden Euro. Mehr als
220 000 Menschen waren in diesem Markt beschäftigt.
Viel wichtiger als diese Zahlen ist aber die Bedeutung
dieser Branche für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Die Telekommunikation ist wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur unseres Landes
und hat deshalb Ausstrahlung auf alle Wirtschaftsbereiche.
Vor diesem Hintergrund ist es unser Ziel, dass die
deutsche Telekommunikationsbranche leistungsstark
bleibt und ihre hohe Innovationskraft weiter ausbaut.
({1})
Wir wollen, dass Deutschland im weltweiten Wettbewerb besteht und einer der führenden Telekommunikationsstandorte weltweit ist; darauf zielt unsere Telekommunikationspolitik. Dieses Ziel lässt sich am besten im
Wettbewerb erreichen, der wiederum gewisse staatliche
Eingriffe in Form einer sektorspezifischen Regulierung
benötigt.
Wir haben in den letzten Jahren mit einer wettbewerbsorientierten Telekommunikationspolitik im Interesse der
Wirtschaft und insbesondere der Verbraucher außerordentlich viel erreicht. Die massiven Preissenkungen im
Bereich der Festnetztelefonie haben in den letzten Jahren
die Kommunikationskosten von Unternehmen deutlich
gesenkt und den privaten Haushalten Einsparungen in
Milliardenhöhe gebracht. Als Folge der Wettbewerbsintensivierung in der Telekommunikation ist die Internetnutzung geradezu explodiert: Heute nutzen rund
60 Prozent der Erwachsenen in unserem Lande das Internet. Gleiches gilt für den Mobilfunkbereich, der mittlerweile rund 65 Millionen Kunden aufweist und einen
ähnlichen hohen Umsatz wie der Bereich der Festnetztelefonie.
Der Wettbewerb hat aber nicht nur zu Preissenkungen, sondern auch zu deutlichen Qualitätssteigerungen
und einer Vielzahl von Innovationen wie DSL, WLAN
oder UMTS geführt. Diese Entwicklung wäre ohne die
Postreformen der letzten 15 Jahre nicht möglich gewesen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass
die Entscheidungen sowohl zur Privatisierung als auch
zur Marktöffnung in der Telekommunikation jeweils mit
breiter parlamentarischer Mehrheit getroffen wurden.
({2})
Das derzeitige Telekommunikationsgesetz und die
darauf aufsetzende Arbeit der Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post boten eine hervorragende
Grundlage für die Transformation der früheren Monopole in Wettbewerbsmärkte. Vor diesem Hintergrund
wären weitreichende Änderungen des aktuellen Ordnungsrahmens eigentlich nicht erforderlich gewesen.
EU-rechtliche Vorgaben - insgesamt fünf Richtlinien haben uns allerdings dazu gezwungen, den Rechtsrahmen insgesamt zu überarbeiten.
Von zentraler Bedeutung war für uns neben der Umsetzung europäischen Rechts die Berücksichtigung der
tatsächlichen Marktentwicklungen und der Erfahrungen, die wir mit den konkreten Regulierungsprozessen
im Laufe der letzten fünf, sechs Jahre gemacht haben.
Vieles hat sich anders entwickelt, als man dies Mitte der
90er-Jahre angenommen hat. Das ist ein Umstand, aus
dem ebenfalls Änderungsbedarf resultierte.
Unser Ziel war es, neben der Umsetzung der Richtlinien die gesetzlichen Vorgaben mit Blick auf die Erfordernisse des Marktes zu optimieren. Vor diesem Hintergrund wurde ein transparenter, intensiver und sehr
konstruktiver Dialog mit der gesamten Branche geführt,
was Hauptursache für die Überschreitung der Umsetzungsfristen der Richtlinien war. Allerdings kann sich
das Ergebnis dieses Diskussionsprozesses meines Erachtens sehr wohl sehen lassen.
({3})
Wir haben nicht nur die Richtlinienvorgaben in vernünftiger Weise umgesetzt, sondern auch sehr genau darauf
geachtet, dass den tatsächlichen Wettbewerbsentwicklungen wie auch dem konkreten Regulierungsbedarf angemessen Rechnung getragen wird. Ich denke, dass dies
trotz Kritik an einzelnen Punkten von den allermeisten
Marktbeteiligten und auch in weiten Teilen der Politik so
gesehen wird.
Auch wenn jetzt noch ein paar Punkte umstritten sind,
sollten wir die erzielten Übereinstimmungen nicht außer Acht lassen. Wir haben uns den Antrag der CDU/
CSU-Fraktion sehr genau angeschaut und festgestellt,
wie viele Übereinstimmungen es in der Zwischenzeit
auch mit Blick auf Ihre Fraktion gegeben hat. So sind in
dem TKG-Entwurf die Forderungen nach einer entschieParl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
denen Ex-ante-Regulierung von Vorleistungen, einer
chancengleichen Behandlung von Infrastruktur- und
Dienstewettbewerb im Festnetz und im Mobilfunk, einem Konsistenzgebot für die Entgeltregulierung, einer
effektiven Sanktionsmöglichkeit bei missbräuchlichem
Verhalten und einer Vermeidung von Überregulierung
im Mobilfunk und auf neuen Märkten enthalten.
Hier wurden meines Erachtens bereits mit dem Regierungsentwurf vom 15. Oktober 2003 ganz wesentliche
Übereinstimmungen hergestellt; andere Punkte wurden
im Anschluss an die Bundesratsstellungnahme klarer gefasst. So wird die Frage, welche Bereiche der sektorspezifischen Regulierung unterliegen und welche dem allgemeinen Wettbewerbsrecht, nun ausschließlich anhand
der in der EU-Kommissionsempfehlung enthaltenen Kriterien geprüft.
Der umstrittene Begriff des funktionsfähigen Wettbewerbs wird im Telekommunikationsgesetz nicht mehr
verwendet. Durch die Neufassung der §§ 18 bis 20 - hier
geht es um die Vorleistungsregulierung - wird deutlicher
als bisher herausgestellt, dass die Regulierungsbehörde
einen großen Ermessensspielraum hinsichtlich der Regulierungsintensität hat. Die Inkassovorschrift wurde in
den letzten Tagen aufgrund eines Kompromisses der
Marktparteien neu gefasst. Aufgenommen wurde die so
genannte Gleichzeitigkeitsregel, die sicherstellt, dass
das marktmächtige Unternehmen Wettbewerbern wesentliche Vorleistungen rechtzeitig zur Verfügung stellt,
spätestens mit Einführung eigener Endkundenprodukte.
Klargestellt wurde weiter, dass das Initiativrecht für konkrete Entgeltanträge im Fall der Auferlegung von Tarifsystemen durch die Regulierungsbehörde weiterhin beim
regulierten Unternehmen verbleibt.
Sicher, es gibt einige nicht berücksichtigte Vorschläge, zum Beispiel bezüglich der Antragsrechte, der
Mehrerlösabschöpfung und der Gerichtszuständigkeiten.
Gleichwohl glaube ich, dass wir uns am Ende unserer
Diskussionen außerordentlich nahe gekommen sind. Ich
wünsche mir sehr, dass die Opposition den entscheidenden Schritt macht und einem in sich guten Gesetz ihre
Zustimmung nicht verwehrt.
({4})
Sie sollten diese Entscheidung treffen. Ich denke, sie
würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland und der gesamten außerordentlich zukunftsorientierten Branche
- das habe ich vorhin geschildert - mehr als helfen. Ich
bitte Sie, dies noch einmal sehr intensiv zu reflektieren.
Schönen Dank.
({5})
Ich erteile Kollegin Martina Krogmann, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vertreter der Bundesregierung hat gerade gesagt, der Gesetzentwurf könne sich sehr wohl sehen lassen.
({0})
Dazu kann ich nur sagen: Diese Mittelmäßigkeit ist nicht
unser Anspruch.
({1})
Wir wollen ein gutes Gesetz, von dem ein klares Signal
für Wettbewerb ausgeht.
({2})
Das schaffen Sie mit diesem Gesetz ausdrücklich nicht.
Deshalb können wir ihm nicht zustimmen.
({3})
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wettbewerb sind klare Regeln. Auf diese klaren Regeln in einem neuen Telekommunikationsgesetz warten die Unternehmen jetzt seit einem Jahr. Ein Jahr lang haben Sie
nur diskutiert und dabei sogar die Frist der EU verstreichen lassen. Wenn Ihnen die Branche wirklich so wichtig wäre, wie Sie das gerade behauptet haben, dann hätten Sie schnell Rechtssicherheit schaffen müssen.
({4})
Stattdessen haben Sie in der Branche, in der zehn Monate wie zehn Jahre wirken, kostbare Zeit einfach vergeudet.
({5})
In der vergangenen Woche ist bei Ihnen dann finale
Hektik ausgebrochen.
({6})
In den letzten fünf Tagen erschienen drei Synopsen mit
jeweils 150 Seiten, wobei eine Änderung die nächste
jagte. Herausgekommen ist ein unausgegorenes Gesetz,
durch das der Wettbewerb behindert wird. Deshalb lehnen wir dieses Gesetz ab.
({7})
Wir wollen ein Gesetz, das Monopole knackt, Wettbewerb stärkt und Regulierung so schnell wie möglich
überflüssig macht.
({8})
Die Telekommunikationsbranche ist von zentraler Bedeutung für unsere gesamte Volkswirtschaft. Sie ist
Wachstumsmotor und Treiber für Innovationen.
350 000 Menschen arbeiten in diesem Sektor. Er erstreckt sich vom Bereich Festnetz über die Bereiche Mobilfunk, Multimedia und Internet bis hin zum kleinsten
Softwareunternehmen, das Klingeltöne für Ihre Handys
entwickelt. Das TKG betrifft sie alle.
Im vergangenen Jahr sind allein im engeren Bereich
der Telekommunikation 64 Milliarden Euro umgesetzt
worden. Jetzt stehen weitere Investitionen in Milliardenhöhe an. Denken wir an den Breitbandbereich oder
an neue Mobilfunksysteme. Deshalb brauchen wir gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation ein Telekommunikationsgesetz, von dem ein klares Signal für
Wettbewerb, Investitionen und Innovationen ausgeht.
({9})
Dabei müssen wir zwei Märkte im Blick haben, den
deutschen Markt und den internationalen Markt.
({10})
Ziel auf dem deutschen Markt ist es, so schnell wie möglich den Übergang vom ehemaligen Monopol zum nachhaltigen Wettbewerb zu schaffen.
({11})
Wettbewerb nützt allen, nicht als Selbstzweck oder als
Ziel an sich, sondern als das beste Instrument in unserer
sozialen Marktwirtschaft, um Dynamik zu erzeugen, Innovationen zu fördern und vor allem für den Verbraucher
die besten Produkte zu den günstigsten Preisen herzustellen.
({12})
Der andere Markt, den wir betrachten müssen, ist der
internationale, der globale Markt. Nur ein deutsches
Unternehmen ist ein Globalplayer, die Telekom. Natürlich dürfen wir diesem Unternehmen nicht durch nationale Gesetze Fesseln anlegen, die andere Unternehmen
auf den Weltmärkten nicht haben. Wir müssen unserem
Globalplayer im internationalen Wettbewerb faire Chancen erschließen.
({13})
Für ein gutes Telekommunikationsgesetz müssen wir
stets beide Märkte im Blick haben. Wir wollen starke
Unternehmen, die investieren und Arbeitsplätze schaffen. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung können wir diese Ziele nicht erreichen. Der Gesetzentwurf
ist unausgegoren und behindert Wettbewerb.
({14})
Ich will unsere Hauptkritikpunkte nennen. Als Erstes
möchte ich den mangelnden Rechtsschutz für kleinere
und neue Unternehmen anführen. Kleine Unternehmen
müssen die Chance erhalten, sich gegen Wettbewerbsverzerrungen und unfaire Praktiken wehren zu können.
({15})
Deshalb müssen wir ihnen so etwas wie ein Klagerecht
bei der Regulierungsbehörde geben, um Verfahren einzuleiten. Die Bundesregierung will, dass die Einleitung
dieser Wettbewerbskontrolle ausschließlich im Belieben
des Regulierers steht.
({16})
Das ist aus unserer Sicht ein falscher und gefährlicher
Weg.
({17})
Stellen Sie sich vor, Sie haben ein kleines Unternehmen und bemerken, dass ein Marktbeherrscher mit
Dumpingpreisen auf den Markt drängt. Laut Gesetzentwurf müssen Sie dies hinnehmen und warten, ob und
wann die Regulierungsbehörde dies prüft und eventuell
einschreitet.
({18})
Wir fordern zur Stärkung des Wettbewerbs zwingend
Antragsrechte für Unternehmen bei Marktmissbrauch.
Es kann doch nicht sein, dass Unternehmen dem puren
Ermessen der Regulierungsbehörde auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind und sogar tatenlos zusehen müssen, wenn ihr eigenes Unternehmen wettbewerbswidrig
vom Markt gefegt wird.
({19})
Eigentlich sollte man meinen, die Gewährung von
Antragsrechten sei eine Selbstverständlichkeit.
({20})
Das war es auch, bis der Gesetzentwurf das Bundeswirtschaftsministerium verließ und unserem Finanzminister,
Herrn Eichel, in die Hände fiel. Er hat kurzerhand die
Antragsrechte herausgestrichen, die von Herrn Clement
im Gesetzentwurf richtigerweise ausdrücklich vorgesehen waren.
({21})
Ich finde es tragisch, dass der Finanzminister als größter
Aktionär der Telekom die Grundrichtung unserer Telekommunikationspolitik bestimmt.
({22})
Gute Wirtschaftspolitik hat sich an den Erfordernissen
des Marktes zu orientieren, nicht an den Begehrlichkeiten unseres Finanzministers.
({23})
Wir fordern effektive Sanktionsmöglichkeiten bei
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Für die
Preise, die wir für Telekommunikationsdienstleistungen
zahlen, also für das Telefonieren und das Surfen im Internet, soll die Vorabregulierung weitestgehend entfallen. Wir unterstützen das. Regulierung muss da, wo es
möglich ist, wegfallen. Wir wollen keine Überregulierung. Damit aber der Wettbewerb gestärkt wird, brauchen wir scharfe Sanktionsmechanismen. Ein marktbeherrschendes Unternehmen darf erst gar nicht auf die
Idee kommen, einen Mitbewerber vom Markt zu drängen. Das heißt, wer seine Marktmacht missbraucht, darf
dafür finanziell nicht auch noch belohnt werden.
Die Sanktionsmechanismen, die die Bundesregierung
vorsieht, sind unzureichend. Sie laden marktbeherrschende Unternehmen geradezu ein, sich missbräuchlich
zu verhalten. Wir fordern, dass alle missbräuchlich erwirtschafteten Erlöse zwingend und rückwirkend abgeschöpft werden. Außerdem müssen die Bußgelder so
hoch angesetzt werden, dass sie tatsächlich abschreckend wirken. Wir wollen Marktmissbrauch von vornherein unterbunden wissen.
({24})
Wir brauchen eine faire Balance zwischen Infrastruktur und Dienstewettbewerb. Der Gesetzgeber
darf sich nicht zum Richter über bestimmte Geschäftsmodelle machen. Das entscheidet allein der Markt. Klar
ist: Infrastrukturinvestitionen sind die Voraussetzung für
Wettbewerb und technologische Innovation. Dort, wo Infrastrukturinvestitionen volkswirtschaftlich keinen Sinn
machen, also in der Fläche, müssen die Voraussetzungen
für Dienstewettbewerb geschaffen werden.
Auch nach sechs Jahren Liberalisierung hält die Telekom immer noch 95 Prozent aller Anschlüsse. Wettbewerb findet hier praktisch nicht statt. Das ist nicht die
Schuld der Telekom, sondern das ist unser Versäumnis.
Wir haben es als Gesetzgeber in der Hand, die Weitervermietung der bestehenden Anschlüsse gesetzlich zu
regeln und so auch bei den Anschlüssen Wettbewerb zu
ermöglichen. Das Instrument dafür heißt Resale.
({25})
Resale ist die Möglichkeit, Anschlüsse der Telekom zu
einem von der Regulierungsbehörde festgelegten Preis
zu mieten und an eigene Kunden zusammen mit anderen
Dienstleistungen weiterzuverkaufen. Das ist also ein
ganz normaler wirtschaftlicher Vorgang. Entscheidend
ist natürlich der Preis.
({26})
Der Preis muss so festgesetzt sein, dass Anreize für Investitionen in Infrastruktur erhalten bleiben.
({27})
Wenn das sichergestellt ist, haben wir Wettbewerb auf
allen Wertschöpfungsstufen, sowohl im Infrastrukturbereich als auch im Dienstebereich.
({28})
Die Bundesregierung will nun aber die Unternehmen
zwingen, zusätzlich zum Anschluss gleichzeitig Verbindungsleistungen bei der Telekom zu kaufen. Den Anschluss gibt es also nur im Paket. Viele Unternehmen
brauchen diese Verbindungsleistung aber gar nicht, weil
sie sie selber erbringen.
({29})
Sie kennen das: Sie sind im Baumarkt und brauchen eigentlich nur eine einzige Schraube, müssen aber gleich
das ganze Sortiment kaufen. Da wird das Schräubchen
manchmal ganz schön teuer.
({30})
Die Bundesregierung aber will so ein Sortiment. Sie
will, dass Unternehmen, die nur den Anschluss kaufen
wollen, zwangsweise etwas dazukaufen müssen, was sie
nicht wollen, weil sie es schon haben. Da kann ich nur
sagen: Mit einer solchen Wettbewerbsphilosophie werden wir nie weiterkommen. Wir brauchen aber endlich
Wettbewerb auch bei den Anschlüssen.
({31})
Einige Verbesserungen gibt es in Ihrem Gesetzentwurf.
({32})
Auf Druck der Union und der EU-Kommission haben
Sie einige Begrifflichkeiten und Definitionen, die ganz
offensichtlich gegen EU-Recht verstoßen haben, korrigiert. Wir freuen uns, dass Sie unsere Forderung aufgenommen haben, „weiche“ Instrumente, die gerade für
den Mobilfunk wichtig sind, explizit im Gesetz zu verankern. Ich habe jetzt nur Zweifel, ob wirklich bereits
alle „weichen“ Instrumente - ich denke an das Vergleichsmarktprinzip - explizit im Gesetz enthalten sind.
Dies ist von zentraler Bedeutung für den Mobilfunk.
Beim Mobilfunk sollten Sie besonders sorgfältig sein;
denn hier haben Sie, wie ich finde, einiges gutzumachen.
Schließlich war es Herr Eichel, der in Deutschland eine
Versteigerung der UMTS-Lizenzen provoziert hat,
({33})
und zwar mit den weltweit höchsten Gebühren von insgesamt 51 Milliarden Euro.
({34})
Inzwischen wissen alle, dass diese Art der Versteigerung
ein Riesenfehler war.
({35})
Die Mobilfunkunternehmen werden von der horrenden
Schuldenlast fast erdrückt. Das müsste Ihnen von der
SPD auch mit begrenztem ökonomischen Sachverstand
deutlich werden.
({36})
Ein Unternehmen hat die Lizenz bereits zurückgegeben.
Ein zweites steht praktisch vor dem Aus.
({37})
Der Aufbau der Netze für die so genannte dritte Generation des mobilen Internet gerät ins Stocken. Auch in diesem Zukunftsbereich drohen wir in Deutschland im internationalen Vergleich wieder einmal zurückzufallen.
Deshalb müssen wir im Telekommunikationsgesetz jetzt
dafür sorgen, dass der Mobilfunk nicht in das gleiche
starre Korsett gezwungen wird wie das Festnetz.
({38})
Der Mobilfunk braucht Flexibilität und keine Überregulierung.
Der nächste Punkt betrifft das Regulierungsverfahren. Die EU-Richtlinien sehen einen großen Ermessensspielraum für die Regulierungsbehörde beim Einsatz ihrer Instrumente vor. Das ist gut so. Der Regulierer kann
flexibler reagieren und er ist näher am Markt als der Gesetzgeber.
Ein großer Ermessensspielraum muss zwingend eine
größere politische Unabhängigkeit des Regulierers nach
sich ziehen. Sonst haben die Unternehmen kein Vertrauen in die Entscheidungen der Behörde. Ohne Vertrauen werden sie aber nicht investieren.
({39})
Dieses Vertrauen wird allerdings massiv untergraben,
wenn der Bundeswirtschaftsminister das Recht hat, politische Einzelweisungen zu erteilen. Wir wollen die politische Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde und
transparente Verfahren. Einzelweisungen des Bundeswirtschaftsministers lehnen wir entschieden ab.
({40})
Der letzte Hauptkritikpunkt betrifft den Rechtsweg.
Wir meinen, dass die gerichtlichen Entscheidungen dort
getroffen werden sollen, wo seit jeher wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten ausgetragen werden: bei den Kartellgerichten. Die Bundesregierung will aber ein auf zwei
Instanzen verkürztes Verwaltungsgerichtsverfahren. Das
ist ein problematischer Sonderrechtsweg für die Regulierung. Er ist zudem völlig unnötig.
({41})
Der kurze Kartellrechtsweg von den Oberlandesgerichten direkt zum Bundesgerichtshof ist etabliert und bewährt. Die Bundesregierung trägt durch die Einführung
eines Sonderverwaltungsrechtswegs für die TK-Regulierung
({42})
zur weiteren Verkomplizierung unseres Rechtssystems
bei. Wir halten das für falsch.
({43})
Wir als Unionsfraktion wollen die gerichtlichen Verfahren in Deutschland einfacher, schneller und überschaubarer machen.
({44})
Beim TKG stehen wir am Scheideweg: Wollen wir
weniger oder mehr Wettbewerb, weniger oder mehr Innovationen, weniger oder mehr Arbeitsplätze?
({45})
Wir sind für mehr Wettbewerb, mehr Innovationen, mehr
Arbeitsplätze. Das alles schafft der Gesetzentwurf nicht.
Deshalb lehnen wir ihn ab.
({46})
Das Wort hat nun die Kollegin Michaele Hustedt,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Meine beiden Vorredner haben es bereits festgestellt
- darin sind wir uns einig -: Diese Branche ist ein Motor
für die gesamte Volkswirtschaft. Ihre Weiterentwicklung
ist die Voraussetzung dafür, dass die Verbraucher, aber
vor allen Dingen auch die Industrie in der globalisierten
Weltwirtschaft miteinander kommunizieren können. So
wie die Dampfmaschine die Initialzündung für die Industrialisierung bedeutete, so ist die Telekommunikation
die Technologie, die mit der Globalisierung einhergeht.
Deswegen ist festzuhalten - das sollte auch deutlich
gemacht werden, weil in Deutschland sehr viel gejammert wird -, dass die Überführung des Exmonopolmarktes in einen Wettbewerbsmarkt bisher recht gut gelungen
ist.
({0})
Es sind Arbeitsplätze und Innovationen geschaffen
worden. Sie hat zu sinkenden Verbraucherpreisen geführt und die Einführung neuer Technologien bei den
Bürgern mit sich gebracht. Das ist - das möchte ich in
aller Deutlichkeit festhalten - eine Erfolgsgeschichte.
({1})
Diese Erfolgsgeschichte wollen wir mit dem Gesetzentwurf zur Telekommunikationsregulierung fortsetzen.
Dafür müssen wir das Gesetz an die veränderten RahMichaele Hustedt
menbedingungen anpassen. Regulierung ist für uns ein
Instrument; sie ist kein Ziel. Unser Ziel ist, dass hochwertige Dienstleistungen und Produkte effizient bereitgestellt werden. Deswegen muss die Regulierung regelmäßig darauf überprüft werden, ob sie noch notwendig
ist, und gegebenenfalls zurückgefahren werden. Das machen wir mit der TKG-Novelle. Wir führen die Regulierung dort zurück, wo inzwischen Gott sei Dank ein funktionierender Wettbewerb herrscht. Damit verliert die
Regulierung gleichzeitig an Starrheit. Wir führen mehr
Flexibilisierung in der Regulierung ein. Das bedeutet
auch mehr Gestaltungsfreiräume für die Behörde.
({2})
Ich halte das für einen absolut richtigen Weg. Der
Kerngedanke ist in dem Gesetzentwurf verankert.
Für uns Grüne waren dabei drei Gesichtspunkte von
zentraler Bedeutung: erstens die Weiterentwicklung des
Wettbewerbs, zweitens der Datenschutz und drittens der
Verbraucherschutz. Unter Berücksichtigung dieser drei
Gesichtspunkte haben wir den vorliegenden Gesetzentwurf erarbeitet. Wenn wir demnächst über das Energiewirtschaftsgesetz beraten und den Tätigkeitsbereich
der Regulierungsbehörde ausweiten, sollten wir meiner
Meinung nach den Namen „Regulierungsbehörde“ in
„Wettbewerbsbehörde“ ändern; denn unser Ziel ist nicht
Regulierung - diese wollen wir weitestgehend zurückfahren -, sondern Wettbewerb. Das sollte sich auch im
Namen widerspiegeln.
({3})
- Im Gesetz natürlich auch. - Ich weiß, dies bedeutet,
dass sich die Betroffenen umgewöhnen müssen. Aber
ich glaube, die Beratungen über das Energiewirtschaftsgesetz sind ein guter Zeitpunkt für diese Namensänderung.
({4})
Wir verbessern den Wettbewerb deutlich, weil es
gleichzeitig - das haben wir durchgesetzt - eine Bereitstellung der Vorleistung geben muss.
({5})
Das bedeutet, dass das Entstehen neuer Monopole auf
den Endkundenmärkten verhindert wird, wenn neue Produkte eingeführt werden. Das ist eine deutliche Verbesserung in Richtung mehr Wettbewerb. Ich finde übrigens, Frau Krogmann, dass die Beschleunigung des
Rechtsverfahrens ein substanzieller, positiver Beitrag
zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs ist.
({6})
Denn lange Rechtswege bedeuten, dass der Kläger lange
warten muss, bis er Recht bekommt, dass dann die Betroffenen unter Umständen nicht mehr am Markt sind
und dass sich Investitionen nicht mehr lohnen.
({7})
Die Verkürzung des Rechtswegs ist also ein deutlicher
Beitrag zur Stärkung des Wettbewerbs.
Zum Resale: In Bezug auf diesen Punkt neige ich der
Meinung der Opposition zu. Die Grünen haben sich hier
nicht durchgesetzt. Allerdings ist das kein SchwarzWeiß-Thema. Hier muss zwischen Infrastrukturwettbewerb und Dienstleistungswettbewerb abgewogen werden. Ich persönlich glaube, dass ein guter Dienstleistungswettbewerb auch viele Anstöße für Investitionen in
die Infrastruktur gibt. Daher wäre ein entbündeltes Resale besser. Wir haben uns aber, wie gesagt, nicht durchsetzen können.
({8})
- Sie, die Sie jetzt geklatscht haben, sollten bedenken,
dass nicht alle Ihre Kolleginnen und Kollegen Ihre Auffassung teilen. Herr Singhammer hat zum Beispiel nicht
geklatscht. Das zeigt, dass Ihre Fraktion auch in dieser
Frage gespalten ist. Ich werde haargenau verfolgen, ob
Sie diesen Punkt im Bundesrat, in dem Sie die Mehrheit
haben, durchsetzen werden. Meine Prophezeiung ist,
dass Sie es nicht schaffen werden. Das dürfte dann der
Beleg dafür sein, dass Frau Krogmann hier die Backen
ohne Unterstützung ihrer eigenen Fraktion aufgeblasen
hat.
({9})
Zum Datenschutz: Dieser ist für uns von zentraler
Bedeutung. Beim Datenschutz muss man zwischen dem
Schutz der Bürger sowie Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen abwägen. Hier war der Regierungsentwurf
deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Wir, die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, sind der Meinung,
dass es in diesem Bereich keine Verschärfung geben
sollte, und haben deshalb einiges zurückgenommen. Entscheidend ist, dass wir einen Paradigmenwechsel wollen. Wir wollen, dass sich derjenige, der zum Beispiel
das Abfragen oder die Speicherung von Daten beauftragt, an der Finanzierung beteiligt. Das ist das entscheidende Instrument, um die Hemmungslosigkeit der Innenminister ein bisschen zu bremsen.
({10})
Wir werden dafür eine entsprechende Verordnung erlassen.
Liebe Opposition, wir sind uns einig, dass das, was
wir im Hinblick auf den Datenschutz vorgesehen haben,
keine unzumutbare Belastung für die Wirtschaftsunternehmen bedeutet. Sie haben ja behauptet, dabei gehe es
um Hunderte von Millionen. Ich fordere Sie auf: Setzen
Sie das auch bei Ihren Innenministern durch und sorgen
Sie im Vermittlungsverfahren dafür, dass dieser Punkt
nicht aus dem Gesetzentwurf gestrichen wird.
({11})
Da wir dem Frieden nicht trauen, haben wir einige
Unterpunkte deutlich entschärft. Wir haben das Fernmeldegeheimnis auf PIN, PUK und Passwort ausgeweitet.
Wir haben des Weiteren auf eine Identifikationspflicht
bei Prepaid verzichtet sowie Hotels und Krankenhäuser
von der Verpflichtung entbunden, Vorrichtungen zur Datenüberwachung vorzuhalten. Das wäre in der Tat unzumutbar gewesen.
({12})
Das betrifft auch die Entschärfung der Jokerabfrage.
Wenn Sie im Vermittlungsverfahren diese Punkte aus
dem Gesetzentwurf herausstreichen, dann werden Sie zu
verantworten haben, dass unzumutbare Belastungen auf
die Bürger zukommen.
Letzter Punkt: Verbraucherschutz. Das ist für uns
ein zentrales Thema. Wir haben auch in diesem Bereich
einiges durchgesetzt: Es gibt weiterhin eine Rechnung;
der Schutz vor Missbrauch bei Mehrwertdiensten wird
deutlich verbessert - es gibt einen Schutz für Kinder, für
Jugendliche, aber auch für Erwachsene -; wir haben eine
Preisansagepflicht bei allen Mehrwertdienstleistungen
und die Verbandsklage durchgesetzt. Zeitnah wird eine
Kundenschutzverordnung mit diesen Punkten erarbeitet,
der auch der Bundestag zustimmen muss; wir sind daran
beteiligt.
Ganz besonders wichtig sind mir die Belange der Gehörlosen. In anderen Ländern ist es selbstverständlich,
dass auch die Gehörlosen am Sprachtelefondienst teilhaben können. Diese Selbstverständlichkeit wollen wir
auch in Deutschland erreichen. Wir müssen auch an die
Menschen denken, die eben nicht jederzeit alles können:
Wenn ein Gehörloser beim Arzt einen Termin vereinbaren will, dann kann er das nicht per SMS oder per Internet machen.
Wir haben dieses Problem jetzt durch einen Kompromiss mit der Telekom gelöst: Es findet über circa fünf
Jahre eine Pilotphase statt, in der den Gehörlosen diese
Technologie - die Dolmetscherdienste - bereitgestellt
wird, und zwar unentgeltlich. Wir haben hier Gott sei
Dank einen parteiübergreifenden, gemeinsamen Antrag
gestellt, in dem wir Folgendes deutlich machen: Wir gehen davon aus, dass dieses Angebot nach Ablauf der
fünf Jahre weitergeführt und dass dann die Verpflichtung
in geltendes Recht überführt wird. Ich finde das gut. Ich
meine, wir sollten fest versprechen, dass das unumkehrbar ist: Gehörlose müssen ab sofort auch in Deutschland
an diesen Diensten teilhaben können.
Ich danke Ihnen.
({13})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Das, glaube ich, wird mir gelingen. - Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Das heute zu beratende Telekommunikationsgesetz soll den Rahmen für anstehende
Milliardeninvestitionen in einer der bedeutendsten Zukunftsbranchen unseres Landes darstellen. Angesichts
der Bedeutung dieses Gesetzes ist es allerdings für einen
Parlamentarier, Herr Kollege Heil, geradezu erschreckend, wie wenig Respekt die Regierungsfraktionen
dem Parlament und damit dem Gesetzgeber entgegenbringen.
({0})
Ich bin fest davon überzeugt: Hätte es, wie es eigentlich auch verabredet war, anständige parlamentarische
Beratungen gegeben - wir wollten in den Berichterstattergesprächen die einzelnen Themen sauber abarbeiten -, hätten wir noch viele Schwächen des Gesetzes gemeinsam ausräumen können. Der gemeinsame Entschließungsantrag - Frau Kollegin Hustedt hat das eben
erwähnt - und die gemeinsam getragenen Verbesserungen bei der zeitgleichen Bereitstellung von Vorleistungen zeigen, dass das mit den handelnden Personen funktioniert hätte.
Während die Regierung fast ein Jahr für die interne
Abstimmung benötigt hat und sich der Bundesrat dann
mehrere Monate Zeit für eine Stellungnahme erbeten
hat, wollen die Regierungsfraktionen die verplemperte
Zeit im Parlament anscheinend im Schweinsgalopp wieder aufholen. Das Ergebnis ist eine unbefriedigende
TKG-Novelle.
({1})
Die FDP wird dem Gesetz deshalb nicht zustimmen.
Lassen Sie mich vier wesentliche Gründe für unsere
ablehnende Haltung anführen:
Erstens. Wir lehnen das Einzelweisungsrecht, das die
Bundesregierung in das Gesetz geschrieben hat, strikt ab.
Es stellt einen Bruch mit allen wettbewerbsrechtlichen
Traditionen der Nachkriegsgeschichte dar.
({2})
Welchen Sinn hat ein solches Recht für das Ministerium,
wenn es nicht darum geht, dass der Bund aufgrund seiner fiskalischen Interessen Einfluss auf die Entscheidungen der Regulierungsbehörde nehmen will?
({3})
Mit dieser Einflussnahme auf eine Wettbewerbsbehörde
wird der wettbewerbsfeindlichen Haltung dieser Regierung die Krone aufgesetzt. Die Bundesrepublik ist ja
noch mit 43 Prozent an der Deutschen Telekom AG, also
an einem Globalplayer, beteiligt.
