Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Dr. Wolf Bauer feiert heute seinen
65. Geburtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses sehr
herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit
und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung
- Drucksache 15/2573 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister der Finanzen Hans Eichel das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In diesem Zusammenhang bitte keine Bemerkungen über die Farbenlehre! Das wäre in diesem Falle
schlecht für Sie von der Union.
({0})
Wir wollen heute in erster Lesung das Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit beraten. Schwarzarbeit richtet in unserer Gesellschaft
schwere Schäden an. Das Ergebnis ist, dass der Ehrliche
immer mehr den Eindruck hat, er sei der Dumme, nur er
müsse Steuern und Abgaben zahlen und andere täten es
nicht. Das ist eine Situation, die wir alle nicht hinnehmen können und auf die sich das Fundament eines Staates nicht glaubwürdig gründen lässt. Mit anderen Worten: Der Staat muss sich zwar selbstverständlich seine
Rahmenbedingungen - ich komme darauf noch zu sprechen - sehr genau überlegen. Aber wenn er welche
schafft, dann muss er sie auch durchsetzen.
Der Umfang der Schwarzarbeit ist - das liegt in der
Natur der Sache - nicht genau bestimmbar. Es geistert
die Zahl - es ist der Versuch gemacht worden, das seriös
zu berechnen - von 16 bzw. 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch die Gazetten. Sie wissen, dass
sich Herr Professor Schneider in Linz in besonderem
Maße um diese Frage kümmert. Aber ich wiederhole:
Richtig feststellbar sind solche Zahlen natürlich nicht.
Geht man von einer solchen Größenordnung aus, dann
hätten wir es in diesem Jahr mit einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von rund 350 Milliarden Euro zu tun.
Wenn wir auf der Basis der OECD-Zahlen von einer
Steuer- und Abgabenquote von rund 36 Prozent ausgehen, redeten wir von mehr als 100 Milliarden Euro Steuern und Abgaben, die auf diese Weise den sozialen Sicherungssystemen und dem Staat verloren gingen.
Wir haben im vergangenen Herbst in der Vorbereitung
dieses Gesetzentwurfs und der Debatte darüber versucht,
mithilfe von Razzien genauer herauszufinden, wie die
Situation in den einzelnen Branchen aussieht. Das Ergebnis bestätigt etwa das, was ich in Zahlen ausgedrückt
habe. In einzelnen Branchen, zum Beispiel beim Bau,
haben zwischen 15 und 20 Prozent der dort beschäftigten Mitarbeiter schwarz gearbeitet. Den höchsten Anteil,
nämlich 25 Prozent, gab es im Bereich der Hotels und
Gaststätten.
Nun will ich nicht missverstanden werden; denn ich
weiß, wie eine solche Debatte abläuft. Es geht nicht
darum, dass in bestimmten Branchen alle Betriebe so
Redetext
handeln. Das ist nicht der Fall. Das ist übrigens für die
ehrlichen Betriebe ein Problem. Aber in bestimmten
Branchen taucht Schwarzarbeit in besonderem Umfang
auf.
Das ist dann keine harmlose Veranstaltung mehr. Ein
extremer Fall ist die Baubranche. Nicht nur dass darüber
Krimis geschrieben werden, sondern es spielen sich auch
in der Realität Krimis ab. Wir haben es in manchen Bereichen regelrecht mit organisierter Kriminalität zu
tun. Das ist übrigens ein Grund dafür, weswegen die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Zoll - dort konzentrieren wir ja den Kampf gegen die Schwarzarbeit polizeiliche Befugnisse benötigen bzw. Hilfsbeamte der
Staatsanwaltschaft sein müssen. Denn die Gefährdung
derjenigen, die gegen Schwarzarbeit vorgehen, ist hoch.
Man muss das von dem abgrenzen, was ganz zu Unrecht Anfang dieses Jahres, als es um die Raumpflegerinnen ging - ich komme darauf noch zurück -, diskutiert worden ist. Ich sage bewusst „Raumpflegerinnen“;
denn die ganze Debatte hatte etwas Abwertendes, was
hier nicht hingehört.
({1})
Es geht um gewerbsmäßige Steuerhinterziehung,
um gewerbsmäßige Hinterziehung von Sozialbeiträgen
und es geht mitunter regelrecht auch um international organisierte Kriminalität. Dabei sind die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - man muss sich das auf
Baustellen gelegentlich einmal ansehen - in der Regel
die wirklich Ausgebeuteten. Wenn man von Ausbeutung
reden kann, dann dort in besonderem Maße. Vielfach befinden sich diese Menschen übrigens - damit sind wir
bei den Verstößen gegen das Ausländerrecht - illegal
hier im Lande. Sie arbeiten hier unter schlechtesten Arbeitsbedingungen und schlechtesten Lebensbedingungen
zu einem Hungerlohn, der auch noch um die Kosten für
die Unterkunft gekürzt wird. Die Profiteure sitzen ganz
woanders. Deswegen ist der Kern der Veranstaltung - da
geht es dann auch um richtig viel Geld - die gewerbsmäßige, die kriminelle Hinterziehung von Steuern und Abgaben, die kriminell organisierte Schwarzarbeit.
({2})
Davon zu trennen ist, was im haushaltsnahen Bereich passiert. Die Regelungen, die diesen Bereich betreffen, waren übrigens - auch darauf komme ich gleich
noch zurück - besonders schwierig zu treffen, weil wir
auf der einen Seite wissen - das kennen Sie von der
Steuerhinterziehung; das bleibt auch so -, dass das kein
Kavaliersdelikt ist, wir aber auf der anderen Seite sehr
genau unterscheiden zwischen kleinen Schadenssummen, die wir im Effekt wie Ordnungswidrigkeiten regeln
wollen, und großen Schadenssummen, hinter denen dann
aber auch kriminelle Energie steht. Bei den großen Schadenssummen geht es zum Teil auch um die Verschärfung
des Strafrahmens.
Nun zum Gesetzentwurf. Es geht um drei Elemente.
Es geht erstens darum, in diesem Gesetz erstmalig alle
Regelungen über die Bekämpfung der Schwarzarbeit
und der damit verbundenen Steuerhinterziehung zusammenzufassen, sodass sie übersichtlich und für jedermann
erkennbar sind.
Es geht zweitens darum, Regelungslücken an dieser
Stelle zu schließen. Dabei stellt sich zum Beispiel die
Frage: Wie grenze ich bestimmte Bereiche ab? Wir haben ausdrücklich gesagt, dass das nicht ganz einfach ist.
Klar ist: Nachbarschaftshilfe ist nicht gemeint. Hier wird
die Definition etwas schwierig, weil es natürlich auch
um kleinere Gefälligkeiten geht; das ist ja zu Recht diskutiert worden. Also steht dazu im Gesetzentwurf: ohne
nachhaltige Gewinnerzielungsabsicht. Auch diese Definition ist schwierig; das gebe ich zu. Wenn wir aber in
die Praxis sehen, dann merken wir, dass die Antwort relativ einfach ist: Ich kann und will mich überhaupt nicht
mit 7 000 Mitarbeitern - 2 000 mehr, als bisher zur Verfügung stehen - beim Kampf gegen die Schwarzarbeit
um die Haushalte kümmern müssen. Das fällt in die Zuständigkeit der lokalen Ordnungsbehörden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Zoll werden eingesetzt
zur Bekämpfung der wirklich kriminellen Schwarzarbeit, also dort, wo wir es mit organisierter Kriminalität
zu tun haben.
({3})
Es geht drittens um die Schaffung der Voraussetzungen dafür, dass wir in diesem Bereich den Fahndungsund den Ahndungsdruck kräftig erhöhen können. Deswegen führen wir - wir sind schon dabei - die Bekämpfung der Schwarzarbeit, die bisher durch die Bundesagentur für Arbeit, die frühere Bundesanstalt für Arbeit,
mit 2 500 Mitarbeitern erfolgt ist, und die Bekämpfung
der illegalen Beschäftigung, für die der Zoll zuständig
war, zusammen. Das sind zusammen 5 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; diese Zusammenführung läuft.
Wir stocken diesen Bereich dann noch einmal um
2 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die genannten 7 000 auf.
Im privaten Bereich geht es zuallererst um Aufklärung. Ich sage allerdings schon: Rechtsbewusstsein im
Lande ist notwendig. Das fängt im Kleinen an. Das ist
auch im Strafrecht so. Diebstahl ist in keinem Falle eine
Ordnungswidrigkeit, Schwarzfahren auch nicht. Bei der
Steuerhinterziehung haben wir eine andere Regelung.
Wir sagen zwar, dass auch sie kriminell ist; in bestimmten Fällen wird sie aber nur wie eine Ordnungswidrigkeit
behandelt. Das finde ich auch in Ordnung so.
Nun kommt der entscheidende Punkt: An dieser Stelle
müssen wir vor allem einfache Regeln haben. Diese haben wir im haushaltsnahen Bereich im vergangenen Jahr
mit den Minijobs geschaffen. Das bestätigen mir auch
alle, mit denen ich darüber rede. Jeder weiß, dass es da
große Probleme gegeben hat. Jetzt haben wir eine ganz
einfache Regelung, die im Übrigen, was die finanzielle
Seite betrifft, außerordentlich unkompliziert und günstig
ist. Das hat übrigens die Folge, dass die Minijobzentrale
bei der Bundesknappschaft jetzt regelrecht überrannt
wird mit lauter Anmeldungen. Das ist auch in Ordnung
so.
Meine Damen und Herren, man hält uns entgegen
- was ich akzeptiere -, dass die bisherigen Regelungen
besonders kompliziert waren. Damit muss man aber
ganz vorsichtig sein; denn komplizierte Regelungen haben eine jahrzehntelange Tradition in diesem Lande.
Auch Sie haben ja schon regiert.
Wenn wir jetzt eine Regelung haben, die ganz einfach
ist und niemanden überfordert, dann sollten wir allerdings überall dafür werben, dass sie nun auch angewandt
wird. Das gehört dann dazu.
({4})
Damit zu der Frage, warum der Gesetzentwurf jetzt
vorgelegt wird.
Erstens. Wir haben eine Reihe von Voraussetzungen
geschaffen, die es leichter machen, legal zu arbeiten. Ich
kenne das Argument - ich sage ganz offen, weil es den
Rechtsstaat infrage stellt, teile ich es nicht -, die Steuern
und Abgaben seien zu hoch, also habe man eine moralische Rechtfertigung, sie zu hinterziehen. - Davor kann
ich nur warnen.
({5})
Denn es wird immer so sein, dass legale Beschäftigung
wesentlich teurer ist als das Hinterziehen von Steuern
und Abgaben.
({6})
Es wird - egal wie hoch die Staatsquote ist - immer einen großen Unterschied zwischen der Legalität und der
Illegalität geben.
({7})
Machen Sie also bitte das Rechtsbewusstsein nicht von
bestimmten Steuersätzen abhängig! Davor kann ich nur
warnen.
({8})
Selbst in Ihren Steuerreformkonzepten veranschlagen
Sie kaum geringere Sätze. Das könnten Sie gegenwärtig,
wie jeder weiß, nicht bezahlen.
({9})
Wir haben gerade bei geringen Einkommen so niedrige
Steuersätze - im nächsten Jahr liegen der Eingangssteuersatz bei 15 Prozent und der Grundfreibetrag bei
7 664 Euro - wie niemals in der ganzen Geschichte der
Bundesrepublik.
Zweitens. Wir haben durch Reformen am Arbeitsmarkt - von Minijobs und Ich-AG bis hin zur Zumutbarkeitsregelung ({10})
die Möglichkeit erleichtert, in legale Beschäftigung zu
kommen.
Drittens. Bei den sozialen Sicherungssystemen sind
wir dabei - so schwierig das ist, wie jeder weiß -, die
Zusatzkosten, die auf der Arbeit liegen, zu begrenzen
und wieder zu senken. Auch deswegen müssen diese Gesetze verabschiedet werden.
Eines ist klar: Die Geschädigten sind am Schluss der
ehrliche Arbeitnehmer und der ehrliche Unternehmer.
Das ist ein ganz besonderer Ärger: Der Unehrliche konkurriert zu günstigeren Bedingungen mit dem Ehrlichen.
Aber weil die Steuern und Abgaben doch gezahlt werden
müssen, muss der Ehrliche umso höhere Sätze zahlen.
Auf der Rechtfertigung eines solchen Verhaltens kann
selbstverständlich keine Gesellschaft aufgebaut werden.
({11})
Wir wollen mehr Wachstum und Beschäftigung und
wir wollen mehr legale Beschäftigung. Drängen wir
doch nicht gerade die Menschen im Niedriglohnbereich
in ungeschützte Verhältnisse ab! Das macht keinen Sinn.
Ich kenne sehr viele Handwerksmeister, die das keinen
Deut anders sehen.
Lassen Sie uns diesen Bereich, wenn es irgend geht,
aus dem parteipolitischen Streit heraushalten! Ich sage
allen gesellschaftlichen Gruppen: Lassen Sie uns in gemeinsamer Anstrengung etwas für das Rechtsbewusstsein tun, damit reguläre Beschäftigung in diesem Lande
eine größere Chance hat, gerade im Niedriglohnbereich
wie in allen anderen Bereichen auch! Wir würden unserem Staat damit zusammen etwas Gutes tun.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegin Elke Wülfing, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister, wir alle wissen, dass Sie
sich redlich bemühen und dass Sie es gut meinen.
({0})
Aber gut gemeint ist meistens nicht gut gemacht.
({1})
Uns liegt heute in erster Lesung ein Gesetzentwurf
vor, der tatsächlich einmal einen ehrlichen Titel hat: Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung. Anders als beim Alterseinkünftegesetz, das, wie
Sie sehr genau wissen, in Wahrheit die Besteuerung der
Renten und auch der Alterseinkünfte von Selbstständigen beinhaltet,
({2})
gibt die Regierung mit diesem Titel zu, dass die Bekämpfung der Schwarzarbeit keinen Schritt vorangekommen ist.
({3})
- Herr Poß, Sie quatschen immer nur dazwischen und
sind nicht sachlich.
({4})
Trotz der Bauabzugsteuer und des Entsendegesetzes
sowie der darin enthaltenen Mindestlohnvereinbarung
für deutsche Baustellen gibt es auch weiterhin kriminelle, international organisierte und Menschenhändlerringen ähnliche Organisationen zur Vermittlung illegaler
Arbeitskräfte aus dem Ausland.
({5})
- Hören Sie mir doch einmal zu! - Dieses Phänomen
müssen wir wirklich gemeinsam und mit allen dem
Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Hier müssen das Strafrecht und die Datenübermittlung zum Einsatz kommen und der Zugriff muss verbessert werden. Ob aber Ihr Gesetzentwurf diesem Ziel
dient, das wage ich wirklich zu bezweifeln.
({6})
Wissen Sie eigentlich, was Sie machen? Gestern ist ja
auch in der „Monitor“-Sendung unter der Überschrift
„Heiße Luft“ sehr deutlich dargestellt worden, dass Sie
einfach den Sozialversicherungsausweis abschaffen. Er
war zwar wirklich einfach zu fälschen. Aber Sie führen
ja nicht einmal eine Chipkarte ein. Sie können die Menschen gar nicht mehr identifizieren. Haben Sie hierzu eigentlich einmal den Sachverstand des Bundesinnenministers oder den der Länderinnenminister eingeholt?
Die Länderinnenminister haben ja überhaupt nicht gewusst, dass dieser Gesetzentwurf vorbereitet wird.
({7})
Im Rahmen der Beratung und der Anhörung über diesen Gesetzentwurf werden wir dazu noch einiges hören.
Auch unser Kollege Gewalt wird sich dazu noch äußern.
Diese Art von Schwarzarbeit ist wirklich kein Kavaliersdelikt, sondern handfeste Wirtschaftskriminalität, die
dem Gemeinwesen, den Sozialkassen, die Ihnen, Herr
Poß, ja sehr wichtig sind, und dem Fiskus wirklich
schweren Schaden zufügt.
({8})
Ganz grundsätzlich muss man zum Thema Schwarzarbeit feststellen: Sie ist Teil des gefährlichen Strudels
von Massenarbeitslosigkeit, eines rasant anwachsenden
Teils von Geringqualifizierten und von steigender Abgabenlast, in dem sich Deutschlands Volkswirtschaft seit
einiger Zeit befindet. Hier besteht ein eindeutiger Zusammenhang: In Ländern mit niedrigeren Steuern und
Abgaben wie der Schweiz, Großbritannien und den USA
wird deutlich weniger schwarz gearbeitet als bei uns.
Wenn ein Handwerker mehr als vier Stunden arbeiten
muss, um seine eigene Stundenleistung bezahlen zu können, dann ist doch klar, was in diesem Land los ist.
({9})
Die durchschnittliche Grenzbelastung bei einer
Stunde Mehrarbeit liegt für einen Arbeitnehmer in
Deutschland bei 66 Prozent. Das ist kein Anreiz für
Mehrarbeit. Dieser Anreiz ist gleich null.
({10})
Das Problem sind aber nicht die Menschen, die Mehrarbeit leisten wollen, das Problem sind die Steuer- und
Abgabenlast und das starre Korsett des Sozialstaates mit
seinen Lohnersatzleistungen, die in Konkurrenz zum
Arbeitslohn stehen. Die Verantwortung für diese Entwicklung trägt sicherlich die Politik. Aber sie tragen in
gleicher Weise auch die Tarifparteien.
({11})
- Was ist daran merkwürdig?
({12})
Ich gebe zu: Die Verantwortung für die Politik haben in
den letzten Jahren, seit 1998, Sie zu tragen.
({13})
- Herr Poß, wissen Sie: Wenn Sie die Realität nicht anerkennen wollen, dann muss ich Ihnen sagen, dass es vor
allen Dingen in der SPD-Fraktion nicht nur ein Umsetzungs-, sondern auch immer noch ein Erkenntnisproblem gibt. Begreifen Sie doch endlich einmal, in welcher
Situation Deutschland heute ist!
({14})
Ich sage Ihnen: Auch wir hätten den Reformprozess
während unserer CDU/CSU-FDP-Regierungen vielleicht noch etwas mutiger angehen können.
({15})
Das gebe ich durchaus zu. Aber erinnern Sie sich daran,
dass Sie zusammen mit den Gewerkschaften und vielen
anderen auf der Hofgartenwiese in Bonn zu Großdemonstrationen aufgerufen haben und uns als diejeniElke Wülfing
gen dargestellt haben, die den Sozialstaat zerschlagen
wollen. Wer hat denn die kleinen Reformschritte,
({16})
die wir damals eingeleitet haben, im Bundestagswahlkampf 1998 dazu benutzt, uns auf den Kopf zu hauen
({17})
und der Bevölkerung etwas zu versprechen, was überhaupt nicht realistisch war? Wer hat das denn getan?
({18})
Auch gebe ich zu, dass der Bundeskanzler mit der
Agenda 2010 in die richtige Richtung geht. Was aber haben Sie mit ihm gemacht? - Sie halten ihn doch nicht
einmal mehr für wert, Ihr eigener Bundesvorsitzender zu
sein!
({19})
Kein Parteimitglied weint Ihrem ehemaligen Bundesvorsitzenden auch nur eine Träne nach! Jetzt bin ich einmal
gespannt, wie es demnächst läuft. In welche Richtung
wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie den Erneuerungsprozess Deutschlands fortführen? Wollen Sie ihn
stoppen? Oder wollen Sie ihn zurückführen? - Wir werden sehen. Gestern Abend fand bei Frau Illner eine sehr
schöne Diskussion statt, bei der deutlich wurde, wie weit
Sie auseinander liegen. Für Deutschland war das ein sehr
großer Schaden.
({20})
Wie schon gesagt: Schwarzarbeit entsteht da, wo
Leistung sich nicht mehr lohnt. Schwarzarbeit entsteht
da, wo Menschen mit zu hohen Staatsabgaben belastet
werden. Schwarzarbeit entsteht außerdem, wenn Tarifparteien bei Tarifabschlüssen den Markt nicht mehr beachten. - So ist es nun einmal. Die EU-Osterweiterung
wird dazu führen, dass die hohen Arbeitskosten in
Deutschland immer mehr unter Druck geraten. Eine
Stunde menschlicher Arbeit kostet in Deutschland
26,36 Euro, in Tschechien aber nur 2,70 Euro.
({21})
- Wenn Sie die Realitäten einfach nicht wahrnehmen
wollen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass wir
4,6 Millionen Arbeitslose haben! Hinzu kommen noch
all die anderen, die gar nicht registriert sind, die Sie
überhaupt nicht mitzählen.
({22})
Ich denke, wir sollten ganz deutlich sagen, womit
Schwarzarbeit zusammenhängt: mit unserer hohen
Steuer- und Abgabenbelastung. Seit 1997 hätten Sie die
Steuerbelastung senken können.
({23})
- Wie bitte? Im Jahre 1997 hat Ihr damaliger Bundesvorsitzender und Ministerpräsident Lafontaine zusammen
mit dem damaligen Ministerpräsidenten Eichel und dem
ehemaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Bundeskanzler Schröder unsere Steuerreform abgelehnt. Wir
hätten seit sieben Jahren niedrigere Steuern haben können; das wissen Sie ganz genau.
({24})
- Wer keine Ahnung hat, brauchen wir hier nicht zu erläutern.
({25})
Nun meint die Bundesregierung, dass das Problem
der Schwarzarbeit damit zu lösen ist, dass 7 000 Zollbeamte durch Deutschland laufen und überall kontrollieren.
({26})
Ich habe eben schon gesagt: Die kriminelle Schwarzarbeit muss bekämpft werden. Das geht aber nicht mit
diesem Gesetz. Dazu ist es nämlich bei weitem zu
schwach.
({27})
Ich denke, Sie müssen sich absprechen - die Justizministerin sitzt ja hier -, und wir werden sehen, was die Länderinnenminister Ihnen in der Anhörung zu sagen haben.
Was nicht geht, meine Damen und Herren, ist das,
was Sie zum Thema Rechnungsstellung und Rechnungsaufbewahrung bei Privatpersonen vorhaben. Ich denke,
dass wir hier noch einmal genau hinschauen müssen, ob
all das nötig ist. Ich könnte Ihnen jetzt vorlesen, was in
dem Gesetzentwurf dazu alles steht, was zum Beispiel
alles zum Bau gehört, zu einem Eigenheimbesitz, was
zum Garten gehört, was Sie alles meinen kontrollieren
zu müssen. Wenn ich mir so vorstelle, wie die Zollbeamten von hinten in die Gärten kommen und mal gucken,
ob der Frühjahrsschnitt vielleicht schon gemacht worden
ist
({28})
oder das Laub gefegt worden ist und wer das denn wohl
war, ob es einer aus der Nachbarschaft war oder einer
von einem Gärtnereibetrieb, dann muss ich sagen: Ich
halte das für eine übertriebene Maßnahme. Lassen Sie
den Privatbereich hier heraus!
({29})
Ich glaube, es ist nicht nötig, dass Zollbeamte da wie
Gartenzwerge rumstehen. Dazu sind die Zollbeamten zu
teuer. Setzen Sie sie zur Bekämpfung der wirklichen
Kriminalität ein, da gehören sie hin!
({30})
Aber lassen Sie die Rechnungslegungsvorschriften sein!
Die sind wirklich lächerlich und ich glaube, das führt zu
einer Staatskontrolle sozialistischer Art.
({31})
Die sollten wir lieber nicht machen. Tun Sie das, was
wichtig ist: Kriminalitätsbekämpfung! Aber lassen Sie
die Privatpersonen in Ruhe!
Vielen Dank.
({32})
Ich erteile das Wort Kollegin Christine Scheel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Frau
Wülfing, es freut uns, wenn Sie einen schönen Fernsehabend hatten. Aber es geht natürlich nicht, dass Inhalte
von verschiedenen Sendungen letztendlich die Grundlage für unsere Gesetzesvorlagen sein sollen.
({0})
Im Übrigen sind sie dafür auch kein Maßstab.
Wenn man Ihren Ausführungen zuhört, dann könnte
man den Eindruck gewinnen, als ob die Lösung des
Problems der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik
Deutschland für die Union darin liegt, dass wir einen
Mindestlohn von 2 bis 3 Euro in Deutschland einführen.
Das wollen wir nicht. Das war das Einzige, was Sie indirekt an Vorschlägen formuliert haben.
({1})
So wollen wir unsere Gesellschaft nicht weiterentwickeln.
({2})
Ich bin wirklich niemand, der gern zurückschaut; ich
schaue lieber nach vorn. Aber man darf nicht vergessen,
Frau Wülfing, dass wir, seit wir mit Rot-Grün regieren,
({3})
mit viel Mühe unter insgesamt schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen versuchen - und zwar teilweise erfolgreich -, die Lohnnebenkosten zu senken.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Lohnnebenkosten in den 90er-Jahren um fast 7 Prozent gestiegen sind.
Das ist einer der Gründe, warum in den 90er-Jahren die
Schwarzarbeit immer mehr zugenommen hat. Auch das
gehört zur Wahrheit. Ich bitte Sie, nicht so zu tun, als
hätten Sie mit der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik
Deutschland nie etwas zu tun gehabt.
({4})
Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Schwarzarbeit dafür sorgen, dass es faire Wettbewerbsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland gibt und damit verbunden auch die Chancen von
Unternehmen, von Handwerkern und Handwerkerinnen
sowie von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auf
dem legalen Arbeitsmarkt verbessert werden.
Angesichts der erschreckenden Ausmaße - das muss
man einmal sehen -, die die Schwarzarbeit in den letzten
Jahren angenommen hat, ist es eine ordnungspolitische
Notwendigkeit, dass wir ganz besonders mit Blick auf
die Bauwirtschaft in diesem Bereich weiter aktiv werden. Ich lese im „Handelsblatt“ vom 12. Februar 2004,
dass im Tarifvertrag 14 Euro Stundenlohn vorgesehen
sind, aber einem Portugiesen nur 10 Euro gezahlt werden - Sie haben als Beispiel 2 Euro für Arbeiter aus Marokko und anderen Ländern genannt - und einem Rumänen lediglich 4 Euro. Daher müssen wir in allen
möglichen Zusammenhängen gegen Schwarzarbeit vorgehen.
Bei Vergabeverfahren für Bauaufträge geht es
auch darum - egal ob privat oder öffentlich veranlasst -,
dass wir eklatante Verstöße gegen einen fairen ökonomischen Wettbewerb bekämpfen wollen. Das ist das Ziel
dieses Gesetzes. Finanzminister Eichel hat völlig zu
Recht davon gesprochen, dass wir es nicht nur mit ein
bisschen Schwarzarbeit und ein bisschen Nebenverdienst in diesem Zusammenhang in der gewerblichen
Wirtschaft zu tun haben. Vielmehr haben wir es mit einer
organisierten Kriminalität zu tun, die in den letzten Jahren zugenommen hat. Diese gilt es zu bekämpfen und
nichts anderes!
({5})
Hinsichtlich des Marktvolumens hat Hans Eichel von
350 Milliarden Euro gesprochen. Das heißt, wir reden
nicht über Peanuts, sondern über volkswirtschaftlich relevante Größenordnungen. Wir haben eine Zahl von
370 Milliarden Euro, die wir aus verschiedensten Informationsquellen, die es gibt, zusammengetragen haben. Dies ist ja schwierig zu bemessen; das wissen wir
alle. Wenn man von 370 Milliarden Euro ausgeht, entspricht das 16,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
von Deutschland. Das bedeutet, dass jeder sechste in
Deutschland ausgegebene Euro im Schwarzarbeitsmarkt
umgesetzt wird. So kann es nicht weitergehen. Deswegen müssen wir alle zusammenhalten und einen Schritt
gegen die Schwarzarbeit vorankommen.
({6})
Wenn man von dieser Schätzung ausgeht, dann entgehen den Sozialversicherungskassen und dem Finanzamt
jährlich Einnahmen von rund 50 Milliarden Euro. Das
Institut der deutschen Wirtschaft geht sogar davon aus,
dass hier 120 Milliarden Euro am Fiskus und an den Sozialversicherungskassen vorbeigeschleust werden.
Wenn es uns gelingt, konkreter gegen die Schwarzarbeit vorzugehen, werden auch die Probleme in unseren
öffentlichen Kassen ein Stück weit gelöst.
({7})
Wäre die Schwarzarbeit mittlerweile nicht fast zur Normalität in der gewerblichen Wirtschaft geworden, wären
unsere öffentlichen Kassen, wenn man einmal von den
geschätzten Verlusten ausgeht, saniert.
({8})
Das ist das Problem.
Der Ehrliche ist der Dumme, so scheint es vielen.
Deshalb ist in der Gesellschaft das Unrechtsbewusstsein
bezogen auf die Inanspruchnahme von Schwarzarbeit
ein wenig verloren gegangen. Wie gesagt: Es ist deswegen politisch völlig richtig und auch notwendig, dass wir
hier aktiv werden.
Um das Ganze vernünftig greifen zu können, werden
der Zollverwaltung als durchführender Behörde mehr
Befugnisse gegeben. Die Zahl der Beamten und Beamtinnen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit wird personell
aufgestockt - Hans Eichel hat die Zahlen genannt -, unter anderem durch rund 2 700 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bundesagentur für Arbeit,
({9})
die Erfahrungen mit diesen Problemen haben. Es ist
richtig, zu versuchen, alles Know-how an Ausbildung in
diesem Land zu bündeln, um so eine Behörde zu bekommen, in der das Personal weiter qualifiziert und ausgebildet wird, sodass es eine erfolgreiche Arbeit leisten kann.
({10})
- Das darf man nicht unterschätzen, Frau Wülfing.
Sie haben von Zollbeamten gesprochen, die in den
Privatgärten nachschauen, ob der Frühjahrsschnitt in
Ordnung ist oder nicht. Das ist doch völliger Unsinn!
({11})
Die Zollbeamten erhalten durch dieses Gesetz natürlich
keine Befugnis, in Privatgärten oder in Privathaushalten nachzuschauen. Das ist doch genau der Punkt: Wir
konzentrieren uns auf die gewerbliche Wirtschaft und
nicht auf die Privathaushalte. Deswegen bitte ich Sie,
mit der Mär aufzuhören, dass irgendein Beamter nachschaut, ob und von wem die Hecke geschnitten wurde.
({12})
Das hat nichts, aber auch gar nichts mit diesem Gesetz
zu tun. Hören Sie auf, einen solchen Unsinn zu erzählen
und den Leuten vorzumachen, wir wollten hier irgendetwas entscheiden, was an der Lebenswirklichkeit völlig
vorbeigeht!
({13})
Es ist völlig klar: Wirklich erfolgreich kann die
Schwarzarbeit nur dann bekämpft werden, wenn sie sich
für die Organisatoren von Schwarzarbeit einfach nicht
mehr lohnt. Trotz der Gefahr, entdeckt zu werden, gehen
sie heute das Risiko ein, da sie einen großen wirtschaftlichen Vorteil davon haben. Ich gebe dem Minister
wirklich Recht:
({14})
Selbst wenn wir Spielräume dafür hätten, die Steuersätze
und die Beiträge zur Sozialversicherung in absehbarer
Zeit erheblich zu senken, bliebe das Argument des wirtschaftlichen Vorteils. Wenn man nämlich überhaupt
keine Steuern und Abgaben darauf zahlt, hat man immer
einen Vorteil gegenüber denjenigen, die dies tun, und sei
er noch so gering. Diesen Vorteil würde es weiterhin geben. Deswegen ist es nicht die Lösung des Problems, mit
der Steuer noch ein wenig herunterzugehen, wie Sie das
fordern. Dieses Trauerspiel haben wir jetzt ja erlebt: Der
Bierdeckel wurde beerdigt. Dass das schwierig ist, wissen Sie mittlerweile auch.
({15})
Wir müssen dafür sorgen, dass Schulungsmaßnahmen für das Personal durchgeführt werden, damit im
Gerichtsverfahren beweissichere Unterlagen vorgelegt
werden können. Im Jahre 2003 haben wir zum Beispiel
364 strafprozessuale Maßnahmen durchgeführt. Dadurch konnten 34 Millionen Euro sichergestellt werden.
Das ist leider nicht sehr viel. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, um eine höhere Abschöpfung
von Vermögensvorteilen zu erreichen. Das hat viel mit
Ausbildung und Personalstärke zu tun. Das ist mit ein
Grund dafür, weshalb die Behörde aufgestockt wird. Die
Organisatoren von Schwarzarbeit müssen letztendlich
wirklich die Verlierer werden. Das erreichen wir, indem
wir ihre Gewinne abschöpfen.
Das hat eine abschreckende Wirkung für diejenigen,
die sich überlegen, eine Tätigkeit legal oder illegal
durchführen zu lassen. Dies würde sich dann in Zukunft
nicht mehr lohnen. Wir müssen auch eine Änderung in
der Moral erreichen. Dazu trägt auch die Aufstockung
des Personals bei.
({16})
Ich bin sehr froh darüber, dass die Minijobs bei der
Minijobzentrale der Bundesknappschaft mittlerweile
sehr unbürokratisch angemeldet werden können. Im Übrigen sind die Arbeitgeber, also Privathaushalte, die eine
Haushaltshilfe beschäftigen, mit den pauschalen Abgaben sehr gut bedient. Die Ausgaben für 400-Euro-Minijobs in Privathaushalten sind bis 510 Euro steuerlich absetzbar. Das ist ein guter Ansatz. Deswegen kann ich nur
an alle appellieren, die in ihrem Haushalt regelmäßig
Personen beschäftigen: Meldet sie bei der Minijobzentrale an! Es ist jetzt ein unbürokratisches Verfahren und
die Anmeldung ist steuerlich durchaus nicht uninteressant.
Letzte Bemerkung - der Präsident signalisiert das
Ende meiner Redezeit -: Die Bekämpfung von Schwarzarbeit darf kein parteipolitisches und taktisches Projekt
vonseiten der Union werden. Ich bitte Sie, sowohl die
CDU/CSU als auch die FDP, inständig: Beteiligen Sie
sich durch Zustimmung zu diesem Gesetz an einem weiteren Vorgehen gegen die Schwarzarbeit. Leisten Sie Ihren Beitrag! Wenn Sie bessere Vorschläge haben, dann
legen Sie sie auf den Tisch. Ich habe bis heute keine gesehen.
({17})
Danke schön.
({18})
Nun hat Kollege Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Schwarzarbeit ist Realität in
Deutschland; darauf ist zu Recht hingewiesen worden.
Naturgemäß lässt sich das Volumen der Schwarzarbeit
statistisch gar nicht erfassen. Aber es gibt Untersuchungen darüber. Die FDP hat schon im Frühjahr letzten Jahres in ihrer Anfrage an die Bundesregierung über Schattenwirtschaft in Deutschland darauf verwiesen, dass das
Volumen circa 350 Milliarden Euro im Jahr betragen
soll. Das entspricht gut 16 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes. Professor Schneider, ein Experte, der
sich wissenschaftlich mit dem Thema Schwarzarbeit befasst, hat errechnet, dass etwa 9 Millionen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland auf Schwarzarbeit beruhen.
Wenn das die Realität ist, dann muss man sich dieser
Realität stellen. Wir als FDP treten dafür ein, dass
schwere Fälle von gewerblicher Schwarzarbeit konsequent durch Zollfahnder verfolgt werden. Hierbei geht
es häufig um organisierte Wirtschaftskriminalität, die
gerade die Firmen im Wettbewerb schlechter stellt, die
sich ordnungsgemäß verhalten, wohingegen die anderen
Firmen Wettbewerbsvorteile genießen.
({0})
Es ist richtig, dass Schwarzarbeit verboten ist. Es ist
auch richtig, dass Verstöße strafrechtlich verfolgt werden müssen. Aber nach den bisherigen Beiträgen hat
man den Eindruck, dass es dazu bislang überhaupt kein
Gesetz gibt, sondern dass mit dem vorliegenden Gesetz
Schwarzarbeit in Deutschland erstmalig unter Strafe gestellt wird. Deshalb sollen alle diesem Gesetz zustimmen.
({1})
Eines müssen wir feststellen, Frau Kollegin Scheel:
Unter Rot-Grün steigt der Anteil der Schwarzarbeit am
Bruttoinlandsprodukt, wenn man auf die Untersuchung
zurückgreift, die Sie selbst genannt haben.
({2})
Gleichzeitig aber wird von Rot-Grün ein Gesetz nach
dem anderen verabschiedet, mit dem die Schwarzarbeit
unterbunden werden soll. Ich nenne das Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe und das
Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz gegen Umsatzsteuerbetrug. Darüber hinaus stehen in vielen anderen
Gesetzen Einzelmaßnahmen, mit denen der Schwarzarbeit so zu Leibe gerückt werden soll, dass sie längst abgeschafft sein müsste und nicht mehr stattfinden dürfte,
zumindest wenn die Gesetze, die Sie beschließen, die
Wirkung entfalten würden, auf die Sie hoffen.
({3})
Mein Eindruck ist, dass wir an dieser Stelle in
Deutschland kein Gesetzesdefizit haben, sondern ein
Vollzugsdefizit. Da muss angesetzt werden.