Zweitens. Wir lehnen das von den Regierungsfraktionen offenkundig mit der Deutschen Telekom ausgehandelte gebündelte Resale ab. Damit wird die Quasimonopolstellung des ehemaligen Staatsunternehmens im
Anschlussbereich zementiert. Mit einer solchen RegeRainer Funke
lung, die ja auch europarechtlich auf tönernen Füßen
steht und hinter die Spruchpraxis der Regulierungsbehörde zurückfällt, ersetzen Sie von den Koalitionsfraktionen Wettbewerbspolitik durch Industriepolitik,
({4})
und zwar durch Industriepolitik der schlimmen Art, wie
wir sie noch in den 70er-Jahren erlebt haben. Das lassen
wir Ihnen nicht durchgehen. Sachlich notwendig ist eine
klare Vorgabe für entbündeltes, nicht konditioniertes Resale, verbunden mit einer konsistenten Entgeltregulierung.
Drittens. Wir können dieser Regierung keine europarechtswidrigen Regelungen durchgehen lassen. So hat
der Parlamentarische Staatssekretär Staffelt noch am
letzten Mittwoch im Wirtschaftsausschuss bestätigt, dass
es zum Beispiel bei den §§ 9, 10, 19 und 28 augenscheinlich unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission gibt.
({5})
Wenn die EU-Kommission der Meinung sei, so hat er
dann ausgeführt, die Umsetzung dieser Sachverhalte sei
nicht richtlinienkonform, dann solle sie eben klagen. Damit wird aber weitere Verunsicherung in die Branche hineingetragen, was dann wiederum zu Investitionszurückhaltung führen kann. Das ist rechtlich heikel und
ökonomisch verantwortungslos. Das machen wenigstens
wir nicht mit. Wenn es Zweifel an der Europatauglichkeit
gibt, dann - das müssen wir uns vor Augen führen - ist
es am einfachsten, die Richtlinie eins zu eins umzusetzen. Das haben Sie nicht getan.
Vierter Punkt. Wir sind klar und entschieden für eine
Verlagerung des Rechtsweges von den Verwaltungsgerichten zu den Kartellgerichten.
({6})
Nur damit setzen wir konsequent die Zielvorgabe um, die
Telekommunikationsbranche vom wettbewerblichen Ausnahmebereich ins allgemeine Wettbewerbsrecht zu überführen. Ein Rechtswegewechsel strafft das Verfahren,
ohne den Rechtsschutz einzuschränken, und ist zudem der
passgenauere Weg, um die Regulierungsbehörde bei der
Schaffung und Bewahrung von Wettbewerb auch rechtlich zu begleiten.
({7})
Über diesen Punkt waren eigentlich alle Fraktionen einer
Meinung. Die Koalitionsfraktionen sind dann umgefallen und haben den alten, nicht ganz richtigen Weg über
die Verwaltungsgerichte eingeschlagen.
({8})
Ich halte das nach wie vor für falsch. Außerdem haben
Sie noch eine Rechtswegverkürzung eingeführt. Das ist
in einem Rechtsstaat, erst recht, wenn es um hohe Millionen- oder gar Milliardenbeträge geht, nicht zu verantworten.
Meine Damen und Herren, ich bedauere es sehr, dass
wir die Branche weiter im Unklaren lassen. Angesichts
dessen, was die Regierung und die sie tragenden Fraktionen uns hier vorgelegt haben, ist eines klar: Wir sehen
uns im Vermittlungsausschuss wieder. Man könnte den
Ausspruch anführen: Bei Philippi sehen wir uns wieder.
Auf Wiedersehen!
({9})
- Ich glaube Ihnen sogar, dass Sie das nicht wissen.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Hubertus Heil, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu den Inhalten meiner
Rede komme, habe ich als Berichterstatter Folgendes
vorzutragen. Das Ausschusssekretariat des Wirtschaftsausschusses bittet um Berichtigung folgender Passage in
der Beschlussempfehlung, die bei der Übermittlung
nicht richtig wiedergegeben wurde: Im Entwurf des § 29
Abs. 4 Nr. 3 TKG-Entwurf ist das zweite Wort „langfristigen“ vor dem Wort „Erfordernisse“ zu streichen. Der
vollständige Text von § 29 Abs. 4 Nr. 3 hat nach der
Korrektur folgenden Wortlaut:
3. die Erfordernisse hinsichtlich der Rendite für das
eingesetzte Eigenkapital, wobei auch die leistungsspezifischen Risiken des eingesetzten Eigenkapitals
gewürdigt werden können, und
Herzlichen Dank, Herr Präsident; wenn ich Ihnen das
überreichen darf.
({0})
- Das ist ein übliches Verfahren, Herr Kollege. Sie haben
sich mit Ihrer Berichterstatterkollegin unterhalten. Es
kann passieren, dass das Ausschusssekretariat Fehler
macht; Menschen machen Fehler. Es ist kein Fehler der
Regierung oder unserer Fraktion. Ich bitte um ein bisschen mehr Respekt vor den Mitarbeitern des Bundestages.
({1})
- Ach, Herr Hintze, Sie sind ja für Qualität berüchtigt.
({2})
- Okay, vielleicht auf irgendeiner Insel in der Nordsee,
wie Sie einmal gesagt haben, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, Herr Hintze.
Wir sprechen heute über die Telekommunikationsbranche. Die Telekommunikationsbranche ist eine der
wichtigsten Branchen in Deutschland. Sie ist nicht nur
eine Branche, in der in den letzten Jahren eine unheimliche Dynamik in Gang gekommen ist, sondern sie ist
auch so etwas wie eine Schlüsselindustrie für unsere gesamte Volkswirtschaft. Es gibt bereits heute mehr Beschäftigte in diesem Bereich als in der Automobilindustrie. Deshalb möchte ich unterstreichen, was die Kollegin Hustedt, übrigens übereinstimmend mit allen Fachpolitikern und der Branche insgesamt, festgestellt hat:
Der Liberalisierungsprozess an sich ist ein großer Erfolg
für Deutschland, den wir gemeinsam zu verbuchen haben. Wir haben in diesem Bereich einen dynamischen,
wachstumsorientierten Markt. Wir müssen jetzt sehen,
dass wir die nächste Stufe dieser Entwicklung angehen.
Deshalb ist es notwendig, dass wir nicht nur EURichtlinien umsetzen - das tun wir -, sondern dass wir
uns auch darüber verständigen, hier aufgrund unserer Erfahrung im Regulierungsbereich für mehr Dynamik zu
sorgen.
({3})
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat
uns einen Entwurf vorgelegt, der eine gute Grundlage
für die Beratung in diesem Parlament gebildet hat. Dass
es ein Jahr gebraucht hat, um ihn zu erstellen, liegt nicht
an der Ressortabstimmung, sondern daran, dass es einen
intensiven, sehr guten und vertrauensvollen Prozess mit
der gesamten Wirtschaft gab, mit Verbraucherverbänden,
der Telekom, dem VATM, mit allen möglichen Unternehmen, die im Markt sind. Es ist kein ideologisches
Thema, wie Sie uns das weis, schwarz oder gelb zu machen versuchen, sondern ein Fachthema, das im Detail
sehr schwierig ist. Deshalb war das Verfahren richtig
und vernünftig. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums dafür, dass
sie uns für den Prozess eine wirklich gute Beratungsgrundlage geliefert haben.
({4})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen haben gleichwohl eine Reihe von Änderungen
vorgesehen. Wir gehen in vielen Bereichen - das ist ausgeführt worden - auf Änderungswünsche des Bundesrates ein, ebenso auf Änderungswünsche der Opposition,
wo wir sie sachlich geboten und begründet sehen.
Ich möchte Ihnen die Maßstäbe nennen, nach denen
wir die Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen
haben. Wir haben zuallererst gefragt: Ist das, was im Gesetz steht, sinnvoll, und zwar für die Telekommunikation, aber auch für die gesamte Volkswirtschaft? Der
zweite Maßstab war: Was ist ordnungspolitisch geboten,
um in Deutschland mehr Wettbewerb zu ermöglichen?
Der dritte Punkt war die Frage: Ist das, was wir machen,
EU-konform? Der vierte Maßstab war die Frage: Ist das
mit unserer Verfassung vereinbar?
Anhand dieser vier Kriterien haben wir eine Reihe
von Änderungen vorgenommen, die ich nennen möchte.
Wir haben auf dem Weg vom Entwurf bis zum jetzigen
Text den Wettbewerbsbegriff verändert. Frau Kollegin
Krogmann, ich finde es des Parlaments fast unwürdig,
wenn von Ihnen Änderungen in einem ganz normalen
parlamentarischen Verfahren, in dem sich natürlich
Dinge ändern, weil es sich um einen Prozess handelt, jedes Mal als Nachbesserung oder Ähnliches diskreditiert
werden.
({5})
Richtig ist, dass wir kein Durchwinkverein sind, sondern
der Deutsche Bundestag, der nach Ausschussanhörungen seine Konsequenzen zu ziehen und manchmal auch
Dinge zu verändern hat.
({6})
Wer so etwas zu diskreditieren versucht, der diskreditiert
den gesamten Parlamentarismus. Das sollten Sie sich
einmal hinter die Ohren schreiben.
({7})
Wir haben, im Gegensatz zu dem, was die Opposition
uns zu unterstellen versucht, ein sehr wettbewerbsfreundliches Gesetz gemacht. Wir haben dem Regulierer
ein ganz scharfes Schwert für mehr Wettbewerb in die
Hand gegeben, nämlich die gleichzeitige Bereitstellung
nach § 37 TKG. Es geht darum, dass marktbeherrschende Unternehmen, die Produkte für Endkunden anbieten, zeitgleich Wettbewerbern wesentliche Vorleistungen zur Verfügung stellen müssen, damit diese eigene
Geschäftsmodelle entwickeln können. Das unterstützen
wir gemeinsam. Ich bitte, das einmal anzuerkennen.
({8})
- Sie haben das getan, Herr Funke. Aber Ihre Kollegen
von der anderen Feldpostnummer sagen, dass es in diesem Bereich keine Veränderungen gegeben habe. Ich
wiederhole: Das ist ein Punkt, der der Telekom nicht
schmeckt, der aber für den Wettbewerb notwendig ist. Er
belegt, dass wir ein Gesetz im Interesse des Wettbewerbs
vorgelegt haben.
({9})
Kollege Heil, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollege Krings?
Gerne. - Herr Krings, was gibt es Neues aus Mönchengladbach?
Mönchengladbach ist eine wunderschöne Stadt. Aber
darum geht es heute nicht; darüber können wir später
ausführlich reden.
Herr Kollege Heil, Sie haben gerade das Gesetzgebungsverfahren ausführlich gelobt und herausgestellt,
wie offen der Bundestag an diese Thematik herangegangen ist. Sind Sie der Auffassung, dass die Beratungszeit
- im Januar gab es die erste Lesung und jetzt, Anfang
März, die zweite und dritte Lesung - ausreichend war?
Sind Sie der Auffassung - die Regierungsfraktionen haben uns erst Freitagnacht ihre Änderungsanträge übermittelt -, dass die Beratung eines derart komplexen und
umfassenden Gesetzes in dieser Art und Weise ein vernünftiges parlamentarisches Verfahren war? Sind Sie
ferner der Auffassung, dass damit ein geordnetes, vernünftiges, offenes und zielführendes parlamentarisches
Verfahren gewährleistet ist?
Zumindest wir haben die Zeit genutzt, intensiv zu beraten. Wir haben eine fünfstündige Anhörung miteinander gehabt.
({0})
Unsere Fraktion hat eine mehrtägige Klausurtagung
durchgeführt. Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner abgestimmt. Im Gegensatz zu Gesetzgebungsverfahren aus Ihrer Regierungszeit haben wir Ihnen
rechtzeitig, nämlich bereits am vergangenen Donnerstag
und Freitag, unsere Änderungen übermittelt.
({1})
Sie hatten über eine Woche Zeit, sich damit zu beschäftigen. Um es einmal deutlich zu sagen: Die CDU/CSU hat
es nicht geschafft, auch nur einen konkreten Änderungsantrag im Wirtschaftsausschuss einzubringen.
({2})
Sie verfassen nur allgemein gehaltene Entschließungen; das weiß die Branche. Sie sind nicht einmal in der
Lage, auch nur einen Änderungsantrag zu stellen. Sie behaupten, das Gesetz sei schlecht und die Bundesregierung habe nicht genug daran gearbeitet. Obwohl Sie Juristen in Ihren Reihen haben - auch Sie sind Jurist -,
schaffen Sie es nicht, Änderungsanträge zu formulieren,
die Sie im Wirtschaftsausschuss einbringen können. Das
ist schon ein erstaunlicher Vorgang.
({3})
Herr Krings, versuchen Sie nicht, davon abzulenken,
dass Sie sich in der Sache nicht einig sind, indem Sie auf
Verfahrensfragen hinweisen. Ich werde beim Thema Resale noch darauf zurückkommen.
Frau Kollegin Krogmann spricht hier davon, dass unsere Regelung zum Resale ganz schlecht sei.
({4})
Wenn man aber mit anderen Teilen der Union, beispielsweise mit der Bayerischen Staatsregierung, und mit Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, redet, dann
hört man die Auffassung, dass es sich um einen fairen
Ausgleich handelt.
Herr Kollege Krings, hätten Sie ein bisschen intensiver gearbeitet! Wir haben Ihnen angeboten, zu jeder Tages- und Nachtzeit Sitzungen abzuhalten. Teilweise haben wir sie miteinander durchgeführt. Sie müssen den
Widerspruch auflösen, dass Ihnen einerseits die Sitzungen nicht ausreichen und dass wir andererseits schnell
Klarheit schaffen sollen. Wir haben dafür gesorgt, dass
die Behandlung dieses Gesetzes nicht erst nach der Sommerpause erfolgt, sondern dass wir miteinander in diesem Verfahren zügig vorankommen.
({5})
Beim Resale handelt es sich um die entscheidende
Stellschraube, mit der man Infrastruktur- und Dienstewettbewerb austarieren kann. Wir wollen und wir brauchen beides in Deutschland. Wir brauchen Investitionen
im erheblichen Umfang in die Infrastruktur in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Wir brauchen aber gleichzeitig einen Dienstewettbewerb, weil für den Verbraucher - egal ob Wirtschaft oder Privatkunden - die
Dienste von entscheidender Bedeutung für die Akzeptanz solcher Produkte sind.
Sie wissen, dass wir in diesem Bereich Änderungen
vorgesehen haben. Wir werden darüber zu sprechen haben, wenn es zu einem Vermittlungsverfahren kommt.
Ich bin sehr gespannt, wie sich die CDU- und CSU-regierten Bundesländer zu diesem Punkt verhalten werden.
Es geht nicht nur um die Interessen von Telekom, sondern auch um die Interessen von City-Carriern wie Net
Cologne, EWE TEL und von vielen anderen kleinen Unternehmen, die Sie, Frau Kollegin Krogmann - Sie hören
im Moment nicht zu -,
({6})
offensichtlich in diesem Punkt nicht im Blick haben.
Es gibt ein anderes Thema, bei dem wir Erfolg hatten
- darauf sind wir sehr stolz - und das lange umstritten
war. Wir haben der Telekom und den Mitbewerbern hinsichtlich des Billings und Inkassos, also der Rechnungslegung und des Mahnungswesens, gesagt: Setzt euch zusammen und verhandelt; wir werden dann versuchen,
das, worauf ihr euch geeinigt habt, gesetzgeberisch abzubilden. Dieser Kompromiss ist gelungen. Es ist für die
gesamte Branche und für die gesamte Wirtschaft, also
nicht nur für Mehrwertdienste, ein Segen, dass wir diesen Prozess angeschoben und moderiert haben.
Ich bitte die Opposition, wenigstens dies zu honorieren. Es waren nicht Sie, sondern wir, die das gemacht haben. Wir bilden das im Gesetz ab.
({7})
Wir sagen: Wenn sich die Branche vertraglich verständigt, kann und wird von der Regulierung durch das TKG
in diesem Bereich abgesehen; natürlich aber nicht von
der Regulierung durch das GWB.
Frau Kollegin Hustedt hat zum Bereich Sicherheit
und Datenschutz Stellung genommen. Auch ich möchte
das tun. Es geht darum, verschiedene Ansprüche auszutarieren. Dabei gibt es nicht nur Schwarz oder Weiß. Natürlich geht es uns, den Wirtschaftspolitikern, nicht darum, neue, unverhältnismäßige Belastungen für die
Wirtschaft zu produzieren. Aber auch die Interessen der
Sicherheitsbehörden sind legitim. Angesichts aktueller
Entwicklungen kann man nur unterstreichen, dass Sicherheitsbehörden die Möglichkeiten haben müssen, im
Rahmen rechtsstaatlicher Verfahren an Informationen zu
kommen, um organisiertes Verbrechen oder Terrorismus
bekämpfen zu können. Es geht aber auch darum, dass
wir den Belangen des Datenschutzes und der Bürgerrechte in Deutschland Rechnung tragen.
({8})
Dies erwähne ich im Zusammenhang mit einem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Wir haben uns diesen Komplex Stück für Stück und
gründlich vorgenommen. Während Sie noch herumgejammert haben, haben wir uns das Gesetz vorgenommen
und jeden Punkt auf Verhältnismäßigkeit abgeklopft.
Herausgekommen ist ein Gesetz, das sich, wie ich finde,
sehen lassen kann. Es ist in diesem Punkt nicht nur ordentlich, sondern sehr gut gelungen. Wir haben eine
Kostenbeteiligung von Sicherheitsbehörden an Überwachungsmaßnahmen vorgesehen, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Ich bitte, das als einen wirklichen Erfolg zu betrachten.
({9})
Ich bin genauso gespannt wie die Grünen, ob die
CDU es schafft, das ihren Länderinnenministern klar zu
machen. Im Gespräch mit unseren Innenpolitikern haben
wir das klar machen können. Wir haben über die verschiedenen Interessen intensiv diskutiert. Die Frage ist,
ob die CDU/CSU in diesem Bereich eine Arbeitsteilung
vorsieht, nach der die Wirtschaftspolitiker immer nach
der Entlastung der Wirtschaft und die Sicherheitspolitiker nach immer schärferen und die Wirtschaft belastenden Maßnahmen rufen. Wir jedenfalls werden das nicht
zulassen.
({10})
Zum Thema Gehörlose möchte ich Folgendes sagen:
Wir haben auch in diesem Zusammenhang einen Prozess
moderiert, und zwar zwischen dem Gehörlosenverband
und der Deutschen Telekom. Das Ergebnis ist ein Modellprojekt. Übrigens haben wir, Bündnis 90/Die Grünen
und die SPD, diese Gespräche geführt und vorangebracht. Ich habe jetzt mitbekommen - das finde ich gut -,
dass die Opposition unseren Entschließungsantrag unterstützt. Die Opposition hat aber nicht mitgewirkt, als es
darum ging, das Geschäft anzupacken und durchzuführen. Wir haben gesagt, dass es notwendig ist, auch für
gehörlose Menschen einen Zugang zu Vermittlungsdiensten zu organisieren. Deshalb gibt es dieses Modellprojekt. Wir wollen und werden dafür sorgen, dass es in
diesem Bereich über die Pilotphase hinaus - wie es in
anderen europäischen Ländern der Fall ist - ein Projekt
gibt, nach dem Vermittlungsdienste auch von Gehörlosen in Anspruch genommen werden können.
({11})
Ich kann verstehen, dass die Opposition versucht,
randständige Punkte aufzublasen. Zur Frage der Weisungen weise ich Sie auf § 115 des Gesetzentwurfs hin,
der besagt, dass Weisungen zu veröffentlichen sind.
Beim Thema Antragsrechte bitte ich Sie darum, die Äußerungen der Branche und des Regulierers zu beachten:
({12})
Wenn sich Unternehmen an die Regulierungsbehörde
wenden, wenn der Regulierungsbehörde ein Sachverhalt
zur Kenntnis gebracht wird, ist die Regulierungsbehörde
nach Recht und Gesetz verpflichtet zu handeln.
Mit dem Aufblasen des Themas der Antragsrechte
lenken Sie davon ab, dass wir im materiellen Bereich ein
gutes Gesetz gemacht haben, und davon, dass Sie sich
innerhalb Ihrer Fraktion an ein paar Punkten nicht grün
- besser gesagt: schwarz - waren und sich nicht verständigen konnten. Das betrifft auch die Frage des Rechtsweges. Herr Kollege Krings, Sie haben sich sehr intensiv
damit beschäftigt und wissen, es gibt für beides gute und
schlechte Argumente. Wir haben sie sehr intensiv abgewogen und sind zu der Meinung gekommen, dass wir es
so belassen sollten. Sie wissen, dass die Unternehmen in
Deutschland sehr unterschiedliche Stellungnahmen zu
diesem Bereich abgeben.
({13})
Es gibt keinen einheitlichen Ruf aus der Branche nach
dem Kartellrechtsweg. Es bleibt dabei: Die Regulierungsbehörde ist eine staatliche Behörde. Deshalb ist der
Verwaltungsgerichtsweg rechtssystematisch der richtige
Weg.
Kollege Heil, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja, gerne. Gleich.
Ich will Ihnen das gerne bei einem Glas Wasser erklären, wenn wir etwas mehr Zeit haben.
Nicht jetzt.
In diesem Zusammenhang nur so viel: Wir verabschieden heute ein gutes Gesetz. Der Bundesrat könnte
eigentlich sofort zustimmen, wenn es ihm nicht um poliHubertus Heil
tischen Showkampf ginge. So sehen wir uns wahrscheinlich im Vermittlungsausschuss wieder. Sei’s drum. Ich
bin fest davon überzeugt, dass wir trotzdem ein gutes
Gesetz durchbringen werden. Die Unterschiede sind
nicht so riesig, wie Sie meinen.
Kollege Heil, Sie können die Unterschiede jetzt nicht
mehr darlegen.
Herzlichen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Martina Krogmann das Wort.
Herr Kollege Heil, ich hatte schon immer die Vermutung, dass Sie die Komplexität des Gesetzentwurfs nicht
richtig durchdrungen haben.
({0})
Seit heute habe ich die Gewissheit. Sie haben wahrheitswidrig behauptet, ich hätte mich gegen Resale ausgesprochen. Das Gegenteil ist der Fall.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Resale für uns
ein zentrales Instrument ist, um Wettbewerb herzustellen. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf auch deshalb ab,
weil dieses Instrument unzureichend umgesetzt wird und
damit kein fairer Ausgleich zwischen Infrastruktur- und
Dienstewettbewerb hergestellt wird.
({1})
Herr Kollege Heil, bitte eine kurze Antwort.
Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld. Ich entschuldige mich für das Überziehen meiner Redezeit.
Frau Kollegin Krogmann, ich habe nicht gesagt, dass
Sie gegen Resale sind.
({0})
Ich habe gesagt, dass Sie gegen unsere Formulierungen
an diesem Punkt sind.
Sie haben gerade anderen Berichterstatterkollegen
Sachverstand abgesprochen. Das macht kein Berichterstatter, sei es der Kollege Funke oder die Kollegin
Hustedt, und auch ich habe das nicht einmal bei Ihnen
gemacht, Frau Kollegin.
({1})
Ich will Ihnen aber zum Thema Resale die Antwort
nicht schuldig bleiben. Wir schreiben Resale ins Gesetz.
Der Streit besteht darüber, ob wir es gebündelt oder entbündelt machen. Das ist die Wahrheit. Darüber kann
man unterschiedlicher Auffassung sein, dass sind auch
viele Experten in diesem Bereich. An einem Punkt unterschiedlicher Meinung zu sein ist in einer Demokratie
nichts Verkehrtes.
Wir sind für Resale, weil wir Infrastruktur- und
Dienstewettbewerb wollen und weil wir den Citycarriern
das Geschäft nicht kaputtmachen wollen. Ich bitte Sie, in
Ihrem Wahlkreis mit EWE Tel, einem großen Unternehmen in Niedersachsen, noch einmal über dieses Thema
zu reden.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Johannes Singhammer
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir verfolgen zwei Ziele. Erstens. Wir wollen, dass
Deutschland im Bereich der Telekommunikations- und
der Informationstechnologie endlich wieder Spitze wird.
({0})
Zweitens wollen wir, dass der Gesetzentwurf, über
den wir heute beraten, wie ein kraftvolles Schwungrad
für die Wirtschaft - wir brauchen den Aufschwung dringend - und nicht wie ein Bremsklotz wirkt.
({1})
Es ist richtig und heute schon erwähnt worden, dass
dieser Branche eine Schlüsselfunktion zukommt. Der
Umsatz der Telekommunikationsbranche beträgt
134 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Vergleich: Die deutsche Automobilbranche setzt im Inland 80 Milliarden
Euro um. Herr Staatssekretär Staffelt, auch Sie haben auf
diese Schlüsselfunktion hingewiesen, und deshalb verstehe ich nicht, dass der Wirtschaftsminister bei der Beratung dieses außerordentlich wichtigen Gesetzentwurfs
heute nicht selbst anwesend ist.
({2})
Schließlich hat der Minister gestern Wirtschaft in der
ganz ursprünglichen Form am Nockherberg begutachten
können.
({3})
Wir wollen mit dem Telekommunikationsgesetz neue
zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen und eine Balance herstellen zwischen Sicherheit und langfristiger
Rentabilität von Investitionen einerseits und Offenheit
für technologische Entwicklungen andererseits, die in
dieser schnell wachsenden und sich verändernden Branche vom Gesetzgeber vielfach langfristig nicht überblickt werden können.
Eines ist bei diesen Beratungen traurig: Sie haben
sich zunächst viel zu viel Zeit gelassen und das Gesetz
dadurch über ein Jahr verzögert. Sie haben Ihre Beratungsfrist voll in Anspruch genommen, um dann die Opposition innerhalb kurzer Zeit mit einer Vielzahl von Anträgen zu überfallen.
({4})
Ich sage hier ganz klar: Auch wir haben ein Interesse daran, dass dieses Gesetz bald und zügig verabschiedet
wird. Deshalb war durchaus die Chance vorhanden, zu
einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
({5})
Unter dem Beratungsdruck, den Sie erzeugt haben, ist es
aber unmöglich, diesen schwierigen Sachverhalten zeitlich und inhaltlich gerecht zu werden.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz ist nicht der Ort für große ideologische Grabenkämpfe.
({7})
Es geht darum, pragmatische Lösungen zu entwickeln.
Wir werden im Vermittlungsausschuss eine konstruktive
Rolle einnehmen.
({8})
- Ich hoffe, dass das alle so tun, auch von Ihrer Seite.
Wir glauben, dass in diesem Projekt enorme Chancen
stecken. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien erwartet, dass in diesem Jahr 70 Prozent der Branchenmitglieder zusätzliche
Investitionen und Wachstumschancen verwirklichen.
({9})
- Wenn Sie nicht dran wären, dann wäre die Zahl vermutlich noch viel höher.
({10})
Insbesondere auf dem Mobilfunkmarkt herrscht eine
Aufbruchstimmung, die nicht durch ein Gesetz, das nicht
die notwendigen Voraussetzungen bietet, enttäuscht werden sollte.
Wir sehen auf der anderen Seite mit großer Besorgnis
- das ist natürlich Ihr Werk -, dass in den vergangenen
Jahren gerade in dieser Wachstumsbranche ein Absacken der Arbeitsplatzzahlen von 820 000 Beschäftigten
im Jahr 2000 auf nunmehr 750 000 Beschäftigte zu verzeichnen war. Eigentlich hätten wir erwarten können,
dass in diesem Bereich ordentlich zugelegt wird. Wir
wollen, dass dieses Gesetz dazu beiträgt.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz soll mehr Wettbewerb bringen. Es soll zur Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts führen. Wir
wollen einen Abbau des in den einzelnen Marktbereichen
zum Teil noch recht unterschiedlichen Rechts erreichen,
unnötige Regulierung zurückschrauben und zusätzlichen
Spielraum für die nationale Regulierungsbehörde durchsetzen.
({12})
Im Einzelnen: Wir wollen keine Überregulierung auf
dem Mobilfunkmarkt,
({13})
wo ein guter Wettbewerb möglich ist. Es geht um
20 Milliarden Euro. Im Klartext: Wir wollen, dass im
Zuge der Entgeltregulierung nach § 28 Abs. 1 des Gesetzentwurfs jeweils nur ein Kriterium und nicht eine
Vielzahl von Kriterien erfüllt werden muss. Wir erachten
es nicht für nötig, hier eine Überregulierung einzuführen.
Wir wollen im Festnetz, dass das Breitband seine
Chancen nutzen kann. Wir sehen mit Besorgnis, dass im
Jahr 2002 erst 4,8 Millionen - das sind nur 83 Anschlüsse
auf 1 000 Haushalte - der schnellen DSL-Breitbandinternetanschlüsse - das ist die Luxusklasse des Anschlusses verwirklicht waren. Wir wollen, dass Deutschland von einem Mittelplatz wieder auf einen Spitzenplatz kommt.
Wir wollen deshalb, dass alle Schranken im Telekommunikationsgesetz, die das verhindern, verschwinden.
Wir begrüßen, dass es in den vergangenen Wochen in
einer Reihe von Streitpunkten - Rechnungsstellung, Abrechnung und Rechnungseinzug - zu einer Einigung
zwischen den Wettbewerbern, insbesondere zwischen
der Deutschen Telekom AG und anderen Wettbewerbern, gekommen ist.
Wir wollen - das sage ich auch in meiner Funktion als
derzeitiger Vorsitzender des Beirates bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post -, dass
eine starke, unabhängige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in diesem Gesetz festgelegt
wird.
({14})
Wir wollen gerade die Präsidentenkammer, die künftig
eine entscheidende Funktion haben wird, möglichst unabhängig gestalten. Wir wollen Kollegialentscheidungen
und keine Einzelentscheidungen. Wir wollen, dass Regulierungsverfügungen in Anbetracht ihrer großen wirtschaftlichen Relevanz und zur Sicherstellung der Einheitlichkeit der getroffenen Maßnahmen immer von der
neu zu schaffenden Präsidentenkammer gemeinsam beschlossen werden. Wir wollen, dass der Beirat eine stärkere Position der politischen Kontrolle erhält. Der Beirat
ist das Bindeglied zu den gesetzgebenden KörperschafJohannes Singhammer
ten Bund und Länder. Das muss durch eine Benehmensregelung für alle Beschlüsse der Präsidentenkammer
zum Ausdruck kommen.
({15})
- Ich habe es doch klar ausgeführt.
In Bezug auf die innere Sicherheit haben wir sehr
exakt abzuwägen und eine Balance zwischen den Erfordernissen der Sicherheit und überbordenden wirtschaftlichen Belastungen zu finden. Ich denke, dass wir da zu
einer guten Lösung kommen werden.
Der Bereich der im Fachchinesisch als Prepaid bezeichneten, vorab bezahlten Benutzertelefonkarten für
Handys, die eine Identifizierung außerordentlich erschweren, ist dabei besonders wichtig. Wenn wir uns die
ersten Minuten dieser Sitzung des Deutschen Bundestages in Erinnerung rufen, als wir der Opfer eines grauenvollen Anschlags gedachten, dann müssen wir einfach
sehen: Es gibt auch Schwachstellen, bei denen wir sehr
genau hinsehen müssen, damit sich dort keine Möglichkeiten für Kriminelle bieten, weit außerhalb jeglicher
Kontrolle tätig zu werden.
({16})
Lassen Sie mich abschließend noch zu dem ganz zentralen Thema Wiederverkauf, dem so genannten Resale,
Stellung nehmen.
({17})
- Reden Sie doch nicht ständig dazwischen; lassen Sie
die Menschen einmal ausreden!
Ich stecke die Positionen ab, um die es uns geht. Wir
wollen weder einen gebündelten, zeitlich unbegrenzten
Wiederverkauf noch einen getrennten Wiederverkauf
von Anschluss oder Verbindungsleistung ohne jede Bindung an Bedingungen.
({18})
- Das sage ich für die Opposition, für die CDU/CSU. Das sind die von uns abgesteckten Positionen. In deren
Rahmen sind wir bereit, mit Ihnen gemeinsam eine Lösung zu finden. Das ist ein Angebot; Sie können es annehmen. Ich rate Ihnen auch, dies zu tun, denn es ist
auch im Interesse des Standorts Deutschland, hier zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
({19})
- Das ist kein Unterschied, sondern das ist die genaue
Darstellung unserer Position.
({20})
Wir begrüßen auch - das sage ich zum Schluss mit
versöhnlichem Ton -, dass es bei den Gehörlosen gelungen ist, eine gemeinsame Lösung zu erreichen.
({21})
Das zeigt auch, was über Parteigrenzen hinweg möglich
ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten
ein Ziel gemeinsam verfolgen: Deutschland muss wieder
Spitze werden. Deshalb brauchen wir kein mittelmäßiges Gesetz, sondern ein Spitzengesetz.
({22})
Ich erteile das Wort Kollegen Manfred Zöllmer, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland surft, chattet, simst, telefoniert fest oder mobil zu
Lande, zu Wasser und in der Luft. Fast 40 Millionen
Deutsche bewegen sich nahezu täglich im weltweiten
Netz der Informationen. Im Jahre 2003 ist die Zahl der
Mobilfunkkunden auf fast 65 Millionen gestiegen, gegenüber 1999 eine Verdreifachung. 342 Milliarden Verbindungsminuten waren im vergangenen Jahr zu verzeichnen. Diese Zahlen zeigen: Die Deutschen nutzen
die Telekommunikationsangebote, sie informieren sich,
sie kommunizieren und sie tun das gerne. Aber sie sind
als Verbraucherinnen und Verbraucher kritische und
preisbewusste Kunden, die nicht über den Tisch gezogen
und abgezockt werden wollen.
Das heute zu verabschiedende Telekommunikationsgesetz regelt nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Telekommunikationsbereichs, sondern
hat auch den Verbraucherschutz im Auge. Dies haben
wir im Gesetz an exponierter Stelle deutlich gemacht.
Wir haben damit gezeigt, dass die künstliche Trennung
zwischen so genannten Wirtschafts- und reinen Verbraucherschutzgesetzen der Vergangenheit angehört. Eine
aktive Verbraucherpolitik ist ein zentraler Baustein für
einen funktionierenden Wettbewerb. Diese Ansicht unterscheidet uns fundamental von der Opposition. Frau
Krogmann, in Ihrem Beitrag kam das Wort Verbraucherschutz nicht ein einziges Mal vor.
({0})
Ich gehe davon aus, dass die verbraucherpolitische
Sprecherin der CDU, Frau Heinen, diese Debatte am
Fernsehen verfolgt. Ich will nicht kritisieren, dass sie
nicht anwesend ist. Aber das zeigt, welchen Stellenwert
der Verbraucherschutz bei Ihnen hat.
Die Liberalisierung, die auf diesem Markt in den letzten Jahren stattgefunden hat, hat auch ihre Schattenseiten. Wo ein freier Markt herrscht, führt dies, gerade bei
technischen Neuerungen, auch zu Missbrauch. Telefonische Mehrwertdienste und Internetangebote werden zum
Teil genutzt, um in besonders dreister Weise an das Geld
der Kunden zu kommen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Weg hin zu einem verbesserten Verbraucherschutz, den wir im letzten Jahr beschritten haben, konsequent weiter beschritten.
({1})
Ich will das an sechs Punkten deutlich machen. Erstens. Die Befugnisse der Regulierungsbehörde werden
in Form einer Generalklausel auf alle Rufnummern ausgedehnt. Dies erlaubt bei veränderten Missbrauchstatbeständen ein zeitnahes und flexibles Handeln der Regulierungsbehörde. Das Ausweichen auf andere Nummerngassen
wird damit wirksam verhindert.
Zweitens. Details werden wir in einer noch zu erlassenden Nummerierungsverordnung und in der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung regeln. Dies
wird mit Zustimmung von Bundesrat und Bundestag geschehen.
Drittens. Die Regulierungsbehörde kann nicht nur gegen die missbräuchliche Nutzung aller Rufnummern einschreiten, sondern auch gegen Missbrauch durch Dialer
vorgehen.
Viertens. Der Mehrerlösabschöpfungsanspruch findet sich in § 41 des Gesetzes wieder. Mögliche Gewinne
bei Verstößen gegen Verfügungen der Regulierungsbehörde können abgeschöpft werden. Der Anspruch ist
klar gefasst und wird nicht mehr durch unbestimmte
Rechtsbegriffe relativiert. Er ist damit ein wirksames
Sanktions- und Präventionsinstrument.
Fünftens. Das Verbandsklagerecht der Verbraucherschutzverbände auf Unterlassung nach dem geltenden
Unterlassungsklagengesetz ist in den Gesetzentwurf aufgenommen worden.
Sechstens. In den Fragen der Fakturierung und des
Inkassos hat es eine sehr gute Vereinbarung zwischen
den beteiligten Unternehmen gegeben. Dies dient der
Rechtssicherheit, entspricht den Wünschen der Verbraucherinnen und Verbraucher und sichert so den Verbraucherschutz.
({2})
Der vor uns liegende Gesetzentwurf stärkt den Wettbewerb auf dem Telekommunikationsmarkt. Er beinhaltet ein schlüssiges Regulierungskonzept, stellt damit die
Weichen für Investitionen und Innovationen in diesem
Schlüsselbereich unserer Volkswirtschaft und stärkt den
Verbraucherschutz. Dieser Gesetzentwurf verträgt keine
politische Blockade. Das würde den Unternehmen schaden, die Schaffung weiterer Arbeitsplätze verhindern
und den Verbraucherinnen und Verbrauchern schaden.
Meine Damen und Herren, setzen wir gemeinsam auf
das Potenzial dieser Wachstumsbranche in Deutschland
mit einem hervorragendem Verbraucherschutz!
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Telekommu-
nikationsgesetzes, Drucksachen 15/2316 und 15/2345.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 15/2674, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsan-
träge der Fraktion der FDP vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
15/2684? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
15/2685? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei
Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt.
Nun bitte ich diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung mit der vom Berichterstatter vor-
getragenen Korrektur zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2686. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/2674 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung
der FDP angenommen.1)
Tagesordnungspunkt 17 b. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Arbeit auf Drucksache 15/2674 zu dem Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU mit dem Titel „Mehr Wettbewerb,
Wachstum und Innovation in der Telekommunikation
schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksa-
che 15/2329 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
1) Anlage 2
Präsident Wolfgang Thierse
die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP an-
genommen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 16 a und
16 b sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
16 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen
Kulturpolitik 2001
- Drucksache 14/9760 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen
Kulturpolitik 2002
- Drucksache 15/2258 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Griefahn, Eckhardt Barthel ({2}), Siegmund
Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje
Vollmer, Claudia Roth ({3}), Ursula Sowa,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Auswärtige Kulturpolitik stärken
- Drucksache 15/2659 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter
Nooke, Dr. Friedbert Pflüger, Bernd Neumann
({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stärken
- Drucksache 15/2647 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Lassen Sie mich zu Beginn drei Dinge feststellen:
Erstens. In kaum einem anderen, vielleicht in keinem
Bereich der Politik herrscht fraktions-, partei- und institutionsübergreifend ein derart solider Konsens wie in der
Frage nach dem Sinn und dem Wert der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik.
Zweitens. In keinem Bereich der Politik haben sich
die Ansprüche, die an ihn gestellt werden, in den vergangenen fünf Jahren derart rapide in geradezu Schwindel
erregende Höhen entwickelt wie in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik.
Drittens. Kein Bereich der auswärtigen Politik ist aber
in den vergangenen Jahren so beschämend vernachlässigt worden wie die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.
({0})
Die Ernsthaftigkeit des Themas und die bedrohliche
Lage, in die die Institutionen der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik geraten sind, und die weiteren Kürzungen, die Außenminister Fischer in der vergangenen
Woche im Ausschuss für Kultur und Medien ankündigte,
machen die heutige Debatte so wichtig. Wie in anderen
Bereichen rot-grüner Politik ist auch bei der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik ein krasses Missverhältnis
von der Ankündigung immer größerer Ziele einerseits,
aber immer weniger Realitätsbezug insbesondere zu den
Haushaltszahlen andererseits zu beklagen.
Vertrauen entsteht so nicht. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in den Institutionen in der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik werden verunsichert.
Schlimmer noch: Das Ansehen Deutschlands in der Welt
nimmt massiv Schaden. Wir reden bei der auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik von Mitteln, deren Höhe
zum Beispiel an den Tischen der Mautverhandlungen allenfalls Heiterkeit hervorrufen würde. Aber so, wie die
Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft sich mit
dem Mautdebakel international lächerlich machen,
({1})
machen wir den hervorragenden Ruf der Mittler der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in der Welt kaputt im Grunde für Peanuts.
Der Außenminister hat im Ausschuss für Kultur und
Medien in der vergangenen Woche in geradezu tränentreibender Weise erklärt
({2})
- hören Sie doch einfach einmal zu -, es würden weitere
Einschnitte auf die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zukommen. Er sagte wörtlich: Nicht nur ins Fleisch,
nein, diesmal „ins Mark“. Er sagte außerdem, dass er leider auch nichts dagegen tun könne. Der Außenminister
ist Vizekanzler und wohl immer noch eine ernst zu nehmende Stimme des grünen Koalitionspartners. Wer,
wenn nicht er, kann Prioritäten setzen?
({3})
Es besteht der Verdacht - hier spreche ich nicht nur
im Namen meiner Fraktion -: Dem Außenminister ist
die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik - freundlich
gesagt - nicht einen Pfifferling wert.
({4})
Um diesen Verdacht zu entkräften, wäre es besser gewesen, er hätte heute zu guter Debattenzeit selber das Wort
ergriffen. Herr Außenminister, es ist ja nicht nur die Opposition im Deutschen Bundestag, die Ihnen das sagt, lesen Sie die Zeitungen und vor allem: Lassen Sie Ihre eigenen Leute nicht im Stich; denen liegt wirklich etwas
an diesem Thema.
Über das, was die deutsche auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik jeden Tag auf der ganzen Welt leistet
- im Kleinen wie auch langfristig -, brauche ich hier keinen Vortrag zu halten. Auf ihre Unverzichtbarkeit ist
nicht nur in den vergangenen Tagen hingewiesen worden. Hier besteht, wie ich eingangs sagte, Konsens.
Wir haben unserem Antrag die Ziele und Leistungen
der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vorangestellt. Es geht um Interesse an Deutschland und um
deutsche Interessen. Es tut uns allen gut, wenn wir gute
Beziehungen zu unseren Partnern in der Welt haben.
Was über Jahrhunderte gewachsen ist, darf nicht aus
Desinteresse oder durch unüberlegte Pauschalkürzungen
- die gibt es übrigens auch bei Koch/Steinbrück - geopfert werden.
({5})
Wir brauchen auch gute Beziehungen zu denen, die vielleicht noch nicht so gute Partner sind, aber ein besonderes Interesse an Deutschland haben und diese Beziehungen ausbauen wollen.
Es geht bei der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik um Deutschland, um Kultur aus Deutschland, aber in
besonderem Maße auch um deutsche Kultur und um
Deutschland als Kulturnation in all ihrer Vielfalt. Es geht
um Informationen aus Deutschland, aber auch um Informationen in deutscher Sprache. Das Interesse an der
deutschen Sprache im Ausland ist oft größer als hierzulande. Deutsch hat in vielen Ländern große Chancen als
zweite Fremdsprache; deutsche Dichter und Philosophen
im Original zu lesen ist für viele noch ein großer Anreiz.
Es geht bei der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
um - ich nenne einen weiteren Punkt - die Darstellung
Deutschlands in der Welt als ein weltoffenes Land. Aber
es geht auch um die Einladung an die Welt, sich dieses
schöne Land vor Ort anzusehen.
All diese Punkte haben auch immense positive Auswirkungen auf langfristige Wirtschaftsbeziehungen
und damit auf den deutschen Anteil an internationalen
Märkten und an Märkten in Wachstumsregionen. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik soll nicht gemacht
werden, weil sie sich mittel- und langfristig rechnet.
Aber wenn sie den Außenminister schon nicht interessiert, sollte er wenigstens dieses Argument kennen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen kritischen Punkt ansprechen. Problematisch vor dem Hintergrund kontinuierlich zusammengestrichener Mittel ist
das in zunehmendem und erschreckendem Maße inhaltsfrei werdende Gerede vom Dialog der Kulturen, von der
Rolle der Kultur als Konfliktprävention. Der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik geradezu die Sicherung
des Weltfriedens aufzubürden ist nicht nur angesichts
der dürren Zahlen etwas vermessen, vielleicht sogar
abenteuerlich.
Der Anteil der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik am Gesamthaushalt - ich will das noch einmal nennen - hat mit derzeit 0,22 Prozent einen deprimierenden
Tiefstand erreicht.
({6})
Wir brauchen mehr Realismus und Pragmatismus, der
dem Auftrag der Mittler auswärtiger Kulturpolitik entspricht. Auf der dünnen Basis der genannten
0,22 Prozent ist langfristiges Planen kaum möglich. Projekte, die mit Sondermitteln realisiert werden, wie die
Stabstelle „Dialog mit der islamischen Welt“ können
nicht langfristig angelegt werden.
({7})
- Nein, das wurde nicht gesagt; die Mittel sind ja weg. Doch alle Erfahrung in der auswärtigen Kulturpolitik hat
gelehrt, dass nur in der Kontinuität der Erfolg liegt, dass
über lange Zeiträume hinweg Vertrauen aufgebaut werden muss und dass sich die Verlässlichkeit einer Partnerschaft erst nach vielen Jahren beweist.
({8})
Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit braucht gerade
beim interkulturellen Dialog Beharrlichkeit. Sie ist keine
schnelle Eingreiftruppe. Aus dem anfänglichen Scheitern eines begonnenen Dialogs darf nicht mit betriebswirtschaftlicher Logik der Abbruch der Beziehungen geschlussfolgert werden.
Die Anerkennung und der Ruf der Mittlerorganisationen sind hierzulande, wo die Einrichtungen häufiger im
Zusammenhang mit Haushaltskürzungen als im Zusammenhang mit ihren Projekten genannt werden, nicht annähernd mit dem Ruf zu vergleichen, den sie im Ausland
genießen. Dieser Ruf im Ausland wird in einem Maße
gefährdet, wie wir uns das in Deutschland oft gar nicht
vorstellen können.
Als Beispiel nenne ich die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die sich mit dem weltweiten Austausch
von Wissenschaftlern beschäftigt. Es mag sein, dass
manchem eine solche Einrichtung etwas zu gediegen erscheint. Wir brauchen in Deutschland aber nicht über
Eliten und Exzellenz zu reden, wenn wir im Rahmen der
auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nicht sicherstellen, dass ein internationaler, hochkarätiger Austausch
von Wissenschaftlern erfolgt.
({9})
Das wird gerne unterschätzt. Der Wissenschaftlertransfer auf höchstem Niveau ist von zentraler Bedeutung.
Wenn Deutschland mit seinen Spitzenwissenschaftlern
im Ausland nicht präsent ist, dann ist Deutschland auch
nicht attraktiv für Spitzenwissenschaftler aus der Welt.
Gleiches gilt übrigens auch für den Nachwuchs - für
Studenten und angehende Wissenschaftler - und für
Künstler.
Ich habe den Namen Alexander von Humboldt aber
auch noch aus einem anderen Grund genannt. Mitglieder
des Kulturausschusses konnten vor kurzem während einer Mexikoreise die außerordentliche Wertschätzung
Alexander von Humboldts erleben. Die Mexikaner verehren diesen Deutschen, der Mexiko 1803 mit einer Forschungsexpedition besuchte, präkolumbianische Kulturen erkundete und den Menschen dabei auf gleicher
Augenhöhe begegnete, fast als Nationalheiligen. Wenn
man in Mexiko hört, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung werde kaputtgekürzt, dann denkt dort niemand nur
an den Austausch von Wissenschaftlern, sondern viele
meinen dann, in Deutschland herrsche Kulturbarbarei.
({10})
Deutsche auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hat
noch - nicht nur in Mexiko - einen guten Ruf. Deutschland bekommt aber immer stärkere Konkurrenz. In
Deutschland wird das weniger bemerkt als vor Ort.
Großbritannien und Frankreich segeln zum Beispiel mit
enormem staatlichen Rückwind neben uns. Deutschland
hat dagegen permanent staatlichen Gegenwind. Das ist
absurd.
({11})
Um im Bild zu bleiben, wirft jetzt auch noch der stellvertretende Steuermann den Anker.
Ich will das Bild nicht überstrapazieren, aber doch
noch etwas aus dieser Woche berichten. Die Mitglieder
der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ waren am Montag Nachmittag beim Käpt’n im Schloss
Bellevue. Ich glaube, ich petze jetzt nicht und teile nicht
zu viel mit: Bundespräsident Rau hat bezüglich der Rolle
der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik eine ganz
andere Auffassung als Fischer. Er misst ihr eine sehr
hohe Priorität zu.
({12})
Bundespräsidenten haben ja bekanntlich durchaus entsprechende Erfahrungen, weil sie von der Welt und den
Deutschen in ihr ziemlich viel mitbekommen.
Noch einmal zum Antrag der SPD. Bezüglich der
Auslandsschulen ist Ihr Antrag völlig leer; Sie haben
diese ganz vergessen. Ich hoffe, Sie haben die Auslandsschulen nicht schon abgeschrieben; denn auch sie gehören zu diesem Komplex.
({13})
Ich will gar nicht erzählen, was Sie in Ihrem Antrag zum
Schulfonds schreiben, weil er nichts damit zu tun hat.
Die Auslandsschulen werden nämlich anders finanziert.
Mir geht es darum: Bildungspolitik ist in Ihrem Antrag schon im Titel weggekürzt worden. Wer kürzt, muss
wissen, was und wohin er will. Wir sehen keinerlei Konzept der Bundesregierung zu diesem Thema. Auch die
vorliegenden Berichte aus den Jahren 2001 und 2002 geben darüber keine Auskunft. Aus diesem Grund hat die
Unionsfraktion die heutige Debatte verlangt und ihren
Antrag vorgelegt. Der Katalog unserer Forderungen
kann nachgelesen werden. Er zeigt, dass wir mit der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im besten Sinne
noch viel vorhaben.
Der Koalition ist zu diesem Thema leider nicht sehr
viel - vor allem kein einziger konkreter Rat - eingefallen. „Neue Chancen ergreifen“, „neue Wege der Kooperation“, „neue Schwerpunkte“ - das alles klingt ungeheuer neu. Ich vermute aber, dass den Mittlern beim
Lesen ihres ziellosen und offenkundig völlig hilflosen
Textes das kalte Grauen überkommt. Ich fürchte, dass sie
alle Hoffnung fahren lassen werden, wenn sie lesen müssen, dass künftig „die Haushaltsmittel für die auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik nachhaltig zu gestalten“
sein werden. Für die unfreiwillige Komik werden die
Mittler kein Gespür mehr haben, eher für die offenkundige Hilflosigkeit der Formulierung. Haushaltsmittel
nachhaltig gestalten heißt doch nichts anderes, als ohne
Blick auf die Aufgaben der Mittler den Etat zu senken.
({14})
Am nachhaltigsten sind übrigens Nullansätze; denn
diese kann man bei Haushaltsberatungen nicht weiter
kürzen.
Das ist das Gegenteil von dem, was im Titel Ihres Antrags versprochen wird, aber um die Stärkung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik soll es bei der
Koalition offensichtlich gar nicht gehen. Ich zitiere noch
einmal aus Ihrem Antrag. Dort heißt es unfreiwillig offen:
AKP
- schon bei der Sprache wird gekürzt; gemeint ist die
auswärtige Kulturpolitik ist nicht nur komplementäres oder gar verzichtbares
Beiwerk …
Die Betonung liegt auf dem „nur“.
All das erinnert mich an Karl Valentin. Wie wäre es
mit einem anderen Antragstitel: „Mögen hätt’ ich schon
wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“?
({15})
Ich lade Sie ein, auf der Basis unseres Antrages im Ausschuss unser im Grunde gemeinsames Wollen zur wirklichen Stärkung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im Auswärtigen Amt und in der Welt zum
Ausdruck zu bringen.
({16})
Ich kann Ihnen nur zurufen: Wollen Sie nicht nur, sondern trauen Sie sich auch einmal.
Danke schön.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegin Monika Griefahn, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Besonders
willkommen heiße ich die ausländischen Gäste aus Peru.
Auch sie nehmen sehr aktiv an der auswärtigen Kulturpolitik teil.
Herr Nooke, wenn Sie davon sprechen, dass der
CDU/CSU die auswärtige Kulturpolitik so wichtig ist,
dann verstehe ich nicht, warum bis 1998 44 GoetheInstitute geschlossen werden mussten, darunter so wichtige wie in Hyderabad und Lahore, die wir heute mühsam wieder einrichten müssen, damit der Dialog in diesen Ländern tatsächlich stattfindet. Da stimmt doch
etwas nicht.
({0})
- Das ist das Problem.
Angesichts der 23 Nobelpreisträger der HumboldtStiftung ist für alle klar, dass dies zu dem Bereich Innovation gehört. Wie man weiß, wird Innovation von dieser Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen gefördert und umgesetzt.
({1})
Sie haben den Titel unseres Antrags kritisiert. Sie
wissen, dass es in der Regel in den Ländern Kultusministerien gibt, die für Bildung zuständig sind. Deswegen
umfasst die Kulturpolitik bei uns alles, was Kultur und
Bildung betrifft. Wir haben nicht den Anspruch gehabt,
heute auch noch den gesamten Etat von Frau Bulmahn
und andere Bereiche mitzubehandeln, sondern wir wollen heute über die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sprechen.
In Klassenräumen noch ohne Fenster sitzen 50 Mädchen in zwei Gruppen Rücken an Rücken, um zu lernen.
Sie lechzen nach Bildung. Ich spreche von der Situation
in Kabul im September letzten Jahres. Wie unser Islambeauftragter, Dr. Gunter Mulack, sehr richtig feststellte,
schaffen wir Demokratie und Menschenrechte in vielen
Ländern nur, wenn Mädchen und Frauen beteiligt sind.
Das geschieht nicht nur durch deutsche Schulen im Ausland, sondern auch durch von uns mit Projekten geförderte Schulen. Da setzen wir an.
Die Sprachenschule in Teheran ist mehr als ein Institut zur Vermittlung der deutschen Sprache. Es ist ein
Treffpunkt von Männern und Frauen, von Kreativen und
Kulturen. Da begegnet man sich. Diejenigen, die Reformen wollen und aufgeschlossen sind, haben die Möglichkeit, dort miteinander in Dialog zu treten.
In Lateinamerika genießen Deutschland bzw. Europa großen Respekt und Anerkennung. Bei unserem
Besuch - Sie haben Mexiko erwähnt - in den deutschen
Schulen in Arequipa, Lima und Mexiko-City wurde immer wieder gefragt, warum wir uns nicht noch intensiver
in Lateinamerika engagieren, da sich die Lateinamerikaner nicht ausschließlich auf die USA beziehen wollen.
Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass Europa bzw.
Deutschland dort einen guten Ruf hat.
Auch in Europa helfen neue Ideen und Bilder dabei,
gegenseitig Vorurteile abzubauen. Schauen wir uns in
Frankreich die Deutsch-Mobile oder in Deutschland die
France-Mobile an. Sie haben dazu beigetragen, dass die
Nachfrage nach Deutsch bzw. nach Französisch als
Fremdsprache hier wie dort einen Schub erhalten hat und
dass das Deutschlandbild in vielen Teilen Frankreichs
zumindest aktualisiert werden konnte. Sie sind ein großer Publikumserfolg, der auch mit dem Adenauer/deGaulle-Preis ausgezeichnet wurde. Auf diese Tradition
und diese neuen Aspekte können wir bauen. Das ist das,
was wir mit neuen Ansätzen meinen.
({2})
Wie Gunter Mulack feststellte, müssen wir noch stark
umsteuern, wenn wir insbesondere die Jugend in den
islamischen Ländern erreichen wollen. 50 bis 70 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre. Italien hat
aber genauso viele Goethe-Anlaufstellen wie der gesamte arabische Raum. Deshalb müssen wir Goethe-Institute verlagern und gleichzeitig neue Wege stärker
erschließen. Ich denke an Anlaufpunkte, Lesesäle, Informationszentren, Goethe-Zentren, aber auch an gemeinsame Sportaktivitäten. Mannschaftssport als Lernen für
die Demokratie, auch das ist sicherlich ein Weg, gerade
an junge Leute heranzukommen. Das ist eine neue Herangehensweise.
Jetzt kommen wir zum Hauptproblem, das wir vor
uns hertragen: das liebe Geld. Wir alle müssen sparen,
aber wir haben Prioritäten gesetzt: Zukunftsinvestitionen
und Bildung wollen wir nicht vernachlässigen und die
Mittel dafür nicht kürzen.
({3})
Das ist unser Ziel. Wenn uns aber das Geld fehlt, dann
müssen wir intelligenter mit dem wenigen Geld umgehen. Wenn es richtig ist, dass wir Bildung als Investition
betrachten - die Hauptmittel in der auswärtigen Kulturpolitik sind auch Bildungsmittel; betrachten Sie die
117 Auslandsschulen, die 126 Goethe-Institute weltweit
und die 30,5 Millionen Euro für den Studentenaustausch -, dann ist es auch richtig, zwei Schritte zu machen. Erstens. Wenn es Einsparungen, die wir alle tragen
müssen, geben muss, dann müssen diese aus dem Gesamthaushalt erwirtschaftet werden, nicht aus dem
Haushalt für die auswärtige Kulturpolitik. Da sind wir
uns einig.
({4})
Zweitens. Wenn wir innovative Wege gehen wollen,
dann müssen wir die Budgetierung, auch mit Deckelung, in den Institutionen der auswärtigen Kulturpolitik
einführen und die Mittel aus den Einsparungen, die
durch die Budgetierung erfolgen können, den Mittlern
für die Programmarbeit zur Verfügung stellen. Das ist
ein entscheidender Punkt.
({5})
Ein Beispiel: Es kann doch nichts dagegen sprechen,
dass ein Mittler mit den erwirtschafteten Budgetierungsrenditen ein preiswerteres Haus mietet und die eingesparten Gelder in Programme steckt. Das sind die zukunftsweisenden Perspektiven. Darin sind wir uns einig.
Wir müssen das nur umsetzen.
In den Kommunen und Ländern geht das auch. Wenn
eine Schule ein Energieeinsparungsprogramm beschließt, neue Fenster einbaut und die Schüler lehrt, wie
man richtig lüftet, dann ist es Usus, dass die eingesparten
Mittel zur Hälfte dem Investor, der diese Investitionen
abschreibt, und zur anderen Hälfte der Schule für Programmarbeit überlassen werden. Das streben wir bei den
Institutionen auch an.
Wenn man die Mittel für die Budgetierung deckelt,
dann spricht in meinen Augen nicht viel dagegen, das
auch auf Bundesebene so zu machen. Dann sind die
Leute vor Ort motiviert einzusparen. Dann fallen auch
die jährliche Hatz aufgrund der Kameralistik und das
Novemberfieber weg. Davon haben alle etwas und wir
sparen zusätzlich Geld. Das ist das Entscheidende.
Die Kultur- und Bildungspolitik ist ein zentraler Bestandteil der allgemeinen Außenpolitik und mehr als
nur die dritte Säule. Ihre Aufgaben werden noch zunehmen. Sie werden angesichts vielfältiger Konflikte auch
wichtiger. Wir können das in Afghanistan beobachten.
Der Aufbau bzw. der Erhalt von kultureller Infrastruktur
wird trotz der täglichen Existenzprobleme, die die Menschen haben, begeistert aufgenommen. Die Wiedereröffnung des Goethe-Instituts in Kabul im letzten September, die immense Nachfrage nach Deutschkursen und
das Lechzen nach Kultur sprechen Bände. Das dient
auch unserer Zukunft, denn wer, wenn nicht die jungen
Leute, sind die Träger von Sympathie und diejenigen,
die dann auch zu einem Studium nach Deutschland kommen? Sie tragen ihre Erfahrungen in ihre Gesellschaft hinein und sorgen dafür, dass Klischees abgebaut werden,
und geben damit etwas zurück. Damit helfen die kulturellen Programme, Herr Nooke, auch der aktiven Friedenskonsolidierung. Das kann man doch gar nicht bestreiten.
({6})
- Sie helfen mit, habe ich gesagt.
An diesen Beispielen sieht man deutlich, dass die
Ausgaben für Kultur beileibe keine Subventionen sind,
sondern eindeutig Investitionen in unsere Zukunft. Ich
glaube, dass wir die Mittlerorganisationen wie GoetheInstitut, DAAD, Institut für Auslandsbeziehungen und
Alexander-von-Humboldt-Stiftung, aber auch alle anderen, nicht einfach als Zuwendungsempfänger betrachten
dürfen, nur weil sie als eingetragene Vereine oder Stiftungen fungieren. Sie sind vielmehr - wie die Botschaften - wie eine nachgeordnete Behörde zu betrachten, die
Teil des Ministeriums ist. Von diesem Ansatz müssen
wir ausgehen. Aber wir haben uns bewusst entschieden,
dass sie sozusagen autonom handeln dürfen. Insofern
müssen sie anders organisiert werden.
Sie haben die Auslandsschulen angesprochen, Herr
Nooke, die uns selbstverständlich wichtig sind. Sie sind
uns zudem wichtig, weil sie Kindern, die sonst keine
Schulbildung bekommen könnten, ermöglichen, in deutschen Schulen unterrichtet zu werden und mit Menschen
aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen. In Südafrika zum Beispiel besuchen südafrikanische Kinder
aus den Problembereichen deutsche Schulen und erhalten dadurch bessere Bildungsmöglichkeiten.
Insofern vernachlässigen wir die Schulen mitnichten;
wir betrachten sie vielmehr als Begegnungsstätten. Das
ist ein entscheidender Punkt.
({7})
Wir haben jetzt weitere Kooperationen vorgenommen. Auch das ist eine neue Methode. Goethe-Institute
haben vor Ort gemeinsam mit anderen europäischen
Ländern - mit Frankreich, Spanien und England - Lesesäle eröffnet. Mit der Robert-Bosch-Stiftung werden dieses Jahr unter anderem in Rumänien weitere zehn deutsche Kulturzentren eröffnet. In Kooperation wird mehr
erreicht als im Alleingang.
Des Weiteren werden ehemalige Institute in Kooperation mit Städten oder Universitäten in Goethe-Zentren
umgewandelt. Das ist für Europa besonders wichtig, weil
immer wieder über Schließungen diskutiert wird. Wir
müssen aber keine Einrichtungen schließen, sondern wir
müssen die Entwicklung in Europa betrachten. Wir sind
ein vereintes Europa, in dem wir auch gemeinsam arbeiten müssen. Die eigentliche Arbeit der Goethe-Institute
muss in anderen Ländern, beispielsweise in arabischen
Ländern oder in Südamerika, durchgeführt werden. Vor
Ort in Europa sind andere Kooperationen zu gestalten,
die auch entsprechend kostengünstiger sind. Das ist klar,
weil es ein anderes System ist.
({8})
Dass wir den Vorschlägen im Koch/SteinbrückPapier zur auswärtigen Kulturpolitik nicht folgen wollen, ist klar.
({9})
Denn das würde neben der Schließung von acht bis
zehn Goethe-Instituten und der Streichung von rund
1 000 ausländischen Promotionsstipendien vom DAAD
bedeuten, dass bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung 300 ausländische Spitzenwissenschaftler wegfallen.
Diese Zahlen gelten pro Jahr! Dass wir das nicht wollen,
ist klar. Ich denke, wir arbeiten gemeinsam daran, dass
das nicht passiert.
({10})
Wir wollen auch nicht die Programmarbeit in Lateinamerika oder in Afrika - auch dieser Kontinent wird
leicht vergessen - zur Disposition stellen. Deswegen,
denke ich, müssen wir nach Wegen suchen. Ich habe die
Wege aufgezeigt. Wir werden sehen, wie wichtig die
Kulturarbeit noch wird.
Es wird immer wieder gefragt, wie man zum Beispiel
mit radikalisierten Islamisten Dialoge führen soll.
Zwar gibt es radikalisierte Menschen, mit denen keine
Dialoge möglich sind, aber es gibt auch eine große
Menge von Neugierigen, die aber eine gewisse Skepsis
aufweisen und mit denen die Dialoge zu führen und
Kontakte möglich sind. Diese Menschen müssen wir erreichen.
({11})
Wir sehen doch im Iran, in Indien, Indonesien und in anderen islamischen Ländern, dass es ein Bedürfnis nach
entsprechenden Kontakten gibt. Man kann doch nicht alles auf die kleine Schar von radikalisierten Islamisten reduzieren, sondern es gibt eine große Menge von Menschen, die an Deutschland und an Europa ein großes
Interesse haben, auch als Gegenpol oder Ergänzung zu
den Vereinigten Staaten. Darin liegt unsere Chance. Das
ist der aktive Beitrag zur Friedenssicherung, den ich für
sehr wichtig halte und von dem ich meine, dass wir damit sehr viel erreichen können.
({12})
Ich glaube, unsere Hauptaufgabe wird sein, gemeinsam die Anstrengung zu unternehmen, die Budgetierung
einzuführen, um einen flexibleren Umgang mit den vorhandenen Mitteln zu ermöglichen. Ich denke, dass wir in
unserem Ausschuss und in diesem Hohen Hause eine gemeinsame Position zur auswärtigen Kulturpolitik vertreten und sicherlich auch weiterhin konstruktiv an diesen
Fragen arbeiten werden.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile dem Kollegen Werner Hoyer, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen Staatsministerinnen, ich freue mich sehr,
Sie hier zu sehen, aber ich fände es noch besser, wenn der
Bundesaußenminister heute anwesend wäre und seine
Vorstellungen von der Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik zum Besten geben würde. Die beiden Gäste, die
er heute Morgen in dieser Stunde empfängt, hätten mit Sicherheit so viel Respekt vor dem Parlament, dass sie ihm
die Teilnahme an dieser Sitzung ermöglicht hätten.
({0})
Es ist für die auswärtige Kulturpolitik nie leicht gewesen, Mittel zu beschaffen, Geld locker zu machen. Es
hat auch immer wieder Rückschläge gegeben. Aber im
Großen und Ganzen ist es nach hartem Kampf eigentlich
immer wieder gelungen, der auswärtigen Kulturpolitik
einen angemessenen Platz im Bundeshaushalt zu verschaffen. So schwankte der Anteil der auswärtigen Kulturpolitik in der ersten Hälfte der 90er-Jahre stets um
2,6 Promille des Gesamtetats. Dieses Niveau zu halten
war keine Selbstverständlichkeit, sondern Kampf.
({1})
Aber seit 1999 geht es bergab. Der Anteil der auswärtigen Kulturpolitik am Gesamtetat liegt seither deutlich
unter 0,25 Prozent.
({2})
Der Anteil der auswärtigen Kulturpolitik am Gesamtetat
des Auswärtigen Amtes ist von einst 33 Prozent auf mittlerweile 25 Prozent gesunken.
Beim Schließen von Instituten gab es sehr schmerzhafte Entscheidungen, aber auch Fehlentscheidungen.
Ich denke an Reykjavik. Sie selber haben vorhin Beispiele genannt - Sie haben Italien angesprochen -, an
denen deutlich geworden ist, warum man in bestimmten
politischen Situationen umschichten muss.
Übrigens sollten wir auf der Mitgliederversammlung
des Goethe-Instituts am kommenden Montag noch einmal darüber reden, ob es tatsächlich richtig ist, zu sagen,
dass wir keine deutsche auswärtige Kulturpolitik innerhalb der Europäischen Union mehr brauchen, da Europa gänzlich vereint ist. Ich halte das für einen falschen
Ansatz.