({4})
Man kann als Gesetzgeber nicht nur neue Gesetze beschließen, aber den Vollzug im Argen lassen. Deswegen
kann man, Herr Finanzminister, sehr wohl darüber reden, in diesem Bereich mehr Personal einzusetzen, das
in den gewerblichen Bereichen, in denen Schwarzarbeit
betrieben wird, tätig wird, um Änderungen herbeizuführen.
({5})
Dieser Gesetzentwurf hat aber eine Vorgeschichte
- ich glaube, es ist redlich, dies im Parlament anzusprechen -; denn der ursprüngliche Entwurf wurde schon zur
Jahreswende ins Internet gestellt. Nach der Formulierung dieses Gesetzentwurfs sollte erstmalig auch die
Nichtanmeldung von Minijobs strafrechtlich verfolgt
werden können. Dadurch entstand in der Öffentlichkeit
der verheerende Eindruck, dass die Regierung es vor allem auf Putzfrauen und private Arbeitgeber, weniger
aber auf kriminelle Firmen im Bereich der gewerblichen
Schwarzarbeit abgesehen hat. Die politische Verantwortung dafür, dass dieser Eindruck entstanden ist,
({6})
tragen der Finanzminister und seine Staatssekretärin,
weil das ein Gesetzentwurf des Finanzministeriums war.
({7})
Der ursprüngliche Gesetzentwurf zeigt leider die
wahre Einstellung der rot-grünen Koalition und des Finanzministeriums. Jeglicher Missbrauch, auch der im
Nachbarschaftsverhältnis, zum Beispiel beim Babysitten
oder wenn ein Schüler einem anderen bei den Schularbeiten hilft, sollte illegal sein und bestraft werden.
({8})
Das konnte nur durch einen massiven Aufschrei der Bevölkerung gebremst werden. Ansonsten hätten wir diesen Punkt hier unverändert gehabt.
({9})
Ich darf mich bei denjenigen bedanken, die das öffentlich gemacht haben, sodass wir uns mit diesen Regelungen zum Glück in dem Gesetzgebungsverfahren nicht
mehr zu beschäftigen haben.
({10})
Der eigentliche Punkt ist: Wir müssen an die Ursachen der Schwarzarbeit herangehen.
({11})
Worin liegen denn die Ursachen für die Schwarzarbeit,
auch in den privaten Haushalten? Wir haben eine viel zu
hohe Steuer- und Abgabenbelastung. Der viel wirksamere Weg zur Bekämpfung der Schwarzarbeit würde darin bestehen, dass der Staat endlich die Steuern- und Abgabenbelastung zurückführt. Es ist doch für einen KfzMechaniker überhaupt nicht verständlich, dass er fünf
Stunden arbeiten muss, um sich dann als Kunde seiner
eigenen Werkstatt nur eine Stunde dieser von ihm selbst
erbrachten Arbeit leisten zu können.
({12})
Da liegt doch die Ursache für die Fehlentwicklung in unserem Lande.
({13})
Deshalb ist mir absolut unerklärlich, dass wir über Vereinfachung reden - auch Sie reden über Vereinfachung -, aber der von der FDP vorgelegte Entwurf einer
Steuerreform, der tatsächlich eine Vereinfachung darstellt, im Vorfeld in Bausch und Bogen abgelehnt wird.
Parallel muss man daran erinnern, dass Rot-Grün ein
Riesenprogramm zur Schaffung von Schwarzarbeit nach
dem Regierungswechsel 1998 aufgelegt hat, indem die
630-Mark-Jobs praktisch verboten wurden. Wir haben
immer davor gewarnt.
({14})
Wenn ich durch gesetzgeberisches Handeln Personen,
die nicht bereit waren, das zu akzeptieren, in die Kriminalität führe, dann bereite ich das Umfeld dafür,
Schwarzarbeit als Kavaliersdelikt zu empfinden. Das
war doch eine schlechte Arbeit des Gesetzgebers. Es ist
nur der Opposition zu verdanken, der Union und der
FDP, dass wir diese Arbeitsverhältnisse gegen Ihren anhaltenden Widerstand als 400-Euro-Arbeitsverhältnisse
jetzt wieder implementiert haben.
({15})
Sie, Frau Scheel, verweisen darauf, dass es jetzt möglich ist, für in privaten Haushalten Beschäftigte 500 Euro
von der Steuer abzusetzen.
({16})
Nehmen wir einmal den Spitzensteuertarif des nächsten
Jahres in Höhe von 42 Prozent. Was bringt das dann für
den Einzelnen? Das bringt einen Steuervorteil von
200 Euro.
({17}): Nein, direkt von der
Steuerschuld! - Christine Scheel [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird doch direkt
von der Steuerschuld abgezogen! Sie haben es
immer noch nicht verstanden! - Joachim Poß
[SPD]: Machen Sie sich doch mal sachkun-
dig!)
Würde aber dem Entwurf der FDP gefolgt - wir haben in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen, auch
Haushalte als Arbeitgeber einzustufen -, dann bestünde
die Möglichkeit, wenn Sozialversicherungspflicht nachgewiesen wurde, unter bestimmten Voraussetzungen bis
zu 12 000 Euro von der Steuerschuld abzusetzen. Das ist
ein Programm zur Förderung der Beschäftigung, und
zwar der „weißen Beschäftigung“ in unserem Lande.
Das ist doch der richtige Schritt, um gegen Schwarzarbeit vorzugehen.
({18})
Wir werden die Beratungen verfolgen. Wir werden
uns konstruktiv daran beteiligen. Wir sind mit Ihnen der
Auffassung, dass gerade gegen die gewerbliche
Schwarzarbeit massiv vorgegangen werden muss. Das
betrifft zum Beispiel das Taxigewerbe und die Gastronomie. Wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, dass derjenige, der sich gesetzestreu verhält, wirtschaftliche
Nachteile gegenüber einem Mitbewerber erleidet, der
steuerunehrlich ist. Aber an der Stelle besteht aus unserer Sicht eher ein Vollzugsdefizit als ein gesetzgeberisches Defizit.
Ich muss Ihnen gestehen: Ich habe nicht den Glauben,
dass sich die Realität in unserem Lande dadurch ändert,
dass ein Gesetz nach dem anderen gegen Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit und ähnliches beschlossen wird.
Ich habe die Hoffnung, dass auch Sie im Zuge der Beratungen erkennen, dass das allein nicht die Lösung sein
kann. Wir müssen die Vollzugsdefizite beseitigen. Dafür
sichern wir unsere konstruktive Mitarbeit zu.
({19})
Ich erteile dem Kollegen Reinhard Schultz, SPDFraktion, das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen haben wir schon recht merkwürdige Einlassungen gehört,
zunächst von der heiligen Elke, die sich als Schutzpatronin aller Schwarzarbeiter und Steuerhinterzieher entpuppt hat,
({0})
aber auch von Herrn Thiele, der eher von den Defiziten
abgelenkt hat, die 16 Jahre lang die deutsche Politik bestimmt haben.
({1})
Wir versuchen jetzt mühsam, die von Ihnen zu Recht genannten Mitursachen für die Schwarzarbeit zu bekämpfen, indem wir die volkswirtschaftliche Steuerquote und
die Belastung durch Sozialabgaben senken. Dabei sind
wir ganz erfolgreich. Wenn uns alle internationalen Institute bestätigen, dass unsere volkswirtschaftliche Steuerquote nur noch bei gut 22 Prozent liegt und im OECDVergleich deutlich niedriger ist als in Ihrer Regierungszeit,
({2})
und wir uns zudem anstrengen, sowohl den Anstieg der
Beiträge in der Rentenversicherung als auch im Gesundheitswesen zu begrenzen oder sogar zu senken, dann
sind wir auf dem richtigen Weg. Das haben Sie in Ihrer
Regierungszeit nicht zustande gebracht. Sie haben das
nicht einmal angepackt.
({3})
Wenn Sie es für ein Geheimrezept halten sollten,
Löhne wie in Tschechien oder Marokko anzustreben,
({4})
dann muss den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
der gewerblichen Wirtschaft erklärt werden, wie dieses
Geheimrezept aussieht und wovon sie dann leben sollen.
Ab einer bestimmten Grenze ist auch Lohndumping eine
Einladung zu Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung; das wissen Sie ganz genau.
({5})
Der Herr Finanzminister hat dargestellt, welche
Summe das volkswirtschaftliche Gesamtvolumen der
Schwarzarbeit in Deutschland inzwischen ausmacht:
350 Milliarden bis 360 Milliarden Euro. Bekanntlich
werden auf diesen Umsatz von Arbeitsleistungen weder
Lohn- noch Einkommensteuer, noch Unternehmenssteuer, noch Umsatzsteuer und auch keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Wer Schwarzarbeiter und
illegal beschäftigte Ausländer einsetzt, betrügt die Gemeinschaft aller ehrlichen Steuerzahler und Sozialversicherten aufs Gröbste. Wer das duldet, trägt dazu bei, dass
die Steuerlast und auch die Beitragslast ansteigen müssen, weil sich ein Teil der an der Volkswirtschaft Beteiligten der Beitragszahlung genauso entzieht wie der
Steuerzahlung.
Schon deswegen - aus Gerechtigkeitsgründen wie
auch um des Zieles willen, Beiträge und Steuern niedrig
zu halten - ist es wichtig, diesen Sumpf von gewerbsmäßiger Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung trockenzulegen.
({6})
- Ich bitte darum, Frau Wülfing. Warum klatschen Sie
dann nicht? Sie murmeln in Ihren nicht vorhandenen
Bart, Sie könnten klatschen. Dann klatschen Sie doch!
Das fände ich besser.
({7})
- Das ist sehr ermutigend.
Das Dulden von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung insbesondere im Baubereich, auch deren Verniedlichung, trägt dazu bei, die Existenzgrundlage von Bauunternehmern, Handwerkern und Arbeitern, die ihre
Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und sich
damit einem ehrlichen Wettbewerb aussetzen, zu gefährden bzw. sie ihnen zu entziehen.
Der Kampf gegen organisierte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung gehört in eine Reihe mit dem Kampf
gegen Steuerhinterziehung und insbesondere gegen organisierten Umsatzsteuerbetrug. Es gibt darüber hinaus
enge Verknüpfungen zwischen organisierter SchwarzReinhard Schultz ({8})
arbeit und illegaler Beschäftigung auf der einen Seite
und organisierter Kriminalität zum Beispiel bei
Schlepperbanden und Geldwäsche auf der anderen Seite.
Auch diese Schnittstelle muss man im Auge haben,
wenn man unseren vorliegenden Gesetzentwurf bewertet.
Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition haben frühzeitig den Kampf gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung aufgenommen. Im Mittelpunkt ihrer
Strategie stehen nicht Kontrolle, Strafverfolgung und
Kriminalitätsbekämpfung, sondern steht der Bau von
Brücken aus der Illegalität in legale Beschäftigung. Deswegen fördern wir Minijobs und haben wir das Instrument der Ich-AG geschaffen. Menschen in kleinteiligen
Beschäftigungsverhältnissen sollen eine echte legale Alternative zu Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung
haben.
({9})
In einigen Branchen ist diese Brücke auch beschritten
worden, allen voran in der Gastronomie. Ein großer Teil
der relativ hohen Zahl der Anmeldungen von Minijobs
bei der Bundesknappschaft entfällt auf Beschäftigte aus
dem Bereich der Gastronomie. Diesem Vorbild sollten
andere Branchen folgen.
Wir haben durch Einrichtung eines Zentralregisters
für Unternehmen, die im Baubereich tätig sind, und
durch die Einführung der so genannten Bauabzugsteuer
für deutlich mehr Transparenz gesorgt. Es ist nun klar,
ob es sich um ein Unternehmen handelt, das seine Mitarbeiter sozialversichert, oder um ein Unternehmen, das in
der Grauzone arbeitet. Die entsprechenden Regelungen
zeigen erkennbare Wirkung im Baubereich, und das, obwohl sie noch nicht lange in Kraft sind.
Wir haben durch Verlagerung der Zuständigkeiten bei
der Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung und die Zusammenführung der hiermit Beschäftigten bei der Arbeitsverwaltung und dem Zoll zum 1. Januar
dieses Jahres für eine schlagkräftige Taskforce unter dem
Kommando des Zolls gesorgt. Jeweils 2 500 Bedienstete
der Arbeitsverwaltung und des Zolls arbeiten an 133 Standorten unter Federführung von 20 Hauptzollämtern zusammen. Die Gesamtkoordination liegt schwerpunktmäßig bei
der Oberfinanzdirektion Köln. Man sollte diese Organisationsreform zugunsten von mehr Schlagkraft und Durchsetzungsvermögen nicht voreilig bewerten; denn sie wirkt,
wie gesagt, erst seit dem 1. Januar 2004. Ich bin aber überzeugt davon, dass das ein großer Erfolg werden wird. Insofern ist eine Aufstockung um weitere 2 500 Mitarbeiter
nur konsequent. Diese werden nicht etwa zulasten des
Steuerzahlers eingestellt, sondern aus anderen Behörden
abgezogen, und zwar schwerpunktmäßig aus dem Bereich des Zolls; denn dort fallen nach dem Beitritt der
osteuropäischen Länder zur EU bestimmte Aufgaben,
zum Beispiel die Überwachung der Ostgrenzen, weg.
Ich glaube, dass der Zoll - weil er schon immer polizeiliche Aufgaben wahrgenommen hat - sowohl von Gesetzes wegen als auch von der Praxis her robust genug
ist, um sich zum Beispiel auf Baustellen gegen sehr
große und zum Teil sehr handfeste Widerstände durchzusetzen, auf die man trifft, wenn es darum geht, Menschen zu identifizieren, die schwarzarbeiten oder illegal
beschäftigen, Unterlagen zu beschlagnahmen sowie sich
Zutritt zu Geschäftsräumen und Fahrzeugen zu verschaffen. Das sind klassische Polizeieinsätze, die nicht mit
Stenoblock und Aktentasche bewältigt werden können,
sondern konsequent und polizeilich durchgezogen werden müssen. Insofern ist die vom Minister entwickelte
Organisationsreform im Hinblick auf den Kampf gegen
organisierte Kriminalität in Gestalt von Schwarzarbeit
und illegaler Beschäftigung genau richtig.
({10})
Wir finden es völlig richtig, dass künftig Unternehmen,
die bei der Beschäftigung von Schwarzarbeitern und anderen Illegalen erwischt worden sind, von öffentlichen
Ausschreibungen für lange Zeit, drei Jahre, ausgeschlossen werden. Ich erwarte außerdem, dass große private Auftraggeber dem in ihrer Ausschreibungspraxis
folgen; denn solche Sünder sind demnächst über ein
Zentralregister identifizierbar. Man weiß also ganz genau, wen man an einer Ausschreibung beteiligt. Wir erwarten, wie gesagt, dass die private Wirtschaft dem guten Beispiel der öffentlichen Hand folgt und dazu
beiträgt, diesen Sumpf trockenzulegen.
({11})
Im Übrigen ist die Zusammenarbeit zwischen Zoll, Polizei und anderen Behörden insbesondere an der Schnittstelle von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und
sonstiger organisierter Kriminalität sichergestellt. Die
Durchlässigkeit von Informationen wird gegeben sein.
Wenn eine weitere Durchlässigkeit nötig sein sollte - es
kann sein, dass sich das im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ergibt -, dann werden wir uns dem stellen und
die notwendigen Maßnahmen im weiteren Gesetzgebungsprozess ergreifen. Wir sind für Anregungen sowohl von den betroffenen Berufsständen als auch von
der Opposition sehr offen.
Wir unterscheiden in unserem Gesetzentwurf bewusst
zwischen organisierter, gewerbsmäßiger Schwarzarbeit
auf der einen Seite und Nachbarschaftshilfe, Hilfe auf
privaten Baustellen und Beschäftigung in privaten Haushalten auf der anderen Seite. Es ist doch gar keine Frage,
dass wir den ersten Referentenentwurf, der auf Beamtenebene erarbeitet worden ist und der leider - natürlich
durch eine bestimmte Schlagseite in der Darstellung die öffentliche Diskussion anfangs bestimmt hat, nicht
wollten, weder der Sache nach noch vom Echo her.
({12})
Es ist ein Beweis für das Funktionieren des politischen Prozesses zwischen Koalitionsparteien und Regierung, dass dies, bevor aus der Vorlage ein Kabinettsentwurf wurde und dieser dem Parlament zugeleitet wurde,
korrigiert worden ist. Es ist nicht etwa ein Zeichen von
Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke, dass Fehler
im Referentenentwurf im politischen Prozess aus eigenem
Reinhard Schultz ({13})
Antrieb und aus eigener Kraft bereinigt worden sind.
Wir haben uns darüber genauso geärgert wie Sie und wir
haben sofort gehandelt.
({14})
- Ja, das ist wahr.
({15})
Ich hätte mich nicht getraut, das so zu sagen. Aber wenn
Sie das so schön ausdrücken, dann will ich dem ausdrücklich nicht widersprechen.
({16})
- Das bedauere ich jetzt aber zutiefst, lieber Kollege.
Wir haben die große Chance, den Anbietern wie auch
den Abnehmern von Dienstleistungen in privaten Haushalten durch Werbung und Überzeugungsarbeit nahe zu
bringen, dass es ökonomisch blödsinnig ist und sich gar
nicht lohnt, sich auf Schwarzarbeit einzulassen. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass für den
Arbeitgeber einer Putzfrau - ich benutze einmal diesen
Begriff, weil viele solcher Damen über den Begriff
Raumpflegerin etwas verwundert sind und sich selbst als
Putzfrau bezeichnen; man sollte da wirklich nicht zu
sensibel sein -, die für 280 Euro schwarzarbeiten würde,
bei legaler Beschäftigung mit einem pauschalen Sozialversicherungsbeitrag und unter Berücksichtigung der
steuerlichen Entlastung Kosten in Höhe von präzise
283,68 Euro anfallen würden. Der Unterschied zwischen
illegaler und legaler Beschäftigung liegt bei diesem Beispiel bei 3,68 Euro. Ich finde, man muss dafür werben,
dass immer mehr den Weg der Legalität beschreiten.
Kollege Schultz, Sie müssen zum Ende kommen.
Auch die Menschen, die kleinste Beschäftigungsverhältnisse eingehen - nicht nur eines, sondern mehrere -,
sollen über Dienstleistungsagenturen oder über Ich-AGs
diesen Weg beschreiten, also ihre Arbeit sozialversichert
und legal anbieten.
({0})
Das ist aber keine Frage des Strafrechts, sondern eine
Frage der gesellschaftspolitischen Überzeugungsarbeit. Ich glaube, wenn wir den Anbietern von organisierter, gewerbsmäßiger Schwarzarbeit auf die Finger
klopfen, dann werden wir einen Beitrag dazu leisten,
dass sich die Leute im kleinen, privaten Bereich eher
ehrlich verhalten, als wenn sie sehen, dass große, organisierte Kriminalität nicht verfolgt wird und stattdessen
immer nur auf sie gezeigt wird.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Stefan Müller, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Man wäre bei dem, was wir heute diskutieren, fast geneigt zu sagen: Es gibt Gott sei Dank noch Wirtschaftszweige in Deutschland, die florieren. Einer davon ist zumindest die Schwarzarbeit. Die eindrucksvollen Zahlen
wurden schon von mehreren Seiten hier vorgetragen. Ich
will sie nicht wiederholen. Man kann aber schon mit Fug
und Recht sagen, dass die Schwarzarbeit leider Gottes in
der Tat zu den blühendsten Wirtschaftszweigen in ganz
Deutschland geworden ist.
Jeder Schwarzarbeiter ackert - es gibt keine genauen
Erhebungen, aber Schätzungen gehen davon aus 428 Stunden im Jahr am Fiskus vorbei. Das entspricht in
etwa einem Viertel der tariflichen Jahressollarbeitszeit.
Die dabei erzielte Wertschöpfung - wir haben es gerade
schon gehört - beträgt mittlerweile über 16 Prozent des
offiziellen Bruttoinlandsprodukts. Allein in den letzten
vier Jahren ist im Übrigen die erzielte Wertschöpfung
um gut ein Viertel gestiegen. Ich finde, das ist sehr bemerkenswert; ich werde später noch einmal darauf zurückkommen. Wenn wir diese Zahlen vortragen, müssen
wir ehrlicherweise hinzufügen, dass wir damit, wie in
vielen Bereichen auch, im europäischen Mittelfeld liegen. Richtig ist, dass wir ein Musterknabe, so wie wir es
früher einmal waren, schon lange nicht mehr sind.
Das Schlimme bei der ganzen Geschichte ist Folgendes: Anscheinend gibt es in Deutschland sehr viel Verständnis dafür, dass der Anteil der Schwarzarbeit so
hoch ist - das sollte uns, wie ich meine, wirklich zu denken geben -; zumindest ergab das eine Umfrage im vergangenen Jahr. Ein Unrechtsbewusstsein in Bezug auf
Schwarzarbeit scheint kaum vorhanden zu sein. Auf die
Frage: „Haben Sie Verständnis dafür, dass Privatleute
bzw. Firmen Schwarzarbeiter beschäftigen?“ hat mehr
als die Hälfte der Befragten durchaus Verständnis geäußert bzw. zum Ausdruck gebracht, dass sie gegen die illegale Beschäftigung nichts einzuwenden haben. Das
heißt, egal ob es um Hausputz, Renovierung, Umzug
oder die Dauerwelle geht: Immer mehr Bürger scheinen
die preisgünstige Alternative jenseits der Legalität zu
entdecken. Es scheint mittlerweile die Einstellung vorzuherrschen, dass die Schwarzarbeit das Korrektiv des
kleinen Mannes ist, über das er sich das zurückholen
kann, was ihm der Staat vermeintlich unberechtigterweise vorher abgenommen hat.
Ohne Zweifel - der Herr Bundesfinanzminister hat es
angesprochen - sind die Auswirkungen für den Staat erheblich, gerade in Zeiten leerer Kassen umso dramatischer. Für den Fiskus bedeutet dieses Schattenwirtschaftswachstum jedes Jahr Steuer- und Abgabenausfälle
in Milliardenhöhe. Herr Bundesfinanzminister, es ist
Stefan Müller ({0})
grundsätzlich zu begrüßen, dass Sie zu erreichen versuchen, das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung zu
schärfen. Der Staat muss ein Interesse daran haben, dass
die Schwarzarbeit wirksam bekämpft wird. Das muss
aber mit einem Bündel aus repressiven und präventiven
Maßnahmen geschehen.
Sicherlich ist es wichtig, dass bei allem das Ziel sein
muss, das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung zu
schärfen. Aber ich muss schon einmal deutlich sagen,
Herr Finanzminister: Die Vorschläge, die Sie bisher gebracht haben, haben Augenmaß und Verhältnismäßigkeit
schon sehr vermissen lassen.
({1})
Sie haben mit Ihrem ursprünglichen Entwurf, den Sie
durch Mitarbeiter Ihres Hauses ins Internet haben stellen
lassen, dieses rechte Maß der Verhältnismäßigkeit, wie
ich meine, deutlich überschritten.
({2})
Man muss sich die Diskussion, die wir zum Jahreswechsel hatten, schon noch einmal vergegenwärtigen.
Sie wollten mit einem Heer von 7 000 Zollfahndern zur
Jagd auf die Putzfrau blasen, um den Bürgerinnen und
Bürgern in diesem Land ein neues Unrechtsbewusstsein
einzubläuen.
({3})
- Sie müssen sich das schon noch einmal anhören, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Sie haben die politische Brisanz dieses Themas schlicht
und ergreifend nicht erkannt. Das hat einmal mehr gezeigt, dass Sie kein Gefühl für die Befindlichkeiten der
Menschen in unserem Land haben.
({5})
Es kommt doch nicht von ungefähr, dass der Herr Bundeskanzler höchstpersönlich das ganze Projekt - wieder
einmal - zur Chefsache erklärt hat und selbst Hand an
diesen Gesetzentwurf gelegt hat. Das hat einmal mehr
gezeigt, Herr Finanzminister, dass Sie im System
Schröder keine Macht und keine Bedeutung mehr haben.
({6})
Es wird auch schon ganz öffentlich darüber philosophiert, wie Ihr Nachfolger heißt. Im Augenblick ist,
glaube ich, Herr Struck der heißeste Kandidat. Wir werden noch erleben, wer es dann tatsächlich wird.
({7})
Diese Affäre, die Sie angezettelt haben, zeigt einmal
mehr: Hans Eichel hat in dieser Bundesregierung keine
Zukunft mehr.
({8})
Mit Blick auf die Erreichung des Ziels, die Schwarzarbeit wirksam zu bekämpfen, müssen wir den vorliegenden Gesetzentwurf natürlich ganz nüchtern beleuchten.
Wir werden dazu in den anstehenden Gesetzesberatungen im Ausschuss genügend Zeit haben. Es ist geplant,
die Schwarzarbeit mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen zu bekämpfen. Es sollen Kontrollregelungen aus
verschiedenen Regelwerken einheitlich zusammengeführt werden. Es soll das Kontroll- und Prüfrecht der
Zollverwaltung erweitert werden. Dazu soll eine neue
Superbehörde mit über 7 000 Mitarbeitern geschaffen
werden. Es sollen Straftatbestände ergänzt werden, um
den Unrechtsgehalt von Schwarzarbeit zu verdeutlichen.
Es soll eine Rechnungsstellungspflicht für Unternehmen
und eine Rechnungsaufbewahrungspflicht für Private
eingeführt werden.
Bei all dem gibt es meines Erachtens schon noch eine
ganze Reihe von Fragen, die wir in den weiteren Beratungen klären müssen, nämlich: Wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das erklärte Ziel erreicht, das Unrechtsbewusstsein der Bevölkerung zu schärfen? Sind
die vorbeugenden Maßnahmen, die jetzt im Gesetzentwurf stehen - die allein repressiven Charakters sind -,
tatsächlich ausreichend, um dieses Ziel zu erreichen?
Schließlich die Frage: Führen die Maßnahmen, die Sie
vorgeschlagen haben, nicht letztendlich zu einer neuen
Welle von Bürokratie in unserem Land? Diese Fragen
wollen wir klären. Wir sind da offen. Es ist aber auch die
Frage zu klären, ob nicht der Aufbau einer neuen Superbehörde letztendlich dazu führen wird, dass in diesem
Lande noch sehr viel mehr Personal- und Sachkosten für
diesen Bereich anfallen werden. Zumindest Schätzungen
gehen im Augenblick davon aus, dass die Personal- und
Sachkosten zur Bekämpfung der Schwarzarbeit im kommenden Jahr auf rund 500 Millionen Euro ansteigen
werden, und das, obwohl sie in den Jahren von 1998 bis
2002 bereits um 40 Prozent gestiegen sind.
({9})
Insgesamt, Herr Schmidt, lässt sich feststellen, dass
Sie bei diesem Gesetzentwurf einmal mehr auf das zurückgreifen, was Sie auch in der Vergangenheit immer
wieder gemacht haben, nämlich auf den altbekannten
Mix aus Verfolgung und Strafe. Dabei zeigt ja die Vergangenheit immer wieder, dass das alleine nicht reicht.
Meine Damen und Herren, mehr Razzien und höhere
Strafen sind auch in der Vergangenheit immer ins Leere
gelaufen.
({10})
Sie reichen vielleicht dazu, dem harten Kern der
Schwarzarbeit zu Leibe zu rücken, denn auch das Gesetz
zur Erleichterung der Bekämpfung der Schwarzarbeit,
das erst im Jahre 2002 in Kraft getreten ist ({11})
Stefan Müller ({12})
das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen, Herr
Schmidt, da bin ich wieder bei Ihnen -, hat den weiteren
Anstieg der Schwarzarbeit nicht verhindert.
({13})
Obwohl Sie damals schon ausschließlich auf Sanktionen
gesetzt haben - die Sanktionen wurden verschärft, die
Verfolgungsbehörden effizienter strukturiert -, ist die
Schwarzarbeit dennoch weiter angestiegen.
({14})
Meine Damen und Herren, es dürfen eben nicht immer nur die Symptome, sondern es müssen auch einmal
die Ursachen für die illegale Beschäftigung untersucht
und bekämpft werden.
({15})
Die wesentlichen Gründe - sie wurden ja gerade genannt - für die Expansion der Schwarzarbeit sind doch,
wie zahlreiche Studien belegen, die Steuer- und Abgabenbelastung, die hohe Regulierungsdichte, das Niveau
der Lohnersatzleistungen und die zunehmende Freizeit
infolge von Arbeitszeitverkürzungen. Das habe ich mir
im Übrigen nicht aus den Fingern gesogen bzw. selbst
ausgedacht, sondern das ist in der Antwort auf die
Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom vergangenen Jahr
nachzulesen. An Erkenntnissen scheint es der Bundesregierung ja nicht zu mangeln.
({16})
Ich möchte aber die Punkte, die Sie schriftlich mitgeteilt haben, Herr Bundesfinanzminister, und die ich hier
vorgetragen habe, noch um einige ergänzen: fehlende
Planungssicherheit aufgrund politischer Entscheidungen
und daraus folgend eine hohe Verunsicherung innerhalb
Bevölkerung sowie das Gefühl, seit langem vor allem im
Bereich der Steuern ungerecht behandelt zu werden. Das
sind die Gründe für das Ansteigen der Schwarzarbeit,
und dafür, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, tragen Sie die Verantwortung.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine wirksame Therapie für die Bekämpfung der Schwarzarbeit kann also
nur lauten: Steuern und Abgaben müssen herunter, das
Steuerrecht muss einfacher und gerechter werden
({18})
- CDU und CSU werden am kommenden Sonntag dazu
einen Vorschlag machen;
({19})
von Ihnen hört man zu diesem Thema bis heute noch
nichts -, der unflexible Arbeitsmarkt muss reformiert
und strukturelle Verkrustungen müssen aufgebrochen
werden. Eines, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
muss natürlich klar sein: Schwarzarbeit ist keine bezahlte Freizeitbeschäftigung. Schwarzarbeit ist ohne
Zweifel zu einem gesellschaftlichen Problem geworden,
dem wir mit Maß und Ziel begegnen müssen.
({20})
Ich erteile das Wort Kollegin Anette Kramme, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte mit einigen Thesen bzw. politischen Prämissen arbeiten:
These Nummer eins lautet - das ist, wie ich denke,
völlig unstreitig -: Schwarzarbeit ist ein Krebsgeschwür.
Schwarzarbeit verursacht erhebliche gesellschaftliche
Schäden. Bereits Hans Eichel hat aufgeführt, dass das
Volumen der Schattenwirtschaft, also der Schwarzarbeit,
circa 17 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmacht.
Man kann es auch anders ausdrücken: Das entspricht
etwa 370 Milliarden Euro. Man kann auch weitere Zahlen anführen: Pro 100 000 legale Arbeitsplätze, die durch
illegale Beschäftigung verdrängt werden, entgehen den
Sozialversicherungssystemen 1,1 Milliarden Euro, es
entgehen dem Staat 480 Millionen Euro an Steuern. Zehn
illegale Arbeitsplätze vernichten sechs legale Arbeitsplätze.
Ein weiteres Beispiel für die Schwarzarbeit:
300 000 illegale Beschäftigte im Baubereich haben
180 000 legale Arbeitnehmer verdrängt.
Schwarzarbeit geht mit massivsten Phänomenen einher, die man nur noch als skandalös bezeichnen kann.
Ein Beispiel: Es werden Bauarbeiter aus Weißrussland
und der Ukraine angeworben. Sie arbeiten hier und erhalten selbstverständlich keine Lohnzahlung. Denn die
Bauunternehmer bekommen, kurz bevor diese Bauarbeiter ihre Arbeit beenden, ein vermeintlich schlechtes Gewissen und machen eine Selbstanzeige, woraufhin die
ausländischen Arbeitnehmer in ihre Heimat zurückgeschickt werden und natürlich keinen Lohn bekommen.
Ein erster Punkt.
Ein zweiter Punkt. Zielrichtung unserer Politik sind
nicht die Privathaushalte.
({0})
Herr Müller, Sie verbreiten hier böse Gerüchte; man
nennt so etwas auch: ein böser Finger sein.
({1})
Schwarzarbeit in Privathaushalten ist natürlich kein Kavaliersdelikt; das ist völlig unstreitig. Wir wollen jedoch
in diesem Zusammenhang Schwarzarbeiter auf den
rechtmäßigen Weg verweisen. Insoweit hatte die Debatte von Anfang des Jahres ihre nützlichen Seiten: Es
hat einen riesigen Ansturm auf die Bundesknappschaft
gegeben. Statt 38 000 Arbeitnehmern in Privathaushalten waren im Januar 2004 bereits 70 000 Arbeitnehmer
gemeldet.
Zielrichtung sind, wie gesagt, nicht die Privathaushalte. Wir wollen kein Denunziantentum. Wir registrieAnette Kramme
ren, dass in Privathaushalten lediglich kleine Schäden
verursacht werden im Vergleich zu den teilweise mafiösen Strukturen im Bereich der gewerblichen Unternehmen.
Ein dritter Punkt. Abgabensenkungen können
Schwarzarbeit nicht umfassend verhindern. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, ich
kann nur eines sagen: Ihr Politikansatz in diesem Bereich ist von einer einzigartigen Naivität geprägt. Ich
will auch das an einem Beispiel festmachen: Es gibt
Baustellenkontrollen. Bei diesen Baustellenkontrollen
wird immer wieder festgestellt, dass im Baubereich nicht
nur nicht der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird,
sondern Bauarbeiter häufig Stundensätze von lediglich
2 Euro erhalten!
({2})
Der Sachverhalt ist, dass Schwarzarbeit immer billiger sein wird als legale Arbeit, die einen Sozialversicherungsschutz bietet und mit der Sozialleistungen des Staates einhergehen.
Wie gesagt: Ihr Politikansatz ist von einer einzigartigen Naivität geprägt.
({3})
Punkt vier. Unsere Zielrichtung sind die gewerblichen
Unternehmen. Wir wollen die mafiösen Strukturen in diesem Bereich beseitigen, zumindest abmildern, verkleinern. Wir sind hier bereits erheblich tätig geworden. Ich
möchte nur auf das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit hinweisen. Ich denke, wir haben einen Quantensprung getan,
indem wir die Generalunternehmerhaftung für Sozialabgaben eingeführt haben. Ich möchte nicht, dass die Generalunternehmer in dieser Republik so weitermachen
können wie bisher, sondern ich möchte sehen und hören,
dass sie ihre Subunternehmer beobachten und darauf achten, dass Sozialabgaben abgeführt werden. Es soll keine
unüberschaubaren Ketten von Subunternehmern geben,
sondern klare Verantwortlichkeiten. In diesem Sinne haben wir mit diesem Gesetz einen Quantensprung getan.
Punkt 5. Wir sind weiter aktiv, weil wir entdeckt haben, dass es nicht nur Vollzugsdefizite, sondern auch
Strafbarkeitslücken gibt. Wir ändern deshalb § 266 a
StGB. Es soll so sein, dass nicht nur das Vorenthalten
von Arbeitnehmerbeiträgen zu den Sozialversicherungen
strafbar ist. Auch das Vorenthalten der logischerweise
zum Arbeitnehmergehalt gehörenden Arbeitgeberbeiträge soll ebenfalls den Tatbestand in § 266 a StGB erfüllen.
Kollegin Kramme, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hinsken?
Ja.
Werte Frau Kollegin Kramme, ich pflichte Ihnen bei,
dass auch Generalunternehmer dafür sorgen müssen,
dass alles ordnungsgemäß ist. Wie ist aber die Situation
bei den Ich-AGs? Sind Sie der Meinung, dass es auch da
Überprüfungen geben muss? Man kann nämlich auch in
diesem Bereich in die Schwarzarbeit flüchten, weil nicht
genau überprüft werden kann, wie viele Stunden an Arbeitsleistung der eine für den anderen erbringt. Hier wird
ein weiteres Tor für die Schwarzarbeit geöffnet, was ich
nicht verstehen kann. Deshalb möchte ich von Ihnen
eine Antwort auf die Frage, wie nach Ihrer Vorstellung
dieses Problem bewältigt werden kann.
Ich sage Ihnen ganz klar: Meines Erachtens liegen Sie
mit Ihrer Meinung völlig daneben.
({0})
Sie liegen deshalb völlig daneben, weil die Ich-AG ein
großartiges Instrument ist, das dafür sorgt, Arbeitnehmer
aus dem Bereich der illegalen Beschäftigung herauszuholen und ihre Beschäftigung mithilfe der Förderinstrumente der BA auf eine legale Grundlage zu stellen.
({1})
Ich denke, das ist ein großer Schritt, den wir im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Schwarzarbeit getan
haben.
({2})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, den ich
ebenfalls für sehr bedeutend halte.
({3})
- Natürlich habe ich die Frage beantwortet. - Es geht um
den Bereich der Unfallversicherung. Es ist richtig, dass
der Schwarzarbeiter als Person geschützt ist, wenn es zu
einem Arbeitsunfall kommt. Ich sage aber auch, dass es
nicht richtig ist, wenn Unternehmen, die Schwarzarbeit
in Auftrag geben, für Unfälle bislang nicht in Regress
genommen worden sind. Denn die Schwarzarbeit verursacht Einnahmeausfälle in Höhe von circa 1,1 Milliarden Euro. Auch in diesem Bereich sind wir einen
ganz wichtigen Schritt gegangen.
Herr Thiele, apropos Vollzugsdefizit. Ich denke, Sie
ignorieren an dieser Stelle die Tatsache, dass wir die
Bundesagentur für Arbeit dadurch entlasten, dass wir die
Bekämpfung der Schwarzarbeit aus dem Zuständigkeitsbereich der Arbeitsämter herausnehmen. Ich denke, die
Konzentration auf eine Stelle wird die Vollzugsdefizite
in einem ganz erheblichen Maße abbauen.
Sie zitieren immer wieder Professor Schneider und
das IAW. Ich will das an dieser Stelle ebenfalls gerne
tun. Professor Schneider ist unstreitig ein hervorragender Experte. Ich darf sagen: Er ist der Guru der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Es ist daher wichtig, dass seine
Aussagen - wie auch die Aussagen des IAW - vollständig zitiert werden. Das IAW stellte im Jahr 2001 fest:
Seit dem Jahr 2000 entwickelt sich die Schattenwirtschaft zum ersten Mal seit den 80er-Jahren nicht stärker
als die offizielle Wirtschaft. Davor ist dagegen die
Schattenwirtschaft immer stärker angestiegen als die offizielle Wirtschaft. Kommentiert wurde diese Entwicklung wie folgt:
Vermutlich ist Hauptursache für das geringere Ansteigen der Schattenwirtschaft in Deutschland die in
Kraft getretene Steuerreform, die bei der direkten
Einkommensteuer, aber auch bei anderen Steuern
eine spürbare Entlastung gebracht hat.
Ich behaupte, Ihre Aussage ist falsch. Wir haben vielmehr den Sachverhalt festzustellen, dass gerade in den
80er- und 90er-Jahren bis zu unserer Regierungsübernahme in Sachen Bekämpfung der Schwarzarbeit nichts
passiert ist.
({4})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Er betrifft die Erfolge unserer Politik. Für dieses Jahr sagt
Professor Dr. Friedrich Schneider von der Universität
Linz einen Rückgang der Schwarzarbeit voraus. Danach
soll der Umfang der Schwarzarbeit von 370 Milliarden Euro auf 364 Milliarden Euro sinken. Dies bedeutet,
dass erstmals in Deutschland die Schattenwirtschaft
nicht weiter anwächst. Die Gründe für diese Trendwende
sieht Professor Schneider in unserer Politik: in der erweiterten Minijobregelung, in der Neuregelung der
Handwerksordnung und in den Gesetzen zu Reformen
am Arbeitsmarkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren entscheidenden Schritt in Richtung faire Wettbewerbsbedingungen. Ich denke, das ist ein guter Tag für legal arbeitende
Unternehmen und für legal arbeitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Ich bedanke mich ganz herzlich.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Roland Gewalt, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rot-Grün
hat mit dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz einen
Entwurf vorgelegt, bei dessen Lektüre die Fachleute in
den Landeskriminalämtern vor Entsetzen die Hände über
dem Kopf zusammengeschlagen haben.
({0})
Der Gesetzentwurf weist so schwerwiegende handwerkliche Fehler auf, dass der Polizei die Bekämpfung organisierter Kriminalität ausgesprochen erschwert und
nicht erleichtert wird, Herr Bundesminister.
({1})
Schwarzarbeit ist oftmals - das wissen alle Experten,
die damit zu tun haben - nur eine Facette der organisierten Kriminalität.
({2})
Wer gegen Schwarzarbeit ermittelt, stößt oftmals auf andere schwere Straftaten wie Menschenschmuggel, Menschenhandel, Drogendelikte, Schlepperei, Subventionsbetrug und Urkundenfälschung; um nur einige Delikte
zu nennen. Dies sind Kriminalitätsbereiche, für die nach
wie vor die Landeskriminalämter zuständig sind. Nur
werden diese Landeskriminalämter, wenn es nach Ihrem
Gesetzentwurf geht, insbesondere keine personenbezogenen Informationen mehr vom Zoll erhalten, wenn der
Zoll bei Ermittlungen gegen die Schwarzarbeit auf organisierte Kriminalität stößt.
({3})
Wieder einmal wird bei Ihnen - das ist ausgesprochen
ärgerlich - der Datenschutz über die Notwendigkeiten
der Strafverfolgung gestellt. So geht es nicht!
({4})
Die negativen Folgen für die Ermittlungstätigkeit der
Kriminalpolizeien der Länder und auch des Bundeskriminalamtes sind gravierend. In vielen Großstädten
Deutschlands, in Berlin, in Hamburg und auch in München, gibt es mittlerweile sehr erfolgreich arbeitende gemeinsame Ermittlungsgruppen des Zolls, der Polizei und
der Bundesagentur für Arbeit, die sich insbesondere auf
die Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Rahmen der Schwarzarbeit konzentrieren.
Es ist geradezu grotesk, wenn der Mitarbeiter des
Zolls in einer solchen gemeinsamen Ermittlungsgruppe
Informationen über organisierte Kriminalität, die er erhält, nicht an den neben ihm sitzenden Kripobeamten
aus dem Landeskriminalamt weitergeben kann.
({5})
Mit Ihrem Gesetzentwurf werden die Möglichkeiten der
Ermittler nicht verstärkt. Dieser wird ganz im Gegenteil
zum Schikanierzwickel für Kriminalpolizei und Zoll.
Das ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg, Herr Bundesminister.
({6})
Schaut man sich den Werdegang dieses Gesetzentwurfes an, dann verwundern diese schwerwiegenden
Fehler allerdings nicht. Der Referentenentwurf ist den
Landesregierungen erst - man beachte das Datum - am
19. Dezember 2003 übermittelt worden. Frist zur Stellungnahme: Jahresanfang 2004.
({7})
Selbst noch so eifrige Landesminister haben über Weihnachten etwas anderes zu tun, als rot-grüne Gesetzentwürfe zu prüfen.
({8})
Aber damit nicht genug, Herr Bundesfinanzminister:
Sie haben es auch noch fertig bekommen, diesen Gesetzentwurf an weitgehend unzuständige Ministerien weiterzuleiten. Auch im Finanzministerium sollte eigentlich
bekannt sein, dass die Innen- und Justizministerien in
den Ländern für die Kriminalitätsbekämpfung zuständig
sind und weniger die Sozialministerien, an die Sie den
Gesetzentwurf geschickt haben.
({9})
Dennoch ist es einigen Landesregierungen gelungen
- das ist angesichts dieses Werdeganges einigermaßen
erstaunlich -, Stellungnahmen abzugeben, die - das betone ich - parteiübergreifend negativ ausfielen, Herr
Bundesfinanzminister.
({10})
Herr Eichel, Ihr Parteifreund, der Berliner Innensenator
Dr. Körting - übrigens ein exzellenter Jurist, der früher
einmal Justizsenator und Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichtshofes war -, hat kein gutes Haar an Ihrem Gesetzentwurf gelassen. Am 13. Januar 2004 titelte
der Berliner „Tagesspiegel“:
Innensenator kritisiert Gesetzentwurf zur illegalen
Beschäftigung: Kampf gegen organisierte Kriminalität wird erschwert.
Das sind die Tatsachen, Herr Bundesminister.
({11})
Leider zeigten Sie sich auch gegenüber Ihren Parteifreunden, Herr Bundesminister, ausgesprochen beratungsresistent. Denn der Gesetzentwurf mit seinen völlig
überzogenen datenschutzrechtlichen Bestimmungen
wurde am 18. Februar von der Bundesregierung verabschiedet. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ich
hoffe, Sie erwarten nicht, dass wir ein solches Flickwerk
mittragen.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
August vergangenen Jahres veröffentlichte die „Berliner
Zeitung“ eine Umfrage. Nach dieser sind 68 Prozent der
Bevölkerung der Meinung, Schwarzarbeit sei ein Kavaliersdelikt. Kein Kavaliersdelikt hingegen sei der Diebstahl einer Zeitung, zumindest meinten das ebenso viele
in der Umfrage. Nun werbe ich hier nicht für den Zeitungsklau,
({0})
ich verweise nur auf eine offenbar sehr weit verbreitete
Sicht. Ich füge hinzu: Die PDS im Bundestag hält
Schwarzarbeit weder für nebensächlich noch für revolutionär.
({1})
Gleichwohl wurde ich Anfang des Jahres hellhörig,
als das Thema Schwarzarbeit Schlagzeilen machte. Da
war von der Blumen gießenden Nachbarin die Rede, die
sich strafbar mache, und von anderen Lappalien. Mehr
noch: Dadurch wurden Nachbarschaftsgeist und gegenseitige Hilfe kriminalisiert. Für eine SPD, die einst
Werte wie Solidarität hochhielt, war das mehr als peinlich.
({2})
Das Phänomen Schwarzarbeit ist groß, es wuchert seit
den 70er-Jahren. Ihr finanzielles Volumen wird inzwischen auf fast 350 Milliarden Euro geschätzt. Das ist vor
allem deshalb so gravierend, weil dadurch Steuereinnahmen für den Sozialstaat und Beiträge für die Sozialsysteme verloren gehen. Auf der anderen Seite werden dadurch Tariflöhne unterlaufen und wird legale Arbeit
entwertet. Das ist der Punkt, warum die Bekämpfung
von Schwarzarbeit auch ein linkes Thema ist.
Hier darf nicht gelten: Die Kleinen fängt man und die
Großen lässt man laufen.
({3})
Das ist ein Prinzip, das Unrecht nährt und dennoch zum
erlebbaren Alltag in der Bundesrepublik gehört.
Der vorliegende Gesetzentwurf öffnet genau hierfür
Tür und Tor.
Nehmen wir das Baugewerbe. Jeder weiß: Hauptnutznießer der Schwarzarbeit sind nicht die Arbeiter, sondern
die Generalunternehmen. Die einen versuchen - oft
unter unsäglichen Bedingungen -, ihr Schnäppchen zu
machen und werden zum Schluss vielleicht sogar noch
um ihren Arbeitslohn betrogen, die anderen machen den
Reibach, ohne dafür ernsthaft belangt zu werden. Das
heißt, die einen werden gejagt, die anderen weiterhin geschont. Das schafft Unrecht im Unrecht und muss geändert werden.
Nun ist Schwarzarbeit ein weites Feld. Sie grassiert
im Baugewerbe. Dazu gehören Milliardenumsätze der
organisierten Kriminalität, aber sie betrifft auch andere,
niedere Tätigkeiten, die zum Beispiel von illegalisierten
Ausländern angeboten werden. Schon deshalb gibt es
keinen Königsweg, um der Schwarzarbeit beizukommen.
In der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen - ein PDS-Ressort - werden daher drei
Strategien gleichzeitig verfolgt: erstens Repression gegen alle organisierten Formen der Schwarzarbeit; zweitens Prävention, um künftige Schwarzarbeit zu vermeiden; drittens Transformation, um illegale Arbeit in legale
zu überführen.
({4})
Gerade die Transformation verlangt mehr als Ahndung
und Bestrafung.
({5})
Sie braucht Brücken statt Wälle. Das betrifft zum Beispiel viele Menschen, die unter uns leben, aber keine
Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben. Sie werden regelrecht in die Illegalität und auf den Schwarzmarkt getrieben.
Dieses Problem wird mit der EU-Erweiterung wachsen, und zwar nicht, weil neue Osteuropäer ins Land
strömen, sondern weil ohnehin hier lebende Polen und
Tschechen legalisiert werden, ohne zugleich ein Recht
auf Arbeit zu haben. Das heißt, sie werden EU-Bürger
dritter Klasse. Das ist ein Unding.
Sie merken, ich spreche auch über das ungelöste Zuwanderungsrecht bzw. über ungelöste Probleme der EUErweiterung. Dabei will ich mit meinem Beispiel noch
eines unterstreichen: Das Thema Schwarzarbeit ist kein
Sonderfall für die Polizei oder den Zoll. Es ist ein gesellschaftliches Problem und kann auch nur so behandelt
werden.
Das betrifft übrigens auch die Vergabepraxis und die
Förderpolitik. Solange der Staat - öffentliche Auftraggeber gehören dazu - Schwarzarbeit duldet, ist er Mittäter
oder Hehler. Das ist übrigens auch ein Grund für die Verteidigung eines Tarifrechts, bei dem die Regel die Regel
und die Ausnahme auch die Ausnahme bleibt.
Damit komme ich zu meinem vorerst letzten Gedanken: Wir sprechen über ein - im Doppelsinn - grenzenloses Phänomen, nicht über ein typisch deutsches. Also
bedarf es internationaler Standards. Wir haben eine EU
mit einem umstrittenen Stabilitätspakt. Wir haben aber
noch immer keine EU mit einem Sozialpakt. Die PDS
fordert ihn seit langem ein. Ich denke, die Beratungen
über diesen Gesetzentwurf wären eine gute Gelegenheit,
auch darüber nachzudenken, wie wir EU-weite Regelungen finden.
Danke schön.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass das Thema Schwarzarbeit, worüber wir hier heute Morgen diskutieren, arbeitsmarktpolitisch auf jeden Fall ein sehr vielschichtiges
Thema ist. Dies hat die Debatte auch ein Stück weit gezeigt. Ich glaube auch, dass wir ihr nur mit sehr unterschiedlichen Maßnahmen ein Stück weit Herr werden
können.
Nach meiner Beobachtung gibt es drei große Bereiche
von Schwarzarbeit. Es gibt einmal die organisierte
Schwarzarbeit, zum Beispiel am Bau. Hierzu kann ich
nur sagen: Hier werden Sie die Dinge durch kein Anreizsystem verändern können, denn so billig können wir nie
werden, dass wir bei einem Lohnverhältnis von 1 : 8
oder 1 : 10 gegenüber osteuropäischen Arbeitnehmern
konkurrenzfähig wären.
({0})
Dieser kriminellen Machenschaften kann man nur mit
ganz scharfer Kontrolle Herr werden.
({1})
Eine Entscheidung dazu haben wir im Übrigen im
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit einmütig getroffen,
nämlich dass die Zuständigkeit für die Schwarzarbeitsbekämpfung weg von der Bundesanstalt für Arbeit
auf den Zoll konzentriert werden soll, auch deshalb, weil
der Zoll Polizeigewalt hat. Eines kommt noch hinzu: Es
passt nicht ganz zusammen, dass eine Agentur morgens
einen Mitarbeiter, der für Lehrstellen und Ausbildungsfragen zuständig ist, schickt, um nach Lehrstellen zu fragen, und nachmittags den selben Betrieb wegen
Schwarzarbeit kontrolliert. Das wissen wir auch. Deswegen ist die Entscheidung richtig. Insbesondere der Aspekt der Polizeigewalt ist wichtig, damit hier vernünftig
vorgegangen werden kann.
Es ist unstreitig, dass zum Beispiel auch die „legale
Bauwirtschaft“ mithelfen muss, um solchen Machenschaften bei Sub-Sub-Konstruktionen überhaupt auf die
Schliche zu kommen. Ohne diese können Sie auf den
Baustellen keine Kontrolle erfolgreich durchführen.
Dazu gehört auch, dass auf den Baustellen etwa die Ausschreibungsunterlagen und viele andere Unterlagen
schlicht und ergreifend vorhanden sein müssen. Sonst
sind die Leute weg, ehe die Ermittlungsbehörden überhaupt tätig werden können. Dann fangen sie letzten Endes den ausländischen Arbeitnehmer, der irgendwo im
Container vor sich hinvegetiert, aber hinsichtlich derjenigen, die daran verdient haben, tappen sie weiterhin im
Dunkeln. Hiergegen muss mit allen Mitteln, die der
Rechtsstaat zur Verfügung stellt, vorgegangen werden.
({2})
Deshalb sollten Sie das, was der Kollege Ronald
Gewalt hier aus dem Bereich der Rechts- und Innenpolitik dazu gesagt hat, inwieweit hier die Vernetzung zwischen Zoll und anderen Institutionen des Rechtsstaates
zur Bekämpfung von Kriminalität gewahrt wird, sehr
ernst nehmen.
({3})
Das muss schlicht und ergreifend im Gesetzgebungsverfahren geklärt werden.
Es gibt noch einen weiteren Bereich von Schwarzarbeit.
Er betrifft diejenigen, die staatliche Transferleistungen
beziehen und gleichzeitig arbeiten gehen. Machen wir
uns doch nichts vor: Das gibt es.
({4})
Das gibt es bei der einfachen Putzfrau, die in der Regel
nicht aus den Bevölkerungsgruppen kommt, die Geld
genug haben, sondern aus denjenigen, die eher schlecht
als recht auskommen. Ich rede gar nicht davon, dass sie
Sozialhilfe bezieht und nebenher putzen geht. Die Familie braucht nur Wohngeld zu bekommen. Wenn sie eine
Putzstelle annimmt und 300 Euro im Monat verdient,
verliert die Familie ihren Wohngeldanspruch. Die Frau
fragt sich dann, wofür sie eigentlich putzen geht.
Das Problem ist hier nicht nur, dass die Haushalte ihre
Putzfrau nicht anmelden. Das Hauptproblem liegt in
Wahrheit darin: Finden Sie einmal eine Putzfrau für Ihren Privathaushalt, die offiziell angemeldet werden will!
({5})
Das liegt an unserem Transferleistungssystem.
Beim Thema Sozialhilfe, insbesondere was das Verhältnis von Sozialhilfe und Zuverdienst angeht, haben
wir im Vermittlungsverfahren durch die Einführung höherer Anrechnungsfreibeträge einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, indem wir eine Staffelung der
Freibeträge von zunächst 15 Prozent, dann 30 Prozent
und schließlich wieder 15 Prozent vorgenommen haben.
({6})
Diese Regelung muss sich erst einmal herumsprechen
und bekannter werden.
({7})
Sie wissen, dass wir im Niedriglohnbereich zwar größere Förderungen beabsichtigt hatten. Aber nun sollten
wir diesen Schritt in die richtige Richtung bekannt machen, damit die Menschen zumindest wissen, dass sie
sich jetzt rechtmäßig so verhalten können und daher
keine Sorge haben müssen, sich anzumelden. Ich rate
uns, auch einmal zu überlegen, wie wir die Probleme
beim Thema Wohngeld in den Griff bekommen und ob
wir, um diesen Bereich von der Schwarzarbeit zu lösen,
Bagatellgrenzen oder ähnliche Regelungen einführen
sollten.
Die Welt ist, wie sie ist. Wer, wenn er putzen geht,
seinen Wohngeldanspruch verliert, der wird das nicht
tun; denn es ist ja nicht vergnügungsteuerpflichtig, den
Dreck anderer Leute wegzuräumen. Nach meiner Meinung müssen wir die entsprechenden Anreizsysteme
schlicht und ergreifend mit der Möglichkeit eines höheren Zuverdienstes ausstatten. Das ist genauso wichtig
wie die Frage: Wie motiviere ich die privaten Haushalte,
darauf zu drängen, diese Arbeitsverhältnisse anzumelden? Mit der neuen Ausgestaltung der 400-Euro-Jobs
haben wir das einfach und unbürokratisch geschafft. Die
Anreizsysteme könnten zwar besser sein - hier gebe ich
Ihnen Recht -, aber man muss die entstehenden Kosten
auch bezahlen können.
Aber was nützen die besten Anreizsysteme, wenn die
Putzfrau durch sie ihren Wohngeldanspruch verliert?
({8})
Für denjenigen, der keine Person des öffentlichen Lebens ist, ist die Gefahr, ertappt zu werden, wenn er diese
Tätigkeit in seinem Privathaushalt unter der Hand ausüben lässt, nicht besonders groß. Das wissen wir alle.
Selbst die öffentliche Ächtung wäre, wenn es auffallen
würde, nicht besonders schlimm. Deswegen müssen Sie
die Regelungen bezüglich der Anreizsysteme auch für
diese Arbeitskräfte verbessern.
({9})
Es gibt noch einen anderen Bereich, den wir jetzt
auch besser in den Griff bekommen haben: die neuen
400-Euro-Jobs. Seien wir doch ehrlich: Durch Walter
Riesters Einschränkung der ehemaligen 630-DM-Jobs
wurde - das kann man, was die Philosophie angeht, alles
begründen - die Zusatzarbeit dann, wenn sie bei einem
anderen Arbeitgeber geleistet wird, wie eine Überstunde
gewertet. Er hat ja immer gesagt: Es kann nicht sein,
dass derjenige, der bei seinem eigenen Arbeitgeber eine
Überstunde leistet, zahlen muss, und dass derjenige, der
bei einem anderen Arbeitgeber einem Zusatzverdienst
nachgeht, nicht zahlen muss.
({10})
Wir merken, wohin uns eine solch restriktive Haltung
geführt hat. Die Anzahl der 630-DM-Verträge ist zurückgegangen, aber die Arbeit ist nach wie vor getan
worden. Sie ist nämlich schwarz gemacht worden.
({11})
Ich finde, durch die Art und Weise, wie wir bei den
400-Euro-Verträgen vorgegangen sind - das war insbesondere der Vorschlag der Union und der FDP -, nimmt
die Anzahl der abgeschlossenen 400-Euro-Verträge zu.
Ich bin sicher, hier haben wir einen Riesenbeitrag geleistet, um einen Weg aus der Schwarzarbeit heraus zu finden.
Deshalb kann unser Weg nur sein, bei der Bekämpfung der organisierten Schwarzarbeit mit der gesamten
Kraft des Staates zuzuschlagen und sich zu wehren, hinsichtlich der Schwarzarbeit im privaten Bereich allerdings die Anreizsysteme zu verbessern. Die entsprechenden Entscheidungen sind auf einem guten Weg. Ich
wünsche mir noch viel deutlichere Entscheidungen. Angesichts der Schwierigkeiten einer Eigernordwand-Besteigung, den Bezug einer sozialen Transferleistung hinter sich zu lassen, dauert es lange, bis sich die eigene
Arbeit wieder lohnt.
Schönen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/2573 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätzlich soll der Gesetzentwurf zur Mitberatung an den
Haushaltsausschuss überwiesen werden. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael
Meister, Dietrich Austermann, Heinz Seiffert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Strikte Einhaltung des geltenden europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspaktes
- Drucksachen 15/541, 15/1682 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Leo Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Bundesregierung hat sowohl den Stabilitäts- und Wachstumspakt als auch den Geist des
Grundgesetzes massiv verletzt.
({0})
Im vergangenen Jahr lag das staatliche Defizit mit
3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich über der
Neuverschuldungsgrenze von 3 Prozent.
({1})
Der Schuldenstand ist über die Marke von 60 Prozent
gestiegen. Die Nettokreditaufnahme des Bundes lag mit
38,6 Milliarden Euro um fast 50 Prozent über den Investitionsausgaben in Höhe von 26,7 Milliarden Euro. RotGrün bricht damit zum zweiten Mal hintereinander
Europarecht.
({2})
Sie verspielen das Vertrauen der deutschen Bevölkerung
und das unserer europäischen Nachbarn.
({3})
Meine Damen und Herren, der Stabilitäts- und
Wachstumspakt wurde auf deutsche Initiative hin festgeschrieben, um die Geldwertstabilität in der Eurozone
sicherzustellen. Finanzminister Theo Waigel hat den
Pakt gegen viele Widerstände durchgesetzt. Was hat die
Regierung Kohl sich von der damaligen Opposition anhören müssen, als 1996 - in einem wirtschaftlich auch
sehr schwierigen Jahr - das Defizitkriterium von
Maastricht trotz großer Bemühungen nur knapp verpasst
wurde! Wie leichtfertig geht dagegen heute die Regierung Schröder mit der Neuverschuldung um!
({4})
2001 hat Herr Eichel der Kommission für das Jahr 2004
einen ausgeglichenen Haushalt versprochen.
({5})
Da kann sich jeder seine eigene Meinung bilden über
Herrn Eichels derzeitige Planung, 2007 ein Defizit von
nur noch 1,5 Prozent zu erreichen.
({6})
Meine Damen und Herren, auch wir als Mitglieder
des Deutschen Bundestages sind der Bevölkerung gegenüber für die Qualität des Euros verantwortlich. Wir
können dieser Verantwortung nicht gerecht werden,
wenn Deutschland von seinen europäischen Partnern als
Wackelkandidat in Fragen der Währungsstabilität wahrgenommen wird. Die Europäische Zentralbank kann
ihr Mandat zur Preisniveaustabilität langfristig nur erfüllen, wenn in Europa finanzpolitische Disziplin herrscht.
Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir wieder zu
unserer alten Kompetenz zurückfinden: Deutschland als
Wachstumslokomotive und Stabilitätsanker in der Eurozone und darüber hinaus auch in der EU.
({7})
Wie will der Bundesfinanzminister seinen Haushalt
wieder in Ordnung bringen? - Bekanntermaßen hat ein
Haushalt eine Ausgaben- und eine Einnahmenseite. Man
kann also die Ausgaben senken oder die Einnahmen erhöhen. Betrachtet man die Ausgaben im Bundeshaushalt,
so wird klar, wo wir ansetzen müssen: 45 Prozent des
Bundeshaushalts sind für die sozialen Sicherungssysteme inklusive Rentenzuschuss festgeschrieben. 15 Prozent werden für Zinszahlungen verbraucht. Nur 10 Prozent gehen in staatliche Investitionen. Deshalb müssen
wir zumindest mittelfristig die Ausgaben des Bundes
insgesamt senken und dabei das Gewicht der investiven
Ausgaben gegenüber dem der konsumtiven deutlich stärken. Sonst gefährden wir die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
({8})
Wie kann man die Einnahmen erhöhen? - Man kann
es wie der Bundesfinanzminister mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz und seinen Folgegesetzen machen: Verschlechterung der Standortbedingungen durch
Einschränkung der Verlustausgleichsmöglichkeiten, eine
völlig unpraktikable Neuregelung des § 8 a des Körperschaftsteuergesetzes, wo es um die Gesellschafterfremdfinanzierung geht, und andere belastende Faktoren. Alles
Maßnahmen, die zwar kurzfristig Geld in die Kasse spülen, aber langfristig die Entwicklung Deutschlands als
Wirtschaftsstandort hemmen.
({9})
Mit den genannten Maßnahmen konterkarieren Sie - das
ist sehr tragisch für Sie - Ihre eigenen Steuersatzsenkungen, einen Punkt, mit dem Sie wenigstens etwas vorzuweisen hätten.
Kommen Sie jetzt nicht mit dem Argument, auch die
Union habe im Vermittlungsausschuss für die genannten
Punkte gestimmt. Das Vermittlungsverfahren zu diesen
Punkten war nur wieder der Reparaturbetrieb - sonst wären die Maßnahmen doch noch schlimmer ausgefallen.
({10})
Das muss auch bei anderen Maßnahmen festgestellt werden.
({11})
Im Endeffekt bleibt gültig: Die steuerpolitischen Marterinstrumente, die Rot-Grün zwischenzeitlich wieder
ausgepackt hat und diskutiert, von dem ewigen Thema
Vermögensteuer über die Erbschaftsteuer bis zu der letztes Jahr grandios gescheiterten Gemeindewirtschaftsteuer mögen kurzfristig zu Steuermehreinnahmen führen.
({12})
Mittel- und langfristig schädigt die Regierung aber unsere Volkswirtschaft und damit unseren Staat.
({13})
Dabei ist doch die Erhöhung des Wachstumspotenzials unserer Volkswirtschaft der entscheidende Faktor
sowohl bei der Umstrukturierung der Sozialsysteme als
auch in der Frage des staatlichen Defizits. Es sind nicht
nur die konjunkturellen Probleme, sondern vielmehr unsere strukturellen Probleme, die uns belasten, auch wenn
Rot-Grün immer behauptet, wir hätten eine Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Entscheidend ist, dass das Wachstumspotenzial wieder geweckt wird. Denn das fehlt Deutschland. Natürlich
haben auch die schwache Weltkonjunktur und teilweise
der Irakkonflikt dazu beigetragen, dass wir in dieser Situation sind. Aber die US-Wirtschaft wuchs im letzten
Jahr um 3,3 Prozent. Die deutsche schrumpfte. Dieses
Jahr wird Amerikas Wirtschaft circa 4,5 Prozent Wachstum verzeichnen. Was haben wir? - Vielleicht 1,7 Prozent. Mit solchen Zuwachsraten kommen wir nicht aus
dem Dilemma der öffentlichen Finanzen heraus.
({14})
Was hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr
geleistet, um diese Wachstumsschwäche zu überwinden?
Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Kanzler an dieser
Stelle die Agenda 2010 verkündet. Ich will nicht bestreiten, dass der Ansatz in einigen Punkten richtig ist, etwa
die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Das Problem ist, dass schon die Zielsetzung meist nicht
weit genug geht - siehe Deregulierung des Arbeitsmarktes -, dass die Umsetzung dilettantisch ist - ich erinnere
nur an die Bundesagentur für Arbeit - und vor allem das ist der wichtigste Punkt -: Die SPD will den notwendigen Reformweg eigentlich gar nicht gehen. Sehen Sie
sich doch einmal den Zustand in Ihrer eigenen Partei an,
über wie vieles, was an Reformen erforderlich wird, dort
diskutiert wird.
({15})
Der vom Sachverständigenrat angemahnte Wechsel
„vom Chaos zum System“ in der Wirtschafts- und Finanzpolitik kann deshalb nur von der Union vollzogen
werden.
({16})
Unsere klaren politischen Konzepte werden unser Land
für den internationalen Wettbewerb wieder fit machen je früher, desto besser. Wenn Rot-Grün weiterhin die Reputation unseres Landes verspielt, werden wir in Zukunft verstärkt Probleme haben, unsere Ansichten in
Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene durchzusetzen.
Ich bin schon sehr gespannt, wie die Bundesregierung
in den weiteren Verhandlungen zur europäischen Verfassung eine stärkere Verankerung der Wettbewerbsordnung
und die Verpflichtung zur Geldwertstabilität durchsetzen
möchte.
({17})
Die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
müssen integraler Bestandteil der Verfassung werden.
({18})
Hier sollten sich weder die Bundesregierung noch die
Kommission an Aufweichungsdebatten beteiligen. Die
Bundesregierung wird mehr als das Lippenbekenntnis
des Finanzministers von vergangener Woche zum Stabilitäts- und Wachstumspakt abliefern müssen, wenn sie
ein glaubhafter Vertreter des deutschen Interesses an einem dauerhaft stabilen Euro in der Europäischen Union
sein will.
Vielen Dank.
({19})
Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Poß, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dautzenberg, das war ein Musterbeispiel für die
scheinheilige Debatte, wie sie von CDU/CSU in diesem
Zusammenhang geführt wird.
({0})
Auf der einen Seite beschließen Sie Anfang Dezember
auf Ihrem CDU-Bundesparteitag ein Konzept, das im
nächsten Jahr Steuerausfälle in Höhe von 32 Milliarden
Euro bedeuten würde.
({1})
Auf der anderen Seite spielen Sie sich als Hüter der
Währungsstabilität und des Maastricht-Paktes auf.
({2})
Irgendwie passt das nicht zusammen.
Gerade haben Sie noch die hohen Ausgaben für die
Rente im Bundeshaushalt kritisiert.
({3})
Heißt das also, Sie plädieren für Kürzungen? Dann sagen Sie doch den Menschen, dass Sie für Rentenkürzungen sind, damit die Menschen erkennen, was die Alternativen sind. Wir sind für eine Erneuerung der sozialen
Sicherungssysteme. Sie stehen für deren Abschaffung.
Das war ein Beispiel dafür.
({4})
Ich bin sehr dankbar, dass Sie so bewundernswert
deutlich die politischen Alternativen für die Bevölkerung aufzeigen. Es wird unsere Aufgabe in den nächsten
Wochen und Monaten sein, diese Alternativen noch
deutlicher herauszuarbeiten.
({5})
Sie reden von der Wachstumslokomotive, die wir in der
Europäischen Union gewesen seien.
({6})
Dann schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an! Wir
sind schon lange nicht mehr die Wachstumslokomotive.
Das hat sachliche Gründe, wie der Sachverständigenrat
mit Hinweis auf die deutsche Einheit und deren Konsequenzen festgestellt hat. Sagen Sie das doch den Menschen! Werfen Sie hier keine Nebelkerzen! Das sind die
Rahmenbedingungen, unter den wir auch nach drei Jahren Stagnation Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik
machen.
({7})
In dieser Debatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt wird viel Unsinn verbreitet. Wir haben gerade
ein Musterbeispiel dazu gehört.
({8})
Zum anderen wird der Europäische Stabilitäts- und
Wachstumspakt bei der innenpolitischen Auseinandersetzung als Kampfinstrument missbraucht; auch das haben wir hier erleben müssen. Beides hängt miteinander
zusammen.
({9})
Am 15. Januar dieses Jahres hat der luxemburgische
Ministerpräsident Jean-Claude Juncker - er ist ein Parteifreund von Ihnen ({10})
in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein bemerkenswertes
Interview gegeben. Jean-Claude Juncker sagt dort als einer derjenigen, die den Pakt formuliert haben:
Ja, die Kommission verbreitet - gestützt von der
Europäischen Zentralbank - die Propaganda:
Vertrag ist Vertrag, drei Prozent sind drei Prozent,
und wer mit seinem Haushaltsdefizit darüber
hinausschießt, muss sofort bestraft werden. Dabei
steht das da nicht so. Das war viel feinfühliger gemeint.
Weiter führt Juncker in dem Interview aus:
Wir haben damals bewusst Spielraum für politische
Entscheidungen gelassen. Und den hat der Rat
- bei seiner Entscheidung am 25. November 2003 genutzt. Schließlich geht es hier um hochpolitische
Fragen.
Jean-Claude Juncker als einer der Väter des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes macht in seinem
„Zeit“-Interview voller Zorn über die aktuelle Debatte
zum Stabilitätspakt klar - damit meint er auch die Äußerungen, die Frau Merkel, Herr Stoiber und Herr Merz in
diesem Zusammenhang gemacht haben -:
({11})
Von Anfang an war und ist Bestandteil des Paktes, dass
er ökonomisch und politisch vernünftig interpretiert und
angewendet wird. Durch den Pakt wird eben nicht vorgeschrieben, dass in konjunkturellen Schwächephasen
ohne Rücksicht auf die ökonomischen Kosten ein restriktiver finanzpolitischer Kurs zu fahren ist.
({12})
Der Europäische Wachstums- und Stabilitätspakt ist
ohne weiteres mit konjunkturstützenden und wachstumsfördernden Politikmaßnahmen und -strategien vereinbar,
und zwar auch dann, wenn diese nicht zum Nulltarif zu
haben sind.
({13})
So weit Jean-Claude Juncker, der den Pakt mit formuliert hat.
Ich möchte es ausdrücklich hervorheben: Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt hat sich bewährt
und er bewährt sich weiter. Das gilt ausdrücklich auch
deshalb, weil die europäischen Finanzminister am
25. November des letzten Jahres so entschieden haben,
wie sie entschieden haben. Dennoch beharren die Opposition und auch manche Meinungsführer auf ihrer falschen, schlichten und ideologischen Sichtweise des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Die Verbalattacken der CDU/CSU gegen die Haushaltspolitik von Hans Eichel
({14})
gehen aber nicht nur auf ein ideologisch geprägtes
grundsätzliches Missverstehen des Sinns und der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zurück. Sie zeigen auch, dass die oppositionelle
Positionierung in der Finanzpolitik in diesen Tagen
- wie seit geraumer Zeit - von nicht zu überbietender
Widersprüchlichkeit ist.
({15})
Bestes Beispiel dafür sind die von mir bereits genannten Vorstellungen der CDU - weniger der CSU - und
auch der FDP über so genannte große Steuerreformen.
In Ihren Reihen gibt es immer noch zwei Modelle, die
nach wie vor grundverschieden sind. Das werden Sie am
kommenden Sonntag mit vielen Worten übertünchen.
Das ändert aber am konzeptionellen Unterschied überhaupt nichts. Die CDU legt mit Ihrer Bierdeckelreform
ein Konzept vor, durch das ein Verfassungsgebot weitgehend aushöhlt würde, nämlich die Besteuerung gemäß
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Mit diesem
Konzept verabschieden Sie sich vom Sozialstaat.
({16})
Die CSU tut das nicht. Auch sie misst der Einkommensteuer weiterhin eine sozial ausgleichende Funktion
zu. Das ist der Unterschied. Wegen der prinzipiellen Unvereinbarkeit der beiden Konzepte wird es auch nach
dem kommenden Wochenende beim steuerpolitischen
Dissens in der Union bleiben. Fatlhauser und Merz werden sich auf nichtssagende Thesen einigen. Mit dem
Ziel, die nach wie vor vielen offenen Fragen zu überdecken, bleibt hier alles wachsweich und wenig aussagekräftig.
Wenn Sie etwas Konkretes liefern wollen - Sie haben
in München und Stuttgart doch gute Finanzministerien -, dann legen Sie doch endlich einen konkreten Gesetzentwurf vor, aufgrund dessen die Menschen sehen
können, wer be- und wer entlastet wird. Die Berechnungen, die es auch von unabhängigen Instituten bisher dazu
gibt, zeigen eindeutig, dass die Krankenschwester draufzahlen und der Chefarzt profitieren würde. Das und
nichts anderes sind die verteilungspolitischen Auswirkungen Ihres Systems.