({3})
Der Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, dass
der Kahlschlag in den nächsten Jahren noch verschärft
werden müsse. Christof Siemes hat vorgestern in der
„Zeit“ zu Recht beklagt:
Die auswärtige Kulturpolitik wird endgültig zugrunde gespart.
Dieser Kahlschlag hat einen Namen: Joschka Fischer.
({4})
Dem Bundesaußenminister kommt zwar der Spruch von
der auswärtigen Kulturpolitik als der dritten Säule der
auswärtigen Politik leicht über die Lippen. Aber er
kämpft nicht für ihre materielle Ausstattung. Er kämpft
hier nicht für sein Haus.
({5})
Wie ist es sonst zu erklären, dass schon bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss über die Koch/
Steinbrück-Liste zum Subventionsabbau klar war, dass
einige Ressorts, die durchaus auch auf dem Gebiet der
auswärtigen Kulturpolitik tätig sind, wie zum Beispiel
das Bundeskanzleramt und das BMZ, ungeschoren davonkommen, die Zuwendungsempfänger im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes aber voll betroffen sind,
und zwar auch dann, wenn sie systematisch überhaupt
nicht in die Liste der Subventionsempfänger hineinpassen.
Es ist schon absurd, dass Auslandsmedienarbeit,
wenn sie bei der Kulturstaatsministerin oder im BMZ
ressortiert, von den Kürzungen ausgenommen wird,
wenn sie aber beim Goethe-Institut zu Buche schlägt,
voll von der Kürzungskeule erfasst wird. Dabei war Herr
Fischer in seiner Eigenschaft als heimlicher Bundesvorsitzender der Grünen doch in den entscheidenden
Besprechungen der Parteivorsitzenden im Rahmen des
Vermittlungsverfahrens persönlich beteiligt. Er hätte
aufgrund guter Beratung seines Hauses wohl einigen
Unsinn verhindern können. Er hat darauf verzichtet und
übernimmt deshalb die Hauptverantwortung für eine außenpolitisch, kulturpolitisch und bildungspolitisch unverantwortliche Weichenstellung. Zu Recht schreibt der
„Tagesspiegel“ gestern:
Es ist … die alleinige Verantwortung des Außenministers, wenn er in seinem Haushalt die Kultur
überproportional zur Kasse bittet.
({6})
Es herrschte bis vor kurzem Konsens darüber, dass es
zweckmäßig ist, den Spagat zwischen Staatsnähe und
Politikferne der Kulturmittler dadurch zu erleichtern,
dass man diesen Bereich originärer staatlicher Tätigkeit
auslagert, rechtlich verselbstständigt und damit ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit schafft, aber natürlich ohne den Staat aus seiner Verpflichtung zu entlassen. Umgekehrt ist es daher durchaus
nachvollziehbar, dass die Mittlerorganisationen der
auswärtigen Kulturpolitik solidarisch ihren Beitrag zur
Haushaltssanierung leisten müssen. Sie tun dies auch.
Dementsprechend sind diese Organisationen auch von
den allgemein verordneten Stellenkürzungen betroffen.
Sie tragen seit mehr als zehn Jahren mit 1,5 Prozent Jahr
für Jahr zu den Stellenkürzungen bei und beteiligen sich
selbstverständlich auch daran, für das jeweilige Ressort
die globale Minderausgabe zusammenzukratzen. Übrigens, eine Fusionsrendite ist allerdings beim GoetheInstitut nie angekommen, wie das versprochen worden
war, als Goethe-Institut und Inter Nationes fusioniert
wurden. Es würde sich lohnen, auch über dieses Thema
noch einmal zu diskutieren.
Jetzt sollen aber die Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturpolitik doppelt zur Kasse gebeten werden: zuerst im Rahmen der allgemeinen Finanzmaßnahmen, von denen alle Bundesressorts und ihre
nachgeordneten Dienststellen betroffen sind, und dann
durch die besondere Berücksichtigung im Koch/
Steinbrück-Papier. Das ist unsachgemäß und unsystematisch. Das ist, wie heute die „Süddeutsche Zeitung“ zu
Recht schreibt, eine „intellektuelle Zumutung“.
Wenn der Begriff der Subvention irgendwo fehl am
Platz und der Begriff der Investition irgendwo angemessen ist, dann hier. Das meine ich nicht nur im wirtschaftlichen, sondern durchaus auch im politischen und kulturellen Sinne. Die auswärtige Kulturpolitik trägt nämlich
zum Erfolg der Friedenspolitik aktiv bei, sie steigert das
Ansehen Deutschlands in der Welt, sie fördert die wissenschaftliche Vernetzung unseres Landes, sie begründet
Freundschaften und Partnerschaften und - last, but not
least - flankiert sie eben auch die Außenwirtschaftspolitik unseres Landes.
Nach dem 11. September 2001 hieß es: Auswärtige
Kulturpolitik ist ein Instrument präventiver Konfliktentschärfung. Als es dann um die Verteilung der Antiterrormittel ging, war davon nicht mehr viel zu spüren.
({7})
Es macht keinen Sinn, einerseits von „Eliteuniversitäten“ zu schwadronieren und andererseits den internationalen Wissenschaftleraustausch lahm zu legen. Welch
ein horrender, welch ein grausamer Widerspruch!
({8})
Es ist uns im Kreise der Haushälter in den letzten Jahren gelungen, einige Aspekte der auswärtigen Kulturpolitik besonders hervorzuheben und neue Schwerpunkte
zu setzen. Wir Parlamentarier haben den Haushalt der
auswärtigen Kulturpolitik gegenüber dem Regierungsentwurf in den letzten Jahren deutlich erhöht, und zwar
vor allem, um der strategischen Rolle der deutschen
Auslandsschulen gerecht zu werden und um den Hochschulstandort Deutschland attraktiver zu machen. Ich
hoffe, die Gemeinsamkeit der Haushälter auf diesem Gebiet wird auch in diesem Jahr wieder dazu führen, dass
das Allerschlimmste noch verhindert werden kann. Es ist
allerdings wirklich an der Zeit, alle Alarmglocken zu
läuten; es ist fünf vor zwölf. Es kann noch etwas geschehen; das Schlimmste kann noch etwas entschärft werden.
Strengen wir uns alle gemeinsam dabei an!
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort für die Bundesregierung der
Staatsministerin Kerstin Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte und die jüngste Diskussion über Kürzungen
im Kulturhaushalt machen eines besonders deutlich
- Herr Nooke, da sind wir uns in der Tat einig -: Die
auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist vor allen Dingen angesichts neuer Bedrohungen mehr denn je ein unverzichtbarer Bestandteil einer umfassenden Außenund Sicherheitspolitik.
({0})
Das ist vor allem auf unseren sicherheitspolitischen
Ansatz - auch er ist inzwischen parteiübergreifend Konsens - zurückzuführen. Dieser Ansatz geht weit über militärisches Engagement hinaus: Es geht um politische,
ökonomische, gesellschaftliche und auch kulturelle Bedingungen und Entwicklungen, um dem komplexen und
multidimensionalen Charakter von Krisen und Konflikten Rechnung zu tragen. Dabei spielt gerade der Kulturdialog eine bedeutende Rolle. Ich möchte in diesem Zusammenhang drei Beispiele nennen:
Erstens. Den Kampf gegen den internationalen
Terrorismus werden wir nicht gewinnen, wenn wir ihn
nicht auch als kulturelle Herausforderung begreifen.
Deshalb ist es für unsere Außenpolitik von zentraler Bedeutung, dass wir mit der islamischen Welt den Dialog
über kulturelle Modernisierung suchen,
({1})
etwa um - Herr Nooke, darum geht es - jungen Menschen in den islamischen Ländern eine Perspektive, zum
Beispiel was Bildungschancen angeht, zu geben und um
ein Abdriften in den Extremismus zu vermeiden.
Zweitens. Auch in der Prävention und Bewältigung
von Krisen hat die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als Teil der Außenpolitik große Bedeutung gewonnen. Ob auf dem Balkan oder in Afghanistan: Was das
Auswärtige Amt und die Mittlerorganisationen dort leisten, ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Stabilisierung des
Friedens. So haben wir zum Beispiel in Afghanistan
- das war ein wichtiger Beitrag, mit dem wir dort vorangegangen sind - ein Goethe-Institut wieder eröffnet.
Drittens. Vergessen wir auch nicht: Wir erleben die
außenpolitische Bedeutung des Kulturdialogs seit Jahrzehnten in Europa; schließlich ist die Erfolgsgeschichte
der europäischen Integration nicht zuletzt ein Ergebnis
des intensiven Austauschs im Bereich Kultur und Bildung.
Herr Nooke, ich will Ihre Behauptung, es gebe keinen
Bereich, den wir so vernachlässigt hätten, hier ganz klar
zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Behauptung ist geradezu abwegig.
({2})
Wir leben aber nun einmal - das ist Ihnen möglicherweise entgangen, obwohl ich mir das nach den Debatten
über Maastricht gar nicht vorstellen kann - in Zeiten
knapper Kassen. Ich sage hier sehr deutlich: Die Solidarität gebietet, dass sich das Auswärtige Amt und auch
die Kulturmittler an Einsparungen beteiligen.
Etwas anderes sage ich hier auch ganz deutlich - da
scheint ja zumindest bei den Kulturpolitikern im Hohen
Hause Einigkeit zu bestehen -: Wir können es nicht hinnehmen, wenn in den Koch/Steinbrück-Vorschlägen
davon gesprochen wird, Ausgaben für die auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik seien Subventionen, die abgebaut werden müssen. Dazu kann ich nur sagen: Dieser
Subventionsbegriff ist absurd. Das hat der Außenminister auch an jeder Stelle von Anfang an sehr deutlich gesagt.
({3})
Der Kulturaustausch - Herr Kollege Hoyer, ich stimme
Ihnen zu - ist keine Subvention, sondern eine wichtige
Investition in die Zukunft. Es bringt uns überhaupt
nicht weiter, wenn solche Dinge als Subvention bezeichnet werden.
({4})
An etwas anderes möchte ich Sie jetzt aber auch erinnern, meine Damen und Herren von der Opposition:
Herr Ministerpräsident Koch ist meines Wissens noch
nicht Mitglied der Grünen geworden.
({5})
Die Koch/Steinbrück-Vorschläge wurden aber auch von
den Bundesländern, in denen Sie regieren und auch die
FDP mitregiert,
({6})
im Vermittlungsausschuss beschlossen. Tun Sie doch
hier nicht so, als trage dafür nur die Koalition oder gar
nur der Außenminister die Verantwortung.
({7})
Das ist nun wirklich völliger Blödsinn. Sie alle tragen
aufgrund der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses
dafür auch selbst Verantwortung.
({8})
Außerdem möchte ich Sie auch noch einmal an Ihre
steuerpolitischen Vorschläge erinnern, nicht nur an die
gerade von der CDU beschlossenen, sondern erst recht an
die von der FDP. Wenn diese steuerpolitischen Vorschläge realisiert würden, dann würden staatliche LeisStaatsministerin Kerstin Müller
tungen doch erst recht gekürzt. Dann würde wahrscheinlich gar nichts mehr für die auswärtige Kulturpolitik
übrig bleiben.
({9})
Ich finde es heuchlerisch, wenn man das in dieser Debatte nicht erwähnt. Deshalb können Sie sich das Gejammere auch wirklich sparen.
({10})
Jedenfalls hat sich Minister Fischer persönlich in der
Bundesregierung durch intensive Gespräche dafür eingesetzt, dass es keine weiteren Kürzungen in der auswärtigen Kulturpolitik mehr gibt.
({11})
Ich kann Ihnen heute die erfreuliche Mitteilung machen,
dass ich optimistisch bin, dass es uns gelingen wird, die
auswärtige Kultur- und Bildungspolitik weitgehend von
den Koch/Steinbrück-Kürzungen auszunehmen.
({12})
Auch im Haushaltsauschuss wurde gestern von den Koalitionsfraktionen ausdrücklich erklärt, dass Einsparungen in der auswärtigen Kulturpolitik vermieden werden
sollen. Das, meine Damen und Herren, ist, wie ich
glaube, eine gute Nachricht für die deutsche Außenpolitik.
({13})
Nun möchte ich noch etwas Versöhnliches sagen:
Dass wir uns in diesem Hohen Hause in der Frage der
Wichtigkeit der auswärtigen Kulturpolitik einig sind,
sieht man daran, dass unsere Auffassungen bezüglich
der Inhalte und Ziele der auswärtigen Kulturpolitik nah
beieinander liegen. Die heutige Debatte hat ja gezeigt,
dass wir uns fraktionsübergreifend im Grundsatz über
die große Bedeutung des Kulturaustausches als eines
zentralen Feldes der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik einig sind. Deshalb hoffe ich auch in Zukunft auf
Ihre Unterstützung, wenn es darum geht, gemeinsam
- das liegt in unserem Interesse und entspricht der Intention des Ministers - die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu stärken.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Klaus Rose,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer persönlichen Vorbemerkung: Von 1983 bis 1994 war ich Haushaltsberichterstatter für den Etat des Auswärtigen Amts
und auch Mitglied des Unterausschusses für auswärtige
Kulturpolitik, den es damals noch gab. Ich erinnere mich
gut daran, dass wir damals eine kämpferische Zeit hatten. Es gab Auseinandersetzungen um die politische und
manchmal auch ideologische Ausrichtung der dritten
Säule der bundesdeutschen Außenpolitik. Es gab Aufregung um die richtige Vermittlung des Deutschlandbildes
bzw. über die Vermittlung des richtigen Deutschlandbildes. In dieser Auseinandersetzung flogen manchmal die
Fetzen. Legendär ist inzwischen die Rede von Franz
Josef Strauß beim Goethe-Institut in München und die
Antwort des damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, an gleicher Stelle. Das
hat damals nicht geschadet. Da stand die auswärtige
Kulturpolitik im Mittelpunkt des deutschen Interesses.
Darum kümmerte sich auch der Außenminister persönlich, der heute wieder nicht anwesend ist.
({0})
Da waren viele Kräfte daran interessiert, dass es vorangeht. Heute plätschert alles so dahin und wir werden mit
Zahlen gefüttert, die hinten und vorne nicht stimmen.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich natürlich inhaltlich viel verändert, einerseits, weil die Zeit weniger
von Ideologie geprägt ist, andererseits wegen neuer technischer Möglichkeiten. Ich besuche jetzt wieder manchmal Goethe-Institute oder Auslandsschulen. Da merkt
man schon, dass da viel Neues entstanden ist. Es ist Gott
sei Dank von den Trägern und den Mittlerorganisationen
sehr gut aufgegriffen worden. Die neue Zeit ist genutzt
worden.
Eine weitere Veränderung hat sich aber leider wegen
schrumpfender Ressourcen ergeben. Geblieben ist die
Auffassung, dass die auswärtige Kulturpolitik im Rahmen einer auf Friedenserhaltung, Konfliktprävention
und Verwirklichung der Menschenrechte ausgerichteten Außenpolitik große Bedeutung hat und unverzichtbar
ist. Das kam heute mehrfach zum Ausdruck. An diesem
Punkt werden wir uns wahrscheinlich auch in Zukunft
gemeinsam treffen. Aber weil die auswärtige Kulturpolitik so wichtig ist, muss auch die Konsequenz gezogen
werden, dass mehr dafür getan wird.
({1})
Als Mitglied nicht des Ausschusses für Kultur und
Medien, sondern des Auswärtigen Ausschusses betone
ich: Die dritte Säule der Außenpolitik, nämlich unser
Kulturaustausch, hat nach dem 11. September 2001
eine zusätzliche Bedeutung gewonnen. Angesichts des
schlimmen Geschehens in Madrid wird es noch wichtiger werden, den Austausch zwischen den Kulturen in der
Welt zu fördern.
Ich möchte der Bundesregierung durchaus zugestehen, dass sie im Rahmen des neuen Kulturkonzepts
„Konzeption 2000“ bemüht ist, eine effektive auswärtige
Kulturpolitik zu betreiben. Gemessen an den hehren Tönen, die ich aus früheren Zeiten noch im Ohr habe, muss
ich aber feststellen: Erstens. Sie kochen nur mehr mit
Wasser, mit schalem Wasser. Zweitens. Die auswärtige
Kulturpolitik steht leider nicht mehr im Mittelpunkt des
politischen Ringens in Deutschland. Drittens. Der Ton
im Kampf um die Mittel wird wieder härter. Aber darüber freue ich mich, weil es absolut nicht falsch sein
muss, wenn man sich stärker einsetzt und wenn auf allen
Seiten gekämpft wird. Dabei können ruhig auch schärfere Töne fallen, Ihnen gegenüber sowieso, verehrte
Frau Staatsministerin.
({2})
Ich zeige Ihnen einmal die nackten Haushaltszahlen
auf und bitte Sie, sich das anzuhören, weil Sie nämlich
immer etwas anderes sagen oder um den heißen Brei herumreden. Die Haushaltszahlen stehen in Ihren Berichten. Von 2001 bis 2003 gab es eine Einsparung von circa
23 Millionen Euro. Der Bericht der Bundesregierung
von 2001 sagt selbst, was das bedeutet: „Einschnitte in
einigen Bereichen der Auslandskulturarbeit bis an die
Grenze dessen, was ohne Substanzverlust geleistet werden konnte“. Das ist euphemistisch, höflich beschrieben.
Die Wirklichkeit ist anders, vor allem jetzt im Jahr 2004.
Die Ankündigungen, die wir alle hören, deuten darauf
hin, dass wir bis zum Haushalt 2008 noch einmal
12 Prozent Kürzung bekommen. Ich glaube nämlich
nicht, dass sich Herr Fischer mit seinem Begriff von
Kultur - den ich bisher nicht so richtig kennen gelernt
habe - durchsetzen wird. 2008 ist er sowieso nicht mehr
im Amt, aber er wird sich auch vorher nicht durchsetzen.
Der Budgetanteil der auswärtigen Kulturpolitik am
Bundeshaushalt ist von 1993 bis 2004 von 0,27 Prozent
auf 0,22 Prozent zurückgegangen.
({3})
Das Auslandsschulwesen - von den 117 Auslandsschulen habe ich persönlich etwa 50 besucht und dort
Diskussionen geführt - muss mit rückläufigen Mitteln
auskommen. Der Schulfonds wird laufend verringert.
Ich will die Zahlen hier nicht erwähnen, aber sie sind
nachzulesen und nachweisbar. Es gibt kaum mehr eine
Schule, die nicht betroffen ist.
({4})
Sie können sich vorstellen, welche Freude in vielen Orten der Welt gegenüber Deutschland aufkommt. Man erlebt, wie sich die Kinder dort bemühen. Aber man hört
dauernd, wie schwierig es geworden ist. Sie haben stolz
Kabul erwähnt. Ich war bereits 1986 in Kabul am
Goethe-Institut. Dass wir jetzt wieder dorthin können,
haben wir unter anderem der NATO und der Bundeswehr zu verdanken. Was 1986 in Ihren Kreisen über die
NATO und die Bundeswehr geredet wurde, will ich
heute gar nicht erwähnen.
({5})
Aber dass Sie sich hier hinstellen, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition, und verkünden,
dass endlich wieder etwas geschehen sei, ist schon ein
bisschen seltsam.
Ich möchte auch die verdienstvollen Mittlerorganisationen wie den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und andere erwähnen. Sie
sind unendlich wichtig, weil sie ein Netzwerk von deutschem Kulturaustausch in aller Welt bilden und weil wir
auf ihnen aufbauen können; man weiß, welche Verbindungen man dort über Jahrzehnte haben kann. Früher haben wir diesen Organisationen empfohlen, sich zusätzlich zu staatlichen Geldern um Sponsoring zu bemühen,
um die Mittel zu erhöhen. Heute sind sie, weil die öffentlichen Mittel nicht mehr fließen, darauf angewiesen, sich
mit Wirtschaftsgeldern über Wasser zu halten. Das kann
doch nicht im Sinne einer Förderung der auswärtigen
Kulturpolitik sein. Ich höre geradezu die früheren FDPbzw. SPD-Kollegen Hamm-Brücher und Freimut Duve,
die noch gekämpft, sich aufgeregt und gefordert haben,
dass es mit der auswärtigen Kulturpolitik aufwärts gehen
müsse.
Herr Kollege Rose, Ihre Redezeit!
Die acht Minuten Redezeit, die mir zustehen, sind mit
Sicherheit noch nicht um.
Ich habe deswegen die vorgegebene Redezeit großzügig interpretiert.
Ich habe schon am Anfang meiner Rede gesehen, dass
eine Redezeit von sechs Minuten eingestellt war, obwohl
ich acht Minuten habe. Das ist für mich aber jetzt nicht
wesentlich.
Das Wesentliche ist, dass wir in den nächsten Monaten in den zuständigen Ausschüssen - vor allem im
Haushaltsausschuss - massiv für die auswärtige Kulturpolitik eintreten, Forderungen durchboxen und nicht nur
darüber reden. Ich sage noch einmal: Es dürfen ruhig
schärfere Töne anklingen; denn nur so fällt man auf. Ich
hoffe sehr, dass wir trotz aller Probleme, die es an anderer Stelle gibt, gut zusammenarbeiten.
({0})
Ich möchte zum Abschluss sagen: Wir sollten gemeinsam um die beste Lösung ringen. Wir werden Sie
natürlich auch weiterhin kontrollieren und aktiv werden,
wenn Sie nur reden und nicht handeln.
({1})
Lieber Kollege Rose, ich weise Sie darauf hin - das
wird Sie vielleicht trösten -, dass zwar die eingestellte
Redezeit eine andere als die von den Geschäftsführern
angemeldete war, dass aber die vom Präsidenten zugestandene Redezeit etwas mehr als die vorgesehene war.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Lothar Mark das Wort
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
heutige Debatte zur auswärtigen Kulturpolitik fällt in
eine Zeit, in der zu Recht mehrfach darauf hingewiesen
wurde, dass das Koch/Steinbrück-Papier auf die auswärtige Kulturpolitik genauso wenig angewandt werden
dürfe wie auf die Binnenkultur.
({0})
Investitionen in die Kultur - auch das haben wir
mehrfach gehört - sind keine Subventionen. Sie sind
rentierliche Investitionen in die Zukunft, die dazu beitragen, das Bild Deutschlands als einer Kultur- und Bildungsnation in der Welt zu verbreiten und zu festigen.
Letztendlich sind sie aber auch wirtschaftsfördernd.
Die heute hier vorliegenden Anträge, die sich für eine
Stärkung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
aussprechen, sind zunächst einmal zu begrüßen; denn sie
bestätigen die Bedeutung, die das Parlament der Kultur
beimisst.
Als Außenpolitiker und Berichterstatter der SPDFraktion für den Haushalt des Auswärtigen Amtes habe
ich natürlich zwei Seelen in meiner Brust. In den Haushaltsdebatten im Jahr 2003 hatte ich mich angesichts der
starken Kürzungen, denen sich auch das Auswärtige
Amt unterwerfen musste, dafür ausgesprochen, aufgrund
der wachsenden Anforderungen an die deutsche Politik
in der Welt dieses Amt von weiteren gravierenden Kürzungen auszunehmen. Dieser Appell galt insbesondere
bezüglich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik,
der gerade im Bereich Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Stärkung der Zivilgesellschaft, aber auch bei
der Stärkung des europäischen Integrationsprozesses besondere Verantwortung zukommt.
({1})
Angesichts der schwierigen Haushaltslage sehe ich
mich als Haushälter aber auch vor Sachzwänge gestellt,
die Parlament und Bundesregierung zum Sparen zwingen. Immer stärkeren Anforderungen an die deutsche
Außenpolitik steht ein immer knapperes Staatsbudget
gegenüber. Hier sind seit Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahr 1998 kluges Handeln und Abwägen
erforderlich. Ich begrüße deshalb auch, dass im Haushaltsausschuss kürzlich Einigkeit wenigstens darüber erzielt werden konnte, dass das Auswärtige Amt durch
Umschichtungen im eigenen Einzelplan selbst entscheiden kann, wie die Koch/Steinbrück-Millionen erwirtschaftet werden sollen. Ich schließe mich aber ausdrücklich dem Wunsch des Bundesaußenministers an, dass
diese Mittel im Haushaltsvollzug zu erbringen sind,
wenngleich auch hier allgemein die Spielräume sehr eng
sind.
Ich freue mich, Frau Staatsministerin, dass anscheinend noch gelungen ist, neue Wege für die Reduktion
der Summen, die im Koch/Steinbrück-Papier stehen, zu
finden.
({2})
Nur, man muss, um dies letztendlich beurteilen zu können, wissen, wie hoch die geforderten Beträge sein werden.
In beiden Anträgen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ausgaben für die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik in den letzten zehn Jahren kontinuierlich
zurückgegangen sind und nun bei 558 Millionen Euro
liegen, was circa 26 Prozent des Gesamthaushaltes des
Auswärtigen Amts entspricht.
Aufgrund der in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion
geäußerten Behauptung, kein Bereich der auswärtigen
Politik sei in den vergangenen Jahren so vernachlässigt
worden wie die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik,
sehe ich mich gezwungen, auf einige Erfolge im Bereich
der AKBP hinzuweisen. Auch weise ich dezidiert darauf
hin,
({3})
dass sich einige der in Ihrem Antrag genannten Zahlen,
Herr Nooke, nicht nachvollziehen lassen. Im letzten Jahr
konnten die Mittel für Stipendien- und Wissenschaftsprogramme mit 132 Millionen Euro im Vergleich zu 1993 einen nominalen Zuwachs verzeichnen.
Der Prozess der Schließungen von Goethe-Instituten
konnte gestoppt werden; darauf hat Monika Griefahn
hingewiesen. In Kabul wurde eine neue Zweigstelle eröffnet. In Schanghai, Teheran und Algier werden weitere
Eröffnungen folgen, sobald die politischen und technischen Umstände dies gestatten.
Mit dem Ziel der Stärkung des europäischen Integrationsprozesses in den Erweiterungsstaaten der EU
wurden im Haushalt 2004 Gelder bereitgestellt, um gemeinsam mit der Bosch-Stiftung neue Kulturzentren aufzubauen.
Vor dem Hintergrund der internationalen Bedrohung
durch Terror hat das Auswärtige Amt 2002 und 2003
jeweils circa 5 Millionen Euro in den europäischislamischen Kulturdialog investiert. Davon werden im
Jahr 2004 fast 1 Million Euro allein in die kulturelle Zusammenarbeit mit dem Irak investiert.
Auf die Situation in Afghanistan ist mehrfach hingewiesen worden; ich muss dies nicht wiederholen.
Die Deutsche Welle wurde im letzten Jahr zusätzlich
mit 1,2 Millionen Euro gefördert, um die Programmarbeit in Afghanistan zu verstetigen. Auch in diesem Jahr
sind erneut 600 000 Euro zusätzlich bewilligt worden.
Dies sind Investitionen in den Aufbau der Zivilgesellschaft, die zugleich der Vermittlung unserer demokratischen Werte in einer Krisenregion dienen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich kündige hier aber gegenüber der Deutschen Welle an, dass ich vehement gegen
die Einstellung des Spanischprogramms protestieren
werde,
({5})
weil ich denke, dass dies kontraproduktiv im Hinblick
auf die Politik ist, die wir ansonsten vertreten.
Beim Auslandsschulwesen konnten 2004 Kürzungen
verhindert werden. Ich glaube, dass dies angesichts des
allgemeinen Kürzungstrends, der stattfand, bereits ein
Erfolg war. Bei aller berechtigten Kritik, dass hier weit
mehr Finanzmittel erforderlich seien, haben die Sparzwänge der letzten Jahre doch auch dazu geführt, auch in
der auswärtigen Kulturpolitik Innovationen und neues
Denken zu befördern. Ich verweise auf die vor zwei Jahren begonnene Reforminitiative des Auswärtigen Amts,
die auf mehr Effizienz, mehr Eigenverantwortung, flexiblere Strukturen und modernes Personalmanagement
ausgerichtet ist. Die Mittlerorganisationen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben bewiesen, dass
sie Kosten senken, Stellen einsparen und Ressourcen zugunsten neuer Aufgaben und Initiativen verlagern können. Ich halte es deshalb für falsch, dass eine solche
Strategie, die vielerorts eine hohe Effizienzrendite erbringt, nicht belohnt werden soll.
({6})
An dieser Stelle wiederhole ich mein seit langem vertretenes Credo für eine volle Budgetierung zunächst der
Haushalte der einzelnen Kulturmittler, die im Ausland
Aufgaben des AA übernehmen.
({7})
Meines Erachtens sollte in einem nächsten Schritt, der
gut vorbereitet werden muss, das gesamte Auswärtige
Amt budgetiert werden,
({8})
wobei weitere Ministerien folgen sollten. Die Budgetierung wird zu mehr Flexibilität, zur Hebung der Eigeninitiative und Eigenverantwortung sowie zu weiterer Effizienzsteigerung beitragen.
({9})
Meine Kollegin Monika Griefahn ist bereits auf das
Thema Budgetierung eingegangen. Das jetzt geplante
Pilotprojekt des Goethe-Instituts in Italien ist ein wichtiger, wenn auch nach meiner Auffassung zu kleiner
Schritt in die richtige Richtung.
({10})
Die erwirtschaftete Effizienzrendite sollte zur Motivationssteigerung deshalb zumindest teilweise - ich
meine aber: überwiegend - den Mittlern der auswärtigen
Kulturpolitik belassen werden.
({11})
Dies ist eine wesentliche Forderung in unserem Antrag.
Als Haushälter muss ich aber wiederum den Gesamthaushalt im Auge haben. Der andere Teil der Einsparung
muss dem Finanzministerium zugute kommen. Hier unterscheidet sich unser Antrag von dem der Opposition.
Da diese keine Regierungsverantwortung trägt, kann sie
verbal großzügiger sein. Dazu sage ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition: Wären Sie in Ihrer
Regierungszeit gewissenhafter mit dem Staatsbudget
umgegangen, stünden wir heute nicht vor diesem riesigen Schuldenberg bzw. den exorbitant hohen Zinszahlungen, die uns in allen Politikfeldern die Grenzen aufzeigen.
({12})
Tatsächlich verringerte sich der Anteil des auswärtigen Kultur- und Bildungshaushalts an den gesamten
Ausgaben des Bundes von 0,26 Prozent auf circa
0,22 Prozent im Jahr 2004. Eine neuerliche Anhebung
ist aber das Ziel und deswegen sind die Haushalts- und
Finanzreform und viele andere Dinge in der Diskussion.
Bezüglich der angeblichen Halbierung der Mittel für
die Sprachförderung, von der in Ihrem Antrag die Rede
ist, möchte ich darauf hinweisen, dass es sich dabei um
ein von 1993 bis 1995 befristetes Sonderprogramm handelte. Es wurde von vornherein festgelegt, dieses Programm wieder aufzugeben. Wie Sie darauf kommen,
dass die Mittel für die Programmarbeit von 118 Millionen Euro im Jahr 1993 auf nun 51 Millionen Euro reduziert wurden, erschließt sich mir ebenfalls nicht.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Um versöhnlich zu schließen, lassen Sie mich sagen,
dass die Forderung des CDU/CSU-Antrags nach einer
Bündelung der Haushaltstitel zur auswärtigen Kulturpolitik in einem Ressort gerade auch vor dem Hintergrund des Gesagten auf meine volle Sympathie stößt.
Meine Vorstellungen dazu habe ich in meiner Rede zum
Haushalt vom November 2003 dargelegt. Dieses Thema
sollten wir bei den vor uns liegenden Berichterstattergesprächen gemeinsam aufgreifen.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund meiner Ausführungen bitte ich Sie um die Zustimmung zum
Antrag der Regierungskoalition.
Vielen Dank.
({0})
Wenn im Übrigen die Haushälter bei den anstehenden
einschlägigen Beratungen mit den Zuwachsraten für die
Kulturpolitik ähnlich großzügig verfahren wie der Präsident bei der Zuweisung der Redezeiten, wäre ein beachtVizepräsident Dr. Norbert Lammert
licher Teil der Probleme gelöst, die von allen Rednern
beklagt werden.
({0})
Nun hat die Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.
Bundesminister Struck hat gestern die Bundeswehr
als die größte Friedensbewegung im Land bezeichnet.
Darüber gab es schon einige Verwunderung. Ich habe in
der Debatte um die Bundeswehrreform einen Vorschlag
zur Finanzierung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gemacht: Herr Struck gibt aus seinem 24 Milliarden Euro umfassenden Haushalt 115 Millionen Euro ab,
um die Schließung von Goethe-Instituten im Ausland zu
verhindern.
({0})
Der bayerische Staatsminister Thomas Goppel will
bei den Ausgaben für die Kultur im Inland kürzen, um
die Kultur im Ausland zu finanzieren. Das finde ich
nicht sinnvoll. Ich halte es auch für wenig überzeugend,
wenn der Außenminister die Kürzungen bei den GoetheInstituten, den Promotionsstipendien und den ausländischen Spitzenwissenschaftlerinnen und Spitzenwissenschaftlern mit den Schwächen des Föderalismus begründet.
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf
Zimmermann, sagte völlig zu Recht:
Der deutsche Föderalismus mag für viele Unwägbarkeiten in der Kulturpolitik verantwortlich sein,
an der Haushaltspolitik des Auswärtigen Amtes
trägt er nun wirklich nicht die Schuld.
({1})
Die von Bundesminister Fischer geplanten Kürzungen
gefährden bis zu 20 Goethe-Institute, 1 000 Promotionsstipendien sowie die Förderung von 300 ausländischen
Spitzenwissenschaftlern.
({2})
- Ich komme darauf gleich zu sprechen.
Bei meiner gestrigen Kritik an den Kürzungen gab es
den Zwischenruf eines grünen Kollegen: Koch und
Steinbrück sind nicht die Bundesregierung. Augenscheinlich kennen auch die Mitglieder des Haushaltsausschusses nicht das Schreiben - vielleicht haben sie es
auch vergessen - des Staatssekretärs aus dem Finanzministerium, Herrn Diller, in dem er uns klipp und klar,
schwarz auf weiß mitteilt, dass es eine Protokollerklärung der Bundesregierung gibt, in der sie sich verpflichtet, die Koch/Steinbrück-Initiative zum Subventionsabbau auch in diesem Bereich umzusetzen. So steht es
darin. Wenn Sie das korrigieren wollen, wünsche ich Ihnen dabei viel Erfolg.
Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie stellen nun einmal auch die Bundesregierung und tragen für
die Umsetzung dieser Subventionsabbauliste und damit
auch für die zukünftige Schließung von Goethe-Instituten und für die Streichung von Promotionsstipendien die
Mitverantwortung.
Ich finde es verwunderlich, dass die Ausgaben für
auswärtige Kulturpolitik und auch für die Stiftung Wissenschaft und Politik plötzlich als Subventionen betrachtet werden. Insofern schließe ich mich all denen, die
das hier auch kritisiert haben, an. Ich hoffe nur, dass Sie
Ihre Kritik auch entsprechend in der Realität umsetzen
können.
Wenn die Ausgaben für die auswärtige Kulturpolitik
als Subventionen betrachtet werden, dann liegt es in der
Logik der Sache, dass auch die Ausgaben für die Rüstungsprogramme der Bundeswehr als Subventionen betrachtet und damit in den Subventionsabbau einbezogen
werden müssen.
Als fraktionslose Abgeordnete hat man in diesem
Haus nicht wirklich Vorteile. Doch ein Vorteil ist nicht
zu überschätzen: Man gerät nicht in die Gefahr, sich nur
mit einem Fachgebiet zu beschäftigen. Man muss sich
mit allen Facetten der Politik der Bundesregierung befassen. Tag für Tag bin ich mehr darüber entsetzt, dass
hier wirklich nichts zusammenpasst. Der Bundeskanzler
hat noch vor ein paar Wochen das Jahr der Innovation
verkündet und heute reden wir darüber, dass für junge
Nachwuchswissenschaftler 1 000 Promotionsstipendien
pro Jahr wegfallen sollen. Das ist weder zukunftsweisend noch innovativ. Das müssen Sie ändern.
({3})
Ich erteile der Kollegin Vera Lengsfeld, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ein großzügig bemessener Etat für die auswärtige
Kulturpolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich dazu beigetragen, das reichlich ramponierte Ansehen Deutschlands als Industrie- und Kulturnation in
der Welt wiederherzustellen. Trotz dieser unbestreitbaren Bedeutung und des Erfolges der auswärtigen Kulturpolitik für den Standort Deutschland ist, Frau Staatsministerin Müller, tatsächlich kein Bereich der
auswärtigen Politik in den vergangenen Jahren so vernachlässigt worden wie gerade die auswärtige Kulturund Bildungspolitik.
Ich finde es bezeichnend, dass unser Außenminister
von nationaler Kultur- und Bildungspolitik als der dritten Säule der auswärtigen Politik nicht viel hält. Wie
könnte er sonst solch drastische Kürzungen im Etat zulassen?
Sie haben hier mit bewegten Worten die Haushaltsnotlage für die Kürzungen verantwortlich gemacht.
Schauen Sie sich aber den Haushalt Ihres Hauses und die
von Ihnen zu verantwortenden Kürzungen einmal genau
an. Dann werden Sie feststellen, dass unter Ihrer Verantwortung der Anteil der auswärtigen Kulturpolitik am
Gesamtetat des Auswärtigen Amtes von 33 Prozent auf
25 Prozent gesunken ist.
({0})
Dafür sind Sie, der Außenminister und Ihr Haus verantwortlich, niemand sonst.
({1})
Jetzt kündigt der Außenminister weitere Sparmaßnahmen in seinem Kulturetat an, obwohl das Engagement
des Bundes für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik bereits heute unter den Stand der alten Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung gefallen ist. Das ist
wirklich ein Armutszeugnis.
Im Übrigen muss ich auch feststellen, dass es sich
während der Zeit der Regierung Kohl der Außenminister
sowieso, aber auch der Bundeskanzler niemals nehmen
ließen, bei den Debatten über auswärtige Kulturpolitik
anwesend zu sein.
({2})
Das zeigt, welche Prioritäten die Regierung Kohl gesetzt
hat. Wir sehen jetzt an den gähnend leeren Plätzen auf
der Regierungsbank, welche Prioritäten diese Regierung
setzt.
({3})
Damit korrespondiert, dass der Anteil der Mittel für die
auswärtige Kulturpolitik am Gesamtetat mit derzeit
0,22 Prozent einen bisher nie dagewesenen Tiefstand erreicht.
Eine Folge der kontinuierlichen Kürzungen ist, dass
sich zum Beispiel die Mittel für die Sprachförderung
halbiert haben. Eine weitere Folge ist, dass die Mittel für
die allgemeine Programmarbeit, die das Bild prägen soll,
das von der Kultur Deutschlands im Ausland besteht,
von 118 Millionen Euro auf 51 Millionen Euro reduziert worden sind. Betroffen von den Sparplänen sind
neben dem Goethe-Institut auch der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Alexander-von-HumboldtStiftung. Davon war schon die Rede. Aber ich denke,
man kann nicht oft und nicht nachdrücklich genug darauf hinweisen, noch dazu in Anbetracht der Aussicht,
dass diese Etats bis 2007 um ein weiteres Drittel gekürzt
werden sollen und es zu den Aufgaben des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes gehört, viel versprechende Studenten und Wissenschaftler im Ausland zu
fördern und mehr ausländische Studenten und auch
Lehrkräfte für die hiesigen Universitäten zu interessieren
und sie nach Deutschland zu holen.
Mit dem derzeitigen Gerede vom Bildungsstandort
Deutschland oder dem erklärten Willen zur Eliteförderung, die Sie propagiert haben, meine Damen und Herren von der Koalition, hat das alles nichts zu tun. Wort
und Tat passen nicht zusammen. Man kann nicht den
Bildungsstandort Deutschland fördern wollen und
gleichzeitig die Ausgaben für die auswärtige Bildungspolitik zurückfahren. Ausnahmsweise schließe ich mich
hier einmal dem Argument meiner Kollegin von der
PDS an.
({4})
Ich muss nicht wiederholen, was sie zu den drastischen
Kürzungen der Stipendien gesagt hat. Es ist immer die
Krux für die letzten Redner, dass viele Argumente von
den Vorrednern schon gebracht worden sind. Aber dieses
Argument ist tatsächlich so wichtig, dass man darauf
noch einmal hinweisen muss.
Frau Kollegin Lengsfeld, bevor Sie jetzt der Versuchung erliegen, die Übereinstimmung mit der PDS breit
auszuwalzen, Vera Lengsfeld ({0}):
Nein, so weit geht meine Übereinstimmung mit der
PDS nun wirklich nicht.
- muss ich Sie darauf hinweisen, dass dafür keine Redezeit mehr zur Verfügung steht.
Gut, dann sage ich den berühmten letzten Satz: Wir
brauchen keine Greencard, sondern ein Marketing für
ein modernes Deutschland als Wirtschafts- und als Bildungsstandort; denn internationale Firmen und Studierende aus dem Ausland kommen am liebsten in ein
Land, von dem es in der Welt ein positives Bild gibt.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
Ende der Debatte sage ich zunächst: Ich bin heilfroh um
den Zeitpunkt dieser Debatte. Ich bin auch heilfroh um
den Alarm in allen Stellungnahmen - da spielt jeder
seine Rolle - und um den öffentlichen Druck, den es gegeben hat; denn es war wirklich Gefahr im Verzuge.
({0})
Ich will aber nicht verkennen, dass am Anfang dieser
Gefahr ein wirklich unglaublicher Skandal steht; einige
haben schon darauf hingewiesen. Wie jemals die auswärtige Kulturpolitik oder überhaupt die Kulturpolitik
als Subventionstatbestand in die Vorschläge von Koch
und Steinbrück kommen konnte, das lässt einen wirklich
zweifeln, mit wie wenig kulturellem Verständnis man in
diesem Land Ministerpräsident werden kann.
({1})
Das ist ja nun schön aufgeteilt: zwischen Herrn Koch
von der CDU und Herrn Steinbrück von der SPD.
Im Protokoll wird festgehalten, wo gerade geklatscht
worden ist, damit es hier keinen Zweifel gibt.
({0})
Das zeigt aber nicht nur, dass die beiden Ministerpräsidenten und alle, die ihrem Papier später zugestimmt
haben, wenig kulturelles Verständnis haben, sondern
auch, dass sie sehr wenig Verständnis dafür haben, in
welchem Land sie leben und welche Rolle die deutsche
Kulturpolitik bzw. Kulturlandschaft in der Welt spielt.
Man kann sich ja an vielen Punkten fragen, ob wir
frühere Spitzenstellungen noch innehaben. In der Wissenschaft haben wir keine Spitzenstellung mehr, die wir
noch am Anfang des Jahrhunderts hatten. Bei den Universitäten haben wir keine Spitzenstellung mehr. Auch
in der Wirtschaft, der Automobil- und der Schwerindustrie hatten wir Spitzenstellungen. Ebenso hatten wir - jedenfalls im Eindruck der Welt - Spitzenstellungen, was
die Disziplin unserer Beamten und die Pünktlichkeit der
Deutschen Bundesbahn angeht.
Vieles davon wird heute infrage gestellt. Aber unbestritten in der ganzen Welt gilt: Egal was man sucht - ob
es um Musik- oder Theaterveranstaltungen, die Opernlandschaft, das Konzertpublikum, Freundeskreise von
Kulturinstitutionen oder Ähnliches geht -, man findet es
in Deutschland. All das ist bei uns einzigartig in der
Welt.
({0})
Wegen dieses Rufes unserer Kulturlandschaft kommen vermehrt Menschen nach Deutschland. Sie kommen zu uns, um sich ausbilden zu lassen; denn nirgendwo sonst gibt es solche Ensembles, in denen man
das ganze kulturelle Spektrum - von der Klassik bis zur
Avantgarde - lernen kann. Aber sie kommen auch, weil
sie dahinter ein anderes Modell von Deutschland sehen.
Das bietet uns die unglaubliche Chance, zwischen den
unterschiedlichen Charakteren westlich geprägter Demokratien differenzieren zu können.
Das möchte ich auch in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung der auswärtigen Kulturpolitik betonen. Viele
kommen auch zu uns, um das Modell einer stabilen Demokratie mit einem großen Stellenwert der Kultur kennen zu lernen. Sie kommen aber auch nach Deutschland
- deswegen sollten wir die inhaltlichen Schwerpunkte
nicht nur bei den klassischen Themen setzen -, um Institutionenlehre zu erfahren. Gerade die Demokratien, die
noch gefährdet sind und sich als instabil verstehen, wollen lernen, wie es ein Land geschafft hat, aus einer Zeit
der weltweiten Verachtung und des Totalitarismus zu einer solch stabilen, ausgewogenen, föderal aufgebauten
und kulturell bewussten Nation zu werden.
({1})
Auch das muss ein Inhalt sein. Dafür müssen wir den
Menschen Möglichkeiten geben.
({2})
Übrigens kommen sie auch wegen eines Rufes zu uns,
den wir alle nicht geschaffen haben, sondern der von
unseren Vorfahren kommt: weil sie in Deutschland immer noch das Land von Goethe und Alexander von
Humboldt sehen. Diese Einschätzung ist weltweit ungefähr zur Hälfte auf beide Personen verteilt.
Alexander von Humboldt gilt als eine vollkommen
moderne Persönlichkeit, als wissenschaftsorientiert, als
Weltbürger, als jemand, der multilateral denken konnte
und der - ob er nun in Lateinamerika oder in Sibirien
war - niemandem das Gefühl gegeben hat, in einem Entwicklungsland zu sein, das sich erst noch auf die Höhe
des Weltbewusstseins erheben muss. Er reiste mit einer
unglaublichen Neugier. Genau das ist die Haltung, die
die Menschen bei uns suchen. Genau das können wir
auch vertreten. Ich frage mich sowieso, warum wir nicht
begreifen, dass Bach und Beethoven, Goethe und
Alexander von Humboldt - auch für unsere Wirtschaftsund Außenpolitik - das größte Kapital sind, das wir haben.
({3})
Eine kleine Ergänzung in Bezug auf die Neustrukturierung der auswärtigen Kulturpolitik. Wir sind ja
dazu übergegangen, nicht nur die großen und manchmal
schwerfälligen Goethe-Institute in das Zentrum der
Außenpolitik zu stellen, sondern gerade auch die Länder
zu berücksichtigen, die traditionell eine sehr enge Beziehung zu Deutschland haben. Das sind oft kleinere
Länder wie Vietnam, Laos, Nepal, Kambodscha und
Guatemala. In diesen Ländern besteht eine alte, traditionsreiche Liebe zu Deutschland, die mit den genannten
Bildern von Goethe, Humboldt, Mercedes und den Grünen verbunden ist.
({4})
Es ist klar: Es gibt auch einen weltweiten Kampf um
die Eliten der Welt. Natürlich kämpfen auch die USA
- berechtigt und mit ihrer fundierten Spitzenstellung um sie. Gerade in kleineren Ländern gibt es aber ein unglaubliches Potenzial an Freundschaft und Interesse sowie den Wunsch nach dauerhafter Zukunftsverbindung
mit unserem Land. Wenn wir darauf nicht antworten
könnten, würden wir sehr kurzsichtig denken.
Noch ein Letztes zum Thema Subvention: Wenn der
Subventionsbegriff von Koch/Steinbrück ernst genommen wird, dann ist auch Sozialhilfe eine Subvention,
dann ist auch Kindergeld eine Subvention. Das heißt,
dann ist der Kern von Politik - wenn sie überhaupt nur
Geld in die Hand nimmt - immer verbunden mit Subventionen, die zu kürzen sind. Das wäre ein Offenbarungseid für die Politik, weil man dann nämlich gar
nichts mehr gestalten könnte. Das ist eine intellektuelle
Dämmerung; da ist nicht die Eule der Minerva am Fliegen, sondern da sind alle Katzen grau.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Ich erlaube mir den ganz unparteiischen Hinweis,
dass dann, wenn im Deutschen Bundestag im Ganzen
die heute von allen Fraktionen vorgetragenen Auffassungen über den Stellenwert der Kultur im Allgemeinen und
der auswärtigen Kulturpolitik im Besonderen so geteilt
werden, niemand dieses Haus daran hindern kann, auch
in Zeiten knapper Haushaltsmittel die Prioritäten so zu
setzen, wie das heute Morgen vorgetragen wurde.
({0})
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 15/2258, 15/2659 und 15/2647 sowie der
Vorlage aus der 14. Wahlperiode auf Drucksache 14/9760
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur
Emission von Treibhausgasen ({1})
- Drucksache 15/2328 ({2})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen ({3})
- Drucksache 15/2540 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
- Drucksachen 15/2681, 15/2693 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Dr. Reinhard Loske
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
seit dreieinhalb Jahren Mitglied dieses Parlaments, aber
ein solches Affentheater, wie es CDU und CSU beim
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz in den letzten Tagen veranstaltet haben, ein solches Ränkespiel von Parteitaktik hätte ich nicht für möglich gehalten.
({0})
Was die CDU/CSU macht, ist absolut beschämend und
ein weiterer Beitrag zum Ansehensverlust des deutschen
Parlaments.
Im Fachausschuss verweigert sich die CDU/CSU der
inhaltlichen Beratung. Dort wird die Beratung durch
eine Vielzahl - zum Teil wissentlich unsinniger - Geschäftsordnungsanträge verzögert. Im Plenum werden
unkollegial zustande gekommene und unbegründete Geschäftsordnungsanträge gestellt. Ich sage Ihnen: Ich
hätte glatt den Glauben an das deutsche Parlament verloren, wenn nicht - das ist sehr schön - einige Kollegen
der CDU/CSU zu mir gekommen wären und gesagt hätten, auch sie finden das Verhalten Ihrer Fraktionsspitze
peinlich.
({1})
Es geht heute um eine ganz andere Frage. Beim
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz werden die Methoden geregelt, nach denen Unternehmen die Berechtigung zur Emission von Treibhausgasen erhalten. Die
Überwachung, Abrechnung und die Handelsmethoden
für Emissionsberechtigungen werden im TreibhausgasEmissionshandelsgesetz geklärt. Dafür hatte die Bundesregierung einen unbürokratischen und kostengünstigen Vorschlag gemacht. Übrigens liegt dieser Vorschlag
bereits heute in abgeänderter Form - dazu komme ich
gleich - auf dem Tisch, obwohl die dazugehörige Richtlinie erst seit wenigen Wochen in Kraft ist. Für die Leistung, das so schnell umzusetzen, möchte ich mich bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beiden
schwerpunktmäßig beteiligten Ministerien bedanken,
natürlich auch bei denen aus den anderen Ministerien.
({2})
Das ursprünglich von der Bundesregierung vorgeschlagene Konzept für das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz war in allen Punkten überzeugend. Es setzte
auf eine kleine Anzahl zusätzlicher Mitarbeiter, die die
Vergabe und Abrechnung der Emissionsberechtigungen
kontrollieren sollten. Die Kontrolle der Anlagen sollte in
einem Zug mit ohnehin stattfindenden Anlagenüberprüfungen durch die Bundesländer erfolgen.
Unbürokratisch und kostengünstig war dieser Vorschlag. Experten nannten ihn vorbildlich. Auch die Unternehmen, also die, die über Gebühren dafür zahlen
müssen, was an Handelsmöglichkeiten, Kontrollmöglichkeiten und Personal vorgesehen ist, waren mit dieser
Version eines Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes
einverstanden. Dieser Vorschlag stand völlig außerhalb
des parteipolitischen Streits. 15 von 16 Landesumweltministern haben diesem Konzept ihre Zustimmung gegeben, weil sie es für unbürokratisch und kostengünstig
hielten.
({3})
Alle CDU-regierten Bundesländer haben diesem Konzept zugestimmt. Diese Zustimmung ist übrigens in den
Protokollen der Umweltministerkonferenz zu lesen.
Leugnen ist also zwecklos.
Was ist eigentlich zwischen der damaligen Zustimmung zum Konzept und dem Affentheater der letzten
Tage passiert? Warum schreibt der umweltpolitische
Sprecher von CDU/CSU, der Kollege Paziorek - sonst
ein sehr umgänglicher Mensch -, auf einmal Pressemitteilungen voller Unwahrheiten und Verfälschungen? Die
Antwort ist so einfach wie deprimierend: Die Zustimmung in einer Fachfrage durch die Fachminister passt
nicht in das parteipolitische Konzept der CDU/CSUSpitze.
({4})
Selbst bei einem Thema wie dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, bei dem es um Klimaschutz, Produktionsbedingungen und um die Kosteneffizienz für unsere
Unternehmen geht, wird von der CDU/CSU eine Verwirrungs- und Verunsicherungsstrategie einer fachlich guten
Lösung vorgezogen. Das bleibt beschämend.
CDU/CSU behaupten, SPD und Grüne hätten den Gesetzentwurf kurz vor Schluss noch einmal grundsätzlich
verändert. Die Zahl der neu zu schaffenden Stellen
werde steigen, in Zukunft seien zwei Kontrollen pro Anlage notwendig und auch die Gebühren für die Unternehmen würden steigen. So lautet der Vorwurf an die Koalition. Dieser Vorwurf, dass dort etwas geändert wird,
stimmt. Ja, wir mussten kurzfristig etwas ändern. Wir
mussten an einem unbürokratischen und kostengünstigen Verfahren Änderungen vornehmen.
Das kostengünstige und unbürokratische Verfahren
war eine Zusammenarbeit zwischen Bundesländern und
Bundesebene. Wir mussten nach der auf einmal stattfindenden Rücknahme der Zustimmung der CDU/CSU
einen reinen Bundesvollzug machen. Das heißt, die alleinige Verantwortung für diese zusätzlichen Kosten und
diese zusätzliche Bürokratie liegt bei CDU und CSU.
Das muss öffentlich gesagt werden.
({5})
Kurz vor Abschluss der Beratungen haben die CDUregierten Länder die Zustimmung ihrer eigenen Fachminister zurückgezogen, ohne dafür einen einzigen fachlich belastbaren Punkt zu nennen. Erst kurz vor Abschluss der Beratungen wurde diese Zustimmung der
Fachminister zurückgezogen und ein Modell vorgeschlagen, das in der Kürze der Zeit überhaupt nicht mehr umzusetzen wäre. Denn der Emissionshandel wird beginnen müssen. Die Zuteilung wird stattfinden müssen. Wir
können nicht wieder von vorne anfangen, wenn man
vorher signalisiert hat, dass wir ein gemeinsames Modell
wollen.
({6})
Das heißt, Sie zwingen die Koalition, das kostengünstigste und das unbürokratischste Verfahren nicht einzuführen, sondern ein - natürlich immer noch im Rahmen
der Möglichkeiten - so gutes Verfahren wie möglich mit
möglichst wenig Stellen und möglichst wenig Kosten,
aber in einem reinen Bundesvollzug durchzuführen. Für
diese kurzfristigen Veränderungen tragen alleine Sie die
Verantwortung. Von daher kann ich dieses Gejammere,
dass Sie erst kurz vor Schluss Änderungsanträge bekommen haben, nicht akzeptieren. Das muss ich Ihnen einfach sagen: Wer einen dazu zwingt, der muss auch nach
19 Uhr bei der Arbeit bleiben und über Änderungsanträge nachdenken. Ich habe kein Verständnis für Ihre
Probleme.
({7})
Ich habe als Berichterstatter der SPD-Fraktion für
diesen Bereich begonnen, Wirtschaftsverbände und Unternehmen darüber zu informieren, welche finanziellen
und organisatorischen Belastungen durch diese parteipolitisch motivierten Spielchen von CDU/CSU auf sie zukommen werden. Sie können mir glauben, diese Unternehmen und Verbände sind sehr interessiert daran, zu
erfahren, wer ihnen diese zusätzlichen Lasten ohne Not
auferlegt hat. Die CDU/CSU wird in den nächsten Tagen
noch einiges von diesen Unternehmen und Verbänden zu
hören bekommen. Denn in Zukunft werden sich diese
Unternehmen für Emissionen doppelt kontrollieren lassen müssen. Die Verantwortlichen dafür sitzen im
Konrad-Adenauer-Haus. In Zukunft werden diese Unternehmen höhere Gebühren als ursprünglich geplant für
Emissionszertifikate zahlen müssen.
({8})
Die Verantwortlichen dafür heißen Angela Merkel,
Friedrich Merz und Peter Paziorek.
Wir werden nicht nur den Unternehmen, sondern
auch der Bevölkerung deutlich machen: Emissionshandel ist ein sinnvolles Instrument für den Klimaschutz.
Ohne die parteipolitischen Spielchen der CDU/CSU
hätte er noch unbürokratischer und kosteneffizienter als
mit der heute zu verabschiedenden Lösung eingeführt
werden können. Diese Chance haben Sie im Bundesrat
verspielt. Leider hat Ihre Bundestagsfraktion einfach
mitgezogen, anstatt dem Bundesrat auch einmal ein
deutliches Nein zu sagen. Schade, dass Sie nicht in der
Lage waren, auch einmal über den eigenen parteitaktischen Schatten zu springen. Sie haben eine Chance vertan.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz hat in den letzten Tagen einschneidende Änderungen erfahren.
({0})
Praktisch über Nacht wurden der geplante administrative
Aufbau völlig neu gestrickt und eine Bundeszuständigkeit eingeführt.
({1})
An Ihrer mangelnden Wertschätzung gegenüber dem
Parlament haben Sie auch dieses Mal keine Zweifel gelassen, Herr Trittin. Es ist nicht nur unprofessionell, sondern auch respektlos, so weit reichende Änderungsanträge erst um 19 Uhr abends vor der abschließenden
Beratung an das Parlament zu überstellen.
({2})
Ihre Entscheidung, die 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung in das TEHG zu integrieren, kann ich indes
auch nicht nachvollziehen, Herr Trittin. Haben Sie die
Folgen, die Ihre Beschlüsse haben, bedacht?
({3})
Wissen Sie, was diese Entscheidung letztes Endes bedeutet? Sie bedeutet: Erstens. Sie haben die Bundesratsbeteiligung ausgehebelt. Das mag für Sie erfreulich sein.
Ob Ihnen dieser Schachzug aber wirklich etwas nützt,
steht noch gar nicht fest. Zweitens. Sie schaffen Bürokratie und schädigen damit den Standort Deutschland.
({4})
Drittens. Sie verursachen unnötige Kosten im Bundeshaushalt.
Natürlich missfällt es Ihnen, dass die Bundesländer
ihr verfassungsmäßiges Recht wahrnehmen, über die
34. Bundes-Immissionsschutzverordnung zu beraten;
denn Sie möchten die Fäden beim Emissionshandel in
der Hand behalten.
({5})
Wenn Sie die Vollzugszuständigkeit jetzt aber einer Bundesbehörde wie dem Umweltbundesamt zuweisen, dann
wird den Landesbehörden eine originäre Zuständigkeit
entzogen.
({6})
Ein Gesetz, durch das die Zuständigkeit der Länder
beschnitten wird, ist aber selbst zustimmungsbedürftig.
So steht es im Grundgesetz. Auch wenn Sie die 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung in ein Bundesgesetz
aufnehmen, befreit das nicht von der Zustimmungsbedürftigkeit.
({7})
Obwohl der Nutzen Ihrer Überlegungen sehr zweifelhaft ist, muten Sie dem Land einen weiteren Anwuchs
von Bürokratie und Kosten zu.
({8})
Den unter dem Gesichtspunkt des Bürokratieabbaus ohnehin schon problematischen Emissionshandel blähen
Sie durch die ausschließliche Vollzugszuständigkeit des
Bundes weiter auf. Neben den zahlreichen bestehenden
Genehmigungen müssen die Unternehmen jetzt noch
eine weitere beantragen und dafür ein aufwendiges Genehmigungsverfahren durchlaufen. Sogar Anlagen, die
schon seit Jahren genehmigt und in Betrieb sind, brauchen jetzt eine neue, zusätzliche Genehmigung.
Wie schwerwiegend diese Entscheidung tatsächlich
ist, zeigt die Tatsache, dass die deutschen Wirtschaftsverbände sofort reagiert haben. Sie haben sich schriftlich
an die Fraktionsvorsitzenden gewandt und um die Einführung eines akzeptablen und optimierten Verwaltungssystems gebeten. Mit Ihren Änderungen bewirken Sie
das Gegenteil. Anstatt das Emissionshandelssystem
möglichst schlank auszugestalten und bestehende Behördenstrukturen weitestgehend zu nutzen, bauen Sie neue
Strukturen auf.
Frau Kollegin Dött, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kelber?
Ja, klar.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Wir sind der gleichen
Meinung, dass die ursprüngliche Version besser war.
Können Sie meine Ausführungen von vorhin bestätigen, dass die Umweltministerkonferenz - also die Bundesländer - der vom Bundesminister vorgeschlagenen
Version erst zugestimmt und dann ihre Zustimmung vor
kurzem wieder zurückgezogen hat?
Tatsache ist, Herr Kelber, dass die Umweltministerien
der Länder dem Prinzip des Emissionshandels im TEHG
und der damit verbundenen Abwicklung auf Länderebene zugestimmt haben. Um dieses Prinzip aber auszugestalten, musste die 34. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, BImSchV, eingeführt und auf
Bundesebene beraten werden. Die dazugehörige Ausstattung der entsprechenden Behörden hat auch etwas
mit Geld zu tun. Darüber wurde weiter beraten. Man sah
sich in der kurzen Zeit auch aufgrund des finanziellen
Umfanges, nicht in der Lage, zu einem Abschluss zu
kommen. Daraufhin ist die Beratung vertagt worden.
Diese Vertagung hat dann das Bundesministerium
zum Anlass genommen, um quasi über Nacht einen Vorschlag aus der Schublade - ich habe darauf schon in meiner letzten Rede hingewiesen - herauszuholen und vorzulegen. So etwas können wir nicht gutheißen; denn die
Umweltprüfung gehört in die Länder und nicht auf Bundesebene. In den Ländern existieren bereits Strukturen,
die man weiter ausschöpfen könnte. Deswegen, Herr
Kelber, finden wir die Art und Weise, wie hier vorgegangen wurde, nicht richtig. Auch die Tatsache der Ansiedlung auf Bundesebene finden wir zu bürokratisch, weil
dadurch neue Strukturen geschaffen werden, und zu
teuer; darauf gehe ich gleich noch einmal ein.
({0})
- Reicht Ihnen das? Gut.
({1})
Dass die Wirtschaftsverbände die Situation genauso
einstufen, wie ich es gerade erklärt habe, zeigt deren
schnelle Reaktion und die Bitte um Einführung eines akzeptablen und optimierten Verwaltungssystems. Diese
Strukturen, die jetzt aufgebaut werden, bewirken genau
das Gegenteil. Es ist keine schlanke Ausgestaltung, wenn
eine weitere Behörde geschaffen werden muss. Die Verfahren hätten bei den Landesimmissionsschutzbehörden
gebündelt und der administrative und finanzielle Aufwand hätte minimiert werden können. Stattdessen werden jetzt neue zusätzliche Kosten beim Umweltbundesamt und damit beim Bund entstehen.
Die zentrale Vollzugszuständigkeit ist umständlich
und eine gesamte neue Genehmigungsbehörde muss geschaffen werden. Dazu kommt die Überwachung und
Kontrolle. Rund 2 300 Anlagen, verteilt über die ganze
Bundesrepublik, sind zu betreuen: in einigen Regionen
mehr, in anderen weniger. Das bedeutet auch, dass Kontrollen vor Ort durchgeführt werden müssen. Wie dies
effizient und unbürokratisch durch eine zentrale Behörde
geschehen soll, ist mir nicht ersichtlich. Das mag zwar
bei Ihnen so sein, Herr Kelber, aber bei mir nicht. Es bedarf daher zusätzlichen Personals. Die 39 Stellen, von
denen Sie sprechen, sind eher unrealistisch. Die Grundlagen dieser Schätzung haben Sie uns bisher nicht offen
gelegt. Wie viele zusätzliche Stellen es aber auch sein
mögen, sie belasten in jedem Fall den Bundeshaushalt.
Am Mittwoch im Ausschuss konnte Staatssekretär
Baake keine Angaben darüber machen, wie die Finanzierung aussehen soll. Der Verweis auf die gebührenfinanzierte Deckung taugt nicht, solange es keine Gebührenordnung gibt.
({2})
Mit zusätzlichen Kosten und zusätzlicher Bürokratie
schaffen Sie nicht die Voraussetzungen, die ein Land benötigt, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein.
Das Märchen, Herr Trittin, vom marktwirtschaftlichen
Instrument lassen sich die Anlagenbetreiber in Deutschland auch nicht mehr erzählen; Sie haben es gestern auf
dem Energieforum erlebt. Die Nachteile der rot-grünen
Version vom Emissionshandel sind viel zu offensichtlich. Die Begriffe, auf die es beim TEHG ankommt, sind
in Ihrer Version eben nicht Marktwirtschaft und Handel,
wie Sie es uns immer wieder weismachen wollen. Die
entscheidenden Worte sind bei Ihnen doch Zuteilung,
Plan und Cap.
Mit dem TEHG, aber vor allem mit dem Nationalen
Allokationsplan planen Sie weit reichende dirigistische
Eingriffe, die ein ordnungspolitisches Instrumentarium
bei weitem übertreffen. Die deutsche Industrie und die
deutsche Wirtschaft werden diese Eingriffe bitter zu spüren bekommen. Die Effekte auf den Arbeitsmarkt und
auf die Arbeitslosenzahlen, die jeden Monat gemeldet
werden, sollten Sie nicht unterschätzen.
Das Szenario sieht so aus: Die produzierende Industrie, die dem Emissionshandel direkt unterliegt, wird zusätzliche Kosten entweder über die Produktpreise weitergeben oder die Produktion verlagern oder zurückfahren
müssen. Die Verdrängung der Produktion bedeutet
auch die Verdrängung von Arbeitsplätzen. Doch damit
nicht genug. Es folgt noch ein ganzer Rattenschwanz
weiterer Betroffenheiten. Wenn sich ein Produkt oder ein
Rohstoff verteuert, hat das auch negative Auswirkungen
auf die weiterverarbeitenden Anwender. Auch diese
Branchen werden mit den steigenden Preisen zu kämpfen
haben.
({3})
Auch diese Branchen werden dann personelle oder
standortmäßige Konsequenzen ziehen.
All die angeführten Faktoren waren bei der Entscheidung über den Bundesvollzug zu bedenken und gegeneinander abzuwägen.
({4})
- Das können Sie so schnell? Aha. - Auf der einen Seite
steht die missliebige Beteiligung des Bundesrates an der
Gesetzgebung, wobei der Nutzen bzw. das Ziel, dieses
Verfassungsorgan auszuschalten, äußerst zweifelhaft ist.
({5})
Auf der anderen Seite stehen hohe Kosten und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Also: Auf der einen Seite steht der Wunsch nach
einem reibungslosen Gesetzgebungsverfahren, auf der
anderen Seite stehen Zukunft und Arbeitsplätze.
Die Bundesregierung ist zu dem Schluss gekommen,
dass es wichtiger ist, ein unbequemes Rädchen im föderalen Getriebe auszuschalten, als an die Zukunft unseres
Landes zu denken.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist doch traurig, mit anzusehen, was aus einer Partei geworden ist, die 1990 beschlossen hat, den CO2-Ausstoß
bis 2005 um 25 Prozent zu senken,
({0})
die einmal einen Umweltminister namens Klaus Töpfer
hatte und die einmal eine Umweltministerin hatte, deren
Namen mir im Moment entfallen ist, die sich 1997 in
Kioto für das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls eingesetzt hat. Diese Partei verfährt heute in Sachen Umweltpolitik nur noch nach der Strategie: verhindern, verzögern, verschleppen. Das ist wirklich beschämend.
({1})
Sie können Klimapolitik nicht nach dem Motto betreiben: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!