({17})
Alle Berechnungen dieser Modelle machen deutlich:
Weder für den Bund, noch für die Länder, noch für die
Kommunen wäre das finanzierbar. Herr Dautzenberg,
Sie haben vorhin etwas zur Situation der Kommunen
und zur Gemeindewirtschaftsteuer gesagt. Sie aber haben die Stärkung der kommunalen Finanzen im Vermittlungsausschuss verhindert. Das ist doch die Wahrheit.
({18})
- Frau Kollegin Wülfing! - Wenn Sie nicht glauben, was
ich Ihnen erzähle, dann habe ich die herzliche Bitte, dass
Sie nicht so viel Fernsehen gucken, sondern sich den
Bericht, der von den Finanzministern aller 16 Länder
erarbeitet wurde und in dem die Modelle begutachtet
werden, in Ruhe anschauen.
({19})
Dann werden Sie nämlich zu der Schlussfolgerung kommen, die ich gezogen habe, nämlich dass das, was unter
dem Stichwort der Einfachsteuerkonzepte vorgelegt
wurde, eine Irreführung der Öffentlichkeit ist. Das sind
unfinanzierbare und unsoziale Konzepte, die mit unserer
Zustimmung nie Realität werden.
({20})
Wenn das CDU-Konzept umgesetzt werden sollte,
Herr Kollege Dautzenberg, dann würde das bedeuten,
dass das Haushaltsdefizit, dessen Obergrenze im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegt ist, im nächsten Jahr
um zusätzlich 1,5 Prozent steigen würde.
({21})
Wenn wir von einer Gesamtverschuldung von 3 Prozent
ausgehen, dann wären das mit Ihrem Konzept
4,5 Prozent. Wie können Sie auf der einen Seite solche
Reden halten und auf der anderen Seite solche Vorschläge unterbreiten? Das ist wirklich eine Widersprüchlichkeit, die durch nichts zu überbieten ist.
({22})
Dies zu fordern und Hans Eichel und uns vorzuwerfen, wir verletzten den Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt, ist einfach schizophren. Sie haben uns
mangelnden Konsolidierungswillen vorgehalten. Gleichzeitig aber haben Sie mit der Unionsmehrheit im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss den Abbau von
steuerlichen Subventionen und Vergünstigungen weitgehend verhindert. Im selben Atemzug schlagen Sie im
Rahmen einer großen Steuerreform die Streichung all
dieser Vergünstigungen vor. All das passt nicht zusammen und ist scheinheilig, um das hier zu wiederholen.
({23})
Der Bericht der Finanzminister kommt zu dem Ergebnis, das die „Süddeutsche Zeitung“ so zusammengefasst
hat: „Radikale Steuerreform entlastet Reiche“. Auch hier
wird bestätigt, was wir von Anfang an gesagt haben: Unter dem Deckmantel der Steuervereinfachung - wie wir
wissen, ist die Einforderung von Steuervereinfachung
sehr populär - streben CDU und FDP eine Umverteilung
der Steuerlast von Spitzenverdienern auf Arbeitnehmer
mit kleinen und mittleren Einkommen an. Eine solche
unsoziale Steuerpolitik werden wir nie mitmachen.
Wenn Sie wirklich die Einhaltung des Europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspaktes wollen, dann fordern
Sie nicht weiterhin milliardenschwere Steuerentlastungen, von denen insbesondere Spitzenverdiener profitieren.
Vielen Dank.
({24})
Ich erteile das Wort Kollegen Andreas Pinkwart,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir hatten eigentlich gedacht, Herr Poß, dass
Sie zum Thema sprechen würden.
({0})
Aber da Sie sich maßgeblich mit der aktuellen Diskussion zur Steuerpolitik auseinander gesetzt haben, möchte
ich einen Satz dazu sagen.
({1})
Es ist doch sehr bemerkenswert, dass Sie alle Modelle
- das haben Sie getan -, die sich mit Steuersenkungen
und -vereinfachungen beschäftigen und von den Finanzministern in einem Gutachten bewertet worden sind, in
Bausch und Bogen abgelehnt haben. Dabei plant Ihr Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, Herr Steinbrück,
in den nächsten Tagen mit Herrn Kirchhof, einem der
Autoren, eine Pressekonferenz, weil er das Gutachten
mitfinanziert und Schritte in diese Richtung machen
will. Herr Poß, klären Sie erst einmal für Ihre Partei, was
Sie wollen! Wollen Sie weiterhin hohe Steuern mit einem komplizierten Steuerrecht? Oder wollen Sie in
Deutschland endlich für bessere Rahmenbedingungen
sorgen?
({2})
Dass Sie hier nicht zum eigentlichen Thema reden
wollen, ist verständlich. Was haben wir im Deutschen
Bundestag und auch im Bundesrat alles vereinbart, als
wir die D-Mark abgeschafft und den Euro eingeführt haben? Wir haben uns darauf verständigt, den hohen Stabilitätsanspruch an unsere Währung dadurch zu sichern,
dass wir klare Kriterien definieren. Sie wissen: Das gesamtstaatliche Defizit in Deutschland jährlich auf maximal 3 Prozent zu begrenzen,
({3})
die Verschuldungsgrenze insgesamt auf 60 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes zu führen und mittelfristig ausgeglichene Budgets vorzulegen, das sind die drei zentralen Regeln. Sie von Rot-Grün haben gegen alle Regeln
nachhaltig verstoßen. Das gilt es, hier zu diskutieren.
({4})
Sie haben beim ersten Kriterium, der Defizitquote, in
den letzten Jahren eine Vervierfachung vorgekegelt. Im
Jahre 2000 lag die Neuverschuldungsquote noch bei
1 Prozent, im vergangenen Jahr bei 4 Prozent.
Wie sieht es bei dem zweiten Kriterium aus? Die Gesamtschuldenquote ist innerhalb von drei Jahren von
60,8 Prozent auf 65 Prozent gestiegen.
Schließlich hat Ihr Finanzminister das Ziel, zu einem
ausgeglichenen Budget zu kommen, wiederholt für die
nächsten Jahre versprochen. Das wird selbst nach Ihrem
neuen Bericht im Jahr 2007 verfehlt werden, wo Sie jetzt
immer noch eine Neuverschuldungsquote von 1,5 Prozent einplanen. Das sind die Zahlen, die wir hier diskutieren müssen. Vor denen drücken Sie sich doch in Wahrheit.
({5})
Weil Sie Fehler in Ihrer Politik gemacht haben - zuweilen hat sie der Bundeskanzler hier auch eingeräumt -, ist Deutschland nicht aus der Strukturkrise herausgekommen. Deshalb verfehlen Sie in Serie diese
Kriterien und legen uns Haushalte vor, die schon bei der
Aufstellung verfassungswidrig sind. Das ist doch das,
was wir hier kritisieren müssen.
({6})
Um sich dann Luft zu verschaffen, versuchen Sie, die
Regeln einfach zu ändern. Das ist so wie im privaten Leben: Wenn ein reichlich bemessener Anzug auf einmal
nicht mehr passt und man feststellt, man müsste eigentlich sein Verhalten ändern, um das Körpergewicht zu reduzieren, dann setzen Sie auf die nächste Konfektionsgröße, statt grundlegend das Verhalten zu ändern. Ihre
Gesundheitsministerin würde das als ein sehr ungesundes Verhalten qualifizieren. Genauso ungesund ist das,
was Sie tun, für unsere Volkswirtschaft.
({7})
Wenn ich dann höre, dass Sie, Herr Poß, am Stabilitätspakt festhalten wollen - das war der einzige Satz, den
Sie zum Thema gesagt haben -, dann möchte ich Sie
herzlich bitten, mit Ihrem grünen Koalitionspartner über
das zu reden, was Herr Cohn-Bendit, der Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahl, dieser Tage in der
„Welt“ geschrieben hat. Mit Erlaubnis des Präsidenten
darf ich das zitieren:
Der Stabilitätspakt, der vor fünf Jahren noch seine
Berechtigung hatte, ist unter den heutigen ökonomischen Bedingungen einfach kein adäquates Instrument mehr.
({8})
Und wenn Regeln nicht mehr funktionieren, dann
muss man sie ändern …
({9})
Wenn man auf diese Weise Politik macht, dann verspielt
man das notwendige Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger in die Stabilität unserer Währung. Das ist ein hohes Gut, wie wir wissen. Als das Vertrauen nämlich noch
da war, hatte dieses Land Erfolg. Sie verspielen diesen
Erfolg mit Ihrer Politik.
({10})
Wir fordern Sie auf: Arbeiten Sie nicht mit den Ländern zusammen und stimmen Sie nicht in den Chor derer
ein, die Regeln verletzen wollen, sondern kommen Sie
auf das zurück, was beschlossen ist. Richten Sie Ihre
Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik danach
aus, dass Ziele auch erreicht werden können. Die Vorgängerregierung von Ihnen, die Sonderbelastungen zu
schultern hatte, wie Sie sie erst zugegeben haben, als Sie
selbst an die Regierung gekommen sind, hat diese wichtigen Stabilitätskriterien durchgesetzt, auch gegenüber
den anderen Ländern in Europa, die sich damit zunächst
schwer getan haben. Diese Vorgängerregierung hat Ihnen einen Haushalt mit einer Neuverschuldungsquote
von 2,2 Prozent übergeben. Das war genau der Durchschnitt der EU-Länder. Erst seitdem Sie regieren, werden
diese Regeln verletzt. Sie haben das zu verantworten.
Ändern Sie Ihre Politik, damit das Vertrauen in die Währung wieder hergestellt werden kann!
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anja Hajduk vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Ich möchte im Zusammenhang mit meinem Kollegen
Cohn-Bendit kurz klarstellen: Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben im Wahlprogramm zur Europawahl im vergangenen Herbst eindeutig verankert, dass wir am Stabilitäts- und Wachstumspakt festhalten und dass wir ihn
richtig finden. Herr Cohn-Bendit war seinerzeit anwesend.
({0})
Es gibt immer mal wieder unterschiedliche Meinungen. Ich sage das ganz offen, um Ihnen unsere Position
zu verdeutlichen.
({1})
In dieser Frage gibt es aber keine unterschiedlichen Meinungen.
({2})
- Ich bin Ihnen durchaus dankbar, Herr Kampeter, dass
Sie mich so unterstützen.
Zum Thema: Ihr Antrag lautet „Strikte Einhaltung des
geltenden europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes“. Dieser Pakt hat, wie gesagt, seine Gründe - darauf
will ich zum Schluss noch zurückkommen - und ist
wichtig. Wir sind uns in der Zielsetzung, gerade im Hinblick auf ein wachsendes und zusammenwachsendes
Europa, einig. Darin liegt eine Grundbedingung, die
deutlich macht, dass ein solcher Stabilitäts- und Wachstumspakt notwendig ist. Wir sind davon überzeugt, dass
eine Koordination der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken in Europa notwendig wird. Ich glaube, darin
sind wir uns in diesem Hause einig.
Sie plädieren für die strikte Einhaltung des Stabilitätsund Wachstumspakts. Ich will Sie auffordern, sich zu
überlegen: Hilft es eigentlich, die strikte Einhaltung zu
fordern? Ist es nicht - statt polemisch zu streiten - notwendig, ehrlich festzustellen, in welcher Situation wir
uns befinden?
({3})
- Ich meine damit alle. - Bewähren sich die Regeln auch
in konjunkturell schwierigen Zeiten? Das ist eine wichtige Frage.
Seit drei Jahren verzeichnen wir eine stagnative Entwicklung. Das ist eine schwierige wirtschaftspolitische
Ausgangslage, die in den Haushalten ihre Spuren hinterlässt.
({4})
- Nein, es ist anders. Wir haben nicht die Regeln gebrochen. Wir haben vielmehr die Defizitkriterien verfehlt,
und zwar im Jahr 2002 mit 3,5 Prozent und im Jahr 2003
mit 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir werden die
Kriterien auch im Jahr 2004 nicht einhalten. Das leugnet
niemand.
Wir haben zwar die Kriterien verfehlt, aber zum Stabilitäts- und Wachstumspakt gehört auch, die schwierige
Realität in den Blick zu nehmen, dass wir auch die
Wachstumsziele nicht erreicht haben.
({5})
Die Wachstumsziele waren so prognostiziert, dass die
Kriterien in den Jahren 2002 bis 2004 hätten eingehalten
werden können. Dabei war eine Wachstumsprognose
von 2 Prozent unterstellt worden.
Wir müssen uns fragen, wie wir mit dieser schwierigen Lage umzugehen haben. Ich meine, unsere frühere
Zielsetzung war richtig; wir haben sie aber leider nicht
durchgehalten. Wenn ich „wir“ sage, dann sind auch Sie
mit angesprochen. Es wäre eine vernünftige Zielsetzung
gewesen, hinsichtlich der Wachstumszahlen für die
Haushaltsplanung von einer vorsichtigeren Grundlage
auszugehen, auch wenn es wünschenswert ist, wenn das
tatsächliche Wachstum diese letztlich übertrifft.
Die Bundesregierung hatte nach der Wiederwahl vor,
als Grundlage von einer Wachstumsprognose entsprechend dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre
von 1,5 Prozent auszugehen. Das wäre vorsichtiger gewesen, es ist aber im Finanzplanungsrat, in dem die
Unionsfinanzminister die Mehrheit haben, gescheitert.
Ich möchte Sie auffordern, mit dafür zu werben, dass wir
zukünftig vorsichtiger kalkulieren. Damit schaffen wir
eine solidere Grundlage.
({6})
Notwendig ist auch eine Politik, die Beschäftigung
und Wachstum fördert. Wir dürfen nicht nur das Wachstum abstrakt in den Mittelpunkt stellen, sondern müssen
auch die Beschäftigung berücksichtigen. Dazu sind
- das ist wohl unstreitig - Reformvorhaben wie auch die
Umsetzung der Agenda 2010 notwendig.
In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen offen sagen: Wenn wir über die Einhaltung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts in Perspektive reden, dann reicht es
nicht, wenn Sie die pauschale Forderung in Ihren Antrag
aufnehmen, die Ausgaben insbesondere im konsumtiven Bereich müssten gesenkt werden. Sie müssen vielmehr selber Vorschläge machen, und zwar auch dazu
- darauf hat Herr Poß zu Recht hingewiesen -, welche
strukturellen Reformen Sie vorschlagen, um die Ausgaben zum Beispiel in der Alterssicherung zu begrenzen.
({7})
Wir sollten allerdings aufhören, nur immer von strukturellen Reformen zu sprechen. Das ist ein Unwort. Ich
ziehe es vor, von konkreten Reformen zu sprechen.
({8})
Sie werden in einigen Wochen den Beweis antreten
müssen, was Sie mitzutragen bereit sind. Die Zukunft
unserer Gesellschaft verträgt es nicht, dass gegen Einsparungen gerade auch im Bereich der Alterssicherung
polemisiert wird.
({9})
Hier werden Sie in die Pflicht genommen werden. Darauf möchte ich Sie schon jetzt vorbereiten; denn konkret sind Sie in Ihren Vorschlägen noch nicht geworden.
Herr Dautzenberg, gerade Sie sind in Ihrer Rede sehr allgemein geblieben.
({10})
Ich möchte auch noch etwas zu der Entwicklung sagen, die Sie direkt mitverursacht haben. Das betrifft insbesondere die Union, aber auch, glaube ich, die FDP. Sie
haben im Vermittlungsausschuss eine riesige Chance im
Hinblick auf die strukturelle Haushaltsentwicklung
vom Jahr 2005 an vertan. Bei der Anhörung zum Haushaltsbegleitgesetz haben die von Ihnen benannten Experten gebeten, dass wir uns trotz des Streits über die
Steuerreform und insbesondere die Tarifsenkung über
den weitestgehend möglichen Subventionsabbau einig
werden sollten. Da ich nicht immer nur von Eigenheimzulage und Entfernungspauschale reden möchte, sage
ich in Richtung Union: Die von Ihnen vertretene Blockadehaltung hinsichtlich der Subventionen für die Landwirtschaft ist nicht zukunftsweisend.
({11})
Hier müssen Sie umdenken; denn das ist mit Blick auf
eine sinnvolle Perspektive für den Haushalt und auch für
Europa unglaubwürdig.
({12})
- Herr Meister, seien Sie nicht unehrlich!
({13})
Sie halten flammende Plädoyers, wenn Ausnahmetatbestände, von denen bestimmte Lobbygruppen profitieren, gestrichen werden sollen. Das, was Sie gerade aufführen, ist nicht sehr ehrlich. Ich glaube, das wissen
selbst Ihre eigenen Kollegen.
({14})
Ich möchte noch einmal festhalten: Nicht die Anwendung des Regelwerks des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, sondern der Reformstau, den sich dieses Land
geleistet hat,
({15})
ist nach meiner Meinung das Problem. Das betrifft auch
uns. Aber wir unternehmen seit dem letzten Jahr große
Reformanstrengungen. Sie wissen, dass Sie hinsichtlich
des Reformstaus noch viel mehr Jahre auf dem Buckel
haben. Da gerade dazwischengerufen wurde, dass sich
dieses Land noch immer einen Reformstau leiste,
möchte ich auf Ihre Mitverantwortung zu sprechen kommen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss liegt es auch in Ihrer
Verantwortung, dass sich dieses Land in Zukunft keinen
weiteren Reformstau leistet. Wir können zwar in der Sache streiten. Aber faule Kompromisse sollten wir nicht
mehr schließen.
({16})
Die Funktionsfähigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist eine entscheidende Vertrauensgrundlage
für den Prozess der europäischen Einigung. Das Vertrauen in diesen Pakt zu sichern gebietet auch die europäische Solidarität. Ich sage Ihnen ganz selbstbewusst:
Wir werden uns weiter an dem Stabilitäts- und Wachstumspakt orientieren, und zwar auch in schwierigen Zeiten. Es nutzt nichts, nur darüber zu jammern, dass man
Kriterien verfehlt. Man muss vielmehr Lösungen für die
Förderung von Wachstum und Beschäftigung in
Deutschland finden; denn nur dann haben wir die
Chance, die Kriterien einzuhalten. Wir wollen uns dem
dafür notwendigen Reformprozess stellen. An Sie richtet
sich die Frage, ob Sie uns dabei konstruktiv-kritisch begleiten wollen.
Danke schön.
({17})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Georg
Fahrenschon von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten uns im Hinblick auf das, was am 25. November des
vergangenen Jahres geschehen ist, mit dem Warum und
Wieso sehr genau auseinander setzen. Ich bin der festen
Überzeugung, dass der 25. November des vergangenen
Jahres kein guter Tag für Europa, kein guter Tag für das
europäische Recht und erst recht kein guter Tag für die
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion war.
({0})
An diesem Tag wurden mit der Entscheidung der EUFinanzminister, das Defizitverfahren auf Deutschland
nicht anzuwenden, erstens unserer gemeinsamen Währung, dem Euro, die Grundlage entzogen, zweitens der
Stabilitäts- und Wachstumspakt stark beschädigt und
drittens in einer Nacht-und-Nebelaktion europäisches
Recht gebeugt.
({1})
Daran ist besonders schlimm, dass gerade das Land, das
sich in den 90er-Jahren insbesondere für den Stabilitätspakt eingesetzt und ihn durchgesetzt hat, für seine Demontage verantwortlich ist.
Die Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion und die Einführung einer gemeinsamen
europäischen Währung waren Kernelemente des Vertrags von Maastricht, dem der Bundestag am 2. Dezember 1992 mit überwältigender Mehrheit zugestimmt
hat. Wir müssen uns schon mit der Grundlage auseinander setzen. Der Stabilitätspakt war nämlich der Schlüssel
dazu, die alte europapolitische Frage „Was muss zuerst
kommen: eine politische Union oder eine Wirtschaftsund Währungsunion?“ zu beantworten. Im Grunde ist
die politische Union in Europa heute noch nicht verwirklicht. Der Stabilitätspakt war der Schlüssel zur Einführung der gemeinsamen Währung.
({2})
Wer den Stabilitätspakt jetzt zerstört, der macht natürlich
wesentliche Teile der gemeinsamen Währungspolitik
kaputt.
Herr Poß, interessant ist Folgendes: 1997 waren sich
alle Fraktionen dieses Parlaments einig, dass man auf
den Stabilitätspakt setzt, da ohne ihn die politische
Union und die Wirtschaftsunion nicht erreicht werden
können. Deshalb hat man den Stabilitätspakt gemeinsam
beschlossen und in den Mittelpunkt der Europapolitik
gerückt.
({3})
Herr Poß, nur einer war dagegen: der heutige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Schon damals hat er nämlich
gegen die im Stabilitätspakt festgelegten Kriterien argumentiert. Ihm waren sie zu wenig strikt. Er hat sogar davon gesprochen, dass der Euro angesichts der Ausgangslage 1997 eine „kränkelnde Frühgeburt“ ist. In diesem
Sinne hat er sich ausgedrückt. In einem Interview mit
dem „Spiegel“ ging er sogar so weit, zu sagen - ich zitiere -:
Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen, die den
Vertrag von Maastricht noch ernst nehmen. … Ich
will, dass die Stabilitätskriterien, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert und wie es in beiden
Erklärungen von Bundestag und Bundesrat steht,
strikt eingehalten werden.
({4})
- Mir ist schon klar, dass Sie das nicht hören wollen.
({5})
- Nein, Frau Hajduk, ich schaue nicht nach vorne.
({6})
Wir müssen uns mit der Grundlage des Euros auseinander setzen. Sie und Ihr Bundesfinanzminister haben am
25. November des letzten Jahres diese Grundlage in
Schutt und Asche gelegt, also zerstört.
({7})
Wissen Sie, warum? Weil Sie die Grundlage nicht
mehr anerkennen wollen, weil Ihr Bundeskanzler bzw.
der Kanzler Ihres Koalitionspartners jetzt vor den Trümmern seiner Politik steht. Der Hintergrund ist: Wir stünden jetzt am Vorabend von Strafzahlungen, die der Stabilitätspakt eigentlich vorgesehen hat. Ihr Manöver hat
doch nur den Zweck, dass die Strafzahlungen, die die
Bundesrepublik noch vor der nächsten Bundestagswahl
zu leisten hätte, verhindert werden.
({8})
Letztendlich haben Sie die „kränkelnde Frühgeburt“ in
den Brunnen geworfen. Dieser Vorwurf ist an Sie zu
richten.
Der Bundesfinanzminister ist nicht wesentlich besser.
Noch auf dem Bundesparteitag der SPD im November
2001 sagte er:
Wir bleiben auf Kurs. Wenn wir jetzt wackelten,
wenn wir unsere europäischen Verabredungen im
Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht einhielten,
dann halten sie andere auch nicht ein.
Er hat ja Recht: Genau das wird passieren. Aber er hält
sich nicht mehr daran. Aus dem „eisernen Hans“, der
sich vor nicht allzu langer Zeit mit jedem anlegte, der
seine Sparziele unterlaufen wollte, ist mittlerweile jemand geworden, der die EU-Kommission, die Hüterin
der Verträge, attackiert, weil sie von ihm weitere Sparbemühungen verlangt.
({9})
Jeder andere Finanzminister hätte diesen Vorgang dazu
benutzt, die Fachminister weiter unter Druck zu setzen.
Aber nein, Hans Eichel hat kapituliert.
({10})
Hans Eichel argumentiert im Übrigen damit, er könne
der Forderung der Kommission nicht nachkommen, weil
sie von ihm eine unzumutbare, prozyklische Finanzpolitik verlangt. Ich will darauf hinweisen: Der Finanzminister ist hier ein Gefangener seiner eigenen Wachstumspropaganda. Entweder: Wenn seine Wachstumsprognosen
für die kommenden Jahre stimmen, dann ist der Vorwurf,
man verlange von ihm eine prozyklische Finanzpolitik,
nicht richtig. Oder: Wenn die Wachstumsprognosen nicht
stimmen, dann sind die Beruhigungspillen, die er verteilt,
die falsche Medizin für unser Land.
({11})
Ich möchte noch auf einen parlamentarischen Vorgang hinweisen. Ich habe nachgeschaut: Der Finanzminister hat am Vorabend des 25. November im Ausschuss
Rede und Antwort gestanden. Er hat sich auf ein juristisches Gutachten berufen, nämlich auf das juristische
Gutachten des Rates. Übrigens hat uns der Finanzminister das Gutachten nicht am selben Tag, sondern erst drei
Monate später zur Verfügung gestellt.
({12})
Schon im ersten Punkt des Gutachtens, auf das sich der
Finanzminister bezieht, ist zu lesen, dass Veränderungen
an den Auflagen gegenüber Deutschland nur auf Empfehlung der Kommission vorgenommen werden können.
Es ist nicht Recht des Ecofin-Rates, die Auflagen zu ändern. Es ist Recht der Kommission, die Auflagen zu ändern.
({13})
Zumindest insoweit hat uns Hans Eichel die Unwahrheit
erzählt.
({14})
Die ständigen Überschreitungen der Defizitkriterien
sind zudem - das herauszuarbeiten ist mir wichtig - ein
Verrat an der Jugend unseres Landes. Wir brauchen keinen groß angelegten Nachhaltigkeitsbeirat. Wir brauchen Nachhaltigkeit in der Politik.
({15})
Das Statistische Bundesamt meldet in dieser Woche: Die
Schulden der öffentlichen Haushalte sind mittlerweile
auf über 1,3256 Billionen Euro gestiegen. Legt man die
1,3 Billionen Euro Staatsschulden auf die rund 80 Millionen Bundesbürger um, dann steht jeder Deutsche,
vom Baby bis zum Opa, mit mittlerweile 16 570 Euro in
der Kreide.
({16})
- Das ist unser Problem, unser gemeinsames Problem.
Wenn Sie die Sperre, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt dagegen aufbaut, zerstören, dann ist das unverantwortlich.
({17})
Es sind unsere Schulden. Es sind vor allem die Schulden
der nachfolgenden Generation, unserer Kinder und Enkelkinder. Herr Eichel predigt Nachhaltigkeit, der grüne
Koalitionspartner einen sanften Umgang mit der Schöpfung und der Umwelt, aber wenn es um finanzielle und
soziale Ressourcen in unserem Land geht, dann lassen
sie einfach alle Fünfe gerade sein und tun nichts.
({18})
Ein Highlight ist es, wenn sich Hans Eichel auf
Immanuel Kant bezieht.
({19})
In seiner Rede am 25. Februar 2004 hat Hans Eichel erklärt, bei Licht betrachtet sei alles so schwierig, und Immanuel Kant wie folgt zitiert:
Der Mensch ist aus so krummem Holz gemacht,
dass sich daraus nichts Gutes zimmern lässt.
Immanuel Kant hat sein Leben nach strengen Regeln
organisiert. Er ist jeden Morgen zur gleichen Zeit aufgestanden. Nach Frühstück, Arbeit, Mittagessen, Nachmittagsspaziergang ging es früh zu Bett. Nach Kants strikt
geregeltem Tagesablauf konnte man die Uhr stellen.
Deshalb ist es unverfroren, wenn Hans Eichel mit Kant
argumentiert.
({20})
Eigentlich hätte er ein anderes Zitat heraussuchen
müssen, nämlich eines gegen die schwammige und willkürliche Auslegung des Stabilitätspaktes:
Das Recht muss nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepasst werden.
Herzlichen Dank.
({21})
Das Wort hat jetzt der Kollege Axel Schäfer von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Man
sollte Kant und auch Hans Eichel schon richtig zitieren.
({0})
Kant hat gesagt: Handele so, dass die Maxime deines
Willens stets die Grundlage für die allgemeine Gesetzgebung sein kann. - Darüber sind wir uns doch sicherlich
einig. Hans Eichel hat in jener Rede damals ausgeführt:
Wenn man Regeln konzipiert, muss man sich den Spielraum lassen, damit sie angemessen angesichts der jeweiligen spezifischen Herausforderung gehandhabt werden
können. Nur dann nützen sie den Menschen. - Genau so
ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Was die Unionsfraktion zur strikten Einhaltung des
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und zur
strikten Anwendung seiner Vorschriften hier ständig darlegt, heißt in der Praxis ihrer Politik normalerweise:
striktes Anhalten und strenges Einwenden gegen alle Reformvorschläge. - Das ist Ihre Position und deshalb ist
das genau an dieser Stelle unglaubwürdig.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben doch bei
den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss deutlich
machen können, dass es notwendig ist, den Stabilitätspakt auf allen Seiten einzuhalten. Das Einhalten bedeutet, dass sowohl der Bundes- wie auf die Länderhaushalte ausgeglichen sind. Dafür trägt man gemeinsam die
Verantwortung. Dieser gemeinsamen Verantwortung
können Sie sich deshalb auch nicht entziehen.
({3})
Axel Schäfer ({4})
Das Zweite ist: Die Aufforderung der EU-Kommission an Deutschland, in diesem Jahr über die bereits beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen hinaus weitere Milliarden Euro einzusparen, ist von der Mehrheit
der EU-Finanzminister inklusive Hans Eichel zu Recht
zurückgewiesen worden, denn wir wollen die konjunkturelle Erholung in Deutschland nicht gefährden. Kein
Staat in Europa kann Interesse daran haben, dass der
Aufschwung in Deutschland gefährdet wird.
({5})
Das scheint allerdings Ihr Interesse zu sein, denn mein
Vorredner hat ja gemeint, dass es notwendig wäre, Strafzahlungen zu leisten. Sie müssten dann auch öffentlich
erklären, was Strafzahlungen in der Praxis bedeuten: Sie
ziehen enorme Kürzungen im sozialen Bereich nach
sich. So etwas kann man nicht einfach folgenlos propagieren, sondern dafür müssen Sie dann die Verantwortung tragen.
({6})
- Ich bin Ihnen sehr dankbar für den Zwischenruf
„Rechtsbrecher“. Ich habe Jean-Claude Juncker als Finanzminister und Ministerpräsidenten von Luxemburg
fünf Jahre lang als Partner im Europäischen Parlament
erlebt. Er hat zum Thema Stabilitätskriterium und Einhaltung des Stabilitätspaktes alles Notwendige gesagt;
Joachim Poß hat zu Recht darauf hingewiesen. Reden
Sie doch einmal wie ich mit Jean-Claude Juncker. Er
könnte Ihnen erklären, wie 1992 die Funktionsweise des
Stabilitätspaktes konzipiert war. Reden Sie bitte nicht
von europäischen Dingen - es tut mir Leid, das sagen zu
müssen -, von denen Sie leider keine Ahnung haben.
({7})
Das Entscheidende ist: Deutschland hat jede Auflage
aus Brüssel, was die Umsetzung des Stabilitätspaktes betrifft, erfüllt. Der Ecofin-Rat bewegt sich mit der Zurückweisung der Kommissionsposition ganz eindeutig
auf dem Boden des Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes.
({8})
Deshalb wird die angestrebte Klage gegen den Rat vor
Gericht ganz sicher scheitern. Darüber werden wir hier
dann auch gerne diskutieren.
({9})
Sinn und Zweck des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes ist bekanntlich, die Mitgliedstaaten zu
einer soliden und nachhaltigen Haushaltspolitik anzuhalten, so mithilfe der Haushalts- und Finanzpolitik das
Vertrauen in die neue europäische Währung, den
Euro, zu stärken und die Geldwertstabilität in der Eurozone zu sichern. Alle diese Ziele, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wurden erreicht. Die öffentlichen Haushalte in Euroland weisen selbst nach mehrjähriger wirtschaftlicher Stagnation bei weitem nicht mehr die hohen
Verschuldungsraten früherer Jahre auf. Niemand wird
zudem bestreiten, dass sich der Euro an den internationalen Finanz- und Devisenmärkten durchgesetzt hat und
Europa und insbesondere Deutschland in Wirklichkeit
weit davon entfernt sind, Inflation und galoppierende
Preise zu produzieren. Zu Stabilität gehört eine vorausschauende Finanzpolitik und zu Wachstum gehört Innovation.
Stichwort Stabilität: Die Position, die, von Schweden
ausgehend, die Niederlande, Österreich, Großbritannien,
Frankreich und Deutschland ergriffen haben, den EUHaushalt bei 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens
bis 2013 zu fixieren, ist ein wichtiger Beitrag im Entscheidungsprozess der EU. Wir werden spätestens in
zwei Jahren für die Zeit von 2007 bis 2013 einen soliden, realistischen und anspruchsvollen Rahmen festlegen.
({10})
Genau das hat diese Bundesregierung ja 1999, als sie die
Ratspräsidentschaft inne hatte, bewiesen:
({11})
Diese Bundesregierung unter Gerhard Schröder und
Joschka Fischer hat es trotz der schwierigsten Konstellation der europäischen Politik seit Jahrzehnten - Rücktritt
der Kommission, kriegerische Auseinandersetzungen
und fehlende finanzielle Vorausschau - geschafft, einen
soliden Finanzrahmen für die Jahre 2000 bis 2006 im
Rahmen der Vorschau zu zimmern.
Meine Damen und Herren, Sie können doch gar nicht
abstreiten: Wir haben erst seit dieser Zeit die Situation,
dass sich die finanziellen Verpflichtungen Deutschlands
gegenüber der EU mit seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten decken. Bei Ihnen war es doch genau umgekehrt.
Darüber hinaus wurde im Rahmen der Nettozahlung
draufgepackt. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen
und uns.
({12})
Zum Thema Wachstum. Vor genau einem Jahr haben
der britische Premierminister Tony Blair, der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der deutsche
Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung einer international wettbewerbsfähigen Industrie vorgeschlagen. Diese wurden
vom EU-Gipfel im Frühjahr 2003 bekanntlich alle übernommen. Jetzt haben dieselben Staats- und Regierungschefs wieder eine gemeinsame Position in Bezug auf Innovationen, Beschäftigung und die Modernisierung des
europäischen Sozialmodells eingenommen. Auch diesmal ist es gelungen, von unterschiedlichen britischen,
französischen und deutschen Positionen ausgehend, zu
Axel Schäfer ({13})
gemeinsamen Vorschlägen zu kommen, die in allen
25 Mitgliedstaaten zustimmungsfähig sein können.
Denn genau das ist die Kunst europäischer Politik: Es
kommt darauf an, dass Länder, die sich a priori einig
sind, nicht versuchen, sich in Europa durchzusetzen,
sondern dass sich EU-Staaten - das ist die Position dieser Bundesregierung ({14})
mit unterschiedlichen Haltungen auf dem Weg von
Kompromissen über bestimmte Vorschläge verständigen, dass sie also ein Stück vorangehen und Impulse für
Europa setzen, auf die die große Mehrheit der Länder reagieren kann.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt für uns nicht zur Disposition steht. Er ist aber in der öffentlichen Diskussion. In
diesem Zusammenhang möchte ich einen Finanzexperten zitieren, dessen Position ich mir übrigens nicht zu Eigen mache:
Vieles spricht dafür, dass der Versuch sogar kontraproduktiv war, Jahr für Jahr kommagenaue Defizitziele zu setzen, die ohnehin nicht erreichbar sind,
weil ein Staatshaushalt eben doch keine PlaymobilLandschaft ist und stark von Konjunkturausschlägen, internationalen Schocks oder ungewollten
Steuerausfällen beeinflusst wird.
Dieser Artikel stammt nicht aus dem SPD-Mitgliedermagazin „Vorwärts“, sondern aus der „Financial Times
Deutschland“, jener Zeitung, die bekanntlich erfolglos
zur Wahl von Edmund Stoiber als Bundeskanzler aufgerufen hat.
({15})
Jener Edmund Stoiber hat bekanntlich durch seine dogmatische Formulierung „3,0 ist 3,0 ist 3,0“ das Klima in
Deutschland beeinflusst - als ob Stabilität an einer NullKomma-Stelle hinge und nicht am Vertrauen in die Politik, die gemacht wird.
Weil Sie Hans Eichel erwähnt haben, will ich ein weiteres Zitat wiedergeben; denn der Kollege hat nicht vorgetragen, was Hans Eichel in seiner Rede am
25. Februar gesagt hat:
Allerdings müssen wir darauf achten, dass wir mit
einer inflexiblen und engen Auslegung des Paktes
nicht ökonomisch verantwortungsvolles Handeln
verhindern. Grundsätzlich gilt: Regeln einhalten
schafft Vertrauen. Aber Regeln um der Regeln willen einhalten, auch wenn es allen Beteiligten zum
Nachteil gereicht, bewirkt das genaue Gegenteil.
Letztlich schädigt man so die Regeln selber.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem Punkt
sind wir bei einer Problematik der CDU/CSU-Position.
Mein Vorredner hat darauf hingewiesen, dass Sie nicht
nach vorne schauen. Ich verstehe das vollkommen. Das
Vertrauen und die Stabilität in Europa hängen entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, im Rahmen einer
europäischen Verfassung zu gemeinsamen Grundwerteentscheidungen zu kommen.