Das geht nicht. Ich glaube langsam, dass das Zitat zutrifft: Sie schlagen den Emissionshandel, aber Sie meinen in Wahrheit den Klimaschutz insgesamt. Das muss
man in der Deutlichkeit sagen.
({2})
Ganz generell zu unseren Grundsatzpositionen in Sachen Emissionshandel: Wir haben es heute mit einer Debatte zu tun, in der es um ein Mittel geht, nicht um ein
Ziel. Wir reden also über eine Ziel-Mittel-Relation. Das
ist ein sehr wichtiges Mittel, dessen Anwendung uns Expertinnen und Experten seit Jahren empfehlen und das
darin besteht, dass der Staat die Ziele festlegt und die
Akteure, also vor allem die Unternehmen, mehr Freiheit
bei der Zielerreichung bekommen. Insofern haben wir es
hier mit einem Instrument zu tun, das nicht nur seit langem gepredigt wird, sondern offenkundig auch eine
Menge Vorzüge hat.
Die Anforderung, die wir an den Emissionshandel
stellen, ist: Wir wollen ein Instrument, mit dem wir Klimaschutzziele sicher erreichen, das Anreize für frühe
Modernisierungsinvestitionen schafft, das einfach handhabbar, transparent und vor allen Dingen nicht missbrauchsanfällig ist. Das ist ganz wichtig. Wir wollen ein
Instrument, das im Gegenzug ordnungsrechtliche Detailsteuerungen überflüssig macht, also sich am Ziel des Bürokratieabbaus orientiert. Das ist unser Fokus, mit dem
wir an dieses Gesetz herangehen, das von vielen Umweltökonomen - ich sagte es bereits - empfohlen worden ist. Insofern geht es hier wirklich um eine sehr
grundsätzliche Frage.
Auch die Sektoren, die nicht am Emissionshandel beteiligt sind, also Verkehr, Privathaushalte und Gewerbe,
müssen ihre Ziele erbringen. Deswegen haben wir in
dem Gesetz noch die Klarstellung vorgenommen, dass
die Ziele, die von den Emissionshandelssektoren erbracht werden, in einem angemessenen Verhältnis zu
den Zielen in den anderen Sektoren stehen. Denn klar
ist: Ohne Klimaschutz im Verkehr, in den Privathaushalten und im Gewerbe kommen wir nicht ans Ziel.
({3})
Ein weiterer Punkt, den wir im Gesetzentwurf klargestellt haben, ist die Einbeziehung der so genannten Instrumente Joint Implementation und Clean Development Mechanism. Bei diesem Mechanismus geht es im
Prinzip darum, dass ein Teil der eingegangenen Verpflichtungen zum Klimaschutz auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen, beispielsweise durch Modernisierungsinvestitionen in Kraftwerke oder neue Technologien
in Mittel- und Osteuropa oder auch in Entwicklungsländern, erfüllt werden kann.
Wir erwarten, dass die Europäische Union in wenigen
Wochen dazu abschließend eine Richtlinie - eine so genannte Verbindungsrichtlinie - vorlegt. Sobald diese
Richtlinie vorliegt, wollen wir sie unter Beteiligung des
Parlaments miteinbeziehen, damit unsere Unternehmen
in Deutschland diese Instrumente nutzen können. Auch
das ist eine wichtige Präzisierung im Gesetz, die wir
jetzt vorgenommen haben.
Zum Gesetzentwurf selber: Er ist ein erster Schritt zur
Einführung des Emissionshandels und stellt gewissermaßen die Rechtsgrundlage für den Emissionshandel dar.
Das Gesetz regelt Fragen der Zuteilung, des Handels, der
Sanktionen und der institutionellen Zuständigkeiten. Zu
der hier schon heiß diskutierten Frage des Bundes- oder
Landesvollzugs ist von Ulrich Kelber bereits das Notwendige gesagt worden.
Die ganzen Spielchen im Bundesrat haben dazu geführt, dass wir jetzt vollständig auf Bundesvollzug umstellen. Die Verantwortung dafür liegt - das wurde bereits ausgeführt - bei der Union. Allerdings will ich das
nicht ganz so dramatisch darstellen wie meine Vorredner. Ich glaube, es gibt durchaus auch gute Gründe für
einen reinen Bundesvollzug, zum Beispiel, dass die Zuteilung und die Sanktionierung einheitlich erfolgen. Dadurch werden Wettbewerbsverzerrung und die Entstehung von Schnittstellen verhindert. Dadurch wird
Klarheit gewährleistet. Außerdem werden die alten ordnungsrechtlichen Strukturen praktisch komplett verlassen. Auch scheint sich der zusätzliche Mittelbedarf beim
UBA in Grenzen zu halten.
Insofern ist der Gesetzentwurf, der heute verabschiedet werden soll und dem wir zustimmen werden, in der
Tat nicht unser Vorschlag gewesen. Aber wir können damit leben. Wenn dieses Thema später in einem unechten
Vermittlungsverfahren oder wo auch immer wieder aufgerufen wird und wir zur alten Regelung zurückkehren,
so werden wir dem nicht entgegenstehen. Das heißt, Ihre
Obstruktionsstrategie wird sich sicherlich nicht auszahlen.
Interessant ist auch, dass die Industrie zunächst zwei
oder drei Wochen stillgehalten hat. Jetzt erhalten wir
Briefe, in denen die vorgesehenen Regelungen abgelehnt
werden. Wir werden sicherlich eine sachgerechte Lösung finden.
Erlauben Sie mir in der verbleibenden Redezeit noch
einige Anmerkungen zu dem aktuellen Konflikt. Für uns
geht es bei dem nächsten Schritt, den wir mit dem Nationalen Allokationsplan gehen müssen, vor allen Dingen
darum, das Instrument so auszugestalten, dass es zur
Schaffung von Investitions- und Modernisierungsanreizen geeignet ist. Es soll kein Instrument zur Strukturkonservierung werden. Das wäre völlig falsch. Aber das befürchten wir aufgrund der Vorschläge der Union.
({4})
Für uns ist es völlig klar, dass durch eine vernünftige
Übertragungsregelung Anreize für frühe Modernisierungsinvestitionen geschaffen werden. Über die genaue
Ausgestaltung wird zurzeit noch geredet. Aber über die
Schaffung von frühen Investitionsanreizen besteht Klarheit.
Bei reinen Neuanlagen - damit ist nicht der Ersatz
von alten Anlagen durch neue gemeint - sind anspruchsvolle technische Standards notwendig. Es wäre in der Tat
ein schlechter Beitrag zum Innovationsjahr 2004, wenn
neuen Investoren am Hightechstandort Deutschland
keine klaren Standards vorgegeben würden. Das wäre
ein Rückfall gegenüber dem Status quo, den wir nicht
wollen.
({5})
Alles in allem schaffen die Modelle, die im Zusammenhang mit dem Nationalen Allokationsplan zurzeit in
der Diskussion sind, durchaus Investitionsanreize. Sie signalisieren Offenheit für neue Marktteilnehmer und zeigen, dass für moderne Technologien im Bereich der
Kohle noch ein gewisser Spielraum besteht. Das ist
keine Frage.
Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf die
Grundausstattung zu sprechen kommen. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass unsere Politik auf
dem fußt, was wir mit der Industrie verabredet haben.
Wir verlangen von ihr nicht mehr als das, was sie zugesagt hat. Das heißt für uns: Für die erste Etappe von
2005 bis 2007 brauchen wir ein Ziel, das klar unter
500 Millionen Tonnen CO2 liegt. Denn Zwischenziele
müssen immer auf dem richtigen Weg liegen. Für das
Zieljahr 2012 ist, wie zugesagt, eine Reduktion um
45 Millionen Tonnen gegenüber 1998 notwendig. Wir
akzeptieren nicht, dass sich Industrie und Energiewirtschaft zulasten der Privathaushalte und des Verkehrs aus
ihrer klimapolitischen Verantwortung stehlen.
({6})
Die Sondertöpfe für die Kraft-Wärme-Kopplung und
für den Bereich der so genannten early actions, also der
Investitionen, die vor 1998 in den neuen Bundesländern
getätigt worden sind, sind wichtig und von zentraler Bedeutung - das wurde noch nicht angesprochen -, um das
Ganze zu einem glaubhaften System zu machen. Den
ersten Schritt tun wir heute mit der Verabschiedung des
vorliegenden Gesetzentwurfs. Darüber bin ich froh. Der
zweite wird in Kürze folgen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute erneut über das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz. Ich möchte gleich am Anfang klarstellen, worum es dabei geht. Es geht um die Realisierung des Klimaschutzes und insbesondere darum, dass eine nachhaltige
Klimaschutzpolitik verlangt, pro eingesetzten Euro so
viele Treibhausgase wie möglich zu vermeiden. Anders
ausgedrückt: Es geht darum, Treibhausgasemissionen so
kostengünstig wie möglich zu verringern. Dafür ist der
Emissionshandel das Instrument der Wahl. Deswegen
hat die FDP bereits seit den 80er-Jahren dieses Instrument gefordert und seine Einführung forciert, und zwar
auch auf internationaler Ebene. Ich bin froh, dass wir
nun dabei sind, dieses effiziente Instrument zu realisieren. Deswegen werden wir heute nicht gegen den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen. Ich werde später noch
detaillierter darauf eingehen.
({0})
Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz ist ein
Mantelgesetz, das lediglich die formalen Regelungen
betreffend die Abwicklung des Handels enthält. Das Gesetz ist also so allgemein gehalten, dass damit praktisch
jede konkrete Ausgestaltung des Emissionshandels vereinbar ist. Gerne hätten wir dem Gesetzentwurf zugestimmt. Wir haben eine Reihe von Änderungsanträgen
eingebracht, die uns wichtig waren. Diese sind aber - leider - allesamt abgelehnt worden. Deswegen werden wir
uns heute der Stimme enthalten. Es kommt jetzt auf die
konkrete Ausgestaltung des Emissionshandels an. Darüber werden wir im Rahmen des Nationalen Allokationsplans noch diskutieren müssen.
({1})
Das Beratungsverfahren ist eine Zumutung. Das
liegt nicht nur daran, dass das Ganze schlecht vorbereitet
war, weil der Umweltminister über Jahre hinweg am
Emissionshandel desinteressiert war und ihn nicht wirklich wollte. Nun splitten Sie den Vorgang auch noch in
mehrere Gesetze auf. Das ist im Sinne der Übersichtlichkeit nicht zu akzeptieren. Wir hätten gerne eine gemeinsame Behandlung der Grundregeln, also des TEHG und
des Nationalen Allokationsplans gehabt. Aber das haben
Sie verhindert.
({2})
Trotz aller Probleme, die es gegeben haben mag, ist es
unglaublich, dass noch in der vorangegangenen Nacht
umfassende Änderungsanträge vorgelegt worden sind.
So etwas kann durchaus einmal passieren. Das wäre hinnehmbar. Aber das Problem besteht darin, dass zwischenzeitlich in jedem Gesetzgebungsverfahren Chaos
herrscht.
({3})
Bei der Beantwortung der Frage, ob die Länder oder
der Bund für die Umsetzung zuständig sein sollen, müssen zwar im Detail viele Abwägungen vorgenommen
werden. Aber eines sage ich Ihnen sehr deutlich: Es gibt
nicht nur Schwarz und Weiß. Es ist nicht so gewesen, wie
es hier dargestellt worden ist: auf der einen Seite die Bundesländer und auf der anderen Seite der Bundesvollzug.
Man hätte eine andere Lösung wählen können. Wir wollten - wir haben einen entsprechenden Änderungsantrag
eingebracht - von vornherein eine Börsenlösung und das
Ganze von Privaten abwickeln lassen. Das wäre unbürokratischer und auf jeden Fall besser gewesen, als wenn
das Umweltbundesamt dafür zuständig ist.
({4})
Aber das haben Sie abgelehnt, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Rot-Grün. Das finde ich bemerkenswert,
zumal das wieder nach dem Motto ging: Entweder
stimmt der Bundesrat dem zu, was die Bundesregierung
mit der 34. BImSchV vorgelegt hat, oder wir ziehen das
Ganze auf Bundesebene durch. Herr Trittin hat - wie so
oft - die beleidigte Leberwurst gespielt. Ich bin wirklich
der Meinung: Die Zeiten für ein solches Verhalten sollten bei einem ausgewachsenen Minister längst vorbei
sein.
({5})
Herr Kelber, ich möchte auf das eingehen, was Sie
zum Thema Bundesvollzug gesagt haben. Sie sagten, Sie
hätten den Unternehmen und Verbänden mittlerweile
mitgeteilt, dass massive zusätzliche Belastungen auf sie
zukommen. Ich muss Sie deshalb schon fragen, ob uns
der Staatssekretär im Ausschuss womöglich falsch informiert hat. Er hat nämlich das glatte Gegenteil von dem
behauptet, was Sie uns hier heute Morgen erzählt haben.
Er hat nämlich gesagt, es werde eine „schlanke“ Umsetzung mit maximal 39 Stellen geben. Dies ist mithin weniger als das, was die Länder nach Aussage ihrer Vertreter eigentlich gebraucht hätten. Das bringt mich zu dem
Ergebnis, dass an dieser Stelle offensichtlich etwas nicht
stimmt und unsere Befürchtungen, dass es womöglich
doch zu stärkeren Belastungen kommt, richtig sind. Das
hat dann aber nicht die Opposition, sondern das haben
Sie zu verantworten.
({6})
Der Nationale Allokationsplan wird für das Gelingen des Emissionshandels entscheidend sein. Er enthält
die materiell maßgeblichen Vorschriften. Heute wollten
eigentlich Herr Clement und Herr Trittin zum vierten
Mal darüber verhandeln und die materiell-rechtlichen
Regelungen schaffen. Da diese im Moment nicht vorliegen, herrscht - auch bei den Arbeitnehmern - große Verunsicherung und Investitionen werden nicht geplant.
Gestern haben diese Minister gesagt: „Entschuldigung,
wir finden leider keinen Termin.“ Ich finde, dass das absolut nicht geht. Das ist keine Begründung. Für eine
solch wichtige Entscheidung muss man sich Zeit nehmen. Ende März läuft die Frist für die Abgabe bei der
EU-Kommission ab.
Ich kann nur sagen: Von dieser Entscheidung hängen
Hunderte von Arbeitsplätzen und die Zukunft des Klimaschutzes in Deutschland ab. Darum erwarte ich, dass
diese Minister endlich zu einer Einigung kommen.
({7})
Wir fordern die Koalition deshalb auf, bei der Beratung
der materiellen Grundlagen des Nationalen Allokationsplans zu einem seriösen Verfahren zurückzukehren.
Wenn Sie das tun, dann können Sie mit uns darüber reden. Wenn das nicht der Fall ist, dann wird es für den
Klimaschutz in Deutschland Probleme geben. Herr Minister Trittin, wenn Sie so weitermachen wie bisher,
dann werden Sie nicht nur dem Instrument an sich, sondern auch dem Klimaschutz in Deutschland großen
Schaden zufügen.
Vielen Dank.
({8})
Nun erteile ich dem Kollegen Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, ich muss zum Thema Bundesvollzug nichts
mehr sagen. Viele Redner haben dazu etwas gesagt. Ich
schließe mich ausdrücklich den Begründungen an, die
Uli Kelber dazu angeführt hat. Ich denke, dass das, was
beispielsweise von Frau Dött, aber auch von Frau
Homburger zu diesem Thema gesagt worden ist, indirekt
eine Eloge auf die ursprüngliche Planung der Bundesregierung war. Dass sie nicht realisiert werden kann, liegt
- das weiß man - an den Vertretern anderer Parteien sowohl im Bundestag als auch insbesondere im Bundesrat.
({0})
Ich möchte viel lieber darüber reden, was mit dem
TEHG und dem Emissionshandel auf uns zukommt.
Auch in dieser Debatte ist nämlich spürbar, dass offenRolf Hempelmann
bar versucht wird, bei der Industrie, bei der Energiewirtschaft und möglicherweise auch bei den Verbrauchern
Angst vor diesem Instrument zu schüren. Dabei liegen
die Fakten auf dem Tisch - es ist klar -: Deutschland
muss sich vor diesem Instrument wahrlich nicht fürchten. Interessanterweise - das wurde gerade schon postuliert - wurde dieses Instrument schon früher von denen
gefordert, die sich heute in der Opposition befinden.
Wir müssen bis 2012 eine Reduktion der CO2-Emissionen um 21 Prozent erreichen. Wir haben die Emissionen bis heute um circa 19 Prozent reduziert. Ich denke,
die übrigen zwei Prozentpunkte sollten wir uns schon
zutrauen, insbesondere angesichts der von allen Fraktionen immer wieder beschworenen und beschriebenen
technologischen Leistungsfähigkeit unseres Landes.
({1})
Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Vor zwei Jahren ist
ein Braunkohlekraftwerk nach neuestem Stand der Technik
- BoA-1 - gebaut worden. Diese BoA hat einen Wirkungsgrad von 43 Prozent. Die Braunkohlekraftwerke in
Deutschland haben im Schnitt einen Wirkungsgrad, der
etwa bei 33 bis 34 Prozent liegt. Der Löwenanteil der
Anlagen hat einen Wirkungsgrad unterhalb von 32 Prozent. Allein eine solche Anlage ersetzt mehrere kleine
Anlagen und sorgt dafür, dass die Wirkungsgrade, relativ
gesehen, um 30 Prozent gesteigert werden. Das heißt, es
gibt eine Minderung der CO2-Emissionen in Höhe von
30 Prozent. Wenn man sich überlegt, was passieren
würde, wenn wir diesen Kurs im Braunkohlekraftwerkspark weiter verfolgen und auch bei anderen Brennstoffen
ähnlich verfahren, dann bekommt man eine Vorstellung
davon, welches Potenzial an Emissionsminderung allein
die Energiewirtschaft bietet. Ähnliches gilt für Teile der
Industrie. Deswegen: Bange machen gilt nicht. Wir werden das 21-Prozent-Ziel mit Sicherheit erreichen, und
zwar ohne Strukturbrüche, aber mithilfe eines vernünftig
organisierten Strukturwandels.
({2})
Dieses Instrument wird in der Tat zum bisher kostengünstigsten CO2-Minderungsinstrument werden. Dieses
Instrument wird, weil wir es mit Augenmaß angehen
werden, den Industrie- und Energiestandort Deutschland
nicht etwa schwächen oder gefährden, sondern ihn vielmehr stärken.
({3})
Es wird dafür sorgen, dass Investitionen und Innovationen
bei uns im Lande stattfinden, natürlich in der ganzen
Wertschöpfungskette Energie, aber insbesondere im
Kraftwerkspark. Es wird auch dafür sorgen, dass in der
Industrie Erneuerungspotenziale ausgeschöpft werden.
Es wird sozusagen eine sanfte Beschleunigung der Modernisierung unseres Landes begünstigen. Das müssen
wir sozusagen wollen. Ich glaube, dass das auch allen
Fraktionen klar ist. Insofern ist es komplett deplaziert, in
Bezug auf dieses Instrument Ängste zu schüren.
({4})
Meine Damen und Herren, mir erscheint es in diesem
Zusammenhang wichtig, dass wir nicht nur über die Industrie und die Energiewirtschaft reden. Natürlich brauchen wir auch CO2-Minderungserfolge in anderen Sektoren, wie zum Beispiel im Verkehrsbereich und bei
den privaten Haushalten. Es wurden in der Vergangenheit ja durchaus schon politische Instrumente entwickelt,
die allesamt mithelfen sollen, dass auch hier das Bewusstsein entsteht, dass eine Verringerung der Emissionen nötig ist.
Der Emissionshandel bietet - jedenfalls wenn wir
diese Sektoren nicht aus dem Auge verlieren, sondern
auch für sie Zielvorgaben machen - die Chance, dass
auch in diesen Bereichen mehr als bisher passiert.
({5})
Deshalb gibt es im TEHG den Hinweis darauf, dass auch
von den beiden genannten Sektoren Verkehr und private
Haushalte angemessene Beiträge zur CO2-Minderung erwartet werden. Wir werden das im NAPG noch einmal
deutlich konkretisieren.
Mehrfach ist Europa in dieser Debatte erwähnt worden. Wir haben ja in den vergangenen Jahren immer wieder beobachtet, dass wir bei einzelnen Instrumenten die
Vorreiterrolle übernommen haben, sei es beim EEG, sei
es bei der Ökosteuer. Wir haben bedauert, dass manche
uns dabei nur sehr langsam oder gar nicht gefolgt sind.
Das Instrument des Emissionshandels wird zeitlich in
der gesamten EU eingeführt. Es bietet die hervorragende
Chance, von Anfang an eine Harmonisierung herbeizuführen, und bietet damit letztlich die Möglichkeit, in den
nächsten Jahren auch bei anderen Instrumenten die von
uns schon lange gewollte und angestrebte Harmonisierung ein Stück voranzutreiben. Das wäre sowohl umweltpolitisch als auch wirtschaftspolitisch in unserem
Sinne, weil wir in diesem Zusammenhang natürlich immer auch die Kostenfaktoren für die deutsche Wirtschaft
im Auge behalten müssen. Beim Emissionshandel bekommen wir also das, was wir bei anderen Instrumenten
eingefordert haben.
Dazu gehört natürlich auch, dass die Bundesregierung
in Brüssel darauf dringt, dass die Umsetzung in anderen
Mitgliedstaaten parallel erfolgt. Die ersten Signale aus
Brüssel sind ermutigend, denn Schluren und Schlunzen
lässt man dort nicht zu. Das ist deutlich geworden. So
manches Mitgliedsland, das meinte, einmal ein wenig
sanfter beginnen zu können, hat den ersten blauen Brief
schon bekommen. Das ist also eine Riesenchance, auch
auf europäischer Ebene in umwelt- und energiepolitischen Fragen vernünftig voranzukommen.
({6})
Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, ehe ich meine Redezertifikate vollständig aufgebraucht habe
({7})
und ehe sozusagen die Zertifikatehandelsstelle eingreift
-
Ich mache darauf aufmerksam, dass ich einen Handel
mit diesen Zertifikaten hier nicht zulassen könnte.
({0})
Ich habe das vorausgesehen. - Deswegen bedanke ich
mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ulrich Petzold, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Damit hier nicht irgendwelche
Märchen stehen bleiben, lieber Herr Hempelmann, lieber
Herr Kelber: Dass Hamburg und Berlin sich in der Frage
der BImSch-Verordnung der Stimme enthalten haben,
das mag vielleicht noch angehen. Aber ich weise darauf
hin, dass auch Rheinland-Pfalz der Vertagung der
34. BImSch-Verordnung zugestimmt hat.
({0})
Das ist ja wohl kein CDU-Land. Deswegen möchte ich
gegen dieses Märchen in aller Gelassenheit Einspruch
erheben.
Außerdem, Herr Hempelmann, müssen Sie bitte bedenken: Wenn ein modernes Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 43 oder 46 Prozent in der Reservevorhaltung für die Einspeisung der Windkraft gefahren wird,
wer kommt dann, bitte schön, für die CO2-Emissionen
auf? Das müsste einmal geklärt werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat,
wie von ihr selbst zugegeben, ein Problem bei der Vermittlung ihrer Politik. Wenn man sich die komplizierte
Materie des Emissionshandelsgesetzes ansieht, dann
wird man sehr schnell verstehen, dass es hier ganz stark
auf eine allgemein verständliche Vermittlung ankommt.
In diesem Zusammenhang fand ich einen Vergleich des
Sachverständigen Dr. Rothermel in der Anhörung zum
TEHG am 9. Februar außerordentlich gut und bildhaft.
Er verglich die Einführung des Emissionshandels mit
dem Versprechen eines Fünfgängemenüs. Mit dem
Emissionshandelsgesetz zeigt die Bundesregierung dem
staunenden Publikum eine gedeckte Tafel und verlangt
von uns als Parlamentariern, dass wir das von ihr gekochte Fünfgängemenü in seiner Güte beurteilen und es
möglichst als sehr gut befinden. Nun wissen Sie alle,
dass wir noch nicht einmal die Speisekarte kennen. Die
zahlreichen Verordnungsermächtigungen und die Tatsache, dass der Nationale Allokationsplan - noch immer
unfertig - zwischen den Ministern der Bundesregierung
höchst umstritten ist, lassen uns kaum eine Chance, die
Qualität des Gesetzes umfassend zu beurteilen. Doch einige Tatsachen lassen schon Misstrauen aufkommen.
Was wird mit dem grenzüberschreitenden Emissionshandel? Was wird mit den so genannten Linking Directions?
Gilt da Kioto oder gilt ein selbst gebasteltes deutsches
Kochbuch?
Lassen Sie mich bei dem Bild des gedeckten Tisches
bleiben. Da stehen einige Gedecke recht unordentlich
und es fehlen einige Besteckteile. In den §§ 5 und 10
TEHG wird festgelegt, dass die Betreiber ihre Mitteilungen an die zuständige Behörde vorher von einer sachverständigen Stelle verifizieren lassen müssen. Spätestens
seit dem Gespräch von Mitarbeitern des BMU mit den
für die Verifizierung vorgesehenen sachverständigen
Stellen müsste klar sein, dass eine Verifizierung in dem
dafür vorgesehenen Zeitraum in der erforderlichen Qualität kaum machbar ist. Die Zahl der in Deutschland vorhandenen Umweltgutachter ist einfach zu klein, um bis
zum Jahresende alle für den Emissionshandel vorgesehenen Anlagen zu prüfen. Daran ändert auch die Zulassung
von Audit-Teams kaum etwas. Es tritt in jedem Fall eine
Verknappung der Kapazität bei den sachverständigen
Stellen auf, die sich in den Preisen niederschlagen wird.
Zurück zu unserer Tafel. Es fällt auf, dass bei den Gedecken einiges nicht zueinander passt. Bei der Ökosteuer
werden Steinkohle und Braunkohle vollkommen außen vor gelassen und nicht besteuert,
({1})
während das TEHG Stein- und Braunkohle aus ökologischen Gründen besonders belasten will. Beim Erdgas ist
es genau umgekehrt. Auf Erdgas, das zur Stromerzeugung verwendet wird, wird die Ökosteuer erhoben, während es nach dem TEHG das Maß aller Dinge ist. Fischbesteck und Suppenteller passen nicht zusammen.
Die Kellner stehen schon hinter den Gästen, um ihnen, noch bevor sie richtig zu essen begonnen haben,
beim ersten Gang die Nahrung, nämlich die Emissionsrechte, zu entreißen. Anders kann man es nicht bezeichnen, wenn bereits in der ersten Zuteilungsperiode
- wohlgemerkt: Es handelt sich um eine Übergangs- und
Probephase, die uns von der EU zugestanden wird deutliche Kürzungen bei den Emissionsrechten vorgenommen werden.
({2})
- Auch Sie haben über den Nationalen Allokationsplan
gesprochen.
Denken Sie bitte auch an die Gäste! Da gibt es einige
Gäste, die ihre Zeche schon längst bezahlt haben. Dazu
zählen die Unternehmen in den neuen Bundesländern
und die Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen, meine
lieben Freunde. Die Industrie in Sachsen-Anhalt hat seit
1990 ihre CO2-Emissionen um 56 Prozent gemindert,
während die Emissionsminderung über das gesamte
Bundesgebiet gerade einmal 19 Prozent betrug. Nicht
nur ich habe den Eindruck, dass einige Gäste noch nichts
zur Begleichung der Gesamtrechnung beigetragen haben.
Das Schlimme dabei ist, dass der Koch Trittin jetzt
alle gleichmäßig zur Kasse bitten will. Diejenigen, die
schon einmal bezahlt haben, sollen jetzt das Gleiche bezahlen wie diejenigen, deren CO2-Einsparkonto noch
voll ist. Doch Ungleiche gleich zu behandeln widerspricht unserer Verfassung. Die Regierung sollte sich
nicht wundern, wenn die auf diese Weise schlecht behandelten Bundesländer vor das Bundesverfassungsgericht
ziehen.
Denjenigen, die scheinheilig die Frage stellen: „Sollen wir bei anderen das kürzen, was wir den neuen Bundesländern an Aufbaureserve zubilligen?“, gebe ich kurz
und knapp die Antwort: Ja; denn das verlangt die innerstaatliche Solidarität.
({3})
Angesichts der Tatsache, dass man eine CO2-Reserve für
den Ausstieg aus der Kernenergie aufbauen kann, frage
ich: Wie viel größer müsste die Reserve sein, die man für
den Wiederaufbau der neuen Bundesländer einrichtet?
Immerhin hat die Schaffung gleicher Lebensverhältnisse
Verfassungsrang.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie
mir, dass ich Ihnen ein letztes Bild präsentiere. Wir haben einen Blick auf die gedeckte Tafel, die Kellner, den
Koch und die Gäste geworfen.
({5})
Haben Sie nicht die Sorge, dass eine ganze Reihe von
Gästen aus der Industrie jetzt aufstehen, gehen und sich
ein anderes Lokal als die „Bundesrepublik Deutschland“
suchen könnten, in dem sie willkommener sind und in
dem sie satte CO2-Emissionsrechte genießen können? Wir haben diese Sorge.
Danke schön.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe über den Handel mit Berechtigungen zur Emission
von Treibhausgasen auf den Drucksachen 15/2328 und
15/2540. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2681, die genannten Gesetzentwürfe als Gesetz über den Handel mit Berechtigungen
zur Emission von Treibhausgasen in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Begleitregelungen zur Einführung des
digitalen Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenkund Ruhezeiten ({0})
- Drucksache 15/2538 ({1})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
- Drucksache 15/2675 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({3})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/2680 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Gunter Weißgerber
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Günter Rexrodt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die werden wir nicht benötigen, weil die Kollegen Ernst Kranz,
Georg Brunnhuber, Albert Schmidt ({5}) und
Horst Friedrich ({6}) sowie die Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens ihre Reden zu Proto-
koll gegeben haben.1)
Das spart Zeit, erspart uns aber nicht die notwendigen
Abstimmungen über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes über Begleitregelun-
gen zur Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur
Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten auf der Drucksache
1) Anlage 1
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
15/2538. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2675, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt
jemand dagegen? - Oder enthält sich jemand der
Stimme? - Ich vermute einmal, dass niemand absichtlich
steht, sondern eher zufällig, und dass damit der Gesetzentwurf einstimmig angenommen ist.
Unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Dr. Friedbert Pflüger, Hermann
Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unterstützen - Freiheit der Medien und
wirtschaftliche Prosperität wiederherstellen
- Drucksachen 15/2389, 15/2671 Berichterstattung:
Abgeorndete Lothar Mark
Dr. Ludger Volmer
Harald Leibrecht
Dazu ist interfraktionell eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort, weil
er sowieso schon hier steht, dem Kollegen Hans-Jürgen
Hedrich für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beschäftigen uns erneut sachgerecht, wie
ich glaube, mit dem Thema Venezuela; denn die Lage in
diesem Land spitzt sich von Tag zu Tag zu. Dieses Land
ist auf dem Weg in einen autoritären Unrechtsstaat. Die
„Washington Post“ beschrieb dies vor einigen Tagen als
„coup by technicality“. Übersetzt hieße das: ein Staatsstreich durch bürokratisch-administrative Mittel.
Dies ist nicht neu in der Geschichte der Menschheit.
Es ist typisch für Situationen während des schleichenden
Überganges von der Demokratie zur Diktatur. Man sagt,
Chávez sei demokratisch gewählt. Das war auch Hitler.
Die Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass die
Verantwortlichen abgewählt werden können. Dies will
Chávez verhindern.
({0})
- Da die Bundesregierung auch das letzte Mal nicht da
war, wundert es einen nicht, wenn sie auch heute nicht
da ist.
({1})
Das macht deutlich, welche Bedeutung die Bundesregierung der Frage von Freiheit und Unfreiheit zumisst.
({2})
Herr Kollege Hedrich, diese Schlussfolgerung geht
vielleicht ein bisschen zu weit,
({0})
auch wenn das Monieren der Nichtanwesenheit der Bundesregierung sicher in Ordnung ist.
({1})
Herr Präsident, ich nehme Ihren Hinweis zur Kenntnis. Ich habe mir natürlich meine eigenen Gedanken
dazu gemacht.
Ich habe gesagt, Chávez wolle einen demokratischen
Wechsel verhindern. Es gibt einen Unterschied zwischen
der Tatsache, demokratisch gewählt zu sein, und demokratischem Verhalten. Staatspräsident Chávez hat dem
Staatspräsidenten von Simbabwe, Herrn Mugabe, vor
kurzem eine Kopie des Schwertes von Bolivar mit dem
Hinweis überreicht, er zeichne damit einen Freiheitskämpfer aus. Dies ist ein Regime, das gebrochene Kinder zu Foltermaschinen ausbildet. - Das zu Chávez und
Mugabe.
Inzwischen haben sich Hunderte von Intellektuellen
und Künstlern in einem Appell an die internationale Öffentlichkeit gewandt, übrigens Künstler, die tendenziell
dem linken Spektrum des Landes angehören. Vor kurzem hat der Botschafter von Venezuela bei den Vereinten
Nationen, Dr. Milos Alcalay, seinen Posten mit der Erklärung niedergelegt, er könne den Weg weg von der Demokratie nicht mehr international verantworten. Ich
könnte Ihnen noch mehr Beispiele nennen.
Ich habe heute eine persönliche Bitte an den Kollegen
Lothar Mark. Er hat bei der ersten Lesung in seiner zu
Protokoll gegebenen Rede ausgeführt, er billige nicht die
Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Venezuela, weil
sie sich in die inneren Angelegenheiten einmische.
({0})
Die Zeiten, in denen man sich zurücklehnen konnte und
sich nicht dafür interessieren musste, was in einem anderen Land passiert, sind lange vorbei. Auch Venezuela hat
die Wiener Menschenrechtsdeklaration der Vereinten
Nationen 1994 unterzeichnet. Danach gibt es das klassische Prinzip der Nichteinmischung nicht mehr; das weiß
natürlich auch der Kollege Mark.