({16})
Wir haben in Deutschland die Situation, dass die CDU/
CSU in dieser für Stabilität und Wachstum in Europa
zentralen Frage nicht in der Lage ist, sich zu positionieren. Sie wissen nicht, ob Sie der Verfassung zustimmen
sollen, ob Sie draufsatteln sollen oder das, was Sie selbst
im Europäischen Parlament mit ausgehandelt haben, hier
weiter vertreten sollen. Sie wissen nicht, ob Sie eine
bayerische Lösung à la Grundgesetz wollen, indem Sie
erst gegen die europäische Verfassung sind und sie dann
doch irgendwie mittragen.
({17})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Denn Europa basiert darauf, dass wir gemeinsam vorankommen und niemand
blockiert. Wir kommen mit unserer Politik dieser Bundesregierung in Europa gemeinsam voran. Das haben
wir seit 1998 gezeigt und das werden wir auch in diesem
Jahr mit dem Erfolg der europäischen Verfassung wieder
beweisen. Das ist gut für unser Land, gut für Stabilität
und Wachstum und gut für die zukünftige europäische
Politik.
Vielen Dank.
({18})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Patricia Lips von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Man ist
beim vorliegenden Punkt zunächst versucht - wahrscheinlich Koalition wie Opposition -, Reden der Vergangenheit herauszuholen. Dies ist um so schlimmer, als
sich damit zeigt, dass sich an der eigentlichen Dramatik
nur wenig geändert hat. Doch es gibt auch hinreichend
neue Aspekte. Das Thema ist ein Dauerbrenner und hat
aktuell mit der Klage der Kommission einen neuen Höhepunkt erreicht.
Im vergangenen Jahr war davon auszugehen, dass das
gesamte Haus - nach einigen öffentlichen Irritationen
aus den Reihen der Bundesregierung - übereingekommen war, sich nicht weiter an einer Diskussion zur Aufweichung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu beteiligen.
Kollege Pinkwart hat nur ein treffendes Beispiel
genannt, nämlich ein Zitat eines Spitzenpolitikers der
Grünen. Dieser macht deutlich, dass die Diskussion um
die Aufweichung der Kriterien aber nicht zu Ende ist.
Herr Schäfer, gestatten Sie mir diese Bemerkung.
Auch Sie haben mit Ihren Zitaten hervorragende Beispiele dafür geliefert, auf welchem Weg Sie sind und
dass Sie eine Legitimation dafür suchen, diesen Prozess
weiter verfolgen zu können.
({0})
Herr Poß, das ist auch eine Antwort darauf, dass Sie
uns Scheinheiligkeit in der Debatte vorwerfen. Den Ball
spielen wir gerne an Sie zurück.
({1})
Ihre monotonen Glaubensbekenntnisse zum Stabilitätsund Wachstumspakt drohen erneut zu Lippenbekenntnissen zu verkommen. Sie schaden einmal mehr der Glaubwürdigkeit dieses Landes und seiner Vertreter in den europäischen Gremien.
({2})
Lassen Sie mich noch Folgendes anführen: Es zeigt
sich zudem eine sehr brisante Gesinnung, wenn Regeln
nicht mehr in erster Linie zum Einhalten da sind, sondern zum Anpassen an die jeweiligen Gegebenheiten.
Dies gilt im Übrigen für alle Lebensbereiche.
({3})
Das spiegelt Ihre aktuelle Politik wider, die die Menschen verunsichert und das Misstrauen fördert.
({4})
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Der CDU/CSU
werden gerne von Ihrer Seite Vorwürfe im Hinblick auf
Stammtischgespräche gemacht, wenn es um Themen wie
Zuwanderung oder auch um die aktuelle Diskussion über
den Beitritt der Türkei zur EU geht. Sie werfen uns vor,
wir würden unnötig Emotionen schüren, während hingegen die Regierungskoalition gerne als Repräsentant einer
weltoffenen, toleranten Gesellschaft gesehen werden
möchte.
Ich erinnere mich sehr gut an eine Parlamentsdebatte
Ende vergangenen Jahres, in der der Finanzminister
in - zugegebenermaßen - sehr aufgebrachter Stimmung
sinngemäß darauf hinwies, dass die Finanzpolitik allein
in Deutschland gemacht werde und nirgendwo anders.
Ich erinnere an das Zitat des Kanzlers im Hinblick auf
den deutschen Weg. Das sind nur zwei Beispiele, die in
dieser Diskussion sehr nachdenklich stimmen.
Der blaue Brief an Deutschland - wir erinnern uns war nach Ansicht des Finanzministers schon damals
falsch. Auch die Interpretation der Kommission im Defizitverfahren und die Klage gegen die Entscheidung des
Rates waren nach seiner Auffassung falsch. Sehr subtil
wird in der Öffentlichkeit immer wieder gestreut, allein
die anderen seien die Bösen und wir seien die Guten.
Versuchen Sie nicht immer wieder, Ursache und Wirkung zu verwechseln!
({5})
An dem Defizit in Deutschland ist in Ihren Augen natürlich nicht der Bund, sondern sind die Länder schuld.
({6})
Aber das sei nur am Rande bemerkt.
Wir alle machen zurzeit in den Wahlkreisen die Erfahrung, dass es nicht immer einfach ist, im Vorfeld der
Europawahlen Menschen zu begeistern, am 13. Juni
zur Wahl zu gehen. Auf einer Veranstaltung in der vergangenen Woche wurde ich gefragt, weshalb man zur
Wahl gehen solle, die seien doch alle untereinander zerstritten und uneins. Ich bat den Fragenden, darüber nachzudenken, seit wann das so ist. Er konnte die Jahre an einer Hand abzählen. Ich bin fest davon überzeugt, dass er
zur Wahl gehen wird.
Auf der einen Seite eine multikulturelle Vielfalt zu
beschwören und auf der anderen Seite Deutschland wie
auch Ihre Politik mit einem subtilen und verdeckten Nationalismus in die Ecke des angeblich unschuldigen Opfers zu drängen, das passt nicht zusammen. Sie zerstören
bei den europäischen Partnern Vertrauen in die Zuverlässigkeit und vor allen Dingen auch in die Kraft unseres
Landes. Sie riskieren, dass die eigenen Bürgerinnen und
Bürger das Vertrauen in die Vorteile, die Europa diesem
Land gebracht hat und noch bringen soll, verlieren. Es
bleibt die Frage: Was ist eigentlich Ihre Vision und was
sind Ihre mittel- und langfristigen Ziele für ein geeintes
Europa?
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Ende
vergangenen Monats äußerte der Bundeskanzler in einem Interview ganz unverhohlen den Wunsch, die Europäische Zentralbank - ein zumindest bisher politisch
völlig unabhängiges Gremium - möge sich mit dem
Thema Zinssenkungen intensivst befassen.
({7})
Dies ist ein unerhörter Vorgang,
({8})
jedoch, soweit ich weiß, nicht neu in den Reihen der Sozialdemokratie. Es wäre ideologisch ja auch zu schön,
wenn man alles kontrollieren und auf alles Einfluss nehmen könnte.
Die bisher vorgesehene Stellung der EZB im europäischen Verfassungsentwurf als irgendein weiterer Bestandteil der politischen Organe der EU bereitet in
weiten Teilen - nicht nur in der CDU/CSU - Kopfzerbrechen. Der Nebensatz, dass ihre Unabhängigkeit
dennoch gewährleistet werden soll, tröstet wenig. Den
besten Beweis für Zweifel haben Sie mit diesem Interview geliefert.
({9})
Es drängt sich der Eindruck auf: Am Anfang stehen
Schulden. Es folgt eine Diskussion über die Regeln und
Sinnhaftigkeit des Stabilitätspaktes und am Ende steht
die Aufforderung an den Währungshüter, die Zinsen zu
senken, was bei allem Verständnis für den Außenhandel
vor allem mit einer niedrigeren Schuldenlast für den eigenen Haushalt einhergeht.
({10})
Nur wird das nicht so laut gesagt. Ich will dabei gar nicht
unterstellen, dass dieser Ablauf so geplant war.
({11})
Das setzt ja Intelligenz voraus. Aber in der Abfolge ergibt sich durchaus eine innere Konsequenz.
({12})
Ich komme zum Schluss.
({13})
Lassen Sie mich angesichts Ihrer Politik, so wie sie sich
für dieses Jahr abzeichnet, quasi symbolhaft zwei Dinge
nennen, die den Stabilitätspakt einmal mehr einem Risiko aussetzen. Sie können schon heute für den Fall, dass
die Diskussion um die Erbschaft- und Vermögensteuer in
Ihren Reihen erst richtig an Fahrt gewinnt, die Einnahmen aus der Rückführung von Fluchtkapital aus dem
Ausland aus dem Haushalt streichen.
({14})
Sie können in Ihre bisherigen zumeist sehr teuren und
zumeist eher wirkungslosen Arbeitsmarktprogramme,
die viele tolle Namen haben, das Kapitel Ausbildungsplatzabgabe schon heute einbinden. Sie sind auf dem
besten Weg, durchaus sinnvolle Maßnahmen des vergangenen Jahres rein ideologisch begründet völlig zu konterkarieren.
Letzter Satz.
Frau Kollegin, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.
Die „FAZ“ titelte am 17. Februar dieses Jahres:
„Sechs europäische Staaten mahnen Vertragstreue an/
Deutschland wird geprüft“. Das ist die beschämende
Politik, die Sie in diesem Land machen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 15/1682
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Strikte Einhaltung des geltenden europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 15/541 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der
FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik
- Drucksache 15/2553 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({2})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht
2003 der Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Peter H. Carstensen ({3}), Albert
Deß, Gerda Hasselfeldt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht
2003 der Bundesregierung
- Drucksachen 15/405, 15/1325, 15/2092 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Wolff ({4})
Peter H. Carstensen ({5})
Ulrike Höfken
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort die Bundesministerin Renate Künast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können heute mit Fug und Recht sagen: Die Landwirtschaft
hat sich auf den Weg gemacht.
({0})
Sie ist eine flexible, innovative und zukunftsfähige
Branche. Alle reden von Innovation, in der Landwirtschaft ist sie Realität.
Ich will an dieser Stelle allen in diesem Haus klar sagen: Es wird Zeit, mit dem alten Schubladendenken aufzuräumen. Mit dem heutigen Gesetzentwurf erfährt die
Landwirtschaft eine grundlegende Neuausrichtung. Wir
stärken die unternehmerischen Entscheidungsspielräume
der Bäuerinnen und Bauern, die Landwirtschaft bekommt endlich mehr Freiräume für eine marktgerechte
Produktion, statt sich von festgesetzten und festgelegten
Subventionen ständig knebeln zu lassen.
Aus dem Grundkurs Marktwirtschaft ist uns allen bekannt: Überschüsse drücken die Preise. Genau das ist
jahrelang in der Landwirtschaft passiert. Dort wurde einseitig die Produktion gefördert. Infolgedessen sind bei
Getreide, Milch und Rindfleisch Überschüsse zum Schaden der Landwirtschaft entstanden. Deshalb ist es richtig, das Fördersystem jetzt umzustrukturieren.
Mit dem heutigen Gesetzentwurf schaffen wir ein
System, das die Leistungen der Landwirtschaft und nicht
die Produktion von Überschüssen honoriert.
({1})
- Sprachlosigkeit vor Freude! Da die CDU/CSU und der
Bauernverband an dieser Stelle gar keine Position haben
und einige Bundesländer so, andere so denken, hätte die
Hälfte von Ihnen problemlos klatschen können. Das
wäre sicher einmal fraktionsübergreifend möglich gewesen.
({2})
Klar ist: Wir entkoppeln die Direktzahlungen von der
Produktion, das heißt, unser System wird zukunftsfähig
und damit haben wir vor der WTO Bestand. Deshalb
gilt: Wir müssen aus den alten Schubladen heraus, in die
die heutige Landwirtschaft nicht mehr passt. Das ist
mein besonderer Hinweis an die Haushaltspolitikerinnen
und Haushaltspolitiker.
Der Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, ist ein
Meilenstein für die deutsche Landwirtschaft.
({3})
Jetzt kommt es darauf an, diesen Meilenstein mit anderen Maßnahmen zu vernetzen: für eine starke Landwirtschaft mit gesichertem Einkommen und für zukunftsfähige ländliche Räume.
Machen wir uns nichts vor: Ein gutes Management
der natürlichen Ressourcen - damit geht die Landwirtschaft um - ist wesentliche Grundlage für uns alle. Wir
alle reden davon, die Zukunft der Kinder zu gestalten
und zu erhalten. Genau deshalb ist es richtig, hier ein
neues Modell umzusetzen.
({4})
Viele machen sich darüber Gedanken, woher das Gute
kommt. Ich meine, wir können mittlerweile sagen: Alles
Gute kommt vom Lande.
({5})
- Was heißt das: „Nicht von Ihnen“? Gehen Sie mal zu
ein paar Bauernversammlungen.
({6})
- Reden Sie mit den jungen Bauern, dann werden Sie
kritische Worte hören.
({7})
- Ja, natürlich. Ich sage es Ihnen ganz klar: Sie werden
Kritik hören, weil Sie die Politik der Vergangenheit vertreten.
({8})
- Ach, was. Ziehen wir als Beispiel den Bauerntag vom
letzten Sommer heran. Da haben Sie vielleicht gemerkt,
dass mehr als die Hälfte der Anwesenden klatschte. Fragen Sie die Deutsche Landjugend, die das Konzept, das
wir vertreten, will. Fragen Sie diejenigen, die Grünland
haben.
({9})
Die werden Ihnen sagen: Der Bauernverband und auch
die Opposition hier haben immer behauptet, sie könnten
gegen Reformen stehen, das war zu unserem Schaden.
({10})
Es war zum Schaden der Landwirte, weil sie damit verpasst haben, sich frühzeitig auf das Neue einzustellen
({11})
und der Bevölkerung klar zu machen, was sie Gutes tun.
Ich gehe davon aus, dass sich die Jungbauern dafür
nicht einbinden lassen. Dafür sprechen hinreichende Beweise und Tatsachen. Das lassen sie nicht mehr mit sich
machen, weil sie gute Arbeit leisten, weil sie Teil der Innovation in unserer Gesellschaft sind. Sie haben sich
längst mit Umweltverbänden und anderen verbunden
und entwickeln sich an dieser Stelle positiv.
({12})
Wir wissen, dass die Landwirtschaft auch Teil des
Motors der Innovationen ist, sei es im Tourismus, bei der
Regionalvermarktung, in der Zusammenarbeit mit Naturschützern oder bei der Erzeugung von Energie durch
hochmoderne Biogas- und Windkraftanlagen sowie mittels Solarstrom. Als wir die neuen Themen umgesetzt
haben, haben Sie noch geschlafen, die Hände über dem
Bauch gefaltet und den Landwirten erzählt, es werde
sich nichts ändern; aber die Jungen bauen längst die Biomasseanlagen.
({13})
Ich sehe mit Freude, dass auch Herr Miller mittlerweile Presseerklärungen schreibt, in denen er erklärt:
Das wollten wir schon immer. - Aber es reicht nicht,
Herr Miller, das nachher zu sagen, man muss es auch
tun.
Hinsichtlich der Schaffung von Steuerbefreiungen
für Biokraftstoffe
({14})
glauben Sie heute, das wollten Sie schon immer. Wir
aber haben es gemacht und öffnen den Weg für Innovationen.
({15})
Wir werden das systematisch auch bei nachwachsenden Rohstoffen und anderen Produkten tun. Das bietet
besonders den neuen Bundesländern große Möglichkeiten. Deshalb brauchen wir eine einheitliche Flächenprämie auf regionaler Ebene. Ich bin sicher, das Betriebsmodell würde alte Besitzstände zementieren.
({16})
Es wäre aber dieser Gesellschaft nicht erklärbar, warum
jemand fürs Nichtstun Zehntausende Euro bekommt.
Das können Sie heutzutage niemandem erklären.
Ich bin auch froh, dass die Agrarminister der Bundesländer diesem Modell im November mit großer Mehrheit
zugestimmt haben
({17})
und dann auch im Bundesrat zustimmen werden.
({18})
Wir sprechen uns damit klar für ein Flächenmodell
aus. Es wird mindestens acht europäische Länder geben,
die ein solches Modell mit kleinen Veränderungen und
anderen Ausprägungen - regional bedingt - auch umsetzen.
({19})
Ich sage eines ganz klar: Für mich sind die Ungleichgewichte in der bisherigen Förderung nicht mehr hinnehmbar. Keiner kann erklären, warum es für Ackerfutter viel weniger Geld gibt als zum Beispiel für Silomais.
Da wir alle Gerechtigkeit auch bei den Subventionen
wollen, ist es richtig, die Förderung anzugleichen.
({20})
Wir wollen die Förderung von Grünlandstandorten und
auch von extensiv bewirtschafteten Standorten verbessern.
Wir wissen - ich habe es im letzten November gesagt
und sage es immer wieder; die Milchviehhalter wissen
das auch -: Der Gesetzentwurf beinhaltet in seiner jetzigen Fassung noch nicht die Lösung für die Milchbauern.
({21})
Ich habe immer gesagt: Wir fangen an, denn wir müssen
vor dem 1. August fertig werden.
({22})
- Doch. Wir müssen vor dem 1. August klar sagen, was
wir wollen.
({23})
- Ich kenne Sie, Herr Carstensen, und Ihre Leute. Wenn
wir bis zum 1. August nicht klar sagen, was wir tun,
wird sich das noch mindestens ein Jahr hinziehen und
die Landwirte wissen dann immer noch nicht, was Sache
ist.
({24})
Drücken Sie sich nicht. Wir werden uns bis zum
1. August nicht nur zur Hälfte, sondern ganz entscheiden.
({25})
Die jungen Landwirte wollen wissen, wo sie investieren
können. Drücken Sie sich also nicht. Bei Ihnen geht es
immer um Tarnen und Täuschen. In Wahrheit leiden Sie
darunter, dass wir heute das umsetzen, was Sie in den
letzten Jahren immer bekämpft haben und wovon Sie vor
drei Jahren gesagt haben: Das schafft ihr nie. - Das ist
der pure Neid.
({26})
Ich sage Ihnen: Schaffen Sie Planungssicherheit für die
Landwirte! Schaffen Sie eine verlässliche Perspektive,
die von der Gesellschaft, den Steuerzahlern, akzeptiert
und anerkannt wird!
({27})
Bewegen Sie sich endlich einen Schritt weiter! Schaffen
Sie innerhalb der CDU/CSU endlich eine einheitliche
Position und stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu!
({28})
Das Wort hat jetzt der Staatsminister für Landwirtschaft und Forsten des Freistaates Bayern, Josef Miller.
({0})
Josef Miller, Staatsminister ({1}):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem von der Bundesregierung beschlossenen
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik werden die Weichen in der deutschen Agrarpolitik falsch gestellt. Er hätte ein Meilenstein werden können, er wird von Ihnen aber zum
Stolperstein gemacht.
({2})
Ich habe selten so viel Ignoranz und Arroganz gepaart
vorgetragen bekommen wie jetzt: Sie unterstellen den
Landwirten Reformunfähigkeit, machen aber selber
schlechte Reformen. Ihre Reformen müssen in immer
kürzeren Abständen korrigiert werden. Ich garantiere Ihnen: Das, was Sie heute vorlegen, wird ganz schnell wieder korrigiert werden müssen. Die Verfallszeiten Ihrer
Gesetze werden immer kürzer.
({3})
Es gehören schon Ignoranz und Arroganz dazu, hier
zu sagen, Biomasse sei für uns ein völliges Fremdwort.
Wir haben in Bayern schon Biomasse gefördert, als die
rot-grünen Länder noch gar nicht gewusst haben, wie
man so etwas macht. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Der Anteil der Biomasse aus nachwachsenden Rohstoffen an der Primärenergie beträgt in
Bayern 3,8 Prozent und im Bundesdurchschnitt 1,9 Prozent. Nun sprechen Sie von einer Steuerbefreiung, das
sei etwas ganz Neues. Ich bin entsetzt, wie uninformiert
Sie sind. Denn damals war es Theo Waigel, der in
Deutschland die Erhebung der Mineralölsteuer auf biogene Treibstoffe gestrichen hat. Neu sind lediglich die
Regelungen im Bereich der Beimischungen.
({4})
- Das Problem ist, dass sie nicht zuhören und auch nicht
lernen will. Das ist das Problem, das sie bei ihrer beruflichen Tätigkeit hat. Das sieht man ja sehr deutlich.
({5})
Ferner wollen Sie Silomais und Ackerfutter gleich
behandeln. Vorher war Ackerfutter im Rahmen der Ausgleichszulage förderfähig. Diese Regelung haben Sie abgeschafft. Jetzt wird es allerdings wieder gefördert. Sie
kommen nur über Korrekturen zu Ergebnissen; das ist
die Wahrheit. Im Rahmen der Ausgleichszulage ist die
Förderung von Ackerland halb so hoch wie die von
Grünland. Bayern und Baden-Württemberg haben diese
Regelung zum Ackerfutter durch einen gemeinsamen
Antrag korrigieren können. Das hat zwar lange gedauert
- der Minister von der SPD hat sich nicht angeschlossen -, aber letztendlich wurde dieses Vorhaben
umgesetzt.
({6})
- Bei der Ausgleichszulage handelt es sich um ein Programm, das in rot-grün regierten Ländern nicht existiert,
da sie niemals Beiträge zu seiner Finanzierung geleistet
haben. Denn dafür muss man 50 Prozent der Landesmittel selbst erbringen. Das ist der Grund, warum es dort
nur wenig bekannt ist.
({7})
Die EU-Kommission und ganz besonders Kommissar
Fischler haben die GAP-Reform darauf angelegt, betriebsbezogene Zahlungen zu gewähren, damit die
Betriebe erstens die im Grunde unkalkulierbaren Auswirkungen der Liberalisierung der Marktordnungen,
zweitens die Auswirkungen der EU-Erweiterung und
drittens die noch zu erwartenden Probleme durch die
WTO meistern können.
Die jetzt von der Bundesregierung vorgesehene Nivellierung betriebsindividueller Direktzahlungen mit
dem Ziel regional einheitlicher Prämien bewirkt jedoch
das genaue Gegenteil. Ich werde an sieben Punkten deutlich machen, welche Gefahren durch die von der
Bundesregierung geplante nationale Umsetzung für die
deutsche Landwirtschaft, die Kulturlandschaft, die Ernährungswirtschaft und die ländlichen Räume insgesamt
drohen.
Erstens. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Landwirtschaft innerhalb der EU wird entscheidend geschwächt. Wer die Entwicklungen gerade der letzten
Wochen objektiv beurteilt, stellt fest: Wichtige Agrarproduzenten, unsere Nachbarn im Süden und im Westen
wie Frankreich, die Niederlande und Österreich, haben
verstanden, dass das Regionalmodell in die Sackgasse
führt. Daher werden sie das Betriebsmodell einführen.
Während Deutschland, wiederum durch einen Alleingang, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Land- und Ernährungswirtschaft schwächt, wählen andere Staaten aus
den EU-Vorgaben die Option aus, die die größten Vorteile für sie bringt.
Staatsminister Josef Miller ({8})
({9})
- Wer regiert denn in Frankreich?
Dort nutzt man die Chance, Marktanteile zu halten
oder auszubauen. Dort beobachten die Landwirte erwartungsfroh, wie die Bundesregierung die heimische
Agrarproduktion und damit auch die Ernährungswirtschaft massiv schwächt,
({10})
um - gestützt auf eine ungekürzte Betriebsprämie - die
Lücken zu füllen. Ist das die von der Bundesregierung
gewünscht Agrarwende, wenn Tausende Arbeitsplätze in
der Landwirtschaft und den vor- und nachgelagerten Bereichen verloren gehen
({11})
und die Wirtschaftskraft des ländlichen Raumes massiv
geschwächt wird?
Sie tun so, als hätten wir Arbeitsplätze zuhauf und als
käme es überhaupt nicht darauf an, dass auch die meist
krisensicheren Arbeitsplätze in der Ernährungswirtschaft
gehalten werden können. Diese setzen Sie bewusst aufs
Spiel.
({12})
Nur dank der Korrekturen, die von den unionsregierten
Ländern vorgenommen wurden - beispielsweise das Betriebsmodell bei Milch bis zum Jahre 2010 einzuführen -, werden diese Arbeitsplätze zumindest noch für die
nächste Zeit gesichert werden können.
Zweitens. Die Existenz leistungsfähiger Betriebe
steht auf dem Spiel. Das eigentliche sozioökonomische
Drama wird sich bei den leistungsbereiten und leistungsfähigen Familienbetrieben im Bereich der Rinder- und
Milchviehhaltung abspielen. Sie werden durch die vorgesehene Umverteilung zwischen den Betrieben und die
Nivellierung hin zu einer einheitlichen Flächenprämie
massive Einkommensverluste erleiden und geradezu aus
der Produktion gedrängt werden. Nicht umsonst hat EUKommissar Fischler in seinem Brief vom 29. Januar dieses Jahres die Agrarminister ausdrücklich davor gewarnt, das Flächenmodell als Instrument zur Umverteilung von Einkommen zu missbrauchen. Er fürchtet zu
Recht - das steht in dem Brief; Sie können das nachlesen - schädliche Auswirkungen auf die Bodenmärkte
und auf die Produktionsentscheidungen der Betriebe und
somit Marktverwerfungen. Sie sollten diese Warnungen
des Kommissars ernst nehmen, Frau Bundesministerin,
und nicht einfach darüber hinweggehen.
({13})
Drittens. Die Gesellschaft wird dieses Modell nicht
auf Dauer akzeptieren. Die geplante einheitliche Flächenprämie bedeutet einen geradezu unwiderstehlichen
Anreiz insbesondere für Großbetriebe, die landwirtschaftliche Produktion einzustellen und sich auf die Flächenpflege zu beschränken. Für einen solchen Betrieb
wäre es eine ökonomische Fehlentscheidung, weiter zu
produzieren, kann er doch auch ohne Erzeugung - damit
völlig ohne Produktions- und Sanktionsrisiko - höhere
Prämien erlösen und davon leben. Die bäuerlichen Betriebe können das nicht. Eine Gesellschaft, die darum
ringt, wie sie bei lahmender Volkswirtschaft ihr Sozialsystem finanzieren kann, wird fragen, ob Mulchen genau
so gefördert werden soll wie die Milchviehhaltung.
Diese Frage wird gestellt werden.
({14})
- Wer behauptet, beim Betriebsmodell sei das genauso,
dem sage ich: Es ist die einheitliche Flächenprämie,
nicht die Betriebsprämie, die den Betrieben auch die moralische Rechtfertigung liefert, ihre Flächen künftig nur
noch kulturfähig zu halten.
({15})
Wir von der Union haben die Flächenbewirtschaftungsprämie gefordert, die an die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten geknüpft ist. Das ist eine
deutliche Unterscheidung zum bloßen Mulchen. Sie
wurden beauftragt, das durchzusetzen, Frau Bundesministerin. Sie haben dem nicht widersprochen, sind dann
aus Luxemburg aber mit leeren Händen zurückgekommen. Das ist die Wahrheit.
({16})
Viertens. Die Umverteilung zwischen den Regionen
präjudiziert geradezu die Umverteilung innerhalb der
Europäischen Union. Die in Deutschland geplante Umverteilung zwischen den Regionen und zwischen den
landwirtschaftlichen Betrieben wird die in der EU längst
schwelende Umverteilungsdiskussion zwischen den Mitgliedstaaten erneut entfachen. Es ist kein Geheimnis,
dass EU-Kommissar Fischler nur mit Mühe die Umverteilung von Milch- und Tierprämien von Nord nach Süd
und von West nach Ost verhindern konnte. Deutschland
fällt ihm nun mit der geplanten Umverteilungspolitik in
den Rücken und wird dabei als Nettozahler selbst größten Schaden nehmen.
Fünftens. Weitere Wettbewerbsverzerrungen entstehen durch die nationale Umsetzung der Bestimmungen
zu Cross-Compliance. Mit der von der Bundesregierung geplanten Umsetzung der Cross-ComplianceBestimmungen wird die staatliche Gängelung der Landwirte nochmals erschreckend zunehmen. Frau Bundesministerin, wir trauen Ihnen das zu. Was Sie dann selbst
nicht schaffen, wird Trittin erledigen, wenn Sie die Einvernehmenslösung anstreben.
({17})
Staatsminister Josef Miller ({18})
Neben der unsozialen Umverteilungspolitik wird damit
ein zweiter Hebel angesetzt, um unseren landwirtschaftlichen Unternehmern die Freude am Beruf zu nehmen.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich
sind wir für die Einhaltung des Fachrechtes und von
Cross-Compliance. Was wir aber entschieden ablehnen,
ist, dass wieder draufgesattelt wird, wie das in Deutschland in der Vergangenheit schon der Fall war: Sonderwege, die die Landwirtschaft in Deutschland benachteiligen, weil sie zusätzliche Kosten bedeuten, die am
Markt nicht abgegolten werden. Dagegen werden wir
uns massiv wehren; das kann ich Ihnen jetzt schon sagen.
({19})
Sechstens. Das Ziel der Verwaltungsvereinfachung
wird zur Farce. Wir alle in der Agrarpolitik haben doch
gesagt: Die Verwaltung muss einfacher werden, auch die
Agrarpolitik insgesamt. Aber worunter leidet diese Reform? - Sie leidet darunter, dass sie kaum noch verstanden wird und dass sie für viele Bürgerinnen und Bürger
undurchschaubar geworden ist.
({20})
Das, was hinsichtlich der Verwaltung eingeführt wird,
wird der Super-GAU für die Länderverwaltungen und
für die Landwirte; denn nur die Länder müssen es vollziehen.
Siebtens. Die wichtigsten Grundlagen des Gesetzentwurfes fehlen. Sowohl die von der Kommission bei Abweichung vom Grundmodell geforderte Folgenabschätzung als auch die umfassende Rechtfertigung als
Voraussetzung für die Einführung des deutschen Regionalmodelles fehlen völlig. Wir haben immer wieder angemahnt, die Folgenabschätzungen darzulegen. Darüber
hinaus baut Art. 2 des Gesetzentwurfes auf EU-Durchführungsverordnungen auf, die noch gar nicht erlassen
sind.
Ich darf noch in drei Punkten ganz kurz die ökologischen Widersprüchlichkeiten des Gesetzentwurfes darstellen.
Erstens. Der lediglich auf der landwirtschaftlichen
Nutzfläche basierende Umverteilungsschlüssel zwischen
den Ländern ist ein ökologisches Armutszeugnis. Der
von mir geforderte Grünlandanteil ist nicht aufgenommen worden.
Zweitens. Die Extensivierungsprämie für die Betriebe
wird um 50 Prozent gekürzt und mit der allgemeinen
Grünlandprämie gestreut. Das heißt, die extensiv wirtschaftenden, ökologisch vorbildlichen Mutterkuhhalter
gehen deswegen zu Recht auf die Barrikaden.
Drittens. Die Widersprüchlichkeit lässt sich ganz
deutlich darstellen, wenn Sie die Schafhalter heranziehen, die notwendig sind, um bestimmte Flächen zu pflegen. Sie verlieren enorm an Prämien und sind in der
Existenz gefährdet.
Unser Grundgedanke ist und bleibt: Leistung der
Landwirte und Gegenleistung der Gesellschaft. Die
Landwirte erbringen vielfältige Leistungen für die Gesellschaft im Tierschutz, im Umweltschutz und im Naturschutz. Sie erfüllen hohe Anforderungen bei hohem
Kostenniveau. Diese Leistungen werden aber am Markt
nicht abgegolten. Unsere Landwirtschaft braucht auch in
Zukunft die Ausgleichszahlungen der EU.
Der wichtigste Motor unserer sozialen Marktwirtschaft, das Leistungsprinzip, darf nicht infrage gestellt
werden. Wer wirtschaftliche Leistungen bestraft, wird
keine nachhaltige ökologische Leistung bekommen. Wer
die heimische Landwirtschaft gegenüber den Nachbarstaaten permanent so benachteiligt, wie Sie es tun,
braucht sich nicht zu wundern, wenn wir solche Ergebnisse im Agrarbericht vorfinden, über die noch zu reden
sein wird.
Die Zahl der Betriebsaufgaben liegt weit über dem
Durchschnitt der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Das
ist eine landwirtschaftsfeindliche Politik, die Auswirkungen auf die Ernährungswirtschaft und auf die Arbeitsplätze nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch
in den nachgelagerten Bereichen hat. Wir jedenfalls wollen dies nicht und werden Ihnen in entsprechenden Anträgen andere Wege aufzeigen.
Herzlichen Dank.
({21})
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Weisheit von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Manchmal ist es ganz günstig, wenn man in Brüssel jemanden kennt, der in der richtigen Kommission sitzt.
Herr Staatsminister Miller, ich möchte eines ganz klar
und deutlich zurückweisen: Sie tun ständig so, als würde
die Bundesministerin etwas anderes machen, als die
Kommission will, oder hinter dem Rücken der Kommission etwas machen. Ich habe aufgrund dieser Gespräche
vielmehr den Verdacht, dass von Ihrer Seite, vonseiten
der CDU- und CSU-regierten Länder, die unzufrieden
sind mit dem, was dort läuft, der Kommissar, der ja Ihrer
Partei nahe steht, bewegt werden soll, solches festzustellen. Das ist mein Verdacht.
({0})
- Das ist kein Quatsch, Peter Harry. - Die ganzen Anwürfe, die immer vorgebracht werden,
({1})
dies sei gegen den Willen der Kommission, stimmen einfach nicht. Das Modell ist mit der Kommission Punkt für
Punkt durchgesprochen. Darüber gibt es überhaupt keine
Diskussion.
({2})
Man musste genau zuhören, um mitzubekommen,
dass Sie gesagt haben, das Gesetz werde im Bundesrat
nicht scheitern.
({3})
Darauf, dass Sie bezüglich der Milch noch Verbesserungsvorschläge haben, werde ich gleich noch eingehen.
Die Ministerin hat ja deutlich gesagt, dass hier noch etwas getan werden muss. Mit dem Gesetzentwurf sei
diesbezüglich noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich
appelliere deshalb an Sie, Sorge dafür zu tragen, dass
dieses Gesetz nicht im Vermittlungsausschuss landet.
({4})
- Ja, natürlich. Ich hielte es im Interesse der Sache für
sehr viel besser, wenn es nicht im Vermittlungsausschuss
landen würde.
({5})
- Nein. - Denn dort entscheiden fachfremde Leute über
diese Politik.
({6})
- Ach, Peter Harry, hör doch auf und tu nicht so, als ob
die CDU/CSU aus lauter Landwirten bestehen würde!
Das ist doch eine Arroganz hoch drei!
({7})
- Ach, hör doch auf! Aufgrund des Steuerkompromisses
weiß ich sehr wohl, was am Schluss im Vermittlungsausschuss herauskommt.
({8})
Ich möchte dieses Gesetz davor bewahren, dass es im
Vermittlungsausschuss endet.
({9})
Ich möchte jetzt ganz kurz 30 Jahre zurückblicken.
Seitdem ist es hier zu einer epochalen Veränderung gekommen.
({10})
Als ich vor 30 Jahren damit begonnen habe, mich für die
Landwirtschaftspolitik in Ihrer schönen Nachbarschaft,
Herr Staatsminister, und für die europäische Agrarpolitik
zu interessieren, waren die Zeitungen voll von Artikeln,
die sich mit der Idiotie und der Geldverschwendung der
Europäischen Union in Form von geschützten Preisen,
Interventionen mit anschließendem Vermarkten und Exporterstattungen beschäftigten. Hierüber wurden auch
einige Bestseller geschrieben. Das war eine Produktionsform, die niemand mehr vertreten konnte.
In der Zwischenzeit hat es ein paar halbherzige Versuche gegeben, das Problem in den Griff zu bekommen.
Schon damals gab es ernsthafte Diskussionen darüber,
wie man das Problem lösen könnte. Die klarste und sauberste Linie war immer, zu fordern: Die Bauern bekommen etwas für die Leistung, die sie der Gesellschaft erbringen, indem sie die Kulturlandschaft pflegen und
weiterentwickeln,
({11})
und sie bekommen nichts dafür, dass sie irgendwelche
Produkte herstellen. Mit den Produkten, die sie herstellen, müssen sie sich am Markt bewähren. Das war schon
vor 30 Jahren eine Grundlinie.
({12})
Diese Grundlinie, auf die ich damals in einem Antrag
an den Landesparteitag hingewiesen habe, sehe ich mit
der Reform heute verwirklicht. Insofern ist das eigentlich ein erfreulicher Tag. Ich kann nur all diejenigen
warnen, die glauben, sie könnten aus für mich durchaus
verständlichen Gründen - wer gibt schon gerne etwas
her - gegen die Regelungen verstoßen. Ich frage mich,
mit welcher Berechtigung die Bauern im Bundesland
Schleswig-Holstein, die etwas hergeben müssen,
({13})
für ihr Ackerland heute mehr erhalten als die Bauern in
Baden-Württemberg oder im Saarland.