Herr Kollege Mark, ich möchte Sie trotzdem bitten,
die Formulierung, dass sich die Konrad-Adenauer-Stiftung einseitig einmische, zurückzunehmen. Ich darf Sie
in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass sich
die sozialdemokratischen Parteien in Venezuela - also
Ihre Partner in der Sozialistischen Internationale -, AD
und MAS, in aller Schärfe - übrigens schärfer als die
CDU/CSU im Bundestag - gegen Chávez geäußert haben. Ich darf Sie, Herr Mark, weiter darauf aufmerksam
machen, dass es eine eindeutige Erklärung der Sozialistischen Internationale gegen das Chávez-Regime gibt. Die
schärfste Kritik an der aktuellen Politik des Chávez-Regimes ist in einer Erklärung der spanischen Sozialisten,
PSOE, formuliert. - Wir haben heute Morgen unsere Anteilnahme angemessen zum Ausdruck gebracht, dass
Spanien von einem Terroranschlag im wahrsten Sinne
des Wortes getroffen wurde.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass sich Chávez strikt weigert, die FARC, die auf
der Terrorliste der Vereinten Nationen steht, als Terrororganisation zu bezeichnen. Das heißt, er schützt Terroristen und duldet sie sogar auf seinem eigenen Territorium.
Vor diesem Hintergrund müssen wir für die Demokraten
Partei ergreifen.
Ich bin dankbar, dass sich der Menschenrechtsausschuss dieser Frage eingehend angenommen und an das
deutsche Parlament einstimmig appelliert hat, unsere
nachhaltige Solidarität mit den Abgeordneten der Oppositionsparteien im Parlament von Venezuela auszudrücken. Dazu sollten wir, auch wenn wir möglicherweise
über unseren Antrag unterschiedlich abstimmen, in der
Lage sein.
({1})
Zur Opposition gehören alle: Konservative, Christdemokraten, Parteien der bürgerlichen Mitte, Sozialdemokraten und Sozialisten. Sie alle haben in einer Erklärung an
die internationale Öffentlichkeit, die Ihnen vorliegt, dargelegt, dass Chávez die Möglichkeiten des Parlaments
ausschalten und die Rechte der Parlamentarier beschneiden will. Unser Anstand gebietet uns, unsere Solidarität
mit den Parlamentariern der Opposition in Venezuela
zum Ausdruck zu bringen.
({2})
Ich möchte mit einer eher pathetischen Bemerkung
schließen. Wenn der Vorwurf erhoben wird, ich sei zu
einseitig,
({3})
dann bekenne ich mich dazu: Ich bin immer auf der Seite
der Demokratie und der Freiheit.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Lothar Mark, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Seit der ersten Lesung des zu behandelnden Antrags ist
die Lage in Venezuela im Zuge des Tauziehens um ein
mögliches Abberufungsreferendum derart eskaliert, dass
sie uns Anlass zu größter Sorge geben muss. Ich möchte
daher an dieser Stelle einen Appell an die venezolanische Regierung richten, den weiteren Verlauf eines möglichen Einspruchsverfahrens nicht zu behindern, sollten
sich Coordinadora Democrática und Nationaler Wahlrat
auf ein solches einigen können. Beide Seiten, Regierung
und Opposition, rufe ich auf, in dieser schwierigen
Situation Ruhe zu bewahren und die Verfassung strikt
einzuhalten. Eine nicht demokratische oder gewaltsame
Lösung des Konflikts würde nicht nur die ganze Region
erschüttern, sondern auch die regionalen Integrationsprozesse um Jahre zurückwerfen.
({0})
Ich begrüße ausdrücklich die beabsichtigte Formulierung einer interfraktionellen Resolution durch den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, die
der Kollege Hedrich eben bereits angesprochen hat, in
der auf die Situation der Parlamentarier in Venezuela
hingewiesen werden soll. Nicht erst durch die Pläne von
Präsident Chávez, das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit für grundlegende Gesetze abzuschaffen, sind in der
Vergangenheit die Rechte der Parlamentarier in Venezuela verletzt worden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die verfassungswidrige Auflösung des
Parlaments durch den Interimspräsidenten Carmona im
April 2002.
({1})
Die Situation hat sich nach der Bekanntgabe des Urteils des Nationalen Wahlrats zugespitzt. Dem Begehren
der Opposition nach einem Referendum über den Verbleib von Präsident Chávez im Amt wurde nicht stattgegeben. Die Begründung lautete: Von den abgegebenen
3,4 Millionen Unterschriften seien nur 1,8 Millionen
gültig. An etwa 876 000 Unterschriften seien bei der
Überprüfung Zweifel aufgekommen. Im Wesentlichen
beziehen sich diese auf die Tatsache, dass Unterschrift
und Fingerabdruck zwar vom Unterzeichnenden stammen, der Name und die Ausweisnummer aber von einem
Wahlhelfer eingetragen wurden. Es handelt sich dabei
um eine erst nach der Unterschriftensammlung vom
Wahlrat beschlossene Regelung. Diese Unterschriften
sind nunmehr unter Beobachtung gestellt. Um das vorgegebene Quorum von 2,4 Millionen Unterschriften zu
erreichen, müssten nun rund 600 000 Unterschriften
überprüft bzw. erneut geleistet werden.
Derzeit finden Gespräche zwischen der Opposition
und dem Nationalen Wahlrat über die Ausgestaltung
des Überprüfungsverfahrens statt. Die Opposition will
verhindern, dass die Beweislast umgekehrt wird und die
Bürger nochmals unterschreiben müssen. Des Weiteren
ist sie mit der Verkürzung der vorgesehenen Frist für ein
solches Bestätigungsverfahren von fünf auf nunmehr
zwei Tage nicht einverstanden.
Die deutsche Botschaft in Caracas bestätigte gestern
auf Anfrage, dass für heute ein Treffen der Coordinadora
Democrática mit den Vertretern des Nationalen Wahlrates anberaumt sei, in dessen Verlauf es zu einer Einigung
bezüglich des Überprüfungsverfahrens kommen könnte.
- Hoffen wir es. - Die Coordinadora habe die Einladung
zu Gesprächen bisher abgelehnt, denn bis heute habe
man die Datenbasis, also die Unterschriftenlisten, abgeglichen. Parallel betreibe die Coordinadora die gerichtliche Überprüfung der Wahlratsentscheidung.
Sollte es zu einer Einigung kommen, wird die Überprüfung aller Voraussicht nach an zwei Tagen Ende
März stattfinden. Sofern das erforderliche Quorum zustande kommt, wäre damit ein Referendum im Mai oder
Juni möglich.
Es wird allerdings zunehmend sichtbar, dass Präsident Chávez zum Zweck des Machterhalts bereit ist, alle
Register, die eine verfassungsgemäße Deckung oder
auch nur eine Halbdeckung haben, zu ziehen, um ein Referendum abzuschmettern.
In den vergangenen Tagen ist es unter dem Eindruck
des Wahlratsurteils zu Massendemonstrationen - circa
500 000 Menschen - gegen die Regierung und zu Sympathiebekundungen für Chávez gekommen. Dabei hat es
mehrere Todesopfer und Verletzte gegeben. Regierung
und Opposition weisen sich hierfür gegenseitig die
Schuld zu. Tatsache ist, dass die Todesopfer überwiegend der Opposition zuzuordnen sind. Namhafte Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch
oder Amnesty International haben sich besorgt über die
Menschenrechtslage geäußert. Auch wir bedauern diese
Entwicklung zutiefst.
Es mehren sich außerdem Besorgnis erregende Hinweise darauf, dass die Regierung versucht, Mitarbeiter
des öffentlichen Dienstes, die am Referendum teilgenommen haben, unter Druck zu setzen. Ihnen soll die
Kündigung drohen, wenn sie ihre Unterschrift nicht widerrufen. Zwar wird dies aller Voraussicht nach für das
Gesamtergebnis nicht ausschlaggebend sein, dennoch
muss dieses Vorgehen der Regierung in aller Schärfe kritisiert werden.
({2})
Das Carter-Center und die OAS bestätigten in einer
Pressemeldung vom 2. März den weitgehend sauberen
Ablauf der Unterschriftensammlung und konstatierten
diplomatisch „Diskrepanzen“ mit dem Wahlrat in Bezug
auf die Verifizierung der Unterschriften aus den infrage
stehenden Listen, die mit einer Handschrift ausgefüllt
wurden. Sie appellierten an den Wahlrat, vom guten
Glauben der Bürger auszugehen, die beim Ausfüllen der
Listen behilflich waren. OAS und Carter-Center richten
den dringenden Aufruf an die Bürger, die staatlichen
Kräfte und die Medien, ihren Beitrag dazu zu leisten,
dass eine friedliche Lösung unter Wahrung der Menschenrechte möglich bleibt. Die Europäische Union hat
sich dieser Erklärung mit einer Presseerklärung vom
5. März inhaltlich angeschlossen.
Meine Damen und Herren, nach wie vor gilt in Bezug
auf die Beurteilung des vorliegenden Antrages, dass er
der Situation in Venezuela nicht gerecht wird.
({3})
Er findet daher auch weiterhin nicht unsere Zustimmung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand und haben
auch durch die aktuellen Entwicklungen nicht an Gültigkeit verloren:
Der Antrag ist hinsichtlich der Situationsanalyse undifferenziert und unglücklich in seiner Schwerpunktsetzung auf die Medienfreiheit und die wirtschaftliche Situation in Venezuela. So wird zum Beispiel die
Einflussnahme der privaten Medien als politische Akteure überhaupt nicht berücksichtigt. Auch die Auswirkungen des wochenlangen nationalen Ausstandes auf
die Wirtschaft, insbesondere die Erdölwirtschaft, werden nicht aufgezeigt.
Seine einseitige Parteinahme für die Opposition ist
nicht hilfreich. Der Antrag trägt nicht der Tatsache
Rechnung, dass die Opposition auch als Teil des Problems und nicht nur als Teil der Lösung zu sehen ist.
({4})
So zeugen zum Beispiel der versuchte Staatsstreich
im April 2002 oder die Ausrufung des nationalen Ausstands im Dezember 2002 nicht von verantwortungsvollem Handeln einer demokratisch gesinnten Opposition,
wie im Antrag angenommen. Es ist nämlich eben nicht
so, dass auf der einen Seite die hehren Demokraten und
Verteidiger der Freiheit stehen und auf der anderen Seite
die Kräfte, die das Land in die Diktatur führen.
({5})
Es werden keine Perspektiven aufgezeigt, wie eine
Dialoglösung seitens des Deutschen Bundestages gefördert werden könnte. Im Gegenteil: Durch die oben gekennzeichnete Analyse wird die Polarisierung der venezolanischen Gesellschaft zumindest nicht gemindert und
eine dauerhafte demokratische Konsensfindung zwischen den Lagern nicht begünstigt.
Auch wenn man nach den Ereignissen der vergangenen Tage gegenüber der Regierung Chávez äußerst kritisch und skeptisch eingestellt sein muss, macht dies die
Rolle der Opposition nicht besser. Es kann doch nicht
sein, dass jegliche differenzierte Betrachtung und kritiLothar Mark
sche Auseinandersetzung mit der venezolanischen Opposition als Verteidigung der Regierung gewertet wird.
Damit befänden wir uns in der gleichen Sackgasse, in
die das Land seit Jahren steuert und die Ursache dafür
ist, dass alle vorhandene Energie verpufft: einerseits in
den Bemühungen der Opposition, die Regierung zu destabilisieren, andererseits in den Bemühungen der Regierung, sich an der Macht zu halten und die Opposition
verfahrenstechnisch zu schwächen.
Wir beobachten in der aktuellen Situation, dass die
Oppositionsbewegung weiterhin nur eine Anti-ChávezBewegung ist, ohne dass bis heute alternative Konzepte
der Politikgestaltung erkennbar wären.
({6})
Ich rufe daher eindringlich dazu auf, die Verantwortung
beider Seiten für die desolate Lage Venezuelas zu sehen
und zu benennen, auch wenn sie vielleicht als graduell
unterschiedlich beurteilt werden kann.
Meine Damen und Herren, die internationale Gemeinschaft muss in dieser Situation sehr wachsam sein.
Wie im Übrigen von beiden Lagern gewünscht, sollte die
internationale Kontrolle des Überprüfungsverfahrens
und im Weiteren gegebenenfalls eines Referendums verstärkt werden. Nur so kann in der venezolanischen Bevölkerung wieder Vertrauen in diesen Abstimmungsprozess und in die Institutionen aufgebaut werden.
({7})
Dies ist meines Erachtens in der derzeitigen verfahrenen
Lage die einzige Möglichkeit, um den Druck aus dem
Kessel zu nehmen.
Hier brauchen wir also keine Schwarz-Weiß-Anträge,
die Gräben vertiefen, anstatt Brücken zu bauen. Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag, wenn mehr von unseren Leuten anwesend sein werden, mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen ablehnen.
({8})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich kann das auch als Intervention machen; denn ich
wurde ja aufgefordert, zu diesem Thema zu sprechen.
Ich wollte Sie ja nur an Ihre Redezeit erinnern.
Gut, ich bin auch sofort fertig.
Herr Kollege Hedrich bat mich, eine Formulierung
aus meiner Rede vom 12. Februar dieses Jahres - ob die
einseitige Einmischung der KAS in Caracas dienlich ist,
bleibt allerdings mehr als fraglich - zurückzunehmen.
Ich nehme sie nicht zurück. Ich habe mich in vielfältiger
Weise erkundigt und festgestellt, dass viele andere Einrichtungen und Organisationen die Situation auch so sehen. Weil mich auch Kollege Weiß und Kollegin Nolte
in dieser Sache angeschrieben haben, weise ich darauf
hin, dass vielmehr das Gegenteil zutrifft. Es wird vermutet, ich könnte dazu beitragen, dass die KonradAdenauer-Stiftung in Caracas Probleme bekommt.
Ich kann Ihnen sagen - das habe ich bis heute bewusst
zurückgehalten -, dass ich am 3. März dieses Jahres dafür gesorgt habe, dass die Mitarbeiter der KonradAdenauer-Stiftung nicht aus Venezuela ausgewiesen
werden. Diese Ausweisung steht aber nicht im Zusammenhang mit meiner Rede, sondern es hat ganz andere
Gründe. Als ich davon erfahren habe, habe ich sofort
massiv interveniert und zum Ausdruck gebracht, dass
ein solcher Schritt im Interesse der Bundesrepublik
Deutschland, der Europäischen Union und auch von Venezuela selbst nicht vollzogen werden dürfe.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Markus Löning, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Mark, als Vorbemerkung möchte ich darauf eingehen,
was Sie zu der Frage gesagt haben, ob die Opposition in
Venezuela demokratisch oder nicht demokratisch ist. Ich
glaube, diese Frage ist nicht der entscheidende Punkt.
({0})
Es geht nicht darum, ob die Opposition demokratisch ist
oder nicht. Es wird ja gar nicht abgestritten, dass nicht
alles so ist, wie wir es uns wünschen. Die Frage ist: Wird
letztendlich auf demokratischem Wege ein Volksbegehren durchgeführt oder nicht? Darum geht es.
({1})
Diese Frage müssen wir in den Vordergrund stellen. Ich
glaube, hier sind wir uns weitgehend einig.
({2})
Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie versuchen, uns
zu unterstellen, wir würden eine Opposition schönreden,
die gar nicht demokratisch ist.
({3})
Die FDP wird den Antrag der CDU/CSU unterstützen,
weil wir der Meinung sind, es ist wichtig, von hier aus
das Signal zu geben, dass wir die Situation in Venezuela
im Blick haben.
({4})
Ich habe selten so viele Rückmeldungen bekommen
wie auf meine Rede, die ich in der Debatte vor einiger
Zeit hier gehalten habe. Genau das zeigt mir, wie wichtig
es ist, dass wir uns mit der Situation in Venezuela auseinander setzen.
({5})
Vor zwei Tagen haben wir diese Debatte im Ausschuss
geführt. Dort wurde von Ihrer Seite argumentiert, dass
die Behandlung dieses Themas gar nicht nötig sei und
dass man nur Appelle aussprechen könne, durch die man
aber nichts bewegen könne. - Alles Unfug! Natürlich
wird diese Diskussion wahrgenommen. Wo sind wir
denn hier?
({6})
- Es tut mir Leid, aber was ist denn das für eine Aussage
über den Deutschen Bundestag? Ich fand es unerträglich,
dass so etwas über einen Antrag zu einem sehr ernsten
Thema, mit dem wir uns hier auseinander setzen, gesagt
wird.
({7})
Meine Damen und Herren, es geht um die Menschen
in Venezuela. Ich verstehe auch nicht, warum Sie, wenn
Kollege Hedrich von Demokratie und Freiheit spricht,
etwas höhnisch grinsen; denn um diese Themen geht es
in Venezuela. Das ist auch der Grund, aus dem wir Freie
Demokraten diesen Antrag
({8})
- auch wenn er vielleicht an der einen oder anderen
Stelle besser formuliert und etwas aktueller sein könnte
- unterstützen.
({9})
Es ist wichtig, von hier das Signal an die Menschen auszusenden, dass wir die Situation in Venezuela beobachten. Auch ist es sehr wichtig, Herrn Chávez das Signal
zu geben, dass wir das Land nicht ignorieren und dass
wir ihm das, was er dort tut, nicht durchgehen lassen.
({10})
Herr Mark, das, was Sie zum Thema der internationalen Kontrolle gesagt haben, unterstütze ich. Ich glaube,
wir sollten noch viel stärker darauf drängen, dass dieser
sehr gute Weg beschritten wird. Wenn in diesem Bereich
nichts passiert und alles bleibt, wie es ist, sollten wir als
Deutsche bzw. als EU angesichts der ernsten Situation
bereit sein, Sanktionen zu verhängen. Wir müssen gegebenenfalls deutliche Worte finden, um zu verhindern,
dass das Land weiter in die Autokratie abrutscht.
Danke.
({11})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian
Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Über das, was Sie, Herr Kollege Löning, zuletzt gesagt haben, können wir uns durchaus verständigen. Wir
können uns ja überlegen - auch im Ausschuss -, ob wir
nicht einen gemeinsamen Antrag einbringen, in dem wir
uns für ein demokratisch zustande gekommenes Referendum einsetzen. Dabei sollten wir allerdings die Probleme berücksichtigen, die hier in dieser Debatte schon
dargestellt worden sind.
Ich bin vor einem Monat, als hier die erste Lesung
dieses Antrags stattgefunden hat, von einigen in dem
Sinne missverstanden worden, dass ich mich auf die
Seite von Präsident Chávez hätte schlagen wollen. Dem ist nicht so. Das Handeln, vor allen Dingen aber
auch die Worte dieses Präsidenten sind in vielfacher
Hinsicht zu kritisieren. Ich stimme mit Ihnen überein:
Allen Versuchen, demokratische Rechte von Parlamentariern zu beschneiden oder einzuschränken, müssen wir
entgegentreten. In einer Demokratie dürfen Parlamentariern nicht die Rechte beschnitten werden.
Genauso wenig dürfen in einer Demokratie die Möglichkeiten von Demonstrationen des Volkes auf der
Straße - ein wichtiges Willensbildungselement in einer
Demokratie - eingeschränkt werden. Wenn es gar zu
Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten kommt,
ist das nicht erträglich. Dann müssen unabhängige Untersuchungen darüber stattfinden, wie es dazu gekommen ist. Der Einsatz von Sicherheitskräften, insbesondere des Militärs, muss kontrolliert werden. Das fordern
wir nicht nur in Europa, sondern auch von Ländern wie
Venezuela; in diesem Punkt sind wir uns völlig einig.
Wir sind uns ebenfalls einig darin, dass die wirtschaftliche Lage und die Lage der Demokratie in Venezuela äußerst schlecht ist. Wir unterstützen vieles von
dem, was dieser Präsident vor seiner Wahl angekündigt
hat: die Bekämpfung der Armut, vor allem die Bekämpfung der Korruption. Das war ja eine seiner zentralen
Forderungen, mit der er Erfolg gehabt hat. Offensichtlich war dieser Kampf nach allem, was vorher passiert
ist, notwendig. Wir müssen aber feststellen, dass diese
Versprechungen in der Praxis dieser Regierung nicht eingehalten worden sind. Die Erfolge, die man dem Volk
versprochen hat, sind nicht eingetreten. Die Wertung der
Arbeit dieser Regierung müssen wir dabei letztlich allein
dem venezuelanischen Volk überlassen. Die müssen saHans-Christian Ströbele
gen: Das hast du versprochen - was hast du eingehalten?
Was ist die Alternative dazu? - Das muss in einem
Wahlprozess zur Diskussion und zur Abstimmung gestellt werden.
Hinsichtlich des Referendums haben Sie mich voll
auf Ihrer Seite; das habe ich Ihnen im Ausschuss schon
gesagt. Man kann nicht die Absetzung des Präsidenten
als Möglichkeit in die Verfassung schreiben, wie es Herr
Chávez getan hat, dann aber, wenn ein Referendum mit
einer solchen Zielsetzung angestrebt wird, schon von
vornherein, bevor man überhaupt die Unterschriftenzettel kontrolliert hat, von Wahlbetrug sprechen. Das ist
völlig daneben und kann nicht unsere Billigung finden.
Dieses Vorgehen begründet den Verdacht, dass bei der
Prüfung dieser Unterschriften erhebliche Kritik angebracht ist und wir dreimal hingucken müssen.
Auf der anderen Seite müssen wir aber auch feststellen, dass von den über 3 Millionen Unterschriften ganz
offensichtlich eine ganze Reihe zweifelhaft sind. Wenn
ich das richtig weiß, hat selbst die Opposition nicht bei
zehn oder 200 oder 2 000, sondern bei immerhin
200 000 dieser Unterschriftenzettel davon gesprochen,
dass sie nicht richtig zustande gekommen sind und zurückgezogen werden müssen. Wenn der Oberste Wahlrat
dann erklärt, noch sehr viel mehr Unterschriftenzettel
müssten überprüft werden, sollten wir das aufgreifen
und dürfen nicht von vornherein sagen: Dieser Wahlrat
macht nur das, was Präsident Chávez sagt. Das heißt, wir
müssen fordern, dass eine objektive, eine rechtsstaatliche Überprüfung der Voraussetzungen für das Referendum erfolgt. Wenn es in Venezuela nicht möglich ist,
sich auf eine allseits akzeptierte Überprüfung zu einigen,
weil die Fronten zu verhärtet sind, müssen wir - das
finde ich richtig, das sollten wir auch von hier aus fordern - eine internationale Überprüfung in die Wege leiten. Das wird wahrscheinlich nicht von Deutschland aus
passieren können, aber es wird von den Nachbarstaaten
aus durchaus möglich sein.
Wir müssen vorher beide Seiten - die Opposition und
die Regierung - auffordern, ein solches Ergebnis anzuerkennen. Dann wird entweder ein Referendum durchgeführt oder nicht, falls die Anzahl der gültigen Unterschriften nicht ausreicht. Nach einem Referendum
müssten Neuwahlen stattfinden.
Lassen Sie mich abschließend einen Satz wiederholen: Ihr Antrag ist deshalb nicht zustimmungsfähig, weil
er den Eindruck erweckt, als ob nur die Opposition an
die Regierung gebracht werden müsste, um in Venezuela
ökonomisch vernünftige und demokratische Verhältnisse
herzustellen. Dem ist absolut nicht so.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Weisskirchen?
Ja.
Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Also fassen Sie
sich beide bitte kurz.
({0})
Es geht hier eindeutig um die Sache. Herr Kollege
Ströbele, vorhin hat der Redner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Kollege Hedrich, behauptet, dass FARC in
Venezuela eine Chance habe oder sich gar bewegen
könne. Ich weiß nicht, ob er dafür Beweise hat.
({0})
Aber vielleicht können Sie in irgendeiner Weise eine
Antwort auf das geben, was er letztlich als Vorwurf formuliert hat.
Herr Kollege, diese Frage ist völlig berechtigt. Ich
habe bereits im Ausschuss zu dieser Frage Stellung genommen. Ich will auch hier dazu Stellung nehmen. Wir,
ich selber, die Koalition und auch die Bundesregierung,
haben immer wieder vor einer Entwicklung in Kolumbien gewarnt, die dazu führt, dass unter anderem FARCRebellen, aber auch andere militärische Kräfte, die in
Kolumbien unter Druck geraten, in die Nachbarstaaten
ausweichen. Das gilt sowohl für Ecuador als auch für
Brasilien sowie für Venezuela als Nachbarstaaten.
({0})
Unter anderem lehnen wir den Plan Colombia für Kolumbien ab, weil wir sagen: Das führt dazu, dass der
Krieg, der in Kolumbien stattfindet, jetzt auch in Venezuela oder Ecuador geführt werden soll. Das heißt, die
Behauptung von Ihnen, Herr Chávez stecke mit der Guerilla aus Kolumbien unter einer Decke, ist eine unbewiesene Unterstellung. Das muss man ganz konkret feststellen.
({1})
Lassen Sie mich meinen anderen Satz noch zu Ende
bringen.
({2})
- Aber natürlich!
Die Redezeit ist jetzt doch abgelaufen.
Ich komme zu dem Satz, mit dem ich aufgehört habe.
Ich sage Ihnen: Eine Opposition, die 40 Jahre lang
Gelegenheit hatte, in Venezuela eine demokratische und
ökonomisch vernünftige Politik zu machen, die an der
Korruption gescheitert ist - deshalb wurde dieser Präsident gewählt -, die vor zwei Jahren
Herr Kollege!
- einen Putsch durchgeführt hat und als erste Maßnahme das Parlament aufgelöst hat, hat sich selber diskreditiert und ist auch keine Alternative für Venezuela.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Weiß. Sie
haben gesehen, es sind extra viele Kollegen in den Plenarsaal gekommen, um Ihnen zum Geburtstag zu gratulieren. Das tun wir hiermit.
({0})
Vielen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Der Kollege Weisskirchen ruft mir zu: Sei versöhnlich!
Doch ich verstehe die Argumentationsweise der Kollegen Mark und Ströbele nicht. Man muss sich bei einer
Rede im Parlament fragen: Wem soll das nutzen, was ich
hier sage?
({1})
Das Argument, auf die Mängel der früheren Regierungen und politischen Parteien hinzuweisen, ist berechtigt.
Aber das ist ja auch die typische Methode, mit der Chávez
argumentiert und seine antidemokratische Politik durchsetzt.
({2})
So, wie Sie das jetzt praktisch vorgetragen haben, ist das
nur Wasser auf die Mühlen von Chávez. Man muss sich
immer fragen: Wem nutzt es?
({3})
Das Gleiche gilt - ich denke an die zur Mehrheitsbeschaffung notwendige Frage des Kollegen Weisskirchen
an den Kollegen Ströbele - für die Tätigkeit der kolumbianischen Guerilla. Kürzlich war Staatspräsident Uribe
aus Kolumbien hier. Die Bundesregierung - auch Vertreter der SPD-Fraktion - hatte Gelegenheit, ausführlich mit
ihm zu sprechen.
({4})
Uribe erklärt klar und deutlich: Bei der Terrorismusbekämpfung an den kolumbianischen Grenzen besteht
Einvernehmen und Gemeinsamkeit mit sämtlichen
Nachbarstaaten, die von der politischen Farbe her zum
Teil sehr unterschiedlich regiert werden. Das einzige
Land, mit dem das nicht funktioniert, ist Venezuela.
Deswegen ist es offenkundig, dass Chávez es hinnimmt und duldet - wenn nicht sogar fördert -, dass das
venezulanische Staatsgebiet von der kolumbianischen
Guerilla als Rückzugsgebiet genutzt wird.
({5})
Ich habe in Caracas mit Vertretern dreier unterschiedlicher Menschenrechtsorganisationen Venezuelas gesprochen. Alle drei haben mir bestätigt, dass sie vor Ort klare
Erkenntnisse darüber gewonnen haben, dass die kolumbianische Guerilla auf venezolanischem Staatsgebiet frei
schaltet und waltet.
({6})
Dieser Punkt muss offensiv, klar und deutlich angesprochen werden. Dafür gibt es keine Entschuldigung.
({7})
Venezuela befindet sich in diesen Tagen in einer sehr
kritischen Situation; denn es ist offenkundig, dass die
Unterschriften für das Abberufungsreferendum nur auf
massiven politischen Druck von Chávez nicht anerkannt
wurden. Das Abstimmungsergebnis im Wahlrat betrug
drei zu zwei. Die unabhängigen Beobachter der OAS
und des Carter-Zentrums kritisieren dieses Ergebnis klar
und eindeutig. Ein Präsident, der von Anfang an und bis
heute nur erklärt, dieses Referendum sei ein Megabetrug, macht deutlich: Er ist gar nicht an einem fairen
Auszählverfahren interessiert. Für ihn stand von vornherein fest, dass ein Referendum für ihn und seine Regierung nicht infrage kommt, obwohl es in der Verfassung vorgesehen ist. Das ist der von Anfang an klar
geäußerte antidemokratische Wille des Herrn Chávez,
den es eindeutig zu verurteilen und zu kritisieren gilt.
({8})
Wenn man fragt, auf was dieser Präsident eigentlich
noch reagiert, bekommt man immer die Antwort: Wenn,
dann nur auf Druck von außen. Deswegen glaube ich: So
weit Venezuela auch von uns weg ist, wir Deutschen und
wir Europäer würden einen großen Fehler begehen,
wenn wir jetzt nicht mit einer klaren und eindeutigen
Äußerung den notwendigen politischen Druck aufbauen
würden, der Chávez vielleicht doch noch zum Einlenken
bringt und der die Voraussetzung dafür ist, dass es in Venezuela wieder zu einer vernünftigen politischen und
Peter Weiß ({9})
wirtschaftlichen Entwicklung kommen kann; darum geht
es.
({10})
Deswegen kann ich es nicht verstehen, dass mit Argumenten, die zum Teil an den Haaren herbeigezogen sind,
versucht wird, den Antrag der CDU/CSU heute hier im
Bundestag abzulehnen.
({11})
- Herr Ströbele, wenn er schlecht wäre, dann hätte ich es
ja verstanden, wenn die Koalitionsfraktionen Änderungsanträge in die Ausschussberatungen eingebracht
oder heute einen eigenen Antrag vorgelegt hätten. Das
haben Sie aber nicht getan. Das Europäische Parlament
war gestern mit den Stimmen der Christdemokraten und
der Sozialdemokraten in der Lage, gemeinsam eine klare
Entscheidung zu treffen und ein klares Signal an Venezuela zu senden. Dass der Deutsche Bundestag angesichts der Verweigerung von Rot-Grün heute offensichtlich nicht in der Lage dazu ist, gibt einem in der Tat zu
denken. Das halte ich für eine Niederlage und nicht für
einen Sieg der Demokratie.
({12})
Ich stelle einmal die Frage: Cui bono? Wem nützt
denn das, was sich hier abspielt?
({13})
Ich nehme den Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten und der Grünen gerne ab, dass auch sie, wie
wir, die Entwicklung in Venezuela mit großer Sorge beobachten.
({14})
Das heutige Abstimmungsergebnis wird aber nur
Chávez und seinen Anhängern nutzen. Sie werden Ihre
Reden - ich gebe gerne zu: von Ihrer Seite aus ist dies
nicht gewollt - als Unterstützung für ihre Position werten. Von daher bitte ich Sie noch einmal herzlich, sich zu
überlegen, ob wir heute das richtige oder das falsche Signal nach Venezuela senden.
({15})
Wir haben es als deutsche Parlamentarier und Europäer
in der Hand, ob wir unseren Parlamentskolleginnen und
-kollegen in Venezuela die notwendige Unterstützung
geben und eine Lanze für Demokratie und Freiheit brechen.
({16})
Angesichts seiner potenziellen wirtschaftlichen
Stärke und angesichts seines Ölreichtums ist Venezuela
ein wichtiges und bedeutendes Land in Lateinamerika.
Es kann uns nicht egal sein, dass sich dieses Land zu einer autoritären Diktatur entwickelt. Deswegen wäre es
notwendig gewesen, dass wir im Deutschen Bundestag
ein einheitliches und klares Signal senden. Ich bedauere
außerordentlich, dass Rot-Grün aus mir nicht verständlichen Gründen dazu nicht bereit und in der Lage ist.
({17})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 15/2671. Der Ausschuss
empfiehlt die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/2389 mit dem Titel: „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unterstützen - Freiheit der Medien und wirtschaftliche Prosperität
wiederherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? ({0})
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 a auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({1}), Joachim Günther ({2}),
Eberhard Otto ({3}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sicherstellen
- Drucksache 15/2423 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4})
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist einigermaßen schwierig, sich von der großen Politik
und den Menschenrechten in Venezuela abzuwenden und einem für uns in Deutschland sicherlich mindestens genauso
drängenden Problem zuzuwenden, nämlich der Sicherstellung der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Dieses
Horst Friedrich ({0})
brennende Thema ist in unserem Antrag vom Januar dokumentiert worden. Dabei agieren die Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen offensichtlich nach wie
vor nach den Prinzipien Hoffnung und Glauben. Damit
kann man aber weder Verkehrswege bauen noch Arbeitsplätze erhalten noch neue schaffen.
Wie anders ist denn zu verstehen, dass der für diesen
Bereich zuständige Minister, Manfred Stolpe, auf Nachfragen erklärt: Ich bin mir mit dem Bundeskanzler und
dem Finanzminister einig, dass Investitionen stattfinden
müssen. - Dieser Aussage kann man zwar uneingeschränkt zustimmen.