({14})
- Ja, das hieß einmal Preisausgleichszahlung. Wir
können aber nicht noch in 100 Jahren dieselben Preise
garantieren, wie es sie irgendwann vor 30 Jahren einmal
gab. Dieser Schmarren ist doch vorbei. Mit der neuen,
entkoppelten Agrarpolitik haben wir uns von Preisausgleichszahlungen verabschiedet. Das muss klar sein.
({15})
Deswegen haben wir auch ganz deutlich gesagt, dass
wir dieses Betriebsmodell nicht wollen. Herr Miller,
wie wollen Sie das denn in der Gesellschaft vermitteln?
Ich erinnere mich: Im letzten Jahr haben wir im Bäderdreieck, bei Passau, einen Betrieb besucht. Dieser hat
seit dem letzten Jahr Mastschweine. Im Referenzzeitraum waren seine ganzen Ställe aber noch voll von Bullen. Er traf dann also eine wirtschaftliche Entscheidung
und schaffte die Bullen ab. Gäbe es eine Betriebsprämie,
dann würde er die Bullenprämie bis 2013 kassieren.
({16})
Versuchen Sie einmal, das der Öffentlichkeit klar zu machen. Als Politiker sollten wir nie vergessen, Peter Harry
Carstensen, dass wir von Steuergeldern reden, die hier
ausgegeben werden.
({17})
- Nach dem Betriebsmodell würde er die Prämie durchgängig bekommen. Jetzt wird sie abgeschmolzen. Am
Schluss wird sie zu einer Flächenprämie.
({18})
- Darüber brauchen wir gar nicht zu reden.
Als letztes Thema möchte ich noch auf die Situation
bei Milchprodukten eingehen. Dort treffen zwei Punkte
zusammen, die Beschlüsse von Luxemburg und die noch
ausstehende Umsetzung der alten Beschlüsse der
Agenda 2000. Das Wichtigste, was wir hier machen
müssen, ist, den Zeitpunkt des Abschmelzens zu verschieben. Das können sicherlich alle mittragen. Ob dies
in der Totalität der Fall sein wird, wie es zum Teil gefordert wird, glaube ich nicht. Aber das Hinausschieben des
Abschmelzungszeitraumes ist sicherlich nicht strittig.
({19})
Zum einen wird man überlegen müssen, wie die
Menge reduziert werden kann. Hier sind wir für ein gemeinsames deutsch-französisches Vorgehen offen. Dafür
müsste aber auch vom Berufsstand Unterstützung kommen.
({20})
- Ja, natürlich. - Zum anderen sollte man sich ernsthaft
Gedanken machen, die Intervention bei Butter und Magermilchpulver, die ohnehin nur eine marginale Erscheinung ist und keinen praktischen Nährwert mehr hat,
ganz abzuschaffen. Meiner festen Überzeugung nach
muss zumindest der Niedrigpreis, mit dem die Discounter immer locken, weg.
({21})
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
Goldmann von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben heute unter diesem Tagesordnungspunkt über
zwei Dinge zu diskutieren: zum einen über die Reform
der Gemeinsamen Agrarpolitik und zum anderen über
den ernährungs- und agrarpolitischen Bericht 2003.
Ich will mit dem Letzteren anfangen, weil der Bericht
aus meiner Sicht ein wichtiges Dokument dafür ist, dass
Sie, Frau Künast, eine Agrarpolitik betreiben, die nur
bauernfeindliche Elemente beinhaltet und die dazu führt,
dass wir den ländlichen Raum zerstören und die Existenz
zukunftsorientierter Landwirte vernichten. Ich sage Ihnen ganz klar: In dieser Frage haben Sie bei uns auch
nicht in einem einzigen Punkt einen Verbündeten.
({0})
Die Politik, die Sie betreiben, wollen wir nicht. Nachdem ich hoffentlich in aller Deutlichkeit gesagt habe,
dass die Politik, die Sie betreiben, für die Betriebe die
Schulden- und Vernichtungsfalle bedeutet, will ich nun
ganz klar und deutlich machen, dass wir uns über viele
Dinge, die sich im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik bewegen, sehr wohl unterhalten können, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Hier tragen wir eine ganz besondere Verantwortung.
Sehr geehrte Frau Ministerin, das, was Sie vorhin gemacht haben, ist das alte Klischee: spalten, Ideologien
verbreiten und keine Lösungen entwickeln. Das ist nicht
die Herausforderung, vor der wir stehen. Die Reform der
Gemeinsamen Agrarpolitik ist der Schlüssel für den
ländlichen Raum, die Bauern in Deutschland und die Ernährungswirtschaft. Deswegen mein ganz klares Angebot an Sie zur Zusammenarbeit auf vielen Feldern, die
angesprochen werden müssen.
({1})
Herr Staatsminister Miller, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie Ihre Haltung einfach zur Position der
CDU/CSU erklären. Das ist nicht der Fall. Überall dort,
wo die FDP zusammen mit der CDU die Regierung
stellt, wie in Niedersachsen, Baden-Württemberg und
Sachsen-Anhalt, sind wir uns einig, dass das Kombimodell für die Landwirtschaft durchaus ein zukunftsweisendes Modell ist. Wir sollten uns auf den Weg
machen, dieses Kombimodell so zu gestalten, dass möglichst viele Landwirte in diesem Modell ihre Zukunft
und die der ländlichen Räume sehen.
({2})
Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, dass
die derzeitige Idee, möglichst viel und dabei manchmal
auch am Markt vorbei zu produzieren, um dadurch möglichst viel Geld vom Steuerzahler zu bekommen, für keinen erklärbar und nachvollziehbar ist. Für das Modell
gibt es null gesellschaftliche Akzeptanz. Ich finde es
richtig, dass es hierfür keine Akzeptanz gibt.
({3})
Lieber Albert Deß, Frau Mortler hat in der letzten Aussprache hierzu gesagt, unser Modell sei ein Märchen.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Unser Modell beruht
auf zwei Säulen - das sind die entscheidenden Elemente -: Wir wollen so viel unternehmerische, am Markt orientierte Landwirtschaft wie nur irgendmöglich, damit
möglichst viele Bauern ihr Geld am Markt verdienen.
Genau das wollen die Bauern.
({4})
Und wir wollen einen Ausgleich für die Bauern, die Produkte erzeugen bzw. Flächen haben, die es nicht erlauben, auf dem Markt zu bestehen. Denen geben wir eine
Prämie dafür, dass sie unsere Kulturlandschaft erhalten.
Ich finde das richtig und gerecht. Ich bin ein Fan des
ländlichen Raumes. So wie die Städter dafür sind, dass
die Städte in einem guten Zustand bleiben, so bin ich dafür, dass der ländliche Raum bewahrt wird. Wir müssen
diese beiden Säulen ausgestalten: die unternehmerische
Landwirtschaft und die Kulturlandschaftsprämie, die auf
die Fläche verteilt werden muss.
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die
agrarpolitischen Positionen der FDP absolut richtungsweisend und modern sind. Ich freue mich darüber, dass
Matthias Weisheit solche Vorstellungen schon vor
30 Jahren entwickelt hat. Hier haben wir eine Kontinuität.
({5})
- Lieber Albert Deß, an diesem Modell geht kein Weg
vorbei. Manchmal ärgere ich mich. Ich bin nicht der
CDU-Vertreter des Landes Niedersachsen, aber dein
Kollege, der Landwirtschaftsminister von Niedersachsen, Herr Ehlen, hat gesagt, das Kombimodell könne das
Feuer in der Landwirtschaft entzünden und in die Zukunft weisen. In diesem Punkt schließe ich mich ihm an.
Ich habe kein Interesse daran und keine Lust dazu, uns
künstlich auseinander zu dividieren.
({6})
Das Kombimodell wird kommen. Das Kombimodell
ist das richtige Modell, um die Landwirtschaft in
Deutschland in eine gute unternehmerische Zukunft zu
führen.
({7})
Das Kombimodell ist auch das Modell, das im Rahmen
der WTO eine Akzeptanz findet.
Ich bleibe dabei: Das Schönste wäre, wenn wir auf
eine einheitliche Flächenprämie kommen würden.
({8})
Eine solche einheitliche Flächenprämie würde bedeuten,
dass eigentlich gar kein Geld mehr in der Bürokratie verschwindet. Denn das ist im Moment unser spezielles
Problem. Von dem, was oben bereitgestellt wird, kommt
viel zu wenig unten bei den Bauern an. Deswegen ist
eine einheitliche Flächenprämie eine bürokratiearme
Ausgestaltung und die richtige Lösung für das Motto
„Bauerngeld ist Bauerngeld“. Das ist unsere Grundvorstellung in diesem Punkt.
({9})
Das Ziel ist völlig klar. Wir müssen gemeinsam an
den Übergängen arbeiten. Ein Bereich ist angesprochen
worden: die Milchviehbetriebe. Milchviehbetriebe stehen vor einer besonderen Herausforderung. Das ist überhaupt keine Frage. Mein Wahlkreis zieht sich nach Ostfriesland hinein. Ich will, dass auch in Zukunft in
Ostfriesland Schwarzbunte geweidet werden. Ich will
die Milchwirtschaft in Ostfriesland gesichert wissen.
({10})
- Peter Harry, eine solche Zwischenbemerkung kannst
du dir sparen; die ist deinem Niveau nicht angemessen. ({11})
Wir werden das weiterentwickeln. Wir werden dafür sorgen, dass die Milchviehbetriebe auch bei uns eine Zukunft haben. Wir müssen lange Übergangszeiträume haben.
({12})
- Darüber müssen wir reden. Wir müssen daran arbeiten.
Es macht aber auch nicht viel Sinn, daran bis zum
Jahr 2013 festzuhalten, was eine ganz wesentliche Forderung des Deutschen Bauernverbandes ist. Das kann es
nicht sein.
Lasst uns doch gemeinsam das Jahr 2010 anvisieren,
was auch der Agrarausschuss des Bundesrates vorschlägt. Dann lasst uns darüber nachdenken, wie wir die
vier Abschmelzschritte, die danach kommen, vielleicht
auch mit Modulationsmitteln etwas abfedern. Dann kriegen wir das doch hin. Wir wissen ganz genau, dass Herr
Hilse vom Bauernverband in Niedersachsen Recht hat,
wenn er sagt, dass wir jetzt eine schwierige Phase vor
uns haben, aber dass wir später durchaus die Chance haben, dass Bauern mit guter Milch und guten Agrarprodukten auch in Deutschland Geld verdienen können. Das
muss die Lösung sein, die angedacht werden muss.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Es gibt zwei
Punkte, bei denen wir uns null Komma null bewegen.
Ich fange mit dem Einfachen an, der Modulation. Die
Lösung muss nach dem Motto „Bauerngeld ist Bauerngeld“ erfolgen.
({14})
Der andere Punkt ist Cross-Compliance. Frau Künast,
die Regelung muss eins zu eins umgesetzt werden und
darf nicht darüber hinausgehen. Ich will dabei auch nicht
Herrn Trittin im Geschäft haben.
({15})
Ich will mit dem kein Einvernehmen haben, weil ich
weiß, dass er für die wirklichen Interessen von Bauern
null Antenne hat. Das ist ein Mensch, der kein Interesse
am ländlichen Raum hat. Ich will nicht, dass er sich in
unsere Politik, die notwendig ist, einmischt.
({16})
Wir können viele Lösungen entwickeln, die für die
Bauern auf dem europäischen Markt und auf dem Weltmarkt gut sind. Es geht im Grunde genommen um Weichenstellungen mit sehr weiter Perspektive. Wir bieten
die Zusammenarbeit an und würden uns sehr darüber
freuen, wenn wir eine Lösung für die Bauern und den
ländlichen Raum entwickeln, die zukunftsfähig ist.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Jella Teuchner von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
befinden uns mitten in der Phase der nationalen Umsetzung der EU-Agrarreform und ich hatte bis dato den Eindruck, dass wir die Fachdiskussion ernsthaft und sachlich geführt haben. Das habe ich allerdings in der
heutigen Debatte bisher sehr vermisst, vor allem bei Minister Miller.
Uns allen ist doch bewusst, dass die derzeitige europäische Agrarpolitik mit der Osterweiterung nicht mehr
finanzierbar ist. Sie steht innerhalb der WTO unter erheblichem Druck und sie wird von den Menschen immer
weniger akzeptiert. Vor diesem Hintergrund müssen die
Beschlüsse von Luxemburg bewertet und vor allen Dingen auch umgesetzt werden. Die EU-Agrarreform trägt
diesen Problemen meiner Meinung nach Rechnung. Sie
ist eine gute Basis für die zukünftige Agrarpolitik.
Die Agrarminister von Bund und Ländern haben sich
schnell auf die Eckpunkte für die nationale Umsetzung
geeinigt, auch mit dem Ziel, rasch für Planungssicherheit
zu sorgen. Wir alle wissen, dass es noch einige Punkte
gibt, über die wir ernsthaft diskutieren müssen. Ich gehe
aber davon aus, dass wir auch über diese Punkte ernsthaft und sorgfältig diskutieren und zu einem Ergebnis
kommen werden.
Aus meiner Sicht ist erfreulich, dass sich Bund und
Länder für ein regionales Flächensystem als Endziel
der Reform ausgesprochen haben.
({0})
Was wir noch diskutieren müssen, ist: Wie kommen wir
dahin, dass es 2013 regional einheitliche Flächenprämien gibt? Bund und Länder haben sich auf ein kombiniertes Betriebs- und Flächenmodell verständigt. Das ist
eine richtige Entscheidung.
Ich will noch einmal die Vor- und Nachteile der beiden Modelle aufzeigen. Das Betriebsmodell bietet relativ wenige Brüche. Es gibt keine Umverteilung zwischen
Acker- und Tierprämien. Aber die Berechnung aufgrund
der historischen Basis 2000 bis 2002 führt gerade bei
den Betrieben, die in den letzten Jahren investiert haben,
zu Härtefällen und Brüchen in der Förderung.
({1})
Das Regionalmodell mit einheitlichen Flächenprämien führt zu deutlichen Umverteilungen. Allerdings
werden die Prämien nach dem aktuellen Flächenbestand
zugeteilt.
Das kombinierte Modell schafft die Möglichkeit für
einen gleitenden Übergang und vermeidet Strukturbrüche. Die Brüche, die in den Modellen vorhanden sind,
werden damit - zumindest zum Teil - ausgeglichen.
Klar ist auch, dass es kein optimales Modell gibt. Wir
können aber versuchen, über die Zuordnung der Prämien
zu Beginn des „Gleitfluges“ zu den Flächenprämien oder
zu den betriebsindividuell vergebenen Prämien die Weichen so zu stellen, dass der Übergang von 2004 auf 2005
möglichst sanft erfolgen wird. Hierüber diskutieren wir
zurzeit. Wir haben bereits in einigen Punkten, zum Beispiel bei der Extensivierungsprämie, Änderungen in der
Feinabstimmung vorgenommen. Wir werden diese Diskussion ernsthaft und sorgfältig führen, damit die Agrarreform ein Erfolg für unsere Bauern und Bäuerinnen
wird.
({2})
Ich habe in der Stellungnahme des Bauernverbandes
als Argument für die Betriebsprämie gelesen, dass auch
in Zukunft unterschiedliche Zahlungsansprüche zweier
gleich großer Betriebe gerechtfertigt sein müssen, wenn
es in diesen Betrieben unterschiedliche Tierbestände
gibt.
({3})
Gerade dies wird nicht mehr möglich sein. Das Ergebnis
der EU-Agrarreform ist ja die Entkopplung der Prämien
von der Produktion.
Wir haben die Wahl, entweder mit einer Flächenprämie dafür zu sorgen, dass diese Betriebe die gleiche Prämie bekommen, oder wir können mit der Betriebsprämie
dafür sorgen, dass Betriebe mit gleicher Größe und gleichem Tierbestand unterschiedliche Prämien bekommen,
weil sie von 2000 bis 2002 unterschiedliche Tierbestände hatten. Letzteres halte ich weder für sinnvoll noch
für vermittelbar.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen.
Zurzeit wird über die Neuordnung der Hopfenmarktordnung debattiert. Es ist klar, dass wir den ErzeugerJella Teuchner
gemeinschaften weiterhin 25 Prozent des Beihilfebetrages zuweisen wollen. Die Signale, die wir hier bis jetzt
bekommen haben, sind durchaus positiv.
Abschließend: Wir sind mit der Umsetzung der EUAgrarreform auf einem guten Weg. Ich bin mir sicher,
dass wir auch bei den offenen Punkten eine gute Lösung
finden werden. Wir sollten gemeinsam den parlamentarischen Prozess nutzen, um zu einem guten Ergebnis zu
kommen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Harry Carstensen
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich frage mich immer wieder, welche jungen Bauern es gewesen sein sollen, mit denen Frau Künast angeblich über agrarpolitische Themen gesprochen hat und
die sie unterstützen. Diese Versammlungen können nur
irgendwo in einer Telefonzelle stattgefunden haben. Ich
jedenfalls kenne keine Bauern, die die Politik von Frau
Künast unterstützen.
({0})
- In Rheinland-Pfalz? Herr Herzog, dann sprechen Sie
einmal mit den Bauern, die in Rheinland-Pfalz Gemüse
produzieren und die sich über die Flächenprämie gefreut
haben. Wenn Sie diesen Bauern etwas von Cross-Compliance erzählen und klar machen, dass auch Herr Trittin
das Sagen haben wird, dann können Sie ja versuchen,
herauszufinden, ob diese Bauern noch Lust haben, mit
diesen beiden Gesellen zusammenzuarbeiten.
Frau Künast hat, als sie den ersten Agrarbericht vorgelegt hat - die dort aufgelisteten Ergebnisse waren
nicht schlecht; damit hatte sie aber auch nichts zu tun;
das war noch die Arbeit von Jochen Borchert und KarlHeinz Funke, an den sich die Älteren von uns bestimmt
noch erinnern -, vom Künast-Effekt gesprochen und hat
sich damals wie heute die guten Ergebnisse an das Revers geheftet. Ich möchte Ihnen einmal die Ergebnisse
aus dem letzten Agrarbericht nennen: Ackerbau minus
25,8 Prozent, Milch minus 11,7 Prozent und Veredlung
minus 44,9 Prozent. Wenn man die Nettowertschöpfung
je AK im EU-Vergleich sieht - 1995 ist gleich 100 gesetzt -, dann stellt man fest: 2001 lag die Nettowertschöpfung bei 148, 2002 bei 117 und 2003 bei
100 Prozent. Minus 14 Prozent! Das ist der Künast-Effekt. Die Bauern können sich unter anderem bei Ihnen
bedanken, dass dort keine vernünftigen Einkommen
mehr erzielt werden können.
({1})
Sie haben über Planungssicherheit in der Agrarpolitik gesprochen. Wann soll es diese denn geben? 1992
gab es die McSherry-Reform und 1990 die Agenda 2000
mit dem Versprechen, dass alles auf jeden Fall bis 2007
weiterlaufen werde. 2004 diskutieren wir wie schon
2003 über weitere Veränderungen, wie zum Beispiel
über das Abschmelzen bis 2009, 2010 oder 2011. Ich
sage Ihnen voraus, dass wir dann eine andere Agrarreform haben werden. Aber von Sicherheit ist überhaupt
nichts zu spüren. Frau Künast, auch Sie merken das,
wenn Sie mit jungen Bauern sprechen. In diesem Zusammenhang gibt es zwei bedrohliche Zahlen: Über
60 Prozent der Landwirte wollen nicht mehr investieren,
weil sie nicht mehr wissen, worin. Über 50 Prozent der
landwirtschaftlichen Betriebe haben keinen Nachfolger,
weil sie keine Zukunft in einer von Ihnen definierten
Landwirtschaft sehen.
({2})
Ihr Ziel ist die Abkehr von einer Agrarpolitik, die
Politik für Landwirtschaft und Politik für Produktion in
der Landwirtschaft ist. Das haben Sie gerade eben sehr
deutlich gesagt. Sie wollen die Agrarpolitik auf Ihre
Ideologie ausrichten. Ein Beispiel: In meinem Wahlkreis
Eidelstedt will Minister Müller ausgerechnet dort, wo
Bauern dafür gesorgt haben, dass es dort Vögel gibt,
Vogelschutzgebiete ausweisen und so die Bauern wegjagen. Die Vorsitzende der Grünen in Husum schreibt:
Statt des bis jetzt geltenden ungerechten Produktprämiensystems, das Stallmast und Großbauern bevorzugt, werden Flächenprämien eingeführt, die
dann auch für Grünland gelten. Damit wird die
wirtschaftliche Basis zur Weiterführung der Weidemast geschaffen, die dann im Falle von Eidelstedt
durch den Grundschutz … ergänzt wird.
Gerade das wird nicht der Fall sein: Mit dem Prämiensystem, das Sie einführen, können die Leute nicht
mehr produzieren. Sie produzieren nämlich nicht, weil
sie Mitglied im Roten Kreuz sind, sondern weil sie Gewinne machen müssen. Aufgrund dieser Regelung werden sie mit der Weideendmast dort keine Gewinne mehr
machen.
({3})
Wir brauchen eine Reform, die die wirtschaftenden
Betriebe stärkt. Sie sorgen mit beiden Modellen dafür
- das gebe ich gerne zu -, dass eine Aussteigerlandwirtschaft mitfinanziert wird. Wir müssen Wettbewerbsfähigkeit bei den wirtschaftenden Betrieben schaffen.
Wenn wir Wettbewerbsfähigkeit schaffen wollen, dann
geht es nicht nur darum, das zu tun, was wir tun können,
sondern auch darum, das zu beobachten, was andere tun.
({4})
Frau Künast, ich frage mich: Warum eigentlich diese
Eile? Es geht hier um die größte Reform, die es je in der
Landwirtschaft gegeben hat. Sie haben in den letzten
Jahren, in der letzten Legislaturperiode mit Eile doch
schlechte Erfahrungen gesammelt: Das Tierarzneimittelgesetz wurde durchgeboxt, ebenso das Modulationsgesetz, das Verbraucherinformationsgesetz und die
Peter H. Carstensen ({5})
Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Das ist alles Schrott, der innerhalb von wenigen Wochen durchgepaukt wurde.
({6})
Jetzt sind wir wieder dabei, das zu reparieren.
({7})
Sorgen Sie doch dafür, dass die Zeit, in der wir eine
Debatte wie diese führen, vernünftig ausgefüllt wird!
Wenn Sie sagen, Sie wollen bis zum 1. August fertig
sein, dann sage ich Ihnen: Seien Sie meinetwegen bis
zum 1. August fertig. Wir müssen aber erst bis Ende des
Jahres fertig sein und zum 1. August lediglich sagen,
was wir wollen.
({8})
- Da kommt wieder der Schreier, der Herr Oberlehrer,
der im Ausschuss bis jetzt noch nie einen sachlichen
Beitrag geleistet hat. Es ist doch schön, dass man hört,
dass er wieder einmal da ist. Er sagt immer, die Opposition müsse besser werden. Wahrscheinlich wird er nach
der nächsten Wahl zeigen können, ob die Opposition
besser wird. Vielleicht kann er es aber doch nicht; denn
bei einem Wahlergebnis von 25 Prozent für die SPD bekommt er gar keinen Listenplatz und kommt nicht wieder ins Parlament.
({9})
- Seien Sie einmal ganz still! Ich sage gleich etwas dazu.
Wir müssen dafür sorgen, dass das Reformvorhaben
ausreichend beraten wird. Angesichts dessen, was in anderen Ländern passiert, komme ich zu folgendem
Schluss: Ich bin im Moment zwar nicht für diesen Vorschlag; aber ich bin dafür, dass wir ihn mit beraten. Wir
müssen auch überlegen, was es bedeutet, dass in Frankreich eine Teilentkopplung vollzogen wird. Was bedeutet
das für unsere Wettbewerbsfähigkeit und für unsere
Marktanteile? Müssen wir darauf nicht reagieren? Darüber müssen wir doch diskutieren! Wir können das
doch nicht holterdiepolter wieder zurücknehmen. Wir
müssen uns Zeit für Beratungen nehmen; Sie haben
nämlich schlecht verhandelt.
Dass wir jetzt Probleme mit der Milch haben, liegt
doch daran, dass die Überschüsse die bisherigen Probleme noch vergrößern und dass die Preise gesenkt werden, weswegen in diesem Bereich zusätzliches Geld benötigt wird. Sie hätten diese Probleme mit einer anderen
Milchpolitik lösen können. Wir brauchen eine besondere
Betrachtung der Milch.
({10})
Beide Modelle - Flächenmodell und Betriebsprämienmodell - haben ihre Schwächen. Das Flächenmodell führt zu einer Umverteilung; die Betriebsprämien
werden als historische Grundlage - da stimme ich Ihnen
zu - keinen langfristigen Bestand haben. Im Jahr 2012
wird es nicht möglich sein, zu diskutieren und zu sagen:
Der bekommt so viel Geld, weil er irgendwann einmal
um 2000 herum Bullen gemästet hat.
Die Situation in der Bullenmast zeigt, wie schwierig
diese Diskussion ist und dass man dafür Zeit braucht.
Die Bullenmäster in Eiderstedt steigen aus zwei verschiedenen Gründen um oder aus: beim Flächenmodell,
weil sie nicht mehr davon leben können; beim Betriebsprämienmodell, weil sie ohne Produktion mehr Geld haben als mit Produktion. Beides kann nicht gewollt sein.
Das muss uns bewusst sein. Wir müssen darüber sprechen.
Am Anfang muss unser Ziel sein, dass wir keine
Strukturbrüche erleiden und dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und unsere Marktanteile einigermaßen
erhalten. Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir
zumindest bei der Tierproduktion mit dem Betriebsprämienmodell einen Einstieg finden. Ich lasse mit mir darüber diskutieren, wie wir später damit verfahren.
Herr Kollege Goldmann, beim Thema Milch habe ich
eine dezidiert andere Auffassung als du. Die Milchproduktion wird durch die Preissenkung gerade bei dir im
Emsland sehr schwierig werden.
({11})
Du kannst gern schon einmal anfangen zu rechnen, ob
du mit einem Grünlandprämienmodell auskommst. Von
daher ist es für die Milchbetriebe notwendig, die Betriebsprämie so lange wie möglich zu erhalten, möglichst bis zum Schluss.
({12})
- Meinetwegen bis 2013.
({13})
- Entschuldige mal! Ich schlage das vor. Sei mal ganz
ruhig!
({14})
Ich halte es für notwendig, dass wir die Prämie so lange
wie möglich behalten. Welche Kompromisse es nachher
gibt - das habe ich auch gesagt -, muss man sehen. Es ist
schon über den Hilfsantrag von Baden-Württemberg und
das Jahr 2010 gesprochen worden. Im Jahr 2010 werden
wir eine völlig andere Diskussion haben.
Ich lasse mich nicht von dem wichtigsten Punkt ablenken: Frau Künast vollzieht mit dieser Reform ihre
Agrarwende. Wo es ein Einvernehmen mit Herrn Trittin
geben muss - das ist in einem Satz deutlich zu machen -, spielt alles andere keine Rolle mehr. Um es ganz
deutlich zu sagen: Ich will Trittin nicht bei mir auf dem
Land haben,
({15})
weder als verdeckten Ermittler noch als jemanden, der
die Agrarpolitik gestaltet. Wir müssen nach draußen
deutlich machen, dass dies eine völlige Abkehr von der
Peter H. Carstensen ({16})
bisherigen Agrarpolitik, insbesondere auch von der der
SPD, wäre.
({17})
Ihr verratet eure guten Leute, die ihr in der Agrarpolitik
gehabt habt, nämlich von Jan Oostergetelo bis Schmidt
({18}). Wenn ihr das mitmacht, dann ist das eine
Politik, die mit Agrarpolitik nichts mehr zu tun hat, sondern mit Trittin, mit einer anderen Politik, die wir nicht
wollen. Diese Systemwende wollen wir nicht, weil es
eine ideologische Wende ist.
({19})
Ich sage noch einmal: Dieses Vorhaben bekommt
keine Zustimmung von uns. Ich gehe nicht davon aus,
dass ich den Vorstellungen von Fall Frau Künast in diesem Zusammenhang zustimmen kann. Wir werden dem
so nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Carstensens Märchenstunde will ich nun zum
Thema zurückkehren. - Die EU-Agrarreform ist auch
unseres Erachtens ein großer Einschnitt, aber ein absolut
notwendiger. Das bisherige System der Direktzahlungen
stand kurz vor dem Kollaps. In Deutschland gibt es
26 unterschiedlich hohe Getreideprämien. Für Schlachtbullen gibt es vier verschiedene Prämien gleichzeitig:
Sonderprämie männliche Rinder, Schlachtprämie, nationale Ergänzungsprämie und Extensivierungsprämie. Es
gibt Prämien für Mutterkühe, für Stärkekartoffeln, für
Trockenfutter usw. Kein normaler Mensch versteht dieses System mehr. Die Bauern und Bäuerinnen schimpfen
seit Jahren darüber, nämlich seit es dieses Prämienchaos
gibt. Wir machen damit Schluss.
({0})
Sehr geehrter Herr Minister Miller, wer auf das hoffnungslos komplizierte französische Modell zur Umsetzung der Luxemburger Beschlüsse verweist, will dieses
Chaos offenbar fortführen. Mit uns nicht!
({1})
Außerdem, lieber Herr Miller: Über die Zufriedenheit
der französischen Kollegen und Kolleginnen lesen wir
täglich in den Zeitungen. Die scheinen mit der Agrarpolitik, wie sie in Frankreich gemacht wird, ja besonders
zufrieden zu sein. Da scheint ein Übermittlungsproblem
vorzuliegen.
Herr Miller, die Bullenmast lebt heute mit 300 Euro
pro Tier ausschließlich vom Staat. Dass in dem Bereich
durch Agrarreform und Entkopplung wieder etwas mehr
Markt einkehrt, ist doch nur richtig. Was der einzelne
Betrieb erzeugt, kann er in Zukunft selbst entscheiden.
Alle haben die gleichen Chancen.
Das Kombimodell ist zwischen den Bundesländern
ausjustiert. Es wird sogar Lösungen für landlose Wanderschäfer und Ziegenhirten schaffen. Alle werden zukünftig die gleichen Chancen haben.
Eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
lehnen wir entschieden ab. Wenn überhaupt, wollen wir
darüber nachdenken, bei der Milch einen Sonderweg zu
gehen; denn dieser Bereich droht der Verlierer der Reform zu werden. Das wollen wir verhindern.
({2})
Denjenigen, die schon heute davon reden und schreiben, dass der Milchpreis auf 22 Cent pro Liter fällt, muss
gesagt werden, dass sie unserer Meinung nach völlig unverantwortlich handeln.
({3})
Dieser Preis wird momentan heruntergeredet.
({4})
Da wird ein Automatismus unterstellt. Dabei gibt es
überhaupt keinen Beleg dafür, dass der Milchpreis den
Preissenkungen bei der Interventionsbutter folgt.
({5})
Es wird vor allem darauf ankommen, die Überproduktion in den Griff zu bekommen.
({6})
Wir müssen versuchen, möglichst gemeinsam mit Frankreich, die Milchgarantiemengen zu begrenzen.
({7})
Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir bei
dieser Agrarreform jetzt nicht wieder anfangen, zu wackeln und alles aufzuweichen, nur weil es den einen hier
kneift und den anderen dort piekst und der Dritte, Herr
Carstensen, meint, mal wieder Frau Künast - erfolglos ärgern zu müssen, dann können wir es schaffen, die
große Chance, die die Luxemburger Beschlüsse bieten,
zu nutzen und einen wirklichen Meilenstein zu setzen:
weg von einem System, das sich völlig totgelaufen hat,
hin zu einer zeitgemäßen und zukunftsfähigen Politik für
die Landwirtschaft und die ländlichen Räume, die auch
wieder Freude macht, weil sie wieder Sinn macht.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Wolff von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass ich zum Schluss dieser
Debatte noch einiges richtig stellen darf. Das tue ich am
Anfang meiner Rede auch sehr gern.
Erstens. Lieber Herr Kollege Carstensen, ich finde es
etwas verlogen
({0})
- erst einmal abwarten, Herr Deß -, wenn man bei der
Debatte über den Agrarbericht die letzten drei Jahre ins
Feld führt, da wir genau wissen, dass es sich im Agrarbericht niederschlägt, dass wir drei schlechte Jahre in der
Landwirtschaft aufgrund von Hochwasser, Dürreschäden und anderen Dingen hatten.
({1})
Wenn dafür Frau Künast zuständig sein soll, dann wird
es wahrscheinlich noch so weit kommen - da bedanke
ich mich aber -, dass sie auch für das Wetter verantwortlich ist. Das finde ich schon bemerkenswert.
Um aber noch einmal auf den Punkt zu sprechen zu
kommen: Mit welchen Bauern reden wir und Frau
Künast in Telefonzellen? Ich will Ihnen nur ein Beispiel
nennen: In Sachsen-Anhalt gab es in der letzten Zeit
eine Vollversammlung des Landeskontrollverbandes. Da
waren Bauern aus ganz Sachsen-Anhalt vertreten, nicht
nur die Milchviehhalter, und auch viele andere Gäste.
Insgesamt waren auf dieser Veranstaltung circa
300 Leute. Frau Landwirtschaftsministerin Wernicke aus
Sachsen-Anhalt, ihres Zeichens CDU-Mitglied, hat unser Reformmodell dort in Reinform vorgelegt. Ihren Vortrag hätte auch ich halten können. Wissen Sie, wie die
Reaktion der Bauern aussah? Sie haben sich hingestellt
und gesagt: Wir haben die McSherry-Reform geschafft,
wir haben die Agenda 2000 geschafft, wir bestreiten
auch positiv die EU-Agrarreform. Dieses Resümee
wurde in Sachsen-Anhalt bei der Vollversammlung des
Landeskontrollverbandes gezogen. Ich denke, die
Bauern dort schauen in die Zukunft, indem sie sagen:
Wir werden das positiv beeinflussen.
({2})
Uns allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch
bewusst, dass die nächste Welthandelsrunde die weitere
Liberalisierung der Agrarmärkte einfordern wird. Es
ist doch logisch, dass es dann auch Änderungen bei der
EU-Agrarreform geben muss. Es bleibt aber bei der Entkopplung der Direktzahlungen, der Stärkung der ländlichen Räume und der Bindung der Direktzahlungen an
die Einhaltung von Umwelt-, Tierschutz- und Qualitätsvorschriften. Wenn wir wirklich wollen, dass die nächste
WTO-Runde gelingt, dann - es geht gar nicht anders müssen wir diese Herausforderungen meistern. So weit,
so gut. Die Theorie ist ja meistens etwas einfacher. Der
kritische Punkt ist nun einmal die nationale Umsetzung
der gemeinsamen Agrarpolitik. Bund und Länder haben
sich - das haben schon mehrere Kollegen gesagt - auf
ein gemeinsames Modell geeinigt. Die Landwirte erhalten auch weiter Prämien. Wenn die Bauern auf dem Niveau der jetzigen Prämienzahlungen in die GAP-Reform gehen, dann können sie auch nach einem
festgeschriebenen Verlaufsplan die Verschiebung der
Hektarbeträge bis 2012 meistern. So wird es möglich
sein, 2012 eine einheitliche Flächenprämie einzuführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, positiv hieran ist
doch gerade, dass extensiv wirtschaftende Betriebe mehr
Zuwendungen erhalten.
({3})
Das ist eine wesentliche Verbesserung, denn so wird es
möglich sein, auch in schwierigeren Lagen unter geänderten Rahmenbedingungen weiter zu produzieren. Das
ist aus unserer Sicht auch eine gerechtere Variante.
({4})
Natürlich ist es auch so, dass es bei solchen Reformen Gewinner und Verlierer gibt. Das hat niemand bestritten. Es
hat mich auch nicht sonderlich erschreckt, obwohl ich es
natürlich bedauert habe, dass sich der Bauernverband
strikt gegen eine solche Umverteilung wie beim Flächenmodell ausspricht. Der DBV hat nur die Besitzstandswahrung jedes einzelnen Betriebes im Kopf, wider
besseres Wissen. Nur keinem wehtun, nach dieser Devise
wird hier gehandelt. Aber hat denn das Betriebsmodell auf
längere Sicht wirklich eine Chance? Die hat es natürlich
nicht. Wir können 2013 niemandem mehr ernsthaft klar
machen, dass Betriebe einer Region unterschiedliche
Zuweisungen von EU-Geldern bekommen,
({5})
und das nur aufgrund der Tatsache, dass sie in der Zeit
von 2000 bis 2002 bestimmte individuelle Zuweisungen
erhalten haben.
({6})
Deshalb finde ich es nicht richtig, dass der Agrarausschuss des Bundesrates nur augenscheinlich dem Anliegen des DBV folgen will,
Waltraud Wolff ({7})
({8})
nebenbei gesagt: ziemlich halbherzig. Halbherzig darum,
weil er ebenfalls den Umstieg auf eine Flächenprämie
vorsieht, aber erst zum Jahr 2013. Anders als die Bundesregierung sieht der Agrarausschuss des Bundesrates
nicht einen Gleitflug, sondern einen Sturzflug vor.
({9})
Das ist ausgesprochen unverständlich, denn im neuen
Stützungssystem wird die Zahlung immer weniger ein
Preisausgleich sein, sondern zunehmend eine allgemeine
Einkommensstütze. Durch die Zahlungen wird also der
Leistung der Landwirtschaft für die Allgemeinheit Rechnung getragen. Darum ist es auch überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Stützungsgelder so lange betrieblich gebunden bleiben sollen und erst 2013 auf die
Fläche verteilt werden sollen.
Deshalb bin ich sehr erleichtert, wenn ich höre, dass
der Bundesrat dem Anliegen des Agrarausschusses möglicherweise nicht folgen wird.
({10})
Ich frage Sie, Herr Minister Miller: Sind Sie bei diesen
Beratungen nicht dabei? Was reden Sie mit Ihren Amtsbrüdern aus den CDU-geführten Ländern?
({11})
Das frage ich mich ernsthaft. Sie stehen doch allein,
nicht wir und die Mehrheit der Bundesländer. Darüber
kann man eigentlich sehr froh sein.
Im Übrigen verstehe ich nicht, warum die Opposition im
Zusammenhang mit den Cross-Compliance-Regelungen die
Einvernehmensregelung mit dem Umweltministerium
immer wieder kritisiert und ablehnt.
({12})
- Zuhören! - Dieses Gesetz sieht eine Einvernehmensregelung zwischen dem Umweltministerium, dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit und dem Finanzministerium durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des
Bundesrates vor. Hier sind die Bundesländer also alle
mit dabei.
({13})
Einvernehmlich heißt, dass man miteinander einen Weg
finden muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was die Milchregelungen angeht, mache ich noch einmal ganz deutlich,
dass der Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen
ist. Bund und Länder werden über diesen Punkt weiter
beraten müssen. Das ist eine ganz wichtige Sache.
Ich sehe, meine Zeit wird knapp. - Gerade die Milchbetriebe mit Ackerbau, die in den letzten Jahren investiert haben, könnten bei einem frühzeitigen Angleichungsprozess in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Aber auch hier muss umgeschichtet werden, denn betriebsindividuelle Zuweisungen sind auch den Milchbauern zukünftig nur schwer vermittelbar. Außerdem lässt
der Gesetzentwurf den Ländern die Möglichkeit offen,
vom Acker aufs Grünland umzuverteilen.
Das Gesetz zur Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik in Europa muss im August dieses Jahres in Kraft
treten. Das ist ganz wichtig.
({14})
Würden wir mit dem Betriebsmodell starten, würde das
bedeuten, dass wir auf Dauer Ungerechtigkeiten festschreiben und für die nächste WTO-Runde schlecht aufgestellt wären.
({15})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident. - Unser Ziel
sind klare Vorgaben für den Umstieg der Betriebe. Ich
möchte noch einen Appell an die Kollegen von der
CDU/CSU richten: Diskutieren Sie nicht weiter mit
Scheuklappen und in die falsche Richtung. Sie würden
das in kurzer Zeit zutiefst bereuen. Helfen Sie stattdessen mit; denn Landwirtschaft in Deutschland soll sich
auch in 20 Jahren noch lohnen.
In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihr Zuhören.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/2553 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/2092 zu dem ernährungsund agrarpolitischen Bericht 2003 der Bundesregierung
und zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU zu diesem Bericht. Der Ausschuss empfiehlt in
Kenntnis des Berichts der Bundesregierung auf Drucksache 15/405, den Entschließungsantrag auf Drucksache 15/1325 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Klimke, Klaus Brähmig, Ernst Hinsken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf
den Tourismus und die deutsche Tourismuswirtschaft
- Drucksachen 15/1267, 15/2237 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Klaus Brähmig von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte, die sich mit der Auswirkung
der EU-Osterweiterung auf den Tourismus beschäftigt,
zeigt sehr deutlich: Deutschland steht bei dieser zweiten
großen Erweiterung nach der Aufnahme der fünf neuen
Bundesländer in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union vor einer historischen Aufgabe. Es gilt vor
allem, die Chancen und Herausforderungen aufzuzeigen,
die damit für die deutsche Tourismuswirtschaft verbunden sind. Neben den branchenspezifischen Aspekten
spielen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine große Rolle.
Bis zum Datum des Beitrittes der Staaten von Estland
im Norden bis Zypern im Süden sind es heute noch
56 Tage. Eine Fläche von circa 738 000 Quadratkilometer vom finnischen Meerbusen bis fast zur nordafrikanischen Küste mit rund 75 Millionen Einwohnern wird
Teil des europäischen Binnenmarktes.
Der 1. Mai 2004 bedeutet weit mehr als die Aufnahme
von zehn Staaten in das freiheitliche, demokratische und
christlich geprägte Europa. Es ist der historische Termin,
an dem die seit der Konferenz von Jalta im Jahre 1945
bestehende alte stalinistische Trennungslinie im Herzen
Europas unumkehrbar überwunden wird. In Europa
wächst zusammen, was zusammengehört. Die gemeinsamen Grundwerte, gepaart mit unterschiedlicher Kultur
und Geschichte, und die Vielfalt der Landschaften und
Bräuche sind die beste Grundlage für einen attraktiven
Tourismusstandort Europa.
Vieles wurde auf dieses Datum hin seit über zehn Jahren geplant, geprüft und untersucht. Es ging darum, Projekte zu entwickeln. Jedoch stehen die von der Erweiterung direkt betroffenen Regionen heute vor mehr
offenen als beantworteten Fragen. Denn die EU-Osterweiterung findet nicht vorrangig in Köln, Stuttgart und
München statt, sondern hauptsächlich in einem Gebiet
50 Kilometer rechts und links der bisherigen EU-Außengrenze.
Aus diesem Grund muss die rot-grüne Bundesregierung nach sechs Amtsjahren einmal gefragt werden, welche Maßnahmen sie vor Ort vorbereitet, eingeleitet und
umgesetzt hat, um die Länder Bayern, Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu unterstützen.
Wenn ich mich im Freistaat Sachsen umschaue, finde ich
nichts oder sehr wenig an neuen Regierungsimpulsen
des Bundes für die Grenzregionen. Eigentlich ist eher
das Gegenteil der Fall; denn selbst die Projekte mit
Fertigstellungsterminen wie Bundesstraßen, Autobahnen
und auch Grenzübergänge werden nach dem Maut-Desaster verschoben oder stehen auf der Kippe.
Ich glaube, Rot-Grün hat eine große Chance versäumt, den 1. Mai 2004 zu nutzen, um von Stettin bis
nach Passau eine „Perlenschnur“ von grenzüberschreitenden Projekten als Brückenschlag einzuweihen.
({0})
Dafür wäre allerdings auch nötig gewesen, Kommunen
und Landkreise langfristig mit auf Innovationen zielenden Finanzmitteln auszustatten, um diese historische
Aufgabe zu meistern.
Aber auch hier ist festzustellen: Es wird gekürzt, verhindert und verzögert, was das Zeug hält. Aktuelle Beispiele sind die Vorgänge um die Gemeinschaftsaufgabe
„Ost“, die 700 Millionen Euro umfasst und um
100 Millionen Euro reduziert wird.
({1})
Anstelle die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe als eines der gerade im touristischen Bereich in Ost und West
wenigen guten Wirtschaftsförderungsinstrumentarien zu
erhöhen, wird von der rot-grünen Bundesregierung genau das Gegenteil durchgesetzt. Anträge, Projekte und
Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen liegen
doch den Ländern zur Genüge vor. Die Umsetzung
scheitert aber leider an der Finanzierung.
Die grüne EU-Kommissarin Michaele Schreyer legt
noch einen drauf und droht gleichzeitig aus Brüssel in
der „Financial Times Deutschland“ mit den Worten:
„Ostdeutschland kann keine Fördermittel mehr bekommen“, obwohl genau das Gegenteil notwendig wäre.
Ostdeutschland gerät sonst durch den EU-Beitritt in eine
Sandwichposition zwischen dem hochentwickelten Westen und der umfangreichen Wirtschaftsförderung in den
Beitrittsländern.
Meine Damen und Herren, ohne die Menschen in den
Grenzregionen wird die Erweiterung nicht funktionieren. Im Augenblick findet in den Grenzgebieten auf beiden Seiten eine Abkehr durch Abwanderung statt. Auch
aus diesem Grund ist die Forderung nach einer finanziell
gut ausgestatteten Grenzlandförderung angebracht.
Zusätzlich zu den finanziellen Regelungen brauchen
jetzt die deutschen Grenzregionen an der östlichen EUAußengrenze zu Polen und der Tschechischen Republik
eine Neuauflage des Karlsruher Abkommens, das
Deutschland 1996 mit Frankreich, Luxemburg und der
Schweiz abgeschlossen hat. In diesem Übereinkommen
wurde festgelegt, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften durch eine Ausweitung des rechtlichen Rahmens zu ergänzen. Ein solches Abkommen schafft den nötigen rechtlichen
Rahmen, damit Gemeinden und Verbände direkt mit den
Partnern auf der anderen Seite der Grenze rechtliche
Vereinbarungen schließen können. Im Augenblick muss
jede Entscheidung zum Beispiel über Berlin, Prag und
Brüssel abgestimmt werden, was den Prozess natürlich
erheblich erschwert und verlangsamt.
({2})
Nach den allgemeinen wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten der EU-Osterweiterung möchte ich nun
noch auf einige tourismusspezifische Punkte eingehen,
die wir in der Großen Anfrage angesprochen haben.
Mein ausdrücklicher Dank gilt dem Tourismusreferat im
Bundeswirtschaftsministerium für die ausführliche Beantwortung. Da allerdings die Bundesregierung der Opposition in der Einleitung der Beantwortung der Großen
Anfrage vorwirft, die Beantwortung habe im Ministerium zu viel Kapazität gebunden, muss ich, Herr Staatssekretär, Folgendes feststellen:
Erstens. Wir fordern schon seit langem eine deutliche
personelle Aufstockung des Tourismusreferates gemäß
der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges. Er ist immerhin die zweitwichtigste Branche in unserer Volkswirtschaft mit einem Umsatz von 150 Milliarden Euro, 2,8 Millionen Beschäftigten und weit mehr
als 100 000 Lehrstellen. Es darf nicht vergessen werden:
Dies ist eine Branche, die nicht exportierbare Arbeitsplätze anbietet. Nur durch eine Förderung kann es uns
gelingen, das große touristische Außenhandelsbilanzdefizit von weit mehr als 30 Milliarden Euro zu reduzieren.
({3})
Zweitens. Anstatt ohne Sinn und Verstand Millionensummen für Verträge mit externen Beratern und für Werbekampagnen des Presseamtes - sie kosten weit mehr als
100 Millionen Euro; das habe ich schon im Ausschuss
angesprochen - zu verpulvern,
({4})
hätte die Bundesregierung mit diesem Geld eher eigene
wissenschaftliche Studien zu diesem Thema in Auftrag
geben sollen. Dann hätten wir der Branche auch mit einer längeren Vorlaufzeit wichtige Entscheidungshilfen
an die Hand geben können.
Dies gilt umso mehr, als in der Antwort deutlich gemacht wird, dass die deutsche Tourismuswirtschaft in
vielen Bereichen über ungleich schlechtere Rahmenbedingungen als die Konkurrenten in den Beitrittsländern
verfügt.
({5})
Anhand der Mehrwertsteuertabelle ist dies eindrucksvoll
nachvollziehbar. Im Bereich des Beherbergungsgewerbes haben neun von zehn Beitrittsstaaten niedrigere
Mehrwertsteuersätze als wir in Deutschland vorzuweisen: zum Beispiel Polen 3 und die Tschechische Republik 5 Prozent Mehrwertsteuer. In sieben von zehn Beitrittsländern ist dies bei Restaurants der Fall und in sechs
von zehn Beitrittsländern bei Freizeitparks. Polen erhebt
bei Freizeitparks sogar überhaupt keine Mehrwertsteuer.
Das Busgewerbe in Deutschland ist offensichtlich bei
allen im Rahmen der Osterweiterung notwendigen Betrachtungen der Branchen völlig vergessen worden. Im
Rahmen der Dienstleistungsfreiheit hätten ähnliche
Übergangsfristen, nämlich mindestens sieben Jahre, wie
bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgehandelt werden
müssen. So aber können die osteuropäischen Billiganbieter ab dem ersten Tag des Beitritts einen ruinösen
Preiskampf beginnen, da ihre Lohnkosten nur ein Bruchteil der deutschen Lohnkosten betragen.
Weiterhin erscheint mir eine intensivere touristische
Vermarktung Deutschlands in den Staaten Osteuropas
durch die Deutsche Zentrale für Tourismus dringend
geboten. Dazu ist eine bessere Finanzausstattung dieser
Organisation notwendig. Eine Kürzung des DZT-Bundeszuschusses im Haushalt 2005 ff. wäre gerade in dieser Umbruchphase fatal und nur schwer zu kompensieren.
({6})
Die Stadt Berlin hat die Zeichen der Zeit erkannt. Mit
einer zusätzlichen Werbekampagne, für die 5 Millionen
Euro ausgegeben werden, will man das Ziel - über
15 Millionen Übernachtungen in den nächsten Jahren erreichen.
Geprüft werden sollte auch eine gemeinsame Werbung Deutschlands und der EU-Beitrittsländer für touristische Ziele. Angesprochen sind die Märkte Nordamerikas, Asiens und des Nahen Ostens. In diesem
Zusammenhang ist es für mich nicht nachvollziehbar,
warum es keine auf den Tourismusbereich bezogenen bilateralen Gesprächskreise der Bundesregierung mit den
Regierungen der Beitrittsländer gibt. Hier ist der Tourismusausschuss des Bundestages besonders gefordert, mit
den Partnerausschüssen in den Beitrittsländern Kontakte
aufzubauen, so wie wir dies mit Ungarn bereits erfolgreich praktizieren.
Gerade der Tourismus ist in idealer Weise dazu geeignet, grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen und bei den Menschen das Zusammenwachsen
Europas erlebbar zu machen. Nur in enger Kooperation
kann es gelingen, die Beitrittsstaaten nicht zu unterfordern und uns keine Überforderung aufzubürden.
Abschließend fordern wir die Bundesregierung auf,
uns einen jährlichen Bericht über den Fortschritt grenzüberschreitender und multilateraler Tourismusprojekte
mit den Beitrittsländern vorzulegen. Mit dieser Grundlage könnten wir aus dem Haus heraus fundierte Impulse
geben und Fehlentwicklungen vorbeugen.
({7})
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion heißen die
Beitrittsländer in der Europäischen Union herzlich willkommen. Als CDU/CSU-Fraktion werden wir am ersten
Arbeitstag der erweiterten EU, dem 3. Mai, hier in Berlin im Reichstagsgebäude einen Tourismuskongress zu
all diesen Themen und Fragen durchführen.
Meine Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass der Tourismus seiner Rolle als Integrationsmotor gerecht werden kann und wir diese einmalige
Chance nicht ungenützt verstreichen lassen.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort der Kollegin Brunhilde Irber,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bereits im November haben wir uns mit dem
Thema der EU-Osterweiterung befasst. Anlass war auch
damals ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen der EUOsterweiterung. Der damalige Antrag war inhaltlich bereits überholt und das Gleiche gilt für die jetzt vorliegende Große Anfrage über die Auswirkungen der EUOsterweiterung auf den Tourismus und die deutsche
Tourismuswirtschaft. Auch diesmal ist der inhaltliche
Erkenntniszuwachs nicht der Rede wert.
Das Thema ist hochaktuell, die Fragen aber kommen
Jahre zu spät.
({0})
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben die Sache schon vor Jahren in die Hand genommen
und erfolgreich bearbeitet.
({1})
An dieser Anfrage ist lediglich der Umfang groß. In sage
und schreibe 93 Fragen sucht die CDU/CSU nach
Schwächen in der Regierungsarbeit, sonst enthält die
Anfrage nichts. Sie hat nichts gefunden;
({2})
denn die Antworten der Bundesregierung zeigen: Wir
sind gut aufgestellt; alle, die wollten, sind gut vorbereitet
und die EU-Osterweiterung ist für die heimische Tourismuswirtschaft eine zu nutzende Chance für Umsatzund Wachstumssteigerung. Das Schreckgespenst, das
die Opposition hervorzaubern möchte, wird aufgrund
der Tatsachen nicht einmal zu dem kleinen Schlossgespenst namens Hui Buh.
Bevor ich zu den Fakten komme, möchte ich gern aus
der Vorbemerkung der Bundesregierung bezüglich des
Arbeitsaufwands der Beantwortung der ausufernden Fragestellung zitieren:
Nach Einschätzung der Bundesregierung stehen
hier Aufwand und Ertrag - auch im Lichte der Initiativen für einen schlanken Staat und den Abbau
überbordender Bürokratie - in keinem angemessenen Verhältnis zueinander.
Wollen wir uns nun dem für uns wesentlichen Ertrag
zuwenden: Die EU-Erweiterung ist ein bedeutsamer
Meilenstein im Zusammenwachsen Europas für Frieden,
Freiheit und Wohlstand. Durch den Beitritt der zehn
europäischen Länder wächst der EU-Binnenmarkt von
370 auf 445 Millionen Menschen an. Die neuen, rasch
wachsenden Volkswirtschaften werden Geschäftsreisen
und später auch Urlaubsreisen nach Deutschland induzieren.
Die wirtschaftlichen Wachstumsimpulse der Binnenmarkterweiterung und die Einführung der allgemeinen Freizügigkeit werden dem Tourismus in Deutschland zugute kommen. Daraus werden neue Arbeitsplätze
entstehen und bestehende Arbeitsplätze gesichert werden. Der Tourismus in Deutschland wird vor allem von
der zu erwartenden Stärkung der Kaufkraft der neuen
EU-Länder profitieren.
Die in jeder Ihrer Fragen zu erkennende Befürchtung,
die EU-Erweiterung würde die deutsche Tourismuswirtschaft unter unzumutbaren Anpassungsdruck setzen, teilen wir nicht. Unter Anpassungsdruck geraten die Ewiggestrigen, die sich in den letzten zehn Jahren nicht
vorbereitet haben.
({3})
Alle anderen haben die Chancen begriffen und gehandelt. Selbst eine Studie des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Technologie vom
September 2001 stellt fest, dass die heimischen Unternehmen grenzüberschreitende Kooperationen eingehen
sollen,
({4})
um die daraus resultierenden komparativen Vorteile zu
nutzen. Ferner wird hier festgestellt, dass - ich zitiere „die unmittelbare Nähe zu den Beitrittsstaaten und der
Gewinn an Zentralität im erweiterten Wirtschaftsraum
der EU sich jedoch als Vorteil erweisen“ werden.
({5})
- Herr Hinsken, Sie werden doch nicht eine Aussage der
Bayerischen Staatsregierung anzweifeln. Das kann doch
nicht Ihr Ernst sein.
({6})
Die osteuropäischen Beitrittsländer sind bereits heute
mit 4,9 Millionen Deutschlandreisenden ein bedeutender
Quellmarkt für Deutschland. In Polen, dem quantitativ
wichtigsten osteuropäischen Markt, ist Deutschland mit
einem Marktanteil von 35 Prozent Reiseziel Nummer
eins.
Um das Potenzial für die deutsche Tourismuswirtschaft zu verdeutlichen, möchte ich die Zahlen der DZT
heranziehen. Bereits für 2005 rechnet man dort mit
einem Anstieg der Reisen aus den acht europäischen
Beitrittsländern - eigentlich sind es zehn; aber nur aus
acht kann man möglicherweise etwas bekommen - um
700 000 auf 5,6 Millionen Reisen. Dies ist ein beträchtlicher Zuwachs.
Die konsequente Aufstockung der Zuwendungen des
Bundes an die DZT seit 1998 von über 25 Prozent zahlt
sich hier ein weiteres Mal aus. Ich darf auch darauf verweisen, dass wir in Brüssel gehört haben, dass die EU
ein Internetportal für den gemeinsamen Auftritt der europäischen Länder in Asien und in den USA machen
wird. Damit wäre Ihre Forderung bereits erfüllt.
Die DZT unternimmt derzeit eine Vielzahl von Aktivitäten, um den Quellmarkt der Beitrittsländer erfolgreich zu bearbeiten. Übrigens stärkt auch Ihre Frage
Nr. 78 der Regierung den Rücken: Deutschland stattet
seine nationale Tourismusorganisation finanziell am besten aus. Selbst Zypern und Malta, die Länder mit einem
Anteil der Tourismuswirtschaft am Bruttoinlandsprodukt
von über 20 Prozent, geben weit weniger für ihre nationalen Marketingorganisationen aus.
({7})
Zu Ihren unzähligen Fragen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit möchte ich mich hier nicht nochmals äußern. Dies habe ich am 7. November letzten Jahres an dieser Stelle schon getan.
Kollegin Irber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Nein.
({0})
Nur eines: Die Durchführung grenzüberschreitender
Projekte - passen Sie auf, Herr Brähmig, weil Sie das
immer wieder vergessen - liegt in der Verantwortung der
Länder und der Kommunen. Hierzu stehen EU-Mittel
aus dem Interreg-Programm in Höhe von
430 Millionen Euro für den Zeitraum 2000 bis 2006 zur
Verfügung. Im neuen Planungszeitraum - das hat der
Kohäsionsbericht vom 18. Februar 2004 angedeutet von 2007 bis 2013 bleiben die bisherigen Grenzgebiete
als Förderraum erhalten.
Für die Strukturstärkung der erweiterten EU sind im
neuen Planungszeitraum 336 Milliarden Euro vorgesehen. Davon profitieren - das steht ausdrücklich in der
Antwort der Bundesregierung - insbesondere die kleinen
und mittleren Unternehmen, wenn sie grenzüberschreitende Kooperationen eingehen. Deshalb kann ich hier
keine großen Probleme erkennen.
({1})
Schaut man sich den Fragenkatalog weiter an, dann
stößt man immer wieder auf Themen, die schon längst
geklärt sind. Hier schlagen Ihre Versuche, Verunsicherung zu schüren, ein weiteres Mal fehl.
Jetzt komme ich auf Ihr Lieblingsthema, die Mehrwertsteuer, zu sprechen. Ich glaube, wir alle haben gehört, dass der Brüsseler Probeversuch, einen reduzierten
Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen einzuführen, keinerlei arbeitsmarktpolitische Effekte
gezeigt hat.
({2})
Die steuerlichen Mindereinnahmen stehen jedoch in einem krassen Missverhältnis zu den hierdurch möglicherweise neu entstehenden Arbeitsplätzen. Ebenfalls
konnte eine Eindämmung der Schattenwirtschaft weder
festgestellt noch prognostiziert werden. Die Reduzierung des Steuersatzes ist meist gar nicht und wenn, dann
nur zu einem geringen Teil an den Kunden weitergegeben worden. Würden wir in Deutschland den Mehrwertsteuersatz in den Bereichen Gastronomie und Hotellerie
halbieren, würde dies zu Steuerausfällen von 1,9 Milliarden Euro führen. Steuerausfälle in einer solchen
Höhe zu riskieren und auf das Eintreten des Unwahrscheinlichen zu warten, das wäre einfach absurd.
Durch Ihre Oppositionspolitik beabsichtigen Sie das
allerdings; denn wo Sie nur können, blockieren Sie all
unsere Einsparbemühungen. Aber in der Öffentlichkeit
verbreiten Sie, dass wir den Haushalt zu stark belasten
und die EU-Stabilitätskriterien nicht einhalten.
({3})
In Zukunft werden wir im neuen, großen Europa zu einer
Steuerharmonisierung kommen. Dann erübrigen sich
Ihre Sonntagsreden ohnehin.
Kommen wir zum nächsten Thema aus der Mottenkiste der Opposition.
({4})
In Frage 58 möchten Sie von der Bundesregierung wissen, wie in den Beitrittsstaaten die Sperrzeiten in der
Außengastronomie geregelt sind. Siehe da: In allen
Beitrittsstaaten werden die Sperrzeiten in der Außengastronomie von der jeweiligen Kommune oder Stadtverwaltung festgelegt.
({5})
So ist das auch bei uns geregelt und das ist auch gut so;
denn dann haben wir in diesem Bereich keine Probleme.
Bitte verschonen Sie uns in Zukunft in diesem Hause mit
solchen Anfragen!
({6})
Nun komme ich auf noch einen Punkt aus der bekannten Kiste zu sprechen. In Frage 65 möchten Sie wissen,
wie Jugendliche in den einzelnen Beitrittsstaaten im Hotel- und Gaststättenbereich beschäftigt werden können,
und weisen gleich auf eine mögliche Wettbewerbsverzerrung für deutsche Unternehmen hin. Hier zeigt sich
einmal mehr: Ihr kleines Hui-Buh-Gespenst wird nicht
größer.
({7})
Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung:
Die … Aufstellung zeigt, dass die Bestimmungen
des Jugendarbeitsschutzes in den meisten Beitrittsländern strenger … sind als in Deutschland.
Auch hier sage ich: Bitte verschonen Sie uns mit weiteren Anträgen in dieser Richtung!
Ich möchte ein weiteres Thema anschneiden, das
mich im Kontext Ihrer gesamten Anfrage beschäftigt
hat.
({8})
Ich habe den Verdacht, dass Sie die EU-Osterweiterung
dazu nutzen wollen, einen Keil in die Bevölkerung zu
treiben,
({9})
um Abneigung gegen die Bürgerinnen und Bürger aus
den Beitrittsländern zu erzeugen. Das kann ich Ihnen
nicht durchgehen lassen.
({10})
Hätte ich mehr Zeit zur Verfügung, würde ich jetzt
noch auf das Thema Türkei eingehen. Das erspare ich
mir aber.
Umso mehr freue ich mich über die diesbezüglichen
Zahlen, die die Bundesregierung vorgelegt hat. Aus Polen, der Tschechischen und der Slowakischen Republik,
Slowenien und Ungarn sind im Jahr 2002 tatsächlich
15 473 Saisonarbeiter und 2 100 Gastarbeiter, die einer
Tätigkeit im touristischen Bereich nachgingen, zu uns
gekommen.
({11})
Das ist, wie ich glaube, nicht etwa ein Schreckgespenst,
durch das unser Arbeitsmarkt aus den Fugen gerät. Es
handelt sich vielmehr um einen sehr geringen Prozentsatz, über den man sich nicht aufregen noch vor dem
man sich nicht ängstigen muss. Außerdem fordert die
FDP in diesem Bereich ja sogar eine Ausweitung.
Letztendlich bleibt festzuhalten, dass jeder, der interessiert ist und innovativ handelt, eine enorme Chance
und Herausforderung in der EU-Erweiterung sieht. Dies
unterstreicht auch eine Initiative der IHK Passau - das
ist „meine“ IHK -, die ihren Unternehmen Unterstützung unter dem Motto „Mit Europa wachsen, Chancen
nutzen, Herausforderungen annehmen“ anbietet. Ich
glaube, das ist ein gutes Motto, und ich denke, daran
sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.
Bedenken Sie bei Ihren Äußerungen zukünftig, dass
der Tourismus Völkerverständigung sowie kulturellen
und natürlich auch wirtschaftlichen Austausch bedeutet.
Ich darf hier auf den Herrn Präsidenten verweisen, der
bei jeder Gelegenheit sagt, dass Tourismus die beste
Friedens- und Außenpolitik ist, die es gibt.
({12})
Da kann ich ihm nur beipflichten. Deshalb gibt es keinen
Anlass zu Pessimismus und Panikmache, gerade in Bezug auf die Osterweiterung.
Kollegin Irber, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja, Herr Präsident. - Mein letzter Satz. Die Erweiterung zum 1. Mai dieses Jahres ist durch die Ostpolitik
Willy Brandts erst möglich geworden. Helmut Kohl hat
das fortgeführt und vollendet. Aus diesem Grunde meine
ich, wir sollten uns am 1. Mai über die Erweiterung
freuen. Wir haben ein vielfältiges und sehr gut entwickeltes touristisches Potenzial, eine hohe Qualität touristischer Leistungen und eine hohe Anzahl qualifizierter
Mitarbeiter. Deshalb sind wir gut aufgestellt und haben
auch bei der Erweiterung der EU große Chancen für den
Tourismusstandort Deutschland.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun drängt es Kollegen Hinsken zu einer Kurzintervention. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, ich möchte mich bedanken, dass Sie
meine Kurzintervention zugelassen haben. Es muss doch
einiges von dem richtig gestellt werden, was Frau Kollegin Irber hier eben ausgeführt hat. Uns ist nicht gedient
mit Schönwetterreden. Wir sind im Deutschen Parlament
und haben den verfassungsrechtlichen Auftrag, die Regierung zu kontrollieren. Das gilt für alle Fraktionen, für
alle Parteien im Deutschen Bundestag. Dieser Aufgabe
kommen wir selbstverständlich gerne nach.
({0})
Ich kritisiere vor allen Dingen, dass die Bundesregierung dem Tourismuswesen viel zu wenig Bedeutung beimisst. Es wurde nicht einmal der Mühe für Wert befunden, ein entsprechendes Kapitel zum Thema Tourismus
in den Jahreswirtschaftsbericht aufzunehmen. Das kann
und darf in Zukunft nicht so weitergehen. Das wurde
auch im Ausschuss vor wenigen Tagen zu Recht eingeErnst Hinsken
fordert. Uns wurde zugesagt, dass es in den kommenden
Jahren anders sein wird.
Frau Kollegin Irber, ich wollte Sie fragen: Wollen Sie
sich in Ihrer Fraktion und mit Ihrer Fraktion dafür einsetzen, dass auch umgesetzt wird, was Sie hier angemahnt
haben, nämlich dass mehr Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus zur Verfügung gestellt werden, damit für die Bundesrepublik Deutschland mehr Touristen
geworben werden können? Wie ich höre, drängt es den
Bundeswirtschaftsminister dahin gehend, dass er die
Mittel sogar zurückführen möchte. Das ist nicht der
Weisheit letzter Schluss und kann nicht so ohne weiteres
hingenommen werden, gerade aus tourismuspolitischer
Sicht.
Deshalb möchte ich die Regierungsfraktionen auffordern, mit uns tourismuspolitisch an einem Strang zu ziehen und das umzusetzen, was Kollege Brähmig bereits
ausgeführt hat, nämlich dass mehr Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus zur Verfügung gestellt werden.
({1})
Im Übrigen hätte ich erwartet, Frau Kollegin Irber,
dass Sie hier auch etwas zur Ausbildungsplatzabgabe
sagen, und zwar deswegen, weil wir feststellen müssen,
dass viele gastronomische Betriebe schließen. Allein im
letzten Jahr war der Umsatz um 5 Prozent rückläufig.
Die Tourismuswirtschaft, die Hotellerie und die Gastronomie sind die Vorreiter in Bezug auf Ausbildung. Hier
hätte es sich gehört, ein herzliches Wort des Dankes dafür zu sagen. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen,
dass allein in den letzten zehn Jahren die Ausbildungskapazität des Hotel- und Gaststättengewerbes um 50 Prozent gestiegen ist. Auch das gehört dazu, wenn es um
Tourismuspolitik insgesamt geht.
({2})
Deshalb meine ich, dass es angebracht ist, der Ausbildungsplatzabgabe eine eindeutige Absage zu erteilen.
Hier ist weiterhin Ausbildungsbereitschaft vorhanden.
Das Personal wird hervorragend und zügig ausgebildet.
Damit wird die Grundlage geschaffen, dass die Leute
wieder bereit sind, in die Gaststätten zu gehen und die
Hotels zu füllen. Die Hotellerie und Gastronomie haben
es dringend nötig.
Vor allen Dingen das wollte ich noch einmal unterstreichen, wobei ich Sie nicht nur eindringlich auffordere, sondern auch bitte, mit uns zusammen dafür zu sorgen.
Herr Staatssekretär, auch Sie als Mittelstandsbeauftragten möchte ich bitten, in diesem Bereich etwas zu
tun, damit Hotellerie und Gastronomie laufen können.
Das geht aber nur, wenn die DZT mit ausreichenden
Mitteln ausgestattet wird, um dieser Aufgabe nachzukommen.
Herzlichen Dank.
({3})
Kollegin Irber, wollen Sie darauf reagieren? - Bitte
schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Wahlkampfrede von Herrn Hinsken, die er gerade gehalten hat,
({0})
hat nichts mit der Großen Anfrage zum Thema EU-Osterweiterung zu tun. Das einzige, was heute aktuell ist,
sind die Mittel für die DZT. Wie bereits ausgeführt, wurden sie durch die rot-grüne Bundesregierung von 1998
bis dato um 25 Prozent erhöht; während Ihrer Regierungszeit wurden sie nicht erhöht.
({1})
Im Gegenteil: In der mittelfristigen Finanzplanung war
eine Senkung der Mittel enthalten, und zwar eine nicht
unbeträchtliche von 37 auf damals 29 Millionen DM.
({2})
Ich glaube, mehr als wir für die Förderung der Tourismuswirtschaft getan haben, kann eine Bundesregierung
nicht tun, auch nicht angesichts unserer knappen Haushaltskassen.
Vielleicht denken Sie in einer stillen Minute einmal
über Folgendes nach: Wenn Sie an die Regierung kommen, haben Sie keinen Euro mehr in der Tasche und
können dann auch nicht jeden Wunsch, der Ihnen über
die Lippen kommt, entsprechend erfüllen.
Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Burgbacher, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, liebe Kollegin Irber, sollte man in
Debatten im Bundestag nicht immer Argumente aus dem
letzten Jahrtausend anführen,
({0})
sondern darüber diskutieren, was heute ist.
Ich möchte gleich zu Anfang zwei Dinge richtig stellen: Wenn man über die Ostpolitik und über den europäischen Erweiterungsprozess redet, dann sollte man auch
die Namen Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher
nennen; denn sie haben ein ganz wesentliches Verdienst
daran.
({1})
Eine zweite sachliche Richtigstellung: Es stört mich,
wenn wir immer von EU-Osterweiterung reden. Es ist
eine EU-Erweiterung. Schauen Sie sich die Landkarte
einmal an. Es kommt einiges hinzu, was westlicher liegt
als die heutige Europäische Union. Mit klaren Begriffen
zu argumentieren ist hilfreich.
Wir begrüßen die EU-Erweiterung ausdrücklich. Sie
gibt uns enorme Chancen, wirtschaftliche Chancen, aber
auch menschliche Chancen.
({2})
Was wir hier an Freizügigkeit schaffen und an Möglichkeiten für die Menschen, sich zu begegnen, ist Grundlage für den Tourismus. Andererseits ist der Tourismus
entscheidend wichtig, damit wir dies schaffen. Nur wenn
die Menschen zueinander finden und sich gegenseitig
kennen lernen, kann diese Erweiterung überhaupt gelingen. Deshalb begrüßen wir dies.
({3})
Wir sollten auch deutlich sagen: Diese Erweiterung
birgt eine ganze Menge von Chancen, auch wirtschaftliche Chancen. Wir verzeichnen heute schon jährlich etwa
4,9 Millionen Reisen aus den Beitrittsländern nach
Deutschland. Die DZT sagt ein Potenzial von 6 Millionen voraus. Das ist eine wirtschaftliche Chance. Darüber
sollte man reden.
Es gibt natürlich auch Risiken, die insbesondere - da
gebe ich dem Kollegen Brähmig völlig Recht - in den
Grenzgebieten liegen. Da müssen wir handeln, indem
wir alle Fördermaßnahmen - auch die der EU - sehr
sorgfältig auf den Prüfstand stellen. Es kann nicht sein,
dass zum Teil mit unzulässigen Fördermaßnahmen Wettbewerbsungleichheit geschaffen wird. Wenn Wettbewerb
angemahnt ist, sind die Liberalen immer an erster Stelle,
darauf zu achten, dass alle dieselben Chancen haben.
({4})
Wir müssen touristische Maßnahmen treffen. Ich
kann das Thema hier nur anreißen. Die DZT muss auch
finanziell gestärkt werden, um tätig werden zu können.
Ich plädiere ausdrücklich für grenzüberschreitende touristische Regionen, weil es für beide eine riesengroße
Chance ist. Man kann das zum Beispiel in unserem
Grenzraum sehen: Zwischen Südbaden und Frankreich
läuft dies zum Teil wirklich sehr gut.
Das Dritte, verehrte Kollegin Irber, kann nur gut gehen, wenn unsere Unternehmen - der Tourismus ist ja
von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt - die Chance erhalten, im Wettbewerb zu bestehen.
({5})
Das ist nur eine Frage der Rahmenbedingungen, die
Sie in sechs Jahren ständig verschlechtert haben.
({6})
Das geht vom Arbeitsmarkt über die Steuerpolitik bis in
viele andere Bereiche hinein. Wenn Sie sich nicht ganz
schnell besinnen und hier umsteuern, dann haben die
Unternehmen im Wettbewerb keine Chance.
({7})
Die Verantwortung dafür müssen Sie dann schultern.
({8})
Deshalb sage ich Ihnen: Obwohl Sie uns dreimal gebeten haben, Sie zu verschonen,
({9})
werden wir Sie nicht verschonen und Sie jeden Tag auf
Ihre Fehler aufmerksam machen. Das beste Programm
für die EU-Erweiterung wäre ein möglichst schneller
Regierungswechsel in Deutschland. Dann würde vieles
besser.