({1})
Aber was heißt das für seinen Etat? Die Ausgangssituation war folgende: Der Minister hat in völliger Nichtbeachtung der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses zur
Maut - diese hat die FDP Gott sei Dank nicht mitgetragen, weil wir schon damals weitere Ärgernisse vorhergesehen und befürchtet haben -,
({2})
Einnahmen von 2,1 Milliarden Euro aus der Maut in seinen Haushalt für das Jahr 2004 eingestellt. Gleichzeitig
aber hat er den Haushaltsansatz um 2,2 Milliarden Euro
reduziert, um die Entsperrung der Milliarde gegenüber
dem Haushaltsausschuss zu begründen und eine angebliche seriöse Gegenfinanzierung nachzuweisen: Man
stelle einfach eine gute Milliarde Euro aus Einnahmen
aus dem laufenden Schiedsgerichtsverfahren mit dem
Konsortium Toll Collect ein. Kein Mensch kann zum
heutigen Zeitpunkt sagen, ob die Bundesregierung überhaupt Geld bekommt, wann es fließt - das kann schließlich noch ein paar Jahre dauern - oder wie diese 1 Milliarde Euro seriös in den Haushalt eingestellt werden
soll. Das ist die eine Maßnahme, die zur Sicherung der
2 Milliarden Euro erfolgte.
Interessant ist aber auch eine weitere Maßnahme. Dafür darf die Bahn herhalten, die sich anschickt, an die
Börse zu gehen. Ihr wird folgender Deal aufs Auge gedrückt: Die Bahn muss sich am Kapitalmarkt 1 Milliarde
Euro besorgen, mit der Darlehen vorfristig getilgt werden, die ihr aber bisher zinslos zur Verfügung gestellt
worden sind. Durch diese Vorfristigkeit der Tilgung bekommt diese 1 Milliarde Euro auf einmal das Volumen
von 2 Milliarden Euro. Aber das Geschäft bleibt aus
meiner Sicht noch immer anrüchig; denn hier geht es um
die Seriosität von Haushaltszahlen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, auf
dieser Basis versuchen Sie, einen Haushalt zu einem Zeitpunkt aufzustellen, zu dem wir einen neuen Verkehrswegeplan beraten, die EU-Osterweiterung auf uns zukommt
und die von Ihnen selbst vorgelegten Straßenbauberichte
dokumentieren, in welchem Zustand die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist. 30 Prozent aller technischen
Bauwerke wie Brücken und Tunnel sind - wenn überhaupt - nur noch eingeschränkt nutzbar. Mindestens weitere 20 Prozent sind gerade noch akzeptabel. Aber der
Rest müsste dringend ausgebaut werden, von neuen Verkehrswegen ganz zu schweigen.
Ich will gar nicht auf die sehr positive Antwort der
Bundesregierung bezüglich der Finanzierung der Verkehrswege für die Fußballweltmeisterschaft eingehen.
Das basiert alles auf der Annahme, dass das Geld, das
Sie angeblich so seriös vorfinanziert haben, tatsächlich
fließt. Das glaube ich, ähnlich wie bei der Umsetzung
der Maut, erst dann, wenn ich es tatsächlich gesehen
habe. Von einer Bundesregierung, die die Aufgabe hat,
einen Haushalt vorzulegen, der den Grundsätzen der
Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit entspricht, erwarte ich mehr als das, was Sie vorlegen. Das zeigt allerdings auch die Not, in der Sie sind.
Das Schlimme an dem ganzen Dilemma ist, dass Sie
offensichtlich völlig ignorieren, dass Arbeitsplätze in der
überwiegend mittelständisch geprägten Bauwirtschaft
aufgrund dieser Verunsicherung wegfallen. Mittlerweile
stapeln sich bei uns die Briefe von Vertretern der Bauindustrie und von Handwerkern, seien sie nun im Bereich
der Schiene oder des Straßenbaus tätig, in denen händeringend darum gebeten wird, endlich Sicherheit bei der
Finanzierung zu schaffen.
({4})
Sie versuchen das zwar. Aber die Grundlage dafür,
dass wir Ihnen das glauben können, haben Sie mit dem,
was Sie bisher vorgelegt haben, nicht geschaffen.
Ganz besonders toll ist, dass der Herr Minister die
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die die
Maut einnehmen sollte und die von Ihnen bewusst nicht
kreditfähig gemacht worden ist,
({5})
aufgefordert hat, sie solle mal eben 1 Milliarde Euro
Kredit aufnehmen. Auf die gesetzliche Ermächtigung
dafür, dass er das auch darf, warten wir noch. Der Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen, dokumentiert das alles. Deswegen wäre es schön, wenn Sie ihm zustimmen
würden. Das müssen Sie tun, wenn Sie sich als Parlamentarier noch ernst nehmen wollen.
Danke sehr.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Beckmeyer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Horst Friedrich, man fragt sich nicht nur,
ob der Antrag alt war, sondern auch, ob Ihre Rede aus
dem Januar stammt. Denn das, was Sie hier vorgetragen
haben, ist inzwischen überholt.
({0})
Überholt ist der aufgrund der fehlenden Mehrheit zurückgezogene Antrag zur Einsetzung eines UntersuUwe Beckmeyer
chungsausschusses, wobei Sie, wie ich der „Welt“ von
heute entnehmen konnte, darauf spekulieren, ihn in
14 Tagen erneut einzubringen. Glauben Sie denn, dass
Sie in 14 Tagen eine Mehrheit haben?
({1})
Genauso verhält es sich mit Ihrem Antrag zu Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, den Sie hier im Bundestag diskutieren wollen.
({2})
Wichtig ist doch, dass die Verkehrsinfrastruktur im Jahre
2004 finanziert werden kann. Am besten ist es, wenn wir
dafür Geld haben und nicht auf irgendwelche anderen
Titel zurückgreifen müssen.
({3})
Das ist durch den Haushaltsausschuss sichergestellt, der
einstimmig, auch mit den Stimmen der FDP, die Aufhebung der Sperre beschlossen hat.
({4})
Das führt dazu, dass es wieder eine ordentliche Verkehrsinfrastrukturfinanzierung für das Jahr 2004 im
Haushalt des Verkehrsministeriums gibt.
Was bedeutet nun der Finanzierungsvorschlag des Finanzministers in Bezug auf die 1 Milliarde von der DB
AG, den Sie als kritikwürdig bezeichnet haben? Das ist
zum Vorteil der Deutschen Bahn AG, weil zinslose Darlehen des Bundes sofort fällig werden und damit Schulden der DB AG in Höhe von 2 Milliarden Euro zurückgezahlt werden. In diesem Fall ist das auch zum Vorteil
der Bundesrepublik Deutschland. Beide haben etwas davon. Das ist eine klassische Win-Win-Situation.
({5})
Wir diskutieren einen Antrag, der vom 28. Januar dieses Jahres stammt. Es ist ein Problem, wenn man Anträge zu Zwischenstadien stellt und glaubt, politisch aufhucken zu müssen und damit die Lösung zu haben.
({6})
Inzwischen ist die Zeit über Ihren Antrag hinweggegangen. Es gibt eine völlig neue Situation. Diese Situation
ist eindeutig geklärt, wie ich eben schon beschrieben
habe.
({7})
Ich will etwas zu den einzelnen Punkten sagen. Ihre Forderung nach Sicherstellung der Investitionsmittel ist, wie
Sie ebenso wie ich wissen, längst von der Realität überholt.
Die jüngst mit dem Betreiberkonsortium getroffene
Vereinbarung besagt, dass der Auftragnehmer für alle
Nettomautausfälle des Bundes haften wird.
({8})
Als Beginn der Mauterhebung wurde der 1. Januar 2005
festgelegt. Damit konnten - ich wiederhole das an dieser
Stelle - in der 42. Sitzung des Haushaltsausschusses am
3. März auch mit den Stimmen der FDP die Sperre für
die mautfinanzierten Ausgaben aufgehoben und die geplanten Investitionen laut Kapitel 12 02 beschlossen
werden. Die nötigen Mittel sind somit für 2004 durch
den Beschluss des Haushaltsausschusses gesichert.
({9})
Für die folgenden Jahre zwingen jedoch die globalen
Minderausgaben und die Einsparauflagen aus der Umsetzung der gemeinsam beschlossenen Koch/SteinbrückVorschläge - aus denen Sie sich bitte nicht verabschieden mögen, weil Sie im Vermittlungsausschuss mitgewirkt haben - zu einer strengen Priorisierung der Vorhaben und einem flexiblen Einsatz der Haushaltsmittel.
Insofern ist der erste Punkt abgehakt und überflüssig.
Zum zweiten Punkt: Ihre Forderung zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft ist nicht ohne
Weiteres von der Hand zu weisen, zumal auch wir Sozialdemokraten dieses Instrument in unsere Überlegungen einbezogen hatten. Es ist richtig, dass die Mauteinnahmen unmittelbar der VIFG zugewiesen werden,
wenn diese Gesellschaft kreditmarktfähig gestellt wird.
Die Gesellschaft ist doch im vergangenen Jahr gegründet
worden, um eine Bündelungsfunktion für die erhobenen
Nutzerentgelte aus der Verkehrswegenutzung zu übernehmen und die reine Haushaltsfinanzierung durch eine
Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu ergänzen.
Für die maastrichtkonforme Kreditfähigkeit der VIFG
ist die Sektorzuordnung entscheidend. Die ökonomischen Aktivitäten der VIFG sind dann als maastrichtwirksam anzusehen, wenn sie nicht dem Sektor Kapitalgesellschaften, sondern dem Staat im Sinne der Regeln
des europäischen Systems volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung zugerechnet werden. Sie wissen aber so gut
wie ich, dass wir uns dazu derzeit noch im Stadium einer
verfassungsrechlichen Prüfung befinden. Lassen Sie uns
die Ergebnisse dieser Prüfung abwarten. Dann können
wir uns zu einem späteren Zeitpunkt weiter mit diesem
Thema beschäftigen.
Zum dritten Punkt: Ihre Forderungen nach einem Gesetzentwurf zur Erweiterung der privatwirtschaftlichen
Finanzierungs- und Beteiligungsmodelle sowie nach
mehr Möglichkeiten zur Anwendung der so genannten
A-Modelle und F-Modelle sind überflüssig. Dass wir
diese Modelle in Zukunft noch stärker anwenden werden, ist längst Konsens und auch mit dem Ministerium
abgesprochen.
Das A-Modell ist bereits Bestandteil eines eigenen
Programms des Bundesverkehrsministeriums mit einem
Investitionsvolumen von 3,6 Milliarden Euro. Die Umsetzung dieses Programms erfordert die Zustimmung des
jeweiligen Bundeslandes. Es ist zwischenzeitlich von allen betroffenen Ländern zur weiteren Realisierung akzeptiert worden. Zur Umsetzung der Projekte nach dem
A-Modell bedarf es deshalb keiner spezialgesetzlichen
Grundlage.
Zum so genannten F-Modell ist zu sagen, dass derzeit
neun Betreibermodelle mit einem Investitionsvolumen
von 2,9 Milliarden Euro vom Ministerium geprüft werden. Bundesweit gibt es seit dem 12. September 2003
die „Feste Warnowquerung Rostock“ als erstes Projekt
nach diesem Modell. Es folgen die Travequerung bei Lübeck bis Mai 2005 und der Wesertunnel in Bremen bis
2010. Das heißt, dass auch hier die Verantwortlichen
längst an einer Erweiterung privatwirtschaftlicher Finanzierungs- und Beteiligungsmodelle für den Bundesverkehrswegeplan arbeiten. Neue Gesetze, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, benötigen wir in diesem Bereich
nicht.
({10})
Ich komme zum Schluss. Der Ausbau der Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und des Schienennetzes ist zweifelsohne eine entscheidende Voraussetzung
für eine positive Entwicklung der Wirtschaft. Durch die
genannten Entscheidungen - an denen auch Sie im
Haushaltsausschuss beteiligt waren - haben wir trotz
schwieriger Rahmenbedingungen die notwendigen Investitionen auf einem verantwortbaren Niveau gesichert.
Dies ist ein Erfolg der Bundesregierung, des Ressorts
und der die Bundesregierung tragenden Fraktionen. Dieser Erfolg ist gut für unser Land.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Blank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Beckmeyer, es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber entweder Sie träumen oder Sie glauben an
Märchen.
({0})
Herr Staatssekretär Diller, überzeugen Sie doch die SPD
von dem, was im Haushaltsausschuss beschlossen
wurde! Von 2,1 Milliarden Euro veranschlagten Mauteinnahmen wurde nämlich 1 Milliarde Euro gesperrt, die
zwar inzwischen wieder entsperrt wurde, aber die Mittel
fehlen trotzdem.
Das ist für die deutsche Verkehrsinfrastruktur eine
echte Katastrophe,
({1})
und zwar erstens deshalb, weil bis Ende 2004 rund
2,8 Milliarden Euro fehlen werden. Das sind 60 000 Arbeitsplätze in der Baubranche. Das Anti-Stau-Programm
aus dem Jahr 2000, das im Hinblick auf die LKW-Maut
konzipiert wurde, ist doch Makulatur. Das Gleiche kann
man bald auch vom Bundesverkehrswegeplan behaupten.
Zweitens. Ortsumgehungen, die ja Menschenschutz
und Umweltschutz bedeuten, und der wichtige Ausbau
hoch belasteter Autobahnen können nicht in Angriff genommen werden.
Drittens. Der Ausbau der Wasserwege stagniert, und
zwar nicht nur aufgrund fehlender Mittel, sondern auch
aufgrund der restriktiven Vorstellungen des Umweltministeriums. Wie lange hat es nach dem Hochwasser gedauert, bis an der Elbe die dringend notwendigen Reparaturmaßnahmen begonnen werden konnten? Eineinhalb Jahre! Mittlerweile sollten doch alle wissen,
dass eine Verlagerung auf das umweltfreundliche Binnenschiff nur funktionieren kann, wenn eine möglichst
ganzjährige Befahrbarkeit der Wasserstraßen gewährleistet ist. Aber zwischen Sonntagsreden und Handeln
klaffen bei Rot-Grün große Lücken.
Viertens. Der Ausbau der Schieneninfrastruktur
wurde gestoppt. Das Thema Schiene ist ein ganz besonderes Kapitel. Zum Beispiel wirft das Verkehrsprojekt
„Deutsche Einheit“ Nr. 8.1/8.2 - Halle-Leipzig-Nürnberg - die Frage auf, wer eigentlich die Verantwortung
für die Schieneninfrastruktur in Deutschland hat.
({2})
Die rot-grüne Bundesregierung hat im Jahr 2002 aus ideologischen Gründen diese Strecke auf Eis gelegt. Dann
hat der Bundeskanzler angekündigt - er hat so versucht,
Wählerstimmen in den neuen Bundesländern zu gewinnen -, dass diese Stecke gebaut wird. Schließlich wurde
vonseiten der Deutschen Bahn AG mitgeteilt, dass dieses wichtige Verkehrsprojekt der transeuropäischen
Netze mangels Geld nicht mehr weitergebaut wird, was
umgehend vom Verkehrsministerium dementiert wurde.
Die Grünen wollen das Projekt sogar qualifiziert beenden. Ich frage mich angesichts dessen, wer Herr im
Hause ist. Eigentlich müsste Minister Stolpe seinen Platz
für Herrn Mehdorn räumen.
({3})
Noch einige Anmerkungen zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die keine Kredite aufnehmen darf: Es rächt sich nun, dass diese Gesellschaft - salopp formuliert - nur ein Inkassobüro ist und keine
weiteren Aufgaben hat. Man hat also nur eine Organisationspriviatisierung und keine Aufgabenprivatisierung,
wie von der Pällmann-Kommission vorgeschlagen, vorgenommen. Die Verwaltungsausgaben für diese Gesellschaft stehen zwar im Haushalt. Es gibt jedoch nichts zu
tun. Es werden derzeit Däumchen gedreht.
({4})
Wir brauchen eine Weiterentwicklung der privatwirtschaftlichen Finanzierungs- und Beteiligungsmodelle,
aber mit Beteiligung des Parlaments; denn wohin es
führt, wenn das Parlament nicht beteiligt ist, sehen wir
bei der LKW-Maut.
({5})
Die künftigen LKW-Maut-Mittel - sofern sie denn
überhaupt fließen - sollten, wie der Kollege Horst
Friedrich schon ausgeführt hat, zusätzlich zu den bisherigen Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt werden.
Ich wundere mich allerdings, warum die Länder hier
nicht aufheulen; denn sie sind betroffen. Aber wahrscheinlich schreien sie deshalb noch nicht, weil überhaupt noch keine Mittel zur Verfügung stehen.
Auch das Anti-Stau-Programm aus dem Jahr 2000
sollte - so die Intention der Bundesregierung - dringend
erforderliche Zusatzmittel zur Verfügung stellen; denn
die Vertreter der Bundesländer hatten schon im Jahr
1997 darauf hingewiesen, dass ihnen 4 Milliarden DM,
also rund 2 Milliarden Euro pro Jahr fehlen. Diese Aussage wurde auf einer Sondersitzung der Landesverkehrsminister am 25. Februar 2004 bestätigt; denn der einstimmige Beschluss fordert vom Bund, sein Investitionsniveau
bei den Fernstraßen auf mindestens 5,8 Milliarden Euro
pro Jahr zu steigern, damit Stau auf deutschen Straßen
verhindert werden kann. Laut Aussage der Bundesregierung betragen die Staukosten 100 Milliarden Euro pro
Jahr.
Die von Minister Stolpe vorgestellte Lösung betreffend die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung ist aber kein
seriöses Konzept. Die Erwartung, nach dem Schiedsverfahren 1,5 Milliarden Euro zu erhalten, gleicht doch einem ungedeckten Scheck. Bei diesem miserablen Vertrag
sind doch die Aussichten wenig erfolgversprechend - von
der Dauer gar nicht zu reden. Es steht noch nicht fest, ob
die Mittel überhaupt und wann sie fließen. Man kann sogar davon ausgehen, dass dieses Schiedsverfahren mindestens ein bis zwei Jahre dauern wird.
Die vorfristige Tilgung zinsloser Darlehen seitens der
DB AG - auch hierbei geht es um einen Betrag von über
1 Milliarde Euro - stellt eine Anleihe auf die Zukunft
dar; denn für künftige Haushalte sind die Tilgungsraten
bereits eingeplant und fallen damit in den Folgejahren
aus.
Ich möchte ein Wort zu der im Raum stehenden Einrichtung eines Untersuchungsausschusses sagen.
Aber achten Sie bitte auf die Zeit!
Zurzeit liegen wichtige Fakten auf dem Tisch. Es ist
bekannt, dass es sich um einen für die Bundesregierung
sehr schlechten Vertrag zulasten der Bürgerinnen und
Bürger handelt. Hinzu kommt ein miserables Controlling durch die Bundesregierung. Minister Stolpe sollte
sich aber nicht sicher fühlen; denn es könnte eine Situation entstehen, die einen Untersuchungsausschuss erforderlich macht, zum Beispiel wenn weitere schwerwiegende Ungereimtheiten erkennbar werden oder die
Bundesregierung eine lückenlose Aufklärung verweigert. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Albert Schmidt.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dieser Tagesordnungspunkt - er beschäftigt
uns an einem Freitagnachmittag, wo viele schon im Wochenende sind - ist offenbar so interessant, dass er sogar
die Bürgermeister des Landkreises Neu-Ulm nach Berlin
geführt hat.
({0})
Das zeigt uns, dass die Frage: „Wie geht es mit den Verkehrsinvestitionen weiter?“, alle, also die Vertreter der
Bundespolitik bis hin zu denen der Kommunalpolitik,
umtreibt. Dass wir es mit einem Megaproblem zu tun haben, lässt sich überhaupt nicht wegdiskutieren. Wenn in
einem Haushaltsjahr 2,1 Milliarden Euro an Nettoeinnahmen ausfielen, ohne dass das Probleme nach sich
zöge, dann wäre das ein Wunder Gottes. Nach Adam
Riese muss das ein gigantisches Problem sein. Dieses
Problem ist im Grunde nicht lösbar; aber es ist beherrschbar.
({1})
Zu diesem einvernehmlichen Ergebnis sind in den letzten Tagen und Wochen der Bundesfinanzminister, der
Bundesverkehrsminister und das Parlament gekommen.
Lieber Kollege Friedrich, das Ziel, die Investitionen
in die Verkehrsinfrastruktur sicherzustellen, teile ich voll
und ganz. Ich glaube, niemand in diesem Hause hat etwas gegen dieses Ziel. Nur: Für diejenigen, die in der
Regierungsverantwortung sind, reicht es natürlich nicht,
einen Antrag mit einer sicherlich lobenswerten Intention
zu stellen; vielmehr muss man der Aufforderung tatsächlich nachkommen.
({2})
- Die Wählerinnen und Wähler haben anders entschieden, Herr Kollege. Wir können jetzt nicht einfach tauschen. Das ist so.
({3})
Ich bin ganz froh, dass es mittlerweile gelungen ist,
dafür zu sorgen, dass die gesperrten Haushaltsmittel - es
handelt sich um Mittel in der Höhe der Hälfte der Nettoeinnahmen durch die Maut - für dieses Jahr freigegeben
werden.
({4})
Das ist nicht nur für die Bauwirtschaft, sondern auch
für die Verkehrspolitiker ein wichtiges Signal. Das bedeutet nämlich: Mit Planungen kann sofort begonnen
werden, bei der DB vorhandene Vergabestopps können
aufgehoben werden - teilweise ist es schon geschehen und eine weitere Verzögerungsstrategie seitens großer
Albert Schmidt ({5})
Auftraggeber wie der DB AG hat keine sachliche Grundlage mehr.
({6})
Meines Erachtens ist die Verteilung der Finanzlast,
die durch diese Finanzlücke entstanden ist, im Rahmen
des Möglichen erfolgt und eigentlich ganz ansehnlich.
Wie schon angesprochen wurde, erwartet man vom Konsortium als dem eigentlichen Verursacher der Ausfälle
sehr wohl Schadenersatzzahlungen und Vertragsstrafenzahlungen in erheblicher Höhe.
({7})
Unter Verkehrspolitikern sollte in dieser Angelegenheit
an und für sich kein Grund zur Kritik bestehen. Vielmehr
sollte es völlig normal sein, dass wir unsere Forderungen
zunächst an diejenigen richten, die uns den Schlamassel
eingebrockt haben.
({8})
Was wäre denn die Alternative? Wenn wir im Umkehrschluss gesagt hätten: „Herr Eichel, stellen Sie uns
einen Scheck in Milliardenhöhe aus, damit die Industrie
keine Probleme bekommt“, dann hätten wir damit signalisiert: Wir glauben gar nicht an unsere Schadenersatzansprüche und wir wollen sie gar nicht ernsthaft einfordern. Das wäre genau der falsche Weg gewesen.
({9})
Frau Kollegin Blank, wenn behauptet wird - darauf
wurde schon hingewiesen -, dass die Verflüssigung der
Schadenersatzansprüche in der erforderlichen Höhe natürlich nicht innerhalb von wenigen Monaten zu erwarten ist, weil ein Schiedsgerichtsverfahren einige Zeit
dauert - wir alle wissen nicht genau, wie lange -, dann
stimme ich sofort zu. Es ist auch klar, dass wir alle nicht
genau wissen, wie lange es dauert. Es kann also sehr
wohl die Situation entstehen, dass wir die Einnahmen,
die wir von dieser Seite einfordern und mit gutem Grund
erwarten, zwischenfinanzieren müssen. Um diese Tatsache rede ich nicht herum. Aber von vornherein zu sagen,
dass man das gar nicht für möglich hält, wäre ein völlig
falsches Signal. Es könnte zur Finanzierung dieses Anteils also allenfalls eine Zwischenfinanzierung nötig
werden.
Der zweite Teil ist ja nun durch die Vereinbarung
mit der Deutschen Bahn AG gesichert. Man kann jetzt
kritisieren - das kann ich durchaus nachvollziehen -,
dass die Deutsche Bahn AG in einem Akt des politischen
Judo die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen hat und
eine Regelung vorgeschlagen und wohl auch gewährt
bekommen hat, die im Grunde genommen dem Unternehmen nicht schadet, sondern unterm Strich sogar
nützt. Das kann man kritisieren. Aber unter den gegebenen Umständen halte ich das von beiden Seiten für clever und unheimlich kreativ.
({10})
Sie sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass die Deutsche Bahn AG Verbindlichkeiten - auf Deutsch: Schulden - gegenüber dem Bund vorzeitig ablösen kann und
dafür dann einen Abschlag bekommt. Das ist auch im
normalen Wirtschaftsleben durchaus der Fall. So haben
unterm Strich beide Seiten etwas davon: Die eine, in diesem Fall die Deutsche Bahn AG, verringert ihren Schuldensaldo und die andere, in diesem Fall der Bund, erhält
vorzeitig ihr Geld zurück und kann früher damit operieren, also unmittelbar sofort wieder für Investitionen in
die Schiene einsetzen.
({11})
Ich kann nichts erkennen, was daran falsch oder schlecht
wäre. Ich finde, wir sollten uns als Verkehrspolitiker gemeinsam darüber freuen, dass diese Möglichkeit wahrgenommen wurde.
Lassen Sie mich abschließend sagen, da meine Redezeit schon fast abgelaufen ist: Wir sollten an dieser Stelle
nicht polarisieren,
({12})
sondern zusammenhalten. Wir stehen gemeinsam vor
der Aufgabe, das Geld zu sichern. Ich sage eines ganz
klar - das habe ich hier schon einmal gesagt -: Wir haben jetzt für den Haushalt 2004 die Auswirkungen der
Verhandlungsergebnisse des Vermittlungsausschusses,
soweit es in unserer Macht stand, minimiert und gerecht
verteilt; wir konnten sie nicht vollständig abwenden. Ich
bin aber strikt dagegen, dass wir das, was im Dezember
2003 beschlossen wurde, einfach widerstandslos in der
vorgesehenen Höhe für die Jahre 2005, 2006 und womöglich noch folgende durchexekutieren. Das halte ich
auch aus verfassungsrechtlichen Gründen für problematisch. Von daher müsste es unser gemeinsames Anliegen
sein, alles zu tun, damit die Kürzungen, die in den Einzelplänen erbracht werden sollen, meinetwegen auch im
Einzelplan 12, Verkehr, nicht vollständig und vor allen
Dingen nicht bei den Investitionen im Verkehrsetat
durchschlagen.
({13})
Das hielte ich für verkehrspolitisch falsch und für konjunkturpolitisch kontraproduktiv. Lassen Sie uns in diesem Punkt am selben Strang ziehen und auch mit unseren Ministerpräsidenten reden, die uns den Quatsch
eingebrockt haben. Das waren sowohl Herr Koch als
auch Herr Steinbrück, aber eben nicht nur Herr
Steinbrück. Die Opposition kann sich an dieser Stelle
nicht wegducken. Sie steht in dieser Frage genauso in
der Verantwortung wie die Koalition.
({14})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Lena Strothmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle
in diesem Hohen Haus haben ein gemeinsames Ziel,
nämlich Arbeitsplätze zu sichern. Das heißt, zu verhindern, dass immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit abdriften. Auch in einer Debatte über Investionen in Verkehrsinfrastruktur in Deutschland muss das betont
werden. Das ist ein Aspekt, der immer wieder vergessen
wird. Arbeitsplätze entstehen eben nicht durch ABMMaßnahmen, nicht durch Subventionen und schon gar
nicht aufgrund von Sparmaßnahmen. Arbeitsplätze in
diesem Land entstehen durch Wirtschaftswachstum,
und das in Deutschland erst bei einem Wachstum von
2 Prozent. Von diesem Ziel sind der deutsche Mittelstand
und das deutsche Handwerk aber weit entfernt.
({0})
Große deutsche Unternehmen schaffen derzeit eher
Arbeitsplätze im Ausland. Viele deutsche Produkte
entstehen mittlerweile im Ausland, weil sich das positiv
auf deren Unternehmensbilanzen auswirkt, aber leider
negativ auf den deutschen Arbeitsmarkt. Derzeit gibt es
laut „Spiegel“ 2,6 Millionen Arbeitsplätze deutscher Firmen im Ausland. Umso mehr muss die öffentliche Hand
ein verlässlicher Investor und Auftraggeber für unsere
Unternehmen bleiben. Immerhin erhielten beispielsweise Handwerksunternehmen früher bis zu 15 Prozent
ihrer Aufträge von der öffentlichen Hand. Diese Zahl
geht aufgrund der katastrophalen Finanznot mittlerweile
gegen null. Allein 70 000 Arbeitsplätze in der Baubranche sind durch fehlende Maut-Einnahmen gefährdet.
Nun soll die Deutsche Bahn durch eine vorgezogene Tilgung von Krediten die Lücke im Verkehrshaushalt stopfen
({1})
und die Arbeitsplätze im Straßenbau sichern.
Damit das klar ist: Wir begrüßen, dass die Haushaltssperre in Höhe von circa 1 Milliarde Euro aufgehoben
wurde.
({2})
Das macht den Weg frei für gestoppte Verkehrsinvestitionen vor allen Dingen in Straße und Schiene.
({3})
Aber es darf nicht darüber hinweggetäuscht werden,
dass diese Mittel ursprünglich aus Mauteinnahmen kommen sollten, die nach wie vor fehlen.
({4})
Ob sie überhaupt in dieser Höhe kommen, ist aus heutiger Sicht völlig offen.
({5})
Eine Verkehrspolitik mit falschen Prioritäten gefährdet nicht nur Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft. Auch in
den Speditionen schrillen seit langer Zeit die Alarmglocken. Gerade diese Firmen setzen auf minutiöse Zeitpläne und Rahmenbedingungen, um im harten Wettbewerb bestehen zu können.
Meine Damen und Herren, wie gehen wir eigentlich
mit dem deutschen Mittelstand um? Kühe, die man melken will, sollte man nicht vorher schlachten.
({6})
Öffentliche Aufträge und Investitionen sind natürlich
nicht nur zur Schaffung von Arbeitsplätzen gedacht. Der
Staat erhält im Gegenzug eine langfristig ausgerichtete
Verkehrsinfrastruktur auf der Habenseite.
Nachhaltige Investitionspolitik heißt für mich, eine
klare Finanzierungslinie zu halten und nicht mit der Axt
zu kürzen. Zur Erinnerung: Gesamtinvestitionen in Wasserstraßen: minus 44,2 Prozent;
({7})
Investitionen in Schiene: minus 26,3 Prozent; Investitionen in Fernstraßenbau: minus 15,9 Prozent.
({8})
Sie sparen bewusst an der falschen Stelle. Das ist so, als
wenn ein Handwerksmeister, der aufgrund mangelnder
Aufträge sparen müsste, zunächst seinen Telefonanschluss kündigen würde.
({9})
Besonders das Verhältnis zwischen enormen Konsumausgaben und geringen Investitionen ist erschreckend. Das gilt für den kompletten Bundeshaushalt genauso wie für den Verkehrshaushalt.
Gestrichene Investitionsmittel sollen durch Mauteinnahmen teilweise ersetzt werden. Die Mauteinnahmen
sollten die Investitionen aber eigentlich ergänzen. Die
Gelder waren als zusätzliche Mittel für den Straßenbau
geplant - eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, die Sie gebrochen haben.
({10})
Die Toll-Collect-Verhandlungen der letzten Monate
waren nicht durchschaubar und wenig zielorientiert.
({11})
Die Bürger zeigen kein Verständnis mehr dafür und das
Ausland lacht über uns.
({12})
Keine Rede ist mehr von den 6,5 Milliarden Euro Gesamtschaden, die am 16. Februar von Minister Stolpe
offiziell genannt wurden. Für den zukünftigen eventuellen Ausfall ab 2005 gibt es auch keine volle Haftung.
Mit aller Selbstverständlichkeit aber wird die Einigung
auf die Hälfte als Erfolg gefeiert. Frau Mertens, wann
wird eigentlich das als Vertrag unterzeichnet, was der
Bundeskanzler mit Toll Collect ausgehandelt hat, damit
wir für unsere Investitionen endlich Rechtssicherheit haben?
({13})
Nebenbei gesagt: Die Informationspolitik Ihres Hauses
in Bezug auf die Mitglieder des Verkehrsausschusses
war mehr als dürftig.
({14})
Denn sehr bald schon kommt ein neues Problem auf
uns zu. Wenn ab 2005 die neue EU-Wegekosten-Richtlinie gilt,
({15})
dürfen nur noch diejenigen Maßnahmen berücksichtigt
werden, die neu gebaut bzw. maximal 15 Jahre alt sind.
Die Berechnungsgrundlage ändert sich im kommenden
Jahr also gravierend. Nur 25 Prozent des heutigen Autobahnnetzes wurden innerhalb der letzten 15 Jahre gebaut. Das heißt, enorme Verluste kommen auf unseren
Haushalt zu.
Meine Damen und Herren, wir brauchen Investitionen
in unsere Verkehrswege. Handlungsauftrag sollte sein,
schon heute auf das zukünftige Verkehrsaufkommen zu
reagieren. Das wird meines Erachtens auch beim neuen
Bundesverkehrswegeplan überhaupt nicht berücksichtigt. Es fehlt an Mut, in die Zukunft zu schauen, und an
Ideen, die Probleme zu lösen.
Die EU-Osterweiterung startet am 1. Mai 2004.
Konkret heißt das für uns zunächst einmal: Der Transitverkehr wird rapide zunehmen, ausländische LKWs fahren kostenlos auf unseren Autobahnen und tanken auch
noch vor den Grenzen, weil der Sprit dort billiger ist,
({16})
und Deutschland guckt wieder einmal in die Röhre. Ausmaß und Zustand unseres Straßennetzes machen deutlich, dass es diesen Anforderungen nicht gewachsen ist.
Nun ist auch klar, warum in Anbetracht unserer Huckelpisten alle Automobilhersteller auf Geländewagen setzen.
({17})
Viele unserer Hauptrouten sind vollkommen veraltet,
weil sie zu lange nicht ausgebaut wurden.
Der Individualverkehr nimmt weiter zu, da die Mobilität der Menschen steigt. Selbst von Auszubildenden erwartet man heute, dass sie größere Strecken zurücklegen. Mobilität und Erreichbarkeit sind ein wichtiger
Standortfaktor für unsere Betriebe und für die Mitarbeiter vor Ort. Deshalb brauchen wir mehr Investitionen.
Sonst bewegt sich in Deutschland bald gar nichts mehr.
Danke schön.
({18})
Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen im Namen des
Hauses zu Ihrer ersten Rede in diesem Parlament.
({0})
Für Sie war es die erste Rede und für uns war es die
letzte Rede in der heutigen Debatte.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2423 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. März 2004, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.