({10})
Zum Schluss ein paar kurze Sätze an die Union gewandt. Sie werden an diesem Wochenende Ihr Steuerkonzept beschließen. Noch ist in dem merzschen Steuerkonzept die Wiedereinführung der Besteuerung der
Trinkgelder enthalten.
({11})
Ich hoffe sehr, dass die Appelle der FDP gefruchtet haben und dass in dem endgültigen Steuerkonzept genauso
wie in dem der FDP stehen wird, dass Trinkgelder
Schenkungen sind und insofern nicht zum zu versteuernden Einkommen gehören.
({12})
Das wollten wir immer. Ich appelliere an die Union,
hierauf zu achten.
Herzlichen Dank.
({13})
Die Kollegin Undine Kurth hat ihre Rede zu Protokoll
gegeben. - Damit schließe ich die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans
Büttner ({0}), Reinhold Hemker, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried
Hermann, Volker Beck ({1}), Michaele Hustedt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sportförderung in den auswärtigen Kulturbeziehungen ausbauen
- Drucksache 15/1879 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Präsident Wolfgang Thierse
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Peter Letzgus, Günter Nooke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sportförderung des Bundes im Ausland stärken und als Teil der auswärtigen Kulturpolitik
begreifen
- Drucksache 15/2575 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Reinhold Hemker, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich darüber, dass wir es nun geschafft haben, die
internationalen Kulturbeziehungen unter Einbeziehung
des Sports und ihrer Förderung durch die Bundesregierung wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
zu rücken.
Für diese Aussprache liegen zwei Anträge vor, und
zwar - das sage ich eingangs - zwei gute. In beiden wird
das Anliegen verfolgt, Sport im Rahmen der internationalen Kultur- und Bildungsarbeit und Entwicklungszusammenarbeit stärker zu verankern. Mein Dank geht
also auch an die Freundinnen und Freunde des Sports in
der CDU/CSU-Fraktion für ihre Initiative.
Vor einem Jahr haben wir auf einer Klausurtagung
meiner Fraktion zum ersten Mal über eine Initiative zu
diesem Thema nachgedacht. Diese Initiative ist dann erfolgt. Es ist gut, dass es bereits im Zuge der Haushaltsberatungen zu einer Aufstockung der Bundesmittel für
die Sportförderung im Rahmen des Entwicklungsansatzes des Auswärtigen Amtes gekommen ist.
({0})
Nach dem Schreiben vom 2. Februar dieses Jahres
wird das auch vom Nationalen Olympischen Komitee
anerkannt. In diesem Schreiben wird von den Fachleuten
bestätigt, dass wir mit unserer Initiative im Interesse derer handeln, die Sportförderung im internationalen Kontext betreiben. Lieber Klaus Riegert und liebe Freundinnen und Freunde der Union aus dem Sportausschuss,
natürlich sind wir mit dem Umfang der Mittel für diesen
Bereich nicht zufrieden. Das sage ich gerade auch mit
Blick auf die Kritik, die Sie in Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen.
({1})
- Lieber Detlef, wir haben aber zumindest eine kleine
Trendwende einleiten können. Ich komme darauf noch
zu sprechen.
Bezogen auf unser Anliegen verweise ich im Übrigen
darauf - ich habe mir die Zahlen einmal herausgeschrieben -, dass es auch schon vor 1998 zu Absenkungen der
Haushaltsmittel für diesen Bereich gekommen ist.
({2})
Es gab damals unterschiedlichste Ansätze und Schwerpunktsetzungen.
In diesem Sinne herausragende Projektansätze gibt es
zum Beispiel im südlichen Afrika. Dort sind so erfolgreiche Projekte wie SPACE, „Sport against crime“,
bekannt geworden. In einer Veröffentlichung in der
„Afrika-Post“ heißt es dazu: Sport statt Knast. - Das sagt
eigentlich alles.
Im Rahmen dieses Entwicklungsprojektansatzes wurden zum Beispiel in einer Partnerprovinz von NordrheinWestfalen, in Mpumalanga, seit 1995 mehrere Sportstätten saniert, neu eingerichtet und unter anderem für Schulen bereitgestellt. Ferner konnten zum Beispiel über das
Förderprogramm „Konkreter Friedensdienst“ NRW bei
verschiedenen Organisationen in mehreren Orten zahlreiche junge Menschen vermittelt werden, die in
Partnerprojekten beispielhafte Arbeit geleistet haben.
Beteiligt war immer die Sportjugend des Landessportbundes NRW. Mittlerweile - darüber freue ich mich besonders - ist auch die Deutsche Sportjugend an der partnerschaftlichen Projektarbeit beteiligt. Das ist eine gute
Entwicklung.
({3})
Im Übrigen gibt es für partnerschaftliche Projekte unter Beteiligung von Sportverbänden auch Mittel aus dem
Etat des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. Das erweitert den gesamten Rahmen in unserem
Sinne und auch das ist gut so. Man muss darum sehr genau hinschauen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, wo es überall Fördermöglichkeiten für die
von uns vertretenen Anliegen gibt. Im Übrigen wissen
das die an dieser Arbeit beteiligten Vereine, Verbände
und Organisationen sehr genau.
Wir wissen: Menschen in aller Welt verbinden mit
dem deutschen Sport positive Erfahrungen. Dies ist
wichtig im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft
2006 in unserem Land, aber natürlich auch - das betone
ich an dieser Stelle - für die Bewerbung Deutschlands
um die Olympischen und Paralympischen Spiele mit den
Veranstaltungsorten Leipzig und Rostock im Jahr 2012.
({4})
Uns ist bewusst, dass der Sport ein wichtiger Bestandteil der Kultur ist. Das war schon immer so, seit den
Olympischen Spielen im alten Griechenland. Das wird
im Rahmen von Partnerschaftsbeziehungen unter Beteiligung von Organisationen wie der Deutsch-Namibischen oder der Deutsch-Simbabwischen Gesellschaft,
die ich näher kenne, genauso gesehen.
In der letzten Woche waren zwei junge Studienreferendare in meiner Wahlkreissprechstunde, die seit
zwei Jahren in dem Projekt „Fußball öffnet Tore“ in
Swakopmund, Namibia, aktiv Sport und Sozialarbeit
unterstützen und teilweise selbst vor Ort daran beteiligt
waren. Ich hatte die beiden jungen Leute im Rahmen
meines Seminars „Praxis der Entwicklungszusammenarbeit“ an der Universität Münster kennen gelernt. Sie haben dann im Rahmen des schon genannten „Konkreten
Friedensdienstes“ in Namibia mit weiteren freiwilligen
Helfern einen Sportplatz ausgebaut und in diesem Zusammenhang Bälle, Kleidung und Sportgeräte, bereitgestellt von Vereinen und Sponsoren, übergeben. - Die Geschichte geht weiter: Nach einem Aufenthalt weiterer
junger Studenten, dem Ausbau des Projektes und der
Vertiefung der partnerschaftlichen Beziehungen ist nun
ein Förderverein „Fußball bzw. Sport öffnet Tore“ für
dieses sozial integrative Projekt unter Einbeziehung von
sportlichen Aktivitäten in der Gründungsphase gegründet worden.
Ich nenne ein weiteres positives Beispiel. Die Redaktion der Zeitschrift „Running“ hat im letzten Frühjahr
Markenlaufschuhe von deutschen Spitzensportlern testen lassen. Die Schuhe wurden dann von Mitarbeitern
und Besuchern von Entwicklungsprojekten in Afghanistan übergeben. Dazu kamen Sportkleidung und Bälle
aus fairem Handel. Anwesend war der unter Beteiligung
des Auswärtigen Amtes, des NOK und des Deutschen
Fußball-Bundes entsandte bekannte frühere Journalist
und jetzige Fußballtrainer Obermann. Ich selbst habe
dieses Ereignis als eine sehr wichtige Aktion im Rahmen
unserer internationalen Sportbeziehungen empfunden.
Eine weitere Übergabe fand in diesem Zusammenhang in Verbindung der Übergabe von Mais für Schulspeisungen an Kinder zweier Grundschulen in einem der
Projekte der „Zimbabwe Workcamp Association“ in
Simbabwe statt. Der Direktor dieser Organisation ist
heute hier im Bundestag.
({5})
Uns ist auch bewusst: Sport ist der Ausdruck des Miteinanders in Form fairen Wettstreites innerhalb eines
von allen Seiten akzeptierten Regelwerkes. Damit wird
beispielhaft eine friedliche und konstruktive Form unterschiedlicher und teilweise entgegengesetzter Interessen
verfolgt. Sport muss daher verstärkt als Teil von Bildung, Kultur, Entwicklung und Gemeinwesenarbeit dargestellt und begriffen werden. Dabei gilt eine wichtige
Voraussetzung: Es muss nicht in erster Linie für, sondern
mit den Menschen gearbeitet und gelebt werden. Ferner
muss eine Leitorientierung ganz ernst genommen werden. Ein faires und friedliches Miteinander im interkulturellen Austausch kann nur unter Berücksichtigung
der Beteiligung aller Akteure erreicht werden.
Internationale Sportförderung erfolgt in einer Welt
mit unterschiedlichen Kulturen und Traditionen. Das
muss beim Auf- und Ausbau junger Demokratien insbesondere in so genannten Entwicklungsländern beachtet
werden. Dieses geschieht dann unter besonderer Berücksichtigung der Zivilgesellschaft. Gerade dem Sport
kommt dabei in Gebieten mit regionalen und ethnischen
Spannungen eine unermessliche Bedeutung im Hinblick
auf ein friedliches Miteinander zu.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
ausdrücklich auf die erfolgreiche Wiederaufbauhilfe
für den Fußballsport in Afghanistan hinweisen. Das
Auswärtige Amt, der DFB und das NOK haben hier hervorragend zusammengearbeitet und arbeiten noch hervorragend zusammen. Im Übrigen gilt das neuerdings
auch für das Fußballspielen von jungen Mädchen. Es
sind auch die Aktivitäten im Behindertensport zu nennen, der gerade in Afghanistan angesichts der vielen
Kriegsverletzten eine große Bedeutung hat. Ich konnte
mich davon im Oktober letzten Jahres vor Ort selbst
überzeugen.
Wir alle wissen: Sport schafft Freude und Freundschaften und ist dabei ein wichtiger Einflussfaktor für
die Persönlichkeitsbildung gerade junger Menschen. Im
Sport geht es um Fairness und Motivation, um friedlichen Wettkampf, Toleranz und soziales Engagement.
Das sind Eigenschaften, die für die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen unentbehrlich sind. Ich
sagte schon, dass mit dem deutschen Sport weltweit
positive Vorstellungen verbunden sind. Das ist ganz
wichtig im Hinblick auf die Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012; denn die deutsche Sportförderung,
besonders in ärmeren Ländern, ist ein Teil der Sympathiewerbung für unser Land.
({6})
Zugleich präsentiert sich Deutschland als welt- und kulturoffenes Land.
({7})
Wir verdeutlichen deswegen mit unserem Antrag
- das gilt in ähnlicher Weise für den Antrag der Sportkameradinnen und Sportkameraden aus der Union - vor
diesem Hintergrund Folgendes:
Erstens. Wir wollen unserer Verantwortung als Sportnation gerecht werden und die Sportförderung insbesondere in ärmeren Ländern langfristig weiterentwickeln.
Zweitens. Wir wollen angesichts der Zunahme von
gewaltsamen Konflikten und terroristischen Aktivitäten
den Sport als friedenspolitisches Instrument verstärkt
nutzen.
Drittens. Wir weisen dem Sport eine wichtige Rolle
beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen zu.
Viertens. Wir wollen den Sport als gezieltes Mittel
der Konfliktbewältigung und der Prävention einsetzen.
Fünftens. Wir wollen den Wissensaustausch mit
Sportexpertinnen und Sportexperten auch in Bereichen
wie Gesundheits-, Schul-, Senioren-, Frauen- und Behindertensport international verstärken.
({8})
Ich sagte es eingangs: Die Wende zur besseren finanziellen Ausstattung ist eingeleitet. Der Mitteleinsatz zur
Förderung internationaler Sportbeziehungen konnte um
325 000 Euro auf circa 3 Millionen Euro aufgestockt
werden. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrund
des Internationalen Jahres des Sports 2005 und der
UNO-Resolution „Sport für Frieden und Entwicklung“,
beschlossen in der UNO-Vollversammlung am 3. November letzten Jahres. Es geht um die Schaffung einer
friedlichen und besseren Welt, unter anderem durch
Sport und durch die olympischen Ideale, wie es in der
Einleitung dieser Resolution heißt.
Ich finde es gut, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union, dass Sie in Ihrem Antrag von der völkerverbindenden Kraft des Sports sprechen. Auch das ist von
großer Bedeutung.
Kollege Hemker, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich freue mich schon jetzt auf die Fachberatungen im
Ausschuss und hoffe, dass alle Beteiligten, die ich genannt habe, in dem Sinne, wie wir es in unserem Antrag
beschrieben haben, weiterarbeiten. Ich bin sicher, dass
wir alle seitens des Bundestages und insbesondere des
Fachausschusses diese Initiativen unterstützen werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Gerlinde Kaupa, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ein integraler Bestandteil der deutschen Außenpolitik ist die auswärtige Kulturpolitik. Ein wichtiger
Bestandteil der auswärtigen Kulturpolitik ist der Sport.
Leider ist nicht die Förderung des Sports, sondern lediglich dessen kontinuierliche Zusammenstreichung integraler Bestandteil Ihrer Kulturpolitik. Die internationale
Sportförderung dient Ihnen als wichtiger Bestandteil Ihrer permanenten finanziellen Kürzungen. Von 1999 bis
2004 haben Sie 2,7 Millionen Euro weniger dafür aufgewendet.
({0})
Damit erweisen Sie dem deutschen Sport und der deutschen Kulturvertretung im Ausland keinen guten Dienst.
Lassen Sie die Sportförderung nicht in der Versenkung
verschwinden!
Auf internationaler Ebene erzielt unsere Sportförderung bei geringem Einsatz stets große Wirkung.
({1})
Lassen Sie es sich gesagt sein: Ein Nullansatz in den
Planungen des BMZ für 2005 erzeugt nicht nur keine
Wirkung; er hat vielmehr eine negative Wirkung und erzeugt in der Sportwelt ein negatives Bild von Deutschland.
Es ist nicht so, dass Sie das Problem nicht erkannt
hätten. Aber Sie trauen sich nicht, es anzusprechen; denn
es wäre fatal, wenn zu Ihren vielen anderen Problemen
auch noch der Sport hinzukäme.
({2})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordern die eigene Regierung auf, endlich adäquate Mittel für die internationale Sportförderung bereitzustellen. Dazu kann
ich nur sagen: Prima! Lassen Sie uns zusammenhalten;
dann schaffen wir es auch! Aber bitte setzen Sie sich
auch bei Ihrem Finanzminister durch.
Die Entwicklungsländer brauchen langfristige
Perspektiven ohne Unterbrechungen. Diese wollen und
können wir nur zur Verfügung stellen, wenn wir etwas
bieten können. Verlässliche Perspektiven bieten den
Ländern die Garantie zum Auf- und Ausbau der Infrastruktur und zur Aus- und Weiterbildung der Sportler
und Sportlerinnen. Eine dauerhafte Garantie benötigen
gerade die Kinder und Jugendlichen in den betroffenen
Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas und Südamerikas, um nach vorne blicken zu können und einem
Idol aus ihrem eigenen Land nachzueifern.
Die internationale deutsche Sportförderung holt die
Kinder von der Straße. Sie blühen auf, wenn wir sie in
ihrem sportlichen Eifer fördern und ihnen eine Zukunftsperspektive bieten. Sie profitieren von ihrem eigenen geregelten Leben und verbessern ihre Lebenssituation wie
auch die ihrer Familien.
({3})
Doch die deutschen Sportexperten im Ausland sind
nicht nur ein Garant für die Förderung des Sports, sondern auch hervorragende Botschafter für ihre Werte und
die Kultur Deutschlands. Denken Sie nur an den „König
von Samoa“ - ich weiß nicht, wer ihn kennt -, den Fußballtrainer Rudi Gutendorf. Er ist ein Idol für viele junge
Fußballer in der ganzen Welt. Er ist die personifizierte
sportliche Entwicklungshilfe. Bereits Konrad Adenauer
hatte ihn als ersten Fußballentwicklungshelfer ins Ausland geschickt und noch immer ist er für den DFB, das
NOK und die FIFA tätig, wenn sie ihn rufen.
({4})
- Genau.
Auch andere haben eine Vorbildfunktion. Das ZDF
hat am 25. Februar eine Reportage über einen Sportverband in einem Slum in Nairobi gesendet, die den Titel
„Fußball heißt Hoffnung - Afrikas Kampf gegen das
Elend“ trägt. Ich glaube, diese hervorragende Überschrift sagt sehr viel aus.
Unsere Sportexperten im Ausland sind Sympathieträger, Vorbilder und Persönlichkeiten, die unsere wichtigen Sportwerte - Fairness, Toleranz und friedliche Wettkämpfe - in die Welt tragen.
({5})
- Dafür müssen wir sorgen. Ich glaube, das können wir.
Im Zuge der Globalisierung müssen diese Werte vermittelt und weitergetragen werden. Sie tragen zur Völkerverständigung, zum Aufbau einer besseren und friedlicheren Welt, zum gegenseitigen Kulturverständnis, zur
Vertrauensbildung unter den einzelnen Nationen und zur
Konfliktprävention und Konfliktbewältigung bei.
Das alles wird am besten durch den Jugendaustausch im Bereich des Sports unterstützt. Er trägt goldene Früchte. Sie werden dem Stand Deutschlands, das
weltweit die drittstärkste Sportnation ist, am besten gerecht.
({6})
Es gibt keine friedvollere Völkerverständigung als
den Jugendaustausch besonders im sportlichen Bereich.
({7})
Die Sprache des Sports versteht jeder und jede. Der
Sport baut Brücken zwischen den einzelnen Nationalitäten, Religionen und Kulturen. Er vermittelt gegenseitiges Verständnis, Toleranz und fairen Umgang. Meine
Sportjugend im Landkreis Passau organisiert regelmäßig
einen Jugendaustausch mit Südafrika. Von ihren Erfahrungen und Erlebnissen werden die jungen Menschen ein Leben lang erzählen. Diese prägen ihre Erinnerungen und oft entstehen lebenslange Freundschaften.
Ein 18-Jähriger, der in Südafrika war, sagte mir einmal:
Es fand das statt, was viele Politiker oft vergeblich
versuchen, nämlich die Verständigung zwischen
den Kulturen und Rassen.
Was wollen wir mehr, wenn unsere jungen Leute solche
Erfahrungen machen und sie weitergeben? Einige aus
der letztjährigen Abiturklasse haben diesem Thema sogar ihre Facharbeit gewidmet.
({8})
Die Familien, die Kommunen und die Sponsoren wissen, warum sie diesen Austausch unterstützen. Sie haben
nämlich die Bedeutung und den Stellenwert erkannt.
Aus dem gleichen Grund wollen sie genauso wie wir den
Jugendaustausch fördern. Nur die Regierung will das
nicht.
({9})
- Aber nicht genug! - Sie streicht und reduziert kontinuierlich. Das können wir nicht durchgehen lassen.
({10})
- Stimmt, das ist ein Wunschkonzert. Man muss aber
auch Prioritäten setzen. Angesichts der Summen, über
die wir heute reden, sollte es ein Leichtes sein, die entsprechenden Mittel zu genehmigen.
Neben Experten- und sportlichem Jugendaustausch
sind auch der Betreuung und der Ausbildung von ausländischen Sportlern in Deutschland maßgebliche Bedeutung beizumessen. Nicht nur das sportliche Erlebnis und
das sportliche Know-how, sondern auch deutsche Gastfreundschaft, deutsche Kultur sowie die Freundschaft
und die Gemeinschaft mit anderen Nationen werden vermittelt. Die ausländischen Sportler, die in Deutschland
gefördert werden, haben ein Ziel vor Augen: Sie wollen
für ihr Land sportliche Leistungen erzielen und ihr Land
international vertreten. Dieses Ziel dürfen wir den Sportlern nicht durch deutsche Sparwut und Eigennutz kaputtmachen. Positive Berichte gibt es zuhauf.
Liebe Kollegin, Sie müssen leider Schluss machen.
Ich sehe zwar, dass Ihr Manuskript noch allerhand Blätter hat. Aber das wird nichts mehr.
Herr Präsident, dann schicke ich mich.
Sportliche Kulturförderung besteht auch aus der Förderung internationaler Großveranstaltungen. Doch hier
versagt die Bundesregierung vollkommen und lässt das
entscheidende Engagement vermissen. Sie zielt nur auf
prestigesteigernde Maßnahmen wie beim Berliner Abklatsch der Münchner WM-Eröffnung.
({0})
Ich appelliere an alle - in diesem Punkt gibt es eigentlich eine große Koalition -, die Mittel für den Jugendund den Kulturaustausch auf dem Gebiet des Sports
nicht zu kürzen. Am besten wäre es natürlich, wenn sie
erhöht würden.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Hermann,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir verstehen die heutige Debatte als Anstoß,
die auswärtige Kultur- und die auswärtige Sportpolitik
verstärkt auf die neuen Anforderungen des
21. Jahrhunderts auszurichten. Kollegin Kaupa, Sie haben vollkommen Recht: Das ist ein Anstoß für die Regierung und die Mehrheit des Parlaments, in diesem Bereich mehr zu tun.
({0})
Wir wollen, dass der Sport in der auswärtigen Kulturpolitik eine größere Rolle spielt als bisher. Wir wollen
außerdem die Sportpolitik stärker internationalisieren.
Alles, was Sie über die Wirkung des Sports im friedenspolitischen und sozialindikativen Sinne gesagt haben,
sind genügend Argumente, um dies voranzutreiben. Dabei sollten wir deutlich machen, dass wir dies in fairer
Partnerschaft mit den Entwicklungsländern, mit den
Institutionen und den Verbänden vor Ort sowie mit kleinen bürgerschaftlichen Gruppen machen wollen. Wir
setzen darauf, dass dadurch das Potenzial in den Entwicklungsländern gestärkt wird.
Es ist nicht effizient, Expertenwissen nur kurzzeitig
zu transferieren oder Trainer nur kurzzeitig auszubilden.
Wir brauchen eine dauerhafte Förderung. Wir brauchen
langfristig orientierte Projekte und wir brauchen letztendlich auch eine dauerhafte Struktur der internationalen
Zusammenarbeit, des internationalen Austauschs auf
dem Gebiet des Sports und der Jugendarbeit. Das muss
unser Ziel sein.
Dass es eine solche Struktur noch nicht gibt, daran
krankt die momentane Situation. Der deutsche Sport ist
in Afrika zurzeit dadurch bekannt - ich erinnere nur an
die spektakulären Fälle -, dass er Fußballspieler einkauft, um nicht zu sagen: wegkauft; es werden also Ressourcen aufgebraucht. Das Ziel müsste aber eigentlich
ein Geben und Nehmen sein. Das heißt, wir müssten etwas zum Aufbau des Sports in diesen Ländern beitragen,
um so von den dortigen Sportlern profitieren zu können.
Anlässlich dieser Debatte möchte ich dem NOK, dem
DSB und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ausdrücklich dafür danken, dass sie auf
diesem Feld in den vergangenen Jahren nicht nachgelassen haben. Zum Teil haben sie finanziell das kompensiert, was der Bund nicht mehr bezahlt hat.
({1})
Ich finde, wir müssen dafür dankbar sein. Ich hoffe sehr,
dass sie an dieser Förderung festhalten. Das soll allerdings keine Entschuldigung für den Bund sein.
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf die Finanzdebatte eingehen. Sie sagen mit Recht: In diesem Bereich ist in den letzten Jahren gekürzt worden. Ich kenne
das gesamte Zahlentableau der letzten 30 Jahre. Leider
ist es so, dass es auch in der Ära Kohl eine glatte Halbierung der Mittel in diesem Bereich gab. Ich will den
schwarzen Peter jetzt nicht hin- und herschieben; vielmehr möchte ich an das anknüpfen, was ich am Anfang
gesagt habe: Es gab im Deutschen Bundestag leider eine
breite Mehrheit, die letztendlich die Auffassung vertreten hat: Sport ist überflüssig und Luxus; das müssen wir
nicht fördern. Die Sportpolitiker hingegen haben gesagt:
Das hat ein soziales, friedenspolitisches Potenzial; das
sollten wir fördern.
Jetzt sind wir dabei, die Auffassung der breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag, die es gab, aufzubrechen.
Wir haben für eine gewisse Trendwende gesorgt. Ich
sage Ihnen: Ich bin erneut und immer wieder gern bereit,
mit allen Fraktionen die Initiative zu ergreifen und dafür
einzutreten, mehr Mittel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und mehr Mittel im Bereich der auswärtigen Kulturarbeit zur Verfügung zu stellen, damit
wir dieses Ziel gemeinsam erreichen können.
({2})
Ich sage ohne Häme, aber natürlich mit einem knitzen
Lächeln im Gesicht: Wenn die CDU an diesem Wochenende ihre Beschlüsse über eine radikale Steuerreform
fasst, dann muss sie eine strenge Aufgabenkritik vollziehen und dann werden Sie von der CDU/CSU merken
- das kann bei so einer Konzeption leicht geschehen -,
dass man sich einen solchen Luxus nicht mehr erlauben
kann.
({3})
- Das gilt übrigens auch für die FDP. - Das will ich an
dieser Stelle sagen. Sie sollten nicht so tun, als herrschte
nur unter Regierungsbedingungen Finanzknappheit; sie
herrscht auch unter oppositionellen Bedingungen. Zu
diesem Ergebnis kommt man, wenn man seine steuerpolitischen Vorhaben und die Konsequenzen einer bestimmten Steuerpolitik für die eigenen Politikfelder einmal durchrechnet.
({4})
Wir haben - ich will nicht angeben - eine gewisse
Trendwende geschafft. Das ist immerhin etwas. Wir haben mit diesen Fördermaßnahmen in einigen Bereichen für wirklich hervorragende, anschauliche Beispiele
gesorgt, die zur Nachahmung empfohlen werden können. Wir haben erreicht, dass der Bundeskanzler zum
Beispiel auf Auslandsreisen Funktionäre von Sportorganisationen mitnimmt, um die von mir beschriebene Auslandsarbeit zu leisten. Wir haben erreicht, dass der Außenminister das diplomatische Korps auf dem Feld der
internationalen Sportförderung und der Olympiabewerbung von Leipzig eingeführt hat. Das sind erste wichtige
Schritte, die wir unterstützen. Wir erwarten, dass die Regierung den eingeschlagenen Weg fortsetzt.
Zu guter Letzt möchte ich einen sozial- und ökopolitischen Aspekt ansprechen: Zum fairen Spiel im Sport gehört, dass der Wettbewerb nach fairen Regeln ausgetragen wird. Vor allem in der Sponsorenwirtschaft, also
bei denen, die mit dem Sport Geschäfte machen, ist nicht
alles nach den Prinzipien des fairen Wettbewerbs und
des fairen Handels gestaltet. Deswegen erwarte ich, dass
wir auch in diesem Bereich für eine Verbesserung sorgen
und dass sich alle Sponsoren selbst verpflichten, auf
Kinderarbeit zu verzichten, soziale und ökologische
Mindeststandards einzuhalten, um so des sauberen und
fairen Sports würdig zu sein. Es geht darum, gemeinsam
mit uns folgendes Motto zu vertreten: Wir sind für Fair
Play und für Fair Trade. Wir wollen mehr und besseren
internationalen Sport sowie internationale Sportbeziehungen auf allen Ebenen: im Spitzensport, im Breitensport und in der Jugendarbeit.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion, das
Wort.
({0})
Mit einem Handyton ans Rednerpult gerufen zu werden, dazu von der Regierungsbank, ist neu.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen die Olympischen Spiele 2012 nach Deutschland holen. Das ist unsere nationale Aufgabe und Herausforderung. Dazu können die beiden vorliegenden Anträge
einen Beitrag leisten. Ein Erfolg für Leipzig und
Rostock und damit für Deutschland kann nur erreicht
werden, wenn wir auch international alle Kräfte bündeln
und alle Chancen der Werbung nutzen.
({0})
Der Aufruf an unsere Auslandsvertretungen und Mittlerorganisationen zu einer Olympiaoffensive kommt zum
rechten Zeitpunkt. Am 18. Mai fällt im IOC die Entscheidung über die „candidate cities“. Wir müssen dabei
sein.
Ansonsten findet sich in beiden Anträgen - das stellt
man fest, wenn man sie genau liest - viel Lyrik und eine
grundsätzliche Wertschätzung des Sports im Hinblick
auf internationale Begegnungen, den Aufbau demokratischer Strukturen in Entwicklungsländern usw. Das kann
man nur unterstützen.
Die Forderungen insbesondere des SPD/Grünen-Antrags bleiben aber weit hinter den Erwartungen zurück.
Es bleibt bei Allgemeinplätzen - und dies vor dem Hintergrund von Mittelkürzungen, die eine Realisierung der
angestrebten Ziele eher unwahrscheinlich erscheinen
lassen.
({1})
- Es geht nicht um mehr oder weniger.
({2})
Es geht um die Realität heute.
Eine Erweiterung von konkreten Fördermöglichkeiten des Sports im Ausland kann ich jedenfalls nicht erkennen.
({3})
Da argumentiert die Union schon redlicher, die auf
die Leistungen der deutschen Sportvereine und Sportverbände sowie anderer Institutionen hinweist. Davon
lebt in der Tat ein Großteil der Sportförderung in den
auswärtigen Kulturbeziehungen.
({4})
Ohne den Einsatz der Sportvereine und Sportverbände
wäre manches nicht so gut darzustellen, wie das heute
trotz der staatlichen Kürzungen immer noch der Fall ist.
({5})
Nun ist Geld nicht alles. Was die ideelle Unterstützung des Sports leisten kann, hat der deutsche Weg zur
Wiedervereinigung bewiesen. Ohne den Sport wäre es
nicht in dem Ausmaß zu zwischenmenschlichen Beziehungen gekommen, die Mut machten und Kraft für die
späteren Demonstrationen vor allem in Leipzig, unserer
Wiedervereinigungsstadt, vermittelten.
Ähnliche Erfahrungen werden aktuell in einem anderen geteilten Land gemacht, nämlich in Korea. Schon
die Universiade in Daegu im vergangenen Jahr - einige
Kollegen waren dort - hat eindrucksvoll die Zusammenführung von Nord- und Südkorea durch die Bande des
Sports dokumentiert. Jetzt freuen wir uns über die Annäherung beider Staaten im Hinblick auf einen gemeinsamen Einmarsch bei den Olympischen Spielen in Athen,
mehr noch aber über die Absicht, mit einer gemeinsamen koreanischen Olympiamannschaft 2008 in Peking
anzutreten. Gesamtdeutsche Erinnerungen lassen grüßen. Solche Art von Vertrauensbildung kann Konflikte
minimieren und Menschen und unterschiedliche politische Systeme zusammenführen.
Ich muss an die Abschlussfeier der Universiade erinnern. Dort hat die deutsche Mannschaft das Motto
„Dream for Unity“ verändert und ist mit einem Plakat
mit der Aufschrift „Unity is possible“ einmarschiert. Die
Möglichkeiten des Sports kann man ermutigender nicht
darstellen.
({6})
Deshalb ist es gut, dass wir das jetzt auch im Bundestag auf der Grundlage dieser beiden Anträge deutlich
machen können. Ich freue mich auf die Diskussion im
Fachausschuss.
({7})
Zum Schluss erteile ich Kollegen Klaus Riegert,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sind heute schon sehr viel für diesen Antrag
gelobt worden. Man merkt, dass wir über ein Thema diskutieren, bei dem wir den Willen haben, gemeinsam vorwärts zu kommen.
Die beiden Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Koalition haben Gemeinsamkeiten: Die
Sportförderung des Bundes im Ausland soll gestärkt
werden. Die Sportförderung ist wesentlicher Bestandteil
der auswärtigen Kulturpolitik.
Internationale Sportförderung ist Sympathiewerbung
für unser Land und Hilfe für Menschen in den Entwicklungsländern. Beides sind Zielsetzungen, die in ihren
Auswirkungen von der Öffentlichkeit und der Politik
nicht angemessen wahrgenommen werden.
Dem Sport kommt bei der internationalen Verständigung eine herausragende Bedeutung zu. Trainer und Experten der deutschen Sportverbände sind stille Helferinnen und Helfer vor Ort. Sie leisten in den
Entwicklungsländern hervorragende Aufbauarbeit.
Leider wird dies zu wenig wahrgenommen. In den Entwicklungsländern gelingt es, Kinder und Jugendliche,
auch traumatisierte, durch Sport aus ihrem Gettodasein
herauszuführen, sie Gemeinschaft erleben zu lassen.
Durch Können und Leistung entwickeln sie Selbstbewusstsein und erhalten so die Möglichkeit einer hoffnungsvolleren Zukunft und besserer Lebensperspektiven. In den Entwicklungsländern haben viele Menschen
den sozialen Aufstieg über den Sport geschafft. Diese
Menschen sind heute Vorbilder für Kinder und Jugendliche und motivieren zusätzlich zum Sporttreiben. Deshalb muss es ein wichtiges Anliegen unserer Sportförderung sein, den Entwicklungsländern Hilfe zur Selbsthilfe
zu geben.
({0})
Manch ein Fußballlehrer oder Leichtathletiktrainer hat
dort mit bescheidenen Mitteln mehr bewegt als kostspielige Entwicklungsprogramme.
({1})
Die Erfolge dieser Entwicklungszusammenarbeit sind
von großer Nachhaltigkeit. Das zeigt sich daran, dass die
Entwicklungsländer heute international in vielen Sportarten sehr erfolgreich sind und auch in den internationalen Gremien mehr Gewicht bekommen haben. In diesem
Zusammenhang scheint es mir durchaus überlegenswert,
auch die Ausrichtung von sportlichen Großveranstaltungen als Teil dieser Hilfe anzusehen. Austragungsorte
von Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen und
Paralympics waren in den vergangenen Jahrzehnten fast
ausschließlich Städte in den reichen Nationen. Bewerberstädte aus den Entwicklungsländern hatten in der Regel das Nachsehen. Wir sollten uneigennütziger und mutiger sein und den Entwicklungsländern die Chance
geben, sportliche Großveranstaltungen zukünftig ausrichten zu dürfen. Das wäre eine Anerkennung der dort
geleisteten Arbeit.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erkennen das
Bemühen der Sportpolitiker der Koalition durchaus an,
die Sportförderung durch das Auswärtige Amt und das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung auf dem Niveau von 1999 zu halten.
Wir haben Ihre Anträge immer unterstützt. Doch dem Finanzminister und anderen Ministern der Koalition fehlt
leider die Einsicht in die Bedeutung und den Wert internationaler Sportförderung. Herr Kollege Hermann, in
den vergangenen Jahren haben wir immer wieder diesbezügliche Anträge gestellt, doch Ihre Fraktion hat diese
Anträge im Sportausschuss abgelehnt.
({3})
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat 2004 den für solche
Zwecke vorgesehenen Etatansatz auf null gesetzt. Das
heißt, in diesen Bereich fließt kein Geld mehr. Das sind
traurige Fakten, die eine deutliche Sprache sprechen. Die
rot-grüne Regierung hat in den fünf Jahren ihrer Regierungstätigkeit rund 2,5 Millionen Euro oder 15 Prozent
weniger für die Sportförderung im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik und Entwicklungshilfe ausgegeben, als dies 1999 noch der Fall war. Wir wollen von der
Bundesregierung keine Fensterreden hören, sondern
wollen eine tatkräftige und angemessene Unterstützung
der internationalen Sportförderung vor Ort. Wir wollen,
dass die Auslandsvertretungen und die Mittlerorganisationen in den Stand versetzt werden, Sportförderung in
den Entwicklungsländern als wichtiges Instrument der
Verständigung und des sozialen Ausgleichs aufzufassen
und auch zur Unterstützung der Olympiabewerbung
Leipzigs und Rostocks beizutragen.
({4})
Sport vermittelt Werte wie Fairness, Toleranz, Friedfertigkeit und Leistung, gibt Hoffnung und leistet so einen Beitrag zu einer besseren und friedlicheren Welt.
Unser gemeinsames Anliegen sollte sein, den Wert internationaler Sportförderung verstärkt im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und die ihrer Bedeutung angemessenen Mittel bereitzustellen.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/1879 und 15/2575 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 15/2575 soll zusätzlich an
den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Präsident Wolfgang Thierse
Beraterverträge auf den Prüfstand stellen Transparenz bei Kosten- und Qualitätskontrolle sichern
- Drucksache 15/2422 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Die Reden der Kollegen Hans-Werner Bertl, Michael
Fuchs, Alexander Bonde, Gudrun Kopp und Gesine
Lötzsch sind zu Protokoll gegeben.1)
Damit schließe ich die Aussprache.
1) Anlage 4
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2422 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der
ursprünglichen Tagesordnung soll die Federführung
beim Haushaltsausschuss liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. März, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